ISSN 0939 - 334X | 69. Jahrgang | November 2017 | 4 Geschichte der Pharmazie

DAZ Beilage | Redaktion Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke | Prof. Dr. Christoph Friedrich

EDITORIAL Xyla et Lineamenta Im Frühjahr 2018 veranstaltet die Deut- sche Gesellschaft für Geschichte der Phar- mazie e. V. ihre pharmaziehistorische Bi- ennale vom 6. bis 8. April in der über tau- medicamentosa send Jahre alten, geschichtsträchtigen, einstigen Reichsstadt Lindau (Bodensee). Imprägnierte oder präparierte Verbandstoffe Aus einem Frauenkloster auf der „Insel der Linden“ hervorgegangen, fügt sich Lindau mit der Klosterinsel Reichenau und dem Kloster Sankt Gallen in den Ka- Ursula Lang | Die neunte Auflage der 1870er-Jahren richtungsweisend non der Formierung europäischer Kultur Vorschriftensammlung Hagers zur Entwicklung, Herstellung, Prü- und akademischer Bildung im mittelalter- Pharmazeutisch-technisches Manu- fung und dem Vertrieb antisepti- lichen Bodenseeraum. Lindau bietet damit aus dem Jahr 1931 bietet Ein- scher Verbandstoffe bei, bearbeite- den idealen Ort, um sich der Entwicklung ale der Pharmazie vom Handwerk zur Wis- blick in die heute überholte Herstel- ten chemische, technologische und senschaft zu widmen, gleichsam flankiert lung von Verbandstoffpräparaten in analytische Fragenstellungen und von Zeugnissen abendländischer Pharma- öffentlichen und klinischen Apothe- setzten sich dafür ein, Patienten mit zie wie dem rekonstruierten Gärtlein des Walahfried Strabo (um 808–849), des ken. Der Abschnitt „Verbandstoffe“ qualitativ hochwertigen Verband- Lieblingsschülers von Hrabanus Maurus präsentiert eine Zusammenstellung stoffpräparaten zu versorgen. Noch (780–856), auf der Insel Reichenau und von mit Arzneistoffen imprägnier- heute werden antiseptische Wund- dem Sankt Gallener Klosterplan mit der wohl am frühsten dokumentierten Form ten Wundauflagen aus Mull oder verbände angewendet, die inzwi- einer Klosterapotheke. Watte, die weniger zur Aufnahme schen jedoch ausschließlich aus in- Gerade die grenzüberschreitende Dimen- von Blut oder Wundsekreten als dustrieller Fertigung stammen.2 sion des Themas bietet die Gelegenheit, die Biennale zusammen mit der Schweize- vielmehr zur lokalen Behandlung rischen Gesellschaft für Geschichte der von Wunden dienen sollten, bei- Der Listerverband: Pharmazie zu gestalten und in insgesamt spielsweise zur Blutstillung mit Ei- acht Vorträgen namhafter ReferentInnen, Auftakt zur antiseptischen senchlorid oder zur Verhütung für die Entwicklung der Pharmazie gleich- Wundbehandlung sam exemplarisch, repräsentative Themen einer Wundinfektion mit antisepti- vorzustellen und zu diskutieren, sodass schen Wirkstoffen. Weiterhin fin- Nachdem der schottische Chirurg Jo- wir uns auf viele anregende und weiter- den sich Vorschriften zur Impräg- seph Lister (1827–1912) im Jahr 1867 führende wissenschaftliche Erkenntnisse freuen dürfen. nierung von Jute und Catgut sowie darüber berichtet hatte, dass ein kar- Die neu hergerichtete Inselhalle in Lindau von Sand, Torfmull oder Verbandpa- bolsäurehaltiger, luftdicht abgeschlos- bietet einen idealen Ort der wissenschaft- pieren. Einleitend wird erläutert, sener Okklusionsverband Wundinfek- lichen Diskussion, und die Stadt Lindau grüßt vorab mit bayerischer Kultur und welchen Zweck das ausführliche tionen und septische Komplikationen Gastfreundlichkeit. Ein attraktives Be- Kapitel „Verbandstoffe“ erfüllen nach operativen Eingriffen zurück- gleitprogramm lässt bereits jetzt Vorfreu- sollte, obwohl diese „in jetziger Zeit drängte, erhielten imprägnierte Ver- de auf die Besuche der kulturellen und nahezu ausschließlich“ in Fabriken bandstoffe eine völlig neuartige Be- landschaftlichen Höhepunkte aufkommen. Ich lade Sie herzlich zur pharmaziehistori- 3 hergestellt würden. Die Nebenbe- deutung. Sie erfüllten nun einen the- schen Biennale 2018 in Lindau ein und schäftigung des Apothekers sollte rapeutischen Zweck und Verbandmit- freue mich sehr auf ein baldiges Wiederse- angeregt und die „Fachgenossen in tel dienten als Trägerstoffe für hen, viele schöne Begegnungen und einen regen wissenschaftlichen Austausch in den Stand gesetzt werden“, einen Wirkstoffe und damit als Ausgangs- der schönen Stadt am Bodensee! nicht vorrätigen Verbandstoff in material zur Herstellung von Verband- Notfällen schnell und sicher herzu- stoffpräparaten. Über lange Zeit hin- Prof. Dr. Sabine Anagnostou, Präsidentin der DGGP stellen.1 Apotheker trugen ab den weg hatten Ärzte und Pflegepersonal

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nen Zusätzen von Carbolsäure, Eisen- chlorid etc. meiner Ansicht nach sich nicht halten wird, zumal da jeder Arzt diese carbolisierte etc. Baumwolle je- den Augenblick sich selbst nach Wunsch und Bedarf bereiten kann, in- dem er entfettete Baumwolle mit Car- bolsäure-Spiritus etc. tränkt und die überschüssige Flüssigkeit durch Aus- drücken entfernt“.9

Gründung einer Verbandstoff- Fabrik in Schaffhausen (IVF) Victor von Bruns hatte bereits am 2. August 1870, kurz nach Ausbruch des Krieges mit Frankreich, eine Leser­ anfrage zur Verwendbarkeit von Baumwolle als Verbandmaterial im Abb. 1: Lister introduces Antisepsis, from „The History of Medicine” Schwäbischen Merkur beantwortet und dadurch auf das große Potential entfet- teter Baumwolle hingewiesen. Dieser Verbandmittel als Hilfsmittel betrach- fahrens durch den Apotheker Johan- Beitrag erregte die Aufmerksamkeit tet, die dem Aufsaugen von Körper- nes Schmid (1842–1923) unterstützt, des jungen Schweizers Heinrich Theo- flüssigkeiten, dem Schutz der Wunde der 1868 die „Johnsche Apotheke“ phil Baeschlin (1845–1887), der in vor Außeneinflüssen oder der Fixie- (heute „Trappsche Apotheke“) in Tü- Schaffhausen eine – von seinem Vater rung von verletzten Gliedmaßen dien- bingen übernommen hatte.7 Dass Apo- am 1. Juli 1870 aus einer Konkursmas- ten. Saugfähige, weiche, faserige Ver- theker sich nicht nur mit Arzneipflan- se erworbene – „Mechanische Wollen- bandmittel verwendete man zur Auf- zen, sondern auch mit gewerblich und Baumwollwatten-Fabrik“ betrei- nahme von Blut, Wundsekreten oder nutzbaren „Fabrik-Pflanzen“ beschäf- ben wollte. Baeschlin entsandte einen Eiter und dicht gewebte Verbandstoffe tigten, die der Erzeugung von Ölen Mitarbeiter nach Tübingen, um Einzel- zum Aufstreichen von Salben und und Farbstoffen oder der Gewinnung heiten des Baumwoll-Entfettungsver- Pflastermassen oder zum Bandagieren von Fasern dienten, die nach dem Blei- fahrens bei von Bruns und Apotheker verletzter Körperteile.4 Eine wichtige chen in Spinnereien und Webereien Johannes Schmid in Erfahrung zu Rolle bei der Einführung von entfette- weiterverarbeitet wurden, zeigt ein bringen. Kurz danach begann er in ter Baumwolle als Verbandmaterial Blick in Sigismund Friedrich Hermb­ der „Fabrik medizinischer Verband- spielte Victor von Bruns (1812–1883), staedts (1760–1833) Grundriß der theo- stoffe von H. Th. Baeschlin in Schaff- der 1843 einem Ruf als ordentlicher retischen und experimentellen Pharma- hausen“ entfettete, saugfähige Baum- Professor und Direktor an die Chirur- cie zum Gebrauch bei Vorlesungen. Er wolle zu produzieren. Ende Dezember gische Klinik der Universität Tübin- beschrieb darin ausführlich „bastarti- 1870 gab von Bruns die schriftliche gen gefolgt war.5 Bruns erläuterte im ge oder basttragende Spinn- und We- Erlaubnis, den in Schaffhausen gefer- ersten Band seines Lehrbuchs Hand- berpflanzen“ wie Hanf, Flachs oder tigten Charpie-Ersatz unter seinem buch der Chirurgischen Praxis, dass Brennnesseln und „wollenartige Namen in den Handel zu bringen, riet Baumwolle an Stelle von Charpie, die Spinnpflanzen“ wie Baumwolle, Wei- Baeschlin jedoch „zur größeren Ver- man durch Auszupfen von Fäden aus denröschen oder Wollweide.8 Im zwei- breitung seines Fabrikates“ den Preis gebrauchten Leinengeweben gewann, ten Band seines Handbuchs der Chirur- herabzusetzen. 1874 wandelte sehr gut verwendbar sei. Die von den gischen Praxis ging von Bruns noch- Baeschlin sein Unternehmen in eine Medizinern beklagte, unzureichende mals auf die Bedeutung der Baumwol- Aktiengesellschaft um und änderte Aufnahme von Wundsekreten durch le als Wundverband ein: „Die weite den Namen in „Internationale Ver- Rohbaumwolle könne deutlich verbes- Verbreitung, welche der Baumwolle- bandstoff-Fabrik in Schaffhausen sert werden, wenn die wachsartige Verband während des Krieges 1870– (vorm. H. Th. Baeschlin)“. Victor von Substanz, mit denen die Baumwollfa- 71 gefunden hat, sichert der reinen Bruns, der inzwischen das ehrenvolle sern überzogen waren, durch Ausko- entfetteten Baumwolle einen dauern- Amt als stellvertretender Vorsitzender chen mit 4%-iger Soda-Lösung entfernt den Platz in dem Verbandmaterial, der 1872 gegründeten „Deutschen Ge- würde.6 Victor von Bruns wurde bei während die fabrikmäßige Darstel- sellschaft für Chirurgie“ innehatte, der Entwicklung des Entfettungsver- lung dieser Baumwolle mit verschiede- übernahm den Vorsitz des Verwal-

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tungsrates, dem zahlreiche weitere, braucht wird, und bin damit sehr zu- eine Apotheke als Verteilungsstelle zu hoch anerkannte Chirurgen aus frieden. […] Freilich kosten die weni- schaffen. Paulcke war Inhaber der Deutschland, Österreich und der gen Verbände, die wir brauchen (die Leipziger Engel-Apotheke und eröffne- Schweiz beitraten.10 Die über Kongres- Operateure haben kaum noch etwas te ein Generaldepot der IVF für Nord- se und Fachzeitschriften wie beispiels- zu thun, da die Verbände 8 und 14 deutschland, Elsass-Lothringen, Russ- weise die Berliner Klinische Wochen- Tage liegen bleiben) heilloses Geld, land und Schweden, nachdem schrift miteinander in Verbindung ste- und ich muß schon wieder etwas zur Baeschlin 1871 Kontakt zu ihm aufge- henden Chirurgen stellten für Sparsamkeit moniren. […] Meine Er- nommen hatte.17 In einer angeglieder- Baeschlin einerseits wichtige Infor- fahrungen über das Thymol waren im ten „Fabrik chemisch-pharmaceuti- manten und andererseits werbewirk- Ganzen recht günstig, und ich werde scher Präparate“ stellte Paulcke zudem same Autoritäten dar, die für die Ver- darauf zurückkommen. […] Ich habe eigene Arzneispezialitäten her.18 Später breitung des neuen Wundverbandes schon vor mehreren Monaten Thymol- löste Paulcke seine Geschäftsverbin- sorgen sollten. Auch für die Mediziner gaze in Schaffhausen machen lassen, dung mit der IVF und gründete 1886 war eine enge Verbindung zu und die Fabrik wollte dies Zeug mit eine eigene Verbandstoff-Fabrik.19 Baeschlin durchaus vorteilhaft, weil meinem Namen in die Welt senden. sie von ihm die für die Erprobung der Ich verbat mir das, weil meine Erfah- Gründung der Verbandstoff-­ propagierten Lister-Methode notwendi- rung zu klein war und der Stoff immer Fabrik Paul Hartmann in gen Verbandstoffe beziehen konnten. noch zu theuer“.11 Dieser Brief zeigt, Viele Chirurgen waren nicht nur welchen Einfluss die Chirurgen auf ­Heidenheim an der Brenz durch Vorträge, sondern auch über die Einführung und den Geschäftser- Einen Einblick in den Beginn der in- Briefkontakte miteinander verbunden folg von neu vorgeschlagenen Ver- dustriellen Verbandstoffproduktion in und tauschten berufliche Erfahrungen bandstoffpräparaten ausübten und wie Deutschland bietet M. Plehns Disserta- aus, wie ein Brief des Wiener Universi- das Sortiment laufend angepasst und tion Verbandstoff-Geschichte. Die An- tätsprofessors und Chirurgen Theodor erweitert werden musste. Die umfang- fänge eines neuen Industriezweiges. Er Billroth (1829–1894) vom 19. Februar reiche Preisliste der IVF aus dem Jahr befasst sich darin detailliert mit der 1878 an seinen früheren Assistenten 1885 lässt ein erstaunlich großes An- Gründung und dem erfolgreichen Wer- Vincenz Czerny (1842–1916), der 1877 gebot an Materialien erkennen.12 Sie degang der Verbandstoff-Fabrik Paul den Lehrstuhl für Chirurgie in Heidel- waren in verschiedene Gruppen wie Hartmanns (1812–1884) im württem- berg übernommen hatte, eindrucks- Verbandwatten, Verbandwerg, Ver- bergischen Heidenheim an der Brenz. voll zeigt: „Zwei Jahre lang habe ich band-Juten, Verband-Gazen und zahl- Paul Hartmann war Kaufmann, grün- nach Methoden gesucht, das reiche weitere, in der Patientenversor- dete 1867 einen Textilbetrieb mit Lister’sche Gazezeug zu vermeiden gung gebräuchliche Hilfsmittel unter- „Bleiche, Färbereigeschäft und Appre- und die Verbände feucht anzulegen. teilt. Watte und gewebte Stoffe aus turanstalt“ und begann 1873 damit, […] Seit 1. Januar dieses Jahres wende entfetteter Baumwolle oder anderen entfettete und gereinigte Verbandwat- ich nun den trockenen, aseptischen Fasern wurden sowohl „gebleicht“, te herzustellen. Ab 1874 produzierte Verband an, in den Modificationen, „hydrophyl“ oder „chemisch rein“ wie Hartmann „antiseptische Verbandstof- wie er von Ihnen und Volkmann ge- auch mit einer Chemikalie präpariert fe nach Lister“ und konzentrierte sich verkauft. Neben „Dr. von Bruns Char- damit verstärkt auf Verbandstoffprä- pie hygroscopisch, chemisch reine parate.20 1875 kam Verbandbaumwolle Watte“ wurden beispielsweise „Carbol- „mit 3% Salicylsäure präparirt“ hinzu, Charpie“, „Salicyl-Charpie nach Prof. nachdem der Leipziger Chirurg und Thiersch“,13 „Benzoë-Charpie nach Lehrstuhlinhaber Carl Thiersch (1822– Prof. Volkmann“,14 „Benzoë-Jute nach 1895) diese erfolgreich in die operati- Dr. P. Bruns“15 oder „Thymolgaze nach ve Praxis eingeführt hatte.21 Die Preis- Dr. Ranke“16 sowie zahlreiche weitere liste der Verbandstoff-Fabrik Paul imprägnierte Verbandstoffe angebo- Hartmanns im Jahr 1884 umfasste ten. über 100 Artikel in sieben Kapiteln Dass der Leipziger Apotheker Rudolf und unterschied zwischen „Unpräpar- Hermann Paulcke (1845–1887) im Jahr irten Stoffen“ wie Watten, Gazen und 1874 in den Verwaltungsrat der IVF Kompressen und „Präparirten Stof- aufgenommen wurde, ist vermutlich fen“, die mit verschiedenen Antisepti- dem Bemühen Baeschlins geschuldet, ka hergestellt wurden. 1885 wuchs sich in Deutschland, wo viele bedeu- das Sortiment auf beachtliche 345 Ar- tende Chirurgen in Städten wie , tikel an, zu denen außer Verbandstof- Abb. 2: Werbeplakat „Sammelt Bren- Leipzig, Halle, Heidelberg oder Mün- fen auch zahlreiche Gegenstände für nesseln, die deutsche Baumwolle!” chen wirkten, einen Vertriebsweg über die Krankenpflege zählten.22

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Fertigung von Verbandstoff­ präparaten durch Apotheker

Richard von Volkmann (1830–1889) verwendete in Halle als einer der ers- ten Chirurgen eine nach Listers Vor- schrift „präparirte, carbolisirte Gaze“, die er für seine Versuche der neuen antiseptischen Wundbehandlung in der Hallenser Apotheke zum blauen Hirsch präparieren ließ.23 Da von Volk- mann am 10. April 1874 auf dem drit- Abb. 4: Professor Listers Carbol-Gaze ten Chirurgischen Kongress in Berlin anhand statistischer Zahlen über sei- ne Ergebnisse mit der antiseptischen von Verbandstoffen und Watten sowie rungen und verliehene Preise hin, un- Lister-Methode in Halle zwischen dem Geschäftsräume in Chemnitz und be- ter anderem die „Grosse goldene Eh- 1. Dezember 1872 bis zum 28. Februar gann 1874 mit der fabrikmäßigen Her- renmedaille Ihrer Majestät der Deut- 1874 referierte, dürften in diesem Zeit- stellung medizinischer Verbandstoffe schen Kaiserin“. Das Sortiment an raum die Verbandstoffpräparate durch und Watten.25 Im April 1874 veröffent- medizinischen Verbandstoffen der IVF den Apotheker Dr. Bernhard Jaeger lichte er eine Werbeanzeige für die war über eine Filiale in Singen (Ba- hergestellt worden sein, der von 1866 „Fabrik medicinischer Verbandstoffe den) erhältlich und es wurde eine bis 1882 die Apotheke zum blauen von Max Arnold in Chemnitz“ in der „Preissermäßigung von 25–30 pCt in Hirsch leitete.24 Berliner Klinischen Wochenschrift. Of- Folge verbesserter Einrichtungen“ an- Dass nicht nur Textilunternehmer er- fenbar hoffte er mit dem Schweizer gekündigt. Eine weitere Anzeige von kannten, welche Chancen sich ihnen Unternehmen Baeschlins in Konkur- Max Arnold in der Berliner Klinischen mit entfetteter Baumwolle und dem renz treten zu können, denn er offe- Wochenschrift im Juli 1874 zeigt, dass Lister-Verfahren eröffneten, zeigt die rierte „Deutsche Verbandwatte als Er- dieser mit der Herstellung von „Sali- Gründung einer Verbandstoff-Fabrik satzmittel für Charpie, Prof. Lister’s cylsaurer Watte“ begonnen hatte, die durch den im schlesischen Schweid- sämmtliche antiseptische Verbandstof- die IVF noch nicht anbot. Arnold in- nitz geborenen Apotheker Max Otto fe etc. in bester Qualität bei circa 20 formierte: „Die Darstellung geschieht Johannes Arnold (1843–1917). pCt. billigeren Preisen.“ Die Reaktion genau nach den in der Leipziger Kli- Er hatte 1868 in Breslau sein Pharma- darauf erfolgte prompt, denn die „In- nik festgestellten Vorschriften“. Er ziestudium beendet und eröffnete ternationale Verbandstoff-Fabrik“ in- zeigt sich damit über die Aktivitäten 1871 in Chemnitz eine Mineralwasser- serierte im Juni 1874 im gleichen Blatt Carl Thierschs, der erst seit April 1874 fabrik. 1873 erwarb Arnold Maschi- mit einer wesentlich größeren Annon- Salicylsäure als Ersatz für Karbolsäu- nen zur fabrikmäßigen Herstellung ce und wies auf verschiedene Prämie- re an Patienten testete und erst 1875 darüber berichtete, erstaunlich gut in- formiert. Dass Max Arnold sein Sorti- ment an Verbandstoffpräparaten rasch erweiterte, beispielsweise um Borsäu- re-Watte und blutstillende Watte, ist einer weiteren, Ende Oktober 1874 er- schienenen Anzeige in der Berliner Kli- nischen Wochenschrift zu entneh- men.26 Im April 1875 inserierte Max Arnold wiederum in der Berliner Klinischen Wochenschrift und berichtete nun, dass seine Verbandstoff-Fabrik „fast sämmtliche klinischen Hospitäler“ als Kunden besitze und dass bis jetzt er alleine „starke Salicylsäure-Watte 10 pCt. (roth gefärbt)“ und „Salicylsäure- Jute 4 pCt.“ nach den Angaben Thierschs herstellte. Weiterhin erfährt Abb. 3: Dr. von Bruns Charpiebaumwolle der Leser, dass Max Arnold inzwi-

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schen mit vier „Hauptdepositären“ in tung der Karbolsäure in Berlin, Dresden, Leipzig und München Pergamentpapier einge- zusammenarbeitete, von denen drei schlagen werden. Weiter- Apotheken waren.27 hin erläuterte Lehn die Auch der Berliner Apotheker Max Herstellung von Salicylga- Kahnemann erkannte die Bedeutung ze und Salicyljute sowie der zunehmend gefragten medizini- die Vorbereitung von Cat- schen Verbandstoffe. Er verkaufte gut und Operations- 1878 seine „Apotheke zum weißen schwämmen mit Karbol- Schwan“, die er 1874 erworben hatte, säure. Ferner machte Lehn und gründete die „Berliner Fabrik me- ausführliche Angaben zur dizinischer Verbandstoffe“. Er beliefer- Prüfung der Verbandstoff- te beispielsweise die auf chirurgi- präparate.29 Lehn wies ein- schem Gebiet hochrangige Charité so- dringlich darauf hin, „wie wie weitere Berliner Krankenhäuser.28 wünschenswerth es sei, 1881 meldete sich der Krankenhaus- dass die Apotheker durch apotheker A. Lehn aus Elberfeld auf Uebernahme der Darstel- Abb. 6: Anzeige in der Berliner Klinischen Wochenschrift einer Apotheker-Versammlung zu lung der Verbandstoffe den Wort: „Unsere Fachblätter haben dem Aerzten die jetzt noch theilweise feh- men: „Die gereinigte oder gekrempelte Lister nur wenig Aufmerksamkeit ge- lende Garantie für deren Güte und Ge- Baumwolle findet zu verschiedenen schenkt […]. Es ist aber auch nothwen- halt böten. Der Verbrauch an diesen Zwecken für den äusseren Gebrauch dig, dass wir uns des Listers bemäch- Stoffen sei enorm, ihrem ganzen We- Anwendung, z. B. zur Herstellung aro- tigen, weil der Apotheker sonst durch sen aber gehörten dieselben in die La- matisirter, gekampferter, carbolisirter, denselben geschädigt wird. Zeigen wir boratorien der Apotheker und nicht in jodirter, ferrichloridirter, blutstillender den Aerzten, dass wir die Principien die Hände von Fabrikanten“.30 etc. Baumwolle.“ Damit wird offen- des Listers kennen, dass wir im Stan- Offenbar folgten einige Apotheker die- sichtlich, welche Rolle die Apotheker de sind, einen guten Verbandstoff her- sem Appell und eröffneten in den üblicherweise innehatten. Sie stellten zustellen und dafür zu garantiren, so 1880er-Jahren verschiedene Verband- aus zugekaufter, gereinigter Baumwol- kann uns der Erfolg nicht fehlen.“ stoff-Fabriken.31 Der promovierte Apo- le keimarme, imprägnierte Verband- Lehn beschrieb genauestens ein von theker Josef Degen (1861–1942), der stoffpräparate für die Wundbehand- ihm optimiertes Verfahren der Präpa- 1887 die Löwen-Apotheke in Düren er- lung her und verpackten diese für den rierung von nur geringfügig auf der worben hatte, verkaufte beispielsweise baldigen Verbrauch durch den Arzt. Haut klebender Listerscher Gaze mit diese bereits 1893, um sich gänzlich Sie entfetteten im Apothekenlabor aber Karbolsäure, Colophonium, Paraffin, der gemeinsam mit Franz Piro ge- weder Rohbaumwolle, noch stellten sie Glycerin und Spiritus anstatt mit Kar- gründeten Verbandstofffabrik widmen mit speziellen Textilmaschinen Ver- bolsäure, Harz und Paraffin oder mit zu können.32 bandwatte oder gewebte Verbandstoffe Karbolsäure, Colophonium, Rizinusöl her. Gereinigte Baumwolle musste in und Spiritus. Die gebleichte Gaze soll- der Officin einer ­aufwändigen Prüfung Verbandstoffpräparate te vor der Imprägnierung „in einem unterzogen werden, um die erforderli- Desinfections-Apparate, der durch ge- als Galenika che Arzneibuch-Qualität sicherzustel- spannte Wasserdämpfe erhitzt wird“, 1882 wurde entfettete Verbandwatte len. Hermann Hager (1816–1897) erläu- behandelt werden. Nach der Impräg- unter der Bezeichnung Gossypium de- terte, dass bei Drogisten die Bezeich- nierung musste der antiseptische Ver- puratum in die zweite Auflage der nung „Charpie-Baumwolle“ gebräuch- bandstoff zum Schutz gegen Verduns- Pharmacopoea Germanica aufgenom- lich war.33 Aus dieser Entwicklung wird nachvollziehbar, dass detaillierte Vorschriften zur Herstellung und Prü- fung der anspruchsvollen Verband- stoffpräparate für die Praxis notwen- dig wurden, um deren Qualität ge- währleisten zu können. Der Apotheker und Chemiker Eugen Dieterich (1840–1904) wandelte ab 1869 eine ehemalige Papiermühle in eine chemische Fabrik um, kaufte die- se dann 1872 und firmierte unter „Pa- Abb. 5: Anzeige in der Berliner Klinischen Wochenschrift pier- und Chemische Fabrik Eugen

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Dieterich in Helfenberg bei Dresden“. fektur als Ergänzung zur Pharmaco- stimmte Antiseptika mit den Namen Rasch erweiterte Dieterich das Sorti- poea Germanica dienen und enthielt der verschiedenen chirurgischen Weg- ment und bot Apotheken außer Papier- von Dieterich erprobte Vorschriften bereiter, beispielsweise „Salicyl-Gaze fabrikaten auch Pflasterzubereitungen zur Eigenherstellung gebräuchlicher nach Thiersch“ oder „Thymol-Watte sowie Tinkturen und Salben in ferti- Präparate des Handverkaufs. Eugen nach Ranke“. Auch Präparate wie „Su- gen Verkaufspackungen an. Er opti- Dieterich widmete den Verbandstoffen blimat-Moos“ oder „Carbol-Torfmull“ mierte Herstellungsverfahren und ent- ein eigenes, ausführliches Kapitel und wurden von ihm mit dem Hinweis er- wickelte als Pionier fabrikmäßig gefer- erläutert die Rolle des Apothekers bei wähnt, dass Verband-Moos bei „Apo- tigter pharmazeutischer Präparate der Herstellung dieser neuartigen Prä- theker Beckström in Neustrelitz“ und Maschinen und Analysenverfahren parate: „Seit Einführung der Antisep- Roh-Torfmull bei „G. Neuber in Ueter- für die produzierten Galenika.34 In sis gehören besondere Verbandstoffe sen in Holstein“ zu beziehen seien.37 Dieterichs Fabrik wurden Wachspa- zu den unentbehrlichen Hilfsmitteln Hermann Hager (1816–1897), Apothe- pier, Filtrierpapier oder Reagenzpapie- der Chirurgie und bilden einen ste- ker und Autor zahlreicher pharmazeu- re hergestellt und zusätzlich auch henden Handelsartikel der Apotheken. tischer Werke, widmete sich erstmals wirkstoffhaltige Papiere, beispielswei- Die Herstellung der zu verarbeitenden 1890 in seinem Buch Technik der Phar- se Charta sinapisata (Senfpapier) so- Rohstoffe setzt bedeutende maschinel- maceutischen Receptur den präparier- wie Linteum sinapisata (mit Senfmehl le Einrichtungen voraus, während das ten Verbandstoffen, während die Aus- imprägnierte Leinwand oder Senf- Imprägniren derselben mit Vortheil in gabe von 1884 diese noch nicht be- pflaster).35 Dieterich begnügte sich kleinem Maasstaab [!] ausgeführt wer- rücksichtigt hatte. Er informierte über nicht mit seiner anspruchsvollen Rolle den kann. […] Dass sämmtliche Arbei- die Herstellung der Gaza antiseptica als pharmazeutischer Unternehmer, ten mit großer Accuratesse und Sau- mit verschiedenen Agentien wie Mus- sondern bemühte sich um die Fabrika- berkeit ausgeführt werden müssen, ist selina Sublimato corrosivo perspersa tion von qualitativ hochwertigen Gale- selbstverständlich. Wie mir von ver- (Sublimatmull), Xylina Salicylata (Sali- nika. 1887 verfasste er das Praxis- schiedenen Seiten bestimmt versichert cylwatte) oder Textum indo-cannabi- handbuch Neues Pharmaceutisches wird, machen es sich einige Winkelfa- num carbolisatum (Carboljute).38 Manual, das in den Folgejahren in vie- brikanten, die ja auch in dieser Bran- len weiteren und überarbeiteten Aufla- che nicht fehlen, insofern bequem, als Verbandstoffpräparate gen erschien. Dieses Handbuch sollte sie ihre Stoffe nicht durch Eintauchen in der Militärpharmazie den Apothekern in Rezeptur und De- und Auspressen bis zu einem be- stimmten Gewicht, Die Auflistung einer „Sublimat-Gaze sondern einfach durch nach der Deutschen Kriegs-Sanitäts- Vertheilen der Flüssig- ordnung“ im Neuen Pharmaceutischen keit mittels Zerstäu- Manual von 1887 zeigt, dass Eugen bers imprägniren. Dieterich die Entwicklungen in der Dass damit eine gleich- Militärpharmazie genauestens ver- mäßige Vertheilung folgte.39 Die Pharmaceutische Central- nicht erzielt werden halle hatte 1886 in einem zweiteiligen und ein solches Ver- Beitrag ausführlich darüber berichtet, fahren hier keinen dass in der Neuen Ausgabe der Beilage Platz finden kann, ist 5 zur Kriegs-Sanitäts-Ordnung neben selbstverständlich. Er- Acidum carbolicum liquefactum nun wähnung verdient insbesondere Liquor Hydrargyri bichlo- noch, dass Verband- rati (Sublimatlösung), sowie Borsäure

stoffe, welche durch (H3BO3) und Jodoform (Trijodmethan) Lagern an Qualität ver- bevorratet werden mussten. Zudem lieren, nicht in zu gro- war die Anleitung zur Zubereitung und ßen Mengen angefer- Verwendung des antiseptischen Ver- tigt werden dürfen, bandmaterials als neue Anlage E hin- und dass der Verpa- zugekommen, nach der der jeweilige ckung alle Aufmerk- Feldapotheker bei befohlener Mobil- samkeit zugewendet machung und noch vor Verlassen des werden muss“.36 Mobilmachungsortes Sublimat-Mull, Dieterich verknüpfte – Sublimat-Wundwatte, Sublimat-Cat- ebenso wie die ersten gut, Sublimat-Seide und antiseptische Abb. 7: Ausschnitt aus Register „Neues Pharmaceutisches Kataloge der Verband- Drains und Catgut-Vorräte herzustel- Manual” stoff-Fabriken – be- len hatte.40

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in Berlin wurde der Heinrich Salzmann (1859–1945), der Arzt Karl Hoffmeyer als Standespolitiker und Vorsitzender (1866–1889) 1889 mit der Handelsgesellschaft Deutscher einer Arbeit Ueber Ver- Apotheker (HAGEDA) großen Einfluss bandstoffe und ihre Ver- auf den Vertriebsweg von Verbandstof- wendbarkeit zu Dauer- fen nehmen sollte, befasste sich als verbänden promoviert. junger Korpsstabsapotheker ebenfalls Diese Dissertation bie- mit Sublimat-Verbandstoffen. Er war tet eine Übersicht über während seiner 1887 angetretenen Mi- die bis zu diesem Zeit- litärzeit mit analytischen Unter- punkt angewendeten suchungen beauftragt und berichtete imprägnierten Ver- 1889 gemeinsam mit seinem Freund, bandstoffe. Hoffmeyer dem Stabsarzt Erich Wernicke (1859– erwähnte, dass Fried- 1928) in der Deutschen militärärztli- rich Ernst Hans chen Zeitschrift über qualitätsrelevante Schlange (1856–1922)44 Aspekte von Sublimat-Verbandstoffen, als Assistent des hoch beispielsweise über die Verdunstung anerkannten Berliner sowie die Zersetzung des Sublimats Chirurgen Ernst von unter dem Einfluss von reaktiven Ver- Bergmann (1836–1907) unreinigungen in Hilfsstoffen wie Gly- im Jahr 1887 verschie- cerin.46 Ab 1911 wurden vom Militär dene imprägnierte Ver- imprägnierte Verbände nicht mehr be- Abb. 8: Rechnung der „Fabrik medicinischer Verbandstoffe, bandstoffe, die „aus vorratet, sondern durch sterilisierte Max Kahnemann”, 1918. den best­rennomirten Verbandstoffe ersetzt. Als Ersatzstoffe Fabriken stammten“, für Sublimat verwendete man vor Ein- Von großer Bedeutung für die Einfüh- auf Anwesenheit von lebenden Keimen führung sterilisierter Verbandstoffe in rung von Sublimat als Antiseptikum untersucht und dabei festgestellt hatte, der Militärpharmazie beispielsweise im Militär-Sanitätswesen waren die dass diese häufig nicht steril waren. die Wismutsalze Bismutum tribromphe- wissenschaftlichen Arbeiten des Medi- Zudem habe Schlange darauf hin- nylicum (Xeroform) und Bismutum sub- ziners und Mikrobiologen gewiesen, dass Sublimat durch Kon- gallicum (Dermatol), Formalin (Formal- (1843–1910). 1878 veröffentlichte er takt mit Bluteiweiß in seiner Wirksam- dehydlösung) oder Liquor Aluminii Ace- sein bahnbrechendes Werk Unter- keit beeinträchtigt würde. Hoffmeyer tici (essigsaure Tonerde) als antisepti- suchungen ueber die Aethiologie der betonte darüber hinaus die große Be- sche Agentien.47 Wundinfectionskrankheiten.41 1881 ver- deutung von einfach anzuwendenden fasste er eine umfangreiche wissen- und preiswerten Materialien für die Verbandstoffpräparate in schaftliche Publikation Ueber Desinfec- Kriegschirurgie. Er widmete sich des- ­pharmazeutischer Presse und tion. Er hatte herausgefunden, dass halb in seiner Arbeit auch saugfähigen Karbolsäurelösung nur in hoher, über Verbandstoff-Ersatzmaterialien wie Fachliteratur fünfprozentiger Konzentration und dem Torf und Moos, die als Naturmate- Auch die pharmazeutische Fachpresse langer Einwirkzeit, Sublimat-Lösung rialien bei Feldzügen mit Nachschub­ befasste sich zunehmend mit der The-

(HgCl2) hingegen auch noch in sehr engpässen zur Verfügung stehen wür- matik der antiseptischen Verbandma- großer Verdünnung und innerhalb den.45 terialien. Der Apotheker Bernhard Alf- kürzester Zeit Milzbrandsporen abtö- tete.42 Im August 1884 berichtete der Chirurg Max Schede (1844–1902) in einem Vortrag über Die antiseptische Wundbehandlung mit Sublimat und sei- ne in der klinischen Erprobung über- wiegend positiven Erfahrungen mit Sublimat-getränkter Watte, Gaze oder Torfmoos.43 Im Laufe der 1880er-Jahre entwickelte sich die Wundbehandlung mit antisep- tischen Verbandstoffpräparaten zu einer Standardbehandlungsmethode. An der Friedrich-Wilhelms-Universität Abb. 9: Xeroform Verband-Gaze

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mit denen Verband- leichternd“ beim mühsamen Quellen- stoffe getränkt wer- studium verwies. Ferner bedankte den“. Ferner führten sich Koller im Vorwort insbesondere sie gebräuchliches für das Wohlwollen von Eugen Diete- „Unterbindungsmateri- rich, der ihm gestattet hatte, einzelne al“, „Nähmaterial“, Vorschriften für sein Buch zu benut- „Drainagematerial zen: „Ist Hr. Eugen Dieterich ja doch (Drains)“ und „Ver- der ‚Vater‘ der heutigen Verbandstoff- bandstoffe“ auf. Im technik und war er der Erste, welcher dritten Teil der Publi- sich zum allgemeinen Wohle der Mühe kation befassten sich unterzog, die vordem ungenauen und Lübbert und Schneider unrichtigen Anweisungen zur Herstel- ausführlich mit der lung von Verbandstoffen durch einge- „Prüfung der Verband- hende praktische Versuche wirklich stoffe“, dem „Impräg- brauchbar zu machen“.50 Somit kann nieren der Verband- konstatiert werden, dass Eugen Diete- stoffe“ sowie mit der rich nicht nur als Pionier galenischer „Prüfung der impräg- Zubereitungen im Großen wirkte, son- nierten Verbandstof- dern als Herausgeber des Neuen Phar- fe“.49 Diese Publikatio- maceutischen Manuals sowie der Hel- nen boten Apothekern fenberger Annalen bedeutenden Ein- eine gute Übersicht fluss auf die industrielle Herstellung über die Herstellung von Verbandstoffpräparaten ausübte. und Prüfung von Ver- Abb. 10: Titelbild Theodor Koller: Die Technik der Verband- bandstoffpräparaten in Apotheker Paul Zelis – Prokurist stoff-Fabrikation, 1893. der Offizin. In wenigen einer Verbandstoff-Fabrik und Jahren war die Anzahl red Schneider (1856–1919), der 1890 an potentiellen antiseptischen Agenti- Fachbuchautor Mitarbeiter und später Nachfolger des en und Verbandstoffen für die Wund- Als weiteres Beispiel pharmazeutisch leitenden Redakteurs der Pharmaceuti- behandlung enorm angewachsen. fundierter Fachliteratur erschien vom schen Centralhalle Ewald Albert Geiss- Nicht nur Baumwolle, Flachs und Jute, Chemiker und Apotheker Hermann Ju- ler (1848–1898) wurde, hatte während sondern auch Hanf, Nesseln, Holzwoll- lius Paul Zelis (geb. 1854) im Jahr 1900 seiner Militärzeit als Korpsstabsapo- watte, Moos, Torfmoos, Torf, Wolle, Pa- Die Medicinischen Verbandmateriali- theker offensichtlich mit dem Stabs- pier und weitere saugfähige Materiali- en.51 Zelis bezeichnet sich auf dem Ti- arzt Anton Lübbert48 zusammengear- en zählten die Autoren auf, die bei Be- telblatt als „Apotheker und Verband- beitet, denn sie verfassten 1890 ge- darf mit Antiseptika getränkt werden stoff-Fabrikant“. Im Vorwort kritisiert meinsam die dreiteilige Publikation konnten. er die schlechte Qualität vieler Ver- Ueber Verbandmethoden und die dazu Im Jahr 1893 publizierte Theodor Kol- bandstoffe in der rasch wachsenden gebrauchten Hülfsmittel. Im ersten Teil ler, Chemiker und Lehrer an einer Ge- Verbandstoff-Industrie: „Dass es, wie wurde das Prinzip des Lister-Verfah- werbeschule, das Buch Die Technik der überall, auch in der Verbandstoff-In- rens und die Anwendung eines karbol- Verbandstoff-Fabrikation, in dem er dustrie gewissenlose Fabrikanten säurehaltigen, mehrschichtigen Dau- sich nicht nur mit den Herstellungs- giebt, die aus dem einen oder anderen erverbandes in der Wundversorgung verfahren imprägnierter Verbandstof- Grunde zu Unterdosierungen ihre Zu- erläutert. Da Lister-Gaze und zusätz- fe, sondern auch mit den als Antisepti- flucht nehmen, und, um diese dem Au- lich benötigte Materialien jedoch teuer ka eingesetzten Mitteln, deren Gewin- ge zu verbergen, zu Färbungen schrei- waren, stellten die Autoren auch preis- nung sowie der „Untersuchung und ten, machen die in letzter Zeit in den wertere Verbandstoffpräparate vor. Sie Werthbestimmung von Desinfections- Fachblättern wiederholt veröffentlich- wiesen darauf hin, dass in fortge- und Verbandstoffen“ befasste. Koller ten Untersuchungsresultate fast zur schrittenen Fällen von Wundinfektion wandte sich an Techniker, Industrielle Gewissheit.“ Er wendet sich im letzten eine „permanente antiseptische Irriga- und Fabrikanten. Dass der Autor das Abschnitt des Vorworts an Apotheker, tion“ versucht werden könnte. In der nötige Fachwissen teilweise aus Bei- Drogisten und Ärzte und betont, das Fortsetzung beschrieben Lübbert und trägen der Pharmaceutischen Central- Buch solle „ein zuverlässiger Rathge- Schneider dann in alphabetischer Rei- halle schöpfte, zeigt sich in zahlrei- ber sein beim Einkaufe und der Beurt- henfolge „für die Wundbehandlung chen Fußnoten und im Vorwort, in heilung der gesammten Verbandstoff- empfohlene chemische Körper, welche dem er auf die Verwendung dieser Materialien“. Weiterhin formuliert er zum Theil für sich angewendet, oder Zeitschrift als „ganz besonders er- als Ziel des Buches: „Es soll den Fach-

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mann in Stand setzen zur Herstellung 1900 meldete er sich und seine Familie ben oder haben sollten, doch neben- derselben im Grossen wie im Kleinen, in Chemnitz wieder ab.54 Nachdem her, unter Vermeidung der Apotheker besonders dem fernabwohnenden Apo- 1888 die Chemiker-Zeitung über die als Zwischenhändler, direkten Ver- theker und Drogisten ermöglichen, sel- „Concurseröffnung Paul Zelis, Drogen- kehr mit Krankenhäusern usw. su- tener vorkommende oder dem leichten händler, Hüsten bei Neheim“ infor- chen und unterhalten, und es fallen in Verderben ausgesetzte Imprägnirun- mierte,55 kann angenommen werden, dieser Fehde seitens der Angreifer gen schnell und sicher auszuführen.“ dass er als mehrfacher Familienvater schwerwiegende Vorwürfe gegen die Ganz offensichtlich war es Paul Zelis unter finanziellem Druck stand und angegriffenen Firmen und besonders als Apotheker ein Anliegen, eine wis- vermutlich bereits 1889 seine Tätigkeit hartnäckig gegen eine bis dahin als senschaftlich fundierte Standardisie- bei Severin Immenkamp aufnahm. hochachtbar bekannte, nun als das rung und technische Normierung der 1901 wurde die seit den 1870er-Jahren schwärzeste ‚Karnickel‘ hingestellte imprägnierten Verbandstoffe durchzu- übliche und behördlich geduldete Pra- Verbandstofffabrik […], nämlich die setzen, denn er beschrieb nicht nur xis des Vertriebs von Verbandstoffprä- Firma Max Kahnemann-Berlin […]. Ich verwendbare Verbandstoffe und Che- paraten über Großhandlungen, Ver- stehe zu keiner der in Betracht kom- mikalien, sondern auch die Abfolge der kaufsdepots, Drogerien und Verband- menden Firmen mehr in Beziehung, Herstellungsschritte, erforderliche Ap- stoff-Unternehmen per Kaiserlicher bin aber durch 15 Jahre als Chemiker, paraturen und voneinander getrennte Verordnung kodifiziert. Verbandstoffe Prokurist und technischer Leiter im Räumlichkeiten im Detail und widme- aller Art einschließlich imprägnierter inneren und äußeren Dienst einiger te sich im Kapitel Die Procentuierung der angesehensten Fabriken tätig ge- ausführlich der Problematik der kor- wesen und habe dabei sattsam die Ge- rekten Gehaltsangabe eines Wirkstof- schäftsgepflogenheiten auch der ande- fes, die durch die Flüchtigkeit eines ren Fabrikanten kennengelernt, so Antiseptikums, nicht berücksichtigte daß ich frank und frei behaupten darf: Mengen an Hilfsstoffen wie Glycerin Es gibt keine bedeutendere deutsche sowie durch schwankende Restfeuchte Verbandstofffabrik, die nicht gern ne- in den getrockneten Verbandstoffprä- ben der Apothekerkundschaft […] paraten nicht immer exakt angegeben Krankenhäuser, chirurgische und sei. Ebenfalls müsse die Breite eines Polikliniken zu ihrer Klientel gerech- Stoffes sowie die Fadendichte pro Qua- net hat, rechnet oder rechnen möchte! dratzentimeter berücksichtigt werden, Ja, ich behaupte, ohne diese Kund- da ein dichter gewebter Stoff eine grö- schaft, die in der Hauptsache z. Z. nur ßere Menge an Antiseptikum aufneh- reine Verband- oder Polsterwatte in men könne als ein lockeres Gewebe.52 Originalballen oder größeren Paketen, Dass Zelis in diesem Kapitel umfang- Mull, Gaze, Cambric usw. ebenfalls in reiche Beispiele für die korrekte Ge- Abb. 11: Jodoform-Gaze, HAGEDA A.G. ganzen Webstücken bezieht, Impräg- haltsangabe bei Jodoform-Gazen gab, Berlin nierungen meist selbst vornimmt […], ist wohl kein Zufall. Tobias Mahl be- wäre ein regelmäßiger, rationeller und richtete, dass die Qualität von Jodo- wie Jodoform- oder Sublimatgaze wur- bei den heutigen Marktverhältnissen form-Gaze, die in der Fabrik medicini- den für den Verkehr außerhalb der nur etwas lukrativer Betrieb in den scher Verbandstoffe von Severin Im- Apotheken freigegeben. Verbandstoffe meisten Fabriken undenkbar.“ Zelis menkamp hergestellt wurden, nicht galten nicht als Heilmittel, sondern als erwähnte Max Arnold, Paul Hart- den Ansprüchen von Paul Hartmann „chirurgische Hülfsmittel“.56 1902 ver- mann, Severin Immenkamp, Lüscher genügten, da sie bei einer Nachprü- fasste Paul Zelis einen Leserbrief in & Bömper, Degen & Kuhn und weitere fung im Jahr 1890 weniger Jodoform der Pharmaceutischen Zeitung, aus Akteure der jungen Verbandstoffbran- enthielten als angegeben.53 1885 hatte dem hervorgeht, dass Apotheker be- che und verteidigte deren Direktver- der Kaufmann Severin Immenkamp klagten, zunehmend aus der Ver- trieb als unausweichlich.57 eine Verbandstoff-Fabrik in Chemnitz triebskette zwischen Verbandstoff-Fa- Durch die Bildung von Einkaufsverei- gegründet, sich auf Export und Militär- briken und Anwendern verdrängt zu nigungen und insbesondere mit der lieferungen spezialisiert und in vielen werden. Offenbar war ihnen ihr Kol- Gründung der „Handelsgesellschaft Städten des Auslands Generaldepots lege, Apotheker Max Kahnemann ein Deutscher Apotheker“ (HAGEDA), de- eröffnet. Paul Zelis war am 06. März besonderes Ärgernis, denn Zelis be- ren Geschäfte von Heinrich Salzmann 1889 von Neheim in Westfalen nach merkte: „Eine Anzahl Apotheker hat geführt wurden, wehrte sich die Apo- Altchemnitz gezogen und übte zwi- seit einiger Zeit […] einen Feldzug ge- thekerschaft allerdings energisch ge- schen Mai 1896 und März 1897 die Tä- gen solche Fabriken resp. Engroshäu- gen diese Entwicklung und begann tigkeit eines Prokuristen bei der Fa. ser eröffnet, die trotzdem sie ihren 1908 sogar selbst Verbandstoffe herzu- Severin Immenkamp aus. Am 03. April Hauptabsatz in Apothekerkreisen ha- stellen.58

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Dass Paul Zelis sich weiterhin intensiv erläuterte, bereits auf fruchtbaren Bo- ken vermutlich kaum noch rentabel mit seinem Fachgebiet auseinander- den gefallen war und in Krankenhäu- war.67 setzte, zeigt ein zweiteiliger, 1904 in sern, die über Sterilisationsapparatu- der Pharmaceutischen Zeitung gedruck- ren verfügten, offensichtlich bereits Resümee ter Beitrag über Neuere Verbandmittel. bevorzugt angewendet wurde.63 Zelis befasste sich nun mit der Herstel- In Hagers Handbuch der Pharmaceuti- Verbandstoff-Fabriken wurden ab lung blutstillender Verbandstoffe, die schen Praxis aus dem Jahr 1900 findet 1871 in Deutschland etabliert, als In- mit Stypticin oder Styptol imprägniert sich ein knapper Abschnitt über „Ge- haber von Textilbetrieben sowie auch wurden. Weiterhin beschrieb er Anti- tränkte (imprägnirte oder präparirte) vereinzelt Apotheker die großen septika, die Sublimat und Jodoform Verbandstoffe – Xyla et Lineamenta Marktchancen vorhersahen, die ihnen substituieren sollten.59 Paul Zelis war medicamentosa“ im Kapitel „Verband- die Einführung entfetteter Baumwolle in Fachkreisen anerkannt, wenn es um stoffe und Baumwolle“, in dem auf die und die Etablierung des antisepti- Fragen imprägnierter Verbandstoffe schwindende Bedeutung der Präparie- schen Lister-Verfahrens boten. Offizin-, ging, denn er wurde in der Pharma- rung von Watten und Geweben im Apo- Militär- und Krankenhausapotheker zeutischen Presse immer wieder refe- thekenlabor hingewiesen wird: „Die stellten auf ärztliche Anforderung riert, beispielsweise 1908 durch den Darstellung von Verbandstoffen ist nur eine Vielzahl antiseptischer Verband- Corps-Stabsapotheker Utz.60 Noch 1929 bei fabrikmäßigem Betrieb lohnend; sie stoffpräparate her, wobei ihre umfas- erwähnte der Apotheker und Hoch- wird im Laboratorium der Apotheke sende Ausbildung sie befähigte, che- schullehrer Hermann Thoms (1859– schon aus dem Grund seltener vorge- mische, technologische und analyti- 1931) Paul Zelis bei der Abhandlung nommen, weil die hier vorhandenen sche Probleme zu lösen. Sie prüften der Verbandstoffe im Handbuch der Geräthe und Einrichtungen für Arbei- Wirkstoffe und Verbandmaterialien, praktischen und wissenschaftlichen ten im größeren Maasstabe nicht genü- wählten geeignete Hilfsstoffe aus, be- Pharmazie.61 gen“. Trotzdem werden neben den ste- werkstelligten die gewünschte Prozen- rilisierten auch noch imprägnierte Ver- tuierung der medizinischen Verband- Ablösung antiseptischer bandstoffe erwähnt. Die Ausführungen stoffe und entwickelten geeignete Hagers verdeutlichen jedoch die Pro- Analysenmethoden zur Gehaltsbe- Verbandstoffpräparate­ durch bleme der Sterilisationspraxis in einer stimmung. Gleichzeitig wuchsen die sterilisierte Verbandstoffe Zeit, als das Sterilisationsgut noch in Marktchancen der konkurrierenden In seinem Lehrbuch der Allgemeinen Fließpapier oder Pergamentschläuche Verbandstoff-Fabriken mit überregio- Chirurgie widmete sich Robert Her- eingehüllt oder in Blechpackungen ein- nalem Vertrieb, die ihre gebrauchsfer- mann Tillmanns (1844–1927) umfas- gelötet wurde. Imprägnierte Verband- tig verpackten Verbandstoffe nicht nur send den „antiseptischen resp. asepti- stoffe, die wegen der Flüchtigkeit des über Apotheken, sondern zunehmend schen Wund-Occlusivverbänden“ so- Antiseptikums nicht sterilisiert wer- auch direkt an Endverbraucher abga- wie den „sonstigen Wundverbänden den konnten, sollten mit kochend hei- ben. Zur Herstellung größerer Mengen resp. Wundbehandlungsmethoden“. ßen, alkoholischen Imprägnierlösun- verschiedener Verbandstoffpräparate Einleitend wies er auf Unterschiede gen präpariert werden.64 Auch Paul Ze- gründeten einige Apotheker neben der Wundbehandlung in Krankenhäu- lis fügte seinem Fachbuch ein Kapitel ihrer Apotheke spezialisierte Fabrika- sern und Privatpraxen hin: „Am si- über Die aseptischen oder sterilisirten tionsstätten. Eugen Dieterich widmete chersten und einfachsten wird eine Verbandmaterialien ein.65 Es war für sich den präparierten Verbandstoffen nachträgliche Infektion einer asepti- Apotheker sicherlich zunehmend als einer Sonderform von galenischen schen, nicht inficirten Wunde, also schwieriger, sich mit der Herstellung Präparationen und trug maßgeblich einer aseptischen Operationswunde dieser immer umfassender werdenden zur Qualitätssicherung von Verband- vermieden, wenn wir dieselbe mit Präparategruppe auseinanderzusetzen. stoffpräparaten bei. Seine Schriften keimfreiem, z. B. durch heissen Was- Hinzu kam, dass Apotheken mit den waren jedoch nicht nur für Apotheker serdampf sterilisirten Verbandstoff be- technologischen Fortschritten industri- oder Drogisten von Interesse, sondern decken. In der Privatpraxis werden eller Fertigung nicht Schritt halten auch für fachfremde Berufsgruppen noch vielfach die mit antiseptischen konnten. In der zehnten Auflage des wie den Chemiker, Lehrer und Autor Mitteln imprägnirten Verbandstoffe, Neuen Pharmazeutischen Manuals aus Theodor Koller und dienten als Nach- wie Sublimatmull, Carbolmull u.s.w. dem Jahr 1910 wird beispielsweise die schlagewerk für gewerbliche Verband- benutzt“.62 Die Erwähnung sterilisier- „Kleine Verbandstoffpresse von Kilian“ stoffhersteller. Paul Zelis, technischer ter Verbandstoffe zeigt, dass die 1892 abgebildet.66 Die 11. Auflage des Neuen Leiter und Prokurist des Chemnitzer von Curt Schimmelbusch (1860–1895) Pharmazeutischen Manuals 1913 zeigt Verbandstoff-Fabrikanten Severin Im- verfasste Anleitung zur aseptischen zusätzlich eine „Verbandstoffpresse für menkamp, kann als früher Vertreter Wundbehandlung, in der dieser aus- Großbetrieb“, woraus ersichtlich wird, eines angestellten Industrieapothe- führlich auch technische Details der dass zu diesem Zeitpunkt die Präparie- kers gelten, der Herstellungsprozesse, Hitzesterilisation von Verbandstoffen rung von Verbandstoffen für Apothe- Apparaturen und Räumlichkeiten be-

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schrieb, Prüfvorschriften erarbeitete Lister: On the antiseptic principle in the Chirurgie Nr. 1–28. Bd. 1. Leipzig [o. J.], Nr. und dem nicht allein Umsatz und ge- practice of surgery. In: British Medical Jour- 28, S. 637–730. nal, 2 (351) 1867, S. 246–248. Später wurde 14 Richard von Volkmann (1830–1889) war schäftlicher Erfolg, sondern auch die der Karbolsäureverband mit einem feuch- seit 1867 Lehrstuhlinhaber und Direktor Einhaltung von Qualitätsstandards am tigkeitsundurchlässigen, vulkanisierten der Chirurgischen Klinik in Halle und führ- Herzen lagen. Seine fachlichen Aus- Mackintosh-Tuch abgedeckt. te als einer der ersten deutschen Chirurgen 4 Hans Schadewald: Zur Geschichte des die antiseptische Wundbehandlung ein. Sie- führungen über medizinische Ver- Wundverbandes. In: Langenbecks Archiv he hierzu Richard Volkmann: Ueber den an- bandstoffe waren lange Jahre rich- für Chirurgie, 339 (1975), S. 573–585. tiseptischen Occlusivverband und seinen tungweisend. Industriell gefertigte 5 Eberhard Stübler: Bruns, Viktor von. In: Einfluss auf den Heilungsprocess der Wun- aseptische, in der Verpackung sterili- NDB. Bd. 2. Berlin 1955, S. 687. den. In: Sammlung klinischer Vorträge. 6 Für Charpie gab es viele weitere Bezeich- Chirurgie Nr. 29–53. Bd. 2. Leipzig [o. J.], sierte Verbandstoffe führten schließ- nungen, beispielsweise Karpey, Zupfsel, Nr. 30, S. 759–812. lich zur Verdrängung der qualitativ Pflücksel, Carbasa, Linteum carptum. Die 15 Paul von Bruns (1846–1916) war als Sohn problematischen, antiseptisch impräg- ausgezupften Leinenfäden wurden zu be- Victor von Bruns in die väterlichen Fuß- stimmten Formen wie Bäuschchen, Kugeln, stapfen getreten und hatte im Jahr 1881 den nierten Verbandstoffpräparate. Meisseln, Schnüren und Pinseln zusam- Lehrstuhl für Chirurgie in Tübingen über- mengebunden. Siehe hierzu Victor von nommen. Summary: Bruns: Handbuch der Chirurgischen Praxis. 16 Hans Ranke / Richard Volkmann (Hrsg.): Bd. 1. Tübingen 1873, S. 138–147. Ueber das Thymol und seine Benutzung bei Plants for the Companies of wound-dressing 7 Armin Wankmüller: Zur Geschichte der der antiseptischen Behandlung der Wun- materials started their business in the early Brunschen Verbandwatte. In: Medizinische den. In: Sammlung klinischer Vorträge in 1870s as soon as textile manufactures and Monatsschrift. Zeitschrift für allgemeine Verbindung mit deutschen Kliniken. Nr. pharmacists realised that degreased cotton Medizin und Therapie, 3 (1949), S. 459-461. 128. Leipzig 1878. Der Chirurg Hans Ranke could be used as a substitute for “charpie” by (1849–1887) studierte Medizin in Halle und unraveling old linen cloth. Surgeons estab- 8 Sigismund Friedrich Hermbstaedt: war Assistent bei Richard von Volkmann. lished Lister´s technique of antiseptic surgery Grundriß der theoretischen und experimen- 17 Tobias Mahl: Entstehung und Entwicklung that consisted of dipping lint in carbolic acid or tellen Pharmacie zum Gebrauch bey Vorle- der Verbandstoffbranche in Deutschland other antiseptic agents to prevent infection of sungen und zur Selbstbelehrung beym zwischen 1870 und 1918. (Stuttgarter histo- wounds. Pharmacists in dispensaries, hospi- Mangel des mündlichen Unterrichts, für an- rische Studien zur Landes- und Wirt- tals and military service came up with diffe- gehende Ärzte, Wundärzte und Apotheker. schaftsgeschichte, 25). Ostfildern 2015, S. rent types of impregnated dressings for surge- 2. Aufl. Tl. 1. Leipzig 1806, S. 317–385. Auf 43f. ons and thus solved chemical, technical, ana- Seite 340–343 berichtet Hermbstaedt über lytical and stability problems. Specialized sites die Gewinnung von Nesselgarn und erklärt, 18 Eine Rechnung von R. H. Paulcke weist auf for manufacturing and packaging of multitudi- dass „Nesseltuch“ ursprünglich zwar aus seine vielen geschäftlichen Aktivitäten hin. nous wound-dressing preparations arose vigo- Nesselgarn gewebt wurde, später jedoch Paulcke stellte Arzneispezialitäten wie Sali- rously assisted by pharmacists like Eugen Die- unter dem Begriff Mousselin aus feinem cylsäure-Präparate, künstliche Mineralwäs- terich or Paul Zelis, who published instructive Baumwollgarn produziert wurde. Brenn- ser und Pflaster her, importierte und expor- articles for journals and books. The involve- nesseln wurden gegen Ende des ersten tierte Medikamente und fungierte nicht nur ment of pharmacists inserted quality assu- Weltkrieges wieder gesammelt, um fehlen- für die IVF als Generalvertreter, sondern rance issues in a time when dressing materials den Baumwollnachschub zu substituieren. auch für weitere Unternehmen, beispiels- were not subject to pharmaceutical regulati- Die „Bayerische Nesselstelle“ in München, weise für Henry Nestlé (1840–1890), der ons. Finally aseptic procedures replaced Fürstenstraße veröffentlichte Aufrufe zur künstliche Säuglingsnahrung produzierte. Lister´s technique and steam-pressure steri- Abgabe getrockneter Brennnessel-Stängel Siehe hierzu Rechnung R. H. Paulcke, lized materials superseded antiseptic wound- und -Blätter. Im online-Katalog der „Library Engel ­apotheke Leipzig, 18. März 1879 (Pri- dressing preparations. of Congress“ in Washington kann man bei- vatbesitz Dr. Ursula Lang). spielhaft Bilder einsehen. Der Künstler 19 Mahl [wie Anm. 17], S. 93f. Fritz Wolffhügel gestaltete das Plakat „Sam- 20 Marcus Plehn: Verbandstoffgeschichte. Die Keywords: melt Brennessel, die deutsche Baumwolle!“. Anfänge eines neuen Industriezweiges. wound-dressing materials, wound-dressing Siehe hierzu https://www.loc.gov/item/ Stuttgart 1990 (Heidelberger Schriften zur preparations, impregnated dressing, cotton 2004666104/; der Künstler Josef Geis ent- Pharmazie- und Naturwissenschaftsge- wool, mull, Lister’s technique, pharmaceutical warf das Plakat „Sammelt Brennessel! schichte, 1), S. 43–52. technology. Wenn Ihr Kleidung und Faden wollt!“, siehe 21 Ursula Lang: Salicylsäure und ihr Debüt als hierzu https://www.loc.gov/item/ Antiseptikum und Konservierungsmittel. 2004665876/ (Letzter Zugriff: 9.9.2017). In: Geschichte der Pharmazie 68 (2016), S. Anmerkungen 9 Victor von Bruns: Handbuch der Chirurgi- 25–36. Der Leipziger Krankenhausapothe- 1 Willi Peyer (Hrsg.): Hagers Pharmazeu- schen Praxis. Bd. 2. Tübingen 1873, S. 977. ker Hermann Blaser (1849–1902) entwickel- tisch-technisches Manuale. Encyklopädi- 10 Hans-Rudolf Schmid/Verein für wirt- te ein Verfahren zur Herstellung von Sali- sche Vorschriftensammlung für Apotheker, schaftshistorische Studien (Hrsg.): Heinrich cylsäurewatte, die der Chirurg Carl Chemiker, Drogisten und die chemisch- Theophil Baeschlin (1845–1887). In: Thiersch (1822–1895) ab April 1874 in Leip- technische Klein-Industrie. 9. Aufl. Leipzig Schweizer Pioniere der Wirtschaft und zig versuchsweise als Ersatz für Karbolsäu- 1931, S. 1185–1196. Technik. Bd. 27. Zürich 1973, S. 65–90. reverbände einsetzte. Die Verbandstoff-Fab- 2 Beispielsweise bietet die Fa. Lohmann & 11 Georg Fischer (Hrsg.): Briefe von Theodor rik Paul Hartmann hatte im Jahr 1873 400 Rauscher Opraclean einen Verbandstoff mit Billroth. 9. Aufl. Hannover 1922, S. 178–180. Pfund Verbandwatte an das Jakobshospital Jodoform oder die Fa. B. Braun Braunovidon- 12 Museum der IVF Hartmann AG, Victor-von- in Leipzig geliefert. Siehe hierzu Plehn [wie Salbengaze mit Povidon-Jod an. Bruns-Straße 28, 8212 Neuhausen am Anm. 20], S. 119 und S. 126. 3 Lister bezeichnete den von ihm verwende- Rheinfall. Preisliste der Internationalen 22 Plehn [wie Anm. 20], S. 122f. ten Verbandstoff als „Lint“, der nach Trän- Verbandstoff-Fabrik in Schaffhausen 1885, 23 Herbert Müller-Hester: Deutsche Apotheker kung mit Karbolsäure oder Bestreichen mit Archiv-Nr. 8-0012. als Pioniere der Verbandstoffherstellung. einer Karbolsäurepaste mit einem „tin cap“, 13 C[arl] Thiersch: Klinische Ergebnisse der In: Deutsche Apotheker-Zeitung / Süddeut- einem Metalldeckel, abgedeckt werden Lister´schen Wundbehandlung und über sche Apotheker-Zeitung, 93 (1953), S. 20f. musste, um die Verdunstung des Antisepti- den Ersatz der Carbolsäure durch Salicyl- Richard von Volkmann gab an, im Jahr kums zu reduzieren. Siehe hierzu Joseph säure. In: Sammlung klinischer Vorträge. 1873 die beträchtliche Summe von 4000

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Thalern für Bruns´sche Wundwatte und Wattefabrik in der sächsischen Stadt Fran- Dieterich begründete 1886 auch die Zeit- weitere Verbandsutensilien ausgegeben zu kenberg als Zweigfabrik und stellte nun schrift Helfenberger Annalen, in der er über haben. Siehe hierzu: Volkmann [wie Anm. selbst Verbandwatte und Verbandstoffe her. seine wissenschaftlichen Studien und von 14] S. 796. Siehe hierzu Günter Sobotka / Landratsamt ihm erarbeitete Analysenmethoden berich- 24 Erich Neuß: Geschichte der Apotheke „Zum Mittelsachsen (Hrsg.): Handwerk und In- tete. Sein erklärtes Ziel war die Fabrikation blauen Hirsch“ in Halle a. d. Saale 1535– dustrie im sächsischen Frankenberg. In: auf wissenschaftlicher Grundlage und eine 1935. (Veröffentlichungen der Gesellschaft Denkmale im Landkreis Mittelsachsen. Äu- hoch entwickelte pharmazeutische Technik. für Geschichte der Pharmazie). Mittenwald ßere Frankenberger Neustadt (Lerchenstra- 37 Dieterich [wie Anm. 36], S. 317. Dieterich 1935, S. 31. ße / Hohe Straße). Frankenberg 2015, S. 7f. weist als Bezugsquelle für Torfmull auf die 25 Max Arnold Fabrik medizinischer Verband- Siehe auch Mahl [wie Anm. 17], S. 62–64. Apotheke des Gustav Adolf Neuber senior stoffe und Verbandwatten (Hrsg.): Fest- 29 A. Lehn: Die neuen Verbandstoffe. (Vortrag in Uetersen hin. Dessen Sohn, Gustaf Adolf schrift zum 50-jährigen Jubiläum. Chem- auf der combinirten Apotheker-Versamm- Neuber junior (1850–1932), wurde Chirurg nitz 1921. Arnold agierte offenbar so ge- lung zu Düsseldorf am 7. Mai). In: Archiv an der Universitätsklinik Kiel. Er gründete schickt und erfolgreich, dass er Ende der der Pharmacie 60 (1881), S. 23–30. 1884 eine Privatklinik in Kiel, erprobte an- 1870er-Jahre ein Grundstück in Chemnitz 30 N. N.: Ueber antiseptischen Verband. In: tiseptische Torfmull-Präparate und enga- erwerben und ein neues Fabrikgebäude er- Pharmaceutische Centralhalle, 22 (1881), S. gierte sich für die Anwendung aseptischer richten konnte, in dem er ab 1881 Verband- 209f. In einer Fußzeile erklärte sich die Re- Operationsverfahren. Siehe hierzu Julius watte und verschiedene Verbandstoffe her- daktion der Pharmaceutischen Centralhalle Pagel: Neuber, Gustav. In: Biographisches stellte. 1896 und 1901 erweiterte er die dazu bereit, in Originalpackungen zuge- Lexikon hervorragender Ärzte des 19. Jahr- Räumlichkeiten seiner Fabrik durch Anbau- hende Verbandstoffe auf den angegebenen hunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1200f. ten, um die benötigten Arbeitsflächen, La- Gehalt zu untersuchen. 38 Hermann Hager: Technik der Pharmaceuti- ger und Verwaltungsräume zu schaffen. 31 Tobias Mahl berichtete über Apotheker, die schen Rezeptur. 5. Aufl. Berlin 1890, S. Nach dem frühen Tod seines Sohnes ver- Verbandstofffabriken gründeten, beispiels- 317–320. kaufte Max Arnold 1903 die Verbandstoff- weise über Paul Roennefarth, den Besitzer 39 Dieterich [wie Anm. 36], S. 310. Fabrik an den Kaufmann Richard Theodor der Kronen-Apotheke in Dresden, oder Os- 40 N. N.: Die neue Ausgabe der Beilage 5 zur Koerner, der einer Chemnitzer Textilfabri- car Mielentz, den Besitzer der Adler-Apo- Kriegs-Sanitäts-Ordnung. In: Pharmaceuti- kanten-Familie entstammte, und der die theke in Lübeck. Siehe hierzu Mahl [wie sche Centralhalle 27 (1886), S. 352–355 und Verbandstoff-Fabrik unter dem Namen Max Anm. 17], S. 109–111. S. 362–364. Die Kriegs-Sanitäts-Ordnung Arnolds weiter betrieb. Max Arnold trat zu- 32 Gabriele Huhle-Kreutzer: Die Entwicklung war am 10. 01. 1878 verabschiedet worden. dem als engagierter Unternehmer dem „Ver- arzneilicher Produktionsstätten aus Apo- 41 Robert Koch: Untersuchungen ueber die Ae- ein Deutscher Verbandstoff-Fabrikanten“ thekenlaboratorien. Stuttgart 1989 (Quellen thiologie der Wundinfectionskrankheiten. bei und wirkte darüber hinaus an der Neu- und Studien zur Geschichte der Pharmazie, Leipzig 1878. bearbeitung von Hagers Handbuch der 51), S. 315f. Die „Fabrik medizinischer Ver- 42 Robert Koch / Heinrich Struck (Hrsg.): Ue- Pharmaceutischen Praxis mit, siehe hierzu bandstoffe und pharmazeutischer Präparate ber Desinfection. In: Mittheilungen aus B[ernhard] Fischer / C[arl] Hartwich Dr. Degen & Piro“ stellte beispielsweise Jo- dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. Bd. 1. (Hrsg.): Hagers Handbuch der Pharmaceuti- doformin-Gaze her. Jodoform entstand erst Berlin 1881, S. 234–282. Zur Wirksamkeit schen Praxis für Apotheker, Ärzte, Drogis- durch Kontakt mit dem Wundsekret. Siehe von Sublimatlösung siehe S. 275–282. Dass ten und Medicinalbeamte. Unter Mitwir- hierzu Georg Arends / Arnold Rathje: Neue Koch die wissenschaftlichen Arbeiten aus kung von Max Arnold-Chemnitz […]. Berlin, Arzneimittel und Spezialitäten einschließ- dem mikrobiologischen Labor des Dorpater Heidelberg 1900. lich der neuen Drogen […]. 4. Aufl. Berlin, Pharmazieprofessors Johann Georg Noël 26 Berliner Klinische Wochenschrift 11 (1874), Heidelberg 1913, S. 304. Später firmierte Dragendorff (1836–1898) offensichtlich S. 196, S. 292, S. 332 und S. 548. Dass Ar- die Verbandstoff-Fabrik unter „Watte- und kannte und berücksichtigte, zeigt, dass er nold im April 1874 über die Berliner Klini- Verbandstoff-Fabrik Dr. Degen & Kuth“. Die- auch „Fleischextract-lösung“ als Nährmedi- sche Wochenschrift gezielt das „geehrte se produzierte beispielsweise Dermagum- um testete und auf S. 245 auf die mikrobio- ärztliche Publikum, Hospitalverwaltungen mit, eine sterilisierte Kautschuklösung mit logischen Untersuchungen von Jalan de la etc.“ ansprach, war sicherlich eine wohl- 0,2% Jod zum Überziehen der Hände vor Croix hinwies. Nicolai Jalan de la Croix überlegte Strategie. In Berlin befand sich Operationen. Siehe hierzu Georg Arends / wurde 1880 in Dorpat mit einer mikrobiolo- das „Medicinisch-chirurgische Friedrich- Oskar Keller: Neue Arzneimittel und Spe- gischen Arbeit, die er im Institut von Dra- Wilhelms-Institut“, an dem Militärärzte zialitäten einschließlich der neuen Drogen gendorff angefertigt hatte, promoviert. Sie- ausgebildet wurden, sowie die Charité, an […]. 6. Aufl. Berlin / Heidelberg 1922, S. he hierzu Nicolai Jalan de la Croix: Das Ver- der Vorreiter der antiseptischen Wundbe- 123. halten der Bacterien des Fleischwassers ge- handlung wie Heinrich Adolf von Bardele- 33 Hermann Hager: Commentar zur Pharma- gen einige Antiseptica. Med. Diss. Dorpat ben (1819–1895) oder copoea Germanica. Bd. 2. Berlin 1884, S. 1880. Siehe hierzu auch Lang [wie Anm. (1836–1907) tätig waren. Es ist denkbar, 41–43. Hager führte als Synonyma bei- 21]. dass Arnold mit dem Leipziger Kranken- spielsweise „Charpie-Baumwolle“, „Lana 43 Max Schede: Die antiseptische Wundbe- hausapotheker Hermann Blaser in Kontakt gossypina“ oder „Wundbaumwolle“ auf. handlung mit Sublimat. In: Sammlung kli- stand und von diesem über die Herstellung 34 Georg Edmund Dann: Eugen und Karl Diete- nischer Vorträge. Chirurgie Nr. 54–84, Bd. der salicylsauren Verbandstoffe informiert rich. Begründer der wissenschaftlichen und 3, Leipzig [o. J.], Nr. 78, S. 2115–2152. worden war. Siehe hierzu Lang [wie Anm. industriellen Galenik. 1869–1969. Karlsru- 44 Julius Pagel: Schlange, Friedrich Ernst 21]. he 1969, S. 21–33. Hans. In: Biographisches Lexikon hervorra- 27 Berliner Klinische Wochenschrift 12 (1875), 35 Eugen Dieterich berichtete beispielsweise gender Ärzte des 19. Jahrhunderts. Berlin, S. 216. über Vergleichsuntersuchungen, bei denen Wien 1901, Sp. 1502. 28 Vermutlich waren die Umsätze der neu ge- erhebliche Unterschiede an Senfölgehalten 45 Karl Hoffmeyer: Ueber Verbandstoffe und gründeten Fabrik nicht von Beginn an ge- in fabrikmäßig hergestellten Senfmehl-Fab- ihre Verwendbarkeit zu Dauerverbänden. winnbringend, denn Max Kahnemann rikaten festgestellt wurden. Er erarbeitete Med. Diss. Berlin 1889, S. 14–26. Karl Hoff- übernahm zwischen 1885 und 1888 die Grenzwerte für seine Präparate, die ihm als meyer gehörte ab 1885 der Kaiser Wil- Apotheke zum König Salomon in Berlin in Qualitätskriterium dienten. Siehe hierzu helms-Akademie an. Tragischerweise ver- der Charlottenstraße 54. Siehe hierzu auch Eugen Dieterich: Charta sinapisata. In: Ers- letzte sich Karl Hoffmeyer während eines Friedhelm Reinhard: Apotheken in Berlin. tes Dezennium der Helfenberger Annalen bakteriologischen Kurses und starb wenige Von den Anfängen bis zur Niederlassungs- 1886 bis 1895. Berlin 1897, S. 241–245. Wochen nach seiner Promotion an einer freiheit 1957. Eschborn 1998, S. 66f. und 36 Eugen Dieterich: Neues Pharmaceutisches Sepsis. Siehe hierzu Paul Wätzold: Stamm- S. 82. 1916 erwarb Max Kahnemann eine Manual. Berlin 1887, S. 306–320. Eugen liste der Kaiser Wilhelms-Akademie für das

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militärärztliche Bildungswesen. Berlin stabe / 60b), Handelsregister, Registerblatt beschäftige. Dies zeigt, dass Max Kahne- 1910, S. 318. 2794. mann nicht nur Fabrikant und Lieferant 46 Karin Grebe: Heinrich Salzmann (1859– 55 Ankündigung der Concurseröffnung Paul war, sondern auch Mitentwickler asepti- 1945). Leben und Leistung eines pharma- Zelis, Drogenhändler, Hüsten bei Neheim. scher Verbandstoffe. zeutischen Standespolitikers. Frankfurt In: Chemiker-Zeitung 12 (1888), S. 1465. Es 64 B. Fischer / C.Hartwich (Hrsg.): Hagers 2016, S. 26–32. Siehe auch Lühe: H. Salz- ist denkbar, dass Paul Zelis in seiner Droge- Handbuch der Pharmaceutischen Praxis für mann und E. Wernicke. Die Sublimatver- riehandlung mit Verbandstoffen handelte Apotheker, Ärzte, Drogisten und Medicinal- bandstoffe. (Deutsche militärärztliche Zeit- und dass er auch Verbandstoffpräparate beamte. Berlin/Heidelberg 1900, 1. Bd., S. schrift 1889. No. 11. p. 497.) In: Centralblatt hergestellt hatte. 1239–1241. Unter anderen wirkten auch für Chirurgie, 17 (1890), S. 527f. 56 Hermann Böttger: Die reichsgesetzlichen Max Arnold und Karl Dieterich bei der Be- 47 Medizinal-Abteilung des Königlich-Preußi- Bestimmungen über den Verkehr mit Arz- arbeitung der Ausgabe mit. schen Kriegsministeriums (Hrsg.): Veröf- neimitteln außerhalb der Apotheken. Kai- 65 Zelis [wie Anm. 51], S. 168–200. fentlichungen aus dem Gebiete des Militär- serliche Verordnung vom 22.10.1901 unter 66 Eugen Dieterich / Karl Dieterich (Hrsg.): Sanitätswesens. Heft 54: Sublimat und sein Benutzung der Entscheidungen der deut- Neues Pharmazeutisches Manual.10. Auf- Ersatz bei der Durchtränkung der Verband- schen Gerichtsthöfe erläutert. 4. Aufl. Ber- lage. Berlin 1909, S. 682. Seit der siebten stoffe. Heidelberg 1913. Zur Geschichte der lin 1902, S. 38f. Ausgenommen war Cocain- Auflage im Jahr 1897 wurde aus dem Phar- essigsauren Tonerde als Antiseptikum sie- watte, da diese nicht als Verbandmittel, maceutischen Manual das Pharmazeutische he Ursula Lang / Sabine Anagnostou: Essig- sondern als schmerzstillendes Mittel ver- Manual. saure Tonerde. Obsoletes Hausmittel oder wendet wurde. 67 Eugen Dieterich / Karl Dieterich (Hrsg.): zeitgemäße Arznei. In: Geschichte der Phar- 57 Paul Zelis: Moderne Konkurrenz. In: Phar- Neues Pharmazeutisches Manual. 11. Aufl. mazie 65 (2013), S. 59–68. maceutische Zeitung 48 (1903), S. 993f. Berlin 1913, S. 662f. 48 Anton Lübbert beschäftigte sich mit mikro- 58 Susanne Wüllrich: Geschichte der HAGEDA biologischen Fragestellungen und benutzte als standeseigener Großhandel der Apothe- „5%ige Fleischdecoct-Pepton-Gelatine“ für ker. Stuttgart 1987 (Quellen und Studien Abbildungsverzeichnis eine Untersuchung der Wirksamkeit ver- zur Geschichte der Pharmazie, 45), S. 167f. Abb. 1. Lister introduces Antisepsis, from “The schiedener Antiseptika, vgl. dazu: Anton Siehe auch Mahl [wie Anm. 17], S. 188–195. History of Medicine”. (Artist: Robert Thom, Lübbert: Biologische Spaltpilzuntersu- 59 Paul Zelis: Neuere Verbandmittel. In: Phar- ca. 1952. Collection of the University of Mi- chung. Der Staphylococcus Pyogenes Aure- mazeutische Zeitung 49 (1904), S. 998–1000 chigan Health System, Gift of Pfizer Inc., us und der Osteomyelitiscoccus. Würzburg und S. 1010f. Zu Stypticin und Styptol ge- UMHS. 33) 1886. Lübbert, der seine Untersuchungen gen Nasenbluten siehe Alexander Skutetzky Abb. 2. Werbeplakat „Sammelt Brennesseln, die teilweise an der Universität Würzburg / Emil Starkenstein: Die neueren Arznei- deutsche Baumwolle!“ (Künstler Fritz durchführte, hatte persönliche Beziehun- mittel und die pharmakologischen Grundla- Wolffhügel, Dr. C. Wolf u. Sohn, München gen zum Chirurgen Hermann Maas (1842– gen ihrer Anwendung in der ärztlichen Pra- 1918; Library of Congress, Control Nr. 1886), der ein Anhänger der antiseptischen xis. 2. Aufl. Berlin 1914, S. 57–59. 2004666104, Anmerkung 8) Wundbehandlung war und ab 1883 an der 60 F. Utz: Die Prüfung unserer wichtigsten Universität Würzburg als Professor wirkte. Abb. 3. Dr. von Bruns Charpiebaumwolle (Mu- Verbandmaterialien. In: Pharmazeutische seum der IVF Hartmann AG, Victor-von- Lübbert widmete sein Buch dem Andenken Zentralhalle 49 (1908), S. 383–389. des „hochverehrten Lehrers und Schwagers Bruns-Strasse 28, 8812 Neuhausen, 61 Hermann Thoms (Hrsg.): Handbuch der Schweiz) Hofrath Prof. Dr. Hermann Maas“. Im Jahr praktischen und wissenschaftlichen Phar- Abb. 4. Professor Listers Carbol-Gaze (Museum 1895 habilitierte sich Anton Lübbert im mazie. Bd. 6. Berlin, Wien 1929, S. 2297– der IVF Hartmann AG, Victor-von-Bruns- Fach Hygiene an der Universität Breslau. 2340. Die Kapitel wurden in folgende Ab- Strasse 28, 8812 Neuhausen, Schweiz) 49 Anton Lübbert / Alfred Schneider: Ueber schnitte unterteilt: „Grundstoffe“, „Antisep- Abb. 5. Anzeige in der Berliner Klinischen Wo- Verbandmethoden und die dazu gebrauch- tische, imprägnierte Verbandstoffe“, „Asep- chenschrift, Nr. 16, 20. April 1874, S. 196, ten Hülfsmittel. In: Pharmaceutische Zent- tische oder sterilisierte Verbandmittel“, Anmerkung 26) ralhalle, 31 (1890), S. 433–437, S. 456–461 „Imprägnierte, nicht antiseptische Verband- und S. 463–469. materialien“, „Konfektionierte Verbandmit- Abb. 6. Anzeige in der Berliner Klinischen Wo- 50 Theodor Koller: Die Technik der Verband- tel“, „Die Verpackung der Verbandstoffe“ so- chenschrift, Nr. 16, 19. April 1875, S. 216, stoff-Fabrikation. Ein Handbuch der Her- wie „Werthbestimmungsmethoden der Ver- Anmerkung 27) stellung und Fabrikation der Verbandstoffe bandstoffe“. Auf den Seiten 2315–2317 wer- Abb. 7. Ausschnitt aus Register „Neues Phar- sowie der Antiseptica und Desinfections- den Vorschriften zur Herstellung von maceutisches Manual“ 1887, S. 343, An- mittel auf neuester wissenschaftlicher „Jodoform-Gaze nach Zelis“ erwähnt. merkung 36) Grundlage für Techniker, Industrielle und 62 Hermann Tillmann: Lehrbuch der Allgemei- Abb. 8. Rechnung der „Fabrik medicinischer Fabrikanten. Wien, Pest, Leipzig 1893. nen Chirurgie. Allgemeine Operations- und Verbandstoffe, Max Kahnemann“, 1918, 51 Paul Zelis: Die Medicinischen Verbandma- Verband-Technik. Allgemeine Pathologie Anmerkung 28) terialien mit besonderer Berücksichtigung und Therapie. 4. Aufl. Leipzig 1895, S. 131– Abb. 9. Xeroform Verband-Gaze (Museum der ihrer Gewinnung, Fabrikation, Unter- 160. IVF Hartmann AG, Victor-von-Bruns-Stras- suchung und Werthbestimmung sowie 63 Curt Schimmelbusch: Anleitung zur asepti- se 28, 8812 Neuhausen, Schweiz) ihrer Verpackung. Berlin 1900. schen Wundbehandlung. Berlin 1892, S. Abb. 10. Titelbild Theodor Koller: Die Technik 52 Zelis [wie Anm. 51], S. 82–85. Im April 1908 73–97. Schimmelbusch war ab 1889 Mit- der Verbandstoff-Fabrikation, 1893, Anmer- hielt Carl Mannich (1877–1947) auf einer arbeiter Ernst von Bergmanns (1836–1907) kung 50) Sitzung der Deutschen Pharmazeutischen an der Charité und entwickelte die „Schim- Abb. 11. Jodoform-Gaze, HAGEDA A.G. Berlin Gesellschaft einen Vortrag „zur Werthbe- melbusch-Trommel“, deren Einsatzkörbe es (Photo Manfred Magnor, Osnabrück) stimmung der Verbandgazen“, in dem er die erlaubten, das Sterilgut bis zum Einsatz bei bereits von Paul Zelis vorgeschlagene Stan- Operationen keimfrei zu lagern. Die Fa. dardisierung zur Gehaltsangabe impräg- Lautenschläger in Berlin baute den ersten Anschrift des Verfassers : nierter Verbandstoffe aufgriff. Siehe hierzu in der Berliner Klinik verwendeten Dampf­ Dr. Ursula Lang, Pharmazeutische Zeitung 53 (1908), S. 292f. sterilisator. Curt Schimmelbusch wies in Institut für Geschichte der Pharmazie 53 Mahl [wie Anm. 17], S. 125. einer Fußnote auf S. 97 darauf hin, dass Philipps-Universität Marburg 54 Auskunft Stadtarchiv Chemnitz vom Max Kahnemann sich auf Anregung des 07.07.2016, verwendete Quellen: Einwohner- Arztes Dr. Schlange [wie Anm. 44] schon Roter Graben 10 meldewesen Altchemnitz (Buchstabe Z, lfd. seit Jahren mit der Dampfsterilisation von 35032 Marburg/Lahn Nr. 22), Polizeimeldewesen Chemnitz (Buch- Verbandstoffen innerhalb der Verpackung E-Mail: [email protected]

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Brackenheim, deren Bedeutung als Sitz eines Obervogts für die Region Die Stadt-Apotheke in des Zabergäus stets erheblich war, schien bereits um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert der Wunsch nach ­Brackenheim – aus dem einer eigenen Apotheke zu bestehen, zumal nach 1600 Pestwellen grassier- ten und bis zu 630 Menschenleben Leben einer 400-Jährigen forderten.4 Die Supplik an die Obrig- keit wurde indes mit Hinweis auf die wachsende Zahl an Apotheken im Her- Andreas Martin Mendel | Ein gleicher- dalitäten der Eröffnung, des Betriebs zogtum abgelehnt – bis sich schließ- maßen seltenes wie erfreuliches und der Weitergabe von Apotheken re- lich 1617 am Vorabend des Dreißigjäh- ­Ereignis ist es, wenn man das hun- gulierten.1 Im Herzogtum Württem- rigen Krieges eine Wende abzeichnete. dertjährige Bestehen einer Apothe- berg wurde im Jahre 1556 eine Tax, Die württembergische Regierung ge- ke feiern kann. Um wie viel bemer- Staat und Aid der Medicorum und Apo- währte dem aus Butzbach bei Gießen kenswerter ist da der 400. Geburts­ theker erlassen, die bereits 1567 Be- stammenden Johann Dietrich Dick- tag einer solchen Institution der standteil der württembergischen Lan- hardt (1590–1635), nachdem dieser ­Gesundheitspflege und des öffentli- desordnung wurde. Die medizinalpoli- das durch das Ortsgericht erteilte Bür- chen Lebens einer Gemeinde! In zeilichen Eingriffe in die Apotheken- gerrecht erhalten hatte, das Privileg Zeiten der Pest und schwerer kon- praxis, die hiervon ausgingen, waren zur Eröffnung einer Apotheke.5 Die fessioneller Konflikte gegründet, erheblich: Vom Einkauf der nur aller- Verleihung eines Privilegs zum Be- hat die Brackenheimer Apotheke, besten Waren auf den großen angese- trieb einer Apotheke, gebunden an die spätere Stadt-Apotheke und jetzige henen Messen von Venedig, Lyon, Ant- vorhandenen Betriebsräumlichkeiten Stadt-Apotheke im medizentrum werpen oder Frankfurt über die Ein- im Sinne eines Realrechts, war im zabergäu den Dreißigjährigen Krieg stellung und Ausbildung des Apothe- Herzogtum und späteren Königreich (1618–1648) überstanden, um bald kenpersonals wurde nahezu jeder Württemberg bis 1834 die einzige darauf in einer Feuersbrunst unter- Aspekt des Apothekenalltags abge- Apothekengerechtsame; in der Zeit da- zugehen. Nach fünf Jahren indes be- deckt – selbst die Güte des zu Konfek- nach hatten die Kreisregierungen auf eindruckender als zuvor wiederer- ten verwandten Zuckers wurde obrig- königliche Anordnung nur noch per- richtet, war sie eines der ersten Ge- keitlich bestimmt und gesichert.2 sönliche, nach dem Tode erlöschende bäude in den rauchenden Ruinen Ebenso wohlüberlegt war die Bedarfs- Konzessionen zu erteilen.6 Eine Apo- Brackenheims. Für mehr als 300 ermittlung hinsichtlich der Eröffnung theke, deren Betriebserlaubnis im Sin- Jahre bildeten Gebäude und phar- von Apotheken im Herzogtum, damit ne eines Privilegs vor Inkrafttreten mazeutische Tätigkeit eine Einheit. den bereits vorhandenen keine unnöti- dieser gesetzlichen Regelung erteilt 2017 – im Jahre nach der Verlegung ge Konkurrenz mit Gefährdung des worden war, bezeichnete man für- in neue Räumlichkeiten – gilt es, Absatzes und der Arzneimittelversor- derhin als „altberechtigt“.7 die pharmaziehistorische Bedeu- gung der Bevölkerung erwachse.3 Am 14. Mai 1617 konnte Dickhardt tung dieses Denkmals gelebter Für die altwürttembergische Stadt schließlich das Haus des Bäckers und Pharmazie gebührend zu würdigen.

Die Gründung einer Apotheke in Brackenheim am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges Blickt man in der Frühen Neuzeit nach Süddeutschland, so fällt deutlich eine gewisse Medikalisierungsstruktur ins Auge, die sowohl in den reichsunmit- telbaren Städten und Territorien als auch in den mächtigeren Fürstentü- mern zu konstatieren ist. Kennzeichen dieser Medikalisierung sind das Vor- handensein von Arzneitaxen, Apothe- ker- und Medizinalordnungen oder Apothekengerechtsamen, die die Mo- Abb. 1: Kupferstich von Brackenheim zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges

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Schutzlos der marodierenden Soldates- ka ausgeliefert, fielen große Gebiete Württembergs der Zerstörung und Plünderung anheim. Mit den Soldaten kam die Pest, die ganze Landstriche entvölkerte.13 Auch das Zabergäu war schwer getroffen – am 2. Februar 1635 verstarb Johann Dietrich Dickhardt mit 45 Jahren an den Kriegsfolgen zum tiefen Bedauern der Stadt, wie das Totenbuch mitteilt.14

Ein Bauwerk als Ausdruck 300 Jahre währender Kontinuität Eine neuerliche Verlegung der Bra- ckenheimer Apotheke, die zugleich bis Abb. 2: Die Brackenheimer Apotheke vor 1954 auf unsere Zeit die vorletzte sein soll- te, erfolgte im Frühjahr des Jahres 1670. Der aus Brackenheim stammen- Bürgermeisters Martin Jäger von und aus. Doch nicht nur seiner Apotheke de Apotheker Marx Bauer (1628–1685) zu Jägersberg (1544–1612) um die an- war einiger Erfolg beschieden: Mit besaß hier Grund und Boden, betrieb sehnliche Summe von 1060 Gulden er- Umsicht und Klugheit brachte es Dick- indes im etwa sechs Kilometer ent- werben:8 Dies entsprach nach den in hardt bis zum Bürgermeister von Bra- fernten Bönnigheim eine Apotheke.15 Süddeutschland üblichen Münzfüßen ckenheim. Ein jähes Ende bereitete Unglückliche wirtschaftliche Verhält- etwa 15 Kilogramm Feinsilber; hierfür dieser Erfolgsgeschichte schließlich nisse scheinen die Verlegung der Apo- hatte ein Zimmerermeister 15 bis 20 das Kriegs- und Pestjahr 1635. Nach theke begünstigt zu haben – auch Jahre zu arbeiten!9 Zum Kaufpreis hin- dem Sieg der Truppen der Katholi- Marbach am Neckar war im Gespräch zu kamen noch die gewisslich erhebli- schen Liga unter kaiserlich-habsburgi- –, doch entschied sich Bauer für seine chen Kosten des landesherrlichen Pri- scher Führung über die Schweden und Heimatstadt Brackenheim. Die Kaufur- vilegs.10 Die exakte Lage des in der ihre protestantischen Alliierten bei kunde datiert auf den 1. Januar 1670. oberen Stadt befindlichen Anwesens Nördlingen am 6. September 1634 Um die Summe von 500 Gulden er- lässt sich nicht mehr mit Sicherheit blieb Herzog Julius Friedrich von warb er ein an das Spital grenzendes bestimmen. Der finanziellen Belas- Württemberg-Weiltingen (1588–1635) Gebäude am Markt. Ursprünglich tung – Dickhardt hatte sich wahr- und Herzog Eberhard III. von Würt- standen auf dem Grundstück drei scheinlich Kapital von seinem Schwa- temberg (1614–1674) nur das Exil. Häuser, von denen indessen zwei im ger Sebastian Süßkind (1574–1633), Apotheker zu Vaihingen an der Enz, leihen müssen – und der Kriegsläufte zum Trotz prosperierte die Unterneh- mung des frischgebackenen Apothe- kers. 1627 tauschte er sein Anwesen gegen zwei Häuser nebst landwirt- schaftlichen Gebäuden an der Haupt- straße in der Nähe des Marktes, wohin er auch die Apotheke verlegte.11 Da das Privileg zum Betreiben der Apotheke an das Apothekengebäude selbst ge- knüpft und Teil des Grundbuchblattes war (Pertinenz), erforderte die Verle- gung neuerlich eine Bestätigung des Privilegs durch die ausstellende Be- hörde.12 Bald weisen die Steuerakten Dickhardt als stolzen Besitzer von zweieinhalb Häusern, einem Wein- Abb. 3: Aufgeschlagenes Giftbuch der Jahre 1845 bis 1877. Hier zu lesen sind die Ein- berg, einem Kraut- und Baumgarten träge der Abgabe von Arsenikalien vom 31.8.1846 bis 30.7.1847.

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oftmals waren landwirtschaftlich ge- nutzte Räume vorhanden.19 Auch in Brackenheim bot das Erdgeschoss ne- ben der Offizin und dem Laboratorium zugleich Stallungen Raum. Aus einem Kaufvertrag, der am 28. Januar 1820 zwischen dem Verkäufer Apotheker Jo- sef Friedrich Hartmann (1763–1830) und Apotheker Konrad Friedrich Palm (1790–1861) aus Besigheim geschlos- sen wurde, geht beispielsweise hervor, dass Hartmann für ein weiteres Jahr in der Apotheke wohnen und sein Vieh im Stall stehen lassen durfte.20 Ein wahres Kleinod, das aus Palms Zeit als Apothekenprinzipal auf uns Abb. 4: Im Arzneikeller der Brackenheimer Apotheke vor Umbaumaßnahmen im Jahre gekommen ist, stellt ein Giftabgabe- 1954. Man erkennt Standgefäße mit Flüssigkeiten in den Repositorien sowie große buch des Zeitraums von 1845 bis 1877 Ballons in Kippgestellen mit Branntwein- und Säurevorräten. dar, das sich im Besitz der Brackenhei- mer Apothekerfamilie Ottmar-Hug be- findet. Die Giftabgabe wird hierin fort- Dreißigjährigen Krieg ruiniert worden Apotheke wurde der Stuttgarter Hof- laufend unter Angabe des genauen Da- waren. Das von Bauer erworbene Haus und Festungsbaumeister Matthias tums, des Namens, Standes und war zwar klein, allerdings gelang es Weiß (1636–1707) beauftragt.18 Dabei Wohnortes lückenlos über mehr als 30 ihm, weitere Teile des verödeten entstand ein imposantes dreistöckiges Jahre dokumentiert. Ebenso akkurat Grundstücks dazu zu kaufen, sodass Gebäude mit aus Stein gemauertem gibt das Büchlein Auskunft über Men- er schließlich Besitzer des ganzen Ge- Erdgeschoss und in Fachwerk aufge- ge und Art des verabfolgten Giftes ländes war, das für Jahrhunderte der richteten Obergeschossen. Spezifische („Quantität und Qualität des Giftes“).21 Standort der Brackenheimer Apotheke Apothekengebäude, die hinsichtlich Erwähnenswert in diesem Kontext ist bleiben sollte – bis zu ihrer Verlegung ihrer Raumaufteilung und -anordnung der Wandel im Abgabe- und Anwen- im Jahre 2016.16 allein auf diesen Zweck hin ausgerich- derverhalten bei vor allem landwirt- Ein schweres Schicksal traf Stadt und tet waren, kennt die Frühe Neuzeit schaftlich genutzten Giften. Lässt sich Bürger in der Nacht vom 19. zum 20. nicht. Die Apotheken beherbergenden Mitte der 1840er-Jahre hauptsächlich Mai des Jahres 1691: Ein großer Brand Häuser unterschieden sich nicht we- Arsenicum album (Arsenik, Arsentri- 22 vernichtete weite Teile der Stadt – von sentlich von anderen, sie glichen den oxid, As2O3) und Cobaltum (metalli- 111 Gebäuden ist die Rede. Auch die Gebäuden von anderen Handwerkern sches oder gediegen Arsen, As; auch Apotheke fiel der Feuersbrunst zum oder Kaufleuten mit Lagerhaltung und Fliegenstein genannt)23 als Schädlings- Opfer; lediglich die Kirche konnte mit Hilfe der Einwohner des benachbarten Dorfes Stockheim vor dem Untergang gerettet werden.17 Emmanuel Ludwig Rollwaag (1659–1703), der in dieser betrüblichen Zeit Apotheker und Bür- germeister von Brackenheim war, überlebte und vermochte trotz hoher finanzieller Verluste in den Jahren nach dem verheerenden Brand Grund- stücke zu erwerben. 1696 konnte schließlich mit dem Wiederaufbau der Apotheke begonnen werden – hier ent- stand jenes Haus, das bis 2016 die Bra- ckenheimer Apotheke und spätere Stadt-Apotheke beherbergen sollte und das Stadtbild am Markt bis heute ein- drucksvoll dominiert. Mit der Planung des Wiederaufbaus der Stadt und der Abb. 5: Blick in die Materialkammer auf dem Dachboden des Apothekengebäudes

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nem Tonnengewölbe“ und dem großen Herd zur Bereitung von Infusen und Destillaten sowie die „schön ge- schwungene, braunrote Holzsäule mit dem goldenen Reif“ in der Offizin als beeindruckende Relikte einer Vergan- genheit, die sich bis in die Gegenwart hinein erhalten hatten.27 Recht knapp bemessen war der Platz in der alten Offizin: Das Innere des Verkaufs- raums wurde beherrscht durch die bis unter die Decke und bis in den Warte- raum der Kunden reichenden Reposi- torien zur Aufnahme der zahlreichen Standgefäße – im unteren Bereich gab es Schubladen zur Lagerung von Dro- Abb. 6: Blick ins Laboratorium vor den Umbaumaßnahmen im Jahre 1954. Zu erken- gen und weniger feuchtigkeitsemp- nen ist der große Herd mit Infundierbüchsen zur Bereitung von Drogenauszügen sowie findlichen Waren. Der Handverkaufs- eine Destillationsvorrichtung. tisch, der im wesentlichen Rezeptur- tisch war, barg rückseitig gleichfalls Schubladen zur Aufnahme von Dro- bekämpfungsmittel feststellen, so do- Übervorräte, als Lager für feuchtig- gen, Gerätschaften zur Rezeptur, Bind- miniert ab den frühen 1850er-Jahren keitsempfindliche Waren und als Tro- fäden zu Tekturen und Dispensierge- Pasta phosphorata (Phosphorpaste; ein ckenboden für pflanzliche Simplicia. fäßen – die Schauseite zum Publikum phosphorhaltiger Brei, der zur Beseiti- Mit Ausnahme kleinerer Um- und hin war einfach gearbeitet. Das ge- gung von Nagetieren angewandt wur- Ausbauten im Innern der Apotheken- samte Mobiliar besaß eine dunkle Fas- de)24 die Abgabe aufgrund geänderter betriebsräume, die im Rahmen von sung und strahlte vornehme Schlicht- Giftgesetzgebung.25 Das wertvolle Do- Apothekenrevisionen gefordert wur- heit und Akkuratesse aus. Ergänzt kument gewährt einen unmittelbaren den und dem sich rasch ändernden wurde der Eindruck durch die fast Einblick in die Apotheken- und Land- Stand der pharmazeutischen For- durchgängig gleichartig gearbeiteten, wirtschaftspraxis des 19. Jahrhun- schung und Praxis im 19. Jahrhundert die Repositorien ausfüllenden Glas- derts und ist gewisslich einer einge- geschuldet waren, änderte sich am standgefäße, deren Charakteristikum henderen Untersuchung wert. Bild der Apotheke nur wenig. Noch eine liegende ovale Emailkartusche Der überwölbte Keller der Brackenhei- 1954 beschreibt der Brackenheimer bildete; handbeschriftete Flaschen mit mer Apotheke, der nach dem Brand Gymnasialdirektor und Heimatfor- lackierten Papieretiketten fanden sich auch einer Renovierung bedurfte, barg scher Gerhard Aßfahl (1904–2007) das allermeist im vom Publikum abge- Vorratsräume und den Arzneikeller, in „geschwärzte Laboratorium mit sei- wandten Bereich der Rezeptur. Den dem Arzneiweine, Essige, Spiritus und Wässer, aber auch alltägliche Bedarfs- gegenstände und Lebensmittel gela- gert wurden. Vor verschiedenen Reno- vierungsmaßnahmen, die in der zwei- ten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Keller durchgeführt wurden – so das Einziehen von Zwischenwänden und das Weißeln der Wände und des Ge- wölbes – sollen sogar noch Steine im Gemäuer mit Brandspuren und beson- ders auffällig gehauene Stücke, die vor dem Stadtbrand als Stufen oder Pfeiler in anderen Häusern gedient hatten, sichtbar gewesen sein.26 Die oberen Geschosse boten Wohnraum, das weit- läufige Dachgeschoss war zu keinem Zeitpunkt als Behausung ausgebaut. Abb. 7: Blick vom Handverkaufstisch über die Rezepturrepositorien hin zur Eingangs- Es diente als Materialkammer für tür in der Offizin

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Blick des wartenden Kunden zog in Stahltüre zu verschlie- besonderem Maße eine halbmannsho- ßen war.29 Die Offizin he Gipsstatue eines Fischers auf sich, erhielt im Rahmen des der, sich unter der Last bückend, einen Umbaus einen ge- riesigen Kabeljau über der Schulter schmackvoll geschwun- trug: Plastische Arzneimittelwerbung genen Handverkaufs- für Scotts Lebertranemulsion, die im tisch mit dahinter lie- Gedächtnis vieler älterer Kunden genden Repositorien für blieb. Arzneispezialitäten und 1954 waren erneut Umbaumaßnah- ausgewählte Standgefä- men erforderlich, die eine grund- ße – die Rezeptur wur- legende Erneuerung des Laboratori- de in den hinteren Be- ums wie auch eine Umgestaltung der reich des Geschosses Offizin und des Gewölbekellers um- verlegt, wodurch der fassten. Letzterer erhielt Zwischen- Verkaufsraum durch wände, wodurch eine vorgeschriebene Platzgewinn, klarere Abtrennung privater Kellerräume von Struktur und größere gewerblich genutzten erzielt wurde. Helligkeit bestechen So entstanden ein Flaschen- und Bal- konnte. Die vornehme, lonkeller für größere Flüssigkeitsvor- weiß gefasste Holzkas- räte wie auch ein Arzneikeller, in dem settendecke mit Blatt- Defekturgefäße von Tinkturen, Spiri- goldapplikationen ver- tus, Säuren, Laugen und anderen lieh dem Interieur zu- Abb. 9: Eindrucksvoll gestaltete Blechtüre zur Phosphor- feuchtigkeitsunempfindlichen Waren sätzlich Freundlichkeit nische im Arzneikeller gelagert werden konnten, neben Koh- und Klarheit.30 Hellig- lenkeller, Heizraum und Privaträu- keit und Zweckmäßigkeit leiteten geschafft, sodass alles modernsten men – auch eine Abortgrube weist der auch die durchaus notwendige Umge- hygienischen Anforderungen genügte. Grundriss als Neuerung aus.28 Der staltung des Laboratoriums: Brauch- Ein weiterer Abschnitt grundlegender Arzneikeller verfügte auch über die und Abwasserrohre wurden unter Umbaumaßnahmen begann 1981 mit von der Betriebsordnung vorgesehene Putz verlegt, der große Herd zur An- einer völligen Umgestaltung des Erd- Wandnische zur Aufbewahrung hoch- fertigung von Infusen, Dekokten und geschosses: Der Kundeneingang wur- entzündlichen weißen Phosphors, die Destillaten entfernt, Mobiliar mit de verlegt, die Schaufenster erhielten mit einer beeindruckend gestalteten leicht zu reinigenden Oberflächen an- die Form eines Rundbogens. Im In- nern war nun die Ebene des Handver- kaufs und der Rezeptur über Treppen- stufen erreichbar, die Rezeptur wurde aufgrund schwindender Bedeutung im pharmazeutischen Alltag verkleinert und verlegt, sodass dringend nötiger Lagerraum für Fertigarzneimittel, Ver- bandstoffe und andere apothekenübli- che Waren dazugewonnen werden konnte. Das Laboratorium verließ den seit Jahrhunderten angestammten Platz innerhalb der Mauern des alten Fachwerkbaus und kam in einen eige- nen Anbau an der Westseite des Ge- bäudes. Zugleich fand eine Sanierung des hervorragend erhaltenen, typisch süddeutschen Fachwerks statt, wo- durch das Gebäude wieder sein histo- risches Gepräge erhielt und bis heute zu den schönsten Fachwerkhäusern in Abb. 8: Handgezeichneter Grundriss des Arzneikellers der Brackenheimer Apotheke Brackenheim zählt. Letzte Renovie- aus dem Jahre 1954. Rot eingefärbt sind die im Rahmen des Umbaus neu eingezoge- rungsmaßnahmen im Jahre 2002 hat- nen Wände zu erkennen. ten vor allem kleinere Erneuerungen

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des Mobiliars wie des Handverkaufsti- sches und der Repositorien sowie die Einrichtung eines Beratungszimmers zum Gegenstand.31

Handel und Wandel Dass Wilhelm Lohrmann (1877–1931), Sohn eines Bierbrauers aus Kirchheim unter Teck und Apotheker, beim Er- werb der Brackenheimer Apotheke im Jahre 1907 eine wahre Apothekerdy- nastie begründete, die nun schon weit über 100 Jahre währt, dürfte er kaum gehofft haben. Für 135.000 Mark, wo- von allein 75.000 Mark auf die Ertei- lung der Realkonzession fielen, war es Lohrmann möglich, die Apotheke von Abb. 11: Offizin mit Blick auf den Handverkaufstisch und die dahinter befindlichen dem aus Crailsheim stammenden Apo- Repositorien nach der Innenrenovierung 1954 theker Konstantin Paul Schindler (geb. 1857), der seinerseits nach Stuttgart verzog, zu erstehen.32 Die enorme lags G. Knapp aus dem Jahre 1908 Deutschland gehandelt.33 Obzwar sich Summe konnte unter Einbringung von weist ihn als umtriebigen Geschäfts- bereits zu Beginn des 20. Jahrhun- 80.000 Mark Eigenkapital in Raten bis mann aus, der mit „Brennessel Haar- derts Gerichte mit der Frage befassten, zum Jahre 1938 trotz der Wirren des spiritus […] Hühneraugenmitteln […] ob Quecksilberverbindungen in Ver- Ersten Weltkrieges (1914–1918) und Veilchencreme […] Sommersprossen- schönerungsmitteln zulässig und der Weltwirtschaftskrise getilgt wer- crême [sic!] Shampoon [sic!]“ den Sommersprossen eine Erkrankung den. Lohrmann, der nach Aussagen Handverkauf bedeutend erweiterte oder aber lediglich ein Schönheitsfeh- seiner Nachkommen ein Mann mit be- und größeren Kundenkreisen bekannt ler seien, billigte die Württembergi- sonderem Humor gewesen sein soll, machte. Insbesondere seine Sommer- sche Regierung Gehalte von bis zu schulterte bis zu seinem frühen Tode sprossencreme Ideal, die nach Aus- fünf Prozent Präzipitat bis zum Eintre- die finanzielle Belastung durch großes sagen seines Enkels Apotheker Klaus ten einer eindeutigen Rechtslage.34 unternehmerisches und pharmazeuti- Ottmar (geb. 1936) größere Mengen Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sches Engagement: Eine Annonce sei- weißen Quecksilberpräzipitats – eines schließlich der Vertrieb der Lohr­ ner angebotenen Hausspezialitäten in in der Zeit gängigen Wirkstoffs in sol- mann’schen Sommersprossencreme einer Zeitung des Brackenheimer Ver- chen Mitteln – enthielt, wurde in halb aufgrund geänderter Gesetze einge- stellt werden.35 Im Todesjahr von Wilhelm Lohrmann 1931 heiratete seine Tochter Elfriede (1908–1995) Hugo Ottmar (1900–1984), Sohn des Backnanger Hauptlehrers. Hugo Ottmar trat dabei zuerst als Pächter seiner Schwiegermutter Ottilie Lohrmann (1880–1954) auf, in deren Besitz die Apotheke samt Realkonzes- sion durch Erbe kam, bis er schließ- lich 1955 nach ihrem Ableben selbst Besitzer der Apotheke wurde.36 Hugo Ottmar erlebte tiefgreifende gesell- schaftliche und politische Umbrüche und einen bis heute andauernden Wandel des deutschen Apothekenwe- sens: Weltkrieg, Besatzung, zuneh- mender Rückgang von Rezeptur und Abb. 10: Handgezeichneter Grundriss des Erdgeschosses aus dem Jahre 1954. Gut zu Defektur, Wandel im Berufsbild des erkennen ist der geschwungene Handverkaufstisch in der „Allop[athischen] Officin“. Apothekers, Aufhebung der Niederlas-

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sungsfreiheit im Jahre 1958 mit Ver- Im Jahre 2016 fand die letzte Verle- lust der alten angestammten Privilegi- gung der Stadt-Apotheke als Filiale der en und Konzessionen. Er scheute sich Theodor-Heuss-Apotheke Brackenheim dennoch nicht, die Herausforderungen in ein neu eröffnetes medizinisches einer neuen, wenngleich für die Apo- Versorgungszentrum statt – Inhaber theker rauen Zeit anzunehmen und der Betriebserlaubnis ist nun Marcus die Brackenheimer Apotheke nach den Plehn (geb. 1959) aus Brackenheim, jeweiligen Erfordernissen zu gestal- Gabriele Hug steht der Filiale als Leite- ten. An neuesten Maßstäben ausge- rin vor. richtet und wohl bestellt konnte Hugo Mag nun die Tradition der Einheit des Ottmar 1969 die Firma unter dem Na- über 300 Jahre alten, einst mit altbe- men Stadt-Apotheke Brackenheim sei- rechtigtem Privileg versehenen Apo- nem Sohn Klaus zur Pacht überlassen, thekenhauses und der apothekari- der im Jahre 1980 Besitzer des Anwe- schen Praxis durchbrochen sein, so sens wurde.37 Schließlich übernahm lebt doch die Historie im geschichtli- 2005, dessen Tochter, Apothekerin Ga- chen Bewusstsein der Apothekenmit- Abb. 13: Reklame des Apothekers briele Hug (geb. 1967), die Apotheke arbeiter, der Stadt, ja der Region fort. Wilhelm Lohrmann für „Brennessel im angestammten Hause.38 Sie war da- Einen kleinen Beitrag zu einem bemer- Haarspiritus [...] Hühneraugenmittel mit der 22. Apotheker von Johann kenswerten Stück Apotheken-, Phar- […] Veilchencreme […] Sommerspros- Dietrich Dickhardt an gerechnet in der mazie- und Baugeschichte zu leisten sencrême […] Shampoon […]“ in ei- Brackenheimer Apotheke und späte- ist des Autors besonderes Anliegen, nem in Brackenheim gedruckten ren Stadt-Apotheke.39 der höchste Lohn die lebendige Erinne- Mitteilungsblatt vom Jahre 1908.

rung. Gabriele Hug und ihren Eltern, Ursula und Klaus Ottmar, sei an dieser Stelle besonderer Dank für die Recher- che und die Zurverfügungstellung zahlreicher wertvoller privater Archi- valien und Anekdoten aus den letzten 100 Jahren der Brackenheimer Apothe- ke ausgesprochen – Marcus Plehn sei herzlich für die zeitliche Ermöglichung der vorliegenden Arbeit gedankt.

Resümee Pharmaziegeschichte, Baugeschichte, Stadtgeschichte, Alltägliches und gro- ße Politik – all dies spiegelt sich wider in einer Institution der Gesundheits- fürsorge und des öffentlichen Lebens einer Gemeinde, ja einer ganzen Regi- on: der Apotheke. In besonderem Maße gilt dies für eine Einrichtung, die bereits seit 400 Jahren ihre Aufga- ben in der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung wahrnimmt, so die Bra- ckenheimer Apotheke, die spätere Stadt-Apotheke und jetzige Stadt-Apo- theke im medizentrum zabergäu. Dank des Sinns der einstigen Besitzer für das Sammeln und Bewahren, für die Historie eines Berufsstandes sind etli- Abb. 12: Außenansicht der Stadt-Apotheke Brackenheim nach grundlegenden Reno- che wertvolle Zeugnisse erhalten ge- vierungsmaßnahmen in den 1980er-Jahren im Zustand bis zur Verlegung 2016 blieben, die unverstellte Einblicke in

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die Alltagsgeschichte eines Apothe- 8 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 109. Martin Jägers 20 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 116. kenbetriebs von der Frühen Neuzeit Sohn, Johann Friedrich Jäger von und zu Jä- 21 Giftbuch der Apotheke Brackenheim 1845– gersberg (1596–1656), war Herzoglich- 1877 (im Privatbesitz der Familie Ottmar- bis zur Gegenwart erlauben und dem Württembergischer Geheimer Regiments- Hug, Brackenheim). und Oberrat sowie Obervogt zu Bracken- Pharmaziehistoriker Material für wei- 22 Die Verwendung von Arsenik oder metalli- heim. Des Weiteren trat er als Diplomat terführende Forschung bieten. schem Arsen als Rodentizid und Insektizid während der Verhandlungen des Westfäli- in der Frühen Neuzeit und neueren Zeit schen Friedens 1648 auf. Der Pfarrer, war so allgemein, dass insbesondere Arse- Summary Schriftsteller und Lokalhistoriker Karl nik oft nur als „Mäuse-Gifft und Ratten- Klunzinger (1799–1861) rechnet ihn zu den The article outlines the history of the pharmacy Pulver“ bezeichnet wurde. Vgl. hierzu Jo- verdienstvollen Männern Brackenheims. at Brackenheim. Founded in times of plague hann Jakob Woyt: Gazophylacium medico- Vgl. hierzu Eberhard von Georgii-George- and severe confessional conflicts, the physicum, Oder Schatz-Kammer Medici- nau: Genealogische Blätter aus und über apothecary’s shop of Brackenheim, later Stadt- nisch- und Natürlicher Dinge [...]. Leipzig Schwaben. Stuttgart 1879, S. 407–409; so- Apotheke and now Stadt-Apotheke im medizent- 1737, S. 86. Zur gängigen Verwendung des wie Klunzinger [wie Anm. 4], 2. Abt., S. 50. rum zabergäu, has survived the Thirty Years Arseniks s. auch Johann Heinrich Zedler: Zu den Verdiensten Johann Friedrich Jägers War to perish in a blaze in 1691. Five years la- Grosses vollständiges Universal-Lexicon von und zu Jägersberg und seiner Familie s. ter, it was re-established more impressively Aller Wissenschafften und Künste, Welche Johannes Schübel: Canticum Agni: Oder than before and became one of the first new bißhero durch menschlichen Verstand und Das Lied des Lambs [...]. Stuttgart 1656. buildings in the smoking ruins of Bracken- Witz erfunden und verbessert worden [...]. 9 Richard Klimpert (Hrsg.): Lexikon der heim. For more than 300 years, edifice and Bd. 2. Halle / Leipzig 1732, Sp. 1652–1654. pharmaceutical activity formed a unity. Münzen, Maße und Gewichte, Zählarten und Zeitgrößen aller Länder der Erde. Ber- 23 Unter der Bezeichnung Cobaltum oder Flie- lin 1896 (Neudruck Graz 1972), S. 138f. genstein kamen nach Hermann Hager Keywords Zum Kauf- und Gegenwert des genannten (1816–1897) im 19. Jahrhundert entweder Brackenheim, Stadt-Apotheke, Stadt-Apotheke Betrags s. Fritz Verdenhalven: Alte Maße, ausgesuchte Stücke des natürlich vorkom- im medizentrum zabergäu, Thirty Years War, Münzen und Gewichte aus dem deutschen menden, bergmännisch abgebauten Speis- privilege, Johann Dietrich Dickhardt (1590– Sprachgebiet. Neustadt an der Aisch 1968, kobalts – einer nativen Kobalt-Arsen-Ver- bindung (CoAs und CoAs ) – oder aber 1635), Matthias Weiß (1636–1707), pharmacy S. 10. 2 3 building, rebuilding, arsenic, phosphorus, mer- 10 Zu den Kosten des Betriebsrechts einer künstlich hergestelltes Arsenmetall in den cury in cosmetics. Apotheke im frühen 20. Jahrhundert im Handel. Letzteres wurde durch Destillation Vergleich zum Kaufbetrag des Gebäudes s. arsenführender Erze, hauptsächlich des Speiskobalts, erzeugt und bildete graue, Anmerkungen Aßfahl [wie Anm. 3], S. 116. blättrig-kristallinische, schwere Massen. 11 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 109f. Zum Einfluss 1 Rudolf Schmitz: Von den Anfängen bis zum Der irreführende Name Cobaltum ent- des Dreißigjährigen Krieges auf die wirt- Ausgang des Mittelalters. Eschborn 1998 stammt der Bergmannssprache und be- schaftliche Entwicklung Württembergs un- (Geschichte der Pharmazie / R. Schmitz; 1), zeichnete in der Frühen Neuzeit giftige, ar- ter besonderer Berücksichtigung der Apo- S. 525f. Zu den Grundzügen der Apothe- senhaltige Erze, die aufgrund ihres Glan- thekengründungen s. Armin Wankmüller: kengesetzgebung sowie zur chronologi- zes und ihrer Schwere Silber zu enthalten Der Einfluß des dreißigjährigen Krieges im schen und geographischen Ausbreitung versprachen, diese Hoffnung aber meisten- Herzogtum Württemberg. In: Pharmazeuti- von Apothekerordnungen ausgehend von teils enttäuschten. Ausgelegt wurden diese sche Zeitung 87 (1951), S. 249f. Südeuropa s. Schmitz [wie Anm. 1], S. 526– tauben Erze von bösartigen Berggeistern, 12 Adlung / Urdang [wie Anm. 2], S. 40. 529. Zur Bedeutung der reichsunmittelba- den Kobolden. Nach der Entdeckung des 13 Manfred Vasold: Pest, Not und schwere Pla- ren Städte für die Medikalisierung s. den Kobold-Erzen eigentümlichen Metalls gen. Seuchen und Epidemien vom Mittel- Christoph Friedrich / Wolf-Dieter Müller- Kobalt durch den schwedischen Chemiker alter bis heute. Augsburg 1999, S. 145. Jahncke: Von der Frühen Neuzeit bis zur Georg Brandt (1694–1768) im Jahre 1735 Gegenwart. Eschborn 2005 (Geschichte der 14 Klunzinger [wie Anm. 4], 2. Abt., S. 28–38. behielt man die Bezeichnung wegen des Pharmazie / R. Schmitz; 2), S. 86–88. Vgl. Klunzinger [wie Anm. 4], 4. Abt., S. häufigen Kobaltgehalts nativer Arsenmine- 2 Alfred Adlung / Georg Urdang: Grundriß 152–155; sowie Aßfahl [wie Anm. 3], S. 110. ralien bei, weshalb auch Bezeichnungen der Geschichte der deutschen Pharmazie. 15 Zur Person Marx Bauers und seinen mühe- wie Scherbenkobalt für das in traubigen Berlin / Heidelberg 1935, S. 13 u. S. 16. vollen Auseinandersetzungen mit einem oder nierenförmigen Aggregaten natürlich 3 Gerhard Aßfahl: Die Geschichte der Apo- ortsansässigen, die Heilkunde praktizie- vorkommende metallische Arsen bis heute theke in Brackenheim. In: Beiträge zur renden Pfarrer s. Larissa Leibrock-Plehn: in der Mineralogie Bestand haben. Vgl. Württembergischen Apothekengeschichte Verfälschter Safran und wurmige Pome- Hermann Hager (Hrsg.): Commentar zur 2 (1954), S. 109. ranzenschalen. Ein Streit zwischen Apothe- Pharmacopoea Germanica. Editio altera. 4 Karl Klunzinger: Geschichte des Zabergäus ker und heilkundigem Pfarrer aus dem Bd. 1. Berlin / Heidelberg 1883, S. 40f. Zur und des jetzigen Oberamts Brackenheim Jahr 1678. In: Geschichte der Pharmazie 54 Anwendung des Fliegensteins schreibt Ha- [...]. 4 Abtheilungen. Stuttgart 1841–1844 (2002), S. 63–68. ger: „Früher wurde es vom Publikum in (Neudruck Magstadt bei Stuttgart 1984), 2. 16 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 110f. den Apotheken gefordert, um die damit ge- Abt., S. 27. 17 Klunzinger [wie Anm. 4], 2. Abt., S. 40f.; machte wässerige Abkochung als Fliegen- 5 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 109. sowie Aßfahl [wie Anm. 3], S. 111. gift zu benutzen“. In Württemberg wurde 6 Adlung / Urdang [wie Anm. 2], S. 32. 18 Zu Leben und Werk des Hof- und Festungs- 1855 die Abgabe von arsenikhaltigem Flie- 7 N. N.: Beschreibung des Oberamts Bracken- baumeisters Matthias Weiß s. Eduard Pau- genpapier oder Fliegenstein aufgrund der heim. Herausgegeben von dem Königlich lus: Die Kunst- und Altertums-Denkmale mit der Anwendung verbundenen Gefahren statistisch-topographischen Bureau. Stutt- im Königreich Württemberg. Esslingen und des Vorhandenseins weniger schädli- gart 1873, S. 158. Zu den diversen Apothe- 1906, S. 563f.; sowie Horst Ossenberg: Was cher Mittel untersagt. Vgl. N. N.: Regie- kengerechtsamen im Mittelalter und der bleibt, das schaffen die Baumeister. Das rungs-Blatt für das Königreich Württem- Frühen Neuzeit s. auch Adlung / Urdang württembergische Hof- und Staats-Bauwe- berg vom Jahr 1855. Stuttgart 1855, S. 304 [wie Anm. 2], S. 38–44, Friedrich / Müller- sen vom 15. bis 20. Jahrhundert. Nor- (Verfügung des Ministerium des Innern Jahncke [wie Anm. 1], S. 155–159, Axel derstedt 2004, S. 40–43. vom 23. November 1855). Zur Worther- Helmstädter / Jutta Hermann / Evemarie 19 Friedrich / Müller-Jahncke [wie Anm. 1], S. kunft von Cobaltum und Scherbenkobalt s. Wolf: Leitfaden der Pharmaziegeschichte. 170; sowie Werner Gaude: Die alte Apothe- Hans Lüschen: Die Namen der Steine. Thun Eschborn 2001, S. 92–95; sowie Schmitz ke. Eine tausendjährige Kulturgeschichte. / München 1968, S. 98f., S. 104–106, S. [wie Anm. 1], S. 534–548. Leipzig 1979, S. 67f. 178f. u. S. 254; sowie Johann Gottschalk

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Wallerius: Mineralogie, Oder Mineralreich stets mit einer Wasserschicht überdeckt ist. in Ober vnd Nider Schwaben [...]. Frankfurt [...]. Berlin 1763, S. 295. Das Aufbewahrungsgefäß sei eine starke am Main 1643, eingefügt zwischen S. 36 u. 24 Zur Bereitung der Phosphorpaste s. bei- Flasche mit weiter Öffnung, die mit einem S. 37. spielsweise Hermann Hager: Manuale guten Korke verschlossen wird. Die Flasche Abb. 2: Außenansicht der Brackenheimer Apo- pharmaceuticum seu Promptuarium [...]. stelle man in eine starke Blechbüchse mit theke, entstanden vor 1954 (Photographie Bd. 1. Marklissa 1866, S. 420; sowie Eugen gut schließendem Deckel und fülle den aus dem Privatbesitz der Apothekerfamilie Dieterich: Neues Pharmazeutisches Manu- Zwischenraum zwischen Flasche und Ottmar-Hug). al. Berlin 1897, S. 95. Dieterich schreibt zur Büchse zum Teil mit feuchtem Sande aus. Abb. 3: Giftbuch der Apotheke Brackenheim Anwendung der Paste: „Man beschmiert Der Aufbewahrungsort ist nach der gesetz- 1845–1877 ohne Paginierung, aufgeschla- Brotstücke von 15 mm Dicke dünn mit der lichen Vorschrift ein verschließbarer gene Doppelseite mit dem Datum Phosphorpaste und darüber geschmolze- Schrank im Keller, am besten eine in die 31.8.1846–30.7.1847 (Giftbuch im Privatbe- nen Talg. Man schneidet sodann Würfel Mauer eingelassene Nische mit eiserner sitz der Apothekerfamilie Ottmar-Hug, und rollt diese in Mehl, das man auf Papier Tür“. Photographie des Verfassers). ausgebreitet hat. Diese Würfel, in die Gän- 30 Persönliche Mitteilung von Ursula Ottmar. Abb. 4: Photographie des Arzneikellers der Bra- ge gebracht, werden von den Ratten gern 31 Persönliche Mitteilung von Apotheker ckenheimer Apotheke, entstanden vor 1954 angenommen, und verfehlen dann ihre Klaus Ottmar und Apothekerin Gabriele (aus dem Privatbesitz der Apothekerfamilie Wirkung nicht“. Hug. Ottmar-Hug). 25 Giftbuch der Apotheke Brackenheim 1845– 32 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 16f. Vgl. hierzu Abb. 5: Photographie eines Ausschnittes der 1877, ohne Paginierung, Einträge vom auch Grundbuchheft von Brackenheim, Nr. Materialkammer auf dem Dachboden, ent- 31.8.1846 bis 30.7.1847, Nr. 12–Nr. 34 und 608, S. 1. Gerhard Aßfahl nennt bei Schind- standen vor 1954 (aus dem Privatbesitz der vom 12.11.1849 bis 27.2.1850, Nr. 65–Nr. 87 ler entgegen den Angaben im Grundbuch- Apothekerfamilie Ottmar-Hug). (im Privatbesitz der Familie Ottmar-Hug, heft irrtümlicherweise den Vornamen Abb. 6: Aufnahme des Laboratoriums vor dem Brackenheim). Eine auf den 23. Juli des „Konradin“. Innenumbau 1954 (Photographie aus dem Jahres 1853 datierende Verfügung des 33 Persönliche Mitteilung von Apotheker Privatbesitz der Apothekerfamilie Ottmar- württembergischen Ministerium des In- Klaus Ottmar und Ursula Ottmar. Zur Be- Hug). nern betreffend die Anwendung der Phos- deutung von Quecksilberverbindungen, Abb. 7: Photographie von Teilen der Rezeptur phorpaste zur Vertilgung von Ratten und insbesondere des Quecksilberpräzipitats und Offizin, entstanden vor dem Innenum-

Mäusen verbietet den Ärzten, Giftscheine (Quecksilber[II]-amidochlorid, [HgNH2] bau von 1954 (aus dem Privatbesitz der

zum Bezug von Arsenik zur Bekämpfung nCln), in Sommersprossenmitteln vgl. bei- Apothekerfamilie Ottmar-Hug). von Nagetieren auszustellen. Falls wider- spielsweise Dieterich [wie Anm. 24], S. 700; Abb. 8: Handgezeichneter Grundriss zu den rechtlich doch derartige Scheine im Umlauf Gustav Hell: Pharmaceutisch-technisches Umbaumaßnahmen im Arzneikeller 1954 waren, hatten Apotheker bei Strafe deren Manuale. I. Pharmaceutischer Theil. Trop- (Grundrissplan im Privatbesitz der Apothe- Ausführung strikt abzulehnen. Eine einzi- pau 1898, S. 473; sowie Fred Winter: Hand- kerfamilie Ottmar-Hug, Photographie des ge Ausnahme hiervon war die Abgabe von buch der gesamten Parfumerie und Kosme- Verfassers). Arsenikalien als Rodentizid gegen Feld- tik. Wien 1932, S. 245 u. S. 558. Abb. 9: Blechtüre zur gemauerten Phosphorni- mäuse, wenn alle anderen Mittel versagten 34 Ernst Bames / Benno Bleyer / Johann Groß- sche im Arzneikeller (Photographie des und eine Plage drohte. Diesfalls hatte das feld (Hrsg.): Handbuch der Lebensmittel- Verfassers). zuständige Oberamt die Abgabe zu geneh- chemie. Bd. 9. Berlin 1942, S. 189. Ein Ver- Abb. 10: Handgezeichneter Grundriss zu den migen, die Anwendung durch Gemeinde- wendungsverbot von Quecksilberverbin- Umbaumaßnahmen im Erdgeschoss 1954 ratsmitglieder zu überwachen und die dungen im Sinne von Farbzusätzen zu Kos- (Grundrissplan im Privatbesitz der Apothe- Rückgabe nicht verbrauchter Arsenikalien metika trat als Reichsgesetz kerfamilie Ottmar-Hug, Photographie des an die abgebende Apotheke zu kontrollie- bemerkenswerterweise bereits am 17. Juli Verfassers). ren. Vgl. N. N.: Das Regierungs-Blatt für 1887 in Kraft. Vgl. hierzu Hans Irion: Dro- Abb. 11: Innenansicht der Offizin der Bracken- das Königreich Württemberg im Auszuge. gisten-Lexikon. Bd. 3. Berlin / Göttingen / heimer Apotheke nach der Renovierung im Jahrgang 1842. Stuttgart 1843, S. 155–157 Heidelberg, S. 385. Jahre 1954 (Photographie aus dem Privat- (Verfügung des Ministerium des Innern 35 Persönliche Mitteilung von Apotheker besitz der Apothekerfamilie Ottmar-Hug). vom 3. September 1842), N. N.: Regierungs- Klaus Ottmar und Ursula Ottmar. Abb. 12: Außenansicht der Stadt-Apotheke Bra- Blatt für das Königreich Württemberg vom 36 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 117f. ckenheim im Zustand bis zur Verlegung Jahr 1853. Stuttgart 1853, S. 299 (Verfü- 37 Grundbuchheft von Brackenheim, Nr. 608, 2016 (Photographie aus dem Privatbesitz gung des Ministerium des Innern vom 23. S. 1 u. S. 3, Anzeige über Aufgabe eines Ge- der Apothekerfamilie Ottmar-Hug). Juli 1853); sowie Viktor Adolf Riecke: Das werbebetriebs zum 31.12.1968, Bracken- Abb. 13: Zeitungsausschnitt mit einer Annonce Medizinalwesen des Königreichs Württem- heim 23.1.1969; sowie Anzeige über Beginn Wilhelm Lohrmanns für eigene Spezialitä- berg. Stuttgart 1856, S. 177f. eines Gewerbebetriebs zum 1.1.1969, Bra- ten aus einem Mitteilungsblatt des Bra- 26 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 111. ckenheim 23.1.1969 (Die beiden letzteren ckenheimer Buch- und Zeitungsverlags G. 27 Aßfahl [wie Anm. 3], S. 117. Dokumente wurden dem Verfasser als be- Knapp aus dem Jahre 1908 (bei Renovie- 28 Die Raumaufteilung nach dem Umbau ist glaubigte Durchschrift von Apotheker rungsmaßnahmen unter alter Tapete ent- eindrucksvoll in einem Grundrissplan, der Klaus Ottmar zwecks Auswertung zur Ver- deckt, Photographie des Verfassers). im Juni 1954 angefertigt wurde, für Keller, fügung gestellt). Erd- und Obergeschoss belegt. Das Doku- 38 Persönliche Mitteilung von Apothekerin ment befindet sich im Privatbesitz der Apo- Gabriele Hug. Anschrift: thekerfamilie Ottmar-Hug, Brackenheim. 39 Vgl. hierzu Aßfahl [wie Anm. 3], S. 117. Dr. Andreas Martin Mendel 29 Die Preussische Apothekenbetriebsord- Bussardring 4 nung [...]. Berlin 1905, S. 13 u. S. 44; sowie D-74226 Nordheim / Nordhausen sowie Otto Anselmino / Ernst Gilg (Hrsg.): Kom- Abbildungsverzeichnis Institut für Geschichte der Pharmazie mentar zum Deutschen Arzneibuch 6. Aus- Abb. 1: Kupferstich von Brackenheim aus: Mat- Roter Graben 10 gabe 1926 [...]. Bd. 2. Berlin 1928, S. 282. thäus Merian (Hrsg.): Topographia Sueviae D-35037 Marburg Die Kommentatoren bemerken zum weißen das ist Beschreib- vnd Aigentliche Abcon- [email protected] Phosphor: „Er ist so aufzubewahren, daß er trafeitung der fürnembsten Stätt vnd Plätz

74 | Geschichte der Pharmazie | 69. Jahrgang | November 2017 | Nr.4 https://dx.doi.org/10.24355/dbbs.084-201801121409 Geschichte der Pharmazie Mit einem Blick in die Geschichte die Gegenwart besser verstehen Internationaler pharmaziehistorischer Kongress in Warschau

Vom 12. bis 15. September fand in schichte der Japanischen Pharmako- Stuart Anderson (Großbritannien) un- Warschau der 43. Internationale pöe. Nach der Meiji-Restauration im tersuchte die Entstehung von Pharma- Kongress für Geschichte der Phar- Jahr 1868, nach der sich der Feudal- kopöen in England, Schottland und Ir- mazie statt, der neben einem breit staat Japan in einen modernen Staat land. Die Londoner Pharmakopöe er- gefächerten Vortragsprogramm wandelte, wurden in Japan zunehmend schien erstmals 1618 und besaß für auch zahlreiche weitere Gelegenhei- westliche Drogen importiert, deren ganz England Gültigkeit, nicht jedoch ten zum fachlichen Austausch bot. Qualität oft unzureichend war, sodass für Schottland und Irland. Hier wur- eine Pharmakopöe in Auftrag gegeben den 1699 bzw. 1794 in Edinburgh und Die Geschichte von Kräuterbüchern, wurde. Die erste Version der Japani- Dublin eigene Pharmakopöen publi- Antidotarien, Dispensatorien und Phar- schen Pharmakopöe (JP1) wurde 1886 ziert, insbesondere auch, um der eige- makopöen sowie von pharmazeuti- veröffentlicht und orientierte sich zu- nen nationalen Identität Ausdruck zu schen Organisationen bildeten die the- nächst am Dänischen und Amerikani- verleihen. matischen Schwerpunkte. Die Präsi- schen Arzneibuch. Von der JP1 bis zur Sabine Anagnostou (Marburg), die dentin des Kongresses Iwona Arabas aktuellen Ausgabe (JP17) war es ein Präsidentin der Deutschen Gesell- (Polen) begrüßte die mehr als 169 Teil- langer Weg der Harmonisierung von schaft für Geschichte der Pharmazie nehmer aus 27 Ländern in der Alten japanischen, europäischen und chine- (DGGP), beleuchtete die Geschichte ­Bibliothek der Universität Warschau. sischen Rezepturen mit international der Erforschung des asiatischen Arz- Auf die Grußworte folgte ihr Einfüh- anerkannten Standards. neischatzes im 17. und 18. Jh., die rungsvortrag, der sich mit der Entste- Gregory Higby (USA) ging auf die Ent- durch große Forschungsreisende und hung des Polnischen Arzneibuchs vor stehung der US-amerikanischen Phar- Naturkundler wie den polnischen Je- 200 Jahren sowie der Gründung der makopöe ein. Aufgrund der fehlerhaf- suiten Michal Piotr Boym (1612 – 1659) Pharmazeutischen Gesellschaft Polens ten bzw. wenig detaillierten Vorschrif- bestimmt wurde. Sie betonte dabei, vor nunmehr 70 Jahren befasste. An- ten fand das Werk jedoch zunächst dass eine kritische Analyse der tradi- schließend brillierte der Leiter der Kla- kaum Verwendung. Größere Bedeu- tionellen Verwendung von Arznei- vierklasse der Warschauer Hochschule tung hatte dagegen das Dispensatory pflanzen unter Berücksichtigung zeit- für Musik mit einem Chopin-Pro- of the United States. Apotheker und genössischer Konzepte nicht nur inter- gramm. Drogisten trafen sich schließlich 1851 kulturelle Parallelen und Einflüsse in New York, um bessere Standards zu aufzeigen kann, sondern auch große entwickeln. Im darauffolgenden Jahr Chancen bietet, bisher unbekannte Plenarvorträge wurde dann die American Pharmaceu- ­Indikationen von Arzneipflanzen zu Die Themenschwerpunkte wurden tical Association gegründet, der heute entdecken und so neue Arzneimittel auch in den Plenarvorträgen aufgegrif- mehr als 60.000 Mitglieder angehören. entwickeln zu können. fen. Christa Kletter (Österreich), die Präsidentin der Internationalen Gesell- schaft für Geschichte der Pharmazie (IGGP), untersuchte, welchen Einfluss pharmazeutische Gesellschaften in Ös- terreich Ende des 18. und im 19. Jh. auf die dortige Pharmazie hatten. So stellte sie unter anderem eine um 1790 in Linz gegründete Lesegesellschaft vor, die ihren Mitgliedern den Zugang zu Fachliteratur ermöglichte. Wenige Jah- re später entstanden solche Gesell- schaften auch in Wien und Prag.

Kiichiro Tsutani (Japan) gab einen Ein- Foto: Ariane Retzar blick in die 131 Jahre umfassende Ge- In der alten Bibliothek der Universität Warschau fand der Kongress statt.

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Kurzvorträge und biete von Myrrhe in Posterpräsentationen der mittelalterlich- arabischen Medizin Neben den Plenarvorträgen standen und zeigte Perspek- zudem 70 Kurzvorträge auf dem Pro- tiven für die mo- gramm. Die deutsche Pharmazie­ derne Phytothera- geschichte war auch hier sehr gut ver- pie auf. Kerstin treten. Christoph Friedrich (Marburg) Grothusheitkamp widmete sich der Entstehung homöo- (Marburg) stellte pathischer Arzneibücher in Deutsch- die traditionellen land und ging insbesondere auf das Anwendungsgebie- 1872 von Wilmar Schwabe (1839 – te des Abendländi- 1917) veröffentlichte Werk Pharmaco- schen Lebens- poea homoeopathica polyglottica ein. baums (Thuja Amalia-Sophia Sakkas (Marburg) un- occidentalis L.) ak-

tersuchte am Beispiel der Universität tuellen Studien ge- Foto: Wiktor Szukiel Erlangen Promotionen von Pharma- genüber und evalu- Ariane Retzar erhielt den Carmen Francés Prize. zeuten im 19. Jh. Diesem Thema wid- ierte dessen phar- mete sich auch Johannes Müller (Ber- makologisches Potenzial. Die Entwick- Lebenswege sudetendeutscher Apothe- lin), der über zwei Apotheker berichte- lung von Fachinformationen in der ker nach dem Zweiten Weltkrieg. te, die in Marburg versucht hatten, die DDR und in der Bundesrepublik skiz- Ariane Retzar ging näher auf ein von Doktorwürde zu erlangen, aber als Pla- zierte Ariane Retzar (Marburg). Ayman der DFG gefördertes Projekt zur Erar- giatoren überführt wurden. Jochen Atat (Braunschweig) stellte ein Drogen- beitung des 3. Ergänzungsbandes der Schröder (Marburg) schilderte die Ge- glossar des osmanischen Autors al „Deutschen Apotheker-Biographie“ ein, schichte der Interessengemeinschaft Shirwani (15. Jh.) vor. Michael Mönnich das derzeit am ­Institut für Geschichte heimatloser Apotheker. Markus Maxim (Tübingen) informierte über ein Pro- der Pharmazie der Philipps-Universität (Marburg) berichtete von seiner For- jekt, bei dem Studenten pharmazie- in Marburg unter der Leitung von schungsreise nach Tansania und der und chemiehistorische Beiträge er- Christoph ­Friedrich durchgeführt schwierigen Suche nach Quellen zur arbeiten, die dann in Wikipedia ver- wird. Die tra­ditionelle Anwendung von Arzneimitteltherapie in den ehemali- öffentlicht werden. Arzneipflanzen in Madagaskar analy- gen Niederlassungen der Bethel Missi- Eine Posterausstellung rundete das sierte Axel Helmstädter (Frankfurt on in Ostafrika. Maximilian Haars wissenschaftliche Programm ab. a. M.) ­anhand der Korrespondenz des (Marburg) analysierte die Arbeitsweise Stefanie Boman-Degen (Osnabrück) britischen ­Missionars Joseph John des byzantinischen Arztes Oreibasios und Thomas Rötz (Neumünster) stell- Freeman (1794 – 1851). von Pergamon in seinen pharmakologi- ten die beiden Pharmaziehistoriker schen Exzerpten aus Galens Schriften. Walther Zimmermann (1890 – 1945) Feierliche Akademiesitzung Mada Chahoud (Marburg) berichtete und Georg Edmund Dann (1898 – 1979) über gynäkologische Anwendungsge- vor. Jochen Schröder untersuchte die An der Spitze der Internationalen Aka- demie für Geschichte der Pharmazie vollzog sich ebenfalls ein Wechsel. Der Neuer IGGP-Vorstand gewählt bisherige Präsident Stuart Anderson übergab sein Amt an Bruno Bonne- In Warschau wurde der neue Vorstand der Internationalen Gesellschaft für main. Zudem wurden elf neue Mitglie- Geschichte der Pharmazie (IGGP) ge- der in die Akademie aufgenommen. wählt. Die bisherige Präsidentin, die Ariane Retzar erhielt für ihre Disser- Wiener Professorin Christa Kletter, tation über die Erfassung und Bewer- übergab ihr Amt an den Frankfurter tung von unerwünschten Arzneimit- Professor für Pharmaziegeschichte Axel Helmstädter. Zu den weiteren Mitglie- telwirkungen in der DDR den Carmen dern gehören: Die Vizepräsidenten Bru- Francés Prize. Sabine Anagnostou no Bonnemain (Frankreich), Halil Teki- überreichte die Schelenz-Plakette an ner (Türkei) sowie Vilma Gudiene (Li- Antonio Gonzales Bueno (Spanien). tauen), Generalsekretärin Dusanka François Ledermann (Schweiz) wurde Krajnovic (Serbien), die Beisitzer Grego- mit der Georg Urdang Medaille ausge- ry Higby und Szablocs Dobson (Ungarn). Das Amt des Schatzmeisters übernimmt Axel Helmstädter ist neuer zeichnet. | Axel Schneider (Deutschland). Präsident der IGGP. Ariane Retzar, Kerstin Grothusheitkamp und

Foto: Wiktor Szukiel Maximilian Haars, Marburg

76 | Geschichte der Pharmazie | 69. Jahrgang | November 2017 | Nr.4 https://dx.doi.org/10.24355/dbbs.084-201801121409 Geschichte der Pharmazie

Einladung zur Mitgliederversammlung der DGGP e. V. Hiermit lade ich zur ordentlichen Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie e. V. ein. Ort: Inselhalle Lindau, Saal Europa, Zwanzigerstraße 10, 88131 Lindau Zeit: 6. April 2018, 16:00 Uhr Tagesordnung 1. Begrüßung der Teilnehmer und Feststellung der ordnungsgemäßen Einladung 2. Genehmigung der Tagesordnung 3. Genehmigung des Protokolls der Mitgliederversammlung in Meissen 2016 4. Bericht der Präsidentin 5. Bericht der Schriftführerin 6. Bericht des Schatzmeisters 7. Berichte der Regionalgruppenleiter 8. Berichte der Kassenprüfer 9. Entlastungen des Schatzmeisters, des engeren und erweiterten Vorstands 10. Anträge 11. Verschiedenes Teilnahme- und stimmberechtigt sind alle Mitglieder der DGGP e. V. Anträge zur Tagesordnung sind bis zum o. a. Termin bei der Präsidentin schriftlich einzureichen. Prof. Dr. Sabine Anagnostou Präsidentin der DGGP e. V.

pondenzadresse: Lindenstr. 11, D-57548 Bei Einzelbezug jährlich Euro 49,– (zzgl. Geschichte der Pharmazie Kirchen/Sieg), unter Mitarbeit von Prof. Dr. 13,80 Euro Versandkosten Inland). Christoph Friedrich, Marburg, und Prof. Dr. Einzelheft Euro 16,– (versandkostenfrei). Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Frank Leimkugel, Mülheim. Alle Preise inkl. MwSt. Geschichte der Pharmazie e.V. Jede Verwertung der „Geschichte der Phar- „Geschichte der Pharmazie“ bis 1989 Redaktionelle Bearbeitung: mazie“ außerhalb der Grenzen des Urhe- „Beiträge zur Geschichte der Pharmazie“, Kathrin Pfister, Heidelberg berrecht-Gesetzes ist unzulässig und straf- erscheint vierteljährlich als regelmäßige bar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Beilage der „Deutschen Apotheker Zeitung“. Redaktionsbeirat: Nachdruck, Mikroverfilmung oder ver- Prof. Dr. Sabine Anagnostou, Marburg; gleichbare Verfahren sowie für die Speiche- Verantwortlich für den Inhalt: Dr. P. H. Graepel, Gladenbach; Prof. Dr. rung in Datenverarbeitungsanlagen. Prof. Dr. W.-D. Müller-Jahncke, Hermann- P. Dilg, Regensburg; Dr. L. Leibrock-Plehn, Schelenz-Institut für Pharmazie- und Kul- ­Brackenheim; Dr. F. Vongehr, Marburg; © 2017 Deutscher Apotheker Verlag, turgeschichte in Heidelberg e.V., Zwinger- Prof. Dr. U. Meyer, Berlin; Prof. Dr. Michael Stuttgart. straße 14 – 16, 69117 Heidelberg (Korres- Mönnich, Karlsruhe. Printed in . ISSN 0939-334X

Nr.4 | November 2017 | 69. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 77 https://dx.doi.org/10.24355/dbbs.084-201801121409 Mit dem Apotheker Kalender 2018 durch das Jahr

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Die vorliegende Studie widmet sich der bislang in der Pharma- ziehistoriographie kaum beachteten Kolonialpharmazie und möchte zugleich einen Beitrag zur Erforschung traditioneller afrikanischer Arzneipflanzen als potentielle Quellen neuer Wirkstoffe leisten. Den Forschungsschwerpunkt bilden dabei die Untersuchungen von Arzneidrogen und Giften aus den ehemaligen deutschen Kolonien West- und Südwestafrikas. Nach einer kurzen Einfüh- rung in die allgemeine deutsche Kolonialgeschichte und die Organisation der pharmazeutischen Kolonialforschung, unter- sucht der Verfasser zunächst die Beschaffungswege für die Kolonialdrogen, bevor er anhand einiger ausgewählter Beispiele die an indigenen Medizinalpflanzen, Arzneidrogen und Giften vorgenommenen chemisch-pharmakologischen und pharmako- gnostischen Untersuchungen skizziert und deren Rezeption im deutschen Arzneischatz sowie ihren Einfluss auf die Entwicklung der Pharmazie und benachbarter Wissenschaften analysiert.

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