Plenarprotokoll 19/96

Deutscher

Stenografischer Bericht

96. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 21: Tagesordnungspunkt 22: Vereinbarte Debatte: Die Rolle Europas in ei- Antrag der Abgeordneten , Katja ner Welt des Umbruchs Suding, Dr. (Rhein-Neckar),­ Dr. (SPD) ...... 11551 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovation und Chancen nutzen – In- Dr. (AfD)...... 11552 C novationsprinzip bei Gesetzgebung und be- hördlichen Entscheidungen einführen Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU). . . . 11554 A Drucksache 19/9224...... 11571 C Nicola Beer (FDP) ...... 11555 A (DIE LINKE)...... 11556 B in Verbindung mit Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 11557 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina (SPD) ...... 11558 B Hoffmann, , Renate Künast, wei- Dr. (AfD)...... 11559 B terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Vorsorgeprinzip als Dr. (CDU/CSU) ...... 11560 C Innovationsmotor Drucksache 19/9270...... 11571 D Alexander Graf Lambsdorff (FDP). . . . . 11562 A Nicola Beer (FDP) ...... 11572 A (DIE LINKE) ...... 11563 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 11572 D DIE GRÜNEN)...... 11564 A Dr. (CDU/CSU)...... 11574 A (CDU/CSU) ...... 11564 D (AfD) ...... 11575 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD)...... 11565 D (SPD) ...... 11576 C Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 11566 D (DIE LINKE) ...... 11577 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD)...... 11567 A Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 11578 B Dr. Jens Zimmermann (SPD)...... 11568 A Dr. (CDU/CSU) ...... 11579 A Hansjörg Durz (CDU/CSU)...... 11569 A Nicole Höchst (AfD)...... 11580 B (fraktionslos)...... 11570 A René Röspel (SPD)...... 11581 B (CDU/CSU)...... 11570 D (DIE LINKE) ...... 11582 C II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. (BÜNDNIS 90/ tes sowie der Richtlinie 2011/83/EU des DIE GRÜNEN)...... 11583 B Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Moder- Dr. (CDU/CSU). . . 11584 B nisierung der EU-Verbraucherschutz- Dr. (SPD)...... 11585 B vorschriften – KOM(2018)185 endg.; Ratsdok. 7876/18 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Tagesordnungspunkt 23: Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Mehr Verbraucherschutz in der EU Beratung der Unterrichtung durch den Wehr- durchsetzen – Kollektiven Rechtsschutz beauftragten: Jahresbericht 2018 (60. Be- stärken und Transparenz bei Internet- richt) plattformen schaffen Drucksache 19/7200...... 11586 C Drucksachen 19/8563, 19/9075. . . . . 11597 A Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Dr. (BÜNDNIS 90/ Deutschen Bundestages ...... 11586 D DIE GRÜNEN)...... 11597 B Dr. , Parl. Staatssekretär (CDU/CSU)...... 11598 C BMVg...... 11588 C Dr. (AfD)...... 11600 A Berengar Elsner von Gronow (AfD). . . . . 11589 C (SPD) ...... 11600 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 11590 C (FDP)...... 11602 A Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)...... 11592 A (DIE LINKE). . . . . 11603 A (DIE LINKE) . . . . . 11593 A Dr. (CDU/CSU)...... 11604 B Dr. (BÜNDNIS 90/ (AfD)...... 11605 B DIE GRÜNEN)...... 11594 A Dr. (SPD)...... 11606 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU). . . . 11595 A Dr. Jürgen Martens (FDP)...... 11608 A Mario Mieruch (fraktionslos)...... 11595 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU). . . . . 11608 D (CDU/CSU)...... 11596 A

Zusatztagesordnungspunkt 11: Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Dr. , a) Antrag der Abgeordneten Dr. Manuela , Norbert Kleinwächter, wei- Rottmann, Tabea Rößner, Dr. Konstantin terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD von Notz, weiterer Abgeordneter und der zu den Verhandlungen zum Mehrjähri- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gen Finanzrahmen bezugnehmend auf den Kollektiven Rechtsschutz ausbauen und Sachstandsbericht des Europäischen Rates nicht ausbremsen – Ratsdok. 13047/18 – sowie zu den Ver- Drucksache 19/9267...... 11596 D handlungen zum Vorschlag für einen Be- b) Beschlussempfehlung und Bericht des schluss des Rates zur Festlegung der finan- Ausschusses für Recht und Verbraucher- ziellen Beiträge der Mitgliedstaaten zum schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) Dr. Manuela Rottmann, Tabea Rößner, einschließlich der dritten Tranche 2018 Dr. , weiterer Abge- – KOM(2018) 669 endg.; Ratsdok. 12861/18 – ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Richtlinie des Europäischen Parlaments Grundgesetzes: Keine Verlängerung bezie- und des Rates über Verbandsklagen zum hungsweise Neuauflage des Europäischen Schutz der Kollektivinteressen der Ver- Entwicklungsfonds (EEF) braucher und zur Aufhebung der Richt- Drucksache 19/9238...... 11610 B linie 2009/22/EG – KOM(2018)184 endg.; Ratsdok. 7877/18 – und zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen in Verbindung mit Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates Zusatztagesordnungspunkt 12: vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/ EG des Europäischen Parlaments und Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Weyel, des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Corinna Miazga, , weiterer Europäischen Parlaments und des Ra- Abgeordneter und der Fraktion der AfD zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 III

den Verhandlungen zum Mehrjährigen Zusatztagesordnungspunkt 14: Finanzrahmen, bezugnehmend auf den Antrag der Abgeordneten , Sachstandsbericht des Europäischen Rates – Ratsdok. 13047/18 – hier: Stellungnahme , Andreas Wagner, weiterer gegenüber der Bundesregierung gemäß Ar- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: tikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Keine Die Bahn wieder ins ganze Land bringen – Verlängerung Europäischer Hilfsfonds Bahnstrecken reaktivieren Drucksache 19/9249...... 11610 C Drucksache 19/9076...... 11620 A

in Verbindung mit in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 13: Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit schusses für Verkehr und digitale Infrastruk- und Entwicklung tur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine – zu dem Antrag der Abgeordneten Olaf in Leidig, Dr. Gesine Lötzsch, Lorenz Gösta der Beek, Alexander Graf Lambsdorff, Beutin, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Dr. Christoph Hoffmann, weiterer Ab- on DIE LINKE: Abbau von Bahninfrastruk- geordneter und der Fraktion der FDP: tur stoppen Post-Cotonou-Verhandlungen als Chan- Drucksachen 19/7907, 19/8804 ...... 11620 A ce nutzen – Für ein neues EU-Afrika-Ab- Sabine Leidig (DIE LINKE)...... 11620 B kommen – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva-­ (CDU/CSU)...... 11621 B Maria Schreiber, Helin , Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und (AfD)...... 11622 C der Fraktion DIE LINKE: Eine Partner- Kirsten Lühmann (SPD)...... 11623 B schaft mit Afrika für Gerechtigkeit, Frieden und ein Leben in Würde (FDP)...... 11624 D Drucksachen 19/2528, 19/2519, (BÜNDNIS 90/ 19/6190...... 11610 D DIE GRÜNEN)...... 11625 D Dr. Harald Weyel (AfD)...... 11610 D Florian Oßner (CDU/CSU)...... 11626 D (CDU/CSU)...... 11611 D (CDU/CSU)...... 11628 A (FDP)...... 11612 C

Dagmar Ziegler (SPD) ...... 11613 C Nächste Sitzung ...... 11629 D Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE). . . . . 11614 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 11615 A Anlage 1 Dr. (CDU/CSU) ...... 11615 D Entschuldigte Abgeordnete...... 11631 A Dr. (SPD)...... 11616 D Dr. Harald Weyel (AfD)...... 11617 A Anlage 2 (CDU/CSU)...... 11618 D Amtliche Mitteilungen...... 11632 B

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(A) (C)

96. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mein Vater – das wissen Sie wahrscheinlich – stammt Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte aus Großbritannien Er stammt aus Lincolnshire. Das ist nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. eine Grafschaft in Mittelengland und zu unserem großen Leidwesen die Grafschaft mit dem höchsten Anteil an Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Brexit-Befürwortern. Etwa 65 Prozent haben dort für den Vereinbarte Debatte Brexit gestimmt. In einzelnen Kommunen – in Boston zum Beispiel – waren es sogar 75 Prozent. Wenn man Die Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs die Menschen dort fragt: „Warum ist das so?“, dann be- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für kommt man eine ziemlich klare Antwort. Es ist ein land- die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- wirtschaftlich geprägter Teil Großbritanniens, und dort nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sind, wie in allen landwirtschaftlich geprägten Teilen Eu- ropas, viele Erntehelfer eingesetzt. Diese stammen eben Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der zum überwiegenden Teil aus Osteuropa. (B) Abgeordneten Dr. Katarina Barley, SPD. (D) (Beifall bei der SPD – Britta Haßelmann Ich selber stamme aus einer Weinbauregion. Wie alle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist deshalb anderen, die aus landwirtschaftlich geprägten Wahlkrei- kein Minister da, weil das Thema so unwich- sen kommen, wissen wir, dass wir da nicht ohne die ost- tig ist?) europäischen Erntehelferinnen und Erntehelfer auskom- men. Das wissen die Briten vom Kopf her auch. Aber vom Gefühl her passiert eben das, was in so vielen Tei- Dr. Katarina Barley (SPD): len der Welt passiert, nämlich dass die Leute einem dort Schönen guten Morgen! Liebe Kolleginnen und Kol- sagen: Europa ist dafür da, Fairness zu gewährleisten, legen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste! Die wenn es darum geht, Wettbewerb zwischen den Unter- Rolle Europas ist geprägt durch die Wertegemeinschaft, nehmen herzustellen, und wenn es darum geht, Banken die Europa bildet. Diese Wertegemeinschaft erfährt der- zu retten, die systemrelevant sind. Aber was ist mit mir? zeit eine Veränderung durch das Ausscheiden des Verei- Was ist mit uns? nigten Königreichs, durch den Brexit. Der Brexit, wenn er kommt, wird diese Gemeinschaft verändern. Denn das Es ist meine feste Überzeugung, dass wir Europa in Mutterland der parlamentarischen Demokratie scheidet diese Richtung weiterentwickeln müssen, aus, einer der Grundpfeiler unseres wertegebundenen Zusammenwirkens. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber auch der Vorgang selbst hat die Europäische der CDU/CSU) Union schon verändert. Alle Welt sieht, was passiert, dass wir ein Europa brauchen, in dem die Menschen vor wenn man den Populisten auf den Leim geht, wenn man Ort ganz konkret merken, dass Europa nicht nur Unter- denen auf den Leim geht, die überhaupt keine Hemmun- nehmen und Banken Schutz gibt, sondern ihnen selbst. gen haben, alles kurz und klein zu schlagen, was besteht, Das ist ganz konkret, und das betrifft dann eben nicht nur aber nicht die geringste Ahnung davon haben, wie der die Menschen in Lincolnshire, sondern genauso die Men- Schaden behoben werden soll. Dann passiert so etwas schen aus Polen, Ungarn und anderen Ländern, die dort wie der Brexit. die Erntehelfer stellen. Es bedeutet beispielsweise einen Der Brexit hat noch etwas anderes gezeigt. Er hat ge- europaweiten Mindestlohn, von dem man dann auch zu zeigt, was passiert, wenn die Menschen vor Ort keine Hause seine Familie ernähren kann. Es bedeutet faire Verbindung sehen zwischen Europa und ihrem eigenen Mitbestimmung in allen Mitgliedstaaten, damit nicht Leben – jedenfalls keine positive. Unternehmen aus einem Mitgliedstaat in einen anderen 11552 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Katarina Barley (A) verlegt werden, nur damit man gute Mitbestimmung un- shire genauso gut wie die an der Mosel oder im Rest von (C) terlaufen kann. Deutschland. Sie alle wollen Europa. Wir müssen ihnen nur zuhören, sie auf Augenhöhe behandeln, ihnen Schutz (Beifall bei der SPD) und soziale Sicherheit bieten, und so bleibt Europa Frie- Natürlich bedeutet es auch, dass alle, die von der guten densmacht hier und in der Welt. Infrastruktur in Europa profitieren, auch ihren fairen Danke schön. Anteil am Gemeinwohl zahlen. Das heißt, dass Google, Amazon und Facebook genauso ihre Steuern hier zahlen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas wie die Buchhändlerin an der Ecke. Heilmann [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich bin der festen Überzeugung: Wenn es beispiels- Nächster Redner ist der Vorsitzende der AfD-Fraktion, weise die Entsenderichtlinie, die ich als geschäftsfüh- Dr. Alexander Gauland. rende Arbeitsministerin noch mit verabschieden konnte, die entscheidend mitverhandelt hat, die (Beifall bei der AfD) jetzt umsetzt, schon gegeben hätte, wenn wir diese Mindestlöhne damals schon gehabt hätten, Dr. Alexander Gauland (AfD): wenn wir gute Mitbestimmung gehabt hätten, dann hätte Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Apho- es, glaube ich, den Brexit auch so nicht gegeben, dann ristiker Nicolás Gómez Dávila hat geschrieben, die Idee hätten die Menschen aus der Region meines Vaters nicht des freien Individuums sei ein christlicher Abdruck auf überwiegend für „Leave“ gestimmt. griechischem Lehm. Ich möchte heute in Erinnerung ru- (Beifall bei der SPD) fen, dass diese Idee eine genuin europäische ist. Es ist so wichtig, dass wir Europa zusammenhalten, Wenn wir vom Recht auf ein freies, selbstbestimmtes weil wir dieses Europa brauchen, um den Frieden zu si- Leben sprechen, dann wissen wir alle, dass ein solches chern. Auch da spielt der Brexit eine Rolle. Wenn wir von Recht in weiten Teilen der Welt nicht existiert und auch Frieden reden und von Krieg, dann denken wir immer an die meiste Zeit in der Menschheitsgeschichte nicht exis- den Zweiten Weltkrieg; der betrifft Menschen, die über tiert hat. Ein freies, selbstbestimmtes Leben, das ist der 70 sind. Im Vereinigten Königreich haben Menschen, die Ausdruck von Individualität. Diese Idee wurde geboren Ende 20 sind, bewaffnete Konflikte erlebt – existenzielle im antiken Griechenland. Sie verband sich mit der christ- bewaffnete Konflikte –, nämlich an der irisch-nordiri- lichen Verkündigung. Die Idee des freien Individuums blühte in der italienischen Renaissance, und die Denker (B) schen Grenze. Ich war dort; ich habe mit den Menschen (D) dort gesprochen. Sie haben echte Angst. Dort sind schon der Aufklärung verschafften ihr das geistige Fundament. wieder Autobomben hochgegangen, Schießereien haben Die Individualisierung des Menschen, seine Befrei- stattgefunden. Wir müssen uns das einmal vor Augen ung zum selbstbestimmten Leben war ein gesamteuropä- führen: Erst seit 1998 herrscht dort Frieden. 1998! Und isches Projekt, und es wurde ab dem 18. Jahrhundert zum auch der ist nur zustande gekommen, weil die Europäi- europäischen Exportschlager. Europa, meine Damen und sche Union das unterstützt hat. Herren, bedeutet seit jeher Vielfalt. Was dieser Kontinent (Beifall bei der SPD) an kultureller, sprachlicher, geistiger, technischer, le- bensartlicher Vielfalt zu bieten hat, ist weltweit einzigar- Die Welt braucht dieses starke Europa, das zusammen- tig. Eben weil Europa ein Kontinent der Vielfalt und der hält und das auch Frieden stiftet. Wir sehen das jetzt auch Konkurrenz war, blühte der europäische Geist. in den Vereinten Nationen: hat zusammen mit dem französischen Kollegen den Vorsitz im UN-Si- (Beifall bei der AfD) cherheitsrat. Das ist das allererste Mal, dass sich zwei Eben weil keine Zentralmacht es unter seine lähmende Länder diesen Vorsitz teilen – ehemalige Erbfeinde. Das Herrschaft zwang, brachte Europa diese prägenden Ideen hätte sich vor 100 Jahren doch noch niemand vorstellen hervor. können. Und wir – Deutschland und Frankreich – haben gleich am Anfang unseres Vorsitzes das Thema „Nuklea- Immer dann, meine Damen und Herren, wenn ein He- re Abrüstung“ auf die Agenda gesetzt. gemon versuchte, Europa zu zentralisieren, entwickelten sich Gegenkräfte. Die europäische Geschichte ist eine der (Beifall bei der SPD) Wechselwirkungen von Hegemonie und Gleichgewicht. Das musste Karl V. lernen, das mussten Ludwig XIV. Wissen Sie, wann das Thema das letzte Mal in den Ver- und Napoleon lernen, und das musste Deutschland im einten Nationen behandelt worden ist? 2012. Seit 2012 20. Jahrhundert lernen. Und auch die Eurokratie wird ist nicht mehr darüber diskutiert worden, wie wir auf der das lernen müssen, meine Damen und Herren, wenn der Welt zu mehr nuklearer Abrüstung kommen. Brexit nicht den Beginn, sondern das Ende einer fatalen Deswegen ist es gut, wenn wir in Europa eng zu- Entwicklung markieren soll. sammenarbeiten. Wir bauen die Brücken. Wir kommen (Beifall bei der AfD) zusammen als Europäer für den Frieden. Dass ich hier stehen kann als Tochter eines Briten und einer Deut- Die Beschwörung der Vielfalt gehört auch zur Rhetorik schen, dass wir in Frieden und Freiheit leben, all das ist der Eurokraten. Tatsächlich aber wollen sie nicht Vielfalt, die Kraft Europas. Das wissen die Menschen in Lincoln­ sondern Homogenität, sie wollen Vereinheitlichung und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. 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Dr. Alexander Gauland (A) Gleichmacherei. Vom Plattensee bis zu den Kanaren sol- den Schriftsteller Robert Menasse zitieren, der forderte – (C) len die Menschen denselben Regeln gehorchen. Unsere ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –, Eurokraten suchen für Europa nach einer Zukunftsvision. Allmählich beginnt man zu ahnen, wie sie aussehen soll: ... die Demokratie erst einmal zu vergessen, ihre In- die Vereinigten Staaten von Europa als deindustrialisier- stitutionen abzuschaffen, soweit sie nationale Insti- tes, von Windrädern übersätes Siedlungsgebiet, in dem tutionen sind, und dieses Modell einer Demokratie, die nationalen Identitäten abgeschafft sind, das Einwan- das uns so heilig und wertvoll erscheint, weil es uns derern aus aller Welt offensteht, denen die europäischen vertraut ist, dem Untergang zu weihen. Wir müssen Werte gleichgültig sind stoßen, was ohnehin fallen wird, wenn das europäi- sche Projekt gelingt. Wir müssen dieses letzte Tabu ( [SPD]: Jetzt geht es wieder los!) der aufgeklärten Gesellschaften brechen, dass unse- re Demokratie ein heiliges Gut ist. und die sich nicht in die europäischen Gesellschaften in- tegrieren müssen, weil sie bestens in der jeweiligen Pa- ( [CDU/CSU]: Wer sagt rallelgesellschaft integriert und aufgehoben sind, das?) (Beifall bei der AfD) – Ein Zitat, meine Damen und Herren, von einem Schrift- ein Erdteil, meine Damen und Herren, wo nur noch Elek- steller. troautos verkehren, wo Bargeld verboten, der Fleisch- (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Gut, dass Sie verzehr limitiert ist und das korrekte Sozialverhalten der das dazugesagt haben!) Bewohner auf unterschiedlichste Weise überwacht wird. Wenn ich das aussprechen würde, und zwar nicht als Zi- (Ulli Nissen [SPD]: Sie reden vielleicht einen tat, würden Sie nach dem Verfassungsschutz rufen. Unfug!) (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: Die Freiheit des Individuums und das Recht auf ein Weil wir es Ihnen zutrauen, Herr Gauland! selbstbestimmtes Leben sind heute bedroht. Technokra- Deshalb!) ten übernehmen die Macht über unser Denken und Füh- len. Sie wollen die Menschen zu bindungslosen, beliebig Was Menasse hier vorträgt, ist der Ruf nach den Verei- verschiebbaren Figuren auf dem globalen Schachspiel- nigten Staaten von Europa. brett entmündigen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ( [SPD]: Sie reden Unsinn! – NEN]: Räumen Sie erst einmal Ihren Spen- Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist Quatsch!) densumpf auf!) (B) (D) Sie behaupten, es sei gestrig und unmodern, an seinen Diesen Traum träumen viele Angehörige der politischen Sitten, Traditionen und Gebräuchen festzuhalten, Klasse, der Wirtschaftseliten und eben auch linke Intel- lektuelle. Menasse hat die Sache eben nur konsequent (Christian Dürr [FDP]: Das kann jeder frei- formuliert: Wer die Vereinigten Staaten von Europa will, willig entscheiden!) muss die Nationalstaaten und die nationalen Parlamente zumindest sofern man ein weißer Europäer ist. abschaffen. Wer die Vereinigten Staaten von Europa will, muss die europäischen Souveräne entmachten. (Christian Dürr [FDP]: Das ist Sittenpolizei von der AfD!) (Christian Dürr [FDP]: Unfug!) Zugleich singen sie ihre frommen Lieder von Teilhabe Menasse hat ein Geheimnis verraten, für das die meisten und Diversity. Der Staat will seinen Untertanen die Sor- Menschen noch nicht reif sind, weshalb dieser Prozess gen des Denkens abnehmen und die Mühen der Entschei- allmählich und gewissermaßen hinter ihrem Rücken ab- dungen. läuft, bis man sie eines Tages vor vollendete Tatsachen stellt. (Christian Dürr [FDP]: Sie wollen aufoktroy- ieren, wie andere Menschen denken sollen!) Meine Damen und Herren, in seiner Rede in War- schau – sehr berühmt geworden – im Juli 2017 hat Das größte Sakrileg begeht heute derjenige, der Volksab- Donald Trump über die einzigartige westliche Tradition stimmungen fordert. Der Umgang mit dem Brexit belehrt aus Individualität, Freiheit und Recht gesagt: Was wir be- uns darüber jeden Tag aufs Neue, Frau Barley. sitzen, was wir ererbt haben von unseren Vorfahren, hat (Beifall bei der AfD) in diesem Ausmaß nirgendwo anders existiert. Und wenn wir daran scheitern, es zu bewahren, wird es nie wieder Die Antwort der heutigen EU auf die drängenden Fra- existieren. – Keiner kann behaupten, er wisse nicht, was gen ist immer dieselbe: Vereinheitlichung, Homogeni- auf dem Spiel steht. Und Ihre Politik führt leider genau sierung, Normierung. Am Anfang hat die EU die Krüm- dahin. mung der Gurken normiert, und am Ende normiert sie die Gedanken. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Die Auswahl Ihrer Zitate ist auch entlarvend!) (Beifall bei der AfD) Ich bedanke mich. Der augenfälligste Angriff auf die europäische Vielfalt ist der Zentralismus der EU. Ich will hier als Pars pro Toto (Beifall bei der AfD) 11554 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: jetzt sei die Zeit, dass die Italiener wieder an erster Stelle (C) Michael Grosse-Brömer, CDU/CSU, ist der nächste stehen müssen. Redner. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU], an die (Beifall bei der CDU/CSU) AfD gewandt: Sind ja schöne Freunde, die Sie haben!) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Hören Sie doch auf, hier Anträge zur Stabilität der eu- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ropäischen Währung zu stellen, wie Sie das gestern ge- Kollegen! Lieber Herr Kollege Gauland, vielen Dank für macht haben! Wenn Sie mit diesen Parteifreunden in Ita- Ihre Zitatesammlung. Das ist immer wieder interessant. lien gemeinsame Sache machen, dann beschädigen Sie Worauf ich aber warte und was ich von Ihnen erwarte, die Stabilität in Europa und nichts anderes. ist, dass Sie konkret sagen, wie Ihre Vorstellungen zu Eu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ropa sind. Immer irgendwelche Römer oder Griechen zu bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- zitieren, das bringt uns irgendwie nicht so richtig weiter. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Die sozialistischen Umverteiler sind auch nicht bes- FDP) ser. Wer sich am Ende nicht mehr anstrengen muss, im Aber egal, vielleicht haben Sie auch gar keine Antworten. eigenen Haus Ordnung zu schaffen, der hat auch keinen Anreiz, Europa insgesamt besser zu machen. Die Eigen- Antworten hatte Frau Barley am Anfang ihrer Rede. verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten ist nach unserer Ich bin ganz dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat: Auffassung die Grundvoraussetzung für ein solide han- Die Idee einer Wertegemeinschaft, die Warnung vor Po- delndes Europa. Wir wollen in Europa eine Union der pulisten, denen man nicht auf den Leim gehen soll, das sozialen Marktwirtschaft; denn auch in Europa gilt: Was haben wir gemeinsam. Ob Sie dieser gemeinsamen An- verteilt wird, muss vorher erwirtschaftet werden. Es ist strengung und den europäischen Werten einen Gefallen so einfach, aber es wird von den Sozialisten immer wie- tun, wenn Sie in Putins Haussender und Propaganda-TV der vergessen. in die Kamera lächeln, wage ich zu bezweifeln. Sie soll- ten vielleicht einmal darüber nachdenken, ob das so klug (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gewesen ist. ordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Letztlich bleibt Europa auf Dauer nur so stabil und in der Lage, soziale Sicherheit zu garantieren. (B) Aber uns verbindet im Zweifel der Wunsch, Europa posi- (D) tiv weiterzuentwickeln. Unser Wohlstand basiert nicht zuletzt auf fairem und freiem Welthandel. All diejenigen, die damals gegen TTIP (Zuruf des Abg. Dr. Jens Zimmermann demonstriert haben, wären besser zu Hause geblieben. [SPD]) Gerade wenn man heute den amerikanischen Präsidenten hört – Freihandel ist die Grundlage für Wohlstand. Wir Die Geschichte Europas hat eines bewiesen, wie ich als CDU sagen: Wir helfen unserem Mittelstand! Freier glaube, nämlich dass Diktaturen, dass Kommunismus Handel nutzt allen Seiten! Wir brauchen mehr und nicht und dass Nationalismus viel Unglück über diesen Kon- weniger Freihandel in der Welt! tinent gebracht haben. Unsere Lehre als CDU/CSU da- raus ist klar: Wir lehnen nationalistische Alleingänge (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- für Europa ebenso ab wie sozialistische Fantasien. Die ordneten der FDP) Nationalisten sprechen immer davon, dass alles besser werde, wenn man nur alleine handelte. Am Brexit sehen Letztlich geht es bei Europa natürlich auch um die wir gerade, wie erfolgreich das ist. Viele unserer Interes- Frage der Sicherheit, um die äußere und die innere Si- sen gerade im Wettstreit mit China, mit den USA, mit cherheit. Wir müssen, wenn es um die äußere Sicherheit anderen Ländern, auch mit Russland, können – davon bin geht, natürlich die Gemeinsame Sicherheits- und Vertei- ich überzeugt – eigentlich nur von der EU effizient und digungspolitik vertiefen und weiterentwickeln. Für die sinnvoll wahrgenommen werden. Das kann man zum innere Sicherheit Europas brauchen wir einen wirksamen Beispiel daran sehen – das will ich in Richtung der AfD Schutz unserer Außengrenzen und eine starke Vernet- sagen, wo man glaubt, nur zurück nach Deutschland, nur zung unserer Sicherheitsbehörden. Frontex muss operati- zurück zur D-Mark, und dann werde alles gut –: Allein ve Grenzpolizei werden. Wir brauchen eine gemeinsame die Stadt Schanghai hat so viele Einwohner wie Bayern Basis für Ermittlungsdaten und eine bessere Verknüp- und Baden-Württemberg zusammen. Viel Spaß, wenn fung und Vernetzung unserer Sicherheitsbehörden. Nur Sie denken, Deutschland rettet die Welt! Ich bin da sehr so lässt sich organisierte Kriminalität in Europa effizient skeptisch. bekämpfen. Deswegen in Richtung FDP und Grüne: Sa- gen Sie Ihren Leuten im Europäischen Parlament doch (Beifall der CDU/CSU – Armin-Paulus einmal, sie sollen aufhören, diesen notwendigen Daten- Hampel [AfD]: Nicht so flach!) austausch zur Sicherheit in Europa zu blockieren. Wer das auf Dauer tut, der beschädigt die europäische Sicher- Ich habe mit Interesse gelesen, dass sich die AfD mit heitsstruktur. Herrn Salvini verbündet. Dieser Herr aus Italien hält die Regeln des EU-Stabilitätspaktes für dämlich und meint, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11555

Michael Grosse-Brömer (A) Zum Abschluss, meine Damen und Herren, liebe Kol- die Große Koalition hier in Berlin, jeden Versuch, den (C) leginnen und Kollegen: Die EU hat viele richtige Ant- Kontinent mit innovativen Ideen voranzutreiben, im worten auf die Fragen unserer Zeit, aber sicher nicht Keim erstickt. alle. Wir als Union wollen ein Europa, das sich auf sei- ne Kernaufgaben besinnt. Wir wollen kein Verbots- und (Beifall bei der FDP sowie der Abg. kein Umverteilungseuropa, sondern ein Europa der Ei- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE genverantwortung und des Zusammenhalts. Schließlich GRÜNEN]) wollen wir ein starkes und selbstbewusstes Europa der Sie verweigert sich systematisch einer Debatte über die Patrioten und nicht der Nationalisten. Ich glaube, das ist Zukunft der EU. die Chance, Europa positiv weiterzuentwickeln – nicht indem man andere hasst, ( [Erfurt] [SPD]: Haben wir heute aufgesetzt!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir hassen niemanden!) Wenn die Menschen dann einmal zu einem europäischen sondern indem man das liebt, was man in seinem Land Thema, wie den Uploadfiltern, auf die Straße gehen, selbst und für Europa machen kann. Das sind eben Patri- dann bezeichnet die CDU sie als „gekauft“, als „Bots“, oten und keine Nationalisten. und die SPD versucht, mit ihrer Spitzenkandidatin Katarina Barley das Kunststück, in Brüssel dafür und in Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Berlin dagegen zu sein. Liebe Freunde, Menschen ernst (Beifall bei der CDU/CSU) zu nehmen, geht anders. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Nicola Beer, NEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: FDP. 53 Prozent der Liberalen in Brüssel haben zu- gestimmt!) (Beifall bei der FDP) Liebe Frau Kollegin Barley, diese Scheinheiligkeit för- dert Politikverdrossenheit und treibt den Populisten Nicola Beer (FDP): Wähler in die Arme. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Diese Woche war wieder einmal bezeichnend für Populismus und Desinformation haben auch bei der Europa. Zunächst fand am Dienstag der EU-China-Gip- Brexit-Abstimmung eine Rolle gespielt. Deswegen be- (B) fel statt, dessen Bedeutung nicht oft genug betont werden tone ich immer wieder, dass wir die Entscheidung der (D) kann. Unser Verhältnis zu China ist eine der wichtigsten Briten natürlich respektieren, dass unsere Tür aber offen Fragen für die Europäische Union: Werden wir als EU bleibt, wenn sie es sich anders überlegen. weiterhin Innovationsmotor, dynamischer Wirtschafts- standort sein? Werden wir auch in Zukunft noch Stan- (Beifall bei der FDP) dards setzen und mit entscheiden? Wie gehen wir mit Ein zweites Referendum liegt nahe. Eine Frage mit der schwierigen Partnern um, die unter Menschenrechten, Tragweite, wie der Brexit sie hat, mit wenigen Stimmen Rechtsstaat, Demokratie nicht dasselbe verstehen wie Unterschied zu entscheiden – wobei die Nordiren mit wir? Werden wir als Europäer es schaffen, hier mit einer großer Mehrheit und die Schotten sogar mit Zweidrittel- starken, einer gemeinsamen Stimme zu sprechen? mehrheit für den Verbleib gestimmt haben –, das zerreißt In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bewegte Wahlvolk und Politik, wie wir gerade in Großbritannien erneut ein hektischer Sondergipfel die Gemüter: wieder sehen. Besser wäre es, wie in der Schweiz nicht nur die Brexit, wieder Selbstbeschäftigung der Europäer statt Mehrheit der Stimmen, sondern auch die Mehrheit der Debatte über die Zukunftsfragen. Dabei gibt es viele Kantone zu haben. drängende Fragen, die weiter ohne Antwort sind. Wir haben noch immer kein europäisches Asylsystem und Gegen den Populismus betone ich immer wieder, dass keine gemeinsame Migrationspolitik. Wir haben noch wir die Europäische Union so grundlegend reformieren immer keinen funktionierenden Grenzschutz in Europa, müssen, dass keiner mehr gehen will. Ein Weiter-so, wie und noch immer ertrinken Menschen im Mittelmeer. Wir Sie es praktizieren, das hilft beim Bewahren der Union haben noch immer keinen reformierten Europäischen nicht. Währungsfonds, keine Mehrheitsentscheidungen in der (Beifall bei der FDP) Außen- und Sicherheitspolitik, keinen gestärkten Rechts- staatsmechanismus. Die nun von Kanzlerin Merkel verhandelte erneute Verschiebung kann niemanden zufriedenstellen. Damit Der Brexit hat uns in den letzten Monaten in Atem ge- kaufen wir nur Zeit. Damit werden wir nur eine weitere halten; aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die struk- Hängepartie für Bürgerinnen und Bürger, für die Wirt- turellen Ursachen für den Stillstand liegen tiefer. schaft haben, ohne dass der harte Brexit garantiert aus- (Beifall bei der FDP) geschlossen wäre. Europa ist auch deswegen gelähmt, weil die Regierung (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: des größten und einflussreichsten Mitgliedstaates, weil Wollen Sie den?) 11556 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Nicola Beer (A) Ich finde es auf jeden Fall gut, dass Präsident Macron da- Wir brauchen eine Politik, die Europa sozial zusammen- (C) rauf gepocht hat, dass es nur eine kurze Verlängerung und führt und nicht auseinandertreibt. dass es vor allem eine Überprüfung der Fortschritte gibt. (Beifall bei der LINKEN) Umso dringlicher müssen jetzt Regierung und Opposi- tion in Großbritannien eine Mehrheit für etwas schaffen. Es ist an der Zeit, Lohndumping und Schmutzkonkurrenz Für ein Abkommen, für eine Zollunion und auch für ein um immer niedrigere Löhne und Arbeitsstandards zu be- erneutes Referendum wäre jetzt genügend Zeit – diesmal enden. Europaweit müssen Mindestlöhne gelten, mit de- ein Referendum, bei dem alle Beteiligten wissen, worü- nen die Beschäftigen und ihre Familien über die Runden ber sie entscheiden. kommen. Dass Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land bei den Mindestlöhnen im Vergleich zu den wich- (Beifall bei der FDP) tigsten Industrieländern im unteren Mittelfeld steht, ist Wir als EU-27 dürfen nicht zulassen, dass uns der Bre- doch beschämend. xit-Virus infiziert. Die Europawahl muss sauber und un- (Beifall bei der LINKEN) ter Berücksichtigung aller Unionsbürger, auch der Briten in Deutschland, ablaufen, und die Bundesregierung ist Es verletzt das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen, wenn aufgefordert, genau das sicherzustellen. Letztlich muss Großkonzerne wie Google, Starbucks oder Amazon we- die Bundesregierung endlich ihre Vorbereitung für einen niger Steuern zahlen als Pflegekräfte, Verkäuferinnen ungeordneten Brexit vorantreiben. Wir hätten heute das oder Facharbeiter. Es braucht in ganz Europa Mindest- zweite verschobene Austrittsdatum gehabt. Es kann doch steuern für Konzerne, damit Schluss gemacht wird mit nicht sein, dass die Bundesregierung jetzt eingestehen Steuerdumping. muss, bis Ende des Jahres gerade einmal 70 von 900 neu- geschaffenen Stellen aufgrund des Brexits beim Zoll be- (Beifall bei der LINKEN) setzt zu haben. Das ist ein Wirtschaftsrisiko in unserem Land. Das ist inakzeptabel. Frankreich geht mit einer Digitalsteuer voran. Wo bleibt eigentlich die Bundesregierung? Google, Apple (Beifall bei der FDP) und Co müssen höhere Steuern bezahlen, damit Pflege- Nutzen wir, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, kräfte und Erzieherinnen besser bezahlt werden können. die verbliebene Zeit, um unser Verhältnis zu Großbritan- (Beifall bei der LINKEN) nien für die Zukunft zu klären, und vor allem nutzen wir die Zeit nach der Europawahl, um die Europäische Union Statt der verhängnisvollen Sparpolitik und des Kür- grundlegend zu reformieren; denn nur so werden wir die (B) zens von Sozialleistungen braucht es ein ehrgeiziges (D) Chancen Europas gemeinsam nutzen können. europäisches Investitionsprogramm. Statt weiterhin ta- tenlos zuzuschauen, wie die öffentliche Infrastruktur (Beifall bei der FDP) verrottet, die Misere bei der Bahn größer, der Pflegenot- stand Dauerzustand wird und ganze Regionen in Europa Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: deindustrialisiert werden, muss in Bildung, Gesundheit, Nächster Redner ist der Kollege Bernd Riexinger, Die öffentliche Infrastruktur, in den sozialen Wohnungsbau Linke. und in Programme gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit investiert werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Bernd Riexinger (DIE LINKE): Mit der kleingeistigen Philosophie der schwarzen Null Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und können weder Deutschland noch die Europäische Union Herren! Nicht der Brexit hat die Europäische Union in vorangebracht werden. Es ist gerade die deutsche Regie- eine Krise gestürzt; er ist lediglich der aktuelle Ausdruck rung, die eine Sozialunion verhindert. Die Menschen in dieser Krise, besonders der tiefen sozialen Spaltung. Da- Europa brauchen soziale Garantien, soziale Mindeststan- für sind hauptsächlich die Konservativen verantwortlich. dards, die sie vor Armut, Erwerbslosigkeit, Unsicherheit und sozialer Ausgrenzung schützen. Es ist jedoch kein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Völlig Wunder, dass bei einer Bundeskanzlerin, deren ganze Vi- klar!) sion von Europa „mehr Wettbewerb“ ist, bei diesen ele- Meinen britischen Freundinnen und Freunden rufe ich mentaren Zukunftsfragen auf Durchzug geschaltet wird. deshalb zu: Let᾽s make sure this year May ends in April! Sorgt dafür, dass im April das politische Ende von Frau Beim Klimaschutz ist es fünf vor zwölf. Um den May beginnt! Planeten zu retten, müssen jetzt europaweit Regeln für saubere Energie durchgesetzt werden. Spätestens 2030 (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – müssen alle Kohlekraftwerke vom Netz und muss die re- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kön- generative Energie ausgebaut sein; nen wir das Englische noch einmal hören, bitte!) (Beifall bei der LINKEN) Die Alternativen, nicht nur zu Frau May, sondern auch da sind übrigens die streikenden Schüler kompetenter als zur Politik der Bundesregierung, liegen auf der Hand. Herr Lindner. Wir wollen kostenfreien öffentlichen Nah- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11557

Bernd Riexinger (A) verkehr fördern und die Bahn in ganz Europa ausbauen. Druck macht, damit endlich klar wird, wofür diese Zeit (C) Die Bahnpreise müssen sinken. genutzt werden soll, und da gemeinsam mit Macron an einem Strang zieht. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN]) Die Europawahlen sind von enormer Bedeutung. Das Die Europäische Union steht vor einer Richtungsent- wird vor ganz vielen Wahlen gesagt, aber diesmal stimmt scheidung. Weder das Weiter-so von Frau Merkel noch es leider; denn die Europäische Union wird im Moment der Weg in einen autoritären Kapitalismus der Rechten von außen und von innen angegriffen. Von außen wird sie und Rechtsradikalen bieten einen Ausweg, geschweige angegriffen durch Putin und Trump. Da ist es sicher auch denn die Hoffnung auf ein besseres Europa. Wir wollen nicht hilfreich, dass ausgerechnet die Spitzenkandidatin kein Europa, in dem Wettbewerb, Profit und Konzernin- der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Putins teressen mehr zählen als die Interessen der vielen, die je- Propagandasender ein Interview gibt. So stärkt man die den Tag arbeiten gehen, um über die Runden zu kommen. Europäische Union ganz sicher nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Wir kämpfen für ein Europa, in dem die Würde, das CDU/CSU) Leben und die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung an erster Stelle stehen. Aus dem Inneren wird die Europäische Union von (Jürgen Braun [AfD]: Die Sowjetunion!) Rechtsradikalen und Rechtspopulisten angegriffen, die häufig auch noch Verbündete von Putin sind. Die Euro- Europa geht nur solidarisch. päische Union, die europäische Solidarität und damit die europäische Souveränität müssen wir gegen die Angriffe (Beifall bei der LINKEN) dieser Rechtsradikalen verteidigen. Das ist der Job aller demokratischen Parteien hier. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Europäische Union ist die beste Antwort, die wir haben, auf die ganz großen Herausforderungen. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Dr. Anton Hofreiter Die Europäische Union ist die beste Antwort auf die (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Herausforderung der Klimakrise, auf den chinesischen Kollegen! Wieder ein neues Ausstiegsdatum! Viele ha- Wirtschaftsnationalismus, auf den amerikanischen Wirt- ben das Gefühl: Mein Gott, hat das nicht irgendwann schaftsnationalismus. Liebe Kolleginnen und Kollegen einmal ein Ende. von der Union, es ist doch naiv, zu glauben, dass sich (Lachen bei Abgeordneten der AfD) ein US-amerikanischer Präsident wie Trump von einem TTIP-Vertrag beeindrucken ließe, selbst wenn der Ver- Aber so gut ich dieses genervte Gefühl verstehen kann, trag sinnvoll wäre. Haben Sie denn noch nicht gemerkt, glaube ich doch, dass es wichtig ist, dass wir die Geduld dass die Eigenschaft dieses Mannes ist, sich nicht an Ver- nicht verlieren. Ein harter Brexit würde nämlich nicht träge zu halten? Wir brauchen eine starke Europäische nur bedeuten, dass es lange Schlangen von Lkws und Union und eine starke Zusammenarbeit mit Frankreich Autos an der Grenze gibt. Ein harter Brexit würde – ne- und den anderen europäischen Ländern, um diesem Wirt- ben vielen anderen Problemen – unter anderem auch den schaftsnationalismus mit Kraft etwas entgegensetzen zu Frieden auf der irischen Insel gefährden. Es ist aber hoch können. relevant, dass es uns gelingt, den Frieden auf der irischen Insel zu bewahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen-, sondern miteinander!) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir bräuchten eigentlich eine Große Koalition, die Deshalb waren wir Grüne offen für eine Fristverlänge- richtig Kraft hat für einen Aufbruch für Europa. Aber ge- rung hinsichtlich des Austritts. nau daran fehlt es Ihnen. Wo ist denn Ihre substanzielle Antwort auf die Vorschläge des französischen Präsiden- Problematisch bei dem Kompromiss, der jetzt ge- ten? Blockiert von der Union! Wo ist denn die europäi- schlossen worden ist, ist allerdings, dass wieder nicht sche Digitalsteuer, wo ist denn ein wirkungsvoller euro- klar ist, wofür die zusätzliche Zeit genutzt werden soll. päischer Haushalt? Blockiert vom sozialdemokratischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Finanzminister! Wo ist denn eine gestärkte ökologische Europäische Union, ein gestärkter Aufbruch in Richtung Und extrem problematisch ist, dass die Verlängerung mehr Klimaschutz? Da sind Sie sich zum Schaden der über die Europawahl hinausgeht. Deshalb glauben wir, Zukunft der Europäischen Union einmal einig: Blockiert dass dieser Kompromiss ein Kompromiss ist, der die von beiden Koalitionsfraktionen! gesamte Europäische Union in Schwierigkeiten bringen kann. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11558 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Anton Hofreiter (A) Ihr eigener EU-Kommissar Oettinger hat vor kurzem ge- tun hatten. Die europäische Zusammenarbeit ist entstan- (C) äußert: den, weil der Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg vor gewaltigen Herausforderungen stand. Ein Kontinent in Von neuem Aufbruch für Europa spüre ich derzeit in Trümmern mit tief verfeindeten Nationen, dieses Pro- Berlin gar nichts, aber auch gar nichts. blem galt es zu bewältigen. Das sagt Ihr EU-Kommissar über die Politik Ihrer Gro- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott ßen Koalition. Das sollte Ihnen doch zu denken geben, sei Dank hatten wir Konrad Adenauer!) wenn schon unsere Worte Ihnen nicht ausreichend zu denken geben. Man muss sich doch einmal vor Augen führen: Nur sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Montanunion auf den Weg gebracht. Das war der Beginn sowie bei Abgeordneten der FDP) eines großen europäischen Versöhnungswerks, das bis Ich habe oft gehört, dass man sich innerhalb der Eu- heute fortwirkt. ropäischen Union an die Regeln halten muss, und das (Beifall bei der SPD) wieder in Bezug auf die Euro-Finanzkrise und die Ban- kenkrise. Ja, wir würden uns wünschen, dass man sich an Es war auch die Attraktivität des freien Westens, die die Regeln hält. Die Europäische Kommission hat circa dazu beigetragen hat, dass 1989 durch den Mut der Ost- 20 Klagen im Bereich des Umweltrechts gegen Deutsch- deutschen die Mauer zu Fall gebracht wurde, die den land eingereicht. Da geht es um saubere Luft, um saube- Kontinent geteilt hat. Auch in dieser Zeit war die Euro- res Grundwasser, um intakte Natur. Es wird keine Spur päische Union das wichtigste Instrument, um die damit besser, wenn Sie vonseiten der Bundesregierung da von einhergehenden ökonomischen Probleme auf dem Kon- Willkür sprechen. Es geht schlichtweg darum, sich an die tinent zu bewältigen und Mittel- und Osteuropa in einen rechtlichen Regelungen zu halten. So führt man Europa gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Prozess auch in die Krise, wenn sich ausgerechnet das mächtigste einzubinden. Land innerhalb der Europäischen Union wieder und wie- Wer sich diese Geschichte vor Augen hält, der weiß: der nicht an die Regeln hält. Deshalb: Setzen Sie endlich Europa verfügt über einen einmaligen Schatz an politi- die europäischen Regeln zum Umwelt- und Naturschutz schen Erfahrungen. um. (Andrea Nahles [SPD]: Ja!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Niemand ist so gut wie wir Europäer darin, Kompromisse Besser ist auch nicht, was Sie beim Thema Upload- zu finden, unterschiedliche Interessen zusammenzubrin- (B) filter machen. Beide Fraktionen sind national gegen gen und Lösungen daraus zu entwickeln. Lassen Sie uns (D) Uploadfilter und in Europa komischerweise dafür. So diesen Erfahrungsschatz selbstbewusst einsetzen, wenn zerstört man die Glaubwürdigkeit der Politik. es darum geht, die nächsten Jahre zu gestalten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der FDP) der CDU/CSU und der Abg. Was wir brauchen, ist ein starker, kräftiger Aufbruch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) für die Europäische Union. Ich bin mir sicher, dass wir Was ist die europäische Rolle heute? Ich will sie durch das hinkriegen; denn die Europäische Union ist das Bes- zwei Aspekte beschreiben: Europa muss Schutzraum für te, was wir geschaffen haben, um den Frieden zu erhal- die Interessen seiner Bürger sein, und Europa muss Ge- ten, die großen Probleme zu lösen, den Klimaschutz um- staltungsmacht bei der Bewältigung der globalen Proble- zusetzen und zu zeigen, dass die im Verhältnis zur Größe me sein. der Welt – und zur Größe der Probleme – kleinen europä- ischen Länder gut zusammenhalten, solidarisch sind und Was meine ich mit „Schutzraum“? Wir erleben ak- die Probleme angehen. tuell, dass sich die globalen Gewichte auf dem Globus ökonomisch verschieben, dass die Macht neu austariert Vielen Dank. wird, und wir erleben Handelskonflikte. Eines ist doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klar: Kein einzelner europäischer Staat kann sich gegen- über dem Druck der USA oder dem Druck Chinas öko- nomisch behaupten. Wir brauchen hier einen starken Zu- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sammenhalt in Europa. Gemeinsam sind wir der größte Christoph Matschie, SPD, ist der nächste Redner. Binnenmarkt der Welt, und gemeinsam können wir die- ses Gewicht zugunsten unserer Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der SPD) einsetzen.

Christoph Matschie (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs Wir brauchen aber auch eine starke Europäische Uni- nicht nur tagespolitisch diskutieren wollen, ist es viel- on, wenn es um die Gestaltung der Außenpolitik geht. leicht ganz sinnvoll, einmal in die Vergangenheit zu Neue Machtzentren bilden sich in der Welt heraus, und schauen. Die europäische Zusammenarbeit ist ja nicht neue Einflusssphären werden aufgebaut. Wir brauchen entstanden, weil alle gerade Zeit und nichts Besseres zu hier eine handlungsfähige gemeinsame Außenpolitik. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11559

Christoph Matschie (A) Es darf nicht sein, dass einzelne Staaten mit ihrem Veto bei diesem so wichtigen Thema, wollen wir doch heute (C) gemeinsame außenpolitische Positionen blockieren kön- die Zukunft Europas diskutieren. nen. (Beifall bei der AfD – Florian Hahn [CDU/ (Andrea Nahles [SPD]: Ja! Richtig!) CSU]: Sind fast alle da! Aber die AfD ist rich- tig gut aufgestellt!) Wir müssen auch in der Außenpolitik Mehrheitsentschei- dungen entwickeln. Diesen Weg müssen wir gemeinsam Europa steht vor großen Herausforderungen. In einer gehen; denn nur so kann Europa sein ganzes Gewicht multipolaren Welt ist ein geeinter Kontinent von großer einsetzen, um Frieden zu erhalten, Konflikten vorzubeu- Bedeutung, in geopolitischer sowie wirtschaftlicher Hin- gen und dafür zu sorgen, dass sich diese Welt in einem sicht. Doch schauen wir uns an, wo Europa und die EU positiven Sinne weiterentwickeln kann. heute stehen. Welchen Platz nehmen wir eigentlich in der Welt ein? Da sprechen die Zahlen doch eine deutliche (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Sprache. Im Jahr 1970 lag der Anteil der heutigen EU-28 Grosse-Brömer [CDU/CSU]) am realen Weltbruttoinlandsprodukt bei 35 Prozent. Bis Gestaltungsmacht betrifft ebenso das Thema, für das zum letzten Jahr ist der Anteil auf 23 Prozent gesunken. viele Jugendliche gerade auf die Straße gehen: Klima- Das entspricht einem Rückgang um 33 Prozent, einem schutz. Eines ist klar: Klimaschutz wird am Ende nur Drittel. funktionieren, wenn wir weltweit gemeinsam handeln. (René Röspel [SPD]: Der Anteil ist insgesamt Auch da spielt die Europäische Union eine ganz wich- gestiegen!) tige Rolle. Das Pariser Klimaabkommen wäre ohne das diplomatische Geschick, ohne den massiven Einsatz der – Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich bei Zahlen schon Europäer schlicht nicht zustande gekommen. so aufregen. (Andrea Nahles [SPD]: Ja!) (René Röspel [SPD]: Ja, und China?) Gewöhnen Sie sich das Rumbrüllen bei Diskussionen Deshalb sage ich den jungen Leuten, die auf die Straße hier im Parlament bitte einmal ab! gehen – das ist mir wichtig –: Demonstrieren Sie weiter! Es ist richtig, Druck zu machen! Aber gehen Sie auch zur (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeord- Europawahl, und wählen Sie Parteien, die dafür sorgen, neten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der dass Europa auch in Fragen des Klimaschutzes hand- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE lungsfähig bleibt! GRÜNEN)

(B) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael – Die Wähler werden an den Wahlurnen goutieren, wie (D) Grosse-Brömer [CDU/CSU] – Christian Dürr Sie sich hier aufführen, sehr geehrte Damen und Herren. [FDP]: Und was sagen Sie den jungen Leu- (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann ten, die die SPD-Position wissen wollen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Herr Kollege Matschie? Was sagen Sie denen gerade keinen guten Lauf!) denn? Wir wollen nur wissen, wie Sie jetzt zu Uploadfiltern stehen! – Gegenruf des Abg. Der Anteil der EU am Weltbruttoinlandsprodukt ist Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach, Herr um ein Drittel zurückgegangen. Und das ist Ihrer Politik Dürr!) geschuldet. Bitter für unseren einst so stolzen Kontinent, auf dem mit den Projekten EU und Euro einiges aus dem Zum Schluss, werte Kolleginnen und Kollegen: Euro- Ruder gelaufen ist! pa ist auf Mut und Weitsicht gebaut worden und ist auf diese Art und Weise zur vielleicht größten politischen (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Erfolgsgeschichte der Menschheit geworden. Lassen Sie GRÜNEN]: Sie sind so ignorant! Unglaub- uns deshalb mit Mut und Weitsicht an diesem gemeinsa- lich! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ men Europa weiterbauen! DIE GRÜNEN]: Und wo kam jetzt das Geld her? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Herzlichen Dank. GRÜNEN]: War das jetzt eigentlich aus der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schweiz?) der CDU/CSU) So ist die Abwertung der nationalen Parlamente durch die Brüsseler Bürokratie nämlich keine Kinderkrankheit, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die es zu kurieren gilt. Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der (Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜND- AfD, Dr. Alice Weidel. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der AfD) – Herr Hofreiter, regen Sie sich doch nicht so auf! Ich verstehe gar nicht, warum Sie hier immer fast vom Stuhl Dr. Alice Weidel (AfD): fallen. Das ist ja unglaublich! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE und Herren! Werte Kollegen! Ich muss mich vorab wirk- GRÜNEN]: Wir amüsieren uns über Sie! Er- lich wundern über die Präsenz auf der Regierungsbank zählen Sie uns doch mehr von den Franken!) 11560 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Alice Weidel (A) Die Abwertung der nationalen Parlamente ist keine Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir als AfD wol- (C) Kinderkrankheit, sondern eine beabsichtigte Grundsatz- len die Wettbewerbsfähigkeit, die Solidität, den Sozial- entscheidung. Doch wer die Nation und ihre Demokraten staat und unseren Wohlstand sichern. überwinden will, strebt eine andere Herrschaftsform an, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Salvini! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Und jetzt die Spender!) DIE GRÜNEN]: Sie wollen Europa abschaf- fen! Ich denke, Sie wollen den Euro abschaf- nämlich das Imperium, geführt von demokratisch nicht fen!) legitimierten Entscheidungsträgern. Und ganz ehrlich: Bei Ihnen allen bin ich mir nicht so sicher, ob Sie das auch wollen. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal Vielen herzlichen Dank. Mut zur Wahrheit!) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Und in dieser unseligen Vorstellung von Europa, die wir [CDU/CSU]: Solides Handeln mit Salvini!) nicht teilen, werden die Nationalstaaten immer mehr des Politischen entkleidet und auf den Rang von Provinzen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zurückgestuft. Ein solcher Einheitsbundesstaat ist unde- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Katja Leikert, mokratisch, weil er notwendigerweise mit Konsenspro- CDU/CSU. blemen konfrontiert ist, die nur in einer kleinräumigeren Weise, in kleineren Einheiten zu vollziehen ist. (Beifall bei der CDU/CSU)

Der Nationalstaat ist klein genug, um Identifikations- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): prozesse bei den Bürgern auszulösen, ohne die ein Ge- meinwesen nicht bestehen kann, und er ist groß genug, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und um die Souveränität des Gemeinwesens nach innen und Herren! Nachdem Frau Weidel einen der erfolgreichsten außen durchzusetzen. Der Nationalstaat ist deshalb un- Wirtschaftsräume der Welt wieder in Grund und Boden verzichtbar, sehr geehrte Damen und Herren. geredet hat, muss man sich erst mal ein bisschen sam- meln. (Beifall bei der AfD) Wir tun in der Politik so, als müsse man über Euro- pa immer Grundsatzdebatten führen oder historisierend Ohne ihn lassen sich nämlich Rechtsstaatlichkeit, De- (B) pseudophilosophische Ausführungen machen, wie das (D) mokratie und gesellschaftliche Solidarität nicht organi- Herr Gauland macht. sieren. Und zurück zur EU-Ebene: Die Nationalstaaten sind Herren der Verträge. Sie sind die einzige Quelle de- (Jürgen Braun [AfD]: Ja, das kriegen Sie nicht mokratischer Legitimität. Aber das wird nicht praktiziert. hin! Das Niveau erreichen Sie nicht bei der Union! Die Zeiten sind vorbei!) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will das Europaparlament Man spricht von Europa als „Projekt“, als „Modell“ und abschaffen?) gar in Sonntagsreden. In vielen aktuellen Konflikten und Debatten helfen aber kein erhobener Zeigefinger und Eine beliebte Methode, die nationalen Parlamente zu kein moralischer Gestus bzw., um einmal Cem Özdemir umgehen, ist, den Ausbau der Union durch Richtlini- zu zitieren: en und Verordnungen weiter voranzubringen. Mehr als (Jürgen Braun [AfD]: Ausgerechnet! Das 80 Prozent aller Gesetze kommen aus Brüssel, hat Bun- haben Sie auch noch nötig! Gehen Sie doch despräsident Herzog einst festgestellt. Ein Beispiel: die gleich zu den Grünen! Lösen Sie die CDU EU-Verordnung, Ratsdokumentennummer 1421/17, zur doch auf, und gehen Sie zu den Grünen!) Festlegung von Emissionsnormen für Personenkraftwa- gen. Die EU will neue Verbrauchstests für Pkws einfüh- Da helfen auch keine Yogamatten. ren. Dabei sind die Grenzwerte so niedrig gewählt, dass diese Verordnung einem Verbot des Verbrennungsmotors Die Welt ist tatsächlich im Umbruch. Nichts ist mehr gleichkommt. Jeder siebte Arbeitsplatz hierzulande, sehr selbstverständlich, weder Wohlstand noch Sicherheit und geehrte Damen und Herren, hängt direkt oder indirekt an Frieden. In dieser Zeit wissen die Europäerinnen und Eu- der Automobilindustrie. Wir als AfD-Fraktion haben uns ropäer ganz genau, was sie an der Europäischen Union vor etwas mehr als einem Jahr dafür eingesetzt, dass sich haben. Mehr als 80 Prozent der Deutschen finden die Deutschland gegen diese zerstörerische Verordnung aus Mitgliedschaft in der Europäischen Union gut. Brüssel mit einer Subsidiaritätsrüge wehrt, und Sie alle (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) haben das abgelehnt. – Hören Sie einfach mal ein bisschen zu, und nehmen Sie (Beifall bei der AfD) das zur Kenntnis. Sie klatschen lieber dem Brexit Beifall, und neuerdings – oder wahrscheinlich schon immer – un- Das ist die Abschaffung einer Schlüsselindustrie in terstützen Sie auch Russland in seinen Aktionen, die Eu- Deutschland. ropäische Union zu destabilisieren. Ich halte es wirklich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11561

Dr. Katja Leikert (A) für eine Schande, dass sich Abgeordnete als willige Hel- in Schlüsseltechnologien wird und auch bleibt. Wir wol- (C) fer Putins einspannen lassen. len europäische Champions; diesen Anspruch kann man auch ruhig einmal artikulieren. Nur wenn wir diese Fra- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem gen beantworten, kann Europa das Wohlstandsverspre- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- chen erfüllen, das die Europäische Union gegeben hat. geordneten der SPD – Widerspruch bei der AfD) Natürlich brauchen wir auch eine schlagkräftige eu- Wir wollen nicht zum Spielball von irgendjemandem ropäische Verteidigungspolitik. Es ist richtig, dass wir werden. Wir wollen nicht irgendwann in der Regionalli- hier schon vorangegangen sind und einen Europäischen ga antreten. Wir als CDU/CSU wollen ein sicheres, zu- Verteidigungsfonds eingerichtet haben. Das Projekt einer kunftsfähiges und wehrhaftes Europa. europäischen Verteidigungspolitik ist so alt wie ich und wurde immer noch nicht richtig auf den Weg gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist es richtig und gut, dass insbesondere Wir wollen die Regeln des zukünftigen globalen Zusam- hier vorangegangen ist. menlebens aktiv mitgestalten. Das bedeutet: Wir müssen eine gemeinsame, selbstbewusste Antwort geben im Hin- (Beifall bei der CDU/CSU) blick auf den Handelskonflikt mit den USA. Da braucht Zum Schluss – und das ist mir absolut wichtig –: Wir es kein plumpes Trump-Bashing, und, es tut mir leid, lie- können noch so viele Handelsabkommen schließen und be Grüne, da brauchen wir auch keine Chlorhuhn-Stim- die Europäische Union wehrhaft nach außen aufstellen, mungsmache wie damals bei TTIP. das alles nützt nichts, wenn es im Inneren nicht stimmt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Und da müssen wir uns alle ehrlich machen; das ist Abg. Sepp Müller [CDU/CSU]) auch ein Appell an uns. Das gilt zum Beispiel im Hin- blick auf unsere Partner in Polen und Ungarn, wenn dort Hier muss der Grundsatz gelten: Wir bleiben transatlan- der Rechtsstaat in Gefahr gerät. Wie schwierig das für tisch, aber wir werden europäischer. uns alle ist, haben wir als CDU/CSU gerade erst erlebt; (Beifall bei der CDU/CSU) aber wir haben klare Entscheidungen getroffen. Wenn wir nach Rumänien schauen, das Land der derzeitigen Deshalb wollen wir Europa international durch Han- EU-Ratspräsidentschaft, und sehen, dass die Regierung delsverträge stärken. Wir wollen unsere europäischen systematisch den Rechtsstaat schleift, dann kann man Grundwerte – das ist ganz wichtig in dieser globalisierten durchaus die SPD und die Kolleginnen und Kollegen von Welt – wie faire Arbeitsbedingungen und hohe ökologi- der FDP dazu auffordern, auch hier klare Entscheidungen (B) sche Standards schützen und weltweit durchsetzen. zu treffen. Ihr Spitzenkandidat, liebe Frau Barley, Frans (D) Und dann geht es natürlich auch um China. Wir brau- Timmermans, macht sich hier momentan völlig unglaub- chen mehr Selbstbewusstsein und eine klare Strategie würdig. in der Partnerschaft mit China. Deshalb bin ich dankbar, dass er die Debatte um eine strate- (Beifall bei der CDU/CSU – Andrea Nahles gische Industriepolitik in Gang gebracht hat. Ich weiß, [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht! Sie sind damit gewinnt man nicht immer ganz viele Sympathien. nicht auf dem neuesten Stand!) Aber auch hier gilt: Da ist kein Klein-Klein angesagt; vielmehr müssen wir einmal in unser Wettbewerbsrecht Wenn man Werte hat, für die man einsteht und für hineinschauen und uns fragen, wo wir in ein paar Jahren die man sich einsetzt, dann muss man auch Haltung be- stehen möchten. wahren. So stehen wir als CDU/CSU konsequent für die Urheberrechtsreform, für den Schutz des geistigen Ei- Wenn wir Europa sicher und zukunftsfähiger machen gentums ein. Auch hier ist es wirklich erstaunlich, liebe möchten, gilt Folgendes – darauf möchte ich noch ein- Frau Barley, dass Sie sich in Brüssel dafür einsetzen und mal hinweisen; Michael Grosse-Brömer hat es getan, zu Hause nicht. Und liebe Frau Beer, das war nicht ganz aber man kann es hier nicht oft genug sagen –: Vor dem richtig, was Sie am Anfang gesagt haben: 53 Prozent Ih- Verteilen kommt das Erwirtschaften. Darüber haben wir rer Kolleginnen und Kollegen der Partnerpartei ALDE hier schon öfter diskutiert, und wir haben versucht, das haben für die Urheberrechtsreform gestimmt. zu vermitteln. (Nicola Beer [FDP]: Die FDP nicht! – Gegen- Für Herrn Riexinger nenne ich nur eine Zahl, die ruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ zeigt, was Europa so sozial macht: Seit Polen 2004 der CSU]: 53 Prozent der Liberalen im Parla- EU beigetreten ist, hat sich dort das Pro-Kopf-Einkom- ment! – Gegenruf des Abg. Christian Dürr men verdoppelt, und die Arbeitslosenzahl hat sich um die [FDP]: Das sind bei Ihnen wahrscheinlich Hälfte reduziert. Das ist ein Riesenerfolg; auch das ist ein noch mehr!) Teil des sozialen Europas. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier erzählen Sie immer etwas ganz anderes. Wir können über Mindestlöhne reden, und wir müs- (Beifall bei der CDU/CSU) sen auch über Mindestlöhne reden. Aber wir müssen ge- nauso die Fragen im Blick behalten, wie die EU-Staaten Ich komme zum Schluss. Lassen wir die Menschen wettbewerbsfähiger werden und wie Europa Marktführer mit Sonntagsreden und Grundsatzdebatten in Ruhe! Wir 11562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Katja Leikert (A) sagen, wofür wir stehen, und auch, was mit uns nicht Meine Damen und Herren, in dieser sich ändernden (C) geht. Welt stellen sich Fragen: Wie garantieren wir unsere Si- cherheit? Wie schaffen wir es als Europäer, dafür zu sor- (Christian Dürr [FDP]: Sind Sie jetzt für oder gen, dass wir sicher leben können? Bisher – das ist eine gegen Uploadfilter, Frau Leikert?) bittere Wahrheit – schaffen wir es gar nicht. Wir als Eu- Das ist Haltung, und diese Haltung beweisen wir auch ropäer schaffen es überhaupt nicht, eigenverantwortlich in Europa. unsere Sicherheit zu gewährleisten, ohne das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Ersten. Lieber Herr Gauland, Sie haben hier Donald Trump zitiert; ich versuche es mit Goethe:

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Was du ererbt von deinen Vätern hast, Alexander Graf Lambsdorff, FDP, ist der nächste Red- Erwirb es, um es zu besitzen. ner. (Beifall bei der FDP) Die transatlantischen Beziehungen sind in schwerem Fahrwasser; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Aber wir müssen daran arbeiten, dass sie stark bleiben. Wir Alexander Graf Lambsdorff (FDP): müssen daran arbeiten, dass wir gemeinsam mit den Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Be- Amerikanern die Sicherheit Europas garantieren kön- sucherinnen und Besucher! Wir diskutieren heute Mor- nen. Deswegen setzen wir als Freie Demokraten auch in gen die Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs. Ich schwierigen Zeiten auf starke transatlantische Beziehun- finde es deswegen nicht verkehrt, sich erst einmal zu fra- gen. gen, worin dieser Umbruch eigentlich besteht. Ich glau- be, es sind drei Elemente, die ihn kennzeichnen: erstens (Beifall bei der FDP) die Rückkehr der Großmachtrivalität zwischen großen Nationalstaaten, eine tektonische Verschiebung der glo- Zum Zweiten: Systemwettbewerb. Wir wollen eine balen Machtverhältnisse, zweitens ein Systemwettbe- Partnerschaft mit Russland und China. Europa ist ein werb zwischen autoritären Regimen auf der einen Seite Kontinent des Handels. Deutschland ist Exportweltmeis- und der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit auf der ter; darauf sind wir stolz. Wir wollen Partnerschaft. Aber anderen Seite und, drittens, ein abnehmendes Gewicht wir kommen nicht umhin, festzustellen, dass in China dessen, was wir Multilateralismus nennen, mit anderen die Kommunistische Partei eine Alleinherrschaft ausübt, (B) Worten: die Bindung der Macht an das Recht. ein Social-Credit-System eingeführt hat, mit dem jeder (D) Bürger jeden Tag bewertet wird, und wer dem Regime Die Bindung der Macht an das Recht ist das Kenn- nicht genehm ist, darf noch nicht einmal mehr mit der zeichen dessen, was die Amerikaner „the liberal world Eisenbahn fahren. Es gibt Umerziehungslager. Es gibt order“, die liberale Weltordnung, nennen. Deshalb ist die 1 Million Menschen, die in Shenyang eingesperrt wor- Frage in dieser Situation des Umbruchs eigentlich nicht den sind. Wir haben in Russland, einem Nachbarland der so sehr die nach der Rolle Europas. Ich finde, die Fra- Europäischen Union, gelenkte Demokratie, gefügige Jus- ge müsste lauten: Was sind die Ziele Europas in einer tiz, Gefängnisse voller Demokraten. Das kann es nicht solchen Situation? Ich glaube, diese Ziele liegen auf der sein, meine Damen und Herren. Dieses Russland führt Hand. Wir wollen die Sicherheit unserer Gesellschaften aktiv Maßnahmen durch, um sein autoritäres, illiberales, gewährleisten. Wir wollen die Freiheit der Bürgerinnen intolerantes Gesellschaftsmodell zu uns zu exportieren, und Bürger erhalten, und wir wollen eine Weltordnung, und die AfD steht – das haben wir gesehen – jedenfalls in die sich auf das Recht gründet. Teilen bereits unter totaler Kontrolle. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der AfD) Ich habe eben über diese Verschiebung geredet; Sie alle sehen es jeden Tag in den Nachrichten. Die USA ver- Liebe Frau Barley, muss man Russia Today kurz vor folgen zurzeit einen anderen Kurs – das machen sie unge- der Europawahl ein solches Interview geben, wie Sie das fähr einmal pro Jahrhundert; sie haben es unter Andrew getan haben? Ich finde, das stärkt die Resilienz unserer Jackson und Ted Roosevelt gemacht und jetzt mit Trump Gesellschaften nicht gerade. und seinem Kurs „America First“ – und fallen als Garant des Multilateralismus aus. China hat politisch massiv an Der letzte Punkt, meine Damen und Herren: die Gewicht gewonnen, baut Flugzeugträger, greift geopo- Bindung von Macht an Recht. Die Vereinten Nationen litisch ein; die Seidenstraßen-Initiative ist uns bekannt. zu stärken, gemeinsam Konflikte zu bearbeiten und Russland – wirtschaftlich nach wie vor schwach – stößt Krieg zu vermeiden, sind zentrale Aufgaben, denen sich politisch sehr geschickt in bestimmte Lücken, die ihm Deutschland und Europa gegenübersehen. Ich fand es gut der Westen lässt, sei es in Syrien, in Libyen oder in Ve- und richtig, dass die Bundesregierung eine Allianz der nezuela. Indien, die größte Demokratie der Welt, kommt Multilateralisten gründen wollte. Nur: Es hat noch kein bisher in dieser Rechnung nicht vor. Seit Jahren reden einziges Treffen gegeben. Wo ist das denn? Wo ist denn alle über die wachsende Rolle Indiens. Indien findet ei- die Stärkung der Vereinten Nationen? Wo ist denn die gentlich nicht statt. Stärkung unserer anderen multilateralen Bündnisse? Wo Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11563

Alexander Graf Lambsdorff (A) ist denn die Glaubwürdigkeit in der NATO, wenn ich Ihre Union eine Bastion gegen die ist, die das Völkerrecht (C) Haushaltspolitik sehe, liebe Bundesregierung? nicht einhalten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Wo ist die Antwort auf Macron, liebe Frau Bundeskanz- Leider geht die Entwicklung ja in eine etwas andere lerin? Dröhnendes Schweigen aus dem Kanzleramt an- Richtung. Im mittelfristigen Finanzrahmen ist eine Auf- gesichts eines französischen Präsidenten, der aus Europa rüstung der Europäischen Union geplant. Es ist ein Eu- wirklich etwas machen will. ropäischer Verteidigungsfonds mit 13,5 Milliarden Euro zur Stärkung der europäischen Rüstungspolitik vorgese- Wenn wir es mit dem Multilateralismus, mit dem Völ- hen. Es sind sogar 6,5 Milliarden Euro eingestellt, um kerrecht ernst meinen, dann müssen wir verantwortungs- Straßen und Brücken für Panzer befahrbar zu machen, volle Politik machen, damit wir Sicherheit als gute Ver- um eine schnellere Verlegung von Panzern an die russi- bündete, Freiheit als echte Demokraten und die Garantie sche Grenze zu ermöglichen. Das ist nicht das Europa, des Rechts für dauerhaften Frieden erreichen können. das wir wollen. Das sind die Ziele Europas in dieser Welt des Umbruchs. Dafür müssen wir gemeinsam arbeiten. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-­ Herzlichen Dank. Brömer [CDU/CSU]: Stärkung der Sicher- heit! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Das schützt (Beifall bei der FDP) Europa!) Das spaltet Europa. Das führt zu einem neuen Kalten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Krieg, und deswegen wollen wir nicht in diese Richtung Andrej Hunko, Die Linke, ist der nächste Redner. gehen. (Beifall bei der LINKEN) Das zweite wichtige europäische regelbasierte Instru- ment ist die Europäische Menschenrechtskonvention, die Andrej Hunko (DIE LINKE): weltweit wirklich einzigartig ist. Sie umfasst in einem Vielen Dank. – Herr Präsident! Herr Lambsdorff, ich gesamteuropäischen System 47 Länder und räumt über bin Ihnen dankbar für Ihre Rede, weil Sie wenigstens 800 Millionen Menschen ein Individualklagerecht beim zum Thema geredet haben, zum Thema „Europa in einer Straßburger Gericht ein. Leider hat die Europäische Uni- Welt des Umbruchs“. Auch wenn wir nicht der gleichen on die Konvention bis heute nicht unterzeichnet. Damit Meinung sind: Ich teile die Analyse, dass es tatsächlich erkennt sie dieses Gericht für sich selbst nicht an, und eine Welt des Umbruchs ist. Dieser Umbruch besteht da- das, obwohl das im Lissabon-Vertrag steht. Deswegen (B) rin, dass rechtsbasierte internationale Politik einer Ero- fordern wir, dass die Europäische Union endlich dieser (D) sion ausgesetzt ist, dass wir weniger rechtsbasierte Po- Menschenrechtskonvention beitritt. Damit würde eine litik haben. Das muss sich ändern, und deswegen ist die Richtungsentscheidung getroffen. heutige Debatte auch sehr gut. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über Europa reden, dann sollten wir definie- Herr Präsident, ich stelle mir vor, Julian Assange wäre ren: Was meinen wir mit Europa? Hier meinen die meisten ein Whistleblower, ein Journalist, der russische Kriegs- die Europäische Union. Reden wir darüber? Ich denke, die verbrechen aufgedeckt hätte, und würde jetzt festgenom- Europäische Union steht in der Tat an einem Scheideweg. men und nach Russland ausgeliefert. Wird sie ein Bündnis sein, das selbst Rechtsstaatlichkeit, (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das wäre mal Demokratie, Menschenrechte, Frieden und sozialen Aus- eine Leistung! – Michael Grosse-Brömer gleich beinhaltet, oder geht sie den Weg der Doppelstan- [CDU/CSU]: Der wäre schon lange in Russ- dards, der Aufrüstung und auch der Militärinterventionen? land verschwunden!) Wird es statt eines „America first“ ein „Europe first“ ge- ben, oder gibt es tatsächlich ein inhaltlich anderes Euro- Dann wären ja alle Medien voll davon. Dann würde pa, das eben für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und auch Juncker bestimmt nicht sagen, was er gestern gesagt hat: Multilateralismus in den internationalen Beziehungen Dafür sind wir nicht zuständig. – Ich denke, an diesem steht? Wir sind natürlich für Letzteres. Beispiel des Schutzes eines Whistleblowers, der massi- ve Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, zeigt sich auch ein (Beifall bei der LINKEN) bisschen die Glaubwürdigkeit, wie ernst wir es mit der Wenn wir über regelbasierte internationale Politik Meinungsfreiheit, mit dem Schutz von Journalisten mei- sprechen – der Außenminister ist zwar nicht da; aber das nen. Ich denke, Julian Assange sollte nicht ausgeliefert ist ja auch im Auswärtigen Amt gegenwärtig ein häufig werden. Ich denke, die Europäische Union sollte sich verwendeter Begriff –, dann müssen wir sagen: Welche dafür einsetzen, die Bundesregierung sollte sich dafür Regeln meinen wir denn? Meinen wir das Völkerrecht? einsetzen. Das wäre ein ganz wichtiges Signal, auch für Ja, wir sind dafür, dass das Völkerrecht eingehalten wird. ein Europa, das diesen Schutz als wichtiges Instrument Es wird häufig unterlaufen, nicht nur von den vermeint- ansieht. lich bösen Staaten, sondern oft genug auch von europä- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ischen Staaten und den USA. Wir sind dafür, dass das Völkerrecht eingehalten wird und dass die Europäische (Beifall bei der LINKEN) 11564 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Vizepräsident : dass unsere digitale Zukunft in der EU bestimmt wird (C) Vielen Dank, Herr Kollege Hunko. – Als nächste Red- und nicht in Peking und auch nicht in Washington. nerin hat das Wort die Kollegin Dr. Franziska Brantner, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen. Natürlich kosten Sicherheit und Unabhängigkeit auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geld. Aber wirklich teuer kommt es uns doch erst, wenn wir diese Sicherheit nicht mehr haben. Ich erwarte von Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Bundesregierung, dass sie bereit ist, mehr Geld für NEN): den europäischen Haushalt zur Verfügung zu stellen, da- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen mit diese europäischen Aufgaben auch endlich europä- und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zu meiner ei- isch angegangen werden können. gentlichen Rede komme, einen Satz zu Frau Weidel und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ihrem Demokratieverständnis in Europa sagen. Keiner will hier die nationalen Parlamente schwächen, Wir Deutschen fühlen uns so häufig gerne als die guten Europäer. Aber es ist leider nicht so einfach. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Doch! Ma- Deutschland steht momentan so häufig auf der Bremse chen wir!) und stellt auch immer wieder seine eigenen Interessen aber Sie wollen das Europäische Parlament abschaffen. vor die europäischen, Stichwort „Nord Stream 2“. Das Das ist Ihr Verständnis von Europa und europäischer De- ist es, was Europa gerade bremst und lähmt und auch ka- mokratie, das wir absolut nicht teilen. puttmacht. Wir brauchen nicht mehr Sonntagsreden über Europa, wir brauchen kein weiteres Schönreden, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wir brauchen europäisches Handeln. Das ist so dringend bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei notwendig, damit wir unsere Zukunft noch selber in der Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun Hand haben. [AfD]: Sie schwächen unser deutsches Parla- ment! Daran arbeiten Sie seit Jahren!) Ich danke Ihnen. Häufig werden wir ja alle gefragt: Wofür brauchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir denn überhaupt Europa? Ich antworte immer: Damit wir nicht allein sind in dieser verrückten Welt, damit wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unsere Zukunft überhaupt noch gestalten können. Die Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Brantner. – Nächster (B) globalen Machtverhältnisse sind im Umbruch. China ge- Redner ist der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Frak- (D) winnt mehr an Einfluss, Russland wird aggressiver, und tion. auf Trump kann man sich als Demokrat nicht verlassen. Ich bin froh, dass wir nicht alleine sind, sondern dass wir (Beifall bei der CDU/CSU) wissen: Ob Franzosen, ob Holländer, die Europäische Union steht an unserer Seite, wir sind nicht alleine. Das Florian Hahn (CDU/CSU): gibt Sicherheit. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorgestern ist ein historischer Erfolg gelungen: Zum ers- sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]) ten Mal in der Geschichte ist es Forschern unter maß- geblicher Beteiligung des Max-Planck-Instituts in Wir müssen aber auch aufpassen. Das heißt nicht, dass gelungen, Bilder von einem sogenannten schwarzen das alles unsere Feinde sind, und wir sollten auch aus Loch aufzunehmen. Albert Einstein hat mit seiner Rela- ihnen keine Feinde machen, indem wir sie so behandeln tivitätstheorie den wissenschaftlichen Überbau geliefert. oder so über sie reden. Aber europäische Souveränität Jetzt erst konnte der visuelle Beweis für die Existenz der bedeutet, dass wir angemessen reagieren können müssen, schwarzen Löcher geliefert werden. Für mich ist das ein egal ob diese Akteure uns nun positiv oder negativ ge- treffliches Beispiel dafür, dass wir gemeinsam Großarti- sonnen sind. Das heißt erstens: Europäische Souveränität ges leisten können, wenn wir unsere Kräfte grenzüber- werden wir nur erreichen, wenn wir den sozialen Zusam- schreitend bündeln, in dem konkreten Fall sogar in einer menhalt in Europa stärken. weltweiten konzertierten Aktion über Kontinente hin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weg. Wenn Europa nur den Banken hilft, aber nicht den Kran- Für Europa heißt das für mich: Wenn wir gemeinsam ken, ist das ein Einfallstor für alle, die Europa schaden große Erfolge erzielen wollen, müssen wir auch muti- wollen. ge Schritte gehen und bereit sein, groß zu denken. Wir müssen in Zukunftsfelder gemeinsam investieren. Die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Zukunft Europas, unsere Zukunft, hängt maßgeblich von SES 90/DIE GRÜNEN) Forschung und Wissenschaft, Innovation und Investitio- nen ab. Dafür müssen wir die richtigen Weichen stellen Wir müssen zweitens kritische Infrastruktur stärken und und zusammen mit den Nationalstaaten für Innovation wieder in europäische Hand geben. Wenn wir zukunfts- und Zukunftsfähigkeit arbeiten. weisende Technologien verschlafen, werden wir zuneh- mend in die Arme von China und Co getrieben. Ich will, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11565

Florian Hahn (A) Wir brauchen in Europa wieder neue Impulse und bringen wollen. Angesichts Globalisierung und Digita- (C) mehr Mut für Veränderungen. Die zähen, langwierigen lisierung mutlos den Kopf in den Sand zu stecken, ist und zum Teil frustrierenden Brexit-Verhandlungen haben hingegen keine Lösung. den Blick auf andere wichtige Aufgaben verstellt. Aber Die Grünen und die Linken setzen auf Umverteilung, die EU-27 haben eine große Einigkeit gezeigt, und das Verbote, Zentralisierung, Vergemeinschaftung in Europa. habe ich vorher so nicht für möglich gehalten. Dieses Das schwächt und das gefährdet den Zusammenhalt der Momentum gilt es zu nutzen. Darauf können wir aufbau- Europäischen Union. Da ist übrigens auch vieles dabei, en. was Herr Macron gefordert hat. Da macht es einen ange- Nun muss es um die zukünftige Ausgestaltung Euro- sichts seiner Pläne für einen europäischen Mindestlohn, pas gehen. Von dem Gipfel am 9. Mai in Sibiu erwarten eine europäische Arbeitslosenversicherung und einen eu- wir weitere Impulse. Die Agenda wird sich sicherlich ropäischen Sozialtransfer schon ein bisschen nachdenk- auch in dem Programm für die neue Europäische Kom- lich, wenn die FDP Hand in Hand mit Macron in den mission wiederfinden, an deren Spitze dann ein neuer Wahlkampf zieht. Kommissionspräsident stehen wird. Die Union, CDU (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und CSU, und die Europäische Volkspartei haben hier- der Abg. Corinna Miazga [AfD] – Alexander für einen ausgezeichneten Kandidaten, einen besonne- Graf Lambsdorff [FDP]: Jean-Claude Juncker nen Brückenbauer, der Brüssel kann, ohne je seine enge ist für all die Maßnahmen, die Sie gerade ge- Bindung zu seiner niederbayerischen Heimat aufgegeben nannt haben, für jede einzelne!) zu haben, und der mit uns für ein Europa kämpft, das die Menschen stark machen möchte, und das ist Manfred Erst recht keine Lösung ist es, sich nach Brüssel wäh- Weber. len zu lassen, um dort alles zu blockieren, rückabzuwi- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Können ckeln und am Ende abschaffen zu wollen. Die Rechts- Sie das noch mal wiederholen? Wir haben den populisten und Nationalisten in Europa formieren sich Namen nicht verstanden!) langsam, um genau das zu tun. Auch die AfD ist da ganz vorne mit dabei. Sie gefährden damit Frieden, Freiheit Für CDU und CSU ist klar: Damit wir die Europäi- und Wohlstand auf unserem Kontinent. sche Union in eine gute Zukunft führen können, braucht es Mut, braucht es Kraft und Stärke. Wir kämpfen für (Zurufe von der AfD: Oh!) ein starkes Europa, das die globalen Herausforderungen Alle proeuropäischen Kräfte sind nun gefordert, für meistert. Vier Säulen sind für uns dabei zentral: eine In- den Zusammenhalt in Europa zu kämpfen. novationsunion, eine Stabilitätsunion, eine Sicherheits- union und eine Verteidigungsunion. (B) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (D) Wir wollen eine Innovationsunion, die Zukunftsjobs Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. entstehen lässt und so Wettbewerbsfähigkeit und Wohl- stand sichert. Die Vorstellung hingegen, man könne die Florian Hahn (CDU/CSU): Bürgerinnen und Bürger vor den Risiken der Globalisie- Die Spaßmacher, Gaukler und Europafeinde dürfen rung und der Digitalisierung schützen, indem man ein- nicht die Oberhand gewinnen. Lassen Sie uns dafür ge- fach soziale Rechte europaweit harmonisiert, halten wir meinsam kämpfen! für Augenwischerei. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen eine Stabilitätsunion, die den Mitglied- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. staaten eine solide Haushaltsführung abverlangt und Markus Töns [SPD]) die unsere Währung, den Euro, stärkt, und keine Trans- ferunion, in der Mitgliedstaaten auf Kosten der anderen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ihre unverantwortliche Schuldenpolitik endlos fortsetzen Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Axel können, zum Beispiel auf Basis einer europäischen Ar- Schäfer, SPD-Fraktion. beitslosenversicherung. Erwirtschaften geht vor Vertei- (Beifall bei der SPD) lung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Wir wollen eine Sicherheitsunion, in der sich die na- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf tionalen Sicherheitsbehörden besser vernetzen und ihre schwierige Fragestellungen gibt es manchmal ganz klare Daten vereinfachter austauschen können, damit der Antworten. Zu unserem heutigen Thema kann man sa- Kampf gegen die grenzüberschreitende Kriminalität ent- gen: Wer auch morgen sicher leben will, muss heute für sprechend intensiviert werden kann. Europa kämpfen. Und wir wollen eine Verteidigungsunion mit gemein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten samen Streitkräften bis 2030, damit unser Europa sein der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Schicksal verstärkt in die eigenen Hände nehmen kann. DIE GRÜNEN) Das ist das Angebot von CDU und CSU zur Europa- Aber weil die Wahrheit konkret ist, mache ich es an Bei- wahl Ende Mai, mit dem wir unser Europa mutig voran- spielen deutlich. 11566 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Axel Schäfer (Bochum) (A) Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich dem Kolle- verteidigt, haben gesagt: „Er ist ja mehrheitlich gewählt“, (C) gen Nick von der Unionsfraktion, dem Sozialdemokra- nach dem Motto: Mehrheit kann alles. – Sie haben Pil- ten Schwabe genauso wie Andrej Hunko – ich sehe ihn gerreisen nach Budapest mit vielen Parlaments- und Par- hier – und Tabea Rößner, die es zusammen mit anderen teidelegationen gemacht. Sie haben Orban auf Parteitage in der deutschen Delegation geschafft haben, dass wir in eingeladen und ihm gehuldigt. Wir haben von den jetzt dieser Woche in der Parlamentarischen Versammlung des kritisierten rumänischen Sozialdemokraten weder je- Europarates Lösungen gefunden haben, damit diese so manden eingeladen noch irgendjemandem gehuldigt. wichtige supranationale, multilaterale Organisation wei- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Da bin ich ter existieren kann, weiter finanziert wird, und dass wir mal sehr gespannt!) auf dem schmalen Grat der notwendigen Kritik an Russ- land – an der Politik von Putin – Millionen russischen Im Gegenteil: Ich sehe hier einige, die an der Delegati- Bürgerinnen und Bürgern die Chance gewahrt haben, den onsreise nach Bukarest teilgenommen haben; die haben Menschenrechtsgerichtshof anzurufen. Ich bin sicher, die das ordentlich und offen kritisiert. Das werden wir auch deutsche Bundesregierung wird auch diesen Weg gehen weiter so machen. und sich dafür einsetzen, dass wir im Ministerkomitee die notwendige Einstimmigkeit von 47 Staaten erreichen; (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan denn das ist praktizierte Gemeinschaft in diesem Europa. Liebich [DIE LINKE]) Das ist genau der Unterschied. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Jetzt zu Russia Today: Ich kann Ihnen ja mal vorlesen, GRÜNEN) wer alles vor den Mikrofonen von Russia Today stand. Das ist das gesamte christdemokratische A bis Z, von Es geht bei der europäischen Einigung um das Ge- Altmaier bis Ziemiak. meinsame, das uns verbindet. Es geht nicht um Europa unter Vorbehalt. Die Lehre des Brexits ist: Lasst uns hier (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es ist eine jeden Tag jedem Unsinn, der über Zentralismus, Büro- Frage, was man dort sagt!) kratie und Regelungswut der EU usw. erzählt wird, offen Und jetzt kommen Sie hier mit so einer billigen Ge- widersprechen. Es gibt keinen Brüsseler Zentralismus. schichte, weil Ihnen bei unserer Spitzenkandidatin sonst Es gibt in Brüssel nur Entscheidungen des Europäischen nichts einfällt? Sie ist unbestritten eine gute europäische Parlaments und der 28 Regierungen, und zwar auf der Frau. – Das ist in Ordnung so, wie du das machst, liebe Grundlage unzähliger Vertrags- und Verfassungsände- Katarina. Glück auf für den 26. Mai! rungen zur Erweiterung der Kompetenzen der EU, die (Beifall bei der SPD) (B) hier im Deutschen Bundestag und im Rahmen zahlrei- (D) cher Volksabstimmungen in den EU-Staaten beschlossen worden sind. Das ist die Handlungsgrundlage. Auf dieser Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Handlungsgrundlage machen wir gemeinsam konkrete Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Als nächster Politik, manchmal eher sozialdemokratisch, manchmal Redner hat das Wort der Kollege Jürgen Hardt, CDU/ eher christdemokratisch geprägt – wie auch immer –, und CSU-Fraktion. wir machen sie gemeinsam. Wir haben erlebt: Wer jeden Tag Lügen über dieses Brüssel verbreitet, wird im Brexit (Beifall bei der CDU/CSU) landen. Das werden wir hier miteinander verhindern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- In Europa steht die Europawahl an, bei der zwischen ber Axel Schäfer, dass Sie ein Herz für Europa haben, ist Parteien entschieden werden kann – Gott sei Dank. Lie- völlig unbestritten. Sie sind einer der starken Europäer be Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie kön- hier. Aber das, was Sie sich zum Schluss Ihrer Rede er- nen ganz sicher sein, dass der sozialdemokratische Erste laubt haben, das bedarf einer kleinen Erläuterung: Wir Vizepräsident der EU-Kommission darüber wachen wird haben die Stimmrechte und Mitwirkungsrechte der unga- und alles dafür unternehmen wird, dass die Rechtsstaat- rischen Partei Fidesz in der EVP suspendiert. lichkeit in allen – auch den kritisierten – Ländern der Europäischen Union eingehalten wird. Er wacht über ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Verfahren gegen Ungarn und Polen gemäß Artikel 7 des Andrea Nahles [SPD]: Wir auch!) EU-Vertrags, aber übt auch notwendige Kritik an der Re- Eine solche Entscheidung steht mit Blick auf die Sozial- gierung in Bukarest – dreimal war er in den letzten Mo- demokraten in Rumänien noch aus. naten dort –, an der bekanntlich auch Sozialdemokraten beteiligt sind. ( [Aachen] [SPD]: Das hätten Sie jetzt besser nicht gesagt!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was heißt „auch“?) Auch die ALDE hat es bisher nicht vermocht, einen sol- chen Schritt mit Blick auf die liberale Schwesterpartei in Das ist gut und richtig so. Er hat da sehr schnell reagiert. Rumänien zu gehen. Sie haben, als es sozusagen um die CDU Ungarns (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Taschen- ging, den Parteivorsitzenden, Herrn Orban, neun Jahre spielertricks! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜND- lang hier in diesem Haus in den Debatten immer wieder NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dünnes Eis!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11567

Jürgen Hardt (A) Insofern sollte jeder vor seiner eigenen Haustür kehren. dieser Europäischen Union guttun. Dafür werden wir ge- (C) Wir tun das. meinsam am 26. Mai kämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte noch ganz kurz etwas zum Thema Groß- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: britannien sagen. Ich glaube, dass in den nächsten Jahr- zehnten intensiv darüber gestritten wird, wer in diesen Herr Kollege Hardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage Tagen und Wochen was richtig und was falsch gemacht des Kollegen Schäfer? hat in unserem Verhältnis zu Großbritannien. Deswe- gen finde ich es gut, dass Deutschland, dass die übrigen Jürgen Hardt (CDU/CSU): 27 Mitgliedstaaten keinen Druck, insbesondere keinen Ja. Zeitdruck auf Großbritannien ausüben. Damit wird auch der Legendenbildung vorgebeugt, wir hätten unsererseits Großbritannien in dieser schwierigen Frage doch ein Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Stück weit in eine bestimmte Richtung geschubst. Ich Das ist meine erste Zwischenfrage in 21 Jahren im würde mir wünschen, dass die Briten ihre Entscheidung Parlament. – Kollege Hardt, lieber Jürgen, ist dir bekannt, noch einmal überdenken würden. Aber wir müssen da- dass in dieser Woche die Sozialdemokratische Partei Eu- von ausgehen, dass sich der erklärte Wille zum Austritt ropas die Mitgliedsrechte der rumänischen Sozialdemo- durchsetzt. Ich plädiere dafür, darüber nachzudenken, ob kraten eingefroren hat? Wir haben schnell reagiert. Ihr wir für diesen Fall zwischen Deutschland und Großbri- habt neun Jahre gebraucht. tannien, zwischen unseren beiden Völkern nicht so etwas wie einen bilateralen Freundschaftsvertrag brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Dass die Europäische Union mit Großbritannien gut zu- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – sammenarbeitet, ist selbstverständlich; aber ich glaube, Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die wir brauchen so etwas auch bilateral. Das rege ich für die regieren ja auch noch nicht so lange in Rumä- zweite Jahreshälfte an, damit wir enge Partner bleiben, nien!) auch im Falle eines Brexits. Die Bedeutung der Europäischen Union für die Au- Jürgen Hardt (CDU/CSU): ßen- und Sicherheitspolitik hat sich in den letzten Jah- Wenn das dazu führt, dass wir uns auch in unseren Par- ren massiv erwiesen. Man stelle sich nur einmal vor, wir teienfamilien stärker der Tatsache bewusst werden, dass würden in den komplizierten Handelsauseinandersetzun- (B) wir unsere Werte nach innen wie nach außen verteidigen gen mit Amerika mit unserem Anteil von 3 Prozent am (D) müssen, ist das ja gut. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir Weltbruttosozialprodukt als Deutschland alleine daste- mit Blick auf Fidesz einen schweren, aber erfolgreichen hen, wir könnten uns nicht darauf verlassen, dass Brüssel, Weg gegangen sind. Wir haben es geschafft, eine große dass Frau Malmström, dass aber auch der französische Geschlossenheit innerhalb der Europäischen Volkspartei Präsident, der spanische Premierminister und andere uns bei diesem Thema herzustellen. Deswegen glaube ich, zur Seite stehen. Die Handelspolitik ist ein hervorragen- dass wir uns in dieser Frage als die bessere und stärkere der Beleg dafür, wie stark die Europäische Union sein Kraft erwiesen haben. kann, wenn sie sich auf ihre Kraft besinnt und gemeinsam agiert. Das geht natürlich immer einher mit der Bereit- (Beifall bei der CDU/CSU) schaft, Kompromisse zu schließen, und der Bereitschaft, auf die spezifischen Anliegen der anderen Partner in der Ich möchte kurz auf einen anderen Punkt eingehen. EU einzugehen. Aber ich finde es aller Anstrengungen Hier haben heute auch einige Spitzenkandidaten der Par- wert, diese Kraft, die wir zum Beispiel im Bereich der teien gesprochen. Handelspolitik zeigen, auch in anderen Fragen der Au- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ßenpolitik zu mobilisieren. Wir müssen im Bereich der NEN]: Dafür war kein Minister da und keine Außenpolitik kompromissfähig und kompromissbereit Ministerin!) sein, auch wenn Kompromisse an dem einen oder anderen Punkt nicht ohne Schmerzen zu haben sind. Sie sorgen Der EVP-Spitzenkandidat und Spitzenkandidat von CDU aber dafür, dass wir mit einer Stimme sprechen können. und CSU für die Europawahl ist nicht hier. Er ist nämlich Ich plädiere dafür, dass wir in der europäischen Außen- seit vielen Jahren sehr erfolgreicher Europaabgeordneter. und Sicherheitspolitik zum Mehrheitsprinzip übergehen, so wie das im Lissabonner Vertrag angelegt ist und von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – den Außenministern beschlossen werden könnte. Nicola Beer [FDP]: Das sehen wir am Zustand der EU!) Ich glaube, dass die Europäische Union auch in in- ternationalen Gremien eng zusammenarbeiten sollte. Ich Wir finden es gut, dass nicht nur CDU und CSU, sondern sehe eine große Chance darin, dass Deutschland nicht die gesamte Europäische Volkspartei mit als einziges Mitglied der Europäischen Union Mitglied einen Deutschen als Spitzenkandidaten für die Europa- des Sicherheitsrates ist, sondern auch andere EU-Mit- wahl aufgestellt hat. Das ist ein kraftvolles Signal, auch gliedstaaten im Sicherheitsrat vertreten sind. Ich halte es in die Reihen der Bürgerinnen und Bürger unseres Lan- für dringend notwendig, dass Deutschland und die an- des. Ein Kommissionspräsident Manfred Weber würde deren EU-Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat gemeinsam 11568 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Jürgen Hardt (A) abstimmen und zu gemeinsamen Positionen kommen. häuser gesetzt haben. Auch der amtierende Vizepräsident (C) Solche gemeinsamen Positionen haben wir bitter nötig. hat Russia Today schon Interviews gegeben. Die Grünen Ich erwarte und wünsche mir von den EU-Mitgliedern im in Bayern scheinen sehr gute Beziehungen dahin zu ha- Sicherheitsrat einen Impuls mit Blick auf die Situation ben; auch und Frau Schulze haben Russia in Libyen – vielleicht doch einen Anlauf zu einer neuen Today Interviews gegeben. Über die gesamte erste Reihe Resolution – und insbesondere mit Blick auf die Beile- der Union hat Axel Schäfer eben schon gesprochen. gung des Bürgerkriegs im Jemen, wo gegenwärtig eine (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Null! der größten humanitären Katastrophen herrscht. Mit Sicherheit nicht!) (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Keine Waffen Es widerspricht ja keiner, wenn es darum geht, dass man an Saudi-Arabien!) manchmal vielleicht auch diesen Medien Interviews gibt. Ich glaube, dass da insbesondere Deutschland und die Eu- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir ropäische Union ganz konkret gefragt sind. Damit können werden noch nicht mal gefragt!) wir beweisen, dass wir in diesem Bereich ebenso super- stark und handlungsfähig sind wie in der Handelspolitik. Die Frage ist, wie man damit umgeht und welche Hal- tung man dahinter hat. Aber ich bitte doch die Kollegin- Danke schön. nen und Kollegen hier im Haus, das auch mal zur Kennt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nis zu nehmen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Außerdem ist es natürlich interessant, wenn wir über Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Als nächstem die Rolle Europas bei diesem technologischen Wandel Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Jens Zimmermann, reden. Da haben wir zweifelsohne aktuell ein sehr gutes SPD-Fraktion, das Wort. Beispiel dafür, wie wir auf der europäischen Ebene rin- (Beifall bei der SPD) gen, zum Beispiel um das Thema Urheberrechte. Ich will noch mal festhalten: Das geht durch alle Parteienfamilien hindurch. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Der geschätzte Kollege Hofreiter hat auf das Thema ren! „Die Rolle Europas in einer Welt des Umbruchs“, Uploadfilter hingewiesen. Sie sind doch mit Ihrer Frakti- das ist das Thema unserer heutigen Vereinbarten Debatte. on im Europäischen Parlament das beste Beispiel dafür, Ja, es gibt viele Umbrüche. In den Bereichen Technolo- wie hart man in der Sache ringen kann. Sie haben die (B) gie und Digitalisierung spüren das die Bürger in Europa ehemalige Piratin Julia Reda in Ihre Fraktion aufgenom- (D) ganz konkret. Es ist schon gesagt worden: Niemand ver- men, und Sie haben dort Ihre Kollegin Helga Trüpel. Das liebt sich in einen Binnenmarkt. – Das gilt heute immer sind doch die beiden Pole dieser Debatte in der eigenen noch; aber wenn wir in Europa den Bürgerinnen und Bür- Fraktion im Europäischen Parlament. gern Orientierung, Schutz und Unterstützung in diesem (Zurufe von der FDP und dem BÜNDNIS 90/ digitalen Wandel bieten, dann ist das ein Vorteil, den die DIE GRÜNEN) Bürgerinnen und Bürger in Europa ganz konkret spüren können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Daher ist es nicht redlich, sich jetzt hierhinzustellen und zu sagen, sie seien die Einzigen, die an dieser Stelle eine (Beifall bei der SPD) klare Meinung hätten. Das ist doch nicht so. Dieser Wandel, dieser Umbruch hat natürlich sehr viel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit der Welt um uns herum zu tun, zum Beispiel mit der der FDP) Rolle der USA. Wir wissen, dass im Silicon Valley ganz viel passiert. Es ist nicht so, dass das alles in Washington Es zeigt sich aber bei der Größe der Themen, die vor passiert; das würde bedeuten, dass das allein Sache der uns stehen, dass die große Chance ist, das gemeinsam in Regierung ist. Nein, wir haben viele große amerikanische Europa anzugehen. Dieser Tage, gestern und heute, fin- Konzerne, die diesen Umbruch mit verursachen. Schau- det eine ziemlich einmalige Konferenz statt, die Königs- en wir nach China: Dort gibt es einen staatlich gelenkten winter Konferenz, wo Deutsche und Briten zusammen Wandel mit einer langfristigen technologischen Strate- hier in Berlin auch über die Zukunft Europas diskutieren. gie. Wir haben in den letzten Wochen eine Diskussion über chinesische Hardware in Deutschland geführt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen natür- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. lich auch zu unserem Nachbarn Russland schauen, der versucht, Einfluss auf demokratische Strukturen zu neh- Dr. Jens Zimmermann (SPD): men. Dazu nutzt Russland strategisch natürlich auch die Bei all den Themen, die wir da diskutiert haben, ist Medien, auch die sogenannten russischen Staatsmedien. eine Sache sehr deutlich geworden: Bei all diesen Pro- Im Ausschuss Digitale Agenda haben wir in dieser Woche blemen liegt die Zukunft in der Gemeinschaft und nicht eine sehr aufschlussreiche Anhörung zu diesem Thema im Alleingang. durchgeführt. Dass hier heute darüber diskutiert wird, ist Herzlichen Dank. eigentlich ein Erfolg davon. Ich verstehe allerdings nicht so genau, warum sich hier quasi alle Fraktionen in Glas- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11569

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gerade den Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung (C) Als nächster Redner erhält der Kollege Hansjörg konnten wir Europäer lange nicht unseren Stempel auf- Durz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. drücken; denn wer sich die Ordnung der digitalen Welt anschaut, der entdeckt mit China und den USA zwei (Beifall bei der CDU/CSU – Florian Hahn Akteure, die nach ganz anderen, eigenen Prinzipien han- [CDU/CSU]: Guter Mann!) deln. Demnach hat die Welt die Wahl zwischen einem In- ternet, das in amerikanischer Wildwestmanier allein nach Hansjörg Durz (CDU/CSU): unternehmerischen Interessen gestaltet wird, und einem Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen digitalen Raum à la China, der durch Überwachung der und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bürger allein dem Interesse des Staates dient. Entweder Seit rund einer Dekade steuert Europa durch schwere Dalton-Brüder oder George Orwell – nein, wir brauchen See: Finanzkrise, Staatsschuldenkrise, Euro-Krise – sie einen europäischen Weg. waren die Ouvertüre in einem Stück des Umbruchs, ei- Wir in Europa sollten dafür sorgen, dass auch im Netz nem Stück, in dem viele Europäer überwiegend Molltöne vom Volk legitimierte Parlamente sagen, wo es lang- anschlagen. geht. Erste Schritte dahin sind gemacht. Mit der Daten- Heute stellen wir aufgrund zahlreicher weiterer Kri- schutz-Grundverordnung haben wir klargemacht, dass sen rund um Europa immer wieder fest: Die Welt scheint wir auch bei der Regulierung des Internets den Menschen nicht nach unserer Musik spielen zu wollen. Wir befin- in den Mittelpunkt stellen; denn Volkssouveränität heißt den uns in einem rasanten historischen Wandel, der auf seitdem nicht nur, dass jeder bei uns an Wahlen teilneh- vielen Ebenen gleichzeitig stattfindet. Die Verbreitung men darf, sondern auch, dass jeder wählen darf, was mit westlicher Werte unseres Lebensmodells und der damit seinen Daten passiert. einhergehenden globalen ordnungspolitischen Vorstel- Auch mit der Urheberrechtsreform werden das Indi- lungen ist kein unumkehrbarer Prozess. viduum und seine Ideen gestärkt. Vom Unternehmertum Außenpolitisch ist Europa heute von einem Ring aus bis zur Kunst – Europa wäre nichts ohne die Kreativität Krisenherden umzingelt. Im Osten versucht eine ehe- seiner Bürger. Sie ist zusammen mit einem freiheitlichen malige Großmacht den Schritt aus dem verstaubten Ge- Menschenbild die Grundlage unseres Wohlstands. Dass schichtsbuch rauf auf die angeblich so schillernde Büh- dies auch in Zukunft der Fall sein wird, liegt ganz zentral ne der Weltpolitik mit einem Krieg auf europäischem in den Händen der Europäischen Union. Boden. Im Fernen Osten hat ein Land bereits gezeigt, Auch bei der Gestaltung europäischer Öffentlichkeit wie der Weg vom Entwicklungsland zur Weltmacht ge- hat sich gezeigt, dass die Selbstregulierung von Konzer- lingen kann – nicht im Einklang mit westlichen Werte- nen nicht gelingt; denn in zahlreichen politischen Debat- (B) konzepten. Im Süden hingegen zerfallen Staaten vor den (D) ten im Netz sind Fake Accounts als Agenda-Setter tätig. Toren Europas. Und wer sich einst noch hoffnungsvoll Auch liegt die Entscheidung darüber, welches Argument gen Westen wandte, dem dürfte spätestens seit der Wahl in der Debatte wann wem und wie vielen präsentiert Trumps zum amerikanischen Präsidenten klar sein, dass wird, oftmals in der Hand von konzerneigenen Algo- von dort aus wenig Unterstützung für Europa in dieser rithmen. Wie diese Debattenbeiträge gewichten, bleibt Zeit des Umbruchs zu erwarten ist. jedoch schleierhaft. Die digitale Revolution hat einen entscheidenden Anteil daran, dass sich Machtverhältnisse auf der Welt Eine Welt, in der die Bürger über die Gestaltung ihres verschieben und dass andere Wertekonzepte zu imple- öffentlichen Raumes entscheiden, sieht anders aus. Wenn mentieren versucht wird. Das gilt auch für das Innere Eu- politische Debatten durch Konzerne und ihre undurch- ropas. Denn die nationalistischen Strömungen in vielen sichtigen Algorithmen bestimmt werden, dann mangelt Mitgliedsländern der Europäischen Union mögen Teil es an Transparenz – Transparenz, die notwendig ist, da- von Unzufriedenheit sein; ich interpretiere sie jedoch mit Bürger ihre Freiheit wahrnehmen können, in diesem auch als Ausdruck von Unsicherheit. In Zeiten des Um- Fall die Freiheit, zu wählen. bruchs folgt so mancher gern einfachen Antworten. Es geht aber auch um die Freiheit des Geistes: Nichts Zaudern und zögern, das ist es, was wir Europäer anderes als der daraus resultierende Erfindungsreichtum angesichts dieser Lage genug getan haben. Wir wollen ist der Grundpfeiler unserer Innovationskraft. aber kein Spielball in diesen weltpolitischen Umwälzun- gen sein. Wir wollen die Dinge ordnen – immer unsere Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wertvorstellungen, unsere Grundwerte im Blick; denn Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss bitte. wer auf rauer See bestehen will, der braucht einen klaren Wertekompass. Hansjörg Durz (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Innovationskraft auch im Digitalen zu sichern, ist unsere Aufgabe für die Zukunft. Alle Regeln für die Eine der grundlegenden Errungenschaften dieses digitale Welt müssen jedoch auf zwei europäischen Kontinents ist es, dass nicht das Recht des Stärkeren Grundpfeilern basieren: gilt; denn die Stärke des Rechtsstaats macht uns aus. Diese Regeln der Gesellschaft gibt sich in Europa nie- mand anderes als das Volk selbst. In der Vergangenheit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist dies nicht immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss. 11570 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Klimaschutzplan die Welt retten kann, der kriegt auch (C) Transparenz und Souveränität. seine Bundeswehr saniert. Nur Mut! (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das müs- Freiheit bedeutet, dass wir nicht nur unsere Art, zu sen Sie Manfred Weber sagen!) leben, bewahren, sondern dass wir auch zu unserem Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wirtschaftsmodell stehen. Und wenn Wirtschaftsminis- ter Altmaier denkt, wir müssten aus Angst vor den Chi- (Beifall bei der CDU/CSU) nesen Selbstmord begehen, indem wir unsere Wirtschaft über Verstaatlichung retten, dann fragt sich, was es später Vizepräsident Wolfgang Kubicki: noch zu verteidigen gibt. Ohne die Grundsätze unserer Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der sozialen Marktwirtschaft sind wir nicht mehr wettbe- fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch. werbsfähig und verlieren den einzigen Vorteil, den wir bisher hatten: den Vorsprung durch Innovation. Mario Mieruch (fraktionslos): Wenn Europa auch die Skeptiker überzeugen will, Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen dann muss es seine Demokratiedefizite anpacken, seine und Herren! Noch vor wenigen Jahren hatten führen- fett gewordene Selbstverwaltung abbauen und aufhören, de Politiker – und nicht nur die – einen Traum: Die EU die Menschen dauernd zu bevormunden. In ganz Europa würde sich mit dem Euro schnell vereinen, alle Länder muss maximales Netto vom Brutto übrig bleiben. Und würden demokratisch, und die Welt würde – zuletzt über Europa muss anfangen, selbstkritisch Fehlentwicklungen gemeinsame Handelsbeziehungen vernetzt – in Frieden zu korrigieren. Es geht nicht darum, wer am meisten von leben. – Zugegeben, ein sehr schöner Traum. der EU profitiert, sondern darum, dass einfach alle in der Der Umbruch, mit dem wir heute zurechtkommen EU die gleichen Chancen haben. Wie man das hinkriegt? müssen, sieht aber leider etwas anders aus. China und Einfach machen! Russland sind keine westlichen Demokratien geworden, sondern haben ihre eigenen Staatsmodelle entwickelt, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und die USA verlegen bereits seit Obama ihren Schwer- punkt in den Pazifik, um auf die wachsenden asiatischen Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner in Märkte zu reagieren. der Debatte hat das Wort der Kollege Mark Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion. Die EU erhebt ganz gerne selbstgefällig den Zeigefin- ger und weiß, wie andere sich zu verhalten haben, und (Beifall bei der CDU/CSU) (B) auch wir in Deutschland sind dort gern mit großem Vor- (D) sprung dabei. Dabei sind gerade wir aktuell dabei, der (CDU/CSU): größte Bremsklotz für die europäische Zukunft, statt der Mark Hauptmann Motor zu werden. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Das heutige Europa, wie Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zeigt sich wir es kennen, ist ein beispielloses Friedens- und Wohl- angesichts der heutigen Herausforderungen recht kon- standsprojekt, und von dem profitieren wir alle. Die zeptlos. Denn was fällt dem Außenminister zur Schlüs- historische Basis dafür allerdings war die wirtschaft- selrolle der NATO ein? Nicht etwa der 2-Prozent-Etat, liche Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen sondern Energiewende und Klimawandel! Man spricht Wirtschaftsgemeinschaft, 1957 gegründet und mit dem von einer europäischen Armee; dabei sind wir ohne Maastricht-Vertrag zur Schaffung der Europäischen Uni- US-Unterstützung schutzlos. Nicht die USA, wir sind on 1993 vollendet. Der historische Geist von damals, der Bittsteller, weil wir Militär- und Sicherheitsdienste nämlich die Annäherung und Partnerschaft durch wirt- einfach viel zu lange vernachlässigt haben. schaftliche Verflechtung, gilt bis heute, jedoch nicht nur Wir setzen Sanktionen gegen Russland durch und för- nach innen, innerhalb Europas, sondern mehr denn je dern andererseits die Nord-Stream-2-Pipeline. Wir hal- auch nach außen in einem globalen Wettbewerb. ten Italien das Zusammengehen mit China vor, wollen in Thüringen aber ein deutsch-chinesisches Batterieprojekt Wir als Union glauben daher, dass wir die Chancen auf die Wiese stellen, und wir verteidigen den -Deal der offenen Märkte, die Chancen von freiem Güter- und gegen Israel und die USA. Das alles ist ziemlich orien- Kapitalverkehr, von wechselseitigen Investitionen sowie tierungslos, ohne jede Langzeitperspektive. Wir verprel- von internationalen Beteiligungen an Unternehmen auch len Freunde, Verbündete und Partner innerhalb und au- weiter nutzen sollten. Deutschland profitiert wie kaum ßerhalb Europas. Aber Moral ist billig, weil sie stets das ein anderes Land von der Globalisierung und von der Geld der anderen kostet. Einbettung in die internationalen Wertschöpfungsketten. Wenn wir also wollen, dass dieses Europa besteht, Jedoch sehen wir vor allem, dass viele Gefahren am dann muss sich Deutschland wieder auf das Wesentliche Horizont lauern: Protektionismus, globalisierungskri- besinnen: Sicherheit und Freiheit. Sicherheit ist aber nur tische Haltungen – auch hier im Parlament –, Chinas möglich, wenn wir unseren Kontinent verteidigen kön- staatsgelenkte Wirtschaftspolitik und auch die neue Aus- nen. Alle reden davon, dass Deutschland Verantwortung richtung der USA mit America First. Deswegen brauchen übernehmen muss. Ja, das sollten wir tun – natürlich wir Europa heute mehr denn je als Streiterin für freien auch für uns selbst. Wer mit einem milliardenschweren und fairen Welthandel nach den maßgeblichen Regeln Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11571

Mark Hauptmann (A) der WTO. Wir wollen diese freiheitliche Wirtschaftsord- Was wir als Union gerade in diesem Wahlkampf für (C) nung verteidigen, weiter leben und weiter gestalten. die Europawahl im Mai klarmachen werden, ist: Wir ste- hen in der Mitte – für Wohlstand, für Frieden, für Stabi- (Beifall bei der CDU/CSU) lität, für eine Werte-, Handels-, Innovations- und Sicher- Deshalb, meine geschätzten Kolleginnen und Kolle- heitsunion, gegen nationale Populisten von rechts und gen, ist es wichtig, dass wir in Europa mit einer Stimme sozialistische Populisten von links. Das ist der Anspruch sprechen, dass wir diese Projekte gemeinschaftlich ange- der Union bei dieser Europawahl. hen. Die Botschaft muss klar sein: Europa ist Sicherheit Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. und Wohlstand. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, dass wir Schwerpunkte brauchen, die wir gerade auch im Rahmen dieser Europawahl jetzt adres- sieren müssen: eine gemeinsame Handelspolitik und die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, PESCO, bei Vielen Dank, Herr Kollege Hauptmann. – Damit be- der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Wir brauchen ende ich die Aussprache. verbindliche europäische Rüstungsexportstandards statt „German-free“ als neuen Qualitätsmaßstab in der Sicher- Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 22 sowie heitspolitik in Europa. Zusatzpunkt 10 auf: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 22. Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicola Beer, , Dr. Jens Brandenburg Wir müssen unser Augenmerk auf den Außengrenzschutz (Rhein-Neckar), weiterer Abgeordneter und der richten, und wir müssen den EU-Bürgern das Gefühl ge- Fraktion der FDP ben, dass die EU eine gewinnbringende Gemeinschaft ist, die Sicherheit in einer Welt des Umbruchs bietet. Wir Innovation und Chancen nutzen – Innovati- brauchen die Stärkung von Sicherheit und Verteidigung onsprinzip bei Gesetzgebung und behördli- als Grundstein der Europäischen Verteidigungsunion, ei- chen Entscheidungen einführen nen verbesserten Datenaustausch zur Terrorbekämpfung, die Aufstockung von Frontex auf 10 000 Beamte und eu- Drucksache 19/9224 ropäische Transitzentren für Migranten zur Überprüfung Überweisungsvorschlag: und gegebenenfalls auch zur Rückführung. Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ Wir glauben als Union zutiefst daran – unser Spit- abschätzung (f) (B) zenkandidat Manfred Weber verkörpert das mehr als je- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (D) der andere Kandidat in diesem Rahmen –: Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gesine Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Lötzsch [DIE LINKE]: Den Namen noch Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur mal!) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss Digitale Agenda Europa ist mehr als die Summe der einzelnen National- Haushaltsausschuss staaten. Europa ist die Idee der Verständigung und der Federführung strittig Partnerschaft gegenüber gemeinsamen Herausforde- rungen, zum Beispiel bei der Frage: Wie gehen wir mit ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Russland gerade im Hinblick auf die Annexion der Krim Dr. Bettina Hoffmann, Harald Ebner, Renate und die militärischen Aktivitäten in die Donbass-Region Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion um? Auch hier gilt: Nur mit einer gemeinsamen Haltung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind wir international stark und verlässlich und werden Vorsorgeprinzip als Innovationsmotor auch von Russland als ein starker Partner wahrgenom- men. Deshalb brauchen wir beides: die Verurteilung der Drucksache 19/9270 völkerrechtswidrigen Handlungen, aber auch die Bereit- Überweisungsvorschlag: schaft zum Dialog als Einladung, um Russland in die in- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- ternationale Gemeinschaft zurückzuholen. heit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Doch hier gibt es einen eklatanten Bruch, den wir in Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft den letzten Wochen erlebt haben. Er kommt von der AfD. Ausschuss für Gesundheit Wir erleben nämlich, dass die AfD das, was Europa stark Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ macht, infrage stellt: Frieden und Wohlstand, die Europa abschätzung uns gebracht hat. Was wir jedoch in Europa brauchen, ist Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ein europäischer Zusammenhalt und keine Nationalstaa- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu terei. Was wir in Europa brauchen, ist Stabilität und keine keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. russischen Marionetten in unseren Parlamenten, die Eu- ropa in Form einer Matroschka-Zwergen-Kampagne von Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- innen heraus mit Propaganda bekämpfen. nerin der Kollegin Nicola Beer das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) 11572 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Nicola Beer (FDP): wir wollen uns weder in der Sicherheit noch im freien (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Denken beschränken lassen. Kollegen! Bei unserem Antrag zum Innovationsprinzip (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Harald geht es um die Art und Weise, wie wir in Deutschland Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gesetze machen. Das Erstellen von Gesetzentwürfen ist detailliert geregelt; das wissen Sie. Es ist zwingend Klar ist doch: Technik muss Grenzen achten, und zwar eine Gesetzesfolgenabschätzung durchzuführen. Geset- Grenzen, die die Gesellschaft vorgibt. Sie hat den Men- zesfolgen wiederum sind definiert als Auswirkungen, schen zu dienen und nicht umgekehrt. Technik muss mit beabsichtigte oder unbeabsichtigte Nebenwirkungen ei- gesellschaftlichen Werten, wie Umweltschutz und Ge- nes Gesetzes. Nach den hierzu entworfenen Regeln sind rechtigkeit, im Einklang stehen. aber nur Risiken und Gefahren, die sich aus einem Ge- (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE setzesvorhaben ergeben könnten, zu evaluieren und aus- GRÜNEN]: Ach?) zuschalten. Technikbegeisterung auf der einen Seite und gesunde Chancen? Chancen, die sich durch ein Vorhaben erge- Vorsicht und Wachsamkeit auf der anderen Seite, genau ben, aber auch solche Chancen, die durch eine gesetzge- das ist es, was wir in der Gesetzesfolgenabschätzung berische oder behördliche Initiative quasi als Kollateral- abbilden müssen; denn nur die Berücksichtigung beider schaden verhindert werden, werden nicht untersucht, und Aspekte wird den Anforderungen an unsere Innovations- ich glaube, das müssen wir dringend ändern. fähigkeit gerecht. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Alles andere wäre eine Kastration unseres Denkens. Genau deshalb gehört neben das Vorsorgeprinzip auch das Innovationsprinzip. Das Vorsorgeprinzip muss si- Nach einer Studie von acatech und der Körber-Stiftung cherstellen, dass wir die Risiken für Mensch und Umwelt meint knapp die Hälfte der Befragten, dass die Technik erkennen und dass diese sodann ausgeschlossen oder die Lebensqualität der nachfolgenden Generationen ver- reduziert werden, je nach Sachverhalt. Verbote und Kri- bessere. Gut die Hälfte hielt sich selbst für an Technik in- senszenarien alleine aber, liebe Kolleginnen und Kolle- teressiert, und 55 Prozent äußerten gar Begeisterung für gen, reichen bei Weitem nicht aus, um Innovationsfreude Technik. Diese Technikbegeisterung, liebe Kolleginnen und Innovationsfähigkeit bestmöglich zu fördern – ge- und Kollegen, hat „made in “ zu einem Güte- schweige denn zur Förderung der Innovationen selbst. siegel werden lassen, hat uns allen Wohlstand und Le- bensqualität gebracht. Wir sollten sie daher nutzen, um Unterstützen wir doch unsere Ingenieure, unsere (B) in der innovativen Welt von morgen weiter Gewinner des Techniker, unsere Tüftler! Vertrauen wir denen, die uns (D) Fortschritts sein zu können. zu dem gemacht haben, was wir sind! Lassen Sie uns in Gesetzesvorhaben einfach abbilden, dass wir technikbe- (Beifall bei der FDP) geistert sind, dass wir die Technik von morgen nutzen wollen, Fast 90 Prozent der von acatech und Körber-Stiftung Befragten sagten, dass der technische Wandel nicht mehr (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) zu stoppen sei. Ja wenn dem so ist, liebe Kolleginnen um den Menschen morgen und übermorgen ein noch bes- und Kollegen, dann lassen Sie ihn uns doch gestalten, seres Leben zu ermöglichen! und zwar so gestalten, dass er dem Menschen dient! Der Ansatz, möglichst umfassend zu verbieten, was nicht (Beifall bei der FDP) gewollt ist, reicht nicht aus, um Innovationsfreude und -fähigkeit zu fördern; Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP) Frau Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ebner, Bündnis 90/Die Grünen? er reicht insbesondere nicht aus, um in der Welt von mor- gen bestehen zu können. Nicola Beer (FDP): Wissenschaft und Industrie, sie haben immer wieder Gerne. zahllose Alternativen entwickelt, die dann immer wieder vom grünen Bann getroffen wurden. Denken Sie nur an Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die derzeitige Debatte um das Elektroauto und die Skep- Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen- sis mancher Mitglieder dieses Hauses gegenüber indivi- frage zulassen. – Sie haben jetzt gerade erläutert, Sie dueller Mobilität! wollen das Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprin- Wir Freien Demokraten wollen deshalb innovations- zip stellen, und beziehen sich in Ihrem Antrag darauf, stimulierende Rahmenbedingungen schaffen, dass dieses Innovationsprinzip auf europäischer Ebene bereits verankert sei. (Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD]) Ich möchte Sie jetzt fragen: Wie können Sie das denn und zwar neben dem Vorsorgeprinzip. Wohlgemerkt, belegen? Bislang gibt es keinen einzigen Punkt, an dem Frau Kollegin – Sie regen sich jetzt schon wieder so dieses Innovationsprinzip tatsächlich verankert ist. Es auf –: Es soll nicht anstatt, sondern daneben gelten; denn gibt auf der europäischen Ebene einen Streit darüber, ob Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11573

Harald Ebner (A) man das in einem Forschungsprogramm bei den Erwä- Klima, und zwar eines für Innovationsfreude und Inno- (C) gungsgründen erwähnen möchte oder nicht, wohingegen vationsbereitschaft. das Vorsorgeprinzip tatsächlich primärrechtlich und se- kundärrechtlich – sozusagen mit Verfassungsrang – ver- (Beifall bei der FDP) ankert ist. Deshalb möchte ich Sie fragen, woher Sie die- Wenn die Behörden dann auch so agieren, dass sie bei se Aussage nehmen, dass das bereits verankert ist. der Auslegung von Rechtsquellen und bei behördlichen Sie haben schon vor Jahren mit einem „Bedenken se- Entscheidungen gegenüber dem Bürger nicht einschrän- cond“-Prinzip Wahlkampf gemacht. Habe ich Sie richtig kend agieren, sondern innovativen Ideen positiv begeg- verstanden, dass das jetzt „Innovation first. Bedenken se- nen, dann haben wir eine entsprechende Veränderung – cond“ bedeutet? Sind Sie der Auffassung, dass der Schutz und das im Übrigen nicht nur bei technischen Vorhaben, des Menschen – insbesondere auch der Kinder – und der sondern bei jedwedem Verwaltungshandeln. Überall Umwelt die Regulierung von neuen Technologien nicht müssen diese Chancen mitgedacht werden, und es muss rechtfertigt? vor allem mitgedacht werden, welche Möglichkeiten für unsere Gesellschaft wir ansonsten verhindern. Nicola Beer (FDP): Lassen sie mich ein Beispiel dafür anführen, warum Sehr geehrter Herr Kollege, auf die Frage der europä- das Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprinzip ge- ischen Ebene wäre ich in meiner Rede noch eingegan- hört: Das sehen wir ganz aktuell in der Klima- und Ver- gen. – Wir haben auf der europäischen Ebene bereits die kehrspolitik, und zwar bei der viel zu starken Konzen­ Toolbox 21 entwickelt, die von der Kommission auch tration auf die batteriebetriebene E-Mobilität. Wäre das angewendet wird. Deswegen ist das, was Medien jetzt Innovationsprinzip hier bereits verankert, dann würden zum Teil berichtet haben, falsch, dass nämlich in dem wir fragen, welche Chancen wir uns durch diese einsei- Horizon-Europe-Programm zum ersten Mal auch das In- tige Fokussierung gerade entgehen lassen, zum Beispiel novationsprinzip gleichberechtigt neben dem Vorsorge- die Entwicklung vielleicht noch besserer Techniken. Bio- prinzip stehen soll. Es ist letztendlich dadurch, dass wir kraftstoffe, Biomethan, synthetisches Methan, mit erneu- im Sekundär- und Primärrecht ein entsprechendes Vor- erbaren Energien aus Wasser und CO2 erzeugtes Kerosin sorgeprinzip verankert haben, nicht ausgeschlossen, dass könnten mit ihrer Emissionsfreiheit diese beiden Prinzipien gemeinsam angewandt werden. (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) Das bedeutet eben nicht, dass wir nicht auf die Risiken einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der vorgege- eingehen, sondern das bedeutet lediglich, dass wir beide benen Ziele erreichen. Seiten in die Abwägung einbeziehen. (Beifall bei der FDP) (B) (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) (D) Mit dem Innovationsprinzip neben dem Vorsorgeprin- Wir berücksichtigen also auch die Chancen. Wenn wir sie zip müssen wir bereits im Entwurfsstadium eines Geset- nicht mit einbeziehen würden, würden wir sie zum Teil zes sicherstellen, dass andere Optionen – hier, in diesem vergeben. Damit wird den Menschen nicht gedient. Fall: neben den Batterieautos – nicht verloren gehen. Die Technik muss den Menschen dienen, und wir müs- sen schauen, wie wir Risiken auch durch Technik in den (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Griff bekommen. Im Rahmen der Abwägung müssen wir Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grü- genau die Möglichkeiten heraussuchen, die für uns als nen, auf die einzelnen Beispiele Ihres Antrages möchte Gesellschaft, für den Planeten und für unsere Umwelt am ich gar nicht eingehen. Das wäre kleines Karo, weil wir Ende am meisten bringen. Genau auf diese Innovationen das Vorsorgeprinzip an dieser Stelle eben nicht abschaf- möchte ich hinaus. Die möchte ich eben nicht mehr durch fen, sondern lediglich ergänzen wollen, um den Men- die Einseitigkeit des Vorsorgeprinzips behindert sehen. schen ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich wäre froh, (Beifall bei der FDP) wenn wir das im Ausschuss auch ergebnisoffen diskutie- ren könnten. Deswegen noch einmal, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Ohne Innovationen sind wir nicht in der Lage,

unser Gemeinwesen in der Verfassung zu halten, die wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: momentan haben – geschweige denn, es im Sinne der Frau Kollegin. Bürgerinnen und Bürger weiter auszubauen und auszu- gestalten. Mit dem Innovationsprinzip – das halte ich für Nicola Beer (FDP): wichtig – bekommen wir an dieser Stelle nämlich auch Sie sind als Grüne ja eigentlich mal als modern und einen Mentalitätswechsel. Indem der Fokus nicht nur progressiv angetreten – auf die Risiken gelegt wird, sondern auch die Chancen gewürdigt werden, signalisieren der Staat und das Par- ( [CDU/CSU]: Das ist lange lament: Innovationen sind uns wichtig, und sie lohnen her! – Christian Dürr [FDP]: Sehr lange her!) sich. – Das ist eben ein Denken ohne Scheuklappen – und 150 Jahre nach den Liberalen. zwar bitte auf allen Ebenen. Wenn die Gesetze die Eva- luierung von Chancen vornehmen, wenn der Blick auch auf die Chancen geweitet wird, die es nicht zu verspielen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gilt, dann bekommen wir ein anderes gesellschaftliches Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte. 11574 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Nicola Beer (FDP): Unter Gesetzesfolgen sind die wesentlichen Auswir- (C) Vielleicht können Sie einfach mal zeigen, dass auch kungen des Gesetzes zu verstehen. Sie umfassen die neues Denken bei Ihnen möglich ist. beabsichtigten Wirkungen und die unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Die Darstellung der voraussicht- (Beifall bei der FDP) lichen Gesetzesfolgen muss im Benehmen mit den jeweils fachlich zuständigen Bundesministerien er- folgen und hinsichtlich der finanziellen Auswirkun- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gen erkennen lassen, worauf die Berechnungen oder Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als nächs- die Annahmen beruhen. Es ist darzustellen, ob die te Rednerin hat die Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/ Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Ent- CSU-Fraktion, das Wort. wicklung entsprechen, insbesondere welche lang- (Beifall bei der CDU/CSU) fristigen Wirkungen das Vorhaben hat. Laut der Aussage der FDP würden durch diese Vorschrift Dr. Silke Launert (CDU/CSU): lediglich auf die Risiken eines Gesetzes geschaut, die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Chancen, die ein Gesetzesvorhaben in sich birgt, aber Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Innovati- vernachlässigt. onen sind ein Bündnis mit der Zukunft“: Der Chemiker (Zuruf von der FDP: So ist es!) Professor Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger hat mit diesen Worten zutreffend beschrieben, welch herausragende Der Blick der Legislative, der Exekutive und der Norm­ Bedeutung Innovationen zukommt. Innovationsfähigkeit adressaten, so heißt es, werde verengt. und Entwicklungsfreude sind wichtig, und zwar im pri- vaten Leben, im Berufsleben, aber natürlich auch in der Wenn wir uns den genauen Wortlaut anschauen – das Gesellschaft als Ganzes. ist eigentlich bei jeder Auslegung einer Norm immer das Allererste –, dann müssen wir feststellen: Da steht nichts Um Innovationen geht es auch in dem Antrag, den Sie, von Chancen. Da steht nichts von Risiken. Da steht liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, vorgelegt nichts von Problemen. Da stehen wertneutral die Begrif- haben. Gleich zu Beginn schreiben Sie dort: fe „Auswirkungen“, „Nebenwirkungen“, „Entwicklung“, „Wirkungen“. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Die Zukunft des Standorts Deutschland hängt maß- der FDP, haben das ja auch erkannt. In dem einen Punkt geblich von unserer Innovationsfähigkeit ab. Dafür Ihres Antrags steht das so. bedarf es einer modernen und innovativen Gesetz- (B) gebung. Vermutlich ist es Ihnen bereits aufgefallen, sehr ge- (D) (Nicola Beer [FDP]: Ja! – Christian Dürr ehrte Damen und Herren: Wir beschäftigen uns gerade mit Begrifflichkeiten. Wir diskutieren, was der Begriff [FDP]: Sehr gut!) „Nebenwirkung“ inhaltlich umfasst, was der Begriff Und ja, damit haben Sie absolut recht. „Auswirkungen“ umfasst: Vor- und Nachteile oder nur Nachteile. Dabei lassen wir das Wesentliche außer Acht: (Christian Dürr [FDP]: Dann ist die Frage, den Inhalt eines Gesetzes. Er ist doch das Entscheidende. warum die Große Koalition das Gegenteil Der Inhalt eines Gesetzes entscheidet darüber, ob wir es macht!) gut finden oder nicht. Der Inhalt eines Gesetzes entschei- det, ob wir die Innovationskraft in unserem Land fördern Innovationen sind nicht nur eine notwendige, son- oder nicht. dern auch eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Deutschland seine Spitzenposition in der Welt hält. Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sind Voraussetzung dafür, dass es Deutschland wirt- ordneten der SPD) schaftlich gut geht, uns zwar nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. Wir debattieren hier gerade über die Begründung, die mit einem Gesetzentwurf einhergeht. Natürlich ist auch Innovationen müssen gefördert werden; ich glaube, diese von Bedeutung. Erfahrene Leute, etwa Richter, auch da sind wir uns alle einig. Innovationsförderung schauen in die Gesetzesbegründung. Wenn der Wortlaut betreibt man nicht nur durch Gewährung finanzieller nicht eindeutig ist, ist unter anderem das Heranziehen Mittel, sondern insbesondere auch dadurch, dass man als der Gesetzesbegründung wichtig bei der Auslegung einer Gesetzgeber die entsprechenden gesetzlichen Rahmen- Norm. Dreh- und Angelpunkt ist daneben natürlich der bedingungen schafft. Eine gute Gesetzgebung kann einen Zweck. Das ist auch hier das Entscheidende: der Zweck, wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die Innovations- das Ziel, das mit einem Gesetz verfolgt wird. kraft gestärkt wird. Gerne verweise ich nochmals auf Ihre eigenen Worte, Die FDP möchte nun, wie sich dem vorliegenden An- verehrte Kollegen der FDP: trag entnehmen lässt, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung dazu auffordert, den § 44 Absatz 1 der Die Zukunft des Standorts Deutschland hängt maß- Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien geblich von unserer Innovationsfähigkeit ab. Dafür zu reformieren. Schauen wir uns die Vorschrift doch ein- bedarf es einer modernen und innovativen Gesetz- mal im Wortlaut an: gebung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11575

Dr. Silke Launert (A) Sie selbst greifen diesen Punkt in Ihrem Antrag auf. Martin Reichardt (AfD): (C) Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr (Nicola Beer [FDP]: Ja!) Präsident! Es gibt viele Dinge, für die Deutschland in der Da frage ich mich, warum ausgerechnet Sie sich dann im Welt steht: Pünktlichkeit, Fleiß, Erfindergeist. Es gibt Klein-Klein verlieren, warum ausgerechnet Sie zu mehr aber auch andere Begriffe, für die Deutschland steht und Bürokratie auffordern und Nebenschauplätze aufmachen. die längst zum geflügelten Wort geworden sind. Das sind „German Angst“ und das berühmte deutsche Wesen, an Ich lese sehr viele Gesetzesbegründungen, nicht nur dem die Welt genesen soll. seit meiner Doktorarbeit, sondern auch hier ständig. Sie wissen doch alle, was da zu den Kosten steht. Jeder, der Der hier vorliegende Antrag der Grünen ist beseelt ein bisschen mehr Ahnung von diesem Thema hat, weiß, von Angstmacherei und dem besagten deutschen Öko- dass nur ein Bruchteil der Kosten in der Gesetzesbegrün- wesen, an dem die Welt genesen soll. dung steht. Wir wissen doch alle, dass dann, wenn es um (Beifall bei der AfD) Gendergerechtigkeit geht, oft nur ein Bruchteil von dem, was die ganze Dimension des Gesetzes letztlich aus- Er ist beseelt von Bevormundung und Unfreiheit. Der macht, in der Gesetzesbegründung steht. Das sind oft nur Antrag will die von den Grünen überall geschürten Ängs- zwei oder drei Sätze. – Für mich ist das, was Sie vorha- te vor Klimawandel, ben, mit mehr Bürokratie verbunden. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Was schü- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ren Sie denn bei der AfD?) ordneten der SPD) angeblich menschengemacht, Zu glauben, dass dadurch, dass jetzt zwei oder drei (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- Sätze mehr in der Gesetzesbegründung stehen – kein nor- NIS 90/DIE GRÜNEN) maler Mensch schaut sich doch die Gesetzesbegründung allgegenwärtigen Vergiftungsgefahren und Ähnlichem an –, die Innovationsfähigkeit in unserer Gesellschaft ge- direkt in die Bewertung von Gesetzen und Maßnahmen stärkt wird: Nein. Durch entsprechende Gesetze, durch einspeisen; Ängste übrigens, die sich bislang immer als entsprechende Rahmenbedingungen, durch Menschen, haltlos erwiesen haben, wie uns das Waldsterben und das denen wir es ermöglichen, etwas zu unternehmen, durch Ozonloch zeigen – alles Szenarien, die laut Grünen schon das Verfolgen solcher Ziele stärken wir die Innovations- vor Jahren und Jahrzehnten das Ende der Menschheit an- fähigkeit, nicht durch einen weiteren Satz oder zwei wei- kündigten. tere Sätze in der Gesetzesbegründung. (B) (Beifall bei der AfD – Dr. Anna Christmann (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hatten wir neten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Warum nicht eine Dürre im letzten Jahr? – Weitere macht dann die Koalition das Gegenteil?) Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem Ich glaube, Sie wollen das Thema Innovation mit aller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Macht nach vorne bringen, damit dieses Thema mit Ih- Eine neutrale Chancen- und Risikobewertung, wie sie nen im Wahlkampf verbunden wird. Da gibt es ganz viele zum Beispiel die FDP fordert, wird dadurch konterka- Themen, die wir gemeinsam angehen können. riert. (Nicola Beer [FDP]: Sie machen ja gar Dieser Antrag ist ein Ideologiepapier. Er ist Teil des nichts! Das ist ja das Problem!) Angriffs der Grünen auf eine Vielzahl bewährter Tech- nologien und deren Weiterentwicklung. Aktuell sind das Ob es hilft, dass wir uns damit beschäftigen, ein paar Sät- Kohlekraftwerke und Dieselmotoren. ze mehr in die Gesetzesbegründung aufzunehmen? Das glaube ich nicht. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Vielen Dank. Den Grünen reicht es aber nicht aus, mit ökologischen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Segnungen nur Deutschland zu beglücken. Nein, sie for- ordneten der SPD) mulieren ihren Weltgeltungsanspruch. Ich zitiere den ers- ten Satz des Antrags: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das Vorsorgeprinzip ist ein Innovationsmotor für Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich darf vielleicht ge- genau die wirtschaftliche Entwicklung, die wir schäftsleitend darauf hinweisen, dass die Mitglieder des brauchen, um die Weltgemeinschaft auf einen zu- Deutschen Bundestages normale Menschen sind, die in kunftsfähigen, nachhaltigen Pfad zu bringen … aller Regel Gesetzesbegründungen lesen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. René Röspel [SPD] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Martin DIE GRÜNEN]: Sehr guter Satz!) Reichardt, AfD-Fraktion. Das deutsche Wesen: Es kommt heute nicht mehr in Uni- (Beifall bei der AfD) form und mit Pickelhaube daher, sondern offensichtlich 11576 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Martin Reichardt (A) erscheint es der Welt als deutsches Ökowesen in Form und geheuchelter Menschlichkeit unser Gemeinwesen (C) linker Gutmenschen mit schlecht sitzender Frisur und Stück für Stück zerstört. Regenbogenfahne am Strickpullover, meine Damen und (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herren. Seien Sie mal ganz vorsichtig!) (Beifall bei der AfD – [Spandau] Vielen Dank. [SPD]: So was von peinlich! – Weitere Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der AfD – Dr. NIS 90/DIE GRÜNEN) [DIE LINKE]: So ein Unsinn! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Unglaublich! – Es sind ökologische Heilslehren mit Unantastbarkeits- Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: aura und diktatorischem Sendungsanspruch, die Sie hier Peinlich!) einspeisen wollen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Meine Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Güte!) Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Saskia Esken, SPD-Fraktion. Sie sind von einem Überlegenheitsgefühl geprägt und ge- tragen, das selbst Kaiser Wilhelm hätte erblassen lassen. (Beifall bei der SPD)

(Beifall bei der AfD – Swen Schulz Saskia Esken (SPD): [Spandau] [SPD]: Ist Ihnen ganz fremd!) Vielen Dank, Herr Präsident. – Jetzt kommen wir alle mal ein bisschen runter und trinken einen Tee. Grüne Heilsbringer, die von ökologischer Planwirtschaft und Enteignungen träumen, die zum Guten der ganzen Kollegen, die schon länger hier im Haus sind, sagen, Welt die Menschheit umerziehen wollen: Hinter dem dieses Innovationsprinzip sei ein Running Gag. Aber wir ewigen Mantra von angeblicher Freiheit und Toleranz, tun mal so, als wäre es ganz neu. Ich habe bei Ihrem An- das Sie immer vor sich hertragen, blickt die hässliche trag zweimal Bauchgrimmen bekommen, liebe Kollegin- Fratze des Meinungstotalitarismus hervor. nen und Kollegen von der FDP. Zum einen stellen Sie den Istzustand in Deutschland wesentlich schlechter dar, (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. als er ist. Zum anderen schlagen Sie Maßnahmen vor, mit [SPD]) denen ich nicht einverstanden bin. Mit Bedacht haben die Grünen ihren Antrag neben den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) freiheitlichen Antrag der FDP „Innovation und Chancen (D) nutzen“ gestellt. Die Grünen unternehmen den Versuch, Zum ersten Punkt. Deutschland ist keine Innovations- ihren eigenen Antrag dem der FDP ähneln zu lassen. wüste. Im Gegenteil: Die Welt beneidet uns um unsere Innovationsfähigkeit, und das, obwohl und gerade weil (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Innovationen durchdacht und nachhaltig sind. Man NEN]: Nein!) könnte auch sagen: Wir denken erst, und dann handeln wir. Der Antrag der Grünen aber beeinflusst durch Setzung ideologischer Kriterien das Ergebnis der Gesetzesprü- (Nicola Beer [FDP]: Als ob Innovation ohne fung von vornherein, um so eine objektive Prüfung be- Denken ginge!) reits im Vorfeld zu erschweren. Das hat in Deutschland eine kulturelle Tradition, eine Tradition, die durch das sogenannte Vorsorgeprinzip bei (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesetzgebungen und behördlichen Entscheidungen ver- NEN]: Falsch gelesen!) festigt wird. Sie stellen die These dagegen, Vorsorge und Der Antrag der FDP kommt ohne solche Setzungen aus. Innovation seien quasi ein Widerspruch. Dabei ist Inno- Ihm ist daher der ehrliche Wille zu einer unabhängigen vation doch dazu da, Chancen zu ergreifen. Sie glauben, Abwägung von Chancen und Risiken zu unterstellen. Vorsorge sei das Gegenteil von Innovation. Das ist aber Darum freue ich mich auch auf dessen Diskussion im nicht richtig. Vielmehr soll Vorsorge Risiken erkennen Ausschuss. und zugleich verringern bzw. vermeiden. Wir haben dieses Vorsorgeprinzip aus Fehlern entwi- Es wäre wünschenswert, meine Damen und Herren, ckelt, wie sie beispielsweise durch den Einsatz von As- dass alle bürgerlichen Fraktionen in diesem Hause wie- best und FCKW gemacht wurden. Weil man nicht alle der zum antitotalitären Konsens zurückfinden Risiken vorhersehen kann, lautet die Maxime: Handle (Beifall bei der AfD – Lachen beim BÜND- stets so, dass du noch korrigierend eingreifen kannst, NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- wenn etwas schiefläuft. neten der SPD und der LINKEN – Niema (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Movassat [DIE LINKE]: Fangen Sie einmal des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der bei sich selbst an!) Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU]) und die Grünen als das benennen, was sie sind: eine to- Auch in der Gesetzgebung muss deshalb stets eine Abwä- talitäre Partei, die unter dem Deckmantel von Ökologie gung zwischen Nutzenversprechen und Besorgnisgrün- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11577

Saskia Esken (A) den stattfinden. Das zu bewerkstelligen, ist eine metho- transparent wird, und wir wollen Gesetzgebungsverfah- (C) dische Herausforderung, da geht es nicht um Prinzipien. ren nicht missbrauchen. Auch die Herkunft und die Intention des sogenannten Vielen Dank. Innovationsprinzips stimmen mich eher kritisch. Die In- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dustrielobbygruppe European Risk Forum vereint Akteu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) re aus den Bereichen Chemie über fossile Brennstoffe bis hin zum Tabak – nicht unbedingt Horte der Innovation, möchte man sagen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Esken. – Als nächster (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anna Redner erhält das Wort für die Fraktion Die Linke der Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kollege Niema Movassat. Das Hauptanliegen der Innovationsoffensive war inso- (Beifall bei der LINKEN) fern auch nicht die Förderung von Innovationen, sondern das Zurückdrängen von Regulierungen und Nachhaltig- Niema Movassat (DIE LINKE): keitszielen in unseren Gesetzgebungsverfahren. Und ja, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt Kollege Vorredner, die SDGs sind international aner- ein Antrag der FDP vor, welcher die Einführung des In- kannt. novationsprinzips in der Gesetzgebung fordert. „Inno- (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) vation“ klingt natürlich immer super hip, das will jeder, und so gibt es dem Antrag natürlich eine schöne Fassade. Ein so verstandenes Innovationsprinzip ist in meinen Au- Hinter dieser schönen modernen Fassade bröckelt es aber gen sogar innovationsfeindlich gewaltig; (Beifall der Abg. Dr. Anna Christmann (Martin Reichardt [AfD]: So wie 1989 in der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) DDR! Da hat es auch gebröckelt!) – ja, so ist es –, weil es eben dazu führt, dass alte und denn dieser Antrag ist ein in parlamentarische Form gegebenenfalls schädigende Produkte länger auf dem gegossener Wunschzettel von großen Wirtschaftsunter- Markt bleiben. nehmen. Zahlreiche Konzerne und Arbeitgeberverbän- de wie der Chemieriese BASF, der Glyphosatkonzern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Bayer-Monsanto und der Bundesverband der Deutschen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Industrie fordern seit Jahren, das Innovationsprinzip Martin Reichardt [AfD]: Die SPD ist auch (B) einzuführen. Durch das Innovationsprinzip sollen wich- (D) schon ein älteres Produkt!) tige gesetzliche Umwelt- und Gesundheitsstandards ge- – Ja, na klar, mehr als 150 Jahre alt. Soll die FDP auch schwächt werden. Der Begriff „Innovation“ dient hier mal werden; dann staune ich. also in erster Linie als Deckmantel für einen schlechteren Umwelt- und Gesundheitsschutz. Als Gesetzgeber stehen wir auf der einen Seite vor der Herausforderung, agiler zu arbeiten und schnell auf (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. neue Herausforderungen zu reagieren. Auf der anderen Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Seite müssen und wollen wir in hohem Maße transparent NEN]) arbeiten – Stichwort „Open Government“ – und dabei Wir haben in Deutschland zum Glück das Vorsorge- angesichts der Vernetztheit der Themen eine wachsen- prinzip in der Gesetzgebung. Es dient dazu, mögliche de Anzahl von Stakeholdern einbinden. Methoden und Gefahren neuer Gesetze wie auch neuer Produkte ver- Werkzeuge der digitalen Arbeitskultur sollten da hilf- pflichtend zu beachten, bevor sie in Kraft treten oder auf reich sein. Auch würde es helfen, Gesetzgebungsverfah- den Markt kommen. Das Vorsorgeprinzip soll also für ein ren nicht zu überladen. Es ist fast schon zur Mode ge- vorausschauendes Handeln sorgen. Damit sollen Risiken worden, in einen Gesetzentwurf alle Ideen zu packen, die für Verbraucher, Gesundheit und Umwelt bestmöglich man schon immer mal realisieren wollte. Oft genug sind vermieden werden. Der Europäische Gerichtshof sagt, solche dabei, bei denen man die Kritik der Öffentlichkeit dass das Vorsorgeprinzip zu den tragenden Grundsätzen scheut. Beispiele dafür gab es in der jüngsten Vergangen- des europäischen Umweltschutzes gehört. Es handelt heit genug, sei es der Justizfeger, der den Bundestrojaner sich um einen Rechtsgrundsatz, der zudem auch für das enthielt, sei es das neue IT-Sicherheitsgesetz, das neben Lebensmittelrecht und für den Gesundheitsschutz gilt. der wichtigen Zielsetzung, KRITIS weiterzuentwickeln, leider auch ziemlich viele verfassungsrechtlich proble- Die FDP will das alles aufweichen. Sie meinen, dass matische Vorhaben enthält. Solche Überladungen verlän- Risiken, die angeblich beherrschbar sind, nicht dazu füh- gern den Beratungszeitraum, und es besteht immer die ren sollen, dass Chancen verpasst werden. Ich will das Gefahr, dass durch einzelne Bestimmungen das gesamte mal an einem Beispiel festmachen: Wenn Bayer-Mon­ Paket in Mitleidenschaft gezogen oder sogar gefährdet santo ein neues Chemieprodukt entwickeln würde, das wird. höhere Erträge für die Landwirtschaft verspricht, dann sagt die FDP faktisch: Pumpt es erst mal in den Boden, Ich fasse zusammen. Wir wollen das Vorsorgeprin- lasst uns diese tolle Chance nutzen! Wir schauen spä- zip als Qualitätsgarant erhalten, wir wollen die Gesetz- ter, ob es gefährlich ist. Und überhaupt sind die meisten gebung öffnen und modernisieren, damit sie agiler und Krankheiten ja irgendwie auch heilbar, also sind die Risi- 11578 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Niema Movassat (A) ken doch beherrschbar. – Das ist die Logik. Darauf läuft nisches Pferd, das den Schutz von Umwelt, Gesundheit (C) Ihr Antrag hinaus. Dazu sagen wir: Nein! und Verbraucherrechten aushebeln soll.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neten der SPD und der Abg. Sylvia Kotting-­ sowie bei Abgeordneten der SPD und der Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – LINKEN) Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Billig, Um das zu verstehen, muss man sich nur mal anschau- Herr Movassat! Das können Sie besser!) en, wer den Begriff erfunden hat: Es war die Chemie-, die Kohle- und die Tabakindustrie. Deren Strategie lautet Sie machen die Menschen und die Umwelt so zu Ver- nämlich, Innovationen in einen künstlichen Widerspruch suchskaninchen. zum Vorsorgeprinzip zu stellen, dieses damit zu schwä- Dass Ihr Antrag eine Idee großer Wirtschaftsunterneh- chen und irgendwann vielleicht zu ersetzen. Liebe FDP, men ist, verschweigen Sie geflissentlich in Ihrem Antrag. Sie wollen damit Ihre Klientel bedienen, und das ist der Es fehlen jegliche Belege, wer eigentlich die Idee zu dem falsche Weg. Thema hatte. Wenn man etwas recherchiert, findet man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beispielsweise die Äußerung des ehemaligen Präsidenten sowie bei Abgeordneten der SPD und der des Verbandes der Chemischen Industrie, Herrn Dekkers. LINKEN – Nicola Beer [FDP]: Was für eine Er sagte – ich zitiere –: Verschwörungstheorie!) Wir brauchen ein Innovationsprinzip … Das Vorsorgeprinzip ist das Fundament unserer Um- … In Europa stehen reflexartig immer zuerst die Ri- welt- und Gesundheitspolitik und schützt die Verbrau- siken im Vordergrund der Bewertung, weniger der cherinnen und Verbraucher. Diese Errungenschaft dürfen Nutzen von neuen Produkten. wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, auch wenn die Verlockungen für manch eine oder manch einen viel- Da haben Sie offensichtlich abgeschrieben. leicht recht groß sind. Sie, liebe FDP, beweisen mal wieder, dass Sie im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundestag in erster Linie die Lobbyinteressen großer Wenn wir einmal genau hinschauen, dann stellen wir Wirtschaftsunternehmen vertreten. Nach dem Motto nämlich fest, dass wir eigentlich mehr Vorsorge brau- „Wirtschaft first, Bedenken second“ gießt die FDP die chen, weil jeder von uns 200 bis 300 Chemikalien im Wünsche ihrer Spender in einen Antrag. Wir als Linke Körper hat, die da gar nicht hingehören; werden diesen FDP-Lobbyantrag natürlich ablehnen. (B) (Martin Reichardt [AfD]: Warum werden wir (D) Danke schön. eigentlich alle immer älter?) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der mehr Vorsorge, weil Weichmacher in Plastik die Ent- FDP: Lachhaft!) wicklung von Kindern verzögern und Unfruchtbarkeit auslösen können; mehr Vorsorge, weil Pestizide und Hormongifte im Wasser zu Diabetes, Krebs und Fettlei- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bigkeit beitragen können. So ist es, Herr Kollege Movassat. – Als nächste Red- Eines ist mir noch ganz wichtig: Das Vorsorgeprinzip nerin hat die Kollegin Dr. Bettina Hoffmann, Bündnis 90/ schränkt innovative Grundlagenforschung in keiner Wei- Die Grünen, das Wort. se ein. Das ist ein Gerücht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD]) Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es setzt nämlich erst dann an, wenn Innovationen in NEN): Anwendung kommen, und es bildet einen verlässlichen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Welt Rahmen für Unternehmen. Wenn ihre Produkte die Zu- braucht frische Ideen, neue Konzepte, bahnbrechende In- lassung durchlaufen haben, schützt es sie sogar teilweise novationen, und das in allen Lebensbereichen. Wir stehen vor Haftung. vor riesigen Herausforderungen: Klimakrise, Artenster- ben, Vermüllung der Meere mit Plastik. Und es ist völlig Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unstrittig: Um diese Herausforderungen zu bewältigen, Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des brauchen wir innovative Ideen und auch Techniken. Kollegen Graf Lambsdorff? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Was wir aber nicht brauchen, ist ein sogenanntes Inno- NEN): vationsprinzip. Wer die Geschichte dieses Begriffes und Nein. – Es setzt hohe Ansprüche und treibt als Motor die dahinterstehende Haltung – Sie haben ja eben selber die Entwicklung voran. Das Gegenmodell davon sehen von einem Mentalitätswandel gesprochen – kennt, weiß: wir in Amerika. Da geht es nach dem Prinzip „Versuch Das Innovationsprinzip ist nichts anderes als ein Troja- und Irrtum“ – mit dem Ergebnis immenser Umwelt- und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11579

Dr. Bettina Hoffmann (A) Gesundheitsschäden und Ersatzzahlungen. Wollen Sie Zugleich bringt sie Deutschland im Bereich der For- (C) das? schung und Innovation mit großen Schritten voran und sieht die Chancen und nicht nur die Risiken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE Letztlich ist das Vorsorgeprinzip eine entscheidende GRÜNEN]: Aber Sie kürzen doch das Bud- Voraussetzung für dauerhaft nachhaltige Entwicklung. get! Ist doch falsch!) Wir fordern: Sorgen Sie dafür, dass das Vorsorgeprinzip Ich will mich hier für die Union jetzt vorrangig auf an sich und sein Verfassungsrang auf EU-Ebene und bei den Antrag der FDP konzentrieren. Die FDP unterstellt uns in allen Gesetzen nicht infrage gestellt, sondern ver- in ihrem Antrag, dass die Regierung den Blick bei den stärkt wird. Entwicklungen und Innovationen zu sehr auf die Risi- kobewertung und die Gefahrenanalyse richte. Es klingt Vielen Dank. in dem Antrag so, als gerieten die Chancen, die in den Innovationen liegen, dabei ins Hintertreffen und hätten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Möglichkeit, sich durchzusetzen. sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Sie wissen, dass die Bundesregierung einen großen Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung gelegt hat,

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Nicola Beer [FDP]: Ach nee!) Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat das Wort die was wir auch am Aufwuchs dieses Etats sehen. Ich nenne Kollegin Dr. Astrid Mannes, CDU/CSU-Fraktion. nur stichpunktartig die Hightech-Strategie der Bundes- regierung, die umfassende Technologieoffenheit in der (Beifall bei der CDU/CSU) Forschungsförderung, (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Stamm- Dr. Astrid Mannes (CDU/CSU): zellforschung? Grüne Gentechnik? Alles aus dem Land getrieben!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hat einen Antrag vorgelegt und meint, die Bundesregie- die Verstärkung der Gesundheitsforschung vor allem im rung zur Verankerung des Innovationsprinzips bei der Krebsforschungsbereich, die Gründung einer Agentur für Gesetzgebung auffordern zu müssen. Sprunginnovationen, (Nicola Beer [FDP]: National? Lächerlich!) (B) (Beifall bei der FDP) (D) die Förderung des Wissenstransfers in die Wirtschaft und Der Charakter eines Gesetzes müsse innovationsfreu- die steuerliche Forschungsförderung, die sich noch in dig sein. Die FDP hat Sorge, die Regierung agiere nicht den letzten Zügen der Ressortabstimmung befindet und innovationsfreudig genug. Gleichzeitig beraten wir den die wir hier in Kürze als Parlamentarier beraten werden. Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die genau das Ge- Wir sind bestens aufgestellt und müssen den internatio- genteil fordern, nämlich dass das Vorsorgeprinzip stär- nalen Vergleich nicht scheuen. kere Berücksichtigung finden und mögliche Gefahren (Beifall bei der CDU/CSU) stärker in den Fokus rücken müssten. Den einen ist die Regierung also zu sehr auf Innovationen ausgerichtet und Wir spielen vorne mit, und dies ist uns weiter Ansporn. nimmt dabei angeblich die möglichen Gefahren und die Trotz dieser generell sehr forschungs- und innovati- Nachhaltigkeit zu wenig in den Blick, und den anderen onsfreundlichen Politik unserer Regierung ist und bleibt ist sie nicht innovationsfreudig genug und wägt Neuerun- es wichtig und richtig, bei Gesetzesinitiativen und bei gen zu stark gegen mögliche Gefahren ab. dem Transfer von Forschungsergebnissen immer auch Da habe ich doch den Eindruck, die Bundesregierung die Folgen oder die möglichen Folgen mit in den Blick hat einen sehr guten Mittelweg zwischen verantwor- zu nehmen. § 44 GGO regelt explizit, was unter den tungsbewusster Risiko- und Gefahrenbegutachtung auf Gesetzesfolgen zu verstehen ist, nämlich konkret die der einen und Innovationsfreude auf der anderen Seite beabsichtigten Wirkungen und die unbeabsichtigten Ne- gefunden. Offenbar befindet sich die Bundesregierung benwirkungen. Es geht also um ein Abwägen von Posi- auf einem ausgewogenen Weg von Maß und Mitte. tivem und Negativem. Keine Bundesregierung und auch kein Bundestag würde übrigens ein Gesetz auch nur auf (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anna den Weg bringen, wenn sie bzw. er nicht davon ausge- Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hen würde, mit einem Gesetz etwas Positives, also eine Ja, wenn man nicht viel macht!) Verbesserung, zu bewirken. Zumindest halten wir in der Union das so. Ich will Ihnen gleich ausführen, dass die Regierung (Beifall bei der CDU/CSU) durchaus beiden Anträgen gerecht wird. Die Regierung stellt das Vorsorgeprinzip und seinen Verfassungsrang Das Positive ist also dem Gesetzesvorhaben systemim- auf EU-Ebene nicht infrage. manent, zumindest von der Zielsetzung her. Daher ist es auch selbstredend, dass in der Gemeinsamen Geschäfts- (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) ordnung der Bundesministerien auf die Abprüfung mög- 11580 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Astrid Mannes (A) licher negativer Folgen abgestellt wird. Wir müssen rischen Entscheidungen vom Innovationsprinzip leiten (C) schließlich zu einem ausgewogenen Abwägungsprozess lässt. Der Antrag „Innovation und Chancen nutzen“ stellt zwischen Positivem und Negativem kommen. Die FDP zu Recht fest: Seit beinahe 20 Jahren werden bei Gesetz- sieht das leider zu einseitig und zu negativ. gebungsverfahren einseitig Gefahren und Risiken in den Vordergrund gestellt. Ich halte es auch für richtig und wichtig, dass bei Gesetzesvorhaben die in § 44 GGO konkret benannten (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Punkte abgeprüft werden. Es ist richtig, dass wir bei al- NEN]: Das ist falsch!) len Gesetzesinitiativen die finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte in den Blick nehmen. Und Das sieht die AfD auch so. es ist richtig, dass wir beachten, dass die Gesetze keine Chancen für Deutschland werden grundsätzlich den negativen Auswirkungen auf die Umwelt oder auf Men- bekannten utopistischen Kampfbegriffen und Konzep- schen mit Behinderungen haben, und dass wir prüfen, ten in Form von Arbeitshilfen und Handreichungen un- wie sich die geplanten Neuregelungen auf die Belange tergeordnet. Kinder werden von Staats wegen bereits so unseres Mittelstandes auswirken, um nur ein paar Berei- sozialisiert. Ich nenne nur zwei Beispiele: geschlechter- che herauszugreifen. differenzierte Folgenabschätzung, also Gender-Main- Es ist wichtig, dass wir ganzheitlich auf die Gesetze streaming, und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. blicken. Letztendlich wollen Sie von der FDP aber dann Insgesamt, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt selbst dieses Vorsorgeprinzip nicht durch das Innovati- es neun Konkretisierungen und noch circa 30 weitere onsprinzip ersetzt wissen. Leitfäden, Arbeitshilfen etc., die von den Ministerien bei der Verfassung von Regelungen zu beachten sind. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ist es! Genau so ist es!) Über das Für und Wider sowie über die Sinnhaftigkeit und/oder die Umsetzung dieser Konzepte ist in der Ge- Auch Sie wollen das Vorsorgeprinzip beibehalten und sellschaft schon länger, aber auch hier im Bundestag seit um das Innovationsprinzip ergänzen. September 2017 ein Kulturkampf entbrannt. (Beifall bei der FDP) (Zuruf des Abg. [BÜNDNIS 90/ Damit laufen Sie offene Türen ein. Denn Sie fordern das, DIE GRÜNEN]) was letztendlich de facto die Bundesregierung prakti- ziert. Viele Bürger in Deutschland begehren gegen die vorherr- schende alternativlose Deutungshoheit über Statistiken, (Nicola Beer [FDP]: Das hätten wir gemerkt!) über Begrifflichkeiten, über Konzepte und deren Umset- (B) (D) Forschung und Innovation und überhaupt alle Gesetzes­ zung auf. Die den Entscheidungsfindungen in der Ge- initiativen darf man von einer Risiko- und Gefahrenbe- setzesfolgenabschätzung zugrunde liegenden Konzepte wertung nicht abkoppeln. Wir müssen in der Tat nach- stehen aber nach wie vor unter der links-grün-sozialisti- haltig denken und über den Moment hinaus. Aber die schen Einheitsherrschaft Regierung sorgt dafür, dass eine Abwägung nicht einsei- (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der tig vorgenommen wird, und sie ist stets darauf bedacht, LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Deutschland als Forschungsstandort auszubauen. GRÜNEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Die Bundesregierung hat sich auf den Weg verstän- Schön wäre es!) digt, dass alle Ressorts bei der Abschätzung und Bewer- und bremsen seit beinahe 20 Jahren Entwicklungen in tung von Gesetzesfolgen und den Folgen ihres sonstigen allen Bereichen. Ich sage nur: Deutschland, digitales Regierungshandelns verstärkt darauf achten, dass die Schwellenland. Innovationsfähigkeit Deutschlands nicht beeinträchtigt wird. Das funktioniert auch ohne eine gesetzliche oder (Beifall bei der AfD) institutionelle Implementierung des Innovationsprinzips sehr gut. Regierende totalitäre Deutungshoheit liegt wie Mehl- tau über deutschem Denken und Entscheiden. Sie hegt Wir freuen uns auf die weitere Beratung im Ausschuss. durch ihre stark emotionalisierende moralische Normie- rungskraft auch das Innovationspotenzial von Neurege- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lungen und Gesetzen trefflich ein. Alleine dass sich die ordneten der SPD) Grünen an diesem Antrag so sehr stören, wie man ihrem angekoppelten Antrag „Vorsorgeprinzip als Innovations- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: motor“ entnehmen kann, Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion. (Zuruf des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]) (Beifall bei der AfD) ist ein hervorragendes Indiz dafür, dass die Intention des FDP-Antrags und die AfD-Analyse der gesamtgesell- Nicole Höchst (AfD): schaftlichen Gemengelage richtig sein müssen. Werter Herr Präsident! Werte Kollegen! Hochge- schätzte Bürger! Im heutigen Deutschland ist es keines- (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE wegs selbstverständlich, dass man sich bei gesetzgebe- LINKE]: Das ist aber kein Lob für die FDP! – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11581

Nicole Höchst (A) Gegenruf des Abg. Martin Reichardt [AfD]: Deutschland als ein Land mit grundgesetzlich geschütz- (C) Ein Lob von euch ist aber auch nichts wert!) ter Freiheit. Überall da, wo es Freiheit gibt und Menschen zusammenleben, muss es aber auch Regeln und Gesetze Das etablierte, ideologisch völlig überfrachtete Vor- geben. Diese diskutieren wir hier. Wir erleben in unserem sorgeprinzip, liebe grüne Sozialisten, sieht die AfD nicht Land, dass die Forschung, die frei ist, seit 20 Jahren wie als Innovationsmotor, sondern als soliden Innovations- nie zuvor gefördert wird. bremsklotz. Beherrschbare Risiken dürfen niemals dazu führen, dass Chancen für Deutschland verpasst werden. (Beifall der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/ Oder andersherum gesagt: Chancen müssen stärker in den CSU]) Mittelpunkt rücken. Unser Land ist auf Innovationen wie kaum ein anderes angewiesen. Wir brauchen dringend Aber ich muss feststellen, dass die FDP jetzt kommt einen mutigen Innovationsparadigmenwechsel, weg von und darüber einen Kübel ausschüttet mit dem übli- der reinen Risikominimierung hin zur Erschließung von chen Vorwurf der Technologiefeindlichkeit. Ich erlebe Chancen. Die AfD wird sich bei der Ausgestaltung des aber, wenn ich täglich unterwegs bin, so etwas nicht in Antrags sehr konstruktiv im Ausschuss beteiligen. Deutschland – noch nicht einmal im Kindergarten. Ich weiß nicht, woher Sie Ihr Bild nehmen. Und dann sagt Meine Damen und Herren, das utopische Narrenschiff die FDP: Wir wollen das Innovationsprinzip einführen. – „Sozialistika“ ist weltweit leck und sinkt. Es wird aller- Das heißt, wenn Gesetze gemacht werden, muss geprüft höchste Zeit, mit der MS „Deutschland“ in freie Gewäs- werden – gleichberechtigt mit dem Vorsorgeprinzip –, ser auszulaufen was an diesem Gesetz möglicherweise innovationshem- (Beifall des Abg. Dr. [AfD]) mend oder -verhindernd sein wird. und intelligent, europäisch, wissenschaftlich, wirtschaft- Wenn man sich mit denjenigen befasst, die Innova- lich, unideologisch, aber vor allem verantwortungsvoll, tionen entwickeln, die Forschung betreiben, dann wird mutig, liberal und konservativ man feststellen: Sie werden sich nun wirklich nicht da- rüber freuen. Für Forschende ist es ohnehin schon eine (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜND- Herausforderung, abzusehen, ob sie das Vorsorgeprinzip NIS 90/DIE GRÜNEN]) einhalten. Das können sie aber noch relativ leicht; denn die Segel Richtung „chancenreiche Zukunft für alle“ zu die Leitlinien besagen, dass man keine Chemikalie ent- setzen. Wir von der AfD sind dazu bereit. wickeln oder verwenden darf, von der man schon jetzt weiß, dass sie Menschen schädigen wird. Aber das Inno- Vielen Dank. vationsprinzip als Forscher anzuwenden und abzusehen, (Beifall bei der AfD) dass man etwas nur machen kann, wenn man weiß, dass (B) es keine Innovation verhindert, das halte ich für fast un- (D) möglich. Das ist illusorisch. Das zeigt mir, dass Sie da Vizepräsident Wolfgang Kubicki: von der Realität weit entfernt sind. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN)

René Röspel (SPD): Sie haben keine Beispiele genannt. Vielleicht ist es sinnvoll, das anhand einiger Beispiele – beliebig viele Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- sind möglich – zu entwickeln. Nehmen wir Asbest und ren! In ihrem Antrag schreibt die FDP, dass beim Verfas- Atomtechnologie. Als Asbest und Atomtechnologie in sen von Gesetzen derzeit der „Blick auf die Vermeidung Deutschland eingeführt wurden, war die Begeisterung von Risiken“ überwiege. groß. Beide hätten die Prüfung nach dem Innovations- (Beifall bei der FDP) prinzip locker überstanden. Von Asbest hat man gesagt: Das ist sehr innovativ, es ist feuerbeständig. Und von Erstens finde ich das eine steile These, weil es ganz viele Atomenergie hat man gesagt: Das ist die Lösung aller andere Gesetze gibt, und zweitens frage ich mich, was Energieprobleme. – Hätte es eine Prüfung nach dem Vor- eigentlich schlimm dabei ist, darauf zu schauen, wo Risi- sorgeprinzip gegeben, wären vielleicht schon mehr Ge- ken entstehen können, und Risiken vermeiden zu wollen. danken entstanden, und man hätte das eine oder andere (Nicola Beer [FDP]: Hören Sie doch zu! Das an Krankheit und Unglück verhindern können. ist abenteuerlich!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich finde das normal. Es ist, wie ich finde, sogar Aufgabe der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE des Gesetzgebers, Risiken zu vermeiden. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Also insofern ist das Vorsorgeprinzip, wie ich glaube, der CDU/CSU und der LINKEN – Nicola schon nicht schlecht. Beer [FDP]: Lesen bildet!) Jetzt mache ich den Praxistest für die Regierungszeit Ich bin tatsächlich immer wieder erstaunt, welches der FDP. Sie haben von 2009 bis 2013 regiert. Bild von Deutschland Sie – Sie von der AfD sowie- so, aber auch Sie von der FDP – verbreiten. Ich erlebe ( [FDP]: Nicht nur dann!) 11582 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

René Röspel (A) Das Einzige außer Mövenpick, was mir aus Ihrer Regie- Schöne Ostern! (C) rungszeit an gesetzgeberischen und politischen Maßnah- men in Erinnerung ist, ist die Verlängerung der Atom- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ laufzeiten 2010. Wenn Sie damals das Vorsorgeprinzip DIE GRÜNEN) in Ihre Überlegungen miteinbezogen hätten, hätten die Alarmglocken schrill geklingelt, und Sie hätten die Fin- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ger davon gelassen, weil Sie dann festgestellt hätten, dass Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ralph es nicht nachhaltig ist, Atomenergie weiter zu nutzen. Lenkert, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Das ist eine Behauptung!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Ein Jahr später gab es das Unglück in Fukushima, und Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- der Wandel in den Köpfen und in der Erkenntnis war da. gen! Aus der Feder der Chemie-, Kohle- und Tabakindus- trie stammt die Idee zu innovativen Gesetzen, damit man Hätte es das Innovationsprinzip gegeben, hätten die mehr Möglichkeiten und Chancen auf höhere Gewinne Glocken vorher noch schriller geklingelt, weil durch die hat. Innovative Gesetze klingen modern, schwächen die Verlängerung der Atomlaufzeiten 2010 – das ist schon Risikoanalyse und sind deshalb natürlich gut für die In- lange her, ist aber ein gutes Beispiel – erstens Innovatio- dustrie, die FDP und anscheinend auch für die AfD. nen gehemmt wurden, weil eine alte Technologie zulas- ten neuer Technologien verlängert worden ist, und weil Ich kann es Ihnen nicht ersparen, diese innovative zweitens Investitionen vernichtet wurden. Im kommuna- Gesetzgebung anhand der 11. Atomgesetznovelle von len Bereich gab es damals nämlich ganz viele moderne 2010 zu erläutern. Damals beschlossen Union und FDP Kraftwerke, die nicht mehr weitergefahren werden konn- die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke. Im ten. Vortext steht: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine befristete Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke leistet einen Beitrag, um für einen Ich halte das Vorsorgeprinzip für sehr wichtig. Das Inno- Übergangszeitraum die Energieziele Klimaschutz, vationsprinzip halte ich an dieser Stelle aber für falsch, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit zu (Martin Reichardt [AfD]: Ein bisschen ver- verwirklichen. (B) heddert, Ihre Rede!) Alternativen für die FDP gab es damals keine. Der Nut- (D) weil das zusätzliche Bürokratie bedeutet, die Forscher zen für die Atomkonzerne: pro AKW und Tag 1 Million mehr belasten wird, als dass ihnen geholfen wird. Euro Gewinn. Das macht bei 17 AKW über 5 Milliarden Euro zusätzliche Profite im Jahr. Jetzt mache ich einen Praxistest für die Fraktion der FDP im derzeitigen Bundestag. Wir haben vor einer Wo- Nach Fukushima wurden uns die Risiken eines Atom­ che einen Antrag von Ihnen zum Pakt für Forschung und unfalles bewusster, und es wurde nachgeprüft. Ein sol- Innovation diskutiert. In diesem sehen Sie im Prinzip das cher Unfall hätte in Deutschland zu Kosten zwischen Gleiche vor: Sie wollen die Vergabe von Mitteln an For- 500 Milliarden Euro und 5 Billionen Euro geführt. Keine scher an die Erfüllung bestimmter Bedingungen knüpfen. Versicherung deckt dies ab. Würde man Atomkraftwerke Da soll ein Wissenschaftler wissen, welche langfristigen versichern, müsste die Kilowattstunde Atomstrom zwi- Folgen seine Forschung haben wird, wie hoch die Zahl schen 55 Cent und 2 Euro kosten. der Publikationen sein wird! All das wird nicht dazu füh- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wovon träumen ren, dass das Leben der Forscher besser wird und dass Sie denn?) es mehr Innovationen geben wird, sondern sie werden blockiert. Deshalb wird das Vorsorgeprinzip bei Atomkraftwerken eben nicht angewendet. Deshalb haften Atomkonzerne (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des für Schäden nach einem Atomunfall mit maximal 2 Mil- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) liarden Euro. Im Klartext: Die Möglichkeit, Gewinne zu Ich will Ihnen von der FDP einen Rat geben: Sie müs- machen, liegt bei der Industrie. Die Risiken liegen bei sen einmal darüber nachdenken, auf welchen Kurs Sie uns Steuerzahlern. Wir Steuerzahler tragen im Falle eines tatsächlich sind. Sie sind dabei, Ihre wissenschafts- und Unfalls das Risiko für Gesundheit und Leben, die Kosten forschungspolitische Reputation in diesem Land zu ver- für die Schäden bei der Infrastruktur. Eigentum, wenn lieren. es im Falle eines Unfalls beschädigt oder zerstört wird, wird nicht ersetzt. In jeder Versicherung steht im Klein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gedruckten – das können Sie nachlesen –: Haftung für DIE GRÜNEN) Schäden nach Atomunfällen ausgeschlossen. Abschließend kann ich nur sagen: Wir finden den An- (Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD]) trag der Grünen gut und werden darüber nachdenken, wie wir damit im parlamentarischen Verfahren weiter umge- Zusammengefasst: FDP und AfD wollen mit dem In- hen. novationsprinzip Gesetze aufweichen, damit die Profite Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11583

Ralph Lenkert (A) für Konzerne größer werden. Die Risiken bleiben bei der Auch heute gehen wieder Tausende junge Menschen auf (C) Bevölkerung hängen. Das ist die Realität! die Straße, um für eine konsequente Klimapolitik dieser Regierung zu demonstrieren. Die Klimakrise hat drama- (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt tische Auswirkungen angenommen. [AfD]: Das sind doch Ammenmärchen! So ein Unsinn! – Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) (Martin Reichardt [AfD]: Ja, wo denn? – Zu- rufe von der SPD – Gegenruf des Abg. Martin – Da können Sie schreien, wie Sie wollen. – Es bestätigt Reichardt [AfD]: Ihr kriegt doch nichts mit!) sich: Sie haben keine Ahnung. Sie haben nicht gerechnet. Sie wissen nicht, wie Atomkraftwerke wirken. Fukushi- – Dass Sie viele Dinge nicht mitbekommen, ist ja nichts ma soll sicher sein, hat man uns vorher gesagt, und es ist Neues. kaputtgegangen. Ein Grund aber für das Ausmaß dieser Klimakrise Ihre wissenschaftlichen Innovationskenntnisse sind ist, dass die nötigen ökologischen Innovationen, die oft so unzureichend, dass Sie nicht einmal den Statistikern schon längst in den Laboren stehen, nicht ausreichend der Atomenergie glauben. Die sagen: Ein Atomkraftwerk in die Umsetzung gebracht worden sind. Im Gegenteil: ist auf 10 000 Betriebsjahre sicher. – Stimmt! Bei über Diese Regierung – ob nun die jetzige Große Koalition 400 Reaktoren müsste es dann alle 25 Jahre einen GAU oder früher Schwarz-Gelb – fördert bis heute Techno- geben. Das sagen Ihre Statistiker. Wenn Sie denen glau- logien, die uns schaden. Sie subventioniert Kohlestrom ben würden, dann würden Sie das Vorsorgeprinzip ernst und Kerosin, statt konsequent in saubere Technologien nehmen und würden dafür sorgen, dass diese Risikotech- zu investieren. nologie abgeschafft wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Übrigens steigt der Ansatz in der Forschungspolitik ge- Der grüne Antrag zum Vorsorgeprinzip wird von uns rade nicht. Also ist auch dort im Moment nicht viel von Linken unterstützt. Innovationstätigkeit der Bundesregierung zu spüren. (Martin Reichardt [AfD]: Macht doch gleich Allerdings ist es auch bei Ihrem Antrag so, liebe Kol- eine Partei! Das wäre wenigstens ehrlich!) leginnen und Kollegen der FDP, dass das mit zukunfts- orientierter Innovationspolitik sehr wenig zu tun hat. Er bringt zwar keine Haftung für die Wirtschaft, aber er Sie tragen die Worte „Innovation“ und „Digitalisierung“ zwingt die Wirtschaft, Gefahren zu minimieren. Wichtig mittlerweile in einer Art Dauerschleife vor sich her, ma- ist, die Gesundheit, das Klima und die Umwelt zu schüt- chen aber am Ende nur dünne oder sogar schädliche Vor- (B) zen. schläge. Sie wollen ja mit dem Antrag erreichen, dass das (D) Wort „Chancen“ häufiger in der Geschäftsordnung der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Bundesministerien vorkommt. Nun, ich meine, die Ge- Herr Kollege, kommen Sie jetzt zum Schluss, bitte. schäftsordnung ist kein Wahlprogramm der FDP, sondern es geht darum, dass man dort Regeln für die Erarbeitung von Gesetzen festlegt. Sie versuchen, mit Ihrem Antrag Ralph Lenkert (DIE LINKE): einen Gegensatz aufzubauen, der so gar nicht existiert. Gesetze und Verträge müssen darauf ausgerichtet sein. Sie starten hier einen Feldzug gegen das Vorsorgeprinzip, Dies ist wichtiger als Profite, Binnenmarkt und Wettbe- werbsrecht. Die Linke steht für den Schutz der Bevöl- (Nicola Beer [FDP]: Das ist doch gar nicht kerung, Sie stehen für die Profite. Das werden wir nicht wahr!) mitmachen. das in der Vergangenheit sogar einige Innovationen her- Vielen Dank. vorgebracht hat. Wo wären wir denn heute bei den er- neuerbaren Energien, wenn man nicht aus Gründen der (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt Vorsorge angefangen hätte, die Energieversorgung um- [AfD]: Auf Wiedersehen!) zustellen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Anna Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das Vor- Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. sorgeprinzip bezieht sich auf die Marktzulas- sung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Vorsorgeprinzip ist eben ein Zukunftsprinzip, das Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachhaltige Innovationen befördert und auch Vertrauen NEN): in neue Technologien schafft. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Kollegen! Wir brauchen dringend die nötigen Innovatio- SES 90/DIE GRÜNEN) nen, um die großen gesellschaftlichen Herausforderun- gen zu bewältigen. Damit haben wir es jetzt bei ganz vielen, auch bei digita- len Themen zu tun. Daher ist es eminent wichtig, diesen (Beifall des Abg. [FDP]) Aspekt zu berücksichtigen. 11584 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Anna Christmann (A) Was wir brauchen, sind viel mehr Anstrengungen im wandel, Klimaerhitzung, Fridays-for-Future-Bewegung, (C) Bereich soziale und ökologische Innovationen. Wir ha- Atommüll, Chemikalien, Plastikmüll im Meer usw. ben da längst Vorschläge gemacht. (Martin Reichardt [AfD]: Die ganze billige (Martin Reichardt [AfD]: Ja, die waren alle Angstmache der Grünen!) Mist!) Was meinen Sie eigentlich in Bezug auf das Vorsor- Wir haben Experimentierräume in der Mobilitätsfor- geprinzip, und wie wenden Sie das zum Beispiel auf sol- schung vorgeschlagen, die eine nachhaltige Verkehrs- che Fragen an, die sich im Augenblick stellen, Stichwort wende beschleunigen würden. Wir fördern auch heute „Wohnraumenteignung“ oder „umherstreifende Wölfe“? noch neue Forschungsformate, die zusammen mit der Zivilgesellschaft die großen Herausforderungen ange- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen. Wo ist denn das Klimainnovationsprogramm dieser NEN]: Das hat jetzt nichts mehr mit dem The- Bundesregierung? ma zu tun!) Eine Erklärung habe ich dafür, warum es bei der Bun- Wo ist da das Vorsorgeprinzip? Wie befolgen Sie das? desregierung nicht so gut vorangeht: Agiles Arbeiten ist Bleiben wir bei einem Beispiel aus der Medizin. Vor- nicht so ihre Stärke. Das haben wir diese Woche als Re- sorge ist eine wunderbare Sache, und ich glaube auch, aktion auf eine Anfrage gehört. Insofern plädieren wir dass Vorsorge für jeden wichtig ist. Nur, alleine reicht dafür, viel mehr Anstrengungen im Bereich sozialer und das natürlich auch nicht; denn wenn ich nicht irgend- ökologischer Innovationen zu unternehmen. Da ist der wann zum Arzt gehe, werde ich möglicherweise trotz- heutige FDP-Antrag sicher keine Hilfe, sondern eher ein dem krank. Das macht doch deutlich: Wenn man nur Schaden. Vorsorge betreibt, dann führt das eigentlich zu Siechtum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Stillstand. (Beifall des Abg. [FDP]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das wollen wir doch nicht im Ernst als Maßstab für unse- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat re gesellschaftliche Entwicklung nehmen. das Wort der Kollege Dr. Michael von Abercron, Schles- wig-Holstein. Die Grünen sprechen beim Vorsorgeprinzip sogar von einem Innovationsmotor für Nachhaltigkeit – das kann (Beifall bei der CDU/CSU) man so sagen –; aber es fehlt etwas Entscheidendes – es ist bei der Vorrednerin angeklungen –: dass Innovationen (B) Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): und Technik eingesetzt werden müssen, um die Nachhal- (D) Hochverehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten tigkeitsziele zu erreichen. Das ist das zentrale Argument, Damen und Herren! In Ihrem Antrag sprechen die Bünd- um so was überhaupt nach vorne zu bringen. nisgrünen von dem Vorsorgeprinzip als Innovationsmo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- tor. Das finde ich gut; denn das ist ein sehr konservativer ruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ Gedanke, und mit dem kann man sich sehr wohl anfreun- DIE GRÜNEN]) den. Wird die Innovationsfähigkeit nämlich ausgeschaltet, (Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜND- dann bedeutet das Blockade und Stillstand. Diese Hal- NIS 90/DIE GRÜNEN]) tung ist schlicht rückwärtsgewandt. Allerdings greift das in vielen Teilen etwas kurz; denn (Nicole Höchst [AfD]: Bravo!) Vorsorge ist immer mit dem Wissen von heute oder ges- tern belastet und kann nicht so richtig die Zukunft ab- Das gefährdet den Fortschritt und den Wohlstand. Außer- schätzen – nicht genau jedenfalls. Ein Spruch aus der dem ist es natürlich immer ein Irrglaube, dass irgendwel- Zahnpastawerbung lautete einst: „Vorsorgen ist besser che Fehler ausgeschlossen werden können, wenn man als bohren.“ Dieser Spruch ist oberflächlich und plakativ. nur auf das Prinzip der Vorsorge setzt. Das wird nicht Genauso ist es leider mit dem Antrag der Grünen. Er ist funktionieren. mit heißer Nadel gestrickt; aber möglicherweise haben Leider ist es bei Ihnen, den Grünen, immer so, dass sie keine heiße Nadeln mehr, jedenfalls nicht mehr im Sie unter Vorsorge in Wahrheit zu häufig nichts anderes Parlament. Diese Nadeln sind möglicherweise ebenfalls als Beschränkung und Verbot verstehen. Da wird immer dem Vorsorgeprinzip zum Opfer gefallen. wieder Ihr grünes Leitbild deutlich: Verbieten geht vor Ich mag mir kaum vorstellen, welche Panik bei Ihnen, Verstehen. in den Reihen der Grünen, um sich greifen würde, wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der die FDP mithilfe des Innovationsprinzips etwas erlauben AfD und der FDP – Harald Ebner [BÜND- möchte, was Sie nicht rechtzeitig haben verbieten kön- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal nen. was zu unserem Antrag!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD und der Jede neue technische Errungenschaft durchläuft einen FDP) Entwicklungsprozess, der in der Regel zu einer besse- In Ihrem Antrag bespielen Sie gleich zu Anfang das ge- ren Technologie führt. Es gibt natürlich Beispiele, von samte Orchester der grünen Lieblingsthemen: Klima- denen man sagen kann: Das ist ein risikobehaftetes In- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11585

Dr. Michael von Abercron (A) strument. – Es sind vorhin Beispiele genannt worden. Sie sind 2017 mit dem Slogan „Bedenken second“ in (C) Ein Kollege hat auf Asbest verwiesen. Es gibt auch an- den Bundestagswahlkampf gestartet. Ich muss sagen: Sie dere Beispiele wie den Röntgenapparat. Vor nicht ganz bleiben Ihrer Linie heute treu, indem Sie die in meinen 200 Jahren ist dieser Apparat entwickelt worden. Wenn Augen berechtigten Bedenken der Bürgerinnen und Bür- er heute unter den scharfen Kriterien der Vorsorge zu- ger – zum Beispiel gegenüber genverändertem Saatgut gelassen werden müsste, hätten wir große Probleme. Ich oder TTIP- und CETA-ähnlichen Freihandelsabkom- befürchte, er wäre nicht zum Wohle der Gesellschaft zum men – bei dem Blick mit glänzenden Augen auf noch Computertomografen weiterentwickelt worden. etwas mehr Profit wieder an die zweite Stelle rücken wollen. (Nicole Höchst [AfD]: So ist es!) Das bedeutet doch, dass das Vorsorgeprinzip zwar Ich bin ganz froh, dass Sie an einer Stelle Ihre per- mögliche Risiken erkennen lässt, dass es aber erhebliche sönlichen Bedenken an die erste Stelle gestellt haben, Schwächen darin hat, langfristig Innovationen zu erken- nämlich bei der Frage der Übernahme von Regierungs- nen. Insoweit ist der Gedanke der FDP, ein Innovations- verantwortung. Darum gestalten wir heute die Innovati- prinzip dagegenzustellen, durchaus berechtigt. onspolitik. (Beifall bei der FDP) (Dr. [FDP]: Das gönnen wir Ihnen!) Das Problem ist nur: Wie führt man solche Dinge zusam- men, die am Ende zu Schwierigkeiten führen? Ich glaube, dass das gut für unser Land ist. Da sind wir gut unterwegs. Insgesamt bleiben da für mich einige Fragen offen. Was ist, wenn sich Vorsorge- und Innovationsprinzip (Beifall bei der SPD – Martin Reichardt widersprechen? Wollen wir wirklich immer weitere bü- [AfD]: Die Umfragen sagen was anderes, als rokratische Hürden aufbauen und solche Prüfungen und dass ihr da gut unterwegs seid! Da seid ihr Gesetzesfolgenabschätzungen – das ist vorhin schon mal mehr im freien Fall!) angesprochen worden – durchführen? Sollen Bürokraten, die mit solchen Gesetzen betraut sind, für uns die Zu- Wir haben die Agentur für Sprunginnovationen gegrün- kunftsfragen lösen und entscheiden, welche Techniken det. Die Hightechstrategie loben Sie selbst in Ihrem An- wir einsetzen und was wir in Wissenschaft und Technik trag. Bei der steuerlichen Forschungsförderung sind wir überhaupt zulassen dürfen? Lassen sich Risiken und mitten in der Debatte. Chancen der Wissenschaft von morgen mit dem Wissen Zu Ihrem Antrag. Sie wollen das geltende Vorsorge- von heute oder gestern überhaupt sicher bewerten? Ich prinzip aufweichen. Was bedeutet eigentlich das Vor- (B) habe da meine Zweifel. sorgeprinzip? Es folgt dem Grundsatz: Handle stets so, (D) Deswegen sagen wir als CDU/CSU-Fraktion: Wir set- dass du noch korrigierend eingreifen kannst, wenn etwas zen auf die Freiheit der Wissenschaft, den technischen schiefläuft. – Ich halte das für richtig; das sollte die Ma- Fortschritt und auf die Innovationskraft unserer Wirt- xime sein. Es ist auch unsere Verantwortung, dass es eine schaft, um die Zukunftsfragen zu lösen. Notbremse gibt, die funktioniert und die Sicherheit lie- fert. Die Bürgerinnen und Bürger im Land erwarten von Vielen Dank. uns nämlich, dass bei evidenten Gründen zur Besorgnis (Beifall bei der CDU/CSU – Nicole Höchst der Gesetzgeber einschreitet und die Verwaltung danach [AfD]: Dann machen Sie das bitte auch!) handelt. Sie stellen daneben, wie Sie es formulieren, das In- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: novationsprinzip. Woher – das müssen wir mal ehrlich Vielen Dank, Herr Kollege Dr. von Abercron. – Als sagen – kommt es denn eigentlich? Aus der Erdgas-, der letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile Erdöl-, der Tabakindustrie, aus der chemischen Industrie, ich das Wort der Kollegin Dr. Wiebke Esdar, SPD-Frak- tion. (Nicole Höchst [AfD]: Nicht von Ihnen!) (Beifall bei der SPD) weil Großkonzernen damals den europäischen Institutio- nen vorgeschlagen haben, das zur Maßgabe ihrer Politik Dr. Wiebke Esdar (SPD): zu machen. Dabei waren auch Henkel, BASF, die Bayer AG. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auf Antrag der FDP diskutieren wir heute das sogenannte In- Wenn wir uns mal das Beispiel der Bayer AG angu- novationsprinzip, das Sie bei Gesetzgebungen und Be- cken, die dieses Innovationsprinzip als Teil ihrer Unter- hördenentscheidungen neben das Vorsorgeprinzip stellen nehmenskultur lebt, möchten – ohne in Ihrem Antrag ganz ehrlich zu sagen, dass Sie damit, weil es in der Praxis zu Widersprüchen (Martin Reichardt [AfD]: Jetzt werden wieder kommen wird, das Vorsorgeprinzip beim staatlichen diese billigen antikapitalistischen Narrative Handeln abschwächen. Da kann ich schon mal direkt sa- hier bedient!) gen: Das lehnen wir ab. dann haben wir an der Stelle in den letzten Jahren er- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald kennen müssen, dass dieses Unternehmen durch die Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Übernahme von Monsanto das unverantwortliche Risiko 11586 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Wiebke Esdar (A) Glyphosat geerbt hat. In der Folge gibt es nun Schadens- Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die (C) ersatzklagen in Milliardenhöhe, Stimmen der FDP-Fraktion und zweier fraktionsloser Abgeordneter mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, (Nicole Höchst [AfD]: Welche Regierung hat Bündnis 90/Die Grünen, Fraktion Die Linke bei Enthal- das denn zugelassen, das Glyphosat?) tung der Fraktion der AfD abgelehnt. weil Monsanto jetzt nämlich dafür geradestehen muss, dass Glyphosat krebserregend ist. In den USA wurde das Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- erst nachträglich so eingestuft, weil dort das Vorsorge- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Feder- prinzip so, wie wir es in Deutschland haben und leben, führung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer nicht gilt. Der Aktienkurs der Bayer AG ist im letzten stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt Jahr um 30 Prozent gesunken. dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Überwei- sungsvorschlag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, (Zuruf von der FDP: Das freut Sie doch!) Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen Es ist ein sehr klares Beispiel dafür, dass es dann, wenn der Fraktion der FDP und zweier fraktionsloser Abgeord- aufgrund des Innovationsprinzips fahrlässig Risiken ein- neter bei Enthaltung der AfD angenommen. gegangen werden und die gründliche Vorsorge ignoriert Zusatzpunkt 10. Interfraktionell wird Überweisung oder zurückgestellt wird, der Vorlage auf Drucksache 19/9270 an die in der Tages- (Nicole Höchst [AfD]: Und die Regierung ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Glyphosat erlaubt!) Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. unseren Bürgerinnen und Bürgern schadet und am Ende auch dem Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutsch- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: land schadet. Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auftragten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jahresbericht 2018 (60. Bericht) Darum sage ich: Das beste Innovationsprinzip bleibt Drucksache 19/7200 das Vorsorgeprinzip, das wir haben. Die Beispiele dazu Überweisungsvorschlag: haben Saskia Esken und René Röspel eben schon sehr Verteidigungsausschuss (f) deutlich ausgeführt. Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (B) Indem wir genau hinschauen, indem wir abwägen, was Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (D) für den Menschen, für die Umwelt, für die Wirtschaft am Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- besten ist, können wir nachhaltige Innovationen ermögli- lung chen, die dann im Dienste der Gesellschaft stehen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Nicole Höchst [AfD]: Als Jobkiller!) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Meine Damen und Herren, das ist und das sollte Maxime staatlichen Handelns bleiben. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehr- Herzlichen Dank. beauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Dr. Hans- Peter Bartels. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU]) der CDU/CSU und des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit schließe ich die Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deut- Debatte. schen Bundestages: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tagesordnungspunkt 22. Interfraktionell wird Über- Während wir heute hier diesen Bericht für das Jahr 2018 weisung der Vorlage auf Drucksache 19/9224 an die in diskutieren, tun gleichzeitig deutsche Soldatinnen und der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Soldaten Dienst in unseren mandatierten Auslands- gen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen einsätzen in Afghanistan, im Libanon und vor dessen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Küste, auf Zypern, in Jordanien, im Zentral-Irak und in Ausschuss für Inneres und Heimat, die Fraktion der FDP Irakisch-Kurdistan, in Katar, in Bahrain, im Kosovo, in wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, For- Dschibuti, im Sudan und im Südsudan, im zentralen Mit- schung und Technikfolgenabschätzung. telmeer, in Mali und in Niger. Das sind fast immer Missi- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- onen unserer kollektiven Sicherheitssysteme, denen wir vorschlag der Fraktion der FDP, Federführung beim angehören: NATO, UNO, EU. Darüber hinaus entsendet Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Deutschland Soldaten in nicht mandatspflichtige Missio- abschätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- nen in der Westsahara, in Kamerun, Tunesien, der Ägäis, schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – in Estland und in Litauen, demnächst auch im Jemen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11587

Dr. Hans-Peter Bartels (A) Zusammen sind das alles in allem 4 000 Männer und die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, die Nachwuchs- (C) Frauen. Tausende weitere Bundeswehrsoldaten sind gewinnung läuft noch nicht rund, wie ich überall höre. dauerhaft im Ausland stationiert in Verbänden, Ausbil- Das kann und muss besser werden. dungseinrichtungen und Hauptquartieren: in den USA, in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Bei der Abfassung dieses Jahresberichts – es ist mein Italien, der Türkei, Portugal, Polen. Zum NATO-Herbst- vierter – habe ich mir überlegt, ob ich noch einmal die manöver nach Norwegen wurden im vergangenen Jahr gleiche alarmierende Botschaft sende: Das bekannte Per- 8 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten verlegt. sonalfehl ist zu groß, die Materiallücken sind riesig, es ist von allem zu wenig da, und mit den Trendwenden geht es Sie alle stehen für das Bild, das man in unseren Bünd- nicht schnell genug. Das gilt alles immer noch für 2018. nissen und weltweit von der Bundeswehr hat. Und dieses Die Statistik über die Klarstände der Hauptwaffensyste- Bild ist ein positives. me hat das in diesen Wochen noch einmal eindrucksvoll bestätigt – mit allen negativen Folgen, übrigens auch für (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die Ausbildung. CDU/CSU und des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber geheim!) Die Bundeswehr steht für Professionalität, Bescheiden- heit, Zuverlässigkeit, kulturelle Sensibilität und Kame- – So ist es. – Aber mein Jahresbericht nicht. Und der sagt radschaftlichkeit. Viele arbeiten sehr gern mit unseren nun doch etwas mehr, nämlich: Viele der Blockaden im Bundeswehrsoldaten zusammen. Ihr Dienst tut dem An- System, die dafür sorgen, dass immer Mangel herrscht sehen und dem Gewicht Deutschlands in Europa und in und dass nichts schnell geht, sind selbstgemacht. Man der Welt gut. Dafür verdienen sie die Anerkennung die- kann sie beiseiteräumen, man kann die Spielregeln än- ses Parlaments: Vielen Dank Ihnen da draußen und Ihnen dern. zu Hause! Die Truppe wartet auf eine neue Kultur der ganzheit- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP lichen Verantwortung. Kommandeure, Chefs und Spieße und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie müssen für das Ganze Verantwortung übernehmen dür- bei Abgeordneten der AfD) fen. Sie wollen das, sie können das. Aber sie dürfen es Ich bin auch dem Bundestag dankbar, dass er sich in nicht: nicht in Personalfragen, nicht in Ausrüstungsfra- besonderer Weise für die Belange seiner Parlamentsar- gen, nicht in Infrastrukturfragen. mee einsetzt – sei es durch umfassende soziale Absi- Alles ist in eigenen speziellen Organisationsbereichen cherung wie etwa mit dem Einsatzversorgungsverbes- (B) weggeschlossen, „zentralisiert“: Förderung, Beförderung (D) serungsgesetz, sei es durch zusätzliche Aufstockung der und Auswahl von Personal zum Beispiel – das macht für Beschaffungsmittel im Verteidigungsetat. Solch zusätz- alle ein zentrales Bundesamt. Fernmeldeanbindung? Ver- liches politisches Engagement ist tatsächlich dringend pflegung? Unterbringung? Sanität? Nachschub? Dafür nötig; denn Überlastung darf kein Dauerzustand werden. gibt es jeweils einen eigenen Organisationsbereich mit Aber tatsächlich heißt „Überlast“ der treue Nebenmann eigenen Vorgesetzten und eigenen Formblättern. Es ist vieler unserer Soldatinnen und Soldaten heute. das Prinzip „Toolbox“ aus früheren Bundeswehrrefor- Ich stelle im Jahresbericht 2018 fest: Erstens. Die Zahl men, aus der Zeit des Schrumpfens. der Bewerbungen für den militärischen Dienst ist rück- ( [CDU/CSU]: Scharping!) läufig. Zweitens. Die Zahl der Neueinstellungen ist stark rückläufig – minus 15 Prozent in 2018. Drittens. Die Dem gegenüber steht heute die Forderung nach ein- Zahl der unbesetzten Dienstposten oberhalb der Mann- satzfähigen organischen Verbänden, die schon im Grund- schaftsebene bleibt konstant hoch – über 20 000 Funk- betrieb so aufgestellt sind, wie sie im Ernstfall kämpfen tionsstellen. Gleichzeitig wird beim Bestandspersonal müssten. Die Kampfform im Grundbetrieb aber – so massiv weiterverpflichtet. Die Verpflichtungszeiten der wird es mir bei vielen Truppenbesuchen mitgegeben – Zeitsoldaten steigen steil an. Das macht aus vielen SaZ ist heutzutage der Kampf mit der Überorganisation, der halbe Berufssoldaten. Darauf passt das alte System mit Kampf mit dem „Bürokratiemonster“. Nachversicherung in der Rentenkasse zum Beispiel aber immer weniger. Wir sollten aufpassen, dass jetzt nicht, ( [CDU/CSU]: So ist das!) ohne bösen Willen, eine Zweiklassenberufsarmee ent- Um es etwas vornehmer auf den Punkt zu bringen: steht. Und übrigens löst auch die beabsichtigte Erhöhung Die hochgerüstete Verantwortungsdiffusion, die überall des Pensionierungsalters der aktiven Berufssoldaten nur vorherrscht, widerspricht militärischer Rationalität, blo- scheinbar die quantitativen Personalprobleme. Denn ers- ckiert das Prinzip des Führens mit Auftrag und untergräbt tens wird die Bundeswehr auf diese Weise immer älter, die Innere Führung. und zweitens kommt die massive Pensionierungswelle dann eben später. Aber sie kommt. Und spätestens dann (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der geht es nicht mehr ohne massive Neueinstellungen. FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Werden wir also in einigen Jahren wieder über eine Nun sind Entscheidungen nötig. Strukturen müssen Auswahlwehrpflicht diskutieren? Um nicht falsch ver- zurechtgerückt werden. Das wird nicht jedem gefallen, standen zu werden: Ich bin dafür, jetzt erst einmal alles aber ein strukturelles Weiter-so würde den Erfolg der für den Erfolg der Freiwilligenarmee zu tun. Noch sind Trendwenden massiv gefährden. 11588 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Hans-Peter Bartels (A) Ich habe in diesem Jahresbericht erneut vorgeschla- Vizepräsidentin : (C) gen, jedem Kommandeur einen Etat für Kleinigkeiten an Herzlichen Dank. – Bevor ich dem nächsten Redner die Hand zu geben. Bisher darf zum Beispiel der Kom- das Wort erteile, möchte ich im Namen des Hauses dem modore eines Taktischen Luftwaffengeschwaders mit Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mit- 3 Milliarden Euro teuren Flugzeugen, einem immobilen arbeitern für die Vorlage des Jahresberichts 2018 und Anlagevermögen von 1 Milliarde Euro und 1 500 Ge- überhaupt für ihre Arbeit danken. schwaderangehörigen im Jahr einen Fonds von 250 Euro selbst verantworten – für Kaffee und Kekse. (Beifall im ganzen Hause) Ich schlage vor, ihm 50 000 Euro im Jahr anzuvertrau- Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär en – für kleine Sofortreparaturen, für Anschaffungen aus Peter Tauber. dem Baumarkt und einfach für das, was er oder sie für (Beifall bei der CDU/CSU) nötig hält, ohne damit zehn weitere Erwachsene in fünf anderen Behörden behelligen zu müssen. Dr. Peter Tauber, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der AfD, desministerin der Verteidigung: der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine NEN) Herren! Herr Wehrbeauftragter, Sie haben es eben in ei- nem Halbsatz gesagt, und deswegen will ich es hier noch Ich weiß, dass in der Regierung inzwischen an einer sol- einmal etwas deutlicher formulieren: Es ist nicht einfach chen Lösung gearbeitet wird. Aber Ergebnis: offen. Jetzt nur der nächste Jahresbericht, den Sie vorlegen, sondern mal im Ernst: Jeder hinhaltende bürokratische Wider- Ihre Institution, die Sie, lieber Herr Bartels, derzeit re- stand dagegen ist vollständig inakzeptabel. präsentieren, begeht den 60. Jahrestag. Sie ist damit nicht Der Jahresbericht 2018 enthält wieder eine Auswahl nur für unser Parlament, sondern für unsere Streitkräfte von Vorgängen, die das menschliche Miteinander in der eine wirklich wichtige – ich darf sagen: unverzichtbare – Bundeswehr beeinträchtigten: unangemessenes Füh- Institution in diesen Jahrzehnten geworden. Deswegen rungsverhalten, Fälle von Mobbing, Sexismus, Rassis- Ihnen und auch allen, die für Sie und mit Ihnen sowie mus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Jeder mit Ihren Vorgängern für unsere parlamentarische Armee konkrete Fall verdient es, ernst genommen zu werden. gestritten haben, ein herzliches Dankeschön. Tatsächlich ist die Bundeswehr die einzige öffentliche (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Institution in Deutschland, die so genau registriert, wel- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) che Normenverstöße es in ihren Reihen gibt, und die sol- (B) Wenn man auf diese 60 Jahre schaut, wird man fest- (D) che Verstöße sanktioniert und versucht, daraus zu lernen. stellen können, dass die Fragen, mit denen Sie und Ihre Erziehung und Persönlichkeitsbildung gehören ele- Vorgänger sich beschäftigt haben, sich verändert haben. mentar zu den Aufgaben der Vorgesetzten. Es gibt das Immer wieder standen andere Aspekte im Fokus. Aber Recht der Wehrbeschwerde, die Disziplinarordnung und eines hat sich nicht verändert: Sie waren stets Fürspre- die Truppendienstgerichtsbarkeit, Vertrauensleute und cher für unsere Soldatinnen und Soldaten und auch Rat- Gleichstellungsbeauftragte, den Militärischen Abschirm- geber für das Ministerium und für das Parlament. dienst und ein inzwischen ziemlich sensibles Meldewe- Und auch der aktuelle Bericht tut genau dies: Er legt sen zur sozialen und inneren Lage in unseren Streitkräf- den Finger in die Wunde. Er mahnt uns, anspruchsvoll zu ten. bleiben bei der Umsetzung der Trendwenden, zu fragen: Und es gibt seit nunmehr 60 Jahren den Wehrbeauf- Geht das nicht noch schneller? Müssen wir ambitionier- tragten mit seinen Möglichkeiten. Es ist meine Pflicht, ter sein? Damit betonen Sie das, was auch die Ministerin genau hinzuschauen, auch wenn es mal lästig fällt. Ei- formuliert hat: Es gibt eben derzeit Licht und Schatten. nige dieser Themen haben schon den Verteidigungsaus- Wir kommen voran, aber nicht so schnell, wie wir uns schuss beschäftigt. Das ist gut so. das selber wünschen. Und wir müssen uns jeden Tag fra- gen, was wir besser machen können. Danken will ich abschließend allen, die mir mit ihren Eingaben und Hinweisen Arbeit gemacht haben. Dank Reicht es, dass jede Woche ein Panzer, jeden Monat auch dem Verteidigungsausschuss, dem Verteidigungs- ein Luftfahrzeug, jedes Jahr ein Schiff kommt, bei den ministerium, unseren Ansprechpartnern in der Truppe großen Lücken, die unsere Streitkräfte beim Material und und schließlich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- der Ausstattung immer noch verzeichnen? Ich glaube, es tern im Amt des Wehrbeauftragten, die für Nachhaltig- ist eine gemeinsame Aufgabe für das Ministerium und keit sorgen, auch wenn manches Thema längst schon das Parlament, sich zu fragen, was wir besser machen wieder von der politischen Tagesordnung verschwunden können. ist. Wir alle tun diese Arbeit im Interesse unseres Landes Traditionell steht beim Wehrbeauftragten aber nicht zum Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten. das Material, sondern stehen die Menschen in der Bun- Vielen Dank. deswehr im Fokus, unsere Soldatinnen und Soldaten, aber sicher auch die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitar- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der AfD, beiter. Und deswegen ist es gut, dass Sie immer wieder der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit uns über das Thema Nachwuchsgewinnung reden. NEN) Das Parlament hat jetzt mit dem Gesetz zur nachhaltigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11589

Dr. Peter Tauber (A) Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bun- und Soldaten jeden Tag bereit sind zu verteidigen. Und (C) deswehr, dem sogenannten Artikelgesetz, mit dem wir deswegen danke ich Ihnen sehr für Ihre Arbeit. eine höhere soziale Sicherheit für Soldatinnen und Sol- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der daten im Alter anstreben, mehr Anreize für Reservisten FDP) setzen wollen, mehr Geld für die freiwillig Wehrdienst Leistenden bereitstellen und bessere Karrierechancen für Unteroffiziere öffnen, einen entsprechenden Weg ein- Vizepräsidentin Petra Pau: geschlagen. Deswegen hoffen wir auf die Zustimmung Das Wort hat der Abgeordnete Elsner von Gronow für dieses Hauses. die AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) Sie haben immer wieder die Bürokratie in der Bun- deswehr beklagt. Und auch da werden wir uns fragen müssen: Welche Vorschrift ist noch notwendig? Viele Berengar Elsner von Gronow (AfD): Vorschriften sind in der letzten Zeit abgeschafft worden. Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir spre- Nur: Weniger Vorschriften bedeuten natürlich in der Tat chen hier über den Bericht des Wehrbeauftragten 2018. mehr Verantwortung. Gleichzeitig begehen wir auch das Jubiläum zum 60‑jäh- rigen Bestehen seines Amtes. Leider kann auch zu diesem Sie haben den Wunsch nach einem Etat für die Kom- runden Geburtstag kein erfreulicher Bericht vorgelegt mandeure angesprochen; der wird kommen. Ich glaube, werden. Ich erspare Ihnen eine neuerliche Benennung dem Gedanken der Inneren Führung und auch der Auf- aller Bereiche, um die es schlecht steht. Betrachtet man tragstaktik folgend ist es richtig, dass wir jedem auf seiner aber die Zahlen im Bericht, wird ganz deutlich, dass die Entscheidungsebene Verantwortung zutrauen, aber auch personelle und materielle Lage der Bundeswehr schlecht zumuten; denn Verantwortung ist etwas Anstrengendes. ist. Betrachtet man die aktuelle Eckwerteplanung, sieht Ich würde mir wünschen, dass wir unseren Umgang mit man, dass das auch für die finanzielle Lage und den jemandem, der einen Fehler macht, egal ob im zivilen entsprechenden Ausblick gilt. Man muss also zu dem oder militärischen Strang unserer Streitkräfte, kritisch Schluss kommen, dass von den großartigen Ankündigun- prüfen. Haben wir da die richtige Kultur, sodass jemand gen zur Verbesserung der Ausstattung der Bundeswehr auch nach dieser Verantwortung greift, sie annimmt, sie nicht viel übrig bleibt. Im Gegenteil: Alle drei sogenann- fordert? Da bin ich nicht so sicher. Das eine bedingt aus ten Trendwenden sind gescheitert. meiner Sicht das andere, das hat auch etwas mit Vertrau- Schon lange war der desolate Zustand der Bundes- en und am Ende mit Innerer Führung zu tun. wehr bekannt; aber durch das freundliche Desinteresse (B) vieler Deutscher, die Aussetzung der Wehrpflicht und (D) Ein Beispiel für das Thema Bürokratieabbau: Wir ha- eine Kanzlerin, die nicht in militärischen Dimensionen ben über das Bewerbungsverfahren und die Einstellung denkt, in die Streitkräfte immer wieder diskutiert. Der Perso- nalbogen ist inzwischen von 10 auf 4 Seiten reduziert (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE worden, die Bewerbungsunterlagen von 13 auf 7 Seiten. GRÜNEN]: Zum Glück!) Und wahrscheinlich werden wir uns das bei Gelegenheit bedurfte es erst der Krim-Krise, um den Utopisten, die wieder anschauen müssen: Vielleicht finden wir noch nach dem Ende des Kalten Krieges eine immerwährende eine weitere halbe Seite, die wir herausstreichen können. Epoche des Friedens erwarteten, in der man keine Streit- Das nur als Beispiel für das, was wir künftig auf den Weg kräfte mehr bräuchte, die Augen zu öffnen. Die NATO bringen wollen. erlebte eine Revitalisierung, und so wurde schon 2014 übereingekommen, auch mit Deutschland, dass es not- Es gäbe noch viel zu sagen zu Ihrem Einsatz gegen wendig sei, 2 Prozent des BIP für Verteidigung auszuge- Extremismus in unseren Streitkräften. Ich bin froh und ben, um seinen Anteil am Verteidigungsbündnis leisten dankbar, dass wir uns einig sind, dass 99 Prozent unserer zu können. Das wurde später bekräftigt und zuletzt von Soldatinnen und Soldaten treu und ihrem Eid gemäß die- US-Präsident Trump noch einmal deutlich eingefordert, nen. Ich bin froh und dankbar, dass Sie Ansprechpartner indem er sagte, dass es endlich an der Zeit sei, dass wir sind, nicht nur für die Männer und Frauen in den Streit- selbst wieder Verantwortung für unsere Sicherheit über- kräften, sondern auch für das Ministerium und das Par- nehmen und uns nicht mehr bequem auf die Militärmacht lament, für die gesamte Regierung, auch für den Finanz- der USA als Garanten unserer Sicherheit in Deutschland minister, wenn es um die Frage geht, ob wir genügend und in Europa verlassen dürften. Das hat bei den Verstän- finanzielle Mittel bereitgestellt bekommen, um unseren digeren in unserem Land zur Einsicht geführt, dass eine Auftrag zu erfüllen. Instandsetzung unserer Bundeswehr im vitalen Interesse unseres Landes liegt. Dass es der Rest auch noch ver- Am Ende – und das ist mein letzter Satz – verkörpern steht, daran müssen wir dringend arbeiten. Sie, wie ich persönlich finde, einen wesentlichen Gedan- ken der Inneren Führung. Baudissin hat es so formuliert: (Beifall bei der AfD) Der Soldat muss in den Streitkräften das erleben, was er Die Symptome politisch erzeugter sozialer Missstän- tapfer verteidigen soll. – Sie sind ein Baustein der frei- de in unserem Lande mit vielen Milliarden kaschieren heitlichen Demokratie, der offenen Gesellschaft, der zu wollen, statt grundlegende Reformen anzugehen, und Werte und der Art, wie wir leben, die unsere Soldatinnen darüber die Ausgaben für unsere äußere Sicherheit nicht 11590 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Berengar Elsner von Gronow (A) mehr leistbar zu machen, ist ein fataler Fehler. Denn was den. Deutschland wird trotz vieler Forderungen aus dem (C) nützt am Ende alle soziale Versorgung ohne Freiheit? Das Ausland seiner wichtigen Rolle in Europa und der Welt können nur Sozis wollen. Und unsere Freiheit, Souverä- nicht gerecht. nität und Selbstbestimmung kann aber nur eine wehrwil- lige und wehrfähige Gesellschaft mit ihren Streitkräften Ich kürze ab: Wir sehen hier ein weiteres Versagen des garantieren. Staates bei seiner vornehmsten Aufgabe: dem Schutz sei- ner Bürger. Das, meine Damen und Herren, ist ein Trau- (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was ver- erspiel. Leider fehlt bei allen Parteien außer der AfD der steht der eigentlich von Freiheit?) glaubhafte politische Wille, das zeitnah und nachhaltig Denn, meine Damen und Herren, jedes Land hat Streit- zu ändern. Wer also Sicherheit, Souveränität und Freiheit kräfte, fremde oder eigene. für Deutschland will, wählt AfD. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN]: Nein! Island nicht zum Beispiel!) (Beifall bei der AfD – Tobias Pflüger [DIE Alle anderen Annahmen sind leider utopisch und welt- LINKE]: Um Gottes willen!) fremd. Wer also für die Freiheit ist, wird, ob als Politiker, Bürger oder Steuerzahler, mithelfen, die Bundeswehr Vizepräsidentin Petra Pau: endlich wieder in den Stand zu versetzen, ihre Aufgabe Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Karl-Heinz Brunner vollumfänglich erfüllen zu können, Schild und Schutz das Wort. unserer Heimat zu sein. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Henning (Beifall bei der AfD) Otte [CDU/CSU]) Mir tun immer diejenigen leid, die den Zustand der Bundeswehr nicht zu verantworten haben, aber lächelnd Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): tolle Entwicklungen verkünden müssen. Leid tun mir Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten auch die Soldaten, die die Folgen der miserablen Aus- Damen und Herren! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! rüstung ausbaden müssen. Kürzlich sagte ein amerikani- Es gibt Ereignisse im Laufe eines Jahres und eines Le- scher Offizier über das Großmanöver „Trident Juncture“ bens, die schön sind. Und es gibt Ereignisse, die sind we- zu mir: Die Deutschen mussten liefern, und sie haben ge- niger schön. Zu den schönen Ereignissen zählen wir Ge- liefert, hervorragend geliefert. – Wenn ich so etwas höre, burtstage, Sommerurlaub am Mittelmeer, in den Bergen bin ich stolz auf die Leistung unserer Soldaten, die mit oder Ähnliches, zu den weniger schönen den Geburtstag hohem persönlichen Einsatz andauernd versuchen müs- (B) der nervigen Schwiegermutter – um nur einige Beispiele (D) sen, die Missstände bei der Materiallage zu kompensie- zu nennen. ren. Dass aber für solch ein Manöver oder für solche Ein- sätze und einsatzgleiche Verpflichtungen Material aus (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und allen Teilen der Bundeswehr zusammengeklaubt werden der CDU/CSU) muss, ist ein Armutszeugnis und darf nicht der Anspruch Herr Wehrbeauftragter, mein lieber Herr Bartels, ich an die Ausstattung unserer Streitkräfte sein. will eines klarstellen: Ich will Sie weder zur Schwie- Das in absehbarer Zeit zu ändern, wird viel Geld kos- germutter haben, noch halte ich Sie für nervig. Aber die ten, selbstverständlich; aber es ist notwendig. Die Welt Vorstellung Ihres Berichts ist für uns Abgeordnete ein wird immer unsicherer. Zahlreiche Konflikte bestehen Termin, bei dem wir nicht genau wissen, was auf uns schon oder zeichnen sich am Horizont ab. Und was ist zukommt. Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die Reaktion der Bundesregierung? Sie reduziert die pro- zumal die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, ha- zentualen Ausgaben für unsere Verteidigungsfähigkeit. ben das ganze Jahr über, wie Sie auch, die Fühler aus- Ist das zu fassen? Es ist doch nicht zu viel verlangt, von gestreckt: bei Truppenbesuchen, bei Gesprächen mit den 1 Euro, den die Bundesregierung ausgibt, 2 Cent für un- Soldatinnen und Soldaten, mit Reservistinnen und Reser- sere Sicherheit auszugeben. visten, bei Auslandsreisen, bei Inlandsreisen. Wir versu- chen, zu ergründen, wo bei der Truppe der Schuh drückt Die Finanzplanung spricht aber eine andere Sprache: und was wir tun können. Statt der angepeilten 2 Prozent des BIP gibt die Regie- rung 1,5 Prozent zum Ziel aus. Und selbst das Erreichen Wir wollen aber auch wissen, was gut läuft. Denn die- dieser 1,5 Prozent ist in der aktuellen Planung nicht ab- se Eindrücke sind für uns, für unsere Arbeit enorm wich- zusehen. Im Gegenteil: Der Ansatz wird geringer. Berei- tig. Verglichen mit dem, was Sie, Herr Wehrbeauftragter, nigt man ihn dann noch um verschiedene Faktoren wie an Meldungen aus der Truppe erhalten, ist das, was wir tarifliche Lohnerhöhungen, Inflation, Kostensteigerung Abgeordnete tun können, auch wenn wir 709 sind, doch und andere, sieht die Bilanz noch verheerender aus. Maß- eher bescheiden. 2 600 Eingaben haben Sie in 2018 er- gebliche und dringend notwendige Maßnahmen und Be- halten und bearbeitet; die Eigeninitiativen kommen noch schaffungen der Bundeswehr werden so nicht finanziert. dazu. Die Masse an Eingaben formt den Bericht des Aber unsere Außen- und Sicherheitspolitiker stellen sich Wehrbeauftragten Jahr für Jahr zu einem facettenreichen überall hin und propagieren: Wir stehen zu unseren Zu- Bild, das die aktuelle Lage der Truppe, die aktuelle Lage sagen. Wir halten uns an unsere Vereinbarungen. – Das über die Truppe, die Sicht in die Truppe veranschau- ist keine ehrliche Politik. So sind wir als Bündnis- und licht. Das ist für unsere Arbeit im Parlament von großem Kooperationspartner zunehmend unglaubwürdig gewor- Wert und ist auch für die interessierten Bürgerinnen und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11591

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Bürger, nicht nur hier auf den Tribünen, sondern auch an die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben (C) in unserem Land, eine wichtige Informationsquelle. Das und leisten gute Arbeit! ist quasi ein Seismograf für das Parlament und die Bür- gerinnen und Bürger. Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wir diskutieren hier und Auf der anderen Seite ist das offene Ohr des Wehr- heute über die Bundeswehr und die Frage, ob und wie sie beauftragten für die Soldatinnen und Soldaten von gro- ihrem Auftrag gerecht wird. Leider, so muss man sagen, ßer Bedeutung. In Gesprächen höre ich immer wieder, zeigt der Bericht des Wehrbeauftragten wieder einmal wie wichtig es für die Soldatinnen und Soldaten ist, zu mehr Schatten als Licht. Vieles davon ist in den letzten wissen, dass neben den Meldungen über den regulären Tagen und Wochen bereits in der Presse diskutiert wor- Dienstweg auch eine wahrhaftig unabhängige Stelle ihre den. Deshalb möchte ich im Wesentlichen drei Punkte Anliegen aufnimmt, in jährlichen Berichten wiedergibt ansprechen. und Lösungen anbietet. Deshalb erkläre ich jungen Men- Erstens: den Rechtsextremismus. Seit 2016 hat sich schen, wenn sie zu Besuchen in den Deutschen Bundes- die Zahl meldepflichtiger Ereignisse um 100 auf 170 er- tag kommen, dass unser Grundgesetz, das wir haben, höht. Das heißt zwar nicht, dass sich das Problem in zwei wohl das Beste ist, was uns jemals in unserer Geschichte Jahren verdoppelt hat. Es mag auch an mehr Sensibilität gelungen ist. Und ich füge hinzu: Die Schaffung des Am- und Bewusstsein in der Truppe und in der Gesellschaft tes des Wehrbeauftragten – gestatten Sie mir, Herr Wehr- liegen, derartige Vorkommnisse dem Wehrbeauftragten beauftragter, das zu sagen – ist das Zweitbeste; denn die zu melden. Wie dem aber auch immer sei: Rechtsextre- Kategorie „das Beste“ ist bereits für das Grundgesetz me Bewegungen sind absolut indiskutabel. Wir, meine vergeben. sehr verehrten Damen und Herren, die Abgeordneten Auf diese Institution des Grundgesetzes können wir des Deutschen Bundestags, erkennen sehr wohl an, dass stolz sein. In kaum einem anderen Land dieser Erde gibt der Wehrbeauftragte dies erkannt hat und dass das Mi- es eine vergleichbare, verfassungsrechtlich abgesicherte nisterium sich des Problems bewusst ist und reagiert. und ausschließlich den Streitkräften gewidmete Instanz. Gleichwohl liegt noch einiges an Wegstrecke vor uns; In diesem Jahr – es wurde bereits vom Wehrbeauftragten denn nicht nur Verurteilung, Dienstentlassung und Waf- und vom Parlamentarischen Staatssekretär Tauber ange- fenentzug oder dauerhafte Versetzung können im Mittel- sprochen – begehen wir das 60-jährige Bestehen der In- punkt stehen. Es muss auch einbezogen werden, dass der stitution des Wehrbeauftragten, und – ich sage dies als Gedanke, dass die Bundesrepublik überwunden werden Sozialdemokrat mit Stolz – es war Ernst Paul, sozialde- soll und andere die Macht übernehmen wollen, in der mokratischer Abgeordneter, der die Idee aus dem schwe- Bundeswehr nichts verloren hat. (B) dischen Exil zu uns gebracht hat und das schwedische (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) Modell des dortigen Militärombudsmanns bei uns ver- fassungsrechtlich verankern ließ. Das Zweite, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Thema, das mich als wehrpolitischer Sprecher (Beifall bei Abgeordneten der SPD) meiner Fraktion berührt. Noch immer werden homose- xuelle oder transsexuelle Soldatinnen und Soldaten in der Der Artikel 45b wurde schließlich 1959 nach intensi- Truppe von Einzelnen diskriminiert, glücklicherweise ven Debatten ins Grundgesetz aufgenommen und steht nicht mehr so schlimm wie vor 20 Jahren. Und glückli- heute wie selbstverständlich für das Selbstbild der Bun- cherweise hat das Bundesministerium der Verteidigung deswehr als Parlamentsarmee. Sie agiert auf Beschluss sich nunmehr, auch nach den Interventionen des Gleich- des Bundestages, und wir, die Mitglieder dieses Parla- stellungsbeauftragten und des Wehrbeauftragten, auf den ments, tragen die Verantwortung für die Soldatinnen und Weg gemacht und eine entsprechende Anweisung erstellt, Soldaten, sei es hier in Deutschland, in Mali, in Afgha- die es ermöglicht, dass auch dieser Personenkreis unge- nistan, im Baltikum oder wo auch immer in dieser Welt. stört seinen Dienst in der Bundeswehr ausüben kann. Ich Gestatten Sie mir, meine sehr verehrten Damen und glaube, dies ist der richtige Weg. Diesen Weg und diesen Herren, eine Zwischenbemerkung. Verantwortung für Leitfaden gilt es weiter zu verfolgen. die Truppe bedeutet auch respektvoller und würdevoller Drittens. Der letzte Punkt, den ich anfügen möchte, Umgang mit den Angehörigen der Bundeswehr. Insofern ist die Seelsorge. Ich freue mich, dass es nunmehr ge- ist es natürlich sinnvoll – dies sage ich an dieser Stel- lungen ist, auf Anregung einen Militärrabbiner in die le ausdrücklich –, dass Jugendoffiziere der Bundeswehr Bundeswehr zu integrieren; denn mit den Militärrabbi- mit den Schülerinnen und Schülern dieses Landes über nern und dem durch die Militärrabbiner durchgeführten die Sicherheitspolitik und den Auftrag der Bundeswehr lebenskundlichen Unterricht können wir genau dem ent- diskutieren. gegenwirken, dem wir entgegenwirken wollen: Antise- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der mitismus, Antiislamismus, Intoleranz und Rechtsextre- FDP) mismus. (Beifall bei der SPD) Aber dass es sich um zwei Paar Schuhe handelt, näm- lich die Information über die Bundeswehr einerseits und Den Bereich des Personals und die Strukturverände- die Werbung für den Dienst an der Waffe andererseits, rungen, die notwendig sind, hat der Wehrbeauftragte zu ist offensichtlich in diesem Land und manchmal auch in Recht angesprochen. Ich appelliere an die Ministerin, die diesem Haus noch nicht jedem ganz klar. Halten wir uns heute durch Staatssekretär Tauber vertreten wird: Nutzen 11592 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Sie die Masse an Informationen, um den Alltag der Sol- Untersuchungsausschuss zu den Beraterverträgen gerade (C) datinnen und Soldaten zu verbessern. Nutzen Sie diese sehen, wie viele, wenn es um Verantwortung geht, gar Informationen, um Strukturen und Abläufe zu verbes- nicht schnell genug hinter den nächsten Busch sprin- sern. gen können und das auch noch juristisch super erklären. Wirklich famos! Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Tobias Kollege Brunner, Sie müssen bitte zum Schluss kom- Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) men. Meine Damen und Herren, gerade weil die Wehr- pflicht ausgesetzt wurde, was wir als Freie Demokraten (SPD): Dr. Karl-Heinz Brunner mitgetragen haben, gerade weil wir eine professionelle Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ste- Armee wollten, muss der Anspruch natürlich bleiben, hen gerne bereit. Wir werden das unterstützen, was der Profis auch professionell auszurüsten. Truppe hilft. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Alles andere wäre wirklich fatal. Die Aussetzung der der CDU/CSU) Wehrpflicht hat auch dazu geführt hat, dass in vielen Fa- milien die Selbstverständlichkeit, dass Sohn oder Tochter zur Bundeswehr gehen, nicht mehr gegeben ist. Umso Vizepräsidentin Petra Pau: wichtiger ist es, das den Menschen immer wieder klar- Das Wort hat die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-­ zumachen. Zimmermann für die FDP-Fraktion. Lassen Sie mich dazu noch zwei Dinge sagen: Es ist (Beifall bei der FDP) empörend und auch nicht nachzuvollziehen, dass die So- zialdemokratie in Berlin Jugendoffizieren die Möglich- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): keit verwehrt, an Schulen zu gehen. 61 Jahre und eine nette Schwiegermutter. (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei (Heiterkeit – Beifall der Abg. Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Bernd [FDP] und Dr. Franziska Brantner [BÜND- Baumann [AfD]: Das ist allerdings wahr!) NIS 90/DIE GRÜNEN] – Swen Schulz Das ist unvorstellbar absurd. Ich glaube, Sie haben zu [Spandau] [SPD]: Na ja!) (B) viel Westernfilme gesehen. Das ist nicht dazu da, um (D) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Leute zur Bundeswehr zu bringen. Das ist dazu da, jun- Herren! 60 Jahre Wehrbeauftragter. An dieser Stelle gen Menschen klarzumachen, welchen Wert eine Armee möchte ich sagen: Sie, Herr Bartels, und Ihr Team ma- in einer Gesellschaft hat. Sie machen die Türe zu. chen einen tollen Job. Ich danke Ihnen dafür, auch im Namen einer coolen Truppe, die die Bundeswehr ist. Der ( [SPD]: Eben nicht! – Wehrbeauftragte übt die parlamentarische Kontrolle im Martin Reichardt [AfD]: Das ist ein Skandal!) Bereich der Bundeswehr aus. Er wacht darüber, dass die Ich weiß, dass einige bei Ihnen das peinlich finden; aber Grundrechte der Soldaten eingehalten werden. Das war es ist Ihre Partei. nicht immer selbstverständlich. Vor 60 Jahren, als diese Aufgabe eingeführt wurde, war sie umkämpft. Die Bun- Der Gruselfaktor kann ja gar nicht sinken, wenn man deswehr war eine junge Armee. Es gab noch Offiziere, an das Interview denkt, dass gestern Abend die Justiz- die in der Wehrmacht sozialisiert waren. Umso wichtiger ministerin der Bundesrepublik Deutschland – das muss ist es, dass es heute diese Institution gibt; denn Bundes- man sich auf der Zunge zergehen lassen – Russia Today, wehr – das muss man immer wieder sagen – ist Teil die- abgekürzt RT, gegeben hat. Vielleicht hat sie es mit der ser Gesellschaft, ist Spiegelbild dieser Gesellschaft mit kleinen Tochter von RTL verwechselt – ich weiß es nicht. allem, was Sie gerade sagten, Herr Bartels: mit Sorgen, Problemen, Nöten. (Heiterkeit bei der FDP, der CDU/CSU und der AfD – Thomas Hitschler [SPD]: Sie soll- Die gute Nachricht ist ja, dass dies transparent dar- ten sich die Aussagen von Frau Nahles dazu gestellt wird, dass im besten Fall darauf eingegangen anhören!) werden soll. Jetzt komme ich natürlich auf den Bericht des Wehrbeauftragten, den zu lesen jedes Jahr interessant Es geht mir nicht darum, dass sie ihre Nähe zu Russland ist. Er ist spannend geschrieben. Nur reibt man sich ein betont hat. Geschenkt! Das machen unsere linken und wenig die Augen, wenn man das liest und als Reaktion rechten Freunde ja von morgens bis abends. darauf immer hört: Es wird alles besser. – Bei dem gan- (Thomas Hitschler [SPD]: Kubicki zum Bei- zen Gedöns, was alles nicht kommt, hat man das Gefühl, spiel! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: dass es gut war, dass wir darüber gesprochen haben. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen Aber die Bundesregierung, lieber Herr Tauber, reagiert werfen!) schleppend, wenn es darum geht, Dinge zu regulieren. Herr Bartels sprach gerade von Verantwortung. Ja, auch Viel schlimmer ist, dass sie bei Russia Today der Bun- die Bundesregierung hat Verantwortung. Wir können im deswehr mit gestrecktem Bein in den Rücken gefallen ist, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11593

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) indem sie nämlich gesagt hat: Es gibt nicht mehr Geld, Ein Hauptgefreiter spielte im Beisein von Kame- (C) wir wollen nicht aufrüsten. raden rechtsextremistische Musik ab. Darüber hi- naus war auf seinem Facebook-Profil ein Wehr- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der machtspanzer mit folgender Kommentierung zu AfD – Thomas Hitschler [SPD]: Das ist Popu- sehen: „Das Gefühl, wenn Du mit Deinem Tiger- lismus, wirklich! Unterirdisch!) panzer über 20 Nafris gefahren bist, ist unbezahlbar. Liebe Sozialdemokratie, ich weiß, es kann einem in Manche Dinge kann man selbst machen, für alles der Partei schlecht gehen; aber Sie sollten an dieser Stelle andere gibt es die SS.“ unbedingt Rückgrat bewahren. Meine Damen und Herren, das ist absolut inakzeptabel. (Thomas Hitschler [SPD]: Und Sie sollten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- bei der Wahrheit bleiben! – Martin Reichardt neten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und [AfD], an die SPD gewandt: Das habt ihr noch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nie gehabt! Rückgrat, das kennt ihr gar nicht!) In dem Bericht werden weitere Fälle aufgeführt. Das Es ist unsäglich, was Sie hier abziehen. zeigt, es war kein Einzelfall. Das Problem, das ich sehe, (Beifall bei der FDP – Thomas Hitschler ist, dass es in dem Bericht so erscheint, als gäbe es nur [SPD]: Billiger Wahlkampf!) eine Kette von Einzelfällen. Beispielsweise wird die Gruppe um den ehemaligen KSK-Soldaten „Hannibal“ nicht erwähnt, auch nicht der Problemkomplex Uniter, Vizepräsidentin Petra Pau: obwohl diese Phänomene letztes Jahr, also im Berichts- Das Wort hat die Kollegin Christine Buchholz für die jahr, aufgetaucht sind. Wenn die Dimension von Rechts- Fraktion Die Linke. extremismus in der Bundeswehr nicht erkannt wird und auch die Vernetzung nicht beschrieben und gesehen wird, (Beifall bei der LINKEN) dann kann man den Rechtsextremismus nicht erfolgreich bekämpfen, weder in der Bundeswehr noch im Parlament Christine Buchholz (DIE LINKE): noch in der Gesellschaft. Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bartels! Liebe (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wehrbeauftragten! [AfD]: Das müssen ja die Linksextremisten Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Debatte gerade fordern!) zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten drei Themen fokussieren: erstens die Schikane in der Ausbildung bei Hier wurde schon über den Beschluss der Berliner (B) der Bundeswehr, zweitens rechtsextreme Umtriebe, drit- SPD zum Thema „Bundeswehr in der Schule“ diskutiert. (D) tens das offenbar sehr emotionale Thema „Bundeswehr Wir finden, er ist gut, geht allerdings nicht weit genug. an Schulen“. (Beifall bei der LINKEN) Im Juli 2017 brachen bei einem Gewaltmarsch in sengender Hitze in Munster sechs Soldaten zusammen. Ich möchte ihn zitieren: Vier mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden, ei- Es wird militärischen Organisationen untersagt, an ner starb. Jonas K. wäre am letzten Sonntag 23 Jahre alt Berliner Schulen für den Dienst und die Arbeit im geworden. Ich kann nicht verstehen, dass die Staatsan- militärischen Bereich zu werben. waltschaft die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung eingestellt hat. Das kann nicht angehen. Ich verstehe nicht, warum hier die ganze Zeit über Ju- gendoffiziere gesprochen wird. Die Berliner SPD hat ja (Martin Reichardt [AfD]: Dafür haben wir un- auch klargestellt: Es geht um Karriereberater. – Wir sind abhängige Gerichte! Das ist nun einmal so! – der Meinung, dass weder Karriereberater noch Jugendof- Gegenruf des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner fiziere in den Schulen etwas zu suchen haben, [SPD]: Die Staatsanwaltschaft ist nicht unab- hängig!) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, das wissen Es kann nicht sein, dass eine Gesellschaft mit Opfern ei- wir! Das sagen Sie ja in jeder Ratssitzung in ner unmenschlichen Ausbildungspraxis so umgeht. jeder Stadt! – Martin Reichardt [AfD]: Wie (Beifall bei der LINKEN) war das eigentlich in der DDR? Da war doch das noch anders, oder? Da war es nämlich Es kann auch nicht sein – das lese ich im Bericht des eine sozialistische Armee, und die ist Ihnen ja Wehrbeauftragten –, dass im vergangenen Jahr wieder recht!) drei Fälle überzogener Härte in der Ausbildung aufgetre- ten sind. Damit muss Schluss sein. weil es ja Instanzen gibt, die für politische und auch si- cherheitspolitische Bildung an den Schulen zuständig (Beifall bei der LINKEN) sind, und zwar die Lehrerinnen und Lehrer. Es ist ihre originäre Aufgabe, nicht die von Bundeswehrsoldaten. Es gab im Berichtsjahr – es ist auch von Herrn Bartels berichtet worden – einen sehr hohen Stand meldepflich- (Beifall bei der LINKEN – Thomas Hitschler tiger Ereignisse im Zusammenhang mit Rechtsextremis- [SPD]: Sie können die Bundeswehr einladen, mus. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: wenn sie wollen, und das ist auch gut so!) 11594 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Christine Buchholz (A) Ich glaube, es geht bei der Debatte um Jugendoffi- Es kommt immer wieder der Ruf nach mehr Geld, (C) ziere und Karriereberater um etwas ganz anderes: Zum nach 1,5 Prozent oder 2,0 Prozent. Herr Elsner von Gro- einen will man eine Normalisierung des Militärischen now, Sie haben vorhin hier an diesem Pult gesagt, es sei im Alltag erreichen. Zum anderen hat die Bundeswehr doch nicht zu viel verlangt, „von 1 Euro, den die Bundes- ein Rekrutierungsproblem. Insofern geht es letztendlich regierung ausgibt, 2 Cent“ für das Militär auszugeben. doch um Werbung und Rekrutierung. Wir glauben nicht, Das wären dann nur 7,1 Milliarden Euro – wir haben dass Militärpropaganda zu diesem Zweck an den Schu- es mal nachgerechnet. Sie haben vermutlich die Wirt- len etwas zu suchen hat. Wir sind der Meinung, dass die schaftsleistung gemeint. – Das zeigt doch, meine Damen Bundeswehr an den Schulen nichts zu suchen hat. und Herren, dass diese ganzen Debatten um irgendwel- che Prozentzahlen ziemlich abstrakt, beileibe ziemlich Vielen Dank, meine Damen und Herren. absurd sind. (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [AfD]: Vielleicht haben Sie auch an Schulen nichts zu suchen! Es ist eine Schande, was hier Es muss doch in Wahrheit darum gehen, was bei den Sol- erzählt wird! So ein Unsinn!) datinnen und Soldaten ankommt, damit sie den Auftrag, den wir ihnen geben, adäquat erfüllen können. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Wort hat der Kollege Dr. Tobias Lindner für die sowie bei Abgeordneten der SPD) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich will einen weiteren Punkt nennen. Herr Parla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mentarischer Staatssekretär Dr. Tauber, Sie haben hier an diesem Pult über Fehlerkultur gesprochen. Wir haben in dieser Woche leider wieder ein Beispiel dafür erleben (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dr. Tobias Lindner müssen, wie eine Fehlerkultur eigentlich nicht aussehen Vielen Dank, geschätzte Frau Präsidentin. – Sehr ge- sollte. Wir haben in dieser Woche in den Gremien, im ehrter Herr Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss, erörtert, wie Kollegen! Natürlich bietet die Debatte zum Jahresbe- es eigentlich zu dem ganzen Sanierungsdesaster um die richt immer eine Gelegenheit, dankzusagen, erst recht, „Gorch Fock“ kommen konnte. Da hatte sich ein Refe- wenn das Amt des Wehrbeauftragten – eine Institution ratsleiter bei der Erstellung einer Entscheidungsvorlage sui generis, wie man in Verfassungsrechtskommentaren für die Ministerin ein Herz gefasst. Er hat, als die Sanie- nachlesen kann – 60 Jahre alt wird. Ich will im Namen rungskosten steigen sollten, in die Vorlage reingeschrie- (B) unserer Fraktion nicht nur Ihnen, Herr Bartels, ganz per- ben, dass sein Referat empfiehlt, die Instandhaltung (D) sönlich und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres abzubrechen und zu untersuchen, ob nicht vielleicht ein Amtes, die die Eingaben bearbeitet und in Teilen dann Neubau eines Segelschulschiffs die wirtschaftlichere und auch dem Parlament zugeleitet haben, danken. Ich will für die Truppe bessere Lösung wäre. heute an dieser Stelle auch allen Soldatinnen und Solda- ten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr danken, die (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und da hat sich im vergangenen Jahr teilweise ein Herz haben fassen der Wehrbeauftragte widersprochen!) müssen, um eine Eingabe beim Wehrbeauftragten zu ma- chen. Ich will ihnen zurufen: Diese Eingaben sind alles Und was macht dann die Führung des Hauses, was macht andere als sinnlos. Nein, die Bundeswehr ist eine Parla- der heutige Staatssekretär Zimmer? Er streicht diese Be- mentsarmee, meine Damen und Herren, und deswegen merkung des Referats einfach aus der Vorlage für die sind sie elementar für unsere Arbeit hier im Deutschen Ministerin heraus. Das, meine Damen und Herren, hat Bundestag. nichts mit einem offenen Diskurs im Verteidigungsmi- nisterium zu tun, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Wenn wir uns den Jahresbericht 2018 anschauen, dann muss man festhalten – das ist schon erwähnt worden –: und es hat erst recht nichts mit Fehlerkultur zu tun. Die Themen sind ähnliche wie in den Vorjahren. Das Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie, lieber Herr deutet natürlich darauf hin, dass die vielen angekündig- Bartels, nachdem Sie ja schon vom Kollegen Brunner ten Trendwenden – da ist man immer froh, dass dieses mit einer nervigen Schwiegermutter verglichen worden Pult hier Haltegriffe hat, weil man schon fast ins Dre- sind, abschließend nur bitten: Nerven Sie uns weiter, ner- hen kommt, wenn man hört, was die Ministerin alles als ven Sie uns auch mal mit Dingen, die wir vielleicht nicht Trendwende ankündigt – nur einen sehr geringen Nieder- alle teilen; denn nur, wer nervt, wird am Ende des Tages schlag in der Realität finden. Ich will Ihnen ein Beispiel gehört. Manchmal ist es eben so, dass gewisse unbeque- nennen: Wenn im Jahresbericht beim Thema Bekleidung me Wahrheiten einem auf die Nerven gehen. In diesem als Fortschritt bei der Truppe aufgeführt ist, dass Solda- Sinn: Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. tinnen und Soldaten künftig sechs statt fünf Kurzarmun- terhemden haben, dann frage ich mich, was der Anspruch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Ministeriums an eine zeitgemäße Ausstattung unse- sowie bei Abgeordneten der SPD und des rer Soldatinnen und Soldaten ist. Abg. [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11595

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Sanierung und Anpassung der Standards bei den Kaser- (C) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin nen und Unterkünften. Ich stimme dem Wehrbeauftrag- Anita Schäfer das Wort. ten diesbezüglich aber zu, dass es gerade beim Thema Infrastrukturprojekte eines Innovationsschubes bedarf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Dr. Marie-Agnes­ Weiteren Schub brauchen wir auch bei der Digitali- Strack-Zimmermann [FDP]) sierung. Das bedeutet nicht nur WLAN in den Kasernen. Wir müssen grundsätzlich unsere Cyberfähigkeiten wei- ter ausbauen. Russland und China sind hier extrem ak- (Saalstadt) (CDU/CSU): Anita Schäfer tiv. Das Kommando Cyber- und Informationsraum ein- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr zurichten, war da ein vollkommen richtiger Schritt. Wir Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! brauchen aber nicht nur defensive Fähigkeiten, sondern Letzte Woche haben wir im Verteidigungsausschuss das auch offensive. Wir müssen Angreifern auf Augenhöhe 60-jährige Bestehen des Amtes des Wehrbeauftragten begegnen. gewürdigt. Meine Fraktion und ich danken Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeitern sehr herzlich Zum Schluss möchte ich daran erinnern, dass im für das engagierte Arbeiten in den ganzen Jahren. Jahr 2018 viele Frauen und Männer in mandatierten Auslandseinsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen Den meisten von uns ist der Wehrbeauftragte vor allem gedient haben. Sie waren im Kosovo, in Mali oder in Af- durch seinen jährlichen Bericht bekannt, dessen Ausgabe ghanistan oder beispielsweise auch bei der NATO-Übung für das Jahr 2018 wir heute debattieren. Aus dem Bericht „Trident Juncture“ in Norwegen im vergangenen Herbst. ist erkennbar, dass wir uns derzeit an einem kritischen Die Bundeswehr leistet dort und daheim konstant groß- Punkt befinden. Die für die Bundeswehr sehr wichtigen artige Arbeit. Dabei braucht sie aber auch unsere Unter- Trendwenden Material und Personal wurden durch die stützung. Es bedarf nicht nur schöner Worte, sondern vor Bundesministerin von der Leyen angestoßen. allem einer gesicherten und belastbaren Finanzierung – Die Trendwende Finanzen steht jedoch mittelfris- über 2019 und 2020 hinaus. tig auf der Kippe. Vor einer Woche haben wir 70 Jahre Danke. NATO gefeiert, und auf internationaler Ebene kam es er- neut zu kontroversen Diskussionen; denn die Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- publik muss zu ihrer Verantwortung im Bündnis stehen, ordneten der SPD) gemachte Zusagen einhalten und den Verteidigungshaus- halt angemessen ausstatten. Der Wehrbeauftragte be- Vizepräsidentin Petra Pau: (B) mängelt in seinem Bericht zu Recht, dass beim Material Das Wort hat der Abgeordnete Mario Mieruch. (D) noch immer große Lücken vorherrschen. Und genau da verkündete der Bundesfinanzminister ein Absenken des (fraktionslos): Verteidigungshaushaltes bis 2023, Mario Mieruch Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr ( [DIE LINKE]: Das war ein Dr. Bartels! Sehr geehrte Damen und Herren! Leben am Beschluss der Bundesregierung!) Ressourcenlimit, die Luftwaffe auf dem Tiefpunkt ihrer und das, obwohl wir alle es täglich in den Nachrichten Geschichte, stockende Großprojekte, Vollausstattung sehen und hören: Die weltweite Sicherheitslage ver- erst 2031 – vielleicht. Allein die ersten zehn Seiten des schlechtert sich zusehends. CDU und CSU wollen, dass Berichts des Wehrbeauftragten listen einen so maroden die Bundesrepublik und mit ihr die Bundeswehr in der Zustand unserer Bundeswehr auf, dass man am liebsten Lage sind, mit diesen Veränderungen umzugehen. Das aufhören möchte, zu lesen. Aber das ist nicht neu. Wir Verteidigungsministerium hat folglich in den letzten Jah- kennen die Defizite bei den großen Projekten hinläng- ren den Umfang der Beschaffungsvorhaben erheblich lich, weil wir darüber seit Jahren diskutieren. gesteigert. Nicht minder wichtig sind aber die vielen unzähligen Zur Trendwende Personal ist zu sagen, dass der Anteil kleinen Dinge, die für uns im Alltag völlig selbstver- von Frauen in der Bundeswehr weiter steigt, was wir sehr ständlich sind, an denen es bei unserer Bundeswehr aber begrüßen. trotzdem mangelt. Das geht los mit leistungsstarken klei- nen Rechnern, die benötigt werden. Erst diese Woche be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) richtete mir ein Berufssoldat, dass man an seinem Stand- ort nicht einmal vernünftige Softwarelizenzen hat, mit Damit aber insgesamt die Zahl der Bewerber steigt, muss denen man Entwicklungsarbeit betreiben kann, wie zum die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiv bleiben. Dem Beispiel für MATLAB. Nein, man muss auf Open-Sour- dient etwa die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Fa- ce-Lösungen zurückgreifen oder sogar teilweise auf pri- milie oder zusätzliche Planungssicherheit für Pendler im vate Rechner, um überhaupt vernünftige Arbeit leisten zu Rahmen des Bundesumzugskostengesetzes. Im Gesetz können. Ein unhaltbarer Zustand! zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzbereit- schaft der Bundeswehr werden wir in Kürze eine ganze Große Fragezeichen gibt es bei den Teilselbst- und Reihe von Verbesserungen für unsere Soldaten vorneh- bei den Selbsteinkleidern, bei verlässlichen Perspektiven men. Der Bund wird mit den Kommunen neue Dienst- für die Familienplanung und nicht zuletzt am Ende der wohnungen für Bundeswehrangehörige und ihre Famili- Dienstzeit beim Übergang in den Ruhestand. Was gibt es en bauen. Engagiert arbeitet die Bundesregierung an der für eine größere Bankrotterklärung für eine Armee, als 11596 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Mario Mieruch (A) wenn der Soldat nicht im Angesicht des Feindes, sondern Zusammenhang ganz offen sagen: Der vom Finanzminis- (C) angesichts der Probleme in der eigenen Armee Überzeu- ter hierzu vorgelegte Entwurf zum Haushalt 2020 gungen und Ideale verliert, sodass viele Kampfpiloten (Thomas Hitschler [SPD]: Von der Bundesre- frühzeitig den Dienst quittieren. Jede 2-Prozent-Finanz- gierung!) diskussion ist angesichts dieser Umstände völlig obsolet. und zur mittelfristigen Finanzplanung genügt diesem An- Zum Schluss gerne noch etwas Positives: Lieber Herr spruch bei Weitem noch nicht. Als CSU sagen wir hier Dr. Bartels, Sie genießen ein sehr hohes Ansehen in der ganz klar, dass wir an dieser Stelle deutlich nacharbeiten Truppe. Unsere Soldaten sind Ihnen und Ihrem Team für müssen. Wir haben mit großem Einsatz einen positiven die schnelle und zielgerichtete Arbeit sehr dankbar. Der Trend erreicht. Diesen gilt es fortzusetzen. Einen Rück- Bitte, diesen Dank an dieser Stelle einmal weiterzurei- schritt akzeptieren wir nicht. chen, komme ich sehr gerne nach. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Einer der wichtigsten Faktoren für eine moderne und zukunftsfähige Truppe wird – das ist schon angesprochen

Vizepräsidentin Petra Pau: worden – ohne Zweifel die Nachwuchsgewinnung sein. Das Wort hat der Kollege Michael Kuffer für die Als CSU räumen wir diesem Thema hohe Priorität ein. CDU/CSU-Fraktion. Deshalb haben wir uns auch klar dafür ausgesprochen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Bundeswehr an die Schulen zu holen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten sind weit mehr als nur ein Teil unserer Sicherheitsarchitektur. Sie sind Staatsbürger in Michael Kuffer (CDU/CSU): Uniform und eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Frau Präsidentin! Herr Wehrbeauftragter! Kolleginnen Deshalb – auch wenn es schon gesagt worden ist; ich und Kollegen! Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen kann es Ihnen nicht ersparen – kann man zu dem Vorstoß nicht nur in der Mitte unserer Gesellschaft, sondern sie der Sozialdemokratie in Berlin, unsere Soldaten aus den stehen in besonderem Maße auch für diese Gesellschaft Schulen auszusperren, auch nur den Kopf schütteln. Lie- und für diese Gesellschaft ein. Deshalb sage ich: Wir sind be Kolleginnen und Kollegen, den Kopf hinhalten, das stolz auf sie. Sie leisten einen hervorragenden Dienst in sollen sie. Aber sehen soll man sie nicht. Was für eine einer Vielzahl von Einsätzen weltweit. Sie tragen interna- armselige Doppelmoral ist das denn? tional zur Friedenssicherung und zur Stabilisierung von Vielen Dank. Krisenregionen bei. Dafür verdienen die Soldatinnen und Soldaten unseren vollsten Respekt und unseren Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- (B) (D) wie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. All das tun sie mit großer Motivation, bisweilen auch mit Herzblut, mit persönlichem Engagement. Sie stehen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf mit ihrer Gesundheit und, wenn es sein muss, mit ihrem Drucksache 19/7200 an die in der Tagesordnung aufge- Leben ein für unsere Sicherheit und unsere Freiheit. Ich führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- sage Ihnen ganz deutlich: Kaum eine andere Berufsgrup- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung pe verbindet mit ihrem beruflichen Engagement eine so beschlossen. solch immense Opferbereitschaft. Das Wort von der Be- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: reitschaft, alles zu geben, ist nirgendwo so buchstäblich gemeint wie bei unseren Soldatinnen und Soldaten. a) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Dr. Manuela Rottmann, Tabea Rößner, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter Gerade deshalb muss es selbstverständlich sein, dass und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir als Deutscher Bundestag dafür Sorge tragen, dass Kollektiven Rechtsschutz ausbauen und nicht diese Menschen in ihrem Dienst persönlich nach Kräften ausbremsen unterstützt werden und materiell bestmöglich ausgestat- tet sind. Diesen Handlungsbedarf haben wir in der Ver- Drucksache 19/9267 gangenheit erkannt. Wir haben seitdem viel erreicht und b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- die Trendwende in vielen Bereichen eingeleitet. Das ist richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- gut; aber es genügt uns bei Weitem noch nicht. Deshalb cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der müssen wir die Zielsetzung konsequent im Auge behal- Abgeordneten Dr. Manuela Rottmann, Tabea ten und das bisher Erreichte weiter fortführen. Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Die 2-Prozent-Zusage gegenüber der NATO gilt. Sie GRÜNEN ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Bundeswehr zukunftsfähig, bedarfsgerecht und einsatzfähig für ihre zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Aufgaben ausstatten. Ich sage ganz deutlich: Wir stehen Europäischen Parlaments und des Ra- zu unseren Bündnisverpflichtungen. Ich muss in diesem tes über Verbandsklagen zum Schutz der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11597

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Kollektivinteressen der Verbraucher und wenn Menschen deshalb nicht mehr arbeiten können, (C) zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG der Gang vor Gericht aber allein viel zu viel Geld und KOM(2018)184 endg.; Ratsdok. 7877/18 zu viel Kraft kostet; wenn Arbeitnehmer merken, dass in ihrem Betrieb bei Überstunden hier und da nicht richtig und abgerechnet wird, sich aber kein Anwalt wegen der paar zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- Pfennig vor Gericht begeben will; wenn Haushalte mit päischen Parlaments und des Rates zur Ände- knappem Einkommen den Empfehlungen von Internet- rung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom plattformen für den günstigsten Stromanbieter folgen, 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Euro- darauf vertrauen, um Geld zu sparen, dann aber dastehen päischen Parlaments und des Rates, der Richt- und ihr Geld in den Wind schreiben können, weil dieser linie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments Anbieter insolvent ist. und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Europäischen Parlaments und des Rates NEN]: Genau!) zur besseren Durchsetzung und Modernisie- rung der EU-Verbraucherschutzvorschriften Vor einem Jahr hat die EU-Kommission im Rahmen KOM(2018)185 endg.; Ratsdok. 7876/18 des New Deal for Consumers Vorschläge für eine euro- päische Verbandsklage vorgestellt. Ein Jahr später gilt hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- dieser Vorschlag als gescheitert, und die Bundesjustizmi- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des nisterin hat an diesem Scheitern ihren Anteil. Grundgesetzes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mehr Verbraucherschutz in der EU durchset- zen – Kollektiven Rechtsschutz stärken und Die wesentliche europapolitische Position zu fast al- Transparenz bei Internetplattformen schaffen len Fragen in der Rechtspolitik ist die folgende, sie ist richtig knallig: Die Meinungsbildung dazu ist in der Drucksachen 19/8563, 19/9075 Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. – Vorn stellt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für man sich tot, hinter den Kulissen wird bei jeder Initiative die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- geschoben und gezerrt in der Koalition. Mit dieser Me- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. thode haben Sie nun auch die europäische Verbandsklage absaufen lassen. Dabei wäre sie gerade für uns hier in Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Deutschland eine Chance gewesen. Dr. Manuela Rottmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir verlieren beim kollektiven Rechtsschutz tatsäch- lich immer mehr den Anschluss an andere Rechtsstandor- te, an andere Mitgliedstaaten. Ich weiß, was jetzt kommt: Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber wir haben doch die Musterfeststellungsklage, für NEN): die wir sogar noch die wunderschöne Verpackung gebas- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen telt haben: die Eine-für-alle-Klage. Diese Musterfeststel- und Herren! Ich weiß schon ziemlich genau, was in den lungsklage ist so großartig, dass sie unbedingt für ganz Reden kommt, die nach mir folgen werden, nämlich dass Europa zum Maßstab werden muss. wir Ihnen tierisch auf die Nerven gehen damit, dass wir schon wieder dieses Thema auf die Tagesordnung setzen, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ganz genau!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- – Das ist, mit Verlaub, ein überheblicher Unsinn, Herr SES 90/DIE GRÜNEN) Fechner. schon wieder kollektiver Rechtsschutz, schon wieder die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Regulierung von Plattformen. Ich kenne das aus dem Die deutsche Musterfeststellungsklage ist ein Qualkons- Ausschuss. Sie denken: Jetzt haben Sie die Musterfest- trukt. Aus jeder einzelnen Vorschrift der ZPO dazu tropft stellungsklage, und jetzt geben Sie doch endlich mal die Furcht, dass unkontrollierbare Bürgerinnen und Bür- Ruhe. – So funktioniert das aber nicht. ger und Verbände das geltende Recht auch noch durch- (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Doch!) setzen. Aber wo kämen wir da hin? Die Fragen, wie wir den Menschen besseren Zugang (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Justiz verschaffen, wie wir sie vor Betrug und Irre- sowie der Abg. [DIE LINKE]) führung schützen, sind fundamental für das Vertrauen Die Klagebefugnis ist immer enger definiert worden, unserer Bürgerinnen und Bürger in diesen Staat. gespickt mit Voraussetzungen für die Klagebefugnis ei- nes Verbandes, die kein Verbraucher durchschauen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Geschädigten wurde tatsächlich die Entscheidung sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE darüber genommen, wer sie vor Gericht vertreten soll. LINKE]) In Bereichen, wo es überhaupt keine hinreichend erfah- Hinter all diesen Fällen stehen Schicksale, und dahin- renen und finanzstarken Verbände gibt, wird es auch in ter stehen auch Wut und viel Frust: wenn zum Beispiel Zukunft keine Musterfeststellungsklage geben, etwa bei Implantate schwere gesundheitliche Schäden auslösen, Schäden durch fehlerhafte Medizinprodukte. Hier blei- 11598 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Manuela Rottmann (A) ben die Menschen allein. Der Rechtsstaat ist für die meis- Machen Sie es gut in Brüssel, oder machen Sie es zumin- (C) ten nicht erreichbar. dest besser als in Berlin. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richtig!) NEN sowie bei Abgeordneten der LIN- KEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das war Gleichzeitig hängt die Zukunft des wichtigsten kollek- schwach!) tiven Klageinstruments, das sich in der Praxis bereits gut bewährt hat, völlig in der Luft. Das Kapitalanleger-Mus- terverfahren hat Biss und Effizienz bewiesen in Deutsch- Vizepräsidentin Petra Pau: land, Das Wort hat der Abgeordnete Sebastian Steineke für die CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was?) (Beifall bei der CDU/CSU) aber die Richterinnen und Richter an den OLGs wissen derzeit überhaupt nicht, ob sie ihre laufenden Verfahren noch werden abschließen können; denn das Gesetz tritt Sebastian Steineke (CDU/CSU): Ende 2020 außer Kraft. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Ich möchte anfangen mit einem Zitat von Theodor (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was hat das ­Fontane, der in diesem Jahr seinen 200-jährigen Geburts- mit der Musterfeststellungsklage zu tun?) tag hätte: „Am Mute hängt der Erfolg“, hat er mal gesagt. Aus dem Justizministerium höre ich dazu nur: Wir kön- Genau in diesem Sinne haben wir im letzten Jahr die nen noch nicht sagen, was wir mit diesem Gesetz ma- Musterfeststellungsklage auf den Weg gebracht und da- chen, ob wir es beerdigen, ob wir es sterben lassen, ob mit ein völlig neues Instrument der Rechtsdurchsetzung wir die Prozesse zersprengen. im kollektiven Bereich auf die Bahn gebracht. Nun soll- Die Bilanz nach einem Jahr Katarina Barley ist: Um ten wir uns auch ein wenig Zeit nehmen, um dieses Ins- den kollektiven Rechtsschutz steht es schlecht. In Brüs- trument in der deutschen Rechtsordnung auch wirken zu sel haben Sie ihn blockiert, in Deutschland haben Sie ihm lassen. die Zähne gezogen. Heute behandeln wir aber in erster Linie einen An- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: 412 000 Ver- trag, den die Grünen zum nationalen Verbandsklagerecht braucher machen mit! Super!) eingebracht haben. Sie fordern darin, das Ganze weiter auszubauen und dazu noch weitergehende Vorschriften – Bei einem einzigen Verfahren, und Sie haben in der (B) zu erlassen. Darüber hinaus behandeln wir einen wei- (D) Zeit mit 150 gerechnet. teren Antrag – darauf sind Sie kurz eingegangen –, der Auch bei der Regulierung von Vergleichsportalen darauf abzielt, eine Stellungnahme gegenüber der Bun- hätte man sich von einer engagierten Verbraucherschutz- desregierung nach Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz zum ministerin mehr erwartet. Sie haben doch das Beispiel EU-Richtlinienpaket zum New Deal for Consumers, also der Insolvenz der Bayerischen Energieversorgungsge- der Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften, sellschaft vor Augen. Auf den Vergleichsportalen wur- abzugeben. de noch für diesen Anbieter geworben, während die Lassen Sie mich vielleicht noch ein paar Sätze zum Verbraucherschützer schon längst gewarnt haben. Wir Verfahren sagen. Das ist beispielgebend: Den Inhalt Ih- sind dem EU-Parlament dankbar, dass es zumindest hier res Antrags, den wir heute behandeln, kennen wir seit nachgebessert hat, aber ausreichend ist diese Regulierung Mittwochnacht. Da erst ist er nämlich eingegangen. Das immer noch nicht, und das hat einen Grund: Deutschland heißt, wir hatten nicht einmal zwei Tage Zeit, uns damit hat im Rat für eine echte Regulierung nicht einen Finger zu beschäftigen. Das ist insbesondere deswegen interes- gerührt. sant, weil Sie ansonsten bei jedem Änderungsantrag der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Koalition ganz besonders darauf gucken: Wie häufig ist er behandelt worden? Wann ist er eingereicht worden? Ich hätte mir in diesem einen Jahr mit Katarina Barley Wie intensiv konnten wir uns damit beschäftigen? als Justizministerin eines gewünscht. Ich hätte sie gern ein einziges Mal kämpfen sehen, egal für welches The- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört!) ma. Bei irgendeinem Thema hätte ich gern gespürt, dass Das ist vielleicht nicht der richtige Stil, mit diesem The- es ihr wichtig ist; aber da habe ich zu viel erwartet. ma umzugehen; dazu ist das Thema zu wichtig. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Jetzt aber hal- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lo! Billiger Wahlkampf!) Dann könnte man sich natürlich auch fragen, warum Mein Schluss daraus ist: Keine noch so schöne Ver- Sie die Anträge – das gilt für beide Anträge – nicht früher packung nützt etwas, wenn es an der Überzeugung fehlt. eingebracht haben. Also, Frau Ministerin – sie ist nicht da, wir haben sie im Ausschuss in dem ganzen Jahr auch nur zweimal gese- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen –: NEN]: Der lag schon seit Ewigkeiten vor!) (Stephan Brandner [AfD]: Dafür haben wir Das Paket des New Deal for Consumers ist über ein Jahr Parlamentarische Staatssekretäre!) bekannt. Das Verfahren lief lange genug, Sie hätten es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11599

Sebastian Steineke (A) zum Beispiel im Unterausschuss für Europarecht inten- das Opt-out-Modell, die Möglichkeit der privaten Dritt- (C) siv begleiten finanzierung durch Hedgefonds, das „Loser pays“-Prin- zip, das Discovery-Verfahren, die Ausforschungsbeweise (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nach amerikanischem Vorbild. Das alles ist dort vorgese- NEN]: Ja, der Antrag liegt schon lange vor!) hen. Und das wollen Sie? Das kann doch nicht Ihr Ernst und mit den entsprechenden Hinweisen versehen können. sein. Die Kollegin Keul wird sich noch an das Artikel‑23-Ver- fahren zur Small-Claims-Verordnung erinnern. Da haben Ich glaube, wir sollten uns schon ehrlich machen und wir gemeinsam so einen Antrag durchgebracht. sagen: Das sind alles Punkte, die auch Sie – übrigens zu Recht – immer kritisiert haben. Sie können doch jetzt (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Der war gut!) nicht allen Ernstes einfordern, dass wir sie auf europäi- scher Ebene umsetzen. – Der war gut, Kollege Fechner hat recht. Aber das hat uns sehr viel Zeit, nämlich mehrere Monate, gekostet. So (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) etwas kann man nicht in zwei Wochen behandeln; das müssten eigentlich auch Sie wissen. Die Folge der von der Kommission vorgeschlagenen (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE Variante wäre dann tatsächlich das, was wir hier ständig GRÜNEN]: Ja, unser Antrag war rechtzeitig diskutieren und wir alle nicht wollen – das nehme ich da!) Ihnen ab –: eine „Klageindustrie“. Ich glaube, da ist die Musterfeststellungsklage doch der deutlich bessere Weg. Das ist, glaube ich, auch bei dem anderen Thema im We- sentlichen durch; denn auch Sie wissen – der Hinweis Sie kritisieren in Ihrem Antrag auch – das ist ein altes sei gestattet –, dass das Trilogverfahren in Brüssel ab- Thema, das wissen wir –, dass wir die engen Anforde- geschlossen ist. Die Omnibus-Richtlinie ist entschieden. rungen, die wir bei der Musterfeststellungsklage haben, Wir und auch die Bundesregierung haben also faktisch auch auf europäischer Ebene anstreben. Diese aus unse- keine Einflussmöglichkeiten mehr, es sei denn, das gan- rer Sicht sehr richtige Auffassung der Bundesregierung ze Paket wird wieder aufgeschnürt. Ich weiß nicht, ob hat auch einen klaren Hintergrund. Wenn nämlich die Sie das wollen. Ich glaube, nicht. Das wäre auch nicht derzeitigen Vorschläge der Europäischen Kommission im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Diesen Wirklichkeit werden würden, dann könnten Sie in jedem Antrag heute in der Kürze der Zeit einzubringen, hat et- Land der Europäischen Union mit den schmalsten Vo- was mit Wahlkampf zu tun. raussetzungen, die dort herrschen, einen klagebefugten (B) (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE Verband gründen, und dieser könnte dann in der gesam- (D) GRÜNEN]: Deshalb ist Frau Barley auch ten Europäischen Union das Verbandsklagewesen betrei- nicht da, weil Wahlkampf ist!) ben. Das kann doch auch nicht das Ziel der Übung sein; dann wird nämlich dem Missbrauch Tür und Tor geöff- – Frau Barley kann das entscheiden. Wir sind ja hier und net, und das wollen wir nicht. diskutieren über Ihre Anträge. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch etwas zum Inhalt sagen. Die von Ihnen angesprochenen Forderungen zum Richtlinien­ Ich fasse das kurz zusammen und schenke Ihnen zwei entwurf zur Verbraucher-Verbandsklage – Sie beziehen Minuten des Freitagnachmittags: sich ja insbesondere auf den Kommissionsentwurf mit Ihren Anliegen – gehen deutlich über das hinaus, was (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak wir im letzten Jahr mit der Musterfeststellungsklage be- [CDU/CSU]) schlossen haben. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein – das hat sie mehrfach gesagt –, dass zumindest die Ihre Wünsche zur Verbrauchersammelklage sowohl im Grundlinien dieser Musterfeststellungsklage Einfluss auf nationalen als auch im europäischen Bereich lehnen die europäische Gesetzgebung haben. wir ab. Wir haben das hier gut begründet. Wir begrüßen Der Entwurf der Kommission ist nun faktisch ein grundsätzlich, dass der New Deal for Consumers die Ver- kompletter Gegenentwurf zu dem, was wir hier in braucherrechte überarbeitet und auf den neuen, auch di- Deutschland haben. Das ist vollkommen richtig; das ist gitalen Stand bringt. Die Stellungnahme nach Artikel 23 unbestritten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch Absatz 3 des Grundgesetzes ist schlichtweg überflüssig, noch mal ein paar Dinge zum Thema Verbandsklagerecht weil der Trilog abgeschlossen ist. Deutschland hat sich sagen, die in diesem Richtlinienvorschlag der Kommis- dort aus guten Gründen enthalten. Die Themen „Dual sion stehen und an denen auch Sie vieles in den Diskus- Quality“ – oder nennen wir es lieber: Nutella-Klausel –, sionen der letzten Jahre hier zu Recht kritisiert haben. „Sanktionen“ oder „Überprüfungsklausel“ haben dazu Sie sagten nämlich: Das wäre ja Sammelklage pur nach geführt, dass die Bundesregierung nicht zugestimmt hat, amerikanischem Vorbild. – Genau das sieht der Entwurf und das war auch richtig. Deswegen werden wir Ihren der Europäischen Kommission aber vor: die Verbindung Anträgen nicht zustimmen. von Unterlassungsklage und Schadensersatzklage, Vielen Dank. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) 11600 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: einer Verbandsklage betroffenen Verbraucher hierüber (C) Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Lothar zu informieren. Das ginge nur, wenn die Verbraucher Maier für die AfD-Fraktion. beim Kauf jedes noch so belanglosen Produktes eine ladungsfähige Anschrift hinterließen. Er nährt auch den (Beifall bei der AfD) Verdacht, dass dadurch die für Europa nicht akzeptab- len Opt-out-Praktiken durch die Hintertür eventuell doch Dr. Lothar Maier (AfD): noch eingeführt werden sollen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kaum ist das Musterverfahrensgesetz in Kraft getreten, legt Der Antrag der Grünen erkennt auf der einen Seite die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf zur Ver- die bessere Alternative, die der Richtlinienentwurf ge- bandsklage vor, der zumindest in Teilen deutlich verbrau- genüber der Musterfeststellungsklage darstellt, entwertet cherfreundlicherer und vor allem praktikabler erscheint ihn aber zugleich, indem er den Kreis der klagebefugten als die komplizierte Struktur der Musterverfahrensklage. Institutionen auf spezielle, den Grünen ideologisch na- hestehende Einrichtungen wie die Deutsche Umwelthilfe Natürlich kannte das Bundesministerium der Jus- erweitern will. Hier muss an den bewährten klagebefug- tiz die erwarteten Inhalte dieser Richtlinie. Ministerin ten und allgemein anerkannten Institutionen festgehalten Barley wollte diese Regelung aber nicht abwarten. Um werden, wie sie ja schon seit vielen Jahren im UWG und zu verhindern, dass eine Frist abläuft, peitschte sie das AWG, aber auch im nicht so lange bestehenden KapMuG Musterverfahrensgesetz als eine Lex Volkswagen im festgelegt sind. Eiltempo durch. Aus dem prachtvollen Denkmal für die Ministerin (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau! Bravo! Barley, das die Musterfeststellungsklage wohl darstellen Gut gemacht!) sollte, könnte so schon bald ein verwitternder juristischer Die bei einer Anhörung vorgetragenen zahlreichen Grabstein werden. Aber eine 150-prozentige EU-ropäe- Vorbehalte gegen Teile des Gesetzes wurden ignoriert. rin wie die Ministerin wird das sicherlich nicht stören. Es ging ihr darum, dem größten Automobilhersteller des Ich danke Ihnen. Landes und einem der wichtigsten Arbeitgeber einen Schlag zu versetzen, und zwar in dem Moment, in dem (Beifall bei der AfD) er durch eine abenteuerliche Elektromobilitätspolitik oh- nehin in großen Schwierigkeiten steckt. Eine wahrhaft seltsame Aufgabe für eine deutsche Ministerin. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Sarah (B) (Beifall bei der AfD) (D) Ryglewski das Wort. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, dass die Zahl der bisher eingereichten Klagen meilenweit hinter (Beifall bei der SPD) den Erwartungen zurückbleibt. Bezeichnend ist auch der Umstand, dass das Ministerium augenscheinlich nicht (SPD): versuchte, die Inhalte des eigenen Gesetzentwurfs zu Sarah Ryglewski europäisieren – wohl wissend um die Chancenlosigkeit Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und eines solchen Unterfangens. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Frau Rottmann, dank Ihrer Rede wissen wir jetzt auch, Während die Musterfeststellungsklage die ihr ange- warum wir uns hier mit zwei fast inhaltsgleichen An- schlossenen Verbraucher am Ende des Verfahrens erst trägen beschäftigen. Herzlich willkommen! Die Grünen einmal mit leeren Händen dastehen lässt und sie zu ei- sind im Europawahlkampf angekommen. nem zweiten, nun individuellen Verfahren mit all den rechtlichen Unwägbarkeiten und dem hohen Zeitverlust (Beifall bei der SPD sowie des Abg. durch doppelte Gerichtsverfahren zwingt, ermöglicht Alexander Hoffmann [CDU/CSU]) der EU-Entwurf, den in einer Sammelklage auftreten- den Verbrauchern unmittelbar mit der Entscheidung den Ich muss Ihnen sagen: Das tut der Qualität Ihrer poli- Zugang zu einer Entschädigung. Zu begrüßen ist hier tischen Arbeit nicht gut. Das Einzige, was mir an Ihrem auch der Rekurs auf die klassischen Rechtsinstrumen- Antrag gefällt, ist der Titel: „Kollektiven Rechtsschutz te der Wandlung und Minderung und insbesondere die ausbauen und nicht ausbremsen“. Super; darin sind wir Feststellung der Rechtswidrigkeit von Praktiken. Gut ist uns, glaube ich, fast alle einig. Genau das würde ich mir sicher auch die im EU-Entwurf vorgesehene einheitliche auch von Ihnen wünschen; denn das, was Sie hier jetzt Regelung des Verbots bestimmter Praktiken, nachdem schon seit Monaten machen, ist mehr als kontraproduktiv dies bisher in Deutschland nur lückenhaft in bestimmten für den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland. Gesetzen vorhanden ist, die sich auf einzelne Gebiete wie die Werbung oder das Recht der Allgemeinen Geschäfts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – bedingungen beziehen. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Natürlich weist auch der Richtlinienentwurf etliche Unzulänglichkeiten und praxisfremde Elemente auf wie Wir haben mit der Musterfeststellungsklage ein wirk- zum Beispiel die gänzlich unrealistische Vorstellung, sames Instrument eingeführt, mit dem die Verbrauche- Unternehmen hätten jeden einzelnen vom Gegenstand rinnen und Verbraucher zügig und ohne Kostenrisiko ihr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11601

Sarah Ryglewski (A) Recht einklagen können. Das ist ein Meilenstein für den Verbraucherinteressen vertritt, über die entsprechende (C) Verbraucherschutz in Deutschland, Kompetenz in diesem Bereich verfügt, die Klage nicht zum Zweck der Gewinnerzielung führt und in seinen fi- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das nanziellen Mitteln nicht durch Zuwendungen von Unter- glauben Sie doch selber nicht!) nehmen bestimmt wird. den Sie nicht müde werden kaputtzureden – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Das ist für mich, ehrlich gesagt, eine Selbstverständlich- und das, obwohl mit der Klage des vzbv gegen VW mitt- keit. lerweile die europaweit größte Sammelklage auf den Deswegen, denke ich, ist es auch nachvollziehbar, Weg gebracht wurde. Sie können noch so sehr dagegen- dass wir sagen: Diese Kriterien möchten wir auch auf eu- reden: Das ist einfach Fakt, und das ist ein Meilenstein ropäischer Ebene angewandt sehen. Ich habe von Ihnen, für den Verbraucherschutz. ehrlich gesagt, noch kein vernünftiges Argument dage- (Beifall bei der SPD) gen gehört. Was machen die Grünen? Sie befassen sich nicht im Ich glaube nicht, dass irgendwer in diesem Raum ein Detail mit dem Instrument und werben auch nicht dafür, Interesse daran hat, dass wir so was nicht an Kriteri- dass noch mehr Verbraucherinnen und Verbraucher auf en knüpfen, mit der Folge, dass dann zum Beispiel die diesem Weg zu ihrem Recht kommen. – Durch dieses großen Automobilkonzerne in Deutschland einfach den Instrument wird es zu mehr Klagen kommen, und zwar verbraucherschützenden Verband Deutschland gründen auch in den Bereichen, für die wir das Gesetz originär könnten und damit klageberechtigt wären. Wollen wir so gedacht haben. Ich betone es noch mal: Das ist hier keine was? Nein. Lex VW, vielmehr geht es uns gerade darum, dass die ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verbraucherinnen und Verbraucher nicht daran gehindert NEN]: Haben sie doch gar nicht nötig! Geht werden, aufwendige – auch zeitaufwendige – Verfahren auch so oder so!) zu führen. Sie wissen vielleicht auch gar nicht, dass sie Rechtsansprüche haben. Wir sagen: Das können Verbän- Eine Liste der registrierten qualifizierten Einrichtun- de besser identifizieren, am Beispiel vzbv sieht man das gen ist im Übrigen auch auf der Internetseite des BMJV ja ganz deutlich. Wenn an einer Stelle vermehrt Probleme für alle einsehbar. Wer das googelt, findet das sofort. Die auftreten, dann kann ein Verband das Instrument nutzen Behauptung, für Verbraucherinnen und Verbraucher sei und sagen: Wir reichen eine Klage ein, öffnen das Klage- nicht nachvollziehbar, wer klagebefugt ist, wie Sie das in Ihrem Antrag ausführen, ist einfach falsch. (B) register, machen die Verbraucherinnen und Verbraucher (D) darauf aufmerksam, dass sie hier Rechte haben, und er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) möglichen es ihnen, ihre Rechtsansprüche durchzuset- zen. Ihre Unterstellung, wir wollten gezielt – und dann auch noch in persona der Ministerin höchstpersönlich – Genau dieses Instrument haben wir bei der Muster- unliebsame Verbände von der Klagebefugnis ausschlie- feststellungsklage gewählt. Damit wollen Sie sich aber ßen oder gar eine Klage durch einen vermeintlich un- überhaupt nicht befassen. befugten Verband vereiteln, ist nichts anderes als eine (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Unterstellung. GRÜNEN]: Oh!) (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben die Musterfeststellungsklage als Verbandskla- GRÜNEN]: Das hat Frau Winkelmeier-Be- ge ausgestaltet. Wenn man das tut, dann muss man die cker genau so gesagt!) Klagebefugnis im Sinne des Verbraucherschutzes an be- In Bezug auf die von Ihnen genannte Deutsche Um- stimmte Kriterien knüpfen. welthilfe ist das besonders absurd. Wenn Sie „BMJV, (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE klagebefugte Verbände“ googeln, dann stellen Sie fest: GRÜNEN]: Die kein Mensch versteht!) Die Deutsche Umwelthilfe erfüllt die Kriterien; sie ist klagebefugt. Anders geht es nicht, und das ist im deutschen Recht auch nichts Ungewöhnliches. Ich würde Ihnen deswegen einfach mal empfehlen, dass Sie die Dinge auch mal auseinandersortieren. Wir haben das Thema Unterlassungsklagegesetz, an Wir haben hier über das Pro und Kontra des von Ih- dem sich die Kriterien orientieren, schon genannt. Wenn nen favorisierten Gruppenverfahrens diskutiert, und wir man den Grünen zuhört, dann kann man den Eindruck gewinnen, hier wären unüberwindliche Hürden aufge- haben in verschiedenen Diskussionen – sowohl in die- baut worden, als wäre es für einen Verband quasi unmög- sem Hohen Hause als auch im Ausschuss – auch darü- lich, sich hier als qualifizierte Einrichtung eintragen zu ber gesprochen, dass wir uns anschauen werden, ob wir lassen. Das ist mitnichten der Fall. mit der Musterfeststellungsklage tatsächlich den Effekt erreichen, den wir erreichen wollen. Unsere Zielsetzung Laut der Argumentation der Grünen ist es beispiels- ist, dass wir schnell zu einer Feststellung von Rechten weise unzumutbar, dass ein Verband, der eine Klage kommen und dass Rechtsklarheit herrscht, und wir set- stellvertretend für eine Vielzahl von Menschen führt, zen darauf, dass sich die Leistungsansprüche dann über eine gewisse Mitgliedszahl haben soll, nachgewiesene Schiedsverfahren klären lassen. Wir haben aber auch im- 11602 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Sarah Ryglewski (A) mer gesagt: Wir behalten das im Auge und gucken uns Die Grünenkritik an der Musterfeststellungsklage ist (C) an, was wir machen müssen, wenn das nicht erfolgt. berechtigt, auch wenn Ihr Argument Ihren Vorwurf nicht immer belegt. Ein Beispiel: Es war notwendig, die Systematik der Musterfeststel- lungsklage so auszugestalten, wie wir das getan haben. Sie sagen, die Voraussetzungen für die Klagebefugnis Sich einfach hinzustellen und zu sagen: „Das nehmen sind zu eng gefasst. Das stimmt. Ihr Beweisstück Num- wir weg; es ist eine Unzumutbarkeit, Kriterien an klage- mer eins, die Abweisung der Musterfeststellungsklage befugte Verbände zu knüpfen“, macht deutlich, dass Sie gegen die Mercedes-Benz Bank, belegt aber nicht, dass einfach nicht bereit sind, sich auf die innere Logik dieses die Voraussetzungen für die Klagebefugnis zu eng ge- Konstruktes einzulassen und hier die Vorteile zu sehen. fasst sind, es belegt nur, dass das OLG Stuttgart die Vo- Das ist pure Ideologie, oder besser gesagt – mit Verweis raussetzungen des § 606 ZPO im Sinne des Gesetzgebers auf das Datum –: Das ist Wahlkampf. eng auslegt. Das Gericht hat darauf bestanden, dass die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Klageführerin belegt, dass sie 350 Mitglieder hat. Die der CDU/CSU) Klageführerin wollte oder konnte das nicht. Also wurde die Klage abgewiesen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Zutreffend ist hingegen, dass die Große Koalition die Das Wort hat die Kollegin Katharina Willkomm für Klagebefugnis von Bedingungen abhängig macht, die für die FDP-Fraktion. den Verbraucher von außen nicht abschätzbar sind. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Katharina Willkomm (FDP): Andererseits ist das bei auslegungsbedürftigen Rechtsbe- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und griffen oft so. Das kann auch sinnvoll sein, damit ein Ge- Kollegen! Der nahe Termin der Europawahl hat etwas setz auf unterschiedliche Lebenssachverhalte anwendbar Gutes, die problematische Urheberrechtsrichtlinie hat et- bleibt. was Gutes, selbst der Brexit hat etwas Gutes, Das Problem bei der Sache ist: Die einzelnen Verbrau- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ach!) cherinnen und Verbraucher haben denkbar wenig Lust, nämlich das viel größere Interesse der Bürgerinnen und mithilfe ihres individuellen, einmaligen Falls einen wich- Bürger, wenn wir uns im Bundestag mit Europathemen tigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Prozessrechts befassen. zu leisten; denn die Betroffenen wollen im Ergebnis ihr Geld zurück, und dafür taugt der § 606 ZPO fast genauso (B) (D) (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Deshalb ist wenig wie eine Musterfeststellung als Vollstreckungsti- der Brexit trotzdem nicht gut! Schräge Argu- tel. mentation!) (Beifall bei der FDP – Sebastian Steineke Die Menschen sehen zu, wenn wir das Vorgehen der [CDU/CSU]: Das ist bei der Feststellung so!) Bundesregierung offenlegen; denn über die wirklich rele- vanten Punkte informiert diese Regierung das Parlament Im Rechtsausschuss hat die Regierung sinngemäß oft zu spät. mitgeteilt: Selbst wenn so ein Verfahren wie das Stuttgar- ter ins Wasser fällt, stehen die mitklagenden Verbraucher (Beifall bei der FDP) trotzdem nicht schlechter als vorher da; denn sie haben Sie teilt im Nachgang mit, was ihre Ministerinnen und mit der Eintragung ins Klageregister sichergestellt, dass Minister in Brüssel mitentschieden haben. Deshalb ist es ihre Ansprüche nicht verfristen. – Formal mag das so gut, dass der Antrag der Grünen diesen Punkt adressiert. sein. Der Rechtsfrieden wird aber zuvor beschädigt. Wie lange die Bürger auf den Rechtsstaat vertrauen, berech- Der Antrag nimmt nicht die EU-Verbandsklage aufs net sich nicht nach den Fristen im BGB. Korn, sondern den PR-Erfolg von Justizministerin Barley, die Musterfeststellungsklage, auch als „Eine-für-al- (Beifall bei der FDP) le-VW-Dieselkunden-Klage“ bekannt geworden. Dem Antrag der Grünen stimmen wir nicht zu, aber (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!) dem Appell der Grünen an die Regierung schließen wir uns an: Übertragen Sie die Schwächen der Musterfest- Warum spricht der Antrag kaum über die EU-Ver- stellungsklage nicht nach Europa! bandsklage? Warum sind die Grünen so deutschland- fixiert? Weil die GroKo – von der Justizministerin bis Vielen Dank. zu den rechtspolitischen Sprechern – einer verwegenen Theorie anhängt! Sie lautet: Wir, die Bundesregierung, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten können den anderen EU-Mitgliedstaaten unsere halbgare des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Musterfeststellungsklage als Vorbild verkaufen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Petra Pau: DIE GRÜNEN) Amira Mohamed Ali hat nun für die Fraktion Die Lin- ke das Wort. Das wiederum ist wie der Brexit, nämlich eigentlich nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11603

(A) Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Das Thema „Transparenz bei Onlinemarktplätzen“ (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und wird in der Richtlinie auch behandelt. Es soll angezeigt Kollegen! Liebe Gäste! Wir sprechen heute über zwei werden, nach welchen Kriterien Rankings vergeben wer- EU-Richtlinienentwürfe, der eine zum Thema Ver- den. Aufklärung über Widerrufs- und Gewährleistungs- bandsklagerecht und der andere zum sogenannten New rechte ist eine gute Sache. Die Grünen kritisieren zu Deal for Consumers. Hier sind die Verhandlungen abge- Recht, dass diese Regelungen so nicht für Vergleichspor- schlossen. Der Richtlinie ist aber noch nicht zugestimmt tale gelten. Sie koppeln die Zustimmung zur Richtlinie worden. Deutschland hat sich bisher enthalten. daran, dass diese Regelung auf die Portale erweitert wird. Da sind wir der Meinung: Das ist falsch. Die Richtlinie Ich möchte als Erstes zum New Deal for Consumers enthält sehr viele positive Aspekte und Veränderungen, kommen und hier einige Punkte aufgreifen, die wir als die für die Verbraucherinnen und Verbraucher gut sind. Linke sehr erfreulich finden. Unternehmen, die gegen Man sollte die Zustimmung nicht an diese Erweiterung Verbraucherschutzvorschriften verstoßen, sollen mit ei- koppeln, auch wenn es sicher noch besser geht; da stim- ner Strafzahlung in Höhe von bis zu 4 Prozent des Un- men wir zu. ternehmensumsatzes belegt werden können. Eine gute Regelung! Ich möchte jetzt auf einen letzten Aspekt der Richtli- nie eingehen, bei dem es tatsächlich noch sehr viel besser (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ach!) geht – davon war heute noch gar nicht die Rede –: Das Denn so kann verhindert werden, dass große Unterneh- ist das Thema individualisierte Preise. Viele Menschen men Rechtsverstöße in Kauf nehmen, weil sie potenzielle kennen das vielleicht gar nicht. Das bedeutet, dass auf Strafen einfach aus der Portokasse zahlen können. der gleichen Verkaufsplattform das gleiche Produkt zu unterschiedlichen Preisen angeboten wird, je nachdem, Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen dafür wer gerade vorm Rechner sitzt. Ein Algorithmus analy- gesorgt, dass diese Regelung aufgeweicht wurde. Sie gilt siert den Konsumenten nach Einkommen, nach Wohnort, nun nur noch für besonders weitreichende Verstöße – nach Beruf, nach Kaufverhalten, nach allem, was im In- eine Schwächung des Verbraucherschutzes zum Wohle ternet über diesen Verbraucher bekannt ist oder was Siri, der großen Konzerne. Wir halten das für inakzeptabel. Alexa und Co so alles mithören, und kalkuliert danach den Preis. Nach welchen Kriterien er zustande kommt, ist (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- unklar. Wie die Preisspannen sind, ist unklar. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die EU möchte nun, dass die Verkaufsplattform we- Es geht in der Richtlinie außerdem um Transparenz. nigstens angeben muss, dass sie individualisierte Preise Das ist für uns ein Kern des Verbraucherschutzes; denn (B) hat. Aber das geht überhaupt nicht weit genug! Die Linke (D) nur gut informierte Verbraucherinnen und Verbraucher sagt: Das sollte es nicht geben. Stellen Sie sich einmal können freie Konsumentscheidungen treffen. Es muss vor, Sie gehen in den Supermarkt, und je nachdem, wer zum Beispiel leicht erkennbar sein, welche Qualität ein gerade vor dem Verkaufsregal steht, erscheint ein anderer Nahrungsmittel hat. Das ist nicht immer der Fall. Das Preis. Das ist doch absurd. Stichwort „dual quality“ ist heute schon einmal gefallen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Es gibt Produkte, die vom gleichen Hersteller EU-weit Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verkauft werden: gleicher Name, gleiche Verpackung, NEN]) äußerlich kein erkennbarer Unterschied. Die Produk- te haben aber unterschiedliche Zusammensetzungen, je Hier brauchen wir eine gesetzliche Regelung gegen die- nachdem, in welchem Land sie vermarktet werden: Mal ses Konsumentenranking. ist mehr Zucker drin, mal sind die Basisprodukte von un- terschiedlicher Qualität. Verbraucherrechte allein aber nützen nichts, sie müs- sen auch effektiv durchsetzbar sein. Jetzt komme ich zur Die EU-Richtlinie verlangt nun, dass unterschiedliche Verbandsklage. Wir unterstützen den Vorschlag der Grü- Rezepturen auf der Verpackung gekennzeichnet werden. nen an dieser Stelle. Die EU möchte nämlich – so war Die Lebensmittelindustrie möchte das nicht und begrün- ja der Ansatz – ein einstufiges Verfahren. Das heißt, der det das damit, dass es doch wohl möglich sein müsse, Verband klagt stellvertretend für die geschädigten Men- regionalen Vorlieben zu entsprechen. Auch die Bundes- schen. Dann wird direkt ein Schadensersatz ausgeurteilt. regierung argumentiert so und hat aus diesem Grund, wie Wenn also zum Beispiel ein Stromkonzern zu hohe Prei- gesagt, der Richtlinie nicht zugestimmt. se berechnet hat, dann wird von einem Verband oder der Verbraucherzentrale geklagt. Dann werden die Kunden Aber die Begründung ist fadenscheinig. Unterschied- aus einem Verfahren direkt entschädigt. Ein gutes Kon- liche Rezepturen sollen ja nicht verboten werden, sie zept! Wir unterstützen das. müssen nur gekennzeichnet werden. Eine regionale Spe- zialisierung wäre ja eigentlich ein Verkaufsargument. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wer die Kennzeichnung nicht will, der will gleiche Qua- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lität vortäuschen, wo keine ist. Dass die Bundesregierung sich gegen diese Kennzeichnung ausspricht, ist wieder Bereits bei der Musterfeststellungsklage haben wir eine Entscheidung gegen die Verbraucherinteressen zum die Bundesregierung aufgefordert, genau das einzufüh- Wohle der großen Konzerne. Das lehnen wir ab. ren: eine direkte Entschädigung aus einem Verfahren. Bekanntermaßen ist die Bundesregierung dieser Forde- (Beifall bei der LINKEN) rung nicht gefolgt. Daher werden jetzt zum Beispiel die 11604 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Amira Mohamed Ali (A) Geschädigten des Diesel-Abgasskandals, die sich der Aber wir haben auch schon gehört, es gebe Listen, (C) Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale und es gebe eine alternative Liste nach dem UKlaG, die wir des ADAC angeschlossen haben, nach erfolgreichem ganz bewusst nicht eins zu eins übertragen wollten. Wir Verfahren jeder für sich noch einmal individuell auf wollen sie deshalb nicht eins zu eins übertragen, weil Schadensersatz klagen müssen. Verbände, die solche Klagen erheben, in einer gewissen Weise ein öffentliches Interesse wahrnehmen. Bei der (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt Frage der Wahrnehmung öffentlicher Interessen müssen nicht!) andere Kriterien angelegt werden. Oder jedenfalls mei- – Herr Kollege, Sie sagen gerade: Das stimmt nicht. – nen wir, dass andere Kriterien angelegt werden müssen, Das stimmt dann nicht, wenn es einen Vergleich mit dem als das bislang der Fall ist. Es müssen nämlich besondere Konzern gibt. Aber ein Klageinstrument kann doch nicht spezifische Anforderungen an die Mitgliedschaft, an die darauf abzielen, dass man sich hinterher vergleicht und Finanzierung solcher Verbände und auch an die interne dieses Instrument nicht wirklich ausnutzt. Entschuldi- Corporate Governance gestellt werden. Deshalb haben gung, das ist ja absurd. wir das hier im Moment erst einmal offen gelassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN) Ein zweiter Punkt, weil Sie das Problem einer mög- licherweise drohenden Verjährung ansprechen. Ja, man Das ist kein gutes Konzept. Dennoch will die Bundesre- könnte sich vorstellen – wir haben das auch diskutiert –, gierung ausgerechnet diese Musterfeststellungsklage als mit einem klarstellenden Eröffnungsbeschluss deutlich Blaupause für die EU durchsetzen. zu machen, ab wann die Zulässigkeit der Klage begrün- Auch hier wollen Sie wieder den Verbraucherschutz det ist, um die Punkte Verjährungsunterbrechung und Ri- zum Wohle der großen Konzerne schwächen. Aber das siko, das meines Erachtens nicht besteht, einer größeren ist und bleibt für Die Linke inakzeptabel. Das ist typisch Klärung zuzuführen. Darüber wird man gegebenenfalls für Sie. Aber wir werden da nicht mitgehen. noch einmal reden müssen. Vielen Dank. Ein weiterer Punkt ist – ich glaube, dass Sie da sehr im Allgemeinen bleiben –: Wenn Sie sich die Fälle ansehen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die im Augenblick anhängig sind – OLG Braunschweig, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) OLG Stuttgart –, dann werden Sie feststellen, dass die Hauptdiskussion die über die Befangenheit der Richter Vizepräsidentin Petra Pau: ist. Das treibt die Parteien auf allen Seiten zu Recht um. (B) Das führt zu ellenlangen Schriftsätzen, zu Diskussionen (D) Professor Dr. Heribert Hirte hat nun für die CDU/ über die Frage, ob die Personen, die da sitzen, wirklich CSU-Fraktion das Wort. unparteiisch entscheiden können. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, das ist ein veritables Problem. Es ist des- halb ein Problem, weil es in dem einen Falle um 400 000 Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): und mehr Kläger geht und die Macht der Richter in die- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sen Fällen etwa der entspricht, die wir als Parlamentarier Liebe Zuhörer! Ein Antrag befasst sich mit Artikel 23 haben. Diese Tatsache auf der Seite der klagebefugten Absatz 3 des Grundgesetzes, also mit einer Anweisung Verbände, aber auch auf der Seite der Justiz anzuspre- an die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhal- chen und zu adressieren, halte ich für einen wichtigen ten im Ministerrat. Das kam hier außer beim Kollegen Punkt. In Ihrem Antrag steht davon nichts. Steineke, der gesagt hat: „Dafür ist es zu spät“ – das ist (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak in der Tat so –, kaum zur Sprache. [CDU/CSU]) In Wirklichkeit geht es, was nicht schlimm ist, um Deshalb sehen wir sehr allgemein, dass die Eins- die Frage von Verbraucherschutz, um die Musterfest- zu-eins-Übertragung der ZPO-Regeln, die ja auf den stellungsklage und die Sammelklage, also um ganz all- Zweiparteienprozess zugeschnitten sind, auf solche gemeine Fragen, die wir im Bereich des Prozessrechts kollektiven Regeln noch am Anfang steht. Also, hier ist adressieren wollen. Deshalb möchte ich auf die Fragen, möglicherweise Handlungsbedarf. die Sie in Ihrer Begründung ausführlich angesprochen haben, ein wenig eingehen. Es zieht sich durch Ihre beiden Anträge, dass die Mus- terfeststellungsklage keine Leistungsklage sei, dass man Ein angesprochenes Problem ist die Klagebefugnis, zweimal klagen müsse. Mein Eindruck ist, dass Sie die bei der Sie darauf verweisen, dass das OLG Stuttgart in praktischen Erfahrungen in der Justiz nicht haben; denn einem der anhängigen Fälle die Klagebefugnis verneint wenn Sie komplexe Sachverhalte haben – unser Kollege habe. Ja, in der Tat, das ist ein Problem. Allerdings ist hat es eben gesagt –, dann ist die Auflösung der Komple- die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Wir werden xität der erste, der entscheidende, der wichtigste Schritt. abwarten müssen, was der Bundesgerichtshof dazu sagt, Sie brauchen in einem Bauprozess als Erstes das Beweis- ob hier wirklich ein Problem besteht und ob das Problem sicherungsverfahren. Wenn Sie das Beweissicherungs- möglicherweise durch Nachsteuern des Gesetzgebers zu verfahren erfolgreich durchlaufen haben, werden die regeln ist. anderen Fragen am Ende erledigt. Das bedeutet, dass wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11605

Dr. Heribert Hirte (A) hier im Bereich der Tatsachenermittlung arbeiten müs- wieder aus dem Kanzleramt gesteuert, wie ich gestern (C) sen. Wir müssen möglicherweise über eine Reform des schon ausführte. § 142 ZPO – Vorlage von Unterlagen – und solche Dinge nachdenken, damit der Sachverhalt, über den gestritten Zur Erinnerung – Herr Steineke, Sie haben sich gera- wird, anschließend richtig festgestellt ist. Das heißt, die de über zu kurze Fristen beschwert; Sie hätten nicht mal weiteren Schritte, die Sie immer adressieren, sind nicht zwei Wochen Zeit gehabt –: das wirkliche Problem. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Nein! Zwei Tage, habe ich gesagt! Zwei Tage, Herr Wenn Sie sich das Vorbild, das wir ja gar nicht über- Brandner! Sie müssen mal zuhören!) nehmen wollten, ansehen, nämlich die amerikanische Sammelklage, dann wissen Sie: Auch da gibt es am Ende Wir berieten das Gesetz im vergangenen Jahr zum ers- der Sammelklage kein vollstreckbares Leistungsurteil. ten Mal am 7. Juni 2018. Die Anhörung der neun Sach- Da wird anschließend in einem weiteren Verfahren eine verständigen erfolgte am 11. Juni, also vier Tage später. Summe letztlich unter gerichtlicher Aufsicht – das ent- Am 14. Juni, also noch mal drei Tage später, erfolgte die spricht dem zweiten Verfahren, das wir hier vorgesehen Schlussberatung, und fertig war Ihr großkoalitionäres haben – verteilt. Insofern besteht hier also kein Hand- Murksgesetz. lungsbedarf, jedenfalls nicht aus diesem Grunde. (Beifall bei der AfD) Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte – Sie haben das in Ihrem Antrag am Rande erwähnt –, betrifft Dass dabei nichts Gutes herauskommen konnte, war je- das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, das zum dem von Anfang an klar. Sie wissen es ja selber: Noch 1. November 2020 auslaufen soll. In der Tat ist es wich- flotter ging nur die wegen akuten Geldmangels der im tig, zu klären, wie es hier weitergehen soll. Sie haben Aussterben begriffenen SPD darauf hingewiesen, dass Sie hierauf in der Regierungs- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: 2 Prozent zu- befragung keine zufriedenstellende Antwort bekommen gelegt heute! Ich bitte Sie!) haben. Ich selbst habe im Unterausschuss Europarecht die gleiche Frage gestellt und ebenfalls keine zufrieden- im Hauruckverfahren durchgepeitschte Änderung des stellende Antwort bekommen. 17 000 Klagen, die allein Parteiengesetzes – ein hemmungsloser Griff in die Steu- im Fall Telekom noch anhängig sind, können nicht ein- erkasse. fach auslaufen; da bin ich mit dem baden-württembergi- ( [CDU/CSU]: Geldmangel schen Justizminister Wolf einig. Er hat in einem Schrei- haben Sie doch durch die Schweiz nicht, Herr ben, das mir vorliegt, mitgeteilt, das sei keine Lösung, Brandner! Wo kommt denn das Geld her? Sa- (B) das habe das OLG Stuttgart ihm so mitgeteilt. Ich kann gen Sie das doch mal, Herr Brandner!) (D) mich dem nur anschließen. Deshalb hoffe ich, dass die Bundesregierung diesen Ansatz aus Baden-Württemberg Das ging noch schneller. Aber dieses Murksgesetz hier übernimmt und dass wir gemeinsam möglicherweise war auch nicht viel besser. über eine Zusammenführung der beiden Verfahren nach- (Beifall bei der AfD) denken und damit auch die weiteren Reformpunkte, die sich möglicherweise stellen, adressieren können. Sie haben im Gesetzgebungsverfahren zur Muster- feststellungsklage beeindruckend auch gezeigt, welchen Herzlichen Dank und auf weitere gute Arbeit bei die- Stellenwert Sie Sachverständigenanhörungen beimessen, sem Projekt! Die Musterfeststellungsklage ist zumindest nämlich gar keinen. für den Augenblick ein richtiger Ansatz. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sie präsentie- Herzlichen Dank. ren doch gar keine Sachverständigen mehr!) (Beifall bei der CDU/CSU) Für Sie gilt: Augen zu und durch. Eine Anhörung ist für Sie offenbar nichts anderes als eine Scheinbeteiligung Vizepräsidentin Petra Pau: von Experten, die keinen Einfluss auf das aus Ihrer Sicht Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Brandner für wohl unfehlbare Wissen der Regierungsfraktionen haben die AfD-Fraktion. soll. Sämtliche Angehörten – Professoren, Vertreter von Verbraucherschutzverbänden und andere mit der Materie (Beifall bei der AfD) vertraute Experten – bis auf einen waren sich einig, dass dieser Gesetzentwurf, der im vergangenen Jahr vorgelegt wurde, Stephan Brandner (AfD): Meine Damen und Herren! Wir reden heute über ei- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Stimmt nicht! nen Antrag der Grünen, über den wir gar nicht reden Quatsch!) müssten, wenn man im vergangenen Jahr auf uns von entweder deutlich verbessert werden müsse oder aber gar der AfD gehört hätte; denn die Art und Weise, wie das nicht verabschiedet werden dürfe. Aber die zahlreichen Gesetz zur Musterfeststellungsklage hier vergangenes Änderungs- und Verbesserungsvorschläge ließen Sie von Jahr durchgepeitscht wurde, spottet jeder Beschreibung. der Großen Koalition einfach außen vor. Das war Koaliti- Dem Entwurf der Bundesregierung zuzustimmen, war onsdilettantismus pur, meine Damen und Herren. verantwortungslose Politik vom Feinsten. Und ihr, liebe Koalitionsfraktionen, habt da mitgemacht, offenbar auch (Beifall bei der AfD) 11606 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Stephan Brandner (A) Von Anfang an hatten Sie auch nichts anderes geplant. Aber was die Ministerin hier – offenbar ist sie schon in (C) Das sieht man auch an der überstürzten Ansetzung der Europa; ich habe sie heute noch nicht gesehen – aufge- zweiten Beratung unmittelbar nach der Sachverständi- tischt hat, war schlicht peinlich und untauglich. genanhörung, als noch nicht einmal das Protokoll vorlag. Also nicht nur keine zwei Wochen, Herr Steineke; es wa- Vizepräsidentin Petra Pau: ren gerade mal drei Tage. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Hören Sie eigentlich zu, wenn jemand redet? Das ist ja Stephan Brandner (AfD): unfassbar!) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich hof- Das ist Ihr verschrobenes Demokratieverständnis, meine fe sehr, dass Frau Barley nach Europa entschwindet und Damen und Herren von der Koalition. Unser Demokra- sich dort von der Rechtspolitik und der Verbraucher- tieverständnis, das der AfD, ist das nicht. schutzpolitik möglichst weit fernhält. (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ Vielen Dank. CSU: Sie haben ja keins!) (Beifall bei der AfD – Sebastian Steineke Das Ignorieren vernünftiger Vorschläge von sämtli- [CDU/CSU]: Was für eine schlechte Rede! chen Experten – bis auf einen –, nur um in Rekordzeit Keinerlei Sachkenntnis!) das Gedenkgesetz bzw. ein Denkmal, wie der Kollege Maier sagte, für eine nach Brüssel flüchtende Ministerin Vizepräsidentin Petra Pau: umzusetzen, war schlicht schlecht. Dr. Johannes Fechner hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Herr Brandner, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) kung von Herrn Hoffmann?

Dr. Johannes Fechner (SPD): Stephan Brandner (AfD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, das mache ich besser nicht; denn das kommt auf Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ei- YouTube nicht so gut. Danke schön. gentlich wollte ich Herrn Brandner loben, dass er als (B) (Lachen bei der CDU/CSU) Vorsitzender des Rechtsausschusses ausnahmsweise mal (D) wieder an einer rechtspolitischen Debatte teilnimmt. Sie Die YouTube-Zuschauer können das dann nicht nach- schwänzen die ja regelmäßig. Aber ehrlich gesagt: Sie vollziehen. haben so viel Unsinn erzählt, dass ich auch in Zukunft auf Ihre Präsenz verzichten kann. (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: So ver- stehen Sie die parlamentarische Arbeit! Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist ja entsetzlich! – Sebastian Steineke [CDU/ der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ CSU]: Peinlicher geht es ja gar nicht mehr! – DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie wer- Wir nehmen das zu Protokoll!) den doch von YouTube bezahlt!) Wer recht hat, der muss auch recht bekommen. Das Natürlich kommen jetzt all diejenigen, die es wie die war unser Leitmotiv, als wir vor wenigen Monaten die AfD schon vor einem Jahr gesagt haben, aus dem Ge- Musterfeststellungsklage eingeführt haben; denn es kann büsch und sagen Ihnen, dass es nichts taugt. Die Grünen nicht sein, dass Hunderttausende beim Dieselskandal haben damit angefangen, Frau Rottmann hat damit ange- betrogen wurden und sich dann nicht getraut haben, ge- fangen. Dieser Problembereich scheint ein bisschen zum gen große Konzerne vor Gericht zu gehen, und auf die Lebensinhalt von Frau Rottmann geworden zu sein. Sie Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichtet haben. Das fangen damit heute an, Frau Rottmann, zu Recht, wenn konnte nicht so bleiben. Deswegen haben wir mit der auch schlecht gemacht. Aber das ist immerhin ein Schritt Einführung der Musterfeststellungsklage einen Meilen- in die richtige Richtung. stein für den Verbraucherschutz geschaffen, liebe Kolle- ginnen und Kollegen. Man fragt sich natürlich: Warum ist dieses großkoali- tionäre Murksgesetz hier so verabschiedet worden? Ich (Beifall bei der SPD) sage es Ihnen: Das geschah, um einer Bundesministerin, die auf der Flucht nach Brüssel ist – sie ist Spitzenkan- Bei den damaligen Beratungen haben wir überlegt: didatin bei der Europawahl; mit dem Einzug ins Europä- Machen da 10 000 mit, machen da 12 000 mit? Unsere ische Parlament könnte es für die SPD ja noch klappen; Erwartungen wurden übertroffen: 412 000 Verbrauche- ich glaube, Sie liegen immer noch deutlich über 1 Pro- rinnen und Verbraucher haben sich der Klage gegen VW zent in den Umfragen –, ein Denkmal zu setzen. angeschlossen, die wegen unseres Gesetzes zur Einfüh- rung einer Musterfeststellungsklage erst möglich wurde. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Mit Zahlen 412 000 Personen fühlen sich nicht mehr im Stich ge- kennen Sie sich nicht so aus!) lassen und machen jetzt ihre Rechte geltend. Ich finde, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11607

Dr. Johannes Fechner (A) das ist ein wirkliches starkes Zeichen für unseren Rechts- vereinbar mit Ihren Ideen für den New Deal for Consu- (C) staat, liebe Kolleginnen und Kollegen. mers? – Sie hat ausdrücklich – das können Sie nachle- sen – gesagt, dieses Modell entspreche ihren Vorstellun- (Beifall bei der SPD) gen. Ein besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das Mitarbeitern des Bundesamtes für Justiz, die bei der stimmt nicht! Was reden Sie denn da?) Eintragung in die Klageregister wirklich Schwerstarbeit geleistet haben. Ein ganz herzliches Dankeschön nach – Das kann man nachlesen. – Es kann also überhaupt kei- Bonn von dieser Stelle! ne Rede davon sein, dass diese Musterfeststellungsklage (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht in das Konzept der EU-Kommission passt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Mit großer Spannung sehen wir der Terminierung entgegen, die das Oberlandesgericht Braunschweig für (Beifall bei der SPD) den Herbst angekündigt hat. Der entscheidende Vorteil Schauen wir doch mal, was die Grünen, wenn es ernst der Musterfeststellungsklage besteht darin, dass der Ver- wird, an kollektivem Rechtsschutz wollen. Sie reden und braucher ohne Kostenrisiko seine Rechte geltend ma- schreiben die Musterfeststellungsklage bei jeder Gele- chen kann. Wenn die Musterfeststellungsklage zu seinen genheit kaputt. Da kann man sich ja mal überlegen: Wel- Gunsten ausgeht, dann gehen wir davon aus, dass es Ver- ches Instrument wollen Sie denn, wenn es ernst wird? gleichsangebote gibt. Mit welcher Klage, mit welchem Rechtsschutz wollen (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ja! Und Sie dem Verbraucher dienen? Schauen wir dazu ins Ja- wenn nicht?) maika-Sondierungspapier. Was steht dort? Da heißt es – ich zitiere –: Wo das nicht der Fall ist, wird eben noch einmal geklagt werden müssen. Im Sinne einer Verbesserung der Rechtsdurchset- zung führen wir eine Musterfeststellungsklage ein. Man kann durchaus diskutieren – da bin ich bei Ihrem Thema, Frau Rottmann –, ob bei einfach zu berechnen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des den Kleinstbeträgen eine Leistungsklage im Rahmen des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] – kollektiven Rechtsschutzes sinnvoll ist, ob wir im New Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Deal for Consumers auch Elemente der Leistungskla- Ja, was ist das denn? Die ganze Zeit reden Sie dagegen, ge unterbringen müssen; das ist überhaupt keine Frage. aber wenn es ernst wird in den Verhandlungen, dann Aber wir sind der Meinung: Speziell für die Konstella- kommen Sie auf das Modell zurück, das wir umgesetzt (B) tion beim Dieselskandal ist die Feststellungsklage das (D) haben. Das ist pure Heuchelei, liebe Kolleginnen und bessere Mittel. Kollegen von den Grünen. Nun aber zu Ihrem Antrag. Ich finde es – hier muss ich deutlich werden – einfach kleinkariert und schlecht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wie Sie krampfhaft versuchen, dieses Erfolgsmodell, das der CDU/CSU – Dr. Jürgen Martens [FDP]: vom vzbv, vom ADAC und von vielen Verbänden gelobt Das war unser Vorhaben!) wird, kaputt- und kleinzureden. Richtig seltsam wird Ihr Antrag, wenn Sie der Bun- (Katharina Willkomm [FDP]: Es gibt doch desregierung den Vorschlag vorwerfen, dass die Klage- noch gar kein Ergebnis!) befugnis eines Verbandes Engagement für den Verbrau- cherschutz voraussetzt. Sie besorgen damit das Geschäft der Gegner des Verbrau- cherschutzes und der Konzerne, die diesen Verbraucher- (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE schutz nicht haben wollen. Das kann doch nicht wahr GRÜNEN]: Bei der Gruppenklage brauche sein! ich keinen Verband!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ja, was sonst soll denn ein solcher Verband machen? Er der CDU/CSU) soll sich um den Verbraucherschutz kümmern. Das muss auch in der Klagebefugnis geregelt sein. Hätten Sie im Wenn das Oberlandesgericht Stuttgart nun erstinstanz- Rahmen des Dieselskandals etwa die VW-Stiftung oder lich entschieden hat, dass die Klagebefugnis fehlte, dann den Verband der Automobilindustrie klagen lassen wol- ist doch nicht die Klageart daran schuld, sondern der kla- len? Wohl kaum, liebe Kolleginnen und Kollegen. gende Verband hat den Fehler gemacht; das muss man so deutlich sagen. Das ist ein Standardvorgang in der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Justiz: Wenn die Klagebefugnis fehlt, wird eine Klage der CDU/CSU) abgelehnt. An der Stelle darf ich auch noch mit dem Gerücht auf- Dann fordern Sie auch noch, dass die Bundesregie- räumen, dass die SPD die Deutsche Umwelthilfe raus- rung auf EU-Ebene nicht an den Prinzipien der Muster- halten wollte. Auf gar keinen Fall! Ich sehe nach wie feststellungsklage festhält. Ich darf daran erinnern, dass vor keinen Grund, warum nicht auch die Deutsche Um- die zuständige EU-Kommissarin, Frau Jourova, bei uns welthilfe ein Verfahren anstrengen sollte. Das ist durch- im Rechtsausschuss war und ich sie gefragt habe: Was aus möglich mit den Regelungen, die wir beschlossen halten Sie von der Musterfeststellungsklage? Ist das haben. 11608 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Johannes Fechner (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Musterfest- einer Masse von Geschädigten, die von Großunterneh- (C) stellungsklage haben wir einen Meilenstein für den Ver- men geschädigt wurden, ergibt die Einführung eines braucherschutz geschaffen. Ich bin dem Bundesjustizmi- kollektiven Rechtsschutzes Sinn. Und wenn wir vom nisterium und insbesondere unserer äußerst engagierten Rechtsschutz sprechen, dann meinen wir einen effekti- Justizministerin sehr, sehr dankbar dafür, dass sie hier ven, einfach zu erreichenden und möglichst risikoarmen so gut gearbeitet und das Thema vorangetrieben hat. Bei Rechtsschutz, meine Damen und Herren. den Verhandlungen über den Inhalt eines europäischen Das aber wird mit dem Gesetz zur Einführung der kollektiven Rechtsschutzes im Rahmen des New Deal for Musterfeststellungsklage, das von der Regierung als Ent- Consumers sollte unsere Musterfeststellungsklage des- wurf vorgelegt und von der Großen Koalition im Eilver- halb als eine Möglichkeit des kollektiven Rechtsschutzes fahren durchgebracht worden ist, leider nicht erreicht. enthalten sein. (Beifall bei der FDP) Ich komme zum Schluss. Wir lehnen den Antrag ab. Ihr Antrag ist unnötig und in der Sache kleinkariert. Hö- Die Regelungen zur Beschränkung der Zulässigkeit und ren Sie endlich auf, die Musterfeststellungsklage klein- Klagebefugnis stürzen den Verbraucher in Risiken, die zureden! Sie verunsichern die Verbraucherinnen und er selbst überhaupt nicht abschätzen und auch nicht ab- Verbraucher. wenden kann; denn wenn zur Verjährungshemmung eine Klage eingereicht wird und das Gericht dann sagt: „Tut Vielen Dank. mir leid; das ist leider nicht zulässig“, dann war es das. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das kann der Verbraucher nicht erkennen. Es ist auch der CDU/CSU) nicht seine Aufgabe, das zu erkennen. Da muss sich der Gesetzgeber den Vorwurf machen lassen: Davor hätten Sie den Verbraucher schützen können. – Deswegen müs- Vizepräsidentin Petra Pau: sen Sie sich auch nicht wundern, wenn wir sagen: Der Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Martens für die Verbraucherschutz der Bundesregierung eignet sich nicht FDP-Fraktion. als Blaupause für Regelungen auf europäischer Ebene. (Beifall bei der FDP) Da müssen wir schon etwas besser nachdenken und uns etwas mehr Zeit lassen für die Diskussion. Dr. Jürgen Martens (FDP): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Ich hoffe, dass die Zeit nach den Europawahlen uns Herren! Man merkt, es ist Wahlkampf. Da muss einiges Gelegenheit gibt, vernünftig über die noch ausstehenden (B) klargestellt werden. Regelungen, etwa im Verbraucherschutz, zu diskutieren. (D) Hier wurde in Bezug auf die Sondierungsgespräche Wir, die Liberalen, wir Freien Demokraten, werden mit gesagt, das Thema Verbandsklage oder, besser gesagt, Sicherheit weiterhin unsere Beiträge dazu leisten, im kollektiver Rechtsschutz sei eine Erfindung der Grünen Sinne der Verbraucher. gewesen. Das stimmt nicht. Es waren die Liberalen, die Vielen Dank. das Thema aufgebracht haben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Natürlich!) Vizepräsidentin Petra Pau: Und noch etwas, Herr Dr. Fechner. Sie schmücken Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die sich damit, dass Sie Lob vom ADAC bekommen haben, CDU/CSU-Fraktion. einer anerkannten Fachorganisation im juristischen Be- reich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Allerdings wäre ich, wenn ich wüsste, wie manche Be- Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- wertungen beim ADAC zustande kommen, eher vorsich- gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten tig damit, ihn als Referenz anzuführen. Sie mir zwei Vorbemerkungen. (Beifall bei der FDP) Die erste Vorbemerkung geht an Sie, Herr Brandner. Das war jetzt wieder ganz das Prinzip AfD: Sie stellen Lassen wir aber mal den Wahlkampf und das Wahl- sich hier vorne hin, machen dicke Backen, zeigen ge- kampfgetöse weg. Wenn sich der Nebel und der Pulver- stisch die ganze Zeit mit dem Finger auf die anderen dampf lichten, dann stellen wir fest: Es gibt keine Frak- tion in diesem Haus, die nicht die Notwendigkeit eines (Stephan Brandner [AfD]: Auf wen sonst?) kollektiven Rechtsschutzes befürworten würde, und dies auch auf europäischer Ebene. Es ist schon mal gut, wenn und erklären, was alles nicht gut läuft. Hat man aber eine man das als Konsens feststellen kann. Frage, lassen Sie sie nicht zu. Ich weiß, warum Sie sie nicht zulassen: weil Sie keine Antwort haben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gerade bei Ereignissen mit vielen Geschädigten, bei de- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- nen oftmals nur ein kleiner Schaden vorliegt, oder mit SES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Schnieder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11609

Alexander Hoffmann (A) [CDU/CSU]: Keine Antworten und keine Ah- terfeststellungsklage mehr anhängig gemacht werden (C) nung! – Stephan Brandner [AfD]: Stellen Sie kann, wenn schon eine rechtshängig ist. Aber das Ziel, die Frage!) das dahintersteckt, müsste doch, wie ich glaube, in un- serem gemeinsamen Interesse sein: Wir wollen bündeln. Das betrifft im Übrigen ganz viele Bereiche, weil das bei Wir wollen keine weiteren Klagen. Wir wollen, dass sich Ihnen Prinzip ist. Ich glaube schon, dass Sie bei zukünf- auch andere Verbraucher motiviert fühlen, sich auf die- tigen Reden hier auch einmal durch inhaltliche Tiefe auf- se Musterfeststellungsklage zu fokussieren; denn nur so fallen sollten. Dann erübrigt sich bei mir der Drang nach erreichen wir am Schluss die Entlastung von Gerichten. einer Frage. Ich muss sagen, dass ich die Entscheidung des OLG (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak Stuttgart insgesamt teile. Wenn Sie sich einmal den Zeit- [CDU/CSU] – Stephan Brandner [AfD]: Stel- raum anschauen, sehen Sie, dass Klägerinnen und Klä- len Sie die Frage doch! Sie haben ja keine!) ger, die sich der Klage angeschlossen haben, insofern Die zweite Vorbemerkung geht an die Grünen. Kol- nicht benachteiligt sind. Seit dem 1. November 2018 gibt legin Rottmann, es war schon fast theatralisches Talent, es überhaupt die Möglichkeit der Musterfeststellungs- wie Sie sich als grüne Partei in Szene gesetzt haben als klage. Die mündliche Verhandlung in diesem Verfahren war schon am 25. Januar 2019, das Urteil erfolgte am Schutzheilige der Schwachen in diesem Bereich. 20. März 2019. Selbst wenn man jetzt von einem Zeitver- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lust redet, muss man doch ehrlicherweise sagen, dass die NEN]: Jetzt kein falscher Neid!) Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an diesem Klageverfahren beteiligt haben, am Schluss über § 204 Ich will das gar nicht ins Lächerliche ziehen. Es gibt un- BGB geschützt sind, der die Verjährung in dem Moment terschiedliche Bereiche, wo wir ein verschobenes Kräf- hemmt, wo ein Anspruch rechtshängig gemacht wird. teverhältnis haben und wo wir überlegen müssen: Wie können wir den Schwachen helfen? Aber ich fühle mich Auch inhaltlich halte ich diese Entscheidung für rich- an der Stelle natürlich bemüßigt, auf unsere Diskussion tig. Das OLG begründet die Ablehnung der Klagebefug- in Bezug auf das europäische Urheberrecht hinzuweisen. nis damit, dass die Kläger nicht nachweisen konnten, Da gibt es auch Schwache. Das sind die User, das sind dass sie die Klage nicht zum Zwecke der Gewinnerzie- die Urheber. Und es gibt Starke. Das sind YouTube und lungsabsicht erheben. Da sind wir doch genau bei dem, Facebook. So, wie Sie in den letzten Wochen gerade in was wir wollten: Keine Klageindustrie! diesem Bereich aufgefallen sind, stärken Sie eigentlich Im Übrigen – nur einmal am Rande –: Die Kläger nur die Starken, halten denen die Stange. Die Urheber hatten damals anonymisierte Listen vorgelegt. Trotz und die User sind Ihnen offensichtlich egal. Da hätte ich wiederholter Aufforderung haben sie sich geweigert, (B) einfach eine andere Konstante. entsprechende Konkretisierungen vorzunehmen. Eine in- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haltsgleiche Klage ist vom OLG Braunschweig damals neten der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ überhaupt nicht angenommen worden. Deswegen hat die „FAZ“ am Schluss getitelt, dass der Ausgang dieser Ent- DIE GRÜNEN]: Komisch, dass Ihnen keiner scheidung absehbar war. glaubt, was Sie da erzählen!) Ich persönlich betrachte es schon kritisch – das ist Meine Damen, meine Herren, wir wollen kollektiven vorhin beim Kollegen Steineke schon angeklungen –, Rechtsschutz. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass dass Sie der EU-Richtlinie zur Verbrauchersammelkla- es zum effektiven Rechtsschutz gehört, die Gerichte ge hier ein Stück weit den Vorzug geben wollen. Das zu entlasten und eben auch die Rechte des Einzelnen ist eigentlich mit all dem, was Sie früher gesagt haben, zu stärken. Was wir nicht wollen, ist die Förderung ei- nicht vereinbar. Wenn Sie sich allein einmal anschauen, ner Klageindustrie, die Überflutung von Gerichten mit was das Discovery-Verfahren für den Bereich des Daten- Verfahren und dass Klagen womöglich von Personen im schutzes am Schluss bedeutet: Da gibt es Vorgänge, dass Hintergrund, durch Geldgeber gesteuert werden können. Unternehmen gerichtlich gezwungen worden sind, den Sie bringen als Beispiel die Entscheidung des Ober- E-Mail-Verkehr von Mitarbeitern, und zwar auch den landesgerichts Stuttgart und verknüpfen damit die privaten, offenzulegen. Das kann, glaube ich, nicht unser Schlussfolgerung: Die Musterfeststellungsklage, so wie Ernst sein. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass sich Sie sie entwickelt und im Gesetz etabliert haben, taugt die Grünen weiter davon distanzieren. Deswegen werden nicht. – Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich teile das nicht. Sie Verständnis dafür haben, dass wir Ihrem Antrag heute Ihr erstes Argument ist, die Klagebefugnis sei ja wahn- nicht folgen können. sinnig kompliziert, der Verbraucher wisse gar nicht, ob Vielen Dank. er klagebefugt ist. Wenn Sie einmal in andere Rechtsbe- reiche schauen, zum Beispiel ins Baurecht, in den Nach- (Beifall bei der CDU/CSU) barschutz, dann müssen Sie ehrlich zugeben, dass heute auch im öffentlichen Baurecht ein Nachbar nicht weiß, Vizepräsidentin Petra Pau: ob er klagebefugt ist. Da brauchen Sie die Verletzung Ich schließe die Aussprache. einer drittschützenden, einer nachbarschützenden Norm, und das ist ohne Rechtsanwalt gar nicht darstellbar. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Als Zweites nehmen Sie § 610 Absatz 1 Satz 1 ZPO che 19/9267 mit dem Titel „Kollektiven Rechtsschutz in den Fokus und kritisieren, dass keine weitere Mus- ausbauen und nicht ausbremsen“. Wer stimmt für diesen 11610 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- (C) Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des FDP-Fraktion, der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der Grundgesetzes Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Keine Verlängerung Europäischer Hilfsfonds Tagesordnungspunkt 24 b. Abstimmung über die Be- Drucksache 19/9249 schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- Überweisungsvorschlag: braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uni- Die Grünen mit dem Titel „Mehr Verbraucherschutz in on (f) Auswärtiger Ausschuss der EU durchsetzen – Kollektiven Rechtsschutz stär- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- ken und Transparenz bei Internetplattformen schaffen“. wicklung Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Haushaltsausschuss lung auf Drucksache 19/9075, den Antrag der Frakti- ZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/8563 richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Beschlussemp­fehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- – zu dem Antrag der Abgeordneten Olaf in onsfraktionen, der AfD-Fraktion und der FDP-Fraktion der Beek, Alexander Graf Lambsdorff, gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal- Dr. Christoph Hoffmann, weiterer Abgeord- tung der Fraktion Die Linke angenommen. neter und der Fraktion der FDP Ich rufe die Zusatzpunkte 11 bis 13 auf: Post-Cotonou-Verhandlungen als Chance ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten nutzen – Für ein neues EU-Afrika-Ab- Dr. Harald Weyel, Corinna Miazga, Norbert kommen Kleinwächter, weiterer Abgeordneter und der – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva-Maria­ Fraktion der AfD Schreiber, Helin Evrim Sommer, Heike zu den Verhandlungen zum Mehrjähri- Hänsel, weiterer Abgeordneter und der gen Finanzrahmen bezugnehmend auf den Fraktion DIE LINKE Sachstandsbericht des Europäischen Rates Eine Partnerschaft mit Afrika für Ge- Ratsdok. 13047/18 rechtigkeit, Frieden und ein Leben in Würde (B) sowie (D) zu den Verhandlungen zum Vorschlag für Drucksachen 19/2528, 19/2519, 19/6190 einen Beschluss des Rates zur Festlegung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für der finanziellen Beiträge der Mitgliedstaa- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- ten zum Europäischen Entwicklungsfonds nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (EEF) einschließlich der dritten Tranche 2018 KOM(2018) 669 endg.; Ratsdok. 12861/18 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- ordnete Professor Dr. Harald Weyel für die AfD-Frakti- hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- on. regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (Beifall bei der AfD) Keine Verlängerung beziehungsweise Neu- auflage des Europäischen Entwicklungsfonds Dr. Harald Weyel (AfD): (EEF) Sehr geehrte Präsidentin! Damen und Herren Kol- legen und Zuschauer! Mit den hier zur Rede stehenden Drucksache 19/9238 Fonds sehen wir den unguten Endpunkt einer Gesamtent- Überweisungsvorschlag: wicklung, einer Entwicklung, die wenig mit Hilfe und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- noch weniger mit Problemlösungen zu tun hat. Zu tun hat wicklung (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen sie vielmehr mit dem in Brüssel quasi veruntreuten Geld ­Union (f) europäischer Normalverdiener zugunsten irgendwelcher Auswärtiger Ausschuss Eliten in anderen Weltteilen oder aber Lobbygruppen in Haushaltsausschuss EU-Europa bzw. Deutschland selbst. Es geht ums Welt- Federführung strittig sozialamt statt um Weltpolitik, und das versagt schon vor ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten der eigenen Haustür. Dr. Harald Weyel, Corinna Miazga, Siegbert Fangen wir mit dem quasi ersten außenpolitischen Droese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sündenfall an, den schon die alte EWG der Sechs beging: der AfD die Finanzierung der französischen, niederländischen, zu den Verhandlungen zum Mehrjähri- belgischen und italienischen Kolonien ganz maßgeblich gen Finanzrahmen, bezugnehmend auf den mit westdeutschem Geld. Der erste fünfjährige Entwick- Sachstandsbericht des Europäischen Rates lungsfonds belief sich auf 2,3 Milliarden D-Mark. Unter Ratsdok. 13047/18 Berücksichtigung der Inflation und der Euro-Umstellung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11611

Dr. Harald Weyel (A) wären das heutzutage etwa 12 Milliarden Euro. Es ging Nahen Osten. Genau der expandiert nun auch noch ideo- (C) damals übrigens ausschließlich um Infrastrukturausbau, logisch, und er migriert dabei auch noch ganz praktisch. später dann mehr und mehr um Export/Import-Subven- tionen, Gefälligkeiten, gegenseitige Erpressung und/oder Nicht mit Placebo- und Heftpflasterinstrumenten der Übervorteilung sowie mehr und mehr um Schwammiges Geld- und Zeitverschwendung ist dem beizukommen. und jede Menge Fehldiagnosen, bis zum heutigen Tag. Genau die betreiben der EEF und der EU-Haushalt mit Der zweite EEF ab 1963 erreichte 15 Milliarden heutige all ihren Etikettenwechseln. Entschlossene Außenpolitik, Euro. Bei ersterem wurde jeweils ein Drittel des Betrags Grenzschutz und glasklare Innenpolitik großer EU-Staa- von Frankreich und Deutschland eingezahlt. Achtung, ten lassen sich nicht ersetzen durch all die Selbstläh- jetzt kommt der Trick: 50 Prozent des Geldes landeten mungsketten supranationaler Entscheidungsprozesse, bei französischen Firmen, nur 20 Prozent bei deutschen, Entscheidungsprozesse, die in summa meist auf Selbst- und so ganz, ganz viel hat sich an diesem Grundprinzip verantwortungsflucht, Nicht- oder Fehlentscheidungen bis heute nicht geändert. hinauslaufen. Wir brauchen einen Neuanfang, und der heißt Schluss- Als die UNO 1960 begann, ihre Entwicklungsdeka- machen mit dem alten Zopf EEF und einem Außenpo- den auszurufen, setzte der Westen allein in den ersten litikersatz à la Nachbarschaftshilfe etc. pp., welche die fünf Jahren 30 Milliarden D-Mark ein. Die Hilfsgelder Profiteure, Kosten und Verantwortung nur verschleiern. vom Ostblock beliefen sich in der Zeit auf 10 Milliar- Sinnvolle Maßnahmen in Eigenregie sind besser als un- den. Dieser Faktor drei, dreimal so viel, steigerte sich sinnige Kollektivgremien und Gemeinschaftskassen, aus auf den Faktor zehn. Also zehnmal mehr gab der Westen denen sich die, die am wenigsten beitragen, am meis- als der Osten, bis zu dessen Zusammenbruch – wohlge- ten bedienen. Im EU-Binnenmarkt brauchen wir einen merkt: zusätzlich zu allen militärischen Engagements, Globalisierungsfolgenfonds oder einen Individualbe- Geheimdienstmachenschaften und inklusive ungeklärter nachteiligungsausgleichfonds, EHAP, so wenig wie eine Dauerprobleme um „dual use“ und „unintended conse- EU-Arbeitslosenversicherung oder ein Weltsozialamt zu quences“. Genützt hat es wenig: Kolonial- oder Stellver- deutschen Hauptlasten. treterkriege des ach so friedlichen Europas und der bei- den eigentlichen Weltmächte mit Sitz in Washington und Danke. Moskau fanden und finden statt und kosteten bis dato mehr als 18 Millionen Menschenleben (Beifall bei der AfD) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vizepräsidentin Claudia Roth: Wie viele Millionen?) Einen schönen Tag von mir Ihnen, liebe Kolleginnen (B) und damit mehr als der Erste Weltkrieg. und Kollegen! – (D) Weder die Empfänger der Westhilfen noch die der Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Volkmar Osthilfen in der Dritten Welt sind mit Demokratisierung, Klein. Modernisierung und Wettbewerbswirtschaft sonder- lich weit gekommen. Derweil geraten Demokratie und (Beifall bei der CDU/CSU) Marktwirtschaft selbst im Westen mehr und mehr unter die Räder, unter die Räder einer EU, die sich eher als eine Volkmar Klein (CDU/CSU): Art EUdSSR und als Völkergefängnis geriert. Frau Präsidentin, auch ich wünsche Ihnen einen sehr schönen Tag! Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist hier schon eine SES 90/DIE GRÜNEN) gute Tradition, dass wir im Plenum und vor allen Dingen Die Briten mühen sich derzeit verzweifelt um Hafter- im Entwicklungsausschuss ständig darüber reden, wie leichterungen. wir die Effizienz unserer Entwicklungszusammenarbeit noch weiter steigern können. Das ist auch wichtig, weil (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das wir natürlich wissen, dass alles noch zu verbessern ist. ist nicht zu ertragen!) Deswegen tun wir das ja auch. Sie ist, wie es scheint, noch ungeeigneter zu gesunder Aber so ein bisschen erscheint die heutige Debatte Weltmission als alle ihre Vorgänger. Wir blicken auf eine wie eine Neuauflage der Diskussion hier vor genau ei- über 50-jährige Negativbilanz, auf verlorene Jahrzehnte, ner Woche. Vor einer Woche wollte die AfD beantragen gerade nach 1990. und vorschlagen, die Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern zu streichen. Jetzt schlägt sie uns vor, Es gilt dabei erfahrungsgemäß die folgende Formel: den Europäischen Entwicklungsfonds zu streichen. Die Die Länder, die die längste Zeit das meiste Geld be- Argumente und auch die Gegenargumente werden sich ja kommen haben, blieben und wurden noch am wenigsten irgendwie ähneln. entwickelt, die, die wenig bis gar nichts bekommen ha- ben, aber sehr wohl, siehe vor allen Dingen China und Dabei fängt der Antrag sogar mit Richtigem an. Ich Südasien als neue Groß- und Wirtschaftsmacht sowohl meine einfach die Feststellung der Historie: Der Europä- aus eigener Kraft wie auch dank geöffneter Westmärkte. ische Entwicklungsfonds war bereits in den 1958 in Kraft China haben insbesondere EU-Europäer genauso wenig getretenen Römischen Verträgen vorgesehen. Das Gan- entgegenzusetzen wie dem mit Petrodollars überfütterten ze geht bis hin zu dem jetzigen, dem 11. Europäischen 11612 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Volkmar Klein (A) Entwicklungsfonds. Zeitraum und Umfang dieses Fonds es weniger Migration, und das wollen Sie nicht, weil Sie (C) sind also korrekt dargestellt. dann kein Thema mehr haben. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) NEN]: Aber dann ist Schluss!) Deswegen ist es sehr in unserem Interesse, und deswegen – Genau; dann ist Schluss. lehnen wir das alles ab. Dann wird festgestellt: Das alles wird heute nicht Was zu tun ist, ist nachdenken, wie denn unsere In- mehr gebraucht. – Dann ist eben Schluss mit der kor- strumente weiter verbessert werden können. Insofern ist rekten Darstellung. Wenn dann obendrein noch in dem es sehr hilfreich, dass wir auch noch über den Antrag der Antrag steht, dass die Europäische Union damit alles do- FDP reden können. Dazu hat gleich mein Kollege Georg miniere und die EZ der Einzelstaaten – ich zitiere – „in Kippels noch eine ganze Menge zu sagen. Genau so muss eine nachgeordnete und ergänzende Rolle“ dränge, dann das auch sein: Wir müssen Ideen einbringen und darum ist das schon ziemlich grober Unfug. Zwei Hinweise: ringen, wie es besser werden kann. Aber es darf nicht die- ses dumpfe Ablehnen von all dem geben, was Deutsch- Erstens: Stichwort „dominierend“. Von den deutschen land am Ende nutzt. Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit werden noch nicht einmal 10 Prozent in den Europäischen Entwick- Herzlichen Dank. lungsfonds gesteckt. Das ist nicht viel mehr, als wir an (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) deutschen Finanzen in das Welternährungsprogramm stecken. Es macht auch Sinn, an vielen Stellen nicht als

Einzelstaat, sondern gemeinsam mit Gleichgesinnten zu Vizepräsidentin Claudia Roth: arbeiten – egal ob im Welternährungsprogramm oder ge- Vielen Dank, Volkmar Klein. – Nächster Redner in der meinsam mit den europäischen Partnern. Debatte: Olaf in der Beek für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der FDP) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Olaf in der Beek (FDP): Der Hinweis, das habe sich ja erledigt, das werde nicht Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und weiter gebraucht, ist genauso weit entfernt von der Re- Herren! Die AfD will den Europäischen Entwicklungs- alität. fonds abschaffen. Die AfD will, dass jedes Jahr mehr als Ich will unterstreichen – insofern ähnelt das dem, was 5 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit, ich selber hier in der letzten Woche gesagt habe –: Wir insbesondere mit Afrika, gekürzt werden. Gleichzeitig (B) (D) wollen den Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit, will sie, wie in diversen Flyern und Programmen nach- weil wir es auf der einen Seite für ein ethisches Gebot zulesen, den massenhaften Zuzug bildungsferner Men- halten, sich auch um den Nächsten zu kümmern, dafür schen aus fremden Kulturen verhindern. zu sorgen, dass auch Menschen in anderen Ländern die Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine derartige Chance haben, einen Job zu bekommen, persönliche Per- Schizophrenie gehört eher zum Therapeuten als in den spektiven zu haben und in ihrem Land voranzukommen. Deutschen Bundestag. Das ist ein ethisches Gebot, und dem wollen wir gerecht werden. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Verhindern zu wollen, dass Menschen aus Angst vor Krieg, Gewalt, Hunger, Not und Elend zu uns fliehen, Es ist gleichzeitig unser ganz eigenes praktisches In- indem man auch noch die Mittel für Entwicklungszusam- teresse und – ich sage es noch deutlicher – es ist auch menarbeit streicht, die genau das verhindern sollen, ist unser deutsches Interesse, dass die Menschen dort, in den eine migrationspolitische Katastrophe. Ländern, in denen sie leben, Jobs und Chancen und Per- spektiven bekommen; sonst machen sie sich nämlich auf Ich sage Ihnen auch, warum das so ist: Vier der fünf den Weg in andere Länder und suchen sich dort ihre Per- Hauptherkunftsländer von Menschen, die nach Deutsch- spektiven. Wir wollen lieber dort helfen, wo diese Men- land flüchten, sind in Afrika und gehören zu der Gruppe schen leben. der ärmsten Länder dieser Welt. Genau denen wollen Sie unsere Unterstützung streichen und damit den Migrati- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- onsdruck im Grunde wieder erhöhen. Warum wollen Sie ordneten der SPD) genau das tun? Weil das zu Ihrem Programm gehört, weil Deswegen erläutere ich das noch einmal: Erfolgreiche Sie davon leben. Das, was Sie tun wollen, wollen wir Entwicklungszusammenarbeit entspricht erstens unseren entschieden nicht. Werten, und sie entspricht zweitens unserem Interesse, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der unserem deutschen Interesse. SPD) Wenn ich diesen Antrag lese, wird mir klar, dass damit Der Europäische Entwicklungsfonds ist ein zentrales so ein bisschen der böse Verdacht untermauert wird, dass Element für die Unterstützung der afrikanischen, karibi- es Ihnen ja um etwas ganz anderes geht. Denn wenn Er- schen und pazifischen Staaten. Schon allein aufgrund des folg bei Entwicklungszusammenarbeit da ist, dann gibt ungebrochenen Migrationsdrucks, weiter steigender Ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11613

Olaf in der Beek (A) burtenraten und der Zunahme von gewalttätigen Konflik- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) ten auf unserem Nachbarkontinent müssen wir größtes Vielen Dank, Olaf in der Beek. – Nächste Rednerin: Interesse daran haben, Afrika und die ärmsten Länder der für die SPD-Fraktion. Welt mehr und nicht weniger zu unterstützen. (Beifall bei der SPD) Aus diesem Grund haben wir bereits letztes Jahr einen Antrag eingebracht, um auch die Debatte in Deutschland zu den künftigen Beziehungen der EU mit den afrikani- Dagmar Ziegler (SPD): schen, karibischen und pazifischen Staaten voranzubrin- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen gen. Wir brauchen für unsere Partnerländer eine maßge- und Kollegen! Wieder einmal ein Antrag der AfD aus der schneiderte Entwicklungszusammenarbeit und auch ein Rubrik „Tarnen und Täuschen“. Meine beiden Vorredner Ende des Müller᾽schen Gießkannenprinzips. haben es ja benannt: Die AfD-Fraktion will weder nati- onale noch internationale Entwicklungspolitik effektiver (Beifall bei der FDP) gestalten. Sie will sie schlichtweg abschaffen und ad acta Entwicklungsländer sind eben nicht gleich Entwick- legen. lungsländer, und jedes Land Afrikas hat seine eigenen Auch wurde bereits gesagt: Letzte Woche kam ein An- Chancen und Herausforderungen. Deshalb bin ich froh, trag unter dem Motto „Kein Geld für Schwellenländer“. dass sich die Europäische Kommission klipp und klar da- Heute geht es dem Europäischen Entwicklungsfonds an für ausspricht, dass es ein gemeinsames Rahmenabkom- den Kragen. Er ist das wichtigste Instrument der euro- men für die drei Regionen geben soll. Uns muss schon päischen Entwicklungszusammenarbeit mit den Staaten klar sein, dass die Herausforderungen eines pazifischen Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Durch ihn werden Inselstaates andere sind als die eines afrikanischen Bin- notwendige Projekte, die die wirtschaftliche, soziale und nenstaates ohne Zugang zum Meer. rechtsstaatliche Entwicklung von Partnerländern fördern Afrika ist das beste Beispiel, um zu sehen, wie un- und zur Verringerung der Armut weltweit beitragen, er- terschiedlich die Herausforderungen sind. Während wir möglicht. mit Tunesien gemeinsam für die Ansiedlung von Unter- Seit der Schaffung des ersten EEFs haben sich jedoch nehmen und den Aufbau echter Wertschöpfungsketten sein Zweck und seine Zielrichtung stetig weiterent- sorgen können, fehlt es im Südsudan an überlebenswich- wickelt, verändert und der politischen Situation in den tigen Nahrungsmitteln für die Bevölkerung. Ländern angepasst. Das kritisieren Sie. Aber die Heraus- Globale Herausforderungen können global gelöst forderungen von gestern sind eben nicht die Herausfor- werden, und weltweit mehr als 260 Millionen Menschen, derungen und die Aufgaben von heute und morgen. Die (B) die auf der Flucht sind, sind eine globale Herausforde- Aufgaben sind auch nicht weniger geworden: Klimawan- (D) rung, liebe Kolleginnen und Kollegen. del, Bevölkerungswachstum, die Schere zwischen Arm und Reich oder die vielen vernachlässigten Krankheiten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung funk- der CDU/CSU) tioniert nur durch eine globale Gemeinschaftsleistung Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass sich unser von bilateraler und multilateraler Entwicklungszusam- Nachbarkontinent Afrika endlich auch zum Chancenkon- menarbeit. tinent entwickelt. (Beifall bei der SPD) Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit steckt noch immer in unkoordinierten und kleinteiligen Einzel- Im Antrag der AfD wird hingegen eine Konkurrenzsi- maßnahmen fest. Wir brauchen endlich eine umfassen- tuation heraufbeschworen. Der EEF soll nicht neu aufge- de Koordinierung der deutschen und der europäischen legt werden, weil bundesdeutsche Programme durch „die Entwicklungszusammenarbeit. Wir brauchen mehr Mit- Neuausrichtung bestehender EU-Projekte und Hilfsfonds tel für die Grundbildung, für sexuelle und reproduktive in eine nachgeordnete erfüllende und ergänzende Rolle“ Gesundheit. Das hat uns auch erst in dieser Woche der gedrängt würden. Und weiter heißt es: neue Weltbevölkerungsbericht des UNFPA der Vereinten So sind es mittlerweile die EU-Institutionen und Nationen gezeigt. Wir brauchen mehr Risikokapital und nicht mehr die Mitgliedstaaten, die weltweit als bessere Rahmenbedingungen für Investitionen in den maßgebende Akteure der Entwicklungspolitik … afrikanischen Binnenmarkt. wahrgenommen werden. Die Quintessenz lautet: Wir brauchen vor allen Din- Darauf muss man erst mal kommen. gen eines: mehr Mut. Mehr Mut, die europäische Ent- wicklungszusammenarbeit endlich auch strategisch neu (Heiterkeit des Abg. Uwe Kekeritz [BÜND- zu denken. Mehr Mut, um uns an einer europäischen NIS 90/DIE GRÜNEN]) Zukunftsstrategie für Afrika zu orientieren, die darauf Dass es Ihnen darum ginge, nimmt Ihnen hier in diesem abzielt, Armut und Migrationsbewegungen wirkungsvoll Hause und in der Öffentlichkeit wirklich niemand mehr zu begegnen, und damit uns allen zugutekommt. ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE der SPD) GRÜNEN) 11614 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dagmar Ziegler (A) Kolleginnen und Kollegen von der AfD, im Bereich Mangelnde gute Regierungsführung und fehlende Eigen- (C) der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung tumsrechte, wie in Ihrem Antrag ausgeführt, sind Proble- geht es weder um Konkurrenz noch um einen Wettlauf, me, ja, aber sind eben nicht das Hauptproblem der afrika- mit dem man sich rühmen kann. Es geht schlichtweg nischen Staaten; denn der Kolonialismus und die daraus um Verantwortung. Es geht erstens darum, Menschen zu folgende heutige Ausbeutung durch die Industriestaaten schützen und ihnen Chancen zu eröffnen, zweitens, un- sind und bleiben die zentrale Ursache der bestehenden sere Partnerländer in ihrer Entwicklung zu unterstützen, wirtschaftlichen Ungleichheit. (Dr. Harald Weyel [AfD]: Paternalismus!) (Beifall bei der LINKEN) und drittens, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nati- Die EU, Investoren und Konzerne setzen auch heute noch onen zu erreichen. Genau daran arbeiten wir eigenständig ihre Wirtschaftsinteressen gegenüber den afrikanischen als Bundesrepublik Deutschland und gemeinschaftlich Ländern skrupellos zum eigenen Vorteil durch. Ohne das als Mitglied der EU sowie als Mitglied internationaler zu berücksichtigen, kann man nicht zu einer Verbesse- Organisationen. rung der Lage beitragen, selbst mit besten Absichten. (Beifall bei der SPD) Nun zu unseren Vorschlägen. Über den Europäischen Sie wollen heute EZ-Programme der EU streichen, in- Entwicklungsfonds betreibt die EU Migrationsabwehr dem Sie das Ziel, die Armutsbekämpfung bzw. die Stär- im Rahmen des EU-Nothilfe-Treuhandfonds für Afri- kung der Menschenrechte, als zu allumfassend, unkon- ka. Das halte ich ebenso für eine Zweckentfremdung der kret und mithin als nicht förderungswürdig beschreiben. Mittel wie die Ertüchtigung und Unterstützung von afri- Das ist perfide. kanischen Militärmissionen über die Afrikanische Frie- densfazilität. Eigentlich verbietet Artikel 41 Absatz 2 des (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE Vertrags über die Europäische Union jegliche Bezahlung LINKE]) militärischer Instrumente aus dem EU-Budget. Deshalb Leider ist Armut real. 736 Millionen Menschen leben finanziert die Kommission sie aus Töpfen außerhalb die- weltweit in extremer Armut. 1,3 Milliarden Menschen ses Budgets, wie eben dem Europäischen Entwicklungs- sind insgesamt von Armut betroffen. Zwischen Gesund- fonds. Das ist ein Taschenspielertrick! Das lehnen wir ab. heit, Bildung und Armut – so haben wir es jedenfalls alle (Beifall bei der LINKEN) bis auf Sie verstanden – besteht ein direkter Zusammen- hang. Die Eingliederung des Fonds in den regulären EU-Haus- halt ist überfällig, weil nur dadurch das Europäische Par- Das müssen wir ändern – zusammen mit der EU, zu- lament sein Recht auf Haushaltskontrolle ausüben kann. (B) sammen mit internationalen Organisationen. Dafür brau- (D) chen wir den Europäischen Entwicklungsfonds und die Statt immer mehr Mittel in Militäraufbau und Aufrüs- durch ihn angestoßenen Projekte – ganz gleich, ob er se- tung umzuleiten, müssen wir uns dringend auf ursprüng- parat vom EU-Haushalt besteht oder in diesem aufgeht. liche Ziele und Werte der Entwicklungszusammenarbeit besinnen. Die EU muss sich endlich mehr auf die Ar- Vielen Dank. muts- und Hungerbekämpfung in den ärmsten Ländern (Beifall bei der SPD) konzentrieren. Hier sind die Mittel in den letzten Jahren leider rückläufig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir halten es auch für falsch, auf eine immer engere Vielen Dank, Dagmar Ziegler. – Nächste Rednerin: Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu setzen. Solan- für Die Linke . ge es keine verpflichtenden ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Mindeststandards für internationa- (Beifall bei der LINKEN) le Unternehmen gibt, steht mehr Privatwirtschaft nicht automatisch für eine Verbesserung des Lebens der Men- Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): schen im Globalen Süden. Leider bremsen Kanzleramt Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe und Wirtschaftsministerium die Ansätze des BMZ in die- Gäste! Die vorliegenden Anträge der AfD, den Europä- ser Frage aus. Mehr Abstimmung und Zusammenarbeit ischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten im Sinne der Nachhaltigkeitsziele und dem gemeinsamen Personen zu streichen und die ersatzlose Abschaffung Ziel „leave no one behind“ sind hier dringend geboten. des Europäischen Entwicklungsfonds zu fordern, weil es (Beifall bei der LINKEN) ja heute keine Kolonien mehr gibt, belegen wieder ein- mal, wie sehr Ihnen das Wohl des Globalen Südens tat- Statt über Reformpartnerschaften oder Freihandelsab- sächlich am Herzen liegt, und das bei einem Thema, bei kommen wie den EPAs oder Ähnlichem weitere Markt- dem alle Länder dringend zusammenarbeiten müssen. liberalisierungen, Deregulierungen und Privatisierungen durchzudrücken, müssen wir endlich Kleinbauern, lokale Aber auch die FDP macht es sich zu leicht, wenn sie Kleinunternehmer und regionale Wertschöpfungsketten die Frage der Verantwortung für die wirtschaftliche Ent- ins Zentrum unserer Förderung stellen. Auch gute öffent- wicklung Afrikas mit einem simplen „selber schuld“ be- liche Gesundheits- und Bildungssysteme sind dringend antwortet. nötig, wenn tatsächlich niemand zurückgelassen werden (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Hat nie- soll. Darin sind sich Bundesregierung, EU und Verein- mand behauptet! Kompletter Unsinn!) te Nationen ja eigentlich offiziell einig. Menschen vor Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11615

Eva-Maria Schreiber (A) Profite – das gilt erst recht für die Entwicklungszusam- Es gibt in Ihrem Antrag auch keinen Hinweis darauf, (C) menarbeit. welche Funktionen Investitionen übernehmen müssen. Investitionen müssen immer sozialen, ökologischen und Danke schön. menschenrechtlichen Kriterien gerecht werden. Es muss (Beifall bei der LINKEN) immer sichergestellt sein, dass sie, wenn sie gefördert werden, auch dem Gemeinwohl dienen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank, Eva Schreiber. – Nächster Redner in der sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Debatte: Uwe Kekeritz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie glauben immer noch an Maggie Thatchers Trick- le-down-Effekt. Da ist die Weltgemeinschaft schon we- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sentlich weiter, die mit der Agenda 2030 und der Pariser Erklärung genau das Gegenteil dokumentiert hat. Diese Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beiden Faktoren, die Agenda 2030 und die Pariser Erklä- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! rung, müssen zentraler Baustein eines Cotonou-Folgeab- Jürgen Trittin hat es letzte Woche so schön gesagt: kommens sein. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Oh nein!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Er wundert sich über die vielen sachlichen Versuche der anderen Parteien, auf die Anträge einzugehen. – Es ist Ich muss Ihnen sagen: Dazu steht nichts in Ihrem Antrag doch klar, was die Motivation hinter diesen Anträgen ist. drin. Es fehlt also das Wesentliche. Sie sind es eigentlich nicht wert, dass man auf sie sach- Im Antrag der Linken, der auch dazugestellt worden lich eingeht. Herr Dr. Weyel, Sie können sich so stark an- ist, werden ebenfalls viele wichtige Punkte angespro- strengen, wie Sie wollen: Ich werde mit Ihnen hier keine chen, zum Beispiel Steuervermeidung und der falsche Diskussion über unser Bildungssystem in diesem Land Fokus auf Fluchtabwehr, eine Finanztransaktionsteuer starten. wird gefordert, und das Klimathema wird aufgegriffen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da sind wir uns ja einig. Es ist auch richtig, dass die Auf- NEN]: Das würde er auch nicht verstehen!) arbeitung der kolonialen Verhältnisse endlich angegan- gen werden muss. Kapitalismuskritik, wie es bei Ihnen Ich beziehe mich auf den Cotonou-Antrag der FDP, üblich ist, mag ja manchmal vielleicht noch gerechtfer- der diesem Antrag beigestellt worden ist. Wir teilen tigt sein. Aber wenn das alles dazu führt, den afrikani- (B) sehr viele Kritikpunkte der FDP, die in diesem Antrag schen Staaten jegliche Eigenverantwortung abzuspre- (D) enthalten sind. Sie nennen die Vielzahl unkoordinierter chen, kommen wir nicht zusammen. Wir würden damit Afrika-Initiativen und die endemische Inkohärenz der ein falsches Signal in den Kontinent senden. So sind die Ministerien. Wir begrüßen auch Ihre Forderung, die post- Partnerschaften überhaupt nicht denkbar. Wir müssen auf koloniale Struktur des Cotonou-Vertrages aufzulösen. Augenhöhe miteinander diskutieren. Ein solches Signal Aber es gibt auch Probleme: Sie konzentrieren sich in zu senden, ist schlicht unverantwortlich gegenüber den Ihrem Antrag sehr stark oder eigentlich nur auf Afrika. Menschen, die in immer größerer Zahl in Afrika gegen Ihr Motiv wird dort leider sehr deutlich. Sie beschreiben ihre Herrscher und Ausbeuter protestieren; der Sudan ist es offen, ehrlich und mehrmals: Sie möchten kritiklos hier nur ein Beispiel. die derzeitige EU-Migrationspolitik fortsetzen. Entwick- Jetzt blinkt das Licht, Frau Präsidentin; das will ich lungspolitik wird für Sie zum Hebel der Migrationskon- ernst nehmen. – Liebe FDP, liebe Linke, Sie merken, es trolle und zum Schutz deutscher und europäischer Gren- wäre ziemlich einfach gewesen, gute Anträge zu schrei- zen. Wir Grünen sagen dagegen: Entwicklungspolitik ben. muss dem zivilen Bereich dienen, ökonomische und so- ziale Perspektiven schaffen und dabei die ökologischen Damit die Präsidentin nicht schimpft, wünsche ich ihr Verhältnisse respektieren. Das hilft den Menschen und und Ihnen allen, meine werten Kolleginnen und Kolle- trägt zur Stabilisierung bei. gen, schöne Osterfeiertage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) LINKEN) Wir stimmen auch mit der FDP überein, wenn sie sagt, Vizepräsidentin Claudia Roth: private Investitionen sind sinnvoll und notwendig. Aber Das wünsche ich Ihnen auch. Vielen herzlichen Dank, das Zentrale, was Ihnen dazu einfällt, ist die Förderung Uwe Kekeritz. – Nächster Redner: Dr. Georg Kippels für deutscher KMUs und eine weitgehende Risikoübernah- die CDU/CSU-Fraktion. me durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ist Ih- (Beifall bei der CDU/CSU) nen nicht der Gedanke gekommen, dass es auch in Afrika jede Menge KMUs gibt, die für Investitionen und wirt- schaftliche Entwicklung viel leichter mobilisierbar sind, Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): die dann auch im Sinne einer positiven Entwicklung ef- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten fektiver wären? Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In 11616 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Georg Kippels (A) der Tat, heute Nachmittag haben wir es mit einem ganzen tionen in Afrika geleistet hat. Im Oktober 2018 kam dann (C) Strauß von entwicklungspolitischen Themen zu tun. Es auf einen Schlag ein Investitionsbetrag von 60 Milliar- fällt einem schwer, in einer Redezeit von vier Minuten den Euro hinzu. An der Neuen Seidenstraße wird kraft- diese auch nur annähernd anzusprechen. voll gearbeitet. Die entwicklungspolitische Debatte wird natürlich Wir brauchen die Partnerschaft zwischen Europa und von der Diskussion zwischen der Europäischen Gemein- dem afrikanischen Kontinent, und wir brauchen auch die schaft und den afrikanischen Staaten bzw. dem afrikani- Partnerschaft mit den pazifischen und den karibischen schen Kontinent beherrscht; das ist sowohl nachvollzieh- Staaten. Es ist aus unserer Sicht sehr wohl möglich, unter bar als auch dringend geboten. Aufrechterhaltung individueller bilateraler Bedingungen Mit den Anträgen der Kollegen von FDP und Linken eine Dachvereinbarung zu treffen. Die Zeit bis 2020 ist haben wir uns schon im Herbst letzten Jahres im AwZ recht kurz. Es kann sein, dass wir eine umfassende Ver- beschäftigt und diesen Anträgen dort eine Absage erteilt. einbarung bis dahin nicht erreichen können. Aber es wäre Ich muss einräumen: Es gibt bis zum heutigen Tage kei- wichtig, eine vorbereitende Vereinbarung abzuschließen, nen Gesichtspunkt, der diese Entscheidung verändern in der die wesentlichen Regelungspunkte hervorgehoben würde. werden. Entwicklungsinvestitionen unter Einbindung von Privatkapital, Dienstleistung und Migration: Das Aber um den Kontext vielleicht etwas besser zu ver- sollte sich in der Erwähnungsliste wiederfinden. Dann stehen, muss die Ausgangslage noch einmal beschrieben werden wir auch das Konstrukt der Finanzierung in der werden. Das Cotonou-Abkommen wurde im Jahre 2000 Europäischen Union geklärt wissen. abgeschlossen und wird im Jahre 2020 auslaufen. Das ist ein sehr langer Zeitraum, in dem sich sehr viel an den Aufgrund dieser Bedenken – grundlegend gegenüber Rahmenbedingungen geändert hat. Und ja, man wird dem Antrag der Linken und zumindest strukturell gegen- wohl einräumen müssen, dass das letzte Abkommen über dem der FDP – können wir diesen Anträgen nicht noch vom Geiste nachkolonialer Verpflichtungen der EU folgen und müssen sie leider ablehnen. und seiner Mitgliedstaaten geprägt war. Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Aufmerksam- Eine massive Kritik sei aber gestattet: Liebe Kollegen keit. von den Linken, Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich zi- (Beifall bei der CDU/CSU) tiere –: Das Verhältnis beider Kontinente war und ist je- Vizepräsidentin Claudia Roth: doch … von Rassismus, Herrenmenschentum, Skla- Vielen Dank, Dr. Kippels. – Nächster Redner: (B) verei, Ausbeutung, Kolonialismus und Gewalt ge- Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion. (D) genüber Afrika und Menschen schwarzer Hautfarbe geprägt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das halte ich für eine ungeheuerliche Entgleisung; das schlägt den europäischen Partnern die Faust ins Gesicht. Dr. Sascha Raabe (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- und Kollegen! Letzte Woche Freitag haben wir hier auch geordneten der SPD) einen Antrag der AfD beraten. Frau Weidel und Herr Derzeit verhandelt die EU, jetzt mit 27, vielleicht auch Gauland waren auch anwesend. Herr Frohnmaier hat 28 Staaten, ein neues Abkommen. Das ist schon einer der dazu geredet und sich empört, als ich erklärt habe, wa- entscheidenden Unterschiede; denn gegenüber den Ver- rum es wegen des Klimaschutzes und für den Erhalt des handlungspartnern aus dem Jahre 2000 sind viele euro- Regenwaldes sinnvoll ist, auch mit Ländern wie Brasili- päische Staaten hinzugekommen, die in dieser Hinsicht en und Indonesien Entwicklungszusammenarbeit zu ma- weder historische Erfahrungen haben noch unter densel- chen. Nachdem er gesagt hat, die Gelder würden dann ben wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden. der deutschen Rentnerin verloren gehen, habe ich ihm gesagt, was ein Streichen der Entwicklungszusammen- Eines muss vor allen Dingen hervorgehoben werden: arbeit für arme, hungernde Kinder in Togo und Ghana Seit 2000 haben wir die Millenniumsziele abgearbeitet bedeuten würde, die ich kurz zuvor auf einer Dienst- und verhandeln nunmehr auf der Grundlage der SDGs, reise gesehen habe. Daraufhin hat er gesagt: Das ist ja die für beide Seiten massiv gelten. Die afrikanischen unverschämt. Wie können Sie uns unterstellen, dass wir Staaten wachsen erfreulicherweise zusammen, auch die Entwicklungszusammenarbeit mit Ghana und Togo wenn dieser Prozess noch nicht zum Ende gekommen ist. streichen wollen? – Frau Weidel und Herr Gauland haben Die Afrikanische Union erkennt mittlerweile auch den sich fürchterlich aufgeregt. Wert eines eigenen Binnenmarktes, der seit 2018 mit ei- ner afrikanischen Freihandelszone in Angriff genommen (Dr. Alice Weidel [AfD]: Wir regen uns gar worden ist. nicht auf!) Unübersehbar ist aber auch: Die EU muss sich mit Ich sage, die Dreistigkeit zu haben, eine Woche später der Konkurrenz des ehemaligen Entwicklungslandes und einen Antrag vorzulegen, der fordert, genau diesen Kin- nunmehr Schwellenlandes China auseinandersetzen, das dern, diesen Menschen in Subsahara-Afrika, den ärmsten im Jahre 2016 immerhin 23,9 Prozent der Direktinvesti- Menschen der Welt, die Mittel zu streichen, ist unerhört. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11617

Dr. Sascha Raabe (A) Das können Sie Ihrem Kollegen Frohnmaier auch aus- – Nein, nein, ich bin noch nicht fertig mit meiner Ant- (C) richten. wort. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Vizepräsidentin Claudia Roth: geordneten der CDU/CSU und der FDP) Aber bitte nicht mehr so lange. – Herr Weyel, dann Er ist ja heute nicht da. Vielleicht ist er in Moskau. Rich- stehen Sie noch mal auf. ten Sie ihm das bitte aus. Dr. Sascha Raabe (SPD): Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich möchte noch weiter ausführen, weil ich schon hof- Herr Raabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder fe, dass Sie es begreifen. – Entwicklungszusammenarbeit -bemerkung aus der AfD-Fraktion? bedeutet eben etwas ganz anderes als Nothilfe, und dafür werden wir auch weiterhin Mittel brauchen. Dr. Sascha Raabe (SPD): Das Nächste, das Sie begreifen müssen – Sie haben Ja, die Kollegen sollen sich ja nicht benachteiligt füh- die bilaterale Hilfe angesprochen –: Diese afrikanischen len. Länder haben auch nur eine Administration. Zurzeit ge- ben sich viele Geber ständig die Klinke in die Hand: Dr. Harald Weyel (AfD): (Dr. Alice Weidel [AfD]: Kommt noch die Verehrter Dr. Raabe, müssten Sie nicht zugeben, dass Antwort? Das ist doch keine Antwort auf die die Nothilfe, die von der Welthungerorganisation, von Frage!) der UNO, von diversen Unterorganisationen Japaner, US-Amerikaner, Chinesen und auch die Mit- (Zuruf von der SPD: Die Namen mal lernen! gliedstaaten der Europäischen Union – alle wollen Ent- Dann melden!) wicklungszusammenarbeit machen. und natürlich auch bilateral von Deutschland geleistet (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist gar nicht die wird, eine ganz andere Geschichte ist als die vor 60 Jah- Antwort auf die Frage!) ren aufgelegte Entwicklungshilfe, sei es im Rahmen des EEF oder der Entwicklungsdekaden etc.? Keiner bestrei- Deshalb ist es sinnvoll, dass wir europäisch zusammen tet die Notwendigkeit von und die Bereitschaft zu echter mit diesen Ländern Entwicklungszusammenarbeit ma- Nothilfe. Wir reden hier aber von einem Strukturwandel, chen, damit der Bildungsminister von Ghana oder Togo (B) der die Nothilfe zu einer Dauereinrichtung macht und die nicht immer 50 Ansprechpartner hat. Eine effiziente Ent- (D) Probleme nicht beseitigt, sondern zementiert und zum wicklungszusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, Geschäftsmodell in aller Welt macht. dass man die Sachen bündelt. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das soll eine Ant- Dr. Sascha Raabe (SPD): wort sein? Das ist doch keine Antwort! Kom- Ich bin sehr froh, dass Sie diese Frage stellen; denn men Sie doch mal zum Ende!) ich gebe nie die Hoffnung auf, dass vielleicht das eine oder andere hängen bleibt, wenn man Ihnen die Dinge Wenn Sie in Ihren Antrag geschrieben hätten, dass Sie ein paarmal erklären kann. die Mittel für den EEF, die Sie streichen wollen, wenigs- tens wieder in die nationalen Haushalte zurückführen Zu dem – das ist das Erste –, was sie zur Nothilfe ge- wollen, dann hätte man darüber noch reden können. Aber sagt haben: Zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Sie schreiben, dass Sie die Mittel ersatzlos streichen wol- Nothilfe besteht ein Unterschied. Die Nothilfe kommt len. vom Auswärtigen Amt; das ist humanitäre Hilfe. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist doch keine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Antwort!) der LINKEN) Sie sprechen von Strukturwandel. Uns geht es mit Und Milliarden Euro für die Ärmsten der Armen ersatz- der Entwicklungszusammenarbeit darum, eben nicht nur los zu streichen, ist zynisch und unverantwortlich. Und nach einer Klima- oder Wetterkatastrophe Weizen in die das machen wir hier nicht mit, meine sehr verehrten Da- entsprechenden Regionen zu liefern, sondern wir wollen men und Herren! langfristig Hilfe zur Selbsthilfe geben, damit Menschen (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN durch gute Bildung, durch Jobs vorankommen. Sie brau- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie chen gute Straßen, über die sie die Märkte erreichen kön- bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen, damit sie Weiterverarbeitung machen können, vor Ort zum Beispiel aus Kakaobohnen Schokolade herstel- Es ist gut, dass es heute auch Anträge gibt, die sich len können. Das wollen wir mit der Entwicklungszusam- nicht nur auf die klassische Entwicklungszusammenar- menarbeit erreichen. Das ist natürlich auch Teil des EEF. beit beziehen, sondern auch auf die Handelsbeziehungen Es geht eben nicht nur um Nothilfe. zwischen der Europäischen Union und Afrika. (Abg. Dr. Harald Weyel [AfD] nimmt wieder (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE Platz) LINKE]) 11618 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Dr. Sascha Raabe (A) Denn so wichtig es ist, dass wir mit Entwicklungspro- muss sichergestellt sein, dass Menschenrechte eingehal- (C) jekten Strukturen schaffen, angefangen mit Bildung, und ten werden, dass die Produkte ohne Kinderarbeit herge- Menschen in die Lage versetzen, dass sie zum Arzt gehen stellt wurden, dass eine faire Entlohnung der Menschen können etc., so wichtig ist es auch, dass wir für faire Han- erfolgt. Da müssen wir auch mal schauen, ob wir nicht delsbedingungen sorgen. diese ganzen Kartelle aufbrechen können, die auch die Preise für Kaffee und Kakao weltweit so niedrig halten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Augenblick sind die Handelsbeziehungen nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: fair. Wir haben ein System, das vor allem Agrarrohstoffe Herr Raabe, das machen wir jetzt nicht mehr. oder Mineralien aus dem Bergbau aus Afrika nach Euro- pa und in die Industrieländer befördert. Durch die Weiter- verarbeitung werden hier hohe Profite erzielt. Derjenige, Dr. Sascha Raabe (SPD): der vor Ort Kaffee- oder Kakaobohnen anbaut, bekommt Wir brauchen fairen statt freien Handel, meine sehr nur wenig. Und das müssen wir ändern. verehrten Damen und Herren. Das ist übrigens auch ein großes Thema im Hinblick auf die Entwaldung. Wir haben diese Woche im Aus- Vizepräsidentin Claudia Roth: schuss ein Expertengespräch gehabt, in dem gesagt wur- Und wir brauchen die Einhaltung der Redezeit. de, dass 70 bis 80 Prozent der jährlichen Entwaldung weltweit darauf zurückzuführen sind, dass Wälder für Dr. Sascha Raabe (SPD): Agrarflächen abgeholzt werden und zum Beispiel Soja Vielen Dank. angebaut wird, das dann wiederum als billiges Tierfutter nach Deutschland und Europa kommt. Das sind eigent- (Beifall bei der SPD und der LINKEN so- lich die Schrauben, an denen man drehen muss. wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich hätte mir einen Antrag zum Landwirtschaftssub- ventionsfonds der Europäischen Union gewünscht, nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: zum Europäischen Entwicklungsfonds. Den müssen wir kürzen, da müssen wir ran, Danke, Sascha Raabe. – Letzter Redner in der Debat- te: Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU)

um eine faire Landwirtschaftspolitik in der Europäischen Uwe Feiler (CDU/CSU): (B) Union zu betreiben. Es darf nicht länger sein, dass sub- (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ventionierte Lebensmittel, die wir hier herstellen, zu de- Kollegen! Meine Damen und Herren! Der vorliegen- ren Erzeugung Regenwälder für den Anbau entsprechen- de Antrag der AfD „Keine Verlängerung Europäischer der Futtermittel abgeholzt werden, etwa Fleisch oder Hilfsfonds“, zu dem ich sprechen möchte, zeigt noch weiterverarbeitete Produkte, auch Milch, in Entwick- einmal in aller Deutlichkeit, dass die AfD den Sinn der lungsländer zurückfließen und, weil sie billig sind, dort Europäischen Union nicht verstanden hat oder nicht ver- die lokalen Märkte zerstören. stehen will. Deswegen glauben wir, dass das, was die Europäische (Beifall bei der CDU/CSU) Union jetzt mit den neuen Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen vorgeschlagen hat, nicht der richtige Weg ist. Für die AfD ist die Europäische Union wie ein Krebs- Vielmehr sollten wir schauen, dass wir im Rahmen einer geschwür. Der Antrag liest sich wie ein Totenschein. Die neuen afrikanischen Freihandelszone, die sich im Aufbau Antragsteller schreiben von Pathologien, von Anomali- befindet, mit dem gesamten Kontinent eine Vereinbarung en und wollen den Eindruck erwecken, die europäische abschließen. Ich habe in Ghana mit dem dortigen Wirt- Idee sei tot, sie sei ein Gesamtanachronismus. Sie, meine schafts- und Handelsminister vor zwei Wochen ein lan- Damen und Herren, wollen die Europäische Union nicht ges Gespräch geführt. Er sagte unter anderem, er fühle entwickeln, Sie wollen sie abwickeln, zurück zur Natio- sich von der Europäischen Union erpresst; er fühle sich nalstaaterei. Das ist doch völlig absurd. in dieses Freihandelsabkommen reingezwungen, und es (Beifall bei der CDU/CSU) bereite ihm große Sorge für den Mittelstand und die Wirt- schaft. Die Europäische Union, meine Damen und Herren von der AfD, war, ist und bleibt die Antwort auf die Proble- Ich glaube, es wäre besser, die Präferenzsysteme wei- me, die es gab, als sich die europäischen Länder bekriegt ter auszudifferenzieren. haben, anstatt gemeinsam und miteinander zu arbeiten. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE Die Europäische Union steht für Freiheit statt Grenzen, LINKE]) für Solidarität statt Ausgrenzung, für Wachstum statt Re- zession, für Stabilität statt Unsicherheit und schließlich Das wäre auch WTO-konform. Dann können wir auch für Frieden statt Krieg. Die Europäische Union ist keine darauf achten, dass Menschenrechte und Arbeitnehmer- Krankheit, sie bedeutet Leben. rechte dort eingehalten werden. Denn es kann nicht sein, dass Kinderarbeit dort noch an der Tagesordnung ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wenn Produkte nach Deutschland geliefert werden, dann Zurufe von der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11619

Uwe Feiler (A) Und ja, meine Damen und Herren, zum Leben gehört Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (C) auch, dass sich Menschen gegenseitig helfen, damit es Drucksache 19/9238 an die in der Tagesordnung aufge- möglichst allen besser geht. Die AfD schreibt in ihrem führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Antrag von einem subsidiaritätswidrigen europäischen strittig, und deswegen müssen wir abstimmen. Die Frak- Mehrwert, den die angebliche Fiskalausbeutung der EU tionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung mit sich bringt. Wissen Sie, meine Damen und Herren beim Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und von der AfD, eigentlich, was das Subsidiaritätsprinzip Entwicklung. Die Fraktion der AfD wünscht Federfüh- bedeutet? rung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union. (Dr. Harald Weyel [AfD]: Das Gegenteil von dem, was Sie beschreiben!) Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- vorschlag der Fraktion der AfD, also Federführung Scheinbar nicht. Man kann es ganz kurz und einfach fas- beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi- sen: Es bedeutet Hilfe zur Selbsthilfe. Und nichts anderes schen Union. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- leisten die beiden von Ihnen kritisierten Fonds. schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Europäische Fonds für die Anpassung an die Glo- Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt balisierung hilft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, hat die AfD, dagegengestimmt haben FDP, CDU/CSU, die infolge von Schließung eines großen Unternehmens Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke. oder der Verlagerung einer Produktionsstätte außerhalb der Europäischen Union ihren Arbeitsplatz verloren ha- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs- ben. Es werden Projekte mitfinanziert, die den Menschen vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also helfen, einen neuen Job zu finden oder ihr eigenes Unter- Federführung beim Ausschuss für wirtschaftliche Zu- nehmen zu gründen. Deutschland hat aus diesem Fonds sammenarbeit und Entwicklung. Wer stimmt für diesen alleine 55 Millionen Euro erhalten. 14 000 Mitarbeiterin- Vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltun- nen und Mitarbeiter, unter anderem der Adam Opel AG gen. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Zu- in Bochum und der Firma First Solar in /Oder, gestimmt haben die Fraktionen der Linken, der SPD, wurden durch diesen Fonds unterstützt. Die Evaluierung Bündnis 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP, dieses Fonds hat gezeigt, dass die Wiedereingliederungs- dagegengestimmt hat die Fraktion der AfD. quote durch dessen Einsatz gestiegen ist. Zusatzpunkt 12. Interfraktionell wird Überweisung (Dr. Harald Weyel [AfD]: Da brauchen wir der Vorlage auf Drucksache 19/9249 an die in der Tages- Brüssel nicht!) ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie (B) sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so be- (D) Damit ist dieser Fonds eine Erfolgsgeschichte. schlossen.

Der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten be- Zusatzpunkt 13. Wir kommen zur Abstimmung über nachteiligten Personen hilft den Betroffenen bei ihren die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaft- ersten Schritten aus Armut und sozialer Ausgrenzung liche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksa- heraus, sodass sie künftig überhaupt eine Chance haben, che 19/6190. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a auf dem Arbeitsmarkt tätig zu werden. Er unterstützt be- seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags troffene Kommunen bei den Herausforderungen, die die der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2528 mit dem wachsende Zuwanderung von Unionsbürgerinnen und Titel „Post-Cotonou-Verhandlungen als Chance nutzen – -bürgern mit sich bringt. Das ist, meine Damen und Her- Für ein neues EU-Afrika-Abkommen“. Wer stimmt für ren, Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist wichtig, dass innerhalb diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – der Europäischen Union ganz besonders die Kommunen Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist an- unterstützt werden, die von der Zuwanderung am stärks- genommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der Lin- ten betroffen sind. Auch das, meine Damen und Herren, ken, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der CDU/CSU ist Subsidiarität. und der AfD, dagegengestimmt hat die Fraktion der FDP. Chancengerechtigkeit und fairer Arbeitsmarktzugang Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- im europäischen Binnenmarkt, diese Ziele lassen sich fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- nun einmal deutlich besser auf europäischer Ebene ver- tion Die Linke auf Drucksache 19/2519 mit dem Titel wirklichen, und deshalb, meine Damen und Herren, müs- „Eine Partnerschaft mit Afrika für Gerechtigkeit, Frieden sen die europäischen Hilfsfonds weitergeführt werden, und ein Leben in Würde“. weiter bestehen bleiben. Wir stehen dazu. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Den kann man nicht ablehnen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Die Be- schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben Vizepräsidentin Claudia Roth: die Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Vielen Dank, Uwe Feiler. – Damit schließe ich die CDU/CSU, der FDP und der AfD, dagegengestimmt hat Aussprache. die Fraktion der Linken. 11620 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich rufe die Zusatzpunkte 14 und 15 auf: baut worden. Ganze Regionen wurden abgehängt. Mit (C) der Bahnreform von 1994 haben Sie angeblich vorge- ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine habt, diesen Trend zu stoppen. Aber in Wirklichkeit ist Leidig, Ingrid Remmers, Andreas Wagner, weite- gerade in den vergangenen 25 Jahren der größte Abbau rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vorgenommen worden. Über 20 Prozent der Gleise wur- Die Bahn wieder ins ganze Land bringen – den stillgelegt, 80 Prozent der Gleisanschlüsse sind weg. Bahnstrecken reaktivieren Das ist eine wirklich katastrophale Bilanz. Drucksache 19/9076 (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Natürlich ist es erfreulich – und da spreche ich den Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Kollegen Donth an, der im Verkehrsausschuss so großar- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit tige Erfolge präsentiert hat –, Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- (Michael Donth [CDU/CSU]: Werde ich wie- munen der tun! Nicht nur im Ausschuss! – Daniela Haushaltsausschuss Ludwig [CDU/CSU]: Selbstverständlich! Die ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wird er jetzt gleich wieder präsentieren!) richts des Ausschusses für Verkehr und digitale dass in Einzelfällen Bahnstrecken wieder fit gemacht Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der wurden. Wir sehen auch, dass das prima funktioniert. Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Gesine Lötzsch, Aber ich bitte Sie: 7 000 Kilometer verloren und 200 Ki- Lorenz Gösta Beutin, weiterer Abgeordneter und lometer zurückgewonnen, das ist doch in Wirklichkeit der Fraktion DIE LINKE kein Erfolg. Abbau von Bahninfrastruktur stoppen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Drucksachen 19/7907, 19/8804 Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jetzt bitte ich Sie, möglichst schnell die Plätze einzu- Deshalb schlagen wir vor, dass ein Sonderprogramm nehmen bzw. zu tauschen. für die Reaktivierung der Eisenbahn aufgelegt wird. Mit diesem Sonderprogramm, das der Bund auflegen muss, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sollen Kommunen und Länder ermuntert werden, akti- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es viert werden und in die Lage versetzt werden, Strecken, (B) keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bahnhöfe, Gleisanschlüsse und Elektrifizierung schnell (D) Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an und bürgernah wiederherzustellen, Sabine Leidig für die Fraktion der Linken. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) und zwar auch dann, wenn es sich erst mal nicht rechnet. Das Verkehrsministerium könnte dazu eine interaktive Sabine Leidig (DIE LINKE): Streckennetzkarte ins Internet stellen, damit die Bürge- Danke. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und rinnen und Bürger sehen können, was es da mal gab an Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Bahnstrecken. Das regt die Fantasie ungeheuer an. Linke macht sich seit vielen Jahren dafür stark, dass die Ich kann es aus Hessen berichten. Wir haben da mal Bahn in der Fläche wieder ausgebaut wird. Wir brauchen einen alternativen Verkehrsplan geschrieben und haben viel mehr Regionalbahnen und Bahnhöfe, damit weniger das auf Papier so gemacht. Es gibt jetzt zum Beispiel eine Leute aufs Auto angewiesen sind, und wir brauchen viel Bürgerinitiative im westlichen Mittelhessen. Darin haben mehr Gleisanschlüsse für Betriebe und Gewerbegebiete, sich ganz junge engagierte Leute zusammengeschlossen. damit weniger Lkws auf die Straße kommen. Die wollen, dass die Dietzhölztalbahn wieder für den (Beifall bei der LINKEN) Personennahverkehr in Betrieb genommen wird, 16 Ki- lometer von Dillenburg nach Ewersbach. Die haben sich Nun erweckt der Koalitionsvertrag ja die Hoffnung, wirklich viel Gedanken darum gemacht, wie ein Mobili- dass endlich Schluss gemacht wird mit dem Schrumpf- tätskonzept für die Region daran geknüpft werden kann, kurs der Bahn. Bis 2030 wollen Sie die Fahrgastzahlen mit Haltestellen, mit Park-and-ride-Parkplätzen und mit verdoppeln. Sie wollen den Deutschland-Takt und ha- Buslinien. Ich finde, dass solche Initiativen unbedingt ben einen Masterplan Schienengüterverkehr vorgelegt. Unterstützung brauchen, bevor ihnen die Puste ausgeht. Aber – und das ist das Problem – das steht bisher alles nur auf dem Papier. Wir wollen, dass viel mehr in der (Beifall bei der LINKEN) Praxis passiert. Das Schneckentempo, das Sie vorlegen, Es gibt solche Bürgerinitiativen im ganzen Land. Teil- reicht nicht. Es gibt unheimlich viel aufzuholen. weise jahrelang sorgen sie dafür, dass Bahnstrecken nicht (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mit Gestrüpp zuwuchern oder mit Unrat zugedeckt wer- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den. Ich finde das total super, und ich danke erst mal für dieses Engagement. Tatsächlich sind ja in Westdeutschland seit den 1960er-Jahren Tausende Kilometer Schienennetz abge- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11621

Sabine Leidig (A) Die Deutsche Bahn – und auch die Bundesregierung – Bahninfrastruktur ist schon seit drei Jahren passé. Das (C) ist immer noch darauf ausgerichtet, dass sich eine Bahn- Schienennetz wächst seit 2016 wieder. strecke betriebswirtschaftlich rentieren muss. Wir sagen: (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das stimmt Das ist kurzsichtig und kommt uns am Ende alle teuer doch gar nicht!) zu stehen. Die Trendwende ist geschafft. (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Weil ihr nur verteilt den ganzen Tag!) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der Abbau geht weiter!) Klimaschutz und Mobilität haben einen hohen gesell- schaftlichen Wert. Der Bund hat mit dem Investitionshochlauf für die Verkehrsinfrastruktur schon in der vergangenen Legisla- (Florian Oßner [CDU/CSU]: Die Politik von tur damit begonnen, die Mittel für Investitionen in die Ihnen kommt uns teuer zu stehen!) Schieneninfrastruktur zu erhöhen. Aktuell investieren Und finanzielle Mittel sind ja genug da: Man muss nur der Bund und die Bahn mehr Geld in die Schiene als je- die zusätzlichen Milliardeneinnahmen aus der Lkw-Maut mals zuvor. von der Autobahn auf die Eisenbahn umverteilen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das merkt man (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. nur gar nicht!) Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es sind zudem zahlreiche neue Bundesprogramme aufgelegt worden, um den Bahnverkehr in Deutschland Vizepräsidentin Claudia Roth: zusätzlich voranzubringen. Dazu gehören auch Program- Bitte denken Sie an Ihre Redezeit. me wie das Bahnhofsmodernisierungsprogramm aus der vergangenen Legislaturperiode. Sabine Leidig (DIE LINKE): ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Darüber hinaus gibt es viele positive Beispiele für Ko- hoffe ich auf Ihre Unterstützung. Wir wollen eine sozial operationen mit Kommunen, die Bahnhöfe von der Bahn und ökologisch gerechte Umverteilung auch beim Ver- übernommen haben und jetzt besser dastehen als zuvor. kehr: für klimafreundliche Mobilität, Elektromobilität, die vor allem auf der Schiene stattfindet. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wie viele denn? Mehr davon!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte hier das schöne Beispiel aus Osterburken an- (B) sprechen. Solche Projekte könnten mit dem von Ihnen (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: geforderten Stopp des Verkaufs von Bahnimmobilien Vielen Dank, Sabine Leidig. – Nächster Redner: und -grundstücken gar nicht mehr realisiert werden. Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion. (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE (Beifall bei der CDU/CSU) LINKE]) Wir haben das im Ausschuss ja schon eingehend disku- Michael Donth (CDU/CSU): tiert und den Antrag mit Ihren überholten Forderungen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und abgelehnt. Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! „Abbau (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE von Bahninfrastruktur stoppen“, „Bahnstrecken reakti- LINKE] – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ge- vieren“ – die Titel der beiden Linkenanträge, um die wir nau! Zu Recht!) uns heute Nachmittag kümmern, klingen ziemlich gut. Meine Damen und Herren von den Linken, Sie zei- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – gen mit Ihren Anträgen nicht nur, dass Sie mit überholten Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja, sind auch Ideen von gestern arbeiten, gut!) (Zurufe von der LINKEN) Insbesondere klingen sie gut, solange man sich nicht überlegen muss, wie man das alles bezahlen soll sondern Sie zeigen auch Ihre Rückwärtsgewandtheit. Sie wollen nämlich Zeit, Geld und personelle Ressourcen (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!) dafür verschwenden, eine interaktive Karte zu erstellen – und ob sich das rechnet, was man sich so wünscht. hochmodern –, auf der aber dann Strecken abgebildet werden, die es zur Mitte des letzten Jahrhunderts in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – DDR und der damaligen Bundesrepublik einmal gegeben Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- hat. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Gucken Sie sich Aber solche Fragen stellt sich Die Linke hier im Hause das für Berlin mal an! Das ist total spannend!) ja nie. Ist es nicht sinnvoller, die Ressourcen zu verwenden, um Ich habe trotzdem eine gute Nachricht – Frau Leidig zu schauen, wo in Zukunft Streckenaktivierungen oder hat ja selber schon darauf hingewiesen –: Der Abbau der Neubauten ermöglicht werden können, die das Netz er- 11622 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Michael Donth (A) gänzen und effizienter machen oder für Lückenschlüsse Jetzt zusätzliches Geld vom Bund für den Nahverkehr (C) sorgen? zu fordern, ist fast schon unverschämt.

(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie können ja ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einen Änderungsantrag stellen!) NEN]: Schon mal was von Klimaschutz ge- hört? Unfassbar!) Sie schreiben in Ihrem Antrag ja selbst, dass in Deutsch- Ich finde, Sie sollten dort, wo Sie was zu melden haben – land aktuell Strecken reaktiviert werden. Ich verstehe das haben Sie ja leider in zwei Ländern –, darauf Einfluss also nicht, warum Sie auch in Ihrem zweiten Antrag et- nehmen, dass dieses Geld für solche Projekte beispielhaft was fordern, was es bereits gibt. ausgegeben wird. Dann können wir uns wieder darüber (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. unterhalten. Kirsten Lühmann [SPD]) Vielen Dank. Dann geben Sie uns ein weiteres Rätsel auf. Sie for- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. dern nämlich, dass unerwartete Steigerungen bei den Kirsten Lühmann [SPD]) Fahrgastzahlen in zukünftige Bewertungen mit einflie- ßen. Aber wenn sie doch unerwartet sind, wie soll man Vizepräsidentin Claudia Roth: sie dann vorhersagen? Vielen Dank, Michael Donth. – Nächster Redner für (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU die AfD-Fraktion: Wolfgang Wiehle. und der FDP) (Beifall bei der AfD) Wenn Sie mit Glaskugel und Kaffeesatz arbeiten – wir machen das nicht. Wolfgang Wiehle (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- Interessant sind auch Ihre Vorstellungen zur Finanzie- legen! Durchaus sinnvolle Anliegen wie die Erhaltung rung. Es soll zusätzlich zu den Regionalisierungsmitteln und Reaktivierung alter Eisenbahnstrecken kann man ein Sonderfonds eingerichtet werden, aus dem die Län- durch einen untauglichen Ansatz nicht voranbringen. Das der „im Schienenpersonennahverkehr Verkehrsleistun- beweisen wieder einmal die beiden Anträge der Fraktion gen auf reaktivierten Strecken für … von zunächst bis zu Die Linke, über die wir heute sprechen. fünf Jahren bestellen können“. Das war jetzt ein Zitat aus Ihrem Antrag. Grund und Boden alter Bahnstrecken durch eine Ent- (B) widmung für andere Zwecke freizugeben – das sollte (D) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja! Genau in der Tat restriktiv gehandhabt werden. Darüber haben richtig!) wir im Verkehrsausschuss bereits diskutiert. Man kann aber nicht so mechanistisch vorgehen, wie Ihr Antrag das Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, sind doch vorsieht, und die Entwidmung mit Neubau hart koppeln, nach unserer verfassungsgemäßen Ordnung, die viel- sozusagen Weiche um Weiche, Prellbock um Prellbock. leicht bei Ihnen eine nachgeordnete Rolle spielt, Die AfD-Fraktion hat versucht, diese Idee mit einem (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Na, na, Änderungsantrag auf eine solidere Basis zu stellen. Lei- na! Nicht frech werden!) der sind die anderen Fraktionen dem nicht gefolgt. Und so bleibt uns heute nur, der Beschlussempfehlung aus die Länder für die Finanzierung und die Organisation des dem Ausschuss zuzustimmen und damit den Antrag der Nahverkehrs zuständig. Trotzdem unterstützt der Bund Linken zum Thema Entwidmung abzulehnen. mit den Regionalisierungsmitteln die Länder bei dieser Manche Bahnstrecke, die schon stillgelegt war, aber Aufgabe. Diese Mittel haben wir in der vergangenen Le- noch nicht entwidmet, wurde durch den hartnäckigen gislaturperiode auf 8,6 Milliarden Euro pro Jahr erhöht, Einsatz von Initiativen, Bürgermeistern und Landräten wieder zu neuem Leben erweckt. In allen diesen Fällen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ist es der große Einsatz vor Ort, der zum Erfolg führt. Mit der SPD) einer plausiblen Idee kann man viele Unterstützer gewin- dynamisiert mit 1,8 Prozent. Im kommenden Jahr sind nen, die auch Geldmittel für die vorbereitenden Schritte es schon 8,8 Milliarden Euro. Zusätzlich werden wir die beibringen und einen Bahnbetrieb organisieren. Beim Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, Personenverkehr schließt das in aller Regel eine Bestel- mit dem der Bund ebenfalls zur Verbesserung der Nah- lung aus den – Kollege Donth hat sie schon erwähnt – verkehrsinfrastruktur beiträgt, bis 2021 auf 1 Milliarde Regionalisierungsmitteln der Länder mit ein. Euro erhöhen. Mit dem Antrag auf der Drucksache 19/9076 soll nun aber auf Bundesebene ein Dukatenesel für solche Vor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haben aufgestellt werden. Damit werden die Verantwort- ordneten der SPD) lichkeit vor Ort aufgehoben und das Subsidiaritätsprinzip verletzt. Deshalb hält die AfD diesen Ansatz für falsch. Mit diesem Geld kann man dann auch die Dietzhölztal- bahn unterstützen. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11623

Wolfgang Wiehle (A) Das würde nämlich dazu führen, dass auch für abseitige habe mir mal angeguckt, was das bedeutet. Die Zahlen, (C) Vorschläge, die vor Ort kaum jemand haben will, Bun- die ich gesehen habe, sind etwas andere; dazu gleich desdukaten in Gutachten oder sogar in die Bestellung mehr. von Zugleistungen fließen. Nein, die Verantwortung für die Reaktivierung von Bahnstrecken muss vor Ort blei- Wenn Strecken stillgelegt werden, heißt das nicht ben. Dort kann man den Sinn am besten beurteilen und unbedingt, dass alle Gleise abgebaut werden. Viele von wird die richtigen Prioritäten für die Finanzierung setzen. diesen Strecken werden als Nebenbahnen, also zum Ran- gieren, weiterbenutzt, oder sie werden verkauft und sind Einen sehr wichtigen Gedanken reißt der Antrag der dann private Gleisanschlüsse, zum Beispiel für Firmen. Kollegen von der Linksfraktion zwar an, führt ihn dann aber leider nicht weiter aus. Ich meine die Betrachtung Die Güterverkehrsstellen, deren Schließung Sie an- des Nutzens einer Bahnstrecke aus volkswirtschaftli- sprechen, werden auch nicht abgebaut. Das heißt nur, cher Sicht. Für den Ausbau von Bahnstrecken kann es dass sie nicht mehr regelmäßig angefahren werden. Sie ja durchaus Bundesmittel geben, wenn der Nutzen die können jederzeit reaktiviert werden. Kosten übersteigt. Bei der Berechnung des Nutzens gibt Sie haben in Ihrem Antrag noch einen wichtigen Punkt es Faktoren, die bislang unter den Tisch fallen, obwohl angesprochen. Das ist der Fahrkartenverkauf im Bahn- sie sehr bedeutend sind, insbesondere die Eignung einer hof. Ja, da werden viele Verkaufsstellen geschlossen oder Strecke als Ausweichstrecke. privatisiert. Das hat allerdings auch mit den Ausschrei- Erinnern wir uns: Die Havarie an der Tunnelbaustelle bungsbedingungen von Landesnahverkehrsgesellschaf- in Rastatt im August 2017 ten zu tun. Zugegeben, diese Privatisierungen funktionie- ren manchmal besser und manchmal leider nicht so gut. (Florian Oßner [CDU/CSU]: Das ist ein Dau- erbrenner!) Die Strecken, die stillgelegt werden, werden auch oft hat dazu geführt, dass eine der wichtigsten Bahnstrecken nicht komplett abgebaut, sondern es wird, wie bei der Deutschlands für sieben Wochen vollständig unterbro- sogenannten Amerikalinie, von einer doppelgleisigen chen war. Viele Züge fielen aus, und für den Güterver- Bahnstrecke ein Gleis weggenommen, und eins bleibt kehr war das eine Katastrophe. Der volkswirtschaftliche liegen. Bei dieser Amerikalinie haben wir jetzt aber zum Schaden wird auf 2 Milliarden Euro geschätzt. Eine Beispiel beschlossen, dass wir Teile des abgebauten Glei- Ausweichstrecke, die das vermieden hätte, hätte den ent- ses wieder hinbauen. sprechenden Nutzen gehabt. Nur taucht dieser Nutzen in Also Zahlen hin, Zahlen her: Ich denke, wir können keiner der heutigen Nutzen-Kosten-Rechnungen auf. uns darauf einigen, es wurde einfach zu viel abgebaut. Natürlich weiß kein Mensch, wann und wo eine sol- (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (D) che Katastrophe wie in Rastatt passiert. Aber für defekte LINKEN) Züge, kaputte Oberleitungen oder durch Hindernisse blo- ckierte Gleise kann man sehr wohl Wahrscheinlichkeiten Noch einmal zu der Frage: Wer entscheidet eigentlich, berechnen, und auch für die Dauer solcher Störungen. dass eine Strecke stillgelegt wird? Das Eisenbahn-Bun- Mit ein paar weiteren Rechenschritten kann man dann desamt hat dazu ein sehr kompliziertes Verfahren: Als auch den Wert einer Ausweichmöglichkeit berechnen. Erstes muss festgestellt werden, dass die Strecke nicht Für die eine oder andere alte Bahnstrecke könnte dieser mehr gebraucht wird – in der Regel ist dort zwei Jahre Nutzen den Weg zur Reaktivierung eröffnen. Dieses The- lang kein Zug mehr gefahren –, und es darf auch nieman- ma, meine Damen und Herren, sollten wir in der Aus- den geben – das ist ganz wichtig –, der diese Strecke ir- schussberatung mit dem größten Nachdruck vertiefen. gendwann wieder bedienen will. Erst dann wird sie still- (Beifall bei der AfD) gelegt. Ich denke, das sind die begründeten Ausnahmen, von denen Sie in Ihrem Antrag sprechen. Es ist so, dass Die AfD-Fraktion stimmt der Überweisung des neuen im Moment solche Ausnahmen gemacht werden. Ganz Antrags in die Ausschüsse zu. aktuell: In diesem Monat sind wieder Strecken stillgelegt Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. worden, unter anderem in Bochum der ehemalige An- schluss an das Opel-Werk. Das waren circa 500 Meter. (Beifall bei der AfD) Das Gelände von Opel ist inzwischen veräußert. Die neu- en Besitzenden haben kein Interesse an dem Anschluss. Vizepräsidentin Claudia Roth: Also wird das Gleis stillgelegt. Vielen Dank, Wolfgang Wiehle. – Nächste Rednerin: Aber es gibt auch Stilllegungen, die im Interesse von Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion. Kommunen sind. In Niedersachsen gibt es eine Kommu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ne, in der es eine Bundeswehrkaserne gab. Die hatte ein der CDU/CSU) Gleis, um Bundeswehrmaterial zu verladen. Die Kaser- ne gibt es nicht mehr. Das Gleis ist über. Die Kommune würde da gerne einen Fahrradweg bauen. Ich glaube, wir (SPD): Kirsten Lühmann sind uns einig: Es kann durchaus sinnvoll sein, so ein Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle- Gleis stillzulegen. ginnen! Verehrte Zuhörende! Die Fraktion Die Linke for- dert in ihren Anträgen den Stopp des Abbaus der Bahnin- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber wenn da frastruktur und die Reaktivierung von Bahnstrecken. Ich ein Wohngebiet entsteht?) 11624 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Kirsten Lühmann (A) Viele dieser stillgelegten Strecken sind aber Nahver- gut 4 Prozent mehr als im Jahr davor. Also: Mit unserer (C) kehrsstrecken. Es wurde schon mehrfach darauf hinge- Politik haben wir allem Anschein nach den richtigen Weg wiesen, dass die Länder inzwischen Programme haben, eingeschlagen. Sie trägt Früchte. um diese Strecken zu reaktivieren, auch um Haltepunkte zu reaktivieren, damit dort wieder Verkehre stattfinden Ich möchte darauf hinweisen, dass wir mit dem können. Der Bund unterstützt diese Ansinnen – das wur- Schienennetz, so wie es jetzt ist, natürlich nicht zufrie- de auch schon gesagt – mit den weit über 8 Milliarden den sind. Die Vorredner haben schon viele Programme Euro, die wir jährlich an die Länder für den Nahverkehr angesprochen. Ich ergänze nur noch das Programm für geben; und das ist auch sehr gut so. 740-Meter-Züge, also für lange Güterzüge: Noch in die- sem Jahr werden die ersten Strecken dafür ertüchtigt; die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Planungen laufen. Wir haben ein Sonderprogramm, das CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: es uns deutlich erleichtern wird, die Güterverkehre auf Das reicht aber nicht!) der Schiene vernünftig und wirtschaftlich abzuwickeln. Wir haben auch die zuletzt 2016 angepasste Gleis- Wir haben noch ein ganz großes Problem – ich gebe anschlussförderrichtlinie. Mit dieser Richtlinie können zu, dass wir uns da noch sehr anstrengen müssen –: Es eigentlich unwirtschaftliche Gleisanschlüsse für Firmen geht um das Thema Digitalisierung der Schiene. Wenn wirtschaftlich werden, und wir können dadurch viele Gü- wir das vernünftig anpacken und finanziell unterlegen ter, die sonst auf der Straße transportiert worden wären, können, dann können wir in dem bestehenden Netz eine auf die Schiene holen. Also, das ist ein weiteres Konzept Kapazitätsreserve von 20 Prozent heben. 20 Prozent, lie- der Bundesregierung, das durchaus Sinn ergibt. be Kolleginnen und Kollegen, die wir dringend für eine Insgesamt werden wir in diesem Jahr die Rekordsum- Mobilitätswende und für den Klimaschutz brauchen. Ge- me von 10,7 Milliarden Euro für die Schieneninfrastruk- meinsam müssen wir hier zusammenstehen, damit wir tur ausgeben. Das sind 1,3 Milliarden Euro mehr als noch das hinbekommen. im Jahr 2018. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Ihre erste Forderung – deutliche Erhöhung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Finanzmittel für die Schiene – haben wir somit er- der CDU/CSU) füllt. Zusammengefasst: Die Forderungen aus dem Antrag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nach einer Trendwende haben wir erfüllt. Es gibt mehr der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Geld für den Schienenverkehr. Wir reaktivieren Strecken. Das reicht aber nicht!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es NEN]: Nur, draußen merkt man nichts davon!) (D) beim Neubau von Schienenwegen, den Sie ja fordern, immer mehr Bürgerproteste gibt. Auch da haben wir ge- Das spiegelt auch der Koalitionsvertrag wider, in dem sagt: Wir wollen lieber Ausbau vor Neubau. – Aber auch eindeutig steht – ich zitiere –: beim Ausbau haben wir das Problem: Ausbau heißt mehr Züge, mehr Züge heißt mehr Lärm, und davon sind die Für uns steht als Eigentümer der Deutschen Bahn Menschen an den Strecken natürlich zu Recht nicht ge- AG nicht die Maximierung des Gewinns, sondern rade begeistert. Wir haben deshalb Dialogforen initiiert, eine sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der in denen die Menschen mit der Bahn und der Politik Schiene im Vordergrund. Kompromisse erarbeiten. Noch in diesem Jahr werden (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir in diesem Hause über mehrere Anträge debattieren, NEN]: Dafür braucht man aber auch die rich- in denen es um zusätzliches Geld für übergesetzliche tigen Maßnahmen!) Maßnahmen geht, die sich aus den Beschlüssen dieser Dialogforen ergeben. Ich bin mir sicher, wenn es sinnvoll Daran richten wir unsere Bahnpolitik aus. ist, werden wir dieses Geld auch zur Verfügung stellen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine ganz zentrale Kennziffer für die Frage „Funkti- oniert unsere Politik, oder nicht?“ ist die Verkehrsleis- tung. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir Vizepräsidentin Claudia Roth: Rekordzahlen im Bereich der bestehenden Infrastruk- Vielen Dank, Kirsten Lühmann. – Nächster Redner tur verzeichnen können: Im Schienenpersonennahver- für die FDP-Fraktion: Torsten Herbst. kehr betrug die Zahl der Reisenden im Jahr 2018 knapp 2,7 Milliarden Personen. Das sind im Vergleich zu zehn (Beifall bei der FDP) Jahren zuvor fast 40 Prozent mehr. Eindeutig eine Er- folgsgeschichte, liebe Kollegen und Kolleginnen! Torsten Herbst (FDP): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Im Schienenpersonenfernverkehr haben wir 2018 insge- Herren! Verbotsforderungen haben im politischen Berlin samt etwa 150 Millionen Fahrgäste befördert. Das sind derzeit Hochkonjunktur. Die Grünen wollen Flugreisen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11625

Torsten Herbst (A) verbieten und Autos mit Verbrennungsmotor. Die Linken Es geht nämlich um Mobilität und nicht um Ideologie, (C) wollen privaten Wohnungsbesitz verbieten. liebe Grüne. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP – Oliver Krischer NEN]: Die FDP möchte die Klimaziele ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt fehlen! – Weitere Zurufe von der LINKEN genau der Richtige! – Dr. Kirsten Tackmann und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [DIE LINKE]: Der Vorwurf der Ideologie kommt immer von Ideologen!) Jetzt haben Sie sich wieder ein neues Verbot ausgedacht. Sie wollen verbieten, dass Bahnstrecken und Bahnimmo- Was heißt denn ein komplettes Verbot für Entwidmun- bilien entwidmet oder verkauft werden. Damit sind Sie gen und für Stilllegungen von Strecken? Was heißt das aber auf dem Holzweg, meine sehr geehrten Damen und für die Kommunen? Es bringt weniger Entwicklungs- Herren. möglichkeiten – das wurde schon angesprochen – mit sich. Dass zum Beispiel ehemalige Bahnstrecken für tou- (Beifall bei der FDP) ristische Nutzung aufbereitet werden – Stichwort „Fahr- radwege“ – und private Investoren vielleicht ehemalige Zwischen allen Fraktionen ist wohl unstrittig, dass Bahnhofsgebäude zu Wohnraum ausbauen, ist dann nicht eine bessere Bahn auch eine bessere Infrastruktur mehr möglich, wenn wir Ihrem Antrag folgen, liebe Lin- braucht. Nur stellt sich die Frage: Erreichen wir dieses ke. Ziel mit Ihren beiden Anträgen? (Beifall bei der FDP – Dr. Kirsten Tackmann (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja!) [DIE LINKE]: Haben Sie ihn gelesen? – Wei- terer Zuruf von der LINKEN: So ein Quatsch!) Und da sage ich, nein; denn im sozialistischen Traum- land, liebe Frau Leidig, da regnet Geld in unendlicher Ein Verbot jeglicher Veränderung bedeutet, dass eben Menge vom Himmel. nicht mehr bedarfsgerecht ausgebaut werden kann. Und die Mittel, die wir haben, meine Damen und Herren, brau- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Lang- chen wir viel dringender für Investitionen, zum Beispiel weilig! Ganz langweilig!) in eine schnellere Digitalisierung des Eisenbahnnetzes, damit wir Kapazitäten an der richtigen Stelle erhöhen. In der Realität der Eisenbahnpolitik sieht das anders aus. Deshalb sollten wir das Geld dort investieren, wo es auch (Beifall bei der FDP – Dr. [DIE einen großen Nutzen bringt, meine Damen und Herren. LINKE]: Was hätten Sie wohl erzählt, wenn Sie den Antrag gelesen hätten?) (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU) – Ich habe beide Anträge im Detail gelesen. Deshalb ist es auch nicht entscheidend, wie lang ein (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aber Netz ist, sondern dass die Gleise an der richtigen Stelle nicht verstanden! Es geht um verstehendes liegen. Ja, wir brauchen mehr Überholstrecken im Eisen- Lesen!) bahnbereich. Ja, wir müssen Knotenpunkte ausbauen, Deshalb kann ich die entsprechende Kritik aufnehmen. wir brauchen für den Güterverkehr mehr Anschlussgleise und Verladestellen. Aber was wir nicht brauchen, ist, jede Die OECD hat vor kurzem gesagt: Bei der Steuerlast ungenutzte Nebenstrecke auf Teufel komm raus und so ist Deutschland Weltspitze, doch die Infrastruktur ver- teuer wie möglich zu erhalten, meine Damen und Herren. fällt. Da ist was dran, meine Damen und Herren, weil wir uns zum Teil verzetteln und nicht dort investieren, wo (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael wir es für eine schnelle, bessere, zuverlässigere und in- Donth [CDU/CSU] – Matthias Gastel [BÜND- novative Bahn brauchen, eine Bahn, die wieder zu einem NIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch Straßen- Aushängeschild des Hochtechnologiestandorts Deutsch- bau! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: land wird. Das wollen wir, und das ist das Gegenteil von Wollen Sie jetzt ernsthaft diskutieren oder dem, was Sie wollen, liebe Linke. Fake News verbreiten? – Weitere Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Florian Oßner [CDU/CSU]) Im Übrigen nützt das auch den Reisenden nichts, wenn eine Strecke nicht mehr groß genutzt wird, wenn in ei- Vizepräsidentin Claudia Roth: nem Zug gerade einmal eine Handvoll Reisende sitzt. Es Vielen Dank, Torsten Herbst. – Nächster Redner in der sind Tonnen von Stahl, die da bewegt werden. Das ist Debatte: Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/Die dann weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, Herr Grünen. Gastel, auch wenn Sie das anders sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP – Zurufe von der LIN- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manchmal ist es aus Sicht der Fahrgäste das bessere Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angebot, wenn fünf- bis sechsmal am Tag ein Busange- Die Bahn in Deutschland ist das Opfer politischer Miss- bot besteht, als wenn zweimal am Tag ein Zug kommt. achtung und politischer Fehlentscheidungen. Die meis- 11626 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

Matthias Gastel (A) ten Sünden in Sachen Bahn liegen in der Vergangenheit, Viele Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht, (C) aber leider eben längst nicht alle. Auf jeden Fall holen manche noch bis heute. Entscheidend ist, dass jetzt end- uns diese Sünden heute immer mehr ein. lich die Konsequenzen gezogen werden. Die anstehen- den Haushaltsberatungen könnten doch eine wunderbare Über Jahrzehnte wurde abgebaut: die Infrastruktur im Chance dafür sein, beispielsweise ein Gleisanschluss- Bereich der Überholgleise, der Abstellgleise, der Wei- förderprogramm für einen starken Schienenverkehr im chen und der Verladestellen für den Schienengüterver- Güterbereich aufzulegen, Streckenreaktivierungspro- kehr. Das heißt, die Unternehmen haben – wenn über- gramme aufzulegen, Elektrifizierung von Dieselstrecken haupt noch – einen immer schwierigeren Zugang zur vorzunehmen, Digitalisierung voranzutreiben. Schiene. (Florian Oßner [CDU/CSU]: Machen wir Auf vielen früheren Bahnanlagen finden sich heute doch!) Straßen, Lebensmitteldiscounter oder Baumärkte. Die Folge ist: Wir haben zwar so viel Bahnverkehr wie noch Wenn Sie fragen, wie man das finanziert: Die Lkw-Maut­ nie, aber auf geschrumpften Gleisen mit allen Proble- einnahmen sprudeln, aber Sie investieren diese Einnah- men: Kapazitätsengpässe, Überlastungen, Verschleiß der men ausschließlich in einen noch längeren und breiteren Infrastruktur und Verspätungen. roten Teppich für immer mehr Lkw auf den Autobahnen; und genau das ist der Fehler. Ich war kürzlich auf einem Kongress zum Schienen- güterverkehr. Da haben Logistiker erklärt, dass ihnen im- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mer häufiger Kunden ausdrücklich untersagen, die Güter und bei der LINKEN – Widerspruch bei der per Bahn zu transportieren, weil sie sich nicht sicher sein CDU/CSU) können, dass die Fracht pünktlich ankommt, und weil sie Eine starke Bahn ist nötig für eine nachhaltige Mobi- nicht nachvollziehen können, wo sich ihre Fracht derzeit lität der Menschen. Eine starke Bahn ist nötig, damit we- befindet. Das ist die Situation, und das sind die Folgen niger Lkw auf den Autobahnen unterwegs sind und durch einer völlig verfehlten Bahnpolitik von Jahrzehnten. die Ortschaften brettern, und eine starke Bahn ist nötig, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um die Klimaziele zu erreichen. Sie haben in den Haus- und bei der LINKEN) halt 300 Millionen Euro für Strafzahlungen für verfehlte Klimaziele eingestellt. Wie schön wäre es, wenn wir die- Daher muss, wer Bahn ausbauen möchte, erst einmal ses Geld nicht als Strafe zahlen müssten, sondern es üb- den Abbau von Bahninfrastruktur stoppen. Die Gegen- rig hätten, um es in die Schiene zu investieren! Das wäre wart unter Schwarz und Rot sieht aus wie folgt: Sie brüs- eine gute Investition. Machen Sie das doch mal endlich. (B) ten sich zwar damit, die LuFV-Mittel zu erhöhen, also (D) die Mittel für die Leistungs- und Finanzierungsverein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN barung zum Erhalt der Substanz, aber dieses Plus von und bei der LINKEN) 1 Milliarde Euro ist viel zu niedrig. Vor allem, wenn man die Preissteigerungen im Baugewerbe kennt, dann weiß Vizepräsidentin Claudia Roth: man, dass die Infrastruktur weiterhin zerfallen wird, statt Vielen Dank, Matthias Gastel. – Nächster Redner: dass sie besser wird. Florian Oßner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) und bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/ CSU]: Warten Sie ab, was in der LuFV drin- steht!) Florian Oßner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Sie können mit dem Mehr an 1 Milliarde Euro noch nicht Kollegen! Liebe Linke und Grüne, lieber Herr Gastel, einmal das sogenannte kapazitätsschonende Bauen fi- bitte tun Sie mir einen Gefallen: Hören Sie auf, die ewige nanzieren. Das heißt, man hat Probleme mit mehr Bau- Mär zu verbreiten, der Bund investiere nur einseitig in stellen, weil die Kapazität dann schwindet und man nicht die Straße und vernachlässige die Schiene. die Möglichkeit hat, Baustellen so zu organisieren, dass die Kapazität wenigstens noch teilweise erhalten wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel Deswegen ist das eindeutig zu wenig. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch so!) Aber auch über die LuFV-Mittel hinaus – im Grunde Durch ständiges Wiederholen der Unwahrheit wird Fal- ist es ja richtig, dass da mehr reingesteckt wird – machen sches einfach nicht wahr. Sie das Notwendige nicht. Wo ist denn zum Beispiel die (Widerspruch bei der LINKEN und dem Finanzierung des Deutschland-Taktes? Wo ist die Finan- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zierung der Digitalisierung der Schiene? Und wo ist das, was notwendig ist, um einen fairen Wettbewerb zwischen Ganz im Gegenteil – ich werde es Ihnen erklären –: Bahn, Lkw, Auto und Flugzeug herzustellen? Fehlanzei- Schon in der vergangenen Legislaturperiode hat das Bun- ge bei Schwarz und Rot! desverkehrsministerium die Investitionen im Bereich der Schiene deutlich erhöht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- [DIE LINKE]: Aber bei dem anderen Rot!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11627

Florian Oßner (A) Der Bundesverkehrswegeplan sieht bis 2030 ein Schie- Ebenso wie Enteignungen keine neuen Wohnungen in (C) neninvestitionsvolumen von über 113 Milliarden Euro Berlin schaffen, vor. Das sind übrigens 42 Prozent des Gesamtvolumens (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- für unsere Verkehrswege – ein absolut historischer Spit- ordneten der FDP – Zurufe von der LINKEN zenwert. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaffen Streckenreaktivierungen an wenig genutzten NEN]: Das begeistert alle hier im Hause!) Routen auch nicht automatisch mehr Nachfrage. Das Auch in 2018 erreichten die Investitionen in das Schie- sind wirklich die Rezepte von gestern. nennetz ein Rekordniveau. Bundesminister Andreas (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Scheuer hat mehrfach deutlich gemacht, dass er diese Po- litik konsequent fortführen und weiterentwickeln möch- Verstehen Sie mich nicht falsch: te. Etliche Projekte wurden durch ihn aus dem Potenziel- len in den Vordringlichen Bedarf hochgestuft und damit (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein, Sie sind beschleunigt. sehr gut zu verstehen!) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin grundsätzlich dafür, Strecken offenzuhalten, wenn dies wirtschaftlich sinnvoll ist, so zum Beispiel in Dafür gilt es ein herzliches Dankeschön an den Bundes- meiner Heimat bei der Güterstrecke Schierling–Lang- minister auszusprechen. quaid. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei (Lachen bei der SPD – Oliver Krischer der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen zu GRÜNEN) Hause schon! In Bayern schon! Alles klar! – Die Mittel für den regionalen Verkehr, die sogenann- Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten GVFG-Mittel – meine Vorredner haben es schon an- NEN) gesprochen –, werden bis 2021 verdreifacht. Das sind Aber anders als Sie sehe ich die Notwendigkeit, dass In- die Fakten, und aus meiner Sicht sprechen diese auch für vestitionen vor allem dort erfolgen sollen, wo eine aus- sich. Hinzu kommen noch über 50 Millionen Euro für reichende und nachhaltige Nachfrage besteht oder sogar nachhaltige Antriebe im Schienenverkehr wie die Förde- Engpässe vorhanden sind. rung von Batterie-, Brennstoffzellen- sowie Hybridfahr- zeugen. Mit dem Innovationsprogramm Logistik 2030 Bei den großen Neu- und Ausbaustrecken konzentrie- wollen wir zudem den Schienengüterverkehr durch di- ren wir uns derzeit bewusst auf Kernnetzkorridore. Wir (B) gitale Anwendungen und mit ETCS fördern sowie ein unterstützen dabei auch die Europäische Kommission – (D) 740-Meter-Zugnetz und autonome Loks an den Start hoffentlich bald unter der Führung von Manfred Weber – bringen. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem Sie sehen also: Wir bewegen die Schiene, allerdings BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte betreiben wir anders als Sie keine ideologische Ver- [DIE LINKE]: Das ist ja lächerlich!) kehrsdebatte, bei der Entwicklung und dem Aufbau des transnationalen (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe des Abg. TEN-Netzes. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]) Mit dem Stilllegen unwirtschaftlicher Strecken wird sondern wir unterstützen alle Verkehrsträger und spielen Spielraum dafür geschaffen, dass die vorhandenen Mit- diese nicht gegeneinander aus und arbeiten mit einem tel auch dort eingesetzt werden, wo sie ökonomisch und ganzheitlichen Blick verkehrsträgerübergreifend. ökologisch sinnvoll sind, so bei uns zwischen Landshut (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Plattling, wo die Strecke teilweise zweigleisig aus- neten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ gebaut wird. DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich komme konkret auf Ihre Anträge zurück: Sie for- dern – ich zitiere –: „Die Bahn wieder ins ganze Land Kommen Sie bitte zum Schluss. bringen – Bahnstrecken reaktivieren“ und „Abbau von Bahninfrastruktur stoppen“. Würde das verfilmt wer- Florian Oßner (CDU/CSU): den, wäre der Titel wohl: „Zurück in die hochdefizitäre Anders als Die Linke setzen wir uns deshalb für eine Staatsbahn“. Allerdings möchte ich nicht der Produzent flächendeckende Erschließung ein, wir setzen auf einen dieses Filmes sein, Mix der Verkehrsträger, zum Beispiel auch unter Berück- sichtigung von Buszubringerverkehr. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit wird klar: Aus den genannten Gründen sind die vor allem keiner, der dieses Projekt auch noch zu finan- vorliegenden Anträge abzulehnen. zieren hat. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) 11628 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das kommt bei den Ländern an; damit bringt man Geld (C) Vielen Dank, Florian Oßner. – Der letzte Redner in auf die Schiene. dieser lebendigen Debatte ist Felix Schreiner für die (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU-Fraktion. Jetzt müssen Sie es toppen! Wir hatten dieser Tage Besuch aus der Schweiz. Die (Beifall bei der CDU/CSU) Schweiz ist immer das Musterbeispiel für Schienenver- kehr. Herr Gastel war auch dabei. Wir haben über den Felix Schreiner (CDU/CSU): großen Vertrag von Lugano diskutiert, mit dem wir uns Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verpflichtet haben, die Voraussetzungen für leistungs- Da gibt es gar nichts mehr hinzuzufügen. fähige Zulaufstrecken auch im Zuge der NEAT und der Alpentransversale zu schaffen. Daran arbeiten wir. Na- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU türlich sind wir da im Verzug – keine Frage. sowie bei Abgeordneten der FDP – Florian Oßner [CDU/CSU]: Sehr gut, Felix! – Zuruf (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von der LINKEN: Man muss nicht reden! – NEN]: Aha! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/ Weitere Zurufe von der CDU/CSU, der FDP DIE GRÜNEN]: Deutlich im Verzug! – Zuru- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fe von der LINKEN) Ich will aber am Beispiel der Rheintalbahn auch etwas Vizepräsidentin Claudia Roth: zur Wahrheit beitragen. Wir können über Gleisreaktivie- Dann danke ich Ihnen. rungen reden. Wir können darüber reden, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Das ist alles richtig. Wir wollen den Ausbau der Schieneninfrastruk- Felix Schreiner (CDU/CSU): tur. Aber so einfach mache ich es Ihnen dann doch nicht, auch wenn Herr Krischer schon aufspringt und in den (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber?) wohlverdienten Osterurlaub möchte. Wenn wir aber ehrlich sind: Dort, wo wir das machen, wo (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich will nach es natürlich zu einer Mehrbelastung für die Bürgerinnen Hause! Mein Zug fährt!) und Bürger kommt, haben wir eine andere Diskussion. Wenn man die Anträge der Linken liest und den Red- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) nerinnen und Rednern der Opposition zuhört, stellt man NEN]: Man muss es nur vernünftig machen!) (D) sich die Frage, ob Sie Verkehrspolitik in Deutschland wirklich verstanden haben, meine Damen und Herren. Ich glaube, gerade die Rheintalbahn ist ein Musterbei- spiel dafür, wie der Bund, Land, Bürger und Gesellschaft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – dafür gesorgt haben, dass man Projekte dann eben auch Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- gemeinsam mit entsprechenden Mitteln vorantreiben NIS 90/DIE GRÜNEN) kann. Dieser Bundestag hat 1 Milliarde Euro für mehr Lärmschutz an der Rheintalbahn beschlossen. Sie tun hier so, als würde überhaupt nichts passieren. Hätten Sie mal in den Haushalt geschaut, würden Sie se- (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es! – hen, was alles passiert. Michael Donth [CDU/CSU]: Richtig!) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch das war eine gute Maßnahme. NEN]: Da braucht man eine Lupe! Ein Mi­ kroskop! – Weitere Zurufe vom BÜND- (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das braucht auch Zeit, meine Damen und Herren Das hätte diese Anträge vielleicht sogar überflüssig ge- von der Opposition. macht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte Die Schiene wird für den Güterverkehr attraktiver [DIE LINKE]: Ja, das macht Manfred Weber! gemacht. Übrigens wurden auch die Trassenpreise ge- Der kriegt das hin!) senkt. Auch dazu lese oder höre ich von Ihnen kein Wort. 175 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Wir ha- – Wissen Sie was: Ich kenne Ihren Spitzenkandidaten gar ben es eben gehört: 8 Milliarden Euro Regionalisierungs- nicht. mittel, (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Matthias (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist Manfred Weber?) 1 Milliarde Euro GVFG-Mittel für Investitionen kom- men. Ich würde mich freuen, wenn Manfred Weber es wirklich wird. Das ist doch eine tolle Botschaft heute. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das reicht aber nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11629

Felix Schreiner (A) Auch die Reaktivierung und die Elektrifizierung sind Danke schön. (C) Schwerpunkte. Da gibt es ganz konkrete Ziele. Bis 2025 (Beifall bei der CDU/CSU) sollen 70 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert sein.

(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Claudia Roth: NEN]: Wo ist das Geld?) Vielen Dank, Felix Schreiner. – Damit schließe ich die 2 000 Kilometer neue Strecken sollen elektrifiziert wer- Aussprache. den. Das kostet übrigens 10 Milliarden Euro. Ich sage Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ihnen auch: Ich komme aus einer Region, wo die Elek- Drucksache 19/9076 an die in der Tagesordnung aufge- trifizierung der Hochrheinstrecke ansteht. 300 Millionen führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein- Euro sind für ein relativ kleines Schienenprojekt notwen- verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. dig. Das gehen wir gemeinsam an: Bund und Land. Wir haben auch noch eine Abstimmung; Herr Gastel, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das betrifft Sie womöglich auch. – Wir kommen zur Ab- NEN]: Und abgelehnt! Das müssen Sie dazu stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus- sagen!) ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag der – Herr Gastel, die Landesregierung von Baden-Württem- Fraktion Die Linke mit dem Titel „Abbau von Bahnin- berg mit einem grünen Verkehrsminister steht auch dafür. frastruktur stoppen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Er redet im Landtag auch anders als Sie hier, meine Da- Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/8804, den men und Herren von den Grünen. Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/7907 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja, genau! – lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich [CDU/CSU]: Er hat es ge- keine. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. schafft! Er ist im Landtag! – Zurufe des Abg. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- FDP und AfD. Dagegen waren die Fraktionen Die Linke NEN]) und Bündnis 90/Die Grünen. Wir werden diese Maßnahme gemeinsam umsetzen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Hören Sie auf, den Menschen draußen zu erklären, Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass auf der Schiene überhaupt nichts passiert. Sie erzäh- den verbliebenen Kolleginnen und Kollegen auf der Re- len den Leuten einfach nicht die Wahrheit, meine Damen gierungsbank, Ihnen, unseren Besucherinnen und Be- und Herren. suchern, aber vor allem auch den Mitarbeiterinnen und (B) Mitarbeitern des Hauses, die hier wirklich ackern und (D) (Beifall bei der CDU/CSU) dafür da sind, dass wir unsere Debatten führen können, Dies ist die letzte Rede vor Ostern. Ich höre zwar nicht (Beifall im ganzen Hause) mit der Osterbotschaft auf, ich sage aber ganz ehrlich: ruhige, erholsame, friedliche, schöne und schokoladige (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Überra- Feiertage, ein friedliches Osterfest mit Ihren Liebsten. schungsei!) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest und hoffe, dass tages auf Mittwoch, den 8. Mai 2019, 13 Uhr, ein. wir bei der nächsten Bahndebatte dann vielleicht ein Die Sitzung ist geschlossen. bisschen mehr über Qualität reden als über die Dinge, die Sie in Ihren Anträgen geschrieben haben. (Schluss: 15.27 Uhr)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 11631

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Akbulut, Gökay DIE LINKE Höferlin, Manuel FDP

Annen, Niels SPD Hoppenstedt, Dr. Hendrik CDU/CSU

Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ Huber, Johannes AfD DIE GRÜNEN Ihnen, Ulla FDP Barthle, Norbert CDU/CSU Jung, Dr. Christian FDP Bellmann, Veronika CDU/CSU Juratovic, Josip SPD Bernhard, Marc AfD Kahrs, Johannes SPD Brackmann, Norbert CDU/CSU Katzmarek, Gabriele SPD Brandt, Michel DIE LINKE Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ Busen, Karlheinz FDP DIE GRÜNEN

Damerow, Astrid CDU/CSU Klinge, Dr. Marcel FDP (B) (D) Freese, Ulrich SPD Kotré, Steffen AfD

Frohnmaier, Markus AfD Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU

Gabriel, Sigmar SPD Lischka, Burkhard SPD

Gminder, Franziska AfD Maas, Heiko SPD

Groß, Michael SPD Magwas, Yvonne* CDU/CSU

Grundmann, Oliver CDU/CSU Meiser, Pascal DIE LINKE

Hakverdi, Metin SPD Möller, Siemtje SPD

Harder-Kühnel, Mariana Iris AfD Müller, Bettina SPD

Hartmann, Verena AfD Müller, Dr. Gerd CDU/CSU

Heil (Peine), Hubertus SPD Müller, Hansjörg AfD

Heinrich (Chemnitz), Frank CDU/CSU Müntefering, Michelle SPD

Heinrich, Gabriela SPD Nietan, Dietmar SPD

Held, Marcus SPD Oehme, Ulrich AfD

Herdt, Waldemar AfD Petry, Dr. Frauke* fraktionslos

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Poschmann, Sabine SPD 11632 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019

(A) Ausschuss für Inneres und Heimat (C) Abgeordnete(r) Drucksache 19/7158 Nr. A.4 Ratsdokument 14790/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.5 Radomski, Kerstin CDU/CSU Ratsdokument 15090/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.7 Remmers, Ingrid DIE LINKE Ratsdokument 15626/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.8 Rief, Josef CDU/CSU Ratsdokument 15638/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.9 Schulz, Jimmy FDP Ratsdokument 15653/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.10 Schulz, Uwe AfD Ratsdokument 15658/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.11 Sommer, Helin Evrim DIE LINKE Ratsdokument 15676/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.12 Steier, Andreas CDU/CSU Ratsdokument 15680/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.13 Storch, Beatrix von AfD Ratsdokument 15686/18 Drucksache 19/7505 Nr. A.14 Ratsdokument 15836/18 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE

Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Wirtschaft und Energie DIE GRÜNEN Drucksache 19/7505 Nr. A.20 Ratsdokument 5163/19 Witt, Uwe AfD Drucksache 19/7820 Nr. A.2 Ratsdokument 5459/19 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE Drucksache 19/7820 Nr. A.3 Ratsdokument 5461/19 Zimmermann, Pia DIE LINKE

(B) *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen (D) ­Union Drucksache 19/3112 Nr. A.61 Anlage 2 EP P8_TA-PROV(2018)0226 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Drucksache 19/3112 Nr. A.63 Ratsdokument 9313/18 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 19/5999 Nr. A.21 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Ratsdokument 13590/18 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Drucksache 19/7505 Nr. A.32 Beratung abgesehen hat. ERH 1/2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. April 2019 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333