Plenarprotokoll 19/170

Deutscher

Stenografischer Bericht

170. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Inhalt:

Wahl von Paul Löbe zum Reichstagspräsiden- d) Erste Beratung des von den Fraktionen der ten vor 100 Jahren ...... 21135 A CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des neten Dr. und . . . 21135 D Grundgesetzes (Artikel 104a und 143h) Drucksache 19/20595 ...... 21136 C Änderungen der Tagesordnung ...... 21135 D Absetzung des Tagesordnungspunktes 25 . . . . . 21136 A e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Verabschiedung des Direktors beim Deutschen wurfs eines Gesetzes zur finanziellen Bundestag, Herrn Staatssekretär Professor Entlastung der Kommunen und der Dr. Horst Risse ...... 21136 A neuen Länder Drucksache 19/20598 ...... 21136 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 8: ten Dr. , , Leif-Erik Holm, weiterer Abgeordneter a) Beschlussempfehlung und Bericht des und der Fraktion der AfD: Deutscher Au- Haushaltsausschusses zu dem Antrag der tomobilindustrie zeitnah helfen, Bahn- Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Be- rettung statt Konzernrettung, Berichte schluss des Bundestages gemäß Arti- des Bundesrechnungshofs auch in der kel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grund- Krise beachten und umsetzen gesetzes Drucksachen 19/20072, 19/20658 ...... 21136 D Drucksachen 19/20128, 19/20716 ...... 21136 B g) Beschlussempfehlung und Bericht des b) Zweite und dritte Beratung des von der Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Abgeordneten , Brigitte eines Gesetzes über die Feststellung Freihold, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab- eines Zweiten Nachtrags zum Bundes- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: haushaltsplan für das Haushalts- Förderzeiträume des Kommunalinvesti- jahr 2020 (Zweites Nachtragshaushalts- tionsförderungsgesetzes verlängern gesetz 2020) Drucksachen 19/19016, 19/20724 ...... 21136 D Drucksachen 19/20000, 19/20601 ...... 21136 B h) Beschlussempfehlung und Bericht des c) Zweite und dritte Beratung des von den Ausschusses für Verkehr und digitale In- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- brachten Entwurfs eines Gesetzes über ten Andreas Wagner, , Ingrid begleitende Maßnahmen zur Umsetzung Remmers, weiterer Abgeordneter und der des Konjunktur- und Krisenbewälti- Fraktion DIE LINKE: Fahrradprämie gungspakets für alle Drucksachen 19/20057, 19/20717 ...... 21136 C Drucksachen 19/19488, 19/20539 ...... 21137 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. , Donnerstag, den 2. Juli 2020 i) Beschlussempfehlung und Bericht des p) Antrag der Abgeordneten , Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtent- Zaklin Nastic, Heike Hänsel, weiterer Ab- wicklung und Kommunen zu dem Antrag geordneter und der Fraktion DIE LINKE: der Abgeordneten , Simone Humanitäre Hilfe stärken – Globale Fol- Barrientos, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer gen der Corona-Pandemie eindämmen Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Drucksache 19/20549 ...... 21137 C KE: Clubs und Festivals über die Coro- q) Antrag der Abgeordneten Alexander Ul- na-Krise retten rich, , , weiterer Drucksachen 19/20027, 19/20721 ...... 21137 A Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Corona-Überbrückungshilfen fair j) Beschlussempfehlung und Bericht des und solidarisch ausgestalten Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Drucksache 19/20543 ...... 21137 D Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta Beutin, -Förster, in Verbindung mit weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kennzeichnungspflicht für Corona-Staatshilfen Zusatzpunkt 7: Drucksachen 19/20034, 19/20723 ...... 21137 A Antrag der Abgeordneten , , Dr. , k) Beschlussempfehlung und Bericht des weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschusses für Verkehr und digitale In- FDP: Videotelefonie allen Bewohnern in Al- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten- und Pflegeheimen zugänglich machen ten Andreas Wagner, Dr. Gesine Lötzsch, Drucksache 19/20531 ...... 21137 D Lorenz Gösta Beutin, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Ret- in Verbindung mit tungsschirm und Zukunftsoffensive für den öffentlichen Nahverkehr Drucksachen 19/20031, 19/20719 ...... 21137 B Zusatzpunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- l) Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem teidigungsausschusses zu dem Antrag der Antrag der Abgeordneten , Abgeordneten Tobias Pflüger, Kathrin Katharina Dröge, , weiterer Abge- Vogler, Heike Hänsel, weiterer Abgeord- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE neter und der Fraktion DIE LINKE: Kein GRÜNEN: Zukunftspakt für einen sozial- Konjunkturpaket für die Rüstungsin- ökologischen Aufbruch aus der Krise dustrie Drucksachen 19/19549, 19/20712 ...... 21138 A Drucksachen 19/20036, 19/20635 ...... 21137 B in Verbindung mit m) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat zu Zusatzpunkt 9: dem Antrag der Abgeordneten , Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- schusses für Wirtschaft und Energie KE: Umfassender Flüchtlingsschutz an- – zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes gesichts der Corona-Pandemie Vogel (Olpe), , Reinhard Drucksachen 19/18685, 19/19590 ...... 21137 B Houben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Corona-Hilfen für n) Antrag der Abgeordneten René Springer, Selbständige, Freiberufler und Freelan- , Matthias Büttner, weiterer cer – Überbrückungshilfen pragmatisch Abgeordneter und der Fraktion der AfD: ausgestalten, Deckung des Lebensunter- Kindergeld und Kinderbonus für im halts gewährleisten Ausland lebende Kinder indexieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Drucksache 19/20612 ...... 21137 C Müller, , Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion o) Antrag der Abgeordneten Jörg Schneider, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Selbststän- Norbert Kleinwächter, , wei- dige unterstützen – Aktiven Mittelstand terer Abgeordneter und der Fraktion der wertschätzen AfD: Solo-Selbstständigen eine bessere Drucksachen 19/20049, 19/19490, Absicherung durch Verbesserungen 19/20669 ...... 21138 A beim Arbeitslosengeld II ermöglichen Drucksache 19/20615 ...... 21137 C in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 III

Zusatzpunkt 10: Dr. (DIE LINKE) ...... 21167 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr. (BÜNDNIS 90/ schusses für Familie, Senioren, Frauen und DIE GRÜNEN) ...... 21168 A Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. (CDU/CSU) ...... 21168 D Dr. , Beate Walter- Rosenheimer, Katja Dörner, weiterer Abge- Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 21169 D ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (SPD) ...... 21170 C GRÜNEN: Rettungsschirm Zivilgesell- (FDP) ...... 21176 A schaft – Jetzt Soforthilfe für kleine und ge- meinnützige Organisationen aufgrund der (DIE LINKE) ...... 21177 A COVID-19-Pandemie schaffen (SPD) ...... 21177 B Drucksachen 19/18709, 19/19546 ...... 21138 B Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ , Bundesminister BMF ...... 21138 C DIE GRÜNEN) ...... 21177 D (AfD) ...... 21139 C Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) ...... 21178 C (CDU/CSU) ...... 21141 B Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU) ...... 21179 C Christian Dürr (FDP) ...... 21142 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 21143 C Zusatzpunkt 11: Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ – Zweite und dritte Beratung des von der DIE GRÜNEN) ...... 21145 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (SPD) ...... 21147 A eines Gesetzes zur Einführung der Peter Boehringer (AfD) ...... 21148 B Grundrente für langjährige Versiche- rung in der gesetzlichen Rentenversi- Dennis Rohde (SPD) ...... 21148 D cherung mit unterdurchschnittlichem Marcus Bühl (AfD) ...... 21149 A Einkommen und für weitere Maßnah- men zur Erhöhung der Alterseinkom- (CDU/CSU) ...... 21149 D men (Grundrentengesetz) Otto Fricke (FDP) ...... 21150 D Drucksachen 19/18473, 19/20711 ...... 21180 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21152 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 21152 C § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 19/20728 ...... 21180 D (FDP) ...... 21153 C Dr. (CDU/CSU) ...... 21154 C in Verbindung mit (SPD) ...... 21155 C Dr. (fraktionslos) ...... 21156 D Zusatzpunkt 12: (CDU/CSU) ...... 21157 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Marco Bülow (fraktionslos) ...... 21158 C schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Johannes Vogel (Olpe), (CDU/CSU) ...... 21159 B Michael Theurer, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Alters- Namentliche Abstimmungen ...... 21160 C, 21180 C armut zielgenau bekämpfen – Neue Basis- Rente schaffen Ergebnisse ...... 21172 C, 21192 D Drucksachen 19/7694, 19/10033 Buchstabe b . 21181 A , Bundesminister BMAS ...... 21181 A Tagesordnungspunkt 9: Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) ...... 21182 C Beratung des Antrags der Abgeordneten Hermann Gröhe (CDU/CSU) ...... 21184 A , Norbert Kleinwächter, Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 21185 A Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Deutsche Ratspräsi- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 21186 D dentschaft für ein Europa der Freiheit nut- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21188 B zen, für die Stärkung der nationalen Souve- ränität, für Bürgernähe und Demokratie (SPD) ...... 21189 C Drucksache 19/20614 ...... 21162 D (CDU/CSU) ...... 21190 B Siegbert Droese (AfD) ...... 21163 A (SPD) ...... 21191 B (CDU/CSU) ...... 21164 A Antje Lezius (CDU/CSU) ...... 21192 A (FDP) ...... 21165 B (SPD) ...... 21196 A Axel Schäfer () (SPD) ...... 21166 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . 21196 C IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Tagesordnungspunkt 11: b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- a) Antrag der Abgeordneten , zes zur Änderung des Windenergie-auf- , Matthias W. Birkwald, See-Gesetzes und anderer Vorschriften weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/20429 ...... 21217 D DIE LINKE: Arbeitnehmerrechte sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz in der c) Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Fleischindustrie durchsetzen Rosenheimer, (Augsburg), Drucksache 19/20189 ...... 21198 D Dr. Anna Christmann, weiterer Abgeord- b) Antrag der Abgeordneten Beate Müller- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Gemmeke, , Anja GRÜNEN: Grenzenloser Zusammen- Hajduk, weiterer Abgeordneter und der halt – Internationalen Jugendaustausch Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: krisenfest aufstellen Faire Arbeitsbedingungen und ange- Drucksache 19/20164 ...... 21217 D messener Gesundheitsschutz für Be- d) Antrag der Abgeordneten Thomas Hacker, schäftigte in der Fleischbranche und , Grigorios Aggelidis, weite- Saisonarbeitskräfte in der Landwirt- rer Abgeordneter und der Fraktion der schaft FDP: Privatrundfunk vor dem Corona- Drucksache 19/19551 ...... 21199 A Kollaps bewahren Jutta Krellmann (DIE LINKE) ...... 21199 A Drucksache 19/20196 ...... 21218 A Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein- e) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Westfalen) ...... 21199 D SPD: Für den Schutz von Rechtsstaat- (FDP) ...... 21201 B lichkeit und Demokratie in Europa Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein- Drucksache 19/20620 ...... 21218 A Westfalen) ...... 21201 C f) Antrag der Abgeordneten Dr. Dirk Spaniel, Jürgen Pohl (AfD) ...... 21202 A , Marc Bernhard, weiterer Hubertus Heil, Bundesminister BMAS ...... 21202 D Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Autobahnbaustellen zügiger, sicherer René Springer (AfD) ...... 21203 C sowie umwelt- und autofahrerfreundli- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 21204 B cher planen und durchführen Drucksache 19/20691 ...... 21218 A Carl-Julius Cronenberg (FDP) ...... 21206 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ h) Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN) ...... 21207 A , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 21207 C der AfD: Die Folgen von Konsanguinität (AfD) ...... 21208 C anerkennen und eindämmen Katja Mast (SPD) ...... 21209 B Drucksache 19/20688 ...... 21218 B Gyde Jensen (FDP) ...... 21210 A i) Antrag der Abgeordneten Ulrich Oehme, Susanne Ferschl (DIE LINKE) ...... 21211 A , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ der AfD: Bevölkerungspolitischer Stra- DIE GRÜNEN) ...... 21211 C tegiewechsel in der Entwicklungszusam- (CDU/CSU) ...... 21212 B menarbeit – an demografischer Dividen- de teilhaben und Genderpolitik beenden Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/20681 ...... 21218 B DIE GRÜNEN) ...... 21212 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) ...... 21213 C k) Antrag der Abgeordneten Detlev Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg (SPD) ...... 21215 A Schneider, weiterer Abgeordneter und der Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . 21215 D Fraktion der AfD: Seuchenprophylaxe – Bernd Rützel (SPD) ...... 21216 D Nationaler Plan zur Stechmückenbe- kämpfung Drucksache 19/20684 ...... 21218 C Tagesordnungspunkt 30: l) Antrag der Abgeordneten Armin-Paulus a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Hampel, Dr. , , CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- weiterer Abgeordneter und der Fraktion wurfs eines Gesetzes zur Änderung des der AfD: Beobachterstatus bei der Kapitalanleger-Musterverfahrensgeset- Shanghaier Organisation für Zusam- zes menarbeit beantragen Drucksache 19/20599 ...... 21217 C Drucksache 19/20678 ...... 21218 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 V m) Antrag der Abgeordneten , Fraktion DIE LINKE: Moratorium für Dr. Dirk Spaniel, Leif-Erik Holm, weiterer Wildtierhandel aus ethischer und epide- Abgeordneter und der Fraktion der AfD: miologischer Verantwortung Luftverkehrsinfrastruktur durch Flug- Drucksache 19/20551 ...... 21219 C hafenkonzept für Deutschland sichern y) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller Drucksache 19/20690 ...... 21218 C (Potsdam), Dr. , Doris n) Antrag der Abgeordneten Dietmar Achelwilm, weiterer Abgeordneter und Friedhoff, Markus Frohnmaier, Ulrich der Fraktion DIE LINKE: Gemeinnützige Oehme, weiterer Abgeordneter und der Jugend- und Bildungsstätten und Über- Fraktion der AfD: Einstellung der Ent- nachtungsstätten retten wicklungszusammenarbeit mit der Re- Drucksache 19/20545 ...... 21219 C publik Südafrika aa) Antrag der Abgeordneten Brigitte Drucksache 19/20611 ...... 21218 D Freihold, Gökay Akbulut, , o) Antrag der Abgeordneten Beatrix von weiterer Abgeordneter und der Fraktion Storch, Dr. , Dr. Bernd DIE LINKE: Umfassende Aufarbeitung Baumann, weiterer Abgeordneter und der des deutschen Kolonialismus und kolo- Fraktion der AfD: Verein Indymedia ver- nialrassistischer Nachwirkungen gegen- bieten über Black, Indigenous, People of Color Drucksache 19/20682 ...... 21218 D Drucksache 19/20546 ...... 21219 C q) Antrag der Abgeordneten Steffen Kotré, bb) Antrag der Abgeordneten , , Dr. Heiko Heßenkemper, , , weiterer weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abgeordneter und der Fraktion BÜND- der AfD: Soziale Marktwirtschaft für NIS 90/DIE GRÜNEN: Naturzerstörung die Zukunft bewahren – ökonomische und Wildtierhandel stoppen – Risiko für Resilienz stärken zukünftige Pandemien senken Drucksache 19/20679 ...... 21219 A Drucksache 19/20561 ...... 21219 D s) Antrag der Abgeordneten Mariana Iris cc) Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Harder-Kühnel, , Frank Anja Hajduk, Markus Kurth, weiterer Ab- Pasemann, weiterer Abgeordneter und der geordneter und der Fraktion BÜND- Fraktion der AfD: Nationalen Zusam- NIS 90/DIE GRÜNEN: Lehren aus der menhalt stärken – Jugendaustausch Covid-19-Pandemie ziehen – Den Weg und Familienferienstätten innerhalb zu einer inklusiven Gesellschaft ein- Deutschlands besser fördern schlagen Drucksache 19/20687 ...... 21219 A Drucksache 19/20593 ...... 21219 D dd) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia t) Antrag der Abgeordneten Uwe Witt, Verlinden, Dr. , Annalena Jürgen Pohl, Martin Sichert, weiterer Ab- Baerbock, weiterer Abgeordneter und der geordneter und der Fraktion der AfD: Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Passgenaue Unterstützung in der Coro- Ausbau der Offshore-Windenergie zu- na-Krise für Menschen mit Behinderun- verlässig, naturverträglich und kosten- gen und Mitarbeiter in der Behinderten- günstig absichern hilfe einführen Drucksache 19/20588 ...... 21220 A Drucksache 19/20685 ...... 21219 A ee) Antrag der Abgeordneten , v) Antrag der Abgeordneten , Kordula Schulz-Asche, Katrin Göring- Michael Theurer, , weite- Eckardt, weiterer Abgeordneter und der rer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: FDP: Langfristige Stromlieferverträge Pandemierat jetzt gründen – Mit für den ungeförderten Zubau und Be- breiterer wissenschaftlicher Perspektive trieb von erneuerbaren Energien nutzen besser durch die Corona-Krise Drucksache 19/20532 ...... 21219 B Drucksache 19/20565 ...... 21220 A w) Antrag der Abgeordneten Dr. , Michael Theurer, Reinhard in Verbindung mit Houben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freiheitszonen für Mut und Vertrauen in den Kohleregi- Zusatzpunkt 13: onen a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Drucksache 19/20476 ...... 21219 B , , Canan x) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Bayram, weiteren Abgeordneten und der Tackmann, , Dr. Gesine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

zur Änderung des Deutschen Richterge- k) Antrag der Abgeordneten Stephan setzes (Recht und Pflicht zur Fortbil- Thomae, , , wei- dung der Richterinnen und Richter) terer Abgeordneter und der Fraktion der Drucksache 19/20541 ...... 21220 B FDP: Unverschuldete Insolvenzen ver- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten meiden und überlebensfähige Unterneh- Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, men sichern – Für ein modernes und weiteren Abgeordneten und der Fraktion effizientes Restrukturierungsrecht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Drucksache 19/20560 ...... 21221 B ten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung l) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas des Kinderschutzes im familiengericht- Sattelberger, , Katja Suding, lichen Verfahren weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/20540 ...... 21220 B der FDP: Teilhabe von Menschen mit Be- c) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und hinderungen in den außeruniversitären SPD: Innovativ, zukunftssicher und Forschungseinrichtungen stärken nachhaltig – Vorbild Bund – Das Bauen Drucksache 19/20530 ...... 21221 B von Morgen heute fördern Drucksache 19/20618 ...... 21220 B m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Müller, Dr. Jens d) Antrag der Abgeordneten Martin (Rhein-Neckar), Alexander Graf Reichardt, Thomas Ehrhorn, Mariana Iris Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und Harder-Kühnel, weiterer Abgeordneter der Fraktion der FDP: Sexuelle und ge- und der Fraktion der AfD: Kinder gegen schlechtliche Vielfalt stärken – Diskri- sexuelle Gewalt wirksam schützen minierungsfrei in der Bundeswehr Drucksache 19/20677 ...... 21220 C Drucksache 19/20533 ...... 21221 B e) Antrag der Abgeordneten , Dr. Dirk Spaniel, Wolfgang n) Antrag der Abgeordneten Dr. Florian Wiehle, weiterer Abgeordneter und der Toncar, Christian Dürr, Frank Schäffler, Fraktion der AfD: Sparten des Deutsches weiterer Abgeordneter und der Fraktion Zentrum Mobilität der Zukunft auch in der FDP: Versäumnisse der Bundesan- den neuen Bundesländern ansiedeln stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Drucksache 19/20686 ...... 21220 C bei Wirecard und Cum-Ex aufarbeiten und sie nicht mit neuen Aufgaben über- f) Antrag der Abgeordneten Dr. Dirk Spaniel, fordern Steffen Kotré, Leif-Erik Holm, weiterer Drucksache 19/20577 ...... 21221 C Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Lieferketten schützen – Heimische o) Antrag der Abgeordneten Karlheinz Wertschöpfung steigern – Unterstüt- Busen, , Dr. Gero Clemens zung von Unternehmen zur vereinfach- Hocker, weiterer Abgeordneter und der ten Produktionsrückverlagerung nach Fraktion der FDP: Tierwohl baurechtlich Deutschland ermöglichen Drucksache 19/20680 ...... 21220 D Drucksache 19/20557 ...... 21221 C g) Antrag der Abgeordneten Markus p) Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Herbrand, Christian Dürr, Grigorios Gemmeke, Anja Hajduk, Markus Kurth, Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Fraktion der FDP: Scheitern von Unter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeits- nehmensnachfolgen aufgrund der Coro- zeit – Urteil des Europäischen Gerichts- na-Pandemie verhindern hofs umsetzen, mehr Zeitsouveränität Drucksache 19/20579 ...... 21220 D ermöglichen i) Antrag der Abgeordneten Michael Georg Drucksache 19/20585 ...... 21221 D Link, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- q) Antrag der Abgeordneten , ter und der Fraktion der FDP: Deutsche Christian Kühn (Tübingen), Claudia EU-Ratspräsidentschaft – Handlungs- Müller, weiterer Abgeordneter und der und Wettbewerbsfähigkeit der EU stär- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ken Ein Förderprogramm „Neues Leben Drucksache 19/20584 ...... 21221 A auf dem Land“ auflegen Drucksache 19/20576 ...... 21221 D j) Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Martens, , Renata Alt, r) Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina weiterer Abgeordneter und der Fraktion Hoffmann, Stephan Kühn (Dresden), der FDP: Fachfremde Of-Counsel- , weiterer Abgeordneter Berater in der Rechtsberatung und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 19/20558 ...... 21221 A NEN: Ressourcenverschwendung bei Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 VII

Altbatterien stoppen – Herstellerverant- Tagesordnungspunkt 20: wortung sicherstellen, Wertstoffkreis- b) Antrag der Abgeordneten , läufe schließen , Dr. , wei- Drucksache 19/20562 ...... 21221 D terer Abgeordneter und der Fraktion der s) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, AfD: Corona digital bekämpfen – Deut- , Dr. Franziska Brantner, sches Bildungs- und Forschungssystem weiterer Abgeordneter und der Fraktion digital fit machen für Lernen-zu-Hause BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hong- sowie Fernlehre und -forschung kongs weitreichende Autonomie im Drucksache 19/20683 ...... 21223 B Rahmen des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ erhalten Drucksache 19/20563 ...... 21222 A Tagesordnungspunkt 31: in Verbindung mit a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Zusatzpunkt 36: eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Antrag der Abgeordneten Roman Müller- vom 9. April 1965 zur Erleichterung des Böhm, Dr. , Michael Theurer, Internationalen Seeverkehrs (FAL- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Übereinkommen) FDP: Auch Schaustellern eine neue Norma- Drucksachen 19/19380, 19/20625 ...... 21223 C lität ermöglichen b) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksache 19/20559 ...... 21222 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung in Verbindung mit des Seearbeitsgesetzes Drucksachen 19/19383, 19/20661 ...... 21223 D Tagesordnungspunkt 30: c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- j) Antrag der Abgeordneten Ulrich Oehme, ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- Marc Bernhard, Stephan Brandner, weite- tokoll vom 18. November 2019 zur Än- rer Abgeordneter und der Fraktion der derung des Abkommens vom AfD: Verpflichtende deutsche Sprache 19. Februar 2016 zwischen der Bundes- in Publikationen von ministeriell man- republik Deutschland und der Republik datierten, politisch handlungsempfeh- Finnland zur Vermeidung der Doppel- lenden Institutionen besteuerung und zur Verhinderung der Drucksache 19/20689 ...... 21222 B Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen in Verbindung mit Drucksachen 19/19385, 19/20656 ...... 21224 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 30: Ausschusses für Umwelt, Naturschutz r) Antrag der Abgeordneten Stephan und nukleare Sicherheit zu der Verordnung Brandner, Marc Bernhard, Matthias der Bundesregierung: Zweite Verordnung Büttner, weiterer Abgeordneter und der zur Änderung abfallrechtlicher Bestim- Fraktion der AfD: Tiefe Grundrechtsein- mungen zur Altölentsorgung griffe bedürfen der parlamentarischen Drucksachen 19/19372, 19/19655 Nr. 2.2, Kontrolle 19/20657 ...... 21224 B Drucksache 19/20676 ...... 21222 C e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- in Verbindung mit schutz: Übersicht 8 – über die dem Deut- schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- chen vor dem Bundesverfassungsgericht Zusatzpunkt 13: Drucksache 19/20713 ...... 21224 B h) Antrag der Abgeordneten , f)–q) Beratung der Beschlussempfehlungen Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer des Petitionsausschusses: Sammelüber- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: sichten 571, 572, 573, 574, 575, 576, § 5 Absatz 3 Urheberrechtsgesetz än- 577, 578, 579, 580, 581 und 582 zu dern – Gesetzlich vorgeschriebene Nor- Petitionen men kostenlos zugänglich machen Drucksachen 19/20151, 19/20152, Drucksache 19/20578 ...... 21222 D 19/20153, 19/20154, 19/20155, 19/20156, 19/20157, 19/20158, 19/20159, 19/20160, in Verbindung mit 19/20161, 19/20162 ...... 21224 C VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 30: g) Antrag der Abgeordneten , Zusatzpunkt 40: Martin Reichardt, Mariana Iris Harder- Kühnel, weiterer Abgeordneter und der a)–q) Beratung der Beschlussempfehlungen Fraktion der AfD: Kinderbonus für alle des Petitionsausschusses: Sammelüber- Eltern sichten 583, 584, 585, 586, 587, 588, Drucksache 19/20675 ...... 21230 C 589, 590, 591, 592, 593, 594, 595, 596, 597, 598 und 599 zu Petitionen Drucksachen 19/20636, 19/20637, 19/20638, 19/20639, 19/20640, 19/20641, Zusatzpunkt 15: 19/20642, 19/20643, 19/20644, 19/20645, a) Wahlvorschläge der Fraktionen der 19/20646, 19/20647, 19/20648, 19/20649, CDU/CSU und SPD: Wahl der Mitglie- 19/20650, 19/20651, 19/20652 ...... 21226 A der des Kuratoriums der Stiftung „Er- Detlev Spangenberg (AfD) ...... 21226 C innerung, Verantwortung und Zukunft“ Dr. André Hahn (DIE LINKE) (Erklärung Drucksache 19/20603 ...... 21230 C nach § 31 GO) ...... 21227 B b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums in Verbindung mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ Drucksache 19/20604 ...... 21230 D Zusatzpunkt 14: c) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Wahl der Mitglieder des Kuratoriums Ausschusses für Arbeit und Soziales zu der Stiftung „Erinnerung, Verantwor- dem Antrag der Abgeordneten Jens Beeck, tung und Zukunft“ Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), Drucksache 19/20605 ...... 21231 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion d) Wahlvorschläge der Fraktionen der der FDP: Einmalzahlung auch an Be- CDU/CSU und SPD: Wahl von Mitglie- schäftigte in den Einrichtungen der Be- dern des Stiftungsrates der „Stiftung hindertenhilfe Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ge- Drucksachen 19/19507, 19/20674 ...... 21229 D mäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 b) Beschlussempfehlung und Bericht des des Gesetzes zur Errichtung einer Stif- Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag tung „Deutsches Historisches Museum“ der Abgeordneten Dr. Marcel Klinge, Drucksache 19/20466 ...... 21231 B Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: der FDP: Mit guter Vorbereitung durch Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates die Krise – Heimische Tourismuswirt- der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Ver- schaft pandemiefest machen söhnung“ gemäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Drucksachen 19/19119, 19/20715 ...... 21230 A Nummer 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Museum“ nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- Drucksache 19/20467 ...... 21231 B ordneten , Michael Theurer, Reinhard Houben, weiterer Abgeordneter f) Unterrichtung durch den Präsidenten des und der Fraktion der FDP: Unternehmen Deutschen Bundestages schnell und effizient entlasten – Ist-Ver- Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates steuerung als bundesweiten Standard der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Ver- setzen söhnung“ Drucksachen 19/20062, 19/20722 ...... 21230 A Wahlvorschlag des Deutschen Bundes- tages gemäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Num- in Verbindung mit mer 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Mu- seum“ Zusatzpunkt 34: Von der Beauftragten der Bundesregie- Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- rung für Kultur und Medien gemäß § 19 schusses für Recht und Verbraucherschutz zu Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 bis 4, Absatz 3 den Streitverfahren vor dem Bundesverfas- Satz 1 des Gesetzes zur Errichtung einer sungsgericht 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20 und Stiftung „Deutsches Historisches Mu- 1 BvR 288/20 seum“ übermittelte Wahlvorschläge Drucksache 19/20632 ...... 21230 B Drucksache 19/20468 ...... 21231 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 IX g) Wahlvorschläge der Fraktionen der b) Beschlussempfehlung und Bericht des CDU/CSU und SPD: Wahl von Mitglie- Ausschusses für Recht und Verbraucher- dern des Stiftungsrates der „Stiftung schutz zu dem Antrag der Abgeordneten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ Roman Müller-Böhm, Dr. Marcel Klinge, Drucksache 19/20606 ...... 21231 D Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter h) Wahlvorschläge der Fraktion der AfD: und der Fraktion der FDP: Effektive und Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates verbraucherfreundliche Hilfen für die der „Stiftung zur Aufarbeitung der Reisewirtschaft SED-Diktatur“ Drucksachen 19/20045, 19/20718 ...... 21247 C Drucksache 19/20607 ...... 21232 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des i) Wahlvorschläge der Fraktion der FDP: Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der Abgeordneten Markus Tressel, Stefan der „Stiftung zur Aufarbeitung der Schmidt, Lisa Badum, weiterer Abgeord- SED-Diktatur“ neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Drucksache 19/20608 ...... 21232 B GRÜNEN: Die Tourismuswirtschaft in der Krise wirksam unterstützen j) Wahlvorschläge der Fraktion DIE LINKE: Drucksachen 19/18959, 19/20622 ...... 21247 C Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung zur Aufarbeitung der Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 21247 D SED-Diktatur“ Dr. Lothar Maier (AfD) ...... 21248 C Drucksache 19/20609 ...... 21232 B (CDU/CSU) ...... 21249 B k) Wahlvorschläge der Fraktion BÜND- Roman Müller-Böhm (FDP) ...... 21250 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl von Mit- gliedern des Stiftungsrates der „Stiftung Kerstin Kassner (DIE LINKE) ...... 21251 B zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/20610 ...... 21232 C DIE GRÜNEN) ...... 21252 A Gülistan Yüksel (SPD) ...... 21252 D Zusatzpunkt 16: (CDU/CSU) ...... 21253 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion (CDU/CSU) ...... 21254 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Fall Wi- recard – Versagen von Aufsicht und Wirt- Tagesordnungspunkt 13: schaftsprüfung aufklären Antrag der Abgeordneten Katja Suding, Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. (Rhein-Neckar), Mario DIE GRÜNEN) ...... 21232 D Brandenburg (Südpfalz), weiterer Abgeordne- (CDU/CSU) ...... 21233 D ter und der Fraktion der FDP: Weniger Büro- (AfD) ...... 21235 A kratie wagen – DigitalPakt Schule beschleu- nigen Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 21236 A Drucksache 19/20582 ...... 21255 B Frank Schäffler (FDP) ...... 21237 A Katja Suding (FDP) ...... 21255 C Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 21238 A (CDU/CSU) ...... 21256 B Dr. h. c. (Univ Kyiv) Dr. Michael Espendiller (AfD) ...... 21257 C (CDU/CSU) ...... 21239 A Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 21258 C (AfD) ...... 21240 A Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 21259 B (SPD) ...... 21241 C (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 21242 C DIE GRÜNEN) ...... 21260 A Sepp Müller (CDU/CSU) ...... 21243 C Dr. (CDU/CSU) ...... 21260 D () (SPD) ...... 21244 D Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/ Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 21246 A DIE GRÜNEN) ...... 21261 C (SPD) ...... 21262 C Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 12: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs a) Zweite und dritte Beratung des von der eines Gesetzes zur Abmilderung der Fol- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs gen der COVID-19-Pandemie im Pau- eines Gesetzes zur Stärkung von inten- schalreisevertragsrecht sivpflegerischer Versorgung und medi- Drucksachen 19/19851, 19/20718 ...... 21247 B zinischer Rehabilitation in der gesetzli- X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

chen Krankenversicherung (Intensiv- in Verbindung mit pflege- und Rehabilitationsstärkungsge- setz – GKV-IPReG) Drucksachen 19/19368, 19/20720 ...... 21263 A Zusatzpunkt 18: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Antrag der Abgeordneten Tobias Matthias Ausschusses für Gesundheit Peterka, Peter Boehringer, Stephan Brandner, – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg AfD: Kritische und effektive Ausübung Schneider, weiterer Abgeordneter und der sogenannten Integrationsverantwor- der Fraktion der AfD: Fachüber- tung des Deutschen Bundestages im Zusam- greifende Frührehabilitation flächen- menhang mit Entscheidungen des Rates der deckend einrichten – Nahtlose Europäischen Zentralbank Rehabilitationskette herstellen, Kran- Drucksache 19/20616 ...... 21274 C kenhausstandorte erhalten und stär- ken in Verbindung mit – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter und Zusatzpunkt 33: der Fraktion der AfD: Rehakliniken und Kurbetrieb in den Regelbetrieb Antrag der Abgeordneten Fabio De Masi, zurückkehren lassen Andrej Hunko, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Konflikt um die Geldpolitik der Europä- Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan ischen Zentralbank politisch lösen – EU- Brandner, weiterer Abgeordneter und Verträge ändern und geldpolitischen Dialog der Fraktion der AfD: Krankenhäuser mit der Bundesbank verankern in den Regelbetrieb zurückkehren Drucksache 19/20552 ...... 21274 D lassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev in Verbindung mit Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Bewegungsfrei- heit für Bewohner von Seniorenhei- Zusatzpunkt 35: men sicherstellen Antrag der Abgeordneten Christian Dürr, Drucksachen 19/19518, 19/20116, (Südpfalz), Dr. Jens 19/20117, 19/20119, 19/20720 ...... 21263 C Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Verhält- Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) ...... 21263 C nismäßigkeitsprüfung fristgerecht darge- Uwe Witt (AfD) ...... 21264 C legt – Kontrolle der Grenzen der (SPD) ...... 21265 C Geldpolitik als Daueraufgabe ernstnehmen Drucksache 19/20553 ...... 21274 D (FDP) ...... 21266 D Christian Petry (SPD) ...... 21274 D (DIE LINKE) ...... 21267 C Peter Boehringer (AfD) ...... 21276 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 21268 C Andreas Jung (CDU/CSU) ...... 21278 A (Aachen) (SPD) ...... 21269 A Dr. (FDP) ...... 21279 C , Bundesminister BMG ...... 21270 B Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 21280 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 21270 C DIE GRÜNEN) ...... 21281 A Martin Sichert (AfD) ...... 21271 C (fraktionslos) ...... 21281 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 21272 D (CDU/CSU) ...... 21282 B

Zusatzpunkt 17: Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ur- a) Antrag der Abgeordneten Agnieszka teil des Bundesverfassungsgerichts zum An- Brugger, Anja Hajduk, Dr. Franziska leihekaufprogramm PSPP der Europä- Brantner, weiterer Abgeordneter und der ischen Zentralbank Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 19/20621 ...... 21274 C Europa ist es wert – Für einen solidari- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 XI

schen und ökologischen Wiederaufbau Tagesordnungspunkt 14: und einen starken EU-Haushalt 2021– Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- 2027 schusses für Wirtschaft und Energie zu der Drucksache 19/20564 ...... 21283 C Verordnung der Bundesregierung: Verord- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald nung zur Änderung der Erneuerbare-Ener- Weyel, , Siegbert Droese, gien-Verordnung weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 19/19381, 19/19655 Nr. 2.3, der AfD: Ein EU-Haushalt ohne Sankt- 19/20653 ...... 21291 C ionsmechanismen gegen souveräne Mit- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . 21291 C gliedsstaaten Drucksache 19/20570 ...... 21283 C Steffen Kotré (AfD) ...... 21293 A (SPD) ...... 21294 A in Verbindung mit Sandra Weeser (FDP) ...... 21295 C Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 21296 B Dr. (BÜNDNIS 90/ Zusatzpunkt 19: DIE GRÜNEN) ...... 21297 A Dr. (CDU/CSU) ...... 21297 D Antrag der Abgeordneten , Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios (SPD) ...... 21298 C Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Europas Chancen nut- zen – Für einen zukunftsweisenden Mehr- Tagesordnungspunkt 18: jährigen Finanzrahmen der Europäischen a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Union 2021–2027 Dr. Gesine Lötzsch, Gökay Akbulut, wei- Drucksache 19/20580 ...... 21283 D terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kündigungsmoratorium für in Verbindung mit Mieterinnen und Mieter verlängern Drucksache 19/20550 ...... 21299 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- Zusatzpunkt 20: schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Caren Lay, Heidrun Bluhm-Förster, schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soforthilfe- – zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd programm Bezahlbares Wohnen gegen Reuther, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, Mietschulden und Wohnungsverlust weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 19/19144, 19/20207 ...... 21299 D der FDP: Gute Mobilität für europäische Bürger – Schwerpunkte in der Ver- in Verbindung mit kehrspolitik während der deutschen Ratspräsidentschaft Zusatzpunkt 21: – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), , Stefan Antrag der Abgeordneten , Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und der Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutsche EU-Ratspräsidentschaft für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mieterschutz eine europäische Verkehrswende nutzen stärken – Kündigungsschutz und Minder- Drucksachen 19/20043, 19/19558, 19/20660 . . 21284 A ungsrecht gerade in Zeiten der Pandemie verbessern (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/20542 ...... 21299 D DIE GRÜNEN) ...... 21284 A Katrin Staffler (CDU/CSU) ...... 21285 A in Verbindung mit Dr. Harald Weyel (AfD) ...... 21286 B Zusatzpunkt 22: Michael Roth, Staatsminister AA ...... 21287 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Gerald Ullrich (FDP) ...... 21288 B schusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung (DIE LINKE) ...... 21289 B und Kommunen zu dem Antrag der Abgeord- neten Christian Kühn (Tübingen), Daniela Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 21290 A Wagner, Dr. , weiterer Abge- XII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE c) Antrag der Abgeordneten Nicole Höchst, GRÜNEN: Sicher-Wohnen-Programm – Marc Bernhard, Matthias Büttner, weiterer Mieten und Eigentum sichern in Zeiten Abgeordneter und der Fraktion der AfD: der Krise Qualitätspakt Schule – Humane und hu- Drucksachen 19/19148, 19/20253 ...... 21299 D manistische Bildung durch Schüler- Lehrer-Kontakt gewährleisten in Verbindung mit Drucksache 19/20568 ...... 21317 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Zusatzpunkt 37: Ausschusses für Bildung, Forschung und Erste Beratung des von den Abgeordneten Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag , Stephan Brandner, Tino Chrupalla, der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas weiteren Abgeordneten und der Fraktion der Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer zur Einführung einer Schonfristzahlung Abgeordneter und der Fraktion der FDP: bei ordentlichen Kündigungen von Wohn- Verlorenes Schuljahr vermeiden – raummietverträgen und zur Bekämpfung Schnellstmöglich Online-Lernen des Mietnomadentums deutschlandweit aufbauen Drucksache 19/20589 ...... 21300 A Drucksachen 19/18221, 19/20501 ...... 21318 A Caren Lay (DIE LINKE) ...... 21300 A in Verbindung mit Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 21301 A Jens Maier (AfD) ...... 21302 A Zusatzpunkt 23: (SPD) ...... 21303 B Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas (FDP) ...... 21304 B Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abge- DIE GRÜNEN) ...... 21305 A ordneter und der Fraktion der FDP: Lehren aus der Corona-Krise – Impulse für die Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 21306 A Schule der Zukunft (SPD) ...... 21306 D Drucksache 19/20554 ...... 21318 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 21307 C Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 21318 B Tagesordnungspunkt 15: Nicole Höchst (AfD) ...... 21319 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr. h. c. (FDP) ...... 21320 B schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 21321 A zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht über das Ergebnis der Vorpla- nung und der frühen Öffentlichkeitsbeteili- Tagesordnungspunkt 17: gung zur Ausbaustrecke/Neubaustrecke – Lübeck – Puttgarden a) Zweite und dritte Beratung des von den Drucksachen 19/19500, 19/19655 Nr. 7, Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- 19/20624 ...... 21309 A brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tabakerzeugnisgeset- (CDU/CSU) ...... 21309 A zes Wolfgang Wiehle (AfD) ...... 21310 C Drucksachen 19/19495, 19/20667 ...... 21322 A Kirsten Lühmann (SPD) ...... 21311 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- (FDP) ...... 21312 C schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 21313 B , Dr. André Hahn, Ulla Dr. (BÜNDNIS 90/ Jelpke, Dr. und der DIE GRÜNEN) ...... 21314 B Fraktion DIE LINKE: Ein umfassendes Tabakwerbeverbot schaffen Ingo Gädechens (CDU/CSU) ...... 21315 B Drucksachen 19/2539, 19/9116 Buchsta- (SPD) ...... 21316 C be a ...... 21322 B (CDU/CSU) ...... 21322 B Tagesordnungspunkt 20: (AfD) ...... 21323 C a) Antrag der Abgeordneten Margit Stumpp, Dr. (FDP) ...... 21324 C Dr. Anna Christmann, Kai Gehring, weite- Niema Movassat (DIE LINKE) ...... 21325 C rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Lernen aus der Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ Krise – Ein Update für die Schulen DIE GRÜNEN) ...... 21326 B Drucksache 19/20385 ...... 21317 D (CDU/CSU) ...... 21327 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 XIII

Nezahat Baradari (SPD) ...... 21328 B und Stabilität im Nahen Osten fördern – Am Ziel der verhandelten Zweistaatenlösung fest- halten Tagesordnungspunkt 19: (169. Sitzung, Tagesordnungspunkt 4 a) ...... 21353 C Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Anlage 3 Gesetzes zur Änderung des Telemedienge- setzes und weiterer Gesetze Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Drucksachen 19/18789, 19/19744, 19/20213 (FDP) zu der namentlichen Ab- Nr. 1.8, 19/20664 ...... 21329 C stimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der (CDU/CSU) ...... 21329 D Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Be- Martin Erwin Renner (AfD) ...... 21330 C schluss des Bundestages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 21331 C (Tagesordnungspunkt 8 a) ...... 21354 B

Zusatzpunkt 24: Anlage 4 – Zweite und dritte Beratung des von der Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs und Maria Klein- eines … Gesetzes zur Änderung des Schmeink (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Strafgesetzbuches – Verbesserung des NEN) zu der namentlichen Abstimmung über Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnah- die Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- men schusses zu dem Antrag der Fraktionen der Drucksachen 19/17795, 19/20668 Buch- CDU/CSU und SPD: Beschluss des Bundes- stabe a, b und c ...... 21332 B tages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- (Tagesordnungspunkt 8 a) ...... 21354 D desrat eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- setzes zur Änderung des Strafgesetz- buchs – Strafbarkeit der Bildaufnahme Anlage 5 des Intimbereichs (sog. Upskirting) Drucksachen 19/15825, 19/20668 Buch- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten stabe a, b und c ...... 21332 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- – Zweite und dritte Beratung des von den gebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Abgeordneten Jens Maier, Stephan Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Brandner, Dr. Lothar Maier, weiterer Ab- Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr geordneter und der Fraktion der AfD ein- 2020 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 2020) Verbesserung des Persönlichkeitsrechts- (Tagesordnungspunkt 8 b) ...... 21355 A schutzes bei Bildaufnahmen Drucksachen 19/18980, 19/20668 Buch- stabe a, b und c ...... 21332 C Anlage 6 Dr. (SPD) ...... 21332 C Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tobias Matthias Peterka (AfD) ...... 21333 C (CDU/CSU) zu der Abstim- Dr. (FDP) ...... 21334 C mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ein- führung der Grundrente für langjährige Nächste Sitzung ...... 21336 C Versicherung in der gesetzlichen Rentenver- sicherung mit unterdurchschnittlichem Ein- kommen und für weitere Maßnahmen zur Anlage 1 Erhöhung der Alterseinkommen (Grund- rentengesetz) Entschuldigte Abgeordnete ...... 21353 A (Zusatzpunkt 11) ...... 21355 C

Anlage 2 Anlage 7 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Frauke Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petry, und Mario Mieruch (alle Frank Schäffler und Christian Sauter (beide fraktionslos) zu dem Antrag der Fraktionen FDP) zu der Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU und SPD: Frieden, Sicherheit der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und XIV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Urteil des Bun- (Tagesordnungspunkt 20 a, c und d sowie Zu- desverfassungsgerichts zum Anleihekaufpro- satzpunkt 23) ...... 21359 D gramm PSPP der Europäischen Zentralbank Dr. (CDU/CSU) ...... 21359 D (Zusatzpunkt 17) ...... 21356 B Ronja Kemmer (CDU/CSU) ...... 21361 A (SPD) ...... 21361 D Anlage 8 Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 21362 B Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- mung über den Antrag der Fraktionen CDU/C- SU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anlage 11 NEN: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm PSPP der Europä- Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung ischen Zentralbank a) des von den Fraktionen der CDU/CSU und (Zusatzpunkt 17) ...... 21356 D SPD eingebrachten Entwurfs eines Zwei- Alexander Müller (FDP) ...... 21356 D ten Gesetzes zur Änderung des Tabaker- zeugnisgesetzes Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU) ...... 21357 B b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- Anlage 9 ten Niema Movassat, Dr. André Hahn, Ulla Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jelpke, Dr. Kirsten Tackmann und der (SPD) zu der Abstimmung Fraktion DIE LINKE: Ein umfassendes über die Beschlussempfehlung des Ausschus- Tabakwerbeverbot schaffen ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu (Tagesordnungspunkt 17 a und b) ...... 21363 A der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Rainer Spiering (SPD) ...... 21363 A Bericht über das Ergebnis der Vorplanung und der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung zur Aus- baustrecke/Neubaustrecke Hamburg–Lübeck– Anlage 12 Puttgarden (Tagesordnungspunkt 15) ...... 21358 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Te- Anlage 10 lemediengesetzes und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 19) ...... 21363 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 21363 D a) des Antrags der Abgeordneten Margit Stumpp, Dr. Anna Christmann, Kai (SPD) ...... 21364 C Gehring, weiterer Abgeordneter und der (SPD) ...... 21365 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lernen aus der Krise – Ein Update für die Manuel Höferlin (FDP) ...... 21365 C Schulen Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21366 C c) des Antrags der Abgeordneten Nicole Höchst, Marc Bernhard, Matthias Büttner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Anlage 13 der AfD: Qualitätspakt Schule – Humane und humanistische Bildung durch Schüler- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Lehrer-Kontakt gewährleisten – des von der Bundesregierung eingebrach- d) der Beschlussempfehlung und des Berichts ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände- des Ausschusses für Bildung, Forschung rung des Strafgesetzbuches – Verbesserung und Technikfolgenabschätzung zu dem des Persönlichkeitsschutzes bei Bildauf- Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas nahmen Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens – des vom Bundesrat eingebrachten Ent- Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Strafgesetzbuchs – Strafbarkeit der Bild- Verlorenes Schuljahr vermeiden – aufnahme des Intimbereichs (sog. Upskir- Schnellstmöglich Online-Lernen deutsch- ting) landweit aufbauen – des von den Abgeordneten Jens Maier, – des Antrags der Abgeordneten Dr. h. c. Stephan Brandner, Dr. Lothar Maier, wei- Thomas Sattelberger, Katja Suding, terer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), AfD eingebrachten Entwurfs eines Geset- weiterer Abgeordneter und der Fraktion zes zur Verbesserung des Persönlichkeits- FDP: Lehren aus der Corona-Krise – Im- rechtsschutzes bei Bildaufnahmen pulse für die Schule der Zukunft (Zusatzpunkt 24) ...... 21367 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 XV

Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 21367 A Gökay Akbulut (DIE LINKE) ...... 21368 D (SPD) ...... 21367 C Stephan Thomae (FDP) ...... 21368 B Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21369 B

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21135

(A) (C)

170. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mentspräsidenten. Er bewies, dass man zugleich ein all- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte seits anerkannter, unparteiischer Präsident sein kann und nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Abgeordneter mit klarer parteipolitischer Zugehörigkeit. Vor 100 Jahren, am 25. Juni 1920, wählte der Reichs- Der parlamentarische Stil hat sich seitdem verändert. tag der Weimarer Republik Paul Löbe zu seinem Präsi- Aber die Aufgaben der Volksvertretung bleiben: debattie- denten. Die Wahl war sichtbarer Ausdruck des gesell- ren, kontrollieren, entscheiden – und sich bei allen Diffe- schaftlichen und politischen Umbruchs: Zum ersten Mal renzen der gemeinsamen Verantwortung bewusst sein. stand ein Sozialdemokrat an der Spitze der Volksvertre- Dass auch der Reichstag der Weimarer Republik eine tung; zum ersten Mal entstammte der oberste Repräsen- Wahlrechtsreform auf der Agenda hatte und damit erfolg- tant des Parlaments der Arbeiterschicht. los blieb, erwähne ich hier nur am Rande. (B) Paul Löbe erwies sich als Glücksfall für die junge (Heiterkeit) (D) deutsche Demokratie. Er konnte integrieren, weil er im politischen Kontrahenten nicht den Feind sah, sondern Aber die Schuld lag jedenfalls auch damals nicht beim den Andersdenkenden, der im Ringen um die beste Lö- Präsidenten. sung denselben Anspruch auf Gehör hat. Fast über die gesamte Dauer der ersten deutschen Demokratie stand (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Paul Löbe dem Reichstag vor: bis zum Sommer 1932, CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜND- bis das Amt des Reichstagspräsidenten in die Hände der NISSES 90/DIE GRÜNEN) Nationalsozialisten fiel. Paul Löbe verkörperte den Reichstag der ersten deut- schen Republik. Als herausragende Persönlichkeit des Wir lesen heute die Geschichte der Weimarer Republik deutschen Parlamentarismus halten wir die Erinnerung ja meist von ihrem Scheitern her. Aber die Geschichte an ihn wach. hätte – auch im Fall der ersten deutschen Demokratie – einen anderen Ausgang nehmen können. Und Paul Löbe Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich nach- hat dafür aus Überzeugung gekämpft. Nicht Defizite der träglich dem Kollegen Dr. Lothar Maier zu seinem Verfassung machte er im Rückblick für das Abgleiten in 76. Geburtstag und der Kollegin Antje Lezius zu ihrem die Diktatur verantwortlich, sondern das, woran jede De- 60. Geburtstag. Alle guten Wünsche im Namen des gan- mokratie über kurz oder lang scheitern muss: ein Mangel zen Hauses! an Demokraten. (Beifall) Als Paul Löbe sich nach dem Krieg als Mitglied des Interfraktionell sind folgende Änderungen der Tages- Parlamentarischen Rats und als Alterspräsident des Deut- ordnung vereinbart worden: schen Bundestages für den politischen Neubeginn enga- gierte, mahnte er immer wieder die Duldsamkeit gegen- In verbundener Beratung mit dem Zusatzpunkt 17 sol- über anderen politischen Überzeugungen im Parlament len die Anträge „Verhältnismäßigkeitsprüfung fristge- an. Zugleich aber, so schrieb er es den Kolleginnen und recht dargelegt – Kontrolle der Grenzen der Geldpolitik Kollegen ins Stammbuch, „müssen wir die Energie auf- als Daueraufgabe ernst nehmen“ und „Konflikt um die bringen, die nötig ist, um diejenigen abzuweisen, die den Geldpolitik der Europäischen Zentralbank politisch lö- demokratischen parlamentarischen Boden, auf dem wir sen – EU-Verträge ändern und geldpolitischen Dialog stehen, unterwühlen“. mit der Bundesbank verankern“ aufgerufen werden. Paul Löbe hat die parlamentarische Kultur dieses In verbundener Beratung mit dem Tagesordnungs- Landes nachhaltig geprägt, besonders das Amt des Parla- punkt 18 soll die erste Lesung des Entwurfs eines Ge- 21136 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) setzes zur Einführung einer Schonfristzahlung bei ordent- Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- (C) lichen Kündigungen von Wohnraummietverträgen und haltsausschusses (8. Ausschuss) zur Bekämpfung des Mietnomadentums stattfinden. Drucksache 19/20601 Der Tagesordnungspunkt 25 soll abgesetzt werden. An c) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- dieser Stelle soll der Bericht des Ausschusses für Inneres tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- und Heimat gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung ten Entwurfs eines Gesetzes über begleiten- zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bun- de Maßnahmen zur Umsetzung des deswahlgesetzes auf der Drucksache 19/14672 aufgeru- Konjunktur- und Krisenbewältigungspa- fen werden. In verbundener Beratung damit soll der An- kets trag „Wahlrechtsreform: Anzahl der Bundestagsmandate zuverlässig festsetzen“ behandelt werden. Drucksache 19/20057 Ohne Debatte in Verbindung mit Tagesordnungs- Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- punkt 30 soll der Antrag „Auch Schaustellern eine neue haltsausschusses (8. Ausschuss) Normalität ermöglichen“ aufgerufen werden. Drucksache 19/20717 Ebenfalls ohne Debatte in Verbindung mit Tagesord- d) Erste Beratung des von den Fraktionen der nungspunkt 31 sollen die Beschlussempfehlung des Aus- CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs schusses für Recht und Verbraucherschutz zu Streit- eines Gesetzes zur Änderung des Grund- verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf der gesetzes (Artikel 104a und 143h) Drucksache 19/20632 sowie die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses zu den Sammelübersichten 583 Drucksache 19/20595 bis 599 auf den Drucksachen 19/20636 bis 19/20652 ab- Überweisungsvorschlag: schließend beraten werden. Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenbar so der Fall. Dann ist das so beschlossen. e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit der eines Gesetzes zur finanziellen Entlastung Tagesordnung beginnen, möchte ich mitteilen, dass heute der Kommunen und der neuen Länder voraussichtlich zum letzten Mal hinter mir Staatssekre- tär Professor Dr. Horst Risse als Direktor beim Deut- Drucksache 19/20598 (B) schen Bundestag Platz genommen hat. Staatssekretär Überweisungsvorschlag: (D) Professor Dr. Horst Risse hat dieses Amt mit großer Haushaltsausschuss (f) Kompetenz und Umsicht sehr erfolgreich mehr als sieben Finanzausschuss Jahre wahrgenommen. Herausforderungen gab es in die- f) Beratung der Beschlussempfehlung und des ser Zeit wahrlich genug. Ich bin mir sicher, dass Sie, Berichts des Ausschusses für Verkehr und lieber Herr Risse, ebenfalls die Herausforderungen des digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu bevorstehenden Ruhestands erfolgreich meistern werden. dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dirk Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit persönlich und im Namen Spaniel, Wolfgang Wiehle, Leif-Erik Holm, des ganzen Hauses. Wir wünschen Ihnen für Ihren neuen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Lebensabschnitt alles erdenklich Gute. AfD (Beifall) Deutscher Automobilindustrie zeitnah helfen, Bahnrettung statt Konzernrettung, Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 q Berichte des Bundesrechnungshofs auch sowie die Zusatzpunkte 7 bis 10 auf: in der Krise beachten und umsetzen 8 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Drucksachen 19/20072, 19/20658 Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) zu dem Antrag der Fraktionen der g) Beratung der Beschlussempfehlung und des CDU/CSU und SPD Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beschluss des Bundestages gemäß Arti- Kerstin Kassner, , Dr. Gesine kel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grund- Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der gesetzes Fraktion DIE LINKE Drucksachen 19/20128, 19/20716 Förderzeiträume des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- verlängern desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zwei- Drucksachen 19/19016, 19/20724 ten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 (Zweites h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Nachtragshaushaltsgesetz 2020) Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Drucksache 19/20000 dem Antrag der Abgeordneten Andreas Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21137

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Wagner, Sabine Leidig, , n) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) weiterer Abgeordneter und der Fraktion René Springer, Marc Bernhard, Matthias DIE LINKE Büttner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der AfD Fahrradprämie für alle Kindergeld und Kinderbonus für im Aus- Drucksachen 19/19488, 19/20539 land lebende Kinder indexieren i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Drucksache 19/20612 Berichts des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (24. Aus- o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Schneider, Norbert Kleinwächter, Martin Caren Lay, , Dr. Gesine Sichert, weiterer Abgeordneter und der Frak- Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der tion der AfD Fraktion DIE LINKE Solo-Selbstständigen eine bessere Absi- Clubs und Festivals über die Corona-Kri- cherung durch Verbesserungen beim Ar- se retten beitslosengeld II ermöglichen Drucksache 19/20615 Drucksachen 19/20027, 19/20721 Überweisungsvorschlag: j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Ausschuss für Arbeit und Soziales Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta Beutin, Michel Brandt, Zaklin Nastic, Heike Hänsel, Heidrun Bluhm-Förster, weiterer Abgeord- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE neter und der Fraktion DIE LINKE LINKE Humanitäre Hilfe stärken – Globale Fol- Kennzeichnungspflicht für Corona- gen der Corona-Pandemie eindämmen Staatshilfen Drucksache 19/20549 Drucksachen 19/20034, 19/20723 Überweisungsvorschlag: k) Beratung der Beschlussempfehlung und des Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Berichts des Ausschusses für Verkehr und Auswärtiger Ausschuss (B) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- (D) digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu lung dem Antrag der Abgeordneten Andreas q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wagner, Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta , Fabio De Masi, Klaus Beutin, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ernst, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE tion DIE LINKE Rettungsschirm und Zukunftsoffensive Corona-Überbrückungshilfen fair und so- für den öffentlichen Nahverkehr lidarisch ausgestalten Drucksachen 19/20031, 19/20719 Drucksache 19/20543

l) Beratung der Beschlussempfehlung und des Überweisungsvorschlag: Berichts des Verteidigungsausschusses Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Haushaltsausschuss ordneten Tobias Pflüger, , Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto der Fraktion DIE LINKE Fricke, Grigorios Aggelidis, Dr. Andrew Ullmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Kein Konjunkturpaket für die Rüstungs- tion der FDP industrie Videotelefonie allen Bewohnern in Alten- und Drucksachen 19/20036, 19/20635 Pflegeheimen zugänglich machen m) Beratung der Beschlussempfehlung und des Drucksache 19/20531 Berichts des Ausschusses für Inneres und Überweisungsvorschlag: Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Haushaltsausschuss Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der Fraktion DIE LINKE richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Umfassender Flüchtlingsschutz angesichts gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- der Corona-Pandemie neten Oliver Krischer, Katharina Dröge, Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 19/18685, 19/19590 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21138 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Zukunftspakt für einen sozial-ökologischen Für die Aussprache wurde eine Dauer von 90 Minuten (C) Aufbruch aus der Krise beschlossen. Drucksachen 19/19549, 19/20712 Dann eröffne ich jetzt die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz. ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gie (9. Ausschuss) der CDU/CSU) – zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: Vogel (Olpe), Michael Theurer, Reinhard Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist Houben, weiterer Abgeordneter und der heute ein besonderer Tag: nicht nur, weil wir über viel Fraktion der FDP Geld beschließen, das wir aufnehmen und ausgeben, um Corona-Hilfen für Selbständige, Freibe- dafür zu sorgen, dass die Konjunktur in diesem Land gut rufler und Freelancer – Überbrückungs- weiterentwickelt werden kann, sondern weil wir gleich- hilfen pragmatisch ausgestalten, Deckung zeitig am heutigen Tag eine weitere Entscheidung treffen, des Lebensunterhalts gewährleisten bei der ich mich sehr freue, dass sie zwar zufällig, aber vollständig richtig heute genauso mit ansteht. Dass wir – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia heute die Grundrente beschließen, ist ein Zeichen des Müller, Anja Hajduk, Katharina Dröge, wei- Respekts gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, die sehr terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- hart gearbeitet haben. NIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Selbstständige unterstützen – Aktiven der CDU/CSU) Mittelstand wertschätzen Ich habe vor einiger Zeit gesagt: Wenn man so viel Drucksachen 19/20049, 19/19490, 19/20669 Geld ausgibt, dann wird es ja wohl möglich sein, eine Grundrente zu finanzieren. – Ich habe das etwas weniger ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- elegant ausgedrückt, aber im Ergebnis ist das richtig. Es richts des Ausschusses für Familie, Senioren, ist auch ein politisches Zeichen, dass wir etwas ganz Be- Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- stimmtes nicht tun: Wir werden gegen diese Krise nicht trag der Abgeordneten Dr. Anna Christmann, ansparen, und wir werden den Sozialstaat, der uns so Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, weite- leistungsfähig durch diese Krise führt, nicht antasten, (B) rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ sondern ausbauen, meine Damen und Herren. (D) DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) Rettungsschirm Zivilgesellschaft – Jetzt So- Ich möchte mich bedanken bei den Abgeordneten des forthilfe für kleine und gemeinnützige Organi- Deutschen Bundestages, bei all denjenigen, mit denen sationen aufgrund der COVID-19-Pandemie wir über den Haushalt in den letzten Tagen sehr sorgfältig schaffen beraten haben. Ich will an dieser Stelle auch etwas sagen, Drucksachen 19/18709, 19/19546 das mir sehr wichtig ist. Es wird ja so viel gelästert und es wird so oft schlecht geredet über die politische Demokra- Über die Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- tie, darüber, dass sie nicht schnell sei, dass alles zerredet schusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU werde und was weiß ich noch. Aus meiner Sicht zeigt und SPD zu Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grund- doch diese Krise, dass die politische Demokratie in gesetzes werden wir später namentlich abstimmen. Zur Deutschland – die Regierung, die Parlamente, der Föde- Annahme dieser Beschlussempfehlung ist die absolute ralismus – eine hohe Leistungsfähigkeit hat. Wir können Mehrheit erforderlich, also die bekannten 355 Stimmen. schnell entscheiden. Weil wir mehr diskutieren und mehr Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Zwei- Beteiligte haben als in vielen anderen Ländern, treffen ten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 liegen ein Entschlie- wir auch bessere Entscheidungen. Auch das ist das Er- ßungsantrag der Fraktion der AfD, zwei Entschließungs- gebnis dieser Beratungen. anträge der Fraktion der FDP, ein Entschließungsantrag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der der CDU/CSU) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Was wir jetzt machen, ist, dafür zu sorgen, dass die Zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Konjunktur wieder anspringt. Das ist genau richtig; denn wurde namentliche Abstimmung verlangt. Diese werden mit dem ersten Paket, das wir vor einiger Zeit hier be- wir, um parallele namentliche Abstimmungen zu vermei- schlossen haben, haben wir dafür gesorgt, dass wir durch den, erst im Anschluss an Tagesordnungspunkt 9 eröff- die Zeit des Lockdowns kommen, dass so viele Arbeits- nen, weil wir ja eine halbe Stunde pro namentliche plätze und Betriebe wie möglich erhalten werden und – Abstimmung brauchen. Wir stimmen also über den Ent- was selbstverständlich notwendig ist – dass wir all die schließungsantrag in namentlicher Abstimmung nach Ta- Mittel auf den Weg bringen, die für unser Gesundheits- gesordnungspunkt 9 ab. Wir haben dann auch für diese wesen erforderlich sind, damit wir die Gesundheit und Abstimmung ein Zeitfenster von 30 Minuten zur Verfü- das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger schützen kön- gung. nen. Aber gleichzeitig haben wir jetzt die Entscheidung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21139

Bundesminister Olaf Scholz (A) zu treffen, dass es, nachdem der Lockdown weitgehend Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) zu Ende gegangen ist, wieder losgeht mit Arbeit und Be- Nächster Redner ist der Kollege Peter Boehringer, schäftigung. Darum ist es richtig, was wir auf den Weg AfD. gebracht haben und was dank der Gesetzgebung schon in dieser Woche in Kraft ist, zum Beispiel die Senkung der (Beifall bei der AfD) Mehrwertsteuer. Ein deutlicher Impuls für die Konjunk- tur und ein Zeichen für die Zukunft! Peter Boehringer (AfD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 43 Prozent der Ausgaben im Haushalt 2020 sind kredit- der CDU/CSU) finanziert. 43 Prozent, ein nie gesehener Wert! Diese Schulden als Folgen des Lockdowns werden die Bürger Richtig ist auch, dass wir die Mittel bereitstellen, um jahrzehntelang abstottern müssen. Die Steuereinnahmen die Wirtschaft zu stabilisieren und weiter Betriebe zu werden 2020 nur noch 264 Milliarden betragen, retten, dass wir eine Überbrückungshilfe auf den Weg 20 Prozent weniger als 2019, und selbst das ist noch bringen, die sicherstellt, dass Arbeitsplätze erhalten blei- optimistisch. ben können und dass diejenigen, die zum Beispiel immer noch mit Umsatzrückgängen zu kämpfen haben, jeweils War das alles unvermeidbar? Eine epidemische Not- ganz speziell unterstützt werden. Richtig ist auch, dass lage von nationaler Tragweite, welche die Einschränkung wir denjenigen Kraft leihen, die wir brauchen, damit wir von Grundrechten sowie des wirtschaftlichen Lebens ge- ein gutes Leben in diesem Land führen können. Die rechtfertigt hätte, bestand vermutlich – ich betone: ver- Kommunen sind doch die Orte, wo wir leben. „Kommu- mutlich – zu keinem Zeitpunkt, spätestens jedoch seit ne“ klingt immer so allgemein. In Wahrheit geht es doch Mitte März nicht mehr. Als der Lockdown des Landes um Dörfer, kleine Städte, mittelgroße Städte und große am 25. März verfügt wurde, war die Coronainfektions- Städte. Es geht immer um Orte, wo wir leben. Sie tragen welle bereits am Abklingen. den allergrößten Teil der öffentlichen Investitionen. Es ist gut und richtig, dass wir das Geld bereitstellen, dass diese (Zuruf des Abg. Dr. [BÜND- Investitionen und Ausgaben auch in Zukunft von unseren NIS 90/DIE GRÜNEN]) Gemeinden überall in Deutschland getragen werden kön- – Es ist interessant, dass jetzt schon Zurufe kommen. Es nen. ist alles faktisch.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (B) Wir haben die Zukunft im Blick. Das ist vielleicht das (D) Das wussten das RKI und damit auch die Bundesregie- ganz Besondere dieses Konjunkturprogramms: nicht nur, rung spätestens seit dem 20. März. Neue Ergebnisse be- dass es rechtzeitig gekommen ist, nicht nur, dass es groß stätigen, dass die wahren Durchseuchungswerte in der ist, nicht nur, dass es zielgerichtet ist, sondern auch, dass Bevölkerung um ein Vielfaches höher sind als angege- die Zukunftsfragen thematisiert sind. Der Klimawandel, ben, wodurch die Gefährlichkeit des Virus objektiv der den wir aufhalten müssen, der Ausbau der erneuerbaren einer gewöhnlichen Grippe entspricht. Energien, der Einstieg in die industrielle Wasserstoffwirt- schaft und auch, dass wir dafür sorgen, dass wir bei der (Beifall bei der AfD) Digitalisierung unseres Landes vorankommen – alles Fragestellungen für die Zukunft, an denen wir hier arbei- In Ischgl etwa mit 45 Prozent Durchseuchungsrate ten und die über das Konjunkturprogramm hinaus finan- wussten 85 Prozent dieser Infizierten gar nichts von ihrer ziert werden. Infektion. Auch bei den restlichen 15 Prozent verlief die Krankheit zumeist völlig unproblematisch, das heißt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten symptomfrei. Die Übersterblichkeit liegt in Deutschland der CDU/CSU) 2020 nicht über dem langjährigen Durchschnitt. Die PCR-Tests zum Nachweis von Covid-19 sind so Weil – das zum Schluss, auch das eine Zukunftsauf- unspezifisch, dass ein Großteil der als infiziert Getesteten gabe – ganz klar geworden ist, wie sehr unser Land darauf einfach nur falsch positiv ist. angewiesen ist, was Familien leisten, ist es ganz zentral, dass in diesem Programm ein weiteres Zukunftsthema ( [SPD]: Fragen Sie dabei ist, nämlich die Familien, Ganztagsangebote für Dr. Boehringer!) Kinder in Krippen, Kitas und Schulen. Auch das wird finanziell unterstützt. Das ist reine Statistik. Zudem wird vom RKI nicht reprä- sentativ die zu 99,9 Prozent symptomfreie Bevölkerung Es ist ein gutes Konjunkturprogramm. Es hilft der getestet, sondern zumeist immer noch die Kranken; das Wirtschaft, den Arbeitsplätzen und der Zukunft. Wir kön- sind extrem wenige. Die Bundesregierung enthält der nen mit Zuversicht durch diese Krise gehen. Das ist die Öffentlichkeit und dem Bundestag all diese Sachverhalte Aufgabe dessen, was wir machen. bis heute vor oder interpretiert statistische Daten falsch. (Beifall bei der AfD) Schönen Dank. Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes wird auf dem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Altar von Annahmen und Spekulationen geopfert. 21140 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Peter Boehringer (A) ( [Minden] [SPD]: Da kennt ihr ventionen in vermeintliche Zukunftstechnologien wie E- (C) euch aus!) Mobilität, Wasserstoffantrieb werden absehbar an der Das von der Koalition heute auf Drucksache 19/20128 Realität scheitern. Die private Industrie hat in vielen Jahr- erneut vorgetragene Narrativ, wonach nur entschiedenes zehnten die Batterietechnologie weitgehend optimiert – staatliches Handeln zur Begrenzung der Infektionszahlen da gibt es nichts mehr zu optimieren – und den Wasser- geführt hat, ist darum immer noch völlig unbelegt. Viel- stoffantrieb praktisch aufgegeben. Der Wasserstoffan- mehr hat eine staatliche Überreaktion die größte Wirt- trieb wurde von der Privatwirtschaft schon vor Jahrzehn- schaftskrise der Nachkriegsgeschichte herbeigeführt. ten aufgegeben. Und doch gibt es nun viele Milliarden Euro für die totale Sackgasse Wasserstoff sowie für (Beifall bei der AfD) Elektroautos, obwohl doch die Verbrennerhersteller als größte deutsche Arbeitgeber vom Lockdown extrem hart Die Notsituation gemäß Artikel 115 Grundgesetz ist in getroffen sind. Deutsche Anbieter könnten so viele E- gesundheitlicher Hinsicht nicht gegeben, und ihr Eintritt Autos gar nicht kurzfristig produzieren. Diese Haushalts- war in wirtschaftlicher Hinsicht auch nicht der Kontrolle mittel sind darum Subventionen gegen Deutschland und des Staates entzogen, wie es Artikel 115 verlangt. Ganz geradezu antisozial Millionen deutschen Arbeitnehmern im Gegenteil ist schon seit März der Staat die Hauptur- gegenüber, die demnächst ihre Entlassungen aus ideolo- sache für die Notlage. Die Voraussetzungen für die Inan- gischen Gründen erleiden werden. spruchnahme von Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 sind daher nicht gegeben. (Beifall bei der AfD) Auch wenn wir gleich von den Nachrednern die ver- Das läuft bereits. Schauen Sie einfach nur in die Meldun- fassungsrechtliche Apologie hören zu all dem, was ich gen. eben gesagt habe und was ich noch sagen werde: Der Bundesrechnungshof meldet verfassungsrechtliche Be- Riesige Summen gibt es auch für Brüssel, und zwar denken an. Sehr klar ist auch die „FAZ“, und auch der nicht nur die 13 Milliarden Euro mehr, die schon vor Bund der Steuerzahler hat recht, wenn er erklärt, dass Corona beschlossen waren, sondern auch zusätzlich min- Coronakreditgelder nicht für völlig krisenfremde Dauer- destens 6 bis 8 Milliarden Euro pro Jahr als Coronahilfen. aufgaben verwendet werden dürfen; das ist eine umfas- Das sind Geschenke für den Mittelmeerraum, EU-ver- sende Meinung in diesem Land. Das Grundgesetz wird tragswidrig mit EU-Krediten finanziert – das ist noch missbraucht zum uferlosen Schuldenmachen. Die auf- mal ein anderes Thema; das wird uns das zweite Halbjahr grund der Lockdown-Fehlentscheidungen leider unab- beschäftigen –, mit deutschem Geld gesichert und in weisbar entstehenden Mehrausgaben für den Bund an be- Konkurrenz zu nationalen Geldern stehend – etwa das EU-Arbeitsgeld SURE –, alles erst ab 2028 tilgbar. Nach (B) troffene Unternehmen und Bürger könnten ohne zweiten (D) Nachtragshaushalt und in verfassungskonformer Weise uns die Sintflut. aus Mitteln der Asylrücklage bestritten werden. Die riesigen Summen werden auf EU-Ebene planwirt- (Beifall bei der AfD) schaftlich bewirtschaftet. Zitat des Finanzministers dazu: „Das … geht nicht ohne weitere Integrationsschritte“. – Nun zum Inhalt des Nachtragshaushalts. Um einen Also: Mehrheitsentscheidungen in EU-ropa, weniger na- konjunkturellen Nachfrageimpuls zu erreichen, müssten tionale Souveränität, noch mehr Finanzmittel für die EU. die Mittel jetzt schnell ausgegeben werden. Doch selbst Meine Damen und Herren, die Deutschen wollen das das ist nicht gewährleistet, und es ist vielfach gar nicht nicht, und EU-Schulden und Steuern sind sogar glatt geplant, wie die Haushaltsberatungen gezeigt haben. Aus illegal. Bezeichnend ist auch das zweite Zitat des Bun- marktwirtschaftlicher Sicht besonders bedenklich ist, desfinanzministers: „Es gibt keine deutsche … Volks- dass Entscheidungen über Zukunftstechnologien offen- wirtschaft mehr, sondern nur noch eine … europäische.“ – bar als staatliche Aufgabe angesehen werden. Doch Das war ein Zitat. Staatsdirigismus hemmt immer Innovationskräfte, indem er festlegt, was erst im Wettbewerb als Modernisierungs- Große Summen gibt es weiterhin für Weltbeglückung, schub experimentell entdeckt würde. Er scheitert am unter anderem für Bangladesch, Senegal, Äthiopien, Ne- Wissensproblem. pal, Mosambik – das alles findet sich in diesem Haushalt – und auch für die Atommacht Indien. Das ist alles ein (Beifall bei der AfD) Coronahaushalt. Für die Kommunen möchte der Bund Staatliche zentrale Planer – und das sind wir hier; das dauerhaft bis zu 75 Prozent der Unterkunftskosten über- maßen Sie sich an zu sein – können gar nicht wissen, nehmen. Ein Großteil dieser KdU-Kosten ist migrations- was einmal eine relevante oder umsetzbare Zukunftsin- bedingt. Setzen Sie bei den Ursachen an! Damit ist den vestition sein wird. Kommunen am meisten geholfen, und dann muss auch das Grundgesetz nicht angetastet werden. (Leni Breymaier [SPD]: Der Donnerstag hätte so schön sein können!) (Beifall bei der AfD) Die Coronakrise wird genutzt als Vorwand, um die Dann zur verfehlten Energiepolitik der Regierung: ohnehin geplante hochideologische Politik zugunsten Künftig zahlt neben dem Stromverbraucher auch noch links-grüner Interessengruppen auf Kosten zukünftiger der Steuerzahler die EEG-Kosten. 2020 gab es bereits Generationen auf Pump vorzufinanzieren. Das vorgelegte einen Haushaltszuschuss von 11 Milliarden Euro, und Paket versteht sich auch hier wieder einmal als Teil einer das wird künftig immer mehr werden. Am Ende zahlen großen Transformation; das ist ja Ihr Wording. Die Sub- das doch dieselben Bürger, nur sehen die den vollen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21141

Peter Boehringer (A) Wahnsinn dann nicht mehr direkt in der Stromrechnung Großbritannien leben. Ich bin froh, dass ich in Deutsch- (C) wie bisher. land lebe, ich bin froh, dass wir diese Krise so angefasst haben, und ich bin froh, dass wir bisher so durchgekom- (Christian Dürr [FDP]: Wie viele Änderungs- men sind. anträge haben Sie zum Haushalt gestellt?) Es ist also ein hochideologischer Haushalt. In nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wiederholbaren guten Zeiten hat der Bund samt Bundes- bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- anstalt für Arbeit etwa 75 Milliarden Euro an Rücklagen SES 90/DIE GRÜNEN) gebildet. In nur einem Jahr werden nun über Neuver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Krise ist eine schuldung und Rücklagenauflösung 240 Milliarden Euro Herausforderung. Gestern vor 30 Jahren wurde die Wirt- aufgebraucht, also das Dreifache. So viel zum so oft schafts-, Währungs- und Sozialunion verbunden mit der zitierten Keynes, der ja nun irgendwo die identische Einführung der D-Mark im Osten Deutschlands durchge- Rückzahlung verlangt hat. führt. Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Dr. Schäuble, Die Mehrwertsteuersenkung für sechs Monate ist da- noch einmal ausdrücklich bedanken für die Leistung, gegen tatsächlich keynesianisch: ein reines von der Re- die Sie in dem Jahr vollbracht haben. Ich spreche das gierung gewolltes Strohfeuer, der Wumms-Effekt eben. deswegen an, weil Theo Waigel in einem Aufsatz deut- Nachhaltig ist daran gar nichts. Anstatt die Rücklagen aus lich gemacht hat, dass man damals im Bundeshaushalt guten Zeiten jetzt aufzubrauchen, baut der Finanzminis- kurz vor der schwarzen Null stand. Wir haben dann ter schuldenfinanziert weitere Rücklagen auf. Das ist ver- 24 Jahre, bis 2014, gebraucht, um wieder dahin zu kom- fassungswidrig und die teuerste Wahlkampagne aller Zei- men. ten. Das ist nicht Keynes; das erinnert eher an Manches, was 1990 erfolgt war, haben Ökonomen Machiavelli. kritisiert. Wir Ostdeutschen haben profitiert. Wir haben (Beifall bei der AfD) bis 4 000 Ostmark eins zu eins umgetauscht; danach wurde halbiert. Löhne, Renten, Gehälter wurden eins zu Wir fordern die Bundesregierung – ich komme zum eins umgerechnet. Kredite wurden halbiert. Ich war Schluss – auf, alle Einschränkungen des allgemeinen ge- selber Profiteur: 34 000 Ostmark wurden halbiert in sellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unverzüg- 17 000 Westmark. Die Zinsen waren damals hoch; das lich zu beenden, die Bevölkerung realistisch über die ge- gebe ich zu. Aber wir haben diese Herausforderung ge- ringe Covid-Bedrohungslage zu informieren und den meistert, und deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir vorgelegten Nachtragshaushalt zurückzuziehen. auch diese Krise meistern werden. (B) Herzlichen Dank. Aber lassen Sie mich am Anfang ein paar mahnende (D) (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: Worte sagen. Die Kreditfinanzierungsquote des Bundes Legen Sie doch mal Ihre Änderungsanträge liegt bei 43 Prozent. Ich weiß nicht, ob wir das auch im vor, Herr Boehringer!) nächsten und übernächsten Jahr so weitermachen kön- nen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ( [CDU/CSU]: Nein!) Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, Ich bezweifle das. Wir werden nach der letzten Steuer- CDU/CSU. schätzung von diesem Jahr als Bund erst 2023 wieder die (Beifall bei der CDU/CSU) Steuereinnahmen des Jahres 2019 haben, Länder und Kommunen schon 2021. Deswegen hat mich gestern in Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): der Sitzung des Haushaltsausschusses manches irritiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zweite und dritte Ich sage das in Richtung der gesamten Bundesregierung: Lesungen sind Stunden des Parlaments. Deswegen möch- Ich glaube, wir sollten nicht so leicht und locker meinen, te ich mich zuerst bei meinem neuen Sprecherkollegen dass das immer so weitergeht wie in diesem Haushalt mit Dennis Rohde bedanken. Ich glaube, Dennis, das Ergeb- einem Umfang von 509 Milliarden Euro und neuen nis, was wir hier heute präsentieren, dass wir ohne Pla- Schulden in Höhe von 218 Milliarden Euro für die Jah- fonderhöhung viele Dinge auf den Weg gebracht haben, re 2021, 2022 usw. verdient Respekt, auch in Anbetracht der Zeitschiene. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das tun, Deswegen ein herzliches Dankeschön an alle Kollegin- dann müssen wir uns auch irgendwann bestimmte andere nen und Kollegen im Haushaltsausschuss, aber besonders Fragen stellen: Sind wir dann noch der Bonitätsanker in an dich. Europa? Können wir dann alles das, was wir uns in Eu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ropa vorgenommen haben – Aufstockung des mehrjähri- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE gen Finanzrahmens, Wiederaufbaufonds –, noch zu die- GRÜNEN) sen günstigen Konditionen leisten? Ich glaube, hier sollten wir im deutschen Parlament deutlich machen: Herr Kollege Boehringer – ich habe das schon mal an Wir müssen in der Zukunft auch Maß und Mitte behalten. dieser Stelle gesagt –, ich gehöre mit 66 Jahren zu den Wir müssen nicht sparen, aber Maß und Mitte müssen wir Älteren, und ich bin seit 20 Jahren Diabetiker. Ich möchte schon behalten. heute nicht in den Vereinigten Staaten leben. Ich möchte auch nicht in Schweden leben. Ich möchte auch nicht in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 21142 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Eckhardt Rehberg (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind ja fünf Kom- Auch noch ein Satz zur Mehrwertsteuersenkung. Wenn (C) ponenten, die wir im zweiten Nachtrag beschlossen ha- ich so die Wochenendblättchen sehe, die über die letzten ben. Es geht dabei um die Kaufkraftstärkung. Übrigens: Tage bei mir ins Haus geflattert sind, wenn ich sehe, was Dies bricht nicht am 1. Januar 2021 ab, sondern es kom- schon alles weitergegeben wird, so bin ich im Gegensatz men dann die Absenkung des Soli, die Kindergelderhö- zu Ihnen, Kollege Boehringer, auch überzeugt, dass diese hung, die Abschaffung der kalten Progression usw. Das Mehrwertsteuerabsenkung doch die Binnenkonjunktur ist noch mal eine Entlastung in Höhe von 16 Milliarden anfachen wird. Euro. Und mein Appell an die Bürger in diesem Land ist Die Herausforderung der nächsten Jahre wird die Sta- ganz einfach: Lassen Sie mal einen Augenblick iPhone, bilisierung der Sozialbeiträge sein. Wir wollen sie bei iPad, Laptop liegen, gehen Sie zu Fuß in die Innenstadt, 40 Prozent halten. Das entlastet niedrige und mittlere kaufen Sie in den Geschäften ein, oder setzen Sie sich, Einkommen, und das belastet die Wirtschaft nicht weiter. wenn Sie wie ich auf dem flachen Land wohnen, ins Auto Denn steigende Sozialbeiträge wären eine Belastung der und fahren in den nächstgelegenen Laden und lassen dort Wirtschaft. Ihr Geld. Ich glaube, dann tun wir der Binnenkonjunktur was Gutes. Dies als letzter Appell an dieser Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen: Noch mal herzlichen Dank für die tollen Wir stabilisieren Unternehmen, und wir entlasten Län- kurzfristigen Beratungen. Und ich glaube, wir können ein der und Kommunen. Christian Haase wird nachher noch Superergebnis präsentieren. auf die Grundgesetzänderung eingehen. Herr Bundesfi- Danke. nanzminister, die Grundgesetzänderung und das Begleit- gesetz zum Ausgleich der Gewerbesteuerausfälle über- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie zeugen uns bisher noch nicht, bei Abgeordneten der FDP)

(Beifall des Abg. Otto Fricke [FDP]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: besonders nicht an einer Stelle. Ich sage Ihnen auch, Nächster Redner ist der Kollege Christian Dürr, FDP. warum. Es müssen zwei Hauptfragen gestellt werden. Erstens: Beteiligen sich die Länder wirklich zur Hälfte? (Beifall bei der FDP) Zweitens – und das ist das Wesentliche –: Kommen dann Christian Dürr (FDP): die Hilfen des Bundes und die zugesagte Hälfte der Län- der auch wirklich bei den Kommunen an, die die Ge- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (B) werbesteuerausfälle haben? Es kann nicht sein, dass heu- Herr Bundesminister Scholz, bei der Verabschiedung (D) te schon Länder darüber debattieren, ob sie die 50 oder des ersten Nachtragshaushaltes haben Sie hier gesagt, 100 Millionen Euro, die sie ihren Kommunen zur Ver- dass Sie die Rücklage im Bundeshaushalt, die für dieses fügung gestellt haben, mit den Gewerbesteuerausfällen Jahr damals 38 Milliarden Euro betragen sollte, diese verrechnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Rücklage, die ja von den Bürgerinnen und Bürgern mal eine Gesamtverantwortung im föderalen System. Bund, finanziert worden ist, nicht nutzen wollen, um zu verhin- Länder und Kommunen sind ein Dreiklang, und da kön- dern, dass der Deutsche Bundestag während dieser Krise nen sich die Länder nicht einfach vom Acker machen. ein weiteres Mal die Notsituation nach den Regelungen zur Schuldenbremse feststellen muss und ein zweiter (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem Nachtragshaushalt vorgelegt werden muss. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heute legen Sie einen zweiten Nachtragshaushalt vor Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns als und schlagen dem Deutschen Bundestag vor, dass die Koalition gesagt: Wir wollen keine Plafonderhöhung. Notsituation gemäß der Schuldenbremse erneut festge- Wir wollen, dass Strukturen im Sport – Volleyball, Bas- stellt werden muss, und: Die Rücklage von 38 Milliarden ketball – weiter erhalten bleiben können. Die profitieren Euro wird um weitere 10 Milliarden Euro erhöht. Das ist nicht von Geisterspielen und Fernseheinnahmen. Ich das Gegenteil dessen, was Sie versprochen haben, Herr glaube aber, die 200 Millionen Euro werden helfen, dass Scholz. die Vereine ihre Budgetpläne für die nächste Saison auf- (Beifall bei der FDP) stellen können. Und: An solchen Vereinen hängen auch immer Kinder- und Jugendabteilungen dran; deswegen Deswegen ist dieser Bundeshaushalt falsch, liebe Kol- ist das gesellschaftspolitisch notwendig gewesen, diese leginnen und Kollegen, 200 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Wir wollen (Beifall bei der FDP) weiter 600 Millionen Euro in die Hand nehmen – das kriegen wir auch relativ kurzfristig umgesetzt – für die und zwar sehr konkret aus zwei Gründen. Er verstößt Sanierung kommunaler Einrichtungen. gegen das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch- land. Und ich sage das auch in Richtung der Kollegen von Wenn wir das alles zusammenfassen, auch das, was wir Union und SPD: Der Bundesrechnungshof hat uns ins im zweiten Nachtrag miteinander beschlossen haben, Stammbuch geschrieben – Zitat –: Der zweite Nachtrags- dann sehen wir: Das reiht sich in die Kette der Maßnah- haushalt beeinträchtigt wesentliche Verfassungsgrundsät- men ein, die im ersten Nachtrag begonnen wurden und ze wie Jährlichkeit, Fälligkeit, Wahrheit und Klarheit. – jetzt im zweiten Nachtrag fortgeführt werden. Ein Staatsrechtler, der über alle Parteigrenzen hinweg Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21143

Christian Dürr (A) anerkannt ist, hat ebenfalls festgestellt, dass dieser Bun- haushalt vorgestellt. Erneut verweigern Sie die Opposi- (C) deshaushalt verfassungswidrig ist. tionsrolle. Sie leisten nicht, Sie arbeiten nicht. Ein ehe- maliger Bundeskanzler hat mal von „faulen Säcken“ (Zuruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/ gesprochen. Ich mache mir das nicht zu eigen. Aber es CSU]) kommt dem schon ziemlich nahe. Ich verstehe nicht, warum man in der SPD in Deutsch- Vielen Dank. land nur Karriere machen kann, wenn man verfassungs- widrige Haushalte vorlegt, so wie ihr Bundesvorsitzender (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Norbert Walter-Borjans. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der AfD) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke. Viermal hat er das geschafft und ist vom Landesverfas- sungsgericht in Nordrhein-Westfalen verurteilt worden. (Beifall bei der LINKEN) Aber ich sage das auch, Herr Kollege Rehberg, weil ich Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): zwar in weiten Teilen Ihrer Rede folgen kann, die Sie hier gehalten haben, ich aber nicht verstehe, warum die CDU/ Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- CSU-Bundestagsfraktion hier zum Helfershelfer eines ren! Seit Monaten bewegen wir hier gigantische Sum- möglichen Verfassungsbrechers wird. Das ist Ihr Fehler, men. Aber bei Menschen, die in Armut leben, kommt liebe Kollegen der Union! Ich halte das für einen Riesen- wenig oder gar nichts an, und das kann nicht richtig sein, fehler. meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP – Eckhardt Rehberg (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Wir entscheiden, nicht der Bun- Die Linke fordert einen Pandemiezuschlag in Höhe von desrechnungshof!) 200 Euro pro Monat für Menschen, die von Hartz IV oder – Sie haben doch den Bericht des Bundesrechnungshofes Grundsicherung leben müssen. Das wäre christlich und gelesen, Herr Kollege Rehberg. Warum nimmt die Union sozial, meine Damen und Herren von der Union. den Bundesrechnungshof, der über jeden Zweifel erha- (Beifall bei der LINKEN) ben ist, Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritä- ( [CDU/CSU]: Oh!) tischen Wohlfahrtsverbandes, hat uns vorgerechnet: Bei (B) (D) warum nehmen Sie diese Stellungnahme nicht zur Kennt- voller Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung – aber nur nis? Ich halte das für einen gigantischen Fehler, Herr bei dieser! – hätte ein Hartz-IV-Empfänger dann 8,52 Eu- Rehberg. ro mehr im Monat. Arme Menschen, die keinen Anspruch auf kostenfreie Masken haben, könnten sich also davon (Beifall bei der FDP – Christian Petry [SPD]: gerade einmal acht Einmalmasken kaufen, um sich vor Ausgerechnet die FDP!) dem Virus zu schützen. Auch dieses Beispiel zeigt, dass wir vor dem Virus nicht alle gleich sind, meine Damen Und es ist unfair, Herr Kollege, und unsinnig; denn und Herren. diese Rücklage haben auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland finanziert. Und jetzt, an- (Beifall bei der LINKEN) statt sie direkt zu entlasten, zum Beispiel auch kleine Ich denke auch an die vielen Menschen, die im Nied- und mittlere Einkommen, so wie wir es beim Mittel- riglohnsektor arbeiten müssen. In der Mehrheit sind das standsbauch vorschlagen, anstatt Arbeitnehmerinnen Frauen. Frauen sind die Hauptverliererinnen dieser Krise, und Arbeitnehmer in dieser Krise zu entlasten, enthalten und das können wir als Linke nicht hinnehmen. Sie ihnen das Geld vor und geben Olaf Scholz eine Wahl- kampfrücklage für 2021. Es ist auch sozial ungerecht, (Beifall bei der LINKEN) was Sie mit dem Bundeshaushalt an dieser Stelle machen, liebe Kollegen. Wenn diese Niedriglöhnerinnen und Niedriglöhner jetzt hören, dass der Mindestlohn zum 1. Januar 2021 um (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 15 Cent pro Stunde angehoben werden soll, dann muss der AfD) das doch wie Hohn in ihren Ohren klingen. Der Mindest- lohn soll bis 2022 auf 10,45 Euro steigen. Das müssen wir Und zum Schluss. Anders als die AfD – und da will ich uns mal vor Augen halten: In siebeneinhalb Jahren eine ganz kurz auf Herrn Boehringer eingehen – schlagen wir Steigerung von 1,95 Euro. Das ist wirklich nicht genug, Ihnen ja vor, was man stattdessen machen kann, und zwar und darum fordern wir als Linke einen Mindestlohn von sehr konkret, wie man mit 45 Milliarden Euro weniger 12 Euro, und zwar sofort. Schulden im Jahr 2020 auskommen kann und trotzdem, weil man die Rücklage der Menschen nutzt, die hier ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. schaffen worden ist, um 38 Milliarden Euro mehr ent- Christian Petry [SPD]) lastet. Gerade Menschen im Niedriglohnsektor sind beson- Herr Kollege Boehringer, letzter Satz. Die AfD hat ders hart von Arbeitslosigkeit betroffen. Nicht alle haben keinen einzigen Änderungsantrag zu diesem Bundes- Anspruch auf Kurzarbeitergeld; Minijobber haben darauf 21144 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Gesine Lötzsch (A) gar keinen Anspruch. Doch auch das Kurzarbeitergeld brauchen also endlich eine armutsfeste Rente. Das sind (C) reicht für viele Menschen nicht, um ihren Lebensunter- wir den Menschen in diesem Land schuldig, die ihr gan- halt zu sichern. Eine Küchenhilfe zum Beispiel mit einem zes Leben lang gearbeitet haben. Die Linke fordert eine Nettoeinkommen von 1 300 Euro im Monat bekommt solidarische Mindestrente von 10,50 Euro im Monat. 780 Euro Kurzarbeitergeld. Wenn man dann die Miete abrechnet, ist mit dem Geld im Monat nicht mehr viel ( [DIE LINKE]: 1 000!) zu machen. - 1 050 Euro. Das war jetzt der Test, ob alle auch gut zuhören. Kollege Rehberg hat ja an alle appelliert, sie sollen jetzt mal ordentlich einkaufen gehen. Ich glaube, Men- (Heiterkeit) schen mit diesem Einkommen haben andere Sorgen, als Wir fordern also eine solidarische Mindestrente von in Einkaufscenter zu fahren. Sie müssen Essen und Trin- 1 050 Euro im Monat. ken kaufen und können nicht mit dem Auto irgendwo hinfahren und die Taschen vollhauen. Das war, glaube (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin ich, für viele ein etwas zynischer Appell, Kollege Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rehberg. In unserem Entschließungsantrag fordern wir auch ei- (Zuruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/ nen Rettungsschirm für Solo-Selbstständige und Studie- CSU]) rende. Alle diese Forderungen sind begründet und finan- zierbar. Besonders hart trifft die Krise den Einzelhandel und die Gastronomie. Jetzt, im Windschatten der Pandemie, Es gibt ja einiges im Nachtragshaushalt, was auch wir sollen 62 der 172 Kaufhof-Filialen geschlossen werden. unterstützen; darüber haben wir gestern im Ausschuss 6 000 Beschäftigte, darunter wiederum viele Frauen, diskutiert. Aber anderes stößt auf unseren entschiedenen fürchten um ihre Arbeitsplätze. Die Vertreter des markt- Widerstand. Sie von der Koalition wollen zum Beispiel radikalen Flügels zucken da nur mit den Schultern. Wir rund 10 Milliarden Euro für verschiedene Kriegsgüter aber sagen: Lebendige Städte brauchen eine lebendige ausgeben. Wir brauchen diese Kriegsgeräte nicht, um Verkaufskultur, und Amazon schafft Geisterstädte. Das unsere Sicherheit zu garantieren. Ich sage Ihnen, was wollen wir verhindern, meine Damen und Herren. das in Wirklichkeit ist: Das sind die teuersten Beruhi- gungspillen, die je einem cholerischen US-Präsidenten (Beifall bei der LINKEN) von der Bundesregierung angeboten wurden. Aber sie Wir hatten ja am Montag eine Anhörung im Haushalts- werden nicht wirken; da bin ich mir ganz sicher. Lassen ausschuss. Da haben uns viele Ökonomen kluge Sachen Sie uns das Geld sinnvoller ausgeben! Gestern haben mir (B) gesagt. Zum Beispiel hat die Ökonomin Friederike Spie- gegenüber wieder viele junge Menschen zum Ausdruck (D) cker darauf verwiesen – ich darf zitieren, Herr Präsident –: gebracht: Wir wollen eine soziale und eine ökologische Zukunft; wir wollen einen sozialen und ökologischen Wer in einer fragilen gesamtwirtschaftlichen Situa- Umbau. – Das unterstützt Die Linke, meine Damen und tion Lohnzugeständnisse gegen Beschäftigungser- Herren. halt einzutauschen versucht, scheitert gesamtwirt- schaftlich. (Beifall bei der LINKEN) Und darum, sagen wir Ihnen, ist unsere Forderung ökono- Ich sage Ihnen auch: Die beste Sicherheitspolitik ist eine misch mehr als sinnvoll, das Kurzarbeitergeld auf ein- konsequente Friedenspolitik. Auch dafür steht Die Linke. heitlich 90 Prozent des Nettoentgeltes anzuheben, meine Ich will noch etwas zur Lufthansa sagen. Die Bundes- Damen und Herren. regierung hat zugelassen, dass der Milliardär und Luft- hansa-Großaktionär Thiele die Lufthansa in Geiselhaft (Beifall bei der LINKEN) genommen hat. Er hat sich bis zur außerordentlichen In dieser Woche rief mich eine 85-jährige Rentnerin Hauptversammlung von Lufthansa gegen den Einstieg an. Sie war völlig entsetzt, dass von einer Rentenerhö- des Staates gewehrt. Er hat bis zum Schluss hoch ge- hung von 24,18 Euro durch Gegenrechnung von Sozial- pokert, um noch mehr Zugeständnisse von der Bundesre- leistungen nur 3,85 Euro übrig bleiben. Sie könne schon gierung zu erzwingen. Er befürchtete zu viel Einfluss des lange nicht mehr ins Theater gehen, und die Haare würde Staates auf die Lufthansa. Augenscheinlich haben die sie sich auch selbst schneiden. Die Rente reiche vorne Minister Scholz und Altmaier dem Spekulanten Thiele und hinten nicht. So geht es vielen Armutsrentnern in versprochen, dass der Staat im Aufsichtsrat gar keine Deutschland. Und das ist für unser reiches Land eine Rolle spielen wird, keine aktive Rolle, also: Klappe hal- Schande, meine Damen und Herren. ten und zahlen. Ich finde, das ist der falsche Weg. So darf man mit 9 Milliarden Euro Steuermitteln nicht umgehen, (Beifall bei der LINKEN) meine Damen und Herren. Da grenzt es ja schon fast an ein Wunder, dass die Grundrente heute beschlossen werden soll. Die Union (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. hat dem SPD-Minister bis zum Schluss ein Bein gestellt. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Er geht jetzt etwas humpelnd vom Platz; denn die Kürz- NEN]) ungswut der CDU hat dazu geführt, dass viele Menschen, Die Lufthansa befindet sich jetzt in der Geiselhaft ei- die darauf gehofft hatten, die Grundrente nicht bekom- nes einzelnen raubeinigen Großaktionärs. Dessen ober- men werden und in der Grundsicherung feststecken. Wir stes Prinzip ist der Personalabbau. Ich finde, das muss Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21145

Dr. Gesine Lötzsch (A) die Bundesregierung verhindern. Wir können nicht so Zum Beispiel haben wir befürchtet, dass viele Sachen (C) viel Geld in die Hand nehmen und dann zusehen, wie reinkommen, die wir nicht wollen: Steuersenkungen für 22 000 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. Darauf haben Reiche, pauschale Unternehmensteuersenkung oder eine wir nicht gewettet. Die Lufthansa muss kontrolliert wer- Abwrackprämie für fossile Verbrenner. Alles das ist nicht den. Unser Geld, unser Steuergeld darf nicht dafür ver- drin. Gerade der letzte Punkt zeigt auch: Es gibt einen wendet werden, dass Arbeitslosigkeit entsteht. Dagegen großen Erfolg der Klimabewegung, dass die Autolobby müssen wir uns entschieden zur Wehr setzen, meine Da- nicht mehr mit jedem Schwachsinn durchkommt. Das ist men und Herren. gut so. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist auch klar, dass nach der Bundestagswahl die Wir haben auch lange hier im Bundestag gefordert, Rechnung präsentiert wird. Die Union leidet ja jetzt dass die Kommunen mit hohen Sozialkosten mehr vom schon – auch das haben wir am Montag in der Anhörung Bund unterstützt werden und es einen höheren Anteil des bemerkt – unter der fehlenden schwarzen Null. Sie würde Bundes bei der Übernahme der Kosten der Unterkunft lieber heute als morgen wieder kräftig die Schuldenbrem- braucht. Das unterstützen wir. Es ist gut, dass das jetzt se wie Daumenschrauben anziehen. Unsere Position ist kommen wird. ganz klar: Die Schuldenbremse ist ein ökonomischer Irr- weg. Wenn wir schon über das Grundgesetz in Zukunft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrfach abstimmen, dann lassen Sie uns doch etwas sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vernünftiges entscheiden, nämlich die Schuldenbremse Aber, Herr Scholz, nichtsdestotrotz ist damit eine lang- endlich wieder aus dem Grundgesetz zu streichen. fristige Lösung vom Bund – und ich sage ausdrücklich: (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der auch von den Ländern – bei den kommunalen Altschul- CDU/CSU: Oh!) den noch nicht auf dem Tisch. Auch da muss nachge- bessert werden. – Ja, ja. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir wissen, dass 45 Deutsche genauso viel Vermögen sowie des Abg. [DIE LINKE]) haben wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung insgesamt. Ich glaube, aus dieser Rechnung allein wird ganz deut- Also, wir sagen: Insgesamt ist das Paket besser als lich, dass die Forderung der Linken nach einer Vermö- befürchtet, das aber auch deswegen, weil wir natürlich gensabgabe mehr als gerechtfertigt ist. einen sehr niedrigen Erwartungshorizont hatten. Wir ken- nen ja die GroKo. Trotzdem ist das Paket nicht insgesamt (B) (Beifall bei der LINKEN) überzeugend oder ausreichend. Denn wir erleben ja nicht (D) Sie ist auch von unserem Grundgesetz gedeckt. Eines nur die Coronakrise, sondern wir erleben auch gleichzei- kann ich Ihnen versprechen: Die Linke wird immer für tig weiter die Klimakrise. Die Klimakrise macht ja wegen ein gerechtes, soziales und solidarisches Land kämpfen. Corona keinen Urlaub; sie ist weiter da, und sie verschärft Darauf können Sie sich verlassen. sich weiter. (Beifall bei der LINKEN – Alexander Dobrindt Beim Konjunkturpaket muss es um beides gehen: Es [CDU/CSU]: Ich würde mich nicht darauf ver- muss um die Gegenwart gehen, und es muss um die lassen!) Zukunft gehen. Wenn ich einen Strich darunter ziehe, dann ist in diesem Konjunkturpaket viel Zukunft, aber wenig – – Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viel Gegenwart ist da drin. – Ja, ich sage Ihnen das gerne noch mal: Gucken Sie sich das Konjunkturpaket doch Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- konkret an! Da ist sehr viel Gegenwart drin, aber wenig NEN): Zukunft, wenn es um die Bekämpfung der Klimakrise Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- geht, wenig Zukunft bei Investitionen. Das kritisieren ren! Wir sagen als Grüne klar: In dieser schweren Wirt- wir sehr klar. schaftskrise ist ein Konjunkturpaket dringend notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unternehmen, Beschäftigte, die Bevölkerung brauchen jetzt dringend Unterstützung. Dafür muss der Staat in Gegen die Klimakrise gibt es eben keinen Impfstoff. dieser schweren Wirtschaftskrise auch große Kreditsum- Wir haben das doch alle erlebt, was in den letzten Jahren men aufnehmen. Das ist richtig, und das unterstützen wir. los war. Der Deutsche Wetterdienst hat festgestellt: Das Quartal von Januar bis März dieses Jahres war in Europa (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das heißeste erste Quartal seit 100 Jahren. Europa erlebt Ich will hier als Oppositionspolitiker differenzieren: das dritte Jahr mit Dürre und Hitzewellen in Folge. Die Wir können es auch anerkennen, wenn die Regierung Elbe, die Donau, die Warthe haben extrem niedrige Was- mal etwas besser macht, als wir es befürchtet haben. serstände; der Grundwasserspiegel ist auf einem dramati- schen Tiefstand. Viele Bauern, viele Försterinnen und (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Förster sind verzweifelt. Deswegen müssen wir jetzt han- 21146 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Sven-Christian Kindler (A) deln! 2020 muss rückblickend das Jahr sein, wo Europa – Herr Brinkhaus, es ist ein Nachtragshaushalt. Aber die (C) bei der Bekämpfung der Klimakrise gerade noch die Kur- Frage ist doch: Wie kommen wir aus dieser Krise heraus? ve gekriegt hat. Das fehlt im Konjunkturpaket. Es gibt keinen großen Wumms für den Klimaschutz. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Erst mal durchlesen! Eine unterirdische Rede! Mann, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mann, Mann! Das ist doch peinlich, was Sie hier machen!) Da kann man auch nicht, wie die Koalition gestern, noch 250 Millionen Euro für neue Autobahnen beschlie- Und da brauchen Unternehmen nicht nur Sicherheit für ßen. dieses Jahr und das nächste Jahr. Sie müssen wissen: Wie kann ich langfristig investieren? Wo geht die Reise hin? (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU Wie bekämpfen wir die Klimakrise? Da ist eben nichts zu und der SPD – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: sehen, Herr Brinkhaus! Das bleibt einfach Stückwerk. Falsch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Das ist das Gegenteil von sinnvoller Verkehrspolitik, das Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Mann, Mann, ist das Gegenteil von Klimaschutz. Das ist wirklich Mann, Mann! Das ist ja niveaulos! – Alexander falsch! Dobrindt [CDU/CSU]: Lassen Sie lieber Anton (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hofreiter reden! – Gegenruf des Abg. Ralph Dennis Rohde [SPD]: Ja, das war falsch!) Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja, lieber Anton Hofreiter reden lassen! Die Grünen haben bes- Ihr Konjunkturpaket hat eine soziale Schieflage. Wer sere Redner als Sie!) 130 Milliarden Euro in die Hand nimmt, der muss auch die Ärmsten der Armen in dieser Gesellschaft in den Herr Scholz, Sie haben als Minister in dieser Krise Blick nehmen. Deswegen haben die Sozialverbände ei- finanzpolitisch die Bazooka ausgepackt. Sie haben es nen pauschalen Krisenaufschlag wegen Corona bei selbst gesagt – als ehemaliger Kriegsdienstverweigerer –, Hartz IV von 100 Euro für Erwachsene und von 60 Euro Sie wollen jetzt die Bazooka auspacken. Ich stimme für Kinder gefordert. Das ist nicht enthalten im Konjunk- Ihnen zu: In dieser Krise darf man nicht sparen und muss turpaket. Das war eine klare Entscheidung der Bundesre- das Notwendige tun und dafür auch die notwendigen gierung. Ich finde diese klare Entscheidung falsch. Ich Kredite bereitstellen. Aber die Bundesregierung muss finde sie beschämend und kaltherzig. eben jetzt auch deutlich machen, dass nach der Corona- krise keine harten Sparprogramme folgen, dass es eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN große Investitionsstrategie bis 2030 gibt: für die Bekämp- (B) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) fung der Klimakrise, für Digitalisierung, für Bildung, für (D) Auch die Solo-Selbstständigen sind erneut die großen soziale Infrastruktur. Verliererinnen und Verlierer der Maßnahmen. Es ist doch (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Steht weltfremd, dass Fotografen oder Musikerinnen nur ihre alles drin! Haben Sie das überhaupt alles ge- minimalen Betriebskosten bei den Hilfen ansetzen kön- lesen?) nen, aber ihre Lebenshaltungskosten nicht ansetzen kön- nen. Ich finde, das zeigt noch mal sehr deutlich das Un- Auch dafür brauchen wir die Bazooka und keinen finanz- verständnis und die Ignoranz, die die Koalition politischen Pazifismus. gegenüber den Solo-Selbstständigen an den Tag legt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen sind wir für die Höhe der aufgenommenen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kredite. Wir sagen Ihnen gleichzeitig aber auch: Wir Ihr Konjunkturpaket ist akutes Krisenmanagement, halten es für gefährlich, jetzt deutlich zu kurze Tilgungsf- aber eben keine langfristige Krisenvorsorge; das zeigt risten von 20 Jahren vorzulegen, sich gerade bei den Investitionen. Sie ziehen hier und da ein paar Sachen vor, hier und dort erhöhen Sie etwas; (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was?) aber es gibt keine Strategie, es bleibt loses Stückwerk. weil wir die Sorge haben, dass die wirtschaftliche Erho- lung des Staates und die Investitionstätigkeit in den Was völlig offen ist: wie es in den nächsten Jahren mit nächsten Jahren eingeschränkt wird. Wir brauchen jetzt Investitionen weitergeht. Dafür gibt es keine Strategie. So politisch verbindliche Garantien, dass wir nicht zurück- entsteht eben auch keine Planungssicherheit, so entsteht gehen zum alten Status quo, so wie es die Union will, keine Erwartungssicherheit für Unternehmen, für Kom- zurück zur schwarzen Null, zurück zum Investitionsstau. munen und Länder, kein Anreiz, die notwendigen Kapa- Das darf uns nicht passieren. zitäten zu schaffen. Wo ist denn der große Investitions- fonds für die nächsten zehn Jahre bis 2030? Wo ist die Wir brauchen ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen, große Strategie für die sozialökologische Transforma- und dafür müssen wir Vorsorge treffen, und zwar heute tion? Da ist nichts zu sehen bei der Bundesregierung. schon. Dafür brauchen wir jetzt eine klare Ausrichtung. Das fehlt in diesem Nachtragshaushalt. Wir wollen ein (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Es ist ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen und kein Zurück Nachtragshaushalt! Reden Sie vielleicht mal zur schwarzen Null und zu Investitionsstau. zum Nachtragshaushalt, Herr Kindler! Reden Sie mal zum Thema!) Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21147

Sven-Christian Kindler (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – rausforderungen gab, die vielleicht durch den Regie- (C) Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Kein Zurück rungsentwurf noch nicht voll abgedeckt waren, Antwor- zur Haushaltssolidität! Das ist eine Aussage! ten auf aktuelle Herausforderungen zu finden und die Wahnsinn, Wahnsinn! Oh, oh, oh! Das war jetzt parlamentarischen Rechte sicherzustellen. aber unterirdisch peinlich, die Rede! Mann, Mann, Mann!) Ich möchte vorne beginnen. Wir haben die Brücken- hilfen. Wir haben Hilfspakete für viele, viele Branchen. Aber wir haben als Fraktion gesehen: Es gibt blinde Fle- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: cken, bei denen wir noch mal aktiv werden müssen. Nächster Redner ist der Kollege Dennis Rohde, SPD. Einer dieser blinden Flecke waren für unsere Fraktion (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckhardt die gemeinnützigen Einrichtungen, diejenigen, die keine Rehberg [CDU/CSU]) großen Rücklagen bilden können, weil sie dem Gemein- Dennis Rohde (SPD): nützigkeitsrecht unterliegen, aber die gleichzeitig, wie zum Beispiel die Schullandheime, feststellen müssen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dass sie in den nächsten Monaten keine Einkünfte haben fand es zu Beginn dieser Debatte schon auffällig, dass die werden, weil Klassenfahrten bis zum Ende des Jahres stärkste Kritik an all dem, was wir hier machen, von den- abgesagt werden. Diese hätten Riesenprobleme bekom- jenigen kam, die die letzten Stunden der Beratung gar men, und über sie wäre eine Insolvenzwelle hinwegge- nicht mitverfolgt haben. fegt. Deshalb ist es richtig, dass wir für sie ein Sonder- Herr Dürr, die Kritik, die Sie hier vorgetragen haben, hilfsprogramm machen, damit im nächsten Jahr auch haben wir sehr sachlich im Ausschuss diskutiert, und Ihre wieder Klassenfahrten in Schullandheime stattfinden Kolleginnen und Kollegen – auch aus Ihrer Fraktion – können. haben nicht das Maß erreicht, das Sie hier gerade darge- legt haben. Wir haben auf der Sachebene diskutiert. Ich (Beifall bei der SPD) glaube, wir haben da eine unterschiedliche Auffassung. Wir haben uns ferner angeguckt, ob die Brückenhilfe Aber ich will es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Der Haushalt, über den wir hier befinden, der ist verfassungs- am Ende des Tages auch sicherstellt, dass wir nächstes Jahr wieder Volksfeste feiern können, weil die Schaustel- konform; der ist nicht verfassungswidrig. lerinnen und Schausteller mit ihrer Einnahmesituation ja (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen gewissen, sehr eigenen Zyklus haben. Wir stellen der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Christian Dürr jetzt sicher, dass auch Schaustellerinnen und Schausteller (B) [FDP]) in der Brückenhilfe vernünftig berücksichtigt werden. (D) Und ich werde genau darauf achten, dass Sie in Zukunft (Beifall bei der SPD) nie wieder den Bundesrechnungshof kritisieren. Ich sage Ihnen: Ich bin auch mal anderer Auffassung als der Rech- Ich finde, es ist ein wichtiges Zeichen des Deutschen nungshof. Bundestages, dass wir dies fraktionsübergreifend auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. [FDP]: Wir helfen den Lotsen, wir helfen Reisebusunterneh- Reden Sie doch mal in der Sache, Herr Kolle- men, und – Kollege Rehberg hat es gesagt – wir helfen ge!) den semiprofessionellen Sportvereinen, denjenigen, die Kollege Boehringer, ich fand es ja schon sehr interes- nicht von Fernseheinnahmen leben, wie im Fußball die sant, wie man hier die Backen aufbläst. Aber wenn der Erste oder die Zweite Bundesliga, also denjenigen, die Haushaltsausschuss tagt und der Ausschussvorsitzende auf Zuschauereinnahmen angewiesen sind. Wir helfen stundenlang der Sitzung wiederholt fernbleibt, ich finde, der Veranstaltungsbranche im Kulturbereich mit 1 Mil- dann sagt das auch viel über die Arbeitsmoral Ihrer Frak- liarde Euro; die wäre sonst leer ausgegangen. Und – auch tion aus. das hat Kollege Rehberg gesagt –: Am Ende hätte es nicht die Profis getroffen. Es hätte den Nachwuchsbereich ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP troffen; es hätte den Breitensport getroffen. Deshalb ist es und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) richtig und wichtig, als Koalition hier auch noch mal einen Schwerpunkt zu setzen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Kollege Rohde, gestatten Sie eine Zwischenfrage der CDU/CSU) des Kollegen Boehringer? Wir investieren noch einmal in Sportstätten in den Dennis Rohde (SPD): Kommunen. Wir nehmen als Bund 600 Millionen Euro Nein. in die Hand, um kurzfristig Kommunen dabei zu unter- stützen, Sportstätten zu sanieren, umzubauen, und ge- (Peter Boehringer [AfD]: Das ist schäbig!) meinsam mit deren Kofinanzierung ist es jetzt noch mal Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns als Koalition war ein milliardenschweres Investitionsprogramm, das der in der Kürze der Zeit wichtig, drei Dinge anzusprechen: Deutsche Bundestag auf den Weg bringt. Ich finde, auch zu gucken, wo es in einzelnen Bereichen besondere He- das ist an dieser Stelle ein wichtiges Zeichen. 21148 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dennis Rohde (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ( [Erfurt] [SPD]: Waren Sie (C) der CDU/CSU) im Ausschuss?) Dann haben wir zwei Themen bewusst aufgegriffen, Das ist völlig in Ordnung; das ist nie anders gelaufen. die uns aktuell alle umtreiben: zum einen die Situation in der Fleischwirtschaft, wo man von Recht und Gesetz in (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Waren Sie vielerlei Fällen nicht mehr sprechen konnte. Wir stärken vier Stunden nicht im Ausschuss?) mit diesem Nachtragshaushalt noch einmal das Pro- In einer neunstündigen Sitzung wechselt man sich ab; das gramm, mit dem insbesondere auch Rumänen und Bulga- ist völliger Usus. Sie wissen das auch. Insofern weise ich ren vor den Werkstoren in ihrer Muttersprache über ihre es scharf von mir, dass wir im Ausschuss irgendwie ge- Rechte in Deutschland aufgeklärt werden. Die Zustände, fehlt hätten. die wir bei Tönnies erlebt haben, darf es in diesem Land nie mehr geben, und auch dafür liefern wir Unterstüt- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zung. NEN]: Waren Sie jetzt vier Stunden da oder (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph nicht?) Brinkhaus [CDU/CSU]) Im Übrigen: Sie haben uns jetzt mit der dritten Bereini- Wir mussten zum anderen, ausgehend aus den USA, in gungssitzung konfrontiert; die vierte wird ja auch noch den letzten Monaten feststellen, dass wir dem Thema kommen in diesem Kalenderjahr. Machen Sie einfach Alltagsrassismus/Ressentiments in unseren Debatten mal ein bisschen weniger Haushalte; dann hätten wir wahrscheinlich nicht den Stellenwert gegeben haben, auch etwas kürzere Sitzungen. den es eigentlich haben müsste. Wir mussten feststellen: Es gibt gar keine institutionelle Bundesförderung, wenn (Lachen bei der CDU/CSU – Carsten es um Grundlagenforschung zu Rassismus und Ressenti- Schneider [Erfurt] [SPD]: Haben Sie ein Ni- ments geht. Auch das ändern wir mit diesem Bundes- ckerchen gemacht, oder was?) haushalt. Rassismus und Rassisten haben in diesem Land In einem gebe ich Ihnen aber sehr recht: Die Rüge in keinen Platz. Auch das ist ein Zeichen dieses Nachtrags- Richtung von Herrn Dürr war tatsächlich berechtigt; er haushalts. war tatsächlich nicht anwesend – obwohl er sich hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten angemaßt hat, das Fehlen von AfD-Anträgen zu kritisie- der CDU/CSU) ren. Er hatte in der Sache ja recht: Dieser Haushalt ist tatsächlich in vielerlei Hinsicht verfassungswidrig. Aber Zum Abschluss, Herr Präsident. Wir stellen sicher, Sie, Herr Dürr, werden nachher abstimmen, namentlich. (B) dass wir heute nicht nur einen Nachtragshaushalt auf (D) den Weg bringen. Wir stellen auch sicher, dass der Deut- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sche Bundestag in den nächsten Wochen und Monaten NEN]: Waren Sie jetzt vier Stunden weg oder bei den großen Entscheidungen beteiligt wird. Wir sind nicht? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ diejenigen, die direkt vom Volk gewählt sind. Wir müssen DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn?) Rede und Antwort stehen. Deshalb ist es richtig und Wenn Sie irgendwie fantasieren, es gäbe diesen Antrag wichtig, dass wir an den kommenden Entscheidungen nicht, und Sie nachher fehlen und bei unserem Antrag beteiligt werden. Auch das stellen wir mit diesem Nach- nicht abstimmen sollten, dann werden Sie aber eine Straf- tragshaushalt sicher. zahlung erleiden. Wir haben aus einem guten Nachtragshaushaltsent- wurf, glaube ich, einen noch besseren Nachtrag gemacht. Herzlichen Dank. Ich werbe an dieser Stelle um Zustimmung. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja der CDU/CSU) peinlich!)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Herr Kollege Rohde, Sie können antworten. Kollegen Peter Boehringer, AfD. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Peter Boehringer (AfD): NEN]: Also, wer vier Stunden nicht da ist als Ausschussvorsitzender! – Gegenruf des Abg. Danke, Herr Präsident. – Herr Kollege Rohde, Sie [AfD]: Haben Sie nicht zuge- müssten es ja besser wissen. hört, oder was?) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sicherlich weiß er es besser! Klar weiß er es besser!) Dennis Rohde (SPD): Als mein Stellvertreter haben Sie in inzwischen drei Be- Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich finde, diese Ant- reinigungssitzungen immer meinen Platz eingenommen. wort war mal wieder typisch; man negiert das faktisch. Es war auch diesmal mit dem aktuellen Stellvertreter, Herr Boehringer, Sie haben mitten in der Sitzung vier Herrn Gerster, SPD, abgesprochen – in völligem Kon- Stunden lang geschwänzt. Sie waren als Ausschussvor- sens. sitzender einfach nicht anwesend. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21149

Dennis Rohde (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Das sind keine Schulen, in denen die Schüler gut und (C) CDU/CSU – Carsten Schneider [Erfurt] gerne lernen. Man hätte dieses Thema bei der Grund- [SPD]: Unfassbar!) gesetzänderung aufgreifen sollen. Die Sanierung unserer Schulen wäre ein Konjunkturimpuls und eine Zukunfts- Das ist doch bei Ihnen mittlerweile System. Warum investition. Aber hier sind vor allem die Bundesländer in machen Sie das? Erst mal sind Sie stundenlang weg, der Pflicht, mehr zu leisten. und dann geben Sie bei den entscheidenden Punkten im- mer den Vorsitz ab, weil Sie ja nicht nur Ausschussvor- Ein weiterer Punkt ist die Eigenkapitalerhöhung bei sitzender sind, sondern gleichzeitig auch noch Sprecher der Deutschen Bahn um 5 Milliarden Euro. Der Bahnvor- Ihrer Fraktion für Haushalt. Sie trennen Ihre Ämter nicht stand hat ein Szenario erstellt, was komplett auf Annah- vernünftig, und das merkt man im Ausschuss mehrfach men beruht, und präsentiert nun dem Steuerzahler die und deutlich. Fangen Sie endlich an, Ihren Job als Aus- Rechnung. Außerdem sollen auch die zahlreichen Aus- schussvorsitzender vernünftig zu machen, und hören Sie landsunternehmen der Deutschen Bahn mit Steuergeld auf mit den anderen Spielereien! gerettet werden, was mit Bahnfahren in Deutschland so gar nichts zu tun hat. Das Missmanagement bei der Deut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Bahn AG muss beendet werden. Das Auslandsge- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des schäft muss konsolidiert und das Kerngeschäft Bahn mit BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einem Sanierungskonzept neu aufgestellt werden.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Fazit: Diese Regierung predigt, die Krise als Chance zu verstehen, und meint damit in weiten Teilen doch nur Nächster Redner ist der Kollege Marcus Bühl, AfD. die fortwährende Umsetzung ihrer undurchdachten (Beifall bei der AfD) Ideen, und das auf dem Rücken aller deutschen Steuer- und nun auch Schuldenrückzahler. Das lehnen wir ab. Marcus Bühl (AfD): Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Liebe Zuschauer an den Bildschirmen! Mit der groß- (Beifall bei der AfD) en Gießkanne wird Geld durch Neuverschuldung in die- sem Nachtragshaushalt ausgeteilt, und man wähnt, damit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die Wirtschaft anzukurbeln. Es wird dabei in Neben- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Jung, schauplätzen investiert und dies als „innovativ“ angeprie- CDU/CSU. sen. Das aber rettet und sichert keine Industriearbeits- (B) plätze. Der Nachtragshaushalt geht in Bezug auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (D) Investitionen an dieser Realität komplett vorbei. Was Christian Petry [SPD]) wir brauchen, sind dauerhafte Steuersenkungen, von der Mehrwertsteuer bis zum Solidaritätszuschlag. Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- (Beifall bei der AfD) be Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ein Satz, den Sie gesagt Der Nachtragshaushalt basiert auf dem Prinzip Hoff- haben, ist völlig richtig: Die Union will so schnell wie nung, und ausschließliche Förderungen in Nischen, wie möglich zurück zur schwarzen Null. – Das will ich unter- beim Elektroauto, werden nicht den konjunkturellen Auf- streichen. schwung bringen. Dafür werden die Schulden für die kommende Generation massiv steigen. Auf den Spitzen- (Beifall bei der CDU/CSU) zahler Deutschland kommen von der EU und zur Notbe- Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist: weil wir atmung des Euro weitere Milliardenaufschläge zu. Die überzeugt sind, dass gerade die schwarze Null der letzten Asylrücklage lässt die Bundesregierung unangetastet Jahre, gerade das solide Wirtschaften der Bundeshaushal- und verschuldet uns Deutsche lieber neu, nämlich um fast te in der Vergangenheit, gerade der Umstand, dass wir 218 Milliarden Euro. Ihren und anderen Rufen, auch schon in guten Zeiten viele Schulden zu machen, nicht nachgekommen sind, Besonders für die jüngere Generation ist dieser Nach- uns in die Lage versetzen, dass wir jetzt, wo die Not- tragshaushalt sozial ungerecht. Ein Beispiel: Für den Di- situation da ist, jetzt, wo die Krise da ist, klar, stark und gitalPakt Schule hat der Bund letztes Jahr 5 Milliarden Euro nach einer Verfassungsänderung eingesetzt, um die gut reagieren können. Die Solidität von gestern gibt uns jetzt die Kraft in der Krise. Länder zu entlasten. Bisher ist nichts bis wenig an den Schulen vor Ort angekommen. Dennoch sollen jetzt im (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Nachtragshaushalt nochmals 500 Millionen Euro für Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Endgeräte hinzukommen. Die Länder haben über Jahr- zehnte Modernisierung und Instandhaltung von Das ist unsere Überzeugung, und das steht nicht im Schulgebäuden vernachlässigt. Ein milliardenhoher In- Widerspruch dazu, dass wir jetzt handeln, sondern das vestitionsstau ist dadurch bundesweit aufgelaufen. Was ermöglicht uns, jetzt zu handeln. Wir können das tun, nützt das schicke neue Tablet, wenn das Internet krie- weil wir eine Notsituation haben, und genau so ist es ja chend langsam ist und der Putz von der Wand bröselt? bei der Schuldenbremse vorgesehen. Die Schuldenbrem- se sorgt für Solidität, aber in Krisenzeiten ermöglicht sie (Beifall bei der AfD) die Schuldenaufnahme. Deshalb ist für uns völlig klar: 21150 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Andreas Jung (A) Da wird nicht am Grundgesetz herumgemacht. Die Es geht um nachhaltige Mobilität. Sie haben vergessen, (C) Schuldenbremse bleibt als Garant, als Garantie für Soli- die Milliarden für die Schiene zu erwähnen, die Unter- dität auch in der Zukunft. Daran wird nicht gerüttelt. stützung für den ÖPNV, die Mittel für die energetische Sanierung, ja, auch für die digitale Infrastruktur der (Beifall bei der CDU/CSU) Schulen, weil es auch da um die Zukunft unserer Kinder Ja, wir haben eine Krisensituation, Herr Boehringer. geht. Aber diese Krise liegt nicht an den Maßnahmen gegen Corona; die liegt an dem Virus, die liegt an der Pandemie, (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Hätte schon die liegt an den harten Folgen, die dieses Virus und die längst passieren müssen!) Pandemie überall in unserem Land verursachen. Deshalb Es ist ein Programm für die Zukunft, es ist eine Vitamin- müssen wir handeln, und deshalb übernehmen wir jetzt spritze für die Zukunft unseres Landes. auch diese Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall der Abg. [CDU/CSU]) Deshalb bringen wir es auf den Weg. Ecki Rehberg hat Für uns ist dabei entscheidend, dass wir die Schulden- es gesagt: Für uns ist es schwer, Schulden aufzunehmen, aufnahme jetzt mit der klaren Ansage, mit dem Verspre- aber unter den genannten Prämissen halten wir es für chen verbinden: Wir werden, sobald es wieder besser vertretbar. Deshalb bringen wir es auf den Weg, und des- läuft, sobald die Maßnahmen ihre Wirkung zeigen, so- halb ergreifen wir diese Maßnahmen in Deutschland, die bald die Konjunktur anspringt, darangehen, die Schulden wir durch die Maßnahmen ergänzen, mit denen wir Soli- zurückzuzahlen. Wir werden das nicht mit Steuererhö- darität in Europa zum Ausdruck bringen. hungen tun, weil diese die soziale Marktwirtschaft nicht stärken, sondern behindern. Wir wollen das dadurch tun, Herr Boehringer, ich habe sehr gut zugehört, als der dass wir gemeinsam mit den Bürgern und Betrieben die- Bundestagspräsident heute zum Eingang Paul Löbe ge- ses Land voranbringen und die Mittel nutzen, um zu würdigt hat. Dieser hat den Satz gesagt: Demokratie soliden Haushalten zurückzukommen. Wir, diese Gene- braucht Demokraten; sonst scheitert sie. – Dasselbe gilt ration, werden die Schulden, die wir jetzt aufnehmen, für Europa: Europa braucht Europäer; sonst wird Europa zurückzahlen. Wir haben uns gegen alles gewehrt, was scheitern. – Und das unterscheidet uns: Gerade weil wir zur Folge gehabt hätte, dass mehr Schulden längere Til- unser Land lieben, sind wir überzeugte Europäer. Das ist gung bedeuten. Nein, wir dürfen nichts in die Zukunft die Lehre aus unserer Geschichte, und das ist die Einsicht verschieben. Diese Generation muss die Schulden wieder heute: Ein starkes Deutschland gibt es nur mit einem zurückzahlen. starken Europa. Wir bringen aus Überzeugung beides zusammen und beides voran. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Herzlichen Dank. Und es ist entscheidend, wofür die Mittel eingesetzt werden. Wir sind von diesem Programm überzeugt, weil (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es ein Programm für alle ist, ein Programm für alle, die ordneten der SPD) jetzt hart von Corona betroffen sind: für alle Bürger, für alle Betriebe, für alle Kommunen in Deutschland. Des- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: halb wird es seine Wirkung entfalten: mit Steuererleichte- Otto Fricke, FDP, ist der nächste Redner. rungen, mit der Deckelung von Sozialabgaben, mit dem Bremsen von Energiekosten, mit der Stärkung von Krei- (Beifall bei der FDP) sen und Kommunen, mit der Stärkung der Investitions- kraft von Bürgern, von Betrieben, von Kommunen. Da- Otto Fricke (FDP): rauf setzen wir, und das bringen wir gemeinsam voran. Geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Anders als beim ersten Nachtrag geht es bei diesem (Beifall bei der CDU/CSU) zweiten Nachtrag nicht mehr darum, den Brand zu lö- Herr Kindler, selbstverständlich ist es ein Programm, schen, der aufgrund von Corona entstanden ist, sondern das beides zusammenbringt: jetzt die Maßnahmen für die dafür zu sorgen, dass das Haus Deutschland saniert und Konjunktur und gleichzeitig die Maßnahmen für die Zu- wieder richtig aufgebaut wird. Ich will für meine Fraktion kunft. Das macht die Qualität dieses Programms aus. Sie ausdrücklich sagen: Ja, in diesem zweiten Nachtrag, im haben ja schon fast gesagt, das Programm sei sehr viel Haushaltsbegleitgesetz sind Elemente, die sind richtig, besser, als Sie erwartet haben. Im Schwäbischen gibt es die sind nötig; aber sie sind nicht mutig. den Satz: Nicht geschumpfen ist genug gelobt. – Ich hätte Immer da, wo man eigentlich etwas hätte tun können, mir noch ein bisschen mehr Begeisterung vorstellen kön- um zielgerichtet Deutschland nach vorne zu bringen, nen. bleibt es bei kleinen Maßnahmen. Und da, wo man Mittel (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE pauschal verteilt – siehe Mehrwertsteuer, die Herr Jung GRÜNEN]: Das war für ihn ziemlich viel!) übrigens schon gar nicht mehr angesprochen hat, bei der man schon merkt, dass auch die CDU sich inzwischen für Deshalb will ich es nachholen und hier noch einmal diese Idee des Finanzministers schämt –, achtet man nicht herausstellen, was in diesem Programm enthalten ist für auf die Wirkung. die Zukunft unseres Landes, für Weichenstellungen, die für Deutschland auch darüber hinaus wichtig sind. Da Meine Damen und Herren, dieser zweite Nachtrag ist geht es um die Wasserstoffstrategie, um neue Energie. ein Nachtrag nach dem alten Motto: Wir geben einfach Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21151

Otto Fricke (A) mal mehr aus. Wir müssen das nicht zielgerichtet ma- unser Vorschlag der Basisrente ist sicherlich besser –; (C) chen. Wir verkaufen das schön laut. Aber eigentlich geht aber wenn man dieser Meinung ist es bei der Zukunft darum, für das, was wir immer schon haben wollten, Geld auszugeben. – Das ist kein Nach- (Zuruf der Abg. [SPD]) tragshaushalt, sondern das ist das übliche Weiter-so die- ser Großen Koalition, und das Wurschteln wird so auch – Frau Esken, schön übrigens, dass Sie mal hier im Parla- bis zum Ende der Legislatur weitergehen. ment sind –, dann muss man sich doch überlegen, wann man sie einführt. Dann kann man nicht sagen: Wir haben (Beifall bei der FDP) eine Notsituation, und jetzt baue ich den Sozialstaat an dieser Stelle noch weiter aus Meine Damen und Herren, das Spannende ist dann aber nicht nur, was Sie an dieser Stelle machen, sondern (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wo ist denn ist die Frage, wie Sie es finanzieren. Wir müssen nachher dein Fraktionschef?) hier – die Väter und Mütter des Grundgesetzes bzw. die- jenigen, die danach dafür verantwortlich waren, haben und kümmere mich nicht um die Frage, wie ich Arbeits- das festgelegt – mit Kanzlermehrheit feststellen, dass plätze erhalte. – Das wäre als Sozialdemokratie eigentlich wir erneut eine Notsituation haben – nicht nur die, die Ihre Kernaufgabe gewesen. wir beim ersten Nachtrag festgestellt haben, sondern er- neut eine Notsituation –, die es notwendig macht, über (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Wo das, was uns die Schuldenbremse in Verbindung mit der ist eigentlich Herr Lindner?) ersten Notsituation erlaubt, hinauszugehen. Da kann ich Meine Damen und Herren, dann will ich noch etwas nur sagen: Das ist eine Notsituation ohne Not sagen – das ärgert mich am meisten; da bin ich mit dem (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Richtig! – Kollegen Rehberg, glaube ich, ziemlich einig –: Schauen Zurufe von der SPD: Oh!) Sie doch noch einmal auf die Bundesratsbank. An dieje- nigen, die uns jetzt zuschauen und zuhören: Das ist die bzw. eine bewusst selbstgemachte Notsituation dieser Bank mit den eigentlichen Gewinnern dieses Haushaltes. Großen Koalition. Der Bundesrat wird aufgrund dieses Gesetzes erneut Un- terstützung, Subventionen und Geld für Aufgaben be- (Beifall bei der FDP) kommen, Meine Damen und Herren, das kann ich auch noch einmal klar verdeutlichen: Wir als FDP-Fraktion haben (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja!) klar gesagt: Die Zielgerichtetheit – etwa bei der Frage der (B) die eigentlich aus seinen Mitteln finanziert werden müss- (D) steuerlichen Regelung für Unternehmen beim Abschrei- ten, und das bei einem Bundesrat, der inzwischen mehr ben, bei der Frage des Mittelstandsbauches, bei der Frage Steuern einnimmt als der Bundestag. der Gewinn-Verlust-Verrechnungen usw. – wäre möglich gewesen. Diese Maßnahmen wären auch möglich gewe- Wenn Sie sich einmal vorstellen, dass wir inzwischen sen ohne Notsituation, indem man Rücklagen auflöst. in einer Situation sind, in der eine Ebene nur noch das Rücklagen sind für Zeiten der Not, und dann löst man Geld einsackt, aber sagt: „Ihr seid dafür verantwortlich, sie auf, und nicht wie Sie, Herr Minister: Man vergrößert dass es gemacht und bezahlt wird“, sie noch, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Albern!) (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Genau!) dann erkennen Sie, dass das auf Dauer dazu führen wird, um sich für den Wahlkampf und die eigene Kanzlerkan- dass der Bund nicht mehr seine Kernaufgaben wahrneh- didatur eine Reserve zu verschaffen. – Das kann unsere men kann. Wenn das irgendwann passiert, meine Damen Unterstützung in keiner Weise finden. und Herren, dann will es wieder keiner gewesen sein. (Beifall bei der FDP) Aber da kann ich Ihnen ganz genau sagen: Dazu ist dieser zweite Nachtragshaushalt ein weiteres Puzzlestück. Meine Damen und Herren, dann sagt man auch noch: Wir helfen mit der großen Bazooka. – Für mich ist das Zu den jetzt anstehenden Grundgesetzänderungen – immer nur wie klebriges Kaugummi, wenn ich das Wort das sage ich auch in Richtung CDU/CSU –: Ich war sehr „Bazooka“ höre. Sie machen das im Endeffekt so, dass froh über die Äußerung zu der Frage, wie wir das mit den Sie an allen alten Maßnahmen festhalten. Der Kollege Gewerbesteuerausfällen machen. Ja, bei den Kosten der Heil sitzt hier auch, und der lächelt heute schon den Unterkunft sind wir als FDP sicherlich bereit, für die ganzen Tag. Warum lächelt er? Weil er sagt: Ich bekom- notwendige Zweidrittelmehrheit zu sorgen. Aber wir ha- me die Grundrente endlich durch. – Das ist aber nicht ben noch enorme Bedenken an dieser Stelle. Ich bin sehr etwas, was Sie durchbekommen wollen, um heute in gespannt, was da noch an Vorschlägen kommen wird, um der Krise, in einer Notsituation zu helfen, sondern weil das wenigstens besser zu machen, ohne dass diese Geis- Sie es immer schon wollten. Das ist, wie diese Regierung terbank vom Bundesrat am Ende der Gewinner ist, der vorgeht: Hauptsache, man bekommt das, was man immer nichts tut, aber viel Geld bekommt. schon wollte. Herzlichen Dank. Das sage ich Ihnen von der SPD: Man kann der Mei- nung sein, dass die Grundrente die richtige Lösung ist – (Beifall bei der FDP) 21152 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zwischen denjenigen, die einen guten Zugang zu Bildung (C) Herr Kollege Fricke, darf ich, während das Rednerpult haben, und denjenigen, die keinen Zugang zu Bildung für den nächsten Redner gerichtet wird, nur der Korrekt- haben in diesem Land, manifestieren, sondern jedem eine heit halber darauf hinweisen: Auch der Bundesrat ist ein Chance geben, insbesondere jedem Kind. Verfassungsorgan des Bundes; Sie haben vermutlich die Länder gemeint. Wir sind auch ein Verfassungsorgan des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bundes. Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, dann macht das mal in den Ländern!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- An dieser Stelle eine Sache, die mir bei dieser Debatte SES 90/DIE GRÜNEN) aufgefallen ist: Frauen haben in diesem Land Großartiges Jetzt aber hat das Wort die Kollegin Ekin Deligöz, geleistet in der Krise. Sie haben das Wunder vollbracht, Bündnis 90/Die Grünen. Homeoffice und Kinderbetreuung zu vereinbaren, zur gleichen Zeit, zur gleichen Stunde. Sie waren die Frauen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an den Kassen, als alle zu Hause blieben. Sie waren diejenigen in den Pflegeheimen, in den Krankenhäusern, Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Mehrfachschichten gearbeitet haben. Frauen haben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die- diese Krise mit geschultert. Die Redezeit von Frauen in se Pandemie hat uns eines gezeigt, nämlich wie wichtig dieser Debatte mit einer Dauer von 90 Minuten beträgt die Daseinsvorsorge vor Ort in den Kommunen ist. Viele gerade einmal 16 Minuten. Frauen sind die Hälfte der Kommunen leiden. Sie haben kaum noch Spielräume, Gesellschaft, aber sie sind nicht die Hälfte dieses Parla- und in letzter Not können sie ihre Kernaufgaben erfüllen. ments. Die Zeit ist reif für eine Parität – jetzt erst recht! Ich nenne Ihnen nur ein paar Stichworte: ÖPNV, Sozial- kosten, Wohnungsbau oder auch der Strukturwandel vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ort. – Gerade deshalb ist es richtig und es ist auch wich- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- tig, dass wir sie mit Kosten der Unterkunft hier an dieser KEN) Stelle entlasten. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) , SPD, ist die nächste Rednerin. Die Kommunen sind sprichwörtlich der Ast, auf dem wir sitzen. Aber, Herr Minister, diese Maßnahme ver- (Beifall bei der SPD) schafft nur ein Mal ein kurzes Atmen auf Zeit. Denn (B) vielen Kommunen in Not wird das alleine nicht genügen. Sonja Amalie Steffen (SPD): (D) Stattdessen müssen wir mehr Entschlossenheit zeigen, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wenn es darum geht, die Altschulden zu streichen. Das Kollegen! Ich möchte in dieser Debatte zum zweiten erst verschafft ihnen die Rahmenbedingungen und die Nachtragshaushalt Punkte aufgreifen, die gerade den Freiheit, zu handeln und vor Ort in die Zukunft zu inves- von der Coronapandemie besonders betroffenen Perso- tieren. nengruppen zugutekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hier geht es als Erstes um die Kulturschaffenden. Wir sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE stellen mit diesem Haushalt 1 Milliarde Euro für den LINKE]) Kultursektor zur Verfügung; Diese klaren Verhältnisse wünsche ich mir, ehrlich ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sagt, aber auch für die Sozialversicherungen. Es reicht nicht, jetzt nur darüber zu reden, wie wir ihnen mit Kredi- denn es sind besonders die Kreativen, die maximal von ten kurzfristig Spielräume geben, sondern wir brauchen der Krise betroffen sind: die Bühnenkünste, die Klubs langfristig Stabilität und Handlungsfähigkeit für die und auch die Festivals. Frau Staatsministerin Grütters Kommunen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Was ist hat gestern darauf hingewiesen, dass beispielsweise Tän- denn mit der Arbeitslosenversicherung? Werden Sie auch zerinnen und Tänzer häufig ohnehin nur eine Zeitspanne im nächsten Jahr noch Zeit, Platz und Mittel haben, in die von 10 bis 15 Jahren haben, in der sie ihren Beruf aus- Qualifizierung zu investieren? Werden Sie auch Weiter- üben können; deshalb ist diese Zeit für sie besonders bildung voranbringen können? Reden wir hier über Kre- schlimm. Festivals, die so viele Menschen lieben, die dite, oder reden wir über Handlungsspielräume für diese für viele Menschen – übrigens auch für mich – zu einem Agentur? Darüber müssen wir auch hier in diesem Haus richtigen Sommer einfach dazugehören, sind in diesem noch einmal reden; Sommer komplett gestrichen. Deshalb brauchen die Kre- ativen unsere Hilfe, und zwar jetzt. Wir unterstützen sie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit das Jahr 2021 wieder ein Karneval der Kulturen wird, und zwar nicht nur in Berlin. denn so, wie Sie das gelöst haben, wird es uns langfristig nicht helfen. (Beifall bei der SPD) Was verbindet die Kommunen mit den Sozialversiche- Es geht bei den besonders betroffenen Personengrup- rungen? Beides verhindert die Spaltung dieser Gesell- pen auch um die Kinder und die Jugendlichen. Unsere schaft. Genau das ist der Auftrag in einer Krise: dass jungen Menschen, unsere Kinder haben in den letzten wir nicht die Spaltung zwischen Arm und Reich sowie Monaten eine schlimme Zeit erlebt: Statt auf dem Schul- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21153

Sonja Amalie Steffen (A) hof und in der Schule mit Freunden zu lernen und zu Vielen Dank. (C) spielen, mussten sie zu Hause bleiben. Statt intensiver Prüfungsvorbereitung der Abiturienten beispielsweise (Beifall bei der SPD) mit Klassenkameraden, statt Mottowochen, statt emotio- naler Verabschiedung von der Schulzeit mussten sie ihren Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Abschluss mit Mundschutz und in kleinstem Kreis über Karsten Klein, FDP, ist der nächste Redner. die Bühne bringen. (Beifall bei der FDP) Ja, Kinder und Familien haben in den letzten Wochen extrem viel aushalten müssen. Was liegt da näher, als Karsten Klein (FDP): unser Konjunkturpaket auf Kinder, Familien und Bildung auszurichten? Der Kinderbonus ist eine wirkungsvolle Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und familienpolitische Maßnahme, einfach und unbürokra- Kollegen! Ich möchte zu Beginn, mit Ihrer Erlaubnis, tisch. Im September wird es ohne weiteren Antrag für allen Franken heute einen schönen Tag der Franken wün- jeden Kindergeldberechtigten und jede Kindergeldbe- schen! rechtigte 200 Euro mehr zum Kindergeld geben und im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Oktober 100 Euro mehr. Diese Leistung kommt 18 Millio- der SPD – Zurufe von der SPD: Oh!) nen Kindern und Jugendlichen zugute. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Beratungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zum zweiten Nachtragshaushalt ist noch einmal der Un- der CDU/CSU) terschied zwischen der Bundesregierung und den sie tra- Am allermeisten haben übrigens – ich glaube, da sind genden Fraktionen und der FDP-Fraktion deutlich gewor- wir uns fast alle einig – die Alleinerziehenden unter der den: Wir wollen über Entlastungen das Geld bei den Krise gelitten. Bürgerinnen und Bürgern und bei den Unternehmen be- lassen, damit sie unmittelbar und schnell entscheiden (Beifall bei Abgeordneten der SPD) können, ob sie investieren, konsumieren oder sparen. Sie hatten sehr oft große Jobängste, sie waren im Home- Sie wollen das Geld den Bürgern wegnehmen, um dann office, sie mussten nebenher – meistens alleine – ihre großzügig das Geld über mehr als 60 Programme zurück- Kinder betreuen. Deshalb ist es gut und richtig, dass der zuverteilen. Steuerfreibetrag für Alleinerziehende von 1 908 Euro auf (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- 4 008 Euro erhöht wurde. furt] [SPD]: Wir nehmen Kredite auf!) (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie stellen den Staat in den Mittelpunkt des Auf- (D) Besonders wirkungsvoll wird jedoch sein, dass wir als schwungs. Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt Bund für den Ausbau der Ganztagsbetreuung 750 Millio- des Aufschwungs. nen Euro in diesem Nachtragshaushalt zur Verfügung stellen. Mit dem Geld modernisieren wir Schulen, bauen (Beifall bei der FDP) moderne Klassenräume und sanieren Schultoiletten, alles Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber nur ein unter dem Motto „Gute Ganztagsbetreuung für unsere Unterschied, der uns ausmacht. Kinder“. Ein weiterer Unterschied ist, dass bei Ihnen Reden und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Handeln auseinanderfällt. Dafür möchte ich zwei Bei- Unsere Familienministerin, Franziska Giffey, hat uns spiele nennen. gestern versichert, dass sie schon in den nächsten Wochen Erstes Beispiel: Neuverschuldung. Ende Mai 2020 – mit den Ländern zusammensitzen wird, um einen Plan ich weise darauf hin, damit wir da nicht auseinanderge- auszuarbeiten, wie das Geld konkret eingesetzt werden hen – hat Dr. Markus Söder, Landesvorsitzender der CSU kann. und Mitglied des Koalitionsausschusses, eine Obergrenze (Beifall bei der SPD) für die Neuverschuldung gefordert, um im selben Atem- zug – so wie auch Sie hier, liebe Kolleginnen und Kol- Mein Kollege Dennis Rohde hat schon darauf hinge- legen der CSU im Deutschen Bundestag – eine Neuver- wiesen, dass auch die Jugendherbergen und die Jugend- schuldung zu beschließen, durch die Bürgerinnen und bildungsstätten von diesem Nachtragshaushalt profitie- Bürger und zukünftige Generationen belastet werden. ren. Sie leiden massiv unter der Pandemie. Tausende Der Bundesrechnungshof – und nicht nur er – ist der Klassenreisen wurden abgesagt. Schullandheime stehen Meinung, dass sie nicht nötig wäre. Erster Unterschied: leer. Deshalb ist es prima, dass wir in diesem Nachtrags- Reden und Handeln fällt bei der CSU auseinander. haushalt 100 Millionen Euro für diese Organisationen zur Verfügung stellen können. (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]) Sie sehen, dieser zweite Nachtragshaushalt hat einen starken sozialdemokratischen Inhalt. Es geht heute mit Zweites Beispiel: Thema Steuersenkung. Im Februar diesem sozialdemokratischen Inhalt weiter: Wir werden 2020, Hans Michelbach: Solidaritätszuschlag, Unterneh- gleich die Grundrente beschließen. Für 1,3 Millionen mensbesteuerung, Mittelstandsbauch – es wäre jetzt drin- Rentnerinnen und Rentner wird sie gelten. Was für ein gend nötig, all das abzuschaffen oder zu senken. – Im Mai schöner Tag! 2020 im Zuge der Steuerschätzung haben Sie, Herr Kol- 21154 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Karsten Klein (A) lege Dobrindt, gefordert, dass der Solidaritätszuschlag Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): (C) abgeschafft werden soll. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Klein, machen Sie sich keine Sorgen: Die (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Richtig!) Union, die SPD, die Koalition ist mutig. Wir legen hier Bei jeder Gelegenheit fordern die Kolleginnen und Kol- ein mutiges Zukunftspaket vor, über das wir gleich ab- legen der Union die Abschaffung des Solidaritätszu- stimmen. Überlegen Sie es sich noch einmal! Stimmen schlags. Sie zu! Sie würden Deutschland in der Krise einen großen Gefallen tun. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Richtig so!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Am Montag haben Sie uns erklärt: Jetzt ist nicht der Zeit- ordneten der SPD) punkt dafür. Meine Damen und Herren, ich will die Perspektive (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: 1. Januar ist etwas weiten. Wir stehen jetzt am Beginn eines neuen der Zeitpunkt!) Jahrzehnts. In den 20er-Jahren wird sich die Welt neu ordnen. Wir beobachten schon seit Längerem, wie sich Ich will noch einmal für Sie festhalten: Einen Impuls in geopolitisch, wirtschaftlich die Kräfte verschieben. Die einer Krisensituation zu geben mit der Abschaffung des Aufgabe unserer Politikergeneration ist es, dafür zu sor- Solidaritätszuschlags – kein Zeitpunkt dafür. In der Phase gen, dass in dieser neuen Welt Europa auch weiterhin ein vorher mit Rekordsteuereinnahmen und Steuerzuwäch- Kraftzentrum ist. sen – kein Zeitpunkt für die Abschaffung des Solidaritäts- zuschlags. Mit der Coronapandemie, die jetzt in diesen Prozess platzt, kommt natürlich eine ganz neue Dynamik hinein. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Am 1. Ja- Die Karten werden neu gemischt. Es kommt jetzt nicht nuar, Herr Kollege!) mehr darauf an, wer politisch oder militärisch der Stärk- ste ist, sondern es kommt ganz stark darauf an, wer diese Auslaufen des Solidarpakts – kein Zeitpunkt zur Ab- Krise am besten managt. schaffung des Solidaritätszuschlags. Wenn viele ernstzu- nehmende Verfassungsrechtler die Verfassungsmäßigkeit Meine Damen und Herren, die erste Runde ging klar an des Solidaritätszuschlags infrage stellen – kein Zeitpunkt Deutschland. Wir haben es geschafft, die Verbreitung des für die CSU, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Virus ziemlich schnell einzudämmen. Wir haben eine international äußerst niedrige Sterblichkeit, und unser (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: 1. Januar!) (B) Sozial- und unser Gesundheitssystem haben gehalten, (D) Wenn Ihre eigenen Experten in der Anhörung des Haus- auch dank der Maßnahmen, die wir im ersten Nachtrags- haltsausschusses am Montag noch einmal die Abschaf- haushalt mit verabschiedet haben. Ich denke an die So- fung des Solidaritätszuschlags vorschlagen – kein Zeit- forthilfen oder an die Stärkung unseres Gesundheitssys- punkt für die Union, den Solidaritätszuschlag tems. abzuschaffen. Aber jetzt stehen wir vor der zweiten Runde. Die Frage (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist jetzt: Wie schaffen wir es, dass unser Land aus der der AfD) stärksten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gut und nachhaltig stark wieder herauskommt? Ein Teil Deshalb möchte ich Sie noch mal auffordern: Stimmen dieser Antwort liegt heute auf dem Tisch – darüber stim- Sie unserem Entschließungsantrag zu. men wir ab –: der Nachtragshaushalt. Es geht um ein Volumen von 103 Milliarden Euro. Damit kompensieren (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Niemals!) wir natürlich zuerst einmal auch die Steuermindereinnah- Senken Sie die Steuern. Schaffen Sie den Mittelstands- men, die wir haben. Die Steuereinnahmen sind massiv bauch und den Solidaritätszuschlag ab. Investieren Sie, eingebrochen. Wir sind jetzt bei 40 Milliarden Euro weni- entfesseln Sie. Wir sind mutig. Seien Sie es auch, liebe ger; wir lagen bei Schätzungen im März noch bei 33 Mil- Kolleginnen und Kollegen der Union. liarden Euro. Vielen Dank. An dieser Position können wir unmittelbar nichts ver- ändern. Was wir aber tun können, ist, dafür zu sorgen, (Beifall bei der FDP – Alexander Dobrindt dass die Konjunktur wieder anspringt. Deswegen senken [CDU/CSU]: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir die Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr. Deswegen am 1. Januar der Solidaritätszuschlag abge- schaffen wir bessere Abschreibungsbedingungen. Des- schafft wird für 90 Prozent der Steuerzahler! wegen ziehen wir Investitionen des Bundes, wo es geht, Warum nehmen Sie das nicht zur Kenntnis?) vor. Wir waren im Januar bei 42 Milliarden Euro Inves- titionen des Bundes. Wir sind jetzt bei 72 Milliarden Euro Investitionen des Bundes für 2020. Das ist ein starkes und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ein mutiges Signal, meine Damen und Herren. Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU, ist der nächste Red- ner. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist die erste Zielsetzung: Konjunktur anschieben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21155

Dr. Reinhard Brandl (A) Die zweite Zielsetzung ist, Stabilität und Sicherheit zu Herzlichen Dank. (C) geben. Die Menschen werden nämlich nur dann konsu- mieren, wenn sie Sicherheit haben. Deswegen unterstüt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zen wir mit diesem Paket auch weiterhin diejenigen, die ordneten der SPD) besonders von der Krise betroffen waren: auf der einen Seite die Familien, auf der anderen Seite Unternehmen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die große Umsatzeinbrüche haben. Wir halten die Lohn- Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Daldrup, nebenkosten stabil. Wir helfen den Kommunen, gemein- SPD. nützigen Einrichtungen, den Kulturschaffenden und, und, und. (Beifall bei der SPD) Aber, meine Damen und Herren, das ist noch nicht das Bernhard Daldrup (SPD): Entscheidende; denn damit erhalten wir nur den Status Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- quo. Was dieses Paket – und das ist das Entscheidende, nächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Präsident, sehr Herr Klein, passen Sie auf – so gut und so wichtig macht, herzlich für die Erinnerung an Paul Löbe bedanken. Ich ist, dass wir in die Zukunft investieren. Unser Anspruch bin als Sozialdemokrat sehr stolz auf diesen ehemaligen ist nicht, dass Deutschland so herauskommt, wie es war; Präsidenten des Reichstages und empfehle jedem, den unser Anspruch ist, Deutschland damit besser zu machen. Text neben seiner Büste am Paul-Löbe-Haus zu lesen. Wir investieren Milliarden in neue Technologien – 5G, Dann weiß man, was ein wirklicher Patriot ist. Wasserstoff, Quantencomputer –, wir stärken unsere For- schungseinrichtungen, wir fördern Klimaschutz, Elektro- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Alexander mobilität. Wir investieren massiv in die Zukunft. Das ist Dobrindt [CDU/CSU]) die Stärke Deutschlands. Unsere gesamten Konjunktur- Zweitens komme ich auf Herrn Fricke; leider ist er maßnahmen entsprechen ungefähr 13,4 Prozent unseres nicht da. Bruttoinlandsproduktes. Im Vergleich dazu betragen die Maßnahmen in England 4,8 Prozent und in Frankreich (Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) 2,4 Prozent . Das zeigt unsere Stärke. – Doch, er ist da. – Ich möchte Ihnen empfehlen, Herr Wir haben diese Stärke nur aus einem einzigen Grund, Fricke, die Frage der Anwesenheit hier im Parlament nämlich weil wir seit 2013 keine neuen Schulden ge- nicht mit Frau Esken, sondern vielleicht einmal mit Herrn macht haben. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Lindner zu diskutieren. Jetzt ist eine solche Notsituation. Aber, meine Kollegen (Beifall bei der SPD – Carsten Schneider [Er- (B) und Herr Kindler von den Grünen: Jeder Trumpf sticht furt] [SPD]: Das ist der Fraktionsvorsitzende! – (D) nur einmal. Wir müssen zusehen, dass wir so schnell wie Gegenruf der Abg. Bettina Stark-Watzinger möglich zur finanzpolitischen Solidität zurückkommen. [FDP]: Wo ist Ihr Fraktionsvorsitzender?) Die nächste Krise kommt bestimmt. Deswegen ist unser Ziel, so bald wie möglich auch mit der Rückzahlung Drittens. Ich bin kein Kind von Traurigkeit, wenn es dieser Schulden zu beginnen, am besten ab 2023. um so manche Formulierung geht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der FDP) – Das bin ich nicht. – Aber, Herr Dürr, wenn Sie glauben, Meine Damen und Herren, selbst wenn dieser Plan Sie dürften sich erheben und den Bundesfinanzminister aufgeht, selbst wenn wir gut und sicher aus dieser Krise hier öffentlich als Verfassungsbrecher bezeichnen, dann herauskommen, wird Deutschland allein am Ende des sage ich dazu: Das ist nichts als eine anmaßende Unver- Jahrzehnts nur ein kleines Licht auf der Welt sein. Unser schämtheit. Die lassen wir uns nicht bieten! globales Schicksal hängt an der Stärke Europas. Seit ges- tern haben wir die EU-Ratspräsidentschaft inne und ha- (Beifall bei der SPD) ben auch aus diesem Grund eine ganz besondere Verant- wortung für Europa. Die Krisen der 2010er-Jahre – Euro- Eine anmaßende Unverschämtheit! Flegelhaft! Sie soll- Krise, Flüchtlingskrise – haben Europa auseinanderge- ten sich schämen! trieben. Sie waren Spaltpilze. Wir müssen diese Corona- (Christian Dürr [FDP]: Aber warum machen krise jetzt auch nutzen, damit Europa wieder zusammen- Sie das?) wächst und wieder zusammenarbeitet; denn wenn uns das nicht gelingt, dann werden wir am Ende des Jahrzehnts Wenn wir uns einmal die Maßnahmen ansehen, mit nur eine Ansammlung von kleinen Lichtlein sein zwi- denen wir den Menschen in dieser Situation helfen, dann schen einem großen strahlenden China und vielleicht sind es erst einmal die Hilfen für Familien, für Menschen, den USA. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. die diese unmittelbar brauchen in unterschiedlichen Le- benslagen. Meine Kollegin Sonja Steffen hat beispiels- Wir haben uns all das nicht ausgesucht. Liebend gern weise auf die Vereine hingewiesen. Zweitens sind es würde ich hier die schwarze Null weiter verteidigen. Ich Maßnahmen, die sich an die vielen wirtschaftlichen Ak- hoffe, dass ich das bald wieder kann. Aber jetzt, meine teure richten, an Unternehmen, an Branchen wie den Damen und Herren, müssen wir handeln. Wir müssen Tourismus beispielsweise usw. Drittens betreffen sie die Deutschland aus dieser Krise herausführen. Wir haben Ebene im Staat, ohne die hier in Deutschland nicht ganz dafür gute Karten. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustim- so viel läuft, nämlich die Kommunen. Für uns ist klar: mung. Wir stehen an der Seite der Kommunen. Ich bin dem 21156 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Bernhard Daldrup (A) Bundesfinanzminister dankbar, dass er das ganz zu An- leine lösen könnte. Davon bin ich, ehrlich gesagt, nicht so (C) fang betont hat. ganz überzeugt. Und das ist auch, glaube ich, nicht hinrei- chend solidarisch. (Beifall bei der SPD) Mit der Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Ich will deshalb über die Folgen für diese Orte der Unterkunft für Langzeitarbeitslose von knapp 50 auf bis Wahrheit und Wirklichkeit, wie sie ein kommunalpoliti- zu 75 Prozent werden die Kommunen in einer Größ- scher Sprecher, Hermann Schmitt-Vockenhausen – viel- enordnung von rund 4 Milliarden Euro entlastet – und leicht kennt den Namen noch der eine oder andere –, das dauerhaft. Das sind richtig große Beträge. Da geht einmal bezeichnet hat, sprechen, über Heimat, wenn Sie es in Essen um jährlich 60 Millionen Euro, in Wuppertal so wollen. Wir haben bereits mit der Senkung der Mehr- um 30 Millionen Euro. Die sozial belasteten Kommunen wertsteuer und mit dem Kinderbonus den Kommunen profitieren unmittelbar und haben sehr viel davon. Wir Belastungen in Höhe von knapp 1 Milliarde Euro genom- wollen aber nicht, dass es zu einer Bundesauftragsver- men, die diese sonst zu tragen hätten. Diese Kosten trägt waltung kommt. Ich hätte gut damit leben können, aber der Bund alleine. so ist das eben zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Aber wir Heute geben wir eine Antwort auf die Frage, wie wir erhöhen jedenfalls die kommunale Handlungsfähigkeit die Kommunen in dieser konjunkturellen Situation stär- an ganz entscheidender Stelle. ken können. Damit die Wirkung möglichst schnell ein- Ich will in diesem Zusammenhang aber auch sagen, tritt, geht es nicht nur um die Stärkung der Investitions- dass wir, wie ich glaube, hinreichende Skepsis gegenüber kraft, sondern auch darum, dass wir den Kommunen den Ländern haben sollten. Aber die hier – bisweilen Ausfälle bei einer der wichtigsten Einnahmequellen er- jedenfalls – durchklingende Verachtung gegenüber dem setzen, und das ist die Gewerbesteuer. Rund 12 Milliarden Föderalismus teile ich nicht. Euro sind für die Kommunen eine gewaltige Summe. Bund und Länder werden diese Kosten, wenn wir es denn (Beifall bei Abgeordneten der SPD) beschließen, je zur Hälfte ausgleichen. Auch die Länder werden ihre Handlungsmöglichkeiten Die Frage des Ob ist hier, glaube ich, nicht strittig. sicherlich ausnutzen. Wir sollten diese Form der Kritik, Aber es stellt sich die Frage – das ist eben schon ver- mit diesem Soupçon, jedenfalls nicht weiter fortsetzen. schiedentlich erklärt worden –, ob dazu eine Grund- Das ist, glaube ich, nicht gut für unser Land. gesetzänderung nötig ist oder ob es nicht vielleicht andere Zum Schluss – das ist die letzte Bemerkung, die ich Wege gegeben hätte, etwa über Festbeträge bei der Um- machen will –: Es gibt eine ganze Reihe von Einzelpro- satzsteuerverteilung, über einen Staatsvertrag oder über jekten, auf die an dieser Stelle hingewiesen worden ist, (B) sonst etwas. Ich glaube, andere Wege haben nicht offen- die ich hier nicht wiederholen muss. Für uns ist jedenfalls (D) gestanden, wenn man will, was hier alle Rednerinnen und klar: In der Krise und damit wir aus dieser auch wieder Redner immer wieder sagen, nämlich dass das Geld nicht herauskommen, stehen wir auch an der Seite der Kom- an den „klebrigen Fingern“ der Länder hängen bleibt. munen, den Orten von Wahrheit und Wirklichkeit. Deswegen schaffen wir eine einmalige Ausnahmerege- lung, die es dem Bund ermöglicht, einen pauschalen Aus- Herzlichen Dank. gleich der pandemiebedingten Gewerbesteuerausfälle der Gemeinden zu gleichen Teilen jeweils mit den Ländern (Beifall bei der SPD) zu leisten. Und in dieser Form ist das, glaube ich, Herr Kollege Rehberg, auch durchsetzbar. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Frauke Petry. (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Nein!) Dr. Frauke Petry (fraktionslos): Allerdings ist viel wichtiger, dass wir das Grundgesetz Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und an einer anderen Stelle ändern – und das ist dann eben Herren! Die Bundesregierung fordert den Bundestag heu- keine temporäre Angelegenheit. In der Tat wollten wir te auf, einen zweiten Nachtragshaushalt zu verabschie- diese Änderung immer schon. Es ist nicht weiter proble- den, der neue Schulden von fast 220 Milliarden Euro matisch, wenn man das durchsetzt, was man immer schon beinhaltet, elementare Grundlagen der Kreditaufnahme wollte, nämlich gleichwertige Lebensbedingungen auch missachtet und Milliarden in Sondertöpfen heimlich ver- dadurch zu erreichen, dass wir die Kommunen entlasten. steckt. Dafür haben wir drei Wege. Stellen wir uns vor: Jeder von uns Abgeordneten wäre Erstens: Stärkung der Investitionen und Wachstum. persönlich haftbar für die Rechtmäßigkeit einer solch Das wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt passieren. weitreichenden Entscheidung, so wie jeder Inhaber einer Zweitens: Entlastung von den Sozialausgaben. Das Firma selbstverständlich persönlich haftet. – Es scheint machen wir jetzt in der Tat dauerhaft, und das ist richtig. die Koalitionäre wenig zu stören, dass sowohl der Bun- desrechnungshof als auch der Bund der Steuerzahler eine Drittens – es ist angesprochen worden –: Eine Lösung offenkundige Verfassungswidrigkeit des Nachtragshaus- für die Altschulden zu finden, das bleibt ein Auftrag des halts feststellen und dringend und lauthals vor der Verab- Koalitionsvertrages. Das Thema ist nicht erledigt, auch schiedung warnen. Wir alle haben in diesen Tagen Post wenn die Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-West- bekommen. Ich frage mich, wer von Ihnen diese tatsäch- falen oder anderswo glauben, dass Herr Laschet das al- lich gelesen hat. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21157

Dr. Frauke Petry (A) Jeder normale Bürger weiß: Man kann nicht dauerhaft Es bringt nämlich nichts, das Leck in den Kassen der (C) mehr ausgeben, als man einnimmt. – Sie aber tun so, als überschuldeten Kommunen zu stopfen, wenn immer wie- könnten Sie die Mathematik außer Kraft setzen, und zwar der neues Wasser eindringt. Wenn wir wirklich helfen nicht erst seit Auftreten des Coronavirus. Seit dem Sün- wollen, dann müssen wir an die Strukturen heran. denfall der Euro-Einführung 2002 und der Bankenrettung 2008, also seit fast 20 Jahren, verramschen Sie auf Kosten Wir haben dazu einen ambitionierten Plan entwickelt. der Bürger den Wohlstand dieses Landes und verspielen Drei Partner ziehen an einem Strang, drei Ziele erreichen seine Zukunft. Und jetzt missbrauchen Sie auch ein Virus wir, drei Säulen stützen diesen Plan. Die drei Partner – für Ihren Zweck. der Bund, die Länder und die Kommunen – übernehmen in der Krise gemeinsam Verantwortung. Es kommt nicht Jedes Jahr verlassen uns zudem Zehntausende Leis- häufig vor, dass bei Bund-Länder-Verhandlungen so gro- tungsträger und kluge Köpfe, die wir dringend – gerade ße Einigkeit und Zufriedenheit herrscht. Auch die kom- in dieser Krise – brauchen. Sie aber freuen sich weiter munalen Spitzenverbände haben die Beschlüsse einmütig über die illegale Zuwanderung von Menschen, die dieses gelobt. Land auf Dauer in einen finanziell und gesellschaftlich desaströsen Kulturkampf stürzen. Drei wichtige Ziele werden mit den vorliegenden Maß- nahmen erreicht: Sie verschulden nicht sich, nicht den Staat; effektiv verschulden Sie die Bürger dieses Landes, die Kinder, Erstens. Wir erhalten die kommunale Liquidität und die Jugendlichen, die in den kommenden Jahrzehnten halten damit den laufenden Betrieb aufrecht. für Ihre verfehlte Politik bezahlen müssen. Was zwei ver- lorene Weltkriege nicht geschafft haben, erledigen Sie Zweitens. Wir verhindern, dass die Kommunen ge- unter Angela Merkels Kanzlerschaft unter dem Vorwand zwungen sind, Steuern zu erhöhen, und der Konjunktur- vermeintlicher Notlagen und Krisen. aufschwung sofort wieder abgewürgt wird. und die Väter und Mütter des Grund- Drittens. Wir erhalten die Investitionsfähigkeit der gesetzes würden sich angesichts dieser Bundesregierung Kommunen. und leider auch angesichts großer Teile des Bundestages im Grab herumdrehen. Gut, dass die Bürger aufgrund der (Beifall bei der CDU/CSU) namentlichen Abstimmung wenigstens sehen können, Das Ganze stellen wir auf drei Säulen: Stärkung in der wer für den systematischen und finanziellen Ruin dieses Krise, dauerhafte Entlastung und Infrastrukturausbau. Landes verantwortlich zeichnet. Ich komme zur Stärkung. Die hälftige Übernahme der (B) Herzlichen Dank. Gewerbesteuerausfälle, je durch Bund und Länder, ist das (D) Kernstück. Knapp 12 Milliarden Euro umfasst dieses Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Paket. Warum wir dazu, wie vorgeschlagen, eine Grund- Christian Haase, CDU/CSU, ist der nächste Redner. gesetzänderung brauchen, erschließt sich mir nicht ganz. Das Grundgesetz sollte meiner Auffassung nach nur an- (Beifall bei der CDU/CSU) getastet werden, wenn es wirklich notwendig ist. Leider gibt es für andere wichtige Vorhaben, bei denen eine Christian Haase (CDU/CSU): Grundgesetzänderung notwendig wäre, zum Beispiel für Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Erweiterung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- Kollegen! Die Coronakrise ist der härteste wirtschaftliche rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um die Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik Förderung des ländlichen Raumes, in diesem Hause keine Deutschland. Er betrifft alle Wirtschaftsbereiche und alle Mehrheit. staatlichen Ebenen, den Bund, die Länder und die Kom- munen. Mit unserem Zukunftspaket steuern wir unser Kommen wir zur eigentlichen Kernfrage: Wie hoch Land kraftvoll aus der Krise. Die Segel sind richtig ge- sind der Steuerausfall und damit die Ausgleichszahlun- setzt: Steuersenkung, Familienbonus, Deckelung von So- gen tatsächlich? Politisch versprochen ist der Ausgleich zialausgaben, Strompreisbremse. In dieser Situation ist es in 2020 je zur Hälfte durch Bund und Länder, und daran notwendig, dass wir auf breiter Front mit der Gießkanne wird sich auch unsere Glaubwürdigkeit messen lassen unterstützen. Nur so bleiben Betriebe und Bürger flüssig. müssen. Die Mai-Steuerschätzung ist dabei nur eine Mo- Liquidität ist genau das, was wir jetzt brauchen, damit die mentaufnahme aus dem Beginn der Krise. Ideal wären Konjunktur wieder durchstartet und wir wieder in ruhige daher ein pauschalierter Ausgleich in diesem Jahr und Fahrwasser kommen. eine Spitzabrechnung in 2021. Ich kann aber einsehen, dass wir die komplette Abwicklung noch in diesem Jahr Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Hilfen nicht umsetzen wollen. Dann sollten wir aber zumindest die zielgerichtet sind. Gerade bei der Entlastung der Kommu- Steuerschätzung im September abwarten und uns echte nen handeln wir mit Weitblick. Die Kommunen sind bei Zahlen von der kommunalen Ebene besorgen. Ich möchte uns der Fels in der Brandung. Wir müssen ihre Hand- am Ende nicht in die Lage geraten, dass wir in einem lungsfähigkeit sicherstellen. Durch die Übernahme der Land 100 Millionen Euro zu viel an Kommunen zahlen – Ausfälle bei der Gewerbesteuer stellen wir das sicher, die werden sich im Zweifelsfall nicht bei uns melden –, aber wir gehen noch einen Schritt weiter: Durch die aber in einem anderen Land 200 Millionen Euro zu we- dauerhafte Entlastung bei den Sozialausgaben stärken nig; die werden sich dann ganz sicher bei uns melden und wir vor allem strukturschwache Kommunen langfristig. Nachforderungen stellen. 21158 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Christian Haase (A) Mein zweiter Punkt ist die Frage, ob wir nicht gemein- gibt die Berge, und dazwischen liegen das schöne Weser- (C) sam mit den Ländern die Verteilschlüssel für die Kommu- bergland und der Teutoburger Wald. Wir freuen uns auf nen festlegen können, ja vielleicht sogar müssen, damit Sie. bei den Ländern nichts hängen bleibt; denn es gibt nichts zu verrechnen an dieser Stelle. Die Ausfälle beschränken (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) sich ja nicht auf die Gewerbesteuereinnahmen. Die Kom- munen haben an vielen Stellen Steuer- und Einnahmeaus- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: fälle. Insofern müssen wir aufpassen, dass das, was wir Marco Bülow ist der nächste Redner. jetzt beschließen, zu 100 Prozent auf der kommunalen Ebene ankommt. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Marco Bülow (fraktionslos): Bernhard Daldrup [SPD]) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Als Schlüssel bietet sich an, da die Gewerbesteuer, wie Kollegen! Wichtige Entscheidungen und Beschlüsse wir wissen, volatil ist, einen geglätteten Durchschnitt der muss man im Zusammenhang sehen: 130 Milliarden Eu- letzten Jahre anzusetzen und diesen zu vergleichen mit ro für das Konjunkturpaket, 9 Milliarden Euro für die den aktuellen Zahlen, die wir im September haben wer- Lufthansa, und morgen sollen im Zusammenhang mit den. Ich glaube, darüber sollten wir im Verfahren noch dem angeblichen Kohleausstieg über 4 Milliarden Euro einmal reden. ausgegeben werden. Aber, meine Damen und Herren, wir bleiben nicht bei Ich fange mit dem Konjunkturpaket an. Ich schließe kurzfristigen Liquiditätshilfen. Der Bund übernimmt mich der Meinung an, dass wir gerade mit der Entlastung dauerhaft bis zu 75 Prozent der Kosten der Unterkunft. der Kommunen auf dem richtigen Weg sind und dass wir Das sind jährliche Entlastungen der Kommunen von da wirklich wichtige Punkte setzen, auch wenn ich mir da 3,4 Milliarden Euro. Damit keine Bundesauftragsverwal- mehr gewünscht hätte. Dafür kann man die Große Koali- tung einsetzt, müssen wir in diesem Fall das Grundgesetz tion an dieser Stelle nur loben. Ansonsten wird ja eher das ändern. Mit dieser Maßnahme entlasten wir gezielt struk- gelobt, was nicht gemacht worden ist. Ich finde, es ist ein turschwache Kommunen, und zwar deutlich stärker als Problem, wenn man das besonders herausstellt, was nicht mit der Übernahme von Altschulden. Wir haben das gemacht worden ist, wie zum Beispiel diese Abwrack- nachgerechnet: Die kassenkreditbelasteten Kommunen prämie. in NRW hätten bei einer vollständigen Übernahme von Altschulden ungefähr jährlich 300 Millionen Euro an Es gibt aber genug Geschenke an Lobbyisten. Worüber (B) Zins und Tilgung gespart. Mit der Übernahme der KdU zum Beispiel heute nicht groß geredet wird, ist, dass (D) kommt aber fast 1 Milliarde Euro bei den Kommunen in 10 Milliarden Euro dieses Paketes in Rüstungsprojekte Nordrhein-Westfalen an. Ich glaube, das ist die bessere investiert werden. Darüber sollten wir auch reden, das Hilfe an dieser Stelle, als wenn wir ihre Altschulden über- gehört nämlich zur Wahrheit dazu. nommen hätten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall bei der CDU/CSU) Dennis Rohde [SPD]: Nein, das ist nicht die Wahrheit!) Meine Damen und Herren, zusammen mit der Förde- rung des Infrastrukturausbaus – ich nenne beispielhaft Wir sollten darüber reden, dass Sachen als Klima- Sportstättenförderprogramm, 3 Milliarden Euro für Kita- schutz verkauft werden, die kein Klimaschutz sind; denn und Ganztagsausbau, Investitionen in die Ladesäuleninf- Investitionen in E-Mobilität allein schaffen keinen Kli- rastruktur, Flottenaustausch bei den kommunalen Fahr- maschutz. Wenn wir weiter Kohlestrom in unser Strom- zeugen und beim ÖPNV, 1 Milliarde Euro für kommunale netz einspeisen, dann müssen diese Autos sehr lange fah- energetische Gebäudesanierung, 3 Milliarden Euro für ren, damit sie überhaupt einen Klimaschutzeffekt haben, die Digitalisierung der Kommunalverwaltung, Zukunfts- weil bei der Produktion mehr CO2 ausgestoßen wird; programm Krankenhäuser usw. – bringen wir die Kom- auch darüber wird nicht geredet bei diesem Paket. munen nicht nur sicher durch die Krise, sondern wir ma- Es wird auch nicht darüber geredet, dass es eine riesige chen sie auch fit für morgen. verpasste Chance ist; denn wenn man so viel Geld in die Ich bin sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, ein so Hand nimmt, könnte man eine wirkliche ökologische und umfassendes Paket auf die Beine zu stellen. Besonders soziale Lenkungswirkung entfalten. Schauen wir uns eine freue ich mich darüber, dass damit endlich ein Thema Zahl an – eine ist heute schon genannt worden –: Was erledigt ist, nämlich: Der Bund soll die kommunalen Alt- kriegen denn diejenigen, die nicht besonders viel haben, schulden übernehmen. – Das ist ein für alle Mal vorbei. von der Mehrwertsteuersenkung ab? – Vielleicht 8 Euro im Monat, wenn alles weitergegeben wird. Allein der (Beifall bei der CDU/CSU) Kauf eines SUVs von 55 000 Euro bringt dem Käufer Wir verabschieden wir uns jetzt in die Sommerpause. 1 500 Euro ein. Da frage ich mich doch: Wo ist die soziale Da gibt es viele Begegnungen in unseren Wahlkreisen. Lenkungswirkung dieses Konjunkturprogramms? Meine Damen und Herren, in diesen Wahlkreisen schlägt (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) das Herz der Demokratie. Das sollten wir auch bei ande- ren Entscheidungen sehr ernst nehmen. Für all diejeni- Dann werfen wir noch einen Blick auf die Lufthansa gen, die ein wenig Urlaub machen: Es gibt die Küste, es und deren Rettung. Das ist keine Marktwirtschaft, das ist Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21159

Marco Bülow (A) feudale Planwirtschaft. Warum wird ein Unternehmen lungen, diese Infektionswelle zu stoppen. Wir können (C) gerettet, das seine Steuern hauptsächlich in Malta be- an anderen Ländern, in denen nichts gemacht wurde, in zahlt, das seine Leute sowieso entlässt und das so klima- denen die Pandemie verleugnet wurde, wie es leider auch schädlich ist? Warum nehmen wir das Geld nicht, um viele in diesem Raum tun, sehen, was dann passiert, wel- andere zu retten, die kleine Läden haben, die hier ihre che Folgen die Pandemie hat, wie viele Tote es dann gibt. Steuern bezahlen? Das frage ich mich hier allen Ernstes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Unsere Coronahilfen sind europaweit, wahrscheinlich Dann ein Ausblick auf morgen – das ist eigentlich der weltweit einzigartig. Unser Ziel ist auch weiterhin, Exis- schlimmste Punkt, finde ich –: Da wird ein Kohleaus- tenzen und Arbeitsplätze zu retten und den besonders stieg, der aber eigentlich wieder ein Einstieg ist, be- betroffenen Branchen eine Perspektive zu geben. Ich schlossen. 2038 ist viel zu spät! Ein Kind, das heute ge- muss in diesem Zusammenhang sagen: In wenigen Stun- boren wird, wird dann 18, durfte niemals mitentscheiden den demonstrieren die Schausteller vor dem Branden- und muss die Suppe auslöffeln, die wir ihm einbrocken. burger Tor. Ich bin gespannt, ob diejenigen, die hier kri- 2038 ist zu spät für den Kohleausstieg. tisieren, dass wir zu viel machen, dass wir zu viel Geld rausschmeißen, dann zu den Schaustellern sagen: Ihr be- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- kommt nichts. – Da bin ich gespannt. Ich werde da sein ruf von der SPD: Nein!) und werde mir das anschauen. Und ihn dann noch für die Lobbyisten zu vergolden, mit über 4 Milliarden Euro, das kann es nun wirklich nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sein. Mit dem zweiten Nachtragshaushalt – um zum Thema zu kommen – gehen wir heute den Weg zur Bewältigung Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der Krise konsequent weiter. Im ersten Nachtragshaus- Herr Kollege. halt, im März, ging es darum, unsere Unternehmen und Betriebe am Leben zu halten und unsere Volkswirtschaft vor einem Zusammenbruch zu bewahren. Mit dem zwei- Marco Bülow (fraktionslos): ten Nachtragshaushalt schaffen wir nur eine Brandmauer Ich komme gleich zum Ende, das ist der letzte Satz. – gegen den Abschwung. Wir wollen die Wirtschaft ankur- Die Spitze ist – da kommt der Lobbyismus wieder schön beln und – das ist auch schon gesagt worden – gestärkt zum Tragen –, dass ein Ministerpräsident, CDU, erst aus dieser Krise hervorgehen. Unsere gute Haushaltspo- Chef der Kohlekommission wird und dann belohnt wird, litik der vergangenen Jahre ermöglicht uns das. Für die indem er Lobbyist für die Braunkohlelobby wird: Herr (B) Union ist es selbstverständlich zugleich Verpflichtung, (D) Tillich. Das ist ein Dreischritt; das geht so nicht weiter. diesen Haushalt so schnell wie möglich wieder zu konso- Wir müssen in die Zukunft investieren, nicht in die Ver- lidieren. gangenheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Als Haushälter konnte ich sehr schnell feststellen, wel- Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. che Ausgaben zur Pandemiebekämpfung im Zuständig- keitsbereich des Gesundheitsministeriums gerade jetzt Marco Bülow (fraktionslos): auf uns zukommen. Insgesamt wachsen die Ausgaben Ja. im Gesundheitshaushalt um mehr als das Doppelte auf circa 41 Milliarden Euro an; 25 Milliarden Euro mehr (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) als im Vorjahr. Die Mittel für die zentrale Beschaffung von Schutzausrüstungen und Beatmungsgeräten wachsen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auf über 7,5 Milliarden Euro an. Aktuell sind Verträge in Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der dieser Höhe geschlossen; 2,7 Milliarden Euro sind bereits Kollege Josef Rief, CDU/CSU. ausgegeben. Neben 11,5 Milliarden Euro für die Kran- kenhausfinanzierung und 5,3 Milliarden Euro für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pandemielasten im Bereich der gesetzlichen Krankenver- sicherung und der Pflegeversicherung stellen wir insge- Josef Rief (CDU/CSU): samt noch einmal 9,1 Milliarden Euro als Zuschüsse zur Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Verfügung. Weil die Pandemie nicht an Grenzen halt- Herren! „Wenn man über irgendein Land in Europa sagen macht, ist eines wichtig: Wir stocken in diesem Jahr die kann, dass es bisher die Corona-Krise gut gemeistert hat, Unterstützung für die Weltgesundheitsorganisation auf ist es Deutschland.“ Das sagen nicht wir, sondern dies insgesamt über 500 Millionen Euro auf. schreibt die renommierte britische Wirtschaftszeitung „The Economist“. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir bringen die Wirtschaft wieder in Schwung. Wir unterstützen Fa- Wir haben die Infektionswelle schnell erkannt und milien mit dem Kinderbonus von 300 Euro je Kind. Die dann auch sehr zügig Maßnahmen zur Eindämmung um- Mehrwertsteuersenkung sorgt dafür, dass jeder schon gesetzt. Für die vernünftige und besonnene Reaktion beim täglichen Einkauf von diesem Konjunkturpaket pro- müssen wir allen, ich betone: allen Menschen in unserem fitieren kann. Wir senken die EEG-Umlage, um die Ener- Land danken. Nur gemeinsam ist uns der Kraftakt ge- giekosten zu stabilisieren, und unterstützen unsere Kom- 21160 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Josef Rief (A) munen; das ist ebenfalls schon gesagt worden. Wir inves- Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, jetzt noch im (C) tieren in die Zukunft; wir investieren 50 Milliarden Euro Saal zu bleiben, da wir anschließend noch über 20 Ab- in Forschung und Entwicklung, in zukunftsfähige Felder. stimmungen durchführen müssen. Nach diesen Abstim- Hier seien beispielhaft genannt: künstliche Intelligenz, mungen steht Ihnen dann noch ein Zeitfenster von 30 Mi- Klimatechnologien, Wasserstoffstrategie und E-Mobili- nuten zur Verfügung. tät. Ich muss gleichwohl jetzt schon die Abstimmung er- Meine Damen und Herren, Deutschland ist die größte öffnen und bitte deswegen, die Schriftführerinnen und Volkswirtschaft in Europa. Wir haben in den vergangenen Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Jahren gezeigt, wie wirtschaftliche Entwicklung und Das ist schon erfolgt. Die Plätze sind besetzt. Dann kann Haushaltsdisziplin zusammen funktionieren. Auf den ich die namentliche Abstimmung über die Beschlussemp- 2) schnellen Stopp soll nun auch ein schneller Aufschwung fehlung eröffnen. folgen. Wenn wir uns weiter diszipliniert an die Corona- Tagesordnungspunkt 8 b. Wir kommen zur Abstim- vorgaben halten und ein nochmaliges Herunterfahren mung über den von der Bundesregierung eingebrachten vermeiden können, bis hoffentlich ein Impfstoff zur Ver- Gesetzentwurf über die Feststellung eines Zweiten Nach- fügung steht, haben wir mit den verabschiedeten Maß- trags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr nahmen das Bestmögliche für unser Land erreicht, auch 2020. wenn wir uns mit dem Gedanken vertraut machen müs- sen, dass unsere Welt nach Corona eine andere sein wird. Auch dazu liegt eine Erklärung nach § 31 der Ge- 3) Alle Milliarden nützen nichts, meine Damen und Herren, schäftsordnung vor. wenn nicht jeder Einzelne sich an die Coronavorgaben Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- hält: Corona-App, Abstand halten, Masken tragen. Hel- empfehlung auf den Drucksachen 19/20600 und fen Sie alle mit! Wir können das Virus nur gemeinsam 19/20601, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf bekämpfen. Wer Deutschland liebt, wer Europa liebt und den Drucksachen 19/20000 und 19/20001 in der Aus- die Menschen in der Welt liebt, der hält sich an die Co- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die ronavorgaben. Der Bundeshaushalt trägt dem Rechnung. dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions- ordneten der SPD) fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind AfD, FDP, Die Linke. Wer enthält sich? – Das ist Bündnis 90/Die Haben Sie Mut in der Opposition. Stimmen Sie zu. Grünen. Dann ist mit diesen Mehrheiten der Gesetzent- Tragen Sie Verantwortung mit. wurf in zweiter Beratung angenommen. (B) (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Jawoll!) Wir kommen zur (D) Herzlichen Dank. dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – ordneten der SPD) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist mit den eben in der zweiten Abstimmung fest- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gestellten Mehrheiten in dritter Beratung angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt bitte ich Sie, Jetzt kommen wir zu den Entschließungsanträgen. und zwar nicht nur für die nächsten zwei Minuten, son- dern für die nächste Viertelstunde, um Konzentration und Die Fraktion der AfD hat namentliche Abstimmung Aufmerksamkeit. über ihren Entschließungsantrag beantragt. Es ist verein- bart – ich habe das vorher schon gesagt –, diese nament- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- liche Abstimmung erst im Anschluss an Tagesordnungs- schlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem punkt 9 zu eröffnen, um parallel stattfindende Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Be- Abstimmungen in der Westlobby zu vermeiden. schluss des Bundestages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes“. Der Ausschuss emp- Also kommen wir jetzt zur Abstimmung über zwei fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache Entschließungsanträge der Fraktion der FDP. 19/20716, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Zunächst der Entschließungsantrag auf der Drucksa- SPD auf der Drucksache 19/20128 anzunehmen. che 19/20740. Wer stimmt dafür? – Die FDP und Bünd- nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koali- Zu der Abstimmung liegt mir eine Erklärung nach tionsfraktionen, Die Linke. Wer enthält sich? – Die AfD. § 31 der Geschäftsordnung vor.1) Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes Damit komme ich zum Entschließungsantrag auf der ist zur Annahme der Beschlussempfehlung die absolute Drucksache 19/20741. Wer stimmt dafür? – Die FDP. Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das sind 355 Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen, Bünd- Stimmen, erforderlich. Die Abstimmung erfolgt nament- nis 90/Die Grünen, Die Linke. Wer enthält sich? – Die lich. Die Urnen befinden sich in der Westlobby.

2) Ergebnis Seite 21172 C 1) Anlage 3 3) Anlage 5 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21161

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) AfD. Der Entschließungsantrag ist mit diesen Mehrheiten Tagesordnungspunkt 8 g. Das ist die Beschlussemp- (C) abgelehnt. fehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Förderzeiträume des Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Frak- Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes verlängern“. tion Die Linke auf der Drucksache 19/20742 ab. Wer Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung stimmt dafür? – Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer auf der Drucksache 19/20724, den Antrag der Fraktion enthält sich? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der Die Linke auf der Drucksache 19/19016 abzulehnen. Wer Linken mit den Stimmen des Rests des Hauses abgelehnt. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Frak- tionsfraktionen, FDP, AfD. Wer stimmt dagegen? – Die tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussemp- 19/20743 ab. Wer stimmt dafür? – Bündnis 90/Die Grü- fehlung ist angenommen. nen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Linke enthält sich, der Rest des Hauses stimmt dagegen. Tagesordnungspunkt 8 h. Beschlussempfehlung des Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Fahr- Tagesordnungspunkt 8 c. Abstimmung über den von radprämie für alle“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/20539, über begleitende Maßnahmen zur Umsetzung des Kon- den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache junktur- und Krisenbewältigungspakets. Der Ausschuss 19/19488 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussemp- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck- fehlung? – Die Koalitionsfraktionen, FDP, AfD. Wer sache 19/20717, den Gesetzentwurf der Koalitionsfrak- stimmt dagegen? – Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- tionen auf der Drucksache 19/20057 in der Ausschuss- nen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dieser Beschlussempfehlung folgen wollen, um das Handzei- Tagesordnungspunkt 8 i. Beschlussempfehlung des chen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und Die Linke. Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Wer stimmt dagegen? – Die AfD. Wer enthält sich? – Die Kommunen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist da- dem Titel „Clubs und Festivals über die Corona-Krise mit in zweiter Beratung angenommen. retten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf der Drucksache 19/20721, den Antrag Wir kommen zur der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 19/20027 dritten Beratung abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Die Koalitionsfraktionen, AfD, FDP. Wer stimmt (B) und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, wenn Sie zustim- dagegen? – Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die (D) men wollen, sich zu erheben. – Dann bitte ich diejenigen, Beschlussempfehlung ist angenommen. die dagegenstimmen, sich zu erheben. – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung Tagesordnungspunkt 8 j. Beschlussempfehlung des mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Lin- Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die ken gegen die Stimmen von AfD und FDP bei Enthaltung Linke mit dem Titel „Kennzeichnungspflicht für Coro- von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. na-Staatshilfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf der Drucksache 19/20723, den (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein! Wir ha- Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache ben uns enthalten! – Christian Dürr [FDP]: Wir 19/20034 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- haben uns enthalten!) empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD. – Sie haben sich enthalten, ja. Wer stimmt dagegen? – Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die FDP. Die Beschlussemp- Tagesordnungspunkte 8 d und 8 e. Interfraktionell wird fehlung ist angenommen. Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 19/20595 und 19/20598 an die in der Tagesordnung auf- Tagesordnungspunkt 8 k. Beschlussempfehlung des geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ret- wir wie vorgeschlagen. tungsschirm und Zukunftsoffensive für den öffentlichen Nahverkehr“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Tagesordnungspunkt 8 f. Das ist die Beschlussempfeh- schlussempfehlung auf der Drucksache 19/20719, den lung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruk- Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache tur zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel 19/20031 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- „Deutscher Automobilindustrie zeitnah helfen, Bahnret- empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, FDP und AfD. tung statt Konzernrettung, Berichte des Bundesrech- Wer stimmt dagegen? – Die Linke und Bündnis 90/Die nungshofs auch in der Krise beachten und umsetzen“. Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/20658, den Antrag der Fraktion Tagesordnungspunkt 8 l. Beschlussempfehlung des der AfD auf der Drucksache 19/20072 abzulehnen. Wer Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Die Linke mit dem Titel „Kein Konjunkturpaket für die dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim- Rüstungsindustrie“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner men der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses an- Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/20635, genommen. den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 21162 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) 19/20036 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koa- (C) empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, AfD, FDP, litionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Bündnis 90/Die Grünen, die FDP. Wer enthält sich? – Linke. Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist Ich habe nicht gesehen, wie die AfD abstimmt. angenommen. (Dr. [AfD]: Dafür! – Wei- Tagesordnungspunkt 8 m. Beschlussempfehlung des terer Zuruf von der AfD: Wir haben zuge- Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Antrag der stimmt!) Fraktion Die Linke mit dem Titel „Umfassender Flücht- lingsschutz angesichts der Corona-Pandemie“. Der Aus- – Dafürgestimmt. Entschuldigung. Ich versuche, die Ab- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der stimmung schnell zu machen. Derjenige, der heute Nacht Drucksache 19/19590, den Antrag der Fraktion Die Linke die Sitzungsleitung hat, wird mir dankbar sein. auf der Drucksache 19/18685 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktio- (Heiterkeit) nen, AfD, FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Linke, Bünd- Zusatzpunkt 10. Beschlussempfehlung des Ausschus- nis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist ange- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem nommen. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Tagesordnungspunkt 8 n. Abstimmung über den An- Titel „Rettungsschirm Zivilgesellschaft – Jetzt Soforthil- trag der Fraktion der AfD auf der Drucksache 19/20612 fe für kleine und gemeinnützige Organisationen aufgrund mit dem Titel „Kindergeld und Kinderbonus für im Aus- der COVID-19-Pandemie schaffen“. Der Ausschuss land lebende Kinder indexieren“. Wer stimmt für diesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck- Antrag? – Die AfD. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sache 19/19546, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die sich? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der AfD mit Grünen auf der Drucksache 19/18709 abzulehnen. Wer den Stimmen des Rests des Hauses abgelehnt. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Linke, Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 8 o bis 8 q Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – FDP und und dem Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird die Über- AfD. Die Beschlussempfehlung ist mit diesen Mehrhei- weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/20615, ten angenommen. 19/20549, 19/20543 und 19/20531 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Jetzt komme ich zurück zu der laufenden namentlichen weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 8 a und weise da- fahren wir wie vorgeschlagen. rauf hin, dass Sie jetzt noch 30 Minuten Zeit für Ihre (B) Stimmabgabe haben. Gehen Sie auch jetzt nicht alle (D) Wir kommen zum Zusatzpunkt 8. Das ist die Be- gleichzeitig zur Abstimmung! Achten Sie auf Abstand! schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Die Abstimmungsurnen werden um 11.43 Uhr geschlos- Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sen. nen mit dem Titel „Zukunftspakt für einen sozial-ökolo- gischen Aufbruch aus der Krise“. Der Ausschuss emp- Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 9 auf: fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/20712, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Beratung des Antrag der Abgeordneten Siegbert nen auf der Drucksache 19/19549 abzulehnen. Wer Droese, Norbert Kleinwächter, Dr. Harald Weyel, stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD tionsfraktionen, die AfD, die FDP. Wer stimmt dage- gen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Deutsche Ratspräsidentschaft für ein Europa Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. der Freiheit nutzen, für die Stärkung der na- tionalen Souveränität, für Bürgernähe und Zusatzpunkt 9. Abstimmung über die Beschlussemp- Demokratie fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf der Drucksache 19/20669. Unter Buchstabe a seiner Be- Drucksache 19/20614 schlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Überweisungsvorschlag: nung des Antrags der Fraktion der FDP auf der Druck- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) sache 19/20049 mit dem Titel „Corona-Hilfen für Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Inneres und Heimat Selbständige, Freiberufler und Freelancer – Überbrü- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ckungshilfen pragmatisch ausgestalten, Deckung des Le- Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft bensunterhalts gewährleisten“. Wer stimmt für diese Be- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur schlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Linke und die AfD. Die Beschlussempfehlung ist mit beschlossen. den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen den Rest des Hauses angenommen. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich Sie, den Saal zu verlassen oder Platz zu nehmen. – Ich begrüße Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Herrn Vizepräsident Friedrich, der mich jetzt ablöst. Ich nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen habe es auch dringend nötig. auf der Drucksache 19/19490 mit dem Titel „Selbststän- dige unterstützen – Aktiven Mittelstand wertschätzen“. (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21163

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nen Land vernünftig zu sparen und vernünftig zu wirt- (C) Ich stehe zur Verfügung, Herr Präsident. – Liebe Kol- schaften, wenn ich weiß, dass am Ende die EU meine leginnen und Kollegen, wenn Sie sich entschieden haben, Schulden übernimmt? Denn das heißt ja, dass sie vor ob Sie hierbleiben oder hinausgehen wollen, wäre jetzt allem vom deutschen Steuerzahler bezahlt werden. Nie- der Moment, diesen Entschluss umzusetzen. mand wird ernsthaft in Zweifel ziehen, dass wir uns in einer Wirtschaftskrise befinden. Ich eröffne die Aussprache zu TOP 9. Das Wort hat als Erster der Kollege Siegbert Droese für die AfD-Fraktion. Brüssel und die Bundesregierung träumen vom Green Deal. Natürlich ist auch für uns Umweltschutz wichtig, (Beifall bei der AfD) allerdings ist die religiöse Fokussierung auf diesen Green Deal für uns die falsche Schwerpunktsetzung. Statt sich Siegbert Droese (AfD): also in grüner Religion zu sonnen, muss neben der Wirt- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Mei- schaft die Demokratie in der EU gestärkt werden. ne Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrer Ratspräsidentschaft eine riesige Chance: die Chance, (Beifall bei der AfD) echte Reformen auf den Weg zu bringen oder zumindest Diskussionen dazu anzustoßen. Liest man jedoch das Ar- Die AfD ist hier für eine Ratspräsidentschaft, wo das beitsprogramm der Bundesregierung, gewinnt man den Thema „direkte Demokratie“ auf die Agenda hätte kom- Eindruck, das Dokument wurde direkt in Brüssel verfasst men müssen. Wir fragen uns: Warum wird der Präsident und lediglich auf Briefpapier der Bundesregierung ge- der Kommission nicht direkt von den Menschen in den druckt. Es entsteht nicht der Eindruck, dass man die Mitgliedsländern gewählt? Warum gibt es keine Volksab- Kernprobleme der EU wie Strukturprobleme, das Demo- stimmungen über die Aufnahme weiterer Mitglieder, bei- kratiedefizit und vor allem die Vertrauenskrise der Men- spielsweise vom Westbalkan? Aber die EU schafft es ja schen in die EU anpacken will. nicht mal, die Sommerzeit zu reformieren. Es gab ja eine Internetabstimmung in der ganzen EU. Und Herr Juncker Darüber hinaus muss man in allen Dokumenten einen hat vollmundig gesagt: Wenn die EU-Bürger das wollen, Aspekt mit der Lupe suchen – daher auch unser Antrag –: machen wir das. – Seither: Still ruht der See. Meine Das ist die Selbstkritik. Stattdessen sieht die Bundesre- Damen und Herren, der EU fehlt eben die Bürgernähe. gierung die EU als Global Player. Dabei hat die Union nicht mal die Maskenverteilung in der EU hinbekommen. (Beifall bei der AfD) Schon vor Corona war die EU gekennzeichnet vom Das Kernproblem der aktuellen EU ist aber eine Ver- Kampf über die Verteilung illegaler Migranten, vom trauenskrise. Echte Subsidiarität, wieder mehr Souverä- (B) Streit über den mehrjährigen Finanzrahmen und von Vor- nität der Mitgliedstaaten könnten dabei helfen, das Ver- (D) würfen mangelnder Solidarität untereinander. Minister trauen in die Ursprungsidee, in die gute Idee der EU Maas sprach gestern hier an gleicher Stelle auch davon. zurückzugewinnen. Gerade Corona hat aber gezeigt, Bei allem, meine Damen und Herren, geht es aber um wie wenig krisenfest diese EU ist. Die Bürger der Mit- eins: Es geht immer um das liebe Geld, aber auch darum, gliedstaaten müssen mehr entscheiden dürfen, souverän, wer recht hat unter den Mitgliedstaaten. ohne Angst vor Sanktionen oder Artikel-7-Verfahren. (Beifall bei der AfD) Man möchte der EU zurufen: Einfach mal mehr Demo- kratie wagen! Bestes Negativbeispiel, meine Damen und Herren, ist das Urteil aus Karlsruhe zu den EZB-Anleihen. Es wäre eine (Beifall bei der AfD – Dr. Diether Dehm [DIE notwendige Aufgabe für die Ratspräsidentschaft, eine LINKE]: Da seid ihr ja Weltmeister!) echte Diskussion über die Macht des EuGH zu starten. In diesem Kontext steht auch die unsägliche Debatte um Es ist jedoch zu befürchten, dass die deutsche Ratspräsi- die sogenannten geizigen Vier oder – nicht weniger ab- dentschaft nichts daran ändern wird, dass die EU noch fällig – die sparsamen Vier. hat hier im mehr ein Klub linker und grüner Ideologen wird. Schade Plenum vor Kurzem vier souveräne EU-Länder als um die ursprüngliche prima Idee der Wirtschaftsunion. „Reichtumsseparatisten“ bezeichnet. Ein Skandal, wie ich finde. Entschuldigung: bis heute Fehlanzeige. (Zuruf von der LINKEN: Welche Idee haben Sie denn?) (Beifall bei der AfD) Für uns, meine Damen und Herren – damit komme ich Aber genau die Frage der Haftung, meine Damen und zum Ende –, bleibt lediglich die Hoffnung; die Hoffnung, Herren, hätte der Hauptpunkt der deutschen Ratspräsi- dass nach dem Brexit nicht ein Dexit notwendig wird. dentschaft sein müssen, schon um weiteren Schaden für das deutsche Volk abzuwenden. Die AfD-Fraktion, wir Vielen Dank. als freiheitliche Partei, sind jedenfalls dafür, dass die Union keine Schuldenunion wird. (Beifall bei der AfD)

(Beifall bei der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Meine Damen und Herren, 500 Milliarden von Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie die Zwie- 750 Milliarden Euro quasi als Geschenk: Das ist nieman- gespräche vielleicht draußen führen. Es ist so ein stören- dem zu vermitteln. Wo bleiben da die Anreize, im eige- des Grundrauschen hier. 21164 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion ist Ihr Antrag hat mit der Ratspräsidentschaft überhaupt (C) die Kollegin Katrin Staffler. nichts zu tun, wenn man mal von einem kleinen Absatz auf der letzten Seite absieht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und Katrin Staffler (CDU/CSU): der Überschrift! – Dr. Franziska Brantner Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der 13 Jahren, also 2007, hat Deutschland das letzte Mal die Überschrift! Genau!) Ratspräsidentschaft innegehabt. Am 1. Januar haben wir Das ist ja glatt eine Themaverfehlung. damals die Präsidentschaft übernommen. Übrigens ist gleichzeitig in Deutschland die Mehrwertsteuer von 16 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der auf 19 Prozent erhöht worden. Irgendwie scheinen diese SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- beiden Themen schicksalhaft miteinander verbunden zu NEN) sein. Bulgarien und Rumänien sind Mitglieder der Euro- Sie machen sich einfach nur Luft und holen zum Rund- päischen Union geworden; Slowenien hat den Euro ein- umschlag gegen die Europäische Union aus. Sie geführt. Während des halben Jahres unserer Präsident- schreiben zum Beispiel, dass die Coronapandemie ge- schaft hat sich die EU verbindlich verpflichtet, den zeigt habe, wie wenig die Europäische Union in der Lage Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 im Vergleich zu sei, die Probleme der Bürger Europas zu lösen. 1990 um ein Fünftel zu verringern. Anlässlich des 50. Jahrestags der Römischen Verträge (Beifall bei Abgeordneten der AfD) haben die Regierungschefs damals eine gemeinsame Er- Ich weiß ja nicht, ob Sie in den letzten Wochen und klärung zur Europäischen Union unterzeichnet. Kurz vor Monaten die Nachrichten verfolgt haben. Ich muss ganz Ende des halben Jahres unserer Präsidentschaft hat der ehrlich sagen: Mich hat es teilweise wirklich gerührt, mit Europäische Rat dann die Grundzüge des EU-Grund- welcher Solidarität wir einander geholfen haben lagenvertrags beschlossen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Na ja!) Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Das und wie gut – zugegebenermaßen nach anfänglichen war damals eine sehr erfolgreiche Präsidentschaft. Da- Schwierigkeiten – die Europäische Union auf die Krise mals haben deswegen auch Stimmen aus Brüssel die reagiert hat. Diszipliniertheit, das Verhandlungsgeschick und das En- gagement der Deutschen gelobt. (Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/ CSU] – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das war (B) Gestern haben wir die Ratspräsidentschaft wieder (D) übernommen. Mehr denn je müssen wir uns wieder auf nicht die Europäische Union, Frau Staffler!) genau diese Eigenschaften, für die wir schon damals ge- Wir müssen doch nach vorne schauen, lieber Herr lobt worden sind, besinnen. Denn machen wir uns nichts Kleinwächter. Wir müssen die Krise bewältigen. Wir vor: Es kommen nicht ganz einfache Zeiten auf uns zu. müssen Europa fit für die Zeit nach der Krise machen, statt darüber zu heulen, was in der Vergangenheit viel- Anders aber als die Verfasser des Antrags, den wir leicht schiefgelaufen ist. heute beraten, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass wir aus der aktuellen Krise sehr wohl gestärkt hervor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gehen können. der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das muss doch auch unser Anspruch sein, ganz nach dem Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Motto, das wir uns ja richtigerweise gegeben haben: „Ge- meinsam. Europa wieder stark machen.“ Katrin Staffler (CDU/CSU): Nein. – Es liegen wichtige Aufgaben vor uns. Ich bin Wenn man sich diesen Antrag so anschaut, den die froh, dass wir jetzt unseren Teil dazu beitragen können, Kolleginnen und Kollegen zu unserer Rechten vorgelegt dass wir diese Aufgaben auch lösen. Die Verhandlungen haben – ich sage es Ihnen ganz ehrlich: ich tue das nicht zum Post-Brexit, zum mehrjährigen Finanzrahmen: Das besonders gerne –, wenn man liest, was da so zusammen- sind die Themen, die ganz oben auf unserer Agenda geschrieben worden ist, dann wird einem echt schwinde- stehen. Ich glaube, gerade beim MFR geht es ganz ent- lig. scheidend darum, ob es uns gelingen wird, dass wir die richtigen Schwerpunkte für ein innovatives, für ein kri- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Weil es gut ist!) senfestes, für ein nachhaltiges Europa setzen. Da kann man nur noch den Kopf schütteln. Am liebsten hätte ich nach der ersten Seite schon wieder aufgehört, zu Die Verhandlungen zum Post-Brexit sind in der Tat lesen. Ich meine, es kann doch bitte nicht Ihr Ernst sein, schwierig. Aber haben Sie schon mal eine Scheidung ge- was Sie uns hier heute vorlegen. sehen, die einfach war? Da braucht es Verhandlungsge- schick, da braucht es Vertrauen, da muss man zu einer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der guten Einigung kommen. Mitnichten ist es eine „Bestra- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- fung“, um andere Mitgliedstaaten abzuschrecken, wie Sie NEN) schreiben. Das genaue Gegenteil ist doch der Fall, und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21165

Katrin Staffler (A) das wissen Sie auch. Natürlich liegt uns extrem viel da- krise und ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen (C) ran, dass wir auch künftig hervorragende Beziehungen Auswirkungen sind die größte Bewährungsprobe für Eu- zum Vereinigten Königreich haben. Das ist ja auch in ropa seit 1945. Auch wenn die Bewältigung der Pande- unserem ureigensten Interesse. mie das allgegenwärtige Thema der nächsten Monate sein wird, darf es nicht das einzige Thema dieser Rats- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) präsidentschaft sein. Das waren jetzt nur zwei Aufgaben, die natürlich einen Groß sind die Erwartungen der Menschen in Europa an sehr großen Teil unserer Ratspräsidentschaft einnehmen unsere Präsidentschaft, und lang ist die Liste der Heraus- werden. Ich glaube, wenn man sich das Programm der forderungen, vor denen wir in Europa stehen. Brexit, Bundesregierung anschaut, dann zeigt das, dass wir einen Green Deal, europäische Asylpolitik, Gemeinsame Au- sehr viel ambitionierteren Plan verfolgen. ßen- und Sicherheitspolitik, mehrjähriger Finanzrahmen, Zu unseren Prioritäten gehört zum Beispiel auch die Digitalisierung, Reform der Institutionen, Erweiterungs- Stärkung der europäischen Werte- und Rechtsgemein- politik: Auch diese Themen bestimmen die Zukunftsfä- schaft. Die Krise hat im Bereich der Rechtsstaatlichkeit higkeit der Europäischen Union. ja durchaus eine Reihe von Schwachstellen offengelegt: Die Erwartungen an das größte Land und die stärkste von der Belastung der Justizsysteme bis hin zur unter- Volkswirtschaft in der Europäischen Union könnten schiedlich gelagerten Wirksamkeit von institutioneller kaum größer sein. Die FAZ kommentierte gestern, Kontrolle und Gegenkontrolle usw. Diesen Punkten müs- Deutschland sei „Motor, Moderator, Brückenbauer. Das sen wir natürlich entschieden entgegentreten. Deswegen allein aber reicht nicht“. Ja, genau, das ist richtig: werden wir uns dafür einsetzen, dass wir eine Rechts- Deutschland muss in dieser Präsidentschaft Außerge- staatsverknüpfung mit dem mehrjährigen Finanzrahmen wöhnliches leisten. hinbekommen und einen neuen Rechtsstaatsdialog im Rat anstreben. „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ – so das Motto der Bundesregierung. „Gemeinsam“: Dieses Wort (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und allein hätte gereicht, um unseren Anspruch an ein funk- des Abg. Johannes Schraps [SPD]) tionierendes Europa im 21. Jahrhundert zu definieren. Auch mit Blick auf die anderen großen Transforma- Auf das Trump-Plagiat hätten wir verzichten können. tionsprozesse Klimawandel, Digitalisierung, Verände- „Gemeinsam“: Mit diesem kleinen Wort ist auch der rungen in der Arbeitswelt müssen und werden wir die größte Unterschied zum vorliegenden Antrag der AfD Europäische Union stark machen. Ja, die Herausforde- schon benannt. Zehn Seiten nutzen Sie, um ein Zerrbild rungen für die Europäische Union sind zahlreich. Des- (B) der Europäischen Union zu erfinden und die Axt an die (D) wegen müssen wir unsere Handlungsfähigkeit unter Be- Fundamente unseres Wertesystems zu legen. weis stellen, und wir müssen die Themen in den Blick nehmen, die die Menschen umtreiben. (Johannes Schraps [SPD]: So ist es!) Mehr denn je müssen wir aus unserer Ratspräsident- Die Europäische Union möchten Sie zerstören und die schaft jetzt eine Zukunftspräsidentschaft machen. Wenn Deutsche Mark wieder einführen. Zusammengefasst: ich das Programm der Bundesregierung lese, bin ich, Der deutsche Michel allein zu Haus! ehrlich gesagt, zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Deswegen freue ich mich auf spannende sechs Monate. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, habe Gott sei Dank trifft Ihr Zerrbild nicht die Lebenswirk- ich hier ein Taschentuch für Ihre Krokodilstränen dabei, lichkeit von Millionen von Europäern – Millionen von die Sie immer wieder über angebliche Fehler aus der Ver- Menschen, die die Freiheit schätzen, die die EU für ihr gangenheit weinen. Damit können Sie die mal trocknen. Leben gebracht hat: die Freiheit, ihren Wohnort und Ar- (Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) beitsplatz selbst zu wählen, die Freiheit, während der Ausbildung und des Studiums andere Länder kennenzu- Wir werden in der Zwischenzeit gemeinsam für eine gute lernen, die Freiheit, in Europa zu reisen, ohne durch lange Zukunft anpacken, und darauf freue ich mich. Staus und Grenzkontrollen gehindert zu werden, die Frei- Danke schön. heit, seit 75 Jahren in Frieden leben zu können. Diese Freiheit ist nur möglich, weil die Europäische Union eben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr ist als eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft. Die EU ordneten der SPD) gründet sich auf stabile Pfeiler: Demokratie, Rechtsstaat- lichkeit, Achtung der Menschen- und Freiheitsrechte. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wann immer in einem Mitgliedsland diese Grundpfeiler Für die FDP hat das Wort der Kollege Thomas Hacker. in Gefahr sind, sind wir verpflichtet, unsere Stimme zu erheben, sind wir als Europäer verpflichtet, zu handeln. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Thomas Hacker (FDP): der CDU/CSU und der SPD) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir aus den gen! Der Zeitpunkt für die deutsche Ratspräsidentschaft ersten Monaten der Pandemie eines lernen können, dann könnte kaum schicksalhafter sein. Die globale Corona- ist es doch das: Die Zeit nationaler Egoismen muss vorbei 21166 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Thomas Hacker (A) sein. Die Pandemie kann nur gemeinsam bekämpft wer- viertens natürlich auch die Abschaffung des Europä- (C) den. Die wirtschaftlichen Folgen können nur gemeinsam ischen Auswärtigen Dienstes. So geht es weiter. Die Ad- angegangen werden. Wir werden darum ringen, in wel- dition dieser Ablehnungen ist keine Positionierung zur chem Umfang europäische Gelder den Mitgliedstaaten EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, sondern eine Ab- zur Verfügung gestellt werden, wie hoch die Anteile der lehnung der Europäischen Union insgesamt. Darum geht Zuschüsse und die Anteile der Darlehen sein werden. es Ihnen. Nicht infrage steht jedoch für die Mehrheit des Hauses, dass es unsere gemeinsame Aufgabe ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Das muss man mal als Unterschied herausstellen. Wir Die Wertegemeinschaft Europa muss selbstbewusst diskutieren hier, ob Europa vielleicht liberaler wird, auftreten und auch mal den ersten Schritt machen und manchmal auch ein bisschen konservativer oder ökologi- auf andere zugehen. Für uns endet unsere Verantwortung scher, für uns natürlich sozialer, für manche noch ein nicht an den Grenzen der Mitgliedstaaten, egal ob es sich bisschen linker. Aber wir wollen gemeinsam hier dieses um Beitrittsverhandlungen mit der Türkei oder den kriti- Europa verbessern, weil wir ein Teil dieses Europas sind. schen Dialog mit unserem Handelspartner China handelt. Das ist unser gestaltetes Europa. Deshalb stehen wir da- Unsere gemeinsame Verantwortung gilt für die Staaten für, und deshalb kämpfen wir dafür, und deshalb haben des Westbalkans über unsere Östliche Partnerschaft bis wir auch diese Ratspräsidentschaft zum Erfolg zu führen. nach Asien und Afrika. Und wo wir die Freiheit der Menschen in Gefahr sehen – wie in Hongkong –, müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir handeln. der CDU/CSU und der FDP) Was die AfD will, ist genau darin beschrieben: keine (Beifall bei der FDP) Gesetzgebungsverfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem, was wir in den nächsten sechs Monaten für die Europäische Union (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) unternehmen: Es geht nicht nur um den Wohlstand Euro- Der Europäische Gerichtshof soll keine Entscheidungen pas; wir tragen mit unseren Partnern die Verantwortung, mehr treffen. Die EU-Kommission soll auf ein reines unsere Werte zu verteidigen, unsere Freiheit – gemein- Verwaltungsorgan reduziert werden. sam. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Genau so soll es (B) Vielen Dank. sein! Genau so muss es sein!) (D) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Carsten Der Kollege Droese hat dazu in dankenswerter Offenheit Schneider [Erfurt] [SPD]) gesagt, um was es da am Ende geht. Er hat nämlich von Exit gesprochen. Deshalb ist es folgerichtig, dass in die- sem Haus Linke wie FDP, Grüne, CDU/CSU und SPD Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gegen den Brexit waren, der von der AfD bejubelt wor- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch mal den ist. Genau das ist der Unterschied, und genau das daran erinnern, dass wir um 11.43 Uhr die namentliche sollten wir heute hier deutlich machen. Abstimmung schließen. Es ist momentan wenig Andrang vor den Urnen. Es wäre jetzt eine gute Gelegenheit, falls (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie noch nicht abgestimmt haben. der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Axel Schäfer hat als Nächstes das Wort für die SPD-Fraktion. Kolleginnen und Kollegen, wir können das wirklich mit Selbstbewusstsein tun. Ja, die beiden letzten deut- (Beifall bei der SPD) schen Ratspräsidentschaften, 1999 unter Rot-Grün und 2007 in der heutigen Koalitionskonstellation Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Immer Manchmal können auch unverständliche, unklare Anträ- SPD!) ge wie der, der uns jetzt vorliegt, doch in der Konsequenz – danke schön; es stimmt, die SPD war immer dabei –, für Klarheit sorgen. Man muss es nur auf die entscheid- waren Herausforderungen, die es vorher so nicht gegeben enden Punkte bringen. Was will der AfD-Antrag? Erstens hat. Da ging es um Frieden wegen kriegerischer Aus- Auflösung der Euro-Zone, einandersetzungen auf dem Balkan. Da ging es um den europäischen Verfassungsvertrag. (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Der ist geschei- zweitens keine Sozialunion, tert!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Da ging es auch um den mehrjährigen Finanzrahmen. drittens keinen Wiederaufbaufonds, Immer war die deutsche Position – weil wir bei Europa ins Gelingen verliebt sind –, mit guten Kompromissen, (Beifall bei Abgeordneten der AfD) mit Kreativität, mit Aufeinanderzugehen, indem man ei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21167

Axel Schäfer (Bochum) (A) nander zuhört, zu Lösungen zu kommen. Das ist in der Wir wollen eine echte Börsenumsatzsteuer gegen die (C) Vergangenheit gelungen. Großspekulanten, die auf Krankheiten, auf die Not ande- rer Menschen spekulieren. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Weil wir es wollen und weil wir es können, werden wir diese Die AfD schreibt – ich zitiere –: Man sollte sich statt Ratspräsidentschaft zum Erfolg führen. Den Antrag der um Gesellschaftsveränderungen „um den geschundenen AfD könnten wir an dieser Stelle bewusst vergessen, Arbeiter und Angestellten … kümmern“. wüssten wir nicht, dass Sie auch die Letzten waren, die Herrn Trump zugejubelt haben. Ich hoffe, dass die deut- (Heiterkeit der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE sche Ratspräsidentschaft auch in Zeiten stattfindet, wo LINKE]) wir in Amerika einen anderen Präsidenten bekommen. Die Linke sagt: Damit Arbeiter nicht länger geschunden Das wäre mein persönlicher Wunsch. werden, braucht Europa starke Gewerkschaften, Streik- Vielen Dank. recht, europaweite Mindestlöhne und einen Mindest- steuersatz gegen Superreiche. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Axel Müller [CDU/ (Beifall bei der LINKEN) CSU]) Die AfD hat hier oft an diesem Mikro für superreiche Steuerpflichtige und Steuerflüchtige geworben, auch für Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die Panama-Briefkästen. Die Linke aber kümmert sich Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege um die vielen Jungen und Alten in Dreizimmerwohnun- Dr. Diether Dehm. gen, denen jetzt „Abstand halten!“ zugerufen wird. Und für sie wollen wir niedrige Mieten (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Der AfD-Antrag ver- und endlich Tariflöhne für alle. Viel Erfolg beim Strei- dreht aufs Neue die EU zu einer linken Planwirtschaft. ken, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Amazon. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der LINKEN) Doch was unterscheidet rechte europafeindliche Dema- Die AfD will einen starken repressiven Staat, außer gogie radikal von der linken Kritik an dieser EU? Das wenn die Staatsgewalt rechte Straftäter trifft. Die Linke (B) sage ich auch mal an die Adresse der Journalisten, die will den starken Rechts- und Sozialstaat nach Vorbild (D) immer von der Querfront „Rechts ist gleich links“ unseres Grundgesetzes, Artikel 14 und 15, endlich auch schwadronieren. in der EU. Und das erwarten auch die Gewerkschaften von der EU-Ratspräsidentschaft. So behauptet die AfD, die Deutschen würden von allen anderen Europäern ausgenutzt. Aber Leute, die ihre Ar- (Beifall bei der LINKEN) beitskraft verkaufen müssen, werden überall von deut- Die AfD will die Bundeswehr aufrüsten – zur Angriffs- schen Konzernen ausgebeutet, und die Linke steht bei fähigkeit. den Ausgebeuteten. (Beifall bei der LINKEN) (Widerspruch bei der AfD) Die AfD jammert, Deutschland würde von der EU be- – Natürlich. Sie haben hier immer gegen Abrüstung ge- schissen. Aber von den Staatsbeihilfen im EU-Gesamt- stimmt, und Antiaufrüstungsanträge auf Ihrem Bundes- volumen von 2 Billionen Euro gibt allein Deutschland für parteitag sind sang- und klanglos untergegangen. seine Wirtschaft 51 Prozent aus und zum Vergleich Italien ( [AfD]: Unfug!) nur 15,5 Prozent. Die Linke will diese Beihilfen aber umverteilen für nachhaltige Bauernhöfe, nicht für Mas- Die Linke betont dagegen das Angriffskriegsverbot in sentierhalter, für sichere Arbeitsplätze, nicht für Droh- Artikel 26 Grundgesetz, also Abrüstung bis zur Angriffs- nenbauer, für zukunftsfähige Handwerker, nicht für kriegsunfähigkeit. BMW, für Sparkassen, nicht für Großbanken. Das ist der entscheidende Unterschied. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die AfD schreibt in ihrem Antrag – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, die EU dürfe keineswegs zu Dann will die AfD keinerlei Steuerkompetenz für die einer „sozialen Union“ werden; stattdessen solle es mehr EU, aber nationale Steuerhoheit als Wettbewerbsinstru- Freihandel geben. Die Linke will wie Entwicklungsmi- ment. Irland lässt grüßen! Die Linke bekämpft Steuer- nister Müller mehr fairen Handel statt mehr Freihandel. wettbewerb und Dumping, weil dadurch Amazon, Goo- gle und Facebook in EU-Steueroasen quasi null Steuern (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- bezahlen müssen. Apple zum Beispiel zahlt auf 1 Million Brömer [CDU/CSU]: Vor allem mit kubani- 50 Euro Steuern. Das ist doch unfassbar! schen Zigarren!) (Beifall bei der LINKEN) Die Rechte wollte schon immer ein deutscheres Europa. 21168 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das ist die Logik der AfD-Europapolitik, weil Sie eben (C) Sie wollten zum Schluss kommen. mit den Demokratiezerstörern in der EU paktieren. Das ist genau die klare Kante, wo wir sagen: Nein, keinen Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Cent für Demokratiezerstörer in der Europäischen Union. Die Linke wollte schon immer ein europäischeres Ihr Grundgedanke in Ihrem Papier ist, dass Souveräni- Deutschland. tät nur national ist. Aber das ist eine Illusion. Das Gegen- Ich danke Ihnen. teil ist der Fall: Souveränität bedeutet, dass die Bürger über ihre eigene Zukunft entscheiden können. Doch das (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- ist heute nicht mehr allein national möglich. Wenn Sie Brömer [CDU/CSU]: Darauf rauchen wir eine glauben, dass wir als Deutschland neben den USA, Russ- Corona!) land und China unsere Werte und Interessen allein ver- teidigen können, dann irren Sie sehr.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für Bündnis 90/Die Grünen erhält das Wort die Kolle- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und gin Dr. Franziska Brantner. der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass dies uns nur gelingen kann, wenn wir als Europäer zusammenstehen. Wenn wir über unsere Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zukunft selbst bestimmen, wenn wir souverän sein wol- NEN): len, genau dann müssen wir europäisch zusammenarbei- Ich habe heute keine Zigarre dabei; verzeihen Sie. ten, um das zu ermöglichen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SES 90/DIE GRÜNEN) FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kuba-Zigarren heißen die! Fairer Handel mit Wir wollen, dass Deutschland die Ratspräsidentschaft Kuba!) nutzt, um Europa wirklich souveräner zu machen, insbe- sondere in den Bereichen Medikamente, medizinische Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Ausrüstung und Digitalisierung. Machen Sie den Euro Herren! Eigentlich ist es, finde ich, gar nicht wert, AfD- zur internationalen Leitwährung! Dann können wir wirk- Anträge auseinanderzunehmen. lich souveräner werden, alle gemeinsam in der Europä- (B) (D) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dann lassen ischen Union. Sie es, Frau Brantner! Wir müssen es uns auch Ich danke Ihnen. nicht anhören, was Sie reden! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Lächerlich!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Aber ich habe gedacht, ich muss heute mal ein paar Punkte rausnehmen. Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 8 a. Die Zeit für die na- Die AfD wirft der EU Totalversagen in der Corona- mentliche Abstimmung ist jetzt gleich vorbei. Ich darf krise vor, weil die EU-Kommission nicht getan hat, was fragen: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sie nicht tun durfte. Sie werfen der EU-Kommission vor, seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Axel Schäfer. dass sie ihre Kompetenzen nicht überschritten hat. Geben Sie nun bitte zügig Ihre Stimme ab! Gleichzeitig sagen Sie, dass die EU-Kommission und die EU diese Kompetenzen auch nie bekommen sollen, Gut, dann kommen wir nun zum nächsten Redner: damit sie immer versagen müssen. Das ist die AfD-Eu- Professor Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion. ropapolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Sie sagen, dass die EU-Gelder auf keinen Fall – ich beraten hier über einen AfD-Antrag, und wie so oft ist der zitiere – „intransparent“ versickern sollen und sagen dann Antrag voll von Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Vorur- im nächsten Satz, dass es auf gar keinen Fall eine keiner- teilen usw. usw. Das überrascht uns hier nicht. lei inhaltliche Konditionierung dieser Gelder geben darf, also dass man das Geld einfach rüberschiebt. Dann sagen (Beifall bei der CDU/CSU) Sie noch: Und es darf auch keinerlei Konditionierung an Rechtsstaatlichkeit und Bekämpfung von Korruption ge- Die Kollegin Brantner hat schon einiges dazu gesagt; ben. Wie Sie das in Ihrem Kopf zusammenbringen, das das will ich deshalb gar nicht wiederholen. Die zwei zent- würde mich wirklich mal interessieren. ralen Elemente, die in Ihrem Antrag vorkommen, sind erstens: Ja, wir müssen unser Geld dagegen verteidigen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass es an die faulen Südeuropäer überwiesen wird. – sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ehrlich gesagt, eine solche Tonalität stinkt mir. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21169

Dr. Heribert Hirte (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der teiligungsrechte verbessern können. Und es ist unsere (C) SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Initiative, hier weiterzugehen; das ist für uns als Rechts- NEN) politiker eine Selbstverständlichkeit. Das, was Sie in Ih- Zweitens geht es darum: Nein, wir wollen niemanden, der rem Antrag schreiben, hängt damit zusammen, dass Sie zu uns einwandert oder der Asyl sucht, bei uns willkom- sich an all diesen Sachen nicht beteiligen. Ich rufe Sie men heißen, weil uns auch das unser Geld kostet. – Auch auf: Machen Sie mit und reden Sie nicht nur! Denn De- diese Tonalität stinkt mir. mokratie, auch auf europäischer Ebene, ist Klein-Klein- Kleinarbeit: Lesen und Zusammenhänge verstehen, und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, das in mehreren Sprachen. – So wie Sie das machen, geht der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE es nicht. GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Die dritte Botschaft, die Sie rüberbringen, ist: Unsere SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Rechte werden verkürzt; die Demokratie funktioniert GRÜNEN) nicht in Europa. – Auch das ist falsch, und es wurde von dieser Stelle aus x-mal gesagt; ich brauche es nicht zu wiederholen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Kleinwächter? der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Ich möchte an dieser Stelle einen Punkt aufgreifen – Nein. Der redet gleich. – Deshalb ist mein Petitum: lassen Sie uns sachlich bleiben –, Lassen Sie uns gemeinsam arbeiten an einem starken Europa mit einem starken Bundestag, der sich an der (Lachen bei der AfD) Gestaltung dieses Europas beteiligt! den wir im Rechtsausschuss in den letzten Wochen bera- Herzlichsten Dank. ten haben. Was wir nämlich durchaus festgestellt haben – und Sie, Herr Droese, haben die Macht des EuGH kriti- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie siert –, ist, dass es für die Länder Möglichkeiten der bei Abgeordneten der FDP) Beteiligung an der Rechtsfindung des EuGH gibt. Unsere Regierung kann Stellungnahmen abgeben, die Regierun- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gen der einzelnen Mitgliedstaaten können Stellungnah- (B) men abgeben und in den Verfahren sagen, was sie mei- Vielen Dank, Herr Kollege Hirte. – Ich komme noch (D) nen, wie eine Entscheidung richtig ausfallen könnte. mal zurück zur namentlichen Abstimmung, Tagesord- nungspunkt 8 a. Ich frage noch mal: Ist ein Mitglied des Wir haben gehört – ich danke ausdrücklich Frau Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben Ackermann, der Präsidentin in der Rechtsanwaltskammer hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung beim Bundesgerichtshof –, dass Deutschland, was diese und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Stellungnahmen angeht, nicht so gut dasteht wie andere Auszählung zu beginnen. Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Länder. Das war für mich ein Grund, der Sache ein wenig Abstimmung später bekannt.1) nachzugehen. Wir haben überlegt, was wir machen kön- nen. Wir haben erst mal festgestellt: Diese Stellungnah- Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kolle- me wird bei uns in Deutschland von der Bundesregierung ge Norbert Kleinwächter. wahrgenommen. Das passiert immer wieder, auch im (Beifall bei der AfD) PSPP-Verfahren; um das gleich am Rande zu sagen. Aber wir könnten hier der Bundesregierung durchaus auch et- Norbert Kleinwächter (AfD): was unter die Arme greifen. Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Deshalb haben wir im Rechtsausschuss in einem inten- Kollegen! Einigkeit und Recht und Freiheit sind die Wer- siven Dialog mit der Bundestagsverwaltung, der ich dafür te, die unsere deutsche Nationalhymne prägen und auch ausdrücklich danke, überlegt, wie wir das verbessern unser Selbstverständnis als Bundesrepublik, und dieses können. Wir werden in den nächsten Wochen die Selbstverständnis sollte Deutschland auch in seiner Rats- EuGH-Verfahren so aufbereitet bekommen – sie stehen präsidentschaft in die Europäische Union tragen. auch heute schon zur Verfügung; wir wissen von der Homepage, welche Verfahren es gibt –, dass jeder von (Beifall bei Abgeordneten der AfD) uns mitwirken kann an den Stellungnahmen gegenüber Und das heißt: Bestehen Sie auf Einstimmigkeit durch dem EuGH. Das ist ein Schritt zu mehr Demokratie, zu Konsens, bestehen Sie auf Einhaltung der Verträge, und mehr Rechtsstaatlichkeit in Europa. Hier können wir uns bestehen Sie auf einem Europa der Freiheit. als Parlament einbringen, und wir nehmen damit unsere Integrationsverantwortung in Europa wahr. (Beifall bei der AfD) Das ist eigentlich genau das, was das Bundesverfas- Jean-Jacques Rousseau schrieb über die Freiheit in „ sungsgericht von uns im PSPP-Urteil eingefordert hat. Les Rêveries du promeneur solitaire “: Ich war nie der Nur, diese Überlegungen sind schon älter. Wir haben schon vorher gesagt, an welchen Stellen wir unsere Be- 1) Ergebnis Seite 21192 D 21170 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Norbert Kleinwächter (A) Auffassung, dass die Freiheit des Menschen darin bestün- und allen weiteren Verhinderern (C) de, das zu tun, was er will, sondern niemals das zu tun, um ein Europa der Freiheit. Das allein ist Ihre historische was er nicht will. Diese Freiheit habe ich mir immer ein- Verantwortung und auch die der zukünftigen Generation gefordert, oftmals bewahrt, und durch sie lag ich am gegenüber. meisten im Streit mit meinen Zeitgenossen. – Meine Da- Haben Sie vielen Dank. men und Herren, wenn Freiheit bedeutet, die Möglichkeit zu haben, das nicht zu tun, was man nicht will, dann (Beifall bei der AfD) müssen wir die Europäische Union als Instrument der Unfreiheit erkennen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Der Kollege Johannes Schraps hat das Wort für die [CDU/CSU]: Heute kommt der Theaterwissen- SPD-Fraktion. schaftler ganz stark zum Vorschein!) (Beifall bei der SPD) Denn viele der Instrumente, die es dort gibt, sind Dinge, die wir nicht wollen können und die die Bürger nicht Johannes Schraps (SPD): wollen. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Wir wollen keine Billionenpakete, die vor allem der legen! Jetzt weiß ich, warum der Kollege Schäfer für uns deutsche Bürger von seinem Steuergeld bezahlt. Wir wol- als Erstes reden wollte. Als ich den vorliegenden Antrag len nicht, dass es Steuern und Schulden auf EU-Ebene erstmals in der Hand hatte, war ich ehrlicherweise etwas gibt, bis in Jahrzehnte hinein. Deswegen fordern wir: überrascht, dass sich die AfD tatsächlich auf ganzen zehn keine Steuern auf EU-Ebene und eben auch kein PEPP. Seiten mit Europa beschäftigt. Da sind wir ja ganz andere Sachen gewöhnt. (Beifall bei der AfD) (Beatrix von Storch [AfD]: Das ist doch gut!) Wir wollen nicht, dass die EZB und der Euro den Aber inhaltlich bestätigen diese zehn Seiten leider alle Wohlstand aller durch Gelddrucken und Minuszinsen ge- Befürchtungen, die man schon vor dem Lesen haben fährden. Deswegen organisieren Sie bitte den Ausstieg musste. Wie so viele Vorrednerinnen und Vorredner das aus dem Euro, ganz geordnet. gerade schon deutlich gemacht haben, habe auch ich wäh- (Beifall bei der AfD) rend des Lesens mehrfach die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Und da Sie sich damit wirklich Wir wollen nicht, dass souveräne Staaten von anderen, selbst entlarven, will ich nur auf ganz wenige Dinge tat- (B) die eine angebliche Mehrheit hinter sich wissen, über- sächlich eingehen. (D) stimmt werden. Bewahren Sie deswegen das Einstimmig- keitsprinzip. Wenn Sie in diesem Antrag beispielsweise schreiben, die EU müsse „zu ihren Wurzeln als Wirtschaftsgemein- (Beifall bei der AfD) schaft zurückkehren“ und den freien Handel und die Zoll- Wir wollen nicht, dass die Europäische Union vor- union stärken, schreibt, wer bei uns leben darf. Deswegen: Verhindern (Zuruf von der AfD: Genau!) Sie eine EU-Flüchtlingsverteilung! sich im gleichen Atemzug aber gegen den Wiederaufbau Und wir wollen keinen Green Deal, durch den unsere der europäischen Wirtschaft aussprechen, indem Sie ei- Gesellschaft sozialökologisch transformiert wird, die nen europäischen Wiederaufbaufonds als Reaktion auf Wirtschaft abgebaut wird, der Wohlstand vernichtet wird. die Coronakrise ablehnen, dann macht das doch nur deut- Schaffen Sie freie Märkte für mündige Bürger. Das ist lich, wie Sie sich selbst widersprechen, Kolleginnen und Demokratie und Freiheit! Kollegen. (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der [CDU/CSU]: Da geht der Schauspieler heute AfD) mit Ihnen durch!) – Getroffene Hunde bellen lauter. Man merkt das auf der Und ich sage Ihnen deutlich: Europa, die Europäische rechten Seite schon ganz deutlich. Union, steht am Scheideweg: zwischen einer EU der Un- freiheit, so wie sie die Kommission vorsieht, und einem Dann bringen Sie immer wieder das Stichwort „natio- Europa der Freiheit, wie wir es niedergelegt haben. nale Souveränität“; die Kollegin Brantner hat es gerade vollkommen zu Recht angesprochen. Ich habe irgend- (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: „Nie- wann aufgehört, zu zählen, wie oft das in diesem Antrag dergelegt“!) steht. Da behaupten Sie, eine größere Souveränität der Mitgliedstaaten bedeute „die Rückkehr zu wirklicher Werte Kolleginnen und Kollegen, die Werte des Subsidiarität und ... zu mehr Bürgernähe“. Abendlandes und der Aufklärung in Europa zu leben, Deutschland zu lieben und die Bürger zu schätzen, be- Ich will Ihnen da mal ein paar Zahlen entgegenhalten. deutet ein Europa der Freiheit, einen Raum der Freiheit zu gestalten. Deswegen fordere ich Sie ganz im Stil Rous- (Zuruf von der AfD: Ach je!) seaus auf: Streiten Sie mit Ihren Zeitgenossen. Ringen Wir haben nämlich laut Daten des 92. Eurobarometers Sie mit , mit Emmanuel Macron, mit aus dem Herbst vergangenen Jahres die Aussage, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21171

Johannes Schraps (A) sich 83 Prozent der Deutschen nicht nur als Deutsche, lichkeit, und das sind die Menschenrechte einschließlich (C) sondern auch als EU-Bürger fühlen. Minderheitenrechten. (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner (Beifall bei der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Schauen Sie da gerne noch mal nach, weil Sie das, glaube Diese 83 Prozent wollen ganz sicher keine nationale Sou- ich, sicherlich überlesen oder weil Sie gar nicht reinge- veränität in Ihrem Duktus, sondern sie wollen eine starke, schaut haben. eine handlungsfähige Europäische Union, weil sie genau Deswegen heißt es eben nicht, Geld gegen Werte oder wissen, dass ein Land wie Deutschland auch nur im Ge- irgendwas einzutauschen, wie in Ihrem Antrag formu- füge der Europäischen Union stark sein kann. liert, sondern es heißt, Prinzipien zu erhalten, denen (Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜND- man sich mit dem Beitritt zur Europäischen Union nicht NIS 90/DIE GRÜNEN: Genau richtig!) nur verpflichtet hat, sondern denen man sich eigentlich verpflichtet fühlen sollte, liebe Kolleginnen und Kolle- Diese 83 Prozent der Menschen in Deutschland – min- gen. destens; ich würde sagen, es sind noch mehr – denken eben nicht so engstirnig, wie Sie das ganz offensichtlich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tun, weil diese Menschen wissen, dass sich Souveränität Wir haben Rechte und Pflichten in der Europäischen nicht nur an nationalen Grenzen bemisst. Indem wir Union, und die sorgen dafür, dass wir gemeinschaftlich Kompetenzen in bestimmten Bereichen auf die Europä- stark sind, und sie sorgen nicht dafür, dass wir jeder ein- ische Union übertragen, sind wir in einem internationalen zeln nichts zu sagen haben. Umfeld, wie wir es heute vorfinden – das hat der Kollege Schäfer deutlich gemacht –, als Europäische Union über- Aber gerade weil wir die Haltung, sich diesen Grund- haupt erst gemeinsam handlungsfähig. werten der Europäischen Union tatsächlich verpflichtet zu fühlen, nicht überall so ausgeprägt vorfinden – wir merken das hier im Haus; wir merken das auch in der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Europäischen Union manchmal –, ist ein Grundwert wäh- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des rend dieser Coronakrise ja verstärkt in den Fokus gerückt. Kollegen Kleinwächter? Sie ahnen, dass ich von der Rechtsstaatlichkeit spreche. Wir haben in den letzten Wochen alle mitansehen kön- Johannes Schraps (SPD): nen, dass Regierungen, die den Prinzipien der Rechts- Nein, nein; der hat gerade eben schon genug gesagt. – staatlichkeit und der Demokratie in der Vergangenheit Durch die Übertragung von nationalstaatlicher Souverä- (B) schon zunehmend weniger Beachtung geschenkt haben, (D) nität auf die europäische Ebene gewinnen wir als Mit- diese Grundwerte vor allem in einer Krisensituation wie gliedstaaten im Umkehrschluss überhaupt erst die Souve- jetzt in Coronazeiten noch weiter einschränken können. ränität, die wir auf internationaler Ebene alleine Da wird nicht davor zurückgeschreckt, so eine Krise auch überhaupt nie ausüben könnten. zu nutzen, um Machtspiele zu spielen, um Machtpositio- Dazu passt übrigens auch ein Satz, den Martin Schulz nen zu manifestieren und teilweise unumkehrbar zu ma- im Gespräch mit Bundestagspräsident Schäuble im Euro- chen. Die Tatsache, dass Macht wechseln kann, ist ein paausschuss noch mal gesagt hat – die Kollegen, die Grundprinzip von Demokratie und ein Grundprinzip in gestern in diesem Ausschuss waren, werden es noch im unserer Europäischen Union, verehrte Kolleginnen und Ohr haben –: Es gibt in Europa nur zwei Arten von Län- Kollegen. dern – jene, die global gesehen klein sind, und jene, die (Beifall bei der SPD) das noch nicht gemerkt haben. – Treffender kann man das aus meiner Sicht überhaupt nicht ausdrücken, liebe Kol- Auch deshalb haben wir als Koalitionsfraktionen den leginnen und Kollegen. gemeinsamen Antrag für den Schutz von Rechtsstaatlich- keit und Demokratie in Europa in dieser Woche hier in (Beifall bei der SPD) den Bundestag eingebracht. Er hat aufgrund der pickepa- Sie schreiben in Ihrem Antrag außerdem, EU-Gelder ckevollen Tagesordnung, wie wir das aus der letzten Sit- sollten nicht an Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ge- zungswoche vor der Sommerpause der vergangenen Jah- knüpft werden. Auch das sei eine Frage der Souveränität. re kennen, leider nicht mehr in die Tagesordnung gepasst. Dann behaupten Sie gleich noch dazu, die EU würde Ich freue mich aber, dass wir die Thematik dadurch in der versuchen, diese Werte durch eine Verknüpfung mit ersten Septemberwoche noch mal aufgreifen können. Ich EU-Geldern zu kaufen. Also, kruder geht es aus meiner möchte die Gelegenheit an dieser Stelle nutzen, schon Sicht wirklich kaum. einige Worte zu diesem Thema, Demokratie und Rechts- staatlichkeit, zu sagen, zumal die weitere Auseinander- Ich weiß nicht, ob Sie den EU-Vertrag überhaupt mal setzung mit dem Antragstext für wenig sinnvoll gehalten gelesen haben. In Artikel 2 stehen diese Grundwerte näm- werden kann. Wir werden ihn jedenfalls mit klarer Hal- lich schwarz auf weiß – es sind die Grundwerte, die tung ablehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. unsere gemeinsame Europäische Union begründen –: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Genau!) Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Das ist die Achtung der Menschenwürde, das ist Freiheit, Ich freue mich sehr, dass wir bereits vor unserer eige- das ist Demokratie, das ist Gleichheit, das ist Rechtsstaat- nen EU-Ratspräsidentschaft einiges im Bereich Rechts- 21172 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Johannes Schraps (A) staatlichkeit auf europäischer Ebene getan haben. Ich jetzt Aufgabe der Bundesregierung auch während der (C) meine hier vor allem das sogenannte Periodic Peer Re- Ratspräsidentschaft sein, nicht nur dafür Sorge zu tragen, view zur Rechtsstaatlichkeit, das aus meiner Sicht einen dass der europäische mehrjährige Finanzrahmen schnell guten formellen Rahmen für den Rechtsstaatsdialog zwi- beschlossen wird, sondern auch diese Verknüpfung mit schen den EU-Mitgliedstaaten bilden wird. Ich glaube, dem Thema Rechtsstaatlichkeit, wie im Kommissions- dass wir dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis von vorschlag vorgesehen, zu berücksichtigen. Rechtsstaatlichkeit auf europäischer Ebene herauszuar- beiten, damit deutlich näher kommen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Außerdem unterstützen wir den Vorschlag, die Mit- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. gliedstaaten in die Vorbereitung des jährlichen Rechts- staatsberichts einzubinden und daran zu beteiligen. Peer Review, also gegenseitige Überprüfung, bei der alle mit- Johannes Schraps (SPD): machen: So bilden wir Vertrauen. Und das ist die wich- Das mache ich sehr gerne, Herr Präsident. – Wir kön- tigste Grundlage für Zusammenarbeit in der Europä- nen die Zukunft Europas nur dadurch angehen, dass wir ischen Union, liebe Kolleginnen und Kollegen. durch Zusammenarbeit und Verantwortung aller Mit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gliedstaaten diese Europäische Union gestalten, nicht durch Abschottung, wie es manche in diesem Raum vor- Der nächste Schritt sollte sein, auch zu untersuchen, ob schlagen. wir eventuell zusätzlich noch ein Expertengremium aus unabhängigen Sachverständigen für diesen Bereich Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Rechtsstaatlichkeit brauchen. Als Vorbild könnte hier aus meiner Sicht die Venedig-Kommission des Europa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rates dienen. Jeder Mitgliedstaat würde im Benehmen mit der CDU/CSU und der FDP) der EU-Kommission dazu besonders qualifizierte Per- sönlichkeiten vorschlagen. Der Rat könnte diese Perso- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nen dann mit qualifizierter Mehrheit ernennen. Dieses Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen Gremium sollte sich mit der Aufgabe der Evaluierung das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten befassen. telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Stellungnahmen eines solchen Expertengremiums Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum könnten dann von der EU-Kommission, dem Ministerrat Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD „Beschluss (B) und dem Parlament dazu genutzt werden, um beispiels- des Bundestages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 (D) weise zu entscheiden, ob sie die ihnen zur Verfügung des Grundgesetzes“ bekannt: Abgegeben wurden 682 stehenden Instrumente – die Artikel-7-Verfahren oder Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 388, mit Nein haben auch Beschränkungen bei der EU-Mittelvergabe – akti- gestimmt 175, Enthaltungen 119. Die Beschlussempfeh- lung ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenom- vieren wollen oder nicht. Und wenn ich bei der Vergabe 1) von EU-Mitteln bin, dann will ich zum Abschluss gerne men. noch mal betonen, wie wichtig es ist, die Vergabe von EU-Mitteln an Rechtsstaatskriterien zu knüpfen. Es wird 1) Anlage 4

Endgültiges Ergebnis Gitta Connemann Abgegebene Stimmen: 680; (Börde) Ursula Groden-Kranich davon Alexander Dobrindt Hermann Gröhe ja: 388 Michael Donth Klaus-Dieter Gröhler nein: 173 Dr. André Berghegger Marie-Luise Dött Michael Grosse-Brömer enthalten: 119 Hansjörg Durz Astrid Grotelüschen Markus Grübel Ja Hermann Färber CDU/CSU Monika Grütters Dr. Michael von Abercron Dr. Fritz Güntzler Thorsten Frei Norbert Maria Altenkamp Michael Brand (Fulda) Dr. Hans-Peter Friedrich Christian Haase Dr. Reinhard Brandl (Hof) Dr. Michael Frieser Jürgen Hardt Hans-Joachim Fuchtel Matthias Hauer Ingo Gädechens Dorothee Bär Heike Brehmer Dr. Dr. Thomas Bareiß Ralph Brinkhaus Dr. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21173

(A) (Chemnitz) Dr. Nadine Schön Bettina Margarethe (C) Mark Helfrich Wiesmann Hans-Georg von der Dr. Klaus-Peter Schulze Klaus-Peter Willsch Marwitz Uwe Schummer Elisabeth Winkelmeier- Becker (Weil am (Altötting) Rhein) Dr. Dr. Heribert Hirte Dr. Angela Merkel Alexander Hoffmann Dr. Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Dr. Michelbach Dr. Dr. Bernd Siebert SPD Karsten Möring Andreas Jung Björn Simon Ingrid Arndt-Brauer Axel Müller Jens Spahn Heike Baehrens Dr. Gerd Müller Katrin Staffler Ulrike Bahr Sepp Müller Torbjörn Kartes Dr. Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Stefan Kaufmann Dr. Stefan Müller (Erlangen) Ronja Kemmer Sören Bartol Dr. (Rostock) Bärbel Bas Sebastian Steineke Michael Kießling Lothar Binding Dr. (Heidelberg) Dr. Georg Nüßlein Christian Frhr. von Stetten Dr. Axel Knoerig Leni Breymaier Florian Oßner Dr. Karl-Heinz Brunner Stephan Stracke Max Straubinger Carsten Körber Dr. (B) (D) Alexander Krauß Bernhard Daldrup Dr. Dr. Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Günter Krings Dr. Hans-Jürgen Thies Rüdiger Kruse Dr. Esther Dilcher Dr. Roy Kühne Dr. Christoph Ploß Dr. Dietlind Tiemann Saskia Esken Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Johannes Fechner Dr. Volker Ullrich Dr. Ulrich Lange Dr. Dr. Alois Rainer Kerstin Vieregge Eckhardt Rehberg (Kleinsaara) Dr. Josef Rief Dr. Andreas Lenz Johannes Röring Dr. Johann David Wadephul Angelika Glöckner Antje Lezius Dr. Norbert Röttgen Timon Gremmels Dr. Erwin Rüddel Michael Groß Albert H. Weiler Uli Grötsch Nikolas Löbel Bettina Hagedorn Anita Schäfer (Saalstadt) (Hamburg) Rita Hagl-Kehl Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Daniela Ludwig Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Sabine Weiss () Hubertus Heil (Peine) Christian Schmidt (Fürth) Marian Wendt Dr. Thomas de Maizière Dr. Annette Widmann-Mauz Dr. Barbara Hendricks 21174 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Gabriele Hiller-Ohm Dr. Peter Boehringer Volker Münz (C) Michael Roth (Heringen) Stephan Brandner Sebastian Münzenmaier Susann Rüthrich Jürgen Braun Bernd Rützel Marcus Bühl Jan Ralf Nolte Matthias Büttner Ulrich Oehme Johann Saathoff Petr Bystron Axel Schäfer (Bochum) Tino Chrupalla Tobias Matthias Peterka Ralf Kapschack Dr. Joana Cotar Paul Viktor Podolay Dr. Gottfried Curio Jürgen Pohl Cansel Kiziltepe Siegbert Droese Dr. Thomas Ehrhorn Martin Reichardt Berengar Elsner von Martin Erwin Renner Dr. Bärbel Kofler Ulla Schmidt (Aachen) Gronow Roman Johannes Reusch (Wetzlar) Dr. Michael Espendiller Ulrike Schielke-Ziesing Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Robby Schlund Johannes Schraps Dietmar Friedhoff Jörg Schneider Christian Lange (Backnang) Dr. Uwe Schulz Dr. Markus Frohnmaier Dr. Götz Frömming Martin Schulz Martin Sichert Dr. Alexander Gauland (Spandau) Detlev Spangenberg Dr. Kirsten Lühmann Dr. Dirk Spaniel Isabel Mackensen René Springer Beatrix von Storch Wilhelm von Gottberg Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Kay Gottschalk Katja Mast Rainer Spiering Dr. Harald Weyel Armin-Paulus Hampel Wolfgang Wiehle Mariana Iris Harder-Kühnel Martina Stamm-Fibich Dr. Dr. Roland Hartwig Dr. Sonja Amalie Steffen Uwe Witt (B) Mathias Stein (D) Kerstin Tack FDP Falko Mohrs Udo Theodor Hemmelgarn Grigorios Aggelidis Renata Alt Siemtje Möller Markus Töns Christine Aschenberg- Bettina Müller Dr. Heiko Heßenkemper Carsten Träger Dugnus Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Nicole Höchst Marja-Liisa Völlers Jens Beeck Dr. Rolf Mützenich Dirk Vöpel Dr. Jens Brandenburg Dr. (Rhein-Neckar) Ulli Nissen Leif-Erik Holm Mario Brandenburg Dr. Johannes Huber (Südpfalz) Sandra Bubendorfer-Licht Mahmut Özdemir Dr. Dr. Marco Buschmann Gülistan Yüksel (Duisburg) Aydan Özoğuz Stefan Keuter Carl-Julius Cronenberg Dr. Jens Zimmermann Markus Paschke Norbert Kleinwächter Britta Katharina Dassler Christian Petry Enrico Komning Bijan Djir-Sarai BÜNDNIS 90/ Jörn König Christian Dürr Achim Post (Minden) DIE GRÜNEN Steffen Kotré Annalena Baerbock Dr. Rainer Kraft Dr. Dr. Maria Klein-Schmeink Rüdiger Lucassen Daniel Föst Martin Rabanus Frank Magnitz Otto Fricke Mechthild Rawert Nein Jens Maier Thomas Hacker Dr. Lothar Maier AfD Sönke Rix Dr. Birgit Malsack- Dennis Rohde Dr. Winkemann Katrin Helling-Plahr Dr. Marc Bernhard René Röspel Hansjörg Müller Torsten Herbst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21175

(A) Ralph Lenkert Dr. Bettina Hoffmann (C) Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Florian Toncar Dr. Anton Hofreiter Manuel Höferlin Dr. Andrew Ullmann Dr. Gesine Lötzsch Ottmar von Holtz Dr. Christoph Hoffmann Gerald Ullrich Dieter Janecek Reinhard Houben Johannes Vogel (Olpe) Pascal Meiser Dr. Kirsten Kappert- Ulla Ihnen Sandra Weeser Amira Mohamed Ali Gonther Nicole Westig Cornelia Möhring Uwe Kekeritz Gyde Jensen Katharina Willkomm Niema Movassat Katja Keul Dr. Christian Jung Norbert Müller (Potsdam) Sven-Christian Kindler Karsten Klein DIE LINKE Zaklin Nastic Sylvia Kotting-Uhl Dr. Marcel Klinge Dr. Alexander S. Neu Sevim Dağdelen Oliver Krischer Thomas Nord Heike Hänsel Stephan Kühn (Dresden) Pascal Kober Ulla Jelpke Christian Kühn (Tübingen) Dr. Lukas Köhler Sören Pellmann Renate Künast Carina Konrad Fraktionslos Tobias Pflüger Markus Kurth Marco Bülow Martina Renner Sven Lehmann Alexander Graf Lambsdorff Eva-Maria Schreiber Steffi Lemke Dr. Frauke Petry Dr. Petra Sitte Dr. Tobias Lindner Helin Dr. Michael Georg Link Enthalten (Heilbronn) Claudia Müller DIE LINKE Beate Müller-Gemmeke Dr. Kirsten Tackmann Doris Achelwilm Dr. Ingrid Nestle Dr. Jürgen Martens Gökay Akbulut Dr. Konstantin von Notz Alexander Ulrich Dr. Friedrich Ostendorff Kathrin Vogler Alexander Müller Lorenz Gösta Beutin Cem Özdemir Dr. Roman Müller-Böhm Matthias W. Birkwald Lisa Paus (B) Andreas Wagner (D) Frank Müller-Rosentritt Heidrun Bluhm-Förster Dr. Martin Neumann Michel Brandt Tabea Rößner (Lausitz) BÜNDNIS 90/ Matthias Nölke Claudia Roth (Augsburg) Dr. Birke Bull-Bischoff DIE GRÜNEN Hagen Reinhold Dr. Jörg Cezanne Luise Amtsberg Corinna Rüffer Fabio De Masi Lisa Badum Dr. h. c. Thomas Margarete Bause Sattelberger Dr. Diether Dehm Dr. Danyal Bayaz Christian Sauter Anke Domscheit-Berg Canan Bayram Dr. Frank Schäffler Klaus Ernst Dr. Franziska Brantner Stefan Schmidt Dr. Susanne Ferschl Brigitte Freihold Agnieszka Brugger Charlotte Schneidewind- Matthias Seestern-Pauly Hartnagel Dr. Anna Christmann Frank Sitta Kordula Schulz-Asche Judith Skudelny Dr. Ekin Deligöz Dr. André Hahn Katharina Dröge Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Kuhn Matthias Höhn Bettina Stark-Watzinger Margit Stumpp Andrej Hunko Matthias Gastel Dr. Marie-Agnes Strack- Markus Tressel Zimmermann Kerstin Kassner Kai Gehring Dr. Jürgen Trittin Katja Suding Katrin Göring-Eckardt Dr. Julia Verlinden Jutta Krellmann Daniela Wagner Michael Theurer Caren Lay Anja Hajduk Beate Walter-Rosenheimer Stephan Thomae Sabine Leidig Britta Haßelmann

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 21176 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Ich rufe als nächste Rednerin in unserer Aussprache (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) die Kollegin Gyde Jensen von der FDP-Fraktion auf. der SPD) (Beifall bei der FDP) Geben Sie doch einfach zu, dass Sie mit solchen For- mulierungen hier gerade einfach nur Lobbyarbeit für Ihre Kolleginnen und Kollegen von PiS und Fidesz machen. Gyde Jensen (FDP): Im Übrigen sprechen diese Parteien keineswegs für das Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen gesamte Volk in Polen oder in Ungarn. Sie wurden zwar Kollegen! Nehmen Sie sich doch einen ganz kurzen Mo- von einer Mehrheit gewählt, aber tyrannisieren jetzt ge- ment Zeit und schauen Sie mal in Ihre Kürschner-Bücher. rade Minderheiten. Herr Kleinwächter, Sie sprachen von Unfreiheit. Ich glaube, die EU stand schon für Freiheit, als Sie noch (Widerspruch bei Abgeordneten der AfD) mit Ihrem Genossenkollegen Diether Dehm Zigarre ge- Das, glaube ich, ist ein Konzept von Volksherrschaft, wie raucht haben. es sich die AfD wahrscheinlich auch für Deutschland (Beifall bei der FDP – Zurufe der Abg. Helin wünscht, was aber Gott sei Dank und glücklicherweise Evrim Sommer [DIE LINKE]) in der EU so nicht möglich wäre. Aber jetzt zum Antrag. Die AfD-Fraktion legt hier (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einen Antrag vor. Das ist kein konstruktives Programm der SPD) mit Gestaltungsvorschlägen für die EU-Ratspräsident- Wissen Sie was, eigentlich ist es dann doch auch nur schaft, sondern ein Sammelsurium an Verachtung gegen- konsequent, dass Ihr einziger außenpolitischer Partner über dem erfolgreichen Projekt Europa, das uns Europä- außerhalb der EU Russland ist, ein Land, in dem gerade ern, vor allen Dingen uns Deutschen – das ist Ihnen ja gestern die letzten Reste demokratischer Prinzipien be- traditionell immer sehr, sehr wichtig – Frieden und Wohl- seitigt wurden, indem ein Autokrat wie Putin nun bis auf stand gebracht hat. Ihnen geht es hier nicht darum, dass Weiteres regieren kann. die EU durch neue Ideen, neue Instrumente bürgernäher und demokratischer wird, wie Sie es mit dem vollkom- (Zurufe von der AfD) men irreführenden Titel des Antrages glauben machen So viel zu „Bürgernähe und Demokratie“, wie Sie es im wollen. Antrag formulieren. Bei Ihren Anträgen und Vorschlägen geht es Ihnen wie Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist wie so immer einzig darum, die Zeit um ein paar Jahrzehnte viele von der AfD ein Schlag ins Gesicht der Bürgerinnen (B) zurückzudrehen, zurück in die Zeit vor 1966, zurück und Bürger in unseren Nachbarländern. Am Sonntag – (D) zur Politik des leeren Stuhls, als die EWG durch das Ein- ich habe Polen angesprochen – wurde dort gewählt. Die stimmigkeitsprinzip vollkommen gelähmt und hand- weltoffene Zivilgesellschaft hat dabei gezeigt, dass sie ihr lungsunfähig war. Land eben noch nicht aufgegeben hat. Unsere EU-Insti- (Zurufe von der AfD) tutionen haben sie dabei unterstützt und tun das weiter. Diese Rückendeckung brauchen wir dort. Immer wieder Wenn die EU dann nur noch eine leere Hülle ist, dann ermahnte die EU hier, leitete Verfahren ein und pochte gehen die Grenzen wieder hoch. Wie das zu einem „Eu- darauf – ropa der Freiheit“, wie Sie es formulieren, passen soll, das, muss ich ganz ehrlich sagen, erschließt sich mir nicht. Ich glaube, Sie sind hier in diesem Hohen Haus Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: komplett alleine mit dieser Annahme, was das Verständ- Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende. nis von Freiheit angeht. Gyde Jensen (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, dass der SPD) Grundrechte von Minderheiten gewahrt bleiben. Genau Meine Damen und Herren, ich bin selber keine Juristin, das ist das, was unsere europäische Union ausmacht, aber im Gegensatz zur AfD weiß ich, dass ich einen nicht das, was Sie darunter verstehen. Ich denke, da stim- Rechtsexperten durchaus konsultieren kann, wenn ich men alle Kollegen mit Ausnahme von Ihnen in diesem einen Antrag verfasse. Push-backs an den EU-Außen- Hause auch zu. grenzen, wie Sie sie in Ihrem Antrag vorschlagen, ver- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes stoßen nicht nur gegen Seerecht, sondern auch gegen die Schraps [SPD] – Dr. Alexander Gauland Genfer Flüchtlingskonvention. Der Vorschlag, die See- [AfD]: Polen-Beschimpfung ist das, Polen-Be- außengrenzenverordnung, also europäisches Sekundär- schimpfung! Das war mal üblich in Deutsch- recht, abzuändern, um diese Push-backs zuzulassen, ist land! Sie machen es weiter!) juristisch kompletter Unfug.

Das Prinzip EU-Fördermittel – Herr Schraps sprach es Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: auch an – an Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, wie wir das Für die Fraktion Die Linke hat als Nächstes das Wort als FDP-Fraktion unter anderem auch in unserer Grund- der Kollege Andrej Hunko. werteinitiative fordern, würden Sie als Kolonialismus be- zeichnen. Vollkommener Humbug! (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21177

(A) Andrej Hunko (DIE LINKE): Andrej Hunko (DIE LINKE): (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Vielen Dank, Herr Kollege Petry. – Sie sprechen die Brexit wird die EU nur noch weniger als 40 Prozent des Europäische Menschenrechtskonvention an. Ihr Kollege geografischen Europas darstellen. Vier der fünf größten hat ja eben hier die Grundrechte der EU ausführlich dar- Städte Europas – Istanbul, Moskau, London, Sankt Pe- gestellt. Das Problem ist: Diese sind nicht einklagbar. Die tersburg; all das sind europäische Städte – werden außer- Europäische Menschenrechtskonvention dagegen sieht halb der EU sein. Über den Beitrittsprozess der Türkei ein Individualklagerecht beim Straßburger Gerichtshof redet keiner mehr. Wohin die Reise auf dem Westbalkan für alle 820 Millionen Menschen in Europa vor. Ich finde geht, steht in den Sternen. Ich denke, vor diesem Hinter- Ihre Forderung völlig richtig. Auch wir fordern das seit grund braucht es ein bisschen mehr Bescheidenheit und Langem. Ich fordere auch die Bundesregierung auf, den ein bisschen mehr Reflexion statt einer Parole „Make Beitritt der EU zur viel älteren Menschenrechtskonven- Europe strong again“. tion auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Frau Staffler, in der akuten Coronakrise hat die EU tatsächlich versagt, als Italien und Spanien den Zivil- Wir wollen nämlich weder eine Rückkehr zum deut- schutzmechanismus aktivierten und kein EU-Staat schen Nationalismus noch einen neuen EU-Nationalis- reagierte. Stattdessen wurden in den letzten Jahren mili- mus deutscher Prägung, der sich als Strafrichter über tärische Mechanismen, militärische Projekte vorangetrie- große Teile der Welt aufspielt. ben. Ich rede von PESCO, was sich mittlerweile als teures Fiasko entpuppt. (Beifall bei der LINKEN) Was wir brauchen, ist mehr europäische Kooperation, (Beifall bei der LINKEN) gesamteuropäische Kooperation als Teil internationaler Wir sagen: Lernt aus der Coronakrise! Stärkt den zivilen Kooperation, auch in Zukunft mit Großbritannien, auch und sozialen Zusammenhalt in Europa! Das ist die wirk- mit Russland und mit China. Ich denke, das wäre der lich schlafende Schönheit Europas, nicht PESCO. Geist, den die Bundesregierung für die EU-Ratspräsi- dentschaft mitnehmen sollte. (Beifall bei der LINKEN – Abg. Christian Petry [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfra- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ge) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (B) Soll ich eine Frage beantworten? neten der SPD) (D)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wenn Sie die Zwischenfrage zulassen, bitte schön. Der nächste Redner: für Bündnis 90/Grüne der Kollege Sven-Christian Kindler.

Andrej Hunko (DIE LINKE): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Christian Petry (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Herr Kollege Hunko, ich sehe es etwas positiver als ren! Kollege Hunko hat es angesprochen: Am Anfang hat Sie. Die Europäische Union kann die Krise als Chance die Europäische Union nicht gut auf diese Krise reagiert. begreifen, um sich zu stärken. Was wir heute aber noch Gerade Italien und Spanien wurde am Anfang nicht geh- nicht angesprochen haben, wozu ich gerne von Ihnen olfen. Aber mittlerweile sind wir in einer anderen Situa- wissen möchte, ob Sie dies auch so sehen: Wir könnten tion. Es gibt in der Europäischen Union das Programm auch auf einem anderen Feld weiterkommen, nämlich bei zur Eindämmung von Arbeitslosigkeitsrisiken SURE. der Europäischen Menschenrechtskonvention, indem wir Die EZB hat mit dem PEPP-Programm von Anfang an es schaffen, dafür zu sorgen, dass die Europäische Union und sehr früh gehandelt. Es gibt einen sehr guten Vor- dieser beitritt. Dies könnten wir dann auch als einen Er- schlag für den Recovery Fund. Und man sieht: Europa folg der Ratspräsidentschaft sehen. ist dadurch deutlich besser durch die Krise gekommen. Es war wichtig, dass die Europäische Union gehandelt Bei aller Kritik, die Sie eben genannt haben, was hat und in dieser Krise handlungsfähig ist. schiefgelaufen ist, wünsche ich mir den Blick nach vorne. Sehen Sie nicht auch eine Chance, wenn wir den Blick (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) positiv nach vorne richten und bei den nächsten Maß- nahmen, die wir ergreifen, eben nicht diese Fehler ma- Der AfD-Abgeordnete Herr Kleinwächter hat eben al- chen, sondern die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, les kritisiert und gesagt: Das brauchen wir nicht. – Im um dort voranzukommen? Kern ist, glaube ich, das Vorbild der AfD ganz klar: Die AfD orientiert sich an Donald Trump und den USA, weil (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Sie im Kern Coronaleugner sind. Das ist die harte Wahr- Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) heit. 21178 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Sven-Christian Kindler (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Trilog abgeschlossen ist und wir ein neues europäisches (C) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Klimaschutzgesetz haben. Da steht die Bundesregierung der SPD und der Abg. Helin Evrim Sommer auf der Bremse. Wir sagen sehr klar: Wir wollen ein [DIE LINKE]) europäisches Klimaschutzgesetz, das 65 Prozent Treib- hausgasreduktion bis 2030 vorsieht, und das wollen wir Und wenn man nicht handelt, wenn man nicht Gesund- dieses Jahr beschließen. Das brauchen wir, und die deut- heitssysteme stabilisiert, wenn man nicht Beschäftigte sche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union unterstützt, wenn man nicht die Wirtschaft unterstützt, muss eine Klimaratspräsidentschaft sein. wenn man dafür sorgt, dass alles gelockert wird, obwohl das Virus grassiert: Was dann passiert, das sieht man in Vielen Dank. den USA. Es gibt weltweit nirgends so viele Infizierte wie in den USA, nirgends so viele Tote wie in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) USA. Wir können froh sein, dass wir in Europa mittler- weile in einer anderen Situation sind, dass wir gehandelt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: haben, dass wir die Pandemie viel besser in den Griff Die Kollegin Ursula Groden-Kranich hat das Wort für bekommen haben. Darauf können wir in Europa stolz die CDU/CSU-Fraktion. sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft – die Kanzlerin Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- hat es betont, Koalition und Regierung haben es gesagt –: be Gäste! Der vorliegende Antrag der AfD „Deutsche Sie muss auch ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz Ratspräsidentschaft für ein Europa der Freiheit nutzen, sein. Aber ich will dazu anfügen: Dann muss die Union für die Stärkung der nationalen Souveränität, für Bürger- auch noch mal mit ihrer Fraktion im Europäischen Parla- nähe und Demokratie“ beginnt ja schon im Titel mit Un- ment klären, wie ernst das eigentlich gemeint ist. Es kann wahrheiten. Denn liest man den Antrag durch, dann wird doch nicht sein, dass man jetzt sagt: Weil wir die Corona- einem ganz schnell klar, was mal wieder Ihre wahre In- krise haben, dürfen wir die Klimakrise nicht mehr so tention ist, und diese ist nicht für, sondern ganz klar gegen ernst nehmen. ein starkes Europa gerichtet. (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wir sehen es doch: Wir haben Dürren und Hitzewellen in (B) Europa. Wir sehen: Gegen die Klimakrise gibt es keinen NEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Vielleicht (D) Impfstoff. Sie macht auch keine Pause; sie macht keinen sollten Sie sich angewöhnen, den Text zu le- sen!) Urlaub. Dann kann man doch nicht sagen: Das vergessen wir jetzt, und jetzt sorgen wir dafür, dass es keinen Kli- Ihr gesamter Antrag basiert auf einem Sammelsurium maschutz gibt. – Das muss beides zusammengedacht von Themen, die weder neu und schon gar nicht pro- werden! Wir müssen gemeinsam aus der Coronakrise europäisch sind. Wieder einmal nutzen Sie einen Ihrer und der Klimakrise kommen. Anträge, um Ihre nationalistischen Ideologien zu verbrei- ten und den europäischen Gedanken der Solidarität und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit auch die Europäische Gemeinschaft als solches zu Ich finde es auch einen falschen Gegensatz, den Sie da diskreditieren. Sie beklagen das Handeln der Europä- aufmachen – das ist gewissermaßen so ein 20.-Jahrhun- ischen Union in der Coronakrise als „Totalversagen“. dert-Gegensatz –: Klimaschutz und Wirtschaft. Im Ge- Ja, es gibt tatsächlich Verbesserungsbedarf. Aber Ihre genteil, andersrum wird doch ein Schuh draus: Wir wis- Rückschlüsse, dass jetzt weniger und nicht mehr Europa sen doch alle, dass es auf einem zerstörten Planeten keine notwendig ist, teile ich absolut nicht. funktionierende Wirtschaft geben kann. Wir wissen aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der auch alle, dass international das Pariser Klimaschutzab- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- kommen gilt, dass wir damit harte Grenzen eingezogen NEN) haben – zu Recht – und dass sich Unternehmen und Wirt- schaft darauf einrichten müssen, je schneller desto besser. Im Kern zeigt das doch wieder einmal Ihre eigentliche Das stärkt auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Denke: Sie wollen nicht Teil der EU sein und arbeiten Es gibt große Chancen mit Investitionen für neue Be- ständig daran, unsere gemeinsame Politik in Europa als schäftigung, für Innovationen. Die muss man jetzt ergrei- Obrigkeitspolitik zu verteufeln. Aber genau das hat Co- fen. Man muss das Positivbeispiel Klimaschutz nehmen; rona gezeigt: Corona macht eben nicht an nationalen man muss es als große Chance begreifen. Das ist die Grenzen halt. Es ist ein übernationales Problem, Aufgabe der Ratspräsidentschaft. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das aber regio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nal eingedämmt wurde!) Dazu passt es, finde ich, dann auch nicht, dass die und deswegen müssen wir auch übernational denken. Die Bundesregierung jetzt sagt: Wir wollen ein europäisches Europäische Gemeinschaft ist nun Teil einer Lösung, und Klimaschutzgesetz bis Ende dieses Jahres nur im Rat be- wir müssen aus den Fehlern, die wir zu Beginn der Krise schließen. Ursprünglich war mal geplant, dass dann der gemacht haben, lernen. Wir sind ein Teil dieser Politik. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21179

Ursula Groden-Kranich (A) Wir gestalten sie mit, und wir sind froh darüber, in einer cen; aber dazu braucht es Mut, Mut, den Sie nicht haben. (C) solchen Gemeinschaft leben zu dürfen. Denn Ihr Antrag zeugt von Angst: Angst vor europä- ischer Nähe, Angst vor der Zukunft. Wir sind mutig! Es ist nicht zuletzt auch ein Akt der Menschlichkeit gewesen, ausländische Staatsbürger, die am Coronavirus (Lachen bei der AfD) erkrankten, in Deutschland zu behandeln. Denn da haben wir aus unseren Fehlern vom Beginn der Pandemie ge- Insbesondere in dem Jahr, in dem wir 30 Jahre Wieder- lernt. Und diese grenzübergreifenden Mechanismen müs- vereinigung feiern, freuen wir uns, dass Deutschland die sen sogar noch weiter ausgebaut werden. Ratspräsidentschaft gemeinsam mit Portugal und Slowe- nien übernehmen darf für ein freies, ein friedliches und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der vereintes Europa „Gemeinsam. Europa wieder stark ma- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- chen.“ NEN – Zurufe von der AfD) Vielen Dank. Es gilt also – insbesondere im Jahr der deutschen EU- Ratspräsidentschaft –, für eine stärkere Vernetzung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Staaten zu kämpfen und nicht zu beginnen, die alten ordneten der SPD) nationalstaatlichen Paradigmen aus der Mottenkiste zu holen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der letzte Redner zu Tagesordnungspunkt 9 ist der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Kollege Dr. Christoph Ploß, CDU/CSU-Fraktion. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Dr. Harald Weyel [AfD]: Linkensprech (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU!) Meine Damen und Herren, die AfD lehnt den Aufbau- Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU): fonds der EU ab, da dieser zu einer „Vollendung der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Schuldenunion der Vereinigten Staaten von Europa“ füh- Dass wir die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, stellt ren würde. natürlich sowohl für unser Land als auch für Europa ins- gesamt ein historisches Ereignis dar. Viele sagen in die- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Bis 2058!) sen Tagen zu Recht: Wir können jetzt die Weichen der Hier sind wir ganz weit weg von der eigentlichen Wahr- Europäischen Union teilweise neu stellen, die Agenda heit. prägen. – Und ich möchte hinzufügen: Wir können auch am Europa der 1920er- und 1930er-Jahre bauen. (B) (Zurufe von der AfD) (D) Wenn uns Jugendliche fragen: „Wie sieht denn euer Sonst würden wir nicht alle um die Ausgestaltung dieses Europa im Jahr 2030 oder 2035 aus?“, dann haben wir Fonds ringen. Hier werden wir uns auch als deutsches da ein klares Bild vor Augen. Wir sagen: Flugzeuge müs- Parlament weiter einbringen und Vorschläge machen. sen mit klimaneutralen Treibstoffen fliegen, Züge zum Das stärkt nämlich Europa, das ist Bürgernähe, und das Beispiel mit Brennstoffzellen betrieben werden. Pkw fah- stärkt Demokratie – nicht Verweigerung, sondern Mit- ren autonom zwischen den europäischen Staaten hin und machen. her. Die Mobilität wird immer effizienter, immer leiser, immer klimafreundlicher. Aber wir werden zum Beispiel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der auch Gesundheitsproblemen als Europäische Union ge- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- meinsam begegnen, auf Epidemien oder Pandemien rea- NEN) gieren, indem wir Daten erheben, digitalisieren und Echt- Und wie heißt unser Motto? „Gemeinsam. Europa wieder zeitinformationen miteinander austauschen. In der stark machen.“ Außenpolitik wird die Europäische Union neben China und neben den USA ein entscheidender Akteur auf der Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zum Schluss Weltbühne sein. noch mal auf das Positive zurückkommen. Deutschland übernahm gestern für ein halbes Jahr die europäische Wenn wir an diesem Europa arbeiten und zu diesem Ratspräsidentschaft und hat sich wirklich herausfordern- Europa sagen: „Das ist die Zukunft, die wir uns wün- de und wichtige Ziele gesetzt. Ich bin überzeugt davon, schen“, dann dürfen wir genau das nicht machen, was dass die Europäische Union davon profitieren wird. Wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, hier mit hatten gestern unseren Parlamentspräsidenten, Herrn Ihrem Antrag vorschlagen. Es darf kein Zurück dahin Dr. Wolfgang Schäuble, im EU-Ausschuss zu Gast, der geben, dass wir die großen Themen nur nationalstaatlich uns an unsere Rolle als Parlament erinnert hat. Er wies angehen und lösen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir wer- darauf hin – und hat dezidiert auch zu den Fragen der AfD den die großen Themen nur europäisch und in europä- darauf hingewiesen –, dass eine europäische Integration ischer Kooperation angehen können. nur in Zeiten großer Krisen substanziell vorankommen kann. Denn eine Krise bietet auch Chancen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Johannes Schraps [SPD]) (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Dafür nutzen wir auch die deutsche EU-Ratspräsident- – Sie waren doch gestern gar nicht dabei. Äußern Sie sich schaft, gerade bei den Megathemen Klimaschutz und doch gar nicht dazu! – Also, eine Krise bietet auch Chan- Wirtschaft. Denn viele in unserem Land und in Europa 21180 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Christoph Ploß (A) fragen sich natürlich völlig zu Recht: Übergeben wir den Daran werden wir arbeiten, und ich freue mich, wenn wir (C) Planeten irgendwann an unsere Kinder und Enkelkinder dieses alles gemeinsam vorantreiben. in einem gesunden, in einem guten Zustand? Herzlichen Dank. (Zurufe von der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Viele fragen auch: Ist mein Arbeitsplatz sicher nach der Johannes Schraps [SPD]) Coronakrise? Wie wird sich das in den nächsten Jahren entwickeln? Kann ich noch meine Familie ernähren? Auf Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: diese großen Fragen müssen wir auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Antworten finden. Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- sprache. Deswegen dürfen wir die Themen Klimaschutz und Wirtschaftspolitik auch nicht als Gegensatz sehen, son- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf dern müssen sie miteinander verbinden, indem wir zum Drucksache 19/20614 an die in der Tagesordnung aufge- Beispiel am Aufbau einer europäischen Wasserstoffinfra- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Über- struktur arbeiten und sagen: Wir wollen hier die Techno- weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- logien entwickeln, damit Wasserstoff zum Beispiel im fahren wir wie vorgeschlagen. Chemiesektor, im Gebäudesektor, bei der Herstellung Ich komme jetzt noch einmal zurück zu Tagesord- von Kunststoffen, bei der Herstellung von Kupfer und nungspunkt 8 b: namentliche Abstimmung über den Ent- Stahl zum Einsatz kommt. – Dann können wir Klima- schließungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache schutz zum Exportschlager machen, hier Hunderttausen- 19/20739 zur dritten Beratung des Nachtragshaushaltsge- de neue Arbeitsplätze schaffen und diese Technologien setzes 2020. Der Entschließungsantrag bezieht sich au- zum Beispiel nach Afrika exportieren, wo dann wiede- ßerdem auf die dritte Beratung des Gesetzentwurfs über rum mit der Sonne Afrikas Wasserstoff und Ökostrom begleitende Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunktur- hergestellt werden, sodass auch dort neue Arbeitsplätze und Krisenbewältigungspakets sowie auf die Beratung entstehen. Das ist dann Multilateralismus zum Nutzen der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses beider Seiten. zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu einem Beschluss des Bundestages gemäß Artikel 115 Ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und satz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes. der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) In dem Zusammenhang, liebe Kolleginnen und Kol- Die Urnen befinden sich wieder in der Westlobby. Für (B) legen, ist es natürlich auch wichtig, dass wir Infrastruk- die Stimmabgabe steht ein Zeitfenster von 30 Minuten (D) turprojekte in Deutschland schneller planen und bauen. nach Eröffnung der Abstimmung zur Verfügung. Ich bitte Ich kann viele verstehen, die sagen: Es kann doch nicht jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- wahr sein, dass wir für eine neue Bahnverbindung, für ein sehenen Plätze einzunehmen. – Die Plätze an den Urnen neues Schienenprojekt im Durchschnitt 20 Jahre benöti- sind besetzt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung gen. – Im Durchschnitt! Häufig sind es 25 oder 30 Jahre. über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD. Die Abstimmungsurnen werden um 12.57 Uhr geschlos- So stärken wir weder den Wirtschaftsstandort Deutsch- 1) land, noch werden wir die Klimaschutzziele erreichen, sen. und wir werden auch die Mobilität der Bürger nicht Als Nächstes rufe ich die Zusatzpunkte 11 und 12 auf: weiter verbessern. Deswegen müssen wir im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auch an internatio- ZP 11 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- nale Vereinbarungen heran, diese diskutieren und teilwei- desregierung eingebrachten Entwurfs eines se neu gestalten, zum Beispiel indem wir das Verbands- Gesetzes zur Einführung der Grundrente klagerecht reformieren, um so Infrastrukturprojekte in für langjährige Versicherung in der ge- Deutschland schneller vorantreiben zu können. Auch setzlichen Rentenversicherung mit unter- das wird ein wichtiger Punkt sein. durchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft stehen Alterseinkommen (Grundrentengesetz) wir vor der entscheidenden Frage: Wollen wir, dass Eu- ropa am Ende das Industriemuseum der Welt wird, oder Drucksache 19/18473 wollen wir, dass die Europäische Union und damit Deutschland der Innovator der Welt wird? Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus- (Zurufe von der AfD) schuss) Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen natürlich die Europä- Drucksache 19/20711 ische Union zu einem Innovator der Welt machen. Wir wollen die Klimaschutzziele erreichen, wir wollen neue – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Wirtschaftszweige aufbauen, und wir wollen die Europä- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ische Union zu einem starken außenpolitischen Akteur Drucksache 19/20728 auf der Weltbühne formen.

(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) 1) Ergebnis Seite 21192 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21181

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) ZP 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sellschaft, meine Damen und Herren, macht einen Unter- (C) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales schied, und das gilt auch für die Alterssicherung. (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, Pascal (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kober, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Denn gerade die Coronakrise macht den Handlungs- der FDP bedarf wie in einem Brennglas sehr deutlich: Letztlich Altersarmut zielgenau bekämpfen – Neue Ba- sind es die Menschen, die den Laden am Laufen halten – sis-Rente schaffen als Kassiererinnen, als Lagerarbeiter, als Altenpflegehel- ferinnen, die jetzt in der Öffentlichkeit stehen, im öffent- Drucksachen 19/7694, 19/10033 Buchstabe b lichen Bewusstsein sind. Viele von ihnen bekommen Anerkennung, Schulterklopfen, Pralinen, Blumen. Sie Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen werden als Heldinnen und Helden des Alltags gefeiert. acht Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag Das, meine Damen und Herren, ist nett gemeint, ändert der Fraktion Die Linke vor. Des Weiteren liegt ein Ent- aber nichts daran, dass diese Menschen am Ende des schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Monats und im Ruhestand zu wenig rausbekommen. Des- vor. halb sage ich: Es geht um Anerkennung – gar keine Für die Aussprache ist eine Dauer von 60 Minuten be- Frage –; aber es ist nicht bei warmen Worten zu belassen. schlossen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Diese Menschen brauchen in harter Währung mehr Geld Redner der Bundesminister Hubertus Heil. in der Tasche, und zwar bei den Löhnen und im Alter. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- Es geht nicht nur um Anerkennung, und schon gar les: nicht allein um Pralinen. Es geht im Kern um Leistungs- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gerechtigkeit, meine Damen und Herren. Und es ist auch werden heute ein Gesetz beschließen, auf das viele Men- eine Frage des Anstandes; denn ohne diese Menschen, schen in Deutschland lange gewartet haben. Es geht um von denen ich gerade gesprochen habe, und viele andere die längst überfällige Einführung der Grundrente. Die mehr würde unser Land nicht funktionieren. Grundrente ist das zentrale sozialpolitische Reformpro- (B) jekt dieser Bundesregierung. 1,3 Millionen Menschen Es geht aber auch um Verlässlichkeit, um die Verläss- (D) werden von ihr profitieren. Aber gleichzeitig sage ich: lichkeit dieser Großen Koalition. Wir haben lange gerun- gen, liebe Kolleginnen und Kollegen; das ist doch kein Es geht um mehr. Es geht um eine Richtungsentschei- dung für unser Land. Es geht gerade in diesen Coronazei- Geheimnis. Aber ich finde, es ist richtig gut, dass diese ten um die Frage, ob wir einfach zur Tagesordnung über- Regierung gerade in diesen Zeiten beweist, dass man auch gemeinschaftlich zu guten Lösungen in der Lage ist. gehen oder ob wir diese Krise als Chance begreifen, unser Land besser und gerechter zu machen, meine Damen und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herren. Mit unterschiedlichen Positionen um die beste Lösung zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ringen, ist keine Schande. Aber nicht zu Ergebnissen zu der CDU/CSU) kommen, das wäre eine Schande gewesen, liebe Kolle- Es geht um den Wert der Arbeit, um die Anerkennung ginnen und Kollegen. und den Respekt für die tägliche Leistung. Es geht auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) um den Platz in der sozialen Mitte unserer Gesellschaft – auf den haben alle Menschen Anspruch in diesem Land, Es ist letztendlich in dieser Zeit auch eine Frage der die hart arbeiten, die Kinder erziehen, die Angehörige wirtschaftlichen Vernunft; denn wir stärken die Kaufkraft pflegen. der Menschen an dieser Stelle. Die Rede ist vor allen Dingen von Frauen, die in diesem Land von der Grund- Aber, Herr Präsident, meine Damen und Herren, nach rente profitieren würden. Zu mehr als 70 Prozent werden wie vor erleben leider viel zu viele Menschen mit ge- Frauen profitieren. ringen Löhnen, dass sie nicht Teil der sozialen Mitte sind, dass die soziale Mitte für sie nicht in Reichweite ist, Ich rede von Frauen wie Susanne Holtkotte. Susanne sosehr sie sich auch abrackern, anstrengen und hart arbei- Holtkotte arbeitet in Bochum. Sie steht mitten im Leben, ten. Das spüren auch viele Menschen in der Alterssiche- auch im Berufsleben. Sie ist Reinigungskraft in einem rung, in der Rente. Wenn wir offen und ehrlich darüber Krankenhaus im Ruhrgebiet. Das ist ein Knochenjob; reden: Hier ist in den vergangenen Jahren gesellschaftli- aber er ist, wie man heute sagt, systemrelevant, weil sonst ches Vertrauen verloren gegangen – Vertrauen in die so- Hygiene in Krankenhäusern nicht zu gewährleisten wäre. ziale Marktwirtschaft, Vertrauen in die Altersvorsorge (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!) und offenbar auch in unser politisches Gemeinwesen. Wir müssen deshalb dieses Vertrauen erneuern. Wir Susanne Holtkotte verdient den Mindestlohn im Gebäu- müssen hinschauen und handeln. Die Einführung der dereinigerhandwerk; das ist nicht viel Geld. Sie arbeitet Grundrente macht eines deutlich: Arbeit in unserer Ge- fast jeden Tag und kann das nicht aus dem Homeoffice 21182 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Bundesminister Hubertus Heil (A) tun. Sie hat nach derzeitiger Rechtslage – in 18 Jahren Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) geht sie in Rente – einen Rentenbezug von nur 760 Euro. Die Kollegin Ulrike Schielke-Ziesing hat das Wort für die AfD-Fraktion. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Unglaublich!) Meine Damen und Herren, mit der Grundrente könnte sie, (Beifall bei der AfD) wenn sie ihr Berufsleben so fortsetzt, immerhin rund 1 030 Euro bekommen. Das ist auch noch kein Reichtum; Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): aber für Susanne Holtkotte macht das einen Unterschied. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegen! Und deshalb ist es ein guter Tag für Menschen, die hart Verehrte Bürger! Zur ersten Lesung hörten wir noch vom arbeiten in diesem Land. Kollegen Brinkhaus aus der CDU/CSU-Fraktion, dass es keine zweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) geben wird, wenn die Grundrente nicht solide gegenfi- Herr Präsident, meine Damen und Herren, Susanne nanziert wird. Nun, diese Aussage hielt nicht besonders Holtkotte ist heute hier; sie sitzt da oben auf der Besu- lange, und das, obwohl sich an dem Gesetzentwurf nicht chertribüne. Ich möchte ihr herzlich Danke sagen für die das Geringste geändert hat. Mit anderen Worten: Die Arbeit, die sie macht. Sie können heute auch mal live für CDU/CSU-Fraktion lässt sich wieder einmal von der Menschen, die im Alltag ihren Mann oder ihre Frau ste- SPD vorführen und verrät wieder einmal ihre Prinzipien – hen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, applaudie- oder vielleicht sollte man sagen: ehemaligen Prinzipien. ren. (Beifall bei der AfD – Alexander Krauß [CDU/ (Beifall im ganzen Hause) CSU]: Grundrente gehört zu unseren Prinzi- pien! Weil es leistungsgerecht ist!) Susanne Holtkotte hat sich eingesetzt für die Grund- Herzlichen Glückwunsch im Übrigen an die CDU zum rente – auch dafür bin ich ihr dankbar –, und zwar nicht 75. Geburtstag! Man sollte meinen, in so einem Alter hat nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kolleginnen und man genügend Erfahrung gesammelt, um sich gegen ei- Kollegen. Liebe Susanne, ganz herzlichen Dank! Und nen hyperaktiven Koalitionspartner durchzusetzen. Aber herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Das wollte dem ist wohl nicht so. ich an dieser Stelle auch noch mal loswerden. (Beifall bei der AfD) (Beifall) Wir haben ja an dieser Stelle schon häufig über die Meine Damen und Herren, wir sorgen dafür, dass Grundrente debattiert. Ich könnte nun wieder die Gründe 1,3 Millionen Menschen von der Grundrente profitieren. anführen, warum wir die Grundrente für grundlegend (B) Es geht um einen Zuschlag auf die Rente für diejenigen, (D) falsch halten, warum wir dieses Konzept für zu teuer die hart gearbeitet haben – und zwar ohne Anträge aus- und vor allem für ungerecht halten, warum wir es für zufüllen. Es wird ja viel über Bürokratie gesprochen in verheerend halten, das Äquivalenzprinzip – dass es also diesem Zusammenhang. Dass wir die Bürgerinnen und für eine bestimmte Leistung eine bestimmte Gegenleis- Bürger durch einen automatischen Abgleich zwischen tung gibt – so dermaßen aufzuweichen, warum es falsch Rentenversicherung und den Finanzbehörden letztend- ist, die Rentenversicherung mit bürokratischen Aufgaben lich von Bürokratie freihalten, dass wir sie nicht mit An- zu überlasten, um auf die denkbar komplizierteste und trägen belasten, das macht für mich einen modernen So- teuerste Art und Weise Geld zu verteilen, von dem am zialstaat aus, meine Damen und Herren. Ende doch so wenig Menschen profitieren. (Beifall bei der SPD) (Dr. Matthias Bartke [SPD]: 1,3 Millionen sind Es geht nämlich nicht darum, irgendwelche Almosen wenig?) zu verteilen. Die Menschen haben sich den Anspruch Das alles möchte ich mir heute einmal sparen; denn erworben. Es geht um eine Grundrente und nicht um alles, was zu diesem Thema gesagt werden konnte, wurde Almosen an diesem Punkt. Deshalb ist es der richtige bereits gesagt: von den zahlreichen Sachverständigen in Weg, dass wir das automatisch machen. der öffentlichen Anhörung, von der Rentenversicherung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und sogar von den eigenen Abgeordneten der Großen Koalition – wie wir heute wissen: vergeblich. Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit der Grundrente erneuern wir ein Kernversprechen unseres Stattdessen möchte ich heute lieber etwas zur Berech- Sozialstaats: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, ist auch nung dieser Grundrente sagen. Mit Erlaubnis des Präsi- im Alter abgesichert. Er und sie gehören zur sozialen denten möchte ich aus dem neuen § 76g SGB VI zitieren, Mitte unserer Gesellschaft. Darum muss es gehen. bei dem es um die Berechnung der Grundrente geht: Ich bitte Sie also heute um Zustimmung für die Ein- Der Zuschlag an Entgeltpunkten wird ermittelt aus führung der Grundrente in Deutschland. dem Durchschnittswert an Entgeltpunkten aus allen Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszei- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, das packen ten und umfasst zunächst diesen Durchschnittswert. wir!) Übersteigt das Zweifache dieses Durchschnittswer- Herzlichen Dank. tes den jeweils maßgeblichen Höchstwert an Ent- geltpunkten nach den Sätzen 3 bis 5, wird der Zu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schlag aus dem Differenzbetrag zwischen dem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21183

Ulrike Schielke-Ziesing (A) jeweiligen Höchstwert und dem Durchschnittswert Das Konzept der Grundrente ist zu teuer, sozial unge- (C) nach Satz 1 ermittelt. Der Höchstwert beträgt recht, wirkungslos und belastet die Folgegenerationen. 0,0334 Entgeltpunkte, wenn 33 Jahre mit Grund- rentenzeiten vorliegen. Liegen mehr als 33, aber (Beifall bei der AfD) weniger als 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vor, Die Finanzierung des Ganzen ist völlig offen, die Um- wird der Höchstwert nach Satz 3 je zusätzlichen setzung ein Desaster – auch ohne Corona. Kein Wunder, Kalendermonat mit Grundrentenzeiten um dass sich die Kollegen aus der CDU/CSU mit Händen 0,001389 Entgeltpunkte erhöht; das Ergebnis ist und Füßen dagegen gewehrt haben. Allein die Führung auf vier Dezimalstellen zu runden. Liegen mindes- hat anders entschieden. tens 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vor, beträgt der Höchstwert 0,0667 Entgeltpunkte. Zur Berechnung Wie wir in Armut lebenden Rentnern zielgenau und der Höhe des Zuschlags an Entgeltpunkten wird der effizient helfen können, das haben wir als AfD-Fraktion nach den Sätzen 1 bis 5 ermittelte Entgeltpunktewert bereits im Februar 2019 mit einem Antrag gezeigt. Eine mit dem Faktor 0,875 und anschließend mit der An- Freibetragslösung in der Grundsicherung im Alter kommt zahl der Kalendermonate mit Grundrentenbewe- bei den Bedürftigen an und setzt die Rentenversicherung rtungszeiten, höchstens jedoch mit 420 Kalendermo- auch nicht dermaßen unter Druck. naten, vervielfältigt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das wä- (Beifall bei der AfD – Gabriele Hiller-Ohm re noch weniger als die dünne Suppe von der [SPD]: Das ist doch super!) FPD! Das meinen Sie jetzt doch nicht so richtig Ist das noch für irgendjemanden nachvollziehbar? ernst, oder, Frau Kollegin?) (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja! Für mich!) Sie, Minister Heil, haben unseren Vorschlag sogar mit in das Grundrentengesetz aufgenommen, aber die große – Für Sie schon? Sehr schön, herzlichen Glückwunsch. – Hürde „35 Jahre Versicherungszeiten“ eingebaut. Warum Der Rentenbescheid an sich ist ja schon nicht einfach zu lassen Sie diese Unterstützung nicht allen bedürftigen verstehen. Hier leisten die Versichertenältesten und Rentnern zugutekommen? Das wäre eine Maßnahme, Rentenberater sehr gute Hilfe für die Rentner. Aber diese die die Altersarmut gezielt bekämpft. Aber leider zählen Berechnung der Grundrente können selbst diese für Sie nur Rentner, die 33 bzw. 35 Jahre gearbeitet ha- Rentenberater nicht mehr nachvollziehen. ben. Alle anderen, auch die Erwerbsunfähigkeitsrentner, (Daniela Kolbe [SPD]: Das stimmt so nicht!) bleiben außen vor. (B) Die Grundrente wird durchschnittlich 75 Euro im Mo- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (D) nat betragen. Wenn der Ehepartner ein ausreichendes Einkommen hat, erfolgt eine Einkommensanrechnung, Nicht alle Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion sind und es gibt nicht einmal diese 75 Euro. Was werden die begeistert von der Grundrente. Die Mittelstandsunion Bezieher der Grundrente denn nun sagen, wenn sie einen verabschiedete dazu ein Papier, in dem zu lesen war – Rentenbescheid mit so einem geringen Zahlbetrag erhal- ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: ten? Minister Heil hatte ihnen doch 200 Euro verspro- Diese Grundrente schafft Ungerechtigkeiten, sie ist chen, in einigen Reden 400 Euro, heute 300 Euro. Wer- nicht zielgerichtet nur für Bedürftige, sie ist nicht den sie ihre Grundrente akzeptieren? Nachvollziehen solide finanziert, sie belastet mitten in der größten können sie die Berechnung ja nicht mehr. Wirtschaftskrise Steuer- und Beitragszahler und Sie werden sich ungerecht behandelt fühlen und kla- wird auch nachfolgende Generationen unnötig be- gen, genau wie die Rentner, die keinen Anspruch auf lasten. Grundrente haben, oder die Ehepaare, bei denen eine Ein- Dieser Einschätzung kann ich mich hundertprozentig an- kommensanrechnung stattfindet im Gegensatz zu Le- schließen. Es ist nur schade, dass diese Abgeordneten bensgemeinschaften, bei denen dies nicht so ist, oder innerhalb ihrer Fraktion eine Minderheit darstellen. Rentner, die nicht wollen, dass ein automatischer Ein- kommensabgleich beim Finanzamt vorgenommen wird, Vielen Dank. und die auf die Einhaltung des Datenschutzes pochen. Sie können sich nicht dagegen wehren, sie können sich der (Beifall bei der AfD) Grundrente nicht verweigern. Es wird bei den Rentnern sehr viele Enttäuschungen geben; denn der Name Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: „Grundrente“ impliziert ja, dass jeder diese Rente be- kommt. Dem ist aber nicht so. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf noch mal daran erinnern, dass wir die namentliche Abstimmung (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das wäre eine um 12.57 Uhr schließen. Also die Hälfte der Zeit ist jetzt Jederrente!) gleich vorbei. Das ist vielleicht eine gute Gelegenheit, sich auf den Weg zu machen. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir heute über ein Gesetz sprechen, das die Lebensumstände für die vielen Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der bedürftigen Rentner wirklich verbessert. Viele Men- Kollege Hermann Gröhe. schen, die in prekären Verhältnissen leben, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben, haben darauf gehofft. (Beifall bei der CDU/CSU) 21184 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Hermann Gröhe (CDU/CSU): Wir haben in der ersten Lesung sehr bewusst gesagt: (C) Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen! Wenn dies solch einen großen Aufwand bedeutet, dann Liebe Kollegen! Die Grundrente kommt, und das ist eine müssen wir auch ins Gesetz selber schreiben, dass es gute Nachricht für dieses Land. stufenweise umgesetzt werden kann. Wir wollen Trans- parenz. Neurentenzugänge und Renten im bisherigen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Rentenbestand – über 20 Millionen Renten müssen ge- Das ist eine gute Nachricht nicht nur für die 1,3 Millionen prüft werden – werden automatisiert im Hinblick auf Menschen, die mittelfristig diese zusätzliche Unterstüt- einen Anspruch auf Grundrente geprüft; mit ersten Aus- zung und berechtigte Aufwertung ihrer Rente bekom- zahlungen ist ab Sommer des nächsten Jahres zu rechnen. men, sondern das ist auch eine gute Nachricht für diesen Dass diese Prüfungen bis Ende des Jahres 2022 Zeit brau- Sozialstaat insgesamt und für dieses Land. chen, ist beschlossen worden und steht im Gesetz. Ich glaube, solche Transparenz ist wichtig. Ja, es ist eine spürbare Aufwertung, wenn Menschen in Zukunft im Durchschnitt 900 bis 1 000 Euro im Jahr mehr Lassen Sie mich etwas zu den Finanzfragen sagen. Ja, haben. Für Menschen, die jeden Cent umdrehen müssen, natürlich wird in verschiedenste Richtungen sehr wursch- ist dies wahrlich eine spürbare Unterstützung. Men- tig und maßlos damit umgegangen. Die einen sagen: So, schen – Hubertus Heil hat Beispiele genannt –, die in jetzt herrscht Corona. Da kann man sich das alles nicht einem Blumengeschäft, die in einem Friseursalon – häu- mehr leisten. – Es ist nicht sehr überzeugend, dass wir das fig sind es Frauen – für weniger als die Hälfte des Durch- sozusagen an den Rentnern mit den kleinsten Renten aus- schnittsverdienstes gearbeitet haben und bisher eine lassen. Es ist umgekehrt auch nicht überzeugend, wenn Rente von gut 500 Euro haben, haben in Zukunft eine man sagt: Wir geben jetzt so viel Geld zur Bewältigung Rente von gut 900 Euro. Das sind fast 5 000 Euro mehr der Coronakrise aus, was fällt euch ein, nachzufragen, im Jahr. Dies haben diese Menschen wahrlich verdient, woher wir das Geld für die Grundrente nehmen? meine Damen, meine Herren. Ich hätte mir gewünscht, der Finanzminister hätte die Debatte nicht nur markig von der Seite kommentiert, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sondern kraftvoll geliefert. Da wird nachzulegen sein. Ja, wir haben darum gerungen, nicht erst in dieser Aber nur weil die Angaben zur Finanzierung jetzt nicht Legislaturperiode, nicht nur in dieser Koalition, sondern auf dem Tisch liegen, machen wir die Rentnerinnen und schon länger, weil es in der Tat um das Zusammenführen Rentner nicht zu Leidtragenden; vielmehr wird das im unterschiedlicher Prinzipien geht. Es geht darum, Leis- Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahren nachzulie- tungsgerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit klug zusam- fern sein. (B) menzubringen. Ja, es ist wichtig – darauf legen wir als Wichtig ist: Es ist keine beitragserhöhende Leistung (D) Union Wert –, die Rente als beitragsbezogene Leistung zu aus dem Beitragstopf, sondern es wird über den Bundes- verstehen. Sie ist eben nicht Wohltat des Staates, sondern haushalt finanziert werden. Da sage ich sehr offen: Wir durch eigenen Beitrag erworbenes Recht. reden über 1,3 Milliarden Euro. Die einen reden die Leis- (Beifall bei der CDU/CSU) tungen klein. Die anderen reden die Belastungen riesig groß. Die AfD kann gleich beides: Daran wollen wir festhalten. Deswegen ist uns die Bei- tragsbezogenheit wichtig. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn man die Beitragsbezogenheit zugunsten der ei- Es ist ja viel zu wenig, aber viel zu teuer, und die Erde ist nen Gruppe und damit ja immer auch zur Nichtbegünsti- eine Scheibe. gung anderer verändert, dann muss man dies gut begrün- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und den. Deswegen haben wir gesagt: Gießkanne ist zwar der SPD) einfach, aber sie ist eben auch ungerecht. Deswegen muss zielgenau ein Bedarf festgestellt werden. Ich freue mich, Es ist verantwortbar. Es ist zielgenau. Deswegen wer- dass Karl-Josef Laumann hier ist. Er war einer der Ersten, den wir uns das leisten können. Es gibt einen Bundeszu- der gesagt hat: Dabei muss es um den Blick auf die Ein- schuss in die Rentenversicherung von insgesamt unge- kommenssituation gehen. – Das steht jetzt in diesem Ge- fähr 100 Milliarden Euro. Dieser ist übrigens über die setz. Das ist ein gutes und starkes Stück christlich-sozia- letzten Jahre – auch das sei bei manchem Alarmismus ler Handschrift, meine Damen, meine Herren. gesagt – gemessen am Anteil am Bruttoinlandsprodukt ziemlich gleichbleibend. (Beifall bei der CDU/CSU) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und das Ja, Prüfung, Bedarfsfeststellung bedeutet Aufwand. aus Ihrem Mund! Das schätze ich sehr, dass Sie Schon vor zehn Jahren haben wir von denen, für die das das hier erwähnen!) Aufwand bedeutet, gehört, sie leisten lieber, als dass sie prüfen. Das ist so. Das ist übrigens auch menschlich ver- Wir werden uns 1,3 Milliarden Euro leisten können. Wir ständlich. Aber es ist wichtig, dass wir uns zu dem Auf- werden das solide darstellen, und ich halte das für richtig. wand bekennen. Denn „Unkompliziert, aber ungerecht“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wäre nicht der bessere Weg. der SPD) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben in den letzten Tagen noch einmal gehört: Es NEN]: Gerecht und unkompliziert!) bedarf mehr, um gegen Altersarmut vorzugehen. – Das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21185

Hermann Gröhe (A) stimmt. Die Grundrente ist ein wichtiger Baustein, so wie trotzdem in der Grundsicherung landen, gehen drei Vier- (C) die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein tel bei Ihrer Grundrente leer aus. wichtiger Baustein ist, damit nicht erzwungene Teilzeit- arbeit, unfreiwillige Teilzeitarbeit, gerade von Frauen, in (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Altersarmut endet. Deswegen haben wir im ersten Alexander Krauß [CDU/CSU]: Was ist denn Rentenpaket die Erwerbsminderungsrente verbessert. Ihr Modell?) Deswegen gehen wir noch in diesem Jahr das Thema Auf der anderen Seite sind von denjenigen, die bei Ihnen „Selbstständige und Altersvorsorgepflicht“ an. Denn alle Grundrente bekommen, über 90 Prozent gar nicht in der Bausteine zusammen sind notwendig, um unseren Sozial- Grundsicherung. Das geht gleich doppelt daneben, liebe staat mit Maß und Mitte so auszubauen, dass Menschen, Kolleginnen und Kollegen, und ist ein krass ungenaues die dringend eine Rentenverbesserung im Alter brauchen, Modell. sie auch bekommen. (Beifall bei der FDP) Wir freuen uns und stimmen gerne dieser Grundrente zu. Diese Grundrente hilft zu wenig gegen Altersarmut. Das ist das Kernproblem bei Ihrem Modell, das Sie heute hier (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zur Abstimmung stellen. Professor Georg Cremer, ehemaliger Generalsekretär Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Caritas, fasste es in der Sachverständigenanhörung Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel, FDP- wie folgt zusammen: „Was mich stört ist einfach, dass Fraktion. bei dem jetzigen Modell die Armen leer rausgehen.“ (Beifall bei der FDP) Und trotzdem peitschen Sie dieses Modell heute durch den Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Das kann es wirklich nicht sein, wenn es um Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Altersarmut geht. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn meiner Rede noch mal daran erinnern, mit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten welchem Ziel die Koalition bei diesem Thema gestartet der AfD) ist. Auch wenn Hubertus Heil gerade kurz abstimmen ist, Gleichzeitig schaffen Sie ja ganz viele neue Unge- zitiere ich den Bundesarbeitsminister aus seinem aller- rechtigkeiten. Sie brechen mit dem Grundsatz unserer ersten Interview zu diesem Thema in der „Bild am Sonn- Rentenversicherung, dass die Auszahlungen von den Ein- (B) tag“: zahlungen abhängen. Sie stellen Wohngemeinschaften (D) (Kerstin Tack [SPD]: Das haben Sie schon bei bei der Grundrente besser als Ehepaare. Wer eine kleine der letzten Rede gemacht! Langweilig!) Riester-Rente hat, der bekommt keine Grundrente, wer eine identisch hohe kleine Lebensversicherung hat, der Sehr viele Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet bekommt Grundrente usw. usf. Diese Ungerechtigkeiten haben, landen ... als Rentner in der Grundsicherung. sind so krass, dass Franz Ruland, langjähriges SPD-Mit- Das will ich ändern. Deshalb will ich die Grundrente glied und langjähriger Chef der Rentenversicherung, die einführen. Grundrente sogar für verfassungswidrig hält. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bekenne und sage (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ganz ausdrücklich: Dieses Ziel teilen wir, meine sehr ver- wird nicht so sein!) ehrten Damen und Herren. Das ist doch kein überzeugendes Modell, was Sie heute (Beifall bei der FDP) vorlegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali- tion. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, man kann es nicht oft genug sagen. Schauen wir doch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einmal, was konkret bei Ihrer Grundrente passiert: Eine der AfD) alleinerziehende Altenpflegerin, die 32 Jahre und 11 Mo- nate Versicherungszeiten in der Rente und im Alter viel- Sie ignorieren die eindringlichen Warnungen der Deut- leicht zu wenig Geld hat: Sie hat bei Ihrem Modell keinen schen Rentenversicherung, die nicht nur besagen, das Cent mehr als die Grundsicherung! Eine Friseurmeiste- Modell sei so kompliziert, dass man im ersten Jahr die rin, die vielleicht 20 Jahre ein Unternehmen betrieben Grundrente an die meisten Bürgerinnen und Bürger gar hat, Menschen Arbeit gegeben hat, dann noch 20 Jahre nicht auszahlen könne, sondern die zum Beispiel auch angestellt war, weil das Unternehmen vielleicht geschei- darauf hinweisen, dass die Grundrente dauerhaft Verwal- tert ist, die auch – aus welchen Gründen auch immer – im tungskosten in Höhe von 13 Prozent der Gesamtausgaben Alter wenig Geld hat: Sie hat bei Ihrem Modell keinen erzeuge. Um das einmal zu vergleichen: Bei der privaten Cent mehr als die Grundsicherung! Rentenversicherung liegen die Verwaltungskosten bei 1,5 Prozent , bei der Rentenversicherung liegen die Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, waltungskosten bei allen anderen Leistungen bei 1,2 Pro- man muss sich das einmal buchstäblich vor Augen füh- zent . Sie legen hier allen Ernstes ein Modell vor, das das ren: Von den Hunderttausenden Menschen, die Ansprü- Zehnfache an Verwaltungskosten nur für die Implemen- che aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben und tation und für die Auszahlung verschlingt! Das ist doch 21186 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Johannes Vogel (Olpe) (A) kein überzeugendes Modell, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (C) legen von der Koalition. Und es ginge besser. Wir haben Ihnen schon vor Mona- (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald ten ein Alternativkonzept vorgelegt; das steht heute auch [DIE LINKE]: Sag einmal, woran es liegt!) zur Abstimmung. Bei unserer liberalen Basisrente hat jede und jeder, die bzw. der gearbeitet, eingezahlt, Kinder Keine Zielgenauigkeit, ein Bruch mit dem Äquivalenz- erzogen oder Angehörige gepflegt hat, im Alter sicher prinzip, komplett verzögerte Auszahlung – ich könnte mehr als die Grundsicherung. Das Modell ist fair, zielge- weitermachen. Kommen Ihnen diese Kritikpunkte be- nau und finanzierbar. kannt vor? Das alles habe ich – das wurde gerade schon zugerufen – bereits in der ersten Lesung gesagt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wieviel denn mehr? Was kommt denn unter dem Strich (Kerstin Tack [SPD]: Stimmt!) raus?) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das ist das – Lieber Kollege , zu der Frage, was da Problem. Seit der ersten Lesung hat sich dieses Modell herauskommt. Susanne Holtkotte – ich gratuliere ihr um keinen Deut verbessert. Wir hatten eine Expertenan- ebenfalls herzlich zum heutigen Geburtstag – haben hörung. Die Äußerungen fielen – alle langjährigen Parla- Hubertus Heil und ich gemeinsam ganz am Anfang der mentarier können das beurteilen – nun wirklich außerge- Debatte über dieses Thema in einer Talkshow kennenge- wöhnlich kritisch aus. Und was haben Sie an der lernt. Menschen wie Susanne Holtkotte haben bei der Grundrente verändert? Nichts. Das ist kein gutes Regie- liberalen Basisrente am Ende mehr in der Tasche als bei rungshandeln, lieber Bundesminister Heil, und das ist Ihrer Grundrente, liebe Kolleginnen und Kollegen. nicht überzeugend. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur, (Beifall bei der FDP) wenn sie weniger als 5 000 Euro Erspartes ha- Leider bleibt es aber nicht bei Ihrer sozialpolitischen ben! Sonst nicht!) Irrfahrt, nein, auch finanzpolitisch ist das nicht überzeu- Und gleichzeitig muss niemand im Alter aufs Sozialamt gend. Guckt man in die mittelfristige Finanzplanung, so gehen, weil sie von der Rentenversicherung ausgezahlt stellt man fest, dass sich zur Grundrente nichts findet. Das wird. Ziel, etwas gegen Altersarmut zu tun, ist wirklich wich- tig, aber eine solide Finanzierung können wir schon er- (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald warten; denn es geht hier nicht um einmalige Krisenmaß- [DIE LINKE]: Nur, wenn sie fast nichts gespart nahmen, sondern es geht um eine jahrzehntelange haben!) (B) Ausgabe in der Rentenversicherung. Sie selber haben ge- (D) sagt, Sie brauchen dafür zusätzliche Einnahmen. Sie Das ist ein überzeugendes Modell gegen Altersarmut. wollten eine neue Steuer einführen. Diese Steuer gibt es Das sehen nicht nur wir so. Das hat auch die Arbeits- und nun nicht. Jetzt haben Sie weder Steuereinnahmen noch Sozialministerkonferenz der Bundesländer so gesehen, eine andere solide Finanzierung. Liebe Kolleginnen und das vertritt der ehemalige Caritas-Generalsekretär so. Kollegen, Deutschland ist auch deshalb so gut durch die- Deutschland braucht dringend eine gute Grundrente. Ihre se Krise gekommen und ist jetzt unzweifelhaft hand- Grundrente ist das nicht. Es ginge besser. Deshalb: Stim- lungsfähig, weil wir in guten Zeiten auf die Finanzen men Sie nachher der liberalen Basisrente zu! geachtet haben. Deshalb müssen wir auch auf solide Vielen Dank. Rentenfinanzen achten. Was Sie hier machen, ist das Ge- genteil. Das ist nicht überzeugend, liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP – Markus Kurth [BÜND- Kollegen von der Koalition. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Rente!) (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Alexander Dobrindt von der CSU, der sagt das ja auch Der nächste Redner – er muss noch warten, bis das Pult ganz offen – ich zitiere letztmalig –: gereinigt ist – ist Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Der SPD solle nicht die Gelegenheit gegeben wer- Linke. den, mit einem Rententhema die Sommermonate zu (Beifall bei der LINKEN) bespielen, kündigte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Dies sei der strategische Hintergrund dafür, das The- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ma Grundrente voraussichtlich an diesem Freitag ren! Die Kölner Band BAP hatte in den 70er-Jahren einen abzuschließen, trotz offener Finanzierungsfragen. Song, in dem es hieß: „Besser hätt ich dat jelosse, dann wöhr alles nit passiert.“ Also: Besser hätte ich das ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, lassen, dann wäre alles nicht passiert. Machtpolitik ist Teil von Politik. Machtpolitik darf aber nicht der einzige Teil von Politik sein, vor allem dann In den vergangenen 25 Jahren gab es für die unteren nicht, wenn etwas leidet, nämlich ein gutes Modell für 40 Prozent der Einkommensbeziehenden keine nennens- die Menschen zu suchen, die unsere Unterstützung brau- werten realen Lohnerhöhungen, ein großer Niedriglohn- chen. So geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen sektor wurde aufgebaut und das Rentenniveau von von der Koalition. 53 Prozent auf 48 Prozent gekürzt. Deshalb musste das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21187

Matthias W. Birkwald (A) Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung feststellen, Es ist ebenfalls gut, dass Sie Freibeträge in der Grund- (C) dass Durchschnittsverdienende im Jahr 2000 23,2 Jahre sicherung im Alter und beim Wohngeld für Rentnerinnen für eine Rente auf dem Grundsicherungsniveau arbeiten und Rentner einführen. Aber es ist schlecht, dass das nur mussten und es im Jahr 2018 bereits 27,4 Jahre waren. für Rentnerinnen und Rentner mit mehr als 33 Versiche- rungsjahren gilt. Die Gewerkschaften und die Sozialver- Und darum gilt es erstens, die Gewerkschaften zu stär- bände laufen dagegen Sturm. Den Freibetrag für Be- ken, die Allgemeinverbindlicherklärung von Löhnen zu triebsrenten und für die Riester-Rente gibt es in der erleichtern und jetzt sofort den gesetzlichen Mindestlohn Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab auf mindestens 12 Euro anzuheben. null Jahren. Das muss auch für die gesetzliche Rente gelten. (Beifall bei der LINKEN) Und darum gilt es zweitens, das Rentenniveau schritt- (Beifall bei der LINKEN) weise wieder von 48 Prozent auf 53 Prozent anzuheben. Ich fordere Sie auf: Streichen Sie diese Hürde aus dem Da lag es im Jahr 2000. Gesetz! Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Und darum fordert Die Linke drittens, nach österrei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es so, wie es chischem Vorbild eine echte einkommens- und vermö- ist: Hätten Sie den Referentenentwurf aus dem Arbeits- gensgeprüfte Solidarische Mindestrente von derzeit ministerium vom Mai 2019 heute eingebracht, hätte Die 1 050 Euro netto zuzüglich Wohngeld in Orten mit hohen Linke zugestimmt – trotz einiger Kritik. Dem heutigen Mieten einzuführen – mit einem Vermögensfreibetrag Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen; denn die von knapp 69 000 Euro, Johannes Vogel, statt der heuti- Union hat aus einem ersten sehr guten Gesetzentwurf gen 5 000 Euro und vor allem mit der Zusicherung, im nach einem Jahr Sperrfeuer und übelster Blockade ein Alter nicht nach Jahrzehnten aus dem vielleicht vorhan- bürokratisches Monstrum gemacht. denen eigenen Häuschen geschmissen zu werden. Die Union hat die Hürden für die Kassiererin uner- (Beifall bei der LINKEN) träglich hochgeschraubt. Die Union hat die vorgesehenen Leistungen gekürzt und bessere Renten bei Kurzarbeit Das alles wäre ein gutes Konzept gegen Altersarmut. und bei Arbeitslosigkeit wieder aus dem Gesetz gestri- Es wäre gerecht, bezahlbar und wirkungsvoll! Und es ist chen. Bei CDU und CSU heißen die Fraktionsvorsitzen- dringend notwendig; denn die sogenannte „Grundrente“ den offenbar „soziale Kälte“ und „sozialer Geiz“ statt ist keine. Die gibt es in den Niederlanden, wo alle Allein- Brinkhaus und Dobrindt. stehenden im Rentenalter 1 255 Euro netto erhalten, (B) wenn sie 50 Jahre dort lebten. Das ist Grundrente! (Beifall bei der LINKEN) (D) (Beifall bei der LINKEN) Die Union hat dafür gesorgt, dass die Folgen viel zu niedriger Löhne nicht bekämpft werden, sondern dass Sehr geehrter Herr Minister Hubertus Heil, Chapeau, diese weiter direkt in die Altersarmut führen. Das ist dass Sie Ihre sogenannte „Grundrente“ gegen den erbit- armenfeindlich, rentnerfeindlich und völlig inakzeptabel. terten Widerstand des Wirtschaftsflügels der Union in den Bundestag eingebracht haben und heute die abschlie- (Beifall bei der LINKEN) ßende Lesung erfolgt. Alle Ihre Amtsvorgängerinnen ha- Das wird viele Rentnerinnen und Rentner frustrieren. ben sich an der Bekämpfung der Altersarmut in den ver- Sie werden frustriert sein, weil ihnen der Titel „Grund- gangenen elf Jahren die Zähne ausgebissen. Insofern: rente“ etwas Falsches verspricht. Viele werden frustriert Glückwunsch! 1,3 Millionen Friseurinnen, Paketzusteller sein, weil sie die 33 Beitragsjahre nicht schaffen, zum und hoffentlich auch viele Schauspieler, Künstlerinnen Beispiel wegen eines Jahres Arbeitslosigkeit. Viele wer- und andere werden nun endlich im Durchschnitt 75 Euro den frustriert sein, wenn sie 30 Jahre sehr wenig verdient Rente mehr erhalten, viele nur 10 bis 40 Euro, manche haben, aber fünf Jahre lang vielleicht nur weniger als aber auch bis zu 405 Euro. Das ist gut. 30 Prozent des Durchschnittslohnes. Auf Druck der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Union erfolgt der Zuschlag nämlich erst für Monatslöhne neten der SPD) ab 1 014 Euro. Ausgerechnet für Menschen mit 700, 800 oder 900 Euro Monatslohn soll Ihre sogenannte Grund- Aber es hätten 3 Millionen sein können. Das haben CDU rente keinen Cent Zuschlag bringen? Das ist vollkommen und CSU verhindert. Und das ist sehr schlecht! inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dr. Martin Rosemann [SPD] und Corinna neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hinzu kommt: Viele Menschen werden frustriert sein, Aber es ist gut, dass überwiegend Frauen und beson- wenn sie an ihrem Rentenbescheid sehen, dass der ver- ders Menschen im Osten von der sogenannten „Grund- sprochene Zuschlag erst gewährt und dann völlig willkür- rente“ profitieren werden. Und dafür klatscht auch Die lich um 12,5 Prozent gekürzt wird. Das trifft diejenigen Linke. mit den kleinen Renten besonders hart. Und die Union schwadroniert hier vom Äquivalenzprinzip. Dabei geht (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- es hier um die Anerkennung von Lebensleistung und neten der SPD) einen Beitrag gegen Altersarmut. 21188 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Matthias W. Birkwald (A) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- oder Alltagsheld gewesen sein: Sie werden die Grund- (C) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rente nicht erhalten. Ich fordere Sie auf: Streichen Sie die willkürliche Ver- Das Gleiche gilt für Personen, die längere Zeit er- kürzung um 12,5 Prozent! werbsgemindert waren. Eine Erwerbsminderung zu ha- Viele Betroffene werden frustriert sein, wenn ihnen der ben, ist sowieso schon ein Schicksal, was ziemlich Zuschlag in einem Jahr zusteht und im nächsten Jahr schwer wiegt. Aber dann steht am Ende auch: kein Zu- nicht zusteht, weil vielleicht ein Ehepartner einen Mini- gang zur Grundrente. Und das finde ich ausgesprochen job annimmt und das Paar dann über die Einkommens- fatal. prüfung stolpert. Eine haarsträubend komplizierte Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommensprüfung bei einer durchschnittlichen Leistung von 75 Euro ist beschämend. Streichen Sie die Einkom- An der Stelle kann ich – eigentlich wollte ich das erst mensprüfung! später sagen – sofort auf das Modell der grünen Garantie- rente verweisen, das alle Versicherungszeiten als Aner- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kennungszeiten vorsieht. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu all diesen Unverschämtheiten der Union haben wir hier Änderungen, Streichungen und Verbesserungen ein- Dann hätte Frau Holtkotte, auch wenn das Schicksal der gebracht. Nehmen Sie diese an! Dann würden auch Arbeitslosigkeit sie treffen sollte – wie gesagt, ich hoffe Zeiten des Mutterschutzes, Zurechnungszeiten bei Er- es wirklich nicht –, Zugang zu einer Rentenleistung von werbsminderung und Zeiten der Arbeitslosigkeit berück- rund 1 000 Euro. Und: Bei der grünen Garantierente rei- sichtigt. Dann würden 25 Jahre statt 33 Jahre als Voraus- chen auch Versicherungszeiten von 30 Jahren aus; man setzung reichen, und es gäbe den Zuschlag nicht nur für braucht keine 35 Jahre. 35 Jahre, sondern auch für 40 oder 45 Jahre. Dann würde Wir haben das in einem Gutachten, das das Deutsche aus einem schlechten Grundrentengesetz wieder ein guter Institut für Wirtschaftsforschung für unsere Fraktion ge- Rentenzuschlag für Niedrigverdienende, und dann würde macht hat – das wird demnächst auch veröffentlicht –, auch Die Linke zustimmen. So werden wir uns enthalten durchrechnen lassen. Mit dem Modell der grünen Garan- müssen. tierente würde der Grundsicherungsbezug auf null, auf Herzlichen Dank. nahezu null gehen. Das heißt: In Verbindung mit einer Versicherungspflicht für eine Bürgerversicherung oder (Beifall bei der LINKEN) eine Erwerbstätigenversicherung würden wir das Pro- (B) blem des Grundsicherungsbezugs im Alter an der Wurzel (D) Vizepräsidentin Petra Pau: packen und rausziehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache darauf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aufmerksam, dass wir die Zeit zur namentlichen Abstim- mung etwas verlängert haben, sodass Kollegen, die aus Aber leider bin ich noch nicht fertig. Frau Holtkotte, es dem Untersuchungsausschuss hier herüberkommen, die gibt noch einen anderen Punkt, den Sie auf jeden Fall, Gelegenheit zur Abstimmung noch wahrnehmen können. auch wenn Sie durchgehend bis zum Renteneintritt be- Um 13.10 Uhr werde ich aber die Abstimmung beenden. schäftigt sind, berücksichtigen sollten. Denn auch wenn Sie durchgehend bis zum Eintritt ins Rentenalter arbeiten, Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Frak- werden Sie die Grundrente von 1 030 Euro, die Herr Heil tion Bündnis 90/Die Grünen. hier avisiert hat, erst mal nicht bekommen; natürlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht, sondern erst zwei Jahre später. Deswegen: Erspar- tes rechtzeitig auf die Seite packen oder dem Kind zur Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): treuhänderischen Verwahrung geben! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Denn – so hat der Gutachter Dr. Frank Nullmeier ganz Nachdem ich die Reden von Hubertus Heil und Hermann klar festgestellt –: „Der Gesetzentwurf verfehlt gerade im Gröhe gehört habe, beschleicht mich tatsächlich ein mul- Moment des Entstehens des Bedarfes die Berechnung des miges Gefühl; denn ich glaube, bei all den Ankündigun- Bedarfes“. gen und Versprechen und bei dem Pathos, das auch hier in den Reden mitschwingt, sind wir dabei, in Zukunft mas- (Bundesminister Hubertus Heil schüttelt den senhaft Enttäuschung zu stiften. Viele, viele Menschen Kopf) werden nach Ihren Worten wie „Anerkennung von Le- – Doch! Sie müssen nicht den Kopf schütteln, lieber bensleistung“ und „Alltagshelden“ zwar die Erwartung Hubertus Heil. – Warum? Weil Sie die automatisierte und das Gefühl haben, dass sie diese Grundrente erhalten Auszahlung unbedingt wollten und keine Antragsleistung werden, aber sie werden sie nicht erhalten. geschaffen haben, wo die Rentenversicherung prüfend Frau Holtkotte, auch von mir herzlichen Glückwunsch eintreten muss. Hier wird das automatisiert mit dem zum Geburtstag! Sie haben noch 18 Jahre Arbeit vor sich. Steuerbescheid gemacht. Das führt dazu, dass die Steuern Ich hoffe sehr, dass sie nicht längere Zeit arbeitslos wer- des vorvergangenen Jahres, nämlich dann, wenn die den; denn Zeiten der Arbeitslosigkeit zählen nicht als Steuererklärung endgültig abgegeben ist, die Grundlage Wartezeiten für die Grundrente. Menschen, die längere für die automatisierte Auszahlung sind. Frank Nullmeier Zeit arbeitslos waren, können noch so sehr Alltagsheldin sagt: „Man kann eine Zahlung, die im Moment der Zah- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21189

Markus Kurth (A) lung einen Bedarf decken soll, nicht auf Daten gründen, Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Mast aus der (C) die deutlich vor dem Zeitpunkt der Zahlung liegen.“ Das SPD-Fraktion. ist doch eigentlich ganz einfach zu verstehen. Dafür muss man kein Experte sein. Das ist sozialpolitische Logik. (Beifall bei der SPD)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Katja Mast (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen Ich glaube, das ist einer der Punkte des Gesetzent- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! wurfs – ich muss gestehen, das ist mir am Anfang gar Frau Holtkotte, Sie kriegen natürlich gleich Grundrente, nicht so aufgefallen –, der regelmäßig und wiederkehrend weil Sie nämlich nicht 1 250 Euro zu versteuerndes Ein- für Enttäuschung sorgen wird. Das wird häufig, das wird kommen monatlich haben; deshalb würden Sie sie gleich hunderttausendfach immer dann der Fall sein, wenn man bekommen. Das sage ich hier an erster Stelle, um mit dem vom Erwerbsleben in die Rente eintritt, weil ja das Er- aufzuräumen, was mein Kollege hier gerade dargestellt werbseinkommen höher ist als die Rente. Das ist ein hat. Und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag! struktureller Webfehler, der uns, glaube ich, noch viel, Wir brauchen Frauen wie Sie, die für Gerechtigkeit in viel Ärger in der Zukunft machen und der, fürchte ich, dieser Gesellschaft kämpfen. auch der Rentenversicherung auf die Füße fallen wird. Sie hätten sich für eine reine, klare Regelung im (Beifall bei der SPD) Rentenrecht wie bei der grünen Garantierente entschei- Heute ist ein guter Tag; denn es geht darum, Lebens- den sollen. leistung anzuerkennen und die Bundesrepublik Deutsch- land ein Stück gerechter zu machen. Die Grundrente (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt. Sie wird heute im Deutschen Bundestag be- In der antiken Mythologie ist das Mischwesen – ein schlossen. Zentaur: halb Pferd, halb Mensch – ein interessantes We- (Beifall bei der SPD) sen. In der Wirklichkeit sind Mischwesen eher be- dauernswerte, gequälte Kreaturen. Darum ist es nach Vor allen Dingen Frauen wie Frau Holtkotte werden da- unseren bioethischen Maßstäben auch verboten, Misch- von profitieren und die Mitbürgerinnen und Mitbürger in wesen zu schaffen oder zu klonen. Mit der Grundrente den östlichen Bundesländern, all diejenigen, die für ein haben Sie aber ein sozialpolitisches Mischwesen kreiert, kleines Einkommen jeden Tag gearbeitet haben. Genau das, so würde ich sagen, wenn es Gefühle hätte, schwer um ihre Lebensleistung zu honorieren, gibt es diese leiden würde. Sie haben eine Mischung aus Rentenversi- Grundrente. (B) cherung, verändertem Wohngeldanspruch und Grundsi- Die Grundrente kommt jetzt. Das war und ist beim (D) cherung im Alter geschaffen und dabei die kompliziertes- besten Willen keine Selbstverständlichkeit. Sie stand ten Mechanismen des Hochwertens und Runterrechnens zehn Jahre auf der politischen Agenda, heute wird sie eingesetzt; der Kollege Matthias Birkwald hat sie eben im Deutschen Bundestag beschlossen. Wir als Sozialde- alle beschrieben. Das alles ist aus Ihrer politischen Kon- mokratinnen und Sozialdemokraten haben zehn Jahre da- fliktarithmetik heraus erklärbar, für viele Menschen in für gekämpft. diesem Land aber überhaupt nicht nachzuvollziehen und Enttäuschung stiftend. (Beifall bei der SPD) Unserem Bundessozialminister Hubertus Heil will ich Darum sage ich es noch einmal: Stimmen Sie unserem danken für seine Hartnäckigkeit bei diesem Thema, für Entschließungsantrag zu. Wenn wir Gelegenheit dazu ha- sein kluges Agieren gemeinsam mit uns. Ich danke sei- ben, werden wir diese Grundrente reformieren und wei- nem gesamten Haus; das war eine Kraftanstrengung. Ich terentwickeln zur Garantierente. will mich auch bedanken bei der bei diesem Thema su- perengagierten Parlamentarischen Staatssekretärin Danke. Kerstin Griese. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich will mich auch bedanken bei unserem Koalitionspart- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt 13.10 Uhr. ner, bei meinem Kollegen Hermann Gröhe, dem stellver- Ich frage: Gibt es Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme tretenden Fraktionsvorsitzenden, und bei der gesamten zur zweiten namentlichen Abstimmung noch nicht abge- Arbeitsgruppe, auch bei meiner Arbeitsgruppe. Ich sage geben haben? – Es gibt eine Kollegin, die ihre Stimme mal: Ihr habt das Ganze kritisch-konstruktiv begleitet, noch nicht abgegeben hat. Das tut sie jetzt bitte zügig. wir waren hartnäckig konstruktiv, Bevor wir in der Debatte fortfahren, mache ich darauf (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei aufmerksam, dass noch Schriftführerinnen und Schrift- Abgeordneten der CDU/CSU) führer aus allen Oppositionsfraktionen bei der Auszäh- und das war am Schluss eine gute Mischung für die lung vermisst werden. Ich bitte also alle Oppositionsfrak- Grundrente und für die Menschen in diesem Land. tionen, dafür zu sorgen, dass die Auszählung nach dem nächsten Redebeitrag, wenn ich die Abstimmung ge- Die Grundrente ist wichtig, weil sie verspricht: Arbeit schlossen habe, auch tatsächlich stattfinden kann. lohnt sich. Sie bedeutet zweitens Respekt vor der Lebens- 21190 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Katja Mast (A) leistung. Und drittens ist sie Wertschätzung für die stillen Rentner erhalten einen Zuschlag auf ihre Rente von bis zu (C) Heldinnen und Helden des Alltags: für die Pflegehilfs- rund 420 Euro pro Monat. kraft, für die Kassiererin im Supermarkt, für den Einräu- mer im Supermarkt, für den Paketboten, für den Lager- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es hät- arbeiter. Sie verdienen dieses Engagement; sie verdienen, ten 3 Millionen sein können, wenn ihr das nicht dass wir uns hier so reinknien. verhindert hättet!) Das ist gut, gut für Frauen, weil sie häufig in Teilzeit Ich freue mich darüber, dass meine Kolleginnen und arbeiten, gut für die Menschen im Osten, aber auch bei- Kollegen von der Union heute auf den fahrenden Zug spielsweise gut für Spätaussiedler, weil der Zuschlag aufspringen und wir die ganzen Hürden beseitigen konn- nicht gedeckelt wird entsprechend dem Fremdrentenge- ten. setz. Das ist insgesamt gut. Wir führen außerdem in der (Zuruf des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Grundsicherung einen neuen Freibetrag von bis zu 216 Euro pro Monat ein, bis zu dem die Rente anrech- – Ja, Kompromisse machen die Demokratie aus; aber die nungsfrei gestellt wird. Widerstände von euch waren schon sehr hartnäckig. Des- halb sage ich das auch so klar. Damit gehen zwei ganz klare Signale einher: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erstens. Es lohnt sich, einer sozialversicherungspflich- tigen Beschäftigung nachzugehen. Wir stärken damit die Unser Ziel als SPD, unser Ziel als Sozialdemokratin- Akzeptanz der Rentenversicherung. nen und Sozialdemokraten ist es, den Sozialstaat zu stär- ken, auch in Zeiten der Coronapandemie und der Krise, Zweitens. Es lohnt sich, für das Alter vorzusorgen, und und den Sozialstaat zum Partner der Bürgerinnen und zwar in allen Säulen unserer Alterssicherung: in der Bürger zu machen. Auf diesem Weg kommen wir heute Rente, in der betrieblichen und in der privaten Altersvor- ein großes Stück weiter. sorge. Leistung und Eigenvorsorge lohnen sich in Bezug auf die Rente und in Bezug auf die Grundsicherung. Das Vielen Dank. ist die zentrale Botschaft dieses Grundrentengesetzes. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir verknüp- Vizepräsidentin Petra Pau: fen das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit mit dem der Ich muss noch die namentliche Abstimmung schlie- Bedarfsgerechtigkeit. Wir helfen dort, wo es notwendig ßen. Ich gehe davon aus, dass jetzt kein Kollege mehr ist. Das ist genau das Gegenteil vom Prinzip Gießkanne. (B) (D) im Hause ist, der keine Gelegenheit hatte, an der Abstim- Darin unterscheidet sich unser Ansatz von den Ansätzen mung teilzunehmen. – Das ist der Fall. Ich schließe die der Opposition, gerade vom Ansatz der Linken und der Abstimmung. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt Grünen, die am Gießkannenprinzip festhalten, aber auch gegeben. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- 1) vom Ansatz der FDP und der AfD, die die Menschen rer, mit der Auszählung zu beginnen. ausschließlich in der Grundsicherung belassen wollen. Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Was? – Stephan Stracke das Wort. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) doch Blödsinn! Das ist wahrheitswidrig! Und das wissen Sie!) Stephan Stracke (CDU/CSU): Die Gießkanne ist immer ungerecht, weil sie milliar- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten denschwere Mitnahmeeffekte produziert, gerade bei den- Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! jenigen, die weitere Einkünfte haben, oder bei denjeni- Leistung muss sich lohnen. Das ist unser sozialpolitischer gen, bei denen ein Ehepartner über ein Einkommen Anspruch als Union, verfügt, durch das beide gut abgesichert sind. Weil die Gießkanne ungerecht ist, ist sie immer auch teuer. Sie ist (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wo habt ungerecht und unfinanzierbar, und deswegen lehnen wir ihr den denn abgeguckt?) sie ab. und den verwirklichen wir ja auch mit der vorliegenden Die Grundrente enthält einen Schutz vor einer Über- Grundrente. Wir wollen, dass diejenigen, die viele Jahre forderung der Steuerzahler und der Beitragszahler – das gearbeitet, aber wenig verdient haben, im Alter deutlich ist auch Teil des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit –: mehr Geld in der Tasche haben. Und wir wollen Fami- Wir setzen auf eine Einkommensprüfung. Maßstab dabei lienarbeit honorieren. Davon profitieren ganz überwie- ist das zu versteuernde Einkommen. Eine Einkommens- gend Frauen; denn sie sind es, die Kinder erziehen, die anrechnung ist nicht neu. Wir kennen das vom Witwen- pflegen. Deswegen kommt die Grundrente. recht; da wird das auch nicht infrage gestellt. Mit dieser Grundrente stärken wir auch das Prinzip der Ja, es ist richtig: Das führt zu einem hohen Aufwand. Leistungsgerechtigkeit. Wir stärken es in der Rente und Aber dieser Aufwand entsteht innerhalb der Verwaltung in der Grundsicherung. 1,3 Millionen Rentnerinnen und und nicht bei den Menschen. Für die Menschen ist das, was wir gemacht haben, bürokratiearm: kein Antrag, kei- 1) Ergebnis Seite 21192 D ner muss aufs Amt gehen. Entscheidend ist: Wir lassen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21191

Stephan Stracke (A) die Daten rennen und nicht die Menschen. Das ist unser (Beifall bei der SPD sowie des Abg. (C) Ansatz in diesem Bereich. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Die Grundrente ist ein sozialpolitischer Meilenstein, Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]) vergleichbar mit der Einführung des gesetzlichen Min- destlohns. Diese Grundrente für Menschen, die lange ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch die arbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, Bedarfsprüfung ist die Grundrente auch finanzierbar: wird endlich in die Tat umgesetzt; lange genug hat es 1,4 Milliarden Euro im Einführungsjahr. Das ist deutlich gedauert. Und – wir haben es gehört und auch noch mal weniger als die 5 Milliarden Euro, die das Ursprungs- gespürt –: Hier in der Koalition hat es mächtig geknirscht. modell vorgesehen hatte. Die Grundrente ist zielgenau, Aber es gibt Situationen, da muss man einfach die Nerven sie ist finanzierbar, und sie wird aus Steuermitteln finan- behalten, wenn man auf dem richtigen Weg ist. Und es ziert. Einen Griff in die Sozialkassen haben wir verhin- hat sich gelohnt; denn für die Grundrente muss man eben dert. keinen Antrag stellen; es gibt keine Vermögensprüfung Der Vorschlag des Finanzministers war, die benötigten wie in der Grundsicherung. Es ist eben keine Fürsorge- Steuermittel durch die Finanztransaktionsteuer in Höhe leistung, erst recht kein Almosen, sondern ein eigener von 1 Milliarde Euro und durch 400 Millionen Euro aus erworbener Anspruch. Eigenmitteln des Haushalts des Bundesarbeitsministers (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje zu organisieren. Auf diese Worte sind keine Taten ge- Lezius [CDU/CSU]) folgt. Diese Schwäche darf nun allerdings nicht zulasten der Rentnerinnen und Rentner gehen. Deswegen geben Das ist eben auch der Unterschied zu dem Konzept der wir ein Signal der Sicherheit; das haben die Rentnerinnen FDP: Es ist keine Grundsicherung plus; deshalb ist der und Rentner verdient. Und gerade jetzt, innerhalb der FDP-Begriff „Basisrente“ reiner Etikettenschwindel. schwersten Rezession seit der Nachkriegszeit, ist ein Sig- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nal der Sicherheit notwendig, auch zur Stärkung des ge- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE sellschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in diesem GRÜNEN) Lande. Was auf dem Tisch liegt, ist ein Kompromiss, klar. Bei (Beifall bei der CDU/CSU) aller Kritik im Detail: „Es ist ein intelligenter und kein Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Grund- fauler Kompromiss“, das ist ein Zitat von Ulrich rente ist ein Modell und ein Baustein zur Stärkung der Schneider, dem Chef des Paritätischen Wohlfahrtsver- bands, der nicht dafür bekannt ist, überschwängliches (B) Rentnerinnen und Rentner und zur Vermeidung von Al- (D) tersarmut, sicherlich nicht einzig und allein; deswegen Lob für diese Große Koalition zu verteilen. haben wir beispielsweise auch die Erwerbsminderungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gabriele renten erhöht, wir haben die Mütterrente eingeführt, Hiller-Ohm [SPD]: Wohl wahr!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie ha- Zugegeben, man hätte sich einfachere Lösungen vor- ben die Rentnerinnen und Rentner im Regen stellen können; aber mit der Komplexität müssen sich die stehen lassen, schon das dritte Mal hintereinan- Rentnerinnen und Rentner glücklicherweise nicht ausei- der!) nandersetzen. Wenn sie in Rente gehen, wird im Hinter- wir haben für Verbesserungen bei der betrieblichen Al- grund ohne Antrag geprüft, ob sie für die Grundrente tersvorsorge gesorgt, und wir werden jetzt auch die Al- infrage kommen. Dann gibt es einen Abgleich mit den tersvorsorgepflicht für Selbstständige einführen. Das Finanzbehörden, und dann gibt es ein Ergebnis. Fertig! zeigt: Rentenpolitik ist immer ein Dauerlauf, kein Sprint. Und so gilt das auch für den Bestand. Jeder hat mitbekommen: Es war ein langer Weg bis zu Heute können wir uns über dieses Gesetz freuen, und dieser dritten Lesung. Man kann Kritik üben an dem, was wir werden morgen wieder an die Arbeit gehen für die auf dem Tisch liegt, völlig klar; aber ich frage mich Menschen in Deutschland, für ein zukunftsfähiges und schon, ob alle wissen, was sie so in die Welt twittern. gutes Alterssicherungssystem in Deutschland. Gegen die Grundrente zu wettern genauso wie vor ein (Beifall bei der CDU/CSU) paar Jahren gegen den Mindestlohn, das ist schon schräg. Vorhin ist die Band „BAP“ genannt worden. Und da fällt mir ein Refrain ein: „Wahnsinn, das darf nicht wahr Vizepräsidentin Petra Pau: sein!“ Das Wort hat der Kollege Ralf Kapschack für die SPD- Fraktion. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Denn niedrige Löhne sind in erster Linie der Grund für eine niedrige Rente. Und wer niedrige Renten verhindern Ralf Kapschack (SPD): will, der muss deshalb für anständige Löhne kämpfen; Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aber mit der Logik ist das ja manchmal so eine Sache. Aller guten Dinge sind drei. Zwei Koalitionen haben sich an diesem Thema schon vergeblich versucht, die dritte Damit das hier nicht ganz untergeht: Im Geleitzug der schafft es; deshalb ist in der Tat heute ein guter Tag. Grundrente wird die betriebliche Altersvorsorge gerade 21192 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Ralf Kapschack (A) für Beschäftigte mit geringem Einkommen noch einmal Auch Geringverdiener können und sollen hiervon profi- (C) deutlich verbessert; auch darüber entscheiden wir heute, tieren. Durch das Grundrentengesetz wird der maximale und das ist gut so. Warme Worte haben Menschen, die Förderbetrag zur betrieblichen Altersversorgung bei ei- hart arbeiten und wenig Lohn bekommen, in den vergan- nem Bruttolohn von bis zu 2 200 Euro verdoppelt. Das ist genen Monaten auch hier reichlich gehört. Sie wollen eine gute Nachricht für bis zu 2,1 Millionen Menschen. Taten sehen. Wir liefern heute. Für die Verwaltung – das ist schon angesprochen wor- Vielen Dank. den – ist die Umsetzung der Grundrente mit einem hohen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bürokratischen Aufwand verbunden. Die Grundrente gilt der CDU/CSU) schließlich nicht nur für Neurentner; auch 26 Millionen Bestandsfälle müssen geprüft werden – eine große Kraft- anstrengung für die Rentenversicherung. Aber, wer ei- Vizepräsidentin Petra Pau: nem bestehenden und zugegebenermaßen sehr komple- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Antje xen System eine passgenaue und gerechte Lösung Lezius das Wort. hinzufügen will, der muss gerade zu Beginn einige Mü- (Beifall bei der CDU/CSU) hen in Kauf nehmen. Da hilft auch kein großes Klagen. Und diesen Arbeitsaufwand nehmen wir auch deswegen Antje Lezius (CDU/CSU): gerne in Kauf, damit die Rente zielgenau ist und den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Antragsberechtigten möglichst kein Aufwand entsteht. und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider Die Neuberechnung der Rente – das wurde schon kann ich jetzt kein BAP-Zitat vortragen. mehrmals erwähnt – erfolgt nämlich ohne Antragstel- Nach langen Verhandlungen beschließen wir heute ei- lung. Der Anspruch auf Grundrente soll ab dem nächsten ne deutliche Aufwertung niedriger Renten. Wer mindes- Jahr bestehen. Da bis dahin nicht Millionen von Renten tens 33 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige geprüft werden können, wird die Rentenversicherung mit gepflegt, aber nur unterdurchschnittliche Verdienste er- den ältesten Jahrgängen beginnen. Den Grund- zielt hat, profitiert ab dem 1. Januar 2021 von höheren rentenberechtigten entsteht hierdurch insofern kein Leistungen im Ruhestand. Das ist ein wichtiger Durch- Nachteil, weil sie die zusätzlichen Leistungen rückwir- bruch, und ich kann Ralf Kapschack zustimmen: Ein kend ausgezahlt bekommen. guter Tag! Sehr geehrte Damen und Herren, haben wir mit dem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Koalitionspartner hart um eine Lösung gerungen? Ja. (B) Ein guter Tag für bis zu 1,3 Millionen Anspruchsberech- Stellt das Ergebnis einen Kompromiss dar? Natürlich. (D) tigte, darunter viele Frauen und Menschen in Ostdeutsch- Dass die vom Bundesfinanz- und vom Bundesarbeitsmi- land. nister zugesagte Finanzierung nicht eingehalten wird, ist für mich enttäuschend; aber der hier vorliegende Gesetz- Diese Grundrente ist eben keine Fürsorgeleistung, son- entwurf ist ein Kompromiss, der über 1 Million Men- dern eine Fortentwicklung der Rente nach Mindestent- schen in Zukunft besser dastehen lässt, der zeigt, dass geltpunkten. Durch die neu festgelegten Voraussetzungen sich die Beiträge in die Rentenkasse lohnen und dass werden geringe Verdienste ab 33 Jahren Grund- wir als Gesellschaft wertschätzen, wenn Kinder erzogen rentenzeiten künftig stärker aufgewertet. Ab 35 Jahren und Pflegebedürftigen geholfen wird. erfolgt die volle Anhebung. Sie kann im Einzelfall eine Verdoppelung der tatsächlichen Beitragszahlen bedeuten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Diese Aufwertung erfolgt jedoch nicht bedingungslos, ordneten der SPD) sondern, wie von CDU und CSU gefordert, wenn das Gesamteinkommen niedrig ist. Dabei wird auch das Ein- Aus diesem Grund werde ich dem Gesetz zustimmen. kommen des Partners berücksichtigt. Das ist richtig und gerecht. Vielen Dank. Was ist außerdem Inhalt des Gesetzes? Die neuge- (Beifall bei der CDU/CSU) schaffenen Freibeträge. Zukünftig profitieren diejenigen, die mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten zurückgelegt Vizepräsidentin Petra Pau: haben, von einem Freibetrag in der Grundsicherung und Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und einem Freibetrag beim Wohngeld, auch dann, wenn sie Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen neben der Grundrente noch auf Wohngeld und Grundsi- Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- cherung angewiesen sind. Je nach Rentenhöhe kann die- tion der AfD bekannt: abgegebene Stimmkarten 670. ser Freibetrag bis zu 216 Euro monatlich ausmachen. Mit Ja stimmten 87 Abgeordnete, mit Nein haben 580 Ab- Darüber hinaus stärken wir die betriebliche Altersver- geordnete gestimmt, es gab 3 Enthaltungen. Der Ent- sorgung, eine wichtige Säule unseres Rentensystems. schließungsantrag ist abgelehnt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21193

(A) Endgültiges Ergebnis Enrico Komning Dr. André Berghegger Mark Helfrich (C) Abgegebene Stimmen: 670; Jörn König Melanie Bernstein Rudolf Henke davon Steffen Kotré Christoph Bernstiel Michael Hennrich ja: 87 Dr. Rainer Kraft Peter Beyer Marc Henrichmann nein: 580 Rüdiger Lucassen Marc Biadacz Ansgar Heveling enthalten: 3 Frank Magnitz Steffen Bilger Christian Hirte Jens Maier Peter Bleser Dr. Heribert Hirte Ja Dr. Lothar Maier Norbert Brackmann Alexander Hoffmann AfD Dr. Birgit Malsack- Michael Brand (Fulda) Karl Holmeier Dr. Bernd Baumann Winkemann Dr. Reinhard Brandl Dr. Hendrik Hoppenstedt Marc Bernhard Andreas Mrosek Dr. Helge Braun Erich Irlstorfer Andreas Bleck Hansjörg Müller Silvia Breher Thomas Jarzombek Peter Boehringer Volker Münz Sebastian Brehm Andreas Jung Stephan Brandner Sebastian Münzenmaier Heike Brehmer Ingmar Jung Jürgen Braun Christoph Neumann Ralph Brinkhaus Alois Karl Marcus Bühl Jan Ralf Nolte Dr. Carsten Brodesser Anja Karliczek Matthias Büttner Ulrich Oehme Gitta Connemann Torbjörn Kartes Petr Bystron Gerold Otten Astrid Damerow Volker Kauder Tino Chrupalla Alexander Dobrindt Dr. Stefan Kaufmann Joana Cotar Tobias Matthias Peterka Michael Donth Ronja Kemmer Dr. Gottfried Curio Paul Viktor Podolay Marie-Luise Dött Roderich Kiesewetter Siegbert Droese Jürgen Pohl Hansjörg Durz Michael Kießling Thomas Ehrhorn Stephan Protschka Thomas Erndl Dr. Georg Kippels Berengar Elsner von Martin Reichardt Hermann Färber Volkmar Klein Gronow Martin Erwin Renner Uwe Feiler Axel Knoerig Dr. Michael Espendiller Roman Johannes Reusch Enak Ferlemann Jens Koeppen Peter Felser Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Maria Flachsbarth Markus Koob Dietmar Friedhoff Dr. Robby Schlund Thorsten Frei Carsten Körber (B) Dr. Anton Friesen Jörg Schneider Dr. Hans-Peter Friedrich Alexander Krauß (D) Markus Frohnmaier Uwe Schulz (Hof) Gunther Krichbaum Dr. Götz Frömming Thomas Seitz Michael Frieser Rüdiger Kruse Dr. Alexander Gauland Martin Sichert Hans-Joachim Fuchtel Michael Kuffer Dr. Axel Gehrke Detlev Spangenberg Ingo Gädechens Dr. Roy Kühne Albrecht Glaser Dr. Dirk Spaniel Dr. Thomas Gebhart Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Franziska Gminder René Springer Alois Gerig Andreas G. Lämmel Wilhelm von Gottberg Beatrix von Storch Eberhard Gienger Katharina Landgraf Kay Gottschalk Dr. Alice Weidel Eckhard Gnodtke Ulrich Lange Armin-Paulus Hampel Dr. Harald Weyel Ursula Groden-Kranich Dr. Silke Launert Mariana Iris Harder-Kühnel Wolfgang Wiehle Hermann Gröhe Jens Lehmann Dr. Roland Hartwig Dr. Heiko Wildberg Klaus-Dieter Gröhler Paul Lehrieder Jochen Haug Uwe Witt Michael Grosse-Brömer Dr. Katja Leikert Martin Hebner Astrid Grotelüschen Dr. Andreas Lenz Udo Theodor Hemmelgarn Nein Markus Grübel Antje Lezius Waldemar Herdt Manfred Grund Andrea Lindholz Martin Hess CDU/CSU Oliver Grundmann Dr. Carsten Linnemann Dr. Heiko Heßenkemper Dr. Michael von Abercron Monika Grütters Patricia Lips Karsten Hilse Stephan Albani Fritz Güntzler Nikolas Löbel Nicole Höchst Norbert Maria Altenkamp Olav Gutting Bernhard Loos Martin Hohmann Philipp Amthor Christian Haase Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Bruno Hollnagel Peter Aumer Florian Hahn Daniela Ludwig Leif-Erik Holm Dorothee Bär Jürgen Hardt Dr. Saskia Ludwig Johannes Huber Thomas Bareiß Matthias Hauer Karin Maag Fabian Jacobi Norbert Barthle Mark Hauptmann Yvonne Magwas Dr. Marc Jongen Maik Beermann Dr. Matthias Heider Dr. Thomas de Maizière Jens Kestner Manfred Behrens (Börde) Mechthild Heil Gisela Manderla Stefan Keuter Veronika Bellmann Thomas Heilmann Dr. Astrid Mannes Norbert Kleinwächter Sybille Benning Frank Heinrich (Chemnitz) Matern von Marschall 21194 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Hans-Georg von der Armin Schuster (Weil am Tobias Zech Oliver Kaczmarek (C) Marwitz Rhein) Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Andreas Mattfeldt Torsten Schweiger Paul Ziemiak Ralf Kapschack Stephan Mayer (Altötting) Detlef Seif Dr. Matthias Zimmer Gabriele Katzmarek Dr. Michael Meister Johannes Selle Cansel Kiziltepe Jan Metzler Reinhold Sendker SPD Arno Klare Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Dr. Patrick Sensburg Lars Klingbeil Michelbach Niels Annen Bernd Siebert Dr. Bärbel Kofler Dr. Mathias Middelberg Ingrid Arndt-Brauer Thomas Silberhorn Daniela Kolbe Dietrich Monstadt Bela Bach Björn Simon Anette Kramme Karsten Möring Heike Baehrens Tino Sorge Christine Lambrecht Ulrike Bahr Elisabeth Motschmann Jens Spahn Christian Lange (Backnang) Nezahat Baradari Axel Müller Katrin Staffler Dr. Karl Lauterbach Doris Barnett Sepp Müller Dr. Wolfgang Stefinger Sylvia Lehmann Dr. Matthias Bartke Carsten Müller Albert Stegemann Helge Lindh (Braunschweig) Sören Bartol Andreas Steier Kirsten Lühmann Stefan Müller (Erlangen) Bärbel Bas Peter Stein (Rostock) Caren Marks Dr. Andreas Nick Sebastian Steineke Lothar Binding Dorothee Martin Petra Nicolaisen (Heidelberg) Johannes Steiniger Katja Mast Michaela Noll Dr. Eberhard Brecht Christian Frhr. von Stetten Christoph Matschie Dr. Georg Nüßlein Leni Breymaier Dieter Stier Hilde Mattheis Wilfried Oellers Dr. Karl-Heinz Brunner Gero Storjohann Dr. Matthias Miersch Florian Oßner Katrin Budde Stephan Stracke Klaus Mindrup Josef Oster Dr. Lars Castellucci Max Straubinger Susanne Mittag Henning Otte Bernhard Daldrup Karin Strenz Falko Mohrs Ingrid Pahlmann Dr. Daniela De Ridder Dr. Peter Tauber Claudia Moll Sylvia Pantel Dr. Karamba Diaby Dr. Hermann-Josef Tebroke Siemtje Möller Martin Patzelt Esther Dilcher Hans-Jürgen Thies Bettina Müller Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Sabine Dittmar (B) Detlef Müller (Chemnitz) (D) Stephan Pilsinger Dr. Dietlind Tiemann Saskia Esken Michelle Müntefering Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Yasmin Fahimi Dr. Rolf Mützenich Eckhard Pols Markus Uhl Dr. Johannes Fechner Dietmar Nietan Thomas Rachel Dr. Volker Ullrich Dr. Fritz Felgentreu Ulli Nissen Kerstin Radomski Arnold Vaatz Dr. Edgar Franke Thomas Oppermann Alexander Radwan Kerstin Vieregge Ulrich Freese Josephine Ortleb Alois Rainer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dagmar Freitag Mahmut Özdemir Eckhardt Rehberg Christoph de Vries Michael Gerdes (Duisburg) Lothar Riebsamen Kees de Vries Martin Gerster Aydan Özoğuz Josef Rief Dr. Johann David Wadephul Angelika Glöckner Markus Paschke Johannes Röring Marco Wanderwitz Timon Gremmels Christian Petry Dr. Norbert Röttgen Nina Warken Kerstin Griese Sabine Poschmann Stefan Rouenhoff Kai Wegner Michael Groß Achim Post (Minden) Erwin Rüddel Albert H. Weiler Uli Grötsch Florian Pronold Albert Rupprecht Marcus Weinberg Bettina Hagedorn Dr. Sascha Raabe (Hamburg) Stefan Sauer Rita Hagl-Kehl Martin Rabanus Dr. Anja Weisgerber Anita Schäfer (Saalstadt) Sebastian Hartmann Mechthild Rawert Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Wolfgang Schäuble Dirk Heidenblut Andreas Rimkus Sabine Weiss (Wesel I) Andreas Scheuer Hubertus Heil (Peine) Sönke Rix Ingo Wellenreuther Jana Schimke Gabriela Heinrich Dennis Rohde Marian Wendt Tankred Schipanski Marcus Held Dr. Martin Rosemann Kai Whittaker Christian Schmidt (Fürth) Wolfgang Hellmich René Röspel Annette Widmann-Mauz Dr. Claudia Schmidtke Dr. Barbara Hendricks Dr. Ernst Dieter Rossmann Bettina Margarethe Patrick Schnieder Wiesmann Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Nadine Schön Klaus-Peter Willsch Thomas Hitschler Susann Rüthrich Felix Schreiner Elisabeth Winkelmeier- Frank Junge Bernd Rützel Dr. Klaus-Peter Schulze Becker Josip Juratovic Sarah Ryglewski Uwe Schummer Oliver Wittke Thomas Jurk Johann Saathoff Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21195

(A) Axel Schäfer (Bochum) Dr. Marcus Faber Linda Teuteberg Tobias Pflüger (C) Dr. Nina Scheer Daniel Föst Michael Theurer Martina Renner Marianne Schieder Otto Fricke Stephan Thomae Bernd Riexinger Udo Schiefner Thomas Hacker Manfred Todtenhausen Eva-Maria Schreiber Dr. Nils Schmid Reginald Hanke Dr. Andrew Ullmann Dr. Petra Sitte Uwe Schmidt Peter Heidt Gerald Ullrich Helin Evrim Sommer Ulla Schmidt (Aachen) Katrin Helling-Plahr Johannes Vogel (Olpe) Kersten Steinke Dagmar Schmidt (Wetzlar) Markus Herbrand Sandra Weeser Friedrich Straetmanns Carsten Schneider (Erfurt) Torsten Herbst Nicole Westig Dr. Kirsten Tackmann Johannes Schraps Katja Hessel Katharina Willkomm Jessica Tatti Michael Schrodi Dr. Gero Clemens Hocker Alexander Ulrich Martin Schulz Manuel Höferlin DIE LINKE Kathrin Vogler Swen Schulz (Spandau) Dr. Christoph Hoffmann Dr. Sahra Wagenknecht Doris Achelwilm Frank Schwabe Reinhard Houben Andreas Wagner Gökay Akbulut Stefan Schwartze Ulla Ihnen Dr. Dietmar Bartsch Andreas Schwarz Olaf In der Beek Lorenz Gösta Beutin BÜNDNIS 90/ Rita Schwarzelühr-Sutter Gyde Jensen Matthias W. Birkwald DIE GRÜNEN Rainer Spiering Dr. Christian Jung Heidrun Bluhm-Förster Luise Amtsberg Svenja Stadler Karsten Klein Michel Brandt Lisa Badum Martina Stamm-Fibich Dr. Marcel Klinge Christine Buchholz Annalena Baerbock Sonja Amalie Steffen Daniela Kluckert Dr. Birke Bull-Bischoff Margarete Bause Mathias Stein Pascal Kober Jörg Cezanne Dr. Danyal Bayaz Kerstin Tack Dr. Lukas Köhler Sevim Dağdelen Canan Bayram Claudia Tausend Carina Konrad Fabio De Masi Dr. Franziska Brantner Michael Thews Wolfgang Kubicki Dr. Diether Dehm Agnieszka Brugger Markus Töns Konstantin Kuhle Dr. Anna Christmann Carsten Träger Alexander Kulitz Anke Domscheit-Berg Katharina Dröge Ute Vogt Alexander Graf Lambsdorff Klaus Ernst Harald Ebner Marja-Liisa Völlers Ulrich Lechte Susanne Ferschl (B) Matthias Gastel (D) Dirk Vöpel Christian Lindner Brigitte Freihold Kai Gehring Gabi Weber Michael Georg Link Nicole Gohlke (Heilbronn) Stefan Gelbhaar Dr. Joe Weingarten Dr. Gregor Gysi Oliver Luksic Katrin Göring-Eckardt Bernd Westphal Dr. André Hahn Till Mansmann Erhard Grundl Dirk Wiese Heike Hänsel Dr. Jürgen Martens Gülistan Yüksel Matthias Höhn Anja Hajduk Christoph Meyer Stefan Zierke Andrej Hunko Britta Haßelmann Alexander Müller Dr. Jens Zimmermann Ulla Jelpke Dr. Bettina Hoffmann Roman Müller-Böhm Kerstin Kassner Dr. Anton Hofreiter Frank Müller-Rosentritt Dr. Achim Kessler Ottmar von Holtz FDP Dr. Martin Neumann Katja Kipping Dieter Janecek Grigorios Aggelidis (Lausitz) Jutta Krellmann Uwe Kekeritz Renata Alt Matthias Nölke Caren Lay Katja Keul Hagen Reinhold Christine Aschenberg- Sabine Leidig Sven-Christian Kindler Dugnus Bernd Reuther Ralph Lenkert Sylvia Kotting-Uhl Nicole Bauer Dr. h. c. Thomas Stefan Liebich Oliver Krischer Jens Beeck Sattelberger Dr. Gesine Lötzsch Stephan Kühn (Dresden) Dr. Jens Brandenburg Christian Sauter (Rhein-Neckar) Frank Schäffler Thomas Lutze Christian Kühn (Tübingen) Mario Brandenburg Dr. Wieland Schinnenburg Amira Mohamed Ali Renate Künast (Südpfalz) Matthias Seestern-Pauly Cornelia Möhring Markus Kurth Sandra Bubendorfer-Licht Frank Sitta Niema Movassat Monika Lazar Dr. Marco Buschmann Judith Skudelny Norbert Müller (Potsdam) Sven Lehmann Karlheinz Busen Dr. Hermann Otto Solms Zaklin Nastic Steffi Lemke Carl-Julius Cronenberg Bettina Stark-Watzinger Dr. Alexander S. Neu Dr. Tobias Lindner Britta Katharina Dassler Dr. Marie-Agnes Strack- Thomas Nord Dr. Irene Mihalic Bijan Djir-Sarai Zimmermann Petra Pau Claudia Müller Christian Dürr Benjamin Strasser Sören Pellmann Beate Müller-Gemmeke Hartmut Ebbing Katja Suding Victor Perli Dr. Ingrid Nestle 21196 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Dr. Konstantin von Notz Manuel Sarrazin Markus Tressel Enthalten (C) Ulle Schauws Jürgen Trittin Fraktionslos Friedrich Ostendorff Dr. Frithjof Schmidt Dr. Julia Verlinden Cem Özdemir Stefan Schmidt Daniela Wagner Verena Hartmann Lisa Paus Charlotte Schneidewind- Beate Walter-Rosenheimer Lars Herrmann Filiz Polat Hartnagel Gerhard Zickenheiner Dr. Frauke Petry Tabea Rößner Kordula Schulz-Asche Claudia Roth (Augsburg) Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Manuela Rottmann Kuhn Fraktionslos Corinna Rüffer Margit Stumpp Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kolle- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/ Kerstin Tack (SPD): CSU-Fraktion. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um bei BAP zu bleiben: „Verdammp lang her“. Verdammt lang her ist es, dass sich dieses Parlament entschieden hat, etwas für Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): die Rente einer Zielgruppe zu tun, die lange gearbeitet Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! und wenig verdient hat. Verdammt lang her – zehn Jahre Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Es trennt uns jetzt lang hatten Leute Erwartungen auf eine solche Rente und nur noch meine Rede von der Abstimmung. Deshalb sind enttäuscht worden. Heute ist Geburtstag der Grund- noch einmal eine kurze Zusammenfassung, worauf es (B) (D) rente in Deutschland; ein guter Tag! wirklich ankommt: Die gesetzliche Rente ist bekanntlich lohn- und beitragsbezogen. Mit der Einzahlung in die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rentenversicherung erwerben wir uns den Anspruch, Die Grundrente ist ein gutes Instrument. Sie ist sogar später eine Rente zu bekommen. Aber, meine sehr ge- so gut, dass sich weder die Linken noch die Grünen trau- ehrten Damen und Herren, die Rente ist auch Wertschät- en, sie abzulehnen. Dann kann sie so schlimm nicht sein. zung, Wertschätzung für fleißiges, lebenslanges Arbei- ten. Und diese Wertschätzung wird jetzt durch das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grundrentengesetz noch einmal richtig betont und unter- der CDU/CSU) strichen; Um es einmal sehr deutlich zu sagen: Viele, insbeson- dere Frauen, haben in der Zeit, in der sie gearbeitet haben, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- häufig wenig Lohn erhalten und nur in Teilzeit gearbeitet, ordneten der SPD) weil sie keine Betreuungsinfrastruktur vorgefunden ha- denn wenn jemand, der in seinem Leben vielleicht nur ben, wie wir sie heute mit Ganztagskitas, Ganztagsschu- wenig verdient hat und folglich auch wenig auf seinem len und anderen Möglichkeiten haben. Sie haben sich Rentenkonto stehen hat, selber zurückgenommen für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Genau diesen Frauen, die diese Ver- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Oder einbarkeit in ihrem Berufsleben trotzdem organisiert ha- sie!) ben, das aber nur in Teilzeit konnten, sagen wir heute: Danke, dass ihr das gemacht habt. Für euch und viele Kinder erzogen hat, Angehörige gepflegt hat, erleben andere haben wir heute die Grundrente auf den Weg ge- muss, dass er im Alter eventuell nur das bekommt, was bracht. Ein richtig guter Tag! man in der Grundsicherung auch ausgezahlt bekommt, also demjenigen finanziell gleichgestellt wird, der nie in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das System eingezahlt hat, dann ist von Wertschätzung Deswegen freuen wir uns nicht nur, dass wir sie heute wenig übrig geblieben. Deswegen ist es richtig, dass wir einbringen, sondern wir freuen uns auch, dass sie ein diesen Zustand beenden. Meilenstein ist. Den hätte es ohne uns nicht gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir freuen uns, dass es nicht die gemacht haben, die es ordneten der SPD) nicht können und die es noch beweisen müssen. Ein guter Tag für diese Regierung, ein guter Tag für Deutschland. Wer in die Rente eingezahlt hat, der muss auch besser Auf in eine gute Grundrente! dastehen als jemand, der nie in die Rente eingezahlt hat. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21197

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nur die ein Einkommen bis zu 2 575 Euro haben. Das sind (C) bei euch nach 33 Jahren!) noch einmal 2 Millionen Berechtigte mehr. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dafür haben Und wir haben zusätzlich miteinander verabredet, dass wir zwei wichtige Elemente in diesem Gesetz. wir bis Oktober einen Vorschlag des Bundesfinanzminis- ters erhalten, wie wir die sogenannte Riester-Rente, also Element eins. Niedrige Rentenanwartschaften werden die private kapitalgedeckte Altersvorsorge, vereinfachen, aufgewertet. Aber diese Aufwertung erfolgt natürlich nur verschlanken, gängiger machen. dann, wenn nicht noch über weiteres ansehnliches Ein- kommen verfügt wird. Deswegen ist es richtig, eine sol- Mit diesen beiden Ansagen machen wir Folgendes: che sozialpolitische Leistung der Rentenversicherung Wir wollen, dass gerade auch die Geringverdiener in un- auch mit einer Einkommensanrechnung zu versehen. serem Land künftig über eine zusätzliche Altersvorsorge Jetzt muss ich einmal sagen: Ich verstehe die Kritik, die verfügen, dass sie sich diese mit entsprechender Förde- hier vorgetragen worden ist, überhaupt nicht. Entweder rung und Unterstützung durch den Arbeitgeber wie durch will man das Gießkannenprinzip einführen, oder man will den Staat aufbauen können. Denn unser Zukunftsmodell Einkommen berücksichtigen. Dann muss man es auch ist nicht, dass die Deutschen ein Volk von Grund- prüfen, das ist auch Bürokratie. Es geht nicht, Gerechtig- rentenbezieher werden, sondern unsere Zukunftsvision keit ohne Einkommensprüfungen herzustellen. Und ich ist, dass sich auch die Geringverdiener in unserem Land wette, dass diejenigen, die jetzt die Bürokratie beklagen, eine Altersversorgung aufbauen können, bei der sie we- das Gießkannenprinzip beklagen würden, wenn wir es der auf Grundrente noch auf Grundsicherung angewiesen andersherum gemacht hätten. Deswegen ist die Kritik sind. an diesem Gesetzentwurf unehrlich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir wollen ein Alterseinkommen, von dem man leben ordneten der SPD) kann, und zwar anständig leben kann. Element zwei. Wenn jemand doch auf Grundsicherung im Alter angewiesen ist, räumen wir einen Freibetrag ein. Vizepräsident in Petra Pau: Wer gesetzliche Rente hat – das Gleiche gilt, wenn man private Rente oder Betriebsrente angespart hat –, dem Kollege Weiß, die Erläuterungen zu diesem Vorhaben verrechnen wir nicht alles zu 100 Prozent mit der Grund- müssen Sie jetzt tatsächlich auf den Herbst verschieben. sicherung, sondern dem lassen wir etwas, und zwar min- Sie müssen zum Schluss kommen. destens 100 Euro, maximal 216 Euro im Monat. Auch das (B) ist Anerkennung und Wertschätzung für fleißiges Arbei- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (D) ten und Ansparen für das Alter. Das wird mit diesem Ich wollte doch gar nicht erläutern. Ich wollte meinen Gesetzentwurf endlich auch für die gesetzliche Rente Schlusssatz sagen. Realität. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Vizepräsident in Petra Pau: Birkwald [DIE LINKE]: Wer 32 Jahre gearbei- Gut. tet hat, kriegt das nicht!) Dann war auch die Finanzierung zu regeln. Der wich- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): tigste Punkt für uns ist, weil es bei der Grundrente um Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kol- eine sozialpolitische Leistung geht: Wir finanzieren das legen, deshalb ist das ein Gesetzentwurf, der die Rente aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsmitteln. Das ist stärkt, der aber auch für die Zukunft eine klare Ansage eine wichtige Nachricht für alle Beitragszahlerinnen und macht: Jawohl, wir wollen ein auskömmliches Altersein- Beitragszahler. Ja, wir als Parlament, als Staat bekennen kommen für alle Menschen, die in Deutschland arbeiten. uns dazu. Dafür gibt es zusätzliche Steuermittel. Und Vielen Dank. meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegin- nen und Kollegen, im Herbst dieses Jahres beraten wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Bundeshaushalt für 2021. Da erwarten wir von ordneten der SPD) Hubertus Heil und von Olaf Scholz, dass das im Haus- haltsentwurf klipp und klar drinsteht, jeder es nachlesen kann und jeder durch Handaufheben mitbestimmen kann. Vizepräsident in Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Und dann machen wir mit diesem Gesetz, verehrte desregierung eingebrachten Entwurf eines Grund- Kolleginnen und Kollegen, für die Zukunft eine klare rentengesetzes. Ansage. Wir schauen uns noch einmal die betriebliche Altersvorsorge an. Wir verdoppeln die Förderung der Ge- Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung vor. Wir nehmen sie entsprechend unseren Re- ringverdiener für eine rein arbeitgeberfinanzierte betrieb- 1) liche Altersvorsorge. Und wir erweitern den Kreis der geln zu Protokoll. Berechtigten. Bislang galt das nur für Bezieher von Ein- kommen bis zu 2 200 Euro. Künftig sind alle mit dabei, 1) Anlage 6 21198 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident in Petra Pau (A) Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- (C) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20711, gen? – Die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer ent- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache hält sich? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ 19/18473 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- tung angenommen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über acht Än- derungsanträge der Fraktion Die Linke. Änderungsantrag Dritte Beratung auf Drucksache 19/20731. Wer stimmt für diesen Ände- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem rungsantrag? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die übrigen Fraktio- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- nen des Hauses. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Fall. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und der FDP-Frak- Änderungsantrag auf Drucksache 19/20732. Wer tion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bünd- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wiederum die nis 90/Die Grünen angenommen. Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD- (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Nie- der CDU/CSU) mand. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit zu diesem Tagesordnungspunkt ist noch nicht getan. Wir haben Änderungsantrag auf Drucksache 19/20733. Wer noch einige Abstimmungen vor uns. Wir kommen zur stimmt für diesen Antrag? – Die Fraktion Die Linke Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschlie- und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache dagegen? – Die übrigen Fraktionen des Hauses. Wer ent- 19/20744. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – hält sich? – Niemand. Der Änderungsantrag ist abge- Die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Alle lehnt. anderen Fraktionen des Hauses. Enthält sich jemand? – Änderungsantrag auf Drucksache 19/20734. Wer Das ist nicht der Fall. Der Entschließungsantrag ist abge- stimmt für diesen Antrag? – Die Fraktion Die Linke. lehnt. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen, die Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die AfD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Fraktion Bünd- Grünen auf Drucksache 19/20745. Wer stimmt für diesen nis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Der Entschließungsantrag? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktio- Die Linke abgelehnt. (B) nen, die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält (D) Änderungsantrag auf Drucksache 19/20735. Wer sich? – Die Fraktion Die Linke. Der Entschließungsan- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die Fraktion Die trag ist abgelehnt. Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer Zusatzpunkt 12. Wir kommen zur Beschlussempfeh- stimmt dagegen? – Alle anderen Fraktion des Hauses. lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Wer enthält sich? – Niemand. Der Änderungsantrag ist Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Altersarmut abgelehnt. zielgenau bekämpfen – Neue Basis-Rente schaffen“. Der Änderungsantrag auf Drucksache 19/20736. Wer Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die Fraktion Die empfehlung auf Drucksache 19/10033, den Antrag der Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer Fraktion der FDP auf Drucksache 19/7694 abzulehnen. stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Nie- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die mand. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen, der AfD-Fraktion, der Fraktion Die Lin- Änderungsantrag auf Drucksache 19/20737. Wer ke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die Fraktionen men der FDP-Fraktion angenommen. Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und die AfD-Frak- tion. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias Änderungsantrag auf Drucksache 19/20738. Wer W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der stimmt für diesen Änderungsantrag? – Die Fraktion Die Fraktion DIE LINKE Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer Arbeitnehmerrechte sowie Arbeits- und stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen und die Gesundheitsschutz in der Fleischindustrie FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die AfD-Fraktion. durchsetzen Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Drucksache 19/20189 Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz- entwurf. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Bundesregierung auf Drucksache 19/18473 in der Aus- Ausschuss für Wirtschaft und Energie schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21199

Vizepräsident in Petra Pau (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Erzählen Sie das mal einem meiner Kollegen im Maschi- (C) Beate Müller-Gemmeke, Friedrich nenbau. Die fragen Sie, ob Sie noch ganz sauber in der Ostendorff, Anja Hajduk, weiterer Abgeord- Birne sind. neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Völlig zu Recht fragen die das!) Faire Arbeitsbedingungen und angemes- Wann merken Sie, meine Damen und Herren der Bun- sener Gesundheitsschutz für Beschäftigte desregierung, endlich, dass man Arbeits- und Gesund- in der Fleischbranche und Saisonarbeits- heitsschutz nicht alleine den Arbeitgebern überlassen kräfte in der Landwirtschaft darf? Missbrauch und Ausbeutung sind da eher die Regel, Drucksache 19/19551 und das ist eine riesige Schweinerei.

Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der LINKEN – Rainer Spiering Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) [SPD]: Im wahrsten Sinne des Wortes!) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Wir brauchen flächendeckende Kontrollen, scharfe Sank- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten tionen, und ja, wir brauchen ein Verbot von Werkverträ- beschlossen. gen und Leiharbeit. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. Allen Lobbyisten, die sagen, dass sie das Abschaffen des (Beifall bei der LINKEN) Geschäftsmodells „Werkverträge“ verfassungsrechtlich bedenklich finden, sage ich: Nein, verfassungsrechtlich bedenklich ist, wenn dieses ausbeuterische System unge- Jutta Krellmann (DIE LINKE): regelt weiterläuft. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Gewerkschafterin bin ich absolut verärgert (Beifall bei der LINKEN) und empört über das, was in Gütersloh passiert ist. Die Selbstverständlich müssen Aufsichtsbehörden endlich katastrophalen Bedingungen in der Fleischindustrie wa- mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden, um Be- ren lange vor Corona bekannt. Arbeiten unter unmensch- triebsstätten und Unterkünfte, Schlachthofbetriebe und lichen Bedingungen, zusammengepfercht in beengten Subunternehmen flächendeckend zu kontrollieren. Räumen wohnen und überlange Arbeitszeiten sind dabei (B) die Regel. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) Zu Beginn der Pandemie hätte die Bundesregierung Wenn es jetzt noch gelingt, Wahlen von Betriebsräten in sofort eine klare verpflichtende Verordnung erlassen diesem Bereich zu unterstützen und Bedingungen für müssen. gute Tarifverträge zu schaffen, dann gibt es endlich auch wieder gute Arbeit in der Fleischindustrie. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Aber es kam dabei nichts anderes als Empfehlungen aus dem Arbeitsministerium heraus. Ende April hatten wir (Beifall bei der LINKEN) bereits die ersten großen Ausbrüche in der Fleischindust- rie. Das Kabinett hat dann zehn Eckpunkte beschlossen. Vizepräsident in Petra Pau: Aber bislang stehen sie nur auf dem Papier. Die Arbeit- Das Wort hat der Minister für Arbeit, Gesundheit und geber dürfen weitermachen wie bisher. Und nun haben Soziales des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Karl- wir die Katastrophe: Tönnies, Westfleisch, Wiesenhof Josef Laumann. und wie sie alle heißen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meine Damen und Herren, ich behaupte: Durch konse- ordneten der SPD) quentes Handeln wäre diese Katastrophe vermeidbar ge- wesen. Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein-Westfa- len): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten NIS 90/DIE GRÜNEN) Damen und Herren! Verehrte Abgeordnete! Erst einmal Was wir jetzt haben, ist das Ergebnis einer ausbeuteri- ist es natürlich schön, wenn man nach vielen Jahren hier schen Unternehmenspraxis und einer verfehlten Politik. wieder einmal steht. Aber der Anlass, warum ich hier Gewinne über alles, Löhne drücken und Leute beschei- stehe, ist mir wichtig und zugleich sehr ernst. 8 752 Ver- ßen! Oder wie kann man es nennen, wenn von den Arbei- stöße musste der nordrhein-westfälische Arbeitsschutz tern auch noch eine Messerabgabe verlangt wird? Im feststellen, als ich im Herbst vergangenen Jahres dem Klartext: Die Arbeiter müssen ihre Messer auch noch Arbeitsschutz von Nordrhein-Westfalen gesagt habe, selbst bezahlen. dass er die 30 größten Betriebe der Fleischwirtschaft in Nordrhein-Westfalen an einem Tag konzentriert kontrol- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Längst lieren solle. In 26 der 30 Betriebe wurden gravierende abgeschafft!) Mängel beim Arbeitsschutz festgestellt. Im Zuge der Pan- 21200 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Minister Karl-Josef Laumann (Nordrhein-Westfalen) (A) demiebekämpfung konnte Nordrhein-Westfalen den Ar- ders geht, macht Dänemark vor. Dort sind die Arbeitneh- (C) beitsschutz erstmalig großflächig in die Wohnungen der mer in der Regel direkt bei den Schlachthöfen angestellt. Werkvertragsarbeitnehmer schicken. Ich habe Bilder von In der gesamten Fleischindustrie gibt es Tarifverträge. Wohnungen zu Gesicht bekommen, die wirklich in einem Jetzt liest man, dass Dänemarks Fleischindustrie in den erbärmlichen Zustand gewesen sind. Bei 650 kontrollier- letzten 15 bis 20 Jahren 4 000 bis 5 000 Arbeitsplätze an ten Unterkünften wurden 1 863 mittlere und gravierende Deutschland verloren hat, weil Deutschland aufgrund der Beanstandungen festgestellt. Wer angesichts dieser Er- schlechten Arbeitsbedingungen günstiger produzieren gebnisse von Einzelfällen oder schwarzen Schafen könne. Ich finde das peinlich. Ich glaube, dass sich spricht, der verkennt die Realität in dieser Branche. Das Ludwig Erhard bei dieser Form von Wettbewerb im Grab muss man hier ganz deutlich feststellen. umdrehen würde. Wir müssen diesen Dumpingwettbe- werb jetzt beenden, und zwar schnell. (Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Abgeordneten der SPD und der FDP) KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was passiert, wenn ein hochansteckendes Virus in ei- nem solchen System auftritt, zeigen die mehr als Vizepräsident in Petra Pau: 1 400 Fälle im Schlachtbetrieb Tönnies, aber auch viele Herr Minister, gestatten Sie eine Frage oder eine Be- Fälle in anderen Schlachthöfen der Bundesrepublik merkung aus der FDP? Deutschland, auch in weiteren Schlachthöfen in Nord- rhein-Westfalen. Zu Beginn des Ausbruches in Rheda- Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein-Westfa- Wiedenbrück konnte mir das Unternehmen nicht einmal len): sagen, wo die Werkvertragsarbeitnehmer wohnen, und behauptete, das sei aufgrund des Datenschutzes nicht Nein. – Ich bin der Überzeugung, dass das Verbot der möglich. Ich nenne ein solches System die organisierte Werkverträge im Kernbereich der Schlachthöfe viele Pro- Verantwortungslosigkeit. bleme lösen wird, die wir seit Jahren nicht gelöst bekom- men haben. Ich habe hier einige Diskussionen erlebt. Die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Einführung des Mindestlohnes hat die Situation nicht ver- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ändert. Das GSA Fleisch, das 2017 verabschiedet wurde, sowie bei Abgeordneten der FDP) hat die Situation nicht verändert. Also muss man jetzt die Systemfrage stellen. Noch im Mai sagte der Verband der Fleischwirtschaft, dass bei einem Verbot der Werksverträge gravierende (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (B) wirtschaftliche Schäden entstünden. Große Teile der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Fleischproduktion würden dann ins Ausland verlagert. Auch einige Abgeordnete haben sich diese Auffassung Auch die weiteren Forderungen aus dem Kabinettsbe- zu eigen gemacht. Es las sich in manchen Stellungnah- schluss sind gut und richtig. Digitale Zeiterfassung: Wie men so, als würden der Vorschlag von Arbeitsminister wollen wir denn die Einhaltung des Mindestlohns kon- Heil, aber auch meine inhaltsgleichen Vorschläge Unheil trollieren, wenn wir keine Zeiterfassung haben? Im GSA über unser Land bringen. Jetzt liest man, dass der Ver- Fleisch steht, dass die Arbeitszeiten erfasst werden müs- band der Fleischwirtschaft den Beschluss der Bundesre- sen. Wir haben die Dokumente gesichert. Aber es ist gierung unterstützt. Einige Unternehmen haben sogar handschriftlich so festgehalten, dass man die Dokumente schon angekündigt, zukünftig ausschließlich auf eigene nicht entziffern kann. Dass man in einer Branche, wo man Beschäftigte zu setzen. Ich frage mich schon, warum bei jeder Mettwurst sagen kann, von welchem Schwein zuerst Horrorszenarien an die Wand gemalt wurden, sie stammt, die Zeit nicht digital erfassen kann, ist mir ein wenn jetzt auf einmal alles geht. Warum verteidigen klu- ganz großes Rätsel. ge Menschen ein solches System so vehement, wenn (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Missstände dort vorprogrammiert sind? Ich glaube, dass der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE viele nicht wissen, welche Dimensionen die Fleischin- GRÜNEN) dustrie – ich spreche bewusst von einer Industrie – ange- nommen hat. Die zehn größten Konzerne schlachten Natürlich brauchen wir auch höhere Geldbußen. Was 80 Prozent der Tiere. Allein Tönnies hat einen Marktan- jedoch weiterhin fehlt, ist eine verbesserte Möglichkeit teil von rund einem Drittel. zur Kontrolle der Unterkünfte. Ich möchte noch einmal wiederholen, dass der nordrhein-westfälische Arbeits- In der Regel sind in der Industrie die Löhne und die schutz bei der Kontrolle von 650 Unterkünften über Arbeitsbedingungen gut. Dies gilt für die Fleischindustrie 1 800 Verstöße festgestellt hat. Ohne die Pandemie hätte aber überhaupt nicht. Es ist auch völlig klar, warum die ich den Arbeitsschutz überhaupt nicht in die Unterkünfte Bedingungen in der Fleischindustrie so sind, wie sie sind. schicken dürfen. Daher sind die Zustände dort so, wie sie Mithilfe von Werkverträgen haben es die Arbeitgeber in sind. Das, was für Betriebsunterkünfte gilt, muss auch für der industriellen Fleischwirtschaft – darauf lege ich von Arbeitgebern vermittelte und bereitgestellte Unter- Wert – geschafft, jegliche Form der Arbeitnehmermitbe- künfte gelten, sodass der Arbeitsschutz auch jenseits ei- stimmung effektiv zu verhindern. Sowohl in Nordrhein- ner Pandemie solche Wohnungen kontrollieren kann. Westfalen als auch bundesweit sind Mitbestimmung und Tarifverträge im Bereich der industriellen Schlachtung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem und Zerlegung quasi nicht vorhanden. Dass es auch an- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21201

Minister Karl-Josef Laumann (Nordrhein-Westfalen) (A) Dann gibt es noch ein anderes Problem: Bis die Ar- Moment einfach nicht wissen, wie es für sie auch ange- (C) beitsschützer in einem Schlachthof wirklich da ankom- sichts der jetzigen Situation weitergehen soll. men, wo es rundgeht, durch alle Sicherheitsschleusen, alle Hygieneschleusen, vergeht sehr viel Zeit. Bis dahin Ihr Ministerpräsident Laschet hat am 30. Juni gesagt – kann man natürlich schon viel verändern. Also müssen und damit bezog er sich wohl auf die Landesregierung wir zu einer anderen Kontrolldichte kommen. Ich habe und das Land Nordrhein-Westfalen –: „Hier wird jetzt entschieden, dass in Nordrhein-Westfalen in Zukunft auf streng nach Recht und Gesetz verfahren.“ Da hätte mich den großen Schlachthöfen der Arbeitsschutz ständig prä- an dieser Stelle interessiert, auch nach dem, was Sie alles sent ist. an Verantwortung, die jetzt zu übernehmen ist, an den Bund delegiert haben: Wie wurde denn vor dem 30. Juni Bei Veterinären, die auch ständig in den Schlachthöfen in NRW verfahren? präsent sind, ist es so, dass diese bei den Kreisen ange- stellt sind und die Schlachthöfe die Dienstleistung, die (Zuruf von der CDU/CSU: Wer regiert denn in die Veterinäre beim Tierschutz und Gesundheitsschutz NRW?) erbringen, selbstverständlich über Gebühren bezahlen müssen. Ich sehe nicht ein, dass hier alleine der Steuer- Vizepräsident in Petra Pau: zahler verantwortlich ist. Ich möchte die Regelung, die Wenn Sie mögen, können Sie erwidern. seit Jahr und Tag für Veterinäre gilt, auch für den Arbeits- schutz haben, nämlich dass wir das über eine Gebühren- Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein-Westfa- ordnung bezahlen lassen können. len): (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Sehr geehrte Frau Abgeordnete, erstens wird in Nord- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rhein-Westfalen immer nach Recht und Gesetz verfahren. Um das einmal deutlich zu sagen: Wenn die Menschen Zweitens werden Sie in ganz Deutschland kein Bundes- in den Schlachtbetrieben fest angestellt sind, dann wird land finden, in dem in den letzten Monaten – nicht nur sich was ändern. Dann werden sie natürlich auch mutiger. während der Pandemie, auch vor der Pandemie – ein so Dann werden sie sich mal einer Gewerkschaft anschlie- starker Schwerpunkt im Arbeitsschutz gesetzt worden ist, ßen. was die Kontrollen auf Schlachthöfen angeht; sonst hätte ich die Zahlen ja nicht vorlesen können, die ich vorge- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE lesen habe. GRÜNEN]: Aber dann müssen wir trotzdem genau kontrollieren!) (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Dann werden sie einen Betriebsrat wählen. Dann werden Ich habe den Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen (D) Tarifverhandlungen geführt. Und dann sind wir da, wo in Bundestag und Landtag nach diesen Kontrollen eine wir in der sozialen Marktwirtschaft hinwollen. umfangreiche Dokumentation mit den Ergebnissen dieser Kontrollen zur Verfügung gestellt. Natürlich blieb uns Zum Schluss möchte ich zitieren aus den Kölner Leit- doch nichts anderes übrig, als nach den Vorkommnissen sätzen meiner Partei, die jetzt 75 Jahre alt sind: und der Virusverbreitung auf dem Schlachthof die Die menschliche Arbeit wird gewertet als sittliche 7 000 Leute erst einmal unter Quarantäne zu stellen. Leistung, nicht als bloße Ware. … Die Lohn- und Wir mussten mit allen Mitteln versuchen, das Übersprin- Arbeitsbedingungen werden tariflich geregelt. … gen des Virus auf die Gesamtbevölkerung zu verhindern, Der Aufbau der Gewerkschaften und der sonstigen und ich bin froh, dass es uns wahrscheinlich gelungen ist. Berufsvertretungen ist zu sichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Genau das möchte ich für die Fleischwirtschaft in den der SPD) nächsten Jahren erreichen. Der Gesundheitsschutz geht absolut vor. Jetzt haben Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wir durch eine große Reihentestung, denke ich, ziemlich gute Anhaltspunkte, dass das Virus nicht übergesprungen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ist. Es sind ja auch schon in zwei Tagen diese 14 Tage um. Dann stellt sich die Frage: Wie können wir den Schlacht- Vizepräsident in Petra Pau: hof langsam wieder anlaufen lassen oder überhaupt an- laufen lassen? Dazu muss es Hygienekonzepte geben. Ich erteile der Kollegin Konrad das Wort zu einer Dazu muss es Konzepte geben aus der Firma, wie man Kurzintervention. den Arbeitsschutz sicherstellen will, wie man die Einhal- tung von Abständen in einer Pandemiesituation in der Carina Konrad (FDP): Firma sicherstellen will. Diese werden dann natürlich Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Lau- von den zuständigen Behörden bewertet, und dann kann mann, Sie sprachen gerade von der organisierten Verant- auch ein gewisses Anlaufen dieses Schlachtbetriebes wortungslosigkeit, für die die Zeche im Moment gezahlt wieder möglich sein. wird auf der einen Seite von den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse Sie hier zu Recht angesprochen ha- Ich weiß sehr wohl, dass der Schlachtbetrieb wieder in ben, und auf der anderen Seite von den Landwirtinnen Gang gesetzt werden muss, weil das für die Landwirt- und Landwirten, die alles tun in ihren Ställen, um mehr schaft absolut notwendig ist; da laufen Sie bei mir offene Tierwohl in der jetzigen Zeit zu generieren, die aber im Türen ein. Aber der Gesundheitsschutz hat auch vor die- 21202 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Minister Karl-Josef Laumann (Nordrhein-Westfalen) (A) ser Frage absoluten Vorrang, und danach werden sowohl Die Industrie ist kreativ in diesen Fragen. Der Sub- (C) die kommunalen als auch die Landesbehörden entschei- unternehmer will auch was verdienen. den. Meine Damen und Herren, vor fünf Jahren haben die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- deutschen Fleischbetriebe eine Selbstverpflichtung ordneten der SPD) abgegeben. Sie sagten, sämtliche in ihren Betrieben ein- gesetzten Beschäftigten sollten in einem in Deutschland gemeldeten, sozialversicherungspflichtigen Beschäfti- Vizepräsident in Petra Pau: gungsverhältnis stehen. Was ist daraus geworden? Das Wort hat der Abgeordneten Jürgen Pohl für die Nichts. Null. AfD-Fraktion. Bis heute ist die Fleischindustrie ausschließlich an (Beifall bei der AfD) größeren Gewinnmargen orientiert. Wenn einige Fleisch- barone in ihrem Unternehmen knapp 7 Milliarden Euro Jürgen Pohl (AfD): Umsatz machen, aber keine Gewinne veröffentlichen, Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Geschätzte Zu- dann spricht das Bände. Da sollte man überlegen, wie hörer an den TV-Geräten! Ganz ehrlich, ich hätte nie ge- diese Marge verringert wird, damit der Fleischpreis für dacht, dass ich als Abgeordneter des Deutschen Bundes- die Verbraucher nicht steigt. Ich bin mir sicher: Es ist tages mal so etwas sagen würde, aber es muss tatsächlich auch genügend Spielraum da, um einheimischen Arbeit- gesagt werden: Als deutscher Staatsbürger schäme ich nehmern vernünftige Löhne zu zahlen. Dann bräuchten mich für die Zustände in der deutschen Fleischindustrie. wir keine Armada an osteuropäischen Dumping-Tagelöh- nern. Dann müssten wir diese Debatte nämlich gar nicht (Beifall bei der AfD) erst führen. Was wir dort erleben, ist ein Rückschritt in die Zeit des Also noch mal: Wer satte Gewinne macht, kann auch Frühkapitalismus; es ist eine Form des modernen Skla- gute Löhne zahlen. Das ist die soziale Marktwirtschaft, venhandels. Menschen werden als billige Arbeitskräfte für die wir kämpfen und für die wir stehen. bei Subunternehmen angemietet. An der Schlachtbank schuften sie bis zum Umfallen. Dann pfercht man sie in Danke schön. Billigunterkünften zusammen, und dafür wird noch teuer bezahlt. (Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, diese einer sozialen Markt- Vizepräsident in Petra Pau: wirtschaft hohnsprechenden Zustände sind nicht neu. Wir Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und So- (B) von der AfD haben bereits 2017 nach unserem Einzug in (D) ziales, Hubertus Heil. den Bundestag diese Zustände angeprangert. Aber Union und Sozialdemokraten haben es bis zu diesem Zeitpunkt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht für nötig befunden, diese Zustände zu beseitigen; der CDU/CSU) das muss gesagt werden. Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) les: Werte Genossen von der SPD, sozial ist meistens nur Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in noch Ihr Parteiname. Hand in Hand mit der Union hätten verschiedenen Debatten gesagt worden, aber in dieser Sie Abänderung schaffen können. Ihr Genosse Sigmar muss es auch noch mal gesagt werden: Diese Coronakrise Gabriel, der ja dort beschäftigt ist, lässt sich aber augen- ist wirklich wie ein Brennglas für den Blick auf unsere scheinlich von der Firma für anderes fürstlich bezahlen. Gesellschaft: Wir sehen im Guten, was los ist; wir sehen im Schlechten, was los ist. Und ich muss schon sagen: Es Meine Damen und Herren, 55 Millionen Schweine ist, wie ich finde, bitter für unsere Gesellschaft, dass haben die deutschen Fleischproduzenten 2019 geschlach- einige erst in dieser Coronakrise gelernt haben, was in tet. In deutschen Ställen stand davon nur ungefähr die der Fleischindustrie los ist. Hälfte; der Rest kam aus dem Ausland. Es ist für Danish Crown billiger, die Schweinehälften nach Deutschland Es ist ja nicht so, dass es in der Politik nicht schon hin und wieder zurück zu transportieren, als sie selbst Anlässe und auch Vorstöße gegeben hätte, mit den Ver- zu zerlegen. Da frage ich Sie: Wie ist das möglich in hältnissen in diesem Bereich aufzuräumen, so von einem Hochsteuerland wie Deutschland, wo die Lohnne- 2017 zusammen mit Karl Schiewerling benkosten über 20 Prozent betragen? an der Stelle hier im Parlament. Es gab immer wieder Aktionen. Aber wir haben dann immer zwei Dinge erlebt: Ich will es Ihnen sagen: Möglich ist das, weil über ein Im parlamentarischen Verfahren haben Lobbyisten ver- missbrauchtes Werkvertragssystem ein Heer an rumäni- sucht, Gesetze abzuschleifen. Wenn sie es mal nicht ge- schen und polnischen Arbeitnehmern über Sub-sub- und schafft haben, haben sie mit neuen Sub-Sub-Subunter- Subunternehmen wie Maschinen angemietet werden nehmerkonstruktionen bestehendes Recht umgangen. kann. Die Männer und Frauen rackern dann für 1 000 Eu- ro brutto im Monat, und wenn ein Arbeitnehmer krank ist, Und deshalb sage ich: Spätestens jetzt muss Schluss zieht man ihm pro Tag 10 Euro vom Netto ab. Dazu sein. Die Bundesregierung ist entschlossen, in diesem kommt das Messergeld; wir hatten schon kurz darüber Bereich gründlich aufzuräumen, meine Damen und Her- gesprochen. ren, und das werden wir auch tun. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21203

Bundesminister Hubertus Heil (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- (C) der CDU/CSU) les: Und das heißt im Einzelnen, dass es um Verantwortung Ja. geht. Es geht um die Verantwortung von Unternehmern in allererster Linie für ihre Beschäftigten. Vizepräsident in Petra Pau: – und einmal von Kollegen Ernst aus der Linken. Vizepräsident in Petra Pau: Herr Minister Heil, entschuldigen Sie. Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- les: Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- Wen nehmen wir denn zuerst, Frau Präsidentin? les: Ja. Vizepräsident in Petra Pau: Natürlich denjenigen, der sich zuerst gemeldet hat. Vizepräsident in Petra Pau: Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD- Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- Fraktion? les: Das habe ich nicht gesehen. Wer war denn das? Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- les: Ich würde gerne den Gedanken zu Ende führen und Vizepräsident in Petra Pau: dann gerne eine Frage gestatten. Bitte. Ich sage noch mal: Es geht hier um Verantwortung der Unternehmer für ihre Beschäftigten. – Hören Sie erst mal René Springer (AfD): zu. Vielleicht kommt ja meine Antwort auch noch. Aber Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Minis- vielleicht haben Sie eine vorbereitete Frage. ter, am 3. Februar im Jahr 2015 besuchte der damalige Bundeswirtschaftsminister einen Tön- (René Springer [AfD]: Es geht um Kontrollen!) nies-Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück in Nord- Es geht mir um die Verantwortung der Unternehmen für rhein-Westfalen. Das Thema dort waren unter anderem ihre Beschäftigten. die Werkverträge. Ich möchte kurz aus einer Regional- (B) zeitung zitieren: (D) Es geht – Kollege Laumann, da sind wir uns einig – auch um die Verantwortung der Länder für Kontrollen. Das System an sich nannte Gabriel ein „sinnvolles Und wenn wir ganz ehrlich sind, bei allem Engagement, Instrument“. Dessen Missbrauch allerdings müsse das Sie in diesem Bereich gezeigt haben und das ich bekämpft werden – wenn etwa mit Werkverträgen schätze: In vielen Bundesländern, auch in NRW – muss eine Scheinselbstständigkeit vorgegaukelt werde, man ganz offen sagen –, sind Arbeitsschutzbehörden Arbeitszeiten nicht korrekt erfasst oder Löhne nicht nicht so stark ausgestattet, wie sie es sein müssten. wie vereinbart gezahlt werden. Hier, kündigte Gabriel an, sollen die Kontrollen verschärft werden. Deshalb haben wir uns miteinander verständigt, dass es verpflichtende Prüfquoten für die gesamte Wirtschaft ge- In der Aussage der Bundesregierung in einer Druck- ben muss, sache wird nachgewiesen, dass die Zahl der Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in NRW in dem Jahr, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE wo Sigmar Gabriel dort in der Fleischfabrik war, bei 98 GRÜNEN]: Sie brauchen Durchgriffsrechte!) lag. Im Jahr danach ist sie gesunken auf 38 Kontrollen, im weil Arbeitsschutz wichtig ist. Auch das haben wir alle Jahr danach auf 32 Kontrollen. In der Drucksache steht, gelernt: Vor Corona haben einige noch über Arbeits- im Jahr 2019 waren es 30 Kontrollen. schutz gesprochen, als sei es Bürokratie; da hat man sich über Paternoster und Teeküchen lustig gemacht. Heute Die Frage, die ich an Sie stellen möchte, ist: Warum sehen wir: Arbeitsschutz ist verdammt wichtig für unsere kündigt ein SPD-Minister hier eine Verschärfung der Gesellschaft und für die Beschäftigten. Kontrollen an, und dann passiert genau das Gegenteil? Und wenn wir die Auswirkungen sehen, die sich über (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lange Zeit daraus ergeben haben, stellt sich mir auch die der LINKEN) Frage: Warum werden die Probleme in der Verantwor- Zweitens. Wir werden die digitale Arbeitszeiterfas- tung von SPD-Ministern nicht kleiner, sondern größer? sung – – Vielen Dank.

Vizepräsident in Petra Pau: Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- Herr Heil, ich frage jetzt ein letztes Mal, weil es in- les: zwischen schon zweimal das Begehren gibt, Ihnen eine Sehr geehrter Kollege, wenn Sie erlauben – da waren ja Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen, einmal ein paar Unterstellungen drin –, würde ich Ihnen gerne aus der AfD-Fraktion – antworten. 21204 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Bundesminister Hubertus Heil (A) Das Erste ist die Frage: Wie hält man es mit Werkver- Man meint, das wäre gestern oder vorgestern in der Zei- (C) trägen? Werkverträge sind tatsächlich im Wirtschaftsle- tung gestanden. Das ist vom 23. Juni 2013. Damals habe ben etwas total Normales; sie wird es auch in vielen Be- ich dazu eine Rede gehalten. Deswegen habe ich mich reichen weiter geben. Ich mache Ihnen mal ein Beispiel: auch jetzt zu einer Bemerkung und zu einer Frage ge- Wenn Sie eine Firma hätten und sich einen Handwerker meldet. Ich habe damals eine Anfrage an die Bundesre- bestellen, der eine Sicherheitsanlage einbaut – das ist ein gierung gestellt; darauf habe ich eine Antwort bekom- ganz normaler Werkvertrag. Das wird es immer geben. men. Aber Sie haben damals nicht regiert, sondern das Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist das vollkommen in waren die FDP und der Koalitionspartner, den Sie jetzt Ordnung. haben.

Hier haben wir es mit dem Missbrauch von Werkver- Und dieser Koalitionspartner hat mir in Gestalt des trägen in hohem Maße zu tun, mit Sub-Sub-Subunterneh- Arbeitsministeriums geantwortet, nachdem ich das ange- mern. Deshalb sage ich Ihnen – danke, dass ich die Ge- sprochen habe, nachdem das alles bekannt war, vor sie- legenheit habe, Ihnen das zu sagen –: Ich werde mit ben Jahren: Die Bundesregierung sieht zum jetzigen Zeit- Werkverträgen und mit Leiharbeit in der Schlachtbranche punkt keinen Bedarf, den Abschluss von Werkverträgen Schluss machen. Wir werden das verbieten in diesem stärker zu regulieren. Unternehmen steht es im Rahmen Bereich, weil wir das erlebt haben. der geltenden Gesetze grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob sie Tätigkeiten durch eigene Arbeitnehmer ausführen (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie lassen oder Dritte im Rahmen von Werkverträgen beauf- bei Abgeordneten der CDU/CSU) tragen. – Das war die Antwort Ihres jetzigen Koalitions- Zu Ihrer zweiten Frage zu den Kontrollen. Wir haben partners. in den letzten Wochen und Monaten unter Führung des Bundesfinanzministers Olaf Scholz, der für den Zoll zu- Sind Sie mit mir der Auffassung, Kollege Heil, dass, ständig ist, die Fleischbetriebe in Deutschland kontrol- wenn Ihr jetziger Koalitionspartner und die FDP, die da- liert. Über 130 Razzien hat es gegeben. mals mitregiert hat und jetzt teilweise eine große Lippe riskiert, damals schon gehandelt hätten, wenn die damals Ich habe vorhin gesagt: Es sind verschiedene Behörden schon so weit gewesen wären wie Sie heute und wie Herr zuständig: für den Arbeitsschutz die Länder, der Zoll für Laumann heute – Gott sei Dank, dass Sie das Werkver- die Schwarzarbeitskontrolle. Es sind erhebliche Verstöße tragsunwesen einschränken wollen –, dann das, was jetzt ans Licht gekommen. Wir haben den Zoll personell auf- in der Fleischindustrie passiert, nicht mehr hätte passie- gestockt. Und deshalb ist die Erfahrung, die wir in dieser ren können, wenn man das früher geregelt hätte? Branche haben: Es nützen die schärfsten Regeln nichts, (B) wenn man nicht auch kontrolliert. Das werden wir tun. (Beifall bei der LINKEN) (D) Darauf können Sie sich verlassen. Und sind Sie – ich bin noch nicht ganz fertig – mit mir (Beifall bei der SPD) der Auffassung, dass wir jetzt wirklich alles tun müssen – denn die Verschlechterer von Gesetzentwürfen sind ja alle noch am Werke –, dass wir all denjenigen, die die Vizepräsident in Petra Pau: alten Verhältnisse festschreiben wollen, übrigens nicht Der Kollege Ernst bekommt das Wort zu einer Frage nur in der Fleischindustrie, sondern auch bei den Werften, oder Bemerkung. Allerdings werde ich weitere Fragen zum Beispiel bei der Meyer Werft in Leer-Papenburg, und Bemerkungen im Rahmen der Rede des Ministers jetzt wirklich die Fesseln anlegen müssen, sodass sie nicht zulassen. nicht wieder ein Gesetz verhindern, das sinnvoll und not- wendig ist? Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- les: (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Schade eigentlich, Frau Präsidentin. Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- Vizepräsident in Petra Pau: les: Ich ahnte das schon. Lieber Kollege Ernst, angesichts der Katastrophe – und ich sage „Katastrophe“ –, die wir gerade erleben, die der (Heiterkeit bei der SPD) Kollege Laumann beschrieben hat, dass aus einem Sys- tem der organisierten Verantwortungslosigkeit zur Aus- Klaus Ernst (DIE LINKE): beutung von Menschen inzwischen sogar ein allgemeines Sehr geehrter Minister, Sie haben gerade angespro- Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung geworden ist, und chen, dass eigentlich das Problem schon länger bekannt der Tatsache, dass ganze Landkreise wieder in den Lock- war. Ich zitiere aus der Zeitung: down mussten, weil sich welche nicht an die Regeln halten, widerstehe ich in diesem Zusammenhang mal Schlechte Bezahlung, unwürdige Unterkünfte, Er- der kleinkarierten Betrachtung, wer mal wo was gesehen niedrigung und Erpressung: Was sich in Schlachthö- hat. Ich kann nur allgemein feststellen, dass es leider fen abspielt, ist für viele Kritiker mehr als Ausbeu- Gottes manchmal Katastrophen bedarf, damit Menschen tung. Die Rede ist von Menschenhandel und dazulernen. Das war zum Beispiel beim Atomausstieg bei organisierter Kriminalität. einigen so, die das früher anders gesehen haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21205

Bundesminister Hubertus Heil (A) Wichtig ist, dass dieses Parlament jetzt gemeinschaft- lich eine Schande, dass Menschen aus Mittel- und Ost- (C) lich handelt. Und dafür stehe ich in der Verantwortung – europa, aus Bulgarien und Rumänien, in dieser reichen heute, nicht 2013. Gesellschaft ausgebeutet werden! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das machen die der CDU/CSU) freiwillig!) Es muss jetzt gehandelt werden. Das müssen wir gemein- Das werden wir beenden, sage ich an dieser Stelle. sam machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Lieber Klaus Ernst, parteipolitische Auseinanderset- bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und zungen sind wichtig in diesem Parlament. Aber Verant- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wortung ist jetzt zu übernehmen. Ich habe vorhin von der Verantwortung der Unternehmer gesprochen. Die sind in Das Dritte ist – das will ich Ihnen auch sagen –: Dieses allererster Linie in Verantwortung. Verhalten hat außenpolitischen Schaden angerichtet. Ich werde im August nach Rumänien fahren, da mich die Erstens geht es um die Verantwortung der Länder, und Arbeitsministerin von Rumänien darum gebeten hat. Sie zwar egal wie sie regiert sind: schwarz, rot, grün. Ich ist hergekommen, sie ist mit dem Auto von Bukarest nach gucke mal nach Baden-Württemberg; da wünsche ich Berlin gefahren. Das ist dort ein großes innenpolitisches mir auch schärfere Arbeitsschutzkontrollen. Das, was Thema. die Kollegin Mast in Pforzheim erlebt hat, ist nicht in Ordnung. Ich sage noch einmal: Egal wo die Menschen herkom- men, die bei uns arbeiten, sie haben die gleichen Rechte (Beifall bei der SPD und der LINKEN) und übrigens auch den gleichen Lohn verdient und vor Das war weit vor Tönnies übrigens. allen Dingen den gleichen Gesundheitsschutz. Das ist keine Frage der Nationalität, das ist eine Frage des An- Alle müssen sich ans Portepee fassen, und wir müssen stands. Dafür interessieren Sie sich gar nicht; das wissen dafür sorgen, dass die Einhaltung des Arbeitsschutzes in wir doch. jedem Bundesland scharf kontrolliert wird – ob rot-rot- grün, ob rot-schwarz, was auch immer. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ordneten der CDU/CSU und der FDP) Da muss jede Landesregierung ran, und das werden Deshalb, Kollege Laumann: Wir wollen das gemein- (B) wir per Bundesgesetz festlegen. sam machen. Wir stehen alle in der Verantwortung. Die (D) Zweitens. Ich werde mich nicht davon abbringen las- Bundesregierung wird diesen Gesetzentwurf beschlie- sen, im Kernbereich des Schlachtens und Zerlegens in der ßen. Dazu gehört übrigens auch, dass die Menschen, die Fleischindustrie die Werkverträge und die Zeitarbeit, die in dieser Branche arbeiten – die Menschen in anderen Leiharbeit zu verbieten – ohne Wenn und Aber. Branchen übrigens auch –, egal wo sie herkommen, um ihre Rechte wissen. Deshalb hat der Deutsche Bundestag (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mit dem Entsendegesetz die faire Mobilität, die Beratung LINKEN) von Menschen aus Mittel- und Osteuropa gesetzgebe- Meine Bitte an dieses Parlament ist: Ich werde im Juli den risch verankert und die Mittel dafür aufgestockt und heu- Gesetzentwurf dafür vorlegen. Wir werden das auf Basis te mit dem Nachtragshaushalt – gestern im Haushaltsaus- der Eckpunkte im Kabinett beschließen. Die Frage, wann schuss – noch mal aufgestockt. Ich finde das ganz, ganz das in Kraft tritt, liegt dann auch in der Verantwortung wichtig, dass Menschen wissen – im Zweifelsfall auch in dieses Parlaments – je schneller, desto besser. Aber meine ihrer Muttersprache –, welche Rechte sie haben, wenn sie Bitte ist, sich dann auf der Strecke des parlamentarischen hier bei uns arbeiten. Verfahrens tatsächlich nicht von irgendwelchen Lobbyis- Wir werden in diesem Bereich aufräumen; das habe ich ten, die viel Geld für Rechtsgutachten aufwenden wer- vorhin gesagt. Dazu sind wir entschlossen. Ich bitte die- den, die viel Geld für Kampagnen aufwenden werden – – ses Parlament um Unterstützung. Ich bitte auch den Bun- (Zuruf des Abg. Stephan Protschka [AfD]) desrat um Unterstützung. Wir beide, Kollege Laumann, kommen aus Bundesländern – ich aus Niedersachsen, Sie – Ich sage Ihnen mal was an dieser Stelle: Sie sind doch aus Nordrhein-Westfalen –, in denen es Fleischstandorte ein Lobbyist dieser Branche; das haben wir doch hier im größeren Umfangs gibt. Das Land soll auch Fleischstand- Parlament gelernt. Da sollten Sie sich mal ganz zurück- ort bleiben, aber zukünftig mit anständigen Arbeitsbedin- halten. gungen, mit anständigen Löhnen, mit Kontrollen in den Unterkünften, (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich will das mal an dieser Stelle sagen. Jeder kehre vor (Beifall bei Abgeordneten der SPD) seiner eigenen Haustür an dieser Stelle. Ich bin Bundes- mit Standards für die Unterkünfte, mit digitaler Arbeits- minister für Arbeit und Soziales, und ich bin entschlos- zeiterfassung und mit anständigen Arbeitsverträgen ohne sen, meiner Amtsverantwortung für die arbeitenden Men- Subunternehmertum. Dafür werden wir sorgen. schen, und zwar egal wo sie geboren sind und wo sie herkommen, gerecht zu werden. Es ist nämlich tatsäch- Herzlichen Dank. 21206 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Bundesminister Hubertus Heil (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sungsvorschläge für die Missstände, die Jutta Krellmann (C) der CDU/CSU und der LINKEN) aufgezählt hat, in den Blick zu nehmen.

Vizepräsident in Petra Pau: Die Forderungen der Freien Demokraten rufe ich gerne noch einmal in Erinnerung. Erstens: betrieblicher Ar- Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Carl- beitsschutz für alle Beschäftigten im Betrieb. Zweitens: Julius Cronenberg das Wort. Ausweitung der Arbeitsstättenverordnung auf private (Beifall bei der FDP) Sammelunterkünfte. Drittens: verpflichtende digitale Zeiterfassung. Und schließlich: die Taskforce „Fleisch“, die die Arbeit der Ebenen koordiniert. Carl-Julius Cronenberg (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber erstens helfen mehr Gesetze allein noch nicht. Gestern hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft Schon beim zentralen Thema Unterbringung – das wer- übernommen. So groß wie die Herausforderungen sind, den wir dann sehen – wird ein Gesetz schnell an juristi- vor denen Europa steht, so hoch sind die Erwartungen, sche Grenzen stoßen. Wenn Sie Werkverträge verbieten, die unsere europäischen Partner an uns haben. Da passt es verbessert sich der Zustand in den Unterkünften zunächst nicht ins Bild, wenn Europa mit Blick auf die Zustände in mal nicht. Beschäftigte wechseln den Arbeitgeber, aber der Fleischbranche Zweifel hat, ob in Deutschland Ar- nicht die Wohnung. beitsschutz und Sozialstandards für alle gelten. Beschäf- tigte, die aus Bulgarien und Rumänien zu uns kommen – Zweitens. Stellen Sie nicht Werkverträge mit Arbeit- Herr Heil, ich bin Ihnen auch sehr dankbar für Ihre Wor- nehmerüberlassung auf eine Stufe! Leiharbeiter profitie- te –, müssen sich darauf verlassen können, dass für sie ren vollumfänglich, das wissen Sie, vom betrieblichen dieselben Maßstäbe gelten wie für alle anderen auch. Arbeitsschutz. Die Auftragsspitzen müssen auch irgend- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der wie abgearbeitet werden. CDU/CSU) Drittens. Wer die Arbeitnehmerüberlassung und Werk- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Frage des verträge pauschal angreift, der riskiert zu Recht den Vor- Vertrauens in unseren Sozialstaat, dass geltendes Recht wurf, dass es ihm in Wahrheit nicht um die Arbeitsbedin- durchgesetzt wird und Regelungslücken wirksam ge- gungen von Fleischarbeitern geht, sondern um die schlossen werden. Ausmerzung wichtiger Instrumente in der Arbeitspolitik. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. (B) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (D) Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) GRÜNEN]: Das macht ja niemand! Das macht Darauf haben betroffene Arbeitnehmer einen Anspruch, ja überhaupt niemand!) genau wie anständige Unternehmen auch. Das trifft dann auch freie Journalisten. Da machen wir Gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Miss- nicht mit. stände in der Fleischbranche hat es in den vergangenen Jahren zur Genüge gegeben, zuletzt das Gesetz zur Siche- (Beifall bei der FDP) rung von Arbeitnehmerrechten im Jahr 2017. Aber immer wieder ist es dubiosen Subunternehmen mit teilweise Ein Letztes. Die Fleischbranche stimmt jetzt neuer- mafiösen Strukturen – das ist beschrieben worden – ge- dings dem Verbot von Werkverträgen zu. Nun, ich weiß lungen, Regelungslücken und Kontrolldefizite schamlos nicht, Herr Laumann; Sie kennen die Leute ja. Ich wäre auszunutzen. Und ja, es gehört auch zur Wahrheit dazu, da vorsichtig, will ich mal sagen. Lassen Sie doch die dass die Behörden viel zu lange viel zu oft weggeschaut Tarifpartner einen Flächentarifvertrag aushandeln, der haben. Herr Minister, Sie sprechen oft von organisierter Werkverträge im Kernbetrieb ausschließt! Den erklären Verantwortungslosigkeit; Herr Laumann, Sie auch. Aber Sie dann für allgemeinverbindlich. Das geht schneller, abgesehen davon, dass der Staat seiner Verantwortung kann in Pandemiezeiten flexibler angepasst werden und eben auch nicht immer gerecht geworden ist, hätte ich bietet als tarifliche Lösung immer mehr Rechtssicherheit. mir nicht vorstellen können, dass ausgerechnet ein ehe- maliger SPD-Vorsitzender im Zentrum dieser Verantwor- Jenseits von Corona verdienen Beschäftigte und Be- tungslosigkeit einen hochdotierten Beratervertrag an- triebe in der Fleischwirtschaft endlich faire Arbeitsbedin- nimmt, sich sozusagen das Schnitzel vergolden lässt. gungen, ganz konkret, und dauerhafte Verbesserungen. Auf eine gründliche parlamentarische Debatte freue ich (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der mich. CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- KE]: Da hat der Cronenberg recht!) (Beifall bei der FDP) Spätestens mit dem verstärkten, teils massenhaften Co- ronainfektionsgeschehen in Fleischfabriken war Schluss Vizepräsident in Petra Pau: mit Weggucken. Corona zwingt zu schnellem Handeln. Das Wort hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für Herr Laumann, Sie haben darauf hingewiesen: Es geht die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. auch um die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln. Aber es geht eben auch darum, endlich zielgenaue Lö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21207

(A) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nister – ich weiß nicht, ob er noch da ist –, brauchen wir (C) NEN): unbedingt eine Arbeitsinspektion. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi- nister! Kolleginnen und Kollegen! Fleisch hat wie alle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wertvollen Produkte seinen Preis. Wenn wir diesen Preis Diese Forderungen sind zentral; denn die Ausbeutung an der Kasse im Supermarkt nicht bezahlen, dann bezah- der Beschäftigten basiert auf dem System Werkverträge. len andere diesen Preis. Das sind vor allem die Migrantin- So stehlen sich die Fleischbarone seit Jahren aus der Ver- nen und Migranten aus dem EU-Ausland, die im Akkord antwortung. Das Profitinteresse steht über allem, über für uns Tiere schlachten und dabei in extremer Form aus- Arbeits- und Gesundheitsschutz. Eben deshalb sind heute gebeutet werden. Verantwortlich dafür ist nicht der die 1 500 Beschäftigten bei Tönnies mit dem Coronavirus Markt, sondern Menschen, Unternehmer ohne Moral, infiziert. die jeglichen Anstand verloren haben. Das ist in keiner Die Bundesregierung hat endlich reagiert und die Eck- Weise akzeptabel. punkte für die Fleischbranche beschlossen. Das Gesetz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber ist überfällig. Handeln Sie endlich, und zwar schnell, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und bei den Werkverträgen vor allem konsequent! Denn freiwillig wird sich in der Fleischbranche nichts verän- Wenig Lohn, katastrophale Arbeitsbedingungen, aus- dern. beuterische Arbeitszeiten, schlechte Unterkünfte, natür- lich keine Tarifverträge, keine Betriebsräte. Wer krank Vielen Dank. ist, verliert seinen Job. Deshalb arbeiten die Menschen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch wenn sie krank sind, auch in Zeiten von Corona. Das System Fleischbranche ist menschenunwürdig. Damit muss endlich Schluss sein. Vizepräsident in Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Uwe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schummer das Wort. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Handlungsbedarf und diese Fakten sind schon lange bekannt; passiert ist wenig. Jetzt beklagen Sie sich, Uwe Schummer (CDU/CSU): Herr Minister Laumann, zum Beispiel gegenüber dem Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! RedaktionsNetzwerk Deutschland, dass bislang alle Ini- Wettbewerb ohne Regeln – ich zitiere Ludwig Erhard, tiativen zum Verbot von Werkverträgen am Widerstand den Begründer der sozialen Marktwirtschaft – hat eine (B) der Fleischbranche und ihrer Lobby gescheitert sind. Wie (D) sich selbst zerstörende Kraft, und deshalb braucht jeder kann es sein, dass die Union – und damit seit 15 Jahren Wettbewerb einen Schiedsrichter, der Regeln setzt und die Bundesregierung – sich nicht gegen die Fleischlobby dafür sorgt, dass sie auch durchgesetzt werden können. durchsetzen kann? Für eine Regierungspartei ist das ein- Das ist der Staat; das ist die Politik, der Gesetzgeber. fach nur peinlich. Auch damit muss endlich Schluss sein. Die Pandemie zeigt derzeit: In großen Schlacht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betrieben sind diese Regeln verloren gegangen. Kontrol- und bei der LINKEN) len, gerade auch in NRW, zeigen: Schlachtbetriebe, die Wenn auch noch rauskommt, dass Sigmar Gabriel für mit festangestellten Arbeitnehmern tätig sind, zeigen Tönnies jetzt, im Jahr 2020, während der Coronapande- kaum Auffälligkeiten. Auffälligkeiten treten dort auf, mie als Berater tätig war, dann ist auch das unsäglich. wo Werkverträge außer Kontrolle geraten sind. Mit der Mentalität „Geiz ist geil“ werden in der Öffentlichkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbraucher getäuscht und Landwirte unter Druck ge- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) setzt. Wir erkennen heute: Wir bezahlen einen zu hohen Es passt, dass Herr Tönnies auf einmal ankündigt, dass Preis für billiges Fleisch. er in Zukunft auf Werkverträge verzichten wird. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) wieder ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver, um in letzter Minute ein Gesetz zu verhindern. Die Antwort Deshalb ist auch das, was Bundesministerin Julia darauf kann nur sein: Die Zeit für freiwillige Selbstver- Klöckner fordert, wichtig: dass wir Augenhöhe und faire pflichtung ist schon lange vorbei. Preise über die ganze Lieferkette im Lebensmittelhandel erreichen. Wer wie die Firma Tönnies nach drei Monaten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pandemie immer noch einen laxen Umgang mit Hygie- sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) nestandards praktiziert und drei Wochen der Aufforde- rung des Landrates, die Adressen der Beschäftigten zu Deshalb fordern auch wir heute mit unserem Antrag übermitteln, nicht folgt, der verspielt Vertrauen. Wer der konsequente gesetzliche Regelungen. Das Wichtigste ist – Selbstverpflichtung der Fleischwirtschaft von 2015, mehr es wurde schon angesprochen –, dass die Beschäftigten Stammbeschäftigte einzustellen, nicht folgt, der verspielt im Kernbereich, also beim Schlachten und beim Zerle- Vertrauen. gen, direkt beim Schlachthof angestellt sein müssen. Werkverträge und Leiharbeit darf es nicht geben. Die Stattdessen: eine Kette von Skandalen. 2015: Mit Ko- Arbeitsverhältnisse, die es dann gibt, müssen aber auch libakterien verseuchtes Fleisch für Tiernahrung soll ent- wirklich scharf kontrolliert werden, und dafür, Herr Mi- sorgt werden – und landet wo? In Kantinen. 2016 sterben 21208 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Uwe Schummer (A) acht Verbraucher, nachdem Fleischproduzent Sieber mit (Beifall bei der CDU/CSU) (C) Listerien verseuchtes Essen auslieferte. 2019 sterben Menschen infolge einer bakteriellen Verseuchung durch Vizepräsident in Petra Pau: Fleischprodukte der Firma Wilke. 2020: die Coronafälle. Das Wort hat der Abgeordnete Uwe Witt für die AfD- Nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind die perma- Fraktion. nent wiederkehrenden Skandale, die auch töten. Der europäische Sozialkommissar Nicolas Schmit hat (Beifall bei der AfD) uns aufgefordert: „Wir müssen jetzt schnell handeln“. Wir müssen europäisch handeln, damit die Fleischindust- Uwe Witt (AfD): rie wieder faire europaweite soziale Standards einhält, und zwar auch in Deutschland. Wir haben 2017 die Ge- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- neralunternehmerhaftung eingeführt. Wir haben 2020 das legen! Liebe Zuschauer an den TV-Geräten! Über Ver- Entsendegesetz geändert, die verbesserte Beratung „Faire besserungen des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer Mobilität“ als Prävention für Skandale verstetigt und bes- in der Fleischindustrie brauchen wir eigentlich nicht zu ser mit Finanzen ausgestattet. Denn die beste Prävention diskutieren. Ich denke, alle Fraktionen im Deutschen ist immer noch eine gute Beratung, zu wissen: Was sind Bundestag sind sich einig, dass Missstände beseitigt wer- meine Rechte, und was sind die Möglichkeiten, wenn ich den müssen. in Deutschland arbeite? (Beifall bei der AfD) Notwendig bleibt eine stärkere Kontrolldichte. Beim Nur das Wie wird wie immer sehr unterschiedlich ange- Zoll müssen alle Planstellen besetzt sein. Wir haben sie gangen. Während wir der Meinung sind, dass es bereits aufgestockt; aber es gibt die Information, dass bis heute ausreichend staatliche Behörden und Instrumente zur 20 Prozent der aufgestockten Planstellen immer noch Durchsetzung längst gesetzlich festgeschriebener Stan- nicht besetzt sind. Wir müssen die Planstellen auf die dards gibt, sehen wir die größte Problematik in der Um- Straße bringen. Wir brauchen einen IT-gestützten Daten- setzung bzw. Kontrolle. Wir benötigen keine zusätzliche austausch zwischen Finanzämtern, Zoll, Polizei und Kontrollbehörde, wie es Die Linke plant. Wir benötigen Kommunen. Es kann nicht sein, dass Akten noch trans- eine Stärkung der vorhandenen Ämter durch Personal- portiert werden und dass sie auf dem Weg schon mal aufstockungen, Schulungen und vor allem konsequentere verloren gehen. Da muss die Software, da müssen die Durchsetzung der Richtlinien durch engmaschige Kon- IT-Möglichkeiten endlich verbessert werden. trollen in den Unternehmen. Unterkünfte sind keine Ferienwohnungen. Sie müssen, (B) (D) weil sie der Erwerbstätigkeit dienen, umfassend von allen Werter Herr Laumann, die Zustände, die Sie hier zu Seiten, auch vom Arbeitsschutz, kontrolliert werden kön- Recht beklagt haben, hätten Sie durch effiziente Kontrol- nen. Unmöglich ist ein „Matratzengeld“, bei dem mehre- len auf Länderebene beseitigen können. Da stellt sich die re Beschäftigte sich eine Matratze teilen müssen. Das ist Frage, warum Sie das nicht getan haben Ausbeutung; das ist ähnlich der Sklaverei. So etwas ist (Alexander Krauß [CDU/CSU]: Er hat es ge- schon heute kriminell; aber der Kontrolldruck muss hier tan! – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Er hat es insgesamt verstärkt werden. Bei der Digitalisierung der gemacht!) Zeiterfassung, aber auch bei technischen Fragen wie Um- lüftern, mehr Frischluft, besseren Filtern werden wir in oder warum erst Corona Sie zum Agieren brachte. Wenn, der Arbeitsstättenverordnung tätig werden. Auch das wie es die AfD und die Alternative Vereinigung der Ar- Thema der Aerosole ist offenkundig eines, das angegan- beitnehmer seit Jahren fordert, eine Obergrenze für Leih- gen werden muss. arbeit und Werkverträge von 15 Prozent eingeführt wäre, Aber: Der Schlüssel sind die Werkverträge. Schlacht- gäbe es auch keine derartigen Missstände im Gesund- betriebe werden – so wird beispielsweise von Müller heitsschutz der Arbeitskräfte. Fleisch berichtet – von Subunternehmen umworben, re- (Beifall bei der AfD) gulär Beschäftigte zu entlassen und auf sie und Werkver- träge zu setzen. So erodiert die klassische Beziehung Unsere Kollegen der Linken nutzen wieder einmal die zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer mit Gelegenheit, unter dem Deckmantel von Arbeits- und seinen Rechten, indem der Unternehmer die Flucht aus Gesundheitsschutz Klassenkampfparolen zu verbreiten. dieser Verantwortung betreibt. Deshalb sind Werkverträ- Ihre weiteren Forderungen nach Stärkung von Betriebs- ge in dem Bereich derzeit ein Instrument, um das regu- räten und Gewerkschaften lesen wir in jedem Antrag der lierte, legale, sozial abgesicherte Arbeitsverhältnis zu Linken. Diese stammen aus dem letzten Jahrhundert, wo zerstören. das Ziel der Kommunisten die Einführung einer Räte- republik war. Deshalb muss die Politik da klar werden und handeln, so wie es Ludwig Erhard, wie es die soziale Marktwirt- (Beifall bei der AfD – Katja Mast [SPD]: Das schaft einfordert. Die Deutsche Bischofskonferenz appel- ist eine Unverschämtheit! – Zurufe von der liert an die Politik – ich zitiere –, „ein auf Ausbeutung LINKEN) basierendes Geschäftsmodell“ in der Fleischwirtschaft „wirksam zu durchbrechen“. Diesem Appell werden wir In der Bundesrepublik Deutschland gilt aber nach wie vor folgen. das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21209

Uwe Witt (A) An die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen muss ich (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (C) wieder einmal erinnern, dass der Bürger nicht für dumm der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜND- verkauft werden mag. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Ulli Nissen [SPD]: Was tun Sie denn die ganze Aber kommen wir zum eigentlichen Thema. Das The- Zeit über?) ma ist, dass wir Masseninfektionen von Menschen aus Osteuropa in der Fleischindustrie in Deutschland haben. Sie postulieren: Fleisch muss teurer werden. Und ja, der Fall Tönnies setzt dem mit über 1 500 Infizier- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE ten eine neue Krone auf. Bis dahin war der Fall Müller GRÜNEN]: Das steht nicht im Antrag!) Fleisch der größte Pandemiefall in der Bundesrepublik Deutschland. Müller Fleisch hat seinen Sitz in Birken- Glauben Sie wirklich, dass sich durch eine Verteuerung feld, direkt an der Stadtgrenze zu Pforzheim in meinem der Fleischpreise etwas an den Arbeits- und Gesundheits- Wahlkreis. Das war schon Ostern. Es ist also nicht so, bedingungen in den Schlachthöfen ändert? dass das Thema Pandemie erst jetzt aufgetaucht ist, nein, es war die ganze Zeit da. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nicht im Antrag! Hören Was mich persönlich wahnsinnig aufregt – das sieht Sie mit dem Quatsch auf!) man jetzt im Kreis Gütersloh ganz gut –: Es ist nicht nur so, dass dort Menschen infiziert sind, dass Quarantä- Ja, Sie glauben so einen Unsinn wirklich. Sie glauben ja ne verhängt wird und vieles Weitere. Wer trägt eigentlich auch, dass sich durch einen Preis für CO das Klima ver- 2 die Kosten dieser Pandemiefälle? Wer bezahlt das eigent- bessert. lich? Nachdem die Familien endlich wieder die Kinder in (Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke die Kita oder in die Schule schicken konnten und die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie Kinder sich gefreut haben, nachdem Pflegeeinrichtungen doch mal zum Thema!) wieder geöffnet waren, sind sie jetzt wieder geschlossen. Es sind wieder die Familien in der Bundesrepublik Aber wo ich gerade beim CO2 angekommen bin: Bei Deutschland, dort in Gütersloh, die jetzt die Kosten der Ihrem zwanghaften Kurs zur Einführung der E-Mobilität Pandemie tragen. Das können wir nicht zulassen. Es muss ist Ihnen der Gesundheitsschutz von Arbeitskräften so Schluss sein mit diesem Geschäftsmodell in der deut- ziemlich schnurzpiepegal. schen Fleischindustrie! (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich sage an dieser Stelle bewusst „Industrie“ und nicht Oh!) „Handwerk“; denn genau darum geht es. Dieses Ge- (B) (D) Denn es sind nicht Kobolde, liebe Frau Baerbock, die im schäftsmodell funktioniert doch so: Im Kernbereich der Kongo Kobalt für die Produktion der E-Autos abbauen, Produktion arbeiten Leute über Sub-Sub-Subkonstella- sondern minderjährige Kinder, die entweder die Volljäh- tionen mit Werkverträgen. Für die gilt keine Arbeitszeit- rigkeit nie erreichen oder erhebliche gesundheitliche regelung, für die gilt kein überprüfbares Arbeitsschutz- Langzeitschäden davontragen. Hauptsache, die grüne gesetz und, und, und. Das liegt an mangelnden Ökobourgeoisie in Deutschland fühlt sich wohl! Kontrollen und vielem mehr; aber es sind eben keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Konzerns. (Beifall bei der AfD) Deshalb funktionieren viele der Kontrollen, die wir ha- ben, nicht, auch in den Unterkünften nicht. Das ist näm- Ihr Verständnis für Gesundheitsschutz von Arbeitskräften lich der zweite Punkt. Die Leute leben in schäbigen Un- ist, mit Verlaub gesagt, einfach nur heuchlerisch. terkünften, in Massen- und Sammelunterkünften, und Vielen Dank. auch dort finden Infektionen statt. (Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke Deshalb sind wir nicht erst seit Ostern, seit der erste [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema ver- große Pandemiefall aufgetreten ist, dazu bereit, zu sagen: fehlt, setzen, sechs! – Helin Evrim Sommer Mit diesem Geschäftsmodell müssen wir in der Bundes- [DIE LINKE]: Thema verfehlt!) republik Deutschland aufräumen. Arbeitsminister Heil hat klar dargestellt, worum es geht: Es geht um das Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen im Kernbereich der Vizepräsident in Petra Pau: Produktion. Es geht darum, Kontrollen und Kontrollmög- Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPD- lichkeiten zu intensivieren und auch Kontrollquoten fest- Fraktion. zuschreiben, damit Kontrollen stattfinden. Und es geht (Beifall bei der SPD) darum, über die elektronische Arbeitszeiterfassung dafür zu sorgen, dass die Arbeitszeitbestimmungen auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Fleischindustrie Katja Mast (SPD): gelten. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das alles sind unsere Antworten. Wir führen keine Mein Vorredner hat klargemacht, dass er die Axt an die Lifestyle-Debatten. Wir führen keine Debatten nach betriebliche Mitbestimmung und die Demokratie in die- dem Motto: Das Schnitzel muss teurer sein; dann ist es sem Land legen will. Das werden wir von der SPD und schon gut für die Landwirtschaft und die Beschäftigten in wird das ganze Haus – außer der AfD – niemals zulassen. der Fleischindustrie. – Nein, wir müssen es gesetzlich 21210 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Katja Mast (A) regeln. Wir dürfen keine Lifestyle-Debatten führen, son- blem an der Wurzel, und bekämpfen Sie hier nicht nur (C) dern wir müssen das tun, wofür wir zuständig sind, – Symptome. Der Minister hat sich abgemeldet; trotzdem möchte ich ihn direkt ansprechen. Herr Heil, unter der Federführung des FDP-Sozialministeriums in Schles- Vizepräsident in Petra Pau: wig-Holstein hat die Arbeits- und Sozialministerkonfe- Kollegin Mast. renz bereits Ende 2019 einstimmig klare Arbeitsaufträge an Sie formuliert. Leider hat es darauf ein halbes Jahr gar Katja Mast (SPD): keine Reaktionen von Ihrem Haus gegeben. – für das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutsch- land zu sorgen. Deshalb freue ich mich auf die Gesetze, Meine Damen und Herren, worum es in dieser Debatte die wir im Herbst gemeinsam diskutieren werden. doch gehen sollte und gehen muss, ist eine Verbesserung der Bedingungen genau für diejenigen, die unsere Nah- (Beifall bei der SPD) rungsmittel herstellen. Wir müssen deswegen Kontroll- möglichkeiten verbessern. Minister Heil, Sie sagten sel- Vizepräsident in Petra Pau: ber: „Aber die schärfsten Regeln nützen nichts, wenn ihre Das Wort hat die Kollegin Gyde Jensen für die FDP- Einhaltung nicht kontrolliert wird.“ Deswegen müssen Fraktion. aus unserer Sicht zwei Dinge in den nächsten Wochen ganz besonders wichtig sein – wir freuen uns da auf den (Beifall bei der FDP) Referentenentwurf aus dem BMAS –: Erstens. Sorgen Sie dafür, dass die staatlichen Arbeitsschutzbehörden Gyde Jensen (FDP): der Bundesländer besser kontrollieren können. Ändern Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- Sie die Arbeitsstättenverordnung, sodass die Kontrolleu- nen und Kollegen! Als Freie Demokraten stehen wir hin- re auch Zugang zu scheinbar privat vermieteten Wohn- ter den Arbeitnehmern, und wir stehen – deshalb vertei- räumen bekommen. Zweitens. Wir brauchen umgehend – digen wir sie hier auch regelmäßig – hinter Unternehmern es wurde hier angesprochen – eine flächendeckende, und Arbeitgebern, und zwar, weil wir überzeugt sind, nicht manipulierbare, digitale Zeiterfassung für alle Be- dass sie als ehrbare Kaufleute diese Gesellschaft bedeu- schäftigten, damit der Mindestlohn nicht durch unberück- tend mitgestalten, weil ihr Innovationsgeist uns enormen sichtigte Mehrarbeit unterlaufen werden kann. Wohlstand beschert hat, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Tönnies (Beifall bei der FDP) ein ehrbarer Kaufmann? Das glaubt ihr doch Was man der Bundesregierung aber zugutehalten (B) selber nicht!) muss, ist, dass sie es im Gegensatz zu den Grünen – wir (D) weil sie Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitar- debattieren ja heute hier zwei Anträge – versteht, dass beiter und die Gesellschaft übernehmen und weil sie ein arbeitgeberseitig gestellter oder vermittelter Wohnraum persönliches Risiko tragen und im Zweifel dafür haften, bereits jetzt von der Arbeitsstättenverordnung einge- wenn es Fehler gegeben hat. schlossen ist. Der Wortlaut im Antrag der Grünen ist des- wegen falsch. Ich würde empfehlen, noch einmal in die (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Bernd entsprechende ASMK-Formulierung zu schauen. Baumann [AfD]) Deswegen muss ich sagen: Wie bei der Firma Tönnies Meine Damen und Herren, diese ausbeuterischen Zu- und Konsorten Menschen behandelt werden und wurden, stände in der fleischverarbeitenden Industrie – da sind wir ist nicht nur verachtenswert, sondern das ist beschämend. uns hier alle einig – müssen beendet werden, und vor allen Dingen muss auf die Wahrung der Menschenwürde (Beifall bei der FDP) geachtet werden. Sie bringen nämlich eine ganze Branche Hier wird bestehende Marktmacht nicht für Fortschritt in Verruf, also auch die kleinen und mittelständischen und Innovation genutzt, sondern für systematische Aus- Unternehmen in der Fleischverarbeitung, die sich mit beutung. So ein Verhalten, meine Damen und Herren – bedeutender Mehrheit an Vorgaben halten, die ausbilden auch der Minister hat es angesprochen; wir sind uns da und gute Löhne zahlen. sicherlich einig –, hat überhaupt nichts mehr mit ehrbarer Kaufmannschaft zu tun. Vizepräsident in Petra Pau: (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Uwe Kollegin Jensen, Sie müssen bitte zum Schluss kom- Schummer [CDU/CSU]) men. Genau deshalb müssen wir hier genau hinsehen und ver- stehen, wie es in einer Branche mit über 125 000 Ange- Gyde Jensen (FDP): stellten, wenn man Schlachtung und Zerlegung zusam- mennimmt, zu solchen eklatanten und systematischen Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Das sind Verstößen gegen Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen genau die ehrbaren Kaufleute bei uns um die Ecke, hinter und gegen Würde und Anstand kommen konnte, und ent- denen wir als Freie Demokraten stehen, hinter denen sprechend gesetzliche Regelungen daraus ableiten. dieses Haus stehen sollte und die wir vor illegaler Wett- bewerbsverzerrung schützen müssen. Liebe Bundesregierung – der Minister hat es angespro- chen –, packen Sie das als offensichtlich bekannte Pro- Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21211

(A) Vizepräsident in Petra Pau: die Arbeitsplätze in Dänemark und in anderen EU-Mit- (C) Das Wort hat die Kollegin Susanne Ferschl für die gliedstaaten kaputt. Da ist es doch auch kein Wunder, Fraktion Die Linke. wenn es zu Beschwerden wegen unlauteren Wettbewerbs kommt. Deswegen muss damit jetzt Schluss sein! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Susanne Ferschl (DIE LINKE): Was wir nicht brauchen, sind freiwillige Verpflichtun- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin- gen der Unternehmen. Wir brauchen auch keinen Min- nen und Kollegen! Das Schweinesystem in der Fleisch- destpreis beim Fleisch und auch keine wohlfeilen Appel- industrie ist seit Jahren bekannt. Es beutet Mensch und le an die Verbraucher. Wir brauchen jetzt endlich klare Tier aus. Mein Fraktionskollege Klaus Ernst hat vor sie- Regelungen und Gesetze, um diesen Saustall auszumis- ben Jahren genau hier an dieser Stelle von „unterlassener ten. Hilfeleistung“ gegenüber den Werkvertragsarbeitneh- mern gesprochen. Geändert hat sich nichts. Die Ausbeu- (Beifall bei der LINKEN) tung lief weiter, bei Tönnies rollte der Rubel, Sigmar Nach der Rede des Herrn Minister heute gehe ich Gabriel hat auch noch etwas davon abbekommen, und eigentlich davon aus, dass die SPD unserem Antrag zu- jetzt ist ein ganzer Landkreis im Shutdown. Erst jetzt, stimmen wird. nachdem auch Einheimische betroffen sind, rücken die Arbeitsbedingungen der überwiegend osteuropäischen Vielen Dank. Kolleginnen und Kollegen ins Scheinwerferlicht. Das (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. ist doch skandalös! Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Gibt keinen (Beifall bei der LINKEN) Grund, was anderes zu tun!) Ministerpräsident Laschet aus Nordrhein-Westfalen behauptete auch noch, das Virus komme von dort. Nicht Vizepräsident in Petra Pau: die rumänischen Kolleginnen und Kollegen haben das Das Wort hat der Kollege Friedrich Ostendorff für die Virus verbreitet, sondern diese ausbeuterischen Arbeits- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. bedingungen, dieses ausbeuterische Schweinesystem hat dieses Virus verbreitet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (B) Die Bundesregierung will jetzt Werkverträge verbie- (D) ten. Ich bin gespannt, wie sich die Union verhalten wird. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich, Ich habe Ihnen zugehört, Herr Minister Laumann, und ich endlich sind die Zustände, die viele von uns schon lange nehme Ihnen das auch ab. Allerdings bin ich mir nicht kannten, für jeden sichtbar: menschenverachtende Ar- sicher, ob alle verstanden haben, worum es geht. Denn beits- und Lebensbedingungen zum einen, zum anderen noch vor wenigen Wochen meinte Herr Straubinger von super organisierte Verantwortungslosigkeit. Besonders der CSU im Bayerischen Rundfunk, er halte nichts von die Zerlegebereiche in den Großschlachtstätten haben strengeren Regelungen und – ich zitiere – es komme „da- sich zu Turbovirenschleudern entwickelt. rauf an, ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Täglich – das müssen wir uns einmal vorstellen! – auch in ihrer Freizeit immer die Vorschriften des Ab- wurden in Rheda-Wiedenbrück bei Tönnies standhaltens eingehalten haben“. Ja, wie zynisch ist das 25 000 Schweine geschlachtet; jeden Tag, Tag für Tag. denn, Tönnies hat offiziell 10 bis 12 Euro Schlachtkosten pro Tier; das sind die geringsten Schlachtkosten Europas. (Beifall bei der LINKEN) Jeder, der die Branche kennt, weiß, dass die Schlacht- wenn man weiß, dass die Beschäftigten Schulter an kosten gegen null gehen, weil es ja noch die Vermarktung Schulter arbeiten müssen und nach ihrer Zwölfstunden- des fünften Viertels gibt. Aber wir nehmen einmal die schicht zusammen im Minibus in ihre Massenunterkünfte offiziellen Zahlen. Belgien, Dänemark und Holland be- gebracht werden? Da sucht man lieber wieder nach Sün- klagen seit Langem die extreme sklavische Ausbeutung, denböcken, um vom eigenen politischen Versagen abzu- die hier in Deutschland mit Werkvertragsarbeitnehmern lenken. Deswegen hoffe ich, dass dieses Mal der Gesetz- vorgenommen wird. entwurf aus dem Ministerium Heil nicht wieder von der Union verwässert wird. Unsere handwerklich orientierten mittelständischen Schlachter, die es ja auch noch gibt, haben zum Vergleich (Beifall bei der LINKEN) rund 25 Euro Kosten, um ein Tier zu schlachten. Wie sollen sie dem Druck dieser Konkurrenz standhalten, Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick nach Däne- der im Wesentlichen auf dem Rücken der Werkvertrags- mark: Stundenlöhne von 25 Euro, keine Werkverträge arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien ausgetragen und Subunternehmen, Arbeitszeiten von 7,5 Stunden, wird, liebe Kolleginnen und Kollegen? eingehaltene Hygienevorschriften und zur Verfügung ge- stellte Schutzausrüstung und Lohnfortzahlung im Krank- Den Preis dieses Billigfleischsystems, den bezahlen heitsfall. – Alles Dinge, die es in Deutschland in diesem die Menschen, den bezahlen die Tiere, und den bezahlt Subunternehmertum nicht gibt. Mit dieser Schmutzkon- auch die Natur. In der Landwirtschaft, ihrem nachgela- kurrenz, mit diesem Lohndumping macht Deutschland gerten Bereich, gilt nur eine Maxime: Wachstum, Effi- 21212 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Friedrich Ostendorff (A) zienz, Billigfleisch, Ausrichtung am Weltmarkt. Das en Wohnanlagen. So wurde in Magdeburg eine große (C) brachte extrem spezialisierte Betriebe hervor, oligopol- Wohnanlage mit 800 Menschen unter Quarantäne ge- artige Marktstrukturen folgten. Wir sehen es in der stellt. Fleischindustrie, bei den Molkereien, wir sehen es im Es ist meines Erachtens am Ende einer solch emotions- Lebensmitteleinzelhandel. geladenen Debatte – was auch richtig ist – durchaus wich- Zwei Drittel, meine Damen und Herren, des Schweine- tig, etwas zur Sachlichkeit zurückzukehren fleisches werden über Sonderangebote verramscht. Mitte jeder Woche kommen ja die Angebote ins Haus geflattert; (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE jeder kennt es. Diese Preise lügen, Kolleginnen und Kol- GRÜNEN]: Was war denn unsachlich?) legen. Sie lügen, das System ist schwach, das System ist und nicht nur von organisierter Verantwortungslosigkeit krank. und von Ausbeutertum zu reden. Denn letztendlich haben wir großartige Produkte, die die Bäuerinnen und Bauern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erzeugen, Die Konsequenz daraus kann heute für uns doch nur die Wende sein, der Neubeginn: Raus aus diesem kaput- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das hat ten System! auch niemand in Abrede gestellt! Das hat kei- ner bestritten!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber gleichzeitig auch die Lebensmittelindustrie, und da- Das heißt, wir müssen Lebensmittelproduktion in der zu gehören auch die Schlachtbetriebe. Breite endlich neu denken. Wir müssen aufhören, an frei- willigen Vereinbarungen leidenschaftlich herumzubas- (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) teln, wie unsere Landwirtschaftsministerin das gerne Werte Damen und Herren, deshalb möchte ich feststel- gut, die sowieso nie kommen. Doch der Ernst der Lage, len, dass zuerst einmal unser Bedauern denjenigen gilt, das Ausmaß der Katastrophe werden für viele erst jetzt die von Covid und Corona betroffen sind. Denen wün- sichtbar: wie hoch die wirklichen gesellschaftlichen Kos- sche ich beste Gesundheit! Für die Zukunft hoffe ich, ten dieser Produktion sind und wer sie eigentlich bezahlt. dass, wenn es in den Schlachtbetrieben durch Umwälz- anlagen und sonstige Gegebenheiten eine besondere An- Wir brauchen den grundlegenden Wandel. Wir brau- fälligkeit gibt, dies sehr schnell in technischer Hinsicht chen die große Veränderung in der Fleischproduktion. abgestellt werden kann, damit zukünftig Mitarbeiterinnen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir dieser men- und Mitarbeiter von diesem Risiko nicht mehr betroffen schenunwürdigen, tierverachtenden, naturzerstörenden sind; denn letztendlich geht es um die Gesundheit der Ungerechtigkeit ein Ende bereiten wollen, dann müssen (B) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist meines (D) wir das „Schneller, höher, weiter“, an das sich so viele in Erachtens sehr wichtig. der Branche klammern, endlich beenden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LIN- Es hat mich gefreut, dass einige CDU/CSU-Agrarpoli- KE]) tiker – ich hatte es nicht erwartet – offensichtlich eine Diskussion entfachen wollen – da kann man sie nur be- Vizepräsident in Petra Pau: stärken –, regionale Schlachthofstrukturen zu fördern und neu aufzubauen. Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Frage oder Be- merkung der Kollegin Müller-Gemmeke? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Spannend!) Max Straubinger (CDU/CSU): Viele Bäuerinnen und Bauern – das will ich Ihnen sagen – Ja, gerne. wollen die Veränderung; sie sind lange auf dem Weg. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So kann Helfen wir Ihnen doch gemeinsam! man das auch runterspielen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Nein, nein, wir spielen nichts runter. Ein Blick auf die Realität und auf die Sachlichkeit schadet nicht in einer Vizepräsident in Petra Pau: Diskussion über eine Gesetzgebung. Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Max (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie ha- Straubinger das Wort. ben die ganze Zeit zugehört!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Die Frau Müller-Gemmeke hat zuerst das Wort. Sie können sich später zu Wort melden. Max Straubinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Emotionen gehen hoch, und das zu Recht angesichts NEN): der Coronafälle, die wir in Schlachtbetrieben und darüber Ich bedanke mich zunächst bei der Frau Präsidentin hinaus feststellen. Ich möchte auch zum Ausdruck brin- und auch beim Kollegen Straubinger, dass Sie mir die gen: Es gibt nicht nur in Schlachtbetrieben Coronafälle, Frage ermöglichen; ich kann es ganz kurz machen. – Herr sondern sie gibt es auch woanders, zum Beispiel in groß- Straubinger, es wird gerade häufig gesagt, dass die Coro- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21213

Beate Müller-Gemmeke (A) napandemie im Prinzip wie ein Brennglas wirkt und dass Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) es um diese Strukturen geht, die es in den Betrieben schon Herr Kollege Straubinger, erlauben Sie eine weitere lange gibt und die es zu bekämpfen gilt. Zwischenfrage, und zwar aus der Fraktion Die Linke? Ich habe gerade vieles von Ihnen gehört, und ich will eigentlich ganz einfach nur wissen: Werden Sie einen Max Straubinger (CDU/CSU): Gesetzentwurf unterstützen, wonach im Kernbereich ei- Ja, gerne. nes Schlachthofs – beim Schlachten und Zerlegen – Werkverträge nicht mehr möglich sind? Ja oder nein? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die Zwi- Max Straubinger (CDU/CSU): schenfragen stellen, bitten, so lange stehen zu bleiben, Es wird einen Gesetzentwurf geben, und den werden bis die Frage aus Ihrer Sicht befriedigend beantwortet wir dann sachgerecht beraten. worden ist, weil das die einzige Chance ist, dass ich fest- stellen kann, ob die Redezeit wieder normal laufen kann. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja oder nein?) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wurde ja nicht beantwortet! – Natürlich wäre es wünschenswert, wenn im Kernbe- Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reich – wie groß man ihn auch macht – nur festangestellte NEN]: Er hätte nur Ja oder Nein sagen müs- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt wären. sen!) Das ist in vielen Schlachthöfen, die wir jetzt im Brenn- punkt haben, aber auch der Fall. Es ist ja nicht so, dass es Max Straubinger (CDU/CSU): zum Beispiel bei Tönnies nur Werkvertragslösungen gibt, Doch, doch; das hat alles dazugehört, Frau Müller- sondern dort arbeiten auch sehr viele Festangestellte, die Gemmeke. in ihrem Betrieb aber auch von der Pandemie betroffen waren. Das ist ja das Problem. Unabhängig davon, ob jemand festangestellt, Werkvertragsarbeitnehmer, Leih- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: arbeitnehmer oder Zeitarbeitnehmer ist: Jeder in diesem Frau Kollegin Krellmann, bitte. Sie haben das Wort. Betrieb war betroffen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jutta Krellmann (DIE LINKE): NEN]: Das ist nicht klargestellt!) Sehr geehrter Herr Straubinger, vielen Dank, dass Sie (B) die Frage zulassen. (D) Deshalb gilt es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsschutz- bestimmungen, die Gesundheitsbestimmungen und die Hygienevorschriften dort insgesamt fest eingehalten wer- Max Straubinger (CDU/CSU): den. Ich bin ein diskussionsfreudiger Abgeordneter. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Also ist die Antwort: Eher nein!) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Ich würde da gerne noch mal nachhaken, weil ich Da vorhin geklagt wurde, dass wir jetzt so große Be- finde, dass wir in der Diskussion ganz deutlich klarge- triebe haben, möchte ich schon fragen: Warum haben wir macht haben – auch der Minister –, dass wir nicht über die? die kleinen Schlachtereien und auch nicht über die klei- nen Metzgereien – wie immer sie auch heißen – reden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir reden über die Schlachtindustrie. Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Vor zwei Wochen stand in meiner Lokalzeitung in Ha- meln-Pyrmont, dass sich meine Landwirtschaftsministe- rin in Niedersachsen, Frau Otte-Kinast, dagegen aus- Max Straubinger (CDU/CSU): spricht, dass Werkverträge verboten werden. Jetzt habe Gleich, Herr Präsident. – Weil wir vielfältigst mit Hy- ich mitgekriegt, dass Frau Otte-Kinast an dieser Stelle gienevorschriften, Gesundheitsvorschriften usw. auch ei- ihre Position geändert hat; sie wird genau das mittragen. nen Beitrag dazu geleistet haben, dass es nur noch große Ich frage mich, wieso das nicht auch in Bayern möglich Betriebe gibt, die das schultern und leisten können. ist. Das wäre etwas, womit man die Wettbewerbsfähig- keit an dieser Stelle wieder stärken könnte. Wir hatten Schlachthöfe vor Ort. Wie viele Schlacht- höfe wurden in den Städten und Kommunen geschlos- Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass es nach dieser sen? Warum wurden sie geschlossen? Weil sie diese Be- Diskussion, die wir alle mitbekommen haben und die dingungen nicht mehr erfüllen konnten oder wollten, weil dramatisch ohne Ende war, noch Länder gibt, die sich zum Beispiel die Abwasserbeseitigung eine große He- einfach nicht bewegen, weil sie meinen, dass das, was rausforderung war usw. Das ist auch ein Grund dafür, da passiert, richtig ist. Dazu hätte ich gerne noch mal Ihre dass wir mittlerweile eine solche Konzentration von Meinung gewusst. Großbetrieben haben, und diese Entwicklung sehen wir in der Landwirtschaft leider genauso. (Beifall bei der LINKEN) 21214 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Max Straubinger (CDU/CSU): rer Vorschriften nicht auch eine Generalunternehmerhaf- (C) Frau Kollegin Krellmann, herzlichen Dank für die Fra- tung einführen können. Es ist letztendlich geboten, Frau ge. – Es ist doch so, dass wir sehr viele Arbeitsschutz-, Müller-Gemmeke, sich hier in der Diskussion zu fragen, Gesundheitsschutz-, Hygiene- und sonstige Bestimmun- welches Instrumentarium das beste ist, um das Beste für gen haben – auch der Berufsgenossenschaften. Der Kol- die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Bran- lege Karl-Josef Laumann – der Landesminister – hat es ja che zu erreichen. Das ist doch unser aller Anliegen, und aufgezeigt, und er hat die Verstöße festgestellt, die zum darüber müssen wir uns in einer Diskussion doch auch Teil zweifelsohne sehr gravierend sind. Ich verstehe nur austauschen. nicht, warum dann trotzdem nur 64 Bußgeldbescheide erlassen worden sind. (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/ CSU] – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zusammen- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Deshalb darf gefasst!) es keine Werkverträge mehr geben!) – Ja, sicherlich, sie wurden zusammengefasst; das ist – Für jedes Arbeitsverhältnis, Frau Müller-Gemmeke – schon in Ordnung. Es ist aber auch festzustellen, dass ob es ein Leiharbeits-, Zeitarbeits- oder Werkvertragsver- das Strafmaß nicht ausgeschöpft wurde und dergleichen hältnis oder das Arbeitsverhältnis eines Festangestellten mehr. Wenn Verstöße festgestellt werden, dann gilt es ist –, gelten die gleichen Arbeitsschutz- und Gesundheits- natürlich, diese auch abzustellen, und ich nehme an, dass schutzbestimmungen und die gleichen hygienischen An- das Landesministerium und die entsprechenden Landrat- forderungen, die zu erfüllen sind. sämter darauf spezialisiert sind, diese Verstöße abzustel- len. Man kann jetzt darüber klagen, dass es sich um einen Wir werden nie feststellen können, dass es eine ver- Werkvertragsunternehmer handelt; denn bei diesem ist es stoßfreie Arbeitswelt gibt. Auch in anderen Branchen zweifelsohne schwieriger, die Einhaltung der Bestim- wird es dies nicht geben. Wenn Verstöße festgestellt wer- mungen zu kontrollieren; das gebe ich zu. Wenn ich aber den, dann ist es Aufgabe, dass sie abgestellt werden und eine Generalunternehmerhaftung für den Auftraggeber dass es sie zukünftig nicht mehr geben wird. Ich glaube mit einführe: Wieso soll das nicht die Lösung sein? aber nicht, dass es ein Allheilmittel sein kann, den Werk- vertrag zu verbieten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch überhaupt nicht mehr Mit dem GSA Fleisch haben wir 2017 eine General- nachvollziehbar! Das ist doch intransparent! unternehmerhaftung für die Abführung der Sozialversi- Da weiß man doch gar nicht mehr, wo die Ver- (B) cherungsbeiträge und dergleichen mehr eingeführt, Frau antwortung liegt!) (D) Kollegin Krellmann, und sie hat offensichtlich gewirkt. Zumindest habe ich heute nicht feststellen können, dass Ich möchte der Diskussion nicht vorgreifen – auch um Kollege Landesminister Laumann Verstöße gegen die keinen Konflikt mit der Europäischen Union herbeizu- Bezahlung und die Einhaltung des Mindestlohnes darge- führen. Wir haben Arbeitnehmer- und Dienstleistungsf- legt hätte. Das ist doch auch ein entscheidendes Moment. reizügigkeit. Die meisten Verstöße werden wohl bei Werkvertragsunternehmen festgestellt, die nicht nach Wir haben mittlerweile einen sehr anziehungsfähigen, deutschem, sondern nach bulgarischem, rumänischem hohen Mindestlohn. oder anderem Recht gegründet wurden und denen die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der ist entsendeten Arbeitnehmer eine A1-Bescheinigung vorle- hoch?) gen. Hier haben wir die meisten Probleme und die meis- ten Verstöße, die wir nicht haben wollen; darin sind wir – Ja, natürlich. Es ist klar: Für Sie ist er immer zu niedrig. uns alle einig. Wenn ich fordere, dass wir einen Branchenmindestlohn von 12 Euro einführen – als CSUler bin ich sehr dafür –, Es gilt, das hier in der Diskussion entsprechend zum Ausdruck zu bringen und für die Generalunternehmer- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eigent- haftung zu werben und zu arbeiten. Ich bin überzeugt, lich wollten wir schon 13!) dass wir dafür eine gute Grundlage haben. dann werden Sie 13,50 Euro verlangen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, GRÜNEN]: Da werden wir noch streiten müs- der VdK! Sozialverband VdK Deutschland, sen!) nicht wir!) Vor allen Dingen geht es aber darum: Wir haben her- Das ist mir doch völlig klar; darüber brauchen wir gar vorragende Lebensmittel – ganz gleich, ob sie konventio- nicht zu reden. nell oder biologisch produziert worden sind. Aber die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bäuerinnen und Bauern warten darauf, lieber Herr Lan- desminister, dass sie ihre Schweine wieder zur Schlacht- Es war also wichtig, diese Haftung einzuführen, und ung bringen können. offensichtlich hat dieses Gesetz gewirkt. Deshalb frage ich mich, ob wir hier mit Verboten arbeiten müssen oder ob wir hier für die Einhaltung der Arbeitsschutzbestim- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mungen, der Gesundheitsschutzbestimmungen und ande- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21215

(A) Max Straubinger (CDU/CSU): dazu in der Lage sind, sich auf freiwilliger Basis zu eini- (C) Die Schweine stehen nun in den Ställen, und die Ställe gen. Der Konkurrenzkampf zwischen ihnen ist so hoch, sind natürlich proppenvoll. Das darf so nicht sein. Abge- dass sie überhaupt keine Probleme damit haben, sich ge- sehen davon benötigt auch der Handel wieder Fleisch- genseitig vom Markt zu fegen. Deswegen ist es für die ware. gesamte Branche eine unglaublich wirksame Waffe, wenn der Sozialminister zusammen mit dem Land Nord- In diesem Sinne wünsche ich gute Beratungen. rhein-Westfalen und hoffentlich auch mit dem Land Nie- dersachsen Werkverträge in der Schlachtindustrie hier in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unserem Land nachdrücklich und ausdrücklich verbietet. Herr Kollege! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Max Straubinger (CDU/CSU): LINKEN) Ich bin davon überzeugt, dass wir gute, sachorientierte Lösungen finden werden. Dem Kollegen Straubinger sei gesagt: Ich verlange – das sage ich in allen Gesprächen, die ich zu Hause geführt Ich bedanke mich beim Herrn Präsidenten für die Ge- habe – schon lange einen Grundlohn von 13,50 Euro. Das duld. hat übrigens auch etwas mit Wertschätzung von Arbeit, (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann mit Anerkennung von Arbeit zu tun. Und dann ist es mir [DIE LINKE]: Die CDU/CSU ist in dieser Fra- auch völlig egal, ob die Kolleginnen und Kollegen aus ge gespalten!) Rumänien, Bulgarien, der Ukraine kommen. Mir geht es darum, dass sie ordentlich bezahlt werden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Und dann will ich Ihnen noch etwas dazu sagen, was Sie hatten mit Sicherheit den längsten Redebeitrag. – auf diesem Markt passieren wird. In dem Moment, in dem Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege die Betriebe höhere Löhne zahlen müssen, werden sie Rainer Spiering. dies über den Preis weitergeben. Die Mär, dass diese Be- triebe aus diesem Land verschwinden würden, ist doch (Beifall bei der SPD) völliger Humbug! Die getätigten Investitionen sind zu groß, die können gar nicht mehr woanders hin. Übrigens Rainer Spiering (SPD): finden sie auch in keinem anderen Land diese Infrastruk- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sie treffen turmaßnahmen, um permanent zu reparieren. Deswegen mich an als jemanden, der tief betroffen ist. Ich wohne – (B) ist es ein Gebot der Stunde, ihnen das Handwerk zu legen (D) anders als Max Straubinger, der auch eine andere Wahr- und für die Kolleginnen und Kollegen dafür zu sorgen, nehmung hat – mitten dort, wo die Schlachtungen alle dass sie anständige Bedingungen in diesem Land finden, stattfinden: 2 Kilometer zum Großzerleger WestCrown, und zwar unabhängig von der Kultur, unabhängig von der 35 Kilometer zum größten Schlachthof Europas, zu Tön- Nationalität, aus der sie kommen. Das kann dieses Haus nies, 60 Kilometer zum größten Rinderschlachthof Euro- schaffen. pas, auch Tönnies-Eigentum, 80 Kilometer zur Schlacht- ung von Danish Crown. Ich bin in allen Betrieben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gewesen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um eines möchte ich Sie hier alle bitten: Verkennen Sie nicht, was diese Tötungsmaschinerie mit uns macht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wer in einem solchen Maßstab Tiere in einer solch hohen Vielen Dank Herr Kollege Spiering. – Nächster Redner Geschwindigkeit tötet, mit dem passiert etwas. Fahren ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. Sie einmal vor die Werkstore und schauen sich an, wie ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen aus Osteuro- (Beifall bei der CDU/CSU) pa – unter schäbigsten Bedingungen lebend, schlecht be- handelt und ultraschlecht bezahlt – dieser Arbeit nach- gehen muss. Das macht etwas mit unserem Land. Das Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): macht etwas mit der Moral unseres Landes. Das, Kolle- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ginnen und Kollegen, gehört abgestellt! Ich finde es nicht in Ordnung, dass in vielen Reden so getan wird, als hätte man in diesem Bereich noch nie (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem etwas gemacht. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Initiative unseres damaligen Kollegen Karl Schiewerling, Ich appelliere hier dringend, gerade an die Kolleginnen damals Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Arbeit und So- und Kollegen von CSU und CDU, namentlich auch an ziales“ der CDU/CSU-Fraktion, 2017 das GSA Fleisch den Kollegen Max Straubinger. verabschieden konnten, und zwar gemeinsam in einer Großen Koalition. Das GSA Fleisch war eigentlich eine Ich fand Minister Laumann und auch Hubertus Heil in klare Ansage und sah eine verschärfte Generalunterneh- ihren Ausführungen sehr gut nachvollziehbar. Die Ge- merhaftung vor. Eine Generalunternehmerhaftung, meine spräche mit den Managern dieser Firmen haben eines verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur eine deutlich hervorgebracht: Sie jammern geradezu nach ei- rechtliche Hülle, sondern stellt auch einen Appell an eine ner gesetzlichen Regelung, weil sie selbst überhaupt nicht moralische Verantwortung dar, die man hat. 21216 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Preisunterschied pro Kilo ist 40 Cent. Egal ob man viel (C) GRÜNEN]: Das ist ins Leere gelaufen! – Jutta Geld oder wenig Geld verdient, 40 Cent pro Kilo Rinder- Krellmann [DIE LINKE]: Das hat aber nicht filet sind nicht die Welt. gereicht!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Deswegen ist es umso enttäuschender, dass diese klare Hartz-IV-Empfänger isst kein Rinderfilet!) Ansage offensichtlich nicht bei jedem richtig und konse- quent genug angekommen ist, Deswegen finde ich es gut, dass unsere Bundeslandwirt- schaftsministerin Julia Klöckner, die auch dieser Debatte (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist eine beiwohnt, das Thema eines fairen Preises für gute Leis- Systemfrage!) tungen unserer Landwirte, für gutes Fleisch auch zu ih- und ich bedaure eigentlich, dass wir rechtlich nachschär- rem Thema gemacht hat. Darum geht es. fen müssen. Wir haben in einem Eckpunktepapier, das (Beifall bei der CDU/CSU) das Kabinett verabschiedet hat, klargestellt, an welchen Stellen wir zusätzlich handeln wollen, um unsere Verant- wortung als Politiker wahrzunehmen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Ich möchte Karl-Josef Laumann ein herzliches Danke- schön sagen, dass er seine Verantwortung, die er als Lan- desminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat – er Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): ist auch zuständig für die Arbeitskontrolle –, wahrnimmt Um zum Schluss zu kommen, Herr Präsident: Wir wer- und zu uns in den Bundestag gekommen ist. Ein herz- den per Gesetzgebung dafür sorgen, dass jeder seine Ver- liches Dankeschön für seinen klaren und eindeutigen Be- antwortung konsequent wahrnimmt. Aber wir müssen richt! auch als Gesellschaft sagen: Jawohl, wir stehen dazu, dass gute Landwirtschaftsprodukte auch ihren fairen (Beifall bei der CDU/CSU) Preis verdienen, und wir sind bereit, für diesen fairen Wir bekommen das nämlich nur hin, wenn wir Bundes- Preis auch etwas zu tun. gesetzgebung und die Verantwortung der Länder eng zu- Vielen Dank. sammenführen. Er hat uns für dieses Eckpunktepapier in einem Schreiben an die Bundeskanzlerin sehr präzise (Beifall bei der CDU/CSU) Vorschläge gemacht, so wie auch Hubertus Heil als zu- ständiger Bundesarbeitsminister Vorschläge gemacht hat. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) Beide Vorschläge sind ja auch in das Eckpunktepapier der (D) Bundesregierung eingeflossen. Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernd Rützel, SPD-Frak- Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht nicht tion. darum, eine bestimmte Form von Arbeitsgestaltung wie den Werkvertrag generell schlechtzureden. Es geht viel- (Beifall bei der SPD) mehr darum, dafür zu sorgen, dass Werkvertragsgestal- tungen über Sub- und weitere Subunternehmen nicht da- Bernd Rützel (SPD): zu führen, dass am Schluss niemand mehr Verantwortung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- wahrnimmt und Verantwortungslosigkeit herrscht. Das be Kollegen! Bis in die 80er-Jahre hinein war es bei uns gilt es zu bekämpfen. auf dem Land üblich, dass einmal im Jahr die Wasch- küche ausgeräumt wurde. Der ortsansässige Metzger (Beifall bei der CDU/CSU) kam, schlachtete ein Schwein, zerlegte es und verarbei- Und dann muss man in einer solchen Debatte auch über tete es gleich. So war der Bedarf an Wurst, Schinken, unsere Landwirtschaft reden. Unsere Landwirte produ- Käse und Fleisch für Monate gedeckt. zieren hochwertige Lebensmittel, gutes Fleisch. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Na ja!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Käse auch? Ich finde, ein hochwertiges Lebensmittel ist nichts, was verramscht werden darf. Es wird immer nur davon ge- sprochen, dann werde alles teurer. Der Unterschied ist ja Bernd Rützel (SPD): gar nicht so groß. Ich will ein Beispiel machen. In mei- Käse auch. Sie hören gut zu, Herr Präsident. Das finde nem Wahlkreis haben sich vor zwei Jahrzehnten 50 Land- ich gut. wirte zu einer Erzeugergemeinschaft zusammengeschlos- sen, haben ein eigenes kleines Schlachthaus gebaut, das Diese Tradition ist aber seit den 90er-Jahren immer wegen großer Nachfrage jetzt übrigens erweitert wird. mehr verschwunden. Ich war erst letzte Woche bei ihnen und habe sie gebeten, (Kay Gottschalk [AfD]: Vielleicht waren die mir zu sagen, was denn der Preisunterschied bei 1 Kilo EU-Auflagen zu hoch, Herr Kollege!) Rinderfilet ist – um etwas Hochwertiges zu nehmen. Ich habe sie gefragt: Was ist der Preisunterschied bei 1 Kilo Es gibt das Fleischerhandwerk, das ehrliche Fleischer- Rinderfilet, das ich bei euch kaufe, im Vergleich zu dem, handwerk, noch. Wohl denen, die noch einen Fleischer das aus der Industrie kommt? Sie haben mir gesagt, der um die Ecke haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21217

Bernd Rützel (A) Aber unser Hunger wird mittlerweile industriell von – Fleischkäse! (C) diesen großen Fleischfabriken gestillt. Ich konnte es nicht glauben; ich habe es vor ein paar Wochen selber gelesen: (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE 30 000 Schweine werden in einer Fabrik an einem Tag GRÜNEN]: Leberkäs!) geschlachtet, und das Tag für Tag. Das ist Wahnsinn, Das ist ein sehr guter Zwischenruf aus der SPD-Fraktion. liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist ja nicht immer alles intelligent, was von dort Wir müssen uns schon fragen: Was sind uns denn kommt, aber heute war es eine Fortbildung. Mensch und Tier wert? Wir haben schon zweimal einge- Ich schließe damit die Aussprache. griffen, und zwar 2014, als wir dafür gesorgt haben, dass Mindestlohntarifverträge für alle Beschäftigten in der Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Fleischwirtschaft gelten, und 2017, als wir mit der Ein- den Drucksachen 19/20189 und 19/19551 an die in der führung der Generalunternehmerhaftung dafür gesorgt Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. haben, dass der Besitzer einer Fleischfabrik dafür ver- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist er- antwortlich ist, dass auch Subunternehmer Sozialversi- kennbar nicht der Fall. Dann verfahren wir so. cherungsbeiträge zahlen. Wir hier wissen es vielleicht Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 f, 30 h bereits: Manches ist immer wieder umgangen worden. bis 30 o sowie 30 q bis 30 t sowie 30 v bis 30 y sowie Aber jetzt weiß das auch die Öffentlichkeit; denn es ist 30 aa bis 30 ee und 20 b sowie Zusatzpunkte 13 a bis 13 s durch die Coronapandemie deutlich herausgekommen. und 36 auf. Es handelt sich um Überweisungen im ver- Jetzt gibt es eine breite Übereinstimmung darüber, dass einfachten Verfahren ohne Debatte. Ich bitte um Auf- Schluss sein muss mit Ausbeutung in dieser Branche. merksamkeit. Deswegen bin ich froh, dass Hubertus Heil diese zehn Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- Eckpunkte vorgelegt hat. Der Kern ist das Verbot der sungen. Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 f, 30 h bis Werkverträge, der Leiharbeit; es soll aber auch mehr 30 i sowie 30 k bis 30 o, 30 q, 30 s und 30 t und 30 v und besser kontrolliert werden. Auch die Arbeitszeit soll bis 30 y sowie 30 aa bis 30 ee sowie Zusatzpunkte 13 a bis digital aufgezeichnet werden. Dann werden wir dort zu 13 g sowie 13 i bis 13 s und 36: Verbesserungen kommen. Das werden wir tun; das müs- sen wir tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia eines Gesetzes zur Änderung des Kapital- Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anleger-Musterverfahrensgesetzes NEN]) (B) Drucksache 19/20599 (D) Wenn die Beschäftigten, die dort arbeiten, ausgenutzt werden, wenig Lohn bekommen, oftmals um ihren Lohn Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) geprellt werden, in schlechten Unterkünften unterge- Finanzausschuss bracht sind und bis zur Erschöpfung arbeiten müssen, dann können und dürfen wir nicht zugucken. Wir müssen b) Erste Beratung des von der Bundesregierung handeln. Wir sind es den Beschäftigten schuldig. Wir sind eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur es uns allen als Verbraucherinnen und Verbraucher schul- Änderung des Windenergie-auf-See-Ge- dig. Und wir sind es den Tieren schuldig, liebe Kollegin- setzes und anderer Vorschriften nen und Kollegen. Drucksache 19/20429

Ich möchte sagen: Ja, Fleisch darf kein Luxusgut wer- Überweisungsvorschlag: den. Es darf aber auch keine Ramschware bleiben. Des- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wegen müssen wir anpacken. Deswegen werden wir an- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO packen, notfalls auch gern in einer Sondersitzung. Wir haben schon Sondersitzungen wegen anderer Themen in c) Beratung des Antrags der Abgeordneten diesem Jahr gemacht. Beate Walter-Rosenheimer, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Anna Christmann, weiterer Vielen Dank. Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU) Grenzenloser Zusammenhalt – Internatio- nalen Jugendaustausch krisenfest aufstel- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: len Vielen Dank, Herr Kollege Rützel. Entschuldigen Sie Drucksache 19/20164 bitte meine erstaunte Zwischenfrage: „Käse auch?“ Ich habe in meinem hohen Alter noch immer die Fähigkeit, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) dazuzulernen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gehört, dass bei einer Schweineschlachtung Käse produ- ziert wird. d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Hacker, Katja Suding, Grigorios (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Fleischkäse! – Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Zuruf von der SPD: Fleischkäse!) Fraktion der FDP 21218 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Privatrundfunk vor dem Corona-Kollaps Seuchenprophylaxe – Nationaler Plan zur (C) bewahren Stechmückenbekämpfung Drucksache 19/20196 Drucksache 19/20684

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit e) Beratung des Antrags der Fraktionen der l) Beratung des Antrags der Abgeordneten CDU/CSU und SPD Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, Für den Schutz von Rechtsstaatlichkeit Petr Bystron, weiterer Abgeordneter und der und Demokratie in Europa Fraktion der AfD Drucksache 19/20620 Beobachterstatus bei der Shanghaier Or- ganisation für Zusammenarbeit beantra- Überweisungsvorschlag: gen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Inneres und Heimat Drucksache 19/20678 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Dr. Dirk Spaniel, Thomas Ehrhorn, Marc Bernhard, weiterer Abgeordneter und der m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fraktion der AfD Frank Magnitz, Dr. Dirk Spaniel, Leif-Erik Holm, weiterer Abgeordneter und der Frak- Autobahnbaustellen zügiger, sicherer so- tion der AfD wie umwelt- und autofahrerfreundlicher planen und durchführen Luftverkehrsinfrastruktur durch Flugha- fenkonzept für Deutschland sichern Drucksache 19/20691 Drucksache 19/20690 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (B) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (D) h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul- Haushaltsausschuss rich Oehme, Detlev Spangenberg, Dr. Robby n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schlund, weiterer Abgeordneter und der Dietmar Friedhoff, Markus Frohnmaier, Ul- Fraktion der AfD rich Oehme, weiterer Abgeordneter und der Die Folgen von Konsanguinität anerken- Fraktion der AfD nen und eindämmen Einstellung der Entwicklungszusammen- Drucksache 19/20688 arbeit mit der Republik Südafrika

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/20611 Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz lung i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul- o) Beratung des Antrags der Abgeordneten rich Oehme, Dietmar Friedhoff, Markus Beatrix von Storch, Dr. Gottfried Curio, Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der Dr. Bernd Baumann, weiterer Abgeordneter Fraktion der AfD und der Fraktion der AfD Bevölkerungspolitischer Strategiewechsel Verein Indymedia verbieten in der Entwicklungszusammenarbeit – an demografischer Dividende teilhaben und Drucksache 19/20682 Genderpolitik beenden Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Drucksache 19/20681 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Überweisungsvorschlag: q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Steffen Kotré, Tino Chrupalla, Dr. Heiko lung (f) Auswärtiger Ausschuss Heßenkemper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlev Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Soziale Marktwirtschaft für die Zukunft Jörg Schneider, weiterer Abgeordneter und bewahren – ökonomische Resilienz stär- der Fraktion der AfD ken Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21219

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Drucksache 19/20679 Moratorium für Wildtierhandel aus ethi- (C) scher und epidemiologischer Verantwor- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) tung Ausschuss für Inneres und Heimat Finanzausschuss Drucksache 19/20551 Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss Ausschuss für Gesundheit s) Beratung des Antrags der Abgeordneten y) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mariana Iris Harder-Kühnel, Martin Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, Reichardt, Frank Pasemann, weiterer Abge- Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter ordneter und der Fraktion der AfD und der Fraktion DIE LINKE Nationalen Zusammenhalt stärken – Ju- Gemeinnützige Jugend- und Bildungsstät- gendaustausch und Familienferienstätten ten und Übernachtungsstätten retten innerhalb Deutschlands besser fördern Drucksache 19/20545

Drucksache 19/20687 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung t) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Tourismus Uwe Witt, Jürgen Pohl, Martin Sichert, wei- Haushaltsausschuss terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD aa) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Freihold, Gökay Akbulut, Martina Passgenaue Unterstützung in der Corona- Renner, weiterer Abgeordneter und der Frak- Krise für Menschen mit Behinderungen tion DIE LINKE und Mitarbeiter in der Behindertenhilfe einführen Umfassende Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und kolonialrassistischer Drucksache 19/20685 Nachwirkungen gegenüber Black, Indige- (B) Überweisungsvorschlag: nous, People of Color (D) Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/20546 v) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Sandra Weeser, Michael Theurer, Reinhard Ausschuss für Kultur und Medien Houben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP bb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Uwe Kekeritz, Ottmar von Langfristige Stromlieferverträge für den Holtz, weiterer Abgeordneter und der Frak- ungeförderten Zubau und Betrieb von er- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neuerbaren Energien nutzen Naturzerstörung und Wildtierhandel Drucksache 19/20532 stoppen – Risiko für zukünftige Pande- mien senken Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Drucksache 19/20561 Überweisungsvorschlag: w) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Dr. Martin Neumann, Michael Theurer, Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Reinhard Houben, weiterer Abgeordneter cc) Beratung des Antrags der Abgeordneten und der Fraktion der FDP Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Markus Kurth, Freiheitszonen für Mut und Vertrauen in weiterer Abgeordneter und der Fraktion den Kohleregionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/20476 Lehren aus der Covid-19-Pandemie zie- hen – Den Weg zu einer inklusiven Gesell- Überweisungsvorschlag: schaft einschlagen Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Haushaltsausschuss Drucksache 19/20593

x) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Dr. Kirsten Tackmann, Ralph Lenkert, Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter zung und der Fraktion DIE LINKE Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen 21220 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) dd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (C) Ausschuss für Arbeit und Soziales Dr. Julia Verlinden, Dr. Ingrid Nestle, Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zung NEN Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Ausbau der Offshore-Windenergie zuver- Haushaltsausschuss lässig, naturverträglich und kostengünstig d) Beratung des Antrags der Abgeordneten absichern Martin Reichardt, Thomas Ehrhorn, Mariana Drucksache 19/20588 Iris Harder-Kühnel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Kinder gegen sexuelle Gewalt wirksam schützen ee) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Kordula Schulz-Asche, Katrin Drucksache 19/20677 Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und Überweisungsvorschlag: der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Pandemierat jetzt gründen – Mit breiterer Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss wissenschaftlicher Perspektive besser Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- durch die Corona-Krise zung Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 19/20565 e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Stephan Brandner, Dr. Dirk Spaniel, Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Wolfgang Wiehle, weiterer Abgeordneter Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- und der Fraktion der AfD zung ZP 13 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Sparten des Deutsches Zentrum Mobilität Katja Keul, Luise Amtsberg, Canan Bayram, der Zukunft auch in den neuen Bundes- weiteren Abgeordneten und der Fraktion ländern ansiedeln BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Drucksache 19/20686 (B) Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des (D) Deutschen Richtergesetzes (Recht und Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Pflicht zur Fortbildung der Richterinnen Haushaltsausschuss und Richter) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/20541 Dr. Dirk Spaniel, Steffen Kotré, Leif-Erik Überweisungsvorschlag: Holm, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) tion der AfD Ausschuss für Inneres und Heimat b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Lieferketten schützen – Heimische Wert- Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, schöpfung steigern – Unterstützung von weiteren Abgeordneten und der Fraktion Unternehmen zur vereinfachten Produk- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten tionsrückverlagerung nach Deutschland Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Drucksache 19/20680 Kinderschutzes im familiengerichtlichen Verfahren Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Drucksache 19/20540 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Herbrand, Christian Dürr, Grigorios c) Beratung des Antrags der Fraktionen der Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der CDU/CSU und SPD Fraktion der FDP Innovativ, zukunftssicher und nachhaltig – Vorbild Bund – Das Bauen von Morgen Scheitern von Unternehmensnachfolgen heute fördern aufgrund der Corona-Pandemie verhin- dern Drucksache 19/20618 Drucksache 19/20579 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- Überweisungsvorschlag: nen (f) Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Wirtschaft und Energie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21221

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) i) Beratung des Antrags der Abgeordneten n) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Michael Georg Link, Alexander Graf Dr. Florian Toncar, Christian Dürr, Frank Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneter und der Fraktion der FDP Fraktion der FDP Deutsche EU-Ratspräsidentschaft – Versäumnisse der Bundesanstalt für Fi- Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit nanzdienstleistungsaufsicht bei Wirecard der EU stärken und Cum-Ex aufarbeiten und sie nicht Drucksache 19/20584 mit neuen Aufgaben überfordern

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/20577 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Renata Ausschuss für Wirtschaft und Energie Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion o) Beratung des Antrags der Abgeordneten der FDP Karlheinz Busen, Frank Sitta, Dr. Gero Fachfremde Of-Counsel-Berater in der Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter Rechtsberatung und der Fraktion der FDP Drucksache 19/20558 Tierwohl baurechtlich ermöglichen

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/20557 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- k) Beratung des Antrags der Abgeordneten nen (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Stephan Thomae, Judith Skudelny, Renata Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit der FDP Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Unverschuldete Insolvenzen vermeiden p) Beratung des Antrags der Abgeordneten und überlebensfähige Unternehmen si- Beate Müller-Gemmeke, Anja Hajduk, chern – Für ein modernes und effizientes Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und (B) Restrukturierungsrecht der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Drucksache 19/20560 Arbeitszeit – Urteil des Europäischen Ge- richtshofs umsetzen, mehr Zeitsouveräni- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) tät ermöglichen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/20585 l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Jens Beeck, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Tressel, Christian Kühn (Tübingen), Teilhabe von Menschen mit Behinderun- Claudia Müller, weiterer Abgeordneter und gen in den außeruniversitären For- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schungseinrichtungen stärken Drucksache 19/20530 Ein Förderprogramm „Neues Leben auf dem Land“ auflegen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Drucksache 19/20576 zung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Müller, Dr. Jens Brandenburg r) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Rhein-Neckar), Alexander Graf Dr. Bettina Hoffmann, Stephan Kühn (Dres- Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und der den), Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt stär- ken – Diskriminierungsfrei in der Bundes- Ressourcenverschwendung bei Altbatte- wehr rien stoppen – Herstellerverantwortung Drucksache 19/20533 sicherstellen, Wertstoffkreisläufe schlie- ßen Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Drucksache 19/20562 21222 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Überweisungsvorschlag: AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses (C) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) abgelehnt. Ausschuss für Wirtschaft und Energie s) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Jürgen Trittin, Margarete Bause, schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordne- führung beim Ausschuss für Kultur und Medien. Wer ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt GRÜNEN dagegen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag ge- gen die Stimmen der AfD mit den Stimmen der übrigen Hongkongs weitreichende Autonomie im Fraktionen des Hauses angenommen. Rahmen des Prinzips „Ein Land, zwei Sys- Tagesordnungspunkt 30 r: teme“ erhalten Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Drucksache 19/20563 Brandner, Marc Bernhard, Matthias Büttner, wei- Überweisungsvorschlag: terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Tiefe Grundrechtseingriffe bedürfen der par- Ausschuss für Wirtschaft und Energie lamentarischen Kontrolle Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ZP 36 Beratung des Antrags der Abgeordneten Roman Drucksache 19/20676 Müller-Böhm, Dr. Marcel Klinge, Michael Überweisungsvorschlag: Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) der FDP Ausschuss für Inneres und Heimat Federführung strittig Auch Schaustellern eine neue Normalität er- möglichen Interfraktionell wird Überweisung an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Drucksache 19/20559 Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- rung beim Ausschuss für Gesundheit. Die Fraktion der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Ich lasse nun zuerst abstimmen über den Überwei- überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – sungsvorschlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für (B) (D) Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – vorgeschlagen. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stim- men der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen Wir kommen nun zu vier Überweisungen, bei denen des Hauses abgelehnt. die Federführung strittig ist. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Tagesordnungspunkt 30 j: schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich führung beim Ausschuss für Gesundheit. Wer stimmt Oehme, Marc Bernhard, Stephan Brandner, wei- für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD gen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktio- Verpflichtende deutsche Sprache in Publika- nen des Hauses angenommen. tionen von ministeriell mandatierten, politisch Zusatzpunkt 13 h: handlungsempfehlenden Institutionen Beratung des Antrags der Abgeordneten Hagen Drucksache 19/20689 Reinhold, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, wei- Überweisungsvorschlag: terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) § 5 Absatz 3 Urheberrechtsgesetz ändern – Ausschuss für Inneres und Heimat Gesetzlich vorgeschriebene Normen kostenlos Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Federführung strittig zugänglich machen Interfraktionell wird Überweisung an die in der Tages- Drucksache 19/20578

ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Überweisungsvorschlag: Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) rung beim Ausschuss für Kultur und Medien. Die Frak- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie tion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für Federführung strittig Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Interfraktionell wird Überweisung an die in der Tages- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist rung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Aus- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21223

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) schuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen (C) nen. des Hauses angenommen. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 q und schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diesen Über- 30 g sowie Zusatzpunkte 40 a bis 40 q, 14 a bis 14 c und weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist 34 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vor- dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Tagesordnungspunkt 31 a: Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbrau- zu dem Übereinkommen vom 9. April 1965 zur cherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- Erleichterung des Internationalen Seever- schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – kehrs Was macht die FDP? – Nichts! (FAL-Übereinkommen) Drucksache 19/19380 (Dr. Florian Toncar [FDP]: Wir stimmen da- gegen!) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- – Ja, aber einer muss sich wenigstens melden, Herr Kolle- ses für Verkehr und digitale Infrastruktur ge Toncar. (15. Ausschuss) Drucksache 19/20625 (Dr. Florian Toncar [FDP]: Da haben Sie recht, Herr Präsident!) Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Wunderbar! – Also: Dann ist dieser Überweisungsvor- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache schlag gegen die Stimmen der FDP-Fraktion mit den 19/20625, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- Drucksache 19/19380 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, men. die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. – Keiner stimmt dagegen. Dann ist dieser Ge- Tagesordnungspunkt 20 b: setzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenom- men. Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Dritte Beratung (B) terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD (D) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Corona digital bekämpfen – Deutsches Bil- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nunmehr zu er- dungs- und Forschungssystem digital fit ma- heben. – Ich ahne, das ist das gesamte Haus. Gegenstim- chen für Lernen-zu-Hause sowie Fernlehre men? – Keine. Dann stelle ich fest, dass der Gesetzent- und -forschung wurf in dritter Lesung und Schlussabstimmung einstimmig angenommen wurde. Drucksache 19/20683 Tagesordnungspunkt 31 b: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Federführung strittig Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes Interfraktionell wird Überweisung an die in der Tages- Drucksache 19/19383 ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- rung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) nikfolgenabschätzung. Die Fraktion der AfD wünscht Drucksache 19/20661 Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20661, schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist 19/19383 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer des Hauses abgelehnt. stimmt dagegen? – Wieder keiner. Dann ist der Gesetz- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- entwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Dritte Beratung führung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wer stimmt für diesen Über- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der Wer stimmt dagegen? – Niemand. Dann ist auch dieser 21224 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Gesetzentwurf in dritter Beratung und Schlussabstim- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer (C) mung einstimmig angenommen. stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der AfD-Frak- Tagesordnungspunkt 31 c: tion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses Zweite Beratung und Schlussabstimmung des angenommen. von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Tagesordnungspunkte 31 f bis 31 q sowie Zusatzpunk- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom te 40 a bis 40 q. Wir kommen zu den Beschlussempfeh- 18. November 2019 zur Änderung des Abkom- lungen des Petitionsausschusses. Ich bitte, wie gesagt, um mens vom 19. Februar 2016 zwischen der Bun- Aufmerksamkeit. desrepublik Deutschland und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteue- Tagesordnungspunkt 31 f: rung und zur Verhinderung der Steuerverkür- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- zung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- tionsausschusses (2. Ausschuss) kommen Sammelübersicht 571 zu Petitionen Drucksache 19/19385 Drucksache 19/20151 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses (7. Ausschuss) Es handelt sich um 63 Petitionen. Drucksache 19/20656 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Dann ist diese Beschlussempfehlung, Sammelübersicht Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- 571, einstimmig angenommen. empfehlung auf Drucksache 19/20656, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/19385 an- Tagesordnungspunkt 31 g: zunehmen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zweite Beratung tionsausschusses (2. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Sammelübersicht 572 zu Petitionen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Drucksache 19/20152 Wer stimmt dagegen? – Niemand. Dann ist dieser Gesetz- entwurf einstimmig angenommen. Es handelt sich um 66 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Auch (B) Tagesordnungspunkt 31 d: (D) keiner. Dann ist die Sammelübersicht 572 ebenfalls ein- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- stimmig angenommen. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) zu der Tagesordnungspunkt 31 i: Verordnung der Bundesregierung Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zweite Verordnung zur Änderung abfallrecht- tionsausschusses (2. Ausschuss) licher Bestimmungen zur Altölentsorgung Sammelübersicht 574 zu Petitionen Drucksachen 19/19372, 19/19655 Nr. 2.2, Drucksache 19/20154 19/20657 Es handelt sich um 14 Petitionen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/20657, der Verordnung der Bun- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- desregierung auf Drucksache 19/19372 in der Ausschuss- hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen die fassung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Stimmen der AfD – – Sie haben sich enthalten, oder? Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – (Dr. Alexander Gauland [AfD]: 573 fehlt! – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie haben eine ver- der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktionen der gessen!) AfD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. – Dazu komme ich gleich. Gut, dass Sie mich darauf hinweisen, Herr Gauland. Vielen Dank noch mal. – Wir Tagesordnungspunkt 31 e: sind trotzdem bei Sammelübersicht 574. Die haben Sie Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- abgelehnt. Dann ist diese Sammelübersicht gegen die schusses für Recht und Verbraucherschutz Stimmen der AfD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion (6. Ausschuss) Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen – – Übersicht 8 (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- Nein! Ich hatte die Ansage falsch verstanden! ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- Bei 574 stimmen wir zu!) gericht – Aha. Dann ist die Sammelübersicht 574 – das kann ich Drucksache 19/20713 jetzt wiederholen – gegen die Stimmen der AfD-Fraktion Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21225

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses an- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- (C) genommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Wir kommen noch zu Tagesordnungspunkt 31 h: Sammelübersicht 578 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/20158 tionsausschusses (2. Ausschuss) Es handelt sich um eine Petition. Sammelübersicht 573 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Drucksache 19/20153 tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen Es handelt sich um 36 Petitionen. die Stimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen der üb- rigen Fraktionen des Hauses angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen die Tagesordnungspunkt 31 n: Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übri- tionsausschusses (2. Ausschuss) gen Fraktionen des Hauses angenommen. Sammelübersicht 579 zu Petitionen Ich bedanke mich noch mal bei Ihnen, Herr Gauland, für den Hinweis. Drucksache 19/20159 Tagesordnungspunkt 31 j: Es handelt sich um zehn Petitionen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tionsausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP, Die Linke, Bünd- Sammelübersicht 575 zu Petitionen nis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktio- Drucksache 19/20155 nen des Hauses angenommen. Es handelt sich um zwei Petitionen. Tagesordnungspunkt 31 o: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen die tionsausschusses (2. Ausschuss) Stimmen der Fraktionen von AfD und Die Linke bei Ent- Sammelübersicht 580 zu Petitionen (B) haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den (D) Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP Drucksache 19/20160 angenommen. Es handelt sich um eine Petition. Tagesordnungspunkt 31 k: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen tionsausschusses (2. Ausschuss) die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der üb- Sammelübersicht 576 zu Petitionen rigen Fraktionen des Hauses angenommen. Drucksache 19/20156 Tagesordnungspunkt 31 p: Es handelt sich um eine Petition. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen Sammelübersicht 581 zu Petitionen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Drucksache 19/20161 Tagesordnungspunkt 31 l: Es handelt sich um acht Petitionen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tionsausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktionen von AfD, Die Linke und Sammelübersicht 577 zu Petitionen Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Fraktionen Drucksache 19/20157 von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Es handelt sich um 15 Petitionen. Tagesordnungspunkt 31 q: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen tionsausschusses (2. Ausschuss) die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Sammelübersicht 582 zu Petitionen Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Drucksache 19/20162 Tagesordnungspunkt 31 m: Es handelt sich um 13 Petitionen. 21226 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (C) tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht mit den tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht gegen Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der üb- der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. rigen Fraktionen des Hauses angenommen. Zusatzpunkt 40 a: Tagesordnungspunkt 40 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 583 zu Petitionen Sammelübersicht 588 zu Petitionen Drucksache 19/20636 Drucksache 19/20641 Es handelt sich um 66 Petitionen. Es handelt sich um eine Petition. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Keine. Dann ist diese Sammelübersicht ein- Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelüber- stimmig angenommen. sicht kommen, erteile ich dem Kollegen Detlev Spangenberg das Wort zur ergänzenden Berichterstat- Zusatzpunkt 40 b: tung. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Detlev Spangenberg (AfD): Sammelübersicht 584 zu Petitionen Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sei- tens des Petitionsausschusses haben wir ja nicht so oft Drucksache 19/20637 Gelegenheit, hier ein paar Worte zu sagen; das liegt an der Struktur. Es geht hier um eine sehr wichtige Petition. Es handelt sich um 109 Petitionen. Sie kommt von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesell- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- schaft. Mit dieser Petition wird ein Masterplan zur Ret- gen? – Dann ist auch die Sammelübersicht 584 einstim- tung der Schwimmbäder gefordert. mig angenommen. Die Schwimmfähigkeit in der Bevölkerung Deutsch- Zusatzpunkt 40 c: lands lässt nach, so heißt es in der Petition. Aus diesem Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Grund ist es sehr wichtig, dass wir zu diesem Thema mal reden. Die Grundlage der Rede ist im Ausschuss festge- (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) (D) legt, nämlich dass wir alle gemeinsam das gleiche Peti- Sammelübersicht 585 zu Petitionen tum abgeben, und es muss ein sehr starkes Petitum sein. In diesem Fall wird empfohlen, die Petition an das Bun- Drucksache 19/20638 desministerium des Innern, für Bau und Heimat „zur Es handelt sich um 76 Petitionen. Erwägung“ zu überweisen. Das heißt also: Alle Fraktio- nen geben das gleiche Petitum ab, die Obleute müssen Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- beschließen, dass wir dazu reden, und das Thema muss gen? – Sammelübersicht 585 ist damit einstimmig ange- vor allen Dingen wichtig sein. Die Wichtigkeit zeigen die nommen. fast 56 000 Unterschriften, mit denen die Petition unter- Zusatzpunkt 40 d: stützt wird. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Meine Damen und Herren, jeder in diesem Raum kann tionsausschusses (2. Ausschuss) schwimmen und hat Schwimmunterricht gehabt; davon Sammelübersicht 586 zu Petitionen gehe ich aus. Aber für viele sieht das im Moment ganz schlecht aus. Die Petition beschreibt einen sehr traurigen Drucksache 19/20639 Zustand. Das heißt, wir nehmen im Grunde in Kauf, dass der hoheitliche Auftrag, im Schulunterricht das Es handelt sich um 17 Petitionen. Schwimmen zu erlernen, nur unzureichend erfüllt wird. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Die in der Petition beschriebene Gefahr des Ertrinkens hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 586 gegen die beim Baden kann traurige Realität werden und ist es Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak- auch. Außerdem verzichten wir auf die körperliche Er- tion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übri- tüchtigung im Schwimmunterricht. Das Schwimmen ist gen Fraktionen des Hauses angenommen. eine gesundheitsfördernde Maßnahme; das Stichwort „Übergewicht“ müsste uns allen bekannt sein. Zusatzpunkt 40 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Natürlich ist das keine originäre Aufgabe des Bundes. tionsausschusses (2. Ausschuss) Es gibt auch Förderprogramme der Länder und Kommu- nen, die aber allein am Erfolg gemessen werden sollten, Sammelübersicht 587 zu Petitionen und der ist zurzeit, so auch die Petition, nicht vorhanden. Der Bund sollte überprüfen, inwieweit er hier Hilfe geben Drucksache 19/20640 kann, wie er es zum Beispiel im Rahmen des DigitalPakts Es handelt sich um 17 Petitionen. Schule tut. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21227

Detlev Spangenberg (A) Meine Damen und Herren, mit der Petition wird ein Und heute schließen wir hier im Bundestag die Petition (C) bundesweiter Masterplan zur Rettung gefordert: mithilfe mit einer Beschlussempfehlung ab, durch die das darin einer zu gründenden Gesellschaft, die im Laufe von zehn verfolgte Anliegen der Bundesregierung bzw. dem Bun- Jahren koordiniert und umgesetzt werden soll. Der Fi- desinnenministerium zur Erwägung überwiesen und auch nanzbedarf dafür wird auf etwa 14 Milliarden Euro ver- den Parlamenten der 16 Bundesländer zugeleitet wird. anschlagt, zu tragen von Bund, Ländern und Kommunen. Ich war bei der Übergabe am 25. September ebenso an- Die Petentin, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesell- wesend wie bei der öffentlichen Sitzung des Petitionsaus- schaft, fordert zum Beispiel die Wiederauflage des Gol- schusses am 9. Dezember und bei der Expertenanhörung denen Planes, den es schon mal in den 60er-Jahren gab. des Sportausschusses am 15. Januar und möchte hier er- klären, warum ich wie auch die anderen Abgeordneten Meine Damen und Herren, etwa 25 Prozent der Grund- der Fraktion Die Linke der Beschlussempfehlung zustim- schulen haben laut forsa-Umfrage derzeit keinen Zugang men werden. zu einem Schwimmbad. Das ist problematisch. Damit steigt die Zahl der Kinder, die mit zehn Jahren nicht oder Die Schwimmkompetenz in Deutschland ist innerhalb nicht sicher schwimmen können, auf circa 60 Prozent. von 25 Jahren von über 90 Prozent der Bevölkerung auf Die Zahl der Badeunfälle bzw. der Ertrunkenen steigt unter 50 Prozent gesunken. Deutschland wird zum Nicht- an. Wir haben im Jahr über ein halbes Tausend Unfälle schwimmerland. Rund 60 Prozent der zehnjährigen Kin- beim Baden, beim Schwimmen zu verzeichnen, weil der können nicht sicher oder gar nicht schwimmen. Aber Menschen nicht schwimmen können bzw. sich im Wasser schwimmen können oder nicht schwimmen können ent- nicht sicher bewegen können. scheidet im Zweifel über Leben und Tod. In den 1960er-Jahren hatte fast jede größere Kommune Auch Freibäder sind von Schließungen betroffen – so ein eigenes Schwimmbad, auch durch staatliche Förder- die Petition –, und das sind ja Treffpunkte, Orte der Erho- programme, und zwar in Ost wie in West. Zuletzt waren lung und Entspannung; einkommensschwache Menschen aufgrund von Finanznöten immer weniger Städte in der machen dort teilweise Urlaub oder verbringen dort ihre Lage, ihre Bäder zu sanieren und zu betreiben. Jedes Jahr Freizeit. Auch das ist ein wichtiges Thema. werden etwa 100 Bäder in Deutschland geschlossen. Das Meine Damen und Herren, Bäder sind laut der Petition alles hat natürlich auch Folgen für den Schwimmunter- Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, Teil des kommu- richt, der an vielen Schulen gar nicht mehr angeboten nalen Gesundheitsangebotes. Ich denke, es ist ein ganz werden kann. Zudem gibt es eine soziale Schieflage; denn deutlicher Erfolg, dass diese Petition von allen im Aus- Einkommensschwächere und deren Kinder sind laut Sta- schuss vertretenen Parteien einstimmig so gesehen wird. tistik deutlich weniger schwimmfähig als der Bundes- (B) Das heißt, dass wir dieses starke und eindeutige Petitum durchschnitt. Viele können sich die Eintrittsgelder für (D) „zur Erwägung“ empfehlen – das ist die zweitstärkste Schwimmhallen oder kommerzielle Schwimmkurse Empfehlung, die wir geben können –, sollte die Regie- schlichtweg nicht leisten. rung wirklich beflügeln, hier schnell und unbürokratisch Deshalb haben meine Fraktion und ich persönlich seit Abhilfe zu schaffen. fünf Jahren immer wieder gefordert, das Thema unter Federführung des Sportausschusses des Bundestags ge- Recht vielen Dank. meinsam mit den verschiedenen Akteuren sowie den Ver- tretern von Ländern und Kommunen ergebnisorientiert (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten anzugehen. Dabei sollte es neben der Wiederaufnahme der CDU/CSU und der LINKEN) eines Goldenen Plan Sport mit einem Programm zur Sa- nierung von Schwimmhallen auch um die Förderung des Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Schwimmunterrichts an den Schulen gehen, um eine Vielen Dank, Herr Kollege Spangenberg. – Der Abge- Stärkung des Vereinssports sowie den Abbau von finanz- ordnete André Hahn hat um das Wort zu einer Erklärung iellen und kulturellen Barrieren. nach § 31 GO gebeten. Herr Dr. Hahn, Sie haben das Wort. Leider hat die Koalition dieses Ansinnen, insbesondere mit dem Verweis auf die angeblich fehlende Zuständig- (Beifall bei der LINKEN) keit, mehrfach abgelehnt. Ich verweise hier auf die Ant- wort der Bundesregierung vom 18. März 2015 auf meine diesbezüglichen schriftlichen Anfragen und auf die De- Dr. André Hahn (DIE LINKE): batte hier zur Aktuellen Stunde im Juni 2017, die Die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Linke gefordert hatte. Deshalb bin ich der Deutschen 25. September 2019 landete um 13.45 Uhr ein Boot der Lebens-Rettungs-Gesellschaft sehr dankbar dafür, dass Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft am Spreeufer und wie sie mit dieser Petition die Situation der vor dem Paul-Löbe-Haus, um den zahlreich erschienenen Schwimmbäder auf die Agenda unseres Hauses hier im Abgeordneten aus allen Fraktionen öffentlichkeitswirk- Bundestag gesetzt hat. sam eine Petition zur Rettung der Schwimmbäder zu überreichen, die insgesamt von fast 120 000 Menschen (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sehr unterstützt wurde. Es wurden viele schöne Fotos ge- gut!) macht, viele Abgeordnete versprachen in die anwesenden Die aktuelle Coronakrise hat leider auch spürbare Aus- Kameras und Mikrofone, sich darum zu kümmern, sich wirkungen auf die Schwimmbäder und die Schwimm- für dieses Anliegen zu engagieren. kompetenz. Seit März gibt es in Deutschland faktisch 21228 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. André Hahn (A) keinen Schwimmunterricht und keinen Schwimmsport sich anders verhalten, als es zu erwarten wäre, und das (C) mehr. Schwimmhallen und Freibäder waren geschlossen war diesmal nicht der Fall. und sind nun – das ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich – immer noch und vielleicht auf Noch einmal, bei aller Liebe und Großzügigkeit, die lange Sicht nur sehr eingeschränkt nutzbar. Kommunen das Präsidium kurz vor der Sommerpause gewährt: Bitte wie auch Sportvereinen fehlt zunehmend das Geld zum denken Sie daran: Es ist kein gutes Zeichen gegenüber Betreiben und für die Sanierung von Schwimmbädern. den Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Geschäfts- ordnung so überdehnt. Von daher steht die Frage im Raum, wie es nun mit Wir kommen zur Abstimmung über die Sammelüber- dem Anliegen der Petenten weitergeht. Wird jetzt ange- sicht 588 auf Drucksache 19/20641. Wer stimmt dafür? – sichts anderer drängender Probleme die Petition einfach Gegenstimmen? – Damit ist die Sammelübersicht 588 zu den Akten gelegt und der von Innenminister Seehofer einstimmig angenommen. auf der DOSB-Mitgliederversammlung am 7. Dezember 2019 in Aussicht gestellte dritte Goldene Plan Sport auf Zusatzpunkt 40 g: unbestimmte Zeit verschoben? Ich hoffe nicht und erwar- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- te, dass Bundesregierung und Bundesländer nach der tionsausschusses (2. Ausschuss) heutigen Abstimmung auch endlich spürbare und nach- haltige Maßnahmen zur Rettung der Schwimmbäder er- Sammelübersicht 589 zu Petitionen greifen. Mit dem Antrag der Linken „Dritter Goldener Plan Sport – 10 mal eine Milliarde für Sportstätten in Drucksache 19/20642 Deutschland“ auf Drucksache 19/20035 liegt bereits ein Es handelt sich um eine Petition. guter Vorschlag auf dem Tisch. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren. Morgen gen? – Keine. Damit ist auch die Sammelübersicht 589 geht der Bundestag in die parlamentarische Sommerpau- einstimmig angenommen. se. Die Urlaubszeit steht bevor, und viele Menschen, junge wie ältere, zieht es ans Meer. Zusatzpunkt 40 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ein Wer- tionsausschusses (2. Ausschuss) beblock für die Linkspartei! Das hat mit der Geschäftsordnung nichts mehr zu tun, Herr Sammelübersicht 590 zu Petitionen Kollege!) (B) Drucksache 19/20643 (D) – Ich würde den Satz trotzdem gern zu Ende bringen, Es handelt sich um eine Petition. Herr Kollege. – Viele Menschen zieht es jetzt in den nächsten Tagen ans Meer und an die Seen. Ich hoffe Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- und wünsche mir – ich denke, das wünschen wir uns alle; hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht bei Enthal- deshalb ist die Petition so wichtig und zu unterstützen –, tung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen dass es in diesem Sommer im Schwimmbereich mög- Fraktionen angenommen. lichst wenig Unfälle und schon gar keine Toten zu be- klagen gibt. Und deshalb ist es dringend geboten, etwas Zusatzpunkt 40 i: dagegen zu unternehmen und Schwimmbäder zu retten Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- und, wo nötig, auch neue zu bauen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Herzlichen Dank. Sammelübersicht 591 zu Petitionen

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Drucksache 19/20644 ten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] Es handelt sich um zwei Petitionen. [SPD]: Die DLRG ist uns allen wichtig!) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Keine. Damit ist diese Sammelübersicht gegen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der Herr Kollege, Dr. Hahn, ich will festhalten, dass Sie übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. die Grenzen der Geschäftsordnung deutlich überschritten haben. Das war kein Beitrag nach § 31 GO, sondern ein Zusatzpunkt 40 j: Sachbeitrag. Ich habe Sie nur deshalb nicht unterbrochen, Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- weil die Sache ein ordentliches Anliegen ist. Ich danke tionsausschusses (2. Ausschuss) den anderen Fraktionen, dass sie ihrerseits jetzt nicht einen Redner schicken, der nach § 31 GO einen fünf- Sammelübersicht 592 zu Petitionen minütigen Sachbeitrag bringt. Drucksache 19/20645 Ich bitte wirklich alle, sich an die Geschäftsordnung zu Es handelt sich um eine Petition. halten. Sie können erklären, warum Sie sich bei der Ab- stimmung in der einen oder anderen Weise verhalten; Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist aber der Sinn von § 31 GO ist, zu erklären, warum Sie diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktion Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21229

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Es handelt sich um eine Petition. (C) Hauses angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Zusatzpunkt 40 k: hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen die Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Stimmen der Fraktionen der FDP und Bündnis 90/Die tionsausschusses (2. Ausschuss) Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- Sammelübersicht 593 zu Petitionen men. Drucksache 19/20646 Zusatzpunkt 40 p: Es handelt sich um eine Petition. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- tionsausschusses (2. Ausschuss) hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen die Sammelübersicht 598 zu Petitionen Stimmen der Fraktion der AfD bei Enthaltung der Frak- tion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen Drucksache 19/20651 des Hauses angenommen. Es handelt sich um zehn Petitionen. Zusatzpunkt 40 l: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktio- tionsausschusses (2. Ausschuss) nen von FDP, Linken und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- Sammelübersicht 594 zu Petitionen nommen. Drucksache 19/20647 Zusatzpunkt 40 q: Es handelt sich um eine Petition. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- tionsausschusses (2. Ausschuss) hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht bei Enthal- Sammelübersicht 599 zu Petitionen tungen der Fraktionen der AfD und der Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- Drucksache 19/20652 men. Es handelt sich um zwei Petitionen. Zusatzpunkt 40 m: (B) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist (D) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktio- tionsausschusses (2. Ausschuss) nen von AfD, Linken, Bündnis 90/Die Grünen mit den Sammelübersicht 595 zu Petitionen Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses angenom- men. Drucksache 19/20648 Zusatzpunkt 14 a: Es handelt sich um sieben Petitionen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktion (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen Jens Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Zusatzpunkt 40 n: der FDP Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Einmalzahlung auch an Beschäftigte in den tionsausschusses (2. Ausschuss) Einrichtungen der Behindertenhilfe Sammelübersicht 596 zu Petitionen Drucksachen 19/19507, 19/20674 Drucksache 19/20649 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/20674, den Antrag der Fraktion Es handelt sich um eine Petition. der FDP auf Drucksache 19/19507 abzulehnen. Wer Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktio- dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Beschluss- nen der FDP und der Linken mit den Stimmen der übri- empfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gen Fraktionen des Hauses angenommen. bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ge- gen die Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses an- Zusatzpunkt 40 o: genommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zusatzpunkt 14 b: tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Sammelübersicht 597 zu Petitionen richts des Ausschusses für Tourismus (20. Aus- Drucksache 19/20650 schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten 21230 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Dr. Marcel Klinge, Michael Theurer, Grigorios Harder-Kühnel, weiterer Abgeordneter und der (C) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Fraktion der AfD tion der FDP Kinderbonus für alle Eltern Mit guter Vorbereitung durch die Krise – Heimische Tourismuswirtschaft pandemiefest Drucksache 19/20675 machen Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- Drucksachen 19/19119, 19/20715 gen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. lung auf Drucksache 19/20715, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/19119 abzulehnen. Wer Ich rufe auf die Zusatzpunkte 15 a bis 15 k: Wahlen zu stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Gremien. dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschluss- Zusatzpunkte 15 a bis 15 c. Wahl von Mitgliedern des empfehlung gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der und Zukunft“. anderen Fraktionen des Hauses angenommen. Zusatzpunkt 15 a: Zusatzpunkt 14 c: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und SPD richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerald Ullrich, Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Michael Theurer, Reinhard Houben, weiterer Ab- Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und geordneter und der Fraktion der FDP Zukunft“ Unternehmen schnell und effizient entlasten – Drucksache 19/20603 Ist-Versteuerung als bundesweiten Standard setzen Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/20603? – Wer Drucksachen 19/20062, 19/20722 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Wahlvorschlag bei Enthaltung der Fraktion der AfD mit Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- lung auf Drucksache 19/20722, den Antrag der Fraktion (B) nommen. (D) der FDP auf Drucksache 19/20062 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Zusatzpunkt 15 b: dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschluss- empfehlung gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung Wahlvorschlag der Fraktion der AfD der Fraktionen der AfD und von Bündnis 90/Die Grünen Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses an- Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und genommen. Zukunft“ Zusatzpunkt 34: Drucksache 19/20604 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der schusses für Recht und Verbraucherschutz AfD auf Drucksache 19/20604? – Wer stimmt dagegen? – (6. Ausschuss) Enthaltungen? – Keine. zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfas- (Zuruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) sungsgericht 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20 und 1 BvR 288/20 – Entschuldigung? Drucksache 19/20632 (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie waren zu schnell, Herr Präsident!) Der Ausschuss empfiehlt, in den Streitverfahren eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, – Ich sehe das ein. – Noch einmal: Dafür stimmt die AfD- eine Prozessbevollmächtigte oder einen Prozessbevoll- Fraktion. Dagegen stimmen SPD, FDP, Die Linke, Bünd- mächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschluss- nis 90/Die Grünen, und die Union enthält sich offensicht- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält lich. sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der AfD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen (Manfred Grund [CDU/CSU]: Teile der Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen Union! – Gegenruf der Abg. Steffi Lemke der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zerstritten!) Tagesordnungspunkt 30 g: – Also, ich stelle dann fest: Teile der Union haben dage- gengestimmt und ungefähr die gleichen Teile der Union, Beratung des Antrags der Abgeordneten nur auf der anderen Seite, haben sich enthalten. Damit ist Johannes Huber, Martin Reichardt, Mariana Iris trotzdem der Wahlvorschlag abgelehnt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21231

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Zusatzpunkt 15 c: (Manfred Grund [CDU/CSU]: Enthaltungen! – (C) Dr. Florian Toncar [FDP]: Teile und Teile!) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP – Dann frage ich bei der Unionsfraktion – das will ich Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der jetzt mal sehen –: Wer enthält sich? – Also, ich kann von Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und hier aus feststellen: Optisch ist es der größere Teil der Zukunft“ CDU/CSU-Fraktion, der sich enthält. Gleichwohl ist die- Drucksache 19/20605 ser Wahlvorschlag gegen die Stimmen der AfD bei teil- weiser Enthaltung der Union mit den Stimmen der übri- Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der gen Fraktionen des Hauses und teilweiser Ablehnung FDP auf Drucksache 19/20605? – Wer stimmt dagegen? – auch der Union abgelehnt. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion der AfD ist der Wahlvorschlag der FDP mit den Stimmen der Damit sind die vom Deutschen Bundestag vorzuschla- übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. genden Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl in den Stiftungsrat bestimmt mit der Maßgabe, dass ein Sitz des Zusatzpunkte 15 d bis 15 f. Wahl von Mitgliedern des Deutschen Bundestages bis auf Weiteres vakant bleibt. Stiftungsrates der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh- Zusatzpunkt 15 f: nung. Unterrichtung durch den Präsidenten des Deut- Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und schen Bundestages Medien hat bereits die Wahlvorschläge der Bundesregie- rung, des Bundes der Vertriebenen, der Evangelischen Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der Kirche, der Katholischen Kirche und des Zentralrats der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Juden in Deutschland übermittelt. Dazu liegt Ihnen eine Unterrichtung auf Drucksache 19/20468 vor. Wahlvorschlag des Deutschen Bundestages ge- mäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 des Ge- Bevor wir zur abschließenden Wahl aller Mitglieder setzes zur Errichtung einer Stiftung „Deut- des Stiftungsrates kommen, müssen wir zunächst die sches Historisches Museum“ vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl in den Stiftungsrat benen- Von der Beauftragten der Bundesregierung nen. für Kultur und Medien gemäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 bis 4, Absatz 3 Satz 1 des Zusatzpunkt 15 d: Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deut- sches Historisches Museum“ übermittelte (B) Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU Wahlvorschläge (D) und SPD Drucksache 19/20468 Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Wir stimmen nun über den Gesamtvorschlag für die gemäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 des Mitglieder des Stiftungsrats auf Drucksache 19/20468 Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deut- einschließlich des soeben angenommenen Wahlvor- sches Historisches Museum“ schlags des Deutschen Bundestages ab. Der Gesamtvor- schlag kann nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt Drucksache 19/20466 werden. Wer stimmt für diesen Gesamtvorschlag? – Wer Wir kommen zunächst zu dem Wahlvorschlag der stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache Gesamtvorschlag bei Enthaltung der Fraktion der AfD 19/20466. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses an- stimmt dagegen? – Dann kann ich feststellen, dass dieser genommen. Die Mitglieder sowie die Stellvertreterinnen Wahlvorschlag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit und Stellvertreter des Stiftungsrates der Stiftung Flucht, den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- Vertreibung, Versöhnung sind damit gewählt. nommen wurde. Zusatzpunkte 15 g bis 15 k. Wahl von Mitgliedern des Zusatzpunkt 15 e: Stiftungsrates der Stiftung zur Aufarbeitung der SED- Diktatur. Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Zusatzpunkt 15 g: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und SPD gemäß § 19 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deut- Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der sches Historisches Museum“ „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- tur“ Drucksache 19/20467 Drucksache 19/20606 Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20467? – Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der Enthaltungen? – Keine. Oder bei der Union? – Auch CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/20606? – Wer keine Enthaltungen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist bei Ent- 21232 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) haltung der Fraktion der AfD dieser Wahlvorschlag mit Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- (C) den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- men. nommen. Zusatzpunkt 15 k: Zusatzpunkt 15 h: Wahlvorschläge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Wahlvorschläge der Fraktion der AfD GRÜNEN Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- tur“ tur“ Drucksache 19/20607 Drucksache 19/20610 Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion Bünd- AfD auf Drucksache 19/20607? – Wer stimmt dagegen? – nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/20610? – Wer Wer enthält sich? – Das war diesmal eindeutig. Dann ist stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist die- dieser Wahlvorschlag bei Enthaltung der Fraktion der ser Wahlvorschlag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion CDU/CSU gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses an- den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses – – genommen. (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Teile der Frak- Ich rufe den Zusatzpunkt 16 auf: tion! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Aktuelle Stunde Ich wiederhole die Abstimmung jetzt noch einmal: auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Wer stimmt für den Wahlvorschlag der AfD? – Die Frak- GRÜNEN tion der AfD. Wer stimmt gegen den Wahlvorschlag der AfD? – Das sind die Fraktionen von SPD, FDP, Die Der Fall Wirecard – Versagen von Aufsicht Linke, Bündnis 90/Die Grünen und sechs Mitglieder der und Wirtschaftsprüfung aufklären CDU/CSU-Fraktion. Sechs anwesende Mitglieder der Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- CDU/CSU-Fraktion. ner dem Kollegen Dr. Danyal Bayaz, Bündnis 90/Die (Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine Minder- Grünen, das Wort. heit!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Wer enthält sich? – Das sind etwas mehr als sechs, aber (D) nicht viel mehr Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, die Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich enthalten. Damit ist der Wahlvorschlag der AfD ab- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- gelehnt. ren! Cum/Ex, P&R-Anlegerskandal, jetzt Wirecard – das Zusatzpunkt 15 i: Erste, was dem Bundeswirtschaftsminister letzte Woche dazu eingefallen ist – ich zitiere –: „Wir hätten eine Wahlvorschläge der Fraktion der FDP solche Situation überall erwartet – nur nicht in Deutsch- Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der land.“ Die Geschichte der Finanzskandale in unserem „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- Land zeigt leider das Gegenteil. Wir müssen jetzt endlich tur“ aus den Fehlern lernen und Strukturen schaffen, damit effektiv geprüft wird. Das muss der Hauptzweck der Auf- Drucksache 19/20608 klärung sein, meine Damen und Herren. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) FDP auf Drucksache 19/20608? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Wahlvorschlag bei Da hilft es jetzt nicht, wenn alle Beteiligten sich auf Enthaltung der Fraktion der AfD mit den Stimmen der einmal als Opfer komplizierter Umstände darstellen: Der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Finanzminister zeigt auf die Aufsicht. Der BaFin-Präsi- dent verweist auf Regularien der EZB. Die Wirtschafts- Zusatzpunkt 15 j: prüfer EY sehen sich selbst betrogen. Der Wirtschafts- Wahlvorschläge der Fraktion DIE LINKE minister kündigt der DPR, der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, den Vertrag. Die DPR wiederum sieht Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der sich selbst als Bauernopfer. Es gibt ja beim Fußball den „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- Spruch: Nimm du ihn, ich hab ihn sicher. – Jeder verlässt tur“ sich auf den anderen. Keiner verteidigt den Ball. Und der Drucksache 19/20609 Gegner, in unserem Fall ein krimineller Gegner, schießt mühelos ins Tor, meine Damen und Herren. Bei allem Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion Die Respekt: Das ist kollektive Unverantwortlichkeit. Linke auf Drucksache 19/20609? – Wer stimmt dage- gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Wahlvorschlag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und zweier Mit- sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- glieder der anwesenden CDU/CSU-Fraktion gegen die KEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21233

Dr. Danyal Bayaz (A) Ja, es wurde geprüft. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Es die Probleme erkennen, die sie voraussehen, die nicht (C) gibt das Sondergutachten von KPMG. Dieser Bericht lockerlassen. wurde am 27. April 2020, also in diesem Jahr, vorgelegt. Auf Seite 16 kann man dort schwarz auf weiß nachlesen, Bei allem Respekt: Das können eben nicht nur Juristen dass auf Treuhandkonten rund 1 Milliarde Euro fehlt. Am sein. Da brauchen wir IT-Experten. Da brauchen wir In- 27. April wurde dieser Bericht vorgelegt! Was ist in der formatiker. Da brauchen wir auch Leute, die kriminalis- Zwischenzeit passiert? Der Aktienkurs ist kollabiert. Ge- tisch denken können. Wenn man diese Experten haben gen den Vorstand wird ein Haftbefehl erlassen. Die Insol- möchte, dann muss man sie auch entsprechend gut bezah- venz von Wirecard wird beantragt. len. Sonst kommen sie nicht; sonst laufen Staat und Auf- sicht den Entwicklungen immer wieder hinterher, so wie Nach alldem hat die DPR gestern eine Pressemittei- die DPR, die heute noch die Bilanz von Wirecard prüft, lung veröffentlicht. Da heißt es – ich zitiere –: um das rauszubekommen, was eigentlich schon jeder weiß und was in jeder Tageszeitung steht, meine Damen Nach Erhalt des vollständigen Berichts über die und Herren. Sonderuntersuchung Ende April 2020 wurde dieser ausgewertet, das Unternehmen Wirecard noch ein- Deswegen: Die Aufgabe des Finanzministers ist es mal angeschrieben und die Antworten ausgewertet, jetzt, eine konsequente Neuaufstellung der Finanzauf- sodass das Verfahren auf Ebene der DPR im Juli sicht auf den Weg zu bringen – keine Minireform –, eine 2020 beendet sein dürfte. Neuaufstellung, die klare, verbindliche, effektive Struk- turen schafft, die den technologischen Entwicklungen an Im Juli 2020, also jetzt, wo das Unternehmen bereits den Märkten auch gerecht wird und die vor allem den insolvent ist! nächsten Skandal verhindert. Meine Damen und Herren, wir haben es hier offenbar Sie haben da über die Sommerferien, glaube ich, die mit Strukturen zu tun, die effektive Prüfungen geradezu Aufgabe vor sich, genau das auszuarbeiten. Wir sind ganz unmöglich machen. Der Finanzminister steht jetzt auch gespannt auf Ihre Vorschläge. persönlich in der Verantwortung, jeden Stein umzudre- hen, auch seinen eigenen. Er ist in der Pflicht, die Auf- Herzlichen Dank. sicht so aufzustellen, damit sie endlich ihren Job machen kann, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KEN) sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- (B) KEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (D) Es hat allerdings jetzt nicht gerade einen vertrauens- Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der würdigen Eindruck gemacht, wie der Finanzminister den Kollege Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion. Wirecard-Absturz letzte Woche kommentiert hat. Zuerst hat er ja erklärt: Die Aufsichtsbehörden haben echt hart (Beifall bei der CDU/CSU) gearbeitet. – Kurze Zeit später, Stunden später, hat er eine Kehrtwende hingelegt und hat gesagt, na ja, die Wirt- Matthias Hauer (CDU/CSU): schaftsprüfer und die Finanzaufsicht seien dann doch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- nicht so effektiv gewesen. ren! Der Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard hat den Finanzplatz Deutschland erschüttert. 1,9 Milliar- Ich kann wirklich verstehen, dass ein hochbeschäftig- den Euro, angeblich angelegt auf philippinischen Treu- ter Finanzminister in einer akuten Coronakrise nicht je- handkonten: verschwunden oder nie dagewesen? Ein des Detail im Blick haben kann. Aber diese Geschichte Drittel der Bilanzsumme des Unternehmens: eine Fata gibt es ja nun mal nicht erst seit gestern. Es gibt seit Morgana? Durchsuchungen, Haftbefehle, ewig andauern- Jahren immer wieder Vorwürfe wegen gefälschten Bilan- de Prüfungen, ein DAX-Konzern im Sturzflug: Da gibt es zen. Journalistinnen und Journalisten im Ausland haben sehr viel aufzuklären. den Finger immer wieder in die Wunde gelegt. Zum Dank wurden sie übrigens von staatlichen Behörden angezeigt. Dabei gehören Versäumnisse schonungslos auf den Wir sprechen hier von einem DAX-Konzern. Ich glaube, Tisch. Das sind wir Anlegern, Mitarbeitern, Investoren, so was muss dann auch irgendwann mal im Laufe der Zeit aber auch allen anderen Akteuren am Finanzmarkt schul- über den Schreibtisch eines Ministers gegangen sein. dig. Unternehmen und Finanzaufsicht müssen verlässlich Auch das muss Teil der Aufklärung sein, meine Damen und ordnungsgemäß agieren. Ein solcher Fall darf sich in und Herren. Deutschland nicht wiederholen. Wir als CDU/CSU er- warten, dass der Skandal konsequent und lückenlos auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geklärt wird, sowohl strafrechtlich als auch aufsichts- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der rechtlich und politisch. FDP und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, die Finanzaufsicht ist eine wichtige, ist eine unver- zichtbare Institution der sozialen Marktwirtschaft. Sie Die bislang enthüllten Vorgänge bei Wirecard sind kann Vertrauen schaffen; sie kann aber auch welches zer- nicht nur ein Bilanzskandal. Sie sind ein einmaliger Vor- stören. Damit sie Vertrauen schaffen kann, müssen die gang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Strafrecht- Strukturen stimmen. Dafür müssen da Leute arbeiten, lich ist zunächst die zuständige Ermittlungsbehörde, die 21234 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Matthias Hauer (A) Staatsanwaltschaft, in der Pflicht. Hier laufen die Ermitt- exakt solche Rechte in jedem Stadium des Verfahrens? (C) lungen. Wir haben die Erwartung, dass diejenigen, die Das gilt es zu klären. Straftaten begangen haben, mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden. Der dritte Punkt: die Rolle der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung. Wie kann es sein, dass die Prüfung Aufsichtsrechtlich und politisch ist der Fall aber eben- weit über ein Jahr dauert? Die DPR hat betont, dass ihre so aufzuklären. Da komme ich nicht umhin – Dr. Bayaz Prüfungen derzeit streng nach den Vorgaben der Ministe- hat es gerade auch schon erwähnt –, mich mit der ersten rien von Frau Lambrecht und Herrn Scholz erfolgen und Reaktion unseres Bundesfinanzministers zum Fall Wire- dass sie – so steht es in der Pressemitteilung – von der card auseinanderzusetzen. Olaf Scholz hat am vorletzten Vertragskündigung durch die beiden Ministerien aus der Montag noch gesagt, die Aufsichtsbehörden hätten im Presse erfahren hat. Auch zu Ablauf und Dauer der Ver- Fall Wirecard ihren Job gemacht. – Das war in höchstem fahren gibt es reichlich Klärungsbedarf. Maß irritierend. Was heißt „ihren Job gemacht“? Heißt Vierter und letzter Punkt: die Beaufsichtigung von Fin- das „Weiter so“? Heißt das „Alles richtig gelaufen“? Das techs. Ob ein Unternehmen Finanzholding oder Techno- klang jedenfalls nicht wie der Startschuss für eine drin- logieunternehmen ist, hier muss Klarheit bei der Aufsicht gend notwendige politische Aufarbeitung. her. Gerade bei großen Playern mit einem Labyrinth aus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ausländischen Beteiligungen muss im Zweifel eine stär- neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE kere Aufsicht erfolgen. GRÜNEN) Abschließend bleibt festzustellen: Jetzt ist das Bundes- Und BaFin-Chef Felix Hufeld hat sich am selben Tag finanzministerium am Zug. Wir erwarten kurzfristig Ant- schon deutlich klarer geäußert. Er hat von einem „Desas- worten auf unsere Fragen. Ich nehme an, dass der Finanz- ter“ gesprochen. Immerhin äußert sich mittlerweile auch minister heute nicht da ist, weil er gerade an der Olaf Scholz anders. Er muss raus aus der Defensive und Beantwortung unserer Fragen intensiv arbeitet. Wir brau- mit konsequenter Aufklärungsarbeit beginnen. Wir haben chen ein BMF-Konzept, aus dem hervorgeht, wie solche dem BMF viele Fragen gestellt, auch zu seiner eigenen Unternehmen wirksamer kontrolliert werden können. Der Rechts- und Fachaufsicht über die BaFin. Unser gemein- Fall Wirecard erfordert unseren vollen Einsatz. sames Ziel muss es sein, Lücken und Schwächen im Auf- sichtsregime zu schließen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gestern im Finanzausschuss ist uns Herr Hufeld auf Kommen Sie zum Schluss, bitte. unsere Fragen keine Antworten schuldig geblieben. Ich (B) hoffe, das bleibt so. Wir dürfen erwarten, dass die BaFin Matthias Hauer (CDU/CSU): (D) nicht nur eine starke Aufsicht ist, sondern auch stark in Auch wenn morgen die parlamentarische Sommerpau- der Aufarbeitung des Falls Wirecard mitarbeitet. se beginnt, sage ich deutlich: Wir als Union stehen zur Aufklärung bereit, auch für mögliche Sondersitzungen (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Na ja! des Finanzausschusses während der Sommerpause. Mein Vertrauen ist geschwunden!) Vielen Dank. Zudem müssen wir klar beantworten, was Kernaufga- ben der BaFin sind, und vor allem, was sie nicht sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Dazu gehört zum Beispiel nicht das Führen von Ver- des Abg. Dr. Danyal Bayaz [BÜNDNIS 90/ gleichswebsites für Bankgebühren; das hatten die Grünen DIE GRÜNEN]) in der letzten Sitzungswoche beispielsweise beantragt. Dazu gehört aber auch nicht die zusätzliche Aufsicht über Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 38 000 Finanzanlagenvermittler, was Anliegen der SPD ist. Vielen Dank, Herr Kollege Hauer. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, liebe (Beifall bei der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, will ich aus Fürsorgegründen Wir alle in diesem Hohen Hause sollten politisch dazu darauf hinweisen, dass wir mächtig hängen; wir sind mit beitragen, dass sich die BaFin auf ihre Kernaufgaben dem Sitzungsende schon bei Freitagmorgen. Ich bitte die konzentrieren kann. Das ist – Fall Wirecard lässt grüßen – Parlamentarischen Geschäftsführer, vielleicht schon jetzt bitter nötig. Zahlreiche Problemfelder gilt es nun in den mal darüber nachzudenken, welche Lösungsmöglich- folgenden Wochen und Monaten zu beleuchten. Vier will keiten es im Laufe des Abends geben könnte, um die ich Ihnen exemplarisch nennen: Sitzungsdauer doch wieder auf das Normalmaß zu redu- zieren. Das war die ursprüngliche Absicht im Zusammen- Erstens: die Rolle der Wirtschaftsprüfer. Dazu wurde hang mit der Tatsache, dass wir jetzt auch am Mittwoch gerade schon einiges gesagt; dazu wird gleich Kollege länger tagen. Es war nicht die Absicht, am Donnerstag Fritz Güntzler noch einiges mehr sagen. Deshalb will über Mitternacht hinaus zu tagen. Also: Meine herzliche ich mich darauf beschränken, das anzusprechen. Bitte sollte vielleicht erhört werden. Punkt zwei: das zweistufige Verfahren der Bilanzprü- Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Kay fung. Wieso hat es Probleme nicht ans Licht gebracht? Gottschalk, AfD-Fraktion. Hatte die BaFin das Recht, selbst tätig zu werden, Son- derprüfungen durchzuführen? Oder braucht die BaFin (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21235

(A) Kay Gottschalk (AfD): der ein Hoffnungsschimmer. Wir wissen ja hier im Hohen (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Hause, dass die Deutschen ihr Geld lieber sparen, es Herren und vor allen Dingen liebe Sparer! Vorab möchte bestenfalls unter das Kopfkissen packen, was bei Nega- ich erklären: Deutschland braucht keine Behörde, die tivzinsen vielleicht sogar angezeigter ist. Aber mal ehr- hinterher – wie bei Prokon und P&R – erklären kann, lich, wo sollen die Leute ihr Geld denn noch anlegen bei was falschlief. Entweder muss die BaFin grundlegend Negativzinsen oder Nullzinsen auf dem Sparbuch? Und reformiert und mit mehr Prüfungsrechten ausgestattet jetzt passiert so was. Das ist doch eigentlich eine Farce. werden, oder sie gehört als unnützes Kostenmonster weg, meine Damen und Herren. Der Präsident der BaFin sagte in einem Interview: „Das ist ein komplettes Desaster, das wir da sehen, und (Beifall bei Abgeordneten der AfD) es ist eine Schande,“ – ja, es ist eine Schande – „dass so Übrigens, diese BaFin soll demnächst auch – der Kollege etwas passiert ist.“ Diese Aussage war wenigstens ehr- hat das gesagt – die Finanzvermittler überwachen. Lassen lich, und das erwarte ich von Ihnen hier auch: dass Sie Sie es einfach! sich ehrlich machen. Denn als Gesetzgeber haben Sie hier komplett versagt, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, der Fall Wirecard und die BaFin stehen Pate für: BaFin, Brücken, Banken – nix geht (Beifall bei Abgeordneten der AfD) eigentlich mehr in Deutschland. Die Bananenrepublik Berlin – vielleicht bald Grauer Markt international! Das „Der Spiegel“ schreibt dazu: „Nach Vorschrift ins De- haben auch – das werde ich Ihnen gleich belegen – Sie saster“. Ich will das Auftreten des Präsidenten gestern hier zu verantworten, die schon etwas länger hier sitzen. nicht weiter kommentieren. Ich kann nur sagen: Wäre Sie werden nämlich sehen: Die Geschehnisse um Wire- die BaFin für die Aufsicht von Atomkraftwerken – die card werden in die Geschichte eingehen – ein Skandal wir leider dank Frau Merkel und ihrer missratenen Ener- und ein Krimi! giepolitik nicht mehr haben – verantwortlich, dann wäre ganz Europa längst verstrahlt. Denn eins ist klar: Alle Hätte es diesen Skandal nicht gegeben, meine Damen hier – auch Sie im Saal – haben eklatant versagt. Und und Herren, Hollywood hätte ihn sich irgendwann ausge- da werden wir als AfD in den nächsten Wochen klar dacht. Denn alles ist da, was einen modernen Blockbuster und deutlich nachforschen. Wir werden nachfragen, wer eigentlich auszeichnet: ein Rising Star, am 24. September wann wie an dieser Stelle versagt hat. Wir werden alle 2018 die Commerzbank aus dem DAX gedrängt und vorliegenden Indizien prüfen. Und wenn wir einen Unter- selbst in die erste Börsenliga aufgestiegen – auch da ges- suchungsausschuss oder einen Sonderbeauftragten brau- tern interessante Ausführungen zu Herrn Hufeld –; Be- chen, damit wir den Fall lückenlos aufklären können, (B) trug und kriminelle Machenschaften – Mr. Kimble, nein, dann müssen wir eben auch dafür sorgen. Das sind wir (D) eher ein Vorstandsmitglied auf der Flucht –; Aufsichten den Sparern in diesem Lande schuldig. und Wirtschaftsprüfer, die offenbar durch einfache Ta- schenspielertricks am Farbkopierer über den Tisch gezo- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) gen worden sind; ein Kompetenzgerangel und ein Hin- und Herschieben von Verantwortlichkeiten, wobei – wie Ich werde zum Beispiel noch mal ganz genau wissen immer in diesem Lande – am Ende niemand schuld ge- wollen, wie die Prüfungen bei der DPR, der Deutschen wesen sein will. Prüfstelle für Rechnungslegung, von einem Mitarbeiter durchgeführt werden konnten, ohne dass bei der BaFin Natürlich kann man zum aktuellen Zeitpunkt noch mal irgendjemand Interesse dafür gezeigt hat. Darüber nicht genau sagen, was bei Wirecard passiert ist. Aber hinaus ist im Zusammenhang mit der ominösen E-Mail eins kann man mit Sicherheit sagen: Bei Wirecard handelt zu klären, ob vielleicht schon im Jahre 2016 Hinweise es sich definitiv um den größten deutschen Bilanzbetrug über Cashflow-Schwankungen und Bilanzunregelmäßig- in der Geschichte des Leitindex DAX – ein ausgemachter keiten der BaFin vorlagen. Herr Scholz – er ist jetzt nicht Anlegerskandal! Die „FAZ“ titelt dazu richtig: „Im Fall da –, Sie sollten tatsächlich einen Urlaubsstopp im gan- Wirecard hat das System versagt“. zen Bundesfinanzministerium verfügen; denn wir müs- Meine Damen und Herren, zu diesem System gehören sen schnellstmöglich aufklären, und wir müssen vor allen auch Sie. Sie hätten in der Vergangenheit einfach den Dingen nach der Sommerpause vernünftige Gesetzent- Schritt in die Zukunft wagen können und die Regularien würfe vorlegen, damit das in der Tat keine Lippenbe- so fassen müssen, dass ein Fintech wie Wirecard – woran kenntnisse bleiben, was Sie hier sagen, – auch eine Bank angehängt ist – unter die Gesamtaufsicht der BaFin kommt. Sie sind der Gesetzgeber, niemand Vizepräsident Wolfgang Kubicki: anders. Schieben Sie jetzt bitte schön nicht die Schuld Herr Kollege! der BaFin an dieser Stelle zu oder den Wirtschaftsprü- fern! Das ist an dieser Stelle nicht gerecht. Sie sind schon länger daran beteiligt. Kay Gottschalk (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der AfD) – damit dies in Zukunft nicht wieder vorkommt. Es bleibt zu hoffen, – Und immer wenn das System versagt, wird leider Geld vernichtet, das Geld der Anleger da draußen. Die Aktie rauschte von 104 Euro Mitte Juni auf nunmehr 1,42 Euro Vizepräsident Wolfgang Kubicki: am 29. Juni. Wirecard war gerade für Kleinanleger wie- Kommen Sie bitte zum Schluss. 21236 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Kay Gottschalk (AfD): es schon gehört: Es handelt sich um eine auf den ersten (C) – dass der Albtraum Wirecard nicht so enden wird wie Blick nicht vollkommen nachvollziehbare Zuständigkeit, die Causa Hypo Real Estate, getreu dem Motto: Die Klei- mit der wir es zu tun haben. Das Ganze dreht sich um die nen hängt man auf, und die Großen lässt man laufen. Frage: Was ist Wirecard eigentlich für ein Unternehmen? Das ist eine Holding – da hängt auch eine Bank mit drin –; aber es ist eben nicht als Finanzholding eingestuft wor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den. Deshalb hatte die BaFin eben auch nur einge- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. schränkte Möglichkeiten, zuzugreifen und einzuschrei- ten. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir das Kay Gottschalk (AfD): ändern können, wie wir einen schnelleren Eingriff er- Lassen Sie uns dieses Problem gemeinsam angehen. möglichen können, meine Damen und Herren. Danke. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp (Beifall bei der AfD) Müller [CDU/CSU]) Doch es stellt sich ja auch so ein bisschen die Frage: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Warum hat die BaFin nicht heute schon weiter gehende Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jens Eingriffsmöglichkeiten? Da ist es ganz spannend – vor Zimmermann, SPD-Fraktion. allem, wenn die FDP zuhört –, mal ins Jahr 2004 zurück- zuschauen, wo das entsprechende Bilanzkontrollgesetz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verabschiedet wurde. Da haben ja einige hier in der Mitte der CDU/CSU) und rechts irgendwie schon so ein bisschen gejubelt: Juchhe, das wurde 2004 von Rot-Grün verabschiedet. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Aber das Interessante ist – wir haben noch ein bisschen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was bei genauer nachgeschaut –: Auch im Bundesrat wurde da- Wirecard passiert ist, ist ganz eindeutig ein Skandal. mals nämlich über das Bilanzkontrollgesetz diskutiert. Auch wenn wir alle Details noch immer nicht kennen, Mein ehemaliger, geschätzter Kollege – ehemaliges Mit- obwohl Heerscharen von Wirtschaftsprüfern ausge- glied des Bundesbankvorstands – Carl-Ludwig Thiele hat schwärmt sind, um das aufzuklären – es ist noch vieles hier an dieser Stelle am 1. September 2004 zu diesem offen –, wissen wir: Wir reden hier ganz offensichtlich Gesetz geredet. Er hat gesagt – ich zitiere –: über Bilanzbetrug, über Marktmanipulation und über Milliardenbeträge. Deshalb brauchen wir jetzt eine kon- In dem ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die … (B) sequente Aufklärung der Situation. Es muss klargestellt BaFin … relativ weit gehende Eingriffsbefugnisse (D) werden, was schiefgelaufen ist, wer daran beteiligt war erhalten, die deutlich über die Formulierungen der und warum es nicht verhindert werden konnte. Und – da EU-Richtlinie hinausgingen. Diese Gesetzespassa- stimme ich meinen Vorrednern voll und ganz zu – es gen sind deutlich entschärft worden. Dafür haben müssen jetzt die richtigen Konsequenzen aus diesem wir uns eingesetzt. Wir freuen uns, dass das so ge- Skandal gezogen werden. kommen ist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias (Beifall bei der SPD) Hauer [CDU/CSU]) Das war der Kollege Carl-Ludwig Thiele 2004 an dieser Wenn ich mir anschaue, was der Finanzminister und Stelle in der Debatte um das Bilanzkontrollgesetz; ich die Justizministerin gemacht haben, dann kann ich nur will das ja nur mal an dieser Stelle erwähnen. sagen: Sie sind sofort einen ersten Schritt gegangen. Sie haben den Vertrag mit der DPR, mit einer der Institutio- (Dr. Florian Toncar [FDP]: Das war Rot-Grün! nen, die keine gute Rolle in dieser Konstruktion gespielt Das war ein rot-grünes Gesetz!) haben, gekündigt. Das war ein erster, schneller Schritt. – Das war ein rot-grünes Gesetz, das im Bundesrat zu- (Frank Schäffler [FDP]: Ein Bauernopfer!) stimmungspflichtig war. Sie können das alles mal nach- lesen. Es ging die ganze Zeit in der Debatte darum, was Jetzt müssen wir im Zusammenhang mit der Aufklärung der Bundesrat alles verhindert hat, was Rot-Grün alles an schauen, wie wir das Ganze neu aufstellen. Eine Sache ist Behinderungen für den Finanzplatz Deutschland schaffen klar: Hier war kriminelle Energie im Spiel, und nicht zu würde. Auch der Kollege Stefan Müller (Erlangen) hat knapp. Der Schaden von ungefähr 2 Milliarden Euro – sich dazu geäußert; das erzähle ich ein anderes Mal. Aber davon wissen wir bisher – ist nicht unerheblich. Aber es der Tenor war: Schwarz-Gelb hat verhindert, dass Rot- wurden Konten gefälscht. Es wurden Kontoauszüge vor- Grün der BaFin hier mehr Zugriffsmöglichkeiten gibt. getäuscht. Und – das ist der zweite Teil – in diesem ganzen Umfeld gab es offenbar auch Insidergeschäfte. (Cansel Kiziltepe [SPD]: So ist es! – Lothar Die Staatsanwaltschaft München ermittelt dort. Diese Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau so ist es!) Ermittlungen sollten wir abwarten, und wir sollten schauen, was dabei herauskommt. Aber das ist ein Teil Deswegen freue ich mich dann auch auf die weiteren der ganzen Geschichte. Diskussionen zu dem Punkt, meine Damen und Herren. Die Frage, die uns doch alle umtreibt, lautet: Warum (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ konnte die Aufsicht das alles nicht verhindern? Wir haben CSU: Das ist ja lachhaft!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21237

Dr. Jens Zimmermann (A) – Das ist nicht lachhaft. Das ist Teil der Geschichte der ist, ordnungsgemäß zu prüfen. Und genau das war der (C) Frage, warum die BaFin nicht härter und schneller ein- Fall. Im Februar 2019 war klar, dass das eigentlich keine greifen konnte: Aufgabe ist, die eine 25-Mann-Bude tatsächlich bewälti- gen kann. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, Geschich- te! – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das sind Aus- (Dr. Florian Toncar [FDP]: So ist es!) reden! Das schlechte Gewissen ist Ihnen doch Da muss das scharfe Schwert der BaFin kommen, um den anzusehen!) Gerüchten auch tatsächlich nachzukommen und tatsäch- weil wir ihr offenbar nicht die notwendigen Mittel ge- lich einem Ergebnis zuzuführen. Dass das nicht gesche- geben haben. Wir als SPD, meine Damen und Herren, hen ist, müssen Sie sich vorwerfen lassen. sagen ganz klar: Jetzt ist es Zeit, dass die BaFin und die Aufsichtsbehörden die notwendigen Zugriffsmöglichkei- (Beifall bei der FDP) ten bekommen, damit so was in Zukunft verhindert wird. Wir werden das – das will ich Ihnen versprechen – Herzlichen Dank. parlamentarisch untersuchen. Wenn Sie da nicht mitma- chen, dann wird dieser Fall nicht nur ein Fall von Herrn (Beifall bei der SPD – Sebastian Brehm [CDU/ Hufeld und von Frau Roegele, sondern dann wird das ein CSU]: Wer ist der Chef? Der Chef ist der Fi- Fall des Finanzministers. Denn er hat die Rechts- und nanzminister! Sehr schwacher Auftritt!) Fachaufsicht über die BaFin. Und wenn er nicht Struktu- ren schafft, die dafür sorgen, dass man so einen Skandal Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rechtzeitig bearbeiten und tatsächlich kontrollieren kann, dann ist es auch sein Fall. Deshalb frage ich mich: Wo ist Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der er heute eigentlich? Kollege Frank Schäffler, FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU und der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das fragen wir uns auch!) Frank Schäffler (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr 20 Milliarden Euro Börsenkapitalisierung sind durch Zimmermann, Sie haben damals regiert, Sie haben dieses diesen Betrugsfall vernichtet worden. Börse kann nur Gesetz gemacht, und deshalb müssen Sie auch die poli- funktionieren, wenn es auch tatsächlich Vertrauen gibt: tische Verantwortung tragen. Vertrauen in einen Rechtsstaat, Vertrauen in die Börse, Vertrauen in die Fachaufsicht. Aber wenn beide, die Bör- (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten se und die Fachaufsicht, nicht richtig funktionieren, dann (D) der CDU/CSU) kann auch der Rechtsstaat nicht richtig funktionieren, und Ihr Bundesfinanzministerium hat die Fach- und die dann gibt es kein Vertrauen von vielen Tausend Anlegern Rechtsaufsicht über die BaFin. Deshalb müssen Sie sich in unsere Börse. Deshalb, glaube ich, ist es aktuell ganz auch zurechnen lassen, was die BaFin gemacht hat. notwendig, dass sich der Finanzminister schnell mit die- sem Fall beschäftigt. (Dr. Florian Toncar [FDP]: Oder auch nicht gemacht hat!) An die Kollegen von der Union zum Schluss: Ich glau- be, Sie müssen verhindern, dass dieses Projekt der Fi- Die BaFin hat nichts gesehen, nichts gehört und nichts nanzanlagevermittler tatsächlich noch in diesem Jahr re- gesagt. Das ist das, was Sie sich anheften lassen müssen. alisiert wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Stattdessen wollen Sie der BaFin immer neue Aufga- Wir müssen erst mal dafür sorgen, dass hier aufgeräumt ben geben. 38 000 Finanzanlagevermittler sollen zum wird, dass innerhalb der BaFin auch Strukturen überprüft nächsten Jahr unter die BaFin-Aufsicht gestellt werden. werden. Es muss jeder Stein umgedreht werden, um zu Kümmern Sie sich doch erst mal darum, dass die beste- prüfen, ob es vernünftig funktioniert, ob tatsächlich nur henden Aufgaben der BaFin ausgeführt werden, und zwar abgeheftet wird, ob diese Dinge auch wirklich angegan- richtig ausgeführt werden! gen werden. Das muss jetzt überprüft werden. Deshalb sind Übertragungen neuer Aufgaben an die BaFin ein (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) völlig falsches Signal. Nicht nur Corona schadet zurzeit Es ist nicht so – das werden wir Ihnen noch nachwei- den Finanzanlagevermittlern, sondern auch der Finanz- sen –, dass die BaFin nicht hätte eingreifen können. Ich minister Olaf Scholz. sage Ihnen: Die BaFin hätte eingreifen müssen. Das zweistufige Verfahren sieht nämlich vor, dass die BaFin Vielen Dank. bei erheblichem Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung durch die Prüfstelle hätte ein- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: greifen können. Die ordnungsgemäße Prüfung umfasst Vielen Dank, Herr Kollege Schäffler. – Nächster Red- nicht nur die Frage, ob die Prüfstelle das selbst leisten ner ist der Kollege Fabio De Masi, Fraktion Die Linke. kann, sondern ob es auch andere Erkenntnisse gibt, wo sie zum Urteil kommt, dass die Prüfstelle nicht in der Lage (Beifall bei der LINKEN) 21238 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Fabio De Masi (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) (C) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Der Manager Jan Marsalek ist auf der Flucht. Ich Skandal um Wirecard ist eine Blamage für den Finanz- möchte Herrn Marsalek übrigens an dieser Stelle ausrich- platz Deutschland. Wirecard galt lange als das Wunder- ten, dass die Haftbedingungen in Deutschland mutmaß- kind der Deutschen Börse, und wir bekommen wieder lich erträglicher als in China oder auf den Philippinen eine alte Börsenweisheit bestätigt: Gier frisst Hirn. sein dürften. Wir müssen über Betrug sprechen, wir müssen aber auch über Aufsichtsversagen sprechen und, ja, wir müs- (Heiterkeit der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE sen auch über Politikversagen sprechen. Keine Sorge: LINKE]) Jeder hier im Raum bekommt noch sein Fett ab. Meine Fraktion erwartet auch, dass diese Manager mit (Beifall bei der LINKEN – Fritz Güntzler ihrem privaten Vermögen haften. [CDU/CSU]: Sie selbst auch?) (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte hier für meine Fraktion festhalten: Es war Es gab seit langer Zeit Berichte über Unregelmäßigkei- meine Fraktion, die die ersten und einzigen Anfragen ten und Geldwäsche bei Wirecard; denn Wirecard ist mit (Frank Schäffler [FDP]: Wir auch!) der Abwicklung von Zahlungen in der Pornoindustrie und außerhalb Schleswig-Holsteins mit illegalen Online- zu einem sehr frühen Zeitpunkt zu den Vorwürfen gegen wetten groß geworden. Die deutsche Finanzaufsicht hat Wirecard gestellt hat, zwei Kleine Anfragen und zwei Anzeige gegen Journalisten der „Financial Times“ ge- schriftliche Fragen. stellt, die kritisch berichtet haben. Der Vorwurf lautete, (Dr. Florian Toncar [FDP]: Nein, das haben wir sie steckten mit Leerverkäufern, also Spekulanten, die auch!) auf fallende Kurse wetten, unter einer Decke. Die BaFin ist bis heute den Nachweis schuldig geblieben, dass die – Ja, es gab im Anschluss auch eine Anfrage der FDP Journalisten Spekulanten vorab über ihre Berichte infor- (Dr. Florian Toncar [FDP]: Vor einem Jahr!) miert hätten; denn auch Wirecard war über die Bericht- erstattung informiert. zum Leerverkaufsverbot und zu den Vorwürfen gegen Journalisten. Ich zitiere mal, was der Kollege Schäffler Die Vizepräsidentin der BaFin, Frau Roegele, die für zum Ergebnis dieser Anfrage gesagt hat. Er sagte, die diese Anzeigen in der Wertpapieraufsicht verantwortlich BaFin habe richtig gehandelt. zeichnete, hat auch eine illustre Vergangenheit: Sie war Justiziarin der DekaBank und hat damals entschieden der (B) (Beifall bei der LINKEN) Bank empfohlen, gegen Steuerbehörden in Deutschland (D) Der Geschäftsführer der Jungen Liberalen hat mich zu klagen, weil sie ihr die kriminellen Cum/Ex-Erträge dafür kritisiert, dass ich von „dunklen Kellern“ bei Wire- nicht mehr auszahlen wollten. Das zeigt: Wir haben ein card sprach. Sprechen wir also über politische Verant- fundamentales Problem, auch in der Finanzaufsicht zu wortung: Herr Altmaier stellt sich hierhin und sagt, ein viel Nähe zur Finanzindustrie. solcher Skandal sei in Deutschland nicht denkbar gewe- sen. Dann hat er sich wohl noch nicht mit den Problemen (Beifall bei der LINKEN) der BaFin beschäftigt. Herr Scholz sagt an einem Tag, wo Meine Fraktion hat der Auftritt von Herrn Hufeld im der Präsident der BaFin, Herr Hufeld, Kreide gefressen Ausschuss nicht überzeugt; denn er argumentiert ja so, hat und von einer „Schande für Deutschland“ spricht, die dass er sagt: Im Prinzip ist Wirecard so was wie Volks- BaFin habe einen harten Job gemacht. Ja, verehrte Da- wagen. men und Herren, wenn das ein harter Job war, dann will ich nicht wissen, wie der schlechte Job aussieht. (Zuruf von der LINKEN: Ja, ganz genau!) (Beifall bei der LINKEN) Da sind wir zuständig für die Bank, aber wir sind nicht zuständig für den Abgasskandal; denn das betrifft ja die Die Union will ich nur daran erinnern, dass man sich Autos. – Wirecard baut aber keine Autos. Sie haben zum Beispiel in der Bayerischen Staatsregierung dafür Technologie, um Finanzdaten abzuschöpfen, und sagen, auf die Schulter geklopft hat, dass Wirecard umsonst dass sie mit dieser überragenden Technologie dann Kre- Coronahilfen für sie abgewickelt hat. Herr Gauweiler ditausfallrisiken zum Beispiel besser abschätzen können. war sogar der Anwalt von Wirecard im Verfahren gegen Aber sie sind selbst nach Darstellung der BaFin in dieser die Journalisten der „Financial Times“. Insofern stünde Leerverkaufsverfügung ein Anbieter von Zahlungsdiens- Ihnen allen etwas Demut gut zu Gesicht. ten. Einen Widerspruch konnte Herr Hufeld hier nicht (Beifall bei der LINKEN) auflösen. Er hat nämlich gesagt, dass man damals nicht in der Lage gewesen sei, sie als Finanzholding einzustu- Kommen wir aber zur Sache. Wirecard hat mutmaßlich fen, damit die BaFin mehr direkte Zugriffsrechte hat, dass ein Schneeballsystem entwickelt, Umsätze fingiert, und er sich jetzt aber darum bemühe. Allerdings gab es seither es fehlen 1,9 Milliarden Euro oder ein Drittel der Bilanz- keine rechtlichen Änderungen. Insofern glauben wir, dass summe. Die Commerzbank und die KfW stecken mit Herr Hufeld nicht geeignet ist, die BaFin neu aufzustel- 300 Millionen Euro Krediten drin, damit auch der Steuer- len. zahler, und deswegen ist es eine Katastrophe, dass die Finanzaufsicht hier gepennt hat. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21239

Fabio De Masi (A) Wir müssen auch über die Haftung der Wirtschafts- Meine Damen und Herren, das wirft viele, viele Fragen (C) prüfer sprechen; denn sie unterliegen einem fundamenta- auf, die beantwortet werden müssen. Ja, das erwarten wir len Interessenkonflikt. Sie werden von den Unternehmen zum 15. Juli vom Bundesfinanzminister und keine Flucht bezahlt, die sie auch prüfen sollen. Im „Spiegel“ stand, in die rot-grüne Vergangenheit. Wir müssen klar und dass der Vorstand von Wirecard gerne in einem Boxstall deutlich jetzt und heute die Nachlässigkeiten, die Fehl- zu Gast war, mit Zigarren, Whisky, Mädels – das ganze einschätzungen und Missstände aufklären. Das ist das Programm – und den Wirtschaftsprüfern im Schlepptau. Mindeste, was die Öffentlichkeit erwarten darf, und wir als Parlament sind dafür verantwortlich und zuständig. Das zeigt: Wir haben noch viel zu tun, und Die Linke wird dies wie in der Vergangenheit angehen. Wir laden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie gerne dazu ein, mitzumachen. ordneten der FDP) Vielen Dank. Der Fall Wirecard braucht eine klare Prüfung und Ant- worten, keine Ausreden. Ich erwarte vom Bundesfinanz- (Beifall bei der LINKEN) minister zügig Aufklärung der vielen noch offenen Fra- gen: Warum wurde Wirecard nicht im Ganzen als Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Finanzholding geprüft, sondern nur die ganz vorne ein- fach vorgestellte Wirecard Bank? Warum wurden Kriti- Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Nächster Red- ker und sogar Journalisten von der BaFin durch Anzeigen ner ist der Kollege Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU- bedroht? Warum hat die BaFin mit einem Leerverkaufs- Fraktion. verbot das falsche Signal an den Finanzmarkt gesendet, (Beifall bei der CDU/CSU) bei Wirecard sei alles in Ordnung? Warum wurde die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung beauftragt, die überhaupt nicht auf die Prüfung von Bilanzbetrug Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (CDU/ ausgerichtet ist? Man schiebt denen jetzt eine Schuld CSU): hin. Bilanzbetrug ist aber gar nicht deren Feld. Warum Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für wurde nicht erkannt, dass die Bilanzrelationen nicht stim- uns gilt der Grundsatz: Alle Finanzmarktteilnehmer müs- men können? Das hätte man aus der heutigen Sicht sen darauf vertrauen können, dass sie unter einem funk- eigentlich klar erkennen müssen. tionierenden Schutz stehen, wenn sie in Firmen investie- ren, die im regulierten Markt gelistet sind. Das hat im Fall Und ich erwarte vom Bundesfinanzminister auch Vor- Wirecard nicht funktioniert. Wir haben den größten Fall schläge für eine stärkere Konzentration der Aufsicht auf die systemrelevanten Fälle (B) von Bilanz- und Kapitalanlagebetrug. Das ist ein sehr (D) ernster Vorgang, der dringend aufgeklärt werden muss. (Zuruf von der FDP: So ist es!) Der Fall Wirecard bedeutet einen massiven Ver- statt einer Ausweitung der Prüfung auf jeden kleinen trauensverlust für den Finanzplatz Deutschland. Er stellt Finanzanlagenvermittler, meine Damen und Herren. einen Großschaden für Anleger und Banken, eine Blama- ge für unseren Wirtschaftsstandort dar, er zeigt ein Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sagen in der Aufsicht, er wirft massive Fragen zur Qua- bei Abgeordneten der AfD) lität von Wirtschaftsprüfung auf. Meine Damen und Herren, ja, es ist geradezu unfassbar, dass sich 1,9 Milliar- Letzteres macht die IHK zufriedenstellend. Dieses Ge- den Euro einfach so in Luft auflösen, dass sich ein DAX- setz – und ich appelliere noch mal an den Koalitions- Konzern quasi über Nacht in fast nichts auflöst. So etwas partner und an den Bundesfinanzminister – gehört jetzt hat es noch nicht gegeben. einfach zurückgezogen und sollte nicht weiter vorange- trieben werden. Der Vorgang ist so unfassbar, weil es im Vorfeld ja nicht an Warnungen und Berichten über Ungereimtheiten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Wirecard gefehlt hat – und das über Jahre, meine bei Abgeordneten der AfD) Damen und Herren! Aber diese Berichte und Warnungen Das geht nicht. Man hat gesehen, dass es hier andere, haben weder bei der BaFin noch bei den Wirtschaftsprü- wichtigere Aufgaben gibt. fern von Ernst & Young zu den richtigen Entscheidungen geführt. Wir haben ja gemeinsam im Finanzausschuss vor (Zuruf von der AfD: Da nehme ich Sie beim einem Jahr das Thema Wirecard hochgezogen, und da Wort! – Zurufe von der SPD) wurde vom Bundesfinanzministerium und von der BaFin Meine Damen und Herren, wir müssen zügig alles tun, nichts gesagt – das muss man einmal feststellen –, ob- um die Wiederholung eines Falles Wirecard zu verhin- wohl klar war, dass hier etwas im Feuer ist. dern. Die BaFin benötigt eine schlagkräftige Taskforce (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und selbst eine gründliche Prüfung. Um Prüfungen vor- der FDP – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Un- nehmen zu können, müssen wir auch die Unabhängigkeit glaublich!) des Abschlussprüfers stärken. Nicht zuletzt muss die zehnjährliche Rotation bei den großen Wirtschaftsprü- Nur die Sonderprüfung der KPMG förderte ein Milliar- fungsgesellschaften überprüft werden. Der Rotationszeit- denloch zutage, das die Bilanz von Wirecard geradezu raum muss deutlich verkürzt werden, um einer zu großen pulverisierte. Nähe zwischen Prüfern und Geprüften vorzubeugen. Und 21240 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (A) abschließend: Wir brauchen eine klare Trennung zwi- vention, etwa die Stützung durch Banken. Das alles ist (C) schen Prüfung und Beratung. offensichtlich nicht gewollt. Also müssen die Probleme hier sehr, sehr tief liegen. (Cansel Kiziltepe [SPD]: Wow!) Die Staatssekretärin Ryglewski gibt sich die Ehre, heu- Wir müssen also zügig nachrüsten, um das Vertrauen in te anwesend zu sein, ganz im Gegensatz zu unserem den Finanzstandort Deutschland wiederherzustellen. An- Bundesfinanzminister, den ich hier eigentlich erwarte. leger müssen sicher sein, dass Finanzprodukte in Vizekanzler Olaf Scholz – wir haben den größten Bilanz- Deutschland seriös und vertrauenswürdig sind. Das ist skandal und DAX-Skandal in der deutschen Nachkriegs- die Aufgabe, die wir haben – eine schwierige Aufgabe geschichte – hält es nicht für nötig, sich auf die Regie- nach diesem Desaster. rungsbank zu setzen. Das ist eine Riesenkatastrophe. Er Vielen Dank. war sonst auch in Sachen Wirecard relativ schmallippig, genauso wie die Staatssekretärin Ryglewski. Sie jeden- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- falls hat noch stockend in einer Erklärung behauptet, ordneten der FDP) kritische Fragen müssten jetzt an die Wirtschaftsprüfer und die Aufsichtsbehörden gestellt werden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Zuruf von der AfD: Immerhin! – Metin Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Michelbach. – Nächster Hakverdi [SPD]: Also, wo ist jetzt das Pro- Redner ist der Kollege Stefan Keuter, AfD-Fraktion. blem?) (Beifall bei der AfD) Damit hat sie aber recht. Etwas substanziierter hat sich hier der Präsident der BaFin geäußert, der Felix Hufeld. Stefan Keuter (AfD): Er sagte: Bereits Anfang 2019 gab es Infos von Whist- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- leblowern, dass es ganz gigantische Probleme bei Wire- ren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir reden card gibt. heute über den Fall Wirecard. Das Unternehmen ist insol- vent, und es ist ein gigantischer Schaden für den Finanz- Wir sprachen gerade eben über das schärfste Schwert; platz Deutschland entstanden, für die Anleger, sowohl die Herr Schäffler, Sie hatten das Wort in den Mund genom- privaten als auch die institutionellen – gerade die institu- men. Ich musste eben bei Ihrer Rede schmunzeln, weil tionellen, die zum Teil unsere Altersvorsorge anlegen, genau das der Felix Hufeld sagte. Er sagte, man hätte sind hier gewaltig in Mitleidenschaft gezogen worden –, bereits als BaFin das schärfste Schwert geschwungen aber auch für die Kunden und Kooperationspartner der und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, der (B) Wirecard AG. DPR e. V., einem eingetragenen Verein, eine Aufforde- (D) rung erteilt, sich doch mal Wirecard näher anzugucken. Ein DAX-Unternehmen mit Banklizenz geht pleite. Das hat man auch getan. Da saß ein Prüfer dran. Als Wie kann das passieren? Lassen Sie uns einmal eine Be- Anmerkung: Die Prüfdauer bei der DPR beträgt derzeit standsaufnahme machen. im Schnitt 13,1 Monate. Gut, die BaFin war das Problem erst mal los. Aber das eigentliche Problem ist dieses Bereits im letzten Jahr wurde die KPMG-Wirtschafts- zweistufige Prüfsystem. Erst prüft die DPR, und dann erst prüfungsgesellschaft mit einer Teilprüfung von Unter- hat die BaFin eine Zugriffsmöglichkeit. Wir können also nehmenszahlen aus dem Jahr 2018 beauftragt. Das verlief hier von einem Versagen der DPR sprechen. ohne Erfolg. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young haben am 18. Juni 2020, also dieses Jahr, das Testat ver- (Zuruf des Abg. Frank Schäffler [FDP]) weigert, weil Guthaben von 1,9 Milliarden Euro – wir Das hat der Felix Hufeld auch bestätigt, dass er mit die- lassen uns das einmal auf der Zunge zergehen: das sind sem Zustand nicht glücklich ist. 1 900 Millionen Euro – nicht auffindbar waren. Sie waren wahrscheinlich nicht existent oder sind weggekommen; An dieser Stelle kann ich an die Adresse der BaFin ganz sicher sind wir uns da nicht. sagen: Wir sind damit auch überhaupt nicht glücklich. Die BaFin hat kein Ersatzvornahmerecht; das ist richtig. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Genau wie bei Aber die Tochter der Wirecard AG, die Wirecard euch in der Schweiz!) Bank AG, liegt sehr wohl im Verantwortungsbereich Am 22. Juni dieses Jahres hat dann das Management von der BaFin. Wirecard eine Stellungnahme abgegeben und hat behaup- tet, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seien diese (Zuruf des Abg. Frank Schäffler [FDP]) Gelder überhaupt nicht existent. Die hätte man prüfen können. Aber ich habe das Gefühl, dass hier der Spruch gilt: Stumpf ist Trumpf. Wir machen Die Folge war der Insolvenzantrag, der dann schnell stumpf unsere Prüfung der Bank, gucken nicht nach links, nachgeschoben wurde – wegen drohender Zahlungsun- gucken nicht nach rechts, gucken uns gar nicht die Kon- fähigkeit oder Überschuldung. Ja, was nun: drohende zernverflechtungen an. Da schickt man erst mal die DPR Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung? Beides hin. schwer vorstellbar. Die Probleme müssen aber deutlich tiefer liegen. Denn wenn ein so großes Unternehmen in Das Hauptproblem aus meiner Sicht ist, dass man hier wirtschaftliche Schieflage gerät, dann kann man eine Ka- eine Einstufung als Technologieholding und nicht als Fi- pitalerhöhung machen, dann können Gläubiger im Rang nanzholding hatte. Bei einer Finanzholding hätte die Ba- zurücktreten. Es gibt hier viele Möglichkeiten der Inter- Fin, auch ohne hier ein bisschen umsichtiger zu sein, auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21241

Stefan Keuter (A) die Machenschaften schon viel früher stoßen können. Der Jede Minute obendrauf heißt eben noch mal eine halbe (C) Präsident der BaFin sagte auch noch: Mit dem Wissen Stunde hintendran. von heute könnte man durchaus eine Einstufung als Fi- nanzholding rechtfertigen. Dann hätte man auch eine di- Nächste Rednerin ist die Kollegin Cansel Kiziltepe, rekte Prüfmöglichkeit nach § 44 Kreditwesengesetz. – SPD-Fraktion. Das ist richtig. Aber hier erwarte ich von unserer obersten (Beifall bei der SPD) Bankenaufsichtsbehörde, dass sie ein bisschen über den Tellerrand hinausschaut, dass sie nach links schaut, dass sie nach rechts schaut und solche Skandale gerade im Cansel Kiziltepe (SPD): größten deutschen Leitindex, dem DAX, verhindert. In Das Glas ist so halb gefüllt. einem krisenhaften Umfeld ist ein zweistufiges Verfahren nicht optimal. Da stimme ich der BaFin zu. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Natürlich kannten wir Berichte. Natürlich gab es Hin- Nein, Frau Kollegin, es ist ein neues Glas hingestellt weise, nicht zuletzt von dem FT-Blogger Dan McCrum. worden. Es handelt sich um reines Wasser.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Cansel Kiziltepe (SPD): Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Unternehmen Wirecard ist das System Trump im deut- Stefan Keuter (AfD): schen DAX. Statt der Selbstkritik scheint dieses Unter- nehmen nur eins zu kennen: nämlich die Diffamierung Ja. Herr Präsident, Sie sagten eben, dass Sie heute ein des Gegners. Hier versuchte ein Unternehmen nicht, bisschen großzügiger sind. den Geist des Silicon Valley zu verkörpern, sondern die (Lachen bei der CDU/CSU – Sebastian Brehm Scheinwelt der Prahler und Protzer. Diese Parallelwelt [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt!) können und werden wir nicht dulden. Ich sehe trotzdem zu, dass ich zum Ende komme. (Beifall bei der SPD) Wer sind die Schuldigen? Die Schuldigen sind die Der Umgang mit Kritik zeigt dies deutlich: Statt sie mit Wirtschaftsprüfer. Die Schuldigen sind bei der DPR zu Fakten zu entkräften, scheint Wirecard nur Klagen und suchen, bei der BaFin, nicht zuletzt aber auch beim Bun- Unterstellungen als Antwort zu kennen. Diese Form von desfinanzministerium und bei der Bundesregierung. Kultur, sei es in der Politik oder in der Wirtschaft, darf in (B) diesem Land keinen Platz haben; denn sie ist Ausdruck (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eines korrupten Systems, das wir nicht hinnehmen wer- den, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Kollege! (Beifall bei der SPD) Stefan Keuter (AfD): Wir haben es hier mit einem großen Sumpf zu tun; den Die Aktienmarktanalysten hierzulande waren offenbar müssen wir austrocknen. betrunken vom scheinbaren Erfolg eines deutschen Start- ups. In ihrem Rausch haben sie selber auch keine kriti- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Wo war die schen Fragen mehr gestellt und lieber gegen Journalisten AfD?) aus London gepöbelt. Auch wenn wir vorsichtig sein müssen, seien wir doch ehrlich: Es waren investigative Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir einen Unter- Journalisten, die viele Finanzskandale in den vergange- suchungsausschuss bekommen. Dann werden wir gu- nen Jahren aufgedeckt haben. Die Vorstellung, dass etwas cken, wer alles Verantwortung hierfür trägt. über jede Kritik erhaben ist, nur weil es aus Deutschland Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. kommt, hat in der Geschichte schon viel Leid ausgelöst. Und wir mussten wieder lernen, dass dieser nationale (Beifall bei der AfD – Fritz Güntzler [CDU/ Stolz viel zu viele Menschen blind macht. CSU]: Wenn die AfD dann auch mal teilnimmt und nicht wie im Ausschuss immer rausgeht!) Wirecard ist aber auch eine andere Lektion für uns, eine Lektion, die wir in den letzten Jahren nicht zum Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ersten Mal beobachten müssen: Dass immer wieder Betrüger am Werke sind, werden wir wohl nicht aufhalten Herr Kollege, wenn Sie sich jetzt dafür einsetzen, dass können. Aber Wirecard zeigt uns, dass Vertrauen in die auch die AfD-Fraktion Reden zu Protokoll gibt, dann Selbstverwaltung ohne Aufsicht nicht ausreicht, liebe haben Sie die 40 Sekunden obendrauf verdient. Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: 40 Sekunden?) (Beifall bei der SPD) – Ja, es tut mir leid. – Bei Fünfminutenbeiträgen in der Ja, das reicht nicht aus. Wir müssen kontrollieren, und das Aktuellen Stunde sollte man aber die Zeit schon einhal- im Zweifelsfall auch mehrfach. Denn es kann tatsächlich ten. nicht sein, dass ein Betrug in diesem Ausmaß möglich ist und gleichzeitig alle von sich behaupten, ihre Aufgaben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) pflichtgemäß erfüllt zu haben. 21242 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Cansel Kiziltepe (A) Ich frage Sie: Wie kann es sein, dass ein Viertel der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Bilanz aus der Luft gegriffen ist, Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirecard Ein Drittel!) ist wirklich ein beispielloser Bilanzskandal in Deutsch- obwohl eine der größten Wirtschaftsprüfungskanzleien land. Millionen von Anlegern sind betroffen. Da Wire- dem Unternehmen jahrelang saubere Bücher bescheinigt card ein DAX-Konzern ist, ist jeder Anleger mit einem hat? Wie kann das sein? Das System ist doch kaputt, Indexfonds dabei. Es ist ein massiver Schaden für den wenn Wirtschaftsprüfer keine Kontoauszüge ihrer Kun- Finanzplatz Deutschland. Denn was 2018 mal so symbol- den sehen wollen. Hier ist auch Wirtschaftsminister trächtig zelebriert wurde – der „Spiegel“ titelte damals: Altmaier gefragt. Börsenstar Wirecard – Fintech-Unternehmen verdrängt Commerzbank aus dem DAX –, das zerplatzte eben nach (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Herr Scholz ist nur zwei Jahren und entpuppte sich als riesige Seifen- zuständig! Weitere Zurufe von der CDU/CSU: blase. Von den damals 200 Euro pro Aktie sind heute Herr Scholz!) noch 3 Euro übrig, meine Damen und Herren. Und die Wo ist Herr Altmaier eigentlich? – Auch nicht da. Dem verheerende Botschaft an die Welt aus Deutschland von Wirtschaftsminister Altmaier obliegt nämlich die Auf- heute lautet: In Deutschland kann ein Unternehmen mit sicht über die Wirtschaftsprüfer. Herr Altmaier muss einer Bilanz, die offenbar seit Jahren Luftbuchungen in uns erklären, wer für den Schaden durch die Wirtschafts- Höhe von einem Drittel der Bilanz enthält, zu einem prüfer haftet, liebe Kolleginnen und Kollegen. DAX-Konzern aufsteigen. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren! Das ist ein Riesenskandal. (Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre gut, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beide hier gewesen wären!) sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Der Betrug bei Wirecard ist der größte Bilanzbetrug in Europa. Es ist aber nicht der erste Fall. Die Skandale in Angesichts dessen gab es zwar eine kurze Irritation; der Vergangenheit haben dazu geführt, dass die soge- aber dann war die Flucht nach vorn von Finanzminister nannte Bilanzpolizei gegründet wurde, ein von Wirt- Scholz und Präsident Hufeld auch wirklich die einzige schaftsverbänden getragener privatrechtlicher Verein. Möglichkeit. Denn Kleinreden ist bei dieser Angelegen- Genau dieses System hat in diesem Fall versagt. Was heit wirklich überhaupt keine Option. Starke Worte allei- zeigt uns das? Es zeigt uns: Es gibt keine Selbstkontrolle ne reichen aber eben auch nicht. Der Skandal muss kon- (B) der Wirtschaft. Diese Aufgabe muss vom Staat ausge- sequent und lückenlos aufgeklärt werden. Die Sitzung (D) führt werden. Deshalb werden wir als SPD-Fraktion die des Finanzausschusses gestern war dazu nur ein Auftakt, Kontrollen straffen und die Aufsicht verbessern. meine Damen und Herren, da noch ganz viel aufgeklärt werden muss. Aber zwei Dinge sind heute schon klar: (Beifall bei der SPD – Matthias Hauer [CDU/ CSU]: Kernaufgabe!) Erstens. Es gibt massive Lücken und Schwächen im Aufsichtsregime für den digitalen Finanzmarkt und für Und versetzen Sie sich mal in die Lage der Tausenden Mischkonzerne, und dabei geht es im Kern nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jeden Tag ihre Le- um die richtige Einordnung, also: War die Wirecard AG bensenergie Wirecard gewidmet haben. Diese Menschen jetzt doch eine Finanzholding oder nur eine Technologie- mussten entdecken, dass sie ihre Zeit in den Erhalt einer holding? Nur das Verschwinden von 1,9 Milliarden Euro Lüge investiert haben – mehr Schein als Sein –, eine machen einen Technologiekonzern noch nicht zu einer Lüge, die dem Ego des Vorstandes und einiger testoste- Finanzholding. Wir brauchen eine Anpassung der Regu- rongeladener Menschen in der Finanzwelt diente. lierung für Bank-Tech-Mischkonzerne. Anders wird auch der massive Vertrauensverlust der Anlegerinnen und An- (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Viel- leger nicht zurückzugewinnen sein, meine Damen und leicht erst einmal an die Sparer denken, Frau Herren. Kiziltepe!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Fall Wirecard (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeigt uns auch, dass wir keine Aktienkultur als Leitkultur sowie des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) brauchen, nicht nur, weil die Idee der Leitkultur falsch ist, Zweitens ist auch heute schon klar, dass sich im Fall sondern auch, weil das Finanzsystem uns nur dienen Wirecard mindestens zwei seit der Finanzkrise – also seit kann, wenn wir ihm Ketten anlegen. Und ich sage Ihnen: über zehn Jahren – bekannte große Problemfelder in Diese Ketten müssen verdammt schwer sein. Deutschland einfach potenziert haben, zu deren Lösung Vielen Dank. es seitdem auch bereits klare Vorschläge gibt, die aber von dieser Koalition seit Jahren blockiert werden. Das (Beifall bei der SPD – Sebastian Brehm [CDU/ ist zum einen das Thema Wirtschaftsprüfung CSU]: Und wir singen jetzt die Internationale!) (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Was?)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und zum anderen das Thema BaFin. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Zu den Wirtschaftsprüfungen. Seit elf Jahren hat mit Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen. EY eine der Big Four Wirecard geprüft, jahrelang testiert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21243

Lisa Paus (A) und nichts gemerkt. Offensichtlich sind ihnen die Luft- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) buchungen nicht aufgefallen, trotz Hinweisen seit Jahren. Die BaFin nutzt ihre derzeitigen Kompetenzen nicht Das ist aber kein Einzelversagen; das hat eben leider aus. Im Moment läuft es eben eher nach Vorschrift ins Methode. Wenn die Prüfgesellschaft nur maximal 4 Mil- Desaster. Stattdessen brauchen wir einen Neustart der lionen Euro Haftung befürchten muss, BaFin. Wir brauchen einen agilen Finanzwächter mit kri- minalistischem Gespür. Deswegen in der Summe: Wir (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das stimmt werden Sie jetzt tatsächlich daran messen, was Sie tun. doch gar nicht! Das sind völlig falsche Fakten! Totaler Quatsch!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wenn Unternehmen ihre Prüfer auswählen und 20 Jahre Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. lang beauftragen oder eben auch kurzfristig kündigen können, wenn Prüfgesellschaften zugleich Beratergesell- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schaften sind, dann kommt eben am Ende Wirecard dabei Erstens schonungslose Aufklärung, zweitens Regulie- raus, meine Damen und Herren. rungslöcher stopfen und Novelle bei den Wirtschaftsprü- fern sowie drittens ein echter Neustart bei der BaFin, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meine Damen und Herren. sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/ CSU] – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Stimmt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) doch gar nicht!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deswegen: Wir brauchen unabhängige Prüfer, wir brauchen die vollständige Trennung von Prüfung und Vielen Dank Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Beratung, und wir brauchen auch eine stärkere Haftung Kollege Sepp Müller, CDU/CSU-Fraktion. von Wirtschaftsprüfern. Nach zehn Jahren Blockade der (Beifall bei der CDU/CSU) Koalition, Verwässerung auf europäischer Ebene, laxer Umsetzung in Deutschland finde ich: Das muss aufhören. Sepp Müller (CDU/CSU): Hier hat insbesondere Wirtschaftsminister Altmaier tat- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und sächlich endlich zu liefern. Im Übrigen stimmt es: Eine Herren! Wirecard mausert sich langsam zum größten Fi- nachgelagerte Bundesbehörde von ihm hat auch die nanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Was Fachaufsicht, und von ihm ist da bisher überhaupt nichts ist passiert? Vor 20 Jahren startete der Zahlungsdienst- zu hören. (B) leister und wurde mittlerweile eines der größten Techno- (D) logieunternehmen in Deutschland. Die Devise lautete: Zum Zweiten kommen wir tatsächlich auch noch ein- höher, weiter, schneller. Letzteres hat wahrscheinlich da- mal zum Thema BaFin. Ja, Wirecard ist ein besonders zu geführt, dass zumindest augenscheinlich Tricksereien krasser Fall von Aufsichtsversagen. Aber er ist eben bei stattgefunden haben. Diese Tricksereien fanden in den Weitem nicht der einzige. Er reiht sich vielmehr ein in Büchern von Wirecard statt. Wie ein süchtiger Karten- eine lange, lange Liste. Mein Kollege aus spieler hat Wirecard mit gezinkten Karten gespielt. dem Europäischen Parlament sammelt seit nunmehr 48 Stunden Finanzskandale, die seit der Finanzkrise in Mit dem rasanten Wachstum expandierte das Unter- Deutschland bekannt geworden sind, bei der die BaFin nehmen nach Asien. Aus Asien hören wir mittlerweile aber vorher nichts entdeckt hat. Wenn Ihnen noch welche Meldungen, dass 1,9 Milliarden Euro fehlen, rund ein bekannt sind, schicken Sie es bitte an uns oder an Sven Drittel der Bilanzsumme. Warum ist das so schwierig? Giegold direkt. Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Haus und Sie wollen einziehen. Bei der Bauabnahme haben Ihnen die Bauin- Bereits jetzt, innerhalb von 48 Stunden, ist bei ihm eine genieure gesagt: Alles ist gut. – Beim ersten Regen stel- Liste von 53 unterschiedlichen Fällen aufgelaufen, unter len Sie auf einmal fest, dass das Dach fehlt. Das ist umso anderem auch die, die wir alle vielleicht noch kennen, erstaunlicher, weil am Planungstisch, hier bei Wirecard zum Beispiel die Hypo Real Estate direkt im Zusammen- am Kartenspielertisch, auch noch viele andere Beteiligte hang mit der Finanzkrise. Damals hatte eben die BaFin saßen. Die anderen Beteiligten nahmen nämlich die Aus- die hochriskanten Geschäfte der Hypo Real Estate in Ir- sagen anscheinend für bare Münze: Wirtschaftsprüfer, land schlicht übersehen. Aber auch 2018 gab es zum Bei- Rate-Agenturen – Pardon, ich meine Ratingagenturen –, spiel einen Finanzskandal beim Containeranbieter P&R. P&R hatte jahrelang Anlegern Container verkauft, die es (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU gar nicht gab. Die BaFin hat davon nichts gemerkt. und der AfD) unsere Finanzaufsicht und die Behörden vor Ort. Und auch bei den inzwischen breitbekannten kriminel- len Cum/Ex-Geschäften, die die Steuerzahler Milliarden Ich möchte an dieser Stelle aber ausdrücklich vor vor- gekostet haben, ist die BaFin nie aktiv geworden, obwohl eiligen Schlüssen und Beschuldigungen, ganz gleich in sie den Wertpapierhandel beaufsichtigt. welche Richtung, warnen. Der Präsident der BaFin, un- serer Aufsicht, hat gestern im Ausschuss klare Kante ge- zeigt und die Flucht nach vorne ergriffen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Paus, kommen Sie zum Schluss. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Na ja!) 21244 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Sepp Müller (A) Dennoch sind nicht alle Fragen an das BMF beantwortet ungen sorgen, unter welchen Bedingungen ein Unterneh- (C) worden. men unter die Aufsicht der BaFin fällt. Nun stellen wir fest, dass die einen, die Linken, heute (Frank Schäffler [FDP]: Aufräumen!) im „Spiegel“ seinen Rücktritt fordern. Ich hätte mich ge- Mit Blick auf Entwicklungen am Markt wird schnell klar, freut, wenn die Linken damals so konsequent gewesen dass zunehmend Fintechs in den Markt der Zahlungs- wären bei Gregor Gysi, der als Parteivorsitzender der dienstleister drängen. Die BaFin hatte ursprünglich die SED-PDS viel Geld in ein anderes Land gebracht hat, Banken, die Volksbanken und Sparkassen im Fokus, aber wobei immer noch nicht feststeht, wo das Geld ist. Wenn diese Fintechs nicht. Da müssen wir ansetzen. man da so konsequent gewesen wäre, dann wäre das richtig gewesen. Es zeigt sich, dass zunehmend Synergien zwischen großen Playern wie Amazon und ING-DiBa entstehen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die jetzt bekundet haben, dass sie zusammenarbeiten wol- der AfD und des Abg. Christian Sauter [FDP]) len, um in den Markt der Banken zu drängen. Da muss Auf der anderen Seite in diesem Haus ist wieder das unsere Aufsicht ansetzen. „U“; da hören wir, dass ein Untersuchungsausschuss ge- (Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) fordert wird. Ich würde mich freuen, liebe AfD, wenn ihr überhaupt im Ausschuss anwesend wärt. Denn als Herr Um aus den Fehlern des Falles Wirecard Lehren zu Hufeld befragt wurde, stand Ihr Finanzer vorne vor der ziehen, muss der Aufsichtsrahmen den geschilderten Ent- Presse und gab die ersten Statements ab. Das kann gar wicklungen gerecht werden. Deswegen gelingt die Wah- nicht funktionieren. Also: Man muss nicht nach einem rung eines stabilen und vertrauenswürdigen Finanzplat- Untersuchungsausschuss rufen. Macht lieber eure Arbeit zes nur dann, wenn wir Transparenz in den Fall bringen im Finanzausschuss! und dann konsequent handeln. Dafür stehen wir als Union. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU)

Derzeit kratzen wir noch an der Oberfläche und sehen Vizepräsident Thomas Oppermann: möglicherweise nur die Spitze des Eisberges. Daher spre- chen wir uns als Unionsfraktion für die vollständige Auf- Vielen Dank. – Nächster Redner in dieser Debatte ist klärung des Bilanzskandals aus: zuerst Transparenz, dann für die Fraktion der SPD der Kollege Lothar Binding. Konsequenz. (Beifall bei der SPD) (B) (D) (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wie ist das mit Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): dem Spendenskandal vom Herrn Kohl?) Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Transparenz und Konsequenz müssen hierbei die Leit- Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Vielleicht motive sein. Hier erwarte ich auch vom Bundesfinanzmi- nur zwei Bemerkungen. Olaf Scholz ist im Moment beim nister Verantwortungsübernahme. Ein einzelner Kommissionkollegium zur Vorbereitung der Ratspräsi- Bilanzprüfer darf nicht zum Bauernopfer werden. dentschaft und kann deshalb nicht hier sein. Ich glaube, dafür müssen wir hinsichtlich der übergeordneten Auf- Wir müssen uns über die zukünftige Aufstellung – das gabe Verständnis haben. haben die Vorredner bereits gesagt – der BaFin unterhal- ten. Deswegen ist es ja interessant, dass gerade die Grü- (Beifall bei der SPD) nen diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Ich erinnere Zum Vorwurf der mangelnden Informationspolitik nur daran, dass es gerade die Grünen sind, die fordern, gestern. Wir hatten explizit verabredet, dass das BMF dass mehr als 30 000 kleine Anlagevermittler von der unsere Fragen schriftlich beantwortet, damit wir mehr BaFin überwacht werden sollen. Da frage ich mich schon, Zeit für die Befragung von Hufeld haben. Deshalb sollten wie das zukünftig funktionieren soll, wenn unsere Auf- wir das heute nicht zum Vorwurf machen; das finde ich sicht es nachweislich nicht geschafft hat, ein Technolo- nicht ganz fair. gieunternehmen zu beaufsichtigen. Im Fokus der Aufklä- rung sollten neben der BaFin gleichermaßen die (Beifall bei der SPD) Wirtschaftsprüfer sowie das Finanzministerium stehen. Wer hätte sich vor zwei Wochen vorstellen können, (Zuruf des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD]) dass wir heute über einen solchen Betrug diskutieren! Ich hätte es mir nicht vorstellen können. Auch wenn ich Wirecard muss sich blank machen. Die Konzernstruk- alle Reden heute zusammennehme, muss ich sagen: Wir turen sowie die komplexen, weltweiten Beziehungen zu wissen alle nur: Es war komplex, es ist undurchdringlich, Partnerunternehmen müssen entworren und auseinander- und es ist Bilanzmanipulation. Mehr wissen wir heute dividiert werden. Wie konnte es so weit kommen, dass nicht. Also: Irgendwie ist der Gegenstand dieser Aktuel- bei Wirecard 1,9 Milliarden Euro verschwinden? Sind sie len Stunde noch nicht so richtig greifbar; aber wir tun Betrüger oder Opfer? Wir werden es herausfinden. Es immer alle so, als ob wir schon über alles richtig reden gilt: zuerst Transparenz und dann Konsequenz. können. Wir brauchen eine starke Aufsicht. Damit diese besser Wir wissen, dass eine der Big Four, EY, jahrelang Ab- funktioniert, müssen wir für unmissverständliche Regel- schlüsse testiert hat, bei denen sich dann herausgestellt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21245

Lothar Binding (Heidelberg) (A) hat – ja, was hat sich eigentlich herausgestellt? Die haben macht, also Short-Selling betreibt, dann hofft er, dass (C) nicht mal „Hier!“ geschrien, als sie von Whistleblowern die Aktie fällt. Wenn diese Schutzgemeinschaft jetzt Kri- und von der „Financial Times“ Hinweise bekommen ha- tik an einem Unternehmen übt, im Zuge dieser Kritik die ben, dass da was sein könnte, sondern die haben abge- Aktie fällt, gleichzeitig im Vorstand dieser Schutzge- wartet. Dann wurde interessanterweise die KPMG von meinschaft einer ist, der Short-Selling betreibt, dann re- der Wirecard AG beauftragt, sie zu prüfen, weil sie sich det er das Unternehmen schlecht, damit er selber mit reinwaschen wollten, und das ist schiefgegangen. Aber Short-Selling Gewinne macht. Also, das ist eine super wenn die sich getraut haben, die KPMG zu beauftragen, Kritik einer Schutzgemeinschaft. Da merkt man, wie du- denke ich mir: Da muss was dahinterstecken; denn die bios das ist. Ausschließen, dass nicht auch ein Journalist dachten ja, sie könnten sich reinwaschen. Das ist merk- Vorteile vom Short-Selling haben kann, wenn er ein Un- würdig. Aber immerhin: EY hat nicht gezuckt. Na gut: ternehmen schlechtschreibt, kann man nicht. Ich unter- Ihre Haftungssumme beläuft sich nur auf 4 Millionen stelle gar nichts – wieso sollte ich? –, aber ausschließen Euro. kann man es jedenfalls nicht. Hans, du hast gesagt, die Wechselgeschwindigkeit sei (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Sehr richtig!) mit zehn Jahren zu gering. Das stimmt. Wir wissen auch, dass die Prüfung und die Beratung zu trennen sind. Es Das gilt es zu prüfen. gibt eine ganze Reihe von Sachen, die wir da angehen Ich will vielleicht noch mal kurz auf etwas anderes müssen. zurückkommen. Frank, du hast, offen gestanden, dem Also: Die Wirecard AG hat jedenfalls die Hinweise der Jens Zimmermann nichts entgegenzusetzen gehabt; das „Financial Times“ offensichtlich ernster genommen als muss man sagen. andere. (Beifall bei der SPD) Jetzt muss man auch die Feststellung treffen: Die Wir haben einen Diebstahl, und du beschimpfst die Poli- Selbstreinigungskräfte der Wirtschaft haben nicht funk- zei. Ich finde: Diese Trittbrettfahrernummer, zu sagen, tioniert. Das kann man sagen; das ist wirklich ein Desas- dass, weil die BaFin in diesem Konglomerat aller Betei- ter. Und dann frage ich mich, wer das eigentlich alles ligten möglicherweise nicht alle Zugriffsrechte hatte, bezahlt. Wer ist eigentlich daran beteiligt? Sind das jetzt man deshalb ja die Finanzanlagenberater nicht einfach Laien, oder sind das Fachleute? Wer ist eigentlich in unter Generalverdacht stellen könne, das ist ein bisschen diesem ganzen Konglomerat beteiligt? Schauen wir mal billig. Da, glaube ich, muss man genauer nachschauen. auf die Aktionärsstruktur. Die Goldman Sachs Group hält 16 Prozent. Die kümmert sich ja auch darum, wo sie ihre (Beifall bei der SPD – Kay Gottschalk [AfD]: (B) 16 Prozent platziert, oder? Morgan Stanley, Société Gé- Erst mal die Hausaufgaben machen, Herr (D) nérale, BlackRock, DWS Deutschland – die alle haben Binding! Erst mal die Hausaufgaben machen!) ihr Geld da investiert. Das sind ja Fachleute. Ich bin Laie; Ich glaube, diese unklare Lage dazu auszunutzen, ist ich hätte es nicht gemerkt, wenn ich da eine Aktie gekauft schwierig. hätte; aber das sind Fachleute. Dann: Die Commerzbank hat da einige Millionen reingegeben. Auch die Deutsche Was die BaFin insgesamt betrifft, wäre noch nachzu- Bank, die LBBW, die österreichische Raiffeisen Banke- weisen, ob der Fehler nicht bei uns liegt; denn die Kom- ngruppe geben Millionen in dieses Konglomerat, und petenzbeschränkung der BaFin ist für mich eine Ursache keiner merkt was. Ist das nicht aberwitzig? Aber ich soll dafür, dass wir nicht rechtzeitig alles entdeckt haben. es merken, ich als Politiker, der hier sitzt? Ich kann nur sagen: Ich merke es nicht. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD – Bettina Stark-Watzinger (Frank Schäffler [FDP]: Sie hätten die Kompe- [FDP]: Nee! Die BaFin soll es merken!) tenz gehabt! – Kay Gottschalk [AfD]: Was re- geln Sie denn? Sind Sie der Gesetzgeber? – Ge- Ich meine aber auch: Wenn die Deutsche Börse ein genruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] Unternehmen in den DAX holt – die CoBa wurde damals [SPD]: Sie sind zweieinhalb Jahre hier! Wo ist verdrängt –, guckt man da nicht genauer hin? Also, von Ihr Antrag, das besser zu machen? – Gegenruf mir kann man es nicht erwarten, vielleicht von keinem des Abg. Kay Gottschalk [AfD]: Sie hatten hier; ich weiß es nicht. Aber die Börse kann doch merken, zehn Jahre Zeit! Zehn Jahre! – Gegenruf des ob da was nicht stimmt, wenn ein Drittel der Bilanz – da Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: brennt die Hütte – irgendwie nicht nachvollziehbar ist. Da Zweieinhalb Jahre reichen für einen Antrag! – hätte ich gedacht, dass sich jemand wundert. Auch die Gegenruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD]: ESMA mit dem grenzüberschreitenden Blick – das ist Meine Güte! Seit acht Jahren in der Regie- ja ein bisschen das Problem: die Reichweite der BaFin rung!) mit entsprechender Jurisdiktion reicht ja nur bis zur deut- schen Grenze – hätte vielleicht merken können, dass da mehr ist, als wir hier sehen. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Das letzte Wort in dieser Aktuellen Übrigens gab es nicht nur Kritik der „Financial Stunde hat nunmehr der Kollege Fritz Güntzler für die Times“. Es gab auch Kritik der SdK, der Schutzgemein- Fraktion der CDU/CSU. schaft der Kapitalanleger. Da gibt es eine interessante Sache. Jeder weiß ja: Wenn einer einen Leerverkauf (Beifall bei der CDU/CSU) 21246 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Es gibt ja den Deutschen Corporate Governance Ko- (C) Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- dex, an den sich jede deutsche Aktiengesellschaft zu hal- gen! Meine Damen und Herren! Enron, FlowTex, Com- ten hat. Da sind Dinge aufgeführt, die bei Wirecard alle road, jetzt Wirecard – alles Bilanzskandale, die den Deut- nicht gemacht worden sind. Abschluss vorlegen nach schen Bundestag und die Öffentlichkeit beschäftigt 90 Tagen: nie erfüllt worden. Die hatten bis vor fünf haben. Aber die Besonderheit dieses Falles ist, dass es Jahren einen Aufsichtsrat mit drei Mitgliedern. Die hatten zum ersten Mal ein DAX-Unternehmen im sogenannten keinen Prüfungsausschuss. Jetzt haben sie fünf Mitglie- Premiumsegment der Deutschen Börse betrifft. Ein sol- der im Aufsichtsrat. Ein Unternehmen dieser Größ- cher Fall ist für mich – Lothar Binding hat es eben auch enordnung mit fünf Aufsichtsräten alleine zu überwa- schon gesagt – eigentlich unvorstellbar. Es handelt sich chen, halte ich für sehr schwierig. Von daher hätte man um ein Unternehmen mit 6 000 Mitarbeitern an 26 Stand- vielleicht schon viel früher auch bei diesen Punkten hin- orten, ein vermeintliches Vorzeigetechnologieunterneh- sehen sollen. men mit Sitz in Deutschland. Wir waren alle ein wenig stolz, ein solches Unternehmen vorweisen zu können. Ein Punkt ist auch, dass man selbstkritisch guckt, ob Aber wir sehen, was daraus geworden ist: Im September man alles richtig gemacht hat. Über das zweistufige Prüf- 2018 ist es in den DAX aufgenommen worden – und nun verfahren der BaFin ist ja gesprochen worden. Ich bin da diese Situation, die dazu führt, dass das Vertrauen in die ganz beim Kollegen Schäffler: Ich finde, die BaFin macht Kapitalmärkte schwerstens erschüttert ist. sich da einen ziemlich schlanken Fuß, einfach zu sagen: Wir hätten keine Möglichkeit gehabt. – Ein Blick ins Von daher – das haben, glaube ich, alle Redner hier in Gesetz hilft dabei: Nach § 108 Wertpapierhandelsgesetz – der Aktuellen Stunde heute herausgestellt – brauchen wir das hat Kollege Schäffler eben schon mal ausgeführt – eine lückenlose Aufklärung der Sachverhalte, die dazu hätte die BaFin als Wertpapieraufsicht zugreifen können. geführt haben, dass es zu dieser Insolvenz und zu den Verlusten bei den Anlegern gekommen ist. Ich bin da (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ beim Kollegen Binding: Wir stehen da ganz am Anfang. CSU]: Das ist richtig!) Der Titel der Aktuellen Stunde heißt: „Versagen von Auf- Sie hat es nicht getan. Wenn man davon ausgeht, dass die sicht und Wirtschaftsprüfung aufklären“. Da ist ja schon DPR zu lange geprüft hat – dazu kann ich gleich viel- eine Unterstellung enthalten. Dass das nicht toll ist, was leicht noch was sagen –, dann hätte man die Möglichkeit da ans Tageslicht gekommen ist, ist klar. Aber was dazu gehabt. Aber man kann sich jetzt nicht einfach rausreden geführt hat, müssen und können wir erst dann analysie- und sagen: Wir hatten gar keine Möglichkeit. ren, wenn wir genau wissen, was los ist. (Frank Schäffler [FDP]: So ist es!) (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) der SPD) Die zweite Baustelle – Stichwort: Finanzholding – ist Derzeit wissen wir ja gar nicht, wo die 1,9 Milliarden auch ein interessantes Thema. Aber da frage ich mich: Euro sind, ob die überhaupt existiert haben. Ist nicht viel- Warum hat die BaFin den Gesetzgeber nicht kontaktiert leicht sogar Wirecard der Betrogene? Ich glaube das eher (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht, aber theoretisch denkbar wäre eine solche Konstel- lation auch. und uns mal gesagt: „Das ist ein Problem; gestaltet die Regelung so, dass es eine Finanzholding wird“? Von daher sollten wir die sorgfältige Aufklärung ab- warten. Diese sollte möglichst zügig erfolgen. Da erwarte (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ ich von der Bundesregierung in Gänze, aber insbesondere CSU]: Verschwiegenheit!) vom BMF, dass dies zügig geschieht. Ansonsten haben wir parlamentarische Mittel – ein paar sind hier heute Immer hinterher zu kommen, warum sie was nicht hat schon genannt worden –, die wir nutzen könnten, um machen können, halte ich für schwierig. Von daher muss dann weiter voranzugehen. die BaFin beobachtet werden und müssen genau die Re- formen, die hier angesprochen wurden, durchgesetzt wer- Eines kommt mir in der Debatte eigentlich zu kurz: den. Wir reden viel über die Polizei, die den Einbrecher nicht gefangen hat, aber nicht über denjenigen, der den Ein- Zur DPR. Dazu kann man viel sagen. Es kommt mir bruch vorgenommen hat. vor, als wenn es hier ein Bauernopfer gegeben hat, so schnell, wie man diesen Vertrag gekündigt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Verantwortung für das Unternehmen, dafür dass es Für mich ist auffällig: nicht mit sofortiger Wirkung, son- keine Unterschlagung und kein Fraud in den Unterneh- dern mit Wirkung zum 31. September 2021. – Also die men gibt, sollen, obwohl sie so schlecht sind, trotzdem noch wei- (Zuruf des Abg. Johannes Schraps [SPD]) terarbeiten. Das halte ich für verfehlt. tragen zunächst die Organe der Gesellschaft. Das ist (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ hier der Vorstand, aber insbesondere auch der Aufsichts- CSU]: Die war nicht zuständig! – Frank rat. Über den Aufsichtsrat der Wirecard ist bis jetzt kaum Schäffler [FDP]: Was ist denn in der Zwischen- gesprochen worden. zeit?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21247

Fritz Güntzler (A) Ich glaube, dass die DPR in ihrem Rahmen richtige Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (C) Arbeit gemacht hat. Das Problem ist: Wir haben ihr die schusses für Recht und Verbraucherschutz falschen Instrumente gegeben. Sie kann ja überhaupt kei- (6. Ausschuss) ne Zwangsmaßnahmen ergreifen. Sie ist auf die Koopera- tion der Unternehmen angewiesen. Von daher ist viel- Drucksache 19/20718 leicht die Lösung – die DPR als privatrechtlicher Verein b) Beratung der Beschlussempfehlung und des ohne diese Instrumente – nicht die richtige; darüber kön- Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- nen wir ja reden. Aber jetzt denjenigen, dem man keine braucherschutz (6. Ausschuss) zu dem An- Werkzeuge zum Handeln gibt, zum Schuldigen zu erklä- trag der Abgeordneten Roman Müller-Böhm, ren, halte ich doch für sehr problematisch. Dr. Marcel Klinge, Stephan Thomae, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Effektive und verbraucherfreundliche Hilfen für die Reisewirtschaft Abschließend vielleicht noch ein Wort zu den Wirt- schaftsprüfern. Man ist als Berufskollege natürlich sehr Drucksachen 19/20045, 19/20718 betroffen, wenn so was passiert. Man sieht ja schon, dass es da ein paar Schwierigkeiten gab. Ich empfehle mal, c) Beratung der Beschlussempfehlung und des den Bestätigungsvermerk zum Konzernabschluss 2018 Berichts des Ausschusses für Tourismus zu lesen. Dort sind die Dinge schon als umfassender (20. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Prüfungssachverhalt geschildert; aber anscheinend hat ordneten Markus Tressel, Stefan Schmidt, man daraus keine Konsequenzen gezogen. Das muss Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der man sich noch mal ein bisschen näher angucken. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Tourismuswirtschaft in der Krise Aber das wird sich auch die APAS angucken. Wir wirksam unterstützen haben ja extra eine staatliche Stelle geschaffen, die die Wirtschaftsprüfer bei diesen kapitalmarktorientierten Drucksachen 19/18959, 19/20622 Unternehmen beaufsichtigen soll. Da ist natürlich span- nend, was die gemacht haben. Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- Das Problem, das wir in all diesen Bereichen haben, braucherschutz auch das Gesetz zur Sicherstellung der ist: Alle sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. – Von Funktionsfähigkeit der Kammern im Bereich der Bundes- daher ist es gar nicht so einfach mit der Aufklärung; denn rechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung, der (B) die DPR kann nichts sagen, die APAS kann nichts sagen, Bundesnotarordnung, der Wirtschafsprüferordnung und (D) EY kann nichts sagen. Da haben wir ein größeres Pro- des Steuerberatungsgesetzes während der Covid-19-Pan- blem. demie. Eine letzte Bemerkung zu der Haftungsfrage. Die Haf- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- tung ist nicht bei 4 Millionen Euro gedeckelt; ich höre das schlossen. immer wieder. Im HGB ist geregelt: Das gilt nur bei Ich eröffne die Aussprache. Als Erster ergreift das Fahrlässigkeit. – Wenn das wirklich zu einem Fall führt, Wort für die Fraktion der SPD der Kollege Dr. Karl- glaube ich nicht, dass nur Fahrlässigkeit vorliegt, und Heinz Brunner. dann ist die 4-Millionen-Grenze weg. Dann hätte EY ein anderes Problem. Ich hoffe mal für die Kollegen, dass (Beifall bei der SPD) dem nicht so ist. Jetzt danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe, Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): dass wir gemeinsam an dem Fall kräftig arbeiten werden. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wen hat wohl die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Covid-19-Pandemie in diesem Lande am meisten getrof- neten der SPD und des Abg. Frank Schäffler fen? Keine Branche und deren Kundinnen und Kunden, [FDP]) die Verbraucherinnen und Verbraucher, war so getroffen wie die Reisebranche. Sie war so getroffen, weil von Vizepräsident Thomas Oppermann: einem Tag auf den anderen das Reisen nicht mehr mög- lich war, Menschen ihre Träume vom Urlaub, vom Ver- Vielen Dank. – Damit haben wir keine weiteren Red- reisen, von der Erholung, vom Wieder-zu-sich-Finden ner mehr, und die Aktuelle Stunde ist beendet. nicht verwirklichen konnten und die Reiseveranstalter Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: die Reisen nicht mehr anbieten konnten, aber zuvor be- reits weltweit Buchungen bei Fluggesellschaften, Hotels, a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- in der Gastronomie durchgeführt hatten. Kurzum: eine desregierung eingebrachten Entwurfs eines für die Betroffenen bittere Situation. Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Pauschalrei- Eine bittere Situation, die zu wirtschaftlichen Verwer- severtragsrecht fungen führen musste, ja, geführt hat, die zur Folge ha- ben, dass 1,2 Millionen Beschäftigte in der Reisebranche Drucksache 19/19851 in diesem Land vor der Frage stehen, ob ihr Arbeitsplatz 21248 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) erhalten bleibt. Es stellt sich die Frage, ob die Reisewirt- Ich freue mich, dass wir diesen Gesetzentwurf heute (C) schaft in Deutschland weiterhin so aussehen kann, wie sie verabschieden können, weil wir damit einen guten Schritt bisher ist: überwiegend durch kleine, mittelständische weitergegangen sind. Mit diesem guten Schritt haben wir Unternehmen geprägt, durch die zwei, drei, vier Mann gezeigt, dass wir zum einen den wirtschaftlichen Sach- oder Frau großen Betriebe, nicht durch die großen Ketten, verstand haben, die Unternehmen zu halten, aber zum sondern durch das Reisebüro um die Ecke, den Reisever- anderen auch die soziale Ausgewogenheit im Blick ha- anstalter, den man kennt. ben, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern Schutz zu geben. Wie nun einen klugen Vorschlag erarbeiten, mit dem auf der einen Seite die Reisebranche gerettet und die Und ich freue mich für die vielen Verbraucherinnen Arbeitsplätze in diesem Land erhalten werden können und Verbraucher, die in der Zwischenzeit – bis sie ihre und durch den auf der anderen Seite den Verbraucher- Weltreise antreten – zum Beispiel im Wahlkreis vom Kol- innen und Verbrauchern der Schutz gegeben wird, den legen Rützel – Main-Spessart – oder bei mir im Allgäu sie in einem sozialen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Urlaub machen können. Dort können sie auch ein wenig Deutschland zu Recht erwarten? Kraft tanken, um dann im nächsten Jahr mit dem Gut- schein eine vielleicht größere Reise anzutreten. Eine Lose-lose-Situation wäre es gewesen, wenn wir Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich bitte um Zu- die Verbraucherinnen und Verbraucher zu den Reisever- stimmung zum Gesetzentwurf. anstaltern geschickt und sie aufgefordert hätten: Hol dir an dieser Stelle sofort dein Geld zurück, das dir zusteht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weil du die Reise nicht antreten konntest. – Das hätte der CDU/CSU) letztendlich in großem Maße zu Insolvenzen bei den Rei- severanstaltern geführt. Außerdem hätte es dazu geführt, dass – jeder kennt das aus dem Insolvenzrecht – es nur Vizepräsident Thomas Oppermann: noch eine entsprechende Quote gibt nach dem Wind- Vielen Dank. – Als nächster Redner kommt Dr. Lothar hundprinzip: Der Erste bekommt noch alles; im Insol- Maier für die Fraktion der AfD. venzverfahren gibt es nur noch eine kleine Quote. – Es (Beifall bei der AfD) hätte nur Verliererinnen und Verlierer gegeben. Dr. Lothar Maier (AfD): Der nunmehr vom Kabinett auf Vorlage des Bundes- ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz am Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen 27. Mai unterbreitete Vorschlag – so sehe ich dies – ist und Herren! Die Geschichte des unter den Bedingungen (B) eine gute, eine kompromissfähige und vor allen Dingen von Covid-19 modifizierten Reisevertragsrechts ist eine (D) eine sozial abgesicherte Lösung zum einen für die Reise- Geschichte der handwerklichen Stümperei, wie wir sie in branche und zum anderen, um den Menschen, die ge- diesem Haus zum Glück nur selten erlebt haben. bucht haben, zu helfen. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Außer Sie legen einen Gesetzentwurf vor!) (Beifall bei der SPD) Aufgescheucht durch Hunderttausende Reiseverträge, „Abgesicherte Gutscheinlösung“ nennen wir dies. die nicht erfüllt werden konnten, und damit auch durch Dass ein Gutschein angeboten wird, deren Annahme auf die gezahlten Gelder, die nicht zurückgekommen sind, freiwilliger Basis geschieht, der damit nicht nur dem Un- legte die Regierung einen Gesetzentwurf vor, der einen ternehmen die Chance bietet, den Kunden zu halten und Zwangsgutschein vorsah. Was passierte? Die EU-Kom- eine neue Leistung zu erbringen, sondern auch dem Kun- mission hob den Finger, und, schwupp, schon war der den die Chance gibt, seine Urlaubsreise, seinen Traum zu Gesetzentwurf wieder weg. einem späteren Zeitpunkt zu erfüllen, ist ein guter Vor- schlag. Nach ein paar Wochen kam ein neuer Gesetzentwurf. Der Gutschein war noch da, aber jetzt war er freiwillig Dass das möglich ist, ist nicht nur den Politikerinnen und mit einer Staatsgarantie unterlegt. Wunderbar – und Politikern des Rechts- und Verbraucherausschusses, dachte ich mir damals auch, aber ich habe seinerzeit auch dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher- an dieser Stelle dazugesagt: Passen Sie auf, dass die EU- schutz, sondern vor allen Dingen unseren Tourismusleu- Kommission nicht kommt, auf Artikel 107 AEUV hin- ten wie der Kollegin Gülistan Yüksel und dem Kollegen weist und sagt: Das ist eine Beihilfe. – Was tat sie? Genau Rützel zu verdanken das. Damit war auch der Entwurf wieder weg.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Lehrieder!) Jetzt kommt ein neuer Entwurf. Der Gutschein ist im- mer noch freiwillig, und die Staatsgarantie ist auch im- – ja, Kollege Lehrieder auch; jeder lobt seine eigenen mer noch da, aber mit einer Garantieprämie, die vermei- Leute –, die die gesamte Branche in den Blick genommen den soll, dass das Ganze als eine Beihilfe gewertet wird – haben. Vor allem haben sie mit uns dafür gesorgt, dass es in der Hoffnung, dass die EU-Kommission mitmacht. eine insolvenzfeste Absicherung bei den Gutscheinen Diese Garantieprämie wird natürlich auf die Reisepreise gibt, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu er- draufgelegt. Damit verteuert sich das Reisen. Gerade in möglichen, auch im Falle einer immer möglichen Insol- dieser Zeit, in der die Tourismuswirtschaft mit dem Rü- venz innerhalb des Zeitraums sicher ihr Geld wiederzu- cken an der Wand steht, wollen Sie das Reisen verteuern. sehen und ihre Reise antreten zu können. Das ist eine besonders geniale Idee. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21249

Dr. Lothar Maier (A) Die Versicherungswirtschaft läuft im Übrigen Sturm für den Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wer- (C) gegen diese Regelung, weil sie sie – das befürchtet sie – den, sehr gut dargelegt hat. mit Kosten belastet, die bei den Vertragsabschlüssen gar nicht absehbar waren. Vielleicht steht die nächste Nach- Natürlich haben wir in dieser Zeit der Covid-19-Pan- besserung auch schon vor der Tür. demie eine ganze Reihe von Gesetzen machen müssen, um die Folgen dieser Pandemie – nicht nur die sozialen, Man könnte an vielen Stellen in diesem Gesetzentwurf die gesundheitlichen und die gesellschaftlichen, sondern ansetzen und diese im Einzelnen kritisieren, aber ich auch die ökonomischen – so gut als möglich einzudäm- glaube, es ist an der Zeit, auch einmal in den Blick zu men. Wir haben das Grundgesetz geändert, wir haben nehmen, wie manchmal in diesem Hause und in dieser Nachtragshaushalte beschlossen; wir haben also vieles Regierung Gesetze zustande kommen. getan. Ein paar Referenten – mit oder ohne Lobbyhilfe – bas- Im Bereich der Reisewirtschaft – Sie haben das richtig teln einen Entwurf. Sie holen sich auch noch den einen dargelegt – haben wir es mit so dermaßen dramatischen oder anderen Sachverständigen, von dem sie annehmen, Sonderfaktoren zu tun, dass es nicht ausreicht, das ein- dass er ihre Linie unterstützt. Der Entwurf wird vorge- fach nur als einen Teil der Wirtschaft zu betrachten, son- legt. Manchmal machen wir auch noch eine Anhörung dern wir brauchen hier zusätzlich auch individuelle Lö- dazu, um deren Ergebnis sich niemand kümmert, am al- sungen, um der Reise- und Tourismuswirtschaft helfen zu lerwenigsten die Regierung. Ich habe hier in dieser Le- können. gislaturperiode selber mehrfach erlebt, dass Gesetzent- würfe beschlossen wurden, noch bevor auch nur das Es gibt – Sie haben es erwähnt – 2 300 Reiseveranstal- Protokoll der Anhörung vorlag. ter und 11 000 Reisebüros mit 70 000 Beschäftigten in Deutschland. Es ist also tatsächlich ein großer Wirt- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wir sind schaftsbereich. Sie haben die indirekt Beschäftigten in auch in der Anhörung und hören zu! Anders als der Tourismuswirtschaft noch mit dazugerechnet. Es ist Sie!) wichtig, dafür eine Lösung zu finden und einen Beitrag – Ihre eigene Fraktion hat in Landesparlamenten schon dazu zu leisten, dass durch die Pandemie nicht bewährte gegen die Verabschiedung von Gesetzen geklagt, weil das und über Jahre und Jahrzehnte aufgebaute gesunde Wirt- Protokoll bei der Beschlussfassung nicht vorlag. Sie soll- schaftsstrukturen zusammenbrechen. ten sich dabei also ganz bestimmt ganz zurückhalten. Genau deshalb gibt es diese Antwort, die, wie ich (Beifall bei der AfD – Dr. Jan-Marco Luczak finde, sehr gut für diesen Bereich passt, bei dem es nicht nur darum geht, dass der Umsatz im ersten Quartal 2020 (B) [CDU/CSU]: Sie können ja mal teilnehmen! (D) Sie sind ja bei den Anhörungen nie dabei!) gegenüber dem Vorquartal um 23 Prozent eingebrochen ist – noch stärker als im Bereich des Flugverkehrs und so Noch eines: Es gibt in anderen Parlamenten – übrigens stark wie seit 2008 nicht mehr –, sondern auch darum, auch in dem von Ihnen so hoch geschätzten EU-Parla- dass die Leute darüber hinaus auch noch jeden Tag zur ment – und in der EU-Kommission Techniken, mit denen Arbeit gehen mussten, um das Geld wieder zurückzube- man versucht, unerwünschte Folgen von Gesetzen mög- zahlen, das bereits gezahlt und an andere Reiseveranstal- lichst systematisch vorab zu erfassen; das sind die soge- ter, Omnibusunternehmen, Flugunternehmen und Hotels nannten Ex-ante Impact Assessments. Es würde unserem weitergeleitet worden ist und häufig nicht oder erst zu Hause wohl anstehen, gelegentlich auch mal auf solche spät zurückkam. Hinzu kommt dann auch noch, dass es Verfahren zurückzugreifen, die wohl bewährt sind und keine Provision für die ja ordnungsgemäß geleistete Ar- die es bei besonders wichtigen Gesetzen wert sind, auch beit gibt, weil die Reise nicht durchgeführt wurde. angewandt zu werden, um solche Katastrophen zu ver- hindern, wie sie hier mit dem Reisevertragsrecht passiert (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sind. des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die letzten fünf Sekunden meiner Redezeit schenke NEN]: Zu spät geklatscht!) ich Ihnen. Es ist also wirklich eine extreme Situation, auf die wir Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. dann eben auch eine passgenaue Antwort finden müssen. (Beifall bei der AfD) Wir hätten – das ist erwähnt worden – lieber eine ver- pflichtende Gutscheinlösung gehabt, und die Europäische Vizepräsident Thomas Oppermann: Kommission hat sich mit Sicherheit nicht mit Ruhm be- Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der kleckert, als es darum ging, in einer besonderen Krisen- CDU/CSU ist der Kollege Thorsten Frei. situation auch Flexibilität an den Tag zu legen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein! Es geht um Verbraucherschutz!) Thorsten Frei (CDU/CSU): Man kann nicht Krisen bekämpfen, indem man sagt: Wir Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich haben unsere Grundsätze des Verbraucherschutzes, die kann nahtlos an die sehr gute Rede des Kollegen wichtig sind, und sind nicht bereit, das Ganze auch nur Dr. Brunner anknüpfen, der die Rahmenbedingungen andeutungsweise in Bezug zu setzen. 21250 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Thorsten Frei (A) (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Viel zu spät!) (C) NEN]: Sie gelten trotz Krise!) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Lösung hätten Sie Deswegen haben wir diese Lösung gewählt; sie ist bereits in Woche eins der Krise mit breiter Mehrheit hier auch gut. Wir haben die Gutscheine durch die staatliche im Parlament beschließen können. Was Sie gemacht ha- Absicherung attraktiv gemacht. Wir haben alles dafür ge- ben, ist im Grunde nichts anderes, als sich die Latte auf tan, dass die Menschen guten Gewissens auch einen Gut- 2,50 Meter zu legen, aber dann nicht drüberzuspringen, schein wählen können, weil sie für den Fall, dass sie ihn sondern drunter herzulaufen, und das ist wirklich beschä- bis Ende nächsten Jahres nicht einlösen können, eben mend für diese Bundesregierung. auch Alternativen haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darüber hinaus darf man eines nicht vergessen: Wir Es ist halt eben dann doch zum Weinen, weil in dieser haben mit der freiwilligen Gutscheinlösung jetzt eine Sitzungswoche vor der Sommerpause klar geworden ist, individuelle Lösung gefunden. Das ist aber natürlich dass die Bundesregierung, genauer gesagt: vor allem die nur ein Teil des Ganzen. Das 25-Milliarden-Euro-Über- SPD – da muss man den Adressaten klar benennen –, dem brückungshilfenpaket, das für kleine und mittelständi- Tourismus in diesem Land einfach nicht helfen möchte. sche Unternehmen gilt, gilt ausdrücklich ja auch für die Ich frage mich dann immer: Was haben Sie eigentlich Reisewirtschaft. Wenn die Voraussetzungen des Umsatz- gegen diese Menschen? Oder anders formuliert: Was ha- rückgangs im April und im Mai vorliegen und wenn die ben die Menschen Ihnen getan? weiteren Voraussetzungen für die Folgemonate gegeben sind, dann kann eben in den nächsten drei Monaten bis zu (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe 150 000 Euro an kleine und mittlere Unternehmen ausge- von der SPD) zahlt werden. Oft wurde gesagt, dass die freiwillige Gutscheinlösung Und es ist nicht nur das! Wir haben auch im Steuer- hier nur ein Baustein der Lösung sei. Dann frage ich Sie recht vieles verändert – das ist vorher angesprochen nur: Wo sind denn der zweite und der dritte Baustein der worden –, beispielsweise bei dem Verlustrücktrag, den Lösung? Ich kann sie nicht finden. Abschreibungen, der Mehrwertsteuer, der Körperschaft- steuer. All das hilft den Unternehmen – auch in der Reise- (Zurufe von der SPD sowie des Abg. Michael wirtschaft. Nicht zu vergessen sind auch die Regelungen Donth [CDU/CSU]) im Insolvenzrecht! – Nein, es gibt sie nicht. (B) (D) Deswegen muss man sagen: Es ist ein Teil, ein Mosaik- Machen wir mal eine Bestandsaufnahme: Einführung stein in einem größeren Bild. Es ist eine umfassende Ant- der Soforthilfen. Da können wir ja mal gerne ein bisschen wort auf die Krise und deswegen auch die klare Botschaft näher reinzoomen. Gerade wurden die Reisebüros schon an die Reisewirtschaft: Wir haben euch nicht vergessen. genannt. Da ist halt eben noch nicht absolut final geklärt, Mit diesem Gesetz unterstützen wir euch passgenau. ob denn nun auch die nicht verdienten Provisionen im Herzlichen Dank. Rahmen des Pakets ersatzfähig sind. Da wurden zwar seitens Herrn Lehrieder und des BMWi Versprechungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gemacht – ich persönlich glaube Ihnen das ja auch ger- Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) ne –, aber schwarz auf weiß sehe ich bis heute nur leider nichts. Und das ist nach wie vor ein Problem. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die FDP der Kollege Roman Müller-Böhm. Die KfW-Kredite und natürlich auch der Wirtschaftss- tabilisierungsfonds in der Form sind leider für die kleinen (Beifall bei der FDP) und mittleren Unternehmen eben nicht brauchbar. Des- wegen haben Sie sich jetzt anscheinend die lange herbei- Roman Müller-Böhm (FDP): geredeten Gutscheine gewünscht. Ich kann nur sagen: Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Auch das ist im Grunde inzwischen zu spät, weil das Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten hier heute, Vertrauen der Kundinnen und Kunden einfach verloren kurz vor der parlamentarischen Sommerpause, final über ist. die Einführung von freiwilligen Gutscheinen im Pau- schalreiserecht. Kurzum: Diese Lösungen helfen nicht. Und wenn Sie mir nicht glauben, dann fragen Sie gerne mal die Leute Eigentlich, muss ich sagen, weiß ich nicht so recht, ob vor Ort. Ich kann Ihnen da auch gern ein paar Tausend E- ich lachen oder weinen soll. Mails weiterleiten, die wir beantwortet haben. Ich kann Ihnen auch gern persönliche Gespräche mit den Leuten (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Lachen!) vermitteln. Ich habe mich mit denen getroffen. Da sind Ich könnte lachen, weil es im Grunde ein Witz ist, dass einige fleißige Touristiker dabei, die gern von Ihnen die von dieser Bundesregierung erst nach knapp vier Mona- Antwort erhalten würden, die Sie immer noch schuldig ten ein Vorschlag mit freiwilligen Gutscheinen auf den sind. Denn es fehlt nach wie vor an zwei Dingen: erstens Tisch gelegt wird. an Geld und zweitens an einer klaren Perspektive, wann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21251

Roman Müller-Böhm (A) das Geschäft denn nun wirklich wieder aufgenommen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C) werden kann. neten der SPD) Das gilt übrigens nicht nur für Reisebüros und Reise- Allerdings ist damit die Kuh eben noch lange nicht veranstalter. Wer es nicht mitbekommen hat: Heute wa- vom Eis. Ich habe zum Beispiel ein Schreiben von einem ren ein paar Tausend Schaustellerinnen und Schausteller Reiseveranstalter bekommen, der gleichzeitig auch ein vor dem Brandenburger Tor, die ebenfalls eine tolle Bran- Reisebüro betreibt. Darin schreibt er zum Beispiel: Wir che darstellen und mit ihren knapp 50 000 Mitarbeiterin- haben inzwischen einen KfW-Kredit abgerufen, um nicht nen und Mitarbeitern echt zu kämpfen haben. Auch sie alle privaten Reserven, die fürs Alter gedacht sind, jetzt fordern eine klare Perspektive und eine klare Aussage aufzubrauchen. Aber auch privat haben wir sehr viel Geld dazu, wann es endlich wieder für sie möglich ist, ordent- nachgeschossen. Anders können wir unsere Rückzah- lich zu arbeiten. lungsverpflichtungen nicht erfüllen. Neue Provisionen und Margen beim Veranstalter konnten bisher kaum ver- (Beifall bei der FDP) dient werden. Wir wissen nicht, ob wir das vollständig Zu guter Letzt will ich Ihnen noch etwas sagen. Wissen überleben werden und alle Mitarbeiter halten können Sie, ich bin wirklich nicht naiv; ich weiß, dass Anträge bzw. die Azubis nach der Ausbildung übernehmen kön- und Vorschläge der Opposition hier nie durchkommen. nen. Das ist aber auch okay; ich will keine Systemkritik üben. Beim Stichwort „Azubis“ fiel mir wieder ein, dass sich (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine kämpferische Tourismuskauffrau-Azubine an uns gewandt hat – an viele Kollegen, nehme ich an – und Aber früher war es dann wenigstens so, dass gute Ideen gesagt hat, sie kämpfe um ihren Beruf, sie lebe dafür von der Koalitionsmehrheit irgendwann dann mal abge- und sie wolle, dass ihr Reisebüro erhalten bleibt. Ich habe schrieben wurden bei ihr nachgefragt, und sie sagt: Ja, wir sind weiter am (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ihr habt ja keine Kämpfen, aber die Sorgen werden nicht weniger. guten Ideen!) Eine Solo-Selbstständige, die sich an uns gewandt hat, und mit eigenem Namen neu eingebracht wurden. Liebe sagt: Ich kann leider nicht mehr anders. Ich habe gestern SPD, ich fordere Sie auf: Schreiben Sie gerne bei uns ab. einen Halbtagsjob angenommen, wo ich nun drei Tage in Ich möchte Ihnen da hinterher gar keinen Vorwurf ma- der Woche arbeiten muss, und es hat sich nichts geändert. chen. Machen Sie endlich was. Warten wir nicht noch mal Wir sind weitestgehend damit beschäftigt, bestehende vier Monate. Aufträge umzubuchen. Neue Reisen werden kaum abge- (B) Herzlichen Dank. schlossen, und damit entfällt natürlich auch die Möglich- (D) keit, Geld zu verdienen. – Und das ist das Entscheidende, (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Jan- was jetzt gebraucht wird. Marco Luczak [CDU/CSU]) Deshalb sage ich in Richtung des Wirtschaftsministe- riums: Gucken Sie doch mal bei den Überbrückungshil- Vizepräsident Thomas Oppermann: fen unter Punkt 13 nach. Dazu ist in den FAQs geschrie- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion ben: Die Reiseveranstalter bis 249 Mitarbeiter, die ihre Die Linke die Kollegin Kerstin Kassner. Dienstleistung direkt und nicht über Reisebüros anbieten, sollen ausgeschlossen werden. – Das kann doch nicht (Beifall bei der LINKEN) wahr sein. Gerade diese brauchen wir. Und wir wollen doch nicht, dass nur drei große übrig bleiben und alle Kerstin Kassner (DIE LINKE): anderen, die kleinen – 10 000 und mehr –, sterben. Also Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sorgen Sie dafür, dass gerade sie an den Überbrückungs- Kollegen! In der Tat: Die jetzt vorliegende Regelung ist hilfen partizipieren können. eine Lösung für so manches Reisebüro, für so manchen Reisenden. Aber es ist so, wie es der Deutsche ReiseVer- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) band heute schreibt: Es ist so etwas wie ein Soufflé – es sieht gut aus, aber fällt ganz schnell in sich zusammen. Ich würde dringend empfehlen, dass wir das auf den Weg bringen, dass wir das im Auge haben. Dann kann Ich kann Ihnen auch sagen, weswegen es zusammen- dieses Soufflé noch in voller Höhe genossen werden. Ich fällt: weil nämlich nur 10 bis 20 Prozent – ich hatte bei wünsche, dass diese Reisebüros bestehen bleiben. Und einigen Reisebüros angerufen –, in der Spitze bis zu ich hoffe, Sie alle tun dafür, was Sie können. 30 Prozent, tatsächlich von dem Angebot Gebrauch ma- chen. Und da muss ich Ihnen sagen: Ich habe großen Vielen Dank. Respekt vor denen, die von der freiwilligen Gutschein- lösung Gebrauch machen – einerseits vor den Reisenden, (Beifall bei der LINKEN) weil es ein Riesenkompliment und Dankeschön für die Reisebüros ist, andererseits vor den Reisebüros, weil sie Vizepräsident Thomas Oppermann: mit ihrer fleißigen, engagierten Arbeit so viel Eindruck Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion bei ihren Kundinnen und Kunden hinterlassen haben, Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Markus Tressel. dass sie das für sie machen. Das ist eine tolle Sache, und da kann man nur Danke sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21252 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sind auch an Ihrer wochenlangen Lethargie und Ihrer Un- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit verbindlichkeit in dieser schwierigen Situation geschei- 16 Wochen kämpft die Reisebranche ums Überleben. tert. Das müssen Sie sich am Ende zuschreiben lassen. Und jetzt, nach 16 Wochen, klären wir die Frage der Sie haben jetzt das eine oder andere auf den Weg ge- berühmten Gutscheine abschließend; Kollege Müller- bracht. Das ist richtig. Böhm hat es ja schon angesprochen. Dieses Gesetz zu den Gutscheinen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja!) schon vor Monaten kommen müssen, Aber ich sage auch, liebe Kollegin Hiller-Ohm: Das wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Ende nicht ausreichen. und bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das werden wir sehen!) ganz zu Beginn dieser Krise, als Verbraucher, Veranstal- ter und Reisebüros Sicherheit gebraucht hätten. Zu die- Der Rettungsfonds für die Reisewirtschaft ist aus unserer sem Zeitpunkt wären auch viele noch bereit gewesen, Sicht nicht vom Tisch – und dreimal nicht, wenn die freiwillige Gutscheine zu akzeptieren. Krise noch lange anhalten wird. Die Bundesregierung hat aber wochenlang auf (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner Zwangsgutscheine gesetzt und damit auch an hilfsbereite [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Verbraucher ein fatales Signal gesendet. Sie wollten die der SPD: Das wissen wir doch alle!) Verbraucher zur Bank machen und sich selbst aus der Insofern brauchen wir wirksame Instrumente zum Er- Verantwortung nehmen. Das war Ihre Strategie, liebe halt der Strukturen bei den Veranstaltern, im Vertrieb und Kolleginnen und Kollegen. auch in den Destinationen. Und wir müssen endlich die Breite und die Dynamik der Veränderung der Branche im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Blick haben. Denken Sie nur an das Messe- und Kon- Zuruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) gressgeschäft; da ist viel in Bewegung, auch durch die Da warten, auch bei den Airlines – das muss man auch Digitalisierung, die wir in den vergangenen Wochen er- sagen – und bei vielen Veranstaltern, immer noch Tau- lebt haben. Deshalb ist unser Antrag, der heute hier vor- sende auf ihr Geld, zum Teil seit Monaten. Glauben Sie, liegt, weiterhin aktuell, auch wenn Sie ihn mit Ihrer Ver- dass ein Großteil dieser Kunden jetzt freiwillig Gutschei- zögerungstaktik ne von diesen Unternehmen akzeptieren wird? Das wäre zu hoffen, aber ich habe da große Zweifel; das muss ich (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (B) deutlich sagen. GRÜNEN]: Unverschämtheit!) (D) Der TUI und der Lufthansa haben Sie in Liquidität- monatelang vor sich her geschoben haben. sengpässen geholfen. Das ist völlig richtig. Aber: Sorgen Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass die Sie jetzt dafür, dass die Unternehmen, die Hilfe bekom- Rettung der Tourismuswirtschaft weitergeht. Das wird men haben, endlich auch die Kundengelder zeitnah an die auch bitter nötig sein. Niemand – das sage ich an dieser Kundinnen und Kunden zurückzahlen. Stelle auch ganz deutlich – sollte glauben, mit dem Kon- junkturprogramm hätte man da jetzt genug getan. Des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halb: Nehmen Sie unseren Antrag jetzt als Auftakt für die und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der weitere Debatte! LINKEN) Das ist nicht nur verbraucherpolitisch geboten, das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch ökonomisch sinnvoll, weil wir dringend Neuge- Deswegen bitte ich Sie heute auch um Ihre Zustimmung schäft brauchen – Kerstin Kassner hat es gesagt –, und zu diesem Antrag, weil da viele wertvolle Vorschläge drin das geht nur mit zufriedenen Kunden. Alles in allem: Der sind, wie wir dieser Branche wirklich wirksam helfen freiwillige Gutschein ist nur Teil einer Lösung für die können. Diese Fragen werden sich auch weiterhin stellen. Tourismuswirtschaft, und die Krise wird ja absehbar weiter anhalten. Herzlichen Dank. Einige Reiseveranstalter und auch Reisebüros haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schon Insolvenz angemeldet. Wir haben in unserem An- trag, der ja heute hier zur Mitberatung vorliegt, schon vor Vizepräsident Thomas Oppermann: zwei Monaten Lösungsvorschläge gemacht, die die ge- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion samte Branche unterstützen sollten. Und Sie haben diesen der SPD die Kollegin Gülistan Yüksel. Antrag blockiert. Gleichzeitig haben Sie aber selbst in diesen Wochen nichts vorgelegt und haben viel Zeit ver- (Beifall bei der SPD) streichen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gülistan Yüksel (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und und bei der FDP) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Corona- Für viele war es bereits zu spät, als Sie endlich was vor- virus bedroht nicht nur Leben, sondern auch Lebens- gelegt haben. Und ich sage Ihnen: Einige Unternehmen grundlagen der Menschen. Die Regierung unterstützt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21253

Gülistan Yüksel (A) deshalb Beschäftigte und Unternehmen mit einer Viel- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (C) zahl von Hilfsprogrammen. Mit zahlreichen Gesetzesän- Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) derungen, Kurzarbeitergeld, Soforthilfen und Kreditpro- grammen schützen wir Arbeitsplätze und Existenzen. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Sebastian Steineke. Ich bin sicher, dass wir auch mit dem neuen Konjunk- turpaket von historischer Größe sehr viel bewegen wer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – den, auch für die Reisebranche. Neben diesen branchen- Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Mister übergreifenden Hilfen schaffen wir auch spezifische Verbraucherschutz!) Lösungen, heute mit dem freiwilligen Gutschein. Dieser mildert nicht nur die Liquiditätsengpässe der Veranstal- Sebastian Steineke (CDU/CSU): ter, er schützt auch die Reisenden; denn der Gutschein ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be- staatlicherseits gegen Insolvenz abgesichert. Wer ihn bis reits vor zwei Wochen – das ist richtig – haben wir in Ende 2021 nicht einlöst, bekommt sein Geld unverzüg- erster Lesung über dieses Gesetz beraten. Wir haben uns lich und sofort ausgezahlt. ausführlich ausgetauscht. Ich freue mich, dass wir die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ausschussberatungen so zügig zu Ende gebracht haben; das war ja ein wesentliches Ziel. Wenn ich es richtig Die freiwilligen Reisegutscheine sind dabei nur ein verstanden habe, werden dem Gesetzentwurf heute eine Teil der Gesamtlösung für die Reisebranche. So haben ganze Reihe Fraktionen zustimmen. Das ist, glaube ich, wir uns bei den Überbrückungshilfen erfolgreich dafür bei aller Diskussion über den Gesetzentwurf ein gutes eingesetzt, dass die Kosten für Auszubildende zu den Zeichen. förderfähigen Fixkosten zählen. Gekämpft haben wir auch dafür, dass alle ausgefallenen Provisionen der Rei- Ich glaube, wir müssen einmal festhalten – das haben sebüros ebenfalls zu den förderfähigen Fixkosten zählen. die meisten heute schon gesagt –: Die Reisebranche ist natürlich massiv betroffen – viele können das in ihren (Beifall bei der SPD) Regionen nachempfinden –, von den Reisebüros bis hin Und nicht nur das: Auch die den Provisionen ver- zu den kleinen Hotels; das ist unstreitig. Deswegen wis- gleichbaren Margen kleinerer Veranstalter sollen nun sen wir auch, dass wir heute nur einen ganz kleinen Bau- den Fixkosten zugerechnet werden können. stein liefern können. Die anderen Bausteine – das hat der Kollege ja schon angemerkt – sind zum Teil schon da; sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) werden nachher von unseren Tourismuspolitikern auch (D) Die Regelung wird, natürlich nachdem alle Bundesländer noch mal vorgestellt. hier zugestimmt haben, in Kürze in Kraft treten. Ich glaube, man sollte ehrlicherweise einmal sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte kurz Man muss hier am heutigen Tag nicht jede Lösung noch auf zwei Punkte der Oppositionsanträge eingehen. schlechtreden. Die Grünen kritisieren in ihrem Antrag unter anderem, dass Sozialunternehmen oder Vereine wie Jugendherber- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen teilweise durch das Raster der Hilfspakete fallen. der SPD) Diese Kritik ist überholt; denn auch hier hat die Regie- Ich glaube, wir haben eine gute Variante gefunden, um rung gehandelt: Neben den Überbrückungshilfen können gegen die Probleme anzugehen. gemeinnützige Unternehmen über ein KfW-Sonderpro- gramm Mittel beantragen. Allein für dieses Sonderpro- Es ist völlig klar: Auch wir hätten uns das schneller gramm stellt der Bund 1 Milliarde Euro bereit. gewünscht – das ist unstreitig –; auch aus unserer Sicht ist zu viel Zeit ins Land gegangen. Das hätten wir schneller Die FDP wiederum fordert neben den Reisegutschei- haben können. Wir hatten auch andere Ideen; das ist be- nen, Ausbildungsbetriebe und deren Auszubildende zu kannt. Wir hätten uns natürlich auch einen Fonds vor- unterstützen. Auch das tun wir, mit einer Ausbildungs- stellen können. Der ist zurzeit nicht möglich. Trotzdem prämie für kleine und mittlere Unternehmen; das ist eine müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir weitere konkrete Verbesserung für die ausbildungsintensive Tou- Maßnahmen bauen, um der Reisebranche besser zu hel- rismusbranche. fen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Verbesserun- gen für die Menschen in der Tourismusbranche wollen Ein ganz wesentlicher Faktor – und wir sollten noch wir auch auf europäischer Ebene haben. Die deutsche einmal festhalten: das war ein ganz klares Ziel der EU-Ratspräsidentschaft bietet uns seit gestern eine gute Union – ist, dass es keine Zwangsgutscheine geben wird Chance dafür. Die SPD-Fraktion setzt sich daher für eine und dass wir das ganze Thema nicht auf dem Rücken der europäische nachhaltige Tourismusstrategie ein – um die- Verbraucherinnen und Verbraucher austragen werden. se und zukünftige Krisen gemeinsam gut meistern zu Dieses klare Ziel haben wir, glaube ich, mit diesem Ge- können. setzentwurf auch erreicht. Durch die staatliche Absiche- rung können wir tatsächlich am Ende – die Prozentzahlen Herzlichen Dank, und bleiben Sie gesund! sind hier genannt worden; wir hoffen, dass es in diesen 21254 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Sebastian Steineke (A) Größenordnungen bleibt – auch eine kleine Hilfestellung haben. Wir sorgen für Liquidität in den Sommermonaten. (C) leisten. Wir haben es geschafft, dass beispielsweise erstattete Provisionen als Betriebskosten angerechnet werden, und Ich will noch auf zwei Änderungen eingehen, die wir haben gemeinnützigen Vereinen und Organisationen den gemacht haben – so weit zu dem Thema, es würden keine Zugang zu den Hilfspaketen ermöglicht. Änderungen vorgenommen; Kollege Maier hat es gesagt; aber das stimmt eben nicht –: Wir haben uns auch eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Änderung des Bundesrates noch mal angesehen und die der SPD) 14-Tage-Regelung fixiert. Das ist, glaube ich, recht wich- tig. Eine andere Regelung, die drinsteht, nämlich die Die weiteren Vorschläge der Oppositionsfraktionen Garantieprämie, hätten wir – das sage ich deutlich – nicht sind entweder nicht finanzierbar oder aber würden zu gebraucht. Da muss man einmal ein klares Wort nach einem Übermaß an Bürokratie führen, was weder Politik Brüssel richten: Es kann doch nicht ernsthaft so sein, dass noch Wirtschaft gutheißen kann. die Kommission sagt: „Macht mal freiwillige Gutschei- Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verfolgen ne“, und, wenn wir sie dann machen, sagt: Liebe Freunde, einen anderen Weg: Wir möchten den Unternehmerinnen das könnte aber ein beihilferechtliches Problem geben; und Unternehmern vor Ort Möglichkeiten aufzeigen, wie schreibt da noch mal was rein! – Ich finde, da muss sich man aus dem Krisenmodus wieder in den Leg-los-Modus Brüssel einmal hinterfragen, wie so etwas abläuft. Das kommen kann. Gerade für kleine und Kleinstbetriebe ist geht aus unserer Sicht auf keinen Fall. die aktuelle Situation eine riesige Herausforderung. Da- rum habe ich gemeinsam mit Facebook und dem DEHO- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und GA Bundesverband ein Webinar initiiert, das den Unter- des Abg. Roman Müller-Böhm [FDP]) nehmen der Tourismusbranche die Möglichkeiten und Die freiwillige Gutscheinlösung ist ein Angebot. Wir Chancen des Onlinemarketings aufzeigt. hoffen, dass sie von vielen angenommen wird. Ich glau- be, dass wir mit diesem Angebot dann auch ein bisschen So schlimm die Krise auch ist, für viele Regionen helfen können. Weitere Maßnahmen müssen folgen. Ich Deutschlands, gerade im ländlichen Raum – beispiels- hoffe, dass uns viele heute bei dem Gesetzentwurf auch weise für meine Heimat Lippe –, ist die diesjährige Ent- folgen können. wicklung zum Urlaub im eigenen Land eine große Chan- ce für einen langjährigen Aufwärtstrend; denn dieses Jahr Vielen Dank. heißt es eben nicht New York, Rio oder Tokio, sondern Nordsee, Allgäu und besonders Teutoburger Wald. Wenn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die einzelnen Regionen überzeugen, ist ein Wiedersehen ordneten der SPD) (B) sehr wahrscheinlich. (D)

Vizepräsident Thomas Oppermann: Meine Damen und Herren, die Coronakrise hat sehr deutlich gemacht, wo unsere Stärken liegen, wo noch Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist die Verbesserungsbedarf besteht, aber auch, welche Chancen Kollegin Kerstin Vieregge für die Fraktion der CDU/ vorhanden sind, die wir bisher ungenutzt ließen. Digita- CSU. lisierung, Onlinekommunikation und Urlaub im eigenen (Beifall bei der CDU/CSU) Land sind nur eine Auswahl der Trends, mit denen wir uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Zudem Kerstin Vieregge (CDU/CSU): appelliere ich an alle Urlaubsuchenden, die lokalen Rei- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe sebüros und -veranstalter vor Ort zu unterstützen. Auch Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise ist für die wenn Onlinebuchungen verlockend sind: Langfristig gesamte Tourismusbranche verheerend, und die Krise ist brauchen wir alle einen Ansprechpartner um die Ecke. bei Weitem noch nicht überstanden. Die Lage ist ernst; Wir haben tolle Regionen in Deutschland, die zu be- das haben wir durch intensive Gespräche mit Unterneh- suchen sich lohnt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen men in den Wahlkreisen und einer Vielzahl von Verbän- allen mit Abstand eine besonders schöne Sommerzeit. den aufgenommen, verstanden und auch dementspre- chend gehandelt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die von uns beschlossenen Maßnahmen, von Kurzar- beit über Kredite bis hin zu Direktförderungen – Frau Vizepräsident Thomas Oppermann: Kollegin Yüksel hat eben Weiteres ergänzt –, wurden hier Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht ausgiebig debattiert. Sie sorgen dafür, dass wir den Unter- vor. Damit schließe ich die Aussprache. nehmen der Branche über diese herausfordernde Zeit hel- fen können, obwohl der Umsatz einiger Unternehmen im Wir kommen zur Abstimmung über den von der Vergleich zum Vorjahr um über 90 Prozent zurückgegan- Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ab- gen ist. milderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Pau- schalreisevertragsrecht. Der Ausschuss für Recht und Wir wissen, dass sich viele in der Branche noch weiter Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner gehende Unterstützung und Sonderregelungen ge- Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20718, den Ge- wünscht hätten. Die vorliegenden Oppositionsanträge setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache enthalten ein paar konstruktive Punkte, die wir ebenfalls 19/19851 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte befürworten und in den letzten Wochen auch umgesetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21255

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Wir können mit der Debatte beginnen. Eingebracht (C) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der wird der Antrag der FDP von der Kollegin Katja Suding. Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Enthaltung der AfD mit Zustimmung aller übrigen Fraktionen angenom- (Beifall bei der FDP) men. Katja Suding (FDP): Dritte Beratung Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im vergangenen Schuljahr ist coronabedingt circa ein Drittel und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem des Unterrichts ausgefallen. Bildungsforscher sagen: Un- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – sere Kinder bezahlen das im Durchschnitt mit rund 3 bis Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Die 4 Prozent geringerem Erwerbseinkommen, über das ge- Fraktion der AfD. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter samte Berufsleben gerechnet. Dieser niederschmetternde Beratung bei Enthaltung der AfD mit den Stimmen der Befund darf uns nicht kaltlassen, liebe Kolleginnen und übrigen Fraktionen angenommen. Kollegen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10 b. Beschluss- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Kai empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Effektive und verbraucherfreundliche Hilfen für die Bildungs- und Lebenschancen sind in Deutschland un- Reisewirtschaft“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- gleich verteilt; das wissen wir alle. Der wochenlange stabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Unterrichtsausfall hat dieses Problem allerdings drama- 19/20718, den Antrag der Fraktion der FDP auf Druck- tisch verschärft. Das System Schule ist vor unser aller sache 19/20045 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- Augen zusammengebrochen. Schonungslos hat die Coro- schlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen nakrise die digitalen Defizite an deutschen Schulen für und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die FDP. uns alle sichtbar gemacht. Wer enthält sich? – Grüne und AfD. Die Beschlussemp- (Beifall bei der FDP) fehlung ist angenommen, und der Antrag ist damit abge- lehnt bei Enthaltung von Grünen und AfD gegen die Während in anderen Ländern der Unterricht von heute Stimmen der FDP mit den Stimmen der Koalitionsfrak- auf morgen digital stattfinden konnte, waren viele tionen und der Fraktion Die Linke. Schulen hierzulande darauf völlig unvorbereitet. Wo- chenlang haben wir die Bildungschancen junger Men- Tagesordnungspunkt 10 c. Beschlussempfehlung des schen auf der Straße liegen lassen. Meine Damen und Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Fraktion (B) Herren, das ist ein Armutszeugnis. (D) Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Tourismus- wirtschaft in der Krise wirksam unterstützen“. Der Aus- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf DIE GRÜNEN sowie des Abg. Tankred Drucksache 19/20622, den Antrag der Fraktion Bünd- Schipanski [CDU/CSU]) nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/18959 abzulehnen. Den meisten Schulen fehlt es schlicht am Nötigsten für Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koa- den digitalen Unterricht: keine didaktisch ansprechenden litionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Grünen digitalen Lerninhalte, keine funktionierenden Lernplatt- und die FDP. Enthaltungen? – Linke und AfD. Die Be- formen, um Übungsaufgaben hochzuladen, keine Lern- schlussempfehlung ist damit bei Enthaltung von Linken managementsysteme, um den Lernfortschritt der Schüler und AfD gegen die Stimmen von FDP und Grünen mit zu beobachten und individuell zu unterstützen, und nicht den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen und zuletzt heillose Überforderung der Lehrkräfte mit unge- der Antrag der Grünen abgelehnt. klärten Datenschutzfragen. Was für eine Farce in Anbe- tracht des großen Engagements vieler Schüler, Lehrkräfte Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: und Eltern, die das Schuljahr doch noch zu retten ver- Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja suchten. Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Tankred Mario Brandenburg (Südpfalz), weiterer Abge- Schipanski [CDU/CSU]) ordneter und der Fraktion der FDP Dieser Totalausfall muss ein Weckruf sein. Gefragt Weniger Bürokratie wagen – DigitalPakt wäre jetzt die Bildungsministerin. Ganz kurz ist sie ja Schule beschleunigen auch im März aufgetaucht für ein paar zusätzliche Mittel für die Tablets bedürftiger Schüler, die Schul-Cloud und Drucksache 19/20582 IT-Administratoren. Alles richtig, aber davon ist in den Überweisungsvorschlag: Schulen gar nichts angekommen. Rund 5,5 Milliarden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Euro hat das Bundesbildungsministerium im DigitalPakt Ausschuss Digitale Agenda Schule vor über einem Jahr dafür bereitgestellt. Doch die Für die Aussprache sind 30 Minuten vorgesehen. versauern auf dem Konto der Bundesregierung. Lediglich ein Bruchteil, nämlich 125 Millionen Euro, wurden den Ich eröffne die Aussprache, sobald die Umgruppierung Schulen bislang ausbezahlt; das sind gerade einmal erfolgt ist. Ich bitte Sie, schleunigst die Plätze zu wech- 2,5 Prozent des Gesamtvolumens. Und was macht Minis- seln. terin Karliczek? Statt einen Weg zu finden, wie das Geld 21256 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Katja Suding (A) an die Schulen kommt, zuckt sie nur mit den Schultern akt für Schüler, für Eltern, aber natürlich vor allem auch (C) und zeigt auf die Länder. Frau Karliczek, das ist Arbeits- für die Lehrkräfte. Aber, ich glaube, man kann schon verweigerung. sagen – dem stimme ich hundertprozentig zu –: Es ist an wirklich vielen Orten viel Engagement, viel Einsatz (Beifall bei der FDP – Dr. Franziska Brantner gezeigt worden. Dafür möchte an dieser Stelle einfach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist gar auch einmal Danke sagen. nicht da! Auch kein Staatssekretär!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie – Großartig, vielleicht mag es ihr jemand ausrichten. bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Wir Freien Demokraten wollen, dass die Mittel des Dann kommen wir aber auch leider schon zum Dis- DigitalPakts endlich an den Schulen ankommen. Dafür sens. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass im „bürokrati- müssen wir die bürokratischen Hürden im Antragsver- schen DigitalPakt Schule“ erst 150 Millionen Euro abge- fahren drastisch senken. Weder Schulen noch Schulträger rufen worden sind. Das ist so weit erst einmal richtig. haben Zeit und Personal, um Hunderte Seiten Anträge Dass Sie aber mit Blick auf die Versäumnisse den Digital- und Hinweisblätter durchzuarbeiten. Für einen Volljuris- Pakt an sich schlechtreden und vor allem auch ständig ten ist es vielleicht machbar, für jeden Schulleiter ist es infrage stellen, was bis dato erreicht worden ist, was auch aber eine Zumutung. Ändern Sie das endlich, damit die mit Ihrer Fraktion mühsam ausgehandelt worden ist, kön- Mittel aus dem DigitalPakt endlich bei den Schulen an- nen wir Ihnen so leider nicht durchgehen lassen. kommen, Frau Karliczek. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Margit ordneten der SPD) Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Für uns ist die Digitalisierung von Bildung und Dass die Digitalisierung an Schulen nur mit guten Schulen eben mehr, als dass der Bund nur die Kosten Konzepten gelingen kann, ist richtig. Allerdings hilft es übernimmt. Manchmal habe ich das Gefühl, nach Ihren niemandem, das Rad neu zu erfinden. Nicht jede Schule Vorstellungen hätte es gereicht: Wir lassen hier ein, zwei muss Zeit mit der Entwicklung eines schuleigenen Me - Helikopter vollgepackt mit Kisten voller Tablets und dienkonzeptes vergeuden. Standardisierte Rahmenkon- Laptops losfliegen, schmeißen die schön über der Repu- zepte gibt es schon heute, und Schulen sollten sie nutzen, blik ab, und damit wäre es getan. erproben und währenddessen anpassen können. Dass das bisher nicht möglich ist, ist eine absolute Ressourcenver- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein, das sa- schwendung. gen wir ja gar nicht!) (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ganz so einfach ist es aber eben leider nicht. Deswegen (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gehört es auch dazu, dass wir verhindern müssen, dass jetzt Technik angeschafft wird, die dann in einem halben Und zum Schluss: Das allein wird nicht reichen, um Jahr irgendwo in die Abstellkammer kommt, da ver- die Möglichkeiten digitaler Bildung voll zu nutzen. Ne- staubt; das ist in vielen Ländern leider in der Vergangen- ben der digitalen Infrastruktur muss auch in Lernmana- heit auch immer wieder geschehen. Wir müssen dafür gementsysteme, Lehr- und Lernmaterialien, Administra- sorgen, dass diese Technik auch entsprechend anschluss- toren, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften, fähig ist für die Zukunft. Dafür braucht es Konzepte, auch Datenschutzstandards und Vorgaben investiert werden. pädagogische Konzepte; denn die Technik allein macht Das alles muss ineinandergreifen. Dafür brauchen wir den Unterricht eben noch lange nicht. den DigitalPakt 2.0 dringender denn je. Unser Konzept liegt längst auf dem Tisch. Setzen Sie es endlich um, (Beifall bei der CDU/CSU) Ministerin Karliczek. Die Bildungschancen einer ganzen Generation stehen auf dem Spiel. Wir brauchen schnelle Lösungen, klar; aber wir brau- chen eben auch effiziente und nachhaltige Lösungen, (Beifall bei der FDP – Kai Gehring [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie doch in (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Wann NRW damit an!) kommen denn die Lösungen? Wann bringt die CDU die Lösung?) Vizepräsident Thomas Oppermann: damit die Technik auch im nächsten und übernächsten Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Jahr im Unterricht eingesetzt werden kann. Und was noch Ronja Kemmer für die Fraktion der CDU/CSU. viel wichtiger ist: Wir müssen auch die Lehrkräfte in den Prozess einbinden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ronja Kemmer (CDU/CSU): 15 Jahre CDU-Minister und dann keine Lösun- gen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- be Kollegen auch der FDP, zunächst einmal will ich sa- Wir müssen die Lehrkräfte beim Thema Bildung einbin- gen: Den ersten Sätzen Ihres Antrags kann man absolut den, damit sie die Konzepte mitentwickeln; denn wenn zustimmen. Es ist natürlich so: Die Schulschließungen in sie das nicht tun, dann ist am Ende auch klar, dass wir der Coronazeit sind eine historische Ausnahmesituation keine digitalen Kompetenzen vermitteln können. Die gewesen. Und ja, das Lernen von zu Hause war ein Kraft- Lehrkräfte haben eine Schlüsselrolle bei dieser Frage. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21257

Ronja Kemmer (A) (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Tolle Deswegen ist der Grundtenor Ihrer Stoßrichtung auch (C) Entschuldigungsrede!) nicht falsch; aber dann kommen Sie bitte auch mit Vor- schlägen, die wirklich konkret etwas nutzen. Einfach nur Die Förderrichtlinien – das gehört zur Einordnung da- zu sagen: „Jetzt geben wir das Geld aus, und die Konzep- zu – sind erst jetzt von den Bundesländern entwickelt te folgen dann irgendwann viel später“, ist für uns kein worden, viele erst im letzten Herbst oder im letzten Win- zustimmungsfähiger Vorschlag. Bitte beim nächsten Mal ter. Und Sie kritisieren, dass die Prozesse in den Ländern taugliche Vorschläge vorlegen! Dann können wir gerne in oftmals zäh laufen; das stimmt auch. Aber dann schauen Zukunft darüber diskutieren. wir doch einmal genau hin: Wie schaut es denn in Län- dern aus, in denen Sie Verantwortung tragen, zum Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – spiel in Rheinland-Pfalz oder in NRW? Ich kann Ihnen da Michael Theurer [FDP]: Billige Polemik, was nur eines sagen: Beim Thema Mittelabfluss sind die Top- Sie machen!) 3-Bundesländer Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen. Dort sind die Kultusminister alle entweder von der CDU oder von der SPD. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!) AfD der Kollege Dr. Michael Espendiller. Also, bevor Sie uns hier im Bund ständig für Probleme, (Beifall bei der AfD) für die wir gar keine Zuständigkeit haben, die Schuld in die Schuhe schieben: Machen Sie erst einmal in den Län- Dr. Michael Espendiller (AfD): dern die Hausaufgaben, und sorgen Sie dafür, dass die Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Mittel auch entsprechend abfließen. Herren! Liebe Zuschauer im Saal und bei YouTube! Die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Magentasozialisten von der FDP haben wieder einen An- trag zum hippen Thema „Digitalisierung in der Bildung“ Wir haben als Koalition im Bund gezeigt, dass wir den rausgehauen. Ich muss leider sagen, liebe Kollegen von Herausforderungen begegnen können und dass wir das der FDP: Ihr habt den Schuss echt noch nicht gehört! auch schnell tun. Dieser Antrag geht nämlich völlig an der Realität unserer Schulen vorbei. Der Antrag geht sogar voll am Thema (Michael Theurer [FDP]: Was ist denn mit den Digitalisierung vorbei; denn das Hauptproblem bei Coro- anderen Ländern? In wie vielen Ländern regie- na waren ja nicht fehlende Endgeräte oder Ideen für Kon- ren Sie denn?) zepte, sondern fehlendes WLAN, überlastete Netze und (B) Wir haben jetzt in der Krise – ganz konkret – mit dem fehlendes Krisenmanagement. (D) DigitalPakt 100 Millionen Euro für den Bereich Online- plattformen und auch für die Beschaffung digitaler Lern- (Beifall bei der AfD) inhalte zur Verfügung gestellt. Wir haben weitere 15 Mil- Aber ginge es nach euch, liebe Magentas, würden wir in lionen Euro für das Projekt „Schul-Cloud“ zur Verfügung unseren Schulen nur noch Vollidioten heranziehen, die gestellt; denn viele Länder haben ihre Schulen damit ein paar Online-Erklärvideos auf den Tablets schauen nicht ausgestattet, oder die Infrastruktur war bis dato und das dann lernen nennen. nicht vorhanden. Und wir haben jetzt zuletzt das Sofor- tausstattungsprogramm für mobile Endgeräte in Höhe (Michael Theurer [FDP]: Die wählen dann alle von einer halben Milliarde Euro aufgesetzt, um Schüle- AfD, Herr Kollege!) rinnen und Schüler zu unterstützen, die die entsprechende Wir sind gerade dabei, eine Kultur des mimimi zu etab- Ausstattung nicht haben. lieren, anstatt Leistung zu fordern. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Auch Zu Ihrem Antrag: Sie stellen die steile These auf, dass nicht abgerufen!) die Mittel aus dem DigitalPakt Schule nur deshalb nicht – Kollege Sattelberger, die Vereinbarung ist in wenigen abgerufen werden, weil die Vorschriften zu kompliziert Wochen getroffen worden; sie ist am Montag auch vom sind. Deswegen beantragen Sie, dass die entsprechenden letzten Bundesland unterzeichnet worden; das heißt, es Vorschriften bis Ende 2021 nicht angewendet werden geht konkret in die Umsetzung. Von daher ist Ihre Kritik sollen. Ich habe mir das einmal angesehen, und ich muss hier überhaupt nicht angebracht. sagen: Wenn die Schulen es tatsächlich nicht schaffen würden, online zu gehen, sich ein paar Seiten durchzu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lesen, die Anforderungen zu erfüllen, dann sollte man sie neten der SPD – Dr. h. c. Thomas Sattelberger auch nicht auf unsere Kinder loslassen. [FDP]: Das ist ein verlorenes Schuljahr!]) (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Brandenburg Wir haben als Union immer Sympathie – das will ich [Rhein-Neckar] [FDP]: Sie haben offensicht- abschließend sagen –, wenn es darum geht, Bürokratie lich keine Ahnung, wie das läuft!) abzubauen. Ich kenne unsere Schulleiter, und ich kenne unsere (Michael Theurer [FDP]: Warum machen Sie Schulen, und ich weiß ganz genau, dass das hier nicht es dann nicht? Wer regiert die letzten Jahrzehn- das Problem ist. Da sind Sie nämlich voll auf dem Holz- te? Was ist denn mit dem Bürokratieabbauge- weg, liebe FDP, und das auch schon seit Beginn dieser setz III?) Legislaturperiode. Seit zwei Jahren erzähle ich Ihnen zu 21258 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Michael Espendiller (A) diesem Thema, dass wir unsere Schulen und Lehrer mit (Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Das eine (C) einem Berg an Aufgaben und Arbeit alleine lassen. Eini- schließt das andere nicht aus!) ge Beispiele: Statt Förderschulen zu stärken, sollen un- sere Lehrer eine falsche Vorstellung von Inklusion voran- Gleichberechtigt daneben soll dann Informatik gerne als treiben. Sie sollen nebenbei die Hauptlast der Integration vierte Kulturtechnik antreten. Dafür brauchen wir aber schultern. Die Lehrer sollen demnächst auch Ökopropa- mehr denn je eine starke Präsenzkultur an den Schulen ganda betreiben; das nennen sie dann schön „Bildung für und genügend motivierte Lehrer. Den Antrag der FDP nachhaltige Entwicklung“, und das soll in jedem Fach lehnen wir deswegen ab. eingebaut werden. Danke. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD – Matthias Seestern-Pauly Und dann soll natürlich die Digitalisierung dazukommen. [FDP]: Wieder eine Offenbarung!) Meine werten Kollegen Politiker, Sie müssen vollkom- men verrückt sein. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion (Beifall bei der AfD) der SPD die Kollegin Marja-Liisa Völlers. Wir haben in allen Schulformen Lehrermangel, zu große (Beifall bei der SPD) Klassen und einen mangelhaften Betreuungsschlüssel. Das sind die Probleme, an die wir ranmüssen. Jetzt rede ich seit mittlerweile zwei Jahren hier zu diesem Thema, Marja-Liisa Völlers (SPD): und es passiert nichts. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Vor genau einem Monat war ich mit dem nieder- (Beifall bei der AfD) sächsischen Kultusminister Grant Hendrik Tonne in mei- Wir bekommen nicht mehr Lehrer. Unsere Lehrer be- nem Wahlkreis unterwegs. kommen nicht mehr Zeit für die Unterrichtsvorbereitung oder für die Weiterbildung. Wir brauchen mehr Personal! (Zuruf von der LINKEN: Oh!) Wann geht das endlich in Ihre Köpfe rein? Sie können Wir haben zwei Förderbescheide im Rahmen des Digital- nicht immer mehr Aufgaben übertragen und gleichzeitig Paktes übergeben. Das einzig Ärgerliche an diesem sonst das Personal nicht aufstocken. sehr schönen Termin: Die Mittel hätten zugegebenerma- Gerade in der Coronakrise haben wir Schulen und Leh- ßen nicht erst vor vier Wochen ankommen dürfen, son- (B) rer erlebt, die sich von jetzt auf gleich auf die Socken dern bereits vor vier Jahren; hätte die damalige Bundes- (D) gemacht haben, um ihren Unterricht bestmöglich auf bildungsministerin den Start des die Bedingungen einzustellen, und das digital. Und auch DigitalPakts nicht verzögert. hier wurden sie wieder mal alleine gelassen, weil es we- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der in den Ministerien in den Ländern noch im Bund DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Notfallpläne gab, wie man mit so einer Situation umzu- LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: gehen hat. Lächerlich, Frau Kollegin!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – Oh nein, Herr Schipanski. – Das ist Geschichte. Jetzt Sind Sie jetzt für oder gegen Digitalisierung? lamentieren wir nicht weiter, sondern arbeiten weiter. Ich Gibt es Corona, oder gibt es Corona nicht? Wie glaube, das ist das Beste in dieser Situation. ist denn jetzt Ihre Haltung?) Trotzdem haben die Lehrer das Beste daraus gemacht. Ja, Hier machen es sich die Kolleginnen und Kollegen der es gab auch ein paar schwarze Schafe, und es lief auch bei FDP-Fraktion in meinen Augen ein bisschen einfach. Sie Weitem nicht perfekt; aber den Digitalisierungssprung in kritisieren in Ihrem Antrag, dass die Mittel einfach nicht der Bildung, den wir dadurch gemacht haben, können wir schnell genug abgerufen werden, schreien aber im glei- aktuell alle sehen. Und dafür braucht auch niemand die chen Atemzug nach einem zweiten DigitalPakt. Da fehlt liebe FDP. mir irgendwie die Logik. Vor allem: Wie sollen wir den Lehrkräften vor Ort, zum Beispiel in meiner Heimat, er- (Beifall bei der AfD) klären, die in Zeiten des Fernunterrichts ihre Schülerin- nen und Schüler kaum erreichen, wie man das mit einem Vielleicht haben Sie deshalb in Ihrem Antrag auch nicht zweiten DigitalPakt beschleunigen kann? Es tut mir leid, ein einziges Wort des Dankes für unsere Lehrer übrig, die irgendwie klappt das nicht. in der Coronakrise vor Ort massive Arbeit geleistet ha- ben, oder für die Lehrer, die die Doppelbelastung des (Katja Suding [FDP]: Du warst aber schon mal Homeoffice und Homeschooling gleichzeitig geschultert weiter!) haben. Insbesondere Kinder und Jugendliche, die aus finan- Grundsätzlich – das will ich noch anfügen – können ziell nicht gut ausgestatteten Familien kommen, werden wir uns gerne über digitale Lernkonzepte unterhalten. in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnt. Aber wir von der AfD wollen, dass unsere Schüler zuerst in den traditionellen Kulturtechniken des Lesens, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die FDP Schreibens und Rechnens sattelfest sind. kennt solche Leute nicht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21259

Marja-Liisa Völlers (A) Sehr geehrte Damen und Herren, ja, es hat zu lange mit digitalen Mitteln. Ich war am vergangenen Freitag in (C) gedauert, bis der DigitalPakt an den Start ging. Aber er einer Schule in Sangerhausen im Landkreis Mansfeld- ist eine wunderbare, eine ausgezeichnete Grundlage, um Südharz. Wir wollten die Arbeit mit den kleinen Calliope nun von Bundesseite aus schnell Geld an die Schulen in minis beginnen. Die Kollegen und Kolleginnen waren unseren Ländern zu geben. Die Kollegin Kemmer hat hochmotiviert, die Geräte alle da. Was fehlte, war leis- eben aufgezählt, in welchen Bundesländern das schon tungsfähiges Internet. Das gibt es nur in der ersten Etage. gut funktioniert. Wir als Koalition in Berlin haben uns einige Gedanken gemacht und weitere tolle Ideen auf Wir kommen an vielen Schulen einfach nicht dazu, den Weg gebracht. Wir haben bereits im März die Förder- endlich loszulegen. Es scheitert an den Basics. Und das, bestimmungen so geändert, dass auch digitale Bildungs- meine Damen und Herren, lässt einem mittlerweile die inhalte gefördert werden können. Mit 100 Millionen Euro Fußnägel nach oben rollen. Das muss sich endlich än- haben wir die Länder dabei unterstützt, ihre Lernplattfor- dern. men auszurollen. Wir geben zusätzlich eine halbe Milliar- (Beifall bei der LINKEN) de Euro, damit nach den Sommerferien auch die Schüle- rinnen und Schüler mit einem Laptop oder Tablet lernen Zweitens. Vor dem Coronavirus sind nicht alle gleich. können, deren Familien sie nicht unterstützen können. Diese Krise zeigt einmal mehr drastische soziale Un- Der Bund wird in diesem Jahr mit einer weiteren halben gleichheit in unserer Gesellschaft. Die Bildung ist min- Milliarde Euro bei der Ausbildung und Finanzierung von destens ein Brennglas dafür. Für die einen sind diese IT-Administratoren in den Schulen einsteigen. Ich glau- Wochen eine interessante Herausforderung gewesen, eine be, darauf können wir alle stolz sein. Investition in die Zukunft, man entwickelt alle Kompe- tenzen, wenn auch nicht alle erforderlichen. Die anderen (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: fühlen sich schlichtweg abgehängt, weil sie keinen Com- Totes Geld ist das!) puter, keinen Laptop, keinen Drucker haben. Sie können Ich will gar nicht sagen, dass wir uns auf dem Erreich- sie sich nicht leisten. Sie haben kein Geld für Papier, ten ausruhen sollen – überhaupt nicht. Das nächste Schul- geschweige denn für ein leistungsfähiges WLAN. Das jahr steht vor der Tür, und niemand von uns im Hause und schafft Resignation. Wir hängen diese jungen Menschen draußen in Deutschland weiß, wie es nach den Sommer- ein weiteres Mal ab. Hier ist nicht ein Jahr verloren, ferien mit dem Infektionsgeschehen weitergeht. Was pas- sondern hier sind sechs Jahre verloren. Da hat die FDP siert, wenn der Sommer vorbei ist und der Herbst be- recht. ginnt? Wir müssen also unsere Schulen so fit machen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- dass sie auf die unterschiedlichen Situationen angemes- ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) sen und gut reagieren können. Wir als SPD-Bundestags- GRÜNEN – Dr. Franziska Brantner [BÜND- (D) fraktion haben uns dazu schon Gedanken gemacht und in NIS 90/DIE GRÜNEN], an die FDP gewandt: einem Positionspapier 15 Maßnahmen formuliert. Diese Dass ich das noch erlebe!) werden wir natürlich in den nächsten Wochen und Mona- ten mit allen Beteiligten debattieren. Drittens. Die Krise zeigt auch: Lernen bleibt ein sozia- ler Prozess. Der ist nicht allein mit digitalen Mitteln zu Schließen möchte ich als Lehrerin, Herr Präsident, bewältigen. Mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen wenn ich das darf, mit einem ganz großen Dank an die von der FDP, so langsam führt uns Ihr Hype in Sachen vielen Lehrkräfte in Deutschland, die sich tolle Gedanken Digitalisierung auf einen schrägen Pfad. Er verstellt den gemacht haben, um die Schülerinnen und Schüler in der Blick auf wichtige zentrale Probleme des Bildungswe- Coronakrise toll zu unterstützen, aber auch an die vielen sens: Lehrermangel, der Mangel an Schulsozialarbeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Schulen, die al- der Mangel an vernünftigen modernen inklusiven les dafür getan haben, dass die Kinder möglichst gut Schulgebäuden. Das finde ich schwierig. unterrichtet werden. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank von mir. Zwei Kritiken haben wir an Ihrem Antrag. Durch den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mangel an digitaler Infrastruktur schlägt die Stunde der der CDU/CSU) Lobbyisten. Mir geht es nicht darum, alle privatwirt- schaftlichen Initiativen herauszuhalten, aber ein Dorn Vizepräsident Thomas Oppermann: im Auge ist uns sehr wohl der Einfluss der ganz großen Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Player. Wir sagen: Wir bleiben dabei: Bildung gehört in Die Linke die Kollegin Dr. Birke Bull-Bischoff. die öffentliche Hand und auch öffentlich finanziert. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vorrang muss hier Pädagogik haben. Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Letzte Bemerkung: Ich finde es – ehrlich gesagt – be- Präsident! Die Schulschließungen in der Coronakrise ha- dauerlich, dass die Frage der sozialen Ungleichheit bei ben so einiges zutage gefördert. Ihnen immer nur ein verbales, mündliches Anliegen bleibt. Wichtig ist nämlich: Wir brauchen eine digitale Erstens. Wir sind immer noch unglaublich dürftig – um Grundsicherung, und das dauerhaft, so dass man sich nicht zu sagen: schlecht – aufgestellt in Sachen Lernen nicht jedes Mal mit Gerichten streiten muss. Wenn Sie 21260 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Birke Bull-Bischoff (A) das einmal ändern, dann klappt es auch mit der Zustim- Gerade um diese Pflicht geht es doch bei vielen (C) mung. Schulen, wenn sie zu Beginn des nächsten Schuljahres für hybriden Unterricht fit sein sollen. Das könnte ge- (Beifall bei der LINKEN) lingen, wenn sich Bund und Länder auf eine grund- sätzliche Basisstruktur einigen und die Checklisten zügig Vizepräsident Thomas Oppermann: in die Schulen gegeben würden, um hier die Lücken zu Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion füllen. Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Margit Stumpp. Der Ansatz ist doch für alle Schulen gleich: Jede (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schule braucht ein technisches Fundament; das haben wir gerade schon gehört: Breitbandanschluss, WLAN- Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ausleuchtung, ausreichend Endgeräte für Lehrkräfte, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- für Schülerinnen und Schüler sowie Administration. nen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Die Hoff- Schulen brauchen ein organisatorisches Fundament. Da- nung stirbt zuletzt. Es zeugt schon von einer optimisti- zu gehören Mail-Adressen für Lehrkräfte, für Schülerin- schen Grundhaltung, wenn man glaubt, diesen nen und Schüler, ein Lernmanagementsystem, Zugang zu DigitalPakt noch beschleunigen zu können. Ich will nicht einer Cloud und all diese Dinge. so weit gehen, dass ich sage: „Ein totes Pferd soll man Und Lehrkräfte brauchen ein pädagogisches Funda- nicht reiten“, aber ein Kaltblüter wird nicht mehr zum ment. Das heißt Aus- und Weiterbildung. Außerdem Rennpferd; da kann man sich noch so anstrengen. brauchen Schulen und Schulträger Orientierung, natür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich auch für eine komplizierte Antragstellung, aber vor sowie bei Abgeordneten der FDP) allem für die Auswahl von Hard- und Software, nicht nur für die digitale Pflicht, sondern auch für die digitale Kür. Hätte Ministerin Karliczek die Digitalisierung ange- Das kann eine gute Begleitung und eine Bundeszentrale sichts der Krise tatsächlich beschleunigen wollen, hätte für digitale und Medienbildung, wie wir sie schon vor der sie ein Förderprogramm Digitalisierung aufgelegt und Krise vorgeschlagen haben, tatsächlich leisten. hätte nicht an diesen ohnehin mager ausgestatteten Digi- talPakt angedockt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir hoffen mit der FDP auf die Einsicht, dass Entbürokratisierung tatsächlich Schon vor der Krise war doch klar: Die meisten nottut und Bildung endlich, endlich als gesamtpolitische Schulen stehen in puncto Digitalisierung noch ganz am (B) Verantwortung verstanden wird. Deswegen stimmen wir (D) Anfang. Ein Grund dafür ist die derzeitige Struktur des Ihrem Antrag zu. Bildungsföderalismus. Die Lasten sind unfair verteilt. Arme Kommunen, die das Geld für Digitalisierung nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten, werden jetzt bei wegbrechenden Steuereinnahmen und bei der FDP) noch weiter unter Druck geraten. Wie sollen die da noch Digitalisierung stemmen? Vizepräsident Thomas Oppermann: Ein zeitlich befristeter DigitalPakt, der Betriebs- und Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Wartungskosten am Ende doch wieder auf die Kommu- der CDU/CSU die Kollegin Dr. Dietlind Tiemann. nen abwälzt, ist kontraproduktiv. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Vor diesem Hintergrund ist es auch völlig unverständlich, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dass die riesigen Konjunkturpakete vielen zugutekom- Kollegen! Es ist schon schön, Ihnen, liebe Kollegin men, Bildung, der Rohstoff für die Zukunft, aber ver- Suding, hier zuzuhören, sind wir uns doch, glaube ich, gleichsweise wenig abbekam. Das zeigt, welche Prioritä- alle darin einig, dass die Schulen, die Schulträger und ten diese Koalition und auch die nicht anwesende alle, die daran beteiligt sind, von der Coronakrise so Ministerin setzen. wie wir alle kalt erwischt wurden. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE In Kommentarspalten der Medien gewann man ja GRÜNEN]: So ist es!) schon den Eindruck, wir seien, was die Schulen betrifft, Stattdessen müssen gerade die Schulen, die digital dem völligen Untergang geweiht. An dieser Stelle – das noch ganz am Anfang stehen, bei denen also der größte hat insbesondere die Kollegin Völlers, glaube ich, sehr Handlungsbedarf besteht und Eile geboten ist, die größ- schön hervorgehoben – haben wir großen Dank zu sagen: ten bürokratischen Hürden meistern. Der Grund dafür ist, ein Stück weit natürlich den Schülerinnen und Schülern, dass gerade diese Schulen eben noch kein Medienent- weil sie ja am stärksten betroffen waren, aber natürlich wicklungskonzept hatten. Für eine digitale Grund- auch den Lehrern, den Kräften, die in den Schulen tätig ausstattung, die digitale Pflicht, braucht man aber auch sind, aber ganz besonders auch den Eltern. kein Medienentwicklungskonzept. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neten der SPD und der Abg. Dr. Birke Bull- sowie bei Abgeordneten der FDP) Bischoff [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21261

Dr. Dietlind Tiemann (A) Das sollte man an dieser Stelle wirklich auch mal deutlich Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) machen. Sie haben vieles geleistet, sie haben vieles aus- NEN): geglichen, bei dem man sich am Anfang überhaupt nicht Ja, vielen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben ja eingangs vorstellen konnte, dass das möglich ist. den Dank an die Schülerinnen und Schüler wiederholt, an die Lehrerinnen und Lehrer, die jetzt in Corona vieles Aber ich denke – auch darin sind wir uns nahezu einig; gemeistert haben. Dieser Dank ist sicher richtig und zu hier zumindest war das aus den Worten der Kollegen unterstützen. Ich glaube aber, viel mehr als einen Dank schon zu hören –, dass die Coronakrise die bekannten haben diese Menschen es doch verdient, dass wirklich Probleme im Bildungssystem verstärkt hat. Das ist so. jetzt auch die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Wir wissen, wo die Sorgen sind. Wir wissen, dass der digitales Lernen in der Schule möglich wird. Das ist das, DigitalPakt, insbesondere wenn es um die Erschließung was Eltern, Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen der Schulen und der Bildungseinrichtungen geht, noch und Lehrern wirklich hilft, nicht unbedingt die Tatsache, nicht in ausreichendem Maße umgesetzt ist. Wir wissen, dass wir jetzt die ganze Zeit Dankesreden halten. dass die Ausbildung der Lehrer immer noch schleppend vorangeht, dass wir Defizite bei den Möglichkeiten der Da, glaube ich, ist es weniger produktiv, die ganze Zeit Lehrer haben, IT-Kenntnisse umzusetzen. Wir wissen na- mit dem Finger aufeinander zu zeigen, wer hier wofür türlich auch, dass Lerninhalte noch nicht so digitalisiert zuständig ist. Das interessiert diese Menschen nämlich sind und so zur Verfügung stehen, wie wir es brauchen auch alle ziemlich wenig. würden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dennoch – ich glaube, das ist an dieser Stelle sehr wichtig, liebe Kollegen der FDP –: Wenn Sie hier und Vielmehr ist doch die Frage: Warum ist der DigitalPakt zu heute so einen Antrag stellen, dann würde man vielleicht so einer Digitalisierungsverhinderungsgeschichte für die auf den Gedanken kommen, zu sagen: Na ja, alter Wein in Digitalisierung an unseren Schulen geworden? neuen Schläuchen hilft uns auch nicht weiter. Sie haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es ja mit dem Kultusministerium in NRW unter Beweis und bei der FDP) gestellt – wenn man etwas erreichen will, kann man es auch schaffen –: Sie sind doch nicht sehr weit gekommen. Seit Jahren steht dieser DigitalPakt im Raum. Wir Es ist zwar schön, wenn Sie hier kluge Anträge stellen, mussten bis dieses Jahr warten, bis überhaupt mal Geld deren Richtigkeit überhaupt nicht bestritten wird, aber es fließt. Es sind wahnsinnig hohe Hürden. Meine Kollegin geht auch um die Umsetzung. hat darauf hingewiesen: (Michael Theurer [FDP]: Das hat sich aber bei (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Warum ha- (B) der Kollegin Kemmer anders angehört!) ben Sie denn keine Redezeit bekommen, Frau (D) Kollegin?) – Nein, nein, wir haben da schon die gleiche Auffassung. Es geht einfach darum: Sie könnten ja mal unter Beweis Medienentwicklungspläne für jede Steckdose, für jeden stellen, wie es geht. Aber Sie machen es nicht, weil Sie es Breitbandanschluss, den man haben möchte. einfach nicht können. Sie jammern rum, dass die Anträge Was wollen Sie denn tun, damit dieser DigitalPakt jetzt zu schwierig sind. Sie sagen einfach, dass da zu viele tatsächlich auch Fahrt aufnimmt und in Anspruch genom- Formalitäten sind. Aber auch diese sollten Sie zwischen- men wird? Das ist doch hier die entscheidende Frage und zeitlich kennen. Ich bin ja noch nicht so lange hier dabei, nicht, wer für was genau zuständig ist. aber ich höre immer wieder, dass Sie versuchen, dem Bund das zuzuschieben, was in der Verantwortung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Länder liegt. sowie bei Abgeordneten der FDP)

(Beifall bei der CDU/CSU – Tankred Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! Sehr rich- Liebe Kollegin, danke für die Frage. Sie macht noch tig!) einmal deutlich, dass wir das, was wir als Bund zu tun Bisher wurden in Nordrhein-Westfalen erst 6,6 Millio- hatten, getan haben und noch mehr. Wir haben nicht nur nen Euro abgerufen. Dazu kann man einfach nur sagen: Geld zur Verfügung gestellt. Wir haben, um den Kommu- Na ja, angesichts 1 Milliarde Euro, die sie haben könnten, nen zu helfen, sogar das Wichtigste, das wir haben, näm- ist da noch ein bisschen Luft nach oben. Jetzt bringt die lich das Grundgesetz, geändert, FDP den Antrag „Weniger Bürokratie wagen – Digital- Pakt Schule beschleunigen“ ein. Wenn Sie meinen, Sie (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Un- könnten es besser als alle anderen, dann könnten Sie das gern!) mal unter Beweis stellen. um die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass er dann in Ländern und Kommunen umgesetzt wird. Wenn Vizepräsident Thomas Oppermann: das nicht geht, könnten wir beide vielleicht mal Hilfe Frau Tiemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von anbieten – ich kann gut schippen –, damit die Leitungen den Grünen? bis hin zu den Schulen schneller verlegt werden. Aber ich glaube, das ist nicht unsere Zuständigkeit. Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE Natürlich. GRÜNEN]: Doch! Herr Scheuer ist hier zu- 21262 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Dietlind Tiemann (A) ständig! – Gegenruf des Abg. Tankred Markus Paschke (SPD): (C) Schipanski [CDU/CSU]: Nein!) Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen Wir haben die Rahmenbedingungen zu schaffen, und wir und Herren! Ja, wir haben – das ist, glaube ich, doch müssen immer wieder deutlich machen, wie die Umset- unbestritten – noch erhebliche Defizite bei der Digitali- zung erfolgt. sierung in allen Lebensbereichen. Das brauchen wir uns Vielleicht komme ich noch mal ganz kurz zu dem An- nicht immer wieder zu erzählen. Das wissen wir, und wir trag der FDP, der wirklich nicht dazu angetan ist, von uns arbeiten daran, dass sich das ändert. Gerade die Corona- die Zustimmung zu bekommen. Wissen Sie, wenn Sie – pandemie stellt unser Bildungssystem auf die Probe und ich bezeichne es mal als DigitalPakt 1.0 – hier einfach nur hat gute und auch schlechte Seiten ziemlich deutlich an deutlich machen, wo noch große Schwächen sind, wenn die Oberfläche gebracht, wie in allen Lebensbereichen. wir jetzt noch während der Fahrt, die wir jetzt langsam Wir wissen, dass Schulen, Lehrkräfte, Eltern sowie Schü- begonnen haben aufzunehmen, die Änderungen durch- lerinnen und Schüler Unheimliches geleistet haben in der führen, die Sie vorgeschlagen haben, dann kommen wir Zeit, als die Schulen dicht waren. Wir wissen auch, dass nicht weiter. sie auf Unterstützung aus der Politik angewiesen sind. Auch da kann man nur sagen: Eine Verschlankung der Im Mai 2019 haben wir den DigitalPakt Schule auf den Vorschriften haben die Länder vorzunehmen. Die Ver- Weg gebracht. Das sind 5,5 Milliarden Euro. Ich finde, waltungsvereinbarung – ich danke dem Ministerium da- das ist ein guter Anfang. Das müssen wir jetzt umsetzen, für noch mal ganz herzlich –, die zwischen dem Bund und und zwar gemeinsam mit den Ländern. Moderne Bil- den Ländern geschlossen wurde, hat 20 Seiten. Sie ist dungs- und Betreuungseinrichtungen sind für die Teil- sehr differenziert und sehr aussagefähig; daran kann habe unserer Kinder und für die Vereinbarkeit von Fami- man sich ein Beispiel nehmen. lie und Beruf von zentraler Bedeutung. Es liegt nun auch an den Ländern, den DigitalPakt zügig umzusetzen. In Den Vorschlag, ein Portal zu schaffen, das vielleicht dem Bundesland, aus dem ich komme – Niedersachsen, übersichtlicher ist, oder auch das, was Sie alles vorge- das wurde schon ein paarmal lobend erwähnt; das kann schlagen haben, kann man umsetzen. Aber bitte üben man so fortführen –, klappt das. Dort findet jetzt die Um- Sie es vor Ort. Jetzt geht es darum, den DigitalPakt 1.0 setzung der 500 Millionen Euro für die technische Aus- umzusetzen und vielleicht auch schon an 2.0 zu denken. stattung der Schulen statt. Das wurde noch vor den Som- Auch da sind wir ja bei Ihnen und sehen, dass das im merferien auf den Weg gebracht, sodass nach den Ferien Folgenden notwendig ist. Aber auch da gibt es Erfahrun- alle loslegen und anpacken können. Damit ist sicherge- gen: Überholen, ohne einzuholen, hat schon mal nicht stellt, dass alle Kinder auch digital teilhaben können. (B) funktioniert. (D) (Beifall bei der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den ver- Es bedarf aber auch guter und vernünftiger Planung bei steht hier nur noch die Hälfte, Frau Kollegin!) der Koordination von Hardware, Software, Service und Das heißt: Lassen Sie uns den DigitalPakt 1.0 umset- Wartung in der digitalen Infrastruktur; denn kopflose zen. Dann sind wir in der Situation, in der wir den Leh- Schnellschüsse sind in dieser Frage ziemlich teuer und rerinnen und Lehrern, den Schülern und vor allen Dingen meistens auch ziemlich wirkungslos. Das Chaos unter- auch den Eltern zur Seite stehen. schiedlicher Systeme ist letztendlich nicht beherrschbar und viel zu teuer. Die Länder machen – zumindest im Wissen Sie, ich war lange genug Oberbürgermeisterin. Hinblick auf Niedersachsen kann ich das sagen – hier Die Stadt, aus der ich komme, hat für alle Schulen Me- einen guten Job. dienkonzepte entwickelt. Diese liegen beim Land. Das Land aber sammelt. Erst wenn alle vorliegen, werden Den Antrag der FDP würde ich bestenfalls als „gut sie bestätigt, und dann wird Geld angefordert. Darüber gemeint“ bewerten. Aber er ist leider nicht vernünftig kann man sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Damit zu Ende gedacht. Die Zuständigkeit der Länder in Bil- kommt man nicht so sehr weiter. dungsfragen haben wir im Grundgesetz gar nicht geän- dert. Vielmehr haben wir mit der Änderung nur dafür Aber ein Wort zu dem, was wir hier heute gesagt ha- gesorgt, dass wir uns unterstützend beteiligen dürfen. ben. Es war ein Schulleiter, der erklärt hat: Wissen Sie, Ich bin auch überzeugt, dass diese Zuständigkeit bei un- lassen Sie uns einfach mal ein bisschen in Ruhe arbeiten. seren Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten Dann kommen wir auch voran, und dann machen wir die gut aufgehoben ist. – Ich merke, dass ich meine Redezeit nächsten Schritte. schon wieder leicht überzogen habe. Herzlichen Dank. Ein letzter Satz noch. Was mir wichtig ist, ist die so- ziale Frage. Die Bildungskrise darf nicht zur sozialen (Beifall bei der CDU/CSU) Krise werden. Das heißt, wir dürfen keine Schülerinnen und Schüler zurücklassen. Wir müssen sicherstellen, dass Vizepräsident Thomas Oppermann: alle an der digitalen Bildung in Zukunft auch teilhaben Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die können. Deswegen brauchen wir die digitale Lernmittel- Fraktion der SPD der Kollege Markus Paschke. freiheit für alle Schülerinnen und Schüler. Packen wir es an! Wir, die SPD, setzen uns ein für mehr Bildungsge- (Beifall bei der SPD) rechtigkeit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21263

Markus Paschke (A) Danke schön. Bewegungsfreiheit für Bewohner von (C) Seniorenheimen sicherstellen (Beifall bei der SPD) Drucksachen 19/19518, 19/20116, 19/20117, 19/20119, 19/20720 Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen FDP, Die Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Linke und Bündnis 90/Die Grünen, ein Änderungsantrag Drucksache 19/20582 an die in der Tagesordnung aufge- der Fraktion Die Linke und je ein Entschließungsantrag führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weitere Überwei- der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke sowie der sungsvorschläge sehe ich nicht. Dann ist das so beschlos- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. sen. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor- Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 12 a und gesehen. 12 b auf: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält als erster a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Redner der Kollege Dr. Roy Kühne für die Fraktion der desregierung eingebrachten Entwurfs eines CDU/CSU. Gesetzes zur Stärkung von intensivpflege- (Beifall bei der CDU/CSU) rischer Versorgung und medizinischer Re- habilitation in der gesetzlichen Kranken- Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): versicherung (Intensivpflege- und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Zuhörerin- Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV- nen und Zuhörer! Liebe Kollegen des Deutschen Bundes- IPReG) tages! Wir sprechen heute über ein Gesetz, das eine ge- Drucksache 19/19368 wisse Historie hat. Wir hatten im letzten Jahr das Thema RISG auf dem Schirm, und da wurde ganz klar gesagt: So Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- geht es nicht. – Daraus entstand das IPReG. schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Ich möchte mich hier noch mal ganz persönlich bei all Drucksache 19/20720 denen bedanken, die an der Evaluation dieses Gesetzes mitgearbeitet haben. Das sind nicht nur die Kollegen des b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Deutschen Bundestages. Das sind vor allen Dingen auch (B) Berichts des Ausschusses für Gesundheit viele Angehörige, die uns zu Hause persönlich angespro- (D) (14. Ausschuss) chen haben, die uns angerufen haben, die uns persönliche E-Mails geschickt haben. Schließlich geht es um die – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Nächsten, um die Liebsten, um ihre Angehörigen, die in Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg Wohnformen, in stationären Einrichtungen oder zu Hause Schneider, weiterer Abgeordneter und gepflegt werden. Und noch mal: Wir müssen uns, glaube der Fraktion der AfD ich, wenn wir heute über dieses Gesetz debattieren, genau überlegen, warum dieses Gesetz da ist, und dürfen nicht Fachübergreifende Frührehabilitation einfach sagen: Es ist jetzt da, weil wir die Idee hatten, ein flächendeckend einrichten – Nahtlose Gesetz zu machen. – Dafür gab es glasharte Gründe. Rehabilitationskette herstellen, Kran- kenhausstandorte erhalten und stärken Wir alle können uns sicherlich noch an den Aufschrei erinnern: Missbrauch von Pflegeleistungen, 2016 der Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev griff „Pflegemafia“, Fehlversorgung von zu Pflegenden. Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Sogar von Opfern war die Rede. Dann kam der Auf- Brandner, weiterer Abgeordneter und der schrei – sicherlich wurde der eine oder andere Gesund- Fraktion der AfD heitspolitiker genauso wie ich angesprochen –: Wie konntet ihr das zulassen? War euch das nicht klar? – Es Rehakliniken und Kurbetrieb in den gibt Kopfschütteln bei vielen Menschen, weil es doch Regelbetrieb zurückkehren lassen eigentlich klar sein muss, was da passiert. Aus einer Hand – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev kommt Geld für eine Leistung im Gesundheitssystem, Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan und keiner kriegt mit, dass hier ein Missbrauch stattfin- Brandner, weiterer Abgeordneter und der det. Der Schaden von 1 Milliarde Euro kann nicht ein- Fraktion der AfD fach – das muss man auch ganz klar sagen – wegdisku- tiert werden. Was mich auch persönlich, als Mensch, der Krankenhäuser in den Regelbetrieb zu- seit 20 Jahren im Gesundheitssystem arbeitet, gestört hat, rückkehren lassen ist, dass das durchaus auf viele fleißige Pflegedienste, viele fleißige Leute einfach ein schlechtes Licht warf: – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Betrügt ihr? Was tut ihr da? Kontrolliert euch keiner? Spangenberg, Marc Bernhard, Stephan Wollt ihr euch bereichern? – Ich glaube, eines können Brandner, weiterer Abgeordneter und der wir alle im Deutschen Bundestag hier sagen: Mit Pflege Fraktion der AfD kann man sich in Deutschland nicht bereichern. 21264 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Roy Kühne (A) Die Ursache sind – das wurde mehrfach klar gesagt – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) fehlende Transparenz, fehlende Kontrolle, und das ge- ordneten der SPD) rade in Deutschland. Dabei geht es nicht um Kontrolle um ihrer selbst willen, sondern um Kontrolle zum Schutz Vizepräsident Thomas Oppermann: von Patienten, zur klaren Erbringung von guten Leistun- Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der gen für Menschen, die schutzbedürftig sind. Von der Seite AfD der Kollege Uwe Witt. her sage ich ganz klar: Das IPReG ist notwendig. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Uwe Witt (AfD): – Danke. – Ich möchte noch mal ganz klar sagen, dass das Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie- IPReG einfach das Resultat aus der Reaktion auf Miss- be Zuschauer hier im Saal und an den TV-Geräten! In- stände ist. Natürlich haben wir die Möglichkeit gehabt, zwischen ist es Tradition geworden, dass die Gesetzent- viele Sachen zu ändern. Ich möchte auf zwei kleine Sa- würfe aus dem Hause Jens Spahn nicht nur die Gemüter chen eingehen. erhitzen, sondern auch unsere Bürger auf die Straße trei- ben, seien es die Proteste gegen das Gesetz zur Zwangs- Es wird natürlich die Frage gestellt, wenn man ein masernimpfung, die Überlegungen zur Zwangscorona- Gesetz macht: Wozu macht man es, also welche Bedin- impfung oder nun das Intensivpflegegesetz mit der gungen herrschen? Man kann schon fragen: Wie wird Zwangseinweisung in Heime. Therapie vor Ort erbracht, wie wird Pflege vor Ort er- bracht? Was kommt dabei raus? Die Antwort kann sehr (Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie haben es immer unterschiedlich sein. Ich möchte bloß den Rahmen noch nicht verstanden!) skizzieren. Meine Kollegin Frau Maag hat die Frage ge- Lieber Herr Spahn, wir leben in einer freiheitlich-de- stellt: Wie soll denn zum Beispiel in einer kleinen Woh- mokratischen Gesellschaft. Auch wenn Sie das Wort nung die Pflege so gewährleistet sein, dass das Ganze für „Zwang“ niemals aussprechen: Alle Ihre Gesetzentwürfe den Patienten qualitativ gut durchgeführt wird? Das soll gehen immer in die Richtung einer teilweisen Entmündi- nicht heißen, dass es nicht möglich ist. Meine Mutter hat gung unserer Bürger. Daher freue ich mich, dass die jahrelang meinen pflegebedürftigen Vater in einer kleinen Proteste vieler Betroffener und Behindertenverbände zu Wohnung gepflegt. Ich möchte im Namen von CDU und einer Korrektur des Intensivpflegegesetzes geführt haben CSU ganz klar sagen: Niemand möchte pflegebedürftige und der Passus, der die Selbstbestimmungsrechte eines Menschen aus ihrem häuslichen Umfeld rausnehmen. Intensivpflegepatienten ausgehebelt hätte, nun ersatzlos gestrichen wurde. (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) ordneten der SPD) (Beifall bei der AfD – Corinna Rüffer [BÜND- Aber: Jeder hat das Recht, zu Hause gut gepflegt zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht ge- werden, auch der, der sich nicht äußern kann. Dafür ist lesen anscheinend! Nicht mal das haben Sie das Gesetz richtig und wichtig. Da danke ich auch un- geschafft!) serem Minister, dass er ganz klar betont: Wir reden über ln ihren Änderungsanträgen hat die Koalition den Ge- Menschen, die sich vielleicht nicht wehren können. Auch setzentwurf in wichtigen Punkten nachgebessert. Versi- dafür sind wir verantwortlich als Politiker. cherte mit Intensivpflegebedarf dürfen, angelehnt an die aktuelle Regelung, Pflegefachkräfte selbst beschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die Koalition verankert auch den Sicherstellungsauftrag der SPD) der Krankenkasse im Intensivpflegegesetz. Das ent- Noch mal: Für den Fall, dass der MD feststellt, dass da spricht unseren Änderungsanträgen, die gestern im Aus- irgendwas zu Hause nicht stimmt, haben wir eine Ziel- schuss diskutiert wurden. vereinbarung. Da bin ich den Kollegen von der SPD sehr (Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Wo warst du dankbar dafür, dass wir diesen Schritt gemacht haben. denn gestern? – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wo Wir reden miteinander. Die Krankenkassen, die Bedürf- waren Sie denn gestern? Ich habe Sie nicht ge- tigen, auch diejenigen, die gepflegt werden, werden ge- sehen!) fragt. Und erst diese gemeinsame Kommunikation führt zu einem Ergebnis. Niemand nimmt niemanden irgendwo – Stellen Sie eine Frage; dann gebe ich Ihnen eine Ant- raus; Punkt. wort. Ich war im Ausschuss für Arbeit und Soziales und habe dort geredet als behindertenpolitischer Sprecher. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Noch eine Frage? ordneten der SPD) (Tino Sorge [CDU/CSU]: Also waren Sie nicht Deshalb, meine Damen und Herren, finde ich dieses im Gesundheitsausschuss!) Gesetz wichtig. Denn es berührt Menschen, Menschen, die uns fragen: Entscheidet ihr über unseren Kopf? Hier Dennoch ist Ihr Gesetz, Herr Minister Spahn, noch muss man ganz klar sagen: Nein, wir entscheiden mit voller kleiner Teufel, die ja bekanntlich im Detail ste- euch zusammen im Interesse der zu Pflegenden. – Und cken. Sie scheuen sich weiterhin, eine klare Regelung das ist wichtig. für den Wunschort der Leistungserbringung zu schaffen. Jetzt soll „berechtigten Wünschen“ der Versicherten ent- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. sprochen werden. Doch wer definiert „berechtigte Wün- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21265

Uwe Witt (A) sche“? Diese Formulierung schafft wieder einmal eins, Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) nämlich Rechtsunsicherheit und nicht unerheblichen Ver- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion waltungsaufwand. der SPD die Kollegin Heike Baehrens. Warum war überhaupt eine Novellierung des Intensiv- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten pflegegesetzes vonnöten? Es geht um Leistungsmiss- der CDU/CSU) brauch, wie Sie richtig sagten, im großen organisierten Stil. Doch nicht die Leistungsberechtigten haben die Heike Baehrens (SPD): Krankenkassen geprellt, sondern bandenmäßige Pflege- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dienste, oftmals mit osteuropäischem Hintergrund. Die Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist Intensivpflege kostete 2018 die gesetzliche Krankenver- der Sozialverband VdK, der bundesweit für sozialrecht- sicherung 1,9 Milliarden Euro. Wie hoch der Anteil an liche Expertise steht und die Rechte und Interessen von betrügerisch ergaunerten Abrechnungen liegt, lässt sich Patienten und Menschen mit Behinderungen nachdrück- zurzeit nur mutmaßen. lich vertritt. Nun sollen durch das Intensivpflegegesetz Einsparun- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Guter gen im dreistelligen Millionenbetrag entstehen. Doch ob Verband! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge es diesen Anforderungen gerecht wird, ist fraglich. Denn [CDU/CSU]: Da haben Sie mal recht, Herr an pflegebedürftigen Menschen sparen zu wollen, statt Kollege!) endlich massiv gegen die schwarzen Schafe der Pflege- Da ist es ja fast wie ein Ritterschlag, dass der VdK das branche vorzugehen, halte ich für moralisch sehr bedenk- heute zur Abstimmung stehende Gesetz lobt. lich. Ich denke, wir haben viel erreicht. Der Zugang zur (Beifall bei der AfD) Rehabilitation wird erleichtert, und das bedeutet mehr Selbstständigkeit und Lebensqualität. Bei der geriatri- Doch nun zu unseren eigenen Anträgen. Deutschlands schen Reha wird es keine langwierigen Genehmigungs- Krankenhäuser, Rehakliniken und auch Kurbetriebe lei- verfahren mehr geben, und wir stärken die Rehakliniken, den immer noch unter den Maßnahmen zur Eindämmung damit sie im Wettbewerb um gutes Personal mithalten des Coronavirus. Ein Regelbetrieb zur Behandlung nor- können. maler Patienten wird immer noch durch die Regierung verhindert. Die AfD-Fraktion fordert, die Coronamaß- Wir haben aber vor allem sehr viel erreicht für dieje- nahmen in Krankenhäusern, Kurkliniken, Rehaeinrich- nigen Menschen, die aufgrund einer schwerwiegenden (B) tungen und Seniorenheimen auf den Prüfstand zu stellen Erkrankung wie ALS oder wegen schwerster Traumata (D) und die dort geltenden Coronaregelungen auf Angemes- nach einem Unfall dauerhaft auf intensivmedizinische senheit und Sinnhaftigkeit zu prüfen. Gerade in Senioren- Versorgung angewiesen sind. Es ist gut, dass viele sich heimen ist es zu kasernenartiger Isolation unserer alten zu Wort gemeldet, nachdrücklich ihre Sorgen zum Aus- Mitbürger gekommen, unter der die Bewohner und deren druckt gebracht und ihre Interessen vertreten haben. Das Angehörige zu leiden hatten. Derartige Einschränkungen hat zu wesentlichen Veränderungen in diesem Gesetzge- der Grundrechte sind unverzüglich einzustellen. bungsverfahren geführt.

(Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Staat zahlt immer noch Geld für das unnötige Frei- Wir sorgen mit diesem Gesetz dafür, dass sie weiterhin halten von Betten über den Rettungsschirm der Regie- gut versorgt werden und dass ihre Selbstbestimmung und rung. Dieser Fehlanreiz muss umgehend beseitigt wer- bestmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ge- den, damit der Regelbetrieb – selbstverständlich unter währleistet wird. Den berechtigten Wünschen der Betrof- Beachtung der erforderlichen Hygienemaßnahmen – end- fenen ist zu entsprechen – das steht wortwörtlich im Ge- lich wieder aufgenommen werden kann. setz –, und dafür haben wir als SPD-Fraktion besonders Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Mit einem gekämpft. besonders sensiblen Thema befasst sich unser Antrag (Beifall bei der SPD) zur Frühreha. In Deutschland gibt es gravierende Defizite in der Versorgung von Schwerstverletzten bzw. bei deren Selbstverständlich sind die Krankenkassen nach wie Reha. Aufgrund der pauschalisierten Abrechnung im vor in Kooperation mit den Leistungserbringern für die DRG-System liegt es im finanziellen Interesse der Kran- Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung verant- kenhäuser, Patienten schnellstmöglich wieder zu entlas- wortlich. Werden Mängel in der pflegerischen Versor- sen. Wir benötigen ein fachübergreifendes, flächende- gung festgestellt, sind diese durch geeignete Nachbesse- ckendes Netz an Einrichtungen, die eine Frühreha rungsmaßnahmen in angemessener Zeit zu beseitigen. sicherstellen können. Dieses Versorgungsnetz hilft, ver- „Nicht ohne uns über uns“: Diesem Motto der interna- frühte Entlassungen oder Verlegungen aus den Akutkran- tionalen Behindertenbewegung tragen wir Rechnung. kenhäusern zu verhindern. Denn es wird keine einseitige Entscheidung der Kranken- kassen mehr geben. Sie haben zukünftig mit dem Ver- Vielen Dank. sicherten unter Beteiligung der Leistungserbringer eine Zielvereinbarung zu schließen, angelehnt an das bewähr- (Beifall bei der AfD) te Teilhabeverfahren, das wir mit der Umsetzung der UN- 21266 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Heike Baehrens (A) Behindertenrechtskonvention im Bereich der Eingliede- Was für ein Gewinn an Lebensqualität, wenn Patienten (C) rungshilfe eingeführt haben. ohne Tracheostoma nach Hause zurückkehren und ihrer Arbeit wieder nachgehen können! Das wird zukünftig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten häufiger gelingen. der CDU/CSU) Im Übrigen sorgen wir für eine echte Wahlmöglichkeit Wir stärken mit einem weiteren Änderungsantrag, im für den besten Ort der medizinischen und pflegerischen Ausschuss vorgelegt, das persönliche Budget, damit das Versorgung; denn die häusliche Versorgung wird nicht Pflegesetting auch weiterhin selbst organisiert werden teurer. Gleichzeitig muss nun aber auch niemand die sta- kann im Arbeitgebermodell, indem eben multiprofessio- tionäre Versorgung aus Sorge vor einer finanziellen Über- nell in bewährter Kooperation von Fachpflege, Pflege- forderung scheuen; denn die Kosten für die stationäre assistenz und Betreuungskräften zusammengearbeitet medizinische Versorgung inklusive Unterbringung, Ver- werden kann. pflegung und Investitionskosten werden zukünftig von (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der den Krankenkassen übernommen. CDU/CSU) Wir als SPD-Fraktion freuen uns, dass wir dieses wich- An dieser Stelle – das ist für mich vielleicht unge- tige Gesetz heute beschließen können. Kritisch werden wohnt, aber ich will es heute mal machen – danke ich wir weiter beobachten, ob der politische Wille des Ge- den Kolleginnen und Kollegen der Union, die diesen Weg setzgebers auch von den Krankenkassen umgesetzt wer- nach sehr intensiven Verhandlungen mit uns gemeinsam den wird. gehen. Ich denke, der Spagat ist gelungen. Das Gesetz schafft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die Grundlage für eine bessere Versorgung in der außen- Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Das ist ja Balsam klinischen Intensivpflege und für weniger Fehlanreize auf unserer Seele!) und Missbrauch. Vor allem aber wird es für mehr Selbst- bestimmung und Lebensqualität sorgen. Ich danke Ihnen und Ihrem Team, Herr Minister Spahn, dass Sie, obwohl Sie in den letzten beiden Wochen, glau- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. be ich, mehrmals über Ihren eigenen Schatten springen mussten, mit uns bis zur letzten Minute konstruktiv und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zielführend gerungen haben. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion (B) Es hat sich gelohnt; denn die Rahmenbedingungen für die der FDP die Kollegin Nicole Westig. (D) außerklinische Intensivpflege werden entscheidend ver- bessert, und wir stemmen uns gemeinsam dem Miss- (Beifall bei der FDP) brauch entgegen. Das war auch dringend nötig; denn wir wissen bei- Nicole Westig (FDP): spielsweise aus den Berichten der bayerischen Taskforce, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dass es bei zwei Drittel der 130 zugelassenen Intensiv- fast einem Jahr zittern Betroffene vor dem Gesetzent- pflegedienste auffällige Befunde gab, und bei 47 dieser wurf, den wir heute hier abschließend beraten. Menschen Dienste wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Prüf- mit Intensivpflegebedarf leben in Angst, künftig gegen ungen müssen sein, um Qualität sicherzustellen. Intensiv- ihren Willen im Heim untergebracht zu werden. pflege-WGs, die betrügerische Absichten verfolgen, Auf den allerletzten Metern sind uns die Regierungs- muss die rote Karte gezeigt werden. Prüfungen müssen fraktionen nun entgegengekommen. Das Damokles- sein, um die Spreu vom Weizen zu trennen. schwert des Heimzwangs wurde entschärft, ist aber noch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht stumpf. Dies wurde erreicht durch Zusammenste- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der hen der demokratischen Oppositionsfraktionen und be- CDU/CSU und der FDP) merkenswerte öffentliche Proteste von Betroffenen. Für dieses Gesetz zu kämpfen, war außerdem dringend (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie nötig, damit mehr schwerstkranke Menschen wieder oh- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ne Beatmungsgeräte leben können. Zu viele Patienten GRÜNEN) werden zu früh aus dem Krankenhaus entlassen und dann Mein besonderer Dank geht deshalb an Laura Mench und dauerhaft invasiv beatmet. Deswegen schaffen wir die alle anderen, die ihren Protest deutlich gemacht haben, Grundlage dafür, dass alle Chancen der Entwöhnung sei es öffentlich oder nichtöffentlich. schon während der Krankenhausbehandlung erkannt werden und die Überleitung aus der stationären in die (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ ambulante Versorgung optimiert wird, indem das Wea- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ning-Potenzial, wo immer möglich, genutzt wird. LINKEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vieles ist erreicht worden. Arbeitgebermodell und 28- DIE GRÜNEN sowie der Abg. Rudolf Henke Tage-Regelung werden beibehalten, ambulante und sta- [CDU/CSU] und Nicole Westig [FDP]) tionäre Versorgung wurden finanziell angepasst. Den- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21267

Nicole Westig (A) noch halten wir, Grüne, Linke und Freie Demokraten, Pia Zimmermann (DIE LINKE): (C) weiterhin an unserem Änderungsantrag fest; Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Damen und Her- ren! Auf den Rängen sind ja noch einige liebe Kollegin- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem nen und Kollegen. Intensivpflege- und Rehabilitationss- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tärkungsgesetz ist heute unser Thema. Ich möchte dazu denn wir sehen das Grundrecht auf Selbstbestimmung im berichten. Die LIGA Selbstvertretung, ein Zusammen- vorliegenden Gesetzentwurf nach wie vor eingeschränkt. schluss von 13 bundesweit tätigen Selbstvertretungsorga- nisationen, zudem von Menschen mit Behinderung ge- Bei der Frage nach dem Leistungsort der Versorgung führt, kommentiert Ihren Entwurf des IPReG heute in soll künftig den „berechtigten Wünschen“ der Menschen einer Pressemitteilung. Denn das sind die Betroffenen, mit entsprochen werden – immerhin. Aber wir fragen und die möchte ich heute hier zu Wort kommen lassen. uns: Wer entscheidet darüber, ob ein Wunsch berechtigt ist? In der UN-Behindertenrechtskonvention steht nicht Die LIGA-Sprecherin Dr. Sigrid Arnade spricht von etwa, dass das Recht, selbst zu bestimmen, wo man lebt, einer verschleierten Salamitaktik. Ich zitiere: davon abhängt, dass man einen berechtigten Grund dafür Die Grundrechte der Betroffenen nennt. Und wenn es bei den nun vorgesehenen Zielver- einbarungen unterschiedliche Auffassungen zur Versor- – also der Menschen, die auf Beatmung angewiesen sind – gungssicherheit gibt, wer hat dann das letzte Wort? werden beschnitten; sie müssen immer wieder um Oft genug gibt es eben keine Augenhöhe zwischen eine bedarfsgerechte Versorgung kämpfen; und die Versicherten und Kassen. Oft genug ist das ein Kampf Krankenkassen versuchen, sich aus der Leistungs- David gegen Goliath. Und, liebe Frau Baehrens, auch pflicht zu verabschieden. Frau Bentele hat in ihrer Presseerklärung gesagt, sie will Meine Damen und Herren, es kann doch wirklich nicht den Kassen genau auf die Finger schauen, wenn diese wahr sein, dass Menschen ihren Lebensmittelpunkt nicht nicht kooperieren. selbst bestimmen können. Sie sollen sich jährlich gegen- über den Krankenkassen beweisen müssen, denjenigen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) von deren gutem Willen sie letztendlich abhängig sind. Wir werden das notfalls vor den Sozialgerichten angrei- Frau Arnade beschreibt das so: fen. Mit einer diabolischen Taktik haben die Kranken- Im Gesetzentwurf fehlt auch, dass der Sicherstellungs- kassen zusammen mit Teilen der Gesundheitsver- auftrag eindeutig bei den Kassen liegt. waltung die Öffentlichkeit und Politiker*innen hin- (B) ters Licht geführt. (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroKo, Sie Meine Damen und Herren, es ist doch ganz offensicht- halten an jährlichen Prüfungen fest. Wir sind der Mei- lich: Es kommt Ihnen nicht darauf an, dass die Menschen nung: Wenn eine Prüfung ein positives Ergebnis hatte, mit Behinderung oder Menschen mit Intensivpflegebe- kann das Intervall auch auf bis zu drei Jahre verlängert darf ein selbstbestimmtes Leben führen können. Es werden. kommt Ihnen auch nicht darauf an, die ganz persönlichen, Mit unserem gemeinsamen Änderungsantrag sowie individuellen Bedürfnisse dieser Menschen zu sehen. Sie dem Entschließungsantrag der Freien Demokraten sorgen reduzieren sie ausschließlich auf ihre Handicaps. wir dafür, dass das hier vorgelegte Gesetz der UN-Behin- (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das stimmt dertenrechtskonvention entspricht. Liebe Kolleginnen nicht!) und Kollegen von der GroKo, Sie sind uns und allen Betroffenen weit entgegengekommen. Das nehmen wir In der Altenpflege sagen Sie, Herr Spahn: Ambulant sehr positiv auf. vor stationär. Bei Menschen mit Intensivpflegebedarf soll es auf einmal anders laufen. Sie machen sich die Welt (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ auch, wie es Ihnen gefällt: immer schön die kostengüns- CSU]) tige Variante. Und Sie handeln entgegen der UN-Behin- dertenrechtskonvention, indem Sie das Selbstbestim- Aber lassen Sie uns auch noch den letzten Schritt gehen. mungsrecht der Menschen missachten, und das Lassen Sie uns das Damoklesschwert „Heimunterbrin- missachten wir. gung gegen den Willen der Betroffenen“ gemeinsam be- graben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Und nicht nur das: Sie spalten einmal mehr die Gesell- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem schaft in diejenigen, die sich gute, individuelle Pflege BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leisten können, und diejenigen, die es nicht können. Auch das missachten wir. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Pia Zimmermann. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Finanzierung der Pflege nicht schleunigst auf gesunde Füße stellen, (Beifall bei der LINKEN) wird Ihnen der Laden um die Ohren fliegen. Wenn Sie 21268 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Pia Zimmermann (A) die Finanzierung der Pflege nicht schleunigst revolutio- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) nieren, werden Sie nicht ein einziges Problem vernünftig NEN): lösen können. Sie sagen, Sie wollen mit diesem Gesetz- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit über entwurf Versorgungsqualität verbessern. Bei diesem Ziel einem Jahr verfolgt die Bundesregierung mit dem soge- gehe ich sogar mit. Aber weil die Fraktion Die Linke nannten Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsge- dieses Ziel teilt, können wir diesem Gesetzentwurf nicht setz eine Reihe von Zielen, die hier im Hause eine große zustimmen. Ihr Gesetzentwurf löst diesen Anspruch näm- Mehrheit finden würden. Wir alle hier wollen die Qualität lich nicht ein. der außerklinischen Intensivpflege verbessern. Wir alle hier wollen die kriminellen Machenschaften einiger end- Eines, Herr Spahn, kann ich Ihnen versprechen. Ich lich unterbinden. Wir alle wollen die Potenziale der Beat- werde Ihnen bei der Umsetzung dieses Gesetzes sehr ge- mungsentwöhnung ausschöpfen; denn wir wissen, was nau auf die Finger schauen. das für eine Verbesserung, einen Zugewinn an Lebens- qualität bedeutet. Auch falls es keiner Verbesserung be- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dürfte, würden die Regelungen im Bereich der Rehabili- Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. tation auf Zustimmung treffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pia Zimmermann (DIE LINKE): sowie bei Abgeordneten der FDP) Damit bin ich nicht alleine. Die Betroffenen lassen sich All das hätten wir hier vor Monaten beschließen kön- nicht abspeisen; das haben sie in den letzten Monaten nen. Deswegen ist die Frage, Herr Minister Spahn: Wa- eindrücklich bewiesen. Wir brauchen einen runden Tisch rum haben Sie das nicht getan? für außerklinische Intensivpflege, um die Qualität zu si- chern, egal wo diese Pflege erbracht wird. Denn darauf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommt es an, – sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- KEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Diese Frage stelle ich hier, weil die in dem Gesetz ent- Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. haltenen Regelungen zur außerklinischen Intensivpflege von Anfang an in eklatantem Widerspruch zu den Selbst- bestimmungsrechten der betroffenen Menschen und zur Pia Zimmermann (DIE LINKE): UN-Behindertenrechtskonvention standen. – und nicht auf Ihre Einsparungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Herzlichen Dank. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der (D) LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie haben nicht auf den Beauftragten der Bundesregie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Herrn Dusel, gehört. Sie haben nicht auf die Petitionen Danke sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie und auf die Proteste gehört. Sie haben nicht auf die Anhö- sehen, die Sitzungsleitung hat gewechselt. Ich möchte rung im Bundestag gehört. Nach einem Jahr intensivster ein paar verwaltungsleitende Hinweise geben. Diskussionen haben Sie sich erst in dieser Woche am Wir haben noch drei Redner hier. Es passiert den drei Dienstag, wahrscheinlich auf Druck der SPD, zu Ände- Rednern, die jetzt reden, nichts. Aber ab dem nächsten rungen hinreißen lassen. Aber auch damit ist für uns Tagesordnungspunkt werde ich sehr sorgfältig auf die keine Rechtssicherheit für die betroffenen Menschen ge- Einhaltung der Redezeiten achten. Ich werde dann auch geben, auch damit keine Garantie, dass selbstbestimmtes keine Zwischenfragen und Kurzinterventionen mehr zu- Leben im eigenen Zuhause weiter möglich ist. Darum lassen. Wir sind momentan bei 0.30 Uhr. muss es uns allen doch gehen, meine Damen und Herren. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN]: Ich will aber eine stellen!) und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Ja, mag alles sein. Deshalb kündige ich das ja an, damit keiner Ärger bekommt. – Aber wir haben eine Verant- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wortung auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern des Deutschen Bundestages. Wie gesagt, bei Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus diesem Tagesordnungspunkt gilt das noch nicht, weil den Reihen der SPD-Fraktion? Die ehemalige Bundes- Herr Oppermann so großzügig war; deshalb bin ich das ministerin Ulla Schmidt hätte eine Frage. auch. Aber ab dem nächsten Tagesordnungspunkt wird das wieder sehr strikt gehandhabt. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kordula Schulz- Ja, gerne. Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sowie des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP]) Nur eine. Bitte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21269

(A) Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Wenn Sie mir gerade zugehört haben, bin ich, wie ge- (C) Frau Kollegin Schulz-Asche, ich bin mir immer nicht sagt, auch gern bereit – ich habe ja jetzt noch zwei Minu- so ganz sicher, ob auch Sie alle von der Opposition das ten –, in meiner Rede fortzufahren. Ich habe bisher Gesetz so, wie es jetzt formuliert ist, gelesen haben. eigentlich vor allem Minister Spahn und die Verschlep- pung des bisherigen Verfahrens kritisiert, weil die ande- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- ren Teile dieses Gesetzes gar nicht schlecht sind. Ich habe spruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch gesagt, dass das, was in dieser Woche gemacht – Doch. Kann man noch zuhören? – Ich glaube, dass ich wurde, durchaus Verbesserungen sind, aber trotzdem hier unbestritten auch als jemand stehe, der für die Rechte nicht zu Rechtssicherheit führt und deswegen auch wei- der Menschen mit Behinderung und für die Umsetzung terhin von uns kritisiert wird. Wenn Sie mir erlauben, der Behindertenrechtskonvention eintritt. Aber das, was würde ich auch genau darauf jetzt weiter eingehen, an auch wir hier im Bundestag in der Frage der Umsetzung welchen Punkten wir die gleiche Problematik fortgesetzt der Behindertenrechtskonvention, in der Frage des Bun- sehen. desteilhabegesetzes und in der Frage des Selbstbestim- mungsrechts gemacht haben, ist genau das, was jetzt hier Sie haben es gerade angesprochen: Den Wünschen der zum Tragen kommt und was der Unterschied ist zu dem, Betroffenen ist zu entsprechen. – Das ist sozusagen die was vorher im Entwurf war, wo stand, dass den Wün- Analogie zum SGB IX. Wir haben aber in diesem Gesetz schen zu entsprechen ist, soweit die Qualität gesichert auch Betroffenengruppen, die nicht durch das SGB IX ist. – Hier steht: „Berechtigten Wünschen der Versicher- abgedeckt sind. Deswegen sehen wir hier keine grund- ten ist zu entsprechen.“ Punkt. „Berechtigt“ ist ein sozial- sätzliche Problemlage für alle Betroffenengruppen ge- rechtlich höchstrichterlich sehr klar definierter Begriff. klärt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Für die Versorgungsschwierigkeiten sind nach wie vor der CDU/CSU) die Betroffenen zuständig. Wir sind aber der Meinung, Dann kommt: Es ist Aufgabe der Krankenkasse, dafür dass es dringend geboten ist, dass die Kassen den Sicher- zu sorgen und zu prüfen, ob die Qualität sichergestellt ist stellungsauftrag zu erfüllen haben. Das steht nicht in Ih- oder wie sie sichergestellt werden kann. Dann kommt, ren Änderungsanträgen. dass dazu alle die, die wir im Teilhabeverfahren haben, mit an einen Tisch müssen. Es gibt nicht mehr das Pro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN blem, dass die Krankenkasse einfach die Leistung ver- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der weigern kann. Sie sind alle gehalten, miteinander daran LINKEN) mitzuwirken. Wenn es hier um Intensivpflege geht und (B) Für uns ist auch nicht absehbar, was die Zielvereinba- (D) wenn wir Vereinbarungen machen, dann hat das doch rungen für die Betroffenen bedeuten, wenn zum Beispiel etwas damit zu tun, dass wir die Versicherten oder die, keine Erfolge von wem auch immer definiert werden. die sie betreuen, auch in diesen Prozess einbeziehen wol- len, sodass nicht einfach nur die anderen darüber ent- Das sind meiner Meinung nach drei wesentliche Punk- scheiden, was passiert. te, die nach wie vor in der jetzigen Regelung zu kritisie- Deshalb frage ich Sie, ob Sie das genauso gelesen ren sind haben; denn ich wundere mich schon über die Kritik, die hier aufkommt, auch in vielen Debatten, die gerade (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über Behindertenpolitik geführt werden. und bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deswegen ist für uns immer noch nicht ausgeschlos- der CDU/CSU) sen, dass die Betroffenen gegen ihren Willen in eine sta- tionäre Einrichtung umziehen müssen. Das ist der Kern- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: punkt. Die Selbstbestimmung ist für uns das Hauptthema. Frau Kollegin, geben Sie jetzt Ihre Antwort. Deswegen halten wir, die drei Oppositionsfraktionen aus dem demokratischen Lager, unseren Änderungsantrag aufrecht. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Eine Zielverein- Liebe Frau Kollegin Schmidt, Sie wissen, dass ich Sie barung beinhaltet Ziele und Regelungen! Des- sehr schätze und dass Sie auch in unserer Gesellschaft halb heißt die so! – Gegenruf der Abg. Corinna aktuell gerade für die Menschen mit Behinderung eine Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sehr, sehr wichtige Rolle spielen. Wir wissen auch – wir sind schon im SGB IX beschrieben!) haben es in dieser Woche auch gehört –, dass die Ver- besserungen, die in dieser Woche vorgenommen wurden, – Ja. – Wieso ist jetzt die Zeit schon vorbei? sehr stark auf Ihre Interventionen zurückzuführen sind. Dafür möchte ich Ihnen auch im Namen der betroffenen Menschen ausdrücklich danken. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, keine Zwiegespräche, weil die Rednerin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sonst nicht zum Schluss kommt, worum ich sie jetzt drin- sowie bei Abgeordneten der FDP) gend bitte. 21270 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bereich. Man wundert sich: Wir haben in so vielen Be- (C) NEN): reichen des Gesundheitswesens, in kleinsten und größ- Genau. – Deswegen halten wir an unserem Änderungs- eren, Qualitätsvorgaben. Aber in diesem sensiblen Be- antrag fest. Uns geht es vor allem um die Selbstbestim- reich gibt es bisher keine einheitlich definierten mung der Betroffenen. Wir sehen die nach wie vor nicht Qualitätsvorgaben. Es gibt an zu vielen Stellen keine wirklich gewährleistet. Sie haben durch die einjährige Kontrolle, und das ändern wir zum Schutz und zur Unter- Verschleppung, durch das unzureichende Verfahren eher stützung derjenigen, die sich zu oft selbst gar nicht weh- dafür gesorgt, dass das Vertrauen bei vielen Menschen ren können. Es dient ihrem Schutz. verspielt wurde. Ich hoffe, dass wir das in irgendeiner Form wiedergutmachen können. Aber dieser Bereich ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wirklich ein zentraler Punkt der Versorgung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Minister, erlauben Sie zwei Zwischenfragen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und aus der Fraktion Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. der AfD? Ich weise darauf hin, dass dies Ihre Redezeit locker um einige Minuten verlängern wird. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Wir haben einen Entschließungsantrag mit Verbesse- Quasi verdoppelt. rungsvorschlägen eingebracht. Wir werden den Regie- rungsentwurf für dieses Gesetz ablehnen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zunächst, genau. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei mir nicht!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Bundesminister Jens Spahn. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Frau Schulz-Asche beschwert sich, dass sie nicht ge- (D) Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: nügend Zeit hatte. Na ja, aber egal. – Sie haben gesagt – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge- das ist auch völlig richtig –, dass ein Gesetz im Verfahren sundheitsversorgung zu verbessern, auch dort, wo es verbessert werden soll. Aber was wir hier haben – ich Qualitätsmängel gibt, wo es berechtigte Ansprüche und habe dieses Gesetz wirklich von Anfang an begleitet Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger und der Be- und beobachtet, Öffentlichkeitsarbeit dazu gemacht, mit troffenen gibt, das ist genau einer der Schwerpunkte un- Aktivisten geredet, mit Leuten, die beatmet werden – – serer Gesundheitspolitik in den letzten zwei Jahren. So reiht sich dieses Gesetz zur Verbesserung in der Intensiv- (Zurufe von der SPD) pflege und übrigens auch in der Rehabilitation ein in eine – Und jetzt seien Sie mal ruhig! Denn das hier ist kein ganze Reihe weiterer Gesetzgebungsverfahren, die in Konflikt zwischen den drei demokratischen Oppositions- gleicher Art und Weise zu Veränderungen und Verbesse- fraktionen und der SPD. Halten Sie einfach einmal die rungen führen; auch das ist mir wichtig. Es geht nicht nur Luft an! Ich will jetzt etwas mit Herrn Spahn klären. um das Ergebnis und den Inhalt. Es geht auch um das Verfahren, in dem wir miteinander beraten haben – Be- (Gabriele Katzmarek [SPD]: Mein Gott, was ist ratungen, Debatten, ein Gesetzgebungsprozess, der am das für ein Ton?) Ende konstruktiv, kritisch – ja – zu Veränderungen und Sie haben von Anfang an gewusst, dass es eine Gruppe Verbesserungen führt. Ich verstehe Gesetzgebung im von dauerhaft beatmeten Patienten gibt, bei denen es auch Deutschen Bundestag – und das nicht nur als Bundesmi- keine Entwöhnung geben kann, die zu Recht befürchtet nister, sondern auch als Mitglied des Bundestages – doch hat – weil der erste Entwurf in dieser Frage ganz klar genau mit diesem Zweck versehen, nämlich dass man gewesen ist –, dass es grundsätzlich die Möglichkeit ge- durch Beratungen Gesetze besser macht. Dafür machen ben soll, dass der MDK über eine Verlegung in besondere wir doch diesen ganzen Prozess miteinander. Wohnformen entscheiden können soll. Jetzt muss man sagen: Wir sind 50 Wochen später, und diese Menschen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und ihre familiären Strukturen haben 50 Wochen lang ordneten der SPD) richtig Angst gehabt. Schon wenn es darum geht, eine Deswegen wundere ich mich immer, dass es dann am Schulbegleitung zu beantragen, und das abgelehnt wird, Ende kritisiert wird, wenn wir zu Änderungen kommen. ist das für Familien richtig brutal hart. Ich weiß nicht, Ich verstehe Debatten eigentlich genau als Mittel, um zu Herr Minister, ob Sie sich vorstellen können, was es Verbesserungen, Kompromissen und Lösungen zu kom- bedeutet, wenn Familien 50 Wochen lang, wenn Men- men, und zwar zu Lösungen für intensivpflichtige Patien- schen 50 Wochen lang Angst davor haben, in ein Heim ten: 24 Stunden, 7 Tage die Woche, ein sehr sensibler verlegt zu werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21271

Corinna Rüffer (A) Warum haben Sie, Herr Minister, nicht vorher einge- rung finden werden, die genau das sicherstellt. Genau das (C) lenkt? Warum haben Sie nicht an der Stelle signalisiert, habe ich vom ersten Tag an gesagt – vom ersten Tag an. dass Sie einsehen, dass es gesetzliche Klarheit braucht, um hier das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Behinderungen klar zu regeln? ordneten der SPD) Dann muss man sich schon die Frage stellen, ob, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ich das als Bundesminister sage und auch die Koalition bei der FDP und der LINKEN) das vom ersten Tag an sagt, es dann richtig ist, jeden Tag Warum haben Sie das nicht gemacht, sondern haben diese aufs Neue entsprechende Äußerungen zu machen. Diese Leute in Angst gelassen? Frage stelle ich schon. Und warum haben Sie gestern im Gesundheitsaus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schuss sinngemäß behauptet, dass für diese Angst die ordneten der SPD) Oppositionsfraktionen zuständig seien, dass wir diese Wir haben vom ersten Tag an gesagt, dass wir das nicht Angst ausgelöst hätten? Warum haben Sie das gesagt, wollen und dass wir sicherstellen wollen, dass das nicht wenn doch im Entwurf klar gewesen ist, dass diese Angst passiert. Wir werden es sicherstellen, und wir tun es auch. berechtigt gewesen ist? Warum haben Sie dieses Leid verursacht, Herr Minister? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Minister, wir haben eine weitere Zwischenfrage. sowie der Abg. Pia Zimmermann [DIE LIN- KE]) (Zuruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: – Bitte, es macht keinen Sinn, auf diese Art und Weise in Zuerst einmal: Soweit ich mich erinnere, waren Sie gar eine Zwiesprache einzutreten. nicht anwesend. Aber unabhängig davon – – Sie haben das Wort, Herr Kollege. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Martin Sichert (AfD): Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben ganz zu An- – Ja, ich finde schon: Wenn man hier zitiert, dann sollte fang Ihrer Rede gesagt, dass das Ziel sein muss, die Ge- man wenigstens dabei gewesen sein. sundheitsversorgung zu verbessern. In ein ähnliches Horn (B) hat heute früh der Bundesfinanzminister Olaf Scholz ge- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – stoßen, der gesagt hat: Es muss unser Ziel sein, mit den Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 218 Milliarden Euro, die jetzt an Schulden auf Bundes- NEN]: Ich war dabei! Herr Minister, ich war ebene neu aufgenommen worden sind, den Sozialstaat dabei!) auszubauen. – Waren Sie dann zugeschaltet? Sie waren jedenfalls Wir haben aber hier ein Gesetz, bei dem vom nicht im Raum. Dann entschuldige ich mich. „Wunsch“ weggegangen wurde zum „berechtigten (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wunsch“ – der natürlich auch eine Wirtschaftlichkeits- NEN]: Ja, danke!) prüfung impliziert. Ja, es wurde einiges verbessert. Aber es steht jetzt immer noch der „berechtigte Wunsch“ drin, – Was regt ihr euch denn – – und es droht immer noch, dass Tausende bis Zehntausen- de Euro Zuzahlungen auf die Patienten zu Hause zukom- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE men. GRÜNEN]: Sie war zugeschaltet!) Ich habe Sie nicht gesehen. So. Sie waren zugeschaltet, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!) was ich nicht wusste. Wir müssen uns alle offensichtlich Die Menschen in diesem Land sind keine Ware. Es geht daran gewöhnen, dass wir Ausschusssitzungen mittler- um das Seelenheil der Menschen, die bei ihrer Familie, weile so machen, dass wir uns nicht mehr alle gegenseitig bei ihren Verwandten zu Hause sein wollen, die sagen: sehen. Das ist doch jetzt gar kein Anlass zur Empörung. „Wir haben in den Pflegeheimen teilweise katastrophale Situationen“, und die sich dann tatsächlich dort abge- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schoben fühlen. NEN]: Doch! Wenn mir das vorgeworfen wird, schon!) Die Frage, die ich an Sie habe, ist: Wir haben heute früh 218,5 Milliarden Euro neue Schulden beschlossen. Zum Zweiten habe ich ab dem ersten Entwurf – ich Wir sehen, die Bundesregierung ist jederzeit bereit, Hun- kann mich noch sehr genau erinnern an den ersten Tag derte Milliarden Euro teure Versprechen einzugehen, der Debatte; ich habe diese nämlich mindestens genauso wenn es um irgendwelche Finanzierungsprogramme der intensiv geführt wie Sie, ob Sie es mir glauben oder nicht, Europäischen Union geht. Warum versucht man hier, die und am Ende mit dem gleichen Ziel –, ab dem ersten Tag paar Euro bei den Schwächsten der Gesellschaft einzu- gesagt, dass das, was Sie gerade wieder unterstellt haben, sparen? zu keinem Zeitpunkt unsere Absicht und unser Ziel ge- wesen ist und dass wir am Ende eine Gesetzesformulie- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Unsinn!) 21272 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Sie brauchen auch Kontrolle von Qualität an bestimm- (C) Der Umstand, dass gerade ein Vertreter Ihrer Fraktion ten Stellen; es ist gerade schon angesprochen worden. hier eine solche Bemerkung macht, würde mich jetzt zu Wir haben es erlebt, dass Pflegedienste Pflegefachkräfte vielerlei Kommentaren veranlassen können; die spare ich abgerechnet und in Rechnung gestellt haben – es geht hier mir jetzt an dieser Stelle. teilweise um 20 000, 25 000 Euro im Monat für diese Intensivpflege – und Hilfskräfte oder zu wenig Personal (Dr. Götz Frömming [AfD]: Was soll das hei- eingesetzt haben. Wir haben es erlebt, dass im dritten ßen? – Weiterer Zuruf von der AfD: Machen Stock einer kleinen Altbauwohnung, ohne dass irgend- Sie doch!) jemand davon wusste, fünf Wachkomapatienten, Beat- mungspatienten, die gar keine Chance hatten, sich zu – Na ja, also wie Sie sich insbesondere zu dieser beson- wehren, unter sehr schwierigen Umständen gepflegt wor- ders betroffenen Gruppe von Menschen, die Unterstüt- den sind und es an keiner Stelle irgendeine Kontrolle zung brauchen, verschiedentlich äußern, Vertreter Ihrer gegeben hat. Genau diese Art von Pflege wollen wir nicht Partei, und sich dann hier so hinzustellen: Das ist nicht mehr haben, nämlich zum Schutz und zur Unterstützung nur doppelzüngig, da fielen mir auch noch manch andere derjenigen, die sich selbst nicht wehren können. Worte zu ein. Das will ich Ihnen einmal klipp und klar sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, GRÜNEN) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das bringt mich zu den beatmeten Patienten, zum Teil mit Luftröhrenschnitt. Experten sagen uns, dass bis zu Aber unabhängig davon, sagen wir auch sehr klar – zwei Drittel der beatmeten Patienten in Deutschland und wir machen auch die entsprechenden Regelungen –, eigentlich von dieser Beatmung entwöhnt werden könn- dass eben nicht der Geldbeutel darüber entscheiden soll, ten. Zwei Drittel! Sie werden aber nicht entwöhnt wegen sondern Notwendigkeiten, und vor allem auch Notwen- organisatorischer, struktureller Probleme in den Abläufen digkeiten zur Erbringung der notwendigen Qualität und und wegen falscher finanzieller Anreize. Es ist auch eine zur Erfüllung der Bedürfnisse. Dazu gehört, dass wir Form von Selbstbestimmung über den eigenen Körper auch in großem finanziellen Umfang Eigenbeteiligungen, und das eigene Leben, dass man nicht länger künstlich Zuzahlungen, 2 000 bis 3 000 Euro im Monat für statio- beatmet wird, als es notwendig ist. Das stellen wir nach näre Pflege wegnehmen – ein Wunsch, der von vielen langer Debatte endlich ab. Auch das ist aus meiner Sicht Familien an uns herangetragen worden ist. Die gesagt notwendig. haben: Für unsere familiäre Situation und die Situation (B) des Pflegebedürftigen wäre eine stationäre Unterbrin- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) gung eigentlich besser; aber wir können sie uns nicht Ich will dabei ausdrücklich sagen, dass ich die Sorgen leisten. – Und darauf geben wir eine klare Antwort: Die verstehe. Ich habe mindestens so viele Gespräche geführt Kosten werden in Zukunft übernommen. wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen hier auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hier geht es für die Betroffenen, die Angehörigen, alle Beteiligten um viel, um sehr viel. Deswegen ist mir eines Auch im ambulanten Bereich machen wir qualitativ ganz wichtig: Hier geht es nicht um Heimzwang, hier einen großen Sprung nach vorn. „Berechtigte Wünsche“ – geht es um Qualitätspflicht, um eine Pflicht zur Qualität Frau Kollegin Schmidt hat darauf hingewiesen – ist ein zum Schutz und zur Unterstützung derjenigen, die beson- bekannter Begriff, auch schon aus dem SGB IX. Aber dere Unterstützung brauchen, die besondere Hilfe brau- drehen Sie das einmal um: Was heißt denn das? Was ist chen, die aber eben an vielen Stellen auch für sich selbst denn das Gegenteil von einem „berechtigten Wunsch“? entscheiden können und entscheiden wollen. Genau das Sie wären doch die Ersten, die infrage stellen würden, leistet dieses Gesetz, und daher bitte ich um Ihre Zustim- wenn auch die finanziert würden. mung. (Zuruf von der AfD: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Da bin ich mir aber ziemlich sicher. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Unabhängig davon haben wir hier qualitativ einen Vielen Dank, Herr Minister Spahn. – Letzter Redner zu ziemlichen Fortschritt für die Betroffenen. Dass nämlich diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Georg die Zielvereinbarung über die Nachbesserung sowohl in Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion. der Pflege wie möglicherweise auch baulich alle an einen Tisch bringt, auch die anderen Sozialversicherungsträger (Beifall bei der CDU/CSU) und Kostenträger, ob es die Jugendhilfe ist, ob es die Eingliederungshilfe ist, ob es andere Beteiligte sind, das Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): hat es vorher so nicht gegeben, im SGB V – Krankenver- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine sicherung – schon gar nicht. Das ist ein qualitativer Herren! Es ist schon spannend, zu erleben, wie sich die Schritt nach vorne für die Menschen, die besonderen Opposition hier mühsam abarbeitet an einer vermeintli- Schutz und besondere Unterstützung brauchen. chen Ausgangsformulierung, an etwas, was vielleicht hätte passieren können, an Sorgen, die man selber dann (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) noch in der emotionalen Art und Weise, wie wir es gerade Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21273

Dr. Georg Nüßlein (A) gehört haben, intensiv verstärkt, um dann dagegen argu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) mentieren zu können. Ich könnte jetzt sagen: Das ist Herr Kollege. blamabel. – Das will ich an dieser Stelle gar nicht tun. Ich will sagen: Das ist ein Kompliment an das Ender- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): gebnis, an das Gesetz, das wir heute beschließen. Wir haben es gelesen, wir haben es verstanden, und wir haben es unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen herzlichen Dank. Und weil ich jetzt auch erlebt habe, dass sich die Op- position nicht so tief in die Details, insbesondere in Än- (Beifall bei der CDU/CSU) derungsanträgen, einarbeitet, will ich es bei ein paar grundsätzlichen Anmerkungen belassen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Erstens. Dieses Gesetz ist getragen von dem Grundsatz Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Nüßlein. – Damit „Reha vor Pflege“; ganz klar. schließe ich die Aussprache. Tagesordnungspunkt 12 a. Wir kommen zur Abstim- Zweitens. Wir tun mit diesem Gesetz sehr, sehr viel mung über den von der Bundesregierung eingebrachten dafür, dass Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf Gesetzentwurf zur Stärkung von intensivpflegerischer ein möglichst langes selbstbestimmtes Leben führen kön- Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der ge- nen. Und da ist es schon zwanghaft, wenn man so etwas setzlichen Krankenversicherung. Der Ausschuss für macht wie Sie, wenn Sie davon reden, dass wir einen Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- Heimzwang einführen wollen. Das ärgert mich; das sage schlussempfehlung auf Drucksache 19/20720, den Ge- ich ganz ehrlich. setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/19368 in der Ausschussfassung anzunehmen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben doch keine Ahnung, Herr Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir Nüßlein! Das ist jetzt völlig unsinnig!) zuerst abstimmen. – Na ja. – Man kann natürlich politische Debatten auch so Änderungsantrag der Fraktionen von FDP, Die Linke emotional führen, wie Sie sie an dieser Stelle führen. Ich und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/20746. rate Ihnen dazu, sich zurückzunehmen, zu lesen, was wir Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt gemeinsam entwickelt haben. Dann kommen Sie zumin- dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Än- dest zu dem Ergebnis wie vorhin die geschätzte FDP- derungsantrag gegen die Stimmen von AfD, FDP, Linke (B) (D) Kollegin, die immerhin gesagt hat: Das Endergebnis ist und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koa- gut. – Das unterscheidet Sie, die FDP, von der Allianz der litionsfraktionen abgelehnt. Opposition, die ein bisschen eigentümlich ist; aber im- Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- merhin. sache 19/20747. Wer stimmt für diesen Änderungsan- trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Drittens. Wir verbessern die Qualität und insbesondere Dann ist dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen von die Qualitätskontrolle in der Intensivpflege. Und der Mi- Linken und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der nister hat vorhin beredte Beispiele dafür geliefert, warum übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. das wichtig ist. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Meine Damen und Herren, Sie werden bei verständiger Bundesregierung auf Drucksache 19/19368 in der Aus- Würdigung der Sachlage auch nicht bestreiten können, schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – dass bei diesem Gesetz der Patient mit seinen berechtig- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist ten Interessen im Mittelpunkt steht, die die Frau Schmidt der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der zweiten vorhin beschrieben hat: auf der einen Seite daheim ge- Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge- pflegt zu werden, aber auf der anderen Seite auch qualita- gen die Stimmen von AfD, FDP, Linken und Bündnis 90/ tiv gut gepflegt zu werden. Und das ist doch das Anlie- Die Grünen angenommen. gen, das wir an dieser Stelle in Einklang gebracht haben, und deshalb wäre es schön gewesen, wenn Sie das ent- Dritte Beratung sprechend gewürdigt hätten. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich glaube, das ist unterm Strich ein sehr, sehr gutes Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann Gesetz, das wir lange und intensiv beraten haben und bei kann ich feststellen, dass der Gesetzentwurf in der dritten dem am Schluss etwas herauskommt, wofür man durch- Lesung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen aus eintreten kann. die Stimmen von AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/ (Beifall bei der CDU/CSU) Die Grünen angenommen ist. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschlie- Deshalb bitte ich um Zustimmung und darum, eben nicht ßungsanträge. das Ausgangsthema zu kritisieren, sondern wirklich et- was dafür zu tun, dass Sie auch einmal als Opposition Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- zeigen: sache 19/20749. Wer stimmt für diesen Entschließungs- 21274 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) antrag? – Wer stimmt dagegen? – Die Mehrheiten sind Titel „Bewegungsfreiheit für Bewohner von Seniorenhei- (C) eindeutig. Dann kann ich feststellen, dass dieser Ent- men sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- schließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann stelle ich auch SPD gegen die Stimmen der anderen Fraktionen des Hau- diesmal fest: Gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit ses abgelehnt wurde. den übrigen Stimmen des Hauses ist diese Beschlussemp- fehlung angenommen. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/20750. Wer stimmt für diesen Entschlie- Ich rufe die Zusatzpunkte 17, 18, 33 und 35 auf: ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Das ist auch ein- ZP 17 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ deutig. Dann ist dieser Entschließungsantrag – – CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE NEN GRÜNEN]: Enthaltungen noch!) Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Enthaltungen? – Vielen Dank noch einmal, Frau Anleihekaufprogramm PSPP der Euro- Brantner. – Dann ist dieser Entschließungsantrag der päischen Zentralbank Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Drucksache 19/20621 den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abge- ZP 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias lehnt. Matthias Peterka, Peter Boehringer, Stephan Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- Brandner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/20751. tion der AfD Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer Kritische und effektive Ausübung der soge- stimmt dagegen? – Das ist auch eindeutig. Dann ist dieser nannten Integrationsverantwortung des Deut- Entschließungsantrag gegen die Stimmen der Fraktionen schen Bundestages im Zusammenhang mit Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen Entscheidungen des Rates der Europäischen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Zentralbank Tagesordnungspunkt 12 b. Wir setzen die Abstimmung Drucksache 19/20616 zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ge- sundheit auf Drucksache 19/20720 fort. Der Ausschuss ZP 33 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fabio empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung De Masi, Andrej Hunko, Doris Achelwilm, wei- die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (B) Drucksache 19/19518 mit dem Titel „Fachübergreifende Konflikt um die Geldpolitik der Europäischen (D) Frührehabilitation flächendeckend einrichten – Nahtlose Zentralbank politisch lösen – EU-Verträge än- Rehabilitationskette herstellen, Krankenhausstandorte er- dern und geldpolitischen Dialog mit der Bun- halten und stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- desbank verankern fehlung? – Es geht um die Beschlussempfehlung, nicht um den Antrag. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Drucksache 19/20552 Diesmal keine. Dann ist gegen die Stimmen der AfD- ZP 35 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Christian Dürr, Mario Brandenburg (Südpfalz), Hauses diese Beschlussempfehlung angenommen. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Abgeordneter und der Fraktion der FDP nung des Antrags der Fraktion der AfD auf Drucksache Verhältnismäßigkeitsprüfung fristgerecht 19/20116 mit dem Titel „Rehakliniken und Kurbetrieb in dargelegt – Kontrolle der Grenzen der Geld- den Regelbetrieb zurückkehren lassen“. Wer stimmt für politik als Daueraufgabe ernstnehmen diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Wieder keine. Dann ist diese Beschluss- Drucksache 19/20553 empfehlung ebenfalls gegen die Stimmen der AfD-Frak- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- tion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses schlossen. angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre nett, wenn Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- der Platztausch vollzogen werden könnte, damit wir fort- be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- fahren können. trags der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20117 mit dem Titel „Krankenhäuser in den Regelbetrieb zurück- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem kehren lassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Redner dem Kollegen Christian Petry, SPD-Fraktion, das lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Wieder Wort. keine. Dann ist ebenfalls gegen die Stimmen der AfD mit (Beifall bei der SPD) den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses diese Beschlussempfehlung angenommen. Christian Petry (SPD): Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags ren! Die Geldpolitik der EZB leistet seit Jahren einen der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20119 mit dem großen Beitrag zur Stabilisierung der europäischen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21275

Christian Petry (A) Volkswirtschaften. Viele von uns haben noch den Satz prüft wurde. Die einzelnen Maßnahmen, wie dargelegt (C) von Draghi im Kopf, als er in der Krise auf die Frage, wurde, wurden dem Bundestag zur Verfügung gestellt, was er denn tun würde, geantwortet hat: Whatever it und wir haben sie in unsere Debatten einfließen lassen. takes. – Allein die Aussage hat schon dazu geführt, dass es Stabilität im Euro-Raum gab; denn Psychologie ist Der nun gewählte Weg, wie wir ihn hier beschreiten, auch in diesem Bereich die halbe Miete. schafft darüber hinaus mehr Transparenz und somit noch mehr Vertrauen. Erkennbar wurden die Vor- und Nach- Nun haben wir am 5. Mai ein Urteil des Bundesver- teile immer abgewogen. Umfang und Anteile am Ge- fassungsgerichts bekommen. Dazu könnte man jetzt viel samtvolumen der verschiedenen Ankäufe im Hinblick sagen; das werden wir auch in der Diskussion tun. Worü- auf die mögliche monetäre Staatsfinanzierung wurden ber ich nichts sagen werde, ist die Qualität des Urteils; ausreichend beachtet. Es ist daher nur folgerichtig, dass das ist weniger mein Punkt. Ich möchte eher dazu aus- wir heute feststellen, dass der Beschluss des EZB-Rates führen, was man an Positivem aus diesem Urteil ziehen und unser eigenes langjähriges Handeln genügen, um die kann, was wir für Schlüsse ziehen und was wir heute Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsge- verabschieden. richts zu erfüllen. Das PSPP-Programm ist keine monetäre Staatsfinan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zierung – das wurde dort eindeutig festgestellt –, Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] und (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Peter GRÜNEN]) Boehringer [AfD]: Nein! Falsch! Das Gegen- Die Bundesrepublik Deutschland ist fest in der Eu- teil ist richtig!) ropäischen Union verankert. Die europäische Integ- vielmehr abgedeckt durch die Aufgabe der Europäischen ration ist Aufgabe unseres Grundgesetzes. Sie hat Zentralbank, die Preisstabilität im Euro-Raum zu sichern. den Frieden in Europa gesichert, die staatliche Ein- heit ermöglicht und zu Wohlstand und sozialem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fortschritt beigetragen. Zum Urteil gilt es aus meiner Sicht festzuhalten: Die Das ist eine klare Haltung, wie wir in Deutschland zu europäische Integration als Aufgabe ist im Grundgesetz Europa stehen. Dieser Haltung schließen sich in unserer verankert. Die Europäische Union leistet diese Integra- Resolution dreieinhalb Fraktionen an. Darauf können wir tionsaufgabe. Die EZB ist unabhängig und sichert für stolz sein. unsere Volkswirtschaft die notwendige Preisstabilität. (B) Die Wahrung europäischen Rechts und die Prüfung der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) Auslegung der europäischen Verträge ist ausschließlich DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bei der FDP scheint es eine gewisse Spaltung zu ge- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ben. CDU/CSU) (Christian Dürr [FDP]: Nein! Keine Chance!) Der Anleihekauf über das PSPP ist verhältnismäßig. Diese Prüfung der Verhältnismäßigkeit macht die EZB. Da gibt es die Proeuropäer wie Michael Link, Konstantin Die macht nicht der Deutsche Bundestag, die macht nicht Kuhle, und da gibt es die anderen, die eher die national das Verfassungsgericht, und die macht auch nicht die orientierten Interessen nach vorne treiben, wie mein Fuß- Bundesregierung. Dies ist Aufgabe der EZB, und dies ballkollege Frank Schäffler – das ist ganz klar; mit dem hat sie auch – ich werde es noch ausführen – nach unserer habe ich mich noch einmal darüber unterhalten. Wissen Auffassung ausreichend getan. Die Verhältnismäßigkeit Sie, woran man die Spaltung bei Ihnen merkt? Wenn wurde immer geprüft. einer von dem zweiten Block redet, klatscht immer die AfD. Da braucht man sich gar nicht viel Mühe zu geben, (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Richtig!) das merkt man daran. Das sollte Ihnen in diesem Punkt zu Wir als Deutscher Bundestag haben in vielfältiger denken geben. Weise das Tätigwerden der EZB oder der Bundesbank in unsere Entscheidungen einfließen lassen: Anhörungen (Christian Dürr [FDP]: Bei Ihnen klatschen wir wie jüngst im Finanzausschuss und im Europaausschuss, halt gar nicht!) Berichte und Diskussionen mit Vertretern der EZB und Vielleicht ist es Ihnen möglich, dass man die proeuropäi- der Bundesbank wie kürzlich mit Herrn Weidmann, Be- sche Seite – Sie haben viele gute Proeuropäer in Ihren suche bei der EZB oder der Bundesbank haben wir durch- Reihen – stärker einbringt. geführt und uns informieren lassen, Sachstandsberichte des Wissenschaftlichen Dienstes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Auch der Beschluss der EZB vom 3. und 4. Juni ist AfD) abrufbar, in dem dargelegt wird, wie die Prüfung stattge- funden hat. Uns wurden auch die jüngsten Unterlagen zur Über die Forderung der Linken und der Grünen nach Verfügung gestellt, aus denen hervorgeht, dass das PSPP einer rechtlich verankerten Berichtspflicht kann man na- systematisch in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit ge- türlich nachdenken. 21276 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Christian Petry (A) (Christian Dürr [FDP]: Wollen wir Kopfnoten ischen Realität durch das Bundesverfassungsgericht als (C) geben? Ist bei der SPD zwischen 5 und 6 da- erfüllt ansehen. bei?) – Ja, man kann auch laut dazwischenschreien; das geht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: immer. Kopfnoten wären gar nicht so schlecht bei Ihnen. – Bitte kommen Sie zum Schluss. Ich persönlich kann mich auch der Forderung von Fabio De Masi und der Linken anschließen, dass man über eine Erweiterung und Veränderung des Auftrags der EZB re- Christian Petry (SPD): den kann. Auch dem kann ich mich anschließen. Vielen Dank. Glück auf! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Wir werden das diskutieren müssen. GRÜNEN) Die Konstruktionsmängel im Euro-Raum sind seit dem Start da; das wussten wir von Anfang an. Für die Zukunft Vizepräsident Wolfgang Kubicki: heißt das doch nur, dass wir weiter daran arbeiten, diese Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich weise darauf hin, Mängel zu beseitigen, weil wir in unserem Plenarsaal neue Gäste haben, dass (Otto Fricke [FDP]: Die Zukunft!) ich konsequent auf die Einhaltung der Redezeiten achten werde. Zwischenfragen und Kurzinterventionen werden etwa dass die EZB nicht mehr wie in den letzten zehn ab diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr zugelassen. Jahren von der Politik alleingelassen wird, den Mangel an Vergemeinschaftung im Bereich der Wirtschafts- und Nächster Redner für die AfD-Fraktion ist der Kollege Fiskalpolitik hin zu einer echten Fiskalunion, Peter Boehringer. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der AfD) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Peter Boehringer (AfD): das Fehlen eines europäischen Währungsfonds. Dazu ge- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! hört auch eine institutionelle Weiterentwicklung der Es ist bemerkenswert, welchen Aktionismus der Altpar- Union, etwa eigene finanzielle Einnahmen, ein koordi- teien ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum be- niertes Steuerrecht, etwa um Großkonzerne endlich ef- reits seit fünf Jahren laufenden PSPP-Programm auslösen (B) fektiver besteuern zu können, und eigene Steuereinnah- konnte. (D) men. (Otto Fricke [FDP]: Sie sind inzwischen auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ alt!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Inzwischen liegt uns sogar eine Liste des bundestags- LINKEN – Christian Dürr [FDP]: Da sind wir eigenen Europareferats vor, die dokumentieren soll, wie halt auseinander!) akribisch man sich hier im Hause doch um eine Kontrolle Das stammt im Übrigen nicht ausschließlich von mir. der enormen EZB-Macht bemüht habe. Interessanterwei- Das hat unser Präsident Wolfgang Schäuble gestern im se beinhaltet diese Liste seit 2017 übrigens sehr viele Europaausschuss so eins zu eins gefordert. Ich habe alles AfD-Initiativen, die Sie allesamt abgelehnt haben. mitgeschrieben; ich fand das gut. (Beifall bei der AfD) (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Hört! Hört!) Teilweise wollten Sie sie gar nicht zulassen, doch nun Kolleginnen und Kollegen, wir stellen heute fest, dass will man damit gegenüber dem Gericht eifrig offiziell den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts dokumentieren, der Bundestag sei der vom Gericht ge- schon immer entsprochen wurde. Wir werden mutig und forderten Integrationsverantwortung doch ganz klar entschlossen Europa voranbringen. Deutschland wird nur nachgekommen. mit Europa seine starke Stellung und seine offene Gesell- schaft gegenüber den Kräften in der Welt behaupten kön- Acht von elf Plenardebatten zur EZB-Politik fanden nen. aufgrund von AfD-Initiativen statt. (Christian Dürr [FDP]: Versuchen Sie doch (Beifall bei der AfD) nächstes Mal, eine freie Rede zu halten!) Sieben von zehn einschlägigen Anträgen stammen alleine Nutzen wir gemeinsam diese Chance für ein offenes, von unserer kleinen Fraktion – ebenso sechs von elf ein- freies, friedliches, ökologisch starkes und sozial gerech- schlägigen Anfragen. Von der Bundesregierung kam da- tes Europa. Erteilen wir Kleingeistern und Nationalisten gegen praktisch gar keine Aktivität. Wenn Bundestag und eine Absage! Besonders die junge Bevölkerung wird uns Bundesregierung die absehbaren Folgeklagen zu PSPP in dies danken. Karlsruhe bestehen sollten, dann könnte das durchaus auch an den von Ihnen zutiefst abgelehnten AfD-Anträ- Stimmen Sie der vorliegenden Beschlussempfehlung gen liegen. zu! Dokumentieren Sie damit, dass wir die Vorgaben einer sehr begrenzten Betrachtungsweise der europä- Doch geschenkt! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21277

Peter Boehringer (A) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE – Okay, um diesem Einwand zu begegnen: teilweise über (C) GRÜNEN]: Ihre Rede ist auch geschenkt!) die Geheimschutzstelle. Sie haben sich formell nun endlich um die geforderte (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ah! – Verhältnismäßigkeitsprüfung bemüht, wenn auch fünf Michael Frieser [CDU/CSU]: Aha! – Jahre zu spät und vor allem ungenügend; denn spätestens Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE seit 2015 war klar, dass OMT und PSPP die deutsche GRÜNEN]: Und Sie haben nichts dafür getan, Haushaltssouveränität letztlich aushebeln. dass er öffentlich gemacht wurde!) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Inhaltlich kommen wir bei der Prüfung von PSPP zu GRÜNEN]: Stimmt doch nicht! Ist doch einem anderen Ergebnis als die EZB. Die Folgen der Quatsch!) permanenten Manipulation der Staatsanleihenmärkte sind für Sparer, Rentner, Mieter, künftige Steuerzahler Der Bundestag hätte nicht nur die Billionenentscheidun- sowie Immobilienkäufer verheerend. Es droht das künst- gen, die hier eben kleingeredet wurden, viel früher auf liche Aufblähen aller Vermögensmärkte. Die Nullzinsen Verhältnismäßigkeit prüfen, sondern dazu vor allem auch führen zur Zombifizierung der Wirtschaft und zudem zu eine „verbotene monetäre Staatsfinanzierung“ feststellen Umverteilungen von Arm nach Reich. Am Ende steht müssen. eine Depression und ganz zum Schluss gar ein Wäh- (Beifall bei der AfD – Sven-Christian Kindler rungscrash. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar (Beifall bei der AfD) nicht, was das ist!) Der Integrationsverantwortung werden wir nicht mit Unsere im Ergebnis vernichtende Abwägung „PSPP- einer von Karlsruhe erzwungenen Eildebatte zu PSPP Billionen gegen all diese Nachteile“ teilt übrigens auch gerecht, und es genügt auch kein unverbindlicher mone- eine neue Studie der Commerzbank. Daraus zitiert: „Ins- tärer Dialog in nichtöffentlichen Zirkeln oder gar über gesamt bleiben selbst auf der Grundlage von Studien der unsere Geheimschutzstelle, wie am Montag geschehen. EZB Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Anleihen- käufe“. Es ergeben sich aus den Käufen „große Risiken Schon im Lissabon-Urteil des BVerfG von 2009 steht – für die Finanzstabilität“. ich zitiere –: „Die rechtliche und politische Verantwor- tung des Parlaments erschöpft sich insoweit nicht in ei- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nem einmaligen Zustimmungsakt“. Nur mit regelmäßi- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. gen Debatten hier im Plenum mit der Möglichkeit zu (B) (D) Beschlussanträgen noch vor der Umsetzung neuer EZB- Ankaufprogramme kommen wir unserer Verantwortung Peter Boehringer (AfD): nach. Das sagt die EZB selbst. Sie betont, dass die negativen Auswirkungen einer expansiven Geldpolitik mit deren Genau dies beantragen Kollege Peterka und ich sowie Dauer zunehmen würden. die AfD-Fraktion heute. Leider steht im Gemeinschafts- antrag der Altparteien dazu nichts. Das sind genügend Gründe – damit komme ich zum Der FDP-Einzelantrag enthält dagegen auch unsere Schluss –, diese Auswirkungen nach inzwischen zehn- Dauerrede. Hier werden wir zustimmen, auch wenn unser jähriger Dauer immer kritischer zu beobachten, zu bewer- eigener Antrag noch etwas weitergeht. ten und zu stoppen.

Das aktuelle PEPP-Programm der EZB mit einem Vo- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lumen von 1 350 Milliarden Euro werden wir gerichtlich Herr Kollege, jetzt haben Sie noch einen Satz. prüfen lassen. Der Rechtsauffassung „monetäre Staats- finanzierung“ haben sich neben der AfD Vertreter völlig unterschiedlicher Gruppierungen angeschlossen, darun- Peter Boehringer (AfD): ter die ehemaligen Chefvolkswirte der EZB Issing und Nachdem der Präsident angemahnt hat, mein letzter Stark, Ex-Bundesbankpräsident Schlesinger und sogar Satz: Ich protestiere gegen die völlig ungenügende Be- ein von den Linken bestellter Sachverständiger sowie handlung dieses Billionenthemas im Bundestag in absurd das bundestagseigene EU-Referat. kurzen 30 Minuten. (Beifall bei der AfD) Herzlichen Dank. Seit wenigen Tagen liegt nun die seit fünf Jahren ver- (Beifall bei der AfD) misste Dokumentation der EZB zur Verhältnismäßigkeit von PSPP vor. Ich stelle fest, dass diese zuerst den Me- dien zugespielt wurde und erst sehr spät uns Abgeordnete Vizepräsident Wolfgang Kubicki: über die Geheimschutzstelle erreicht hat. Das ist leider Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung, CDU/ eine übliche Unsitte. CSU-Fraktion. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Unsinn! Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ist doch Quatsch, was Sie erzählen!) Christian Petry [SPD]) 21278 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Andreas Jung (CDU/CSU): verantwortung bedeutet, dass wir das Integrationspro- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gramm beobachten, dass wir auf die Umsetzung hinwir- will zu dem Antrag sprechen, den meine Fraktion ge- ken meinsam mit der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier einbringt. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Unfassbar!) Worum geht es dabei? Uns wurden vom Bundestags- und dass wir dabei in besonderer Weise die Verhältnis- präsidenten Unterlagen übermittelt, die ihm wiederum mäßigkeit im Blick haben. Im konkreten Fall haben wir von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt wurden. dieser Maßgabe entsprochen, und das dokumentieren wir In diesen Unterlagen wird über die Beratungen der EZB heute auch mit unserem Antrag und dem Beschluss dazu. zu dem PSPP-Programm berichtet. Sie sind auch öffent- Es geht aber darüber hinaus; es ist eine kontinuierliche lich zugänglich. Der Beschluss vom 3. und 4. Juni sowie Aufgabe. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Der die Beratungen der EZB dazu sind seit etwa einer Woche Bundestag hat auch in der Vergangenheit in vielfacher teilweise auf der Homepage in deutscher Sprache ein- Weise seine Integrationsverantwortung wahrgenommen: sehbar. durch Anfragen einzelner Abgeordneter, durch Kleine Wir kommen zu der Auffassung, dass durch das, was Anfragen von Fraktionen, durch Parlamentsdebatten, dort dokumentiert wurde – insbesondere dieser Beschluss durch Anträge, die hier beraten und beschlossen wurden, und die Beratungen, die dazu stattgefunden haben –, dar- gelegt ist, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der (Peter Boehringer [AfD]: Ja, die AfD-Anträ- EZB zum PSPP-Programm stattgefunden hat. Wir sind ge!) der Auffassung, dass die Geeignetheit, die Erforderlich- durch Beratungen in den Ausschüssen, durch Gespräche keit und die Angemessenheit geprüft wurden, dass die im Haushaltsausschuss, im Finanzausschuss, im Europa- geldpolitischen Ziele mit den wirtschaftspolitischen Aus- ausschuss mit den Präsidenten von EZB und Bundes- wirkungen abgewogen wurden und dass damit der Maß- bank, durch Unterrichtungen der Bundesregierung und gabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom in vielfacher Weise darüber hinaus – etwa auch durch 5. Mai dieses Jahres entsprochen wird. Fachgespräche. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ordneten der SPD) werden wir jetzt noch einmal beraten, wie wir unsere Genau darum geht es in dem Antrag, genau das ist es, Integrationsverantwortung aufbauend auf all den be- was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat. schriebenen Formaten noch klarer, noch besser, noch kontinuierlicher, noch konsequenter wahrnehmen kön- (B) Es geht ausdrücklich nicht um eine politische Bewertung (D) dieses Programmes oder anderer Programme, und es geht nen. Darüber finden derzeit intensive Gespräche beim nicht um eine politische Stellungnahme zu diesem Pro- Bundestagspräsidenten und zwischen den Fraktionen gramm. Diese Diskussion führen wir hier und werden wir statt. Das ist nicht die Aufgabe für heute, aber das werden hier weiter führen, aber in diesem Antrag geht es um die und müssen wir nach der Sommerpause umsetzen, weil Frage: Hat eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor dem für uns völlig klar ist: Wir werden dieser Integrationsver- Beschluss der EZB stattgefunden? – Und das hat Konse- antwortung kontinuierlich, dauerhaft, konsequent nach- quenzen. kommen. Wir werden unsere parlamentarischen Rechte und Pflichten wahrnehmen und unserer Verantwortung Ich finde es ein starkes Signal, dass die vier genannten gerecht werden. Fraktionen diesen Antrag einbringen. Es ist ein starkes Signal, wenn der Deutsche Bundestag mit dieser breiten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Mehrheit zu diesem Ergebnis kommt. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Drittens ist das auch ein klares Signal nach Brüssel. neten der SPD und der Abg. Dr. Franziska Und dieses Signal heißt: Ja, wir werden unserer Integra- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) tionsverantwortung gerecht, und das tun wir auf Basis des Das ist erstens ein Signal nach . Warum? Weil Grundgesetzes. – Unser Grundgesetz ist eine Verfassung, die Bundesbank im Lichte dieser Dokumente und im die integrationsoffen und europarechtsfreundlich ist. Das Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts darü- kommt in der Präambel und in den Bestimmungen des ber zu entscheiden hat, ob die Bundesbank weiter am Grundgesetzes zum Ausdruck. PSPP-Programm teilnimmt. Die Entscheidung wird dort (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. getroffen. Wenn man zu der Auffassung kommt, eine Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Verhältnismäßigkeitsprüfung habe stattgefunden, dann GRÜNEN]) ist jedenfalls nach unserer Auffassung klar, dass die Bun- desbank nicht aus dem Programm aussteigen muss. Sie Es besteht für uns überhaupt kein Zweifel, dass wir die kann also weitermachen, wenn sie eine entsprechende Unabhängigkeit der EZB sowie der Bundesbank achten, Entscheidung trifft. dass wir die Urteile des EuGHs sowie des Bundesver- fassungsgerichts achten. Zweitens ist das ein starkes Signal nach Karlsruhe. Ganz selbstverständlich setzen wir Urteile des Bundes- verfassungsgerichts – auch dieses Urteil – um. Wir haben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eine Integrationsverantwortung, und diese Integrations- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21279

(A) Andreas Jung (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (C) Und es ist zuvörderst Aufgabe des Europäischen Ge- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE richtshofs – so formulieren wir es im Antrag, und das ist GRÜNEN) auch die Wortwahl des Bundesverfassungsgerichts –, Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nächste Redner über die Anwendung und Auslegung europäischen ist der Kollege Dr. Florian Toncar. Rechts, der europäischen Verträge zu befinden, das zu befördern und entsprechend Recht zu sprechen. (Beifall bei der FDP)

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Dr. Florian Toncar (FDP): NIS 90/DIE GRÜNEN) Danke schön, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Mai Vizepräsident Wolfgang Kubicki: entschieden, dass das Anleihekaufprogramm PSPP der Sie haben jetzt noch einen Satz. Dann entziehe ich Europäischen Zentralbank kompetenzwidrig sei, weil Ihnen das Wort. die EZB, so das Gericht, nicht nachvollziehbar dargelegt habe, dass es die Verhältnismäßigkeit des Programms ge- Andreas Jung (CDU/CSU): prüft habe. Wir Freien Demokraten haben dieses Urteil Auf dieser Grundlage setzen wir darauf, dass es, wo begrüßt, weil wir in der Tat auch der Auffassung sind, immer es ein Spannungsfeld gibt, in einer guten Koopera- dass auch oder gerade eine unabhängige Institution wie tion von EuGH und Bundesverfassungsgericht gelingt, eine Notenbank nicht frei von Kontrolle selbst bestim- dieses Spannungsfeld aufzulösen. men darf, was ihr Mandat sein soll, sondern dass die Grenzen des Mandats eben auch von jemandem kontrol- Wir werden diesem Antrag heute aus den genannten liert werden müssen. Gründen zustimmen. Ich glaube, damit machen wir einen wichtigen Schritt in dieser Debatte. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank. Das Gericht hat dem Bundestag aufgegeben, auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit hinzuwirken. Die EZB (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. hat dann in der Ratssitzung am 4. Juni über einen neuen Christian Petry [SPD]) Ratsbeschluss – exakt wie vom Bundesverfassungsge- richt gefordert – eine solche Prüfung durchgeführt und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hat sie über die Bundesbank auch dem Deutschen Bun- Herr Kollege Jung, Sie haben das große Glück, dass es destag übermittelt. Bei allen Differenzen – ich komme (B) noch weitere Redner der CDU/CSU gibt. Ich muss jetzt gleich darauf – hinsichtlich der Haltung der EZB in der (D) dem Kollegen Michael Frieser bedauerlicherweise eine Sache erkenne ich auch an, dass das, was Transparenz Minute von seiner Redezeit abziehen, weil Sie 50 Sekun- und Dialogbereitschaft gegenüber einem nationalen Par- den überzogen haben. lament, wie es der Deutsche Bundestag ist, anbelangt, neue Maßstäbe setzt. Wir werden von dem damit ver- (Andreas Jung [CDU/CSU]: Das sind zehn bundenen Angebot aktiv Gebrauch machen und mit der Sekunden!) EZB über Geldpolitik sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind schon fast Das müssen wir auch tun. Auch wenn wir heute aus der bei einem Sitzungsende von 1 Uhr heute Nacht. Es gibt Mitte des Parlaments heraus feststellen, dass es eine Ver- einen dringenden Appell von mir hältnismäßigkeitsprüfung gegeben hat und dass damit auch die Pflicht, darauf hinzuwirken, die das Gericht (Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD]) dem Bundestag übergeben hat, nicht mehr weiter nach- – ja, das mag sein – an die Parlamentarischen Geschäfts- gekommen werden muss, so muss doch auch und weiter- führer, wirklich darüber nachzudenken, wie man das et- hin darüber gesprochen werden, ob das, was die EZB was verkürzen kann. macht, eigentlich richtig ist. Ich will drei Gründe nennen, warum ich glaube, dass man bei exzessiven, dauerhaften (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Staatsanleihekäufen allergrößte Vorsicht walten lassen Denn wir hatten uns darauf verständigt – – muss: (Peter Boehringer [AfD]: Sie können die Bil- Erstens. Wenn Staatsanleihen von der Notenbank ge- lionen-Debatte ja noch verkürzen!) kauft werden, ist das etwas anderes, als wenn ein Zins gesetzt wird; denn Staatsanleihekäufe haben eine struktu- – Ich verkürze keine Debatte. Sie waren auch 40 Sekun- relle Nähe zur monetären Staatsfinanzierung. Das ist gar den drüber, Herr Boehringer. Wenn Sie in der Fraktion nicht zu vermeiden; das liegt in der Natur dieses Instru- nicht mehr Redezeit haben, tut mir das leid. Das ist keine ments. Deswegen muss man da viel, viel genauer hin- Frage des Präsidiums; ich habe darauf hingewiesen. schauen. Und je länger es andauert und je mehr Geld Ich lasse das nicht mehr zu, weil wir wirklich eine hineingeht, umso größer ist die Gefahr, dass die Grenze Verantwortung haben, nicht nur gegenüber den Men- zur Staatsfinanzierung überschritten wird. schen in diesem Land und uns selbst, sondern auch ge- genüber den Bediensteten des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der FDP) Manche kommen nach 1 Uhr nämlich gar nicht mehr Zweitens. Anleihekäufe haben einen weiteren Nach- nach Hause – damit Sie das einmal wissen! teil: Sie können Fehlanreize setzen und dazu führen, dass 21280 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Florian Toncar (A) nationale Regierungen sich plötzlich darauf verlassen, Das Bundesverfassungsgericht hat aufgetragen, dass (C) dass immer weiter gekauft wird, sodass notwendige Re- die EZB Anleihekäufe besser begründen solle. Sie soll formen unterbleiben. Wenn das passiert, machen Anlei- auf die wirtschaftlichen Nebeneffekte achten. Wir haben hekäufe die europäische Volkswirtschaft nicht stärker, durchaus unsere Kritik an der ökonomischen Begründung sondern schwächer, und das Ziel, das die EZB vorgibt des Urteils; denn jede Zinsentscheidung hat natürlich zu verfolgen, wird gerade verfehlt. Deshalb ist es so kri- enorme wirtschaftliche Effekte auf Beschäftigung, auf tisch, was da in diesem Umfang passiert. Investitionen, auf die Finanzmärkte. Wir glauben, dass die EZB ihre Anleihekäufe hinreichend dargelegt hat. (Beifall bei der FDP) Aber wir glauben auch: Der Kern ist ein politisches Pro- Drittens. Eines wird oft übersehen, wenn wir über Un- blem. abhängigkeit von Notenbanken sprechen: Wenn eine No- Wir haben das Verbot der monetären Staatsfinanzie- tenbank zu viel Forderungen gegenüber einem einzelnen rung in Europa, das heißt, die EZB darf Banken, aber Schuldner, einem Staat hat, dann kann sie irgendwann gar nicht Staaten finanzieren. Die EZB muss von daher per- nicht mehr unabhängig handeln, und dann hat ein Stück manent so tun, als würde sie keine Staaten finanzieren, weit dieser Staat die Notenbank in der Hand. Wenn wir und in diese Wunde legt das Verfassungsgericht seinen eine unabhängige Notenbank haben wollen, dann müssen Finger. Nun ist es aber so, dass international zahlreiche wir auch gucken, dass sie sich nicht zu sehr gegenüber Zentralbanken – die kanadische Zentralbank hat das einer Partei exponiert. lange getan, die britische Zentralbank – natürlich auch Genau deshalb haben die Freien Demokraten heute Staaten finanzieren, wenn es erforderlich wird, weil sonst neben der Feststellung, dass uns die Verhältnismäßig- ein künstliches Insolvenzrisiko besteht. keitsprüfung vorgelegt wurde, auch Vorschläge gemacht, (Peter Boehringer [AfD]: Das ist aber dum- wie wir das dauerhaft hier im Bundestag umsetzen kön- merweise verboten!) nen, uns dauerhaft damit beschäftigen können. Denn die EZB ist die einzige Institution, die in Euro nie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: pleitegehen kann. In Großbritannien droht keine Hyper- inflation. Wir haben Massenarbeitslosigkeit und leerste- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. hende Fabriken. Und die EZB hat immer noch das Instru- ment des Inflationsziels. Dr. Florian Toncar (FDP): Vor allem muss das EZB-Mandat präzisiert werden, Herr Toncar, wenn Sie hier von der Unabhängigkeit damit es mit Anleihekäufen – auch durch eine Obergren- der Zentralbank sprechen, will ich Ihnen sagen, dass Ihr (B) (D) ze – in Zukunft nicht so weitergehen kann. Das ist der Antrag einen direkten Eingriff in das Inflationsziel der Weg, für den wir werben. In diesem Sinne freue ich mich Europäischen Zentralbank vorsieht. auf die Diskussion hier im Parlament über dieses Thema. (Christian Dürr [FDP]: Das ist doch Quatsch! (Beifall bei der FDP) Das ist eine bewusste Falschinterpretation!) Von daher: Man darf nicht immer Unabhängigkeit pre- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: digen, wenn sie einem passt, und sie ablehnen, wenn Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Toncar. – Nächster einem die Geldpolitik nicht passt. Redner ist der Kollege Fabio De Masi, Fraktion Die Lin- (Beifall bei der LINKEN – Christian Dürr ke. [FDP]: Aber es ist Aufgabe der Politik, über (Beifall bei der LINKEN) das Mandat zu sprechen!) Wir glauben, dass es ein Fehler war, dass bei den Fabio De Masi (DIE LINKE): Anleihekäufen Auflagen gemacht wurden, die überhaupt Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr nichts mit der Geldpolitik zu tun hatten, Lohn- und Boehringer, Sie haben bemängelt, dass als Nachweis der Rentenkürzungen zum Beispiel, die die Nachfrage weiter Integrationsverantwortung auch darauf hingewiesen gehemmt haben und von daher unterstützt haben, dass wird, dass man AfD-Anträge abgelehnt hat. Ja, was gibt das billige Geld der Zentralbank in die Finanzmärkte, es denn für einen größeren Nachweis für die Integrations- nicht in die reale Wirtschaft fließt. verantwortung als die Ablehnung von Anträgen Ihrer Fraktion? In diesem Zusammenhang will ich sagen, dass wir hier auch über andere Auflagen diskutieren könnten, zum Bei- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem spiel nachhaltige Staatsfinanzen durch die Austrocknung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von Steueroasen. Es ist zwar völlig legitim, auch über den Euro zu disku- (Otto Fricke [FDP]: Jetzt dann doch!) tieren und ihn zu kritisieren; aber Sie wollen den Euro nicht reparieren, Sie wollen Europa abfackeln. Und Meine Fraktion ist der Auffassung, dass wir eine Ände- Feuerteufel gibt es in Europa schon genug. rung des Mandats der Europäischen Zentralbank brau- chen – so wie das zum Beispiel Herr Südekum, der unter (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem anderem die Regierung berät, fordert, wie das viele inter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nationale Ökonomen fordern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21281

Fabio De Masi (A) Wir werden uns zu dem Antrag der anderen Fraktionen Deswegen ist es gut und richtig, dass wir jetzt in dieser (C) enthalten, weil er uns nicht weitgehend, nicht kritisch Krise fiskalische Antworten im Rahmen des Recovery genug ist. Wir werden den Antrag der FDP ablehnen, Fund finden. trotz einiger Vorschläge, die wir selber auch unterstützen, zum Beispiel einen geldpolitischen Dialog mit einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fragerecht gegenüber der Bundesbank, wie wir das aus sowie bei Abgeordneten der SPD) dem Europäischen Parlament kennen. Aber es ist auch klar, dass die Euro-Zone an sich auch Vielen Dank. in Zukunft eine echte Fiskal- und Wirtschaftspolitik und einen europäischen Währungsfonds braucht, und ich hof- (Beifall bei der LINKEN) fe, dass Karlsruhe diesen Weg nicht versperren wird. Eine gemeinsame Währung braucht nämlich entweder eine Vizepräsident Wolfgang Kubicki: expansive Geldpolitik oder eine gemeinsame Fiskalpoli- tik. Falls Karlsruhe beides verhindern sollte, dann würde Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Nächste Red- sich das Bundesverfassungsgericht gegen unser Grund- nerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die gesetz stellen. Das ist nämlich europafreundlich. Kollegin Dr. Franziska Brantner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erlauben Sie mir noch kurz ein Wort zum FDP-Antrag. NEN): Ihre Forderung nach einem EZB-Kontrollausschuss im Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Bundestag ist brandgefährlich. Wenn wir als Bundestag Herren! Drei Punkte: Erstens. Gut, dass wir einen Weg so einen Ausschuss einrichten, dann machen das morgen gefunden haben, der die Unabhängigkeit der Europä- zehn andere Parlamente, und dann ist die Unabhängigkeit ischen Zentralbank und der Bundesbank gewährleistet der Europäischen Zentralbank futsch. und trotzdem die Abwägungen der Europäischen Zentral- bank aus den Jahren 2014/15 transparenter macht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf Ich bin froh, dass auf unseren Druck hin vier der sieben von der SPD: Genau!) Dokumente jetzt doch außerhalb der Geheimschutzstelle zugänglich sind. Herr Boehringer, außer das zu beklagen Das hat mit solider Wirtschafts- und Finanzpolitik gar haben Sie ja nichts getan. Es ist nicht auf Ihren Druck hin nichts mehr zu tun. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag öffentlich gemacht worden, sondern aus der Opposition ab. (B) (D) waren es Florian Toncar und ich, die da Druck gemacht Ich finde aber, dass wir als Bundestag gegenüber der haben, dass die Dokumente veröffentlicht werden. Bundesbank die gleichen Rechte bekommen sollten, wie sie das Europäische Parlament gegenüber der Europä- (Peter Boehringer [AfD]: Ja, ja, ist recht!) ischen Zentralbank hat. Wir sollten es uns nicht nehmen Sie motzen nur, wir handeln. lassen, das jetzt in bzw. nach der Sommerpause auf den Weg zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich danke Ihnen. Es ist trotzdem ärgerlich, dass in einem zentralen Do- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kument sehr viele Stellen geschwärzt sind, und das, ob- sowie des Abg. Christian Petry [SPD]) wohl sie in der Geheimschutzstelle sind; das finde ich nicht akzeptabel. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Vielen Dank, Frau Kollegin Brantner. – Mir steht es SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming nicht zu, Reden zu kommentieren. Aber vielleicht denken [AfD]: Dann handeln Sie mal! – Dr. Alexander Sie noch mal darüber nach, ob tatsächlich dogmatisch das Gauland [AfD]: Handeln Sie mal, motzen Sie Bundesverfassungsgericht als oberster Hüter der Verfas- nicht!) sung sich gegen die Verfassung stellen kann. Ich will das Zweitens. Gut, dass wir so deutlich die Rolle des Eu- nur einfach sagen. ropäischen Gerichtshofs und die Rechenschaftspflicht (Beifall bei Abgeordneten der AfD und der der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament noch FDP) mal betont und damit die Rollen der Akteure sehr deutlich kommuniziert haben. Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Mario Mieruch, fraktionslos. Drittens. Wenn man die Abwägungen aus den Jahren 2014/15 liest, wird auch klar, dass damals eine starke Mario Mieruch (fraktionslos): fiskalische Antwort der Mitgliedstaaten eine Alternative gewesen wäre. Das war eine Alternative. Die Mitglied- Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten staaten haben aber nicht gehandelt. Damen und Herren! Fassen wir zusammen: Die EZB kontrolliert sich selbst, die EZB entscheidet selbst, wel- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: che Unterlagen sie der Bundesregierung zur Verfügung Genau!) stellt, und die Bundesregierung wiederum entscheidet 21282 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Mario Mieruch (A) selbst, welche Unterlagen sie diesem Hohen Haus vor- haltes von Politik. Das Bundesverfassungsgericht – wel- (C) legt. ches Gericht denn sonst, wenn nicht dieses Gericht? – hat zum Ultra-vires-Schwert gegriffen, aber es hat natürlich Nun sind einige dieser Unterlagen öffentlich, andere nicht damit zugeschlagen. Deshalb war, ehrlich gesagt, können wir seit Montag in der Geheimschutzstelle be- diese reflexartige Form des Widerstandes – da ging es bis trachten. Hand aufs Herz: Wer von Ihnen hat sich die zum Vertragsverletzungsverfahren – aus meiner Sicht 160 Seiten angeschaut, die wir da anschauen können, nicht unbedingt notwendig. von denen eine ganze Menge geschwärzt ist? Es geht darum: Europa ist kein Bundesstaat. Deshalb (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sind Bundestag und Bundesregierung natürlich aufgeru- GRÜNEN]: Ich! – Abg. Frank Schäffler fen, die Überschreitung von Grenzen, aber auch andere [FDP] meldet sich) Auslegungen und eine Neuschaffung von Kompetenzen – Sehr gut, wunderbar, freut mich. Ich war auch da. zu kontrollieren. Seit heute ist die Hälfte davon sogar auf Deutsch ver- (Peter Boehringer [AfD]: Das müssen Sie Ih- fügbar. Das ist auch sehr schön und hat sicherlich auch rem Koalitionspartner noch mal erklären!) dem einen oder anderen geholfen. Warum? Weil wir für ein Europa werben. Wir werben (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE auch für Vertrauen in die Geldpolitik der Europäischen GRÜNEN]: Da haben wir auch für gesorgt, Zentralbank. Aber das können wir nur tun, wenn wir den um das noch mal zu betonen!) Prozess dieser Geldmarktpolitik auch mitbeurteilen kön- nen und in gewisser Weise auch einen Einblick haben. Wenn aber viele Leute nicht da waren: Woher wissen Sie Das nennt man „Integrationsverantwortung“. Dieser wer- eigentlich, worüber Sie heute abstimmen? den wir gerecht, nicht nur mit dieser Debatte heute, son- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE dern auch mit der Zurkenntnisnahme der Unterlagen. GRÜNEN]: Es waren sehr viele da!) Worum geht es aber gerade nicht? Es geht nicht darum, Und dann gibt es einen Punkt: Wer von Ihnen – Hand Vorgaben für Geldpolitik zu machen; es geht nicht darum, aufs Herz – kennt die Beschlüsse der EZB über die Ver- sich ersatzweise in die Unabhängigkeit der Europäischen lust- und Risikotragung, wenn das alles schiefgeht, was Zentralbank einzumischen, die der Unabhängigkeit der man da macht? Wer kennt das? Wer könnte das jetzt Bundesbank nachgebildet ist, sondern es geht darum, sagen? Keiner. Also, worüber stimmen wir hier eigentlich dass wir den Menschen deutlich machen: Sicherlich, es ab? Wie können Sie verantwortungsvoll abstimmen? Und gibt einen Prozess der Verhältnismäßigkeit, den man (B) wie haben Sie von Montag bis heute die Debatte mit den ständig, auch in der Zukunft, im Blick hat. (D) Steuerzahlern, mit den Unternehmern über dieses ganze Thema geführt und darüber, was auf sie zukommt, wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) es in die Hose geht? Wann und wie haben Sie das getan? Das kann man von uns verlangen. Das ist unser Ansatz- (Marianne Schieder [SPD]: Haben Sie es ge- punkt. Das ist das, was das Bundesverfassungsgericht tan?) von uns verlangt. Ich habe fertig. Deshalb, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol- legen: Es geht schon darum, dass man jeden Eindruck vermeidet, dass man es auf jeden Fall besser weiß. Geld- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: marktpolitik geht immer dann in die Irre, wenn sie der Vielen Dank, Herr Kollege Mieruch. – Letzter Redner bloßen politischen Auseinandersetzung geopfert wird. zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Das ist genau die Lehre, die wir aus der jahrzehntelangen Frieser, CDU/CSU-Fraktion. fehlerhaften Geldpolitik gezogen haben. Deshalb kommt (Beifall bei der CDU/CSU) es immer darauf an, dass wir diese Vorgaben als Prozess begleiten. Dafür gibt es mehrere Ansätze, über die wir Michael Frieser (CDU/CSU): selbstverständlich gerne miteinander reden. Der Monetä- re Dialog, das, was die Kollegen im Europäischen Parla- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ment tun, das, was uns an Unterlagen zur Kenntnis ge- ren! Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt. Also, wenn es langt, aufgrund dessen wir es dann beurteilen können: noch eines Beweises bedurft hätte, dass man keine Ah- Am Ende des Tages existiert er, der Prozess der Über- nung vom Zusammenspiel von EZB und Bundesbank prüfung der Verhältnismäßigkeit dieses Anleihepro- und davon hat, wie diese Institutionen miteinander um- gramms. gehen, dann haben wir das gerade gehört. Da brauchen wir sicherlich keine Lehrstunde. Wir haben es unseren Bürgern verbindlich verspro- chen, dass wir über die Einhaltung dieser Grenzen wa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und chen können – ohne uns in eine Geldmarktpolitik einzu- des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) mischen, die an dieser Stelle gerade nicht unsere Ich bin dem Kollegen Jung aber sehr, sehr dankbar, Angelegenheit ist. Das ist unsere Integrationsverantwor- dass er für das Bundesverfassungsgericht einmal erklärt tung; das ist das, wofür wir auch bei den Bürgern in hat, worum es heute geht. Es geht nicht um den Streit und diesem Land, in Europa und in Deutschland, werben um die Frage von Mechanismen zur Kontrolle des In- müssen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21283

Michael Frieser (A) Vielen Dank. Europa ist es wert – Für einen solidari- (C) schen und ökologischen Wiederaufbau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und einen starken ordneten der SPD) EU-Haushalt 2021-2027

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Drucksache 19/20564 Vielen Dank, Herr Kollege Frieser. – Damit schließe Überweisungsvorschlag: ich die Aussprache. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Inneres und Heimat Bevor wir zur Abstimmung zum Zusatzpunkt 17 kom- Sportausschuss men, teile ich gerne mit, dass mehrere Erklärungen zur Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor- Finanzausschuss 1) Ausschuss für Wirtschaft und Energie liegen. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Verteidigungsausschuss Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Grünen auf Drucksache 19/20621 mit dem Titel „Urteil Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufpro- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe gramm PSPP der Europäischen Zentralbank“. Wer Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – zung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag gegen die lung Stimmen der AfD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Ausschuss für Tourismus Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Hauses angenommen. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Haushaltsausschuss Zusatzpunkt 18. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20616 mit dem Titel b) Beratung des Antrags der Abgeordneten „Kritische und effektive Ausübung der sogenannten In- Dr. Harald Weyel, Corinna Miazga, Siegbert tegrationsverantwortung des Deutschen Bundestages im Droese, weiterer Abgeordneter und der Frak- Zusammenhang mit Entscheidungen des Rates der Euro- tion der AfD päischen Zentralbank“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist Ein EU-Haushalt ohne Sanktionsmecha- dieser Antrag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit nismen gegen souveräne Mitgliedsstaaten (B) den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abge- (D) Drucksache 19/20570 lehnt. Überweisungsvorschlag: Zusatzpunkt 33. Abstimmung über den Antrag der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/20552 mit dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Titel „Konflikt um die Geldpolitik der Europäischen Haushaltsausschuss Zentralbank politisch lösen – EU-Verträge ändern und geldpolitischen Dialog mit der Bundesbank verankern“. ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Georg Link, Alexander Graf Lambsdorff, Dann stelle ich fest: Dieser Antrag ist gegen die Stimmen Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen der Fraktion der FDP Fraktionen des Hauses abgelehnt. Europas Chancen nutzen – Für einen zu- Zusatzpunkt 35. Abstimmung über den Antrag der kunftsweisenden Mehrjährigen Finanzrah- Fraktion der FDP auf Drucksache 19/20553 mit dem Titel men der Europäischen Union 2021-2027 „Verhältnismäßigkeitsprüfung fristgerecht dargelegt – Kontrolle der Grenzen der Geldpolitik als Daueraufgabe Drucksache 19/20580 ernstnehmen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer Überweisungsvorschlag: stimmt gegen den Antrag? – Dann stelle ich fest: Dieser Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Antrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der AfD und der FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des ZP 20 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Hauses abgelehnt. richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie Zusatzpunkte 19 und 20 auf: – zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd Reuther, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, 16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Agnieszka Brugger, Anja Hajduk, FDP Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Gute Mobilität für europäische Bürger – GRÜNEN Schwerpunkte in der Verkehrspolitik während der deutschen Ratspräsident- 1) Anlagen 7 und 8 schaft 21284 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan rechte seine Interessen in der Welt skrupellos durchsetzt, (C) Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Stefan braucht es ein weltpolitikfähiges Europa, aber auch inter- Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und der nationale Solidarität in dieser Krise mit den Schwächsten Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Welt.

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft für eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) europäische Verkehrswende nutzen Europa darf nicht zum Spielball der geopolitischen Inte- Drucksachen 19/20043, 19/19558, 19/20660 ressen anderer werden, sondern muss ein relevanter Es handelt sich um die Beratung mehrerer Vorlagen Player auf der Weltbühne sein. zum EU-Haushalt 2021 bis 2027 sowie zur europäischen Verkehrspolitik während der deutschen Ratspräsident- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaft. Meine Damen und Herren, all diese Aufgaben kosten. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Es wird offensichtlicher denn je, dass die EU endlich schlossen. Es gibt auch keinen großen Platzwechsel. mehr Eigenmittel braucht. Es liegen sehr kluge, konkrete Vorschläge der Kommission und auch des Parlaments auf Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster dem Tisch. Die Zeit für eine Besteuerung von Digitalkon- Rednerin der Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort. zernen, für einen CO2-Grenzausgleich und für eine Plas- tiksteuer ist jetzt. Die Bundesregierung muss aufhören, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das zu blockieren oder auf die lange Bank zu schieben.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Bei all den Unterschieden haben mich die ersten Wo- ren! Es ist in dieser Woche das vierte Mal, dass wir hier chen der Coronakrise an die Flüchtlingssituation vor fünf im Deutschen Bundestag über die Europäische Union Jahren und erst recht an die große Finanz- und Wirt- debattieren – völlig zu Recht in der Woche, in der die schaftskrise vor zehn Jahren erinnert. Das nationale deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union egoistische Klein-Klein vertieft die Gräben in Europa beginnt. In den Debatten zuvor waren sich alle demo- und verhindert zum Schaden aller wirksame Lösungen. kratischen Fraktionen einig: Die Europäische Union muss solidarischer, souveräner und krisenfester werden. Der Vorstoß von Angela Merkel und Emmanuel Mac- Dieses richtige Ziel gibt es aber nicht zum Nulltarif. ron hat Bewegung ermöglicht und Hoffnung gebracht. (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei mir nimmt leider gerade die Sorge zu, dass dieser historische Moment gefährdet wird bzw. verspielt werden Bei den anstehenden Verhandlungen im Juli geht es um könnte, wenn sich zum Beispiel einige Staaten dafür ein- das große Ganze, und es geht auch um das ganz große setzen, dass das Geld aus dem Wiederaufbauprogramm Geld, um ein Wiederaufbauprogramm, das der histori- stärker als bisher geplant von den Mitgliedstaaten wieder schen Dimension der Coronakrise wirklich gerecht wird, zurückgezahlt werden muss. Das gefährdet doch, dass und um einen EU-Haushalt für die gesamten nächsten gerade diejenigen Staaten, die besonders hart von der sieben Jahre. Für uns als Grüne ist dabei eines ganz klar: Krise getroffen worden sind, wieder auf die Beine kom- Der Kampf gegen die Klimakrise muss Toppriorität ha- men. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: ben. Schützen Sie diesen neuen Moment der Solidarität, er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halten Sie das wiedergewonnene Vertrauen, und verhin- dern Sie genau das in den Verhandlungen! Das ist übrigens auch die Meinung der Menschen in un- serem Land, die das im heutigen DeutschlandTrend zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Toppriorität erklärt haben. Der Green New Deal darf nicht nur ein schönes Schlagwort von Ursula von der Mir macht aber auch das Positionspapier der Union Leyen bleiben, sondern er muss jetzt mit Leben gefüllt Sorge, das Sie diese Woche beschlossen haben. Sie und und mit Geld unterfüttert werden. Ihre Kanzlerin haben mit den alten ideologischen Dog- men gebrochen, um eine Einigung möglich zu machen, Zu mehr Klimaschutz gehört aber auch eine Verkehrs- aber jetzt kehren Sie genau zu den falschen alten finanz- wende hin zu einer nachhaltigen Mobilität. Es gehört eine politischen Positionen zurück. Besonders ärgert mich der Agrarpolitik dazu, die Umweltschutz, Tierwohl und ge- Vorstoß der Konservativen im Europäischen Parlament, sunde Lebensmittel zusammendenkt. Es braucht aber die jetzt den Klimaschutz auf Eis legen wollen. auch Solidarität in einem sozialen Europa, Vorsorge im Gesundheitsbereich und kluge Investitionen in Digitali- Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die Chance, sierung. die Folgen der Pandemie zu meistern und uns für künftige Krisen besser zu wappnen. Vor allem haben wir die Chan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ce, eine Antwort auf die größte Krise unserer Zeit zu Es ist richtig, dass es Geld nur für diejenigen geben geben: die drohende Klimakatastrophe. Wir müssen diese soll, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit achten. Ge- Chance nutzen. rade wenn die USA aktuell beim globalen Krisenmanage- ment ausfallen und China ohne Rücksicht auf Menschen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21285

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: in Forschung und in Entwicklung. Damit schaffen wir (C) Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. den Schritt in eine gute Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ordneten der SPD) Eine starke Europäische Union ist nicht nur ein histori- sches Friedensprojekt und Garant unseres Wohlstands, Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, ist die muntere sondern unsere wichtigste Zukunftsinvestition. Forderung nach verschiedensten zusätzlichen Steuern aus dem Antrag der Grünen, damit man die gigantischen Vielen Dank. Forderungen, die Sie aufstellen, auch finanzieren kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die EU ist kein Staat, und deswegen soll sie sich auch nicht verhalten wie ein Staat. Sie möchten – zu Recht – Populismus bekämpfen. Aber das Gegenteil werden wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: erreichen, wenn wir willkürlich am Bürger vorbei immer Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Nächste Red- höhere Steuern erheben. nerin ist die Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU-Frak- tion. Wo wir gerade beim Thema Krisenbewältigung waren: Es wird auch nicht ausreichen, dass wir nur auf die ak- (Beifall bei der CDU/CSU) tuelle Krise reagieren. Wir müssen die Gefahr von kommenden Krisen erkennen, und wir müssen uns darauf Katrin Staffler (CDU/CSU): vorbereiten. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Eu- Zukunft wettbewerbsfähig bleiben, und dafür brauchen ropa ist es wert“: Europa ist es wert, dass wir in dieser wir Innovationen, die, nebenbei gesagt, übrigens auch schwierigen Situation einander Halt geben, dass wir ei- einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. nander unterstützen und gemeinsam in die Zukunft Eines ist mir besonders wichtig: Es muss uns gelingen, schauen. Europa ist es wert, dafür zu kämpfen. – Mögli- dass wir erstklassige Forschung noch besser in die Praxis cherweise ist Ihnen das bekannt vorgekommen. Das steht bringen. Wir haben fantastische Forschung innerhalb der nämlich in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kolle- Europäischen Union. Dennoch gelingt es uns nicht, dass gen. Dem kann ich auch vollumfänglich zustimmen. Was wir diese Forschung noch besser in wirtschaftliche Inno- allerdings den Rest Ihres Antrags anbelangt, habe ich, vation transformieren. Das ist, als würde man nobelpreis- ehrlich gesagt, so meine Bedenken. würdige Entdeckungen machen und hinterher vergessen, Natürlich müssen wir gerade jetzt in der aktuellen Kri- dass man sie veröffentlicht. Innovation ist der Schlüssel (B) se nach vorne schauen. Und ja, natürlich müssen wir auch zur Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft. Deswegen brau- (D) die Chancen, die sich aus der Krise ergeben, erkennen chen wir natürlich viel Geld für Forschung und Entwick- und ergreifen. Allerdings scheinen die Grünen die Chan- lung. Wir müssen aber auch den nächsten Schritt Rich- cen insbesondere darin zu sehen, dass wir den mehrjäh- tung Anwendung machen. rigen Finanzrahmen mit grün gefärbter Ideologie über- frachten. Und bevor Sie sich jetzt aufregen Ein weiteres Thema, das mich umtreibt, ist, dass wir innerhalb der EU darauf achten müssen, Rechtsstaatlich- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE keit zu erhalten. Um es an dieser Stelle ganz klar zu GRÜNEN]: Machen wir doch gar nicht! – Hei- sagen: Für mich ist die europäische Idee eine Idee von terkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Toleranz, eine Idee von Frieden und von Gemeinschaft. Genau für diese Werte müssen wir innerhalb der Europä- – sind alle schon eingeschlafen? –: ischen Union einstehen, und zwar nicht nur nach außen (Heiterkeit bei der CDU/CSU) und bei den anderen gucken, sondern auch nach innen. Selbstverständlich ist der Klimawandel eine der größten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herausforderungen unserer Zeit, und es ist nur richtig Deswegen begrüßen wir es als Unionsfraktion, dass und auch wichtig, dass wir für diese Herausforderung sich die Kommission in ihrem jährlichen Bericht über gemeinsam nach Lösungen suchen. Aber das müssen die Rechtsstaatlichkeit mit den Situationen in den jewei- wir auch in anderen Bereichen tun und in anderen Be- ligen Mitgliedstaaten befassen wird; denn Rechtsstaat- reichen die Basis für eine gute Zukunft legen. lichkeit muss für uns die Grundvoraussetzung für den Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass wir alle Erhalt von Mitteln aus dem mehrjährigen Finanzrahmen Bereiche des EU-Haushaltes auf den Klimaschutz aus- sein. richten, und genau da liegt das Problem; denn wenn wir alle Bereiche auf eine Herausforderung ausrichten, dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ignorieren wir alle anderen Herausforderungen. ordneten der SPD) Es ist relativ wenig überraschend, dass die AfD damit (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- nicht einverstanden ist. Ein Mitgliedstaat mit einer „sou- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) veränen politischen Ausrichtung“ müsse Vorhaben der Damit sorgen wir ganz sicher nicht für eine stabile Zu- EU-Kommission verwerfen dürfen. Ja, liebe Kolleginnen kunft, ganz im Gegenteil. Was wir nämlich stattdessen und Kollegen, nach der Logik dürfte die AfD auch auf- brauchen, sind höhere Investitionen in Sicherheit, in In- grund ihrer souveränen politischen Ausrichtung ohne frastruktur, in Digitalisierung, in künstliche Intelligenz, Fahrkarte in der Bahn fahren, und hinterher dürften wir 21286 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Katrin Staffler (A) das dann selbstverständlich weder kontrollieren noch desverfassungsgericht“, der letzte Fall war Harbarth, (C) sanktionieren. 2011 war es der ehemalige Ministerpräsident des Saar- landes Müller, und dergleichen mehr – und auch die (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist Blöd- Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften sind sinn! Aber die EU hat einem souveränen Staat Themen, die man da problematisieren könnte. keine Vorschriften zu machen!) Das ist spannend, Herr Kleinwächter; denn solche Ideen Es zielt ab auf eine Konditionierung der Visegradstaa- findet man normalerweise eher bei den Kollegen von der ten – nicht nur Ungarn – und der Gegner dieser fragwür- anderen Seite des Hauses. Wir jedenfalls lehnen so was digen Mehrheitsentscheidungen – das Ganze soll quasi in ab. seinem Kern transformiert werden; so sagt es ja auch die Kanzlerin mittlerweile –, die diese Multikultipille nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schlucken wollen. Auf die zielt das direkt ab. Da soll also ordneten der SPD) konditioniert werden, während wir feststellen müssen: Zuletzt möchte ich noch über den Zeitplan sprechen. Bei den anderen Sachen wird überhaupt nichts mehr kon- Es gibt den Vorwurf im Antrag der Grünen, die Bundes- ditioniert. Es ist also keine Kofinanzierung bei den regu- regierung habe Zeit und Vertrauen in der EU verspielt. lären Fonds mehr nötig, und diese Geldschleuder – Next Dem möchte ich an dieser Stelle ganz entschieden wider- Generation EU genannt – verschenkt das Geld ja gleich, sprechen. Vertrauen gewinnt man doch nicht dadurch, also keine Kofinanzierung, keine Konditionierung, weder dass man vorschnell irgendwelche Gelder der Bürger aus- für Zins- noch für Rückzahlungsmodalitäten; das ist alles gibt, sondern dadurch, dass man gewissenhafte Entschei- nicht vorgesehen. dungen trifft und sorgfältig abwägt. Und ja, natürlich Diese Art von Programmatik ist zu verwerfen, und in müssen wir in dieser Krisensituation schnell handeln, der Coronarhetorik und -panik, mit der Sie ja so gerne und viele Mittel werden natürlich wegen der anhaltenden arbeiten, sind diese Programme eigentlich nur noch als Krise auch sofort gebraucht; aber die Lösungen dürfen Superspreader ökonomischer Unvernunft zu bezeichnen. eben nicht nur schnell, sondern sie müssen auch gut durchdacht sein. Deswegen müssen wir sicherstellen, (Beifall bei der AfD) dass die Haushaltsmittel effektiv, zukunftsorientiert und vor allem nach ganz klaren Kriterien und Bedingungen Dazu kann man ja wirklich nur gratulieren, dass das die verwendet werden. neue Logik und die neue Programmatik geworden ist, die alle bestehenden Probleme verschärft und die alle noch (Beifall bei der CDU/CSU) offenen Probleme ins Land holt – im wahrsten Sinne des (B) Meine Damen und Herren, ich habe es eingangs ge- Wortes – und nur verschlimmert. (D) sagt: Europa war es wert, Europa ist es wert, und Europa bleibt es auch wert. Und in diesem Sinne müssen wir die Angesichts dieser Situation und der gleichzeitigen For- Vergangenheit gemeinsam überwinden. Wir müssen in derung „Wegfall der Vetorechte“ – Verschlimmbesserung der Gegenwart zusammenhalten und solidarisch bleiben, der Mehrheitsentscheidungen – kann man eigentlich auch dann können wir gemeinsam mutig in die Zukunft gehen. nur noch mal anmerken, was Professor Sinn schon 2017/2018 anmerkte: dass vor dem Hintergrund des Bre- Vielen Dank. xit und des Wegfalls der Minderheitenrechte – Minder- (Beifall bei der CDU/CSU) heiten übrigens nicht nur bezogen auf Personen gemäß Artikel 2 des EU-Vertrags, sondern auch auf Staatengrup- pierungen – der Minderheitenschutz gänzlich wegfällt bei Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dieser oktroyierten Mehrheitsentscheidung, die noch da- Vielen Dank, Frau Kollegin Staffler. – Nächster Red- zu mit Geld versüßt bzw. erzwungen werden soll. ner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Dr. Harald Weyel. Ja, es wäre also eher fällig – Ratspräsidentschaft hin oder her oder gerade deswegen –, eine Änderungskündi- (Beifall bei der AfD) gung auszusprechen, dass die Minderheitenrechte in der EU in diesen Abstimmungsverfahren geschützt werden. Dr. Harald Weyel (AfD): Das ist nämlich jetzt ganz und gar nicht der Fall. Tür und Sehr geehrter Präsident! Kollegen und Zuschauer, ins- Tor sind schon ohne diese juristische Möglichkeit geöff- besondere an den Bildschirmen! Ich greife einen Punkt net, allein durch die Willenserklärung, die Sie in diese auf; zu den Zahlen ist viel gesagt worden. Ich möchte Richtung abgeben: unkonditioniert, wenn denn die ideo- mich auf einen qualitativen Aspekt beschränken, wenn logische Zielsetzung stimmt, und ohne Rückzahlungsmo- es nämlich darum geht, die Gelder zu konditionieren – dalitäten Geld zu verschenken; eine Eigenfinanzierung ist Punkt 20 im Riesenantrag, dem Wunschkonzert der Grü- nicht mehr notwendig. Also, hören Sie auf damit, diesem nen –, „mit europäischen Geldern europäische Werte zu falschen Trieb zu folgen, und vor allen Dingen – nicht nur schützen“ usw. usf., „damit Regierungen in Mitglieds- bei den Visegradstaaten – widerstehen Sie den Verlo- staaten mit systematischen Rechtsstaats-Defiziten EU- ckungen und der Peitsche des Sugardaddys aus Brüssel! Mittel nicht mehr zugutekommen.“ Da muss man sich natürlich auch fragen, inwieweit Deutschland selbst zu Danke für diese Hilfe. einem solchen Problemfall geworden ist. Die Verqui- ckung von höchstrichterlichen Ämtern – Stichwort „Bun- (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21287

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ronapandemie auf den Menschen geleugnet, und Sie (C) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Weyel. – Als Nächster leugnen Solidarität in Europa. Das ist Gift für uns alle! spricht zu uns Herr Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Lin- ken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD) Dr. Alexander Gauland [AfD]: Gift ist das, was Sie sagen, Herr Kollege!) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Deutschland hat gemeinsam mit Frankreich gezeigt, Schönen guten Abend! Herr Präsident! Liebe Kolle- dass Solidarität mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Wir ginnen und Kollegen! „Gemeinsam. Europa wieder stark haben mit unserem Vorschlag, der ein Volumen von machen.“: Das ist das Motto unserer Ratspräsidentschaft, 500 Milliarden Euro umfasst, deutlich gemacht, was wir die gestern begonnen hat, und wir haben jetzt sechs Mo- jetzt brauchen: eine umfassende, eine ambitionierte, eine nate Zeit, dieses wunderbare Motto mit Leben zu füllen. weitreichende Lösung, damit wir aus der Krise heraus- kommen. Was für eine menschliche, wirtschaftliche und soziale Katastrophe erleben wir derzeit in Europa und weltweit! Aber es geht nicht, wie ich das oftmals lese, auch nicht Über 100 000 Menschen in Europa sind an oder mit Co- im Haushalt, um einen Wiederaufbau. Wir wollen nicht in rona gestorben. Deswegen muss es unser gemeinsames die Vor-Corona-Zeit zurück. Wir wollen einen Aufbruch und wichtigstes Ziel sein, dass wir so schnell wie irgend in die Zukunft, einen nachhaltigen Aufbruch, einen so- möglich solidarisch und geschlossen aus dieser schweren zialen Aufbruch und einen solidarischen Aufbruch. Krise kommen (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sind doch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hülsen!) und dass wir vor allem den Staaten, die am stärksten von Das heißt, wir wollen das Geld, das wir jetzt zur Ver- der Pandemie betroffen sind, helfen; denn aus eigener fügung stellen, in den sozial-ökologischen Umbau Euro- Kraft alleine werden sie das nicht schaffen. pas investieren, in den Klimaschutz, in den sozialen Zu- sammenhalt, in eine nachhaltige Weiterentwicklung (Beifall bei der SPD) unserer Wirtschaft, damit Arbeitsplätze auch in 10 oder Ich will mich ja mit den Herren dieser Fraktion nicht 20 Jahren sicher sind. weiter auseinandersetzen. Aber bitte legen Sie doch mal (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter eine andere CD auf! Wenn man Ihnen so zuhört, könnte [AfD]) (B) man wirklich meinen, dass Sie nach der Coronapandemie (D) die größte Gefahr für Arbeitsplätze und für wirtschaft- Und es geht darum, dass wir die massiven sozialen und lichen Wohlstand in Europa sind, wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die es in der Europä- ischen Union nach wie vor gibt, beheben, dass wir sie (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem abmildern und lindern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) weil Sie immer noch nicht kapiert haben, dass es in un- serem eigenen Interesse liegt, dass es unseren Partnern, Es geht auch um das wichtige Thema Geschlechter- unseren Nachbarstaaten in der Europäischen Union gut gerechtigkeit. geht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das bestreitet Wir haben mit den Schwedinnen und Schweden durchge- doch niemand!) setzt, dass bei allen Ausgaben darauf geachtet werden Wenn es den anderen nicht gut geht, sind auch Arbeits- soll, dass Männer und Frauen gleichermaßen von der plätze, ist auch soziale Stabilität in Deutschland massiv Politik der Europäischen Union profitieren. gefährdet. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- Auch das ist ein Europa der Zukunft. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wo sind die Di- Sie nähren hier die Saat des Hasses und der Missachtung. versen?) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: So ein Es darf nicht um Gießkannenpolitik gehen, sondern Quatsch! Hören Sie mit dem Unsinn auf! – Ge- wir müssen jetzt genau darauf achten, dass das Geld da- genruf des Abg. Christian Petry [SPD]: Seid ihr hin kommt, wo es am dringendsten gebraucht wird. wach geworden da drüben?) Es wird schwierig werden. Ich kann den Kolleginnen Immer die gleiche Leier: Abschottung. und Kollegen nur zustimmen: Wir müssen jetzt wirklich auf die Tube drücken. Wir brauchen möglichst rasch ein (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Die Holländer klares Signal der Bürgerinnen und Bürger, dass die poli- denken genauso!) tisch Verantwortlichen gemeinsam verstanden haben, Sie haben den menschengemachten Klimawandel ge- dass wir jetzt ein Signal der Handlungsfähigkeit setzen leugnet, Sie haben die massiven Auswirkungen der Co- müssen, dass wir das hinbekommen, obwohl es in der 21288 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Staatsminister Michael Roth (A) Europäischen Union nach wie vor massive Unterschiede bei allein schon 6,5 Milliarden Euro auf das Ausscheiden (C) gibt. Aber Kompromissfähigkeit wird vor allem auch von des Vereinigten Königreichs zurückzuführen sind. uns eingefordert; denn wir haben jetzt eine besondere Die FDP kritisiert nicht die Höhe; das muss ich an Rolle: Wir müssen Brücken bauen. Wir müssen den La- dieser Stelle ganz klar sagen. Wir wollen um Gottes wil- den zusammenhalten. Deswegen kann ich auch nicht ver- len auch keine Nettozahlerdiskussion wieder haben. Un- sprechen, dass alles, was wir einfordern, am Ende auch sere Debatte geht in die Richtung, dass wir eine sinnvolle umgesetzt wird. Verwendung dieses Geldes wollen. Bisher gehen 70 Pro- Aber ein Punkt – ich habe mich heute sehr über den zent des Haushaltes für die Gemeinsame Agrarpolitik Beitrag der Kollegin Katrin Staffler gefreut – ist für uns und für die Kohäsion drauf. Deswegen ist natürlich wenig ganz besonders wichtig: Wenn wir schon so viel Geld Geld für die anderen Aufgaben da. ausgeben wie noch nie in der Geschichte des vereinten Der nächste MFR, wie wir ihn uns vorstellen, darf nur Europas, dann muss klar sein, dass es nicht nur um wirt- größer werden, wenn er einen europäischen und damit schaftliche Fragen und binnenmarktrelevante Fragen auch deutschen Mehrwert hat. geht, sondern es geht vor allem darum, die Europäische Union als Rechts- und Wertegemeinschaft zu stärken. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir müssen die haushalterische Steinzeit schlicht und DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der einfach hinter uns lassen und das Geld in die neuen He- CDU/CSU) rausforderungen stecken, die es gibt. Ich nenne nur drei Themen: Forschung, Klimaschutz und natürlich auch Deshalb fordert die Bundesregierung zwei neue Instru- Schutz der Außengrenzen. mente: Zu diesen 41 Milliarden Euro kommen circa 25 Prozent Das erste Instrument ist ein Rechtsstaatscheck im Rat, der 500 Milliarden Euro, die bis jetzt als Zuschüsse beim dem sich alle Mitgliedstaaten zu unterziehen haben, da- Wiederaufbaufonds geplant sind. Das ist jede Menge mit deutlich wird: Wir brauchen endlich wieder ein ge- Geld. Zusätzlich soll es auch noch Kredite in Höhe von meinsames Verständnis von Grundwerten, Demokratie 250 Milliarden Euro geben, die von der EU aufgenom- und Rechtsstaatlichkeit. men werden. Dazu stellen wir uns zwei Fragen. Zum einen: Müssen es wirklich Zuschüsse in Höhe von Ein zweites Instrument – nicht weniger umstritten in 500 Milliarden Euro sein, die wir aufnehmen, im Ver- der Europäischen Union – ist glasklar: Die Staaten, die gleich zu den Krediten in Höhe von 250 Milliarden Euro? systematisch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit bre- Zum anderen: Wie sorgen wir vor allen Dingen dafür, chen, müssen zukünftig mit weniger Geld aus Brüssel (B) dass es keine Rosinenpickerei gibt, dass sich die Länder (D) rechnen. Auch das ist Solidarität und Glaubwürdigkeit. nicht nur die Zuschüsse heraussuchen, sondern dass sie (Beifall bei der SPD) auch die Kredite mitnehmen? Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass neben den Zuschüssen auch die Kre- Für diese Politik bitte ich Sie von Herzen um Unter- dite genommen werden. Wir stellen uns vor: Hat ein Land stützung. Es wird auch darum gehen, dass wir Akzeptanz ein Projekt mit 3 Milliarden Euro im Aufbau- und Resi- bei unseren Bürgerinnen und Bürgern gewinnen, dass wir lienzplan, dann können davon 2 Milliarden Euro über jetzt auch weiter mutig und ambitioniert bleiben. Da hof- Kredite ausgereicht werden und 1 Milliarde Euro über fe ich auf Ihre Unterstützung. Ich bedanke mich. Sie Zuschüsse. Dann wissen wir wenigstens, dass das Geld können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung für beides abfließt. Wir dürfen uns dort keine Rosinenpi- in den nächsten sechs Monaten alles dafür tun wird, dass ckerei erlauben. die Europäische Union solidarischer, sozialer, souveräner und handlungsfähiger wird. Das ist im Interesse der Bür- (Beifall bei der FDP) gerinnen und Bürger Deutschlands. Letzten Donnerstag hatten wir im Europaausschuss Vielen Dank. den Haushaltskommissar Hahn zugeschaltet. Er stellte seinen Vorschlag für eine starke makroökonomische (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Konditionalität im Wiederaufbaufonds vor. Seine Formel der CDU/CSU) lautet: Zahlungen nur gegen Reformfortschritte. – Ich betone: erst Reformfortschritte und dann Zahlungen. Ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nau das ist das, was wir brauchen. Wenn die Länder Reformfortschritte machen, dann werden sie auch in der Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Nächster Redner Lage sein, die Kredite, die sie sehr zinsgünstig bei der EU ist der Kollege Gerald Ullrich, FDP-Fraktion. aufnehmen, zurückzuzahlen. Ansonsten halten wir das (Beifall bei der FDP) für ein großes Problem. Wenn Kommissar Hahn das schon für den Wiederaufbaufonds plant, dann fragen Gerald Ullrich (FDP): wir uns natürlich: Warum wird das nicht für den gesamten EU-Haushalt geplant? Wir könnten uns vorstellen, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und damit sehr viele Ziele erreicht würden. Kollegen! Meine Damen und Herren! Bisher zahlt Deutschland jährlich 28 Milliarden Euro in den EU- Ein letzter Punkt – Frau Staffler hat es gesagt –: Sie Haushalt ein. Ab 2021 werden es laut Schätzung des Aus- wollen keine neuen Steuermittel der EU haben. Wir ha- wärtigen Amtes circa 13 Milliarden Euro mehr sein, wo- ben aber gestern von unserem Bundestagspräsidenten, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21289

Gerald Ullrich (A) von Herrn Schäuble, das genaue Gegenteil gehört. Er Wir unterstützen, dass die EU-Kommission zur ge- (C) möchte die haben. meinsamen Kreditaufnahme bevollmächtigt wird, halten auch die Forderungen nach Eigenmitteln der Europä- ischen Union für richtig. Die Einführung der in der Dis- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kussion stehenden Finanztransaktionsteuer gehört schon Kommen Sie bitte zum Schluss. lange zu unseren Forderungen. Auch eine Digitalsteuer oder eine Plastiksteuer hat unsere Zustimmung. Gerald Ullrich (FDP): Bitte seien Sie die letzte Brandmauer für uns. Ich (Beifall bei der LINKEN) möchte, dass die CSU das nicht zulässt. Wir werden es Viele der im Antrag der Grünen formulierten Vorschlä- auch nicht zulassen. ge zum Einsatz der Mittel können wir durchaus unter- stützen. Das Wichtigste aber ist, das Vertrauen der Bür- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gerinnen und Bürger in die Politik der EU und ihre Institutionen wiederherzustellen. Dieses ist nämlich Herr Kollege. schwer erschüttert.

Gerald Ullrich (FDP): In Italien haben 70 Prozent der Menschen kein Ver- Ich denke, wir können uns darauf einigen. trauen mehr in die Europäische Union. In Frankreich gehen noch 40 Prozent zur Wahl. 60 Prozent der EU- Bürgerinnen und -Bürger gehen davon aus, dass etablier- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: te Parteien sich nicht für sie interessieren. Bei Menschen Herr Kollege Ullrich, kommen Sie bitte zum Schluss. mit geringem Einkommen liegt dieser Anteil sogar bei 73 Prozent. Das sollte uns nachdenklich machen. Gerald Ullrich (FDP): (Beifall bei der LINKEN) Die CDU hat es mit ihrer Alimentierungspolitik über- trieben. Es ist nicht genug Geld da für Deutschland und Die soziale Frage und die Frage „Wer zahlt für die für die EU. Das soll auf diese Art und Weise verborgen Krise?“ gehören deshalb ins Zentrum der Debatte. Die werden. Initiative für ein EU-weites Kurzarbeitergeld war gut. Armutsfeste Mindestlöhne in allen Mitgliedstaaten müss- Danke. ten jetzt folgen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) In den Anträgen der Grünen, der FDP und der AfD Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wird die Konditionalisierung von Mitteln der EU bei Ver- Nächster Redner ist der Kollege Thomas Nord, Frak- stößen gegen die Rechtsstaatlichkeit durch Mitgliedstaa- tion Die Linke. ten thematisiert. Die AfD fordert dazu auf, solche Vor- stöße zu ignorieren, und die Grünen wollen diese (Beifall bei der LINKEN) sanktionieren. Die FDP fordert eine makroökonomische Konditionalisierung von EU-Mitteln. Diesem Vorschlag Thomas Nord (DIE LINKE): fehlt jede vertragsrechtliche Grundlage. Hier sollen Mit- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gliedstaaten geschurigelt werden. Das lehnen wir klar ab. Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen Zugleich gilt: Wer Mitglied in der EU ist, ist es aus freiem hier über den mehrjährigen Finanzrahmen der Europä- Willen. Pacta sunt servanda. ischen Union für die Jahre 2021 bis 2027 und über An- träge der Grünen, der FDP und der AfD zum Thema. Ich (Beifall bei der LINKEN) konzentriere mich auf zwei Punkte. Daher ist es richtig, gegen Rechtsstaatsverstöße vorzu- Der neue mehrjährige Finanzrahmen wird in schwieri- gehen. gen Zeiten debattiert; das war hier mehrfach zu hören. Brexit und Coronakrise überlagern und bestimmen die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Debatte. Aber auch ohne diese Krisen wäre es höchste Kommen Sie bitte zum Schluss. Zeit, die bisherige Politik der Europäischen Union, die ja nachhaltig von Deutschland geprägt wurde, zu verändern. Die Linke hat das hier im Bundestag jahrelang gefordert. Thomas Nord (DIE LINKE): Das jetzt von den Regierungen in Paris und Berlin vor- Allerdings muss die Feststellung eines Verstoßes wie- geschlagene Wiederaufbauprogramm ist ein längst fäll- derum in einem rechtsstaatlichen Verfahren erfolgen. Die iger Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik der EU und bisherigen Vorschläge dazu überzeugen nicht. Eine wei- der Bundesregierung, den wir grundsätzlich unterstützen. tere Debatte erscheint mir unabdingbar. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Herzlichen Dank. Gemeinsam mit dem regulären MFR werden den Mit- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- gliedstaaten mehr als 1,8 Billionen Euro zur Verfügung ten der SPD und der Abg. Agnieszka Brugger stehen, um drängende Aufgaben zu realisieren. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 21290 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Verhältnis zwischen Krediten auf der einen und Zuschüs- (C) Vielen Dank, Herr Kollege Nord. – Letzter Redner zu sen auf der anderen Seite sein. diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. André (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Berghegger, CDU/CSU-Fraktion. Gerald Ullrich [FDP]: Sagen wir doch!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Antrag der AfD bezieht sich im Wesentlichen da- rauf, dass Sie kritisieren, dass die Gewährung von Leis- Dr. André Berghegger (CDU/CSU): tungen aus dem europäischen Haushalt an die Einhaltung Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- von rechtsstaatlichen Kriterien gebunden wird. Ich kann legen! Meine Damen und Herren! Die deutsche EU-Rats- dazu nur sagen: Europa ist nicht nur eine Wirtschafts-, präsidentschaft findet in Zeiten größter Herausforderun- sondern auch eine Wertegemeinschaft. Zu einer Wertege- gen statt. Aber sie bietet natürlich auch große Chancen meinschaft gehört natürlich ein großer Grundkonsens für Weichenstellungen in der Zukunft. Die Schwerpunkte über rechtsstaatliche Prinzipien. Das ist eine Selbstver- der Arbeit werden natürlich in der Bewältigung der Co- ständlichkeit. Die Zahlung von europäischen Mitteln an ronafolgen und in der Erholung der europäischen Wirt- die Einhaltung einer Selbstverständlichkeit zu koppeln, schaft liegen. Das liegt ja schließlich auf der Hand. finde ich durchaus nachvollziehbar und unterstützens- wert. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist zugege- benermaßen umfangreich. Ihn durchzieht aber ein roter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Faden: Für fast alle Bereiche fordern Sie ziemlich viel der SPD) Geld, das zur Verfügung gestellt werden soll. Über die Unsere eigenen Rahmenbedingungen – einige möchte Details will ich gar nicht reden. Ich mache mir nur große ich Ihnen gerne vortragen – zum Wiederaufbauinstru- Sorgen wegen der Finanzierung, die Sie vorschlagen. ment „Next Generation EU“: Natürlich muss dieses In- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE strument einmalig, befristet und zielgerichtet sein. GRÜNEN]: Haben wir auch vorgeschlagen!) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das glaube ich Unsere Haltung zu Euro-Bonds kennen Sie: Wir lehnen nicht!) sie in der gesamtschuldnerischen Haftung nach wie vor Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss so schnell wie ab. Dabei bleiben wir auch. möglich wieder zur Geltung kommen. Derzeit ist er nur ausgesetzt. Aber man sieht doch an unserem Beispiel und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der jahrelangen soliden Haushaltspolitik, dass solide ordneten der FDP) (B) Haushalte erst Handlungsspielräume eröffnen und nicht (D) Haftung und Verantwortung gehören für uns zusam- den Spielraum einengen. men. Sie haben mal eben ganz leicht die Einführung europäischer Steuern vorgeschlagen: Ganz so einfach (Beifall bei der CDU/CSU) ist das nun mal nicht. – Wir haben das heute schon ge- Das gilt natürlich auch auf der europäischen Ebene. hört – ich möchte es gerne noch mal aufnehmen –: Das Vor allen Dingen muss dieses Instrument die passende Recht, Steuern zu erheben, ist ein – nicht das einzige – Dimension haben. Um es bildlich auszudrücken: Die Ba- Kriterium für einen Staat. Die Europäische Union ist ein zooka darf nicht zu klein, aber auch nicht zu groß sein. Staatenverbund, aber kein Bundesstaat. Dabei soll es Haushaltsreste oder „reste à liquider“ helfen uns nicht auch bleiben. weiter. Die Mittel müssen ankommen. Sie müssen schnell (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) abfließen. Sie müssen umgesetzt werden. Da helfen nicht Planzahlen, sondern nur passende Instrumente. Die In- Deswegen sehen wir europäische Steuern sehr, sehr kri- vestitionen auf der europäischen Ebene müssen natürlich tisch. einen europäischen Mehrwert erreichen: 5G-Netze, ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- meinsame Außengrenzensicherung, Verteidigungspolitik neten der FDP und des Abg. Dr. Alexander etc. Aber sie sind sicherlich nicht nur eine Budgethilfe für Gauland [AfD]) die Mitgliedstaaten. Der Antrag der FDP ist diskussionswürdig. Aber ich Vor allen Dingen muss dieses neue Instrument solide finde, in einigen Punkten kann man anderer Meinung finanziert werden. Es kann ja nicht sein, dass man auf der sein, und das bin ich auch. Ein Beispiel ist das Rabatt- einen Seite die Ausgaben dezidiert beschreibt, aber auf system. Das Rabattsystem finden wir als Zeichen fairer der anderen Seite deren Finanzierung in die ferne Zukunft Lastenverteilung unter den europäischen Mitgliedstaaten verlegt und völlig vage hält. Die Ausgaben auf der einen gut. Deswegen wollen wir es im Grundsatz auch behal- Seite und die Finanzierung auf der anderen Seite sind ten. zwei Seiten derselben Medaille und sollten auch mög- lichst zeitnah und zeitgleich entschieden werden. Vor allen Dingen schlagen Sie vor, Mittel sollten vor- wiegend als Kredite verteilt werden. Selbst wenn ich (Beifall bei der CDU/CSU) dafür als Haushälter eine gewisse Sympathie habe, so Zum mehrjährigen Finanzrahmen. Er muss natürlich ist das nicht realistisch. Wir müssen die Schuldentrag- ein Mix aus Zukunftsthemen, wie Klimaschutz, Digitali- fähigkeit in den Mitgliedstaaten schließlich berücksichti- sierung, Forschung und Entwicklung, und aus bewährten gen. Am Ende wird das ein angemessenes, ausgewogenes Politikfeldern, wie Landwirtschaft und Kohäsionspolitik, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21291

Dr. André Berghegger (A) sein. Wenn wir das so anlegen, dann haben wir, glaube Drucksachen 19/19381, 19/19655 Nr. 2.3, (C) ich, gute Chancen, diese schwierige Phase zu meistern 19/20653 und vor allen Dingen die Europäische Union zukunftsfest und wettbewerbsfähig aufzustellen. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- schlossen. – Ich würde darum bitten, die Plätze einzu- Deutschland wird dabei einen erheblichen, einen größ- nehmen. eren finanziellen Anteil leisten als vor der Krise; gar keine Frage. Das ist für uns Ausdruck größter Solidarität Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- mit unseren Nachbarn, und das aus voller Überzeugung. ner dem Kollegen Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall des Abg. Josef Rief [CDU/CSU]) Vor allen Dingen aber müssen wir am Ende unsere (Beifall bei der CDU/CSU) Leistungsfähigkeit im Blick behalten. Zu der finanziellen Leistungsfähigkeit kann man nur sagen: Der Rückstoß Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): des Wumms darf uns am Ende nicht umhauen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Vielen Dank fürs freundliche Zuhören. ren! Wir diskutieren heute eine Verordnung der Bundes- regierung, die dazu dient, dass wir Haushaltsmittel dafür (Beifall bei der CDU/CSU) verwenden, den Anstieg der EEG-Umlage pro Kilowatt- stunde abzubremsen und tatsächlich auch ins Gegenteil Vizepräsident Wolfgang Kubicki: umzukehren. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Berghegger. – Damit schließe ich die Aussprache. Meine Damen und Herren, wir verwenden dafür auch Mittel aus dem Energie- und Klimafonds. Dieses Ansin- Ich komme zur Abstimmung über die Tagesordnungs- nen ist nach meiner Überzeugung und nach der Überzeu- punkte 16 a und 16 b sowie über Zusatzpunkt 19. Inter- gung unserer Fraktion, der Unionsfraktion, vollkommen fraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den richtig; denn wir wollen die privaten Haushalte gerade in Drucksachen 19/20564,19/20570 und 19/20580 an die dieser schwierigen Zeit und auch die Wirtschaftsbetriebe in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- von Stromkosten entlasten. Das ist aus meiner Sicht sehr schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – wichtig, weil wir die Akzeptanz der Energiewende weiter Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann verfahren wir so. befördern müssen. Wir müssen sie im Übrigen auch noch ausbauen. Dafür ist eben auch die Preisgestaltung ein Zusatzpunkt 20. Wir kommen zur Beschlussempfeh- wesentlicher Faktor. (B) lung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruk- (D) tur auf Drucksache 19/20660. Der Ausschuss empfiehlt Meine Damen und Herren, ich sehe allerdings diese unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ab- heute vorliegende Verordnung – das will ich durchaus lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck- sagen – in zweierlei Hinsicht etwas kritisch. Wir müssen sache 19/20043 mit dem Titel „Gute Mobilität für europä- nämlich aufpassen, dass wir uns nicht ohne Not in ein ische Bürger – Schwerpunkte in der Verkehrspolitik beihilferechtlich stürmisches Fahrwasser begeben. Ich während der deutschen Ratspräsidentschaft“. Wer stimmt will Ihnen das kurz illustrieren. für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt gegen die Beschlussempfehlung? – Enthaltungen? – Keine. Dann Wir haben im März vergangenen Jahres einen großen stelle ich fest, dass gegen die Stimmen der FDP-Fraktion Erfolg vor dem EuGH verbuchen können, als festgestellt mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses die worden ist, dass das EEG 2012 mit den EU-Beihilfevor- Beschlussempfehlung angenommen ist. schriften in Einklang steht; darüber haben wir in diesem Hause mehrfach diskutiert. Wir haben im Übrigen auch Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- gesagt, dass das die Grundlage für eine sehr weitgehende fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Entbürokratisierung in diesem durchaus intensiv geregel- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/19558 ten Bereich sein wird. mit dem Titel „Deutsche EU-Ratspräsidentschaft für eine europäische Verkehrswende nutzen“. Wer stimmt für die- Meine Damen und Herren, wir haben uns im Übrigen se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- auch Gutachten darüber erstellen lassen und sind der fes- haltungen? – Keine. Dann ist gegen die Stimmen der ten Überzeugung – diese haben wir auch gestützt gefun- Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die den –, dass sich diese grundsätzliche Einschätzung des Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des EuGH eben auch auf das EEG 2014 und 2017 erstreckt. Hauses die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Herr Kollege, erlauben Sie mir, dass ich Sie kurz unter- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- breche. – Ich möchte darauf hinweisen, dass ich es als gie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun- unangemessen empfinde, wenn es längere Gespräche auf desregierung der Regierungsbank gibt. Verordnung zur Änderung der Erneuerbare- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Energien-Verordnung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 21292 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): um beispielsweise erneuerbare Wärme aus Biomasse (C) Sie haben ohne Zweifel recht. Die Kollegen haben künftig noch stärker zu ermöglichen. Wir müssen aller- allerdings sowieso kein besonderes Interesse und keinen dings auch die Frage der Wasserstoffgesellschaft in den besonderen Sachverstand beim Thema Energiepolitik. Blick nehmen. Auch das ist ein Thema, das gegebenen- falls beihilferechtlich besonders schwierig zu handhaben sein wird. Die Reallabore der Energiewende will, ehrlich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesagt, niemand wirklich gefährden. Bei Letzterem kann ich es nicht beurteilen, Herr Kolle- ge. Das zentrale Problem ist allerdings nicht – ich will keinesfalls falsch verstanden werden – diese Verordnung. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Ich habe gesagt, dass wir da einige problematische An- Aber ich! Dann machen Sie den ersten Teil und ich den satzpunkte sehen. Wir müssen das Problem allerdings zweiten. viel mehr grundsätzlich angehen. Das heißt, wir müssen uns um das beihilferechtliche Regelwerk kümmern. Wir müssen darauf achten, dass uns das Beihilferecht der EU, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: insbesondere bei den Fragen einer ambitionierten Indust- Wunderbar. riepolitik, einer nachhaltigen, klugen und klimaschützen- den Energiepolitik, nicht viel zu enge Fesseln anlegt. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Anders kann es uns nämlich nicht gelingen, beispiels- Aber die merken es auch gar nicht. weise die Bereiche Verkehr, Wärme, Energieindustrie zu dekarbonisieren. Wir brauchen Gestaltungsspielraum. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Den dürfen wir mit den Maßnahmen, wie wir sie heute Ich habe Ihre Redezeit angehalten. vielleicht andeuten, keinesfalls gefährden. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle die Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Gelegenheit nutzen, mich an die Bundesregierung zu Das ist klar. – Wir haben den erwähnten Erfolg im wenden, und die Erwartung insbesondere der Unions- letzten Jahr erzielt. Meine Damen und Herren, wir dürfen fraktion deutlich herausstellen, dass wir uns wünschen, ihn nicht einfach so preisgeben. Auch die Bundesregie- dass Sie sich umgehend an die Arbeit machen, die Hand- rung erkennt – das ist erst mal der richtige Schritt – diese habung der EEG-Umlage so auszuformen, dass wir eine idealerweise bahnbrechende Wirkung des EuGH-Urteils. beihilferechtskonforme Senkung haben, dass wir nicht Aber wir müssen unglaublich aufpassen, dass wir mit der (B) gleichzeitig das gesamte EEG-Regime beihilferechtlich (D) Unterstützung der EEG-Umlage aus allgemeinen Mitteln infizieren, dass wir die Spielräume für eine industrie- das EEG-Regime beihilferechtlich nicht dauerhaft infi- freundliche und umweltfreundliche Energiepolitik haben zieren. und dass wir – das wird auf jeden Fall erreicht – die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Akzeptanz für die Energiewende nicht verspielen. Wir der SPD) bremsen mit der heute zu beschließenden Maßnahme den Stromkostenanstieg. Wir verkehren die Entwicklung Deswegen müssen wir auf diesen wichtigen Punkt, der der EEG-Umlage ins Gegenteil; sie wird sinken. Das ist zugegebenermaßen eine sehr fachliche Diskussion erfor- im Grundsatz eine richtige Maßnahme. Sie muss dann dert, besonderes Augenmerk legen. Wenn das passiert, auch konsequent richtig zu Ende geführt werden. was ich beschrieben habe, hat das möglicherweise erheb- liche Auswirkungen auf den Industriestandort Deutsch- Vielen Dank. land. Das wäre von uns in der gerade angesprochenen krisenhaften Situation überhaupt nicht zu vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir müssen vielmehr Industriepolitik in unserem Land Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Bevor ich den beflügeln. Das kann nur funktionieren, indem wir uns nächsten Redner aufrufe, möchte ich noch mal einen Handlungsspielräume auch in der Energiepolitik erhal- dringenden Appell an die Kolleginnen und Kollegen rich- ten. ten, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob einige Reden Im Übrigen – das ist der zweite Aspekt – darf es nicht zu Protokoll gegeben werden können. Ich kann aus eige- zu einer Mittelkonkurrenz kommen. Es darf nicht passie- ner Erfahrung sagen, dass nach 22 Uhr die Bereitschaft ren, dass wir durch die Verwendung von EKF-Mitteln für der Bevölkerung, Reden des Deutschen Bundestages zur die EEG-Umlage andere wichtige Vorhaben, die mit Kenntnis zu nehmen, suboptimal entwickelt ist. EKF-Mitteln refinanziert sind, gefährden. Ich nenne Ihnen als Beispiele die Energieeffizienz und das große (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE Thema „erneuerbare Wärme“, das in der Koalition zuge- LINKE]) gebenermaßen auch nicht vollkommen unumstritten ist. Wir wünschen uns da durchaus etwas mehr Bewegung Als nächster Redner hat der Kollege Steffen Kotré, von unserem Koalitionspartner, AfD-Fraktion, das Wort. (Marianne Schieder [SPD]: Was?) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21293

(A) Steffen Kotré (AfD): Kernenergie. Schauen wir uns mal den Energieerntefak- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und tor der Kernenergie an: Er beträgt zwischen 75 und 100. Herren! Der einzige Zweck der Änderung dieser Verord- nung ist es, Kosten zu verschleiern. (Marianne Schieder [SPD]: Weil er recycelbar ist, oder?) (Timon Gremmels [SPD]: Nein, das genaue Das heißt, die Energie, die wir über den gesamten Le- Gegenteil!) benszyklus des Prozesses bei der Kernenergie hineinste- Denn die Strompreise schießen ja durch die Decke. Ge- cken, beträgt im Output das 75- bzw. 100-Fache. Jetzt nau den entsprechenden Anteil nimmt man jetzt und ver- schauen wir uns mal die Windenergie an. Da ist es gerade steckt ihn dann beim Steuerzahler. Noch hat der Strom- mal das 4-Fache, das heißt ein Fünfundzwanzigstel des- kunde die Möglichkeit, auf seine Rechnung zu schauen, sen, was wir hier an Energie ernten können. Das zeigt und er sieht dann ganz genau, wie teuer die Strompreise noch mal die Rückwärtsgewandtheit dieser Technologie, eigentlich sind. Aber das wird jetzt geändert. Der Steuer- deren Lebensdauer unter anderem mit dieser Verordnung zahler muss bluten gerade für die überschießenden Kos- noch siechend in die Länge gezogen wird. ten. Wir haben mit die höchsten Strompreise in der Welt. (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tübin- Das beschädigt unseren Standort. Wir haben schon seit gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müs- 2000 eine Deindustrialisierung der stromintensiven In- sen Sie selber lachen bei dem Argument!) dustrie. Schuld daran ist die Energiewende. Schuld daran sind die Windräder hier in unserem Land und die Photo- Die Kernenergie ist sicher. Die Anlagen in Tscherno- voltaikanlagen, die instabilen erneuerbaren Energien. byl und Fukushima sind mit unseren nicht zu vergleichen. Wir haben die sichersten Kernkraftwerke hier in Deutsch- (Beifall bei der AfD) land – gehabt. Vielleicht haben wir sie immer noch; das Die Windenergieanlagen sind eine alte Technologie. weiß ich nicht. Aber wenn wir sie nicht mehr haben, dann ist das die Schuld Ihrer Politik, meine Damen und Herren (Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje! Keine Ahnung, aber davon viel!) (Beifall bei der AfD) Die Links-Grünen sind nun leider für die faktenfreie Wir kennen sie. Sie ist schon tausend Jahre alt. Wind- Hysterie auf diesem Gebiet verantwortlich. mühlen haben früher Getreide gemahlen. Natürlich gibt es technologischen Fortschritt, und Windmühlen sind (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD und nicht mehr notwendig. Aber diesen technologischen Fort- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) schritt will man in der Energieversorgung gar nicht aner- (D) kennen. Wir machen einen Rückschritt. Wir gehen genau Wenn sich einmal der Nebel Ihrer wohlstandsvernichten- ins Mittelalter. den Nebelkerzen lichtet, dann wird man sehen, was das Ergebnis gewesen ist. Wir haben hier hysterische Men- (Timon Gremmels [SPD]: Sie sind im Mittel- schen. Wir haben Technologie verhindert, und wir haben alter!) Wohlstand vernichtet. Das ist Ihnen anzulasten, aller- dings auch in Zusammenarbeit mit der CDU/CSU, die Diese Windmühlen sollen jetzt unsere Energieversorgung hier historisch versagt hat und – nur weil sie einige Wäh- stabilisieren? Das ist doch überhaupt nicht zu verstehen. lerstimmen mehr haben möchte – diese links-grüne Poli- Das ist, wie gesagt, ein Rückschritt. tik mitgetragen hat – (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Windenergieanlagen sind nicht nachhaltig. Die Rotorblätter sind nicht wiederzuverwenden; sie sind nicht Kommen Sie zum Schluss, bitte, Herr Kotré. recycelbar. Die Fasern, die aus den Rotorblättern im Falle einer Havarie rauskommen, verseuchen Landstriche, ge- Steffen Kotré (AfD): fährden Menschen- und Tierwohl. – und eben Steigbügelhalter für diese links-grüne, wohlstandsvernichtende Politik ist – (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ammenmärchen!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Auch geschützte Tierarten werden durch Rotorblätter der Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, bitte. Windenergieanlagen getötet. Der jüngste Fall: Der Betreiber einer Windenergieanlage, eines solchen Indust- Steffen Kotré (AfD): rieparks, muss sich jetzt vor Gericht verantworten. Ein – und damit eben auch Wohlstand verhindert hat. Rotmilan, ein Vertreter einer geschützten Art, ist durch ein Rotorblatt getötet worden. Das zeigt einmal mehr, (Beifall bei der AfD) dass Windenergieanlagen – überhaupt diese ganze Tech- nik – nicht nachhaltig sind. Das schwächt im Übrigen auch die Demokratie.

(Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nachhaltig und zukunftsfähig, das ist unser Energie- Herr Kollege, bitte! Sie haben noch einen Satz, und mix, wie wir ihn noch vor Jahren hatten, inkludiert die dann entziehe ich Ihnen das Wort. 21294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Steffen Kotré (AfD): (Zuruf von der AfD: Und einziges!) (C) Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. – und da sind wir auch stolz drauf – sowohl aus der Danke schön. Atomkraft als auch aus der Kohlekraft morgen aussteigen werden, (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der AfD: Morgen?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist ein guter Weg für Deutschland. Wir sind da Vorreiter Nächster Redner ist der Kollege Timon Gremmels, bei den erneuerbaren Energien; und da sind wir stolz SPD-Fraktion. drauf, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Und: Deutschland ist das erste europäische Land, das Timon Gremmels (SPD): einen CO2-Preis für die Sektoren Wärme und Verkehr Sehr geehrter Herr Präsident! eingeführt hat, und zwar mit Svenja Schulze, unserer (Vizepräsidentin Claudia Roth übernimmt den Umweltministerin. Auch darauf sind wir stolz. Der Vorsitz) CO2-Preis wird zum 1. Januar 2021 auf den Weg ge- bracht, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich möchte zunächst einen Satz zur AfD sagen – mehr fällt mir dazu nicht ein, aber (Zurufe von der AfD) ein Satz muss es sein –: Wenn Sie hier von Faktenfreiheit und das ist auch gut so. reden, dann fällt das auf Sie zurück. Die Rede gerade war völlig faktenfrei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Und was machen wir heute? Heute ändern wir die der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Erneuerbare-Energien-Verordnung. Damit haben wir viel GRÜNEN und des Abg. Patrick Schnieder erreicht. Vor allem: Alle Maßnahmen, die wir in diesem [CDU/CSU]) Bereich treffen, sind sozial gerecht. Das ist eine kleine Verordnung, die wir heute ändern, aber mit einer sehr Das Gute am EEG ist, dass es transparent und nach- großen Wirkung für die Menschen, meine sehr verehrten vollziehbar ist. Auf der Stromrechnung eines jeden Kun- Damen und Herren. den steht unten drauf, wie hoch die EEG-Umlage ist und was er damit für die Energiewende tut, meine sehr ver- (Beifall bei der SPD) (B) ehrten Damen und Herren. (D) Wir werden sicherstellen, dass sozusagen der CO2-Preis (Beifall bei der SPD – Karsten Hilse [AfD]: in das EEG-Umlage-Konto fließt Was er tut? Was Sie für Ihre Aktien tun!) (Otto Fricke [FDP]: Sozusagen!) Wenn wir das Prinzip mal umrechnen würden auf die und somit auch für die Menschen die EEG-Umlage redu- Kosten von Atom und Kohle, dann kämen wir auf eine ziert wird; und das ist gut so. atomar-fossile Umlage von über 10 Cent, meine sehr ver- ehrten Damen und Herren. (Karsten Hilse [AfD]: Linke Tasche, rechte Ta- sche! Sie nehmen das weg von den Arbeitneh- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Lorenz mern! – Zurufe von der FDP) Gösta Beutin [DIE LINKE]) Da sehen Sie doch, was teuer ist. Nicht die erneuerbaren – Rufen Sie doch nicht so dazwischen. Ich habe auch die Energien sind teuer, Kollegen der FDP gerade gehört, die da gerade zwischen- gerufen haben. Darauf habe ich nur gewartet. Wissen Sie (Karsten Hilse [AfD]: Quatsch!) was, meine sehr verehrten Damen und Herren, wann hat- ten wir denn die größte Erhöhung der EEG-Umlage? In teuer ist Atomkraft, teuer ist Kohle, meine sehr verehrten welcher Regierungszeit war denn das? Das war nämlich, Damen und Herren. als Sie regiert haben. Da ist die EEG-Umlage am stärk- Deswegen beraten wir heute die Änderungen der Er- sten angestiegen, weil Sie damals etwas versäumt haben. neuerbare-Energien-Verordnung. Das darf man aber nicht Sie haben nämlich damals Folgendes gemacht: Sie haben losgelöst machen, sondern man muss im Gesamtkontext die energieintensive Industrie rausgenommen – was gut sehen, was diese Koalition schon auf den Weg gebracht ist –, aber Sie haben die fehlenden Einnahmen nicht aus hat: der Steuerkasse bezahlt, sondern Sie haben die Kosten umgelegt auf alle Verbraucherinnen und Verbraucher. (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Den teuersten Strom!) Sie waren es, die die Energie teuer gemacht haben, meine Wir haben im letzten Jahr endlich ein Klimaschutzgesetz sehr verehrten Damen und Herren von der FDP. auf den Weg gebracht. (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben uns zur Klimaneutralität verpflichtet. Das ist Jetzt wird es absurd!) sehr positiv, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie waren es, und Sie haben ja gleichzeitig noch den Und dass wir als erstes Land in Europa Atomausstieg damals rückgängig gemacht. Und heute Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21295

Timon Gremmels (A) wollen Sie von all dem nichts mehr wissen. Sie sollten schenfragen und keine Kurzinterventionen. Und ich bin (C) einfach mal in Protokolle früherer Sitzungen schauen. So streng, was die Redezeit angeht. war es. Nächste Rednerin: Sandra Weeser für die FDP-Frak- (Zurufe von der FDP) tion. Sie tragen da die größte Verantwortung. Deswegen ent- (Beifall bei der FDP) spricht das, was Sie hier gleich vortragen werden, Frau Weeser, Krokodilstränen. Nichts anderes werden Sie hier Sandra Weeser (FDP): vergießen. Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe (Lachen bei Abgeordneten der FDP) Kolleginnen und Kollegen! Herr Gremmels, ich glaube, Sie haben vergessen, dass sich seit 2012 – und wir sind Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir handeln seit 2013 ja gar nicht mehr in der Regierung – die EEG- als Sozialdemokraten. Mit 11 Milliarden Euro in 2021 Umlage verdoppelt hat. Jetzt frage ich nur mal: Welche sorgen wir dafür, dass die Erneuerbare-Energien-Umlage Partei war denn zu dieser Zeit in der Regierung? gesenkt wird; (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Otto Fricke [FDP]: Wir? Das ist immer noch der AfD – Zuruf der Abg. Marianne Schieder der Steuerzahler! Das ist nicht Ihr Geld!) [SPD]) auf 6,5 Cent wird sie gedeckelt. Das ist sinnvoll, und das Aber um es jetzt mal vorwegzunehmen – ich hatte eben werden die Menschen auch in ihren Portemonnaies füh- schon eine interessierte Voranfrage der CDU-Kollegen, len und spüren. und ich sage es jetzt direkt –: Grundsätzlich begrüßen wir Frau Präsidentin, lassen Sie mich zum Schluss sagen: als FDP-Fraktion hier im Bundestag natürlich das Vor- Wir wollen da heute nicht aufhören, sondern wir wollen haben der Bundesregierung, die EEG-Umlage künftig weitermachen. Wir wollen zusehen, dass wir die Aus- schrittweise über den Bundeshaushalt zu finanzieren. baupfade für erneuerbare Energien umsetzen werden. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Wir werden morgen erstmals das 65-Prozent-Ziel im Ge- Und jetzt aufhören! – Heiterkeit bei Abgeord- setz verankern, und danach werden wir das für die ein- neten der CDU/CSU) zelnen Sektoren durchdeklinieren. – Jetzt lasst mich doch mal zu Ende reden hier. – Wir Zum Schluss noch zwei Punkte: Wir werden den Mie- freuen uns dabei vor allem über Ihre Erkenntnis, dass terstrom einführen. Herr Altmaier, wir warten immer das Umlagesystem des EEG nicht mehr zeitgemäß ist. (B) noch auf Ihren Gesetzentwurf. Vor einem Jahr im Juni Deswegen müssen wir auch die EEG-Umlage schnellst- (D) haben Sie dem Parlament versprochen, dass es ein Mie- möglich auslaufen lassen. terstromgesetz geben wird. Darauf warten wir immer noch, Herr Altmaier. (Beifall bei der FDP) Aber für die Wirkung der Deckelung der EEG-Umlage Vizepräsident in Claudia Roth: kann ich Sie jetzt nicht loben, Herr Lenz. Sie ist zwar Teil Und ich warte auf das Ende Ihrer Rede. Ihres Konjunkturpakets, aber es hilft der Konjunktur, ehr- lich gesagt, herzlich wenig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Karsten Hilse [AfD]: Bitte hinset- (Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]: Doch! Hallo?) zen!) Das machen nämlich die Zahlen deutlich: Gegenüber der aktuellen EEG-Umlage bedeutet die Deckelung eine Sen- Timon Gremmels (SPD): kung um lediglich 3,8 Prozent. Wenn man dann schaut: Frau Präsidentin, darauf habe ich nur gewartet. Ich Die EEG-Umlage 2020 macht durchschnittlich 36,4 Pro- wünsche euch und Ihnen noch einen schönen Abend. zent der Stromkosten eines Unternehmens aus. Da kom- Alles Gute! Glück auf! men wir insgesamt auf eine tatsächliche Senkung von 1,4 Prozent. In einem privaten Haushalt ist es noch weni- (Beifall bei der SPD) ger; da sind es nämlich nur noch 0,8 Prozent. Das zeigt doch ganz klar, dass diese Maßnahmen gar nicht zur Vizepräsident in Claudia Roth: Belebung der Konjunktur beitragen können. Vielen Dank, Timon Gremmels. – Liebe Kolleginnen Okay, die Deckelung hält den Status quo, ja, und sie und Kollegen, ich begrüße Sie recht herzlich. Ich mache verhindert auch einen massiven Anstieg der EEG-Um- heute den Kubicki. Da können Sie machen, was Sie wol- lage. Trotzdem kostet diese minimale Senkung der len. Das heißt: keine Zwischenfragen und keine Kurz- EEG-Umlage ganze 11 Milliarden Euro. Dass 11 Milliar- interventionen, weil wir so dermaßen über der Zeit sind den Euro eingesetzt werden, um lediglich den Status quo und es auch ein Menschenrecht auf Schlaf nach Mitter- zu erhalten – sorry –, das zeigt, welche finanziellen Aus- nacht gibt maße die verfehlte Energiewendepolitik der Bundesre- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gierung angenommen hat. für alle, die hier sind, und vor allem auch für die Parla- (Beifall bei der FDP – Marianne Schieder mentsassistentinnen und -assistenten. Also: keine Zwi- [SPD]: Oijoijoi! Da reden die Richtigen!) 21296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Sandra Weeser (A) Den Status quo zu erhalten, sehr geehrte Damen und arbeitet; jetzt ist sie auf Kurzarbeit angewiesen. Der (C) Herren, ist ja Ihr erklärtes politisches Ziel. Mann hat seinen 450-Euro-Job verloren. – Die Familie mit ihren zwei Kindern muss sich um ihre Existenz Sor- (Marianne Schieder [SPD]: Wir sind schon gen machen, muss sich darum Sorgen machen, ihre Miete beim Ausstieg aus der Kernenergie angekom- bezahlen zu können. Als Linke sagen wir in dieser Situa- men!) tion: Wir brauchen eine gerechte Verteilung von Einkom- Wir als Freie Demokraten haben da noch ein bisschen men und Vermögen. Wir brauchen eine Vermögensteuer. mehr vor. So darf es bei der anstehenden EEG-Reform Wir brauchen einen Mindestlohn von 12 bis 13 Euro, von unserer Meinung nach nicht weitergehen. dem die Menschen wirklich gut überleben können. (Marianne Schieder [SPD]: Wiedereinstieg in (Beifall bei der LINKEN) den Ausstieg!) Und wir müssen Schluss machen mit Leiharbeit und – Jetzt hören Sie doch mal auf, dazwischenzureden. Las- Werkverträgen, mit der Ausbeutung auch in der Fleisch- sen Sie mich doch endlich mal hier in Ruhe meine Rede industrie und in anderen Betrieben. Das wäre in dieser halten. Krise das richtige Konjunkturprogramm. (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Machen Sie (Beifall bei der LINKEN) doch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Diese vierköpfige Familie hat noch ein weiteres Pro- GRÜNEN]: Hindert Sie keiner dran!) blem. Sie muss nämlich Extraprofite von Unternehmen Wir fordern Sie auf – nach 20 Jahren und nach einem finanzieren, auch aus der Fleischindustrie. Warum das? Anteil von über 50 Prozent Erneuerbarer an der Stromer- Viele Großunternehmen, auch Unternehmen der fossilen zeugung –: Beenden Sie endlich die EEG-Förderung! Die Industrie, aber eben auch der Fleischindustrie, sind von Verschiebung in den Haushalt darf aber auch nicht die der Umlage für die erneuerbaren Energien befreit. Kon- Ineffizienz dieses Systems kaschieren. kret bedeutet das: Diese Unternehmen, auch aus der Fleischindustrie, müssen niedrigere Strompreise bezah- Wir brauchen eine umfassende Reform der staatlichen len als die Endverbraucher/-innen. Anteile am Strompreis, damit wir hier auch krisenfest werden. Lassen Sie die EEG-Umlage ganz auslaufen (Zuruf von der AfD: Frau Präsidentin! Er und erneuerbare Energien mit neuen Finanzierungsfor- spricht nicht zum Thema!) men ausbauen! Diese Preise werden auf alle Endverbraucher/-innen um- (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Sie haben gelegt. Da wir die Situation haben, dass viel mehr Strom (B) auch immer die gleiche Leier!) am Markt ist, als nachgefragt wird, sind die Börsenstrom- (D) Das, Herr Altmaier, wäre die Konsequenz aus Ihren An- preise, also die Strompreise ohne Umlagen und Steuern, kündigungen der letzten Jahre. Und hören Sie auf, den stark gesunken. Die Unternehmen machen Extraprofite, Strom und die Energiewende in Deutschland selbst un- und unsere vierköpfige Familie muss dafür bezahlen. Wir nötig teuer zu machen! Denn das freut die Geringverdie- sagen: Damit machen wir Schluss. ner, das freut die zukünftigen Generationen, das freut den (Beifall bei der LINKEN) Mittelstand, und das freut – da bin ich ganz sicher – auch den Bundesrechnungshof. Das Problem geht noch weiter: Der Ökostrom hat in den Jahren 2011 bis 2018 70 Milliarden Euro eingespart. Herzlichen Dank. (Zuruf von der AfD: „Eingespart“? Wissen Sie, (Beifall bei der FDP – Timon Gremmels was der gekostet hat?) [SPD]: Also stimmen Sie jetzt zu, oder nicht?) Das Problem: Dieses Geld ist eben nicht in den Taschen – Selbstverständlich! der Familien gelandet; es ist in den Taschen der Energie- versorger und der Unternehmen gelandet. Genau da liegt (Timon Gremmels [SPD]: Dafür haben Sie das Problem. Wir als Linke sagen nämlich: Selbstver- aber viel geschimpft!) ständlich wollen wir Schluss machen mit der Ausbeutung – Das gehört zur Opposition dazu, oder? von Mensch und Tier in Fleischfabriken, Schluss machen mit der Massentierhaltung. Aber gehen Sie doch mit uns (Timon Gremmels [SPD]: Ach so, deswegen!) einen ersten Schritt. Es ist wichtig, die Erneuerbare-Ener- gien-Umlage abzusenken. Aber es wäre noch mehr not- Vizepräsident in Claudia Roth: wendig, diese Ausnahmen für die Fleischindustrie, für Vielen Dank, Sandra Weeser. – Nächster Redner: für klima- und umweltschädliche Unternehmen abzubauen. die Fraktion Die Linke Lorenz Gösta Beutin. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der (Beifall bei der LINKEN) AfD) Damit könnte man Haushalte um 8 Milliarden Euro ent- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): lasten. Das wäre nicht nur gut für Klima und Umwelt und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! für unser aller Gesundheit; das wäre dann auch gut für Die Coronakrise trifft besonders einkommensschwache unsere vierköpfige Familie. Haushalte stark. Nehmen wir einmal eine vierköpfige Familie: Die Mutter hat vielleicht vorher in Vollzeit ge- Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21297

Lorenz Gösta Beutin (A) (Beifall bei der LINKEN) diese Bundesregierung es nicht schafft, passende Regeln (C) für Anlagen zu schaffen, die nach 20 Jahren EEG-Finan- Vizepräsident in Claudia Roth: zierung weiter grünen Strom produzieren könnten. Vielen Dank, Lorenz Gösta Beutin. – Die nächste Red- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nerin: Dr. Julia Verlinden für die Fraktion von Bünd- SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: nis 90/Die Grünen. Was für ein Schrott!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung hätte sich auch etwas mehr Mühe bei dem geben können, was sie uns hier heute vorlegt. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im letz- SES 90/DIE GRÜNEN) ten Herbst gingen 1,4 Millionen Menschen zu den größ- ten Klimademonstrationen aller Zeiten in Deutschland Jetzt tätigen Sie einfach große Zahlungen in das EEG- auf die Straße. Währenddessen beschlossen Sie von der Konto. Damit wird das ganze EEG ziemlich sicher wie- Koalition in einer Nachtsitzung einen CO2-Preis von nur der ein Fall für die Beihilfeleitlinien der EU. Dabei wäre 10 Euro pro Tonne. Hätten Sie lieber noch mal darüber das gar nicht unbedingt nötig gewesen. Sie hätten auch geschlafen! die Teile des EEG, die schon beihilfetechnisch von der EU-Kommission akzeptiert sind, herauslösen und aus (Timon Gremmels [SPD]: Dafür hatten wir ja dem Haushalt finanzieren können. euch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Eben, genau. Es ist nämlich uns Grünen zu verdanken, dass wir ab Januar zumindest mit 25 Euro pro Tonne CO2 Warum gehen Sie nicht an die Industrieausnahmen einsteigen. Im Vermittlungsausschuss haben wir dann heran, um die Senkung der EEG-Umlage umzusetzen? nämlich für einen wirksamen CO2-Preis gekämpft und Wie erklären Sie den Menschen in Deutschland, dass uns gemeinsam darauf verständigt, dass mit den Einnah- weiterhin Großschlachtereien auf Kosten der anderen men die EEG-Umlage gesenkt wird; Stromkunden Strompreisrabatte erhalten und dass von den Dächern demnächst voll funktionsfähige Solaranla- (Zuruf von der CDU/CSU: Vielen Dank!) gen womöglich wieder abgebaut werden, weil die GroKo denn das hilft gleich doppelt: Fossile Energien wie Erd- sich nicht rechtzeitig gekümmert hat? gas, Heizöl, Diesel und Benzin bekommen schrittweise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – einen ökologisch fairen Preis. Damit wird es attraktiver, Timon Gremmels [SPD]: Wir werden handeln! (B) endlich auch im Verkehr und bei der Heizung in CO - (D) 2 Keine Sorge!) freie Technologien zu investieren. Es reicht deshalb nicht aus, wenn Sie nun planen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) EEG-Umlage zu senken. Es braucht den Ausbau der er- Gleichzeitig wird durch die sinkende EEG-Umlage der neuerbaren Energien, und zwar schneller als je zuvor. Strom günstiger, und das gibt Impulse für die Sektoren- Dann kann die Energiewende vorankommen, aber nicht, kopplung. Statt der Ölheizung wird es dann die Wärme- wenn man so halbe Sachen macht wie die Große Koali- pumpe und statt des Schummel-Diesels das Elektroauto. tion in dieser Legislaturperiode. Das ist der Weg in die Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Timon Gremmels [SPD]: Stimmt ihr jetzt zu Zuruf von der AfD: Das erzeugt alles kein oder nicht?) CO2!) Aber: Sektorenkopplung ist dann sinnvoll, wenn wir Vizepräsident in Claudia Roth: erneuerbaren Strom nutzen. Ob Elektrifizierung im Wär- Vielen Dank, Dr. Julia Verlinden. – Nächster Redner: me- oder im Verkehrssektor oder Wasserstoff für die In- Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion. dustrie, durch Elektrolyse hergestellt: Wenn die Strom- nachfrage steigt und das mit Egal-Strom passiert, also (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch mit Kohlestrom aus dem Netz, sollen dann etwa Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): die Kohlemeiler noch ein bisschen länger laufen? Nein! Das, Kolleginnen und Kollegen von der Union und der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen SPD, kann es ja wohl nicht sein. und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir ändern heute die Verordnung zum EEG. Wir entlasten Immerhin haben wir bisher in 2020 schon über 50 Pro- dadurch die Verbraucher, und zwar signifikant. Diese zent erneuerbaren Strom gehabt. Minister Altmaier hat technische Änderung wird dazu führen, dass die Einnah- sich damit ja auch schon geschmückt. Aber sein Ver- men aus dem Emissionshandel in die EEG-Umlage flie- dienst ist es wahrlich nicht. ßen genauso wie Mittel aus dem Konjunkturpaket. Allein im beschlossenen Konjunkturpaket sind für die Jahre (Otto Fricke [FDP]: Das Verdienst der Grü- 2021 und 2022 11 Milliarden Euro dafür vorgesehen. nen!) Wir werden also die größte Entlastung der Verbraucher Ab nächstem Jahr stehen voll funktionstüchtige Wind- bei den Strompreisen in der Geschichte der Bundesrepu- und Solaranlagen vor einem großen Fragezeichen, weil blik umsetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren. 21298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Andreas Lenz (A) Wir werden dadurch auch den coronabedingten droh- Auch sollte uns die jetzt zu beschließende Änderung (C) enden Anstieg der EEG-Umlage kompensieren. Jetzt ist der Verordnung nicht davon abhalten, eine Abgaben- und ja die Frage: Warum steigt die EEG-Umlage durch Coro- Umlagenreform insgesamt auf die Agenda zu setzen. In na? Es ist so, dass die EEG-Umlage sich aus der Diffe- diesem Sinne ist die heutige Änderung ein erster Schritt. renz zwischen Börsenstrompreis und der garantierten Einspeisevergütung berechnet. Da durch Corona die Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Nachfrage nach Strom signifikant gesunken ist, ist natür- (Beifall bei der CDU/CSU) lich die Differenz zwischen Börsenstrompreis und Ein- speisevergütung entsprechend angestiegen. Das werden wir ausgleichen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Vizepräsident in Claudia Roth: Klar ist ja auch, dass nicht die aktuell in Betrieb genom- Vielen Dank, Dr. Andreas Lenz. – Jetzt gehen wir menen Anlagen das EEG teuer machen, sondern die An- wieder in den Norden. Nächster und letzter Redner in lagen aus der Vergangenheit. Deshalb ist damit zu rech- dieser Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. nen, dass die EEG-Umlage insgesamt Mitte der 20er- (Beifall bei der SPD) Jahre auch wieder sinken wird. Wettbewerbsfähige Strompreise, meine sehr geehrten Johann Saathoff (SPD): Damen und Herren, sind wesentlich für die Ersatzinves- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und titionen der stromintensiven Industrie am Standort Kollegen! Wir schaffen mit dieser Verordnung die gesetz- Deutschland. Wir setzen aber auch ein Signal an das liche Grundlage dafür, dass die EEG-Umlage auch einen verarbeitende Gewerbe, an das Handwerk insgesamt. Einnahmetatbestand erhält. Es geht darum, dass die EEG- Wir schauen, dass der Strompreis in Deutschland bezahl- Umlage künftig mit Haushaltsmitteln stabilisiert werden bar bleibt. kann. Es geht also faktisch auch um die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei der EEG-Umlage in ihrem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Strompreis. Und das ist neu. Liebe Kolleginnen und Kol- legen, was ist der größte Feind von neu? Der Satz: Das Wir treiben mit der Senkung der EEG-Umlage aber auch haben wir ja noch nie gemacht. – Oder, Frau Präsidentin, wasserstoffbasierte Technologien voran. Deshalb ist es wie wir auf Plattdeutsch sagen: Dat hebben wi ja noch aus dieser Sicht heraus gut und richtig, was wir machen. nooit maakt. Gleichzeitig will ich aber auch nicht verhehlen, dass Das ist aber nicht nur neu, sondern auch notwendig, wir schon Sorge haben, dass wir das positive Urteil des weil wir mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz auch (B) EuGH vom März 2019 durch die jetzige Regelung mehr eine Belastung der Bürgerinnen und Bürger beschlossen (D) als gefährden. Das Urteil besagt, dass die EEG-Umlage haben, also quasi mit dem nationalen CO2-Preis in den eben keine Beihilfe ist. Mit einer Teilfinanzierung der Sektoren Verkehr und Transport sowie im Wärmesektor. EEG-Umlage aus Steuermitteln fällt das EEG unter Um- Bei dem Beschluss dieser Belastung bei Kraftstoffen und ständen vollständig unter den EU-Beihilferahmen. Dies Heizkosten haben wir die Entlastung bei den Stromprei- bedeutet lange Abstimmungsrunden mit der Kommis- sen vorgesehen. Dafür schaffen wir heute die Rechts- sion, mit der Wettbewerbskommissarin und eben oftmals grundlage. auch gerade keine Planungssicherheit für die Unterneh- men. Meine Damen und Herren, die EEG-Umlage kann mit dieser Verordnung erstmals stabilisiert werden. Das ist Ich möchte an dieser Stelle besonders hervorheben, eine gute Botschaft. dass für uns klar ist, dass die Besondere Ausgleichsrege- lung, also die Befreiung für stromintensive Industrien, (Beifall bei der SPD) die im internationalen Wettbewerb stehen, in keiner Es ist wichtig, dass wir tatsächlich mehr noch als früher Weise gefährdet werden darf. miteinander über die Frage der Finanzierung der EEG- Umlage sprechen, auch wenn das heute nur ein kleiner (Beifall bei der CDU/CSU) schrittweiser Einstieg ist. Denn erneuerbare Energie wird auch dank des EEGs immer günstiger und ist längst güns- Die Besondere Ausgleichsregelung ist integraler Be- tiger als Atomenergie, längst günstiger als fossile Ener- standteil der Energiewende. Sie darf nicht in Gefahr ge- gie, wenn man alle Kosten miteinbezieht. Das muss man raten. Ich sage dies in aller Deutlichkeit, aber auch in aller an dieser Stelle ganz klar sagen. Eindringlichkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Insgesamt muss man ja auch sagen, dass die Energie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wende hilft, europäische Zielvorgaben insgesamt umzu- setzen. Allein deshalb ist die Befassung der Kommission Auch klar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir mit sämtlichen Energiethemen an sich aus meiner Sicht brauchen viel mehr erneuerbare Energien, um unsere Kli- schon fraglich. Das sollte der Kommission gerade auch maziele zu erreichen. hinsichtlich der Anstrengungen im Hinblick auf die Um- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzung des sogenannten European Green Deals klarge- macht werden, klargemacht werden auch auf höchster Wir brauchen viel mehr erneuerbare Energien, um unsere Ebene. Dies ist also ein Arbeitsauftrag von der Fraktion Energiesouveränität zu erhöhen, was ja einige ganz be- im Parlament an die Regierung. sonders wollen. Und wir brauchen viel mehr erneuerbare Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21299

Johann Saathoff (A) Energien, um von der Stromwende endlich auch zu einer (Otto Fricke [FDP]: Ist nicht schlimm!) (C) echten Energiewende zu kommen und Wasserstoff ver- – Ist nicht schlimm. Es ist auch nicht schlimm, dass das nünftig einsetzen zu können. Halbzeitergebnis 0 : 0 ist. So. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Heiterkeit) der CDU/CSU) Herr Bosbach wüsste jetzt, wovon ich rede. Für uns Sozialdemokraten, liebe Kolleginnen und Kol- legen, war nie die Frage, ob die Erneuerbaren vielleicht (Johann Saathoff [SPD]: Wir auch!) zu teuer sein könnten. Ich sage das Abstimmungsergebnis lieber noch mal: (Zurufe von der AfD) Zugestimmt haben die Fraktionen der FDP, der CDU/ CSU und der SPD. Dagegengestimmt hat die AfD-Frak- Wir wollten immer darüber reden – und jetzt wollen wir tion. Enthalten haben sich die Linken und die Bündnis- es noch mehr –, ob die Lastenverteilung eigentlich noch grünen. gerecht erfolgt. Das wird die Frage der Zukunft sein. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b sowie (Beifall bei der SPD) die Zusatzpunkte 21, 22 und 37 auf: Viel mehr als bisher werden wir die Verteilung der sozia- 18 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten len Lasten beim Klimaschutz in den Fokus nehmen, da- Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Gökay mit wir die Menschen auf dem Weg in eine klimaneutrale Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Gesellschaft nicht verlieren, damit wir sie nicht an solche Fraktion DIE LINKE Rattenfänger verlieren, Kündigungsmoratorium für Mieterinnen (Zuruf von der AfD: Wie die SPD!) und Mieter verlängern die den Leuten irgendwelche Pseudofakten vorlegen und Drucksache 19/20550 dann meinen, sie könnten damit Wählerstimmen gewin- nen, b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) braucherschutz (6. Ausschuss) zu dem An- damit die Leute davon überzeugt sind, dass der Weg, den trag der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun wir in der Energiewende miteinander gehen wollen, ge- Bluhm-Förster, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer meinsam gegangen wird. Heute machen wir den ersten Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (B) (D) Schritt dafür. Soforthilfeprogramm Bezahlbares Woh- Herzlichen Dank. nen gegen Mietschulden und Wohnungs- verlust (Beifall bei der SPD) Drucksachen 19/19144, 19/20207 Vizepräsident in Claudia Roth: ZP 21 Beratung des Antrags der Abgeordneten Canan Vielen Dank, Johann Saathoff. – Damit schließe ich die Bayram, Christian Kühn (Tübingen), Luise Aussprache. Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zur Mieterschutz stärken – Kündigungsschutz Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Er- und Minderungsrecht gerade in Zeiten der neuerbare-Energien-Verordnung. Der Ausschuss emp- Pandemie verbessern fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Drucksache 19/20542 19/20653, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 19/19381 in der Ausschussfassung zuzustim- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die ZP 22 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Fraktionen von SPD und CDU/CSU. Dagegengestimmt richts des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadt- hat die AfD-Fraktion. Enthalten haben sich die Fraktio- entwicklung und Kommunen (24. Ausschuss) zu nen von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken. dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Daniela Wagner, Dr. Tobias Lindner, (Widerspruch bei der FDP) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – Sie haben zugestimmt? NIS 90/DIE GRÜNEN Sicher-Wohnen-Programm – Mieten und Ei- (Otto Fricke [FDP]: Ja!) gentum sichern in Zeiten der Krise – Habe ich Sie gar nicht genannt? Drucksachen 19/19148, 19/20253 (Otto Fricke [FDP]: Nein!) ZP 37 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens – Das ist ein Fehler. Maier, Stephan Brandner, Tino Chrupalla, weite- 21300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident in Claudia Roth (A) ren Abgeordneten und der Fraktion der AfD ein- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan (C) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) rung einer Schonfristzahlung bei ordentlichen Dass Sie kein Herz für Mieter haben – Sie zum Bei- Kündigungen von Wohnraummietverträgen spiel, Herr Luczak –, das wissen wir ja. Aber dass Sie als und zur Bekämpfung des Mietnomadentums eine angeblich wirtschaftsfreundliche Partei auch Gewer- Drucksache 19/20589 betreibende – auch um die geht es heute – so im Regen stehen lassen, dafür habe ich wirklich null Verständnis. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) Ich bitte Sie, die Plätze zu tauschen und möglichst Denn Sie waren es ja, die Union, die mal wieder vor dem schnell einzunehmen. – Für die Aussprache ist eine Druck der Immobilienlobby eingeknickt ist und die Ver- Dauer von 30 Minuten beschlossen. längerung dieser sinnvollen Regelung im Kabinett blo- ckiert hat. Das geht so nicht, meine Damen und Herren! Wenn die Kolleginnen und die Kollegen Platz genom- men haben, gebe ich das Wort der ersten Rednerin. Das (Beifall bei der LINKEN) ist für die Fraktion der Linken Caren Lay. Aber auch der SPD – das muss ich an der Stelle leider sagen – kann ich die Kritik nicht ersparen. Ich weiß, Sie (Beifall bei der LINKEN) wollten die Verlängerung. Aber Sie haben in den letzten Wochen hier 9 Milliarden Euro Mehrausgaben für die Caren Lay (DIE LINKE): Rüstung durchgewunken und 0 Milliarden Euro für den Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sozialen Wohnungsbau durchgesetzt. 9 Milliarden Euro Herren! Zu Beginn der Coronapandemie waren wir uns werden der Lufthansa geschenkt, aber Sie schaffen es noch einig, dass Mieterinnen und Mieter vor Kündigun- nicht, diesen Kündigungsschutz auszuweiten. Wie haben gen geschützt werden sollen. Niemand sollte während der Sie denn da verhandelt? Das verstehe ich einfach nicht. Pandemie seine Wohnung verlieren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, das Parlament ist der Sou- verän. Wir haben heute die Möglichkeit, diesen schweren Wer wegen Corona sein Geschäft schließen musste oder Fehler, diesen groben Fehler der Bundesregierung zu kor- seinen Job verlor, der konnte wenigstens in der Wohnung rigieren und unserem Antrag, dem Antrag der Linksfrak- (B) bleiben oder sein Geschäft behalten. Mieten konnten ge- tion, zuzustimmen – heute. Wir beantragen als Linke eine (D) stundet werden. Zehntausende haben alleine in den ersten Sofortabstimmung. Nun ist mir signalisiert worden, dass Wochen von dieser sinnvollen Regelung Gebrauch ge- die Koalition das nicht will. Also, da bin ich ja jetzt mal macht. Aber seit gestern ist sie ausgelaufen. Die Regie- gespannt. Sie wollen das doch jetzt nicht bis auf den rung hätte mit einem einfachen Beschluss dafür sorgen September verschieben oder, weil es Ihnen irgendwie können, sie wenigstens um drei Monate zu verlängern. unangenehm und peinlich ist, in den Schutz, in das Dun- Viele Familien hätte das ruhiger schlafen lassen können. kel der Ausschüsse verschieben? So geht es nicht! Der Aber Sie haben es nicht geschafft, diesen Kündigungs- Kündigungsschutz muss verlängert werden, und zwar schutz mitten in der Pandemie auszuweiten. Das, meine hier und heute! Damen und Herren, ist wirklich eine Schande. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, das alles kann nur der erste Nun muss ja jede und jeder, der in Kurzarbeit ist oder Schritt sein; das wissen wir als Linke, das haben wir keinen Auftrag bekommt, befürchten, seine Wohnung immer gesagt. Zwangsräumungen während der Pandemie oder seinen Laden zu verlieren. Auch der Strom kann wollen wir grundsätzlich ausschließen und nicht wie die wieder abgestellt werden. Das ist wirklich unverantwort- AfD auch noch erleichtern. lich. (Martina Renner [DIE LINKE]: Unglaublich!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan Wie absurd ist das denn? Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dabei sind sich Mieter und Gewerkschaftsbund einig, (Beifall bei der LINKEN) dass die Krise erst jetzt, in den kommenden Monaten, Keine Mieterhöhungen während der Pandemie! Auch das auf die Mieten durchschlägt. sollte doch selbstverständlich sein. (Zuruf von der LINKEN: Eben!) Wir müssen auch klar definieren, ab wann eine Miet- senkung in der Pandemie legal und möglich ist, übrigens Sachverständige befürchten, dass schon bald 10 Millionen nicht nur für die Wohnungsmieter, sondern gerade auch Mieterinnen und Mieter betroffen sein können. Wenn wir für die Ladenbesitzer, denen das vielleicht helfen würde. jetzt nicht handeln, dann droht die nächste große Ver- drängungswelle aus den Innenstädten. Und das darf nicht (Martina Renner [DIE LINKE]: Richtig! Ge- sein. nau!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21301

Caren Lay (A) Wir sind uns als Linke einig: Auch die Vermieterseite ist. Genau das ist doch der Punkt: Wir müssen hier zu (C) muss ihren Beitrag in dieser Krise leisten. einer differenzierten Lösung kommen, und genau das haben wir auch gemacht. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und für Kleinvermietende – das will ich ganz klar sagen – Was ist denn mit den Mieterinnen und Mie- wollen wir einen Härtefallfonds einrichten, um auch sie tern?) zu unterstützen. Wir sagen: „Das ist ein tiefgreifender Eingriff“ – das Zu guter Letzt: Sammelunterkünfte müssen in der Kri- wird, glaube ich, auch niemand von Ihnen bezweifeln –, se aufgelöst werden. Obdachlose und Geflüchtete dürfen und dafür brauchen wir eine Rechtfertigung. Die Recht- nicht die Verlierer sein. Das Recht auf Wohnen muss für fertigung war, dass wir am Anfang noch keine Instrumen- alle gelten, auch und gerade während der Coronapande- te hatten, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise mie. abzumildern, und unsere sozialen Sicherungssysteme (Beifall bei der LINKEN) eben nicht so schnell und so flexibel darauf haben reagie- ren können. Die innere Logik dieses Kündigungsmorato- riums war, dass wir gesagt haben: Wir brauchen diese Vizepräsident in Claudia Roth: Zeit, diese drei Monate, um unsere sozialen Sicherungs- Vielen Dank, Caren Lay. – Nächster Redner: für die systeme zu ertüchtigen. – Und genau das haben wir auch CDU/CSU-Fraktion Dr. Jan-Marco Luczak. gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben flexibilisiert. Wir haben die Hilfen unbüro- kratisch und schnell ausgestaltet. Wir haben das Wohn- Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): geld flexibilisiert. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen (Zuruf des Abg. Christian Kühn [Tübingen] und Kollegen! Liebe Frau Lay, Sie haben ja recht. Wir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) waren uns in der Tat am Anfang, zu Beginn der Corona- pandemie, einig, dass wir selbstverständlich Mietern hel- Wir haben das Kurzarbeitergeld eingeführt. Wir haben fen müssen, und genau das haben wir doch getan. Wir die Regelung bezüglich der Kosten der Unterkunft so haben ein kraftvolles Paket auf den Weg gebracht, mit gestaltet, dass es bei all den Menschen, die jetzt, weil dem wir Kündigungen für die Monate April, Mai und sie vielleicht wirklich in wirtschaftliche Not gekommen Juni ausgeschlossen haben, weil es uns als Koalition sind, ALG II beziehen müssen, keiner Vermögensprüfung (B) wichtig war, dass die Menschen, die jetzt wirtschaftliche bedarf. Es muss auch niemand aus seiner Wohnung aus- (D) Sorgen haben, nicht auch noch Angst haben müssen, ihr ziehen, weil sie zu groß, weil sie nicht angemessen ist. All Dach über dem Kopf zu verlieren. Deswegen haben wir das haben wir ausgesetzt. Wir haben zahlreiche Hilfs- das gemacht, und ich finde es auch nach wie vor richtig, maßnahmen auf den Weg gebracht, von den großen dass wir das so auf den Weg gebracht haben. DAX-Konzernen bis hin zu den Solo-Selbstständigen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und die Ich will Ihnen mal was sagen: Diese Hilfen wirken; haben jetzt keine Sorgen mehr?) diese Hilfen funktionieren. Gerade einmal 0,3 Prozent der Mieterinnen und Mieter im großen Berliner Woh- Aber man muss auch sehen, dass das natürlich ein tief- nungsverband BBU mit 700 000 Wohnungen haben um greifender Eingriff in bestehende Verträge ist. Und da, wo Stundung gebeten. es auf der einen Seite Mieter gibt, gibt es auf der anderen Seite eben auch Vermieter, und die treffen wir mit dieser (Ulli Nissen [SPD]: Dann hätten wir es auch Regelung genauso. Da muss man schon mal genau hin- verlängern können!) schauen. Das zeigt: Wir haben entschlossen gehandelt, und die Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, haben (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Welcher Ver- tatsächlich auch gewirkt. mieter verliert sein Dach über dem Kopf? Kein einziger!) (Beifall bei der CDU/CSU) So wie Sie das jetzt hier darstellen – dass in jedem Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir sehen, dass Falle die Mieter immer die Schwächeren sind –, ist es die Maßnahmen wirken. Wir alle miteinander haben das doch nicht. Ziel, dass wir die Wirtschaft langsam wieder ans Laufen bekommen, damit wir wieder Schritte in Richtung Nor- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es geht doch malität gehen können. Es eint uns doch hier, dass wir mit nicht um gut oder schlecht! Es geht um zah- Wumms aus der Krise herauskommen wollen, wie unser lungsfähig! Das ist auch eine moralische Fra- Koalitionspartner sagen würde. ge!) Sie kennen doch ganz genau den Fall Adidas, wo ein (Caren Lay [DIE LINKE]: Und was ist, wenn Milliardenkonzern auf einmal unter Berufung auf diese ich mit Wumms die Wohnung verliere?) Regelung gesagt hat: „Jetzt zahle ich meine Miete nicht Deswegen haben wir als Unionsfraktion gesagt: Es mehr“, und der Vermieter auf der anderen Seite auf ein- wäre doch jetzt ein fatales Signal, wenn wir nach drei mal in ganz arge wirtschaftliche Bedrängnis gekommen Monaten, in denen wir Schritte in Richtung Normalität 21302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Jan-Marco Luczak (A) gehen, sagen würden: Jetzt verlängern wir alle diese Wo soll das sein, Frau Lay? Bei Ihnen zu Hause, oder wo (C) Maßnahmen, die am Anfang der Krise richtig gewesen soll das sein? sind. – Jetzt, wo wir schon ein paar Schritte weiter sind, wo wir darauf reagiert haben, wo wir flexibilisiert haben, (Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann wo wir unbürokratisch Hilfe leisten können, die auch [DIE LINKE]: Er muss über seine eigene Rede funktioniert, da wäre es doch genau das falsche Signal. lachen!) So steht es hier geschrieben. Das ist eine Liste der Deswegen haben wir gesagt: Wir können einer solchen Grausamkeiten für jeden Vermieter, besonders für den Verlängerung nicht zustimmen. – Ich glaube, dass es rich- privaten Vermieter, der ein, zwei Wohnungen hat und tig ist, nicht zuzustimmen. Wir müssen jetzt unsere Kräfte über diesen Weg seine Altersvorsorge betreibt. Das däm- darauf konzentrieren, die Hilfsmaßnahmen so anzupa- mert auch den Linken. Deshalb ist man auf die tolle Idee cken, dass wir wirtschaftliche Kraft entwickeln. Wir ha- gekommen, für gebeutelte Vermieter Härtefallfonds ein- ben heute den Nachtragshaushalt, ein Milliardenpaket, zurichten. beschlossen und damit ein riesiges Zukunfts- und Kraft- paket auf den Weg gebracht. Damit müssen wir den Men- (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist richtig!) schen Hoffnung geben, dass sie wieder Arbeit haben, dass sie Hilfe bekommen und dass wir wieder zur Norma- Wofür die Coronapandemie so alles herhalten muss! Wel- lität zurückkommen – und jetzt nicht solche sozialisti- chen Schwachsinn man damit als notwendige Maßnahme schen Planspiele machen, wie es Die Linke uns mit ihrem verkaufen kann! Antrag vorgibt. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Denn eins ist doch klar: Wenn das Realität würde, was LINKEN) die Linken hier wollen, dann hängt die Vertragstreue des Mieters allein von seinem guten Willen ab, insbesondere Vizepräsident in Claudia Roth: wenn Zwangsräumungen verboten werden sollen. Damit, Vielen Dank, Dr. Jan-Marco Luczak. – Nächster Red- Frau Lay, schaffen Sie das Paradies für den Unredlichen! ner: für die AfD-Fraktion Jens Maier. Sie von den Linken, Sie wollen die dunkle Seite stärken. Wir von der AfD wollen, dass es heller wird in Deutsch- (Beifall bei der AfD) land. Wir wollen die Redlichen schützen. (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der Jens Maier (AfD): LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- (B) braune Seite stärken!) (D) ren! Das, was uns hier von den Linken vorgelegt wurde, das sogenannte Soforthilfeprogramm, macht den Ein- Mit unserem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung druck, als habe die Antifa aus Leipzig an Sie, Frau Lay, einer Schonfristzahlung bei ordentlichen Kündigungen einen Wunschzettel übergeben, von Wohnraummietverträgen wollen wir Mietern die Möglichkeit eröffnen, einen drohenden Wohnraumver- (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der lust ganz abwenden zu können, wenn sie mal in Zah- LINKEN) lungsschwierigkeiten gekommen sind. den Ihre Mitarbeiter ein wenig aufgearbeitet haben und Nach unseren Vorstellungen soll das möglich sein, den Sie dann ins Parlament eingebracht haben. Mehr ist wenn die säumigen Mieter vor dem Ablauf von zwei das nicht. Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räu- mungsanspruchs ihrer Zahlungsverpflichtung nachträg- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was wissen Sie lich in Gänze nachgekommen sind und sich dadurch wie- denn von der Antifa? Gar nichts!) der redlich gemacht haben. Eine derartige Regelung Sie fordern in Ihrem Antrag allen Ernstes ein Morato- existiert momentan im Gesetz nur für Fälle von außer- rium für Mieterhöhungen, ein Verbot von Zwangsräu- ordentlichen Kündigungen. mungen und eine Senkung der Nettokaltmiete um 30 Pro- zent. (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Zu Recht! – Caren Lay [DIE LINKE]: Sie wollen (Caren Lay [DIE LINKE]: Sehr gut!) die früher rausschmeißen! Sagen Sie es doch einfach!) Warum eigentlich nur um 30 Prozent? Warum nicht um 50 oder 80 Prozent? Diese Rechtslage ist inkonsequent, und wir wollen, dass diese Regelung auch auf die ordentliche Kündigung er- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Oder 100 Pro- streckt wird. Es kann nicht sein, dass der Mieter durch zent!) nachträgliche Zahlung zwar die außerordentliche Kündi- – Ja, oder 100 Prozent. gung unwirksam machen kann, die ordentliche Kündi- gung aber bestehen bleibt und er dann doch seine Woh- Dann sollen Sammelunterkünfte aufgelöst werden, und nung verliert. Hier sehen wir Änderungsbedarf. Wer sich sogenannten Geflüchteten soll angemessener Wohnraum redlich macht und zahlt, muss davon auch einen Vorteil dezentral zur Verfügung gestellt werden. haben, der darf seine Wohnung nicht verlieren. (Caren Lay [DIE LINKE]: Richtig!) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21303

Jens Maier (A) Und dann muss natürlich dafür gesorgt werden, dass es der Grundsicherung haben wir für sechs Monate die Ver- (C) den Unredlichen, den Schädlingen an den Kragen geht. mögensprüfung ausgesetzt und übernehmen die volle Miethöhe. Beim Wohngeld haben wir die Antragstellung (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deutlich vereinfacht. NEN]: Menschen sind keine Schädlinge! Was ist denn das für eine Terminologie? Schämen Kernpunkt unserer Aktivitäten war der verbesserte Sie sich, Herr Maier! – Caren Lay [DIE LIN- Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter. Die Men- KE]: Das ist ja ein Begriff!) schen sollen ihr Zuhause nicht verlieren. Wegen corona- bedingter Mietschulden zwischen April und Juni darf Das sind die sogenannten Mietnomaden, also Leute, die nicht gekündigt werden. Die Verpflichtung zur Zahlung von Anfang an keine Miete zahlen wollen, die die an sie der Miete bleibt natürlich bestehen. vermieteten Räume mutwilligem Vandalismus aussetzen und die plötzlich spurlos die Wohnräume verlassen. Ge- Von Anfang an gab es eine Option zur Verlängerung gen diese Leute muss entschlossen vorgegangen werden. dieser Regelung. Viele, die von Einkommensverlusten betroffen sind, konnten anfänglich die Miete noch zahlen. (Beifall bei der AfD – Canan Bayram [BÜND- Inzwischen steigt die Zahl derer, die ihre Miete nicht NIS 90/DIE GRÜNEN]: So was will mal Rich- mehr oder nur noch zum Teil zahlen können. SPD-Justiz- ter gewesen sein!) ministerin Christine Lambrecht wollte deshalb den ver- Sie schaden den Vermietern in erheblichem Umfang; sie besserten Kündigungsschutz bis zum 30. September ver- schaden aber auch den redlichen Mietern. Denn viele längern und hat dazu eine Verordnung vorgelegt. Leider Vermieter, die das schon mal durchhaben, die schon haben dies die CDU- und CSU-geführten Ministerien mal durch Mietnomaden geschädigt wurden, vermieten bisher blockiert. lieber gar nicht mehr oder nur unter Bedingungen, die Gerade im Corona-Lockdown haben die Menschen von manchen redlichen Mietern als entwürdigend emp- umso mehr gemerkt, wie wichtig die eigene Wohnung funden werden müssen. ist. Es gibt viele gute Vermieterinnen und Vermieter – Dementsprechend sieht unser Entwurf mehrere Ände- ich nenne sie „Mietdelfine“ –, rungen von zivilprozessualen Vorschriften vor, um zügi- (Die Rednerin hält einen Plastikdelfin hoch – ge Verfahren gegenüber Mietnomaden zu ermöglichen. Karsten Hilse [AfD]: Oh! Ein Delfin! Ist das Dazu gehören ein früher erster Termin zur mündlichen niedlich!) Verhandlung innerhalb von sechs Wochen nach Klageer- hebung, eine Verkürzung der Räumungsfrist auf maximal die sicherlich auch jetzt versuchen, gute Regelungen zu sechs Monate sowie die Entpflichtung des Gerichts da- finden. Aber es gibt leider auch Miethaie – die Ätzen- (B) von, Mietnomaden vor Erlass einer einstweiligen Verfü- den –, (D) gung anzuhören. Das hat Sinn. Was die Linken wollen, ist (Die Rednerin hält einen Plastikhai hoch) Unsinn. die jede Möglichkeit nutzen, ihre Mieterinnen und Mieter Vielen Dank. zu vertreiben. (Beifall bei der AfD) (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nicht dass der jetzt zubeißt hier! Vorsicht!) Vizepräsident in Claudia Roth: In meinem Frankfurter Wahlkreis habe ich gerade die Herr Maier, Menschen als „Schädlinge“ zu bezeich- Machenschaften der Firma WPS kennengelernt. Nur ein nen, ist in hohem Maße unparlamentarisch und in diesem kleiner Auszug aus deren Methoden: Haustürschlösser Hause und auch draußen auf der Straße nicht angemes- werden beseitigt, jeder kann ins Haus – ein sehr ungutes sen. Gefühl für die Bewohnerinnen und Bewohner. Aus einem (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Haus zieht die letzte Mieterin wegen Angst aus, nachdem der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE des Nachts wohl öfter fremde Menschen durch das Haus GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: liefen. Letzte Woche wurde versucht, die Wohnungstür Ordnungsruf! Jawohl!) einer Mieterin, die in der Wohnung war, aufzubrechen, angeblich weil die Wohnung vermessen werden sollte. Nächste Rednerin: Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. Die versenden schikanöse, unberechtigte Mieterhöhungs- ankündigungen nach Modernisierungen, wo anstatt einer (Beifall bei der SPD – Dr. Harald Weyel [AfD]: Erhöhung um 140 Euro eine Erhöhung um 330 Euro an- Was macht die Buchprüfung bei der Arbeiter- gekündigt wird. Solche Summen können sich die wenigs- wohlfahrt in Frankfurt? – Jürgen Braun [AfD]: ten leisten. Es lebe die Arbeiterwohlfahrt – mit Ulli Nissen!) (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was hat das jetzt mit Corona zu tun?) Ulli Nissen (SPD): Dafür steht darunter der „nette Absatz“, dass Sonderkün- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und digungen durch die Mieterinnen möglich sind, worauf Kollegen! Deutschland hat die Coronakrise bislang sehr WPS vermutlich sehr hofft. gut gemeistert. Die von der rot-schwarzen Bundesregie- rung ergriffenen Maßnahmen wirken. Für Mieterinnen Einziges Ziel solcher miesen Schikanen: Die Wohnun- und Mieter gab es ein umfassendes Leistungspaket. Bei gen sollen entmietet werden, damit sie danach als Luxus- 21304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Ulli Nissen (A) eigentumswohnungen teuer verkauft werden können. Zu (Caren Lay [DIE LINKE]: Die gab es vorher (C) diesen Methoden machen wir am 6. Juli in Frankfurt schon! Das stimmt!) einen Mahnrundgang „Den Miethaien auf der Spur“. und das Mietmoratorium der Regierung war unnötig. Es Treffpunkt: Matthias-Beltz-Platz, 18.30 Uhr. ist vielmehr ein Schritt der Selbstkorrektur, dass sich in Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, las- der Koalition auch mal der Wirtschaftsflügel der Union sen Sie den widerlichen Miethaien nicht die Chance, die (Otto Fricke [FDP]: So klein er ist!) Coronasituation zu nutzen, um die Mieterinnen und Mie- ter zu vertreiben! Tragen Sie dazu bei, dass die Menschen durchsetzt und das Moratorium nicht verlängert wird. ihr Zuhause nicht verlieren! Stimmen Sie jetzt der Ver- längerung auf dem Verordnungswege zu! Die Linke hingegen ist nicht korrekturfähig. Ihr geht es auch gar nicht um die Überbrückung einer zeitlich be- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. grenzten Coronaphase, die für viele Mieterinnen und Mieter schwierig ist. Es geht ihr auf dem Wohnungsmarkt (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der immer noch ums große Ganze: den Kapitalismus zu über- Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE winden, die Privatautonomie zu untergraben. GRÜNEN]) (Beifall bei der FDP – Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Ulli Nissen. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn Sie alle Kündig- ungen ausschließen, Räumungen verbieten und die Kalt- (Karsten Hilse [AfD], an die Abg. Ulli Nissen miete pauschal um 30 Prozent absenken. [SPD] gewandt: Vergessen Sie Ihre Fische nicht! Und das Säugetier natürlich! Echt, also, Dann ist da der Härtefallfonds, den Sie vorschlagen. das finde ich jetzt nicht in Ordnung, Menschen Positiv daran ist: Sie erkennen an, dass es a) Privatver- mit Tieren zu vergleichen! Das ist echt unpar- mieter tatsächlich gibt und dass b) auch diese von den lamentarisch! – Gegenruf des Abg. Martin Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt hart getroffen Reichardt [AfD]: Das ist ungerecht! – Dr. Götz werden. Ihr Fonds soll schnelle, unbürokratische Hilfen Frömming [AfD]: Schön Fotos gemacht! – Zu- gewähren. Schaut man dann in die Hauptstadt und macht ruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) den Praxistest, sieht man, was passiert, wenn Linke, Grü- ne und SPD „schnell und unbürokratisch“ helfen. Der Wollen Sie zuhören, was die Kollegen der AfD alles an Bund hat Coronahilfen für Kleinunternehmer und Selbst- Kommentaren haben? (B) ständige bereitgestellt. In Berlin beträfe das 170 000 Un- (D) ternehmen. Der rot-rot-grüne Senat hat aber 209 000 An- (Falko Mohrs [SPD]: Nee, lieber nicht! – träge bewilligt; das sind 40 000 extra. „Es ging … zu wie Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nein, dan- am Geldautomaten“, schreibt das „Handelsblatt“. ke! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so unterirdisch, das können (Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE] meldet sich wir uns nicht anhören! – Karsten Hilse [AfD]: zu einer Zwischenfrage) Das wird alles aufgeschrieben! Kann man Noch zwei Punkte zu Ihrer Forderung, das Mietmora- nachlesen!) torium zu verlängern. – Ja, Sie müssen noch ein bisschen lauter sein, Herr Hilse, Erstens. Bislang haben auf 1 000 Mieter gerade mal 3 (Karsten Hilse [AfD]: Das können wir gerne eine Mietstundung beantragt. Diese geringe Zahl ver- machen!) wundert auch nicht; denn nur bei 6 von 1 000 Mietver- hältnissen gab es überhaupt Mietrückstände. dann wird es noch besser aufgeschrieben, was Sie alles so von sich geben um diese Uhrzeit. Zweitens. Bleiben Sie bitte konsistent! Als es um Rei- sebüros ging, sagten Sie noch: Kredite helfen nicht. Die (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen zurückgezahlt werden; das ist schlicht unmög- NEN]: Einfach ein bisschen weniger Alkohol lich. trinken!) (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Katharina LINKE]) Willkomm. Für die Mieter aber fordern Sie letztlich genau das. Auch (Beifall bei der FDP) eine gestundete Miete muss irgendwann bezahlt werden. Das Problem wird nur zeitlich und zulasten des Vermie- ters verschoben. Katharina Willkomm (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Sollte das dicke Ende der Coronakrise noch kommen, Kollegen! Die Linke behauptet, die Coronapandemie bereiten wir uns darauf vor – aber mit Augenmaß. Wir führt zu Wohnungslosigkeit, und das Mietmoratorium Freien Demokraten fordern deshalb seit Monaten, dass der Regierung war unzureichend. Tatsächlich gibt es bis- der Bund ein zeitlich befristetes Sonderwohngeld ein- lang keine Krise auf dem Wohnungsmarkt aufgrund der führt. Das ist unter den gegebenen Umständen das beste Coronakrise, Instrument. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21305

Katharina Willkomm (A) Vielen Dank. (Martin Reichardt [AfD]: Was ist denn mit den (C) Vermietern?) (Beifall bei der FDP – Pascal Meiser [DIE LINKE]: Keine Ahnung von nix!) Zweitens wollen wir mit unserem Antrag „Mieterschutz stärken“ Vizepräsident in Claudia Roth: (Martin Reichardt [AfD]: Ist das jetzt ein Vielen Dank, Katharina Willkomm. – Nächste Redne- Mieterinnenschutz oder ein Mieterschutz?) rin: für Bündnis 90/Die Grünen Canan Bayram. den Kündigungsschutz und das Minderungsrecht im In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) teresse der Mieterinnen deutlich verbessern. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Zulasten Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der energetischen Modernisierung! Das müs- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen sen Sie schon sagen!) und Kollegen! Nur wer eine Wohnung hat, kann auch Das heißt, wir wollen Eigenbedarfskündigungen ein- zu Hause bleiben. schränken, und bei Mängeln wollen wir das Minderungs- (Beifall der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ recht der Mieterinnen erleichtern, meine Damen und Her- DIE GRÜNEN] und Ulli Nissen [SPD]) ren. Das ist ein vernünftiger Grund, weswegen der Kündi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gungsschutz für Mieterinnen zu Beginn der Pandemie Sie von der Koalition hingegen verweisen auf das mit breiter Mehrheit im Deutschen Bundestag beschlos- Wohngeld, in Kenntnis dessen, dass es wegen der fak- sen wurde. tisch nicht zeitnahen Bewilligung ins Leere laufen wird. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Vielen Nichts kriegt der Mieter bei Ihnen! Dank!) (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist Zu Beginn der Pandemie haben sich die Mieterinnen doch alles flexibilisiert worden! Viel einfa- kurz die Hoffnung gemacht, dass ihre Sorgen und Nöte cher!) ernstgenommen werden und die Gelegenheit besteht, Wir müssen doch verhindern, dass Menschen ihre Woh- dass Verbesserungen für Mieterinnen erfolgen. nung verlieren, und wir müssen dafür sorgen, dass die (Martin Reichardt [AfD]: Was ist denn mit den Menschen ihre Mieten bezahlen können, und zwar nicht (B) Mietern?) nur zu Coronazeiten, meine Damen und Herren. (D) Nun lassen Sie von der Koalition die Mieterinnen im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stich, obwohl die Pandemie noch längst nicht vorüber Kurzum: Wir wollen den Mieterinnenschutz stärken. ist, meine Damen und Herren. Sie allerdings lassen die Mieterinnen nicht nur im Stich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern Sie nehmen deren Sorgen und Nöte noch nicht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) einmal ernst. Dafür, meine Damen und Herren von der Koalition, sollten Sie sich tatsächlich mal anständig Das Mindeste, was Sie den Mieterinnen schuldig sind, schämen. wäre, diese Verantwortung durch Verlängerung der Rechtsverordnung zum Kündigungsschutz wahrzuneh- (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Oh! – Martin men, damit Gewerbe- und Wohnraummieterinnen in der Reichardt [AfD]: Uiuiui!) Coronapandemie geschützt sind. Dabei sollte doch klar sein, dass wir gerade in der Not niemanden zurücklassen dürfen. Was Sie hier machen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN insbesondere Herr Luczak, ist eine Kampfansage an die sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE Adresse der Mieterinnen. Der nächste Häuserkampf geht LINKE]) auf Ihr Konto! Ich hatte die Bundeskanzlerin mit Schreiben vom 22. Juni darum gebeten, aber nicht mal das bekommen Sie hin. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der In der Coronapandemie werden wie unter einem CDU/CSU und der AfD: Oh! – Martin Brennglas die grundsätzlichen Probleme unserer Gesell- Reichardt [AfD]: Das war revolutionäres Pa- schaft sichtbar, meine Damen und Herren. Die Mieter- thos von 68! – Weiterer Zuruf von der AfD: innen und Mieter sind unzureichend vor Kündigungen Auf die Barrikaden! – Martin Reichardt geschützt. Das wollen wir ändern, und das müssen wir [AfD]: Steine schon unterm Tisch?) auch ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident in Claudia Roth: Danke schön, Canan Bayram. – Nächster Redner: für Mit unseren Anträgen wollen wir erstens ein Sicher- die CDU/CSU-Fraktion Karsten Möring. Wohnen-Programm auflegen, damit alle Mieterinnen und sogar die Vermieterinnen gut durch diese Coronakrise (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – kommen. Martin Reichardt [AfD]: Zum Häuserkampf 21306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsident in Claudia Roth (A) darf man aufrufen hier im Parlament? Oder ist Ich möchte nur eines ergänzen. Die FDP hat neulich (C) das unparlamentarisch?) die Regierung gefragt, und die Regierung konnte die Frage nicht beantworten: Wie sieht es mit dem Instrument Karsten Möring (CDU/CSU): Wohngeld in dieser Situation aus? – Ich habe mich ges- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tern mal in Köln schlaugemacht. Das ist nicht repräsenta- Wenn man dem klugen, etwas zynischen Satz von Wins- tiv, es ist auch nicht das maximal Mögliche, was im Land ton Churchill folgt, man solle keine gute Krise verpassen, denkbar ist. Die Stadt Köln bewältigt durch freiwillige um sie zu nutzen, dann muss man das allerdings viel Mehrarbeit die Anträge auf Wohngeld, weil die Zahl ins- intelligenter machen, als Die Linke das versucht und die gesamt überschaubar und beherrschbar ist. Grünen zum Teil auch. Diejenigen mit einer Einkommensminderung haben (Caren Lay [DIE LINKE]: Was machen Sie Anspruch auf Wohngeld – ohne Vermögensprüfung, ohne denn?) Rücksicht auf die Wohnungsgröße. Das sind die sonst geltenden Einschränkungen, die haben wir weggenom- Es hilft nämlich gar nichts, wenn man Anträge, die man men, um flexibler reagieren zu können, und das funk- schon jahrelang stellt, nur noch mit dem Thema Corona tioniert auch. verziert und meint, jetzt hätte man einen Grund, das durchzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jan-Marco Das ist das Instrument, das am schnellsten und besten Luczak [CDU/CSU]: Genau so! Mogelpa- wirkt. ckung! – Mechthild Rawert [SPD]: Kein Wenn Sie mit dem Argument kämen: „Was ist denn mit Grund, es abzulehnen!) denen, die überhaupt kein Einkommen mehr haben?“, Es ist in Wirklichkeit so, dass wir in Deutschland die dann könnte ich nur sagen: Für die gilt auch nicht die besten und weitgehendsten Kündigungsschutzregelungen Regelung zum Wohngeld – das ist ja nur eine Minderung haben. der Belastung –, sondern für die gelten zum Beispiel die Regelungen im SGB II mit der Zuständigkeit des Jobcen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ters. neten der FDP – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/ Von daher: Wir haben das Instrumentarium; es funk- CSU]: Zu Recht!) tioniert. Mieter und Vermieter haben ein ordentliches Die funktionieren, und das ist auch gut so. Aber dann soll Verhältnis zueinander, in dem sie auch diese Probleme man es auch nicht übertreiben. lösen. Wenn jetzt jemand kommt und mir sagt: „Ich (B) kenne aber einen, da ist es ganz übel gelaufen“, dann (D) Die Verbesserungen und die Einschränkungen, die wir würde ich den Vermieter anrufen und sagen: Willst du am Anfang der Coronazeit vorgenommen haben, haben den ganzen Vermieterstand in Verruf bringen? – Ich wür- sich bewährt. Sie haben sich aber auch überlebt, weil de auch sagen: Ich finde 50 Vermieter, die sich mit ihren nämlich die Notwendigkeit, sie in Anspruch zu nehmen, Mietern, die in Schwierigkeiten gekommen sind, eini- ganz offensichtlich minimal ist. Das rechtfertigt nicht, gen – ohne Rückgriff auf staatliche Möglichkeiten. solche Regelungen zu verstetigen. (Zuruf des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE]) Und noch eines: Wenn wir in zwei Monaten, in drei Monaten, in einem halben Jahr tatsächlich in einer Wie- Frau Präsidentin, ich ende pünktlich. derholungssituation wären, dann wären wir die Letzten, die diese Möglichkeit nicht noch einmal neu auflegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Mechthild Rawert [SPD]: Ein Mann, ein Wort!) Vizepräsident in Claudia Roth: Wenn es notwendig ist, tun wir das. Zurzeit ist es nicht Sehr gut. Guter Mann, Karsten Möring. Herzlichen notwendig. Dank. Auf die Sekunde. Ich danke Ihnen sehr. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert Nächste Rednerin – wieder zurück im Bundestag –: [SPD]: Dann wollen wir gucken, wer sich Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion. durchsetzt!) (Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese The- [AfD]: Super!) matik am 13. Mai, glaube ich, zum ersten Mal in der ersten Lesung behandelt. Ich habe damals zum Antrag Mechthild Rawert (SPD): der Grünen gesagt: Das, was Sie vorschlagen, komme Werte Präsidentin! Werte Kolleginnen! Liebe Zu- zu spät – wir hatten längst gehandelt –, und es sei auch schauende! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- zu kompliziert mit der Regelung über die KfW. – Wir kraten wollen die dreimonatige Verlängerung des – lei- haben im Ausschuss beraten. Da gab es keine neuen der, leider – ausgelaufenen Kündigungsmoratoriums für Argumente. Deswegen kann ich mich darauf beschrän- Mietzahlungen, Verbraucherdarlehen sowie Energie-, ken, zu sagen: Es bleibt, wie es ist. Wir werden der Wasser- und Telefonabrechnungen. Unsere Ministerin Empfehlung des Ausschusses folgen und diese Regelung Lambrecht steht Ihnen jederzeit für neue Verhandlungen auch jetzt wieder ablehnen. darüber zur Verfügung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21307

Mechthild Rawert (A) (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Martin Reichardt [AfD]: Die kennt doch die (C) SPD gar nicht mehr, diese Menschen!) Wir wollen dies für den gesellschaftlichen Zusammen- halt, wegen der ökonomischen Vernunft und aus Solida- hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. rität mit den sozial Schwächeren. (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] Wir als verantwortliche Parlamentarierinnen und Par- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Jan- lamentarier mahnen vollkommen zu Recht: Die Corona- Marco Luczak [CDU/CSU]: Deshalb habe ich pandemie ist noch nicht vorbei! den Wahlkreis dreimal direkt gegen Sie gewon- nen!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es! Zweite Welle, sage ich nur!) Geben Sie Ihre Widerstände auf! Lassen Sie uns erneut verhandeln! Denn Sie haben recht: Wir wollen die Wirt- Mir ist es darum völlig schleierhaft, warum Sie, werte schaft, vor allen Dingen aber die Gesellschaft ans Laufen Kollegen und Kolleginnen von der Union, gerade für bringen, damit es uns allen gut geht. Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen die Pandemie samt ihrer sozialen Auswirkungen für beendet Guten Verlauf. erklärt haben. (Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wer [AfD]: Wo laufen Sie denn hin?) macht das denn? Was haben wir denn gerade in dieser Woche beschlossen? Dieses Paket: Vizepräsident in Claudia Roth: 217 Milliarden haben wir beschlossen!) Vielen Dank, Mechthild Rawert. Fakt ist: Aufgrund Ihres Widerstandes sind seit gestern (Martin Reichardt [AfD]: Back on Stage! Aber Mieterinnen und Mieter sowie Gewerbetreibende, die hat nicht so funktioniert!) coronabedingt unverschuldet Einkommenseinbußen er- leiden, wieder dem Kündigungsrisiko ausgesetzt. Ich fin- Letzter Redner in dieser Debatte: für die CDU/CSU- de das dramatisch, und ich finde es auch unsozial. Fraktion Alexander Hoffmann. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht hier doch nicht um ein Gnadenbrot. Vermietern Alexander Hoffmann (CDU/CSU): geht die Miete auch nicht verloren; sie wird nur gestundet Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- (B) bis 2022. gen! Eine Pandemie wie die durch Covid-19 ausgelöste (D) Deswegen gehen wir als SPD geschlossen konform mit ist für uns alle eine Herausforderung. Ich glaube, frak- der Forderung von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, tionsübergreifend müssen wir alle ein Ziel haben: Wir vom Mieterbund, von Gewerkschaften, aber auch vom müssen die Menschen zusammenbringen, statt die Ge- Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, DEHOGA, sellschaft zu spalten. nach einer dreimonatigen Verlängerung des Kündigungs- (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) moratoriums. Wenn ich aber Ihren Antrag lese, dann stelle ich fest, Da wir beide ja aus dem wunderbaren Kreis Tempel- dass Sie genau Letzteres machen: Sie spalten. – Sie neh- hof-Schöneberg kommen, Herr Luczak, men Ihre Ideologie, werfen ihr dann das Deckmäntelchen der Pandemiefolgenabfederung über und fordern dann (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Der eine völlig unverhältnismäßig und völlig überzogen Dinge, hat direkt gewonnen und die andere nicht!) wie zum Beispiel keinerlei Zwangsräumung mehr – so lese ich mir natürlich Ihre Post besonders gründlich steht es drin – und keine Kündigung von Wohnungen und durch. Sie haben gesagt: Die SPD trägt auf dem Rücken Gewerbeimmobilien. Da muss ich sagen: Da bleiben Fra- der privaten Vermieter ein längst entschiedenes ideologi- gen offen. sches Gefecht aus. – Ärgert mich der Satz? Nein, nicht Dann wundere ich mich über die Grünen, die im Aus- die Bohne. schuss tatsächlich sagen: Dieser Antrag geht uns nicht (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ich habe weit genug. – Das sollte Ihnen zu denken geben. Wenn das gesagt?) Sie irgendwann mal Regierungsbeteiligung in diesem Land anstreben, empfehle ich Ihnen ernstlich, sich mal – Ja. mit Artikel 14 Grundgesetz – das betrifft das Eigentum – auseinanderzusetzen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wo denn?) (Caren Lay [DIE LINKE]: Artikel 15 würde ich Ihnen empfehlen! – Zuruf des Abg. Oliver – Ich zeige es Ihnen. – Ein solcher Satz sagt ja mehr über Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Sender selbst aus. Ihre Unionspolitik für die Mitte ist nämlich eine Politik für den Eigentümerverband Haus & Dann reden wir über die SPD. Auch da – das muss ich Grund und den Spitzenverband der Wohnungswirtschaft ganz ehrlich sagen – kann ich mich nur wundern. Gehen GdW. Mit einer Politik der echten Mitte, nämlich der hart wir doch mal in die Details. Keinerlei Zwangsräumung, arbeitenden Menschen mit ihren Sorgen und Problemen, Kollegin Rawert, haben Sie ja gerade gut gefunden. Das 21308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Alexander Hoffmann (A) sind dann die Fälle, wo zum Beispiel der Mieter seinen Vizepräsident in Claudia Roth: (C) Vermieter bedroht; da wollen Sie keine Zwangsräumung. Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Damit schließe Das sind die Fälle, wo jemand absichtlich zwölf Monate ich die Aussprache. keine Miete zahlt; da wollen Sie keine Zwangsräumung. Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zum Antrag (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) der Fraktion Die Linke zur Verlängerung des Kündi- gungsschutzmoratoriums für Mieterinnen und Mieter Keine Kündigung für Wohnungen und Gewerbeimmobi- auf Drucksache 19/20550. Die Fraktion Die Linke lien. Kollegin Rawert, liebe Kolleginnen und Kollegen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der von der SPD, von Grünen und von den Linken, CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, (Mechthild Rawert [SPD]: Sie haben mir nicht (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Feige!) richtig zugehört!) und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss das sind dann die Fälle, die der Kollege Luczak vorhin für Recht und Verbraucherschutz und zur Mitberatung an gemeint hat: Das ist dann der Konzern Adidas, der Mil- den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie an den liardengewinne einstreicht, sich zurücklehnt und sagt: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und „Meine Miete zahle ich nicht“, und Sie können nicht ein- Kommunen. mal kündigen. Das wollen Sie Ihren Wählerinnen und Wählern tatsächlich erklären? Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wer stimmt für die beantragte Überweisung? neten der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist wirklich feige! Dann stimmt doch direkt dagegen!) Sie fordern all das, obwohl es nicht erforderlich ist. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der bean- Schauen wir uns mal die Zahlen an. Es gibt Erhebun- tragten Überweisung zugestimmt haben die Fraktionen gen aus Berlin, die besagen, dass im März 0,34 Prozent der SPD, der CDU/CSU und der FDP, dagegengestimmt der Mieter eine Mietenstundung beantragt haben; im Ap- haben die Fraktionen von Linken und Bündnis 90/Die ril waren es ganze 0,28 Prozent. Und dafür – halten wir es Grünen, und enthalten hat sich die Fraktion der AfD. fest – sind Sie bereit, das Grundrecht auf Eigentum – ich Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stim- sage es jetzt mal drastisch – einfach das Klo hinunterzu- men wir heute über den Antrag auf Drucksache 19/20550 spülen. nicht in der Sache ab. (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tagesordnungspunkt 18 b. Wir kommen zur Be- Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- NEN]: Das ist doch absurd! – Christian Kühn braucherschutz zum Antrag der Fraktion Die Linke mit [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dem Titel „Soforthilfeprogramm Bezahlbares Wohnen Das haben Sie doch selber beschlossen!) gegen Mietschulden und Wohnungsverlust“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Das Schlimmste ist, dass Sie damit bewirken, dass dies Drucksache 19/20207, den Antrag der Fraktion Die Linke der Sargnagel für den investiven Wohnungsmarkt ist. auf Drucksache 19/19144 abzulehnen. Wer stimmt für (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – NEN]: Gehtʼs noch?) Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, Wir alle wissen, dass wir bezahlbaren Wohnraum nur CDU/CSU, FDP und AfD, dagegengestimmt hat die schaffen, wenn Menschen bereit sind, in diesen Woh- Fraktion der Linken, und enthalten hat sich die Fraktion nungsmarkt zu investieren. Sie haben mit Ihrem Mieten- von Bündnis 90/Die Grünen. deckel in Berlin schon sehr viel Schaden angerichtet, und mit solchen Anträgen wird es nicht besser. Zusatzpunkte 21 und 37. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/20542 und 2019 sind in Berlin 2,7 Milliarden Euro in den Woh- 19/20589 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- nungsmarkt investiert worden, geplant waren 3,2 Milliar- schüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine weiteren Vor- den Euro. Da sage ich Ihnen: Herzlichen Glückwunsch! schläge. Dann verfahren wir genau so. Lernen Sie doch einfach mal daraus, und lassen Sie beim Thema Mieten mal die Ideologie beiseite. Zusatzpunkt 22. Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Vizepräsident in Claudia Roth: dem Titel „Sicher-Wohnen-Programm – Mieten und Ei- Herr Hoffmann. gentum sichern in Zeiten der Krise“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Alexander Hoffmann (CDU/CSU): 19/20253, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nen auf Drucksache 19/19148 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist Grigorios Aggelidis [FDP]) angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21309

Vizepräsident in Claudia Roth (A) SPD, CDU/CSU und AfD, dagegengestimmt hat die (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C) Fraktion der Bündnisgrünen, und enthalten haben sich GRÜNEN]: Ja, das ist der Punkt!) die Fraktionen der Linken und der FDP. Heute geht es um die Ausbaustrecke Lübeck‒Puttgar- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: den. Viele Einzelfragen – von der Trassenführung bis zu zahlreichen sogenannten Schutzfällen – konnten in den Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Dialogforen besprochen und dank konstruktiver Zusam- richts des Ausschusses für Verkehr und digitale menarbeit gemeinsam mit der Bahn beantwortet werden. Infrastruktur (15. Ausschuss) zu der Unterrich- Dafür an dieser Stelle meinen herzlichen Dank allen Be- tung durch die Bundesregierung teiligten! Sie haben diesen Entwurf durch Ihr Mitwirken Bericht über das Ergebnis der Vorplanung noch besser gemacht. und der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung zur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausbaustrecke/Neubaustrecke Hamburg – ordneten der SPD) Lübeck – Puttgarden Aber da gibt es noch Ruppersdorf – Sie alle werden es Drucksachen 19/19500, 19/19655 Nr. 7, kennen –, 19/20624 (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das berühmte Bündnis 90/Die Grünen vor. Ruppersdorf!) Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. dessen Bewohner heute schon die Autobahn im Vorgarten Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der haben und nun durch die geplante Bahntrasse auf der Debatte teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, und die anderen Seite komplett eingekesselt würden. Das verhin- anderen bitte ich, den Raum, wenn möglich, zügig zu dern wir mit unserem Antrag. Dafür wollen wir 10 Millio- verlassen. nen Euro zusätzlich ausgeben. Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner in der Da bleiben in einer sehr wichtigen Tourismusregion Debatte: Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion. zum Schluss drei Campingplätze übrig, wie beispielswei- se das Ostseecamp Lübecker Bucht, deren Gäste im Zelt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- womöglich nicht ausreichend durch die dort geltenden ordneten der SPD) Lärmgrenzwerte geschützt werden können. Für diesen (B) Schutz stellen wir nochmals 2 Millionen Euro zur Ver- (D) Michael Donth (CDU/CSU): fügung. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wunderbar! Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wenn in weni- Sehr schön!) gen Monaten auf dänischer Seite am Fehmarnbelt die Bagger anrollen, dann untermauern unsere Nachbarn da- Es gibt auch die Bewohner an der Bestandsstrecke in mit etwas, was uns besonders in der letzten Zeit der Lübeck, die keinen gesetzlichen Anspruch auf Lärmsa- Grenzschließungen nochmals eindrücklich geworden nierung haben, weil die Strecke eben nicht ausgebaut ist, nämlich das hohe Gut eines vereinten Europas mit wird. Auch hier gibt der Bund 34,8 Millionen Euro zu- offenen Grenzen, das auch mit dem transeuropäischen sätzlich aus, um diesen Schutz zu ermöglichen. Schienennetz noch näher zusammenrückt. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Jetzt ist es an uns, unseren Teil des Versprechens ein- GRÜNEN]: 34,8 Millionen Euro: Das merke zulösen; denn unsere europäischen Nachbarn verlassen ich mir!) sich auf uns. Sie verlassen sich darauf, dass wir unsere Staatsverträge und Vereinbarungen einhalten – von der Das sind nur drei Beispiele. In Summe geben wir für Schweiz mit der Rheintalbahn bis nach Dänemark mit diese und andere Beispiele 232 Millionen Euro zusätzlich der Fehmarnbeltquerung. für Lärmschutz, Erschütterungsschutz und Ähnliches aus. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz konkret bedeutet das: Wir erfüllen die Forderun- Dann fangen Sie mal bei der Schweiz an! Seit gen des Dialogforums zum sogenannten Vollschutz vor 15 Jahren warten die!) Lärm und Erschütterungen mit knapp 140 Millionen Eu- ro. Wir beteiligen uns zur Entlastung der Kommunen an Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass diejenigen, der Anpassung der Bahnhöfe entlang der Strecke. Den die von diesem Ausbau als Anwohner nicht nur profitie- Hauptteil trägt das Land Schleswig-Holstein; 5 Millionen ren, bestmöglich vor den Nachteilen dieser Projekte ge- Euro kommen von uns. schützt werden. Deshalb schauen wir uns gemäß unseres Beschlusses aus 2016 solche wichtigen europäischen Wir verbinden mit den Bundesmitteln natürlich die Projekte im Einzelfall an, um dann über zusätzlichen Hoffnung, dass in Anerkennung der bisher langen und Lärmschutz zu entscheiden, der über das gesetzlich vor- konstruktiven Konsensprozesse keine weiteren rechtli- gegebene Maß hinausgeht. Allerdings darf dabei die chen Schritte das Bauvorhaben unnötig verzögern wer- volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit nicht verloren gehen. den. 21310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Michael Donth (A) Intensiv diskutiert haben wir in der Koalition die Vor- Michael Donth (CDU/CSU): (C) schläge bezüglich Bad Schwartau. Hier greifen natürlich Ich möchte mich ausdrücklich bei meinen Fraktions- auch die Maßnahmen zum Vollschutz und die Maßnah- kollegen Alois Rainer, Ingo Gädechens, Gero Storjohann men gegen die Erschütterungen, die wir unterstützen. Die und dem Bahnbeauftragten Enak Ferlemann für ihr Enga- Bahn hat dafür plädiert, die Strecke weiterhin ebenerdig gement bedanken – und auch bei meiner Kollegin und zu führen. Die Stadt wollte allerdings von Anfang an meinem Kollegen von der SPD, Frau Lühmann und einen 7 Meter tiefen Trog zwischen der Schwartau auf Matthias Stein. der einen und der Autobahnbrücke auf der anderen Seite. In langer Diskussion entstand die Kompromisslösung, Vielen Dank. den Trog an der tiefsten Stelle mit 3,20 Meter zu führen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Anerkennung dieses langen Diskussionsverfahrens und der vielfältigen Bemühungen stellen wir für diese Lösung die notwendigen 50 Millionen Euro zur Deckung Vizepräsident in Claudia Roth: der Mehrkosten zur Verfügung. Wie heißt der Ort, den wir alle kennen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Michael Donth [CDU/CSU]: Ruppersdorf!) Jetzt sind die Verantwortlichen vor Ort wieder am Zug. – Vielen Dank, Herr Donth. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen wirklich, die Redezeiten einzuhalten. Wir Nach neun Jahren Ringen um gute Lösungen im Dia- haben uns darauf verständigt, möglichst schnell durchzu- logforum und Jahren der Planung, die ein Schienenpro- kommen, weil wir sehr stark in Verzug sind. – Nächster jekt in Deutschland im Moment allein bis zu diesem Redner: Wolfgang Wiehle für die AfD-Fraktion. Punkt hier braucht, können wir nicht verstehen, dass man solche Projekte immer wieder von Neuem auf den (Beifall bei der AfD) Prüfstand stellen will, und deshalb lehnen wir auch den Antrag der Grünen ab; denn so bekommen wir in Wolfgang Wiehle (AfD): Deutschland keine zusätzlichen Züge und keine zusätz- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- lichen Güter auf die Schiene und auch den Deutschland- legen! Per Zug von Hamburg nach Kopenhagen in weni- Takt nicht gebacken. ger als zweieinhalb Stunden, kürzere Wege für Güterzüge von und nach Skandinavien: Das soll die neue Bahnver- (Beifall bei der CDU/CSU) bindung möglich machen, um die es heute geht. Ich erlaube mir, auch die Kollegin Hagedorn, die heute hier sitzt, anzusprechen, weil ich entsetzt war, als ich (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) (B) gestern in der Presse ihre Aussage gelesen habe. Im Mittelpunkt des Projekts steht ein Tunnel durch den (D) Fehmarnbelt von Deutschland nach Dänemark. Es gibt (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Oh!) einen Staatsvertrag über das Projekt, und in Dänemark Wenn der Sprecher des Dialogforums, Herr Dr. Jessen, wird längst an den Zulaufstrecken gebaut. Mit dem Aus- von unserem gemeinsamen Antrag – dem Antrag von bau der Zulaufstrecke zwischen Lübeck und Puttgarden, CDU/CSU und SPD – als „Krönung der gemeinsamen über die wir heute reden, sind wir in Deutschland deutlich Arbeit im Dialogforum“ spricht und diesen Kompromiss später dran als die Dänen. ausdrücklich lobt, dann wäre es doch auch an Ihnen, sich Herrn Dr. Jessen und Ihrer eigenen Fraktion anzuschlie- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Leider!) ßen; Infrastruktur hat ihren Preis – beim Neubau und auch in der Instandhaltung. Dazu eine Bemerkung zu der heute (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) Vormittag doch arg kurz geratenen Debatte über die Kri- denn in vielen konstruktiven Gesprächen haben sich die senpakete: Dass der Bund die Deutsche Bahn AG als Vertreter der Bahn, des Dialogforums, von Land, Kreis staatseigenes Unternehmen bei der Erhaltung der Infra- und Kommunen vor Ort und hier im Bundestag für eine struktur mit Kapitalerhöhungen unterstützt, ist durchaus gute und vertretbare Lösung eingesetzt. Wenn Sie das nachvollziehbar. Dass er aber für coronabedingte Löcher jetzt bei über 50 Millionen Euro für Bad Schwartau als in der Kasse denselben Weg wählt, ist es nicht. „Billigvariante“ abqualifizieren, (Beifall bei der AfD – Armin-Paulus Hampel (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE [AfD]: Richtig!) GRÜNEN]: Ja!) Hier mahnt die AfD eine Lösung an, die der ganzen mit der die Stadt, wie Sie sagen, abgespeist würde, dann Bahnbranche hilft und nicht nur dem Staatskonzern. fehlt mir jedes Verständnis. (Beifall bei der AfD – Armin-Paulus Hampel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – [AfD]: Genau!) Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aber jedes Ver- Hier und jetzt geht es um Infrastruktur, die unzweifel- ständnis!) haft staatliche Aufgabe ist. Durch ein überregional so bedeutendes Projekt wie dieses, das Skandinavien besser Vizepräsident in Claudia Roth: an Deutschland anbindet, entstehen vor Ort Probleme Kommen Sie bitte zum Schluss, sonst muss ich das von zum Beispiel durch Bahnlärm und Eingriffe in die Land- der Redezeit Ihres Kollegen abziehen. schaft. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21311

Wolfgang Wiehle (A) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) Da wünsche ich den Kollegen von der Unionsfraktion (C) Die gesetzlichen Regeln sichern den Anliegern der viel Vergnügen mit dem neuen Koalitionspartner ab Neubauabschnitte mehr Lärmschutz zu als denen, die 2021 – das ist doch die heimliche oder auch unheimliche ein paar Kilometer weiter wohnen – an einem Strecken- Idee vieler, die Herr Merz, immerhin Ihr früherer Frak- abschnitt, den es in der benötigten Form heute schon gibt, tionsvorsitzender, letzte Woche offen ausgesprochen hat. der aber eine wesentlich höhere Verkehrsbelastung be- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig! – Ingo kommt. Gädechens [CDU/CSU]: So, nun kommen wir (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das geht ja gar wieder zum Thema!) nicht!) Vizepräsident in Claudia Roth: Da ist es sinnvoll, dass wir vonseiten des Bundestages mit übergesetzlichen Maßnahmen für ergänzenden Schutz Nein, nicht „zum Thema“, sondern zum Schluss. vor Lärm und Erschütterungen sorgen. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Noch besser (Beifall bei der AfD – Armin-Paulus Hampel für uns!) [AfD]: Sehr gut! – Ingo Gädechens [CDU/ CSU]: Ihr sorgt dafür? Das wusste ich noch Wolfgang Wiehle (AfD): gar nicht!) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Mit einer Auch die verbesserte Trassenführung in Bad Schwartau solchen grünen Politik bringt man unser Land nicht vo- in einer Troglage unterstützt die AfD gerne, ran. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) wobei ein 7 Meter tiefer Trog deutlich hilfreicher wäre als einer mit 3,2 Metern Tiefe. Andere mögen sich damit plagen. Wir von der AfD-Frak- tion lehnen den grünen Antrag auf jeden Fall ab. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen geht einigermaßen in die richtige Richtung. In manchen (Beifall bei der AfD – Dr. Konstantin von Notz Punkten bleibt er aber im Unklaren. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ganz dün- nes Brett!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha!) 100 Millionen Euro sollen für Lärmschutz noch draufge- Vizepräsident in Claudia Roth: (B) sattelt werden, aber man kann aus dem Antrag nicht ge- Danke, Herr Wiehle. – Nächste Rednerin: für die SPD- (D) nau herauslesen, für welche Maßnahmen im Einzelnen. Fraktion Kirsten Lühmann. Ob tatsächlich in jedem einzelnen Fall die Lärmschutz- wand besser ist als Schallschutzfenster, müsste auch (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo gründlicher abgewogen werden. Gädechens [CDU/CSU])

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) Kirsten Lühmann (SPD): Deshalb werden wir von der AfD uns hierzu der Stimme Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! „Meilenstein für enthalten. menschenfreundliches Bauen“ oder „Schlag ins Gesicht der Bevölkerung“ – das sind die Schlagzeilen, die wir Die Kollegen von den Grünen legen uns ein Papier auf heute in der Presse lesen konnten. Und es dürfte Sie nicht den Tisch, verwundern, dass ich eher zu dem „Meilenstein für men- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE schenfreundliches Bauen“ tendiere. Ich werde auch kurz GRÜNEN]: „Papier“? – Dr. Franziska Brantner erklären, warum das so ist. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Ent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schließungsantrag!) des Abg. Mathias Stein [SPD]) aus dem man herauslesen muss: Am liebsten würden sie den Staatsvertrag kippen und das Projekt abblasen. Wir geben mit diesem Antrag 232 Millionen Euro für zusätzlichen Schutz aus – Schutz für die Bevölkerung, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE die bei dem Bauprojekt zusätzlichem Lärm und Erschüt- GRÜNEN]: Allerdings! 4 Milliarden Euro terungen ausgesetzt ist. 232 Millionen Euro – das ist weiß Steuergeld gespart!) Gott kein Schlag ins Gesicht der Bevölkerung, liebe Kol- leginnen und Kollegen. Wenn das aber nicht gelingt, dann müsse das Projekt mit dem maximalen Aufwand drumherum versehen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das ist doch nichts anderes, meine Damen und Herren, der Abg. Sylvia Lehmann [SPD] – Andreas als das übliche Gestänker gegen große Projekte, das wir Scheuer [CDU/CSU]: So ist es!) aus dieser Richtung schon lange kennen! Wir haben gehört, das seien angeblich nur 40 Prozent der (Beifall bei der AfD – Dr. Konstantin von Notz Forderung. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das Dialogfo- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schau rum hat keine Euro-Forderung gestellt, sondern es hat her!) Kernforderungen aufgestellt. 21312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Kirsten Lühmann (A) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE dass er weiter diskutieren will, auch vor Gericht. (C) GRÜNEN]: Na, da reden Sie mal mit den Leu- ten!) Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie sich diese Liste angucken, dann erkennen Sie, dass wir so gut wie Sie haben gesagt, was sie erreichen wollen. Die Bahn hat alle Forderungen erfüllt haben. Ich danke der Bevölke- gesagt, was das kostet, und hat uns gesagt: Überlegt, ob rung, die dies in langen, schwierigen Verhandlungen mit ihr es umsetzen wollt. sehr viel Sachverstand ermöglicht hat, und ich hoffe, dass die Bevölkerung anschließend bei den Baumaßnahmen Jetzt lassen Sie uns mal die Kernforderungen durch- entsprechend geschützt wird. gehen: Herzlichen Dank. Erstens: Gesamtlärmbetrachtung. Wir haben gesagt: Ja, das wollen wir. – Die Berechnungsmodelle liegen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) noch nicht vor. Darum können wir noch nicht exakt sa- gen, wie viel es ist. Vor allen Dingen wissen wir noch nicht, ob wir an der Bahn bauen müssen oder an der Vizepräsident in Claudia Roth: Autobahn. Wenn wir das aber wissen, werden wir das Vielen Dank, Kirsten Lühmann. – Nächster Redner: Geld zur Verfügung stellen. Erfüllt! für die FDP-Fraktion Torsten Herbst. Zweitens: Vollschutz. Wir geben das Geld, um den (Beifall bei der FDP) gesamten verlangten Vollschutz auszuführen. Torsten Herbst (FDP): Drittens: für die Campingplätze und touristischen Ein- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und richtungen erhöhter Lärmschutz. Viele dieser Forderun- Herren! Wir reden nicht allein über ein wichtiges nationa- gen werden schon durch den Vollschutz erfüllt, einige les Verkehrsvorhaben, wir reden nicht allein über ein bleiben noch offen, unter anderem bei drei Campingplät- wichtiges grenzüberschreitendes Projekt, sondern wir re- zen. Für ihre Erfüllung stellen wir zusätzliches Geld zur den über ein echtes europäisches Verkehrsprojekt, weil Verfügung. Forderung fast komplett erfüllt! die Fehmarnbeltquerung inklusive unserer Hinterlandan- Viertens: Lärmminderung und Erschütterungsminde- bindung Dänemark, Skandinavien enger mit Deutschland rung im Bestand, in diesem Fall in Lübeck. Forderung verbindet und am Ende die transeuropäische Achse bis zu 100 Prozent erfüllt! zum Mittelmeer stärkt. Wir als Freie Demokraten befür- worten deshalb dieses Projekt. Fünftens: Umfahrung von Ratekau. Forderung zu 100 Prozent erfüllt! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) der CDU/CSU) (D) Sechstens: Lärmschutz in Sierksdorf. Diese Forderung erfüllen wir zu 100 Prozent. Dort gibt es eine zweite Die Vorteile liegen aus unserer Sicht auf der Hand: Der Forderung: Sie möchten dort die Böschung verändern. Fahrweg verkürzt sich deutlich. Es werden mehr Kapazi- Herr Minister Buchholz, wir haben gesagt: Das ist eine täten auf der Schiene geschaffen. Und wir haben attrak- sinnvolle Forderung. – Allerdings bitten wir da das Land, tive Fahrzeiten, die manchen Flug überflüssig machen. zu überlegen, ob Sie diese Kosten übernehmen können. Das ist ein Gewinn, meine Damen und Herren, für den Ich bitte Sie einfach, dort in Diskussionen einzutreten. Personenverkehr, für den Frachtverkehr, und es ist auch Ich glaube, das ist ein guter Kompromiss. ein Gewinn für die Umwelt. Siebtens: Eisenbahnkreuzungen. Forderung erfüllt! Deshalb, meine Damen und Herren, verstehe ich auch Die Kommunen zahlen aufgrund unserer Gesetzesände- nicht, was die Grünen hier für ein Spiel treiben. Denn in rung nichts mehr. der Theorie sind sie es, die im Verkehrsausschuss immer für die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene plädie- (Marianne Schieder [SPD]: Nur für die ren. schienengleichen Bahnübergänge!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Achtens: Bahnhofsumbau. Auch hier hat das Land GRÜNEN]: Das passiert bei diesem Projekt dankenswerterweise gesagt, dass es einen Großteil der nicht!) Kosten übernimmt. Von den Restkosten übernehmen wir fast alles, nämlich 5 Millionen Euro. Forderung zu Wenn es konkret wird, sind sie dagegen. Es ist wie bei 99 Prozent erfüllt! den Stromtrassen. Das ist doch bigott, meine Damen und Herren. Neuntens: Sundquerung als Tunnel plus zusätzlichen Lärmschutz. Forderung zu 100 Prozent erfüllt! (Beifall bei der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert Ich gebe zu: In Bad Schwartau konnten wir nicht jede überhaupt nicht! Wovon reden Sie?) Forderung erfüllen. Wir haben dort nicht den 7-Meter- Trog. Aber auch der würde nicht alle Schutzfälle lösen. Natürlich gibt es bei so einem Verkehrsvorhaben im- Ich verstehe die Bevölkerung; ich verstehe den Bürger- mer auch Betroffenheiten vor Ort. Deshalb begrüße ich es meister dort, ausdrücklich, dass hier zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung stattgefun- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Tun Sie was! den hat, angestoßen von der damaligen CDU/FDP-Lan- Liefern ist besser!) desregierung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21313

Torsten Herbst (A) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ah!) wo bisher die Fährverbindung mit dem schönen Namen (C) Ich glaube, in den Jahren, in denen da diskutiert wurde, „Vogelfluglinie“ Menschen und Güter ans andere Ufer wurden wirklich alle Argumente gehört und ausführlich bringt, soll in Zukunft in einem gigantischen, 18 Kilome- abgewogen. Heute ist die Zeit für die Entscheidung, mei- ter langen Tunnel durch die Ostsee eine Eisenbahnstrecke ne Damen und Herren, und nicht für weitere Verzöge- und eine vierspurige Autobahn rungen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die ist schon (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael fertig! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin Donth [CDU/CSU]) von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist fertig?) Das ist auch eine Frage unserer eigenen Handlungs- fähigkeit in Deutschland. Und es ist eine Frage unserer von der Urlaubsinsel Fehmarn auf den Belt führen: die Verlässlichkeit im Umgang mit unseren europäischen Feste Fehmarnbeltquerung. Partnern; denn wenn wir den Staatsvertrag mit Däne- Die Pläne dafür sind fast 30 Jahre alt, und sie waren mark, den wir unterzeichnet haben, nicht erfüllen, meine von Anfang an umstritten. Damen und Herren, dann braucht sich unser geschätzter Verkehrsminister Bernd Buchholz bei den dänischen Kol- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE legen im Norden gar nicht mehr sehen lassen. Das wäre GRÜNEN]: So ist das!) peinlich, meine Damen und Herren. Auch deshalb muss dieses Projekt heute grünes Licht bekommen. Die Linke lehnt dieses Verkehrsbeschaffungsprogramm ab. (Beifall bei der FDP) (Beifall des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE Es ist natürlich auch ein Stück weit ein Spiegel unserer LINKE]) eigenen Langsamkeit bei der Infrastrukturplanung: Seit Anfang der 1990er-Jahre wurde darüber diskutiert. Der Das Großprojekt wird voraussichtlich 9,5 Milliarden Eu- Staatsvertrag wurde 2008 unterzeichnet. Die Dänen hat- ro teuer. 6 Milliarden Euro trägt Dänemark, 3,5 Milliarden ten nach sieben Jahren Baurecht, und wir in Deutschland Euro entfallen auf die sogenannte Hinterlandanbindung, warten immer noch auf die Entscheidung des Bundesver- die Deutschland zu schaffen hat. waltungsgerichts und haben kein Baurecht. Ich glaube, das zeigt: Wir sollten uns ein Beispiel an unseren däni- (Martin Reichardt [AfD]: Was anderes als schen Nachbarn nehmen. Mauerbau versteht ihr ja auch nicht!) Was heute auf der Tagesordnung steht, ist der Ausbau (B) (Beifall bei der FDP – Armin-Paulus Hampel (D) [AfD]: Sehr gut!) der Eisenbahnstrecke. Über sie ist in der Region – das haben Sie erzählt – intensiv diskutiert worden, damit der Meine Damen und Herren, eine Industrienation Zugverkehr, vor allem der Güterzugverkehr, den Bewoh- braucht eine andere Einstellung zu Ausbau und Moder- nerinnen und den Besucherinnen nisierung von Verkehrswegen. Ich wünsche mir mehr Fortschrittsbegeisterung. Ich glaube, dass wir heute eine (Martin Reichardt [AfD]: Was ist denn mit den positive Entscheidung treffen. Ich hoffe auf grünes Licht Besuchern und Bewohnern?) vom Bundesverwaltungsgericht. Zeigen wir, dass in den Städten und in den Kurorten nicht zur Last wird. Deutschland seinen Beitrag leistet, damit dieses große Dafür sind besondere übergesetzliche Lärmschutzmaß- europäische Verkehrsvorhaben in die Realität umgesetzt nahmen notwendig und auch vorgesehen. werden kann! Vielen Dank. (Martin Reichardt [AfD]: Eine Mauer, mit Be- tonplatten!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Guter Beitrag!) Die Koalition beantragt hier, einen großen Teil davon zu finanzieren. Das ist schon mal gut. Aber wir werden uns enthalten; denn es reicht nicht. Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Torsten Herbst. – Es ist beim 0:0 geblie- Wir sind der Meinung, dass Bahnstrecken so bürger- ben. Hier sitzt jemand aus Heidenheim. Deswegen habe freundlich wie möglich ausgebaut werden müssen. ich das jetzt gesagt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Thomas Jurk [SPD]) GRÜNEN]: Ach so! Ah!) Und wir wehren uns entschieden gegen die Geldver- Nächste Rednerin: für Die Linke Sabine Leidig. schwendung, die darin besteht, dass neue Autobahnen gebaut werden und dass Bundesstraßen mehrspurig aus- (Beifall bei der LINKEN) geweitet werden. Sabine Leidig (DIE LINKE): (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Furchtbar! – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Martin Reichardt [AfD]: Ganz schlimm! Stra- Liebe Gäste! Wir reden heute über eine Verkehrsverbin- ßen braucht man eigentlich überhaupt nicht dung zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark. Dort, mehr!) 21314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Sabine Leidig (A) Mit diesen Maßnahmen fördern Sie nämlich Lkw- und (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des (C) Autoverkehr. Und mit einer solchen Verkehrspolitik muss BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ endlich Schluss sein. CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Entlang des Eisernen Vorhangs wurde dieses Projekt Martin Reichardt [AfD]: Ja, wenn ihr die Auto- geplant, für lächerliche 10 000 Fahrzeuge am Tag – dafür mobilindustrie kaputtgemacht habt, ist das ja baut man nicht einmal eine Umgehungsstraße. auch nicht mehr notwendig!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wir brauchen auch Sie passt überhaupt nicht zum notwendigen Klimaschutz, keine Umgehungsstraße!) zu dem sich die EU verpflichtet hat. Das wäre auch die Sogar als Innenpolitiker kann man verstehen: Es gibt Grundlage, auf der Sie mit der dänischen Regierung re- keinen verkehrlichen Nutzen, eine verkehrliche Realität den müssten. Ersparen Sie uns alle weiteren vielspurigen ist nicht gegeben. Autobahnen! Ein Eisenbahntunnel wie zwischen Calais und Dover wäre eine gute Alternative für gute Nachbar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaft. Es findet auch keine Verlagerung von Verkehr auf die (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Fahrradtunnel!) Schiene statt – das können Sie hundertmal behaupten –, sondern eine Verlagerung von der Schiene auf die Schie- Vielen Dank. ne, (Beifall bei der LINKEN) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Raffiniert!) eine Verlagerung Richtung Osten. Gleichzeitig wird eine Vizepräsidentin Claudia Roth: seit Jahren bewährte Fährverbindung mit vielen guten Vielen Dank, Sabine Leidig. – Sitzen auch Bremer Ab- Arbeitsplätzen gefährdet. Das Motto „from road to sea“ geordnete hier im Raum? wird ad absurdum geführt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Oi!) Ich habe gerade böse Blicke kassiert, wobei die Bremer Der „Spiegel“ hat bereits vor zehn Jahren – vor zehn eher traurig gucken müssten. Jahren! – vor dem Milliardengrab am Fehmarnbelt ge- Nächster Redner: Dr. Konstantin von Notz für Bünd- warnt. Rechnungshof und Rechnungsprüfungsaus- nis 90/Die Grünen. schuss – für die Freaks, die das Steuergeld beschützen (B) wollen – (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): sprechen genauso lange von nicht absehbaren Risiken für Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die öffentlichen Haushalte. Die Feste Fehmarnbeltquerung steht sinnbildlich für eine Die ökologischen Risiken, meine Damen und Herren, völlig verkorkste Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte, sind mindestens so groß wie die ökonomischen: Die Que- und das ist vor allen Dingen eine Verkehrspolitik der rung liegt in einem hochsensiblen, mehrfach geschützten Großen Koalition. EU-Flora-Fauna-Habitat, dem einzigen deutschen (Martin Reichardt [AfD]: Und der Adel ist Schweinswalaufzuchtgebiet. auch schuld!) (Martin Reichardt [AfD]: Da geht mal wieder Der Staatsvertrag stammt aus dem Jahr 2008. Schon die Welt unter!) damals lagen alle massiven Probleme dieses Projekts of- Jetzt kommen auch noch die Riffe hinzu, Herr Abgeord- fen auf dem Tisch. Dennoch weigert sich die Bundesre- neter Scheuer. gierung bis heute, all die offenen Fragen ernsthaft zu be- antworten. (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Scheuer [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt für den Stattdessen schwadroniert man – auch hier heute – in Schienenverkehr oder nicht?) blumigster Beratersprache vom „Jahrhundertprojekt“, Gegen den Planfeststellungsbeschluss gibt es 13 000 Ein- von einer „neuen europäischen Verkehrs-Aorta“. All das wände von deutscher Seite. ist Quatsch, und Sie wissen es. Ein echter verkehrlicher Nutzen war nie gegeben. Sie verbuddeln 4 Milliarden (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Scheinheilig!) Euro – 4 Milliarden Euro! – für die Anbindung eines Vor dem Bundesverwaltungsgericht werden demnächst Tunnels, eine Planung aus dem Kalten Krieg, von vor acht Klagen verhandelt, und die haben gute Aussicht über 30 Jahren. auf Erfolg. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ah!) (Martin Reichardt [AfD]: Vorfeldorganisation – Ja, Kalter Krieg; da schlägt das Herz höher, ja? und Hilfsverein!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21315

Dr. Konstantin von Notz (A) Dieses 4-Milliarden-Euro-Projekt – das gehört zur parla- (Zuruf: Das Niveau sinkt! – Heiterkeit) (C) mentarischen Wahrheit dazu – war Ihnen noch nicht mal Und wenn die Redezeit noch nicht laufen würde, wäre es eine Anhörung wert. Das ist parlamentarisch unter aller noch besser. Kanone, meine Damen und Herren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das, was der Kollege von Notz eben hier abgefeuert sowie bei Abgeordneten der LINKEN) hat, war eigentlich die Debatte: Feste Fehmarnbeltque- Zum Schluss: Sie haben jahrelang mit Tausenden von rung, ja oder nein? Diese Debatte führen wir aber zu Freiwilligenstunden Ehrenamtliche im Dialogforum ein- diesem Tagesordnungspunkt gar nicht, sondern wir reden gespannt. Ihre eigene Staatssekretärin sagt: Billigvarian- darüber, wie wir beim Bau der Schienenhinterlandanbin- te, riesige Enttäuschung für Ostholstein. dung die Menschen vor Lärm und Erschütterungen schüt- zen können. (Kirsten Lühmann [SPD]: Es ist fast alles er- füllt! Was ist daran billig?) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich sage Ihnen etwas – vielleicht weiß man das in Reut- NEN]: Das brauchen sie ja gerade nicht!) lingen nicht –: Schleswig-Holstein hört nicht hinter Lü- Der heute vorliegende Antrag ist große klasse. Otto beck auf, Fricke hat heute Morgen, als es um den Nachtragshaus- halt ging, die Bundesratsbank als Geisterbank tituliert. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Da es um schleswig-holsteinische Themen geht, freue der Zug fährt dann auch nicht in den Himmel oder so, ich mich, dass nicht nur der Landesverkehrsminister sondern dahinter kommen Kreise: Herzogtum Lauen- Buchholz anwesend ist, sondern auch Staatssekretärin burg, Stormarn, der Hamburger Rand. Da fahren diesel- Gerken. ben 830 Meter langen Güterzüge laut durch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Deshalb ist da der FDP) auch schon neuer Lärmschutz installiert!) Das ist Ausdruck dessen, dass das ein wichtiges Thema – Es ist nicht Ihr Wahlkreis, Herr Gädechens, ich weiß. – ist. Es geht um 232 Millionen Euro, die hier gemeinsam Und wie viele Euro wurden investiert? Null Euro. von den Koalitionären für übergesetzlichen Lärmschutz beantragt werden; es wurde von den Vorrednern bereits (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein, von Ham- gesagt. Wir haben die gesetzlichen Standards in den letz- burg bis Lübeck ist der neue Lärmschutz instal- ten Jahren erheblich erhöht, um die Menschen vor Bahn- liert!) (B) lärm zu schützen. Jetzt packen wir hier übergesetzlich (D) Erklären Sie das einmal den Menschen! noch etwas drauf. Das kann nicht die Regierung emp- fehlen, das kann nur der Bundestag entscheiden, das müs- Vizepräsidentin Claudia Roth: sen wir entscheiden. Kommen Sie bitte zum Schluss. Für mich als Wahlkreisabgeordneter, der auf der Insel Fehmarn lebt, ist die Entscheidung eine gute Entschei- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dung. Ich möchte mich bei einigen Akteuren namentlich NEN): bedanken: Stellvertretend möchte ich den Sprecher des Das wird nicht funktionieren. Dialogforums Christoph Jessen sowie den Sprecher des Projektbeirates, Bürgermeister Thomas Keller, nennen, Ganz herzlichen Dank. die der Debatte beiwohnen und heute die Früchte ihrer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN harten Arbeit in den Gremien einfahren. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Der Dank gilt natürlich auch dem Fachausschuss. Danke schön, Konstantin von Notz. – Herr Scheuer, wir hatten vor ein paar Stunden besprochen: keine Zwi- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das ist nett!) schenfragen und keine Kurzinterventionen. Ich bedanke mich bei Michael Donth – er hat bereits die (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ich mache es wesentlichen Punkte genannt; daher bleibt es mir erspart, mit Zwischenrufen!) diese Punkte zu wiederholen –, ich bedanke mich bei unserem verkehrspolitischen Sprecher Alois Rainer, aber – Sie haben es mit Zwischenrufen gelöst, genau. auch bei den SPD-Kollegen. Kirsten Lühmann hat auch Nächster Redner: Ingo Gädechens für die CDU/CSU- eben die wesentlichen Punkte genannt. Ihnen danke ich Fraktion. besonders, dass Sie sich bei der besonderen Thematik, nämlich einer möglichen Troglösung in der Stadt Bad (Beifall bei der CDU/CSU) Schwartau, persönlich sehr kundig gemacht haben, auch vor Ort waren. Es wird die Schwartauer nicht freuen, dass Ingo Gädechens (CDU/CSU): Sie zu diesem Ergebnis gekommen sind, Frau Präsidentin, wenn das Pult noch ein bisschen run- tergehen würde, wäre es gut. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Warum?) 21316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Ingo Gädechens (A) aber zu irgendeinem Ergebnis müssen wir kommen. Mathias Stein (SPD): (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ach? Na also!) Kollegen! Was wir heute hier beschließen, ist die Krö- Ich hätte mir vielleicht auch lieber die Sieben-Meter- nung der Arbeit des Dialogforums. Das sage nicht ich, Troglösung gewünscht. Aber die jetzige Lösung geht im- das sagt der Sprecher des Dialogforums, Herr mer noch über das gesetzliche Maß hinaus und wird die Dr. Christoph Jessen. Ich finde, er hat recht. Menschen schützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nee, nee!) CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der De- Wir beschließen, fast eine Viertelmilliarde Euro für über- batte sind alle Punkte genannt worden. Es ist hier abge- gesetzliche Schutzmaßnahmen von Lübeck bis Osthol- hakt worden – auch von der Kollegin Lühmann –, was stein zur Verfügung zu stellen. Das ist keine Selbstver- alles von den Kernforderungen, die aus dem Projektbeirat ständlichkeit; denn dafür gibt es keinen rechtlichen genannt wurden, erfüllt worden ist. Das will ich jetzt Anspruch. Aber es ist immens wichtig für die Akzeptanz nicht noch einmal wiederholen. vor Ort. Als Parlamentarierinnen und Parlamentarier wis- sen wir, dass neue Bahnstrecken gerade für Menschen in Mit dieser Lösung bleiben das Land und die Kommu- der Nähe der Trasse mehr Lärm, mehr Erschütterungen nen von den Kosten für den übergesetzlichen Lärmschutz und auch heftige Eingriffe in die Natur bedeuten. Genau verschont. Gerade deshalb würde ich mich freuen, wenn da setzen die 230 Millionen Euro an. das Land Schleswig-Holstein eigene Mittel zur Verfü- gung stellen würde – über die bereits zugesagten Gelder Das Geld ist das eine. Die eigentliche Arbeit – das für Eisenbahnkreuzungen und Bahnhofsvorplätze hi- Ringen um die besten Maßnahmen, den besten Weg – naus –, die helfen könnten, weil wir in Sierksdorf eine ist vor Ort, im Dialogforum geleistet worden. Im Ergeb- Forderung auch nicht erfüllen können. Wenn das Land nis standen beim Dialogforum fünf Kernforderungen an hier einspringt, wäre das wirklich sehr, sehr gut. Bund und Land. Für die konstruktive, kompetente Arbeit im Dialogforum bedanke ich mich bei allen Beteiligten; (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des das ist ein Musterbeispiel für gute Beteiligung. Abg. Michael Donth [CDU/CSU]) Ich habe natürlich auch die stille Hoffnung, dass das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Land an anderer Stelle vielleicht noch einspringt. Norma- Dank allein hilft allerdings nicht weiter. Deshalb habe lerweise ist es ja so, dass die Forderungen der Länder an ich gemeinsam mit unserer verkehrspolitischen Spreche- (B) den Bund dann doch erheblich sind. So wurden sie ja rin Kirsten Lühmann seit fast einem Jahr Gespräche mit (D) auch in der Zeitung zitiert: sie hätten sich da schon etwas Vertreterinnen und Vertretern des Dialogforums, der mehr gewünscht. Deutschen Bahn und auch der Stadt Bad Schwartau ge- führt, um die Forderungen detailliert bewerten zu kön- (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) nen. Für uns als SPD war sehr schnell klar, dass wir Ich denke, fast eine Viertelmilliarde, das ist ein erhebli- den größten Teil der Forderungen unterstützen. Ich freue cher Schluck aus der Pulle, insbesondere wenn man sa- mich ausdrücklich, dass die Kollegen von der Union seit gen muss – da bitte ich Sie, die Diskussion von heute Juni an unserer Seite sind und diese Forderungen unter- Morgen um 9 Uhr zu rekapitulieren, als wir über den stützt haben. Nachtragshaushalt diskutiert haben –: Die schönen Zeiten mit einer schwarzen Null und sprudelnden Steuereinnah- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, ich schon men sind leider vorbei. Vor diesem Hintergrund ist es ein seit 2009! – Heiterkeit bei Abgeordneten der riesiger Erfolg, dass es uns heute gelingt, fast eine Vier- CDU/CSU) telmilliarde für übergesetzlichen Lärmschutz nach Ost- Mit unserem Koalitionsantrag erfüllen wir die Kern- holstein zu bringen; ich bewerte das jedenfalls so. forderungen des Dialogforums nahezu vollständig. Wir Ich hoffe, dass die Maßnahmen jetzt auch schnell reali- geben mehr als 160 Millionen Euro für Maßnahmen zum Schutz vor Lärm und Erschütterungen an der Trasse siert werden. Von dem Disput, der Beurteilung von Frau aus. Lübeck und Ostholstein werden bei der Gesamtlärm- Hagedorn – Schlag ins Gesicht – haben wir gehört. Ich empfinde das nicht so. Ich danke für die konzentrierte betrachtung berücksichtigt. Das Bundesverkehrsministe- Arbeit und für diesen Entwurf. Wir werden jedenfalls rium – insofern freue ich mich, dass Herr Scheuer anwe- send ist – zustimmen. Vielen Dank. (Beifall des Abg. Gero Storjohann [CDU/ CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. muss noch ordentlich Gas geben in der Frage der Gesamt- Kirsten Lühmann [SPD]) lärmbetrachtung.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Ingo Gädechens. – Der letzte Redner in GRÜNEN]: Überall muss der noch ordentlich dieser Debatte ist für die SPD-Fraktion Mathias Stein. Gas geben! – Dr. Konstantin von Notz [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei allen Fragen! – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21317

Mathias Stein (A) Da müssen Sie noch kräftig Gas geben. Das steht im (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Überall das- (C) Koalitionsvertrag, das muss noch umgesetzt werden. selbe!) Wenn Sie das genauso schnell umsetzen wie die Pkw- Wir stimmen weiter ab. Wir kommen zur Abstimmung Maut, dann ist mir da nicht bange. über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marianne Die Grünen auf Drucksache 19/20672. Wer stimmt für Schieder [SPD]: Aber hoffentlich erfolgrei- diesen Entschließungsantrag? cher! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Formfehler!) GRÜNEN]: Das ist ein super Ding! Wo ist Scheuer jetzt? – Gegenruf des Abg. Oliver In Ratekau verhindern wir, dass die Siedlungen zwi- Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im- schen Autobahn und Bahntrassen eingekesselt werden. In mer abwesend! – Weiterer Zuruf: Er ist schon Sierksdorf gibt es den geforderten Trog. Auch in Bad bei den Abgeordneten!- Heiterkeit) Schwartau hätten wir gerne eine akzeptable Lösung ge- funden. Trotz vieler Gespräche, Vermittlungsversuche, Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- Alternativvorschläge ist das leider nicht gelungen. Die schließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die von der Stadt Bad Schwartau geforderten Maßnahmen Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken, hätten so große Kosten verursacht, dass für alle anderen dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/ Maßnahmen kein Geld mehr zur Verfügung gestanden CSU, FDP und AfD. hätte. Zudem wäre wahrscheinlich die Strecke zwischen Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe: Lübeck und Kiel für längere Zeit gesperrt gewesen. Bei- Grüße nach Fehmarn. Ich sage nur Jimi Hendrix. des war für uns an dieser Stelle leider nicht akzeptabel. Dennoch stellen wir 50 Millionen Euro für eine Lösung in (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Bad Schwartau bereit. GRÜNEN], an den Abg. Ingo Gädechens Wir finden: Der Antrag, den wir hier vorgestellt ha- [CDU/CSU] gewandt: Wie heißt das Dorf? – ben, ist eine sehr gute Lösung für die gesamte Region Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Kopendorf! – Lübeck und Ostholstein. Ohne die großartige Arbeit des Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Dialogforums wäre das nicht möglich gewesen. Ich dan- GRÜNEN]: Genau, Kopendorf!) ke und wünsche viel Kraft für die Zukunft – auch des Jimi Hendrix war auf Fehmarn. Dialogforums – bei der Umsetzung der weiteren Maß- nahmen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja, wunderbar!) (B) Vielen Dank. Das hat auch etwas mit meiner Biografie zu tun. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sein letzter der CDU/CSU) Auftritt!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: – Ich weiß, Love-and-Peace-Festival. Es gibt einen Ge- denkstein, stimmt’s? – Ja, stimmt. Vielen Dank, Mathias Stein. – Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a, 20 c und 20 d Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- sowie Zusatzpunkt 23 auf: ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Bericht der 20 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bundesregierung über das Ergebnis der Vorplanung und Margit Stumpp, Dr. Anna Christmann, Kai der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung zur Ausbaustrecke/ Gehring, weiterer Abgeordneter und der Neubaustrecke Hamburg–Lübeck–Puttgarden. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hierzu liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Lernen aus der Krise – Ein Update für die Schulen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/20624, in Kenntnis der Unter- Drucksache 19/20385 richtung auf Drucksache 19/19500 eine Entschließung Überweisungsvorschlag: anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? zung (f) Ausschuss Digitale Agenda (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Die Grünen Haushaltsausschuss machen Politik in Deutschland: Enthaltungen, c) Beratung des Antrags der Abgeordneten wunderbar!) Nicole Höchst, Marc Bernhard, Matthias Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Für die Be- Büttner, weiterer Abgeordneter und der Frak- schlussempfehlung haben gestimmt die Fraktionen von tion der AfD SPD und CDU/CSU und FDP, dagegengestimmt hat kei- ne Fraktion, enthalten haben sich die Fraktionen der Lin- Qualitätspakt Schule – Humane und hu- ken, der AfD und von Bündnis 90/Die Grünen. manistische Bildung durch Schüler-Leh- rer-Kontakt gewährleisten

1) Anlage 9 Drucksache 19/20568 21318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Überweisungsvorschlag: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung Fragt sich, welche Schule. Wenn wir in unsere Schulen schauen, sehen viele noch aus wie vor hundert Jahren: d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Bänke, Stühle, Lehrerpult, Tafel. Außer den Farben des Berichts des Ausschusses für Bildung, For- Mobiliars hat sich leider nicht viel geändert, sogar die schung und Technikfolgenabschätzung Sitzordnung ist noch gleich – eine optische Bestätigung, (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- dass sich auch die Lernformen kaum geändert haben. ordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Katja Kurz: Mit alten Methoden und Strukturen sollen Schüle- Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Ne- rinnen und Schüler auf eine Gesellschaft vorbereitet wer- ckar), weiterer Abgeordneter und der Frak- den, die sich dramatisch weiterentwickelt hat. Das kann tion der FDP so nicht funktionieren. Verlorenes Schuljahr vermeiden – Schnellstmöglich Online-Lernen deutsch- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) landweit aufbauen Natürlich trifft die Analyse nicht auf alle Schulen zu, und natürlich ist Schule ein bisschen demokratischer ge- Drucksachen 19/18221, 19/20501 worden. Diverser sind trotz unseres selektiven Schulsys- ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. h. c. tems auch Schülerinnen und Schüler. Thomas Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeord- (Martin Reichardt [AfD]: Kommt da noch ir- neter und der Fraktion der FDP gendwas mit Substanz oder kommen nur Sprechblasen?) Lehren aus der Corona-Krise – Impulse für Bei den Lehrkräften sieht es leider ganz anders aus. Di- die Schule der Zukunft gital aufgestellt sind nur wenige, obwohl Konrad Zuse Drucksache 19/20554 seinen Z1 schon vor achtzig Jahren vorgestellt hat. Die Erkenntnis ist, nicht erst seit der Krise: Die Schule Überweisungsvorschlag: braucht dringend ein Update. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Dazu legen wir heute unseren Antrag vor. Die Vor- schläge sind nur ein erster Schritt, aber ein wesentlicher. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Unsere Leitlinien sind Teilhabe und Chancengerechtig- schlossen. keit. Uns ist wichtig, dass das Schulsystem für jedes Kind (B) Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie gleiche Chancen auf beste Bildung gewährleistet. (D) jetzt Platz oder verlassen Sie den Raum, dass wir zügig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitermachen können. sowie des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger Erste Rednerin in dieser Debatte: Margit Stumpp für [FDP]) Bündnis 90/Die Grünen. Digitalisierung darf hier die Schere nicht weiter öffnen, sie muss dazu beitragen, sie zu schließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Technik folgt Pädagogik. Alle Schulen brauchen eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- digitale Basis, möglichst schnell und ohne bürokratische nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Hürden; darüber haben wir heute schon gesprochen. „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen Schulen und Schulträger brauchen Orientierung. Dazu wir“, diese geradezu vernichtende Kritik – sie bezog sich kann eine Bundeszentrale für digitale und Medienbildung auf die Philosophieschule – stammt von Seneca, ist beitragen. Schulen dürfen nicht von großen Techkonzer- 2000 Jahre alt. Das mag manche von Ihnen erstaunen, nen abhängig werden, die scheinbar einfache Lösungen klingt diese Kritik doch erschreckend aktuell. bieten, aber dafür Daten abziehen und Abhängigkeiten Klar ist: Die Zielsetzung von Schule muss eine andere schaffen. sein: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, müssen wir uns fragen: (Dr. Götz Frömming [AfD]: Wie verhindern Für welches Leben, für welche Gesellschaft sollen junge Sie das?) Menschen lernen? Lehrkräfte brauchen Entlastung durch multiprofessionel- le Teams, auch in Form von dauerhafter technischer Un- Seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch terstützung. Die SPD hat das inzwischen anscheinend die Weimarer Verfassung vor nun über hundert Jahren verstanden – für Einsicht beim Koalitionspartner, was hat sich unsere Gesellschaft zum Glück sehr verändert: dauerhafte Finanzierung und konsequentes Regierungs- Sie ist unter anderem demokratischer, diverser und digi- handeln betrifft, reicht es wohl leider noch nicht. taler geworden. Das sind Prozesse, die parallel ablaufen und sich manchmal auch gegenseitig beschleunigen. Das Ein qualitativ hochwertiges Ganztagsangebot ist ein heißt, unsere Lebensverhältnisse und unsere Gesellschaft weiterer Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit. Dabei verändern sich ständig und immer schneller. Darauf muss muss Inklusion natürlich immer mitgedacht werden. Schule vorbereiten. Wichtig ist uns auch ein Schwerpunkt mit einem Aufhol- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21319

Margit Stumpp (A) programm für Schulen in benachteiligten Quartieren, da- denlanges Sitzen vor eckigen Bildschirmen den Präsenz- (C) mit die Schulen Defizite nicht manifestieren, sondern unterricht und den Kontakt mit dem Lehrer annähernd ausgleichen. ersetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der AfD – Dr. Birke Bull-Bischoff sowie der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE [DIE LINKE]: Ist doch nicht nur schlecht, di- LINKE]) gitales Lernen, Mensch!) Last, but not least beschreiben wir Maßnahmen, die ge- Das hat verheerende Auswirkungen auf die Zukunftsfä- eignet sind, die durch die Krise entstandenen zusätzlichen higkeit unserer Gesellschaft. Die Lehre aus der Krise Nachteile möglichst zeitnah auszuarbeiten. muss deshalb sein, unser Schulsystem auf den zukünfti- gen Alltag und Epidemiesituationen gleichermaßen vor- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mängel in zubereiten, und zwar so, dass ein Präsenzunterricht unter unserem Schulsystem sind offensichtlich, und sie sind Beachtung aller gebotenen Schutzmaßnahmen möglich nicht neu. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehr- ist. kräfte erwarten zu Recht, dass Politik diese Mängel end- lich behebt, und es ist ihnen egal, welche Ebene zuständig Die Grünen nutzen die Krise, um weiterhin die ideo- ist. logische Axt an unser Schulsystem zu legen. Ich bin Ingenieurin und Pädagogin. Beide Professio- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen sind durch die Gewissheit geprägt: Aufgaben löst man nicht durch Verbote, sondern durch Kreativität und Ihre Forderungen nach einem Ganztagsschulsystem ab Kooperation. der Grundschule und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Sozial-, Medien- und Theaterpädagogen lehnt die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) AfD-Fraktion selbstverständlich ab. (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Dr. Birke Vizepräsidentin Claudia Roth: Bull-Bischoff [DIE LINKE]) Kommen Sie bitte zum Schluss. Das beschleunigt nur das absehbare Waterloo der deut- Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen Bildungsnation. Wenn unsere Bildungsstrukturen dies verhindern, dann Der FDP-Antrag offenbart ein verqueres Bild der Le- müssen wir das ändern, damit der Schule das gelingt, was bensrealität vieler Schüler unseres Landes. Die FDP ich mir – die Werder-Fans sehen es mir nach – auch für kennt für alle Herausforderungen der Gegenwart nur eine (B) den FC Heidenheim wünsche: den Aufstieg in die erste Lösung: maximale Digitalisierung. Diese ist aber – letzt- (D) Liga. endlich – gefühllos, kalt und eine Vorbereitung auf George Orwells „1984“. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD – Stephan Albani [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – CSU]: Das ist doch Quatsch!) Martin Reichardt [AfD]: In der Schule wären alle eingeschlafen! Meine Güte!) Wohin führt seelen- und gottlose Digitalisierung ohne Maß und Verstand? Vizepräsidentin Claudia Roth: (Zuruf der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE Vielen Dank, Margit Stumpp. – Ronja Kemmer für die LINKE]) CDU/CSU-Fraktion gibt ihre Rede zu Protokoll.1) Des- wegen ist die nächste Rednerin Nicole Höchst für die Zum beziehungsuntauglichen Schüler mit möglichst AfD-Fraktion. ideologisch verpixelter Weltsicht. (Beifall bei der AfD) (Lachen der Abg. Margit Stumpp [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Nicole Höchst (AfD): und digitaler Demenz. Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die Coronamaß- nahmenkrise hat auch etwas Gutes: Sie offenbarte einmal (Lachen der Abg. Ulle Schauws [BÜND- mehr die Grenzen der viel gepriesenen Digitalisierung NIS 90/DIE GRÜNEN]) des Bildungswesens. Die schulschließungsbedingte Pha- Wir stehen bereits vor den Trümmern unserer Bildungs- se des Onlinelernens lässt eine ganze Generation von landschaft. Die größten Verlierer sind unsere unschuldi- Schülern dem Lernstoff noch mehr hinterherhinken, als gen Kinder. es ohnehin schon der Fall war. Auch der DigitalPakt Schule konnte hieran rein gar nichts ändern. „Das Deut- (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ sche Schulbarometer Spezial Corona-Krise“ kommt zu DIE GRÜNEN]) dem Ergebnis, dass flächendeckender digitaler Ersatzun- Nur die Alternative für Deutschland fordert, was un- terricht die Bildungschancengleichheit, gelinde gesagt, sere Schulen wirklich brauchen: mehr Lehrkräfte, kleine- killt. Offensichtlich kann weder Onlinelernen noch stun- re Klassen, eine bessere digitale und technische Infra- struktur, geschulter pädagogischer Umgang mit 1) Anlage 10 Digitalität und die Finanzierung von Hygienemaßnah- 21320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Nicole Höchst (A) men – um nur einige der 13 Forderungen aus unserem schon in meinem Antrag im März geschrieben sowie im (C) Antrag zu nennen. Unser pragmatischer Antrag mit Bil- Thesenpapier „Lehren aus der Corona-Krise“. So viel dungsbodenhaftung hilft, unser Schulsystem pandemie- Übereinstimmung heute, liebe Grüne, das rührt mein krisensicher zu machen und dabei Bildungsgerechtigkeit Herz. wiederherzustellen. (Beifall bei der FDP) (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Nichts von Bedeutung!) Laut Schulbarometer haben nur 36 Prozent der Lehr- kräfte ihre Schüler über Onlineplattformen erreicht. In Lehrkräfte, die an allen, vordersten Fronten unserer Zu- der Schweiz und in Österreich – da gibt es noch mehr kunftsgesellschaft kämpfen, werden wesentlich entlastet. Verschwörungstheoretiker, die einen auf Orwell machen – Meine Damen und Herren, Kinder sind unser höchstes haben dagegen fast doppelt so viele Lehrkräfte ihre Schü- Gut und die Zukunft unserer Gesellschaft. Ihre Gesund- ler erreicht: 60 bzw. 65 Prozent. Dass Deutschland bei heit, ihr Schutz und ihre Bildung haben allerhöchste Prio- diesem Thema in der Krise versagt, darunter leiden ins- rität. Die Menschen von heute wie morgen werden durch besondere die finanziell Schwachen und die ohnehin Bildung in die Lage versetzt, als mündige Bürger eigen- schon Bildungsferneren. ständig und eigenverantwortlich in den Kommunika- (Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) tionswelten zu handeln. Sie sollen durch humane und humanistische Bildung immun gemacht werden gegen Angela Merkel hat 2008 die „Bildungsrepublik Ideologisierung, Fanatismus, virtuell bedingte Abhängig- Deutschland“ ausgerufen. Heute haben wir keine Bil- keiten sowie Vereinsamung und Entmenschlichung. dungsrepublik Deutschland, sondern in Teilen eine Bil- dungsarmutsrepublik, und das ist beschämend. (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und gegen Rechtsext- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ remismus!) DIE GRÜNEN – Marianne Schieder [SPD]: Na ja! Also, man kann schon übertreiben!) Bildung ist für die AfD mehr als ein antrainierter, refle- xartiger kulturmarxistischer Kompetenzoutput. Genauso beschämend war der schwarz-rote Auftritt heute Nachmittag beim DigitalPakt Schule, der war so desast- (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem rös, dass sich heute kaum noch einer hierher traut, um BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von eine zweite Rede zu halten. der LINKEN: Noch irgendwas?) Union und SPD spielen ein billiges Schwarzer-Peter- Wir wollen Menschen bleiben mit all unserer Urteilskraft (B) Spiel, sie schieben alles auf die Länder und tragen keine (D) und unserem Tatendrang, mit Würde und unserem freien Sorge für ein einigermaßen solides nächstes Schuljahr. Willen – in Einigkeit und Recht und Freiheit. Meine Damen und Herren, Schulpflicht hat zwei Seiten: Guten Abend. Kinder müssen zur Schule gehen, und der Staat hat die verdammte Pflicht, ihnen Unterricht zu bieten, (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- ten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ui, ui, ui!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und zwar analog wie digital, Präsenzunterricht wie Dis- Vizepräsidentin Claudia Roth: tanzunterricht. Die Koalitionsfraktionen, die Bildungsmi- Danke schön, Frau Höchst. – Die nächste Kollegin, nisterin, sie üben sich im Beamtenmikado und haben Marja-Liisa Völlers von der SPD-Fraktion, gibt ihre Re- dabei leider auch noch eine richtige Glückssträhne. de zu Protokoll1); vielen Dank. – Thomas Sattelberger für die FDP redet live. (Heiterkeit bei der FDP) Bund und Länder haben immer noch keine Positivliste (Beifall bei der FDP) seriöser Onlineanbieter erstellt. Das wäre der einzig kri- senfeste Weg für stabilen Unterricht nach den Sommer- Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): ferien. Corona schüttelt unsere Schulen durch, und Union Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser und SPD benehmen sich wie Schönwetterkapitäne. Schulsystem entspricht in Normalzeiten oft dem eines Schwellenlandes – wenn man die Analphabetenquote be- Was wir jetzt brauchen: trachtet. In Zeiten von Corona entspricht es dem frühen Mittelalter, Erstens: Fortbildungspflicht für Lehrkräfte. Sie steht in jedem Schulgesetz, aber niemand setzt sie bei digitaler (Marianne Schieder [SPD]: Na ja!) Bildung durch. insbesondere deswegen, weil Deutschland bei digitaler Zweitens: Schulen rasch eine rechtssichere Auswahl Bildung himmelweit zurückliegt. bei digitalen Lernplattformen, bei Tools und bei Content Was die Grünen heute vorlegen, habe ich in weiten ermöglichen. Teilen mit Fieberthermometer im Coronakrankenbett Drittens: alles gegen die digitale Spaltung tun, Mittel- abruf entbürokratisieren, Onlinelernen für alle sicherstel- 1) Anlage 10 len, Digitalpakt 2.0. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21321

Dr. h. c. Thomas Sattelberger (A) Viertens: all den Lehrerinnen und Lehrern, Schülerin- haben nicht das Geld für einen Laptop, für einen Drucker, (C) nen und Schülern, die jetzt den Schub der Digitalisierung für notwendiges Verbrauchsmaterial. Öffnen Sie das Bil- nutzen wollen, auch die Freiheit dazu geben. dungs- und Teilhabepaket! Das wäre unter den jetzigen Bedingungen eine schnelle und pragmatische Lösung. Meine Damen und Herren, dieses Land braucht keine Mit Ihrem 500-Millionen-Euro-Sofortprogramm sind Paukanstalten, sondern soziale Talentbiotope – in Prä- Sie in der Tat im Schneckentempo unterwegs. senz wie in Distanz. (Marianne Schieder [SPD]: Das stimmt nicht! Recht herzlichen Dank. Wir haben die Schulen schon ausgestattet!) (Beifall bei der FDP) Auf diese Art und Weise werden die Krise und deren Folgen auf dem Rücken armer Kinder ausgetragen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vielen Dank, Thomas Sattelberger. – Die nächste Red- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Birke Bull-Bischoff. Zweiter Punkt. Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter- (Beifall bei der LINKEN) innen dürfen keine Mangelware bleiben. Wir haben hier- zu Forderungen und Vorschläge aufgeschrieben. Sie sind Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): diskutiert, aber leider abgelehnt worden. Wir sammeln Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Bil- gerade in Sachsen-Anhalt Unterschriften für ein Volksbe- dungssystem ist in der Tat in keinem guten Zustand – gehren, und es gibt kaum etwas, was so anschlussfähig an Margit Stumpp hat einiges davon illustriert –, und hier die Erfahrungen von Eltern und Großeltern ist wie der ist zuallererst in der Tat Politik gefragt. Und Lehrerschel- Mangel an Lehrern, meine Damen und Herren. te – das muss man auch mal ganz klar sagen – brauchen wir hier nicht. (Marianne Schieder [SPD]: Und Lehrerinnen!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dritter Punkt. Wir brauchen mehr Geld für moderne neten der SPD) und inklusive Schulen. Manche Schulen haben in der Tat immer noch den Charme von längst vergangenen Stattdessen muss man Dank und Ermutigung an die Kol- Zeiten: Kinder sitzen in der Busformation. Das ist ein leginnen und Kollegen übermitteln, die sich unter Anhaltspunkt dafür, dass sich Lernen zu Frontalunterricht schwierigen Bedingungen aufgemacht haben und das zurückentwickelt. Hygiene klappt nicht, wenn die Schul- Beste daraus gemacht haben. klos nicht funktionieren. Und die KfW, die Kreditanstalt (B) Ich denke, mindestens drei Punkte sind nötig, um zu für Wiederaufbau, attestiert uns Jahr für Jahr einen Inves- (D) zeigen: Wir haben aus der Krise gelernt. titionsstau zwischen 40 und 50 Milliarden Euro. Erster Punkt. In der Tat: In Sachen „Digitales Lernen“ (Nicole Höchst [AfD]: Dann stimmen Sie doch müssen wir endlich raus aus dem Steinzeitalter. Wir brau- für unseren Antrag!) chen hier Licht am Ende des Tunnels. In Sachsen-Anhalt Das ist die falsche Prioritätensetzung, meine Damen und sind es 45 Prozent der Haushalte, die keinen oder nur Herren. Wir brauchen die richtige, und das ist eine Offen- schlechten Internetzugang haben. Die Ausstattung mit sive in Bildung. sogenannten mobilen Endgeräten ist in Deutschland ge- nerell unterdurchschnittlich. Das muss sich ändern, und (Nicole Höchst [AfD]: Vielen Dank für das zwar schnell, meine Damen und Herren. Lob!) Dann klappt es nämlich auch mit der Bildungsrepublik (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Deutschland. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Beifall bei der LINKEN) Eines sei aber auch gesagt: Die Geschichten der AfD aus dem digitalen Gruselkabinett haben mit moderner Vizepräsidentin Claudia Roth: Bildung so viel zu tun wie der Fisch mit dem Fahrrad. Vielen Dank, Dr. Birke Bull-Bischoff. – Dr. Michael von Abercron und Ulrike Bahr geben ihre Reden zu (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- 1) NIS 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt Protokoll. [AfD]: Na, so was!) (Marianne Schieder [SPD]: Sehr gut! Sehr Was uns Linken an der Stelle aber ebenso besonders vorbildlich!) wichtig ist: Bei der sozialen Spaltung, die jetzt zutage Vielen Dank im Namen des Hauses. getreten ist, darf es nicht bleiben. Die einen sind davon genervt, dass die Internetverbindung nicht stabil genug Damit schließe ich die Aussprache. ist, die anderen haben keinen Computer, Tagesordnungspunkte 20 a, 20 c sowie Zusatzpunkt (Martin Reichardt [AfD]: Am meisten sind die 23. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Schüler genervt von der ewigen ideologischen den Drucksachen 19/20385, 19/20568 und 19/20554 an Brühe, die so Leute wie Sie über ihnen aus- schütten!) 1) Anlage 10 21322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Seitdem sind 17 Jahre vergangen. In dieser Zeit sind (C) schlagen. – Ich sehe keine anderen Überweisungsvor- alle Argumente pro und kontra Tabakwerbung ausge- schläge. Dann verfahren wir genau so. tauscht worden – rechtliche, gesundheitliche, wirtschaft- liche. Wer davon in besonderer Weise ein Lied singen Tagesordnungspunkt 20 d. Wir kommen zur Abstim- kann, ist Christian Schmidt; denn er war in der letzten mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Legislaturperiode der Erste, der versucht hat, einen Ge- Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum setzentwurf durch dieses Parlament zu bringen. Insoweit Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Verlorenes stellvertretend für all diejenigen, die sich für dieses The- Schuljahr vermeiden – Schnellstmöglich Online-Lernen ma eingesetzt haben, an dich: Vielen Dank! deutschlandweit aufbauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20501, (Beifall bei der CDU/CSU) den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache Nicht jede Debatte war fair. Auch hier wurden Nebel- 19/18221 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- kerzen gezündet, insbesondere in der letzten Debatte von empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält der FDP: Wir würden den Menschen das Rauchen ver- sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- bieten, wir würden die Werbung verbieten. – Falsch, gestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und Schall und Rauch! Darum geht es nicht. Es geht hier AfD, dagegengestimmt hat die Fraktion der FDP, und heute nur um eine einzige Frage: Kann ein 15-Jähriger enthalten haben sich die Fraktionen von Linken und die Folgen einer Entscheidung überblicken, die sein Le- Bündnisgrünen. ben verändern kann? Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Er darf eh a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- keine Zigaretten kaufen! Unsinn, Frau tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- Connemann!) ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Weiß ein Jugendlicher, dass schon die erste Zigarette Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes krank machen kann, auch die E-Zigarette? Blei, Nickel, Drucksache 19/19495 Chrom landen in der Lunge, und auf das Konto von Tabak gehen Krebs, Schlaganfälle, Herzinfarkte. Weiß ein Ju- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gendlicher, dass Tabak tötet? 121 000 Menschen bezah- schusses für Ernährung und Landwirtschaft len den Griff zur Zigarette mit ihrem Leben – allein in (10. Ausschuss) Deutschland, jedes Jahr. Eine Stadt wie Göttingen stirbt, Drucksache 19/20667 übrigens qualvoll. Weiß ein Jugendlicher, dass jedes Ni- (B) kotinprodukt süchtig macht? Nikotin hat eine höhere (D) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Suchtpotenz als Heroin, egal ob aus einer Zigarette, ei- Berichts des Ausschusses für Ernährung und nem Verdampfer oder einem Erhitzer. Nikotin erreicht Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- spätestens in 20 Sekunden das Gehirn, „Shake and Vape“ trag der Abgeordneten Niema Movassat, lässt grüßen. – Nein, ein Jugendlicher weiß das nicht. Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Dr. Kirsten Woher auch? Plakate zeigen keine Lungenkarzinome, Tackmann und der Fraktion DIE LINKE sie zeigen Lebensgefühl – heute nicht mehr mit Cowboys Ein umfassendes Tabakwerbeverbot oder dem „Duft der großen weiten Welt“, sondern mit schaffen entspannten jungen Menschen, die das Leben genießen und entspannt rauchen oder dampfen. Das wirkt. Drucksachen 19/2539, 19/9116 Buchsta- be a Der Griff zur ersten Zigarette erfolgt eben nicht als Erwachsener. Der Griff zur ersten Zigarette erfolgt durch- Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. schnittlich im Alter von 14,8 Jahren. Und in der letzten Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, schnell die Anhörung bestätigten die Sachverständigen: Ein Jugend- Plätze zu wechseln und wieder Platz zu nehmen, damit licher, der mit Werbung in Berührung kommt, wird dop- ich der ersten Rednerin das Wort erteilen kann. pelt so häufig zur Zigarette greifen als sein Gegenüber. – Werbung wirkt. Deshalb wird auch dafür gezahlt: Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin: Gitta 235 Millionen Euro pro Jahr. Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. Und jetzt noch einmal die Frage an uns alle: Kann ein (Beifall bei der CDU/CSU – Patrick Schnieder 15-Jähriger die Folgen einer solchen Entscheidung über- [CDU/CSU]: Gitta, gib alles!) blicken? Die Antwort für die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion lautet: Nein, er kann es nicht, und deshalb haben wir Gitta Connemann (CDU/CSU): die Pflicht, ihn zu schützen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute am Ende eines langen Wegs. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das stimmt!) DIE GRÜNEN]) 2003 bestätigte die Weltgesundheitsorganisation: Tabak E-Zigarette, Erhitzer, Verdampfer – ohne Frage gibt es macht krank, Tabak tötet, Nikotin macht süchtig. – Des- Unterschiede zwischen den Produkten. In der Anhörung halb darf Werbung dafür eigentlich nicht mehr erlaubt wurde diskutiert, ob es sich um Ausstiegsinstrumente sein. oder Einstiegsdrogen handelt. Aber eines ist bereits heute Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21323

Gitta Connemann (A) gesichert: Auch E-Zigaretten mit Nikotin machen süch- Wilhelm von Gottberg (AfD): (C) tig. Und für Jugendliche sind Aromen wie Erdbeere und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ge- Co absolut verlockend. Das Bundesinstitut für Risikobe- setzentwurf beinhaltet die weitere Verschärfung des wertung warnt deshalb auch: Gebt Acht, was ihr in euch schon bestehenden Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse. reinpfeift. Die E-Zigarette ist kein Wellnessprodukt. Nun soll ein rigides Totalverbot jedweder Außenwerbung eingeführt werden. Neu im Gesetzentwurf ist das Werbe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verbot für E-Zigaretten. Die Zielsetzung des Gesetzes ist, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jugendliche und junge Erwachsene schon frühzeitig vom Wir differenzieren in diesem Gesetzentwurf bei den Wer- Rauchen abzuhalten. Die hohen gesundheitlichen Risiken bebeschränkungen – Schritt für Schritt. Tabak wird an- des Rauchens und der Aspekt des Jugendschutzes lassen ders behandelt als die E-Zigarette. das strikte Werbeverbot zweckmäßig erscheinen. (Martin Reichardt [AfD]: Das ist echt unvor- Der Gesetzentwurf unterstellt, dass es in hohem Maße stellbar!) die Tabakwerbung ist, die junge Menschen zu Rauchern werden lässt. Das geschehe zum Beispiel durch raffinier- Meine Damen und Herren, eine Frage bleibt: Wo fan- te Werbetexte, die speziell das Lebensgefühl der heran- gen wir an, wo hören wir auf? wachsenden Generation ansprechen. Für die AfD ist das (Dr. Götz Frömming [AfD]: Süßigkeiten!) nicht der entscheidende Punkt. Ist das Nächste das Verbot von Alkohol oder Süßigkei- Ein knappes Drittel der Menschen in Deutschland ten? raucht. Geraucht wird in den Familien, auf Schulhöfen, (Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja!) (Marianne Schieder [SPD]: In Schulen ist das verboten! Seit Langem!) Die Antwort lautet: Nein. – Darauf gebe ich Ihnen mein im Kollegenkreis, bei kleinen und großen Feierlichkeiten Wort. und in Mußestunden. Jede Woche gibt es im Fernsehen (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Oh, mit mindestens ein Dutzend Krimis, Kriegsfilme oder Hei- solchen Versprechen wäre ich vorsichtig!) matfilme mit intensiven Raucherpassagen. Denn es gibt kein Produkt, das mit Tabak vergleichbar (Michael Donth [CDU/CSU]: Junge Menschen wäre. Tabak ist einmalig. Es ist das einzige legale Pro- gucken keine Heimatfilme! – Gegenruf des dukt, das bei bestimmungsgemäßem Konsum krank Abg. Martin Reichardt [AfD]: Wird nur in Hei- macht und tötet, von der Suchtpotenz von Nikotin ganz matfilmen geraucht? Das ist mir jetzt neu! – (B) (D) zu schweigen! Damit sind Alkohol oder Zucker nicht zu Gegenruf des Abg. Michael Donth [CDU/ vergleichen. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ma- CSU]: Hat er erwähnt, nicht ich!) chen diese Produkte weder krank noch abhängig. Ein Junge Menschen lernen durch Vorbilder und Nachah- Glas Wein macht noch keinen Alkoholiker, ein Schoko- mung. Werbeverbote schaffen da keine Abhilfe. Die riegel keine Fettleber. Hier macht die Dosis das Gift. Schaffung von Raucherzonen und Nichtraucherzonen Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzent- hält das Thema aktuell. Gleichwohl ist diese Maßnahme wurf – nach 17 Jahren – basiert auf den Grundlagen sinnvoll, um das Passivrauchen einzuschränken. von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Am Montag gab Die Befürworter eines allumfassenden Werbeverbots es eine Anhörung. Alle acht Sachverständigen, egal von verweisen auf den deutlichen Rückgang des Tabakkon- welcher Fraktion berufen, forderten Werbeverbote für sums im letzten Jahrzehnt und machen dafür das schon Tabak und Nikotin – alle acht! Wer heute also gegen bestehende Werbeverbot verantwortlich. Das überzeugt diesen Gesetzentwurf stimmt, stimmt nicht nur gegen nicht. Sachverstand. Wer heute gegen diesen Gesetzentwurf stimmt, stimmt auch gegen die Gesundheit von Jugend- (Beifall bei der AfD) lichen. Der Tabakkonsum ist deutlich gesunken, weil der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- setzgeber das Rauchen teuer gemacht hat. In den letzten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 15 Jahren wurde die Tabaksteuer achtmal angehoben. Be- gründet wurde das mit der Notwendigkeit der Einnahme- Deshalb fordere ich Sie auf: Lassen Sie uns bitte heute erhöhung für den Bund. Tatsächlich gab es einmal die einen Endpunkt setzen, damit junge Menschen eine ge- Begründung, dass die Krankenkassen unterstützt werden sunde Zukunft haben. müssten, weil sie für die negativen Folgen der Raucher- Vielen Dank. erkrankungen zu zahlen haben. Ein anderes Mal war die Begründung, konjunkturstützende Maßnahmen zu finan- (Beifall bei der CDU/CSU) zieren. „Rauchen für die Konjunktur“ machte damals in der Republik die Runde. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Tabaksteuer ist nach der Mineralölsteuer die zweit- Vielen Dank, Gitta Connemann. – Nächster Redner: wichtigste Einnahmequelle für den Bund. für die AfD-Fraktion Wilhelm von Gottberg. (Michael Donth [CDU/CSU]: Die Einkom- (Beifall bei der AfD) mensteuer ist auch nicht unwichtig!) 21324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Wilhelm von Gottberg (A) Keine Bundesregierung kann ein Interesse daran haben, ten! Was war das denn jetzt? Sie haben in ei- (C) dass die Einnahmen aus der Tabaksteuer schrumpfen. Sie nem Satz zwei verschiedene Abstimmungsver- betrug im Jahr 2005 wie auch im Jahr 2019 14,3 Milliar- halten genannt!) den Euro. Eine weitere Erhöhung der Tabaksteuer würde Gute Nacht. den Schwarzhandel, der heute schon beachtlich ist, (Beifall bei der AfD) (Marianne Schieder [SPD]: Was?)

in die Höhe treiben und graduell das Rauchen auf die Vizepräsidentin Claudia Roth: Oberschicht beschränken. Danke schön. – Der nächste Redner für die SPD-Frak- 1) (Marianne Schieder [SPD]: Aha!) tion, Rainer Spiering, gibt seine Rede zu Protokoll. Vielen Dank. Es ist zu befürchten, dass mit dem totalen Werbeverbot zumindest unterschwellig eine Stigmatisierung der Rau- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) cher erfolgt. Auch deshalb können wir dem Gesetzent- Damit ist der nächste Redner hier am Redepult wurf nicht zustimmen. Dr. Gero Hocker für die FDP-Fraktion. (Zuruf von der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Rauchen ist für viele Menschen ein Stück Lebensqua- lität. Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- (Marianne Schieder [SPD]: Was?) men und Herren! Die Aussage des Zitats, dass die Frei- Wie sehr haben doch die früheren Bundeskanzler Erhard, heit des Einzelnen an der Stelle enden muss, wo die Brandt und Schmidt ihr Raucherbedürfnis öffentlich ze- Freiheit eines anderen unverhältnismäßig eingeschränkt lebriert! würde, ist Grundkonsens in einer Demokratie, und das ist auch das Wesen von Toleranz. Deswegen ist es gut und (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Und Schrö- richtig, dass der Gesetzgeber im Bund und in den Län- der!) dern in den letzten Jahren und Jahrzehnten umfassende Originalton Helmut Schmidt: Schwierige Situationen er- Nichtraucherschutzgesetzgebungen auf den Weg ge- fordern Nerven und Zigaretten. bracht hat und dass es heute quasi undenkbar ist, dass Menschen am Arbeitsplatz, im Büro, in öffentlichen Ver- (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE kehrsmitteln oder in gastronomischen Betrieben rauchen. LINKE]: Ich wusste nicht, dass die Tabakin- (B) (D) dustrie Ihre Rede geschrieben hat!) (Marianne Schieder [SPD]: Oder auf dem Es gibt deutliche Hinweise, dass der starke Rückgang Schulhof!) der Raucherquoten in England und in den USA mit dem Unsere Gesellschaft, verehrte Kolleginnen und Kolle- Aufkommen der E-Zigaretten zusammenhängt. Deswe- gen, bewegt sich nach unserer Auffassung gegenwärtig gen ist das Verbot der E-Zigaretten nicht der Weisheit aber in die genau entgegengesetzte Richtung. Unser Ein- letzter Schluss. In Großbritannien wird die E-Zigarette druck ist, dass politische Akteure, dass politische Par- von großen gesundheitspolitischen Organisationen und teien immer mehr in einen Überbietungswettbewerb ein- von staatlicher Seite als Mittel zur Nikotinentwöhnung treten, bei dem es darum geht, wer erwachsene Menschen gefördert. vor im Grunde allgemeinen Lebensrisiken besser zu be- wahren in der Lage ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir haben in den letzten Jahren in diesem Hohen Hau- Kommen Sie bitte zum Schluss. se und in den Landesparlamenten die Gefahren des Zu- cker- und Salzkonsums, die Gefahren des Straßenver- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Es wird kehrs, die Gefahren, die von Kaminen, von Hunden und höchste Zeit! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ vom Fahrradfahren ausgehen, und die Gefahren des akti- DIE GRÜNEN]: Er spricht wie für die Tabak- ven und passiven Rauchens diskutiert, und jedes Mal, lobby!) wenn der Gesetzgeber das zum Anlass nimmt, um Frei- heiten zu beschränken, nimmt er den Menschen ein Stück Wilhelm von Gottberg (AfD): weit auch Selbstbestimmung, Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. – Die erwartete Zielsetzung des Gesetzentwurfs kann mit dem rigiden (Marianne Schieder [SPD]: Wie? Wenn er sich Werbeverbot nicht erreicht werden. Der Gesetzentwurf um die Gefahren des Straßenverkehrs küm- ist abzulehnen. Um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, mert? Das ist ja nicht zu fassen! Wenn man sich die AfD würde präventiven Jugendschutz verhindern, also um die Gefahren im Straßenverkehr küm- werden wir uns der Stimme enthalten. mert, nimmt man den Menschen die Freiheit!) (Lachen des Abg. Patrick Schnieder [CDU/ dann nimmt er den Menschen auch ein Stück weit Le- CSU] – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: „Der bensqualität. Das muss an dieser Stelle auch erwähnt Gesetzentwurf ist abzulehnen, jawohl! Wir werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen. werden uns enthalten!“ – Niema Movassat [DIE LINKE]: Erst ablehnen und jetzt enthal- 1) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21325

Dr. Gero Clemens Hocker (A) (Beifall bei der FDP – Niema Movassat [DIE Niema Movassat (DIE LINKE): (C) LINKE]: Es geht um die Werbung! Marianne Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kol- Schieder [SPD]: Das ist ja nicht zu fassen!) lege Hocker, Ihr Parteifreund Jan Mücke, der früher hier im Bundestag und Staatssekretär war, ist heute ja Ge- Ich sage den Kollegen von CDU/CSU und SPD ganz schäftsführer des Deutschen Zigarettenverbandes, und ausdrücklich, dass sie sich mit diesem Selbstverständnis ich muss sagen: Man könnte den Eindruck gewinnen, er auf dem besten Weg in einen Nannystaat befinden, der hätte Ihre Rede geschrieben. Menschen, selbstbewussten Bürgern, vormacht, sie könn- ten absolute Sicherheit in einer offenen, freien Gesell- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. schaft erreichen. Sie erreichen damit aber häufig genug Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ weder Schutz noch Sicherheit. Die Verbindung von DIE GRÜNEN] – Martin Reichardt [AfD]: Schwarz und Grün ist in diesem Zusammenhang sehr Das ist ja selbst für Sie zu billig!) schmuddelig geworden, verehrte Kolleginnen und Kol- legen. Die deutsche Tabakindustrie macht mit ihren gesund- heitsschädlichen Produkten jedes Jahr Umsätze im zwei- (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ stelligen Milliardenbereich. Wir als Linke finden es gut, DIE GRÜNEN]) dass die Koalition die Tabakwerbung endlich weiter ein- schränken möchte, nachdem das Thema jahrelang durch Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Noch nicht ein- die Blockade der CDU/CSU verschleppt wurde. mal Ihre Argumentation, dass Sie Menschen schützen wollen, ist in sich konsistent und schlüssig; denn wenn (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sie tatsächlich den Schutz der Menschen im Blick hätten, Martin Reichardt [AfD]: Aber Abtreibungs- dann müssten Sie zur Kenntnis nehmen, dass 98 Prozent werbung befürwortet ihr doch! Das ist doch derjenigen, die zur E-Zigarette greifen, früher Raucher pervers!) gewesen sind Denn wissenschaftliche Studien zeigen ganz klar, dass (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!) Tabakwerbung ein Risikofaktor ist: Je mehr Tabakwer- bung Kinder und Jugendliche sehen, desto eher fangen und die E-Zigarette ganz bewusst als Instrument zur sie mit dem Rauchen an. – Deshalb heißt Jugendschutz: Rauchentwöhnung verwenden. Tabakwerbung umfassend verbieten. (Marianne Schieder [SPD]: Nur es funktioniert (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) Sie erschweren Menschen den Schritt zu weniger gesund- Das führt zum großen Aber beim Gesetzentwurf der (D) heitsschädlichen Alternativen, Koalition: Man merkt ihm an, dass er ein Kompromiss nach einer langen Auseinandersetzung mit den CDU- (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ Freunden der Tabaklobby ist. Von einem umfassenden DIE GRÜNEN] – Marianne Schieder [SPD]: Werbeverbot kann leider nicht die Rede sein. Ei, ei, ei! – Zuruf der Abg. Daniela Ludwig [CDU/CSU]) Über 60 Prozent der Werbeausgaben der Tabakindust- rie fließen in Sponsoring und Promotion, nämlich jedes weil Sie meinen, diese Menschen vor sich selber schützen Jahr fast 150 Millionen Euro. Diese Werbeformen spre- zu müssen, obwohl sie das überhaupt nicht wollen. chen vor allem Jugendliche an und sollen nach dem Wil- len der Koalition weiterhin erlaubt sein. So wird sich die Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Sie verhalten sich Tabakindustrie, wenn sie bald keine Außenwerbung mehr wie der berühmte Pfadfinder, der den Anspruch hat, jeden tätigen darf, noch mehr darauf konzentrieren, Partys und Tag irgendeine gute Tat zu vollbringen, deshalb der alten Festivals zu sponsern. Dame über die Straße hilft und überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, dass diese alte Dame die Straße gar Was Sie auch nicht verbieten, ist die Werbung in den nicht überqueren möchte. etwa 100 000 Verkaufsstellen von Tabakprodukten, also in Supermärkten, Tankstellen und Drogerien. Kinder, Ju- (Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ gendliche, Nichtraucher und auch Raucher, die gerne auf- DIE GRÜNEN]: Das ist die Verwechslung von hören würden, werden also weiterhin massiv mit Wer- Gustav mit Gasthof!) bung konfrontiert werden. Ihr Werbeverbot hat mehr Vielen Dank. Löcher als ein Schweizer Käse. (Beifall bei der FDP – Kai Gehring [BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tempo-30-Zo- Und wir brauchen – das muss ich auch sagen – ein um- ne mit 100: Das ist dann Freiheit!) fassendes Werbeverbot sofort und nicht erst ab 2022! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vizepräsidentin Claudia Roth: NIS 90/DIE GRÜNEN) Danke schön, Dr. Hocker. – Nächster Redner: Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. Außerdem ist ein Tabakwerbeverbot, um mal ein biss- chen grundsätzlicher zu werden, nur eine Maßnahme der (Beifall bei der LINKEN) Tabakkontrolle. Über 1 Million Kinder schuften auf Ta- 21326 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Niema Movassat (A) bakplantagen im globalen Süden. Ihr Recht auf Gesund- sieren und das Rauchen verbieten! So was ist (C) heit und Bildung wird von Tabakkonzernen mit Füßen doch pervers!) getreten. Diese ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Denn nicht nur mehrere dieser Marketingcowboys, son- Tabakanbau sind zudem gesundheitsgefährdend – wegen dern viele Millionen Menschen sind über die Jahrzehnte des Kontakts mit dem Nervengift Nikotin. Deutschland an den Folgen des Rauchens gestorben. Neue Konsumen- ist weltgrößter Zigarettenexporteur, importiert den Roh- ten und in den letzten Jahren vor allem auch Konsumen- tabak aus diesen Ländern und profitiert von diesen un- tinnen haltbaren Arbeitsbedingungen. Zugleich sterben in Deutschland jährlich etwa 120 000 Menschen frühzeitig (Martin Reichardt [AfD]: „Konsumentinnen“!) infolge des Konsums von Tabakprodukten. Bei der Ta- bakindustrie stehen also ganz eindeutig Profite vor Men- werden schon in jungen Jahren von der Werbung abge- holt und viel länger, als ihnen selber lieb ist, im wahrsten schenrechten und Menschenleben. Sinne des Wortes bei der Stange gehalten. (Martin Reichardt [AfD]: Kollege Dehm ist ge- Nun endlich bekommen Jugend- und Gesundheits- rade nicht da! Er raucht immer Zigarren, habe schutz Vorrang vor Gewinninteressen. ich gesehen!) Wir als Linke sagen: Menschen vor Profite! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das war ein dickes Brett. Es hat viel zu lange gedauert – Vor allem zum Schutz von Kindern und Jugendlichen 17 Jahre, möglicherweise sogar noch länger –, und Teile hierzulande und im globalen Süden müssen die Tabak- der Union haben hier massiv gebremst. konzerne in die Schranken gewiesen werden. Ich bin dankbar für so viele Mitstreiterinnen und Mit- Liebe Koalition, Ihr geplantes Tabakwerbeverbot ist streiter, die beharrlich geblieben sind, auch innerhalb der nur ein kleiner Fortschritt, aber weil Ihr Gesetzentwurf Union gegen den Strom geschwommen sind, sodass wir in die richtige Richtung geht, werden wir heute als Linke jetzt zu diesem Ergebnis gekommen sind. zustimmen. Zugleich werden wir weiter für eine umfas- sende Tabakkontrolle kämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Danke schön. Ein ganz besonderes Danke geht aber auch an die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Menschen in der Zivilgesellschaft, die sich seit Jahren für Gesundheits- und Jugendschutz einsetzen: das Deut- (B) ten der SPD – Martin Reichardt [AfD]: Und (D) Ihre Forderung: Raucher nach Bautzen in die sche Krebsforschungszentrum, SumOfUs, Bündnis Dusche!) Nichtraucherschutz, Unfairtobacco und viele andere. Danke, dass ihr nie aufgegeben habt! Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank, Niema Movassat. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war das?) Doch reicht das Gesetz, das wir heute beschließen, aus? Es ist ohne Frage ein Meilenstein, mit dem wir end- – Ich habe den Zuruf nicht verstanden; aber wir können es lich zu allen anderen EU-Staaten aufschließen, in denen im Protokoll nachlesen. – Nächste Rednerin: Dr. Kirsten längst keine Cowboys und Cowgirls mehr eine trügeri- Kappert-Gonther für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sche Nikotinwelt versprechen. Wir müssen den Blick nen. aber auch auf neue Werbestrategien richten, vor denen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die WHO immer warnt. Und die WHO ist auch hier eine gute Ratgeberin. Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN): sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! CSU] und Niema Movassat [DIE LINKE]) Geht es Ihnen wie mir? Wenn ich an einen Cowboy den- ke, sehe ich ihn mit Zigarette im Mund. Was für ein Vor diesem Hintergrund entpuppt es sich als unnötiges Klischee! Trostpflaster für die Industrie, dass sie für Tabakerhitzer und E-Zigaretten weiter – mit langen Übergangsfristen – (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das liegt ja werben darf. In der Anhörung gab es sehr deutliche Töne an Ihnen!) von den Sachverständigen: Auch diese Werbung braucht Ursache dafür ist die Werbung, die uns alle, bewusst oder kein Mensch. unbewusst, seit Jahrzehnten begleitet. Gut, dass damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt Schluss ist! sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihr zusätzlicher Alibiantrag kann über diese Lücke lei- sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/ der auch nicht hinwegtäuschen. Wir, Bündnis 90/Die CSU] – Martin Reichardt [AfD]: Kiffen legali- Grünen, hätten uns deutlich schnellere und umfassendere Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21327

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) Regelungen gewünscht; denn was man für richtig hält, Ja, es war ein steiniger Weg, liebe Frau Kappert- (C) kann man doch auch gleich tun. Gonther, keine Frage. Sie erinnern sich: In den 80er-Jah- ren ritt tatsächlich noch der Cowboy durch die Prärie, wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) alle haben ihn mit Zigaretten verbunden. Den Cowboy Dieses Gesetz ist aber ein so entscheidender Schritt für gibt es nicht mehr, mehr Gesundheitsschutz, und es war so lange überfällig, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Der ist doch dass wir heute gerne zustimmen. an Lungenkrebs gestorben!) Vielen Dank. das Pferd bedauerlicherweise auch nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit) sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Die Zigaretten gibt es noch. Aber wir sind der sehr deut- Vizepräsidentin Claudia Roth: lichen Überzeugung, dass wir für Zigaretten keine Au- ßenwerbung mehr brauchen. Sehr viele Kolleginnen und Danke schön, Dr. Kirsten Kappert-Gonther. – Da vor- Kollegen haben das sehr sachlich angesprochen: Wer- her ein Zwischenruf oder eine Kommentierung von der bung wirkt vor allem bei jungen Menschen, denen die AfD kam, die wir aber nicht richtig gehört haben, werden Festigung fehlt, in ihrem Alltag zu unterscheiden: Was wir das im Protokoll überprüfen lassen. soll mich verführen, ist aber eigentlich, in Wahrheit, (Martin Reichardt [AfD]: Sie werden es nicht schlecht für mich?- Natürlich wirkt Werbung; darum kos- schaffen, mir einen Ordnungsruf reinzuwür- tet sie auch so viel, darum wird sie betrieben, vor allem gen!) auch an Stellen, wo sich junge Leute treffen: an Bushalte- stellen, im Kino, im Internet natürlich. Und darum wird – Ich werde das tun, was ich tun kann. Wir werden das im auch für E-Zigaretten geworben, und zwar, wohl ge- Protokoll überprüfen – ob Ihnen das passt oder nicht. merkt, nicht für E-Zigaretten als Umstiegsprodukt, son- dern für E-Zigaretten als attraktives, wohlschmeckendes (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Einstiegsprodukt. ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Das kön- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nen Sie gerne machen! Haben Sie ja schon mal des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der gemacht! Ist auch nichts rausgekommen!) Abg. Marianne Schieder [SPD]) – Wenn Ihre Bemerkung keines Ordnungsrufs würdig ist, Deswegen ist richtig, dass wir auch diese Werbung unter- (B) dann werden Sie keinen bekommen, binden, (D) (Zuruf: Ja, ganz genau!) (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner und wenn wegen Ihrer Bemerkung ein Ordnungsruf nötig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist, dann werden Sie diesen Ordnungsruf bekommen, deswegen ist es richtig, dass wir künftig genauer hin- werter Kollege. schauen, nicht nur bei den nikotinhaltigen E-Zigaretten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der übrigens, sondern auch bei den nikotinfreien, die es mitt- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE lerweile gibt. GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die nächste Rednerin in dieser Debatte: Daniela der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜND- Ludwig für die CDU/CSU-Fraktion. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU) Denn auch hier haben wir den Suchtfaktor, den Abhän- gigkeitsfaktor und im Zweifel auch einen gesundheits- schädlichen Faktor. Daniela Ludwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Ich bin sehr glücklich, dass uns dieses Paket jetzt ge- ist in der Tat kein Geheimnis: Rauchen ist das größte lungen ist. Ich habe es gerade gesagt: Es war ein steiniger vermeidbare Gesundheitsrisiko überhaupt. Wer raucht, Weg. Manchmal braucht man bisschen bis zur besseren hat eine im Schnitt zehn Jahre kürzere Lebenszeit. Bei Einsicht. So ist das nun einmal. Ich bin mittlerweile wirk- der ein oder anderen Rede hatte man den Eindruck, wir lich froh darum, dass wir es geschafft haben, liebe Gitta wollten das Rauchen verbieten. Damit es hier ganz klar Connemann, im letzten halben Jahr diesen Gesetzentwurf wird: Nein, wir verbieten das Rauchen nicht, es liegt gemeinsam mit unserem Koalitionspartner zu schnüren. immer noch in der Eigenverantwortung des Einzelnen, Vielen Dank dafür! was er tut und was er lässt. Wir verbieten schlicht und ergreifend die Werbung für ein Produkt, das tötet, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, das ist ein wirklich gutes Werk geworden. Ich das krank macht und die Volkswirtschaft im Jahr Millio- glaube, es ist auch ausgewogen, in der Abstufung der nen kostet. Darum – um nicht mehr und nicht weniger – Fristen, aber eben auch mit dem klaren Hinweis darauf, geht es heute. liebe Julia Klöckner, dass wir stärker darauf schauen 21328 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Daniela Ludwig (A) müssen, was tatsächlich in den Produkten enthalten ist. Laut einer Studie des Kieler Instituts für Therapie- und (C) Auch hier haben wir eine gemeinsame Verantwortung. Gesundheitsforschung steigt das Risiko bei Jugendlichen, die regelmäßig mit Werbung für E-Zigaretten in Kontakt Ich habe heute oft etwas gehört von Verfassungsbruch kommen, auf sagenhafte 142 Prozent an, dass sie auch und Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit und Ein- tatsächlich E-Zigaretten konsumieren. Dies trifft übri- schränkung der persönlichen Freiheit. Rauchen ist schon gens auch auf herkömmliche Zigaretten oder Shishas zu. etwas sehr Spezielles. Im Gegensatz zu Süßigkeiten, mit denen ich mich selber schädige, schädige ich mit Rau- Laut aktuellem Forschungsbericht der Bundeszentrale chen nicht nur mich selber. Wir haben heute noch gar für gesundheitliche Aufklärung rauchen 7 Prozent der 14- nicht über das Passivrauchen gesprochen, meine lieben bis 17-Jährigen und rund ein Viertel der 18- bis 25-Jäh- Kolleginnen und Kollegen. rigen. Es wurde bereits gesagt: Ein Drittel der Bevölke- rung in Deutschland raucht. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Verbieten Sie Zigaretten doch!) In anderen Ländern gibt es schon längst strengere Rest- riktionen für Tabakwerbung. In der Folge nahm in Groß- Das ist ein massiver Punkt. Hier werden nämlich Men- britannien oder auch in Schweden die Zahl der Raucher schen ungefragt mitgeschädigt, ob sie es wollen oder ab. nicht. Deswegen war es richtig, 2007 mit dem Nichtrau- cherschutzgesetz den ersten Schritt in die richtige Rich- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Bei uns tung zu gehen und in öffentlichen Einrichtungen, Bars auch! Bei uns noch vielmehr, trotz Werbung!) und Gaststätten das Rauchen zu verbieten. Wer kann sich heute überhaupt noch daran erinnern, dass er beim Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Tabaker- Abendessen in einem schönen Restaurant vom Rauch zeugnisgesetzes haben wir heute die Chance, hier endlich anderer eingequalmt wird? Kein Mensch mehr. Selbst auch in Deutschland etwas zu ändern. In Zukunft dürfen die Raucher sagen mittlerweile, das war eine gute Ent- Tabakerzeugnisse weder durch Außenwerbung noch scheidung. Ich bin mir relativ sicher, auch viele erwach- durch Werbung in Kinofilmen für Kinder und Jugend- sene Raucher sagen: Es ist eine gute Entscheidung, wenn liche beworben werden. Dies gilt ebenso für Tabakerhit- die Werbung unterbunden wird; denn wir wissen, dass zer und elektronische Zigaretten mit oder ohne Nikotin. wir uns eigentlich selber schädigen, wir möchten aber Über die gesundheitlichen Gefahren wurde hier berich- nicht, dass die Jugend sich selber schädigt. tet. Hinzu kommen auch die gefährlichen Aromastoffe, die den Einstieg in eine Nikotinsucht bei Kindern und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Jugendlichen besonders fördern. Damit es klar ist: Der des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE Rauch einer einzigen, ersten Zigarette reicht aus, um (B) GRÜNEN] – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: (D) bei Heranwachsenden im Gehirn einen bestimmten Me- Warum verbieten Sie Zigaretten eigentlich chanismus in Gang zu setzen, mit dem Suchtverhalten nicht insgesamt?) erzeugt wird. Darum geht es heute: Es geht um Gesundheitsschutz, es geht um Jugendschutz. Es geht nicht um das Wohler- Ich kann Ihnen sagen, dass auch Passivrauchen gerade gehen der Tabakindustrie; darum müssen wir uns, glaube bei Kindern sehr gefährlich ist. Ich bin Kinder- und Ju- ich, tatsächlich keine Sorgen machen. gendärztin, schon seit über 25 Jahren, und ich kann be- richten, dass viele kleine Kinder von rauchenden Eltern in Vielen herzlichen Dank. die Praxis kommen, die buchstäblich aus dem letzten Loch pfeifen. 121 000 Tote pro Jahr in Deutschland, das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sind in fünf Jahren ungefähr 600 000 Menschen – eine vermeidbare Problematik. Wir müssen hier, insbesondere Vizepräsidentin Claudia Roth: im Sinne der Kinder und Jugendlichen, etwas ändern. Vielen Dank, Daniela Ludwig. – Die letzte Rednerin in Um es klarzustellen: Niemand verbietet Ihnen, dass Sie dieser Debatte ist für die SPD-Fraktion Nezahat Baradari. rauchen, ob herkömmliche Zigarette oder E-Zigarette. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Sie können eine ganze Badewanne voll Zigaretten rau- Connemann [CDU/CSU]) chen. Darum geht es nicht. Es geht um den Schutz der Kinder und Jugendlichen, nicht um die Erwachsenen. Nezahat Baradari (SPD): (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Warum ver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten bieten Sie konventionelle Zigaretten nicht ins- Damen und Herren! Ja, wir haben den Cowboy nicht gesamt?) mehr, aber wir haben anderes: Slogans. „Don’t be a May- be“, „Do your thing“ oder „Liberté toujours“, sind das Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht tolle Slogans, die einem Freiheit, Selbstbestimmung Kommen Sie zum Schluss bitte. und Coolness vermitteln? Mit solch einer markanten Werbung warben und werben Zigarettenhersteller für Ta- bakprodukte. Diese kommen leider insbesondere bei den Nezahat Baradari (SPD): Heranwachsenden gut an. Nicht umsonst stieg der Wer- Frau Connemann, ich hätte mir ein bisschen mehr Ehr- beetat der Tabakindustrie für Außenwerbung auf aktuell lichkeit von Ihnen gewünscht; denn Sie als CDU/CSU beachtliche 96 Millionen Euro. haben dieses Gesetz blockiert, es hätte schon in der letz- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21329

Nezahat Baradari (A) ten Legislaturperiode durchkommen können. Nichtsdes- gestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, (C) totrotz – FDP und AfD, dagegengestimmt hat niemand, enthalten haben sich die Fraktionen der Linken und der Grünen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Tagesordnungspunkt 17 b. Beschlussempfehlung des Nein. Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ein um- Nezahat Baradari (SPD): fassendes Tabakwerbeverbot schaffen“. Der Ausschuss – freue ich mich, dass es heute klappt, auch wenn noch empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Lücken bestehen. auf Drucksache 19/9116, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/2539 abzulehnen. Wer stimmt Vielen Dank. für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da- gegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschluss- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die LINKEN) Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, dage- gengestimmt haben die Fraktionen der Linken und von Vizepräsidentin Claudia Roth: Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank, Nezahat Baradari. – Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Tagesordnungspunkt 17 a. Wir kommen zur Abstim- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes SPD eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur zur Änderung des Telemediengesetzes und Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes. Der Ausschuss weiterer Gesetze für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buch- Drucksachen 19/18789, 19/19744, 19/20213 stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Nr. 1.8 19/20667, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD auf Drucksache 19/19495 anzunehmen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? Drucksache 19/20664 (Zuruf: Die üblichen Verdächtigen!) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, schnell die (B) Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- Plätze einzunehmen oder sie zu räumen. (D) ter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Frak- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- tionen der Linken, der SPD, der Grünen und der CDU/ schlossen. CSU, dagegengestimmt hat die FDP, und enthalten hat sich die Fraktion der AfD. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Zuruf: Herr Pfeiffer! Bleiben Sie stehen, Herr Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Pfeiffer?) wollen heute eine Änderung des Telemediengesetzes be- – Herr Pfeiffer auch? schließen. Damit wird die EU-Richtlinie über audiovi- suelle Mediendienste in deutsches Recht umgesetzt. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein, ich Innerhalb der EU werden derzeit zahlreiche Regulie- stand vorher schon!) rungen ins Medienrecht aufgenommen. Anlass sind viel- – Das macht nichts; dann suche ich mir heraus, was ich fache Verstöße gegen den Datenschutz und nutzerfeindli- Ihnen zutraue. ches Verhalten der großen Onlineplattformen. So plant die EU-Kommission ein neues Gesetzespaket zu digita- (Heiterkeit) len Dienstleistungen. Damit soll ein moderner Rechts- Die FDP stimmt dagegen. – Wer enthält sich? – Der rahmen für digitale Dienste und Plattformen geschaffen Gesetzentwurf ist angenommen mit Zustimmung von werden. Parallel läuft eine umfassende Öffentlichkeits- CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und der Linken beteiligung. bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung aus der AfD- Fraktion. Ebenso liegt der EU-Kommission der neue deutsche Medienstaatsvertrag zur Notifzierung vor. Dieser löst Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den alten Rundfunkstaatsvertrag ab, um neue Medienfor- Drucksache 19/20667 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- men wie soziale Netzwerke entsprechend miteinzubezie- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- hen. Dabei gelten dieselben Vorgaben der EU-Richtlinie empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält für audiovisuelle Mediendienste wie beim Telemedienge- sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- setz. 21330 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Axel Knoerig (A) Meine Damen und Herren, die neuen Rechtsvorschrif- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) ten gelten jetzt für die klassischen Rundfunkanstalten Vielen Dank, Axel Knoerig. – Nächster Redner: für die sowie alle fernsehähnlichen Angebote. Wir reagieren da- AfD-Fraktion . mit auf die Veränderung im Netz. Vor allem geht es um die Videosharingplattformen YouTube, Facebook, Insta- (Beifall bei der AfD) gram, Snapchat und TikTok. Hier laden die Nutzer tag- täglich Millionen von Videos hoch. Der Markt ist unüber- Martin Erwin Renner (AfD): sichtlich geworden und sehr groß. Es gibt hierzulande Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine keine statistische Erfassung und daher auch keine offi- sehr geehrten Herren! Der vorliegende Entwurf ist wieder ziellen Zahlen zu den Nutzern. Eine Studie im Auftrag ein wunderbares Beispiel, wie über den Umweg der Eu- der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien hat in ropäischen Union Gesetze hierzulande implementiert 2019 allein über 40 000 YouTube-Kanäle identifiziert. In werden. Gesetzgebung heißt einmal mehr, man setzt Deutschland wurden im letzten Jahr rund 1 Milliarde EU-Vorgaben in nationales Recht um und verabschiedet Abonnenten erreicht, und für die Hälfte der Anbieter – sich dadurch sogleich und zugleich wieder ein Stück weit das sind die sogenannten Influencer und YouTuber – stel- von der eigenen, nationalen Souveränität. Beides ist hier len die Erlöse über YouTube die wichtigste Einnahme- offenkundig mehrheitlich gewünscht. quelle dar. Der Bereich Onlinevideowerbung verzeichnet (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Marianne ein enormes Wachstum. In 2018 allein lag der Umsatz bei Schieder [SPD]: Das ist doch nicht wahr!) 650 Millionen Euro; das war gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 20 Prozent. Prognosen zufolge wird dieser Manche nennen das Demokratie, ich nenne das beschä- Markt bis 2023 auf über 1 Milliarde Euro anwachsen. mend. Eine weitere Schande dieser Regierung ist es, dass sie Meine Damen und Herren, die unklare Marktsituation auch der freien Meinungsäußerung des eigenen Bürgers bei den Videosharingplattformen wollen wir nun regeln. Dazu wird im Telemediengesetz insbesondere § 10 er- (Falko Mohrs [SPD]: Reden Sie eigentlich zum gänzt. Dieser sieht vor, dass neue Meldeverfahren für Gesetzentwurf, oder schwadronieren Sie nur so Beschwerden eingeführt werden. Die Plattformen müs- herum?) sen Funktionen einrichten, damit Nutzer rechtswidrige zunehmend mit Misstrauen und Argwohn begegnet, den Inhalte entsprechend melden können. Die Plattformen eigenen Bürger immer weiter einschränkt, bespitzelt und müssen ein Verfahren zur Prüfung und Abhilfe solcher ihn letztlich zur Denunziation aufruft. Beschwerden entwickeln. Außerdem wird die sogenannte (B) Listenpflicht eingeführt, das heißt, jeder Diensteanbieter (Beifall bei der AfD) (D) muss sein Herkunftsland angeben. So wird auch der Be- Zwei Dinge werden im Telemediengesetz maßgeblich stand an Plattformen entsprechend erfasst. verändert. Anbieter von Videosharingplattformen müs- sen fortan ein Verfahren einrichten und vorhalten, sodass Meine Damen und Herren, diese Punkte regelt die Nutzer vermeintlich rechtswidrige Inhalte melden kön- wirtschaftsbezogene Umsetzung der EU-Richtlinie für nen, sie müssen ein Verfahren zur Prüfung und Abhilfe audiovisuelle Medien. Weitere Inhalte werden im Deut- eingehender Beschwerden einrichten. sche-Welle-Gesetz geregelt. Diese Änderungen beschlie- ßen wir auch heute. Das betrifft drei Schwerpunkte: ers- (Falko Mohrs [SPD]: Das betrifft in Deutsch- tens die schrittweise Bereitstellung barrierefreier land ganze fünf! Hätten Sie vielleicht vorher Angebote für Menschen mit Behinderung, zweitens die mal durchlesen sollen!) Kennzeichnung von Inhalten hinsichtlich des Jugend- Wir kennen die dazugehörige Debatte bereits aus dem schutzes und drittens die sogenannte Impressumspflicht. unseligen Zensurgesetz, Entschuldigung, aus dem Netz- Hier wird vor allen Dingen eine deutliche Kennzeich- werkdurchsetzungsgesetz. nung bei kommerzieller Nutzung vorgesehen. Werbere- levante Regelungen – wir haben es gerade gehört – wer- (Falko Mohrs [SPD]: Es geht um Straftaten!) den über das Tabakerzeugnisgesetz geregelt. Dazu gehört Wenn die linke Tageszeitung „taz“ gesinnungssatt und das besprochene Werbeverbot für Tabakprodukte in den diffamierungsstolz primitiven Hass und Hetze gegen un- genannten Medien. Weitere inhaltliche Anforderungen sere Polizeibeamten publiziert, werden im Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremis- mus und der Hasskriminalität sowie im Netzwerkdurch- (Falko Mohrs [SPD]: Dass Sie das stört, ist setzungsgesetz geregelt. kein Wunder!) dann führt man ein Gespräch unter Demokraten, wie es Meine Damen und Herren, mit den Anpassungen rea- die Frau Bundeskanzler gestern in der Regierungsbefra- gieren wir auf die Entwicklungen im Markt. Wir wollen gung gesagt hat. Wenn der normale Bürger sich im Netz damit bei den Onlinediensten die Inhalte entsprechend im Ton vergreift, dann macht man es allerdings nicht so wettbewerbsfähiger machen und vor allen Dingen auch wie diese Demokraten, nein, dann wird gemeldet, denun- den Verbraucherschutz stärken. ziert und obrigkeitlich geprüft oder genauer gesagt: Man lässt melden bzw. denunzieren und lässt prüfen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben doch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine Lehrermeldeplattform aufgemacht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21331

Martin Erwin Renner (A) Den juristischen und bürokratischen Ärger haben, analog (Beifall bei der LINKEN) (C) zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die Plattformanbie- ter. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Danke schön. – Nach der Rede fällt mir ein alter Rad- (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lerspruch ein: Platt und flach kann jeder. NEN]: Die Armen!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Und um diese schön gängeln zu können, werden die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, ständig aktualisierte der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Listen der in ihrem Land beheimateten Mediendienstleis- ter und Videosharingplattformen vorzuhalten und diese Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Än- an die EU-Kommission zu übermitteln. Zwar heißt es in derungen am Telemediengesetz – Herr Knoerig hat es ja diesem Entwurf, dass die Behörden ein Auskunftsverlan- schon gesagt – setzen vor allem europäisches Recht um. gen an die entsprechenden Anbieter versenden können – Das ist wenig spektakulär. Dennoch lässt sich an der Vor- das liest sich hübsch –, daraus wird aber am Ende ein lage zeigen, dass die Bundesregierung an so mancher Muss werden. Stelle der Mut verlassen hat. Sie hätte einiges anders regeln können. Das trifft auch auf die Koalitionsfraktio- Wir haben es also mit einem neuen amtlich geführten nen zu. Register zu tun. Halleluja, wir haben ein weiteres Melde- und Überwachungsinstrument geschaffen. Man könnte Das beginnt zum Beispiel mit der Regelung zu barrie- das effiziente Gesetzgebung nennen. Es bleibt allerdings refreien Angeboten der Deutschen Welle. Wir sind der überdeutlich die Frage im Raum: Effizient für wen? Auffassung, hier wäre deutlich mehr gegangen, zumal wir es als Haushaltsgesetzgeber selbst in der Hand haben, (Zuruf des Abg. Michael Donth [CDU/CSU] – hier nötige Spielräume zu schaffen. Es geht weiter mit Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE den Vorgaben, wie Videoplattformen mit der Meldung GRÜNEN]: Sind die vier Minuten nicht bald illegaler Inhalte umgehen sollen. Da kann ich nur sagen: vorbei?) Nun rächt sich die überstürzte und unüberlegte Einfüh- Effizient für die demokratische Meinungsfreiheit des rung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vor drei Jah- Bürgers in den freiheitlich-demokratischen Mitgliedstaa- ren. ten? Oder eher effizient für den supranationalen Über- (Beifall der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE wachungsstaat? LINKE]) (Nicole Höchst [AfD]: Schande! – Falko Statt das Thema der Rechtsdurchsetzung auf Plattformen (B) (D) Mohrs [SPD]: Haben Sie überhaupt einmal in einheitlich anzugehen, treffen Sie verschiedene rechtli- das Gesetz hineingeguckt?) che Regelungen, und zwar je nachdem, wie groß die Plattform ist und um welchen juristischen Tatbestand es Die Urheber dieses Änderungsgesetzes sind also die Nor- geht. Meine Damen und Herren, bei einem für die Mei- nen, die den Faden unserer schicksalhaften Unfreiheit nungsfreiheit so sensiblen Bereich brauchen wir keinen spinnen, also die EU-Kommission. Die Bundesregierung Schnellschuss nach dem anderen, sondern eine ernsthaf- unterwirft sich einmal mehr, nimmt wieder einmal Ab- te, gemeinsame, gründliche Auseinandersetzung und eine stand von unseren nationalen Souveränitätsrechten, und Lösung, die nicht auf privatisierte oder automatisierte das Ganze unter dem Deckmantel der für notwendig Rechtsdurchsetzung zurückgreift. erachteten Überwachung wirtschaftlich selbständig agierender Unternehmen. Wir hatten schon einmal von Schließlich rede ich über einen Punkt, der sich über- „1984“ gehört. haupt nicht mehr in dem Entwurf wiederfindet. In den letzten Jahren haben Europäischer Gerichtshof und Bun- (Marianne Schieder [SPD]: Vier Minuten sind desgerichtshof eine Regelung im Telemediengesetz, die so lang!) eigentlich auf WLAN-Netze gemünzt war, zu einem Ein- Wissen Sie, „1984“ von Orwell war kein Roman, sondern fallstor für Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen eine Warnung. werden lassen. Davor – das will ich hier anmerken – hatten wir gewarnt. Danke schön, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der AfD) Die Bundesregierung hätte nun versuchen können, diese beunruhigende Entwicklung einzudämmen. Sie hätte es Vizepräsidentin Claudia Roth: versuchen können. Wir hätten gern diskutiert, durch wel- Danke schön, Martin Renner. – Falko Mohrs für die che gesetzlichen Regelungen die gerichtliche Auslegung SPD-Fraktion gibt seine Rede zu Protokoll1) wie pro Netzsperren zu erschweren gewesen wäre. Was aber Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. Danke schön. hat die Bundesregierung stattdessen gemacht? Sie hat eine Formulierung getroffen, die die gerichtliche Ausle- (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) gung pro Netzsperren sogar noch gestärkt hätte. Das ist Dr. Petra Sitte redet jetzt für die Fraktion Die Linke. nicht nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 1) Anlage 12 neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 21332 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Dr. Petra Sitte (A) Insofern fragt man sich: Was haben die Koalitionäre ge- zur Änderung des Strafgesetzbuchs – (C) macht, wozu haben sie sich durchgerungen? – Zu gar Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intim- nichts. Sie lassen einfach den alten, umstrittenen Text bereichs (sog. Upskirting) stehen und überlassen wieder alles den Gerichten. Das finde ich schon ziemlich kleinmütig. Drucksache 19/15825 – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- (Beifall bei der LINKEN) geordneten Jens Maier, Stephan Brandner, Im Geiste von Verhältnismäßigkeit und Grund- Dr. Lothar Maier, weiteren Abgeordneten rechtsschutz hätten Sie versuchen können, mit diesem und der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- Gesetz auch Änderungsbedarf für die europäischen Re- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des gelungen zu signalisieren, damit Netzsperren ein für alle Persönlichkeitsrechtsschutzes bei Bildauf- Mal ausgeschlossen werden können. nahmen Danke schön. Drucksache 19/18980 (Beifall bei der LINKEN) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Vizepräsidentin Claudia Roth: schuss) Vielen Dank, Dr. Petra Sitte. – Margit Stumpp für Drucksache 19/20668 Buchstabe a, b und c Bündnis 90/Die Grünen gibt ihre Rede zu Protokoll wie Hansjörg Durz für die CDU/CSU und Martin Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Rabanus für SPD-Fraktion1). Danke schön. – Damit Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Zu dem Ge- schließe ich die Aussprache. setzentwurf des Bundesrates liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung Für die Aussprache sind 30 Minuten vorgesehen. des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze. Der Aus- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD- schuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Fraktion Dr. Johannes Fechner. Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20664, den Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. 19/18789 und 19/19744 in der Ausschussfassung anzu- Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in (B) der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- Dr. Johannes Fechner (SPD): (D) zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir beraten heute ein nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD und wichtiges Gesetz. CDU/CSU, dagegengestimmt haben die Fraktionen der FDP und AfD, enthalten haben sich die Fraktionen Die Es gibt in Deutschland rund 60 Millionen Handynut- Linke und Bündnis 90/Die Grünen. zer, Handys sind also weit verbreitet. Sie haben sehr gute Kameras und sind klein und handlich. Natürlich miss- Dritte Beratung braucht jetzt nicht jeder Handynutzer die Möglichkeit, mit dem Smartphone zu fotografieren. Aber es gibt eben und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem doch eine gewisse Anzahl – leider zunehmend – von Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Menschen, die Frauen unter den Rock fotografieren oder Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- verstorbene Unfallopfer fotografieren. Es gibt diese Men- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- schen. Wir können es nicht länger dulden, dass es hierzu nen von SPD und CDU/CSU, dagegengestimmt haben keinen Straftatbestand gibt. Wir können es nicht hinneh- die Fraktionen von FDP und AfD, und enthalten haben men, dass derart in Persönlichkeitsrechte, in den intims- sich die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- ten Lebensbereich von Bürgerinnen und Bürgern, einge- nen. griffen wird. Deswegen ist dieses Gesetz ein gutes Ich rufe als letzten Tagesordnungspunkt den Zusatz- Gesetz, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. punkt 24 auf: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- der CDU/CSU) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Mit dem Gesetz stellen wir zum einen das sogenannte … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- Upskirting unter Strafe. Upskirting bedeutet, dass ein buches – Verbesserung des Persönlich- Täter einer Frau unter den Rock fotografiert. Im keitsschutzes bei Bildaufnahmen schlimmsten Fall verbreitet er dieses Foto dann auch Drucksache 19/17795 noch im Internet. Das ist besonders rücksichtslos; denn es erfolgt ja überraschend, und die Frauen haben keine – Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Und dann ist der rat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes Schock verständlicherweise groß, wenn die Bilder im Internet auftauchen. Das können wir nicht dulden. Wir 1) Anlage 12 müssen hier die Intimsphäre schützen. Deswegen stim- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21333

Dr. Johannes Fechner (A) men wir heute diesem Gesetzentwurf gegen Upskirting Stimmen wir also dem heute zu! Das ist ein gutes und (C) zu, liebe Kolleginnen und Kollegen. wichtiges Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich möchte mich ganz herzlich beim Justizministerium der CDU/CSU) für den guten Gesetzesvorschlag bedanken. Ein aus- drückliches Lob und Dankeschön auch an die Berichter- Vizepräsidentin Claudia Roth: statter! Ich möchte hier Esther Dilcher – nicht nur, weil Vielen Dank, Dr. Fechner. – Der nächste Redner: für sie ihre Rede zu Protokoll gegeben hat – und Ingmar Jung die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka. ausdrücklich benennen. (Beifall bei der AfD – Martin Reichardt [AfD]: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Jetzt geht es los!) CDU/CSU) Ein Dankeschön – das ist mir jetzt wirklich wichtig – Tobias Matthias Peterka (AfD): geht auch an die beiden Damen, die eine Petition, die von Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Es tut mir vielen Menschen unterzeichnet wurde, eingereicht haben, leid, aber die Reden zu dritten Beratungen von Gesetz- und zwar an Hanna Seidel und Ida Sassenberg, die mit entwürfen gebe ich nie zu Protokoll, auch nicht nachts um ihrem Engagement und mit dieser Petition das Thema zwölf. vorangetrieben und dadurch einen wichtigen Beitrag ge- leistet haben, dass wir heute hier diesen Gesetzentwurf (Marianne Schieder [SPD]: Sie geben sonst haben. auch nichts zu Protokoll! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Ich möchte auch sagen, dass sich viele Promis dafür geben nie was zu Protokoll!) eingesetzt haben. Da möchte ich nur Emma Watson und Zu später Stunde geht es erneut um Änderungen des Keira Knightley nennen, die sich auch zur Rechtslage Strafgesetzbuches. Grundsätzlich geht das auch gar nicht hier in Deutschland positioniert haben. Auch da ein herz- in die falsche Richtung, vor allem, wenn man sich neben liches Dankeschön! Das war wichtiger Rückenwind für dem Schutz gegen Gaffer gleich auch dem wichtigeren dieses Gesetz. Anliegen zuwendet, nämlich dem Schutz gegen despek- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tierliches Fotografieren von – quasi immer – jungen Frauen und Mädchen. (B) der CDU/CSU und der Abg. Nicole Bauer (D) [FDP]) Die Sitzungspause naht und damit der Sommer in die- Leider gibt es einen weiteren – man muss schon fast sem Land – ein Sommer, in dem wieder viele Frauen sagen – Trend; ich kann ihn nicht nachvollziehen. Ich nicht ins Freibad gehen werden, weil sie sich fürchten finde es unfassbar, dass Menschen tatsächlich verstorbe- müssen, Opfer der lokalen Partyszene und deren Handys ne Unfallopfer fotografieren und diese Bilder dann über zu werden. das Netz verbreiten. Das kann man nicht nachvollziehen, (Beifall bei der AfD) aber leider gibt es das, und es nimmt zu. Es ist nicht nur für die betroffenen Angehörigen ein schlimmer Anblick, Daher sage ich zur Strafbarstellung des Fotografierens wenn sie das sehen. Oft werden auch die Rettungskräfte unter die Kleidung sowie jetzt auch des Intimbereichs durch die Gaffer und deren Sensationsgier behindert, so- an sich: Ja, endlich! Die Verortung im Sexualstrafrecht dass dann noch Schlimmeres passiert und Verletzte nicht passt natürlich auch. Mit unserem Antrag wäre aber eine gerettet werden können. Auch deswegen müssen wir hier umfassendere Verknüpfung mit dem zivilrechtlichen ganz klar sagen: Das wollen wir unter Strafe stellen. Schutz möglich gewesen, als Auffanglösung. Schlecht, Solche Handlungen wollen wir auf keinen Fall weiter dass diese Chance vertan wurde! dulden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weiter müsste ich der Frau Ministerin, wenn sie da der CDU/CSU) wäre, noch eines verraten: Straftatbestände sind schön und gut, aber leider gibt es inzwischen bei uns einen Wir haben uns, wie bei jeder Verschärfung des Straf- unheiligen Dreiklang: gesetzbuches, auch hier – das möchte ich ausdrücklich sagen – natürlich gefragt: Brauchen wir das? Das Straf- Erstens. Taten werden nicht gemeldet oder angezeigt, recht soll ja nur Ultima Ratio sein. Man könnte ja sagen: da der Bürger resigniert. Eigentlich gebietet es der Anstand, dass man Frauen nicht unter den Rock fotografiert oder dass man Verstorbene Zweitens. Gemeldete Taten werden nicht verfolgt, weil nicht knipst. Aber es gibt solche gesellschaftlichen Ent- Polizei und Staatsanwaltschaft überlastet sind. wicklungen, und offensichtlich haben diesen Anstand Drittens. Angeklagte werden vor Gericht mit Einstel- viele Menschen leider zunehmend nicht mehr. Deswegen lung, Bewährung oder sonstigen Wattebäuschen bewor- müssen wir hier den strafrechtlichen Schutz für die be- fen, troffenen Personen verbessern, und das machen wir mit diesem Gesetz. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) 21334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Tobias Matthias Peterka (A) da nicht sein kann, was nicht sein darf, ich weiß: Manche wollen eben erst den ganz großen (C) Blechschaden. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. dass nämlich unser Rechtsstaat von ganzen Bevölke- rungsgruppen nicht mehr respektiert und infrage gestellt (Beifall bei der AfD – Ulle Schauws [BÜND- wird. NIS 90/DIE GRÜNEN]: „Blechschaden“? Ich (Nicole Höchst [AfD]: So ist es!) verstehe immer nur „Schaden“ bei der AfD!) Und da könnten die panischen Umschreibungen wie Vizepräsidentin Claudia Roth: „Partyszene“ ganz amüsant sein, wenn das, was hier vor- geht, nicht so bitterernst wäre. Danke schön. – Dann kommen wir zum nächsten Red- ner, der auch der letzte Redner ist, der leibhaftig reden (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sehr gut!) wird: Ingmar Jung für die CDU/CSU-Fraktion. Endlich wurde das Upskirting einmal erfasst – immer- (Beifall bei der CDU/CSU – Marianne hin! Das ganze Problem dahinter wird aber gerade nicht Schieder [SPD]: Man muss seine sechs Minu- gesehen. Da gab es dann zum Beispiel eine Anhörung im ten Redezeit nicht ausnutzen!) Rechtsausschuss, und alle redeten um den Elefanten im Raum herum, dass Loriot seine Freude daran hätte, näm- Ingmar Jung (CDU/CSU): lich dass migrantische Milieus der deutschen Bevölke- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und rung, der deutschen Gesellschaft ihren Stempel aufdrü- Herren! Bevor ich was zur Sache sage, lassen Sie mich cken – viel zu oft, viel zu unwidersprochen vielleicht zunächst mal ein paar Worte zu dem sagen, was (Marianne Schieder [SPD]: Habe ich es doch wir eben gehört haben. Wissen Sie, Herr Peterka, Sie gedacht, dass sie nicht vergessen werden!) machen das jedes Mal so: Am Ende eines Gesetzge- bungsverfahrens kommen auf einmal Sachen, die man und zunehmend zum Schaden unseres Rechts- und Kul- das allererste Mal hört, die im Ausschuss keine Rolle turstaates. gespielt haben. Weil hier irgendwo eine Kamera ist oder (Beifall bei der AfD) man einfach was für Facebook machen will, wird irgend- was mit Migration gesagt. Da versuchen Sie jedes Mal, Und nein, es geht hier nicht um das Restaurant um die am Thema vorbeizureden. Ecke oder aufrichtige Integrationsbemühungen, die es gibt. Es geht hier um frauenfreie Schwimmbäder, rechts- Wenn es so schlimm ist, dass das, was Sie unbedingt (B) freie Clanstrukturen und polizeifreie Stadtviertel. hören wollen, in der Anhörung keine Rolle spielt, hätte (D) ich mal einen Vorschlag: Schlagen Sie doch mal einen (Beifall bei der AfD) Sachverständigen vor. – Es war wieder keiner von der Wir doktern auch beim Upskirting nur an Symptomen AfD benannt. Die Fragen wurden alle nicht gestellt, und herum. Wenn nämlich nach einer Tat einmal die oben hier beschweren Sie sich, dass es keine Rolle gespielt hat. genannten zwei ersten Widerstände – Resignation und Das ist doch wirklich kein legitimes Verhalten. Überbelastung – überwunden sind, dann gibt es regelmä- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ßig vor Gericht zu geringe Strafen. Bewährung ist in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- manchen Kreisen einfach ein Freispruch – und Ketten- ordneten der FDP – Fabian Jacobi [AfD]: Da- bewährung bei der x-ten Tat eine Lachnummer. für sind Sie verantwortlich!) Wir fordern daher einen Befreiungsschlag: zuverlässig – Dafür, dass Sie keine Sachverständigen benennen, sind härtere Strafen bei Mehrfachtätern, bei Gewalttaten, bei wir verantwortlich? Das ist ja um 0.08 Uhr – das muss Drogendelikten, aber auch bei Eigentumsdelikten oder ich mir wirklich merken – die Krönung der Zwischen- Upskirting. Ab der dritten Straftat muss zwingend die rufe. Herzlichen Glückwunsch! Unglaublich! Regel gelten: Drei Strikes, und du bist raus, übrigens egal, welcher Herkunft du bist. (Martin Reichardt [AfD]: Intellektuelle Ar- mut! – Weitere Zurufe von der AfD) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will zu den zwei Teilen des Gesetzentwurfes auch noch was sagen. Es muss zwingend Haftstrafen in der oberen Hälfte des Strafrahmens geben. Wir haben – das haben wir schon gehört – die Situation mit den Gaffern. Das ist ein wirklich unerträgliches Ver- Ja, das ist eine bittere Medizin, aber die Wadenwickel helfen nicht mehr. Der Rechtsstaat muss Zähne zeigen – halten, das immer mehr zunimmt. Unterhalten Sie sich im Interesse aller friedlichen Bürger und der Zukunft mal mit Rettungsdiensten, mit Leuten, die da vor Ort sind unserer Demokratie. Genau so hoch müssen wir das hän- und bei ihrer Rettungsarbeit nach Unfällen behindert wer- den, die damit zu kämpfen haben, dass auf der Gegenseite gen. kein Stau entsteht, und sich damit zu beschäftigen haben, Ich prophezeie es Ihnen: Eines Tages kommt in dass sie ihre eigentliche Rettungsarbeit nicht machen Deutschland eine Drei-Strikes-Regel. Hilflose Einzel- können, weil die Leute lieber stehen bleiben und Fotos maßnahmen werden nämlich definitiv in den Graben füh- machen. Dass wir im Moment die Situation haben, dass ren. Lieber gleich hier und jetzt auf die AfD hören! Aber Strafbarkeit nur dann gegeben ist, wenn hilflose Personen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21335

Ingmar Jung (A) betroffen sind, aber nicht, wenn möglicherweise Tote be- Wir haben in der Anhörung aber auch über diese Prob- (C) troffen sind, ist ein Zustand, der nicht hinzunehmen ist. lematik gesprochen und festgestellt, dass es da viele klei- Denn eines muss man doch auch mal sehen: Es ist nicht ne Detailprobleme gibt. Deswegen lade ich alle herzlich nur pietätlos, wenn man Fotos von gerade verstorbenen ein: Lassen Sie uns doch vielleicht ein eigenes Gesetzge- Personen macht und sie möglicherweise auch noch ver- bungsverfahren betreiben, in dem wir auch für diesen breitet, sondern das ist für die Angehörigen, die plötzlich Sachverhalt eine Regelung finden. in einer ganz schwierigen persönlichen Situation sind, einfach auch unerträglich. Deswegen ist es richtig, dass Ich darf mich abschließend auch noch mal beim Mi- wir diese Strafbarkeitslücke jetzt schließen. nisterium und beim Koalitionspartner für die wirklich gute Zusammenarbeit hier herzlich bedanken, und ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- möchte Herrn Dr. Fechner zustimmen: In der Tat über- ordneten der SPD) prüfen wir bei Verschärfungen des Strafrechts immer, ob sie denn richtig sind. Auch wenn wir uns da nicht immer Ebenso wichtig ist der Bereich des Upskirtings und einig sind, glaube ich: Hier ist es sogar noch richtiger, als Downblousings. Da will ich jetzt nicht alles wiederholen, es bei anderen Verfahren manchmal war. was Herr Dr. Fechner bereits an richtigen Sachen vorge- tragen hat. Ich will aber eine Sache sagen, die uns schon Ich schenke Ihnen jetzt etwas weniger Zeit, als ich sehr wichtig ist: Ich glaube, dieses Gesetzgebungsverfah- dachte, und wünsche Ihnen allen um 0.12 Uhr einen fro- ren ist ein guter Beweis dafür, dass das parlamentarische hen Feierabend. Gute Nacht! Verfahren einen Sinn macht und dass auch – anders als Herzlichen Dank. uns gelegentlich vorgeworfen wird – die Anhörung eine echte Rolle spielt und wir Dinge daraus übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Margit Stumpp Wir haben jetzt zum Beispiel die entsprechende Norm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ins Sexualstrafrecht überführt, und da gehört sie im Üb- rigen auch hin. Darüber haben wir lange miteinander diskutiert. Wenn man sich länger damit befasst und sich Vizepräsidentin Claudia Roth: die Betroffenen, die Sachverständigen und diejenigen an- Wir sind noch nicht fertig; es wird noch abgestimmt. hört, die die Petition in Gang gesetzt haben – Herr Fechner hat sie angesprochen –, dann erscheint es natür- (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Aber Sie haben lich schon logisch, dass diese Norm in den Abschnitt der gesagt, es redet keiner mehr!) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehört. – Ja, es redet keiner mehr, aber Sie müssen noch ein (B) bisschen arbeiten. – Ingmar Jung, vielen herzlichen (D) Es mag zwar sein – das wurde in der Anhörung vorge- Dank. tragen –, dass es Täter gibt, die das als Mutprobe betrei- ben, bei denen es darum geht, ein tolles Bild zu machen, Die Kollegen Stephan Thomae, Gökay Akbulut, Canan aber wenn man es einmal aus der Opferperspektive be- Bayram, Esther Dilcher und Alexander Hoffmann geben trachtet, dann erkennt man, dass die Opfer doch nicht ihre Reden zu Protokoll.1) deshalb betroffen sind, weil das Recht am eigenen Bild an der Stelle verletzt ist, sondern weil der höchst intime – (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] auch sexuell intime – Bereich verletzt ist. Deswegen ist es und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ richtig, die Norm bei den Sexualstraftaten einzuordnen. DIE GRÜNEN]) Das bringt ja auch prozessual einiges mit sich: Fragen der Damit schließe ich die Aussprache. Privatklage und Ähnliches. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Deswegen bin ich froh, dass wir diese Änderung noch desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung vorgenommen haben, und bitte nehmen Sie alle zur des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persönlich- Kenntnis: Auch die Regierungsfraktionen hören gerne keitsschutzes bei Bildaufnahmen. mal auf die Anhörungen, wenn da Richtiges vorgetragen wird. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Drucksache 19/20668, den Gesetzentwurf der Bundesre- Marianne Schieder [SPD]) gierung auf Drucksache 19/17795 in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Erlauben Sie mir ein letztes Wort, weil das in den letzten Tagen öfter diskutiert wurde: Wir haben jetzt kei- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP ne Regelungen in Bezug auf die einfachen Nacktaufnah- auf Drucksache 19/20752 vor, über den wir jetzt zuerst men getroffen. Das Thema hat in der Anhörung am Ran- abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – de eine Rolle gespielt; darüber wurde diskutiert. Da ist Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände- auch eine Strafbarkeitslücke, aber wir waren uns am Ende rungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktio- einig, dass es eine andere Gesamtkonstellation ist, dass nen von FDP und Grünen, dagegengestimmt haben die eine andere Tätermotivation dahintersteckt, dass sich die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und AfD, und enthalten entsprechenden Situationen aus der Opferperspektive hat sich die Fraktion der Linken. ganz anders darstellen. Und vor allen Dingen war das kein zentrales Thema der Anhörung. 1) Anlage 13 21336-21352 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf des Bun- (C) Bundesregierung auf Drucksache 19/17795 in der Aus- desrates auf Drucksache 19/15825 zustimmen wollen, schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – um das Handzeichen. – Aha! Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zuge- (Heiterkeit) stimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und – Entschuldigung! Das Protokoll vermerkt „Aha!“ – Wer der Linken, dagegengestimmt haben die Fraktionen der stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- AfD und der FDP, und enthalten hat sich die Fraktion von wurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen. niemand, dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und Dritte Beratung AfD, und enthalten hat sich die Fraktion der Linken. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Beratung. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der wurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen AfD zur Verbesserung des Persönlichkeitsrechtsschutzes von der Linken, der SPD, der CDU/CSU, dagegenge- bei Bildaufnahmen. Der Ausschuss für Recht und Ver- stimmt haben die Fraktionen von FDP und AfD, und ent- braucherschutz empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- halten haben sich die Grünen. schlussempfehlung auf Drucksache 19/20668, den Ge- setzentwurf der Fraktion der AfD auf Drucksache Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten 19/18980 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs – setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereichs (sog. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Ge- Upskirting). setzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zuge- stimmt hat die Fraktion der AfD, alle anderen Fraktionen Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- des Hauses haben dagegengestimmt. Damit entfällt nach fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Drucksache 19/20668, den Gesetzentwurf des Bundesrats (Zuruf von der AfD: Überraschend!) auf Drucksache 19/15825 abzulehnen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die nung angekommen. (B) Linke auf Drucksache 19/20748 vor, über den wir jetzt (D) zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der tages auf heute, Freitag, den 3. Juli 2020, 9 Uhr, ein. Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, dage- Sitzung ist damit geschlossen. gengestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU und der AfD, und enthalten hat sich die FDP. (Schluss: 0.18 Uhr) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21353

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Frieden, Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten fördern – Am Ziel der verhandelten Zweistaaten- Auernhammer, Artur CDU/CSU lösung festhalten Barrientos, Simone DIE LINKE (169. Sitzung, Tagesordnungspunkt 4 a) Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ Der Bundestag wolle beschließen: DIE GRÜNEN 1. Der Titel des Antrags wird wie folgt geändert: Esdar, Dr. Wiebke* SPD Deutsche Staatsräson für sichere Existenz Israels präzi- sieren Gabelmann, Sylvia DIE LINKE 2. Abschnitt I wird wie folgt geändert: Hakverdi, Metin SPD Der Deutsche Bundestag stellt fest: Herzog, Gustav SPD Der souveräne und demokratische Staat Israel ist ein en- Irmer, Hans-Jürgen CDU/CSU ger Verbündeter Deutschlands, die Fortsetzung der engen und freundschaftlichen Beziehungen und die Sicherheit Kamann, Uwe fraktionslos Israels sind zentrales Anliegen deutscher Sicherheits- und Außenpolitik. Frieden und Stabilität im Nahen Osten sind Korkmaz-Emre, Elvan* SPD nur durch einen unverstellten Blick auf die politischen Korte, Jan DIE LINKE Realitäten in Israel und den Palästinenser-Gebieten zu erreichen, daher ist eine eindeutige Positionierung an Leutert, Michael DIE LINKE der Seite des demokratischen Staates Israel auf allen po- litischen Ebenen geboten. Maas, Heiko SPD (B) 3. Abschnitt II wird wie folgt geändert: (D) Pasemann, Frank AfD Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung Pilger, Detlev SPD auf, 1. im Geiste der besonderen und von der historischen Post, Florian SPD Verantwortung gegenüber Israel getragenen deutsch- Remmers, Ingrid DIE LINKE israelischen Beziehungen auf die neue israelische Re- gierung zuzugehen und mit ihr nahtlos an die breite Steffel, Frank CDU/CSU und zugleich enge Partnerschaft in allen Bereichen der bilateralen Beziehungen anzuknüpfen; Weinberg, Harald DIE LINKE 2. nach dem Scheitern des iranischen Atomabkommens Werner, Katrin DIE LINKE und angesichts der neuerlichen Drohungen des irani- schen Obersten Führers Ayatollah Khamenei gegen Zdebel, Hubertus DIE LINKE Israel die Handelsbeziehungen zum Iran zu überprü- fen und ihre Iran-Außenpolitik gemäß der deutschen Ziegler, Dagmar SPD Staatsräson bzgl. Israel neu auszurichten; Zimmermann (Zwickau), DIE LINKE 3. das souveräne Recht Israels anzuerkennen, seine Sabine Hauptstadt auf eigenem Territorium frei zu wählen; Zimmermann, Pia DIE LINKE 4. sich innerhalb der EU für eine geschlossene und ein- heitliche Position einzusetzen, sowie dafür starkzuma- * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes chen, dass die EU eine aktive Rolle für eine nachhal- tige Lösung des Nahostkonflikts einnimmt. Dazu zählt auch eine europäische Initiative unter Deutsch- Anlage 2 lands Führung zur Beendigung der Boykottaufrufe ge- gen Israel, insbesondere Judäa und Samaria; Änderungsantrag 5. sich dafür einzusetzen, dass die EU konstruktiv auf die neue israelische Regierung zugeht und Angebote der Abgeordneten Dr. Frauke Petry, Uwe Kamann unterbreitet, wie die Partnerschaft zwischen der EU und Mario Mieruch (alle fraktionslos) zu dem und Israel auf der Grundlage des EU-Israel-Assoziie- 21354 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) rungsabkommens weiter ausgebaut und intensiviert bewirkt und neben den kurzfristigen Hilfen auch ein wirt- (C) werden kann; schafts- und steuerpolitischer Impuls notwendig ist, um die Binnenkonjunktur wieder anzukurbeln. Dieses Ziel 6. im Zuge dieser Zusammenarbeit gerade vor dem Hin- verfehlt jedoch der von der Großen Koalition vorgelegte tergrund der Herausforderungen durch das Coronavi- zweite Nachtragshaushalt. Die befristete Absenkung der rus mit neuer Dynamik auch den Bereich des Gesund- Umsatzsteuersätze führt zu erheblichen Umstellungskos- heitswesens in den Blick zu nehmen; ten und mehr Bürokratie, ohne Bürger und Unternehmen 7. bilateral sowie im EU-Rahmen Druck auf die Palästi- nachhaltig zu entlasten. Die Wirkung der Maßnahme ist nensische Behörde auszuüben, die seit 2009 ausge- zudem sehr fraglich. Das etwaige Vorziehen von Konsu- setzten Wahlen endlich wieder anzusetzen und damit mentscheidungen in diesem Jahr löst allenfalls ein kon- die demokratische Legitimierung der palästinensi- junkturelles Strohfeuer aus, das zu Beginn des komm- schen Führung zu gewährleisten, sowie Gewalt und enden Jahres schnell ersticken könnte. Gleichzeitig Gewaltaufrufe der palästinensischen Institutionen in explodiert die Neuverschuldung, was kommende Gene- aller Deutlichkeit zu verurteilen; rationen über Gebühr belastet. 8. bilateral sowie im EU-Rahmen sich gegenüber der Das richtige Signal wäre entstanden, indem man die Palästinensischen Behörde dafür einzusetzen, dass Unternehmen und Beschäftigten dauerhaft entlastet hätte, einseitige Initiativen zur Anerkennung einer palästi- damit sie eine Zukunftsperspektive sehen und Vertrauen nensischen Staatlichkeit unterlassen werden; in den Standort Deutschland fassen. Dazu hätten in Mil- liardenhöhe bestehende Rücklagen aufgelöst, der Solida- 9. sich entschieden gegen jedwede Vernichtungsrhetorik ritätszuschlag rückwirkend zum 1. Januar abgeschafft gegenüber Israel einzusetzen; und eine negative Gewinnsteuer eingeführt werden müs- 10. sich entschieden gegen Versuche zu stellen, Israel in sen, um Bürgern und Bürgerinnen und Unternehmen in internationalen Organisationen zu delegitimieren; der Krise durch Entlastung schnell und unkompliziert zu helfen. 11. in den Vereinten Nationen und ihren Gremien offen israelfeindliche Resolutionen zu verurteilen und kon- Die Möglichkeit von Entlastung und weniger Ver- sequent gegen israelfeindliche Resolutionen zu stim- schuldung hat die Große Koalition aber nicht genutzt. men; Besonders die teilweise unnötige Belastung der künftigen Generationen mit einer hohen Staatsverschuldung lehne 12.in den Vereinten Nationen auf eine Reform des Hilfs- ich ab. Aus diesen Gründen werde ich dem vorgelegten werks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlin- zweiten Nachtragshaushalt nicht zustimmen, auch wenn (B) ge im Nahen Osten (UNRWA) zu drängen, um die dort einzelne Maßnahmen durchaus zu befürworten sind. Da- (D) seit Jahren grassierenden Missstände wie Antisemitis- rüber hinaus verweise ich auf die Entschließungsanträge mus, Hamas-Kooperation und Korruption zu beenden. der FDP-Bundestagsfraktion.

Anlage 3 Anlage 4

Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulla Ihnen (FDP) zu der nament- der Abgeordneten Annalena Baerbock und Maria lichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung Klein-Schmeink (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Frak- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über die tionen der CDU/CSU und SPD: Beschluss des Bun- Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu destages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und des Grundgesetzes SPD: Beschluss des Bundestages gemäß Artikel 115 (Tagesordnungspunkt 8 a) Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (Covid- (Tagesordnungspunkt 8 a) 19) hat die bisher größte Wirtschaftskrise unseres Landes Wir haben versehentlich mit Ja gestimmt. Unser Votum nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. lautet Enthaltung. Obwohl meine Fraktion bereits beim ersten Nachtrags- haushalt kritisiert hatte, dass die neu aufzunehmenden Kredite in dieser Höhe nicht notwendig seien, weil die Bundesregierung zunächst auf ihre Reserven in der soge- Anlage 5 nannten Asylrücklage hätte zurückgreifen können, habe ich aus staatspolitischer Verantwortung dem Nachtrags- Erklärung nach § 31 GO haushalt zugestimmt, denn die Unternehmen und Be- schäftigten benötigten eine schnelle Unterstützung. des Abgeordneten Dr. André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- Doch jetzt wird zunehmend klar, dass die Covid-19- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Pandemie eine längerfristige Eintrübung der Konjunktur die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bun- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21355

(A) deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 ein inklusive seiner in der Bundesliga spielenden (C) (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2020) Handballmannschaft nun sicher auch profitieren wird. (Tagesordnungspunkt 8 b) Trotz der begrüßenswerten Hilfen für den Sport werde ich wie auch die anderen Abgeordneten der Fraktion Die Der von der Koalition eingebrachte Nachtragshaushalt Linke den Nachtragshaushalt angesichts des sozial un- enthält für den Bereich des Sports zwei wichtige Punkte. ausgewogenen Gesamtpaketes aller Maßnahmen ableh- Zum einen sollen der „Investitionspakt für Sportstät- nen. ten“ in den Jahren 2020 bis 2022 um 150 Millionen Euro sowie der Fonds für die „Sanierung kommunaler Einrich- tungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ auf- gestockt werden, zum anderen sollen 200 Millionen Euro Anlage 6 als nichtrückzahlbare „Corona-Überbrückungshilfe für Profisportvereine“ zur Verfügung gestellt werden. Erklärung nach § 31 GO Da über den Nachtragshaushalt nur in Gänze abge- des Abgeordneten Marian Wendt (CDU/CSU) zu stimmt wird, möchte ich als sportpolitischer Sprecher der Abstimmung über den von der Bundesregie- der Fraktion Die Linke mein Abstimmungsverhalten er- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur klären. Einführung der Grundrente für langjährige Versi- cherung in der gesetzlichen Rentenversicherung Die Aufstockung der Mittel für Investitionen für Sport- mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für stätten findet meine volle Zustimmung. Allerdings ersetzt weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Altersein- sie angesichts des Sanierungsstaus von rund 30 Milliarden kommen (Grundrentengesetz) Euro nicht den vom Bundesinnenminister Seehofer am 7. Dezember 2019 auf der Mitgliederversammlung des (Zusatzpunkt 11) DOSB angekündigten Goldenen Plan Sport. Dieser Plan Wir stimmen heute über den aktuellen Gesetzentwurf wäre nach Corona eine gute Konjunkturförderung, und er zur Einführung der Grundrente ab. Es ist seit Langem ein wird vor allem für den Breiten- wie auch Schulsport in bekanntes Problem, dass soziale Sicherung gerecht und Deutschland gebraucht. Ich verweise an dieser Stelle aus- verlässlich gestaltet werden muss. Ebenso klar ist die drücklich auf den Antrag der Linken auf Drucksache Notwendigkeit einer Anpassung des Drei-Säulen-Mo- 19/20035 für einen dritten Goldenen Plan Sport, für den dells aus gesetzlicher Rentenversicherung, betrieblicher der Bund zehn Jahre lang je 1 Milliarde Euro bereitstellen sowie privater Altersvorsorge an unsere Zeit. (B) soll. (D) Weil wir das Problem der nicht zum Lebensunterhalt Bei dem 200-Millionen-Euro-Paket für die Sportver- reichenden Renten mancher Bürger lösen möchten, haben eine würde ich mit Enthaltung stimmen. Dafür gibt es wir zusammen mit unserem Koalitionspartner bekräftigt, folgende Gründe: Einerseits ist unstrittig, dass die profes- dass Lebensleistung anerkannt und ein wirksamer Schutz sionellen und semiprofessionellen Sportvereine durch vor Altersarmut gewährleistet werden soll. Allerdings den Wegfall ihrer Zuschauerveranstaltungen in Folge haben wir mehrfach richtigerweise betont, dass eine der Coronakrise enorme Einnahmeverluste haben und nachhaltige Finanzierung und eine Bedürftigkeitsprüfung damit zum Teil auch von Insolvenz bedroht sind. Das Voraussetzungen sein sollen. betrifft sowohl den Männerfußball in der dritten Liga und die Frauenbundesliga, aber auch zahlreiche weitere Zwar stehe auch ich hinter dem Grundgedanken, dass Ball- bzw. Teamsportarten und Einzelsportarten, die eben Menschen, die ihr Leben lang für niedrige Einkommen vor allem von den Eintrittsgeldern sowie Sponsoring und gearbeitet haben, mehr Rente beziehen sollen als die nicht wie die 1. und 2. Bundesliga im Männerfußball von Grundsicherung. Dennoch sehe ich im aktuellen Vor- Fernsehgeldern leben. Deswegen halte ich es für richtig, schlag die Gefahr, dass doch neue Ungerechtigkeiten ge- diese Vereine zu unterstützen. schaffen werden. Beispielsweise soll derjenige, der 32 Jahre in Vollzeit gearbeitet hat, keine Grundrente be- Andererseits ist es für mich nicht akzeptabel, dass die kommen – derjenige, der 35 Jahre in Teilzeit gearbeitet Koalition dieses Hilfspaket ohne Beteiligung der Opposi- hat, soll dagegen die Grundrente erhalten. Somit wird der tionsfraktionen mit der Bundesregierung ausgehandelt Paradigmenwechsel verstärkt und dadurch unverhältnis- hat und sie es nicht einmal für nötig befunden hat, den mäßige Verwaltungskosten durch neu zu schaffende Per- Sportausschuss in der gestrigen Sitzung zu beteiligen. sonalressourcen erzeugt. Auch dem angedachten Zeitplan Wir haben aus der Presse sowie über unsere Kollegen stehe ich sehr kritisch gegenüber. aus dem Haushaltsauschuss erfahren, worüber hier heute abgestimmt werden soll. So konnten Fragen zu diesem Nicht nur ich halte dies für problematisch und unge- Hilfspaket und seiner Umsetzung, die sich für mich aus recht. Auch zahlreiche Wählerinnen und Wähler aus mei- den vorliegenden Papieren ergeben, nicht gestellt und nem Wahlkreis Nordsachsen stehen dem Vorschlag skep- damit von der Bundesregierung auch nicht beantwortet tisch gegenüber. Diejenigen, die ihre eigene Rente werden. Und es hat auch einen faden Beigeschmack, beitragsfinanziert haben, fragen sich zu Recht, warum wenn der CDU-Abgeordnete als Obmann sie hohe Beiträge gezahlt haben, wenn sie die gleiche seiner Fraktion im Sportausschuss und gleichzeitiger Prä- Leistung zu großen Teilen auch „umsonst“ hätten bekom- sident des Sportvereins Füchse Berlin das Paket maßgeb- men können und nun die Grundrente des anderen auch lich mit der Regierung verhandelt hat, von dem sein Ver- noch mitbezahlen. 21356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) In dem Gesetzentwurf wird auch auf eine nachhaltige Dies ist auch der entscheidende Grund dafür, weshalb (C) Finanzierung bzw. auf die Finanztransaktionsteuer ver- die Investitionskraft in Deutschland seit vielen Jahren zichtet, mit der Konsequenz, dass die Gegenfinanzierung erlahmt. Wenn immer mehr Unternehmen zombiefiziert aus dem Bundeshaushalt kommen wird. Die Steuer- und sind, dann kann eine Wirtschaft nicht produktiver wer- Beitragszahler sind damit in einer Zeit, in der die durch den. Auch das kann seit Langem belegt werden. Denn die die Coronapandemie ausgelöste Wirtschaftskrise noch Arbeitsproduktivität ist auf einem historisch niedrigen bewältigt werden muss, zusätzlich betroffen. Darüber hi- Niveau. Faktisch stagniert sie in diesem Land. Das kann naus werden künftige Generationen besonders benachtei- man als Beleg dafür werten, dass das Wachstum bis zur ligt. Coronakrise zu nicht unerheblichen Teilen auf Sand ge- baut war. Eine ehrliche Diskussion über eine zukunftssichere Rente müssen wir weiterführen. Diese braucht aber Zeit, Die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Impulse und Partner. Meines Erachtens gibt es auch wei- 5. Mai 2020 enthaltenden Anforderungen an den Deut- tere Ideen, die eine Überlegung wert sind: Kinderbonus schen Bundestag, im Rahmen seiner Integrationsverant- einführen, um die demografische Entwicklung besser im wortung auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB System abzubilden, eine individuelle Rentenleistungsbi- hinzuwirken, wird dieser Beschluss des Deutschen Bun- lanz einführen, um tatsächliche Rentenansprüche der destages nicht gerecht. Die Berücksichtigung der be- Menschen besser abzubilden oder ein digitales schriebenen wirtschaftlichen Auswirkungen halten wir Rentenkonto erschaffen, um Bürokratie abzubauen und für nicht ausreichend erfüllt. Das Urteil des Bundesver- gleichzeitig Auszahlungen zu vereinfachen. Auch eine fassungsgerichts verlangt vom Bundestag mehr als die stärkere Flexibilisierung des Renteneintrittes, der sich Bestätigung einer rein formell erfolgten Verhältnismäßig- mehr an der Lebensrealität orientiert, ist dringend nötig. keitsprüfung seitens der EZB. Stattdessen wäre eine in- tensive Befassung hinsichtlich einer materiellen Prüfung Diese Beispiele zeigen auf, dass man zukunftsorien- der Verhältnismäßigkeit angebracht gewesen. Dies ist tiert sein kann, ohne künftige Generationen belasten zu nicht erfolgt. müssen, und gleichzeitig konkret an die Lösungen der Das Verfassungsgericht hat die Regierung und das Par- Problematik gehen kann. lament unter Druck gesetzt, nicht weiter auf die EZB zu Aus den genannten Gründen kann ich dem eingebrach- setzen, indem ökonomische Probleme geldpolitisch ge- ten Gesetzentwurf nicht zustimmen. löst werden sollen. Vielmehr müssen Regierung und Par- lament selbst die notwendigen Entscheidungen treffen und dafür auch die politische Verantwortung tragen. Da- (B) ran mangelt es immer noch. (D) Anlage 7

Erklärung nach § 31 GO Anlage 8 der Abgeordneten Frank Schäffler und Christian Sauter (beide FDP) zu der Abstimmung über den Erklärungen nach § 31 GO Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und zu der Abstimmung über den Antrag der Fraktio- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Urteil des Bundes- nen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE verfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm GRÜNEN: Urteil des Bundesverfassungsgerichts PSPP der Europäischen Zentralbank zum Anleihekaufprogramm PSPP der Europä- ischen Zentralbank (Zusatzpunkt 17) (Zusatzpunkt 17) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen der EZB war eine Mahnung an den Alexander Müller (FDP): Das Urteil des Bundesver- Bundestag, seine Kontrollfunktion besser auszuüben. Die fassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen der EZB EZB ist nämlich nicht freischwebend, sondern lediglich war eine Mahnung an den Bundestag, seine Kontroll- unabhängig von der Politik im Rahmen ihres Mandats. funktion besser auszuüben. Die EZB ist nämlich nicht freischwebend, sondern lediglich unabhängig von der Insbesondere die Kollateralschäden der Staatsanleihe- Politik im Rahmen ihres Mandats. käufe und Niedrigzinspolitik wurden zu lange vernach- lässigt. Diese sind inzwischen erheblich. Allein seit 2010 Insbesondere die Kollateralschäden der Staatsanleihe- haben Sparer hierzulande rund 360 Milliarden Euro ver- käufe und Niedrigzinspolitik wurden zu lange vernach- loren. Das sind 365 Euro pro Bürger und Jahr. Die Ver- lässigt. Diese sind inzwischen erheblich. Allein seit 2010 mögenspreise bei Immobilien und Unternehmenswerten haben Sparer hierzulande rund 360 Milliarden Euro ver- sind durch das billige Geld der EZB erheblich angestie- loren. Das sind 365 Euro pro Bürger und Jahr. Die Ver- gen. Die Anzahl der Zombieunternehmen nimmt aber mögenspreise bei Immobilien und Unternehmenswerten seitdem wenig überraschend auch enorm zu. Immer mehr sind durch das billige Geld der EZB erheblich angestie- Unternehmen konnten schon vor dem aktuellen Shut- gen. Die Anzahl der Zombieunternehmen nimmt aber down ihre Schuldzinsen nicht mehr aus ihren Jahresüber- seitdem wenig überraschend auch enorm zu. Immer mehr schüssen bedienen. Unternehmen konnten schon vor dem aktuellen Shut- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21357

(A) down ihre Schuldzinsen nicht mehr aus ihren Jahresüber- fasst. Dies betrifft insbesondere das als vertraulich (C) schüssen bedienen. eingestufte Dokument „Excerpt from the ECB Policy Briefing Note of June 2020“, aus dem sich nach Ansicht Den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom des BMF (Schreiben vom 26. Juni 2020) und des Referats 5. Mai 2020 enthaltenen Anforderungen an den Deut- PE 2 (Kurzinformation vom 29. Juni 2020) eine nach- schen Bundestag, im Rahmen seiner Integrationsverant- vollziehbare und umfassende Verhältnismäßigkeitsprü- wortung auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB fung ergeben soll. hinzuwirken, wird dieser Beschluss des Deutschen Bun- destages nicht gerecht. Die Berücksichtigung der be- Dokumente, die allein in einer Fremdsprache abgefasst schriebenen wirtschaftlichen Auswirkungen halte ich sind, verletzen indessen den verfassungsrechtlichen An- für nicht ausreichend erfüllt. Das Urteil des Bundesver- spruch des Bundetages auf deutschsprachige Informatio- fassungsgerichts verlangt vom Bundestag mehr als die nen nach Artikel 23 Absatz 2 und Absatz 3 GG (ver- Bestätigung einer rein formell erfolgten Verhältnismäßig- gleiche Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes keitsprüfung seitens der EZB. Stattdessen wäre eine in- des Deutschen Bundestages WD3-3000-051/15). Bei ei- tensive Befassung hinsichtlich einer materiellen Prüfung nem Verstoß kann der Bundestag seine Kontroll- und der Verhältnismäßigkeit angebracht gewesen. Dies ist Mitwirkungsrechte nach Artikel 23 GG nicht wahrneh- nicht erfolgt. men (vergleiche BVerfGE 131, 152, 202 f.). Ich halte es des Weiteren für unangemessen, die inhalt- Im Übrigen verweise ich darauf, dass nicht nur die lichen Abwägungen der Notenbank in geheimen Doku- Gerichtssprache (§ 184 GVG), sondern auch die Parla- menten zu verstecken, und eine öffentliche Diskussion mentssprache Deutsch ist. dadurch zu verhindern. Entscheidungen, die dermaßen gravierende Auswirkungen haben können wie die in Re- Zweitens. Nicht nur bei fremdsprachigen, sondern de stehenden Wertpapierankaufprogramme, müssen auch und erst recht bei in wesentlichen Passagen ge- transparent kommuniziert und in Presse und Bevölkerung schwärzten Dokumenten sind die parlamentarischen In- debattiert werden können. Die FDP-Fraktion hat heute in formationsrechte des Deutschen Bundestages empfind- einem separaten Antrag unsere Erwartungen und Forde- lich verletzt. Das in englischer Sprache abgefasste rungen, die aus dem BVerfG-Urteil resultieren, vorgelegt. Dokument vom 21. November 2014 (Anlage 03 zu ZR4-19-34/20 VS-Vertraulich), welches inzwischen frei- Das Verfassungsgericht hat die Regierung und das Par- geschaltet wurde, enthält auf 10 seiner insgesamt 19 Sei- lament unter Druck gesetzt, nicht weiter auf die EZB zu ten umfangreiche Schwärzungen. Dadurch ist eine inhalt- setzen, indem ökonomische Probleme geldpolitisch ge- liche Gesamtbeurteilung dieses Dokuments unmöglich löst werden sollen. Vielmehr müssen Regierung und Par- gemacht worden. (B) lament selbst die notwendigen Entscheidungen treffen (D) und dafür auch die politische Verantwortung tragen. Da- Drittens. Die nach Auffassung der antragstellenden ran mangelt es immer noch. Fraktionen wesentlichen Dokumente der EZB, aus denen sich eine nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): Dem Antrag der ergeben soll, sind die „Zusammenfassung der geldpoliti- Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die schen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank“ Grünen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum vom 3./4. Juni 2020 sowie das „Excerpt from the ECB Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentral- Policy Briefing Note of June 2020“. Beide Dokumente bank (EZB) kann ich aus folgenden Gründen nicht zu- befassen sich indessen gar nicht mit dem Ende 2014 von stimmen: der EZB beschlossenen und seither fortgeführten Staats- Mit seinem Urteil vom 5. Mai 2020 hat das Bundes- anleihekaufprogramm (Public Sector Purchase Program- verfassungsgericht dem Deutschen Bundestag den me, PSPP), sondern mit dem im Rahmen der Covid-19- Auftrag erteilt, binnen 90 Tagen bei der EZB auf die Pandemie von der EZB erst im Frühjahr 2020 beschlosse- Darlegung ihrer Verhältnismäßigkeitsprüfung in ihren nen Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Beschlüssen zur Einführung und Durchführung ihres Emergency Purchase Programme, PEPP). Staatsanleihekaufprogramms (Public Sector Purchase Wie sich bereits aus der Überschrift, vor allem aber aus Programme, PSPP) hinzuwirken. dem weiteren Text des Excerpts eindeutig ergibt, verhält Entgegen der Ansicht der Bundesregierung (vergleiche sich dieses Dokument zur Analyse der Effektivität, Effi- Schreiben des BMF vom 26. Juni 2020), den Kurzinfor- zienz und möglichen Nebeneffekten des PEPP und eben mationen des Referats PE 2 des Bundestages vom 29. Juni nicht des PSPP. Auch die vom EZB-Rat in seiner Sitzung 2020 sowie der Ansicht der antragstellenden Fraktionen vom 3./4. Juni 2020 gefassten Beschlüsse betreffen aus- hat die EZB dieser Darlegungslast bisher nicht Genüge schließlich die Umfangerweiterung und den Zeithorizont getan. für Nettokäufe im Rahmen des PEPP (vergleiche Sei- te 21 f. der deutschsprachigen Zusammenfassung vom Erstens. Die vom EZB-Rat durch Beschluss vom 25. Juni 2020). 24. Juni 2020 dem Bundestag über die Bundesbank und sodann über das BMF zur Verfügung gestellten sieben Festzuhalten bleibt somit, dass die von der EZB dem Dokumente, von denen drei als VS-Vertraulich eingestuft Deutschen Bundestag zugeleiteten Dokumente inhaltlich und von mir nur in der Geheimschutzstelle des Bundes- nichts für eine vom BVerfG für erforderlich gehaltene tages eingesehen werden konnten, sind ganz überwie- Verhältnismäßigkeitsprüfung von Staatsanleihekäufen gend in englischer Sprache und ohne Übersetzung abge- im Rahmen des PSPP durch die EZB erkennen lassen. 21358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Viertens. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung seitens tag die Finanzierung von übergesetzlichem Lärmschutz (C) der EZB, wie sie bisher vom BVerfG bezüglich des PSPP im Volumen von über 1,5 Milliarden Euro zuerkannt vermisst wird, setzt nach deutscher Rechtsordnung die wurde, woran sich das Land Baden-Württemberg mit Prüfung der Erforderlichkeit, Geeignetheit und der An- mindestens 280 Millionen Euro beteiligt. gemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) ei- ner Maßnahme voraus. Eine solche Verhältnismäßig- Bei diesem Beschluss zur Rheintalbahn spielte ein keitsprüfung ist daher weitaus mehr als eine bloße NKV unter 1 keine Rolle, weil für das Parlament als Abwägung von Vor- und Nachteilen und von möglichen Souverän (im Gegensatz zur Bundesregierung) im Ein- Nebenwirkungen. Es kann daher nicht als ausreichend zelfall die BHO nicht bindend sein muss. Das Parlament angesehen werden, wenn der EZB-Rat in seiner Sitzung ließ sich 2016 einstimmig von Prinzipien wie dem Lärm- vom 3./4. Juni 2020 – bezogen auf PEPP – zu der Ein- schutz der Bevölkerung, der Akzeptanz in der Region, schätzung gelangt, „dass die Vor- und Nachteile der Wert- dem Respekt für mehrjähriges Engagement von Ehren- papierkäufe zwar unterschiedlich gewichtet werden amtlichen für konsensorientierte Lösungen und dadurch könnten, dass die positiven Auswirkungen auf die Wirt- der Beschleunigung bei Planung und Bau von im Ziel schaft im Streben nach Preisstabilität die negativen Ef- ökologischen (Verlagerung von Güterverkehr von der fekte bislang aber klar übertroffen hätten“ (vergleiche Straße auf die Schiene) und in Europa wichtigen Ver- Seite 20 der Zusammenfassung vom 25. Juni 2020). kehrswegen leiten. Der Tenor war: lieber höhere Investi- tionen in Lärmschutzmaßnahmen, die der Gesundheit der Eine derart pauschale, grobmaschige Abwägung ver- Menschen dienen, als endlose Gerichtsprozesse, wobei dient angesichts der gewaltigen Tragweite der Staatsan- Anwälte und Gutachter auf beiden Seiten viel (Steuer-) leihekäufe der EZB für die Fiskalpolitik der Mitglied- Geld und Zeit kosten. Es ging auch darum, der Deutschen staaten, den Bankensektor, die Altersvorsorge, die Bahn nicht erneut – wie im Rheintal – zuzumuten, wo von privaten Haushalte (Immobilienmarkt, Sparer, Kredit- der DB jahrelang streng nach BHO und dem NKV 1 ge- nehmer) und die Unternehmen meines Erachtens nicht plant worden war, obwohl diese Pläne dann vor Gericht das Prädikat einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie sie absehbar scheitern und die Fertigstellung über Jahre ver- vom BVerfG in seinem Urteil vom 5. Mai 2020 erwartet zögern würden. Das Motto war: Planungsbeschleunigung wurde. durch mehr Akzeptanz durch mehr Lärmschutz. Zweitens: Nutzen-Kosten-Verhältnis. Zitat aus dem TEN-Trassen-Beschluss Drucksache 18/7365: „… Ak- Anlage 9 zeptanz für den ökologisch bedeutsamen Verkehrsträger Schiene und notwendige Ausbaumaßnahmen durch er- (B) gänzende Maßnahmen sicherzustellen. Es gilt dabei, eine (D) Erklärung nach § 31 GO ausgewogene Güterabwägung vorzunehmen mit dem der Abgeordneten Bettina Hagedorn (SPD) zu der Ziel, zu gewährleisten, dass Menschen und Umwelt auch Abstimmung über die Beschlussempfehlung des unter Zurückstellung haushaltsrechtlicher Vorgaben zur Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Wirtschaftlichkeit (§ 7 der Bundeshaushaltsordnung – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: BHO) so wenig wie möglich belastet werden.“ Bericht über das Ergebnis der Vorplanung und der Die zur Abstimmung vorliegende Beschlussempfeh- frühen Öffentlichkeitsbeteiligung zur Ausbaustre- lung des Verkehrsausschusses 19/20624 legt allerdings cke/Neubaustrecke Hamburg–Lübeck–Puttgarden im Gegensatz dazu fest: „Die Verhältnismäßigkeit ist (Tagesordnungspunkt 15) hierbei zu wahren. Der Deutsche Bundestag orientiert sich daran, dass der NKV nicht unter 1,0 fallen soll.“ Am 2. Juli 2020 wird der Deutsche Bundestag ab- Durch diese den Bundestag selbst beschränkende Vor- schließend über den Entschließungsantrag in der Fassung gabe führt das strikte Festhalten an einem NKV über des federführenden Verkehrsausschusses vom 1. Juli 1,0 allerdings dazu, dass das eigentliche Ziel des TEN- 2020 abstimmen. Ich werde dem vorliegenden Antrag Trassen-Beschlusses – Steuergelder des Bundes in effek- zustimmen, möchte aber folgende Anmerkungen zu Pro- tiven Schutz der Menschen zu investieren anstatt nur in tokoll geben: teure Gutachten und Gerichtskosten – nicht erreicht wer- den kann. Erstens: Grundlage TEN-Trassen-Beschluss (18/7365) vom 26. Januar 2016. Im Antrag ist zu Recht erklärt, dass Drittens: Erfolgreiche Arbeit im Dialogforum seit fast dieser aktuelle Beschluss auf Grundlage des Antrages neun Jahren. Seit September 2011 arbeitet in Ostholstein „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europä- ein Dialogforum mit betroffenen Bürgermeistern, Ver- ischer Schienennetze“ (Drucksache 18/7365) verfasst bänden und Bürgerinitiativen der Region kontinuierlich, wurde, der am 28. Januar 2016 einstimmig im Deutschen um unter Einbindung der Deutschen Bahn und der Ver- Bundestag beschlossen wurde. Demnach darf – im Ein- kehrsministerien von Bund und Land konsensorientierte zelfall durch den Deutschen Bundestag – Lärmschutz Lösungen für die Region zu entwickeln. Nach acht Jahren über das gesetzliche Maß hinaus an Schienengütertrassen Engagement fasste das Dialogforum einstimmig einen finanziert werden, wenn diese Teil der Korridore des Beschluss an den Deutschen Bundestag mit geeinten For- europäischen TEN-Verkehrs-Kernnetzes sind und dort derungen zu übergesetzlichem Lärmschutz, den sie am Bürgerbeteiligung in Form von Dialogforen stattgefun- 12. September 2019 allen Fraktionen in Berlin vorgestellt den hat. Der Bezugsfall war die Rheintaltrasse, der am haben, um für die vollständige Übernahme dieser Mehr- 28. Januar 2016 zeitgleich durch den Deutschen Bundes- kosten durch den Deutschen Bundestag zu werben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21359

(A) Für Lärm- und Erschütterungsschutz in Bad Schwartau landanbindung der TEN-Güterschwerverkehrstrasse (C) waren im Juni 2019 noch 90 Millionen Euro in der „Mat- zwischen Lübeck und Puttgarden – völlig ohne zeitliche rix“ des Forderungskataloges einkalkuliert, die in einem Not – forciert, um dann gegebenenfalls auf genau dieser intransparenten Verfahren auf 50 Millionen Euro fast hal- Trasse eine Gesamtlärmbetrachtung nicht durchführen zu biert wurden. So wurde wertvolles Vertrauen verspielt. müssen. Diese Forderungen für den übergesetzlichen Lärmschutz beliefen sich 2019 (inklusive 90 Millionen Euro für Bad Darum ist klar: Dieser Beschluss des Bundestages wird Schwartau) auf gut 417 Millionen Euro für die gesamte die Region nicht befrieden und langwierige Klageverfah- Region (inklusive Lübeck). Davon verblieben 2020 gut ren provozieren, die zu vermeiden es eine Chance gege- 382 Millionen Euro mit 50 Millionen Euro für Bad ben hätte. Schwartau – die größte Stadt an der Trasse, in der circa Das Ziel des TEN-Trassen-Beschlusses, Bürgerbeteili- 60 Prozent aller Betroffenen leben. Bad Schwartau for- gung anzuerkennen, für Akzeptanz bei den betroffenen dert hingegen seit Jahren – mit ausnahmslos einstimmi- Menschen in der Region zu sorgen und durch übergesetz- gen Beschlüssen der Stadtvertretung – einen 7-Meter- liche Lärmschutzinvestitionen einen Gesundheits- und Trog für die innerstädtische Bahntrasse, die die Stadt zer- Tourismusstandort mit hoher ökologischer Qualität zu schneidet. Die Stadtvertretung hat einstimmig diverse schonen und so Gerichtsverfahren möglichst zu vermei- Gutachten für insgesamt circa 700 000 Euro zum erfor- den, wird damit leider klar verfehlt. derlichen Erschütterungs- und Lärmschutz beauftragt, um ihre Forderung nach einem 7-Meter-Trog zu unter- mauern, der circa zusätzlich gut 200 Millionen Euro er- fordern würde (bei einjähriger Streckensperrung nur circa Anlage 10 100 Millionen Euro). Der Deutsche Bundestag beschließt heute gut 232 Mil- Zu Protokoll gegebene Reden lionen Euro für Lärmschutzmaßnahmen entlang dieser zur Beratung Trasse durch eine hochsensible Gesundheits- und Touris- musregion – das ist ein positives Signal, aber das sind a) des Antrags der Abgeordneten Margit Stumpp, mindestens 150 Millionen Euro weniger für Lärmschutz, Dr. Anna Christmann, Kai Gehring, weiterer als im Forderungskatalog des Dialogforums einstimmig Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ nach jahrelanger Arbeit beschlossen wurde. DIE GRÜNEN: Lernen aus der Krise – Ein Up- date für die Schulen Die Probleme beim Lärm- und Erschütterungsschutz (B) der Stadt Bad Schwartau werden mit 50 Millionen Euro c) des Antrags der Abgeordneten Nicole Höchst, (D) nicht einmal ansatzweise gelöst: Eine 3,20-Meter-Trog- Marc Bernhard, Matthias Büttner, weiterer Ab- variante, die nun im Entschließungsantrag steht, wurde geordneter und der Fraktion der AfD: Quali- am 13. Juni 2019 von der Stadtvertretung bereits einstim- tätspakt Schule – Humane und humanistische mig abgelehnt (Drucksache Bad Schwartau 19/050). Für Bildung durch Schüler-Lehrer-Kontakt ge- das vom Tourismus geprägte Sierksdorf stehen nicht ein- währleisten mal 1 Million Euro von den geforderten 24 Millionen Euro im Entschließungsantrag. d) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- Viertens. Gesamtlärmbetrachtung: Seit dem 12. März nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abge- 2018 steht im Koalitionsvertrag (Seite 120) von SPD, ordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Katja CDU und CSU zur gesetzlich normierten Einführung ei- Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), ner Gesamtlärmbetrachtung: „Wir werden die Bürger weiterer Abgeordneter und der Fraktion der frühzeitiger bei Verkehrsprojekten beteiligen und eine FDP: Verlorenes Schuljahr vermeiden – Gesamtlärmbetrachtung einführen.“ Das Verkehrsminis- Schnellstmöglich Online-Lernen deutschland- terium hat diese Aufgabe leider seit über zwei Jahren in weit aufbauen keiner Weise gelöst. Deshalb enthält der Forderungs- katalog des Dialogforums 50 Millionen Euro für über- – des Antrags der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas gesetzlichen Lärmschutz aufgrund einer Gesamtlärm- Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens betrachtung. Dieser Beitrag wurde jetzt vom Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abge- Verkehrsausschuss ersatzlos gestrichen. ordneter und der Fraktion FDP: Lehren aus der Corona-Krise – Impulse für die Schule der Stattdessen heißt es vage: „Das Bundesministerium für Zukunft Verkehr und Digitale Infrastruktur wird daher die Ein- führung einer Gesamtlärmbetrachtung … zügig voran- (Tagesordnungspunkt 20 a, c und d sowie Zusatz- treiben. Eine Gesamtlärmbetrachtung ist durchzuführen, punkt 23) wenn die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben vor Er- lass des Planfeststellungsbeschlusses in Kraft treten.“ Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Die Regie- Dieser Satz muss in der Region Misstrauen auslösen, rungskoalition hat im vergangenen Jahr den DigitalPakt denn es ist jetzt das gleiche Verkehrsministerium, das Schule beschlossen, weil absehbar war, dass die große einerseits seit über zwei Jahren eine Gesamtlärmbetrach- Aufgabe einer vollständigen digitalen Umstellung des tung nicht gesetzlich regelt und das gleichzeitig anderer- Lehrbetriebes in den Schulen eine anspruchsvolle und seits einen Planfeststellungsbeschluss für die Hinter- sehr kostspielige Angelegenheit ist. Mit dem DigitalPakt 21360 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Schule haben wir in einem bisher beispiellosen Vorgang und Umsetzen externer Vorgaben. Das ist Obrigkeitsden- (C) den Ländern große Lasten abgenommen, die auf sie we- ken statt Subsidiarität! gen der notwendigen Digitalisierung unseres Bildungs- Wenn Sie dann auch noch den Beton für die Schulen systems zugekommen wären und noch zukommen. bezahlen wollen, dann sind Sie dem digitalen Anspruch Wir haben in diesem hohen Hause sogar unsere Ver- Ihres Antrages doch wohl weit entrückt. Das gilt wohl fassung geändert, damit wir den Ländern diese Last zum auch für den Gedanken des Föderalismus. Deshalb seien Teil abnehmen können. Der Bund hat sich große Mühe Sie bitte auch so ehrlich und fordern gleich eine grundle- gegeben, in enger Zusammenarbeit mit den Bundeslän- gende Änderung der Kultushoheit der Länder. Wir sind dern ein Konzept zu entwickeln, wie dieses drängende dann gespannt, was ihr Ministerpräsident in Baden-Würt- Thema möglichst zügig und effizient umgesetzt werden temberg dazu sagen würde. kann. Das war vor der Coronakrise. Sie hat aber allen Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sehe auch Ver- noch deutlicher gezeigt, wie wichtig dieser Schritt ist. besserungsbedarf im Bildungsföderalismus. Abschluss- Unsere Schulen haben sich dabei in der Krise mit ihren zeugnisse müssen vergleichbarer werden, ein Umzug darf digitalen Möglichkeiten auch durch Improvisation zu- nicht komplette Schullebensläufe durcheinanderwerfen, meist selber geholfen und den Unterricht, so gut es eben und gleiche Schularten sollten nicht zig verschiedene Na- ging, mithilfe der neuen Medien aufrechterhalten. men haben. Aber das, was Sie hier fordern, ist Zentralis- Ein großer Teil dessen, was zum Beispiel in dem An- mus, dem wie immer eine wuchernde Bürokratie folgen trag der AfD vorgeschlagen wird, haben die fleißigen würde. So etwas kann und will meine Fraktion nicht zu- Kultusministerien unter den Ländern aber auch viele in- stimmen. novative Schulen längst umgesetzt einschließlich der Be- Vielleicht finden wir für einzelne Punkte im Ausschuss mühungen um die hygienischen Standards. Für diese noch Kompromisse. Ich kann Ihnen nur empfehlen, den Leistung gebührt allen Schulen und ihren engagierten Bildungszentralismus an dieser Stelle abzulegen, und Lehrkräften unser aller großer Dank! dann notwendige Grundgesetzänderungen sollten eigent- Doch offensichtlich nehmen Teile der Opposition die lich die Ausnahme sein. Eines ist aber doch völlig klar gerade während der Krise aufgetretenen Defizite zum geworden: Der Föderalismus hat in der aktuellen Krise Anlass, um nun den Ländern die komplette Verantwor- seine eigentliche Stärke unter Beweis gestellt. tung für die Finanzierung des Schulwesens abnehmen zu Hoch geschätzte Kollegen von der FDP: Bei Ihnen wollen. Wir haben hier mehrere Anträge vor uns, die eine finde ich eigentlich immer sympathisch, dass Sie die li- Realität in unserem Land verkennen; die Realität des berale Vielseitigkeit hochhalten und eine zentrale Staats- Föderalismus; im Genauen: des Bildungsföderalismus. (B) lenkung eigentlich grundsätzlich ausschließen. Nur hier (D) Man kann über diese Frage gern an anderer Stelle und fordern Sie den Bund auf, zentral IT-Bildungsanbieter nach meiner persönlichen Meinung zu Recht streiten, auszuwählen oder etwa gemeinsame Serverkapazitäten weil in diversen inhaltlichen Fragen sich die KMK nicht zu schaffen. Ich glaube nicht, dass Ihre Kollegen in den immer als optimaler Problemlöser hervorgetan hat. Jetzt Ländern sich gern Vorgaben vom Bund machen lassen geht es aber um die organisatorische Umsetzung dieses möchten, welche Software sie denn gemäß einer Berliner Digitalpaktes. Dies wird aber nicht ohne die Kompeten- „Whitelist“ anschaffen dürfen oder wie ein Webinar auf- zen vor Ort und die regionale Umsetzung in den Ländern gebaut sein sollte. Hier müsste die Formulierung „in Zu- gelingen. sammenarbeit mit den Ländern“ wohl doch noch etwas Der Antrag der Bündnisgrünen dazu ist ein bunt schil- besser herausgearbeitet werden. Das würde auch die kon- lerndes Gemisch aus Vorgaben und sogenannten Anre- struktive Mitarbeit unserer Kolleginnen und Kollegen in gungen des Bundes bis hin zur kompletten Finanzierung den Ländern anspornen, aber vor allem die Schüler, Leh- sämtlicher Probleme im Bildungssystem durch den Bund. rer und Eltern sehr erfreuen. Das geht sogar so weit, dass die kommunale Aufgabe der Eines muss man Ihnen jedoch zugutehalten: Sie kon- Pflege schulischer Bausubstanz ab sofort de facto in die zentrieren sich in Ihrem Antrag auf die Digitalisierung Hand des Bundes gelegt werden soll! Offensichtlich wol- der Bildung, und manche Vorschläge bieten auch gute len die Grünen die Coronapandemie und die Digitalisie- Diskussionsansätze, die wir im Ausschuss gerne aufgrei- rung des Schulwesens dafür nutzen, ihre bildungspoliti- fen werden. schen Vorstellungen über die Bundesebene den Schulen aufzuoktroyieren. Über die Landesebenen können sie es Doch vieles, was wichtig und richtig ist, haben wir ja bisher nicht, denn dazu fehlt eine entsprechende Res- schon auf den Weg gebracht. Wir haben im Zuge der sortzuständigkeit und damit auch jedwede Mitsprache in Coronakrise 500 Millionen Euro bereitgestellt, um der Kultusministerkonferenz. Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Familien kurzfristig den Erwerb eines Endgerätes zu er- Wenn sie wollen, dass der Bund die Schulen renoviert möglichen – ganz ohne unnötig bürokratische Bedürftig- und baut, das Personal darin ausbildet, die Infrastruktur keitsprüfung. Wir bieten den Schulen finanzielle Unter- wartet, das er Lernmaterial auswählt, die Inklusionskon- stützung beim Erwerb digitaler Inhalte, ohne inhaltliche zepte vorgibt, Endgeräte bezahlt und die Fortbildung der Vorgaben zu machen oder selbst Vertragspartner zu wer- Lehrerinnen und Lehrer übernimmt, dann frage ich mich, den. Damit haben wir eine schnelle und bedarfsgerechte wer das eigentlich besser kann: die verantwortlichen vor Umstellung auf digitalen Unterricht ermöglicht. Und all Ort oder eine ferne Bildungsbürokratie? Letzteres bedeu- das kommt zum DigitalPakt Schule noch hinzu. Wir hel- tet für die Länder doch nichts anderes, als das Abnicken fen mit 5 Milliarden Euro den Ländern beim Ausbau der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21361

(A) digitalen Infrastruktur in den Schulen – und selbstver- Aber zum Thema Corona gibt es sowieso keine andere (C) ständlich können wir an diesem Programm etwas verbes- Partei, die sich in so diametrale Widersprüche verhakt sern. Mich persönlich stört der schleppende Mittelabfluss wie die AfD. Auf der einen Seite behaupten Sie gemein- gewaltig. Aktuell sind keine 200 Millionen Euro von den sam mit Verschwörungstheoretikern, die Bundesregie- 5 Milliarden Euro abgeflossen. Hier müssen wir nach- rung erfinde mit Corona eine Gefahr, um damit gezielt steuern und den Kommunen das Ausarbeiten der Kon- die Grundrechte einzuschränken. Auf der anderen Seite zepte und das Stellen der Anträge vereinfachen. listen Sie in dem Antrag jetzt sage und schreibe elf Punk- te mit Maßnahmen auf, um die Schulen coronafest zu Natürlich muss darüber nachgedacht werden, ob an machen. Da frage ich Sie: Was denn nun? Ist Corona jetzt den Hochschulen, die unsere Lehrkräfte ausbilden, Lehr- ein ernst zu nehmendes Risiko oder nicht? stühle für digitale Didaktik eingerichtet werden. Letzt- eres ist jedoch auch keine Frage, die wir als Bundestag Sie schreiben, dass Kinder immun gemacht werden zu beantworten haben. sollen gegen Ideologisierung, dabei trieft Ihr Antrag nur so von Ideologie und Widersprüchen! Doch wenn alles umgesetzt ist, was wir bisher auf den Weg gebracht haben, können wir ohne Angst um das Aber ich will mich heute nicht nur mit dem dünnen Bildungssystem auf kommende Krisen blicken. Antrag beschäftigen, sondern auch noch ein paar Sätze zum Antrag der Grünen sagen. Ronja Kemmer (CDU/CSU): Die Coronapandemie hat uns vor Augen geführt, wie verwundbar wir als Ge- Vieles was Sie in Ihrem Antrag schreiben, ist dem sellschaft sind. Es gibt kaum einen Bereich, bei dem das Grunde nach richtig, aber bereits Beschlusslage. Sie sa- so deutlich geworden ist, wie bei unseren Schulen. Die gen, dass man die Digitalisierung des Bildungswesens Schulschließungen haben nochmal hervorgehoben, wie vorantreiben muss. Dazu brauche es an den Schulen absolut wichtig es ist, dass wir beim Thema digitale Bil- Breitbandanschluss und WLAN-Ausleuchtung. An dem dung weiter zügig voranschreiten. Wir haben bereits ei- Punkt habe ich mich gefragt, ob Sie schon mal etwas vom nige große Maßnahmen auf den Weg gebracht, mit dem DigitalPakt Schule gehört haben, mit dem wir all dies und DigitalPakt Schule oder der Schwerpunktsetzung bei der noch vieles mehr bereits seit einiger Zeit umsetzen. Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Seit Beginn der Schul- Sie fordern weiter den technischen Support durch Ad- schließungen haben wir als Bund entschieden gehandelt ministratoren. Als Koalition haben wir erst Anfang des und zügig weitere Pakete im Bereich digitale Bildung Monats beschlossen, dass wir uns an der Ausbildung und beschlossen. Finanzierung der Administratoren beteiligen, wenn die Wenn ich mir den Antrag der AfD anschaue, dann Länder im Gegenzug die digitale Weiterbildung der Lehr- (B) finden sich hier aber keine Antworten, sondern eher ver- kräfte verstärken. (D) störende Aussagen. Sie schreiben – ich zitiere –: „Men- Auch bei Ihrer Forderung, dass kein Kind vom digita- schen von heute wie von morgen werden durch Bildung len Lernen ausgeschlossen sein darf, sind wir absolut bei in die Lage versetzt, als mündige Bürger eigenständig Ihnen, aber auch hier haben wir gehandelt! Darum unter- und eigenverantwortlich in den Kommunikationswelten stützen wir als Koalition mit dem Sofortausstattungspro- zu handeln.“ Dann verwundert es mich aber umso mehr, gramm für die Beschaffung mobiler Endgeräte, für das dass Sie den Bereich der Bildung, der für Ihre Zielsetzung wir als Bund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung ganz entscheidend ist, in Ihrem Antrag schon fast dämo- stellen, Schülerinnen und Schüler. Am Montag hat das nisieren, und zwar die digitale Bildung! letzte Bundesland unterzeichnet, das heißt, es geht jetzt Sie machen in dem Antrag Aussagen wie „eine pau- direkt in die konkrete Umsetzung. schale digitale Aufrüstung“ sei nicht sinnvoll und bezie- Deswegen bleibt abschließend nur zu sagen: Als Koa- hen sich dabei auf Studien von 2014! Seit 2014 sind in der lition gehen wir die Herausforderungen, die bei der digi- digitalen Zeitrechnung, was den Stand bei digitalen talen Bildung vor uns liegen, entschlossen an, da können Tools, Lernplattformen und Lerninhalten angeht, Licht- Sie sicher sein. jahre vergangen. Herzlichen Dank. Wie wollen Sie denn Kindern und Jugendlichen Eigen- bestimmung und Mündigkeit ermöglichen, wenn Sie di- Ulrike Bahr (SPD): Die Coronapandemie hat uns gitale Kompetenzen aus den Lehrplänen streichen? Wol- schmerzlich gezeigt, wo die Grenzen unseres Bildungs- len Sie Medienkompetenzen, Risiken durch Fake News systems liegen. Auf digitales Lernen waren unsere oder Deepfakes, Wissen über Algorithmen mit Kreide Schulen nur gering eingestellt, viele sind es noch heute und Tafel unterrichten? Das ist Steinzeitdenken der nur bedingt. Trotzdem haben deutschlandweit die Mehr- AfD, und das lehnen wir ganz klar ab! heit der Lehrerinnen und Lehrer die Schulschließung als Des Weiteren schreiben Sie, dass Onlineunterricht den Herausforderung gesehen, haben nicht resigniert oder Präsenzunterricht nicht ersetzen kann. Ja, das stimmt, den Kopf in den Sand gesteckt. Im Gegenteil: Nicht nur aber das hat hier auch niemand gefordert. Es geht bei bei mir zu Hause in Augsburg wurden sie kreativ und der digitalen Bildung immer um sinnvolle Ergänzung haben beispielswiese Lehrvideos gedreht, Videokonfe- und in Krisenzeiten, wie jetzt während der Coronapande- renzen ermöglicht oder Schülerinnen und Schüler per mie, um Überbrückungsmöglichkeiten, wenn es nicht an- Videotelefonie einzeln betreut. Ihnen gilt unser Dank! ders geht. Aber solch differenzierte Ansätze passen wohl Gleichzeitig sind wir es ihnen schuldig, dass wir aus eben nicht in Ihr Schwarz-Weiß-Denken. der Pandemie Lehren für die Zukunft ziehen. Das ist eine 21362 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Mammutaufgabe für Bund und Länder, die Geld kostet. hinbekommen: Wenn eine Schülerin schweres Asthma (C) Geld, das es uns wert sein sollte zu investieren. 4,1 Pro- hat, muss sie die Möglichkeit haben, per Video in das zent des BIP reichen da nicht aus – das muss künftig mehr Klassenzimmer zugeschaltet zu werden. Wenn einzelne werden. Schulen aufgrund eines regional begrenzten Infektions- geschehens wieder schließen müssen – wie kürzlich in Die Damen und Herren der Opposition tun mit ihren Gütersloh und Warendorf –, muss der Unterricht digital Anträgen so, als ob wir der Misere tatenlos zuschauen. fortgeführt werden können. Wenn ein Schüler zu Hause „Mehr, weiter und schneller“ zu fordern, mag gut klin- durch seine Erziehungsberechtigten nicht die emotionale gen. Habe ich eben auch gemacht. Aber Vorsicht, bevor oder fachliche Unterstützung bekommen kann, die er Sie sich auf der Straße des Föderalismus verstolpern. braucht, müssen beispielweise Nachhilfeangebote in der Außerdem machen wir viel und wir setzen einiges Schule möglich sein. daran, dass möglichst keine Nachteile den Schülerinnen Für viele ist der Lernort Schule gerade zu Beginn der und Schülern entstehen. Coronakrise aus dem Nichts komplett weggebrochen. Mit dem DigitalPakt haben wir den Zug der Schuldig- Das ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen mit be- italisierung schon im letzten Jahr auf die Gleise gesetzt. sonderem Förderbedarf ein riesiges Problem. Wir als Kurzfristig wurden nun 100 Millionen Euro aus dem SPD-Bundestagsfraktion fordern das Bundesbildungsmi- DigitalPakt frei, um die Schulen bei der Bereitstellung nisterium daher auf, ein neues Förderprogramm aufzu- von digitalen Lerninhalten zu unterstützen. 500 Millionen legen. Dieses muss allen, die es brauchen, ganz gezielt Euro gibt es für Tablets oder Laptops für Schülerinnen helfen, die entstandenen Lernrückstände aufzuholen. Da und Schüler, die bislang keinen Zugang zu digitalen End- sind wir bei den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion geräten hatten. Die SPD-Fraktion erwartet nun von der der Grünen. Bundesregierung und den Ländern, dass diese Geräte Wir wollen darüber hinaus auch allen Lehrerinnen und zum Beginn des neuen Schuljahres für die Schülerinnen Lehrer stärker helfen, diese neue Mammutaufgabe zu und Schüler bereitstehen. So schaffen wir gleiche Bil- stemmen. Technische Ausstattung, Datenschutz, Ent- dungschancen für alle. wicklung digitaler Unterrichtsmaterialien und deren pä- Gleiche Bildungschancen zu bekommen, heißt auch, dagogisch wertvoller Einsatz, all das lässt sich nicht ein- dass alle gleichermaßen Bildungsangebote – analog und mal eben so aus dem Ärmel schütteln, nur weil man selbst digital – nutzen können. Deshalb ist uns die Einführung vielleicht ein Kind im TikTok-Alter hat. Wir wollen Bil- des Rechtsanspruchs für eine Ganztagsbetreuung für Kin- dungstechnologinnen in den Schulen einsetzen, die bei der im Grundschulalter auch so wichtig. Dieser wird bis technischen und medienpädagogischen Fragen helfen. (B) 2025 Realität. Das wird auch Zeit, denn Schule und eine Ich habe ein ähnliches Konzept vor gut einem Jahr auf (D) kindgerechte Betreuung erreichen jedes Kind, unabhän- einer Reise in Estland kennenlernen dürfen. Lassen Sie gig von der Herkunft oder dem Geldbeutel der Eltern. uns daran arbeiten, dass auch unsere Lehrkräfte in den Gute Bildung – formal und nicht formal – ist ein Kinder- Genuss dieser Unterstützung kommen. recht. Höchste Zeit, Frau Ministerin, wird es im Übrigen Richtig also, dass die bis 2021 im Haushalt schon be- auch für die angekündigte Open-Educational-Resour- reitgestellten 2 Milliarden Euro heute um 1,5 Milliarden ces-Strategie. Es braucht dringend mehr offene und bar- Euro aufgestockt wurden, damit die Länder und Kommu- rierefreie Unterrichtsbausteine wie Lernpodcasts, Spiele nen anfangen können, in den Ganztagsausbau zu inves- oder Simulationen, die von Schülerinnen und Schülern tieren. Genau wie bei der Digitalisierung braucht es für wie auch von Lehrkräften rechtssicher genutzt und wei- eine gute Umsetzung qualifiziertes und gut bezahltes terverarbeitet werden können. Das Bildungsministerium Fachpersonal, aber auch einen guten Betreuungsschlüssel hat dafür bislang 9 Millionen Euro angekündigt. Wir wer- und Netzwerke und Strukturen, in denen Schule, Horte, den als SPD-Bundestagsfraktion in den nächsten Haus- Kinder- und Jugendhilfe, Sportvereine oder Musikschu- haltsverhandlungen darauf drängen, diese Mittel zu ver- len auf Augenhöhe – auch digital – zusammenarbeiten doppeln. können. Denn es geht nicht nur um die Schulleistungen, Herzlichen Dank. sondern vor allem um die Kinder mit ihren individuellen Wünschen, Talenten und Bedarfen. Herzlichen Dank. Anlage 11 Marja-Liisa Völlers (SPD): Nach den Sommerferien soll es nun für rund 11 Millionen Schülerinnen und Schü- Zu Protokoll gegebene Rede ler bundesweit wieder regulär in die Schule gehen. Das ist zur Beratung gut. Aber ein Selbstläufer wird das nicht werden. Der Schulalltag wird nicht mehr so aussehen können wie a) des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD vor Corona. Wir müssen vorbereitet sein. Ich begrüße eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes daher sehr, dass wir heute bereits zum zweiten Mal zu zur Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes diesem sehr wichtigen Thema debattieren. b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Es wird jetzt vor allem darauf ankommen, dass wir Ausschusses für Ernährung und Landwirt- eine gute Verzahnung von Online- und Präsenzunterricht schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21363

(A) Movassat, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Darüber hinaus wenden wir uns mit unserem Ent- (C) Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE schließungsantrag dem unregulierten Marktsegment der LINKE: Ein umfassendes Tabakwerbeverbot E-Zigaretten zu. Gerade der Konsum von E-Zigaretten schaffen steigt rasant. Allein im Jahr 2019 wurden in Deutschland 25 Prozent mehr E-Zigaretten verkauft als im Vorjahr. (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Obgleich E-Zigaretten keinen Tabak enthalten und Rainer Spiering (SPD): Seit ich Mitglied des Deut- deutlich weniger Schadstoffe abgeben als Tabakproduk- schen Bundestages bin, also seit nunmehr sieben Jahren, te, birgt ihr Konsum dennoch gesundheitliche Risiken. beteilige ich mich an der Tabakdebatte: Schockbilder, Wie groß die Gefahren sind, hängt vor allem davon ab, Warnhinweise, EU-Verordnungen, Inhaltsstoffe, Zusatz- welche Stoffe verdampft und damit inhaliert werden. Da- stoffe, Virginia-Tabak und American Blend, E-Zigaret- her fordern wir von der Bundesregierung mehr For- ten, Liquids, Außen- und Kinowerbung usw. Alles, was schung über die gesundheitlichen Auswirkungen von E- wir heute beschließen, hätten wir auch schon 2016 auf Zigaretten. Auch Aromastoffe, die das Dampfen zum den Weg bringen können. Weshalb wir eine lange Extra- Beispiel mit Kirsch-, Erdbeer- oder Vanillenoten schon schleife drehen mussten, ist allen hinlänglich bekannt. für Jugendliche attraktiv machen, sollten intensiv unter- Gut, dass wir es nun nach einer gefühlten Ewigkeit über sucht werden. Sie sollten fortlaufend auf eine mögliche die Ziellinie bringen und damit das WHO-Abkommen, Gesundheitsgefährdung und suchtsteigernde Wirkung welches wir bereits vor 16 Jahren unterzeichnet hatten, untersucht und bei Bedarf in die Liste verbotener Inhalt- endlich erfüllen. stoffe aufgenommen werden. Aus Studien sowie den beiden öffentlichen Anhörun- Zudem sorgen wir dafür, dass die Inhaltstoffregulie- gen wissen wir: Rauchen ist eines der größten vermeidba- rung nikotinhaltiger Liquids auch auf nikotinfreie Pro- ren Gesundheitsrisiken. Laut dem Statistischen Bundes- dukte Anwendung findet. Dies ist längst überfällig. Da amt gab es im Jahr 2013 allein in Deutschland insgesamt sind wir uns sicher alle hier im Haus einig. Der Weg hin 121 087 Todesfälle, die auf das Rauchen zurückzuführen zur Verabschiedung dieses Gesetzes war lang, aber, ich sind. Rauchen ist die bedeutendste Ursache für die Ent- denke, er hat sich gelohnt. Denn eine Reduzierung von wicklung von Lungenerkrankungen. Zudem leiden Rau- Werbereizen – Außenwerbung, Kinowerbung – sowie ein cherinnen und Raucher häufiger an einer schlechteren Abgabeverbot für E-Zigaretten an Kinder und Jugend- Immunabwehr, weisen vermehrt Erkrankungen an den liche sind sinnvoll und können den Einstieg in eine Rau- Zähnen und der Mundhöhle auf, leiden unter beschleu- cherkarriere verhindern. nigter Hautalterung und haben ein erhöhtes Risiko für (B) Diabetes. (D)

Die wirtschaftlichen Folgen des Rauchens für den So- Anlage 12 zialstaat sind enorm. Allein in Deutschland belaufen sich die ökonomischen Kosten, die durch das Rauchen ent- stehen, auf 97,24 Milliarden Euro pro Jahr. Tabakproduk- Zu Protokoll gegebene Reden te unterscheiden sich folglich grundlegend von anderen zur Beratung des von der Bundesregierung einge- legal beworbenen Produkten. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Jedwede Tabakwerbung verfolgt grundsätzlich zwei des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze Ziele: den Tabakkonsum zu erhöhen und die Attraktivität (Tagesordnungspunkt 19) des Rauchens zu fördern. Wir wissen, dass die Werbung ein irreführendes – wesentlich gesünderes – Bild der Produkte vermittelt und dass diese Werbung insbesonde- Hansjörg Durz (CDU/CSU): Im Änderungsantrag der re bei Kindern und Jugendlichen wirkt. Bedenken wir, Koalitionsfraktionen wird unter anderem das Gesetz ge- dass schon der Konsum einer einzigen Zigarette schäd- gen den unlauteren Wettbewerb geändert. Damit erhält lich ist und das Rauchen von nur wenigen Zigaretten eine das UWG ein Update, um ein europäisches Regelwerk Sucht auslösen kann, ist es aus meiner Sicht eine Selbst- umzusetzen: die sogenannte Plattform-to-Business-Ver- verständlichkeit, dass wir die Außenwerbung von Tabak- ordnung, die im kommenden Monat in Kraft tritt. produkten zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen beschränken müssen. Anders als gelegentlich behauptet, Diese Verordnung ist ein erster Schritt hin zur Regu- erreicht sie eben nicht nur aktive Raucher, sondern trägt lierung von marktbeherrschenden Plattformen; denn die dazu bei, dass junge Menschen mit dem Rauchen über- Wirtschaftsstruktur im Netz ist geprägt von monopolarti- haupt erst beginnen. Nicht umsonst belaufen sich die gen Anbietern. Monopole sind schädlich für den Wett- Werbekosten der Tabakindustrie für die Außenwerbung bewerb – dieser Lehrsatz gilt nicht nur für die analoge, auf rund 97 Millionen Euro im Jahr 2017. sondern erst recht für die digitale Welt. Mit der Änderung des Gesetzes setzen wir nun endlich Plattformen wie zum Beispiel Amazon sind mittler- auf Prävention, indem wir die Außenwerbung beschrän- weile das Nadelöhr, das Händler passieren müssen, um ken: für herkömmliche Tabakprodukte ab dem 1. Januar Zugang zum Markt und somit zum Kunden zu erhalten. 2022, für risikoreduzierte Tabakprodukte, Tabakerhitzer, Im Sinne des europäischen Binnenmarktes braucht es ab 1. Januar 2023 und für E-Zigaretten ab dem 1. Januar deshalb gemeinsame Regeln, um einen fairen Wettbe- 2024. werb auch auf digitalen Plattformen zu ermöglichen. 21364 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Die P2B-Verordnung schreibt vor, dass Plattformun- Die GWB-Novelle soll diese Vorreiterposition unter- (C) ternehmen die Parameter offenlegen müssen, die darüber mauern – als eine Blaupause für die Regulierung digitaler entscheiden, wie Suchergebnisse gerankt werden. Das ist Märkte. Ich hätte mich gefreut, wenn der Gesetzentwurf wichtig, denn wer als Händler bei Amazon oder Google vor der Sommerpause den Weg ins Parlament gefunden bei den Suchergebnissen auf Seite 2 oder 3 landet, hat hätte. Ich möchte deshalb die Bundesregierung auffor- deutlich geringere Chancen auf den Verkauf seines Pro- dern, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf einzubrin- duktes. Deshalb muss jedem Anbieter ersichtlich sein, gen. wie er seine Positionierung beim Suchergebnis beeinflus- sen kann. Einen ersten kleinen Schritt zu mehr Fairness auf digi- talen Märkten machen wir auch heute mit dieser Geset- Anbieter können in Zukunft auch nicht so leicht von zesänderung. Daher bitte ich Sie um Zustimmung! einer Plattform ausgeschlossen werden. Künftig muss der Plattformanbieter einen solchen Ausschluss begründen und muss ein Beschwerdesystem einführen. Das sind Falko Mohrs (SPD): Fragen Sie mal einen Zwölfjäh- gute Nachrichten für den Wettbewerb im digitalen Bin- rigen über die deutsche Medienlandschaft aus und lassen nenmarkt! Sie sich vom ihm die ansässigen Fernsehsender nennen. Es könnte aber noch viel bessere Nachrichten geben. Das könnte eine ernüchternde Angelegenheit werden. Zum Beispiel eine Anpassung des deutschen und europä- Wenn Sie ihn allerdings nach Videosharingplattformen ischen Wettbewerbsrechts, um die digitalen Monopole ausfragen, sieht die Lage schon ganz anders aus. Bei unserer Zeit zu zähmen. Dafür brauchen wir ein Selbst- YouTube und Netflix können Sie noch mitreden, TikTok begünstigungsverbot: Auf Plattformen dürfen eigene und K-Pop sind vielleicht auch noch bekannt, aber bei Produkte nicht bevorzugt dem Kunden feilgeboten wer- Bigo Live sind hier im Plenum sicherlich nur noch die den. Wir brauchen außerdem neue Regeln für digitale wenigsten dabei – und das, wo sich über diese gefährliche Marktbeherrscher mit Blick auf die Interoperabilität von Plattform für Jugendliche sicherlich sehr kontrovers dis- Produkten und der Portabilität von Nutzerdaten. kutieren ließe. Das hat auch die EU-Kommission erkannt, als sie in Fakt ist: Die Nutzung von traditionellen audiovisuellen den vergangenen Wochen ein Kartellverfahren gegen Ap- Mediendiensten wie das Fernsehen wird immer seltener. ple eingeleitet hat. Der Musikstreamingdienst Spotify Der Anteil von Internetvideos am weltweiten Internetver- hatte beklagt, dass Apple seine Stellung als Plattform kehr ist 2019 um 80 Prozent gestiegen. Die Marktgege- ausnutzt, um mit hohen Gebühren den Wettbewerb für benheiten haben sich in den letzten Jahren enorm verän- Musikstreaming-Angebote zu verzerren. Und auch die dert. Bereits Ende 2018 hat das Europaparlament daher (B) kürzlich getroffene BGH-Entscheidung zu dem Umgang Änderungen an der AVMD-Richtlinie vorgenommen. (D) mit Nutzerdaten durch Facebook zeigt, dass der Wett- Die Richtlinie wurde begründeterweise um Videosha- bewerb nicht der Gewinner ist, wenn digitalen Groß- ringplattformen erweitert. Jetzt gilt es, die Änderungen konzernen freier Lauf gelassen wird. der europäischen Richtlinie über audiovisuelle Medien- dienste in deutsches Recht umzusetzen. Das tun wir heute Insbesondere vor dem Hintergrund der Coronakrise mit diesem Artikelgesetz. wäre ein Update des Wettbewerbsrechts bitter nötig; denn in Zeiten des Lockdowns war der digitale Marktzugang Entsprechend der AVMD-Richtlinie werden auch wir oft die einzige Möglichkeit, Produkte zu verkaufen. Das das Telemediengesetz (TMG) um Videosharingplatt- sehen übrigens auch Finanzinvestoren so. Denn selbst formdienste erweitern, und zwar für die Plattformen, Plattformen, die eigentlich Verluste in der Coronakrise die ihren Sitz in Deutschland haben. Ich möchte an dieser gefahren haben, stiegen an der Börse im Wert. So hat Stelle noch mal in aller Deutlichkeit sagen, dass das TMG das Modeunternehmen Zalando beispielsweise einen be- hier in Deutschland nicht für Facebook, YouTube & Co deutenden Verlust durch die Coronakrise erlitten, da deut- gilt. Die AVMD-Richtlinie schreibt uns das Herkunfts- lich weniger Kleidung gekauft wurde. Jedoch stieg ihr landprinzip vor. Die großen Plattformen werden in der Aktienkurs in den ersten Wochen der Krise deutlich; denn EU von Irland aus geregelt. Bei uns in Deutschland be- es wird damit gerechnet, dass sich ihr Geschäftsmodell trifft das Gesetz höchstens eine Handvoll Kleinstplattfor- langfristig durchsetzt. Und auch Amazon war eines der men wie beispielsweise Fußballhelden – eine Plattform, wenigen Unternehmen, die von der Krise so sehr profi- auf der selbstgefilmte Bezirksligaspiele eingestellt wer- tierten, dass sie in den letzten Wochen sogar deutlich den können. mehr Mitarbeiter eingestellt haben. Wir brauchen schnellstmöglich eine Reform des Wettbewerbsrechts. Wir haben im TMG geregelt, welche Angebote unter die deutsche Rechtshoheit fallen und welche Anforderun- Mit gutem Grund haben wir dieses Vorhaben auch in gen für die Meldung und Abhilfe von Nutzerbeschwer- das Zukunftspaket aufgenommen. Mit gutem Grund will den wegen Verstößen gegen Werbe- oder Jugendschutz- die Bundesregierung die Ratspräsidentschaft nutzen, um vorschriften gelten. Diesen Punkt halte ich für sehr auf europäischer Ebene ein Update für das Wettbewerbs- wichtig. Außerdem freut es mich, dass wir im Gesetz recht europaweit voranzutreiben. einer Prüfbitte des Bundesrates nachgekommen sind, Deutschland hat sich vorgenommen, dabei eine Vor- die eine Änderung der Regelung zur Verarbeitung perso- reiterrolle einzunehmen: Vorreiter bei der Gestaltung nenbezogener Daten Minderjähriger nach sich zieht. Es von fairen Wettbewerbsbedingungen, Vorreiter bei der ist unsere Aufgabe, Minderjährige in der digitalen Welt, Etablierung einer digitalen sozialen Marktwirtschaft. soweit es geht, zu schützen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21365

(A) Und noch einen weiteren Punkt begrüße ich sehr, weil tragen damit auch der Schnelllebigkeit im digitalen Um- (C) er leider auch immer wieder Anwendung bei einigen we- feld Rechnung. nigen Parlamentariern findet: Es geht um das Melde- und Abhilfeverfahren in Bezug auf strafrechtlich relevante Mit dem Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes Inhalte. Diese werden – wie bisher – im Netzwerkdurch- und der Umsetzung der AVMD-Richtlinie zusammen setzungsgesetz geregelt; es gibt allerdings die Neuerung auch mit dem Medienstaatsvertrag der Länder ist ein für Videosharingplattformanbieter, dass das Meldever- Wurf gelungen, der die AVMD-Richtlinie umsetzt und fahren für ihre Kunden ständig verfügbar, leicht erkenn- unsere Gesetzgebung zukunftsfest macht. bar und bedienbar ist. Fällt dem Nutzer etwas auf, über das er sich beschweren möchte, muss er die Möglichkeit Manuel Höferlin (FDP): Bei der Umsetzung von eu- haben, seine Begründung in einem Textfeld oder Melde- ropäischen Richtlinien in nationales Recht geht es in ers- formulars zu äußern. Im Anschluss muss der Betreiber ter Linie um Rechtstechnik. Deshalb können wir auf die der Plattform seine Entscheidung inklusive Begründung inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinie zu audiovisuel- und die Möglichkeit der Teilnahme an einem Schlich- len Medien, AVMD-Richtlinie, zu diesem Zeitpunkt auch tungsverfahren im Rahmen eines Textfelds an die beiden gar nicht mehr einwirken; das hätte die Bundesregierung Parteien weitergeben. schon viel früher auf europäischer Ebene tun müssen. Wir aktualisieren also hiermit das TMG, passen es an Deshalb geht es für mich in der heutigen Debatte auch und machen es besser. gar nicht so sehr um die Rechtstechnik und die Bereiche, die von der Bundesregierung nach eigener Aussage eins zu eins umgesetzt werden. Mir geht es heute um die unbe- Martin Rabanus (SPD): Mit der Änderung des Tele- quemen Fragen: Was fehlt in dem Gesetzentwurf, der die mediengesetzes (TMG) wird die EU-Richtlinie über au- AVMD-Richtlinie umsetzt? Und wo liegen die verpassten diovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) von 2018 in Chancen? deutsches Recht umgesetzt. Die Frist zur Umsetzung en- det am 19. September 2020, mithin liegen wir gut in der Ich will das mal an zwei Beispielen deutlich machen Zeit. Mit diesem Änderungsgesetz erbringt der Bund nö- und mit einer Conclusio enden, die Sie von mir sicher tige Anpassungen im TMG zur Umsetzung der AVMD- nicht das erste Mal hören. Richtlinie – die Bundesländer haben ihre Hausaufgaben aus der AVMD-Richtlinie bereits mit der Weiterentwick- Erstes Beispiel: Influencer und Influencer-Marketing. lung des Rundfunkstaatsvertrages zum Medienstaatsver- Nehmen wir mal an, ich, 23, Beauty-Influencer, will mei- trag gemacht. nen Followern ein Produkt zeigen, das ich am Wochen- ende gekauft habe, und von dem ich total überzeugt bin. (B) Im Kern geht es darum, dass das Gesetz auf die verän- Wenn ich jetzt wissen will, ob ich mein Posting auf In- (D) derten Gegebenheiten angepasst, aktualisiert und um stagram mit dem Hinweis „Werbung“ versehen muss, Regelungen für Videosharingplattformen ergänzt wird. dann müsste ich dafür mindestens drei Gesetzestexte auf- Zukünftig werden die Plattformen Melde- und Abhilfe- schlagen – das Telemediengesetz (TMG), den neuen Me- verfahren für Nutzerbeschwerden in Bezug auf Verlet- dienstaatsvertrag und das Gesetz gegen unlauteren Wett- zung der Werbevorschriften und in Bezug auf Jugend- bewerb (UWG). schutzfragen vorhalten müssen. Zugleich werden Minderjährige und die von ihnen erhobenen Daten gegen Das Verrückte daran ist: Selbst nach der Lektüre all kommerzielle Verwertung geschützt. Es ist damit ein Bei- dieser Gesetz und darin enthaltenen Vorschriften zu trag zur Rechtsdurchsetzung und zum Verbraucherschutz. „kommerzieller Kommunikation“ wäre ich immer noch nicht schlauer! Das Problem existiert schon, seit es Influ- Ferner regelt der Gesetzentwurf die Vorschriften für encer gibt. Seit Jahren gibt es deshalb bundesweit ganz die Tabakwerbung neu und nimmt Änderungen am Deut- unterschiedliche und zum Teil auch widersprüchliche Ur- sche-Welle-Gesetz vor. Hier geht es auch – und das teile im Bereich des Influencer-Marketing. Cathy Hum- möchte ich erwähnen – um die Barrierefreiheit unseres mels, Pamela Reif, Vreni Frost: Das sind nur einige Na- Angebots. Das ist eine wichtige Weiterentwicklung. Ins- men, die Liste ist lang! gesamt haben wir also ein Paket von Änderungen, die die AVMD-Richtlinie umsetzen. Das Problem hat die Bundesregierung nun zwar auch erkannt. Nur wird der Gesetzentwurf kein bisschen zur Neben den bisher von der AVMD-Richtlinie erfassten Lösung beitragen. Weder die neue Verpflichtung von Yo- klassischen (linearen) Fernsehsendern und den Video-on- uTube, Instagram und Co., eine technische Möglichkeit Demand-Anbietern werden nun auch Videosharingplatt- zu schaffen, dass man Werbung bald kennzeichnen kann, formen erfasst sowie „user generated content“, Videos noch die neue kleine Ausnahme, dass das Verlinken eines auf Internetzeitungsseiten und audiovisuelle Inhalte, die Profils einer anderen Person keine Werbung darstellt, über Social Media wie Facebook oder Twitter verteilt helfen den vielen Kreativen in der Praxis weiter! werden. Das Tragische ist, dass aufgrund dieser maximal un- Wir schaffen damit ein Level Playing Field, also ein klaren Rechtslage – quasi als Schutzreflex – mittlerweile faires Wettbewerbsumfeld, wo sich alle Akteure auf Au- fast alle Influencer ihre kompletten Postings als „Wer- genhöhe begegnen: Fernsehsender, Video-on-Demand- bung“ markieren. Selbst wenn sie einfach nur ihre Mei- bzw. Streaminganbieter und Onlinevideoplattformen. nung zu einem aktuellen Thema loswerden wollen oder – Mit einer weiten Definition der audiovisuellen Medien wie in meinem Beispiel des Beauty-Influencers – ihren im Gesetz stellen wir das TMG zukunftssicher auf und Followern einen persönlichen Tipp geben wollen. 21366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Liebe Regierung, für mich zeigt die ganze Lage zum besten mit einem federführenden und zugleich koordi- (C) Influencer-Marketing und der heute debattierte Gesetz- nierenden Digitalministerium! entwurf einmal mehr, wie weit Sie von der Lebensrealität vieler Kreativer entfernt sind. Und wie so oft: Das Pro- Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die blem haben Sie zwar erkannt, aber zur Lösung haben Sie Bundesregierung setzt mit dem Gesetzentwurf medien- nichts beizutragen! regulatorische Vorgaben der EU in deutsches Recht um. Zweites Beispiel: Letsplayer und Streaming. Nehmen Sie bleibt damit gerade noch innerhalb der zweijährigen wir an, ich bin 18, zocke nach der Schule gerne Counter- Pflicht zur Umsetzung der AVMD-Richtlinie. Wir begrü- Strike und streame das Spiel als Letsplay für meine Follo- ßen, dass endlich wichtige Regelungen umgesetzt werden wer auf Twitch. wie die neuen Vorgaben zu Meldewegen für gesetzeswid- rige Inhalte und die Werbekennzeichnungspflicht für In- Wenn Sie einem Juristen diesen einfachen Sachverhalt fluencerinnen und Influencer. schildern, dann bereitet der Ihnen ohne Probleme eine fünfseitige Skizze zu den ganzen Rechtsfragen vor, die Ja: Endlich! Denn es ist überfällig, dass auch für Influ- nun bedacht werden müssen. Beispielsweise: Ist unsere encer eindeutige Pflichten zur Kennzeichnung von Wer- 18-jährige Letsplayerin nun eigentlich Telemedium oder bung gelten. Die derzeitige Rechtsunsicherheit führt da- Rundfunk? Von was hängt das ab? Und was sind die zu, dass Influencerinnen und Influencer aus Angst vor Folgen? Sind dann ihre Sendezeiten eingeschränkt? Muss Strafen grundsätzlich alle ihre Beiträge als Werbung sie also bis 22 Uhr mit ihrem Stream warten? kennzeichnen. Die Trennung von privater und kommer- zieller Kommunikation wird jedoch weiter schwierig Liebe Regierung, ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis! bleiben. Deshalb brauchen Influencer über die gesetzli- Die Letsplayerin interessiert überhaupt nicht, ob sie die chen Regelungen hinaus Beratungsangebote. Außerdem Juristen dieser Welt als Telemedium oder Rundfunk ein- sollte die Politik Anreize für die Selbstorganisation dieser stufen. Sie will nach der Schule einfach zocken und das Gruppe schaffen, damit Influencerinnen und Influencer mit ihren Followern teilen. Und sie verlangt zu Recht, gegenüber den großen Tech-Konzernen und gegenüber dass es dafür eine rechtssichere technische Lösung gibt der Politik Verhandlungsmacht aufbauen können. Dieses und nicht zehn juristische Meinungen! Geschäftsmodell ist hochgradig abhängig von der Funk- tionsweise der Empfehlungsalgorithmen und den vorge- Allein diese beiden Beispiele zeigen: Dieses ganze gebenen Geschäftsbedingungen. Klein-Klein und die Verwirrung darüber, was nun eigent- lich Rechtslage ist, gehen komplett an der Lebenswirk- Zu den neuen Vorgaben zum Melden rechtswidriger lichkeit vorbei und zerstören ein Stück weit die Netz- Inhalte auf Videosharingplattformen und audiovisuellen (B) kultur! Medien kann ich nur sagen: Ein Hoch auf die normative (D) Kraft des Faktischen! Das, was Sie spät genug unter dem Meine angekündigte Conclusio – viele werden sie Druck der EU-Vorgaben umsetzen, fordern wir Grüne schon erwartet haben –: Machen Sie endlich Schluss schon, seitdem es das NetzDG gibt. Mehr Transparenz mit der Verwirrung und dem Nebeneinanderherarbeiten. und einfache Meldemöglichkeiten sowie die Einführung Das Wirtschaftsministerium schreibt es auf seiner des Put-Back-Verfahrens: Das alles lesen Sie in unseren Website ja selbst: Die AVMD-Richtlinie wird umgesetzt Anträgen der letzten Jahre. durch das Telemediengesetz, den Medienstaatsvertrag Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von der EU vor- und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Da haben Sie gegebenen Regeln zur Plattformregulierung sind wichtig. mal mindestens zwei Bundesministerien und alle Länder Allerdings lösen sie ein wesentliches Problem nicht: Yo- mit im Boot – für eine Richtlinienumsetzung. uTube, Twitter, Facebook und Amazon sind von diesen All diese verschiedenen Stellen haben unterschiedliche Gesetzesänderungen nicht betroffen, weil für die Regu- Interessen bei der Umsetzung. Und dann passiert das, was lierung immer noch das Herkunftsland ausschlaggebend immer passiert: Erstmal wird an all diesen Stellen lange ist und nicht der Marktort. Die Bundesregierung selbst nebeneinanderher vor sich hin gearbeitet und nichts wird geht von fünf Videosharinganbietern aus, die von den abgestimmt oder koordiniert. Im Ergebnis führt das dann neuen Regelungen betroffen sind und rechnet mit circa dazu, dass für jeden Teilbereich der Umsetzung eine un- zehn Beschwerden von Nutzerinnen und Nutzern pro terschiedliche Idee entwickelt wird, aber eine gemein- Jahr. same, kongruente Idee zur Umsetzung gibt es nicht. Sie werden mir sicher zustimmen, eine effektive Platt- Und sowohl der Influencer als auch die Letsplayerin formregulierung sieht anders aus. Das ist bitter im Jahr müssen sich dann damit abfinden, dass die Rechtslage so 2020. In einer Zeit, in der Verschwörungstheorien, Hate verworren ist. Das klingt nicht nur komisch – das ist es Speech und Desinformationskampagnen das Vertrauen in auch! unsere Demokratie gezielt untergraben. Deshalb appellie- re ich an dieser Stelle eindringlich an die Bundesregie- Deswegen: Denken Sie mal ein bisschen mehr an die rung, sich auf EU-Ebene für eine einheitliche und effek- Anwender. Schaffen Sie Klarheit, und zwar nicht nur für tive Plattformregulierung einzusetzen. Der angekündigte die Plattformen, sondern vor allem für die vielen Kreati- Digital Services Act und auch der deutsche Vorsitz der ven im Netz! EU-Ratspräsidentschaft sind Chancen, die nicht unge- nutzt bleiben sollten. Und hören Sie endlich auf, bei Digitalthemen neben- einander her zu wurschteln. Koordinieren Sie sich, am Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21367

(A) Anlage 13 Ein Rechtsstaat funktioniert nur, wenn er jeweils Ant- (C) worten bietet auf die Herausforderungen seiner Zeit. Ge- Zu Protokoll gegebene Reden nau aus diesem Grund stellen wir mit diesem Gesetzent- wurf das sogenannte Upskirting unter Strafe. Bilder zur Beratung dieser Art verletzen eben nicht nur das Persönlichkeits- recht einer Person; sie sind nicht nur ein billiger Witz auf – des von der Bundesregierung eingebrachten Kosten einer Frau. Sondern sie verletzen eben auch das Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung. Es sollte eine Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persön- Selbstverständlichkeit sein, dass eine aufgeklärte, fort- lichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen schrittliche Gesellschaft ein solches Verhalten nicht dul- – des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- den kann. Und was nicht geduldet werden kann, muss am nes … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- Ende auch der Gesetzgeber definieren. buchs – Strafbarkeit der Bildaufnahme des In- Daher werbe ich ausdrücklich um Zustimmung zu die- timbereichs (sog. Upskirting) sem Gesetz; denn ein Rechtsstaat funktioniert nur dann, – des von den Abgeordneten Jens Maier, Stephan wenn er mit der Zeit geht. Brandner, Dr. Lothar Maier, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der AfD eingebrachten Esther Dilcher (SPD): Gegen das Gesetzesvorhaben Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des zum Thema Upskirting, Downblousing und Bildaufnah- Persönlichkeitsrechtsschutzes bei Bildaufnah- men von verletzten und verstorbenen Personen war als men Kritik unter anderem eingewandt worden, dass es an ein- deutigen Zahlen fehle. Damit wurde die Notwendigkeit (Zusatzpunkt 24) einer Regelung indirekt infrage gestellt. Ja, zutreffend ist, dass es keine belastbaren Zahlen gibt. Aber woran liegt Alexander Hoffmann (CDU/CSU): In der zurücklie- das? genden Sitzungswoche haben wir an dieser Stelle über die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpor- Es liegt nicht daran, dass es solche Vorfälle nicht oder nografie diskutiert. Bereits bei dieser Gelegenheit habe nur in verschwindend geringem Umfang gibt, sondern ich deutlich gemacht, dass der Rechtsstaat und das Straf- daran, dass eine Kriminalstatistik nur solche Fälle und recht in diesem Bereich auch eine dynamische Aufgabe Handlungen erfassen kann, die auch unter Strafe gestellt haben. Er muss nämlich immer auf der Höhe der Zeit sind. Das war bisher nicht der Fall. Das wollen wir än- Antworten geben für bestimmte Erscheinungen einer dern. (B) Zeit. Das ist ein Signal an die vielen überwiegend betroffe- (D) Ich will konkret werden: In den 1980er-Jahren hatte nen Mädchen und Frauen, dass wir ihre Verletzungen und die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpor- Erniedrigungen sehr ernst nehmen und diese Taten ver- nografie eine ganz andere Tatkulisse vor Augen: Da gab urteilen und deshalb zukünftig Menschen vor Eingriffen es Bilder, die mit der Polaroidkamera gefertigt waren; in ihren höchstpersönlichen Intimbereich und in ihre se- diese wurden dann in Booklets von etwa 10 bis 20 Bildern xuelle Selbstbestimmung schützen wollen. Außerdem hat im Wege der persönlichen Übergabe gehandelt. Die Welt sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die des Internets eröffnet für einen solchen Täterkreis völlig Istanbul-Konvention umzusetzen und Maßnahmen gegen neue Möglichkeiten: In Sekundenschnelle können sich geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt gegen heute Täter verabreden, die Hunderte, wenn nicht Tau- Frauen zu ergreifen. sende Kilometer voneinander entfernt leben. Sie verab- Einig sind wir uns hier alle, dass wir solche Taten reden sich zu persönlichen Treffen. Viel schlimmer aber: zukünftig unter Strafe stellen und die Opfer schützen Sie verabreden sich zu gemeinschaftlichem Missbrauch. wollen. In der Sache liegen wir also eng beieinander. Diskussionen sind jedoch darüber entstanden, wie diese Und wenn Bilder davon gehandelt werden, dann spre- Strafbarkeit in die Systematik des Strafgesetzbuches ein- chen wir bei Einzelpersonen schon lange nicht mehr von geordnet werden soll. Dazu für alle Nichtjuristen: 10 bis 20 Bildern, sondern eher von 10 000 bis 20 000 Bil- dern. Und so, wie wir dort merken, dass sich eine Tatku- Das Strafgesetzbuch ist aufgeteilt in einen Allgemei- lisse verändert, kann das digitale Zeitalter auch völlig nen Teil mit grundsätzlichen Regelungen, die, wie wir neue Straftaten erzeugen. Genau darüber reden wir heute. Juristen sagen, „vor die Klammer gezogen werden“ und die für alle nachfolgenden Tatbestände in dem Besonde- In den 1980er-Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ren Teil anzuwenden sind. jemand einer Frau unter den Rock fotografiert und dass dieses Bild dann irgendeine weitere Verwendung findet. Der Besondere Teil ab § 80 ist in Abschnitte aufgeteilt Heute, in der Allgegenwärtigkeit von Handys, ausgestat- und nach verschiedenen Rechtsgütern, die verletzt wer- tet mit Kameras, wird Frauen unter den Rock fotografiert; den können, sortiert, unter anderem Gefährdung des de- Frauen werden in Umkleiden fotografiert oder auf der mokratischen Rechtsstaates, der äußeren Sicherheit, die Toilette. Und als ob das nicht schon genug Verletzung öffentliche Ordnung und – jetzt wird es für die vorliegen- der Intimsphäre wäre, werden diese Bilder dann auch de Debatte relevant – in den Abschnitt 13 „Straftaten noch ins Netz gestellt – nicht selten auf Pornografieplatt- gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ sowie Ab- formen. Und zu guter Letzt müssen Opfer dann auch noch schnitt 15 „Verletzung des persönlichen Lebens- und Ge- über sich ergehen lassen, dass sie erkannt werden. heimbereichs“. 21368 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020

(A) Ich danke daher zunächst noch einmal der Bundesjus- werden, damit die Polizei effektiv gegen die Täter vor- (C) tizministerin, dass sie die Gesetzesinitiative ergriffen und gehen kann. einen Entwurf vorgelegt hat. Vor einem Jahr, am 27. Juni 2019, haben wir als FDP- Eine Strafbarkeitslücke rechtfertigt aber nicht grund- Fraktion einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir sätzlich das Erfordernis eines Straftatbestandes, sondern sind froh, dass die Bundesregierung die Diskussion, die es muss auch ein besonderes Interesse an der Pönalisie- wir damit angestoßen haben, aufgegriffen hat und dass rung bestehen. Das ist beim Fotografieren ohne bzw. ge- wir heute endlich einen Gesetzentwurf final diskutieren gen den Willen von betroffenen Personen in ihre Intim- können. Die Stoßrichtung des Gesetzentwurfs begrüßen bereiche der Fall. wir ausdrücklich. Allerdings ist er trotz zahlreicher Än- derungen in den letzten Tagen technisch noch nicht ganz Die Nacktheit gehört zum intimsten Bereich von Men- sauber. Insbesondere der neue § 184k StGB-E entfaltet schen. Die Sachverständige Hanna Seidel als Leiterin der nicht den vollen Schutz, der notwendig wäre. Petition „StopUpskirting“ hat eindrucksvoll geschildert, welche Auswirkungen das Upskirting haben kann. Die In ihrer Stellungnahme für die öffentliche Anhörung Opfer fühlen Scham, Erniedrigung und Ohnmacht. Sie im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am sehen sich hilflos Vorwürfen ausgesetzt, sie seien selbst 27. Mai 2020 stellte Frau Professor Dr. Elisa Hoven Schuld an dem Vorfall, weil der Rock zu kurz oder die von der Uni Leipzig fest, dass der Regierungsentwurf Bluse zu weit offen war. Schutzlücken offenlässt; eine Randbemerkung an dieser Stelle in Richtung der Linksfraktion sei gestattet: Liebe Nach der Anhörung war für uns nachvollziehbar, dass Kolleginngen und Kollegen der Linksfraktion, wenn Sie gerade, wenn es um Straftaten geht, die nicht nur das schon in Ihrem Änderungsantrag direkt aus der Stellung- Recht am eigenen Bild – also systematisch den persön- nahme von Frau Professor Dr. Elisa Hoven wörtlich ab- lichen Lebens- und Geheimbereich – betreffen, sondern schreiben, dann können Sie dies fairerweise auch als Zitat auch die sexuelle Selbstbestimmung, dann die Perspek- kenntlich machen. tive der Opfer entscheidend sein sollte – und diese be- greifen solche Straftaten als einen Eingriff in ihre sexuel- Den Ausführungen von Frau Professor Dr. Elisa Hoven le Selbstbestimmung. zufolge sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Täter straflos bleibt, etwa wenn im Schwimmbad ein Foto des Wichtig ist auf jeden Fall, dass zukünftig gilt: Intimbereichs des Opfers angefertigt wird, dessen Bade- „Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geld- hose verrutscht ist, oder wenn Fotos von einer Person am strafe wird bestraft, wer Strand angefertigt werden, die ihre Kleidung wechselt und dabei wenige Sekunden unbekleidet ist, oder wenn (B) 1. absichtlich oder wissentlich von den Genitalien, an einem FKK-Strand Nahaufnahmen der Geschlechts- (D) dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körper- teile von Personen mittels Zoom-Funktionen der Kamera teile bedeckenden Unterwäsche einer anderen Person un- erstellt werden. befugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind …“ Auch die gestern erfolgten Änderungen am Gesetzent- wurf korrigieren diesen Missstand nicht. In der bestehen- Ein klares Signal an alle Voyeure: Ein kurzer Rock den Form können wir als Fraktion der Freien Demokraten oder Kleid, eine knappe Hose oder ein weiter ausge- im Deutschen Bundestag dem vorliegenden Gesetzent- schnittenes Oberteil sind keine Einladung zur Selbstbe- wurf also noch nicht zustimmen. Denn unser Ziel und dienung oder Selbstbefriedigung. Und wer das nicht be- Anspruch als Gesetzgeber muss es sein, einen umfassen- reits verinnerlicht hat, wird sich zukünftig einer den strafrechtlichen Schutz vor unbefugten und zielge- strafrechtlichen Ermittlung gegenübersehen. richteten Bildaufnahmen intimer oder sexueller Bereiche Ich hätte mir gewünscht, dass wir bei dieser Gelegen- zu gewährleisten. heit auch die Tatbestände unter Strafe gestellt hätten, Dies ist auch durch eine minimale Änderung möglich, wenn Nacktaufnahmen von Personen in einer öffentli- wie unser Änderungsantrag zeigt. Unser Vorschlag zur chen Dusche, Umkleidekabine, Sauna, etc. ohne oder ge- Güte an die Große Koalition lautet daher: Stimmen Sie gen den erkennbaren Willen angefertigt werden. unserem Änderungsantrag zu, schließen Sie die verblie- Das ist bisher leider nicht geschützt. Es bleibt aber eine benen Schutzlücken! Dann stimmen wir auch für Ihren weitere Lücke, was wir seitens der SPD-Fraktion sehr Gesetzentwurf. bedauern. Aber hier hat der Koalitionspartner zugesagt, zwar mehr Zeit auf diese Regelung zu verwenden, letzt- Gökay Akbulut (DIE LINKE): Wir sind uns alle einig, endlich diese Strafbarkeitslücke aber ebenfalls beseitigen dass das sogenannte Upskirting, das unbefugte und heim- zu wollen. Ich bin gespannt. liche Fotografieren unter den Rock, strafrechtlich gere- gelt werden muss. Es kann nicht sein, dass betroffene Frauen und leider oft auch minderjährige Mädchen von Stephan Thomae (FDP): Frauen gezielt und heim- der Polizei abgewiesen werden, da kein Tatbestand greift. lich unter den Rock zu filmen oder Aufnahmen von Un- Wir müssen diese Schutzlücke endlich schließen. fallopfern zu erstellen, sind keine Lappalien. Dass dies nicht schon längst unter Strafe steht, ist kaum vermittel- Wir als Linksfraktion haben von Anfang an gesagt, bar. Die überwiegend weiblichen Opfer haben gegenwär- dass das Upskirting ein Sexualdelikt ist und auch in die- tig keine Chance, sich straf- oder zivilrechtlich zu weh- sem Bereich des Strafgesetzbuchs geregelt werden muss. ren. Diese Strafbarkeitslücke muss dringend geschlossen Die Bundesregierung wollte den Straftatbestand zunächst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2020 21369-21384

(A) im Bereich der Persönlichkeitsdelikte bei § 201a StGB Die einzige positive Veränderung ist, dass der Tatbe- (C) verorten. Betroffene Frauen und Expertinnen haben sich stand nun als Straftat insbesondere gegen die sexuelle aber klar für eine Verortung in § 184k des Strafgesetz- Selbstbestimmung gesehen und in diesem Teil des Straf- buchs ausgesprochen. Denn: Upskirting ist sexuelle Be- gesetzbuches verortet wird – das begrüßen wir ausdrück- lästigung und hat dementsprechend als Sexualdelikt zu lich. Ansonsten gibt es Mängel, die dazu führen können, gelten. dass der neue § 184k des Strafgesetzbuches ein symbol- politisches Placebo bleibt – und das ist das Gegenteil Genauso habe ich es auch in meiner letzten Rede zu dessen, was wir brauchen. Warum? diesem Thema gesagt. Und offensichtlich hat die Koali- tion nicht nur mir, sondern auch den Expertinnen und Mal abgesehen davon, dass die Vorschrift als Antrags- Experten zugehört. Das ist sehr gut. Die Koalition hat delikt nur wenig Wirkung entfalten wird, ist es die un- im letzten Moment noch einen Änderungsantrag vorge- verständliche Begrenztheit und Unbestimmtheit des Tat- legt, in dem sie fast eine 180-Grad-Wende vollzieht und bestandes, die wir kritisieren. Erstens: weil Nacktheit doch einen Gesetzentwurf vorlegt, der Upskirting im Be- nicht insgesamt gegen unbefugte Bildaufnahmen und reich der Sexualstraftaten regeln soll. deren Verbreitung geschützt wird. Damit verfehlt die Re- gelung die Anforderungen des allgemeinen Persönlich- Zwar haben wir beim Vorschlag der Koalition juris- keitsrechts, der sexuellen und informationellen Selbst- tisch immer noch Bedenken, weil weiterhin nicht die bestimmung und des Rechts am eigenen Bild. Die Situation erfasst ist, in der unbefugte Nacktaufnahmen, Änderungsanträge der Linken und der FDP machen dies von zum Beispiel duschenden Menschen, hergestellt wer- dagegen genau richtig, und deshalb stimmen wir beiden den. Auch stellt die Formulierung „gegen Anblicke ge- auch zu. Zweitens: weil der neue Straftatbestand in der schützt“ immer noch einen Widerspruch dar. Deshalb Praxis zu Anwendungsschwierigkeiten und für die Opfer haben wir diese Situation in unserem Änderungsantrag belastenden Streitereien führen wird. explizit erfasst. Da hilft es den Opfern auch nur wenig, wenn ihre Aus- Dennoch stimmen wir heute dem Gesetzentwurf zu, sagen aufgezeichnet werden und in die Verhandlung ein- weil er das richtige Signal sendet, und wir trotz unserer gespielt werden dürfen. Die Definition der geschützten Bedenken dem Vorhaben überwiegend zustimmen. Wir Körperbereiche mit dem Zusatz – ich zitiere wörtlich – schulden es den tausenden betroffenen Frauen einen „soweit sie gegen Anblick geschützt sind“ ist rechtstech- Strafbestand zu schaffen, der die Taten dort verortet, wo nischer Murks. Das wird zu nicht lösbaren Auslegungs- sie auch hingehören, ins Sexualstrafrecht. Das wäre mit schwierigkeiten führen, genauso wie die Verwendung des diesem Gesetzentwurf geschafft. Begriffes Unterwäsche. Und das programmiert das dies- (B) bezügliche Verteidigungsverhalten von Beschuldigten (D) Unter #metoo haben Frauen von ihren belastenden, genauso vor wie das subjektive Tatbestandmerkmal, dass aber leider auch alltäglichen Erfahrungen von Sexismus der Täter mit Absicht gehandelt haben muss. Der Nach- und sexualisierter Gewalt erzählt. Die Petition von Hanna weis der Absicht ist kaum zu führen. Seidel hat weit über 100 000 Unterschriften erreicht. Ich danke ihr und vor allem den zahlreichen Organisationen Ich denke deshalb nach wie vor, dass der Vorschlag des und Einzelpersonen, dass sie mit dem notwendigen Ak- Deutschen Anwalt-vereins, eine präzise, objektiv und tionismus nicht aufgehört haben, ihre Forderungen auf- umfassend formulierte neue Ordnungswidrigkeit zu rechtzuerhalten. schaffen, der wirkungsvollere und auch aus strafrechts- systematischen Gründen bessere Weg wäre. Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Gleichwohl: Angesichts des insgesamt zu begrüßen- von der Bundesregierung vorgeschlagene Strafbarkeit den Regelungsziels wird die Fraktion Bündnis 90/Die unbefugter Bildaufnahmen von Verstorbenen begrüßen Grünen den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht wir. Der Gesetzentwurf im Übrigen wird allerdings den ablehnen, sondern sich wegen seiner Mängel enthalten. Anforderungen, die die Schutzgüter, das strafrechtliche Beim Gesetzentwurf des Bundesrates bleibt wegen des- Bestimmtheitsgebot und die notwendige Praxisgerechtig- sen noch stärkerer Unbestimmtheit und Begrenztheit des keit stellen, nach wie vor nicht hinreichend gerecht. Schutzbereiches nur die Ablehnung. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333