Plenarprotokoll 17/22

Deutscher

Stenografischer Bericht

22. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Dr. , Bundesminister neten ...... 1893 A AA ...... 1895 A Wahl der Abgeordneten Klaus Brähmig als Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... 1897 C ordentliches Mitglied und des Abgeordneten Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 1900 B Dr. h. c. als stellvertreten- des Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Jan van Aken (DIE LINKE) ...... 1901 D Flucht, Vertreibung, Versöhnung ...... 1893 B Hellmut Königshaus (FDP) ...... 1902 D Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Dr. (BÜNDNIS 90/ nung ...... 1893 B DIE GRÜNEN) ...... 1904 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 1894 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 1905 D Begrüßung der neuen Abgeordneten Yvonne Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Ploetz ...... 1894 C DIE GRÜNEN) ...... 1907 A (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 1907 D Tagesordnungspunkt 3: Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 1908 D Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen: Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung: Das Tagesordnungspunkt 4: deutsche Afghanistan-Engagement nach der Antrag der Abgeordneten Dr. , Londoner Konferenz ...... 1894 C Dr. Barbara Höll, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: in Verbindung mit Die Banken sollen für die Krise zahlen (Drucksache 17/471) ...... 1909 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 1909 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Leo Dautzenberg (CDU/CSU) ...... 1911 B Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Michael Schlecht (DIE LINKE) ...... 1912 B Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an dem Einsatz der Internationalen Dr. (SPD) ...... 1913 B Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- Frank Schäffler (FDP) ...... 1915 A nistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Dr. (BÜNDNIS 90/ Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) DIE GRÜNEN) ...... 1916 B und folgender Resolutionen, zuletzt Resolu- Dr. h. c. (CDU/CSU) . . . . . 1917 C tion 1890 (2009) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 17/654) ...... 1894 D DIE GRÜNEN) ...... 1918 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Manfred Zöllmer (SPD) ...... 1919 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Björn Sänger (FDP) ...... 1920 D a) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ durch die Bundesregierung: Grünbuch DIE GRÜNEN) ...... 1921 B Erlangung verwertbarer Beweise in Straf- (CDU/CSU) ...... 1922 A sachen aus einem anderen Mitgliedstaat (Drucksachen 17/504 Nr. A 15, 17/660) . 1925 C Michael Schlecht (DIE LINKE) ...... 1922 C b) Antrag der Bundesregierung: Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu Tagesordnungspunkt 8: einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung a) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton (Drucksache 17/600) ...... 1925 D Hofreiter, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umstellung der Finanzierung von Neu- Zusatztagesordnungspunkt 3: und Ausbauprojekten in Bundesschie- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen nenwege SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ret- (Drucksache 17/543) ...... 1923 D tungsschirm für die Kommunen vor dem b) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hintergrund von Haushaltslage und schwarz- Hofreiter, Winfried Hermann, , gelben Steuersenkungsplänen ...... 1926 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... 1926 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eisenbahn- sicherheit verbessern (CDU/CSU) ...... 1927 B (Drucksache 17/544) ...... 1923 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 1928 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Dr. (FDP) ...... 1930 A a) Antrag der Abgeordneten , Katrin Kunert (DIE LINKE) ...... 1931 D Sören Bartol, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Ge- Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 1933 B währleistung der Sicherheit im Schie- Bernd Scheelen (SPD) ...... 1934 B nenverkehr muss Priorität haben (Drucksache 17/655) ...... 1924 A Dr. Birgit Reinemund (FDP) ...... 1935 D b) Antrag der Abgeordneten , Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abge- DIE GRÜNEN) ...... 1937 A ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Peter Götz (CDU/CSU) ...... 1938 D DIE GRÜNEN: Beschlagnahmung von Generika in Europa stoppen – Versor- (Essen) (SPD) ...... 1940 A gung von Entwicklungsländern mit Ge- nerika sichern Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF ...... (Drucksache 17/448) ...... 1924 A 1941 B Michael Groschek (SPD) ...... 1943 A

Tagesordnungspunkt 9: Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 1944 A a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- Tagesordnungspunkt 7: gie zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Siebenundachtzigste Verordnung a) Antrag der Abgeordneten zur Änderung der Außenwirtschafts- (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, verordnung weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksachen 17/42, 17/85 Nr. 2.1, 17/489) 1924 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Partei- spenden begrenzen b) – l) (Drucksache 17/547) ...... 1945 C Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 20, 21, 22, b) Antrag der Abgeordneten , 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29 und 30 zu Peti- , Dr. Gesine Lötzsch, weiterer tionen Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: (Drucksachen 17/553, 17/554, 17/555, Parteispenden von Unternehmen und 17/556, 17/557, 17/558, 17/559, 17/560, Wirtschaftsverbänden verbieten 17/561, 17/562, 17/563) ...... 1924 C (Drucksache 17/651) ...... 1945 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 III

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 1953 D DIE GRÜNEN) ...... 1945 D (CDU/CSU) ...... 1946 D Nächste Sitzung ...... 1955 D (SPD) ...... 1948 C Anlage 1 Dr. (FDP) ...... 1949 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1957 A Joachim Poß (SPD) ...... 1951 A

Halina Wawzyniak (DIE LINKE) ...... 1952 A Anlage 2 (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 1953 A Amtliche Mitteilungen ...... 1957 C

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1893

(A) (C) Redetext

22. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : tance Force, ISAF) unter Führung der NATO Die Sitzung ist eröffnet. auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich 1890 (2009) des Sicherheitsrats der Vereinten begrüße Sie alle herzlich. Nationen Ganz besonders herzlich begrüße ich den Kollegen – Drucksache 17/654 – Leo Dautzenberg, der vor wenigen Tagen seinen 60. Geburtstag gefeiert hat und dem ich im Namen des Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) ganzen Hauses herzlich gratulieren und alle guten Wün- Innenausschuss sche übermitteln möchte. Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss (Beifall) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (B) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (D) Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, ist noch Entwicklung eine Wahl zum Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Ver- Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO treibung, Versöhnung durchzuführen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, den Kollegen Klaus Brähmig ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen als Nachfolger des ehemaligen Abgeordneten Jochen- SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konrad Fromme als ordentliches Mitglied zu wählen. Rettungsschirm für die Kommunen vor dem Die SPD-Fraktion schlägt vor, den Kollegen Hintergrund von Haushaltslage und schwarz- Dr. Wolfgang Thierse als Nachfolger des früheren Ab- gelben Steuersenkungsplänen geordneten als stellvertretendes Mitglied zu wählen. Sind Sie damit jeweils einverstanden? – Das ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Kollegen Bräh- fahren mig und Thierse als Mitglied bzw. als stellvertretendes (Ergänzung zu TOP 8) Mitglied in diesen Stiftungsrat gewählt. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weite- dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD geführten Punkte zu erweitern: Gewährleistung der Sicherheit im Schienen- ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE verkehr muss Priorität haben LINKE – Drucksache 17/655 – Was folgt aus dem Urteil des Bundesver- fassungsgerichts zu den Regelsätzen bei Überweisungsvorschlag: Hartz IV? Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss (siehe 21. Sitzung) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und ZP 2 Beratung des Antrags der Bundesregierung Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Ausschuss für Tourismus scher Streitkräfte an dem Einsatz der Inter- nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Afghanistan (International Security Assis- Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Ab- 1894 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Rückschiebungen nach Griechenland sofort (C) GRÜNEN aussetzen Beschlagnahmung von Generika in Europa – Drucksache 17/449 – stoppen – Versorgung von Entwicklungslän- überwiesen: dern mit Generika sichern Innenausschuss (f) Rechtsausschuss – Drucksache 17/448 – Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Darf ich auch dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ausschuss für Gesundheit Schließlich darf ich Sie davon unterrichten, dass der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Kollege auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag mit Wirkung vom 1. Februar die- ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- ses Jahres verzichtet hat sprache (Ergänzung zu TOP 9) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der LINKEN, an die FDP gewandt: Pfui!) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu und dass an seiner Stelle Frau die Mit- der Unterrichtung der Bundesregierung gliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat, die ich mit allen guten Wünschen für die Zusammenarbeit Grünbuch hier im Hause herzlich begrüße. Erlangung verwertbarer Beweise in Straf- sachen aus einem anderen Mitgliedstaat (Beifall) – Drucksachen 17/504 Nr. A 15, 17/660 – Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 2 auf: Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- 3 Abgabe einer Regierungserklärung durch den Schwenningen) Bundesminister des Auswärtigen Dr. Eva Högl Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwor- Jörg van Essen tung: Das deutsche Afghanistan-Engagement (B) Wolfgang Nešković nach der Londoner Konferenz (D) ZP 2 Beratung des Antrags der Bundesregierung b) Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bun- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in desregierung Afghanistan (International Security Assis- – Drucksache 17/600 – tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution weit erforderlich, abgewichen werden. 1890 (2009) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Außerdem mache ich auf zwei nachträgliche Aus- schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste – Drucksache 17/654 – aufmerksam: Überweisungsvorschlag: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Auswärtiger Ausschuss (f) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- Innenausschuss Rechtsausschuss zung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Än- Verteidigungsausschuss derung steuerlicher Vorschriften Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und – Drucksache 17/506 – Entwicklung überwiesen: Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Ausschuss für Arbeit und Soziales Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Dann ist das so beschlossen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido (Bremen), weiterer Abgeordne- Westerwelle. ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1895

(A) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- nistan gearbeitet. Das ist keine Kritik an denen, die vor (C) wärtigen: uns Verantwortung für das deutsche Engagement getra- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- gen haben. Es ist die notwendige Konsequenz aus den ren! Kolleginnen und Kollegen! Die verheerenden An- Lehren der letzten Jahre. schläge des 11. September im Jahre 2001 waren nicht al- Die Londoner Konferenz ist ein Neuanfang. Fast lein ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von 70 Staaten haben in London gemeinsam mit der Regie- Amerika; sie waren ein Angriff auf die Grundlagen und rung von Präsident Karzai einen Strategiewechsel be- die freiheitlichen Werte der Völkergemeinschaft. Die in- schlossen. ternationale Gemeinschaft hat mit beispielloser Ge- schlossenheit auf diese Herausforderung reagiert. Auch (Zuruf von der LINKEN) Deutschland folgte dem Aufruf des Sicherheitsrates der Der besondere Erfolg von London liegt in der gegensei- Vereinten Nationen, der die Situation in Afghanistan als tigen Verpflichtung Afghanistans auf der einen und der Bedrohung für den Weltfrieden einstufte. Heute beteili- internationalen Gemeinschaft auf der anderen Seite. Für gen sich mehr als 40 Nationen unter dem Mandat der London hat die afghanische Regierung erstmals ganz Vereinten Nationen am Einsatz in Afghanistan. konkret und überprüfbar dargelegt, wie sie ihre Ziele Wie die internationale Gemeinschaft hat auch – bessere Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit, Kor- Deutschland in der Frage, ob wir dort, in Afghanistan, ruptionsbekämpfung und Reduzierung des Drogenan- Verantwortung übernehmen, Geschlossenheit bewiesen. baus – erreichen will. Im Gegenzug hat sich die interna- Es war die Regierung von Gerhard Schröder und Joseph tionale Gemeinschaft verpflichtet, ihre Anstrengungen Fischer, die die Bundeswehr erstmals nach Afghanistan zu erhöhen, damit die Afghanen ihre selbstgesteckten entsandte. Die Regierung von und Frank- Ziele auch in einem überschaubaren Zeitraum erreichen Walter Steinmeier hat diesen Einsatz fortgeführt. Heute können. Dazu werden wir den Wiederaufbau Afghanis- bitte ich Sie für die amtierende Bundesregierung um Ihre tans verstärken, die Wirtschaft beleben und die innere Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung der Bun- Aussöhnung voranbringen. Wir waren uns in London au- deswehr an dem NATO-geführten Einsatz in Afgha- ßerdem einig, dass wir den Aufbau selbsttragender Si- nistan. Dieser Einsatz im Rahmen von ISAF dient vor cherheitsstrukturen rascher vorantreiben müssen, um uns allem dem Ziel, unsere eigene Sicherheit zu schützen. eine realistische Abzugsperspektive zu erarbeiten. Afghanistan darf nie wieder Rückzugsort des Terrors Damit gilt auch international, was wir uns für unser werden. Wir sind aber auch dort, um unserer mitmensch- deutsches Engagement vorgenommen haben: Wir wollen lichen Verpflichtung nachzukommen. Millionen Frauen die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung. Ein und Männer setzen ihre Hoffnungen in uns. einfaches Weiter-so ist keine Alternative. Ein einfaches (B) (D) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Weggehen und Wegsehen ist es auch nicht. In den acht Jahren unseres Engagements in Afghanis- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tan haben wir einiges erreicht. Wir haben dazu beigetra- Meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an, gen, dass die Menschen in Afghanistan Zugang zu Ärz- die Beschlüsse von London in die Tat umzusetzen. Den ten und Krankenhäusern haben wie seit Jahrzehnten deutschen Beitrag hierfür hat die Bundeskanzlerin vor nicht mehr. Wir haben dazu beigetragen, dass neue zwei Wochen vor diesem Hohen Haus vorgestellt. Schulen gebaut worden sind. Heute können in Afghanis- Afghanistan braucht die innere Aussöhnung. Das ist zu- tan 7 Millionen Kinder regelmäßig unterrichtet werden, nächst Aufgabe der Afghanen selbst. Die internationale fünfmal mehr als zu Zeiten der Schreckensherrschaft der Gemeinschaft unterstützt sie mit einem Reintegrations- Taliban. fonds. Deutschland hat während der Konferenz in Aus- Mit Wassertanks, Saatgut und Bewässerungsprojek- sicht gestellt, in diesen Fonds jährlich bis zu ten haben wir dazu beigetragen, dass über 250 000 Haus- 10 Millionen Euro einzuzahlen. halte in Nordafghanistan die Chance haben, in der Land- Es geht darum, diejenigen anzusprechen, deren Ge- wirtschaft eine Lebensperspektive zu finden. Nicht folgschaft die Macht der Taliban und der Terroristen erst zuletzt haben die Soldatinnen und Soldaten der Bundes- ausmacht. Wir wollen die Mitläufer von dem harten ter- wehr einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Lan- roristischen und fundamentalistischen Kern trennen. des geleistet. Das sieht auch die übergroße Mehrheit der Diese Mitläufer sind junge Männer ohne Perspektive, afghanischen Bevölkerung so. die meist weder lesen noch schreiben können, die für ein Meine Damen und Herren, eine ehrliche Bestandsauf- paar Dollar bereit sind, zur Waffe zu greifen. Diesen nahme ergibt aber eine gemischte Bilanz unserer bisheri- Menschen wollen wir friedliche Alternativen des Broter- gen Anstrengungen. Im letzten Jahr hat sich die Sicher- werbs in ihren Dörfern eröffnen. Das Programm ist also heitslage erneut verschlechtert. Afghanistan versorgt im Kern ein Ausbildungs- und Beschäftigungspaket. noch immer rund 90 Prozent des Weltmarktes mit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Opium. Längst nicht alles in Afghanistan ist heute so, der CDU/CSU) wie wir es uns vor acht Jahren erhofft hatten. Deshalb hat Frank-Walter Steinmeier recht, wenn er sagt, ein ein- Bei der Umsetzung dieses Programms und der Ver- faches Weiter-so werde nicht reichen, um Afghanistan wendung der entsprechenden Gelder werden die afgha- dauerhaft zu stabilisieren. Diese Bundesregierung hat nische Regierung und die internationale Staatengemein- deshalb von Beginn an für einen Neuanfang in Afgha- schaft eng zusammenwirken. Noch in diesem Frühjahr 1896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) wird eine Konferenz in Kabul über das weitere Vorgehen afghanischen Sicherheitskräfte legen. Dies erreichen wir (C) beschließen. vor allem durch eine Umschichtung im bestehenden Kontingent. Obwohl wir bereits heute 4 500 Soldatinnen Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen für und Soldaten in Afghanistan haben, sind nur 280 mit der den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau im Norden Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte betraut. Jetzt verstärken und hat sich dafür konkrete, nachprüfbare stocken wir das Mandat lediglich um 500 weitere Solda- Ziele gesetzt: ten auf, vergrößern aber die Ausbildungs- und Schutz- Wir werden die Programme zur ländlichen Entwick- komponente auf 1 400 Männer und Frauen. lung ausweiten, damit bis 2013 3 Millionen Afghanin- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nen und Afghanen Arbeit und Einkommen haben. Ergänzend beantragt die Bundesregierung, eine fle- Wir werden unsere Anstrengungen für die Gesund- xible Reserve von 350 weiteren Soldaten zu schaffen. heitsversorgung erheblich ausweiten. In allen vier Pro- Damit wollen wir sicherstellen, auch in Sondersituatio- vinzen, die im deutschen Verantwortungsbereich liegen, nen angemessen reagieren zu können. Schon jetzt ist ab- werden wir Krankenhäuser aufbauen und besser ausstat- sehbar, dass während der Wahlen im September für eine ten. vorübergehende Zeit mehr Kräfte Sicherungsaufgaben Wir werden die Verkehrsinfrastruktur verbessern und übernehmen müssen. Auf diese Fälle wollen wir vorbe- so die Basis für wirtschaftliches Wachstum und mehr Si- reitet sein. Das gebietet auch unsere Verantwortung ge- cherheit legen. Zusätzliche 700 Kilometer ganzjährig genüber den Frauen und Männern in Uniform. Einsätze nutzbare Straßen sollen ländliche Gebiete erschließen dieser Reserve werden stets zeitlich befristet sein und und sie mit den Städten und Märkten ihrer Distrikte ver- erst nach Befassung des Auswärtigen Ausschusses und binden. des Verteidigungsausschusses erfolgen. Wir werden mehr Lehrerinnen und Lehrer ausbilden Diese Neumandatierung ist ein Teil des in London und Schulen bauen, damit weitere 500 000 Kinder unter- beschlossenen breiten politischen Ansatzes für eine richtet werden. Mittlerweile sind ein Drittel der Schul- Übergabe der Verantwortung. Ich danke ausdrücklich kinder Mädchen. Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg für die ver- trauensvolle Zusammenarbeit bei der Neufassung des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mandates. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Insgesamt will die Bundesregierung die zivilen Mittel für Afghanistan verdoppeln. Ausdrücklich danke ich Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und (B) Bundesminister Niebel, der sich für den zivilen Aufbau Kollegen, wer die Übergabe der Verantwortung in den (D) besonders engagiert. kommenden Jahren schaffen will, der muss heute seine Anstrengungen verstärken. Wir tun heute mehr, um uns (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten eine klare Abzugsperspektive zu erarbeiten: Anfang der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der nächsten Jahres wollen wir in Abstimmung mit der af- LINKEN) ghanischen Regierung und unseren internationalen Part- Selbsttragende Sicherheitsstrukturen sind die nern damit beginnen, regional die Sicherheitsverantwor- Voraussetzung für eine Abzugsperspektive für unsere tung an die Afghanen zu übergeben. Ende des Jahres Soldatinnen und Soldaten. Darum tun wir in Zukunft 2011 wollen wir so weit sein, unser eigenes Bundes- deutlich mehr für die Ausbildung afghanischer Sicher- wehrkontingent reduzieren zu können. Im Jahr 2014 heitskräfte. wollen wir Präsident Karzais Zielmarke erreichen, dass die Afghanen die Verantwortung für ihre Sicherheit im Zwischen Afghanen und internationaler Gemein- ganzen Land selbst übernehmen. schaft ist eine Zielgröße von 300 000 afghanischen Sicherheitskräften vereinbart. Dies ist nötig, damit Präsi- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) dent Karzai sein Ziel erreichen kann, bis zum Jahr 2014 Das ist eine realistische Perspektive, auf die wir hinar- die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan beiten wollen und werden. Aber es ist kein konkretes vollständig zu übernehmen. Abzugsdatum. Ein solches zu nennen, wäre eine Ermuti- Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, in den kom- gung der Terroristen, also ein Fehler. menden Jahren jährlich rund 5 000 afghanische Polizis- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ten aus- und fortzubilden. Dafür wollen wir die Zahl un- serer Polizeitrainer auf insgesamt 260 erhöhen. Ich bin Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört auch, zuversichtlich, dass wir in Abstimmung mit den Bundes- die Realitäten in Afghanistan so zu benennen, wie sie ländern unser Ziel erreichen, diesen Aufwuchs schon bis sind. Mitte des Jahres abzuschließen. Ausdrücklich danke ich (Zuruf von der LINKEN: Jetzt wird es Bundesminister de Maizière und den Bundesländern für spannend!) diesen wichtigen Beitrag. Die Bundesregierung hat sehr sorgfältig die Frage ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) prüft, wie die Lage im Norden Afghanistans zu bewerten Deutschland wird den Schwerpunkt seines militäri- ist. Die Intensität der mit Waffengewalt ausgetragenen schen Engagements noch stärker auf die Ausbildung der Auseinandersetzung mit Aufständischen und deren mili- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1897

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) tärischer Organisation führt uns zu der Bewertung, die Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) Einsatzsituation von ISAF auch im Norden Afghanistans Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem als bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völ- Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Frak- kerrechts zu qualifizieren. Ob uns das politisch gefällt tion. oder nicht, so ist die Lage. Ob wir es so nennen oder nicht, so ist die Lage. Die Lage beim Namen zu nennen, (Beifall bei der SPD) sind wir all denen schuldig, die sich vor Ort den Gefah- ren aussetzen. Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herren! Auslandseinsätze der Bundeswehr waren hier Diese rechtliche Qualifizierung der objektiven Ein- im Parlament nie ein Selbstläufer, erst recht nicht der in satzsituation von ISAF hat Konsequenzen für die Hand- Afghanistan und erst recht nicht nach den Einsätzen am lungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung Kunduz-Fluss. Wir müssen verstehen, begreifen und und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in ernst nehmen, dass sich die öffentliche Diskussion in strafrechtlicher Hinsicht. Sie hat keine Auswirkungen Deutschland zugespitzt hat, dass die Fragen kritischer auf das Mandat, für das wir um Zustimmung bitten. Sie werden – „Wie soll es in Afghanistan weitergehen?“ – hat auch keine Auswirkungen auf den Einsatz unserer und dass sich die Politik ihrer Verantwortung nicht ent- Polizisten. Unsere Polizisten wurden und werden aus- ziehen darf und stattdessen diese Fragen beantworten schließlich im Norden Afghanistans und ausschließlich muss. zu Ausbildungszwecken eingesetzt. Für ihren Einsatz ist Wenn wir junge Menschen in einen schwierigen Ein- entscheidend, dass wir ihn angesichts der tatsächlichen satz wie den in Afghanistan schicken, dann müssen wir Sicherheitslage verantworten können. Fürsorge hat uns für solche Entscheidungen auch vor der deutschen höchste Priorität. Unsere Polizisten arbeiten nur dort, wo Öffentlichkeit rechtfertigen. Deshalb sage ich: Was wir die Bundeswehr für Sicherheit eintritt. Darauf haben wir in den letzten acht Jahren in Afghanistan geschafft ha- uns auch mit den Ländern einvernehmlich verständigt. ben, ist viel, aber es ist nicht genug. Das Hauptziel mag Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und erreicht sein – Herr Westerwelle, da haben Sie recht –: Kollegen, die Bundesregierung hat vor der Londoner Afghanistan ist heute, jedenfalls nach meiner Bewer- Konferenz ein umfassendes Konzept für Afghanistan tung, kein sicherer Hafen mehr für internationalen Terro- vorgelegt. Die Kernelemente unseres Konzepts finden rismus. Auch beim politischen und erst recht beim wirt- sich in den Ergebnissen von London wieder. Wenn Sie schaftlichen Wiederaufbau des Landes sind wir durchaus unvoreingenommen prüfen, was wir in London erreicht vorangekommen. (B) haben, werden Sie vieles wiedererkennen, was auf Anre- Die Erfolge, die es zu verzeichnen gilt – Sie haben sie (D) gungen und kritische Fragen aus diesem Hohen Haus zu- zum Teil genannt –, sind aber alles andere als gesichert. rückgeht. Die enge Einbindung des Parlamentes ist mir Ganz im Gegenteil: Wenn die internationale Staatenge- sehr wichtig. Die Ergebnisse der Konferenz sind nicht meinschaft sofort und kopflos aus Afghanistan herausge- nur ein Erfolg der Teilnehmerstaaten, sie sind gewiss hen würde, dann würde dieses schwierige Land – da bin nicht nur ein Erfolg der Bundesregierung; es handelt sich ich mir wie viele in diesem Hohen Hause sicher – in kur- um einen Erfolg für alle, die in diesem Hause zur Neu- zer Zeit wieder im Bürgerkrieg versinken. Käme es so, ausrichtung unseres Engagements beigetragen haben, dann würden wir hier nicht über das Ansehen von inter- aus allen Fraktionen. Es ist also auch Ihr Erfolg. Ich bitte nationalen Organisationen der Staatengemeinschaft, Sie daher, dass Sie der Versuchung widerstehen, das seien es UNO, NATO oder andere, reden. Es geht hier Notwendige und Richtige zu unterlassen. Das wäre der nicht um Gesichtswahrung – mir jedenfalls ging es nie Größe unserer Aufgabe und auch der Ernsthaftigkeit un- darum –, sondern um die Menschen in Afghanistan. Ein seres Engagements nicht angemessen. sofortiger und kopfloser Abzug, wie ihn manche fordern, Lassen Sie mich zum Abschluss den mutigen Män- wäre eine Katastrophe für diese Menschen. Auch das nern und Frauen danken, die in Afghanistan sich auch muss uns klar sein. von hohen Risiken nicht schrecken lassen und mit gro- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ßem Einsatz tätig sind. Den zivilen Aufbauhelfern, den und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Polizisten aus Bund und Ländern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und den tapfe- Ich weiß, dass viele in Deutschland am Sinn dieses ren Frauen und Männern der Bundeswehr gebührt unser Einsatzes zweifeln. aller Respekt. (Zurufe von der LINKEN: Die Mehrheit!) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Ich habe erfahren, dass dieser Einsatz noch schwieriger SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ist, als wir ihn uns 2001 vorgestellt haben. Aber gerade SES 90/DIE GRÜNEN) deshalb bin ich der Meinung, dass wir es uns nicht zu Ihnen und ihren Familien möchte ich von Herzen dan- einfach machen dürfen. ken. Sie verdienen das Vertrauen der Bundesregierung Wir haben mit der Entscheidung 2001 und den Folge- und des ganzen Bundestages. Ich bitte Sie daher um Zu- entscheidungen Verantwortung für uns selbst und vor al- stimmung zum Antrag der Bundesregierung. len Dingen für Afghanistan übernommen. Wir haben Er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wartungen geschaffen, und wir haben auch Fehler 1898 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) gemacht. Zu den Fehlern gehört nach meiner Meinung, (Beifall bei der SPD) (C) dass wir mit Blick auf den politischen Wiederaufbau in Lassen Sie mich einige unserer Forderungen nennen: Afghanistan die Ziele am Anfang vielleicht zu hoch ge- steckt haben. Sie kennen meinen Satz, dass wir nicht da- Erstens. Wir haben die Regierung aufgefordert, die mit rechnen können, dass sich Afghanistan nach dem Anstrengung beim zivilen Aufbau erheblich zu verstär- Muster einer Westminister-Demokratie entwickeln wird. ken. Wir haben eine Verdoppelung der Mittel für den zi- vilen Wiederaufbau gefordert. Die Bundesregierung hat Zu den Fehlern, die gemacht wurden, gehört aus mei- sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht. Das ist gut. ner Sicht auch, dass wir uns am Anfang vielleicht nicht genügend auf Afghanistan konzentriert haben. Das gilt Zweitens. Wir haben verlangt, die Ausbildung und die jedenfalls für einige, insbesondere für diejenigen, die Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte zu inten- alle Kräfte und ihre ganze Konzentration viel zu lange sivieren. Auch hier hat sich die Bundesregierung – wenn auf den Irak und die Suche nach politischen Lösungen ich das richtig gelesen habe – in die richtige Richtung im Irak konzentriert und Afghanistan immer nur als ein bewegt. Schon in der Großen Koalition haben wir uns Sicherheitsproblem behandelt haben, das man mögli- darauf verständigt, insbesondere die Zahl der Polizeiaus- cherweise mit Waffengewalt bekämpfen kann. Das war bilder zu erhöhen. Herr de Maizière, Sie haben unsere eine Unterschätzung der Probleme in Afghanistan und volle Unterstützung, wenn Sie das in die richtige Rich- hat andere Verbündete, die mit einer anderen Philoso- tung entwickeln und zügig umsetzen. phie an die Lösung dieser Probleme herangegangen sind, Wir begrüßen auch die Erhöhung der Zahl der Ausbil- überfordert. Ja, es hat falsche Prioritäten gegeben. Es hat der für die afghanische Armee. Es ist richtig, dafür das viel zu lange gedauert, bis wir andere davon überzeugt Kontingent der Bundeswehr in der gegebenen Größen- haben, dass wir dem zivilen Wiederaufbau und dem ordnung entsprechend umzustrukturieren. Mir ist bei der Schutz der Zivilbevölkerung in Afghanistan oberste Lektüre des Mandates aufgefallen, dass nicht mehr die Priorität einräumen müssen. Rede davon ist, das Kontingent um 2 500 Soldaten auf- Aus dieser Bilanz – zu der auch die Erfolge gehören, zustocken, wie noch vor Weihnachten öffentlich disku- über die Herr Westerwelle eben berichtet hat – müssen tiert worden ist. In der Begründung des Mandats ist auch wir die richtigen Konsequenzen ziehen. Die richtigen kein Plädoyer für zusätzliche Kampftruppen enthalten. Konsequenzen ziehen, das heißt aus meiner Sicht, dass Aber Herr Westerwelle, ich warne vor Tricks. Wenn dies kein Einsatz für die Ewigkeit sein kann. Wir sind Sie versuchen, die im Mandat angemeldete Reserve für mittlerweile acht Jahre dort. Wir müssen auf der letzten eine dauerhafte Erhöhung des Kontingents zu nutzen, Wegstrecke – ich würde sagen: im letzten Drittel unseres dann gefährden Sie selbst die Zustimmung zum vorlie- (B) Einsatzes – versuchen, den Erfolg nachhaltig zu sichern. genden Mandat. Sie haben in der Unterrichtung gesagt (D) Das heißt, realistische Ziele setzen, mehr Engagement – auch die Bundeskanzlerin hat das ausgeführt –: Die beim zivilen Aufbau und vor allen Dingen mehr Tempo. Reserve brauchen wir für vorübergehenden Bedarf, zum Außerdem brauchen wir aus meiner Sicht – wir reden Beispiel zum Kontingentwechsel, für zeitlich befristete, heute nicht nur über dieses Mandat – eine klare Perspek- zusätzliche Einsätze. Zu diesen Einsätzen soll es – ich tive für die Beendigung unseres Einsatzes dort, jeden- betone das – nur nach Befassung des Verteidigungsaus- falls des militärischen Teils. Das ist die Aufgabe der schusses und des Auswärtigen Ausschusses kommen. Stunde. Es ist nicht nur die Aufgabe der Regierung, son- Das Thema Reserve ist noch nicht durch. Unterschätzen dern auch des Parlaments, dafür zu sorgen, dass das Sie das nicht. Sie haben in den Ausschüssen noch viel funktioniert. Überzeugungsarbeit zu leisten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir Sozialdemokraten haben diesen Einsatz in Regie- Sie haben dort zu dokumentieren, dass Sie es mit dem, rungsverantwortung beschlossen. Wir haben ihn mit un- was ich eben referiert habe, ernst meinen. terschiedlichen Koalitionspartnern mitgetragen. Wir ha- An dieser Stelle passt ein Satz zu Ihren Ausführungen ben ihn über Jahre hinweg gestaltet, und wir stehen zu in der Regierungserklärung, was die Qualifizierung dieser Verantwortung. Weil wir dazu stehen, haben wir unseres Einsatzes in Afghanistan angeht. Das steht uns in die öffentliche Debatte eingemischt, auch aus der nicht im Mandat, sondern war nur Teil Ihrer Regierungs- Opposition heraus. Wir haben mit der Bevölkerung dis- erklärung. Ich glaube, wir müssen uns gegenseitig nicht kutiert, wir haben öffentliche Debatten geführt, wir ha- darüber belehren, wie die Lage in Afghanistan ist. Die ben Konferenzen veranstaltet, und wir haben uns mit unterschätzt hier im Hause niemand. Wir sind aber auch Vorschlägen nicht zurückgehalten. Wenn ich das richtig der Meinung, dass wir nicht durch Eigenbewertungen bilanziere, dann hat sich die Bundesregierung lange zu- zur Eskalation der Lage in Afghanistan beitragen sollten. rückgehalten. Wenn ich richtig informiert bin, hat sie bis Ob die Lage in Afghanistan ein nichtinternationaler be- zwei Tage vor der Londoner Konferenz nichts geliefert. waffneter Konflikt ist, das ist in der Tat – das bestreitet Das war fahrlässig. hier im Hause überhaupt niemand; ich jedenfalls nicht – eine Frage von großem rechtlichen Gewicht. Aber es Die Bundesregierung hat – das zeigt das vorliegende liegt eben nicht in der Hand der Bundesregierung, einen Mandat – auf Vorarbeiten auch aus unserer Feder zu- solchen Konflikt festzustellen. rückgegriffen, indem sie Elemente unserer Vorschläge aufgegriffen hat. Das ist gut und richtig. ( [SPD]: Jawohl!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1899

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Herr Westerwelle, wenn ich Ausführungen, die aus Staatengemeinschaft, und er orientiert sich an den selbst- (C) dem Hause Ihres Kollegen zu Guttenberg stammen, gesetzten Zielen der afghanischen Führung. Sie selbst zitieren darf: Er hat auf die Frage des Kollegen Arnold haben diese Ziele für Afghanistan gerade noch einmal geantwortet: bestätigt. Ob in Nordafghanistan ein nichtinternationaler be- Deshalb sage ich Ihnen: Das ist keineswegs willkür- waffneter Konflikt anzunehmen ist, steht nicht in lich, sondern wir haben dieses Zeitfenster für den der Entscheidungskompetenz der Bundesregierung. Abzug, diesen Korridor gewählt, weil wir das in vieler- lei Hinsicht für sinnvoll und richtig halten. Wir setzen Ich nehme an, das ist nach wie vor die Auffassung der uns selbst, aber vor allen Dingen die afghanische Füh- Bundesregierung. Ich nehme an, dass Sie sich bei dieser rung unter Druck. Wir verhindern, dass unter den Frage nicht schon wieder korrigieren wollen. NATO-Partnern, unter den in Afghanistan engagierten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Staaten, ein Wettlauf um frühestmögliche Zeitpunkte für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Abzug einsetzt. Wir leisten auch einen Beitrag dazu – unterschätzen Sie das nicht –, dass die Akzeptanz für Zurück zum Mandat. Das dritte unverzichtbare Ele- den Einsatz nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen ment ist aus meiner Sicht: Wir müssen jetzt beginnen, europäischen Nachbarstaaten erhalten bleibt. nach und nach Teile der Nordregion in afghanische Hände zu übergeben. Teile des Nordens sind nach wie Wir alle waren auf der Münchner Sicherheitskonfe- vor ruhig und stabil. Dort können und müssen aus mei- renz. Ich habe dort mit vielen meiner ehemaligen, Ihren ner Sicht die Afghanen jetzt selbst für Sicherheit sorgen. heutigen Kollegen, Herr Westerwelle, gesprochen. Wenn Ich selbst habe schon vor einem halben Jahr – das wis- ich nicht ganz falsch liege, dann gibt es in vielen euro- sen Sie – im Zehn-Punkte-Papier dafür plädiert, solche päischen Staaten durchaus einen dankbaren Blick darauf, Regionen in afghanische Hände zu übergeben. Es hat ein dass wir in Deutschland die Abzugsperspektive 2014/ bisschen gedauert, aber es ist gut, dass diese Position 2015 in die öffentliche Diskussion gebracht haben. Denn jetzt auch im Papier der Bundesregierung eingenommen diese wird jetzt nach und nach auch in den anderen Mit- wird. gliedstaaten in Europa übernommen. Wir brauchen viertens – jetzt kommen wir zu den we- (Beifall bei der SPD) sentlichen Dingen – eine klare Perspektive für den Be- Wir haben registriert, dass Sie die Abzugsperspektive ginn des Rückzugs aus Afghanistan. 2014 in den Blick genommen haben, allerdings nur in (Beifall bei der SPD) der Formulierung: Wir wollen die afghanische Regie- rung bei der Erreichung dieses Ziels unterstützen. Kon- (B) Präsident Obama – Sie wissen das – will seine Truppen (D) kreter wollten Sie nicht werden. Aber wenn ich jetzt ein- ab 2011 reduzieren. Die SPD will den Rückzug der Bun- mal die anfängliche – entweder echte oder gespielte – deswehr ebenfalls 2011 beginnen lassen. Ich habe fest- Empörung darüber, dass wir einen Abzugskorridor über- gestellt, dass die Bundesregierung diesen Vorschlag in haupt in die Diskussion gebracht haben, mit den jetzigen ihr Konzept, in den Mandatsentwurf übernommen hat. Erklärungen vergleiche, dann bin ich mir sicher, dass Sie Das ist gut. Wir werden Sie beim Wort nehmen. Der sich auch in diesem Punkte nach und nach unseren Posi- nächste Mandatsentwurf der Bundesregierung wird die tionen annähern werden. Übergabe der Verantwortung in den Teilregionen ebenso wie die ersten Schritte eines beginnenden Rückzugs ab Präsident Obama hat Afghanistan endlich den richti- 2011 definieren und beschreiben müssen. Das wird in gen Stellenwert eingeräumt. Die afghanische Regierung dem nächsten Mandat konkret enthalten sein müssen. hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Offenbar spürt man auch in Afghanistan, dass man nicht bis zum Sankt-Nim- Wir gehen in der SPD einen Schritt weiter. Wir sind merleins-Tag auf die Anwesenheit ausländischer Streit- fünftens der Meinung: Wenn die internationale Staaten- kräfte angewiesen sein kann. Ich bin mir sicher: Auch in gemeinschaft erstens, wie gerade in London geschehen, den anderen NATO-Staaten wird die Entschlossenheit einen verbindlichen Zeitplan und Obergrenzen für Ar- wachsen, jetzt den Perspektivenwechsel zu schaffen und mee und Polizei festschreibt und die für die Ausbildung die Vorbereitung für eine Beendigung unseres militäri- notwendigen Kräfte bereitgestellt werden, wenn zwei- schen Einsatzes in Afghanistan zu treffen, natürlich tens die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in nicht ohne Verantwortung und natürlich nicht mit dem afghanische Hände tatsächlich beginnt und wenn drittens Risiko, dass dort alles wieder zusammenbricht. Herr Karzai es sich selbst zum Ziel setzt, innerhalb der nächsten fünf Jahre die Sicherheitsverantwortung in die Ich bin der Meinung: Wir müssen dieses Momentum eigene Hand zu nehmen, dann ist es in der Tat Zeit, nicht für Afghanistan, für die Menschen dort, aber auch mit nur über den Beginn des Rückzugs zu reden, sondern Blick auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Solda- auch das Ende unseres Einsatzes in Afghanistan in den ten in Afghanistan nutzen. Sie haben nicht nur unseren Blick zu nehmen. Dank verdient, sondern auch unsere ganze Unterstüt- zung. Das will auch ich gerne für die SPD-Fraktion sa- Sie wissen, aus Sicht der SPD sollte das in dem Zeit- gen. raum zwischen 2013 und 2015 stattfinden. Entgegen manchen Behauptungen, Herr Westerwelle, ist das natür- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich kein willkürlich gewählter Zeitraum. Dieser Zeit- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- raum orientiert sich an den Zielen der internationalen SES 90/DIE GRÜNEN) 1900 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Es geht auch um die Verhinderung eines Flächenbran- (C) Herr Kollege Steinmeier. des von Radikalismus und Terrorismus in einer explosi- ven Region. Deswegen sind unsere Soldaten, unsere Ent- Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): wicklungsexperten und unsere Polizisten in Afghanistan. Ich habe nur noch einen Satz, Herr Präsident. Gerade Deswegen benötigen sie den Rückhalt des Parlaments, mit Blick auf die eben angesprochenen Soldaten lautet der Politik und der Bürgerinnen und Bürger in Deutsch- dieser letzte Satz: Vertrauen Sie darauf, wir sehen das land, derentwegen sie sich in Gefahr begeben. Sie brau- sehr richtig: Nicht die Soldaten haben die Glaubwürdig- chen auch die Rückendeckung der deutschen Justiz. Das, keit dieses Einsatzes in den letzten Monaten beschädigt, was Sie, Herr Außenminister, dazu gesagt haben, ist ex- sondern, wenn überhaupt, dann waren es ein Hin und trem hilfreich. Her bei der Bewertung einzelner Einsatzfragen, ins- Deutschland hat seit 2001 an führender Stelle Verant- besondere des Einsatzes am Kunduz-Fluss, und die wortung übernommen. In Afghanistan ist tatsächlich ungeklärten Hintergründe um die Entlassung von Füh- vieles besser geworden. Präsident Karzai hatte recht, als rungspersonen im Verteidigungsministerium. Das hat er auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat, Glaubwürdigkeit bei dem Einsatz gekostet, nicht das dass Afghanistan heute ein völlig anderes Gesicht hat als Tun der Soldaten selbst. 2001. Damals gab es außer Armut und Chaos nichts (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr. Es gab keinen Staat. Es gab keine Schulen, schon des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gar nicht für Mädchen. Es gab keine Gesundheitsversor- gung, fast keine Infrastruktur und natürlich auch keine Vertrauen Sie darauf: Die SPD-Fraktion wird den An- freie Meinungsäußerung. trag, den Sie vorgelegt haben, gründlich und verantwor- tungsvoll prüfen und anschließend bewerten. Heute gibt es in Afghanistan demokratisch gewählte Institutionen und eine gute demokratische Verfassung. Herzlichen Dank. Heute gehen dort 12 Millionen Kinder zur Schule. Es (Beifall bei der SPD) gibt 15 000 Studenten. 80 Prozent der Bevölkerung ha- ben Zugang zu medizinischer Basisversorgung. Es wurden 14 000 Kilometer Straße gebaut. Das Pro-Kopf- Präsident Dr. Norbert Lammert: Einkommen hat sich verdreifacht. Es gibt immerhin Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck 80 Radio- und Fernsehstationen, viele davon privat. Wir für die CDU/CSU-Fraktion. können sagen, dass Deutschland und der deutsche Steu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- erzahler daran maßgeblich mitgewirkt haben. (B) neten der FDP) Der Bundeswehr ist es gelungen, auch durch einen (D) behutsamen und freundschaftlichen Umgang mit der Be- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): völkerung, den Norden zu einer relativ stabilen Region Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und zu machen. Für diese Erfolge haben auch deutsche Sol- Herren! Das deutsche Engagement in Afghanistan be- daten und Entwicklungshelfer ihr Leben verloren. Sie deutet eine tiefe Zäsur in der deutschen Außen-, Sicher- haben es verdient, dass wir diese Erfolge nicht gering- heits- und Entwicklungspolitik. Der Einsatz bedeutet ein schätzen. völliges Umdenken unseres außenpolitischen Handelns. Keiner von uns verschließt jedoch die Augen vor den Er ist gefährlich und teuer. Er ist unpopulär und daher Fehlern dieses internationalen Einsatzes, auch nicht anfällig für Populisten. Aber er ist ohne verantwortbare vor den eigenen Fehlern und den daraus resultierenden Alternative. Gefahren, vor den kriegsähnlichen Zuständen in man- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- chen Landesteilen, vor den zivilen Opfern und der damit neten der FDP) einhergehenden Vergiftung der Atmosphäre, vor der ge- wachsenen Korruption, vor der mangelnden Koordina- Wir engagieren uns in Afghanistan natürlich auch, um tion der Aufbauhilfe und der militärischen Strategien der die Menschen dort vor einem Rückfall in Bürgerkrieg, Verbündeten, vor der eigenen Halbherzigkeit oder der Schreckensherrschaft oder eine beispiellose Diskrimi- Naivität, mit der wir vielfach die gewaltigen kulturellen nierung der Frauen zu bewahren. Aber wir sind – nach Unterschiede und widersprüchlichen Interessen überse- dem 11. September 2001, nach den Anschlägen von hen haben. London, Madrid und Bali und mit einem ausdrücklichen UN-Mandat – auch in Afghanistan engagiert, um Leib Die Afghanistan-Konferenz in London hat die Wei- und Leben unserer eigenen Bürger zu schützen. Wie chen für eine notwendige Neuorientierung des interna- groß die Gefahr des Terrorismus auch bei uns im eige- tionalen Engagements gestellt. Herr Steinmeier, dabei nen Land ist, zeigt der aktuelle Prozess gegen die Sauer- spielen fast immer die Punkte, die die Union und auch land-Gruppe. Es geht konkret darum, auch bei uns, in der ganze Bundestag international wiederholt angemahnt unseren Hauptbahnhöfen Massaker mit sterbenden Men- haben, eine Rolle: die massive Verstärkung des zivilen schen, mit sterbenden Frauen und Kindern zu verhin- Aufbauengagements, vor allem mit Blick auf die ländli- dern. Wir haben uns den Einsatzort Afghanistan nicht che Bevölkerung und die Jugend, die bessere Koordina- ausgesucht; aber wir müssen auch dort, wo die Bedro- tion und Schwerpunktsetzung und die Stärkung der hung entsteht, agieren, um unsere Bürger hier zu schüt- Eigenverantwortung der Afghanen durch einen gemein- zen. samen Koordinierungsrat und auf Grundlage einer natio- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1901

Dr. Christian Ruck (A) nalen afghanischen Entwicklungsstrategie, das Drängen wie die Eröffnung ökonomischer Perspektiven für die (C) nach stärkerer Bekämpfung der Korruption mit unabhän- einfache Bevölkerung zu lange versäumt worden. gigen Antikorruptionsbehörden, mit mehr Transparenz in Finanzfragen und mit einer besseren Kontrolle der Dies ist eine Lehre, die wir als Deutsche und Euro- Mittelvergabe durch die Geberländer und schließlich die päer aus unseren Bemühungen um Afghanistan und bei massive Verbesserung und Verstärkung der Ausbildung der Bekämpfung des Terrorismus ziehen müssen: Wir der afghanischen Sicherheitskräfte. müssen uns, auch wenn es schmerzlich ist, rechtzeitiger und entschlossener mit dem Ansatz der vernetzten Si- Meine Damen und Herren, der langfristige Erfolg in cherheit um die international immer zahlreicher werden- Afghanistan hängt entscheidend vom Erfolg des den weißen Flecken von Anarchie, Rechtlosigkeit und Konzepts der vernetzten Sicherheit ab. Im Prinzip ist Staatszerfall kümmern. Wir müssen das nationale und dieser Gedanke im Rahmen des Einsatzes auf dem Bal- das internationale Instrumentarium für eine raschere, vor kan, auch im Kosovo, entstanden, wo wir übrigens mit allem zivile Vorsorge gegen Staatszerfall schärfen. Dies 25-mal mehr Aufwand pro Kopf der Bevölkerung schon ist vital im deutschen Interesse. zehn Jahre lang engagiert sind. Wir Deutsche haben uns nach dem Krieg einen guten In Afghanistan ist die vernetzte Sicherheit überle- Ruf als ehrlicher Makler erworben. Diese Stellung soll- benswichtig für alle. Wir haben gesehen: Wo rund um ten wir stärker nützen. Wir haben auch in Afghanistan die Uhr ausreichend Sicherheitskräfte vorhanden sind trotz aller Schwierigkeiten einen guten Ruf. Diesen gu- und alternative Produkte angebaut werden, kommen der ten Ruf wollen wir behalten. Wir sind als Freunde ge- Drogenanbau und mit ihm all die staatszersetzenden kommen. Wir müssen so lange engagiert bleiben, bis wir Auswirkungen zum Erliegen. auch als Freunde wieder gehen können. Das ist es, was mit Übergabe in Verantwortung gemeint ist. (Zuruf von der LINKEN: Das glauben Sie doch selber nicht!) Wir stimmen der Verlängerung des Mandates zu. Eine Reintegration der Teilzeit-Taliban kann nur ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lingen, wenn es für die im Prinzip Friedenswilligen ein Mindestmaß an ökonomischen Perspektiven gibt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Umgekehrt ist es eine Illusion, zu glauben, dass die Jan van Aken ist der nächste Redner für die Fraktion Bereitschaft zur Abgabe von Waffen und zur Reintegra- Die Linke. tion wächst, wenn wir in unseren militärischen und poli- (Beifall bei der LINKEN) zeilichen Anstrengungen nachlassen. Herr Steinmeier, (B) ich bin nicht Ihrer Meinung, dass man ein konkretes Ab- (D) zugsdatum verbindlich hier öffentlich nennen soll. Ich Jan van Aken (DIE LINKE): halte es da mit Außenminister Westerwelle: dass wir den Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war Zeitpunkt, zu dem wir abgezogen sein werden, in der Öf- letzte Woche in Afghanistan. Ich muss sagen, diese fentlichkeit niemals sagen dürfen, ja gar nicht sagen Reise hat mich erschüttert. Wir haben mit afghanischen können. Politikern und Wissenschaftlern geredet, mit deutschen Aufbauhelfern, mit vielen Soldaten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben auch Opfer und Hinterbliebene von Opfern Vernetzte Sicherheit ist nicht gegeben, wenn des Bombenangriffs von Kunduz getroffen. Eine Frau, 85 Prozent der mühsam ausgebildeten Polizisten Analpha- die mehrere Angehörige verloren hatte, hat etwas gesagt, beten sind. Vernetzte Sicherheit haben wir auch nicht, was mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht: Wären wenn Entwicklungshelfer mancher Organisationen Kon- wir nicht arm, hätten wir kein Benzin gebraucht. – Weil takt mit Bundeswehrsoldaten oder anderen Sicherheits- sie so arm sind, sind ihre Kinder und Enkelkinder losge- kräften ablehnen. Ein Gegeneinander ist das Gegenteil zogen, um Benzin zu holen. Das erklärt vielleicht, was von vernetzter Sicherheit. Oder wie es Präsident Karzai sich viele von uns gefragt haben: Warum waren nachts ausgedrückt hat: Alle Organisationen der Entwicklungs- um 2 Uhr auf einer Sandbank mitten im Kunduz-Fluss hilfe sollen die afghanische Regierung unterstützen und so viele Zivilisten, die dann getötet worden sind? nicht gegen sie arbeiten. – Ich glaube, das kann man ver- 26 Schüler mussten sterben, der jüngste von ihnen war langen. Es gibt noch viel zu tun bei der vernetzten Si- gerade einmal zehn Jahre alt. cherheit, auch im eigenen Land. Ich bin aber zuversicht- lich, dass wir in der neuen, christlich-liberalen Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung Regierung auch hier weiter vorankommen. Dies ist das den Hinterbliebenen Soforthilfe – Essen, Decken, Heiz- Gebot der Stunde. material – gegeben hat. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir hier im Bundestag – über alle Par- Die Konferenz in London hat einen wichtigen Gedan- teigrenzen hinweg, jenseits der Frage, wer zum Krieg ken von uns aufgegriffen, nämlich die Berücksichtigung wie steht – der Opfer von Kunduz gedenken könnten. der regionalen Interdependenz, in der sich die Afgha- nistan-Mission befindet. Es geht vor allem um die Rolle (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Pakistans und um die komplizierte Beziehung Afghanis- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – tans zu seinen Nachbarn China und Indien. Auch in Pa- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir ge- kistan sind politische und rechtsstaatliche Reformen so- denken auch der Fahrer der Tankwagen!) 1902 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Jan van Aken (A) Eine Botschaft, die uns die Hinterbliebenen mit auf den Wir kommen damit zur entscheidenden Frage. Sie ha- (C) Weg gegeben haben, lautet, dass es ihnen sehr viel be- ben hier eben gesagt: Die zusätzlichen 850 Soldaten deuten würde, wenn es hier in Deutschland eine Gedenk- seien Teil einer Aufbau- und Schutztruppe. Das hört veranstaltung geben würde. sich harmlos an, ist aber eine infame Täuschung. Sie wollen Kampftruppen in Form von 850 Soldaten dorthin In Afghanistan habe ich gemerkt, dass die Diskussion dort eine völlig andere ist als hier im Raumschiff Berlin. schicken. Ein Beispiel ist die Frage der Versöhnung und der (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wiedereingliederung. Sie, Herr Westerwelle, reden ausschließlich über die Frage der Wiedereingliederung Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese „Schutz- der Taliban. Das ist im Prinzip richtig. Aber wo bleibt truppen“ aussehen: Das sind bis an die Zähne bewaffnete die Versöhnung? Wo bleiben die Verhandlungen? In Soldaten. Das ist überhaupt kein Vorwurf an die Solda- Afghanistan ist es genau umgekehrt: Dort redet man aus- ten; denn sie werden natürlich beschossen und müssen schließlich über die laufenden Verhandlungen mit den kämpfen, wenn sie nach draußen gehen. Aber das sind Taliban; das ist auch gut so. Herr Westerwelle, wenn Sie keine Schutztruppen. diesen Krieg beenden wollen – ich glaube, Sie wollen Herr Westerwelle, hören Sie endlich auf, die Öffent- ihn beenden –, dann tun Sie alles, was in Ihrer Macht lichkeit in Deutschland über den Krieg in Afghanistan zu steht, um diese Verhandlungen zu unterstützen, damit es täuschen. Solange Sie uns hier täuschen, wird es weder endlich zu einem Frieden in Afghanistan kommt. in Afghanistan noch hier in Deutschland Frieden geben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ein zweites Beispiel, wo Ihr Wunschdenken und die Ich sage den Abgeordneten der SPD ganz bewusst: Las- Realität in Afghanistan völlig auseinandergehen, ist der sen Sie sich von der Rhetorik des Herrn Westerwelle zivile Wiederaufbau. Sie haben im Prinzip zwei Optio- nicht täuschen. Stimmen Sie keinem Mandat zu, mit dem nen. Die eine Option ist der reine zivile Wiederaufbau, 850 zusätzliche Soldaten in den Krieg geschickt werden. die klassische Entwicklungshilfe. Ich habe in Kabul mit einem deutschen Entwicklungshelfer gesprochen. Er hat (Beifall bei der LINKEN) eine interessante Geschichte erzählt. Dieser Meinung ist im Übrigen auch der stellvertre- Vor einigen Jahren ist er gebeten worden, in einer tende Vizepräsident des afghanischen Parlamentes, schwer umkämpften Provinz im Süden Afghanistans ein Amanullah Paiman. Er hat uns die Botschaft mit auf den Aufbauprojekt durchzuführen. Von allen Seiten ist er ge- Weg gegeben: Wir wollen Frieden, und mehr Soldaten warnt worden, dort hinzugehen, sie würden sonst „sofort helfen dabei nicht. Je mehr Soldaten, desto mehr Pro- (B) vom Acker geschossen“. Der Aufbauhelfer ist den müh- bleme. Ich stimme Herrn Paiman zu. Deshalb wird die (D) samen Weg gegangen. Er hat sich mit afghanischen Ex- Linke heute Ihrem Antrag nicht zustimmen. perten auf den Weg gemacht und analysiert: Wer schießt in dieser Provinz auf wen? Wer hat in dieser Provinz, im (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer Distrikt, im Dorf das Sagen? Mit diesem Wissen konnten [Göttingen] [CDU/CSU]: Das hätte uns auch sie mit den richtigen Leuten reden und mit ihnen das sehr gewundert!) Projekt anfangen. Weil alle Seiten dabei waren und die Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland Bedürfnisse von allen Seiten berücksichtigt worden sind, keine Waffen mehr exportieren sollte. Wir wollen Frie- ist am Ende niemand vom Acker geschossen worden. den überall in der Welt. Mehr Waffen helfen dabei nicht, Eine Bedingung für diesen Erfolg war auch, dass kein mehr Soldaten auch nicht. Militär mit auf den Acker gegangen ist. Das ist der zivile Aufbau. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das andere Modell ist Ihre zivil-militärische Zusam- Präsident Dr. Norbert Lammert: menarbeit. Ich konnte in Kunduz mit eigenen Augen se- hen, wie sie funktioniert. Da fährt eine Panzerkolonne Der Kollege Hellmut Königshaus ist der nächste Red- mit mehreren Dutzend schwer bewaffneten Soldaten los, ner für die FDP-Fraktion. um einen oder zwei Aufbauhelfer ins nächste Dorf zu (Beifall bei der FDP) bringen. Sie fahren in die Provinz, werden beschossen, und dann gibt es Feuergefechte. Wenn die Taliban geflo- Hellmut Königshaus (FDP): hen sind, dann kann man vielleicht mit den Dorfältesten sprechen. So befrieden Sie doch keinen einzigen Dis- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich trikt. So schaffen Sie keinen Frieden in der Fläche. möchte zunächst dem Bundesaußenminister sehr herz- lich dafür danken, (Beifall bei der LINKEN) (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Hören Sie endlich auf, den zivilen Aufbau mit den mili- dass er die Situation in Afghanistan ohne Illusion und tärischen Einsätzen zu verknüpfen. Gehen Sie endlich ohne Beschönigung klar beschrieben und die rechtlichen den intelligenten und mutigen Weg des rein zivilen Auf- baus. Lassen Sie das Militär außen vor! Konsequenzen, die sich daraus ergeben, klargestellt hat. Nebenbei bemerkt, Herr Steinmeier, Sie brauchen keine (Beifall bei der LINKEN) Sorge zu haben, dass es eine unterschiedliche Position Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1903

Hellmut Königshaus (A) gibt. Herr Dr. Westerwelle hat für die gesamte Bundes- den Aufbau erschweren. Das wird jetzt anders, und das (C) regierung gesprochen. ist auch gut so. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Das war früher vielleicht anders; aber heute ist das so, Man muss es leider immer wieder ins Gedächtnis ru- wie man weiß. fen: Wir sind in Afghanistan militärisch engagiert, um den Aufbau zu sichern, und nicht umgekehrt. Das gilt Ich bin froh, dass die Soldaten nun eine wesentlich insbesondere für den Schutz der Bevölkerung. größere Klarheit haben. Natürlich weiß man nie, was Gerichte, Staatsanwaltschaften usw. daraus machen. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Sie haben nicht Aber was die Bundesregierung tun kann, ist, eine eigene zugehört!) Bewertung abzugeben. Das hat sie getan; dafür gebührt – Ich habe sehr gut zugehört. – Dieser Aufbau dient der ihr Dank. Stabilisierung der Region. Dies liegt in unserem eigenen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Interesse. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Ergebnisse der Konferenz in London markieren der CDU/CSU) einen Paradigmenwechsel in der Afghanistan-Politik, ei- Der Koalitionsvertrag von FDP und CDU/CSU hat nen Paradigmenwechsel, der nicht nur unsere nationale vorgezeichnet, was nun endlich umgesetzt werden kann. Politik betrifft, sondern auch die unserer Partner. Denn Wir werden die Mittel für den Aufbau glatt verdoppeln, noch deutlicher, als das bisher der Fall war, steht nun der Herr van Aken, und die Projekte besser am Bedarf der Aufbau im Mittelpunkt des Engagements. Viel klarer, als Menschen dort orientieren, damit die Armut behoben das bisher der Fall war, orientiert er sich dabei auch an wird. Wir werden mehr in die Infrastruktur investieren; den traditionellen Wertvorstellungen und gewachsenen der Außenminister hat die Details genannt. Wir werden Strukturen der Afghanen selbst. ein funktionierendes Bankwesen in der Fläche aufbauen Das war bisher nicht so. Deshalb ist die FDP-Fraktion und Mikrokredite ermöglichen – und das auch auf dem der Bundesregierung wirklich sehr dankbar, dass sie auf Land und nicht nur in den Städten. Wir werden natürlich diese Neuausrichtung geduldig, aber auch mit der not- die Projekte zur Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit wendigen Überzeugungskraft hingewirkt hat. Denn es und zur Sicherung von Frauenrechten fortführen. war ja ein doppelter Kraftakt, nicht nur in der deutschen (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Politik die notwendigen Weichenstellungen vorzuneh- (B) (D) men, sondern zugleich die Afghanen selbst und unsere Wir werden aber eben noch mehr auch in die Grund- und Partner darin einzubinden. Der Bundesaußenminister hat Berufsausbildung investieren und die künftigen Schul- diese Neuausrichtung hier überzeugend dargestellt. Wir projekte noch mehr in die lokalen und regionalen Struk- können jetzt mit Genugtuung feststellen, dass es endlich turen einbinden, wie das übrigens Rupert Neudeck mit eine nicht nur formal abgestimmte, sondern auch inhalt- seinen Grünhelmen vorbildlich vorgemacht hat. lich von allen beteiligten Ressorts getragene Afghanis- Der zivile Aufbau ist übrigens auch der Schlüssel für tan-Politik gibt. die nachhaltige Beendigung der Drogenwirtschaft, (Beifall bei der FDP) durch die der Terror in Afghanistan mitfinanziert wird, die ländliche Entwicklung blockiert wird und deren Das war bisher nicht die Regel, im Gegenteil. Die Ergeb- grausame Folgen auch wir hier bei uns in Deutschland nisse waren dann in vielen Teilen entsprechend. spüren. Also: Wir sehen in dem Afghanistan-Konzept Ich teile aber – das will ich hier sagen – nicht die Auf- der Bundesregierung eine klare Perspektive; es ist ein fassung, nichts sei in Afghanistan gut geworden. Wer überzeugendes Konzept. sich die Mühe macht, sich dort einmal umzusehen, sieht Eines werden wir in diesem Zusammenhang aller- sehr wohl Fortschritte. Es sind nicht genug; das ist dings sicherlich nicht tun können, Herr Steinmeier: Wir wahr. Sie sind leider nicht so groß, wie sie sein könnten. können keine festen Termine nennen. Wir können na- Gerade in den ruhigen Anfangsjahren, als die Afghanen türlich Ziele beschreiben und eine bestimmte Vorstel- voller Dank für die wiedergewonnenen Freiheiten waren lung davon entwickeln, wann wir sie erreicht haben wol- und den Deutschen größte Sympathien entgegengebracht len. Wenn wir sie dann aber noch nicht erreicht haben, haben, hat die damalige Bundesregierung den Aufbau können wir nicht sagen: Jetzt ist aber der Termin des Ab- vernachlässigt. Bis vor kurzem haben wir einen großen zugs erreicht. Vielmehr müssen wir das von den tatsäch- Teil des Aufwandes nur für die militärische Sicherung lichen Ereignissen abhängig machen. ausgegeben und nicht für den Aufbau selbst. Die Men- schen dort haben deshalb keine wirklich spürbaren Fort- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schritte und kaum Verbesserungen ihrer eigenen wirt- der CDU/CSU) schaftlichen Situation gemerkt. Das hat die ursprünglich Wir tun alles dafür, dass wir das so schnell wie möglich freundliche Grundstimmung gegenüber den Deutschen erreichen. eingetrübt und den rückwärts gewandten Kräften Zulauf verschafft. So konnten die Feinde des Aufbaus auch im Es ist klar: Wir knüpfen unser Engagement auch an deutschen Verantwortungsbereich wieder Fuß fassen und Bedingungen – gerade auch gegenüber den afghani- 1904 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Hellmut Königshaus (A) schen Partnern. Auch sie müssen ihre Schularbeiten geht man hier fehl, wenn man frühere Vorgänge betrach- (C) machen, und Herr Karzai muss all seine Zusagen hin- tet und historische Parallelen zieht. sichtlich Good Governance, der Menschenrechte, der Meine Damen und Herren, wir werden dort also ein Bekämpfung der Korruption usw. endlich auch tatsäch- überzeugendes Konzept umsetzen. Wir werden das Man- lich umsetzen. Auch das werden wir überprüfen. Herr dat, das hier dafür erbeten wurde, auch erteilen. Ich bin Steinmeier, völlig zu Recht fordern Sie ein, dass wir uns sehr zuversichtlich, dass wir in Zukunft die Fortschritte vor dem nächsten Mandat auch darüber Rechenschaft erreichen werden, die wir uns alle wünschen. ablegen. Vielen Dank. Natürlich ist es aber auch erforderlich – das ist der Grund, warum wir hier noch einmal auch über ein Mili- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tärmandat entscheiden müssen –, diese Aufbauanstren- der CDU/CSU) gungen vor jenen zu schützen, die diesen Fortschritt stö- ren oder sogar zerstören wollen. Hier hilft eben kein Präsident Dr. Norbert Lammert: Beten und auch kein Lamentieren, Herr van Aken. Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frithjof (Jan van Aken [DIE LINKE]: Da helfen Intel- Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ligenz und Mut!) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deshalb bin ich bei aller grundsätzlichen Sympathie NEN): schon froh darüber, dass nicht Frau Käßmann und auch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht Sie, sondern diese Bundesregierung und unsere Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben viel Mühe da- Minister Westerwelle und Niebel die Afghanistan-Poli- rauf verwandt, die Strategie der Regierung für Afghanis- tik gestalten. tan vorzustellen. Sie haben mich nicht überzeugt. Lassen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie mich aber erst herausstellen, wo wir übereinstim- der CDU/CSU – Dr. [DIE men. LINKE]: Immer tiefer rein in das militärische Sie handeln richtig, wenn Sie die zivilen Anstrengun- Abenteuer!) gen verstärken. Es ist gut, dass die Mittel für die Ent- wicklungszusammenarbeit massiv erhöht werden sol- Die wissen nämlich, dass Sicherheit zwar keine hinrei- len. Diese Erhöhung kommt spät. Lassen Sie uns hoffen, chende, aber ganz gewiss eine notwendige Bedingung dass sie nicht zu spät kommt. für nachhaltige Entwicklung ist. (B) Jetzt müssen Ihren Ankündigungen auch Taten fol- (D) Auch hier zeigt die Bundesregierung Augenmaß. Wir gen. Wir erwarten, dass diese Mittel neu in den vorlie- können mit Genugtuung feststellen, dass den überzoge- genden Haushaltsentwurf eingestellt werden. Das ist der nen Erwartungen mancher Partner mit großer Überzeu- Lackmustest für die Wahrhaftigkeit Ihrer Erklärungen. gungskraft entgegengewirkt werden konnte. Das, Herr Bundesaußenminister, ist ein großer Erfolg, der vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) allem Ihrer stillen Diplomatie zu verdanken ist. Auch da- Herr Außenminister, richtig ist auch die Verständi- für gebührt Ihnen unsere Anerkennung. gung auf eine konkrete Abzugsperspektive. Ende 2011 (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten soll mit dem Abzug begonnen werden, und in fünf Jah- der CDU/CSU) ren soll die afghanische Regierung die Verantwortung für die äußere und innere Sicherheit Afghanistans über- Durch das neue Mandat und die neue internationale nehmen. Dabei vermissen wir allerdings präzise Zwi- Ausrichtung werden auch hohe Anforderungen gestellt, schenziele für die Umsetzung dieses Plans. bei der Herstellung der Sicherheit, beim Polizeiaufbau und beim Aufbau eines funktionierenden Justizsystems. Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass es bei ei- Hier haben wir eine ganz besondere Verantwortung, der nem solch komplizierten Prozess, der sich über mehrere wir bisher nicht in dem Umfang nachgekommen sind, Jahre erstreckt, nichts bringt, sich auf ein ganz bestimm- wie es erforderlich gewesen wäre. Deshalb kommen wir, tes Enddatum festzulegen. Damit haben Sie recht. Eine wenn wir den Aufbau voranbringen wollen, heute nicht Planung muss aber mehr sein als eine schlichte Ankündi- umhin, vorübergehend mehr Soldaten dorthin zu schi- gung, und da bleiben Ihre Vorstellungen leider nebulös. cken. Dadurch wird es uns ermöglicht, mehr Ausbildung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu gewährleisten und einen größeren Schutz der Bevöl- kerung sicherzustellen. Was den militärischen Einsatz betrifft, kann ich nur sagen, dass Sie die Dinge beschönigen. Sie sagen uns ei- Weil das oft gesagt wurde: Das hat nichts mit Beset- nen Teil der Wahrheit. Aber sagen Sie uns auch die zung oder Besatzung zu tun, wie manche glauben ma- ganze Wahrheit? Sie behaupten, es gebe jetzt eine Hin- chen wollen. In dem Mandatsantrag der Bundesregie- wendung zu einer defensiven Strategie. Sie argumentie- rung werden die Rechtsgrundlagen des Einsatzes ren, es gehe sozusagen allein um die verstärkte Ausbil- genannt. Das zeigt, dass es um die Unterstützung der Af- dung der afghanischen Truppen. Dieses Argument haben ghanen und der Regierung Afghanistans und nicht um wir übrigens auch bei der letzten Truppenaufstockung ihre Bevormundung oder gar Unterwerfung geht. Solche gehört, mit dem Ergebnis, dass bisher nur 280 Soldaten Vorwürfe sind nichts als bösartiges Gerede. Deshalb für die Ausbildung eingesetzt werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1905

Dr. Frithjof Schmidt (A) Für die überfällige Intensivierung der Ausbildungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) aufgaben gibt es also noch große Spielräume im beste- sowie bei Abgeordneten der SPD) henden Kontingent. Sie haben daher nicht überzeugend begründet, warum Sie das Kontingent erneut erhöhen Lassen Sie mich für meine Fraktion sagen: Wir stehen wollen. Ziehen Sie doch erst einmal die militärisch un- zu einem Engagement der internationalen Gemeinschaft nötigen Tornados ab! in Afghanistan, und wir unterstützen ISAF als Stabilisie- rungseinsatz im Rahmen der Vereinten Nationen. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gilt auch weiterhin. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Äußerungen von Herrn zu Guttenberg und hoher Bun- SES 90/DIE GRÜNEN) deswehroffiziere lassen aber auch noch anderes ver- Das sollen die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan muten: Gemeinsam mit der afghanischen Armee und auch wissen. Aber das bedeutet nicht, dass wir in sich unterstützt von amerikanischen Soldaten soll die Auf- widersprüchlichen Konzepten und Mandatsformulierun- standsbekämpfung in den nächsten Monaten intensi- gen der Bundesregierung automatisch zustimmen. viert werden. Im deutschen Verantwortungsbereich wer- den nun bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich Ihre heutige Regierungserklärung hat für mich und eingesetzt. Hinzu kommen noch bis zu 5 000 amerikani- viele andere in meiner Fraktion nicht dazu beigetragen, sche Soldaten. Damit verdoppelt sich die Anzahl der in- die Zweifel an Ihrem neuen Konzept nach London zu be- ternationalen Truppen im Norden. Der Einsatz der US- seitigen. Auf dieser Grundlage kann und will ich meiner Truppen wird die militärische Lage prägen. Dabei geht Fraktion nicht empfehlen, die Verantwortung für Ihr es vor allem um offensive Einsätze. Das ist Counter-In- neues Konzept mit zu übernehmen. surgency-Ausbildung in der Praxis. Dies ist alles andere Danke. als defensiv; machen wir uns oder – besser – machen Sie uns doch nichts vor! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Durch Ihren Umgang mit den Vorfällen in Kunduz ha- Philipp Mißfelder ist der nächste Redner für die ben Sie bei meiner Fraktion in den vergangenen Mona- CDU/CSU-Fraktion. ten viel Vertrauen in die Transparenz der militärischen Planungen verspielt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) der FDP) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Philipp Mißfelder (CDU/CSU): KEN) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Kunduz steht hier für ein Vertuschen und Verschweigen. und Kollegen! Ich stimme Ihnen, Herr Schmidt, aus- Sie haben bis heute keinen ehrlichen Versuch unternom- drücklich zu, wenn es um die Beschreibung der Abläufe men, die Hintergründe wirklich aufzuklären. geht. Sie haben es richtig beschrieben: Es gibt keinen Automatismus, dass das Parlament, wenn die Regierung Jetzt kommen Sie wieder nur mit der halben Wahr- etwas vorschlägt, zustimmt. Gerade bei diesem Mandat heit. So können Sie kein Vertrauen zurückgewinnen. wird sehr deutlich, dass das Parlament sehr stark betei- ligt worden ist. Herr Steinmeier hat vorhin ausdrücklich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darauf hingewiesen, dass sehr viele Vorschläge, über die sowie bei Abgeordneten der SPD) in den letzten Wochen – auch in Gesprächen mit der Op- Schwammig argumentieren Sie auch bei den politi- position – diskutiert worden ist, Eingang in die Überle- schen Zielen. Herr Karzai hat offen erklärt, er will mit gungen und die Strategie für das Mandat und das weitere allen bewaffneten Gegnern im Land, die Afghanen sind, Vorgehen in Afghanistan gefunden haben. Ich komme auf höchster politischer Ebene verhandeln. In London für meine Fraktion allerdings – das wird Sie wenig über- wurde beschlossen, dies mit dem Aussteigerfonds für raschen – zu einer anderen Empfehlung als Sie. Ich emp- Taliban zu begleiten. Das Wort „Reintegration“ ist dafür fehle meiner Fraktion ausdrücklich, dem Mandat auf- ein Euphemismus. grund der Einbindung des Parlaments und der Darstellung des Bundesaußenministers am heutigen Tag Worum geht es in Afghanistan? Geht es um einen mi- zuzustimmen. litärischen Sieg über die Taliban? Geht es noch um un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verzichtbare Menschen- und Frauenrechte oder nur noch neten der FDP) um Stabilität um fast jeden Preis? Geht es also darum, die Taliban, und zwar jeder Couleur, im Rahmen einer Herr Bundesaußenminister, ich bin Ihnen außeror- politischen Lösung an der Regierung zu beteiligen? Geht dentlich dankbar, nicht nur für die Beratungen in den es jetzt um den militärischen Versuch, die Taliban an den vergangenen Wochen. Das ist auch durch die Redebei- Verhandlungstisch zu bomben? Schenken Sie der Öf- träge der anderen Fraktionen größtenteils deutlich ge- fentlichkeit reinen Wein über die Ziele der Bundesregie- worden. Bei Herrn van Aken war das nicht so sehr der rung ein! Fall. Aber wir beraten gemeinsam über solch wichtige 1906 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Philipp Mißfelder (A) Fragen. Daran ist auch die Linkspartei beteiligt. Sie reagieren. Das ist verantwortungsbewusste Außenpoli- (C) stimmt zwar anders ab als wir. Aber bei den Gesprächen tik, und deshalb wollen wir der Verschiebung der Man- ist sie immer dabei, und das ist auch gut so. Wir bieten datsobergrenze zustimmen. weiterhin an, an solchen Gesprächen teilzunehmen; denn es handelt sich um eine gemeinsame Verantwortung aller Von großer Bedeutung ist – das ist ein Kern des Kon- Fraktionen im Deutschen Bundestag. Zumindest was das zepts von London – das Reintegrationsmodell. Das Ziel Zustandekommen des Mandates angeht, ist es wichtig, ist nicht, wahllos mit jedem Taliban oder Fundamentalis- dass wir weiterhin im Gespräch bleiben. ten zu verhandeln oder sie in die Regierung zu bomben, wie hier vorhin gesagt worden ist. Vielmehr geht es da- Die Einordnung als bewaffneter Konflikt gibt Hoff- rum, zu prüfen, wer von den Taliban theoretisch für eine nung, dass wir bei der Rechtssicherheit große Fort- Stabilisierung Afghanistans in der Zukunft gewinnbar schritte machen. Das ist noch nicht abgeschlossen. Es ist. In der Debatte in der vergangenen Sitzungswoche stehen noch gerichtliche Entscheidungen aus. Vor die- und auch heute ist deutlich geworden, dass es sehr wohl sem Hintergrund ist es wichtig, dass hier Klarheit ge- Unterschiede gibt zwischen denjenigen, die aus wirt- schaffen worden ist und mit großer Verlässlichkeit Aus- schaftlichen Erwägungen heraus dort mitlaufen, das sagen getroffen worden sind. Geld der Taliban annehmen und sich auf diese Weise über Wasser halten, und denjenigen, die sich aus religiö- Schon vor der Afghanistan-Konferenz in London sind sen, fundamentalistischen Gründen möglicherweise auf – darüber haben wir hier im Deutschen Bundestag inten- einem unumkehrbaren Weg befinden. Mit Letzteren wer- siv beraten – wichtige Signale ausgegangen. Die Ergeb- den wir in den nächsten Jahren natürlich keine Erfolge nisse von London können sich tatsächlich sehen lassen; erzielen. denn gerade das, worüber wir hier im Deutschen Bun- destag beraten haben, hat Eingang in das gefunden, was Richtig ist, dass wir den Dialog, der in Afghanistan die Zukunft Afghanistans in den nächsten Jahren mit- stattfindet, von der Regierung einfordern und ihr über- bestimmen wird. Die Übernahme der Verantwortung lassen. Wir haben klare Wegmarken gesetzt, was wir von durch die Afghanen selber ist das richtige Konzept. Ge- der afghanischen Regierung in dem Zusammenhang er- rade das, was Präsident Karzai bei seinen Besuchen in warten. Daran haben die Grünen in den vergangenen München und im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Wochen entscheidend mitgewirkt. Wir wollen das, was Bundestages deutlich gemacht hat, ist der richtige Weg. wir bisher an Erfolgen erreicht haben, nicht leichtfertig Wir müssen uns in der Polizeiausbildung mehr engagie- aufgeben, beispielsweise in Verhandlungen mit Mullah ren. Es ist nicht vordringliche Aufgabe der Deutschen, in Omar. Die Rechte der Frauen dürfen nicht hinter den Afghanistan offensiv tätig zu sein. Das hat der Bundes- Status zurückfallen, den wir gemeinsam erreicht haben (B) außenminister hier sehr deutlich gesagt. Unser Haupt- und den die Bundeswehr in Afghanistan verteidigt. Das (D) engagement richtet sich auf die Ausbildung. Das ist der ist nicht unser Ziel. Deshalb muss man genau hin- richtige Weg; denn nur so kann die Übernahme der Ver- schauen, wer mit wem verhandelt und welche Gespräche antwortung in den nächsten Jahren stattfinden. Deshalb mit welchem Ziel geführt werden. Das heißt nicht, dass werden wir unser Engagement in diesem Bereich massiv wir eine Dialogbereitschaft grundsätzlich ablehnen. ausweiten. Ich danke vor allem denjenigen, die sich dort Das wäre falsch. Aber es heißt, dass es rote Linien gibt, besonders engagieren, den Soldatinnen und Soldaten, hinter die wir nicht zurückgehen dürfen. aber vor allem auch den Polizisten, die in den nächsten Jahren einen sehr großen Beitrag leisten werden. Ihnen Auf diesem Weg sollten wir die afghanische Regie- gilt der Dank des ganzen Hauses. Herzlichen Dank! rung massiv ermutigen. Das haben wir im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz und bei den Gesprächen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) in Berlin getan. Das ist auch die Linie der nächsten Jahre in Afghanistan; denn die erreichten Erfolge dürfen nicht Innerhalb des Mandats finden Umschichtungen statt. dadurch zerstört werden, dass um jeden Preis eine Stabi- Das ist der größte Beitrag dazu, in Zukunft eine höhere lisierung erreicht werden soll. Ausbildungsleistung zu erbringen. Weil sich einiges im Norden Afghanistans verändert hat, sind wir zu dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ergebnis gekommen, der Lage angemessen, weitere neten der FDP) Truppen dorthin zu entsenden. Alles andere hielte ich für unverantwortlich; denn die Soldatinnen und Soldaten Ich vertraue Herrn Karzai an dieser Stelle sehr wohl, in eine Situation zu bringen, in der ihr eigener Schutz und zwar aufgrund seiner persönlichen Familienge- nicht gewährleistet werden könnte, wäre falsch. schichte. Sein Vater hat frühzeitig versucht, mit Mullah Omar und seinen Leuten Gespräche zu führen. Er hat Wenn man dort verantwortungsbewusst Politik ma- konkrete Angebote gemacht. Die Antwort dieser Funda- chen und die Zukunft Afghanistans mitgestalten will, ist mentalisten war ein Mordanschlag auf seinen Vater, der es notwendig, dass man das militärische Engagement in leider erfolgreich war. diesem Bereich adäquat erhöht. Deshalb hat die Bundes- regierung den Vorschlag gemacht, die Mandatsober- Aus diesem Grund glaube ich, dass bei Herrn Karzai grenze zu erhöhen. Gerade weil die Situation in Afgha- – das konnten wir auch in den persönlichen Gesprächen nistan sich in diesem Jahr verändern wird, und zwar mit ihm feststellen – eine sehr große Ernsthaftigkeit be- durch die Wahlen, die im Herbst stattfinden werden, züglich der zukünftigen Dialoge vorhanden ist. Deshalb muss man sicherheitspolitisch und militärisch adäquat bin ich da ganz optimistisch. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1907

Philipp Mißfelder (A) (Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ hebung der Obergrenze nicht nur um eine militärische (C) DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- Maßnahme handelt – das haben Sie uns gerade vorge- schenfrage) worfen –, sondern dass diese in einen größeren Rahmen von entwicklungspolitischen, zivilen und polizeilichen – Herr Präsident, ich glaube, es besteht der Wunsch nach Maßnahmen eingebettet wird. Das ist unsere Strategie, einer Zwischenfrage. und deshalb tragen wir das intensiv vor. Wir unterstrei- chen mit der Entsendung von mehr Soldaten die Ernst- Präsident Dr. Norbert Lammert: haftigkeit unseres Engagements. Das ist in der Tat so. Da Sie offenkundig ein Interesse an der Zulassung dieser Frage haben, erteile ich hiermit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) dem Kollegen Ströbele das Wort zu einer Zwischen- frage. Ich glaube, dass wir damit gerade die Arbeit der Ent- wicklungshelfer unterstützen. Über die Arbeit der Ent- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE wicklungshelfer ist einiges zu sagen. Es gibt Stimmen in GRÜNEN): den Organisationen, die davor warnen, mit dem Militär Herr Kollege, Sie sprechen hier über die Verhandlun- gemeinsam aufzutreten. Aber ich glaube, dass nach wie gen und die damit verbundenen Probleme und benennen vor die Voraussetzung für den zivilen Aufbau militäri- zu Recht richtige Punkte. Aber wir befinden uns heute sche Präsenz ist. Das ist schade, aber es ist leider so. Das nicht in einer entwicklungspolitischen Debatte, sondern soll nicht auf Dauer so bleiben. Ich übernehme nicht die wir sprechen darüber, ob der Deutsche Bundestag zu- Verantwortung dafür, dass Entwicklungshelfer mit ihrem Leben für ihre mutige Arbeit bezahlen müssten, wenn sätzliche Soldaten nach Afghanistan schickt, 850 bzw. wir hier falsche Entscheidungen treffen und, wie es in 500 und 350, je nachdem, wie man das rechnet. Darüber Ihrem Sinne wäre, aus Afghanistan abziehen würden. hinaus soll zusätzliches Kriegsgerät nach Afghanistan geschickt werden. Wie erklären Sie und wie erklärt die Herzlichen Dank. Bundesregierung – dazu hat Herr Westerwelle kein Wort gesagt –, wie auf der einen Seite Aufbau, Ausbildung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Verhandlungen stehen sollen, wenn auf der anderen Seite eine erhebliche Intensivierung der Kriegsführung Präsident Dr. Norbert Lammert: stattfindet? Darüber sprechen Sie nicht. Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion. Halten Sie es nicht ebenso wie ich für kontraproduk- tiv, wenn auf der einen Seite Verhandlungen angeboten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) werden, auf der anderen Seite dieselben Leute, mit de- neten der FDP) (D) nen verhandelt werden soll, möglicherweise von Ziel- fahndungskommandos der Bundeswehr, vor allen Din- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): gen aber der US-Amerikaner, die jetzt 5 000 zusätzliche Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Soldaten in den Norden schicken, gejagt werden? Wie nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und sollen Verhandlungen mit denen stattfinden, die gleich- Herren! Ich habe die dankbare Aufgabe, in den nächsten zeitig auf der Abschussliste mindestens der Amerikaner, gut sechs Minuten Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf möglicherweise auch der Bundeswehr stehen? Ist das den Polizeieinsatz in Afghanistan zu lenken. Das ist nicht ein Widerspruch, und macht das eine das andere mir natürlich eine Herzenssache. Sie können im Kürschner nicht unmöglich? Das heißt, die Art der Kriegsführung nachlesen, warum. muss auf den Tisch. Die Bundesregierung muss hier sa- gen, in welcher Weise die Bundeswehr dort eingesetzt Wir haben das deutsche Engagement beim Polizeiauf- wird. Gehört zu dem Einsatz der Bundeswehr auch, ge- bau in Afghanistan seit dem Jahr 2008 – da hat auch das rade nach den Ereignissen in Kunduz am 4. September, Parlament eine Rolle gespielt – deutlich intensiviert. In weiterhin Menschen zu vernichten, und zwar gezielt zu unserem bilateralen Projekt setzen wir aktuell vernichten, wie Oberst Klein es damals verlangt hat? 118 deutsche Polizeibeamte in Kabul, Masar-i-Scharif, Wie lösen Sie diesen Widerspruch? Kunduz und Faizabad ein, innerhalb der EUPOL-Mis- sion sind es 41 deutsche Experten. Das sind summa sum- marum 160 Polizisten und zivile Experten, handverlesen Philipp Mißfelder (CDU/CSU): und gut vorbereitet; das möchte ich an der Stelle beto- Die letzte Frage ist die einzige Frage, auf die ich nicht nen. Aber die Diskussion über die Anzahl der Stiefel- mit Nein antworten werde. Sie haben mir drei, vier Fra- spitzen wäre angesichts des polizeilichen Auftrags in gen gestellt. Auf alle Fragen kann ich nur mit Nein ant- Afghanistan nur von begrenztem Wert. Der eigentliche worten. Ich teile Ihre Haltung nicht; das wird Sie aber erfolgskritische Faktor unserer Mission ist das Konzept. auch nicht überraschen. Ich möchte Ihnen deutlich sa- gen, warum sich die Bundesregierung zu dem entschlos- Genau da sind wir mit unserem bilateralen Projekt sen hat, was wir hier unterbreiten und was die Fraktion richtig aufgestellt. Das Konzept besteht aus drei Säulen. der CDU/CSU unterstützt. Wir unterstreichen mit der Damit gewährleisten wir bis zum Jahr 2012 erstens die Erhöhung der Obergrenze und mit der Entsendung von Ausbildung von circa 15 000 neuen Polizeikräften der mehr Soldaten im Rahmen dieses Mandats die Ernst- ANP. Das bedeutet, dass Deutschland für die Ausbildung haftigkeit unseres Engagements. In der Debatte ist der Hälfte der neu rekrutierten Polizisten und Grenzpoli- sehr deutlich herausgekommen, dass es sich bei der An- zisten verantwortlich ist. 1908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) Zweitens – das ist für mich der Schwerpunkt –: die quartiere der Polizei in Faizabad und der Verkehrs- und (C) Evaluierung, das Training und die begleitende Betreu- Bereitschaftspolizei in Kabul sowie eine Grenzpolizei- ung der ANP-Polizisten aus 40 Distrikten in sechs Pro- dienststelle am Flughafen Kabul errichtet haben. vinzen im Norden Afghanistans. In diesem Programm begleiten wir die afghanischen Kursteilnehmer nach ih- Meine Damen und Herren, auch wenn wir durch re- rem Training mit polizeilichen Mentoring-Teams aktiv gelmäßige Lageanalysen dafür sorgen, dass unsere Poli- in der Praxis vor Ort. Was heißt das? Wir werden nicht zeikräfte nur in gesichertem Umfeld eingesetzt werden: hoheitlich tätig, aber wir coachen. Wir sind dabei, wenn Afghanistan ist nicht Heidi-Land. Deshalb bin ich der diese Polizisten draußen arbeiten. Das Gesamtprogramm Bundesregierung – insbesondere Herrn Außenminister erstreckt sich übrigens über elf Monate, und wir werden Westerwelle – für die Klarstellung heute Morgen und für bis 2012 in Zusammenarbeit mit deutschen Feldjägern die Beschlüsse, die in Meseberg im November 2009 ge- 50 solcher Teams eingesetzt haben. fasst wurden, dankbar. Das erklärte Ziel, die Kompetenz und Ausstattung der Bundespolizei für internationale zi- Die dritte Säule unseres Konzepts besteht darin, mit vilpolizeiliche Einsätze auszubauen, trägt den beschrie- der Ausbildung von 500 afghanischen Trainern eine ak- benen robusten Herausforderungen in vielen Einsatz- tive Hilfe zur Übernahme der Ausbildung in afghani- gebieten wie in Afghanistan oder auch im Kosovo in scher Eigenverantwortung zu leisten. Die ausgebildeten konsequenter Weise Rechnung. Die Bundespolizei, afghanischen Trainer setzen wir heute schon sukzessive künftig verstärkt durch internationale Einsatzeinheiten, in deutschen Ausbildungsstätten zum Training der eige- im Ausland zivilpolizeilich einzusetzen, sie dafür gezielt nen Kollegen ein. vorzubereiten und auszustatten, ist ein wichtiges Signal an die Bundespolizei selbst, aber auch an unsere Bünd- Ich möchte ganz klar betonen: Das deutsche Konzept nispartner. hat sich bereits vor London dadurch vom bisherigen amerikanischen Ansatz unterschieden, dass wir die poli- Bei Einsätzen in Afghanistan bildet die innere Sicher- zeiliche Praxis vor Ort begleiten, und zwar nicht nur heit einen zentralen Baustein der Zukunftsstrategie die- auf der Ebene des Distriktpolizeichefs, sondern auf allen ses so betroffenen Landes. Die deutsche Polizei hat in nachgelagerten Ebenen bis hin zur untersten Verwal- vielen internationalen Einsätzen für Qualität und Um- tungsebene der Polizei. Ich halte das – es ist ja vor Lon- fang ihrer Aufbauhilfe hohe Anerkennung von den Part- don passiert – für eine beachtliche Leistung. Der Strate- nern erfahren. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir jetzt giewechsel ist in diesem Sinne vollzogen worden. Man beginnen, diese Kompetenz auch organisatorisch deutli- könnte auch sagen: Wir haben vorgedacht. cher zu institutionalisieren und zu professionalisieren. Wir stehen damit zu unserer Verantwortung für den Poli- Mit diesem dreistufigen Konzept haben wir unsere (B) zeiaufbau in Afghanistan, aber auch zu unserer Bünd- (D) hohe Akzeptanz und Resonanz bei den Ausbildungsteil- nispflicht bei kommenden internationalen Einsätzen, für nehmern und bei den Polizeikräften vor Ort noch verbes- die wir unseren deutschen Beitrag leisten wollen. sert. Viel wichtiger ist: Von der afghanischen Bevölke- rung werden wir äußerst positiv wahrgenommen, weil Den in Afghanistan eingesetzten deutschen Polizisten wir vor Ort, zusammen mit den Afghanen, erlebbar sind. möchte ich abschließend an dieser Stelle in aller gebüh- renden Form Lob und Anerkennung für ihren Dienst (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- aussprechen. neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die ebenenübergreifende Nachhaltigkeit, von der ich des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ sprach, vermissen wir übrigens in der EUPOL-Mission. DIE GRÜNEN]) Deshalb fordern wir dringend eine Weiterentwicklung des Mandats. Die Projektmittel müssen aufgestockt wer- Wir haben das gemeinsame Ziel, ein erfolgverspre- den, und die Sicherheitsvorschriften, die die eingesetzten chendes Konzept und die Kraft, im Norden Afghanistans Berater betreffen, müssen so angepasst werden, dass der polizeilichen Sicherheit ein afghanisches Gesicht zu diese mit ihrer Ausbildung auch in der Fläche wirksam geben. Deshalb stimme ich dem Mandat zu. werden können. Sollte uns diese Anpassung nicht gelin- Danke schön. gen, empfehle ich, die Zahl der deutschen Experten in der EUPOL-Mission auf ein Minimum zu reduzieren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und stattdessen in das wesentlich gewinnbringendere ei- gene bilaterale Projekt zu investieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie sieht die Ausweitung des deutschen Engage- Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol- ments nach den Ergebnissen der Londoner Konferenz lege Gehrcke für die Fraktion Die Linke. aus? Wir werden erstens das Personal bis Mitte 2010 auf (Jörg van Essen [FDP]: Das habe ich befürch- 200 Polizisten im bilateralen Projekt und gegebenenfalls tet!) bis auf 60 Experten in der EUPOL-Mission aufstocken. Das ist eine Verdreifachung des Potenzials von 2008. Wir werden zweitens die Ausbildungszentren in Kabul Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): und Kunduz, die Grenzpolizeifakultät in Kabul sowie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich die Außenstelle der Polizeiakademie in Masar-i-Scharif kann Zwischenrufe wie „Schön!“ und „Jetzt kommt wie- bis 2010 fertigstellen und drittens bis 2011 die Haupt- der das Friedenszeug!“ durchaus genießen. Ich finde Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1909

Wolfgang Gehrcke (A) meine Reden auch schön. Dass wir immer über den Frie- Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (C) den reden, halte ich für höchst vernünftig. DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Banken sollen für die Krise zahlen Hin und wieder habe ich die Anwandlung, in der De- – Drucksache 17/471 – batte fair zu sein. Das ist also nicht immer der Fall, aber Überweisungsvorschlag: bei dieser Debatte ist es mir wichtig gewesen. Deswegen Finanzausschuss (f) habe ich auch den letzten Redner der Koalitionsfraktio- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie nen abgewartet. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ich habe die ganze Zeit gedacht, ja gehofft, dass zwei Haushaltsausschuss Punkte genannt werden – ich habe sie schon beim Herrn Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Außenminister erwartet –: Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Auch hierzu höre Erstens. Warum bringt keiner hier die Kraft auf, dafür ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. zu sprechen, dass dieses Haus sich bei den Anverwand- Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi ten der in Kunduz Umgekommenen für den Befehl eines für die Fraktion Die Linke. deutschen Obersten, den wir jetzt gar nicht rechtlich be- urteilen, entschuldigt und dafür Verantwortung über- (Beifall bei der LINKEN) nimmt? Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul desrepublik Deutschland hat 480 Milliarden Euro in Form von Kapitalhilfen und Bürgschaften zur Rettung [SPD]) der deutschen Banken bereitgestellt. 480 Milliarden Ein solches Signal wäre in dieser Debatte notwendig ge- Euro sind, damit wir uns richtig verstehen, 20 Prozent wesen. Herr Schuster, ich bin mir sicher: Sie haben es der gesamten Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik nicht vorgehabt. Aber Sie hätten die Chance gehabt, ein Deutschland. Nun stellt sich die Frage: Wie lange wird solches Signal abzugeben. uns diese Verschuldung belasten, Jahre oder Jahrzehnte, und wer muss das Ganze überhaupt zurückzahlen? Die Zweitens. Es ist doch notwendig, dass man sich Fol- Bundeskanzlerin hat sich bei der Haushaltsdebatte rela- gendes klarmacht – vom Außenminister bis zu jedem tiv klar geäußert und gesagt: die Steuerzahlerinnen und Einzelnen, der sich an dieser Debatte beteiligt –: Es langt Steuerzahler. Darunter verstehen viele immer nur die, (B) offensichtlich nicht, zu glauben, dass man einzelne Tali- die Einkommensteuer zahlen. Ich möchte aber darauf (D) ban herauskaufen kann. Ich möchte jetzt nicht zynisch hinweisen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutsch- sein und mich nach dem Preis für Taliban erkundigen. In land Steuern zahlen, zumindest die Mehrwertsteuer. Da- dieser Debatte hätte ein Zeichen der Ermutigung nach rüber gibt es ja keine Diskussion. Afghanistan gehen sollen, nämlich mit den realen Fein- den, also zwischen den Kriegsparteien, über Versöhnung (Beifall bei der LINKEN) zu verhandeln. Frieden muss man mit seinen Feinden Das aber heißt, dass Hartz-IV-Empfänger, Lidl-Verkäu- schließen; mit seinen Freunden braucht man es nicht zu ferinnen, Kfz-Schlosser etc. all diese Schulden der Ban- tun. ken zurückzahlen müssen. Dazu kann ich nur sagen: Un- ser Einverständnis bekommen Sie dafür niemals. Beides ist ausgeblieben. Lediglich unsere Fraktion hat es immer wieder betont. Ich bitte Sie wirklich: Gehen (Beifall bei der LINKEN) Sie noch einmal in sich! Wäre es nicht ein Zeichen des Deutschen Bundestages – das war das, was ich noch ein- Nun ist es auch interessant, sich anzusehen, ob die Banken ihr Verhalten verändert haben. Die Banken je- mal deutlich machen wollte –, wenn wir uns bei den An- doch machen wieder Geschäfte mit Steueroasen und spe- verwandten der Umgekommenen in Afghanistan hier of- kulieren in der ganzen Welt, als ob es die Krise über- fiziell auch für unser Land entschuldigen würden? haupt nicht gegeben hätte, weil Sie nicht die Kraft (Beifall bei der LINKEN) haben, eine einzige wirksame Regulierungsmaßnahme, die wir dringend benötigen würden, zu beschließen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der LINKEN) Ich schließe die Aussprache. Als weiterer Umstand kommt hinzu, dass Herr Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Ackermann gerade sehr fröhlich allen mitgeteilt hat, der Drucksache 17/654 an die in der Tagesordnung auf- dass die Deutsche Bank einen Profit in Höhe von geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit 5 Milliarden Euro nach Steuern gemacht hat, den sie einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist jetzt wunderbar an ihre Großaktionäre etc. auszahlen die Überweisung so beschlossen. kann. Dann sagt er auch noch ganz stolz: Wir haben gar kein Geld vom Staat bekommen. – Diese Aussage Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: möchte ich gerne widerlegen, und zwar dadurch, indem Beratung des Antrags der Abgeordneten ich darauf hinweise, dass es zum einen direkte und zum Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel anderen indirekte Einnahmen über den Staat gibt. 1910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi (A) Schauen wir uns einmal den ersten Bereich an. Der (Beifall bei der LINKEN – Frank Schäffler [FDP]: (C) Staat musste sich ja neu verschulden, um das ganze Geld Wir haben noch nichts beschlossen!) zur Verfügung stellen zu können. Woher nimmt er das Geld? Er nimmt Darlehen bei den Banken auf, unter an- Man darf auch nicht vergessen: Die Banken spekulie- derem bei der Deutschen Bank. Diese verlangt dafür na- ren nicht mit ihrem Geld, sondern mit dem Geld ihrer türlich hohe Zinsen und verdient daran. Im Klartext be- Anleger und gehen damit immer fahrlässiger um. Das deutet das Folgendes: Um die Banken zu retten, nimmt müssen wir unbedingt korrigieren. Obama will insge- der Staat Kredite bei den Banken auf, und dafür verlan- samt 117 Milliarden Dollar zurückverlangen. gen die Banken das Geld – das ist ihr Verdienst –, das (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was macht er der Staat von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern denn? – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ der Bundesrepublik Deutschland einnimmt. Sagen Sie CSU]: Er will, aber er macht nicht! Ankündi- einmal: Kommt Ihnen das nicht auch ein bisschen merk- gungspolitik! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar würdig vor, was hier organisiert wird? Enkelmann [DIE LINKE]: Sie kündigen es ja nicht einmal an!) (Beifall bei der LINKEN – Frank Schäffler [FDP]: So war das vielleicht in der DDR, aber – Setzen Sie sich doch mit Herrn Obama auseinander! nicht bei uns!) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie Zum anderen profitierte die Deutsche Bank aber auch machen es doch!) noch von der Rettung der HRE. Neben Bürgschaften sind dafür auch direkt 12 Milliarden Euro zur Verfügung Sie bekommen ihn vielleicht leichter als ich ans Telefon. – gestellt worden. Wieso profitierte die Deutsche Bank da- Sie kündigen nicht einmal irgendetwas an; Obama ist von? Weil sie bei der HRE Geld geparkt hatte. Wenn die aber schon dabei, etwas umzusetzen. HRE in Insolvenz gegangen wäre, wäre die Deutsche (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bank ihr Geld losgewesen. neten der SPD) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Andere aber Sie haben einen solchen Respekt vor der Deutschen auch! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Bank. Ich habe mir das in Davos angesehen. Reden wir doch mal über die Landesbanken!) (Frank Schäffler [FDP]: Wo denn?) Futsch wäre es gewesen. Nun kommt der Staat und rettet – Hören Sie einmal zu! – Ich habe mir das in Davos an- netterweise die HRE; die Deutsche Bank bekommt ihr gesehen. Frau Merkel war zwar dort, aber man hat von Geld von der HRE wieder und macht nun einen riesigen ihr überhaupt nichts gehört. Der Einzige, der dort sozu- (B) Profit. Aber Sie kommen nicht einmal auf die Idee, zu (D) sagen eine Regierungserklärung abgegeben hat, war sagen, dass die Banken dafür zusätzlich eine Steuer oder Herr Ackermann. Das ist das Problem Ihrer Koalition. Gebühr an die Bundesrepublik Deutschland bezahlen müssen, damit nicht die anderen Steuerpflichtigen in der (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner Bundesrepublik Deutschland belastet werden. So etwas [Berlin] [FDP]: Was haben Sie denn bei der ist von Ihnen leider nicht zu erwarten. Landesbank Berlin als Wirtschaftssenator um- gesetzt?) (Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Doch!) – Fantastisch haben wir das gemacht. Wir haben die ganze Pleitebank letztlich an den Sparkassen- und Giro- Die Deutsche Bank hat übrigens auch in den USA ein verband verkauft. Das war sehr sinnvoll. Sie hätten sie Riesengeschäft gemacht. Aus dem Rettungspaket der wahrscheinlich an eine Bank in den USA verkauft, die USA hat die Deutsche Bank 9,1 Milliarden Euro kas- jetzt pleite wäre. Das ist der Unterschied zwischen uns. siert. Sie können uns zwar vieles vorwerfen, zum Bei- spiel, dass wir sozialistische Geplänkel veranstalten; (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der aber Sie können es uns doch nun wirklich nicht als eine CDU/CSU und der FDP) linksextreme Auffassung vorhalten, dass wir jetzt vor- schlagen, dem Weg zu folgen, den die USA eingeschla- Präsident Dr. Norbert Lammert: gen haben. Einen Moment, Herr Kollege Gysi. – Ich möchte nur (Beifall bei der LINKEN) darauf hinweisen, dass der Kollege Gysi noch gut eine Minute Redezeit hat. Danach folgen Redner von allen Obama hat das Ganze erkannt und schlägt einen anderen anderen Fraktionen. Vielleicht können wir uns auf diese Weg ein als die Bundesrepublik Deutschland. Er will je- Abfolge verständigen. den Cent eintreiben, den die Banken der amerikanischen (Beifall bei der LINKEN) Bevölkerung schulden, und zwar egal, ob sie direkt oder indirekt Gelder erhalten haben. Deshalb muss zum Bei- spiel die Deutsche Bank in den USA künftig jährlich Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): 500 Millionen Dollar zusätzlich bezahlen. Das verlangt Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Präsident. Ich Obama. Nichts dergleichen verlangt unsere Regierung kann die Zurufe verstehen. Es gibt Schwierigkeiten, von der Deutschen Bank, und von den anderen Banken wenn ich nur sieben Minuten rede. Das ist nachvollzieh- erst recht nicht. bar. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1911

Dr. Gregor Gysi (A) Im Übrigen haben sich die G-7-Finanzminister ge- – hören Sie doch einmal zu! – sowohl an den Kosten an- (C) troffen. Sie finden die Idee von Obama gut und wollen gemessen zu beteiligen als auch mittels Instrumenten, sie auch umsetzen. Allerdings gibt es schon die ersten vielleicht in Form einer Abgabe, prophylaktisch für die Gegenstimmen, die sagen: Wenn wir das machen, dann Zukunft vorzusorgen. brauchen wir keine Finanztransaktionssteuer bzw. Börsen- umsatzsteuer, wie wir sagen, oder Tobin-Steuer, wie ( [DIE LINKE]: Vielleicht!) Attac sagt. Aber das ist völlig daneben. Wir brauchen Es ist uns nicht damit gedient, dass die Opposition in beides; denn die Tobin-Steuer soll Spekulationen be- fast jeder Sitzungswoche einen isolierten Antrag zu die- grenzen und endlich zu Steuergerechtigkeit führen. Da- sem Thema präsentiert, ohne dass erkennbar ist, wie die von sind wir meilenweit entfernt. Ich sage Ihnen: Es ist Gesamtsystematik aussieht. Nur mit einem in sich stim- gesellschaftszerstörerisch, wenn das Bundesverfas- migen Konzept, das national, europäisch und auch welt- sungsgericht Ihnen allen sagt, dass Sie die Menschen- weit abgestimmt ist, kommen wir weiter. würde der Ärmsten in unserer Gesellschaft verletzt und das Sozialstaatsprinzip gebeugt haben, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihr Konzept?) (Beifall bei der LINKEN) Wir erleben hier aber teilweise Anträge, die sich und der Ackermann am gleichen Tag stolz darauf ver- selbst widersprechen. weist, dass er 5 Milliarden Euro verteilt, und das, nach- dem wir solche Geschenke an die Banken gemacht hat- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten. Wenn Sie Ihren Antrag einmal genau lesen, dann erken- (Beifall bei der LINKEN) nen Sie, dass die Begründung in Ihrem Antrag – die Ur- sache dafür könnte die Verwendung eines Textbausteins Stellen Sie endlich Steuergerechtigkeit her! Obama sein – zur Finanztransaktionssteuer passt. Über dieses hat gesagt: Wenn diese Leute einen Kampf wollen, kön- Thema hatten wir schon in der letzten Sitzungswoche nen sie ihn haben. – Es ist bedauerlich, dass wir keinen debattiert. Die Begründung passt aber nicht zu Ihrem in der Regierung haben, der den Mut hat, den Kampf mit Vorschlag einer Abgabe. Legen Sie mir einmal dar, was den Banken aufzunehmen. Sie unter dem Begriff „konsolidierte Aktiva“ verstehen, (Anhaltender Beifall bei der LINKEN – wenn Sie als Bemessungsgrundlage für diese Abgabe die [CDU/CSU]: Gysi, der Ban- Verbindlichkeiten zugrunde legen. Was wollen Sie? Sie kenschreck!) wollen im Grunde genommen eine Größenordnung fest- legen, angesichts derer man sich fragen muss: Wen wol- (B) len Sie an dieser Finanzierung beteiligen? Die Wort- (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: schöpfungen in Ihrem Antrag erinnern an DDR- Das Wort erhält nun der Kollege Leo Dautzenberg für Verbalität, wo – aus einem antichristlichen Ansatz he- die CDU/CSU-Fraktion. raus – Engel als Jahresendzeitfiguren bezeichnet wur- den. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zurufe von Abgeordneten der LINKEN: Oh!) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): In Ihrem Antrag steht das Wort „Finanzkrisen-Verant- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe wortungsgebühr“. Das ist eine sehr kreative Wortschöp- Kolleginnen und Kollegen! Kollege Gysi, ich habe we- fung für etwas, von dem Sie selbst nicht wissen, was Sie nig Verständnis dafür, wie Sie hier in klassenkämpferi- damit wollen. scher Manier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Zurufe von der LINKEN: Oh!) neten der FDP) ein ernstzunehmendes Thema begleiten. Ich möchte für meine Fraktion drei Punkte anspre- (Frank Schäffler [FDP]: Klassenkampf finden chen, die wir schon oft betont haben: Als Schlussfolge- die gut!) rung aus der Krise wollen wir eine härtere Regulierung und die Banken an den Kosten beteiligen. Außerdem Anscheinend lesen Sie wenig in der Wirtschaftspresse darf der Staat, und damit der Steuerzahler, künftig nicht und in der sonstigen Presse. Ansonsten hätten Sie längst mehr erpressbar sein, wenn es darum geht, Hilfe für zur Kenntnis nehmen können, dass auch wir, die CDU/ Banken zu gewährleisten, die „too big to fail“ bzw. zu CSU-Fraktion, gemeinsam mit dem Finanzminister der vernetzt sind, um in die Insolvenz zu gehen. – Diese drei Auffassung sind, dass wir – das haben wir in den ent- wichtigen Grundlagen sind als Gesamtpaket zu sehen sprechenden Debattenbeiträgen schon mehrfach betont – und können nicht isoliert betrachtet werden. selbstverständlich dafür sind, auch den Banken- und den Finanzsektor Herr Kollege Gysi, in diesem Punkt sind wir nicht weit auseinander. Aber es macht keinen Sinn, wenn Sie (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und sich in klassenkämpferischer Manier eine Großbank he- wo bleibt Ihr Antrag? – Weiterer Zuruf von der rausnehmen und sie zur Zielscheibe machen, um Ihre LINKEN: Dann macht es doch! Alles nur An- Ansätze zu begründen. Das müsste schon breiter ange- kündigungen!) legt sein. 1912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Leo Dautzenberg (A) Ich stimme Ihnen zu – das ist auch bei uns Konsens –, Leo Dautzenberg (CDU/CSU): (C) dass weltweit, vor allem im angelsächsischen und im eu- Das ist ein Unterschied. Sie haben Deregulierung ge- ropäischen Bereich, Teile von Banken und Bankmanager sagt. immer noch nicht verstanden haben, worum es ging bzw. was sie verursacht haben. Das müssen wir zur Kenntnis Michael Schlecht (DIE LINKE): nehmen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass wir selbst in der Vergangenheit oft Finanzmarktpro- Diese Finanzmarktkrise hält schon eineinhalb Jahre dukte, deren Namen man oft kaum aussprechen konnte, an. Können Sie mir erläutern, welche Regulierungsmaß- undifferenziert und leichtfertig übernommen haben. Da- nahmen in den letzten Jahren tatsächlich vorgenommen raus müssen nun die Konsequenzen gezogen werden. worden sind? Können Sie auch erläutern, weshalb wei- terhin Deregulierungsmaßnahmen praktiziert werden? Eine Konsequenz ist eine härtere Regulierung. Dafür Leerverkäufe sind beispielsweise wieder legalisiert wor- brauchen wir ein Aufsichtssystem, das effizienter ist, als den. es zurzeit der Fall ist. Außerdem muss eine Koordinie- rung auf europäischer Ebene erfolgen. Wir müssen also darauf achten, was auf europäischer Ebene an Aufsichts- Leo Dautzenberg (CDU/CSU): strukturen beschlossen wird, und dann überlegen, was Ich nehme an, Sie wollten „Regulierungsmaßnah- wir auf nationaler Ebene dazu beitragen wollen. Dazu men“ sagen. Wir wollen genau das Gegenteil von Dere- haben wir Vorschläge unterbreitet. Wir wollen die BaFin gulierung. Wir wollen eine härtere Regulierung. Sie kön- in ihrer derzeitigen Struktur an die Bundesbank an- nen sich daran erinnern, dass wir als erste stabilisierende docken, gleichzeitig aber die Unabhängigkeit der Bun- Maßnahme in diesem Bereich noch zur Zeit der Großen desbank in ihrem geldpolitischen Engagement nicht be- Koalition das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und das einflussen. Das lässt sich durch Organisationsstrukturen -beschleunigungsgesetz vorgelegt haben. Das waren gewährleisten. Damit hätten wir eine dreigliedrige Auf- erste Maßnahmen. Die werden fortentwickelt. Man muss sicht aus einer Hand und damit eine Aufsicht, die effek- den Bereich zunächst einmal konsolidieren, ehe es zu tiver ist als das, was wir jetzt haben. Neustrukturierungen kommen kann. Dafür ist das eine wesentliche Grundlage. Was die Beteiligung der Banken angeht, so müssen wir neben der Aufsicht Strukturen schaffen, die es er- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber möglichen, dass auch Banken in die Insolvenz gehen mehr ist nicht passiert!) können. Wir werden noch im Frühjahr die Kapitaladäquanz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) richtlinie, die von der europäischen Ebene ausgeht, um- (B) setzen. In Basel wird auch über eine Verschärfung der (D) Dafür brauchen wir ein Insolvenzrecht für Finanzinsti- Kriterien bezüglich des Eigenkapitals geredet. Das wer- tute. Dies muss über das Insolvenzrecht der gewerbli- den wir demnächst ebenfalls umsetzen müssen. Wir chen und industriellen Wirtschaft hinausgehen, weil wir müssen hier aufpassen, dass neben der angelsächsischen im Banken- und Finanzsektor Zahlungsströme sicher- Kultur auch unsere nationalen und europäischen Interes- stellen müssen; das ist hier der Unterschied zur gewerb- sen einfließen, damit unsere Banken keinen Schaden er- lichen Wirtschaft. Beide Häuser, sowohl das Justiz- als leiden, wenn nur noch bestimmte Formen von Eigenka- auch das Finanzministerium, arbeiten daran, uns im pital und Kernkapital anerkannt werden. Frühjahr erste Entwürfe vorzulegen, damit wir den Pro- zess Mitte des Jahres zum Abschluss bringen können. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Viele Dinge sind also schon auf dem Weg. Sie wissen Präsident Dr. Norbert Lammert: auch, dass ein Gesetzentwurf in der Mache ist, der Ver- Herr Kollege Dautzenberg, gestatten Sie eine Zwi- gütungssysteme regeln soll. Sie sollen nachhaltig ange- schenfrage des Kollegen Schlecht? legt werden. All das sind Punkte, die wir bereits auf den Weg gebracht haben bzw. die wir auf den Weg bringen Leo Dautzenberg (CDU/CSU): werden, um unser Ziel zu erreichen. Ja, gern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Schlecht [DIE LINKE]: Und die Michael Schlecht (DIE LINKE): Leerverkäufe?) Herr Kollege Dautzenberg, es ist schön, dass Sie ver- künden, dass Sie auch für Deregulierungsmaßnahmen Wir können froh sein – das müssen wir zugestehen – sind. und unterstützen es, dass Herr Obama einen Vorschlag gemacht hat, und zwar einen für die USA vielleicht ziel- Leo Dautzenberg (CDU/CSU): führenden. Das bietet uns die Möglichkeit – das Zeit- Nein, für Regulierungsmaßnahmen, nicht Deregulie- fenster ist offen –, zu internationalen Abstimmungen zu rungsmaßnahmen. kommen. Nur, nicht alle Punkte, die vorgeschlagen wer- den, passen zu unserem europäischen Bankensystem, zu unserer Bankenstruktur. Wollen Sie in Deutschland zu- Michael Schlecht (DIE LINKE): rück zu einem Trennbankensystem? Dann eben Regulierungsmaßnahmen. Das wäre auch schon mal gut. (Dr. [DIE LINKE]: Ja!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1913

Leo Dautzenberg (A) Es kann nicht sein, dass Sie sich nur die Rosinen heraus- – Herr Schäffler, Sie werden ja nach mir reden. Dann (C) picken. Sie müssen das, was wir durchführen wollen, werden Sie in der Sache wahrscheinlich allem wider- immer in der Gesamtschau betrachten. Von daher ist das, sprechen, was Herr Dautzenberg gerade vorgetragen hat. was wir wollen, schlüssiger. (Frank Schäffler [FDP]: Nein!) Neben dem Insolvenzrecht – Abwicklung und Denn Sie sind ein Vertreter der Hands-off-Politik: nur Neustrukturierung von Finanzinstituten – brauchen wir nichts anfassen, nur nichts machen, sondern die Märkte begleitend eine bestimmte Fondslösung, die die Sicher- laufen lassen. stellung von Zahlungsströmen gewährleistet. Ich habe eben darauf hingewiesen, dass das der gravierende Un- Herr Dautzenberg, Sie haben heute erstmalig – das terschied zur gewerblichen Wirtschaft ist. In diesem Zu- muss man sagen – einige Eckpunkte und eine Reihe von sammenhang könnte unser SoFFin eine zusätzliche Auf- Aspekten angesprochen. Beim letzten Mal ging es ein gabe erfüllen, und zwar in Kombination mit einer bisschen kursorisch los bei Ihnen. Ich bin sehr froh, dass Aufsicht, die durchaus auch auf Geschäftsmodelle Ein- Sie sich nach vorn bewegen und Aspekte ansprechen. fluss nehmen kann. Sie sollte eingreifen können, ehe es Wir haben das auch dringend nötig. Deutschland kann zum Crash kommt, wodurch wiederum Rettungsaktio- nicht abwarten. In den USA und überall passiert etwas, nen erforderlich würden. Wir stellen uns vor, dass die und hier wird nur geredet. Das geht nicht. Von daher ist Abgabe der gesamten Finanzwirtschaft in diesen Fonds das ein richtiger Schritt, Herr Kollege. fließt, damit wir zukünftig Potenzial für die Abfederung (Beifall bei der SPD – Leo Dautzenberg von Restrukturierungsmaßnahmen und Abwicklungs- [CDU/CSU]: Eben!) maßnahmen haben. Ich muss allerdings sagen, dass ich nicht zufrieden Sie müssen alle Maßnahmen immer im Gesamtpaket bin über ein Zitat des Bundesfinanzministers, das ich sehen. Damit müssen wir in diesem Jahr auf nationaler Anfang dieses Monats gelesen habe. Ich zitiere wörtlich Ebene rüberkommen, damit wir auch auf europäischer mit Genehmigung des Präsidenten: und internationaler Ebene unseren Beitrag leisten kön- nen. Wir sollten selbstbewusst genug sein, gerade im Er verwende Verhältnis zum angelsächsischen Raum, unser Potenzial – so Herr Schäuble – und unsere Lösungskompetenz, die auf europäischer Ebene angeboten werden kann, in die Waagschale zu deshalb nicht zu viel Engagement auf die Debatte, werfen, damit wir, was zusätzliche Regulierung anbe- ob eine Finanztransaktionssteuer, Sonderabgabe oder langt, auch international zu vernünftigen Abschlüssen Fondslösung besser sei. „Wichtiger ist, dass wir in- (B) und Vereinbarungen kommen, zum anderen aber auch, ternational einen gemeinsamen Weg finden“ … (D) um die Finanzarchitektur in der Welt insgesamt zu stabi- Das beruhigt mich nicht. Denn was heißt das? Dass die lisieren. Bundesregierung sich keine Gedanken macht, keinen Vielen Dank. Vorschlag entwickelt, keinen Plan hat und auf internatio- nale Konferenzen laufen will. Das reicht nicht. Legen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie etwas vor! Darum geht es ja. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jetzt bin ich aber etwas verwundert. Herr Carsten Sieling hat nun das Wort für die SPD-Frak- Dautzenberg, vielleicht sind Sie selber auch enttäuscht tion. über das, was das Kabinett gestern zu dem wichtigen (Beifall bei der SPD) Thema Bankenboni beschlossen hat. Das war ja nur – ich will es einmal so nennen – ein Handlungsversuch; denn das, was dort zur Einschränkung der Vergütung im Dr. Carsten Sieling (SPD): Finanzbereich vorgelegt und beschlossen worden ist, ist Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten ein zahnloser Tiger. Es ist nicht mehr gemacht worden Damen und Herren! Wir diskutieren in der Tat schon fast als das, was in der Großen Koalition auf unseren Vor- wöchentlich in diesem Hause über Maßnahmen zur Re- schlag hin schon durchgesetzt worden ist, auf die untere gulierung der Finanzmärkte und zur Bekämpfung der Managementebene von Banken auszuweiten. Aber den Auswirkungen, mit denen wir uns herumzuschlagen ha- wesentlichen Punkt sind Sie gestern mit dem Beschluss ben. Ich teile die Auffassung – Herr Dautzenberg, Sie der Bundesregierung nicht angegangen: Die steuerliche haben das angesprochen –, dass es ein Problem ist, wenn Abzugsfähigkeit für Vorstandsvergütungen und Abfin- man von Woche zu Woche andere Einzelaspekte beredet. dungen muss deutlich verändert werden. Man muss aber einmal über die Ursache reden. Die Ur- sache der Tatsache, dass dieses Parlament immer nur (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Einzelfragen bereden kann, liegt darin, dass die Bundes- Als Tiger gestartet, und als Bettvorleger gelandet – mehr regierung kein Konzept vorlegt, dass es keine Hand- kann ich dazu nicht sagen. lungsvorschläge gibt. Ich will es gerne aufnehmen: Wir brauchen ein Hand- (Beifall bei der SPD – Frank Schäffler [FDP]: Weil lungspaket. Ich will aber deutlich an den Anfang stellen Sie elf Jahre den Minister gestellt haben!) – Kollege Gysi hat dies hier angesprochen –: Wir brau- 1914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. Carsten Sieling (A) chen nicht nur nachsorgende Vorschläge, wie zum Bei- Das sprechen Sie heute nicht mehr an. Heute wollen Sie (C) spiel Regelungen zum Insolvenzrecht oder ein meines eine Abgabe von ihnen. Wie darf ich das verstehen? Sie Erachtens ausgesprochen zweifelhaftes Organisationsge- verstaatlichen die Banken, und dann nehmen Sie ihnen huber, doch die Steuer ab? Wissen Sie, was Sie wollen, oder hat sich jetzt der Realoflügel durchgesetzt? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist nicht nachsorgend! Das ist vorsorgend, Herr Kol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ lege!) CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Joachim Poß [SPD]: Geordnete Gedan- indem man die BaFin jetzt der Bundesbank angliedern ken kannst du von denen doch nicht erwarten!) will, was zu einer Reihe von verfassungsrechtlichen Pro- blemen führen wird. Das reicht nicht. Klären Sie erst einmal diese Punkte, bevor Sie hier An- (Frank Schäffler [FDP]: Dann machen wir lie- träge vorlegen! Ich finde, das ist ein Widerspruch in Ih- ber gar nichts?) rer Politik, den Sie in Ihren Anträgen sogar verschriftli- chen. Ich halte für wichtig, dass wir uns in Deutschland dazu bekennen, dass wir eine Finanztransaktionssteuer in- Wir müssen darüber hinaus natürlich zur Kenntnis ternational einführen wollen. So etwas brauchen wir. nehmen, dass es einen Unterschied zwischen dem Ban- Das steht nicht im Widerspruch zu den Themen, über die kensystem in den USA und dem in Deutschland gibt. wir hier diskutieren. Auch dieser Unterschied wird meiner Meinung nach zu wenig berücksichtigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN) Wir sind für das Dreisäulenmodell. Wir sind dafür, dass Ich will alle diese Punkte benennen, damit klar wird, das Bankensystem in Deutschland so bleibt, wie es ist. dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten (Frank Schäffler [FDP]: Das ist das Problem!) zwar einzelne Themen ansprechen und nach vorne brin- gen, dass wir aber ein Gesamtkonzept haben: Die Fi- Ich frage Sie: Was soll die in Ihrem Antrag formu- nanzmarktaufsicht muss angegangen werden. Der Ei- lierte Grenze von 30 Milliarden Euro? Wie begründen genhandel der Banken muss eingeschränkt und verboten Sie die? Woher kommt die? Als ich mich informiert werden. Eigenkapitalvorschriften für Banken müssen habe, wurde mir deutlich gemacht, dass in Deutschland verschärft werden. Steuerhinterziehung in Steueroasen – das kann man nachlesen – auch zwei Sparkassen unter (B) muss wirkungsvoll bekämpft werden. Wir brauchen aber die von Ihnen geforderte 30-Milliarden-Euro-Grenze fal- (D) entsprechende Gesetze, damit wir nicht solche Debatten len. Wollen wir, dass die Sparkassen und vielleicht auch führen müssen wie zurzeit. Das muss auch in diesem Zu- andere Akteure, die ein Stabilitätsfaktor sind, hier einbe- sammenhang geschehen. zogen werden? Wollen wir, dass auch die Finanzkon- zerne, die über den SoFFin Unterstützung bekommen, zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank einer solchen Abgabe herangezogen werden? Das alles Schäffler [FDP]: Das hätten Sie elf Jahre lang sind Fragen, die Sie in Ihrem Antrag nicht beantworten. machen können!) Als letzte Bemerkung will ich zu diesem Punkt sagen, Heute haben wir einen Antrag der Fraktion Die Linke dass aus unserer Sicht der Vorschlag, über den in Schwe- vorliegen. Es ist völlig richtig, dass vor dem Hintergrund den diskutiert wird, sehr bedenkenswert ist. Dort wird der Entwicklungen der letzten Monate bezüglich der Re- darüber nachgedacht, ganz in diesem Sinne eine Abgabe kordboni auch angesprochen worden ist, welche Ge- einzuführen. winne die Deutsche Bank wieder macht und wie Herr Ackermann damit umgeht, mit welcher Überheblichkeit (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja! Aber mit und Unverschämtheit darauf reagiert wird. Das verlangt weniger Beiträgen!) politische Reaktionen. Darum ist es richtig, dass wir uns hier in diesem Hause dem Vorschlag aus den USA zu- Die dadurch erzielten Einnahmen sollen allerdings nicht wenden, in den staatlichen Haushalt, sondern in einen besonderen Fonds fließen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warum CSU]: Wie heißt denn der?) nicht!) darüber reden und ihn weiterdenken. – Wie ich sehe, stimmt mir Herr Dautzenberg zu. Ich frage mich aber angesichts der Debatten, die ich (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja! Das kann bereits erlebt habe – ich bin ja noch nicht so lange im man überlegen!) Bundestag –, was die Fraktion Die Linke eigentlich will. Im Dezember 2009 lag im Rahmen der Debatte über die Das muss man allerdings deshalb tun, weil das schöne Kreditklemme ein Antrag von Ihnen vor, in dem Sie vor- Krisengipfelchen, das die Kanzlerin vor einigen Mona- geschlagen haben, die Banken zu verstaatlichen. ten im Kanzleramt durchgeführt hat, nicht ausgereicht hat. Herr Ackermann hat warme Worte abgeliefert, aber (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Eben!) er liefert kein Geld ab. Darum braucht man einen sol- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1915

Dr. Carsten Sieling (A) chen Vorschlag. Wie gesagt, vielleicht ist der schwedi- banken in Deutschland mit rund 300 Milliarden Euro zu- (C) sche Weg sinnvoll. sätzlich verschulden konnten, und das mit staatlicher Garantie. Das fällt uns in Deutschland heute auf die Ich empfehle für meine Fraktion, dass wir über diese Füße. Themen weiterhin diskutieren und sie ordentlich beraten sollten. Die Richtung Ihres Antrags ist sicherlich in Ord- (Beifall bei der FDP) nung; das hat selbst Herr Dautzenberg gesagt. Aber wir Entscheidend ist auch, dass wir im Bereich der Regu- müssen noch darüber reden, welche genaue Ausprägung lierung unsere Lehren ziehen und auch Maßnahmen er- eine entsprechende Regelung haben sollte. Das, was die greifen. Fraktion Die Linke uns hier vorgelegt hat, ist so nicht zustimmungsfähig. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wann denn? Im nächsten Jahrhundert!) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das hoffe ich doch!) Sie behaupten, wir würden hier nichts machen. Aber wir diskutieren hier im Parlament fast täglich über Maßnah- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. men, mit denen wir regulierend eingreifen. Ich will das (Beifall bei der SPD) Beispiel der Eigenkapitalanforderungen im Bereich der Verbriefungsmärkte nennen; hier werden wir etwas Vizepräsidentin : tun. Wir werden auch bei den Ratingagenturen stärkere Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Frank Regulierungen vornehmen; Schäffler das Wort. (Nicolette Kressl [SPD]: Doch nicht Sie! Die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten EU!) der CDU/CSU) auch hierzu liegt schon ein Kabinettsentwurf vor. Wir werden – Herr Dautzenberg hat darauf hingewiesen – im Frank Schäffler (FDP): Bereich des Insolvenzrechts etwas tun. Auch das ist Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und wichtig im Bankenbereich. Wir werden im Bankenbe- Herren! Wenn man über dieses Thema spricht, ist es ent- reich auch etwas tun im Hinblick auf die Haftung, damit scheidend, dass man erst einmal eine vernünftige Ana- Verantwortung und Haftung am Ende wieder zusammen- lyse durchführt. Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, fallen. Das ist einer der wesentlichen Bausteine der so- dann muss ich feststellen, dass Sie schon an der Analyse zialen Marktwirtschaft. Das werden wir in Deutschland scheitern. Denn in Ihrer Analyse sprechen Sie nur von umsetzen. (B) den privaten Banken, die nach Ihrem Duktus Verursa- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (D) cher der Krise sind. Tatsächlich vergessen Sie einen ganz entscheidenden Teil des deutschen Bankensystems, der Klar ist: Wir brauchen eine Fortentwicklung des ebenfalls zur Schieflage beigetragen hat, SoFFin und der Einlagensicherung. Es geht darum, wie wir auch die Banken und die Institute, die kein Einlagen- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die CSU- geschäft haben, an der Finanzierung der Krise beteiligen Bank in Bayern! Da haben Sie recht!) können. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Instituten, nämlich den öffentlichen Bankensektor. insbesondere die Landesbanken, die überhaupt kein Ein- lagengeschäft haben. Sie tragen zur Bewältigung der (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Krise derzeit nichts bei. Deshalb müssen wir – auch das Ich will Ihnen ins Stammbuch schreiben: Allein in ist eine Lehre aus dieser Krise, und da liegen wir gar den letzten Jahren sind Steuergelder in Höhe von nicht so weit auseinander – den SoFFin weiterentwi- 37 Milliarden Euro für die öffentlichen Landesbanken ckeln. Der SoFFin muss die Basis für die Finanzierung in Deutschland ausgegeben worden. dessen sein, was bislang der Steuerzahler ausgelegt hat. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja! Für die Das geht aber nicht mit einem Schnellschuss. Da CSU-Bank in Bayern! Für die CDU/FDP- müssen Sie uns mehr Zeit geben als 100 Tage; denn das Bank in Nordrhein-Westfalen!) ist ein sehr komplexes Thema. Wir müssen auch interna- tional die richtigen Verabredungen treffen. Insofern ha- 198 Milliarden Euro sind für Garantien für die öffentli- ben wir im Bereich der Regulierung sehr viel gemacht chen Landesbanken in Deutschland ausgegeben worden. und sehr viel auf den Weg gebracht. An dieser Stelle kann man lange über Schuldzuweisun- gen sprechen. Ich will noch einen anderen Aspekt ansprechen, et- was, was uns dieser Tage leider um die Ohren fliegt. Das (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das muss man ist das, was wir mit billigem Geld auf dieser Welt ange- auch!) richtet haben. Das Beispiel Griechenland zeigt doch, wo- hin die Verschuldungspolitik letztendlich führt: Sie führt Aber die Sozialdemokraten in diesem Hause sind für die am Ende dazu, dass auch auf staatlicher Ebene Bail-outs Schieflage der Landesbanken in Deutschland ganz ent- zumindest in den Bereich des Möglichen rücken. scheidend mitverantwortlich. Denn seit dem Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung hat Ihr ehemaliger Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage: Wie Finanzminister in Brüssel die Übergangsregelungen ver- kommen wir wieder zu stabilem Geld, wie können wir handelt, die dazu geführt haben, dass sich die Landes- Sparen und Geldproduktion wieder in Einklang bringen? 1916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Frank Schäffler (A) Die Voraussetzung dafür ist, dass wir zu einer markt- – Ich freue mich, wenn ich das erleben sollte; denn es ist (C) wirtschaftlichen Geldordnung kommen. Einem Alko- richtig. holiker hilft man auch nicht dadurch, dass man ihm eine neue Flasche Schnaps hinstellt. Als Antwort auf die (Frank Schäffler [FDP]: Sie sind ja noch Krise, die wir derzeit erleben, muss es strukturelle Ände- jung!) rungen geben, auch in der Haushaltspolitik beispiels- Was Sie bisher gesagt haben, passt aber nicht zusam- weise von Griechenland. Alles andere lassen die euro- men. Sie sagen: Wenn Maßnahmen ergriffen werden, päischen Verträge aus meiner Sicht nicht zu. Deshalb müssen sie international vergleichbar sein. Wenn Sie müssen wir in diesem Haus auch über eine Fortentwick- das, was Obama angekündigt hat, auf Deutschland umle- lung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspak- gen, bedeutet das jährlich nicht mehr als etwa tes diskutieren. Wer hat denn den Stabilitäts- und 1 Milliarde Euro an Einnahmen. Dann sagen Sie: Damit Wachstumspakt 2005 aufgeweicht? Das war Hans sollen die Lasten der alten Krise gezahlt werden. Sie Eichel. Aus einer haushaltspolitischen Situation heraus, wollen damit auch den Fonds auffüllen, mit dem zukünf- die national geprägt war, hat er den Stabilitäts- und tig Banken gerettet werden sollen. Wie das rein rechne- Wachstumspakt aufgeweicht. Das führt am Ende dazu, risch zusammenpassen soll, müssen Sie erst einmal er- dass die Stabilität des Euro aufgeweicht wird. Dafür tra- klären. Sie fordern zwar hier, dass die Belastungen der gen die Sozialdemokraten die Verantwortung. Krise von den Banken gezahlt werden sollen, aber das passt de facto nicht zu dem, was Sie sonst sagen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist doch Un- Es gibt aber einen noch viel wichtigeren Punkt. Die fug! – Nicolette Kressl [SPD]: Herr Schäffler, Grundlage dafür, dass der Finanzsektor wirklich an den Sie waren zu lange in der Opposition! In der Kosten dieser Krise beteiligt wird, ist doch, dass erst ein- Opposition sein ist eben schöner!) mal die Kosten dieser Krise offengelegt werden und dass so in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen Vizepräsidentin Petra Pau: werden kann, wer profitiert hat und wem Vorteile ent- standen sind. Das heißt, wir müssen erst einmal transpa- Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die rent machen, was in dieser Krise wirklich passiert ist. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Kernforderung an dieser Stelle ist: Legen Sie end- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich offen, wer von den Rettungsmaßnahmen profitiert NEN): hat! Es ist ein Unding, dass der deutsche Steuerzahler (B) (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und die deutsche Steuerzahlerin bis heute nicht wissen, Ich glaube, es ergibt wenig Sinn und ist eher ein Ablen- was bei der Bankenrettung genau passiert. kungsmanöver, wenn immer alle Maßnahmen zu einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Debatte zusammengefügt werden; dann kann man näm- und bei der LINKEN) lich schön vom einen zum anderen gehen. Das ist die Kernaufgabe. Dazu möchte ich von Ihnen Natürlich setzen Sie in Bezug auf die Ratingagentu- gerne etwas sehen. Von jedem Hartz-IV-Empfänger wer- ren ein bisschen, was von der europäischen Ebene den die 20 Euro Kindergeld, die zu viel gezahlt worden kommt, um. Die Frage ist aber: Was bedeutet der Satz sind, zurückgefordert. Da ist man ganz rigoros. Was aber des Finanzministers, der Finanzsektor soll für diese tut der deutsche Staat, wenn es um Milliarden geht? Al- Krise zahlen? Steht etwas dahinter, oder steht wieder les bleibt hinter verschlossenen Türen. Nur über eine einmal nichts dahinter? Veröffentlichung in den Medien wissen wir, wer von der Rettung der HRE profitiert hat. Ich fordere Sie auf, das (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es zu machen, was teilweise in den USA im Zusammen- steht etwas dahinter!) hang mit der AIG passiert ist und was andere Staaten ge- Vor der Bundestagswahl wurde plötzlich der Eindruck macht haben: Legen Sie endlich die Konditionen der erweckt, auch die Union sei für eine Finanzumsatz- Bankenrettung offen, damit wir wissen, wie die Kosten steuer. Sie haben dies nie wirklich betrieben; aber das dieser Krise sind und wer von ihr profitiert hat! Dadurch war schön, um im Wahlkampf die Empörung der Bevöl- können wir ermessen, ob Ihre geplante Abgabe so ge- kerung, dass nichts passiert, abzufedern. Jetzt erklärt der staltet ist, dass die Kosten der Krise wirklich von den Bundesfinanzminister, diese Steuer sei tot. Ich befürchte, Verursachern und Profiteuren getragen werden. dass es Ihrer Sonderabgabe für die Banken nach der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW-Wahl genauso ergeht. Jetzt versucht man, der Em- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) pörung entgegenzukommen; nach der Wahl wird aber nichts passieren. Legen Sie einmal ein Konzept auf den Wichtig ist auch, dass wir jetzt nicht die verschiede- Tisch! nen Maßnahmen gegeneinander ausspielen. Sie haben eine Abgabe in der Größenordnung von 1 Milliarde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Euro jährlich angedeutet. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer deutet werden Sie noch erleben, Herr Kollege!) das an?) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1917

Dr. Gerhard Schick (A) – Rechnen Sie doch einmal um, was eine mit den USA Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): (C) vergleichbare Abgabe bei uns bringen würde, Herr Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Dautzenberg! legen! Der Finanzmarkt ist in der Globalisierung außer Kontrolle geraten. Die Bankenbranche steht vor großen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da müssen Herausforderungen; sie muss sich auf veränderte Situa- Sie sich verrechnet haben!) tionen einstellen. Dort sind es 120 Milliarden Dollar. Wenn Sie das auf die Die Frage dabei ist, welche Vorstöße in die richtige Größe des Finanzsektors umrechnen – Sie argumentie- Richtung gehen und langfristig Nutzen stiften und ob ren ja, das müsse im Wettbewerb vergleichbar sein –, nicht mancher Ansatz, der hier vorgetragen wird, eher dann kommen Sie wegen des kleineren Finanzsektors in politischer Agitation dient. Wir wollen dem Wirt- Deutschland auf eine sehr bescheidene Größenordnung schaftsstandort und den Arbeitsplätzen dienen; das ist von – das ist meine Schätzung – 1 Milliarde Euro. Sie zunächst unsere Aufgabenstellung. können gerne eine andere Zahl vorlegen, anstatt nur Luftblasen zu produzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Hetzreden von Herrn Gysi Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Machen wir!) (Widerspruch bei der LINKEN) Nennen Sie doch einmal eine zielgerichtete Maß- gegen die Finanzindustrie und Ihr Klassenkampf, den nahme, mit der die Lasten dieser Krise getragen und ver- Sie hier veranstalten, dienen nicht den Arbeitsplätzen in ursachergerecht zugeordnet werden können! Sie können Deutschland. Das ist vielmehr ein Anschlag auf die Ar- die Idee einer Finanzumsatzsteuer, die wir brauchen, um beitsplätze in Deutschland. Das Verteufeln von Gewin- viele andere globale Aufgaben, zum Beispiel in der Ent- nen entspricht nicht der sozialen Marktwirtschaft. wicklungshilfe, zu finanzieren, nicht einfach beiseite- schieben. Sie versuchen, hier etwas zu vermengen, was (Zuruf von der LINKEN: Das hat er gar nicht nicht zusammengehört und was von den Größenordnun- gemacht!) gen überhaupt nicht zusammenpasst. Es bleibt bei der Wir müssen uns auf dem Boden, auf den Grundsätzen Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die von der Be- der sozialen Marktwirtschaft bewegen und auf nichts an- völkerung übrigens in weiten Teilen unterstützt wird: derem. Wir brauchen eine Besteuerung von Finanzumsätzen. Es ist niemandem vermittelbar, dass für jedes Brötchen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) für jeden Schrank eine Umsatzsteuer zu zahlen ist, aber (B) für Derivate nicht. Wir brauchen natürlich, ganzheitlich betrachtet, ei- (D) nige Maßnahmen, aber nicht unbedingt Maßnahmen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Regulierung überziehen, sondern die eine bessere Regulierung bewirken. Wir müssen jetzt folgenden Drei- Jetzt kommt natürlich das altbekannte Argument der satz auf den Weg bringen: eine verbesserte Aufsicht, FDP, was durch Wiederholung leider nicht richtiger eine verbesserte Regulierung und natürlich – das gehört wird, dass durch solche Maßnahmen der Kleinanleger dazu – eine Kostenbeteiligung der Banken. belastet würde. Nun müssen Sie einmal erklären, wie diese Abgabe auf die Kreditvergabe umgelegt wird und (Beifall bei der CDU/CSU – wie da die Belastungen sind. Ich bin sehr gespannt, ob [DIE LINKE]: Wie denn?) Sie uns hierzu etwas vorlegen. Darüber hinaus sollten Das ist notwendig. Wir müssen ganz klar sagen: Es geht Sie uns die Studie, die Sie letztes Mal zitiert haben, ein- nicht, dass im Finanzsektor Gewinne privatisiert, Ver- mal zur Kenntnis geben. Zumindest meine Recherchen luste sozialisiert und Risiken und Haftung immer weiter haben ergeben, dass es diese Studie gar nicht gibt. entkoppelt werden. Das passt in unserer Marktwirtschaft (Dr. Carsten Sieling [SPD]: So ist es!) nicht zusammen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Machen Sie Tatsache ist, dass Sie mit dem Verweis auf die Belas- doch mal einen Vorschlag!) tungen des Kleinanlegers erreichen wollen, dass die wirklich großen Profiteure dieser Krise nicht zahlen sol- Deswegen werden wir in diesem Dreiklang handeln. len. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Der Bundesfinanzminister hat auf der G-7-Tagung in Vielen Dank. Kanada deutlich gemacht, wohin es gehen kann. Aber es ist festzustellen: Die USA machen bei der Einführung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Tobin-Steuer nicht mit. Damit ist die Tobin-Steuer und bei der SPD) tot; (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Da bringt es nichts, die Unionsfraktion. Herrn Obama sozusagen zu umarmen. Das ist für ihn mit Blick auf seine ernsthaften Vorschläge eher eine Beleidi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gung. Die Bankenabgabe, die er vorschlägt, ist eine 1918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) Maßnahme, die in die richtige Richtung führt und die Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): (C) wir als Europäer mit ihm umsetzen wollen. Selbstverständlich. – Entschuldigen Sie, Frau Präsi- dentin, dass ich nicht gleich gehört habe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei geht es natürlich auch darum, wie hoch die sich Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- daraus ergebende Belastung ist und ob das zu Wettbe- NEN): werbsverzerrungen und zu Problemen am Wirtschafts- Herr Kollege, würden Sie noch einmal genau präzi- standort und im Hinblick auf die Sicherung von Arbeits- sieren, wie Sie auf die 9 Milliarden Euro kommen, und plätzen führen kann. können Sie sagen, dass die Bankenabgabe, die Ihre Re- Herr Dr. Schick, Sie sind zwar auf der richtigen Linie, gierung vorschlagen wird, in Deutschland ein Aufkom- aber Sie rechnen falsch. Die von Ihnen genannte men von mindestens 9 Milliarden Euro pro Jahr haben 1 Milliarde Euro jährlich wäre ja wunderbar, Herr sollte, und wie hoch beziffern Sie derzeit die Kosten der Dr. Schick, Krise? Ich frage das, damit man sehen kann, ob dieses Aufkommen bezogen auf die Kosten der Krise einen re- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE levanten Anteil hat. Oder messen Sie das vielleicht an GRÜNEN]: Dann legen Sie Ihre Konzepte den Vorteilen, die die Banken und Versicherungen durch endlich mal vor!) die Rettungsmaßnahmen gehabt haben? aber das Ergebnis der Berechnungen, die auf der Grund- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Gute Frage!) lage des Obama-Vorschlages durchgeführt wurden, liegt nicht unter 9 Milliarden Euro. Sie sollten einmal sehen, Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): welche Größenordnung in Deutschland im Bankenge- Herr Kollege Dr. Schick, ich bitte um Verständnis da- schäft aufgebracht werden muss. Das bedeutet natürlich, für, dass wir dass man eine ganzheitliche Analyse dahin gehend vor- nimmt, ob das verkraftbar und zielführend ist und ob das (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Keine Ant- unseren Unternehmen und der Sicherung der Arbeits- wort geben!) plätze schadet oder nützt. in einer solchen Situation natürlich interne Gespräche (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Gerhard führen und im Ausschuss Aufklärung betreiben und In- Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet formationen zur Verfügung stellen. Wir werden diese in- sich zu einer Zwischenfrage) ternen Überlegungen und Berechnungen mit Ihnen, der Sie sehr fachkundig sind, im Detail besprechen. Neben diesem Dreiklang – Aufsicht, Regulierung, (B) Kostenbeteiligung – geht es um die Wirtschaftsethik (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist ja die (D) der sozialen Marktwirtschaft. Das Bankgeschäft muss Obama-Berechnung!) für unsere Gesellschaft insgesamt wieder verständlicher Ich kann eine solche Berechnung in meiner Rede jetzt si- und akzeptabel werden. Es benötigt eine neue Vertrau- cherlich nicht darstellen. ensbasis in der sozialen Marktwirtschaft. Das geht nicht mit Hetztiraden, sondern nur mit ganz konkreten, soli- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dazu hat der den, verantwortungsbewussten Vorschlägen und Maß- Referent nichts aufgeschrieben! Er kann nichts nahmen und insbesondere mit einer Erklärung zur Erhal- dazu sagen!) tung unseres Dreisäulenmodells. Ich wende mich ganz Ich werde dies mit Ihnen aber fachlich erörtern, und ich massiv dagegen, dass hier undifferenziert irgendetwas gehe davon aus, dass auch Sie daran interessiert sind, reguliert und das Dreisäulenmodell letzten Endes be- dass wir hier Maß und Mitte treffen. So habe ich Sie bei schädigt wird. Ihrer Facharbeit im Ausschuss immer kennengelernt: Sie wollen Maß und Mitte finden, insbesondere auch im Vizepräsidentin Petra Pau: Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Kredit- Herr Kollege. wirtschaft. Ich gehe davon aus, dass wir hier dann auch zu Lösungen kommen. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Wichtig ist zunächst einmal, dass wir die Kosten- Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. übernahme durch die Banken als Grundsatz und eu- ropa- und weltweit als durchsetzungsfähige Grundlage (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) anerkennen. Meiner Meinung nach müssen wir sehen: Die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen können Alle anderen Dinge, die hier sonst immer wieder durch nichts dafür, dass die Finanzmärkte außer Kontrolle ge- Anträge eingebracht werden, sind nur Ausdruck von na- raten sind. Deswegen können wir sie jetzt nicht dafür in tionalem Geplänkel. Das können wir uns nicht leisten. Haftung nehmen. Wir brauchen eine internationale Lösung. Diese interna- tionale Lösung funktioniert nur mit einer Bankenabgabe. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Tolle Ant- Vizepräsidentin Petra Pau: wort!) Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischen- Meine Damen und Herren, ich möchte das noch ein- frage des Kollegen Schick? mal sagen: Klar ist, dass eine Bank einen gewissen Preis Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1919

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) zahlen muss, wenn der Staat ihre Risiken übernimmt. Ursache der Krise war die Marktgläubigkeit der (C) Alles andere wäre dem Staat nicht zuzumuten und außer- meisten Wirtschaftswissenschaftler und die Gier vieler dem natürlich auch eine Wettbewerbsverzerrung. Des- Manager in dieser Branche. Geld sollte mit Geld ver- wegen halte ich es für wichtig, dass wir jetzt Vorberei- dient werden, und zwar mit Wetten. 1980 betrug das tungen für die hochrangige internationale Konferenz im weltweite Bruttoinlandsprodukt 10,1 Billionen Dollar, Mai in Berlin treffen, zu der der Bundesfinanzminister, die globalen Finanzanlagen 12 Billionen Dollar. 2007 Dr. Wolfgang Schäuble, eingeladen hat. Hier werden wir betrug das globale BIP 55 Billionen Dollar, die Finanz- natürlich auch ganz konkret Entscheidungen der G 20 anlagen 197 Billionen Dollar. vorbereiten müssen. Der G-20-Gipfel ist die richtige Veranstaltung dafür, Lösungen auf den Weg zu bringen, Daraus geht eines ganz klar hervor: Wir können es durch die der Globalisierung Rechnung getragen wird, diesen Wissenschaftlern und Managern nicht überlassen, um die Kreditwirtschaft und die Finanzindustrie letzten diese Krise zu bewältigen. Endes für die Zukunft solide aufzustellen und ein klares (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zukunftskonzept für sie zu erhalten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen immer wieder verdeutlichen, dass das Unsere Aufgabe ist es jetzt, vom Pumpkapitalismus zur Bankgeschäft im Kern letzten Endes eine der Wirtschaft nachhaltigen Marktwirtschaft zu kommen. Es muss alles dienende Funktion hat. Der Staat rettet die Banken nicht getan werden, um zu verhindern, dass solch eine Kata- um ihrer selbst willen, sondern mit Blick auf diese für strophe noch einmal passiert. die Gesellschaft und ihren Wohlstand wichtige Aufgabe. Das muss das Maß aller Dinge sein. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Rot-Grün hat das erst ermöglicht!) Ich darf verdeutlichen, dass wir auch bisher schon die richtigen Maßnahmen getroffen haben. Dabei ist es ganz entscheidend, dass die Lasten der Krise fair verteilt werden. Das heißt, wir müssen in be- (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ sonderem Maße die Verursacher dieser Krise zur Kasse CSU]) bitten, und wir müssen Leitplanken für die Finanzmärkte Ich denke dabei an die Stärkung der Finanzmarkt- und einziehen. Denn es ist ein Skandal, dass zwar der Bau je- Versicherungsaufsicht, an das Gesetz zur Angemessen- der Kleingartenlaube in Deutschland festen Bestimmun- heit der Vorstandsvergütung und an das Bilanzierungs- gen unterliegt und klar geregelt ist, die Finanzmärkte modernisierungsgesetz. aber unreguliert funktionieren sollen. Die Maßnahmenkataloge müssen jetzt weiterentwi- (Beifall bei der SPD – Leo Dautzenberg (B) ckelt werden, aber es ist nicht so, dass wir noch nicht ge- [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Teile (D) handelt haben. Wir haben bereits Maßnahmen getroffen, sind doch reguliert!) die insgesamt weiterentwickelt werden müssen. Dies wird in den nächsten Wochen geschehen. Dabei ist, Inzwischen ist das Finanzmarktsystem stabilisiert, glaube ich, wichtig: Nationale Lösungen greifen zu kurz; aber nicht reformiert. Wir müssen fragen, warum das so internationale Abstimmung ist erforderlich. Deutsche ist. Frankreichs Präsident Sarkozy hat gerade in Davos Alleingänge wird es mit uns nicht geben, weil dies zu gelobt, die Perversion des Finanzkapitalismus auszurot- Wettbewerbsverzerrung und Umgehungstatbeständen ten. Ich habe jetzt erfahren, dass die Bundeskanzlerin durch Verlagerung ins Ausland führt. auch dort war. Nun gut, gehört haben wir von ihr nichts. Wir wollen, dass der Finanzplatz Deutschland erhal- (Joachim Poß [SPD]: Nein, nur von Herrn zu ten wird, weil wir diese dienende Funktion für unseren Guttenberg und Herrn Brüderle!) Wirtschaftsstandort und unsere Arbeitsplätze auch in der – Ja, so ist es. Das ist eben typisch für diese Bundesre- Zukunft benötigen. gierung. Herzlichen Dank. Was macht diese Bundesregierung? Diese Frage stellt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) man sich ja. (Frank Schäffler [FDP]: Was habt ihr denn elf Vizepräsidentin Petra Pau: Jahre gemacht?) Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. Sie redet. Sie findet Vorschläge bedenkenswert. Sie äu- ßert Sympathie für dieses und jenes. Charmante Idee, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hörte man. Immer gibt es auch jemanden aus der Regie- rung, der genau die gegenteilige Meinung äußert. Nichts Manfred Zöllmer (SPD): ist geschehen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der SPD – Dr. Herren! Die Finanzmarktjongleure haben uns die [Lausitz] [FDP]: Wer hat denn hier den Fi- schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit beschert. nanzminister elf Jahre gestellt?) Wir müssen uns noch einmal vor Augen führen, dass im Spätsommer 2008 das internationale Finanzsystem kurz – Ich will noch einmal deutlich sagen: Ohne unseren Fi- vor dem Zusammenbruch stand. nanzminister hätten wir ein riesiges Problem. Sie leben 1920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Manfred Zöllmer (A) doch heute noch von dem, was Peer Steinbrück damals er wolle nun eine Sonderabgabe für Banken installieren. (C) in die Wege geleitet hat. Sehr schön! Dann hören wir hier vom Kollegen Dautzenberg, dass es doch konkrete Überlegungen zu- (Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP) mindest in der CDU-Fraktion gebe. Im Koalitionsvertrag finden sich die üblichen Wi- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In der CDU/ dersprüche. Unter der Überschrift „Der Weg aus der CSU-Fraktion, bitte schön!) Krise“ folgen dann Maßnahmen von der steuerlichen Klientelbeglückung von Hoteliers bis zu einer Escape- Von der Bundesregierung ist nur dieser vielstimmige Klausel, mit der die Unternehmen beglückt werden. Chor, dieses Chaos zu vernehmen. Wir müssen bereits Nach der Kreativwirtschaft auf Seite 53 des Koalitions- nach 100 Tagen dieser Wunschkoalition leider einen vertrages kommen einige allgemeine Aussagen zu den Grad an Lähmung und Stillstand konstatieren, wie er in Finanzmärkten. Das war es dann. 16 Jahren schwarz-gelber Kohl-Ära festzustellen war, Genau so ist auch die Politik dieser Bundesregierung: (Beifall bei der SPD) Reden ja, Handeln nein. Man versteckt sich hinter den anderen G-20-Ländern; man läuft hinter ihnen her. und all das in der größten Krise der Nachkriegszeit. Diese Regierung hat kein Konzept. Diese Regierung hat Wir Sozialdemokraten haben konkrete Vorschläge keine Strategie. Man wünscht sich, dass diese Bundesre- gemacht. Ergebnis war: Diese Vorschläge wurden abge- gierung nicht nur auf bereits fahrende Züge nach Bedarf lehnt. Es wurde im Übrigen bei der Debatte hier deut- aufspringt, sondern selbst den internationalen Diskus- lich, dass die Koalitionspartner sehr unterschiedliche sionsprozess mitgestaltet. Hierzu ist leider kein Ansatz Vorstellungen haben, was zu tun und was zu lassen ist. erkennbar. Es überwiegt die Strategie, Handeln an internationale Gremien zu delegieren. Obamas Stabschef, Rahm Emanuel, hat einmal ge- sagt: „Regel Nummer eins: Verschwende nie eine Krise; (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist überhaupt sie gibt uns Gelegenheit, große Dinge zu tun.“ Ich muss nicht wahr! Sie haben nicht zugehört!) feststellen: Diese Bundesregierung ist dabei, die Krise Es gibt genügend Vorschläge, was zu tun wäre. Es sind zu verschwenden. einige genannt worden, zum Beispiel der Vorschlag, den (Beifall bei der SPD) Risikopuffer durch eine größere Eigenkapitalunterle- gung der Banken zu vergrößern und damit die Verant- Vizepräsidentin Petra Pau: wortung der Kapitaleigner zu stärken. Aber Sie dürfen Das Wort hat der Kollege Björn Sänger für die FDP- nicht nur allgemeine, sondern müssen auch konkrete (B) Fraktion. (D) Vorschläge machen. Sie müssen die Zahl der Eigenge- schäfte der Banken reduzieren, klare gesetzliche Be- (Beifall bei der FDP) schränkungen bei Boni und Gehaltszahlungen vorneh- men und dürfen nicht nur allgemeine Regelungen Björn Sänger (FDP): erlassen. Über Rettungsfonds haben wir bereits disku- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und tiert. Herren! Die Banken sollen für die Krise zahlen. Wer Leider muss man feststellen, dass bei diesen Fragen würde das nicht unterschreiben? Ich denke, in diesem der Regulierung der Finanzmärkte und den notwendigen Haus dürfte das jeder tun. Der Antrag der Linken ist vom Maßnahmen zur Beteiligung der Banken an den Kosten Prinzip her richtig. Er geht in die richtige Richtung. der Krise die Liste der Themen, bei denen die Bundes- Umso wichtiger ist, dass man mit Sorgfalt an dieses regierung Chaos und Vielstimmigkeit verbreitet, um ei- Thema herangeht und nicht schon nach 100 Tagen ein nen weiteren Punkt ergänzt wird. Da verkündet der komplett ausgereiftes Konzept erwartet. Ich weiß nicht, CSU-Generalsekretär, man sei für eine Spekulations- ob diese murmeltiertagähnlichen, ständigen Wiederho- steuer. Die Bundesjustizministerin von der FDP plädiert lungen des immer Gleichen im Wochenrhythmus der für verschärfte Haftungsregelungen für Manager und Plenarsitzungen hilfreich sind. Der vorliegende andert- Banker im Zivilrecht, will aber von der CSU-Forderung halb DIN-A4-Seiten umfassende, relativ schnell herun- nach Einführung einer Spekulationssteuer nichts wissen. tergeschriebene Antrag sollte – der Kollege Dautzenberg CSU-Chef Seehofer spricht sich für eine internationale hat schon darauf hingewiesen – eigentlich, wenn man Transaktionsteuer aus. Die Bundeskanzlerin sagt, das sei ehrlich ist, nur dem Ziel dienen, dem Kollegen Gysi ei- eine charmante Idee. nen Auftritt zu verschaffen. (Joachim Poß [SPD]: Chaos bei Schwarz- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der Auftritt Gelb!) war aber gut!) Finanzminister Schäuble sagt: Die Tobin-Steuer ist tot. Er sei Ihnen gegönnt. Der Antrag orientiert sich aber Der bayerische Finanzminister Fahrenschon sagt, eine nicht an der Sache und ist schlussendlich nicht sinnvoll. solche Bankenabgabe sei prinzipiell auch in Deutschland (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten . Die Justizministerin will von diesem Vor- vorstellbar der CDU/CSU) schlag nichts wissen. Der Kollege Schäffler will von all- dem nichts wissen; das haben wir inzwischen mehrfach Bei der Frage nach dem Verursacher der Krise kann erlebt. Dann kommt der Finanzminister und verkündet, man darüber nachdenken, ob das die Banken in Deutsch- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1921

Björn Sänger (A) land waren oder ob der Verursacher nicht vielmehr im (Beifall bei der FDP – Dr. Carsten Sieling (C) Ausland zu suchen ist. Die Diskussion führt uns an die- [SPD]: Wann ist für die FDP „Ende des Ta- ser Stelle nicht weiter; die Argumente sind ausgetauscht. ges“?) Das Problem ist auch: Was sind überhaupt die Kosten Der nächste Punkt, der hier seitens der Linken und in- der Krise? Auch da sind Sie sehr vage. Das kann man teressanterweise auch von der Sozialdemokratischen zum heutigen Zeitpunkt auch noch nicht feststellen, weil Partei angesprochen wurde, waren die Gewinne. Diese ein großer Teil in Form von Bürgschaften hinterlegt ist, wurden gegeißelt. bei denen wir noch gar nicht wissen, ob sie überhaupt (Joachim Poß [SPD]: Reden Sie doch nicht so zum Einsatz kommen. Wir hoffen natürlich, dass das einen Stuss!) nicht der Fall sein wird. Sie listen etwa 400 Milliarden Euro auf. Ob das die Summe ist, die am Ende gezahlt Aber Gewinne sind gerade im Bankenbereich in einer werden muss, ist fraglich. sozialen Marktwirtschaft notwendig, wenn es darum geht, das Eigenkapital zu stärken. Ich kann die Banken- Man könnte natürlich auch noch darüber nachdenken branche an dieser Stelle nur sehr herzlich auffordern, – auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen –, ob diese Gewinne tatsächlich dem Eigenkapital zuzuführen; man nicht vielleicht die 5 Prozent Rückgang des Brutto- denn sonst geraten wir möglicherweise in eine Kredit- inlandsprodukts als Kosten der Krise ansieht, wobei ich klemme. sagen würde, dass das möglicherweise etwas zu weit geht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihre Antwort ist eine Art Banken-Bashing. Auch das führt uns an dieser Stelle nicht weiter. Wer Gewinne in einer sozialen Marktwirtschaft in dieser Art und Weise geißelt, hat ein gestörtes Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Sänger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Beifall bei der FDP – Alexander Ulrich [DIE Kollegen Schick? LINKE]: Sie verstehen die soziale Marktwirt- schaft nicht!)

Björn Sänger (FDP): Ich finde es außerordentlich interessant, dass die Sozial- demokratische Partei in diesen Chor einstimmt. Bitte. (Zurufe von der SPD) (B) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Lösung der Probleme soll eine Abgabe sein. Ich (D) NEN): sage Ihnen: Diese Abgabe ist sicherlich nicht links- Herr Kollege, während unserer Arbeit im Untersu- extrem, Herr Kollege Gysi, aber sie ist an dieser Stelle chungsausschuss zur Hypo Real Estate war es auch die komplett untauglich, weil sie die Risiken der unter- Position der FDP, dass wir eine größere Transparenz in schiedlichen Institute nicht in vernünftiger Art und Bezug auf die Art der Bankenrettung, auf die Konditio- Weise berücksichtigt. Wir brauchen ein Mehr an Regu- nen und darauf, wer von dem Ganzen profitiert, brau- lierung und eine verbesserte Aufsicht. Wir müssen uns chen. Sie haben gerade gesagt, wir könnten die Kosten die Ratingagenturen ansehen und dahin kommen, eine der Krise noch nicht richtig einschätzen. Ist es die Posi- Art Versicherungssystem – so nenne ich es einmal – für tion Ihrer Fraktion, dass die Bürgerinnen und Bürger ei- die Branche einzuführen, das passgenau arbeitet und die nen Anspruch darauf haben, die Konditionen der Ban- Branche angemessen an den Kosten dieser Krise betei- kenrettung zu erfahren und durch eine Auflistung ligt. nachvollziehen zu können, wer von den einzelnen Maß- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – nahmen in welcher Höhe profitiert, oder ist das nicht die Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wie denn? Position Ihrer Fraktion? Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)

Björn Sänger (FDP): Zusammenfassend will ich sagen: Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, ist nichts anderes als unausge- Ich denke schon, dass es sinnvoll ist, am Ende des Ta- gorener Populismus; dieser kann keine Zustimmung fin- ges einen Strich zu ziehen, den. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Heute schon?) Herzlichen Dank. um zu sehen, welche Mittel wohin geflossen sind. Das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Problem ist nur: Das sehe ich in dem Antrag, um den es der CDU/CSU) hier geht, schlichtweg nicht. Da werden nur vage Sum- men genannt. Wir wissen ja auch zum heutigen Zeit- Vizepräsidentin Petra Pau: punkt – ich kann mich da nur wiederholen – noch gar Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die nicht, welche Mittel schlussendlich zum Einsatz kom- Unionsfraktion. men. Am Ende des Tages müssen wir – da gebe ich Ih- nen recht – einen Strich ziehen und schauen, welche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Steuermittel wohin geflossen sind. der FDP) 1922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

(A) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): adäquates Verhalten von Finanzinstituten beeinflussen (C) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und können. Herren! Ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, um (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) auf einen Aspekt hinzuweisen, der in der bisherigen Dis- kussion meines Erachtens viel zu kurz gekommen ist. Ihr Ein Vorschlag dazu ist die Transaktionsteuer, die gegen- Antrag auf Einführung einer Sonderabgabe für Banken wärtig auf G-20-Ebene geprüft wird. ist dafür ein guter Aufhänger. Denn diese Sonderabgabe (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) ist von mehreren Seiten mit unterschiedlichen Zielset- zungen vorgeschlagen worden: zur Finanzierung der Kosten der Krise, zur Finanzierung einer Einlagensiche- Vizepräsidentin Petra Pau: rung, zur Lenkung von erwünschtem und unerwünsch- Kollege Brinkhaus, gestatten Sie eine Zwischenfrage tem Verhalten. Jeder Vorschlag ist isoliert gesehen erwä- des Kollegen Schlecht? genswert. Aber die Zielsetzungen widersprechen sich zum Teil und lassen andere wichtige Felder offen, zum Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Beispiel die Frage nach Regulierung der Derivate- Ja, gerne. märkte, nach der Rolle der Ratingagenturen oder nach der Organisation der Finanzaufsicht. Michael Schlecht (DIE LINKE): (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Ich habe in diesem Zusammenhang eine kurze Frage; CSU]) denn Sie reflektieren verschiedene Maßnahmen, die man ergreifen könnte. Wie bewerten Sie es, dass seit ungefähr Damit wird auch das Problem der gegenwärtigen Dis- einer Woche wieder Leerverkäufe in Deutschland zuge- kussion deutlich. Viele Ideen – oder besser: viele Instru- lassen sind und dass damit die Zockerei im Kasino deut- mente – machen leider noch kein Orchester. Ich möchte lichen Auftrieb bekommen hat? Es ist quasi ein weiterer deswegen dafür werben, dass wir uns in Zukunft mehr Salon eröffnet worden. Das müsste doch komplett kon- darauf konzentrieren, aus den vielen Einzelvorschlägen trär zu Ihren Vorstellungen liegen. ein geschlossenes System zu entwickeln, und weniger darauf, immer neue Ideen ins Spiel zu bringen. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): (Joachim Poß [SPD]: Darum haben wir gebe- Vielen Dank für die Frage. Wir werden die Leerver- ten! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist die käufe natürlich prüfen und bei diesem System berück- Aufgabe der Regierung!) sichtigen. Ich glaube allerdings, dass es der Diskussion nicht zuträglich ist, Herr Kollege, wenn wir mit Begrif- (B) (D) Ich glaube, wir haben hinsichtlich der Grundstruktur fen wie Kasinokapitalismus oder ähnlichen Begriffen ar- dieses Systems, das wir uns wünschen, bereits einen sehr gumentieren. Ich sage Ihnen, wie die Reaktion eines großen gemeinsamen Nenner. Zwölfjährigen aus meinem Wahlkreis auf die letzte De- Erstens. Wir wollen einen Mechanismus zur Früh- batte war, die wir hier in diesem Haus geführt haben. Er erkennung von Systemrisiken. Es soll uns nie wieder hat sich gefragt: Warum machen die das überhaupt? Es passieren, dass wir Risiken wie die des amerikanischen geht doch nur darum, den anderen Parteien eins auszu- Immobilienmarkts nicht richtig einschätzen und nicht wischen und sich gegenseitig zu beschimpfen. An Lö- richtig gewichten. Ich denke, wir sind uns einig, dass die sungen ist keiner interessiert. – Das macht mich traurig, europäische Systemaufsicht dafür ein guter Anfang ist – und das wird eigentlich dem, was in diesem Hause ge- ich betone: Anfang. schieht, nicht gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Zweitens. Wir wollen verhindern, dass einzelne Fi- neten der FDP – Zurufe von der LINKEN: Oh! – nanzinstitute Risiken eingehen, die das gesamte System Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sehr schwa- gefährden können. Wir sind uns einig, dass wir dafür che Antwort!) mehr Transparenz schaffen müssen. Wir wissen, dass die internen Anreizsysteme von Fi- (Beifall der Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ nanzinstituten nicht immer risikogerecht ausgelegt sind, CSU] und Joachim Poß [SPD]) und deswegen besteht Konsens über weiteren Rege- Wir müssen wissen und verstehen, was in den Büchern lungsbedarf hinsichtlich der Vergütungsstrukturen. der einzelnen Banken steht. Die Vorschläge zur Regulie- Wir wissen aber auch, dass selbst die besten Kontroll- rung des Derivatemarktes, aber auch zur Standardisie- und Regulierungsmechanismen Krisen nicht verhindern rung der Verbriefung sind gut und richtig dafür. können. Deswegen ist es wichtig, dass wir, drittens, (Beifall der Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Mechanismen zum Krisenmanagement und zur Krisen- CSU] und Joachim Poß [SPD]) finanzierung erarbeiten. Wir sind uns darüber einig, dass in diesem Zusammenhang besonders das Insolvenz- und Wir sind uns auch einig, dass wir eine engere Verbin- Abwicklungsrecht für Banken wichtig ist. Wir wollen dung zwischen Haftung und Risiko herstellen wollen. leistungsfähige Fonds aufbauen, die zumindest einen Viele Vorschläge im Hinblick auf eine bessere Eigen- Teil der potenziellen Krisenkosten abdecken. Es spricht kapitalausstattung gehen in diese Richtung. Wir disku- viel dafür, dies durch eine Sonderabgabe für Banken zu tieren darüber, ob wir durch Lenkungssteuern risiko- organisieren. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1923

Ralph Brinkhaus (A) Insofern besteht a) hinsichtlich vieler Einzelmaßnah- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) men fraktionsübergreifend durchaus Einigkeit – es sollte der SPD) doch einmal betont werden, dass die Differenzen in der Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halte ich es aber nicht für Sache im Grunde genommen gar nicht so groß sind –, zielführend, isoliert nationale Maßnahmen zu organisie- und können wir b) feststellen, dass an der Umsetzung ren. von vielen Maßnahmen bereits gearbeitet wird. Allein auf EU-Ebene wird momentan an 20 Maßnahmen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) paketen gearbeitet, die wir im Rahmen unserer täglichen Arbeit im Finanzausschuss vorgelegt bekommen. Darum Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zum ist jetzt die Zeit, die einzelnen Maßnahmen nicht isoliert Schluss noch die Wiederholung einer Bemerkung aus stehen zu lassen, sondern aufeinander abzustimmen und der letzten Debatte vor zwei Wochen. Sie ist sozusagen miteinander zu verknüpfen. mein Mantra in dieser Diskussion. Wir als Politik stoßen mit allen Aufsichts- und Regulierungsmaßnahmen an Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern. Wenn im Grenzen, wenn sie nicht mit einer neuen Kultur der Rahmen der Risikofrüherkennung auf Systemebene fest- Verantwortung in den Banken einhergehen. gestellt wird, dass die Rohstoffmärkte spekulativ über- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) hitzt sind, dann muss sichergestellt werden, dass dies auf der Ebene der systemrelevanten Banken zu Verhal- Das ist die gleiche Feststellung, wie ich sie vor zwei tensänderungen führt, zum Beispiel durch verschärfte Wochen gemacht habe. Diese ist noch viel zu wenig er- Eigenkapitalunterlegungen bei Rohstoffgeschäften. Dazu sichtlich. Es wäre vielleicht ein erstes gutes Signal, wenn brauchen wir Automatismen. Wie wichtig diese Auto- von Bankenseite ein ernsthafter Vorschlag dahin gehend matismen sind, sehen wir momentan am Beispiel von kommen würde, wie man sich an den Kosten der Finanz- Griechenland. Das Problem ist erkannt. Eigentlich krise beteiligen will. müsste jetzt eine vordefinierte Reaktion erfolgen. Die Danke schön. EU hat keine Reaktion vordefiniert, und deswegen müs- sen wir nun mühsam überlegen, was zu tun ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß Ich fasse zusammen: Wir kennen die wesentlichen [SPD]: Fragen Sie Herrn Schäffler!) Elemente eines neuen Systems, nämlich erstens die früh- zeitige Überwachung von Systemrisiken, zweitens einen Vizepräsidentin Petra Pau: stringenten Regulierungsrahmen für einzelne Finanz- institute und drittens standardisierte Verfahren zum Kri- Ich schließe die Aussprache. (B) senmanagement. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf (D) Drucksache 17/471 an die in der Tagesordnung aufge- Wir wollen darüber hinaus die Banken an den Kosten führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- der Krisenbewältigung beteiligen. Ich glaube, es ist auch verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Konsens in diesem Haus, die Banken an den Kosten des so beschlossen. Krisenmanagements zu beteiligen; von der FDP bis zu den Linken. Über viele Einzelmaßnahmen lässt sich Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b sowie fraktionsübergreifend ein Konsens erzielen. Vielleicht die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf: sollten wir damit anfangen. 8 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Jetzt aber geht es um eine Aufgabe, die ich auch Dr. , Winfried Hermann, durch die Vorschläge der Opposition nicht gelöst gefun- Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der den habe. Jetzt geht es darum, aus den vielen Einzelmaß- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nahmen ein abgestimmtes vernetztes Gesamtsystem zu Umstellung der Finanzierung von Neu- und modellieren. Dazu ist die von der Bundesregierung ein- Ausbauprojekten in Bundesschienenwege berufene Finanzkonferenz eine gute Gelegenheit. Herr Staatssekretär Koschyk, ich habe es beim letzten Mal – Drucksache 17/543 – schon gesagt: Wir hegen diesbezüglich sehr hohe Erwar- Überweisungsvorschlag: tungen an den nächsten G-20-Gipfel in Kanada. Wir he- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) gen deshalb sehr hohe Erwartungen, weil die Wirkung Haushaltsausschuss aller Mechanismen umso höher ist, je mehr Staaten mit- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten machen. Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich sage auch ganz ausdrücklich: Wenn uns auf der Eisenbahnsicherheit verbessern G-20-Ebene keine Einigung gelingt, dann müssen wir versuchen, einen europäisch-amerikanischen Weg zu – Drucksache 17/544 – finden. Wenn auch das scheitert, dann müssen wir eine Überweisungsvorschlag: europäische Lösung organisieren. Wenn wir das nicht Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hinbekommen, dann müssen wir über isolierte nationale Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Maßnahmen nachdenken. Ausschuss für Tourismus 1924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Vizepräsidentin Petra Pau (A) ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe nung auf Drucksache 17/42 nicht zu verlangen. Wer (C) Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weite- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- lung ist einstimmig angenommen. Gewährleistung der Sicherheit im Schienen- verkehr muss Priorität haben Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- titionsausschusses. – Drucksache 17/655 – Überweisungsvorschlag: Tagesordnungspunkt 9 b: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ausschusses (2. Ausschuss) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Sammelübersicht 20 zu Petitionen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus – Drucksache 17/553 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Ab- hält sich? – Die Sammelübersicht 20 ist einstimmig an- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE genommen. GRÜNEN Tagesordnungspunkt 9 c: Beschlagnahmung von Generika in Europa stoppen – Versorgung von Entwicklungslän- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- dern mit Generika sichern ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 17/448 – Sammelübersicht 21 zu Petitionen Überweisungsvorschlag: – Drucksache 17/554 – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Auswärtiger Ausschuss hält sich? – Die Sammelübersicht 21 ist ebenfalls ein- Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe stimmig angenommen. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Tagesordnungspunkt 9 d: Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren ohne Debatte. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- (B) ausschusses (2. Ausschuss) (D) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Sammelübersicht 22 zu Petitionen überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der – Drucksache 17/555 – Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die folgenden Ta- hält sich? – Die Sammelübersicht 22 ist mit den Stim- gesordnungspunkte verlangen uns erfahrungsgemäß eine men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP- gewisse Konzentration ab. Ich bitte also diejenigen, die Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei nicht daran teilhaben können, den anderen zu ermögli- Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- chen, jetzt dem Aufruf der Tagesordnungspunkte und nommen. den Abstimmungen zu folgen. Tagesordnungspunkt 9 e: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 l sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf. Es handelt sich um die Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus- ausschusses (2. Ausschuss) sprache vorgesehen ist. Sammelübersicht 23 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 9 a: – Drucksache 17/556 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der hält sich? – Die Sammelübersicht 23 ist mit den Stim- Bundesregierung men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP- Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen Siebenundachtzigste Verordnung zur Ände- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. rung der Außenwirtschaftsverordnung Tagesordnungspunkt 9 f: – Drucksachen 17/42, 17/85 Nr. 2.1, 17/489 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Berichterstattung: ausschusses (2. Ausschuss) Abgeordneter Rolf Hempelmann Sammelübersicht 24 zu Petitionen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/489, die Aufhebung der Verord- – Drucksache 17/557 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1925

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Tagesordnungspunkt 9 k: (C) hält sich? – Die Sammelübersicht 24 ist mit den Stim- men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die ausschusses (2. Ausschuss) Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Sammelübersicht 29 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 9 g: – Drucksache 17/562 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- ausschusses (2. Ausschuss) hält sich? – Die Sammelübersicht 29 ist mit den Stim- men der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Sammelübersicht 25 zu Petitionen Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- men. – Drucksache 17/558 – Tagesordnungspunkt 9 l: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Sammelübersicht 25 ist mit den Stim- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP- ausschusses (2. Ausschuss) Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Sammelübersicht 30 zu Petitionen haltung der Fraktion Die Linke angenommen. – Drucksache 17/563 – Tagesordnungspunkt 9 h: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- hält sich? – Die Sammelübersicht 30 ist mit den Stim- ausschusses (2. Ausschuss) men der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und Sammelübersicht 26 zu Petitionen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. – Drucksache 17/559 – Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 a: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- hält sich? – Die Sammelübersicht 26 ist mit den Stim- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP- der Unterrichtung durch die Bundesregierung (B) Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ (D) Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- Grünbuch nommen. Erlangung verwertbarer Beweise in Straf- sachen aus einem anderen Mitgliedstaat Tagesordnungspunkt 9 i: – Drucksachen 17/504 Nr. A 15, 17/660 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Berichterstattung: ausschusses (2. Ausschuss) Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- Sammelübersicht 27 zu Petitionen Schwenningen) Dr. Eva Högl – Drucksache 17/560 – Jörg van Essen Wolfgang Nešković Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Jerzy Montag hält sich? – Die Sammelübersicht 27 ist mit den Stim- men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP- Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ein- Tagesordnungspunkt 9 j: stimmig angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Zusatzpunkt 5 b: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung des Antrags der Bundesregierung Sammelübersicht 28 zu Petitionen Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit – Drucksache 17/561 – zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bun- desregierung Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- – Drucksache 17/600 – hält sich? – Die Sammelübersicht 28 ist mit den Stim- men der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der Frak- Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- tion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig an- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. genommen. 1926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: Die größte Bedrohung aber, meine Damen und Her- (C) ren – das muss auch an einem solchen Tag gesagt wer- Aktuelle Stunde den –, für die kommunalen Finanzen sitzt auf der rechten auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND- Seite dieses Hauses, nämlich die schwarz-gelbe Bundes- NIS 90/DIE GRÜNEN regierung. Rettungsschirm für die Kommunen vor dem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hintergrund von Haushaltslage und schwarz- DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten gelben Steuersenkungsplänen der CDU/CSU) Ich eröffne die Aussprache. Das, was Sie Wachstumsbeschleunigungsgesetz nennen Das Wort hat der Kollege Dr. Frank-Walter – klientelpolitisches Gesellenstück sagen wir –, wird die Steinmeier für die SPD-Fraktion. Kommunen jedes Jahr allein 1,6 Milliarden Euro kosten. Wenn man das, was Sie für das laufende Jahr angekün- (Beifall bei der SPD) digt haben, noch hinzunimmt, dann kommt man zu dem Schluss, dass das nur ein böser Vorgeschmack ist. Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Frau Merkel und Herr Westerwelle bemühen sich ja Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und jedes Wochenende auf Krisengipfeln, noch einmal die Herren! Die Lage der Kommunen ist dramatisch. Dra- Segnungen der bürgerlichen Koalition der Mitte hervor- matischer könnte sie nicht sein. Letztes Jahr fehlten zuheben. 4,5 Milliarden Euro in den Kassen von Städten und Ge- meinden. In diesem Jahr werden es bereits 12 Milliarden (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sehr gut!) Euro sein. – Sie sagen dazu: „Sehr gut!“ Ich entgegne Ihnen: Wer Ich habe mich am vergangenen Freitag mit 140 Bür- eine bürgerliche Politik der Mitte machen will, der muss germeistern, Oberbürgermeistern und Landräten getrof- auch Verantwortung für die 82 Millionen Menschen in fen. Das Fazit unserer Gespräche war relativ eindeutig: den Städten und Gemeinden tragen. Wenn das so weitergeht und keine Abhilfe kommt, dann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden die Pfeiler, die die Qualität des Zusammenlebens des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von 82 Millionen Menschen in Deutschland ausmachen, von der CDU/CSU: Wir tun das!) in den Städten und Gemeinden zusammenstürzen. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Wuppertal, eine Wer das will, der darf keine Politik machen, bei der am Gemeinde im Bergischen Land, bereitet gerade ein Ende alle, vom Kleinkind bis zum Rentner, die Kosten (B) Haushaltssicherungskonzept vor, um das Schlimmste ab- dafür tragen, dass Sie für ein paar Leute, von denen Sie (D) zuwenden. Darin steht, dass fünf städtische Schwimm- glauben, dass sie Sie gewählt haben, einige Kunststücke bäder geschlossen werden sollen, dass das Schauspiel- vollbringen. haus geschlossen werden soll, Zuschüsse für Sozial- und (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Herr Jugendarbeit gekürzt werden sollen, höhere Beiträge für Steinmeier, das ist aber schwach!) Kitas und Ganztagsschulen erhoben werden sollen. Sie wissen es genau, meine Damen und Herren – Wuppertal Wenn Sie glauben, dass das eine bürgerliche Regierung ist da kein Einzelfall –, in manchen Städten und Gemein- ausmacht, dann kann ich Ihnen nur entgegenhalten, dass den gehen im Augenblick buchstäblich die Lichter aus. sich die Bürgerinnen und Bürger das anders vorgestellt Die Laternen bleiben dunkel, weil das Geld für die haben. Stromrechnungen ganz offenbar fehlt. (Beifall bei der SPD) Natürlich ist daran auch die Wirtschafts- und Finanz- Wir brauchen in dieser Situation, die wirklich ernst krise schuld, was denn sonst. ist, um jetzt zu unserem Vorschlag zu kommen, einen (Zuruf von der CDU/CSU: Na klar!) Rettungsschirm für die Kommunen. Deshalb fordern wir, dass die Einnahmeausfälle, die den Städten und Ge- Die Steuereinnahmen sind letztes Jahr um 10 Prozent zu- meinden durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz rückgegangen, die Gewerbesteuer um 18 Prozent. Ich entstehen, ausgeglichen werden. Es ist doch ein Unding, darf aber daran erinnern: Wir haben geholfen, damit dass Sie auf der einen Seite sagen: „Die Hotels können frühzeitig gegengesteuert werden konnte, unter anderem endlich wieder investieren“ – da wird dann also reno- auch mit dem Konjunkturpaket, in dem viele Vorschlä- viert, und bei den Mövenpick-Hotels entsteht der eine gen von uns aufgenommen wurden, die dazu beitrugen, oder andere neue Swimmingpool –, aber auf der anderen dass die Fähigkeit der Kommunen zu Investitionen er- Seite städtische Schwimmbäder geschlossen werden. halten blieb. Das kann doch keine sinnvolle Politik sein. ( [FDP]: Zusatzinvestitio- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen!) DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Schwätzer!) Das lindert, hilft aber nicht gegen alle Folgen dieser Krise, vor allen Dingen, wenn die Arbeitslosigkeit wei- Wenn wir uns darin einig sind, dass wir die Krise ter steigt. Daraus ergäbe sich nämlich zwangsläufig, dass noch nicht überwunden haben und dass die Arbeitslosig- die Sozialausgaben der Kommunen weiter stiegen. keit und damit die Kosten auf kommunaler Ebene weiter Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1927

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) steigen, dann können wir das nicht einfach laufen lassen, blick geben, weil so etwas ja schnell wieder vergessen (C) sondern müssen etwas dagegen tun. Wir sagen zweitens: wird. Es ist richtig, den Städten und Gemeinden zwei Jahre lang bei den Kosten der Unterkunft zu helfen und bun- Im Jahre 2010 werden wir die Bürgerinnen und Bür- desseitig drei Prozentpunkte mehr zu übernehmen. ger über das Bürgerentlastungsgesetz um 10 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer entlasten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ingbert (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Liebing [CDU/CSU]: Ihr wolltet auf Null he- CSU]) runterfahren!) Als Teil des Konjunkturpakets haben wir über die Tarif- Drittens sagen wir Ihnen: Sie müssen auf die ange- verschiebung und über den Grundfreibetrag Bürgerinnen kündigte schwarz-gelbe Einkommensteuerreform ver- und Bürger um 4 Milliarden Euro in 2010 entlastet. Das zichten. Warum? Weil das noch einmal 4 Milliarden Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Sie leider immer Euro Miese in den kommunalen Kassen bedeuten würde. auf Hotelbegünstigungen reduzieren, hat Familien um Das kann und will sich keiner leisten. weitere 4,6 Milliarden Euro entlastet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zu- rufe von der FDP) Um insgesamt 18 Milliarden Euro entlasten wir also im Jahr 2010 die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere – Krakeelen Sie nicht herum! Familien, die auch in Kommunen leben, Herr Unsere schlichte Aufforderung – das wird in Deutsch- Steinmeier. Dieses Geld geben wir den Bürgern zurück. land gehört werden, auch von Ihren Bürgermeistern – So viel zu den Steuerplänen. Wir sind mittendrin im lautet: Treiben Sie mit Ihrer Politik die Städte und Ge- Steuersenkungsprogramm. meinden nicht weiter in den Ruin! (Zuruf von der SPD: Das ist der Fehler!) (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Das sollte nicht vergessen werden. Lassen Sie die Finger weg von dem alten Traum, den vor Wir werden damit fortfahren. Interessanterweise war allen Dingen Sie von der FDP hatten, nämlich der Besei- es mit Ihnen von der SPD als Koalitionspartner nicht tigung der kommunalen Gewerbesteuer. möglich, den Facharbeiter und die Krankenschwester im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hinblick auf die kalte Progression zu entlasten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Joachim Poß [SPD]: Stimmt doch nicht!) (B) Christian Lindner [FDP]: Ah!) (D) Wir haben eine Entlastung in einem kleinen Bereich und Sonst wird am Ende die kommunale Selbstverwaltung bei der Unternehmensteuer hinbekommen. Aber der nicht einmal mehr für Sonntagsreden taugen. Facharbeiter und der kleine Handwerker, die ganz we- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sentlich diese Gesellschaft mit ihren Steuern mittragen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf sind nicht entlastet worden. von der CDU/CSU: Nur heiße Luft!) (Joachim Poß [SPD]: Das ist wirklich dummes Zeug!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das werden wir in dieser Legislaturperiode nachholen. Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir werden die kalte Progression vermindern und den neten der FDP) Mittelstandsbauch abflachen. (Joachim Poß [SPD]: Und die Finanzierung Antje Tillmann (CDU/CSU): haben Sie auch, nicht wahr?) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Ich bin froh, dass der Titel dieser Aktuellen – Finanzierung ist ein gutes Stichwort. Eine Sache – das Stunde verändert worden ist. Das gibt mir Gelegenheit, will ich anerkennend sagen – haben wir gut hinbekom- die Steuervorstellungen der CDU/CSU-Fraktion in die- men: Wir haben in der letzten Legislaturperiode die ser Koalition darzustellen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schuldenbremse gemeinsam in der Verfassung veran- Kollege Steinmeier, haben wir nicht vergessen, dass wir kert. Ich will nicht verhehlen, dass aufgrund der Zustim- auch schon vor dem September in der Regierungsverant- mungssituation im Zusammenhang mit der Schulden- wortung waren. Wir sind sogar stolz darauf. bremse die CDU/CSU in dieser neuen Koalition in einer ganz besonderen Verantwortung steht und dafür sorgen (Beifall bei der CDU/CSU) muss, dass diese Schuldenbremse greift und die damit verbundenen Maßnahmen eingehalten werden. Weil wir in der Regierungsverantwortung standen, hatten wir Gelegenheit, das Jahr 2010 zu einem Jahr der ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- großen steuerlichen Erleichterungen, der Steuersenkun- NEN]: Aha! – Joachim Poß [SPD]: Viel Ver- gen schlechthin zu machen. Ich will einen kurzen Über- gnügen!) 1928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Antje Tillmann (A) Ich bin froh, dass der Finanzminister und der Staatsse- bleibt. In dieser Kommission können wir alle beweisen, (C) kretär Koschyk bei den Haushaltsberatungen auf die wie wichtig uns die kommunalen Verbände sind. Feststellung Wert gelegt haben, dass wir bis 2016 die künftige Generation mit den Schulden nicht allein lassen Ich sage aber auch: Wenn man die Verschuldungssitua- dürfen, sondern schon jetzt beginnen müssen, den Haus- tion insgesamt betrachtet, stellt man fest, dass die Kom- halt zu konsolidieren. munen nur ein Problem sind. (Joachim Poß [SPD]: Ja!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das werden wir ja Tatsächlich ist der Bund bei weitem höher verschuldet. sehen!) Es gilt, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden einen Ausgleich zu finden. Wir werden das tun. Wir haben in Nun zum Rettungsschirm für die Kommunen. Bei all der Vergangenheit bewiesen, dass wir damit erfolgreich diesen Leistungen haben wir sehr wohl die Kommunen auf der Seite der Kommunen stehen. im Auge gehabt. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ (Joachim Poß [SPD]: Bisher nichts Konkretes CSU]) im Kabinett! Stabilitätsprogramm: nur Leer- titel!) Die Kommunen können sich auf uns verlassen. – Aufgrund dieses ständigen Dazwischenredens kann ich Danke. mein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Wenn Sie ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- bisschen leiser sind, dann können mich alle hören. derspruch bei der SPD und dem BÜND- Danke schön. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Herr Poß hat keine Redezeit bekommen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir haben bei diesen Maßnahmen die Kommunen na- Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die türlich nicht vergessen. Auch da wundere ich mich, dass Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie nicht stolz darauf hinweisen, dass Sie teilweise daran (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beteiligt waren. Wir haben im Rahmen des Konjunktur- paketes den Kommunen 10 Milliarden Euro für Investi- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tionen vor Ort zur Verfügung gestellt. Wir haben für die Kinderbetreuung und das Ganztagsschulprogramm Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau (B) 8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Tillmann, das war schon ein starkes Stück. (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Steinmeier [SPD]: Warum nehmen Sie es ih- neten der FDP) nen denn dann wieder?) – Ja, manche verstehen nicht mal Ironie, aber das wun- dert mich nicht. Wir haben die Einnahmesituation der Kommunen ver- bessert, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Joachim Poß [SPD]: Das war Rot-Grün! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Vor Ihrer Elf Jahre Werbung um Schwarz-Gelb, sozusagen Verlo- Zeit!) bung, dann hundert Tage Probezeit, und Sie, Frau Tillmann, schmücken sich hier mit Federn aus rot-grüner indem wir bei der Gewerbesteuer Hinzurechnungen vor- Regierungszeit. Das ist zu wenig. genommen haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU NEN]: Wer ist denn „wir“?) und der FDP: Oh!) die die Kommunen von Konjunkturschwankungen weni- Diese Zeit ist abgelaufen. Sie müssen endlich Konzepte ger abhängig machen. vorlegen, Frau Tillmann. (Joachim Poß [SPD]: Ja, auf unseren Antrag (Zuruf von der CDU/CSU: Die größte Finanz- hin!) krise hatten die Kommunen unter Rot-Grün! Wir werden das auch weiterhin tun. Das habt ihr vergessen, was?) (Joachim Poß [SPD]: Nein, jetzt machen Sie In der Diskussion über das Thema Tagesbetreuungs- die Rückabwicklung!) ausbau haben Sie noch behauptet, wir würden die deut- schen Mütter aus dem Haus treiben. Sie haben nicht ge- Finanzminister Schäuble hat angekündigt, eine Kommis- merkt, dass die Frauen in Deutschland – gerade die sion einzurichten, um die finanzielle Situation der Kom- geringer Ausgebildeten – endlich Arbeitsplätze brau- munen genau zu betrachten. Wir werden weiterhin dafür chen, um nicht in die Armut abzurutschen, und dass Fa- sorgen, dass die wirtschaftliche Situation nicht nur für milien in Deutschland auf beide Einkommen angewiesen den Bund, sondern auch für die Kommunen erträglich sind. Dagegen haben Sie angekämpft. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1929

Renate Künast (A) Beim Thema Schule war das genauso. Sie waren ge- haben Kommunen, die pleite sind. Die Kommunen sind (C) gen alle Vorschläge. Nun sprechen Sie sich nach elf Jah- der Ort, an dem der Alltag der Menschen gestaltet wird. ren Verlobung und hundert Tagen Probezeit dafür aus. Wir wollen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen genau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wissen – nicht irgendwann nach einer Steuerschätzung, und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: die Herr Solms und andere sowieso für obsolet halten –, Ach, eine neue Erkenntnis!) wohin die Reise gehen soll. Wen wollen Sie in diesem Hillary Clinton hat einmal geschrieben: It takes a Land unterstützen und absichern? village to raise a child. Man braucht wirklich eine ganze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinschaft, ein Dorf, einen Ort, um ein Kind großzu- und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/ ziehen. Die Kinder in diesem Land sind darauf angewie- CSU) sen, dass sie ein funktionierendes soziales Umfeld ha- ben, dass sie mit sechs, sieben Jahren allein den Weg zur Ich würde mir noch mehr klare Worte von der CDU/ Grundschule gehen können, was nicht möglich ist, wenn CSU über ihr Verhältnis zur FDP wünschen. Die ist auf- lauter Grundschulen geschlossen werden. Sie sind da- grund ihres freien Falls in den Umfragewerten am Wo- rauf angewiesen, dass es Jugendsport gibt, Kinderbetreu- chenende zu einem Krisentreffen zusammengekommen. ung am Nachmittag, Jugendarbeit, Kultur, ob Fußball- Am Ende des Treffens wurde gesagt: Ja, wir haben Feh- klub, Ballett- oder Musikschule. Darauf sind sie ler gemacht, und die wollen wir jetzt noch schneller ma- angewiesen. Deshalb brauchen wir Kommunen, die Geld chen. haben, und nicht eine Kommission, die prüft, ob wir die Realität schon wahrnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist ein putziger Ansatz. Aber ich finde es gut – ich und bei der SPD) sage ausnahmsweise etwas Nettes zu Ihnen –, dass Sie Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins Aufga- nun vor der NRW-Wahl Ihre Pläne vorlegen wollen. benheft geschrieben: Es geht um soziale Gerechtigkeit. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Es geht nicht nur um die angeblich besserverdienenden SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Leistungsträger. Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik ins Aufgabenheft geschrieben: Die Regelsätze Das führt immerhin zu mehr Transparenz, auch wenn bei Hartz IV sind neu zu berechnen. Wir alle wissen: wir inhaltlich nicht damit übereinstimmen werden, wenn Das wird mehr Geld kosten, weil die Sicherung des phy- ich allein an die ewige Mövenpickerei denke oder daran, sischen und psychischen Existenzminimums, die Bil- (B) dass Sie per Kopfpauschale die Sekretärin mit demsel- dung der Kinder und die kulturelle Teilhabe Geld kosten. (D) ben Beitrag zur Kasse bitten wollen wie ihren Chef usw. Ich sage Ihnen: Es geht nicht nur um die 1,8 Millionen Hartz IV beziehenden Kinder. An dieser Stelle geht es (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sie reden um alle Kinder. Das Bundesverfassungsgericht lässt Ih- hier im Bundestag und nicht in der Bütt!) nen Zeit bis zum 31. Dezember. Ich sage Ihnen: Ich will – Guten Morgen, schön, dass Sie hier sind und nicht in es vor dem 9. Mai wissen, vor den NRW-Wahlen, damit Schleswig-Holstein vom Winde verweht. man dann eine Antwort auf Ihre Regierungstätigkeit bringen kann. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD) und bei der SPD – Antje Tillmann [CDU/ CSU]: Das hätten Sie schon vor sechs Jahren Sie tun so, als hätten wir so viel Geld im ohnehin ver- wissen können! Sie haben es doch verabschie- schuldeten Bundeshaushalt übrig, dass wir die Kopf- det!) pauschale sozial ausgleichen könnten. Wer soll diese Lasten auf seinen Schultern tragen? Es (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sie treten geht um ein Entweder-oder. Entweder Kopfpauschale heute als Büttenrednerin auf!) mit Steuergeld ausgleichen und Steuersenkungen für Frau Merkel, der Bundesfinanzminister und andere ha- Reiche oder auf der anderen Seite Existenzsicherung und ben es nicht einmal nötig, bei dieser Aktuellen Stunde zu Bildungsinfrastruktur. Das ist die Frage. Das fragen sich erscheinen. Das spricht Bände. Eltern in Magdeburg, die 20 Euro mehr Kindergeld ha- ben, aber 30 Euro mehr Kita-Gebühren zahlen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD – Carl- Ludwig Thiele [FDP]: Die fragen sich auch, Ich will nicht nach hundert Tagen erfahren, dass Frau warum die Grünen Hartz IV zugestimmt ha- Tillmann schon wieder eine Kommission einrichtet, um ben!) zu betrachten, wie es den Kommunen in Zukunft geht. Da gibt es nichts mehr zu betrachten! Wir wissen es Das fragen sich Eltern in Essen, der Kulturhauptstadt, schon! Wir befinden uns in einer Finanz- und Wirt- wo jetzt Grundschulen geschlossen werden. Das fragen schaftskrise. Wir haben mit steigenden Arbeitslosenzah- sich in Duisburg die Familien, die für Geschwister im len und horrender Staatsverschuldung zu kämpfen, wir Kindergarten jetzt plötzlich den vollen Satz zahlen müs- 1930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Renate Künast (A) sen. Das fragen sich Menschen, die sehen, dass bei der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Polizei gespart wird. der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wir be- klagen Ihre Steuersenkungspläne!) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das haben Sie doch gemacht! Ihre Regierung hat das ge- Hinzu kommt, dass gerade die FDP seit Jahrzehnten macht!) anmahnt, dass die Finanzierung der Gemeinden auf eine neue Grundlage gestellt werden muss. Meine Damen und Herren, Sie können es nicht. Elf Jahre Verlobung, hundert Tage Probezeit: Sie haben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht für Gerechtigkeit gesorgt. Deshalb wird es dazu am der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der 9. Mai Entscheidungen geben. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Warum? Herr Steinmeier hat es ja gesagt: Das Hauptpro- Sie haben das gemacht! Hartz IV habt ihr ge- blem der Gemeinden ist die Gewerbesteuer. Sie ist um macht! Hartz IV war von euch!) 18 Prozent eingebrochen, in manchen Gemeinden um 60 Prozent. Manche haben diese Einnahmen sogar total Vizepräsidentin Petra Pau: verloren. Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms (Beifall bei Abgeordneten der FDP) für die FDP-Fraktion. Das hängt natürlich mit der Wirtschaftsentwicklung und (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: dem fehlenden Wachstum zusammen. Das wird aber im- Noch eine Steuersenkung! – Zuruf vom mer wieder vorkommen. Wenn Sie die Gemeindefinan- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sparbuch!) zen in erster Linie an die Gewerbesteuer binden, dann werden Sie diese zyklischen Entwicklungen immer wie- Dr. Hermann Otto Solms (FDP): der erleben. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Britta Herren! Frau Künast, Sie haben sich im Tag geirrt: Wei- Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: berfasching ist morgen. Sie wollen sie ja abschaffen! – Joachim Poß (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [SPD]: Sie durchlöchern doch schon wieder der CDU/CSU) die Gewerbesteuer! Sie sind der Oberspezialist für Löcher! – Gegenruf des Abg. Carl-Ludwig (B) An Weiberfasching werden die Rathäuser von den Thiele [FDP]: Die Löcher sind von euch!) (D) Frauen gestürmt. Da hätten Sie sich betätigen können, aber Sie haben ja noch Zeit. Sie können das morgen Deswegen wollen wir untersuchen – übrigens mit Be- noch tun. teiligung der Länder –, ob wir nicht ein stabiles Finanz- system für die Gemeinden entwickeln können. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Die FDP hat konkrete Vorschläge gemacht, die Ge- Ich habe selten erlebt, dass man in fünf Minuten einen werbesteuer durch die Umsatzsteuer und einen Zuschlag Querschnitt der ganzen Innenpolitik liefert, ohne einen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu ersetzen. einzigen konkreten Vorschlag zu machen. (Joachim Poß [SPD]: Er löchert bei der Ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werbesteuer seit 30 Jahren!) der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie doch Aber auch die Stiftung Marktwirtschaft, Herr Poß, hat einmal rüber mit Ihren Steuerplänen!) Vorschläge gemacht. Wenn Sie sich hier über Hartz IV beschweren, frage ich (Joachim Poß [SPD]: Sie löchern seit 30 Jah- mich, ob Sie vergessen haben, dass Sie Hartz IV mit aus ren, Herr Solms!) der Taufe gehoben haben. Das ist doch Ihre Verantwor- Ihr früherer Finanzminister aus Rheinland-Pfalz, Kol- tung. lege Deubel, der sehr sachverständig ist, hat daran mit- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gewirkt. der CDU/CSU) (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aber nicht Die SPD hat elf Jahre lang den Finanzminister gestellt lange!) und beklagt jetzt die desolate Situation der Gemeinden. Auch das sind vernünftige Vorschläge. Denn in der ge- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- samten Wissenschaft ist klar, dass die Gewerbesteuer ge- NEN]: Was ist denn mit Ihren Plänen? Sagen rade für die Gemeinden keine stabile Finanzierungs- Sie doch etwas zur FDP!) grundlage ist und dass hier korrigiert werden muss. Und wir, die wir seit hundert Tagen im Amt sind, sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten natürlich die Schuldigen. Wir sind daran schuld. Das der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Was hat glaubt Ihnen keiner. Frau Tillmann gerade gesagt?) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1931

Dr. Hermann Otto Solms (A) Das hat sogar Ihr Finanzminister gewusst. Da hatten Sie nämlich schon eine Maßnahme zur Milde- (C) Er hat schon einmal einen Anlauf gemacht, um das zu rung dieser Ungerechtigkeit vorgesehen. Damit geben ändern, ist aber dann mit den Ländern nicht zu Rande Sie zu erkennen, dass Sie das Problem erkannt haben. gekommen. (Joachim Poß [SPD]: Es spricht doch keiner (Joachim Poß [SPD]: Die Zahlen sagen etwas gegen das Problem! Es geht um die Finanzie- anderes!) rung!) Wir wollen einmal ehrlich bleiben und sagen: Die Er- Um nichts anderes geht es. kenntnis ist in allen Fraktionen und Parteien vorhanden, Ansonsten wollen wir das Steuersystem vereinfachen. (Joachim Poß [SPD]: Nee!) (Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie etwas zur Fi- nanzierung!) nur haben Sie bisher nicht den Mut und die Durchset- zungskraft gehabt, dies zu realisieren. Wir wollen die Steuerverwaltung, die Steuerveranlagung vereinfachen. Wir wollen ein einfaches, gerechtes und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten niedrig belastendes Steuerrecht schaffen. der CDU/CSU) (Joachim Poß [SPD]: Sie leben doch in einer Nun wird unterstellt, wegen der Steuerentlastungen, Traumwelt!) die sich die Koalition vorgenommen hat, würden die Ge- Das wird auch ein Beitrag für eine stabile Finanzierung meinden noch mehr in die Bredouille geraten. Das ist der Gemeinden sein. Von dieser Politik lassen wir uns doch purer Unsinn. auch durch Ihre Interventionen und Ihre Schreierei nicht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten abbringen. der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der (Joachim Poß [SPD]: Traumtänzer!) SPD) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Worum geht es denn eigentlich? Das will ich der SPD als Arbeitnehmerpartei zeigen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Der Redner hält ein Diagramm hoch) [FDP]: Das war endlich konkret nach Frau Künast!) Es geht um eine Ungerechtigkeit im deutschen Steuer- tarif, bei dem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkom- (B) men durch den sogenannten Mittelstandsbauch Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Das Wort hat die Kollegin Katrin Kunert für die Frak- (Zuruf von der SPD: Das ist der tion Die Linke. Waigel-Buckel) (Beifall bei der LINKEN) – ja, ich weiß das – überproportional belastet werden. Katrin Kunert (DIE LINKE): (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! NEN]: Ich bitte, Brillenputzgläser auszuge- Sagen Sie, Herr Solms, war das eben das Diagramm der ben! Man sieht das so schlecht!) Einnahmen Ihrer Partei durch Spenden? Das wäre zu- Was wollen wir in dieser Legislaturperiode machen? Wir mindest einmal sehr interessant. wollen lediglich diese Ungerechtigkeit mithilfe von (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der Steuerentlastungen so weit als möglich beseitigen. Das FDP: Oh! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ ist das Ziel dieser Koalition. DIE GRÜNEN]: Nein, da sind die Kurven hö- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten her!) der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Als kommunale Mandatsträgerin muss ich Ihnen sa- DIE GRÜNEN]: Ist das die Schuldenkurve, gen, dass man den Eindruck hat, dass Sie überhaupt oder was zeigen Sie da?) nicht wissen, worüber Sie reden. Es geht um Steuergerechtigkeit für die Arbeitnehmerin- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nen und Arbeitnehmer und die kleinen Selbstständigen, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE die von dieser Ungerechtigkeit betroffen sind. Die wol- GRÜNEN) len wir beseitigen. Haben Sie sich einmal die Frage gestellt, warum die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wahlbeteiligung gerade bei Kommunalwahlen sinkt? der CDU/CSU) Die Bürgerinnen und Bürger erkennen, dass aufgrund der Finanznot der Kommunen kaum noch Aufgaben er- Das hätten Sie in Ihrer Regierungszeit tun müssen. Dass ledigt werden können. Darüber sollten Sie einmal nach- Sie selbst es für notwendig erachten, hat sich ja bei den denken. Konjunkturpaketen gezeigt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Katrin Kunert (A) Kommunen brauchen keinen Schutzschirm; Kommu- Zur Wahrheit gehört auch, dass der damalige Arbeits- (C) nen brauchen mehr. Kommunen brauchen gefüllte Kas- minister in der letzten Kabinettssitzung der sen, das heißt, sie brauchen eine solide Finanzausstat- Großen Koalition den Bundesanteil an den Unterkunfts- tung, damit sie Kindertagesstätten, Sportstätten, das kosten gesenkt hat. Theater, die Bibliothek und alles andere ordentlich aus- (Joachim Poß [SPD]: Kennen Sie das Bundes- statten und unterhalten können. Kommunen brauchen verfassungsgericht?) auch endlich ein verbindliches Mitwirkungsrecht im Deutschen Bundestag, damit hier keine Entscheidung Vor diesem Hintergrund müssen Sie wirklich einmal er- mehr getroffen wird, die zulasten der Kommunen und so- klären, wo Sie bisher eine kommunalfreundliche Politik mit zulasten der Bürgerinnen und Bürger geht. Da können betrieben haben. Sie sich ordentlich aufregen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LIN- (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen KEN: Das ist die Wahrheit!) Koppelin [FDP]: Hier in Berlin! Hier in Ber- Liest man Ihren Koalitionsvertrag und schaut man lin!) sich die Vorhaben der FDP an, muss man feststellen: Für – Schreien Sie doch nicht so. die Kommunen wird es sehr dunkel. Sie stellen die Ge- werbesteuer infrage (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ach so! Wer schreit denn dann?) (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein! Wir wollen sie abschaffen! – Dr. h. c. Jürgen Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt, und man Koppelin [FDP]: Genau! Abschaffen, Frau könnte den Eindruck haben, dass alle vier Fraktionen Kollegin!) bisher eine sehr kommunalfreundliche Politik gemacht – ja, Sie wollen sie abschaffen; das ist noch viel schlim- haben. Aber dem ist mitnichten so. Herr Steinmeier, ich mer –, Sie wollen die öffentlich-privaten Partnerschaften habe mich gefragt, wo Sie bis September 2009 in diesem weiterführen, Private sollen von der Umsatzsteuer be- Haus waren. freit sein, und Sie wollen Rekommunalisierungen er- (Nicolette Kressl [SPD]: Wir haben die Ge- schweren. Ich frage mich: Wo ist Ihr kommunaler Sach- werbesteuer stabilisiert!) verstand? Frau Piltz hat in einer früheren Debatte einmal gesagt: Städte sind das Fundament des Staates. – Diese Sie nehmen hier zwar eine ordentliche Situationsbe- Aussage haben Sie aber überhaupt nicht verinnerlicht. schreibung vor, nennen aber weder die Ursachen noch machen Sie konkrete Vorschläge. (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) (Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch die Ge- Weniger Einnahmen stehen steigenden Sozialkosten werbesteuer durchgesetzt und stabilisiert!) gegenüber. Die Kosten der Unterkunft habe ich bereits genannt. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Grund- Sie scheinen völlig vergessen zu haben, Herr Poß, sicherung im Alter und die Höhe der Eingliederungsleis- tungen stetig steigen. Aber der Bund beteiligt sich an (Joachim Poß [SPD]: Wir haben die Gewerbe- diesen Kosten nicht angemessen. steuer stabilisiert! Niemand anders! Reden Sie doch keinen Stuss!) Ein Beispiel ist der Kommunal-Kombi. Dieses Bun- desprogramm wurde von den Kommunen schlecht ange- dass Sie, als Sie in der Regierung waren, unter Rot-Grün nommen. Fragt man die Bundesregierung nach den Ur- und Rot-Schwarz, ständig Steuersenkungen vorgenom- sachen, erhält man folgende Antwort: men haben, die bis zum heutigen Tage anhalten. Durch diese Umverteilung von unten nach oben machen Sie Aus Sicht der Bundesregierung liegt ein maßgebli- den Staat arm. cher Grund für die geringe Inanspruchnahme des Programms in der mangelnden Bereitschaft vieler (Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß Bundesländer und Kommunen, eigene Kofinanzie- [SPD]: Sie haben keine Ahnung!) rungsmittel bereitzustellen. An dieser Stelle möchte ich zwei Beispiele nennen. Wissen Sie, entweder hat der Parlamentarische Staatsse- Die Steuerreform, die 1999 unter Rot-Grün verabschie- kretär Brauksiepe keine Ahnung von den Kommunal- det wurde, brachte den Kommunen Einbrüche bei den finanzen, oder er ist einfach nur arrogant. Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Allein im Zeitraum (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: von November 2008 bis Sommer 2009 sind in diesem Oder beides!) Hause zehn Gesetzentwürfe verabschiedet worden, die für die Kommunen bis zum Jahre 2013 Mindereinnah- Ich finde, das ist überhaupt nicht hinnehmbar. men in Höhe von bis zu 19 Milliarden Euro zur Folge (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) haben werden. Wenn wir hier über Wahrheiten reden, dann bitte über volle Wahrheiten. Sie haben keine Kenntnis, warum das Bundesprogramm Kommunal-Kombi nicht in Anspruch genommen wurde. (Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß Es lag nicht an der mangelnden Bereitschaft, sondern am [SPD]: So ein Quatsch! Wir haben Konjunk- fehlenden Geld. turpakete und das Bürgerentlastungsgesetz verabschiedet!) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1933

Katrin Kunert (A) In Ihren andauernden Steuerentlastungsdebatten ha- Die Fragen, die wir uns sachlich stellen sollten, sind: (C) ben Sie nur die Gutbetuchten im Fokus. Die Folgen für Wie überwinden wir diese Krise? Wie überwinden wir die Städte, Gemeinden und Landkreise sind geringere das Finanzierungsdefizit, auch das unserer Kommunen? Einnahmen. Es steht schlicht und einfach ihre Hand- (Ute Kumpf [SPD]: Jedenfalls nicht, indem lungsfähigkeit auf dem Spiel. wir die Hoteliers beschenken! – Zuruf von der Selbst Herr Rüttgers hat inzwischen erkannt, dass Ihre LINKEN: Machen Sie dazu doch mal Vor- Logik Unsinn ist und dass immer mehr Steuerentlastun- schläge!) gen zu immer mehr Ausfällen im Staatssäckel führen. Hierbei muss man natürlich eine klare ökonomische Natürlich muss man seine Aussagen vor dem Hinter- Konzeption verfolgen. grund sehen, dass er seine Mehrheit in NRW behalten möchte. Zumindest hat er aber die falsche Logik er- (Ute Kumpf [SPD]: Die haben Sie aber nicht!) kannt; das muss man zur Kenntnis nehmen. Zunächst einmal haben wir das Konjunkturpaket II mit (Joachim Poß [SPD]: Ach was! Letzte Woche 10 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Ich gehe da- hat Rüttgers in Nordrhein-Westfalen noch et- von aus, dass auch die von Ihnen regierten Kommunen was ganz anderes erzählt!) die Möglichkeiten, durch energetische Sanierung von Schulen und Kindergärten die Betriebskosten zu senken, Wenn Sie in der schwarz-gelben Koalition Lobbypolitik genutzt haben. machen – Lobbypolitik liegt Ihnen ja sehr am Herzen –, rate ich Ihnen: Vertreten Sie doch auch einmal die Lobby (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Kommunalpolitik. NEN]: Manche hatten es längst gemacht, und jetzt sind sie pleite – wegen der Kofinanzie- (Beifall bei der LINKEN) rung!) Die Linke fordert – diese Forderung werden wir na- Das sind hervorragende Investitionen, die den Kommu- türlich auch mit Anträgen untersetzen – ein verbindli- nen dienen und genutzt werden. Letzten Endes haben ches Mitwirkungsrecht für die Kommunen, die Einset- diese Investitionen zu erheblichen Auftragszuwächsen zung eines Kommunalausschusses und eine verbindliche bei den Handwerkern geführt und zur Sicherung von Ar- und solide Finanzausstattung der Kommunen, zum Bei- beitsplätzen beigetragen. spiel eine Investitionspauschale. Würde man in Deutsch- land die Vermögensteuer einführen und ihre Höhe auf Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass un- der Grundlage des Durchschnitts der OECD-Staaten sere Konzeption zum einen dadurch, dass unsere Haus- festlegen, würde dies 25 Milliarden Euro einbringen. Er- haltspolitik antizyklisch ist, zum anderen dadurch, dass (B) zählen Sie also nicht immer, wir hätten zu wenig Geld. wir ganz klar Wachstumspolitik betreiben, die Wir- (D) Außerdem fordern wir, dass die Aufgaben, die vor der kungskraft entfalten wird, die wir brauchen, um diese Föderalismusreform vom Bund auf die Kommunen Krise zu bewältigen. übertragen wurden, weiterfinanziert werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn die Städte und Gemeinden das Fundament die- Das passt zusammen. Wachstum ist in dieser Situation ser Gesellschaft sind, dann müssen wir es jetzt festigen das einzige Ziel, das man anstreben kann. Die ökonomi- und dürfen es nicht immer spröder werden lassen. sche Grundwahrheit heißt nun einmal: ohne Wachstum Schönen Dank. keine Belebung der Nachfrage, ohne Wachstum keine neuen Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Mehrung der (Beifall bei der LINKEN) Kaufkraft, ohne Wachstum keine neuen Investitionen. Deshalb müssen wir deutlich machen: An Steuerentlas- Petra Pau (DIE LINKE): tungen – Wachstumsanreizen – führt kein Weg vorbei. Für die Unionsfraktion hat der schon am Redepult be- Mit der Erhöhung des Kindergeldes, mit der Verbesse- findliche Kollege Dr. Hans Michelbach das Wort. rung der Familienförderung haben wir genau das getan: für die Mehrung der Kaufkraft gesorgt, die notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mit den Korrekturen bei der Besteuerung der Unterneh- Joachim Poß [SPD]: Schon wieder Michelbach? men haben wir die Finanzierung der Unternehmen ver- Der hört ja heute gar nicht auf zu reden!) bessert und damit dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. Das waren die Ziele des Wachstumsbeschleuni- Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): gungsgesetzes. Diese Maßnahmen haben zielführend zur Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr Krisenbewältigung beigetragen und werden auch in Zu- geehrte Damen und Herren! Die Krise hat die Kommu- kunft dazu beitragen. nalhaushalte zweifellos ins Defizit getrieben. Die Siche- rung der Kommunalfinanzen ist der CDU/CSU-Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein wichtiges Anliegen; denn die Kommunen haben im der FDP) Bereich der Investitionen für das Gemeinwohl eine Wenn sich Herr Steinmeier hier in einem Niveau dar- wichtige Funktion. stellt, das ich ihm nicht hätte unterstellen können, und vom Hotelpopanz spricht, (Zuruf von der SPD: Was für eine Sonntags- rede!) (Zurufe von der SPD: Oh!) 1934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) will ich ihm einmal sagen, was die Hotels bei den Kom- der Kommunen gesagt haben, waren aus meiner Sicht (C) munen zuletzt an Einnahmeausfällen hervorgerufen ha- reine Lippenbekenntnisse. ben. Über die Umsatzsteuerbeteiligung betrug der Ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lust insgesamt 19 Millionen Euro. In meiner Heimatstadt ist auf den Kämmerer ein Einnahmeverlust von Was Sie tun, hat mit dem, was Sie sagen, nichts zu tun. 20 000 Euro zugekommen. Das bekommt er nun durch Die 20 000 Euro, auf die Sie das heruntergerechnet ha- die Gewerbesteuer der Hoteliers mehrfach wieder her- ben, sind möglicherweise die 20 000 Euro, die in Ihrer ein. Heimatgemeinde dem Arbeitslosenzentrum oder der Ju- gendbegegnungsstätte fehlen und dazu führen, dass sol- (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- che Einrichtungen der dramatischen Finanzsituation zum KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Opfer fallen. NEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo leben Sie denn? Wo lernten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie denn rechnen?) Insofern geht es nicht nur um die Hotels – darauf Was Sie hier aufführen, ist also ein absoluter Popanz. komme ich noch zurück –, sondern um das gesamte Pa- ket, das Sie zulasten der Kommunen mit dem Wachs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tumsbeschleunigungsgesetz geschnürt haben. Die darin der FDP) enthaltenen Maßnahmen belasten die Kommunen direkt Es muss jetzt darum gehen, unsere klare Konzeption mit 1,6 Milliarden Euro. Die Kommunen rechnen natür- für Wachstumsbeschleunigung und Wachstumsanreize lich zu Recht damit, dass die Länder die Ausfälle, die sie fortzuführen. Dazu ist es sicherlich notwendig, dass wir durch die Maßnahmen dieses Paketes haben, teilweise Steuerentlastungen vornehmen. Der Steuerzahler leidet an die Kommunen weiterreichen. Das heißt, wir reden einfach unter der kalten Progression, die dazu führt, dass hier nicht über 1,6 Milliarden Euro, sondern wahrschein- ihm immer mehr abgenommen wird, je mehr er leistet. lich über 2,1 bis 2,2 Milliarden Euro. Das ist leistungsfeindlich. So etwas können wir uns ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rade in der Krise nicht leisten, meine Damen und Herren. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Frau Tillmann, Sie haben hier zwar ein Bekenntnis der FDP) zur Gewerbesteuer abgegeben und all das hervorgeho- Wir dürfen die Menschen nicht überfordern. Wir müs- ben, was wir in der Großen Koalition gemeinsam be- sen den Betrieben Freiraum geben. Dadurch wird letzten schlossen haben. Das, was wir gemacht haben, war größ- tenteils richtig und wichtig. Auch unter Rot-Grün haben (B) Endes die konjunkturelle Basis wieder gestärkt, sodass (D) Bund, Länder und Kommunen – sie sitzen finanziell im wir Dinge gemacht, die Sie später in der Großen Koali- gleichen Boot – aus dieser Krise wieder herauskommen tion für sich vereinnahmt haben. Aber jetzt sind Sie da- und das Finanzierungsdefizit beenden können. bei, all das zurückzudrehen. Das ist der Skandal. Die linke Seite dieses Hauses geht immer davon aus, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass das Geld automatisch dem Staat gehört. Zunächst, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – meine Damen und Herren, gehört es dem Bürger! Joachim Poß [SPD]: In jeder Sitzungswoche werden die Löcher größer!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Johannesevangelium beginnt mit dem Satz: „Im An- Davon müssen wir ausgehen, das ist der richtige Ansatz, fang war das Wort.“ In Ihrem Evangelium, dem Koali- um Leistungsanreize zu schaffen und dadurch die Leis- tionsvertrag mit 132 Seiten, fehlt der erste Satz. Der tung zu erzeugen, die wir brauchen, um aus dieser Krise erste Satz muss lauten: Im Anfang war der Wortbruch, herauszukommen. und zwar der Wortbruch gegenüber den Kommunen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Die Krise müssen wir bewältigen; das muss die Zielfüh- Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Mehrwert- rung sein. Die Polemik dieser Stunde hilft dabei nicht. steuererhöhung! – Weitere Zurufe von der Herzlichen Dank. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Sie waren nicht dabei, reden Sie nicht immer dazwi- schen. Es geht darum, dass die Kanzlerin im Mai letzten Jahres vor dem Deutschen Städtetag in Bochum am Vizepräsidentin Petra Pau: 13. Mai – einige von Ihnen waren vielleicht dabei und Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernd wissen das noch – gesagt hat: Die Gewerbesteuer bleibt Scheelen das Wort. unangetastet. Was machen Sie jetzt? Sie machen all das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rückgängig, was wir zugunsten der Kommunen be- schlossen haben. Sie schaffen die Gewerbesteuer ab. Bernd Scheelen (SPD): Herr Solms hat das hier ausdrücklich gesagt. Sie soll- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ten sich in der Koalition einmal einigen, was Sie wollen Verehrter Kollege Michelbach, was Sie hier zugunsten und ob das gilt, was im Koalitionsvertrag steht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1935

Bernd Scheelen (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kommunen demnächst mehrwertsteuerpflichtig wer- (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den, wenn sie Abfallentsorgung betreiben. Im Koalitionsvertrag jedenfalls steht nicht, dass sich die (Beifall bei der SPD) Regierungskommission mit der Lage der Kommunen be- Der Gesetzentwurf, den wir gestern in der Anhörung schäftigen soll, sondern die Kommission hat den Auftrag beraten haben, ist von den Experten regelrecht zerrissen – Frau Kollegin Tillmann, Sie haben versucht, das zu worden. verschleiern –, insbesondere die Abschaffung der Ge- werbesteuer zu prüfen. Das ist der eigentliche Skandal. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist doch Dagegen werden wir entschiedenen Widerstand leisten. nicht wahr!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mit diesem Gesetzentwurf soll genau das rückgängig ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Leo macht werden, Frau Kollegin Tillmann, was wir gemein- Dautzenberg [CDU/CSU]: Da steht drin: Er- sam beschlossen haben, um die Gemeindefinanzen zu satz der Gewerbesteuer!) stabilisieren. Sie destabilisieren die Einnahmesituation der Kommunen. Sie sind auf dem falschen Weg. Ich – Ersatz der Gewerbesteuer heißt die Abschaffung der kann Ihnen nur raten: Kehren Sie um! Das, was Sie ma- Gewerbesteuer, Herr Kollege. Sie wissen doch genau, chen, bedeutet: Sie nehmen den Kommunen die Luft welche Modelle es gibt. All das ist schon hundertmal zum Atmen. Sie verschärfen die Krise. überprüft worden. Es gab unter Hans Eichel eine Kom- mission, an der alle beteiligt waren. Sie hat alle Modelle, Eine Überschrift in Ihrer Koalitionsvereinbarung lau- die auf dem Tisch lagen, überprüft und ist zu der Über- tet zwar: „Der Weg aus der Krise“. Aber dort muss ei- zeugung gekommen: Das einzig Sinnvolle ist, die Ge- gentlich stehen: Wie verschärfen wir die Krise? Im An- werbesteuer zu festigen. Das ist der Auftrag, den wir schluss folgen die Maßnahmen, die zur Verschärfung unter Rot-Grün angegangen sind und in der Großen beitragen. Koalition fortgesetzt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie befinden sich auf einem Irrweg. Kehren Sie um! Reuigen Sündern wird ab und zu auch vergeben. Lassen Sie die Finger von der Gewerbesteuer. Sie ist zwar noch immer konjunkturreagibel, aber nicht mehr so Vielen Dank. stark wie früher. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) Die Schlussfolgerung, die Herr Solms zieht, lautet: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (D) Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind schon durch Joachim Poß [SPD]: Nein, das machen wir die Krise eingebrochen. Dann macht es nichts, wenn wir überhaupt nicht!) den Kommunen durch gesetzgeberische Maßnahmen weitere 2, 3 oder 4 Milliarden Euro an Belastungen auf- Vizepräsidentin Petra Pau: bürden. Das ist ein Skandal. So funktioniert Politik Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für nicht. die FDP-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Leo des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dautzenberg [CDU/CSU]) Joachim Poß [SPD]: Entweder ist er dumm oder bösartig, wenn er so etwas macht!) Dr. Birgit Reinemund (FDP): Wir hatten gestern eine Anhörung zu einem Gesetz- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr entwurf, der mit einem sehr verwaltungstechnischen Ti- Kollege von der SPD, dass gerade Sie das Wort „Wort- tel daherkommt. Dieser lautet: „Entwurf eines Gesetzes bruch“ in den Mund nehmen, ist schon dreist und mutig. zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Än- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten derung steuerlicher Vorschriften“. Darin enthalten sind der CDU/CSU) weitere Maßnahmen, durch die die Kommunen wie- derum mit 1,8 Milliarden Euro zusätzlich belastet wer- Ich erinnere Sie nur an die Mehrwertsteuererhöhung und den. an das Wort „Merkel-Steuer“ im Wahlkampf. – So viel zum Gedächtnisschwund der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich auf die Lage der Kommunen einge- hen. Die Lage vor Ort ist ernst. Das ist mir als Stadträtin Diese Maßnahmen führen die Kommunen endgültig in Mannheim, mitten in den kommunalen Haushaltsbe- in die Krise. Der Kollege Koschyk wird auf seinen Bei- ratungen, schmerzlich bewusst. trag in der Bayernzeitung eingehen und behaupten, es (Ute Kumpf [SPD]: Einen guten Oberbürger- gäbe bei der Müllentsorgung keine Probleme. Wir sind meister haben Sie!) sehr gespannt, ob nicht demnächst die Müllgebühren steigen; denn die Maßnahmen, die Sie in Ihrem Koali- Doch die aktuelle Finanzlage kann noch nichts mit den tionsvertrag niedergelegt haben, bedeuten, dass auch die Entlastungen zu tun haben, die im Januar 2010 in Kraft 1936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. Birgit Reinemund (A) getreten sind. Die katastrophale Haushaltslage der Kom- schlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu (C) munen ist zum einen krisenbedingt. Zum anderen treten ersetzen, jetzt die strukturellen Defizite der Gemeindefinanzie- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung besonders deutlich hervor. NEN]: Das heißt 3 Prozent mehr für jeden (Beifall bei der FDP) Bürger!) Diese Strukturprobleme waren auch Ihnen, meine Da- mit einem eigenen Hebesatzrecht für die Kommunen. men und Herren von der SPD und von den Grünen, (Beifall bei der FDP – Britta Haßelmann schon lange bewusst, spätestens seit den Steuereinbrü- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf diese chen in der Krise 2002. Debatte freue ich mich schon! – Gegenruf der (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Verursacht Abg. Gisela Piltz [FDP]: Dass Sie nicht sparen haben Sie sie auch!) können, wissen wir!) Da waren Sie an der Regierung. – Ich freue mich sehr über Ihre Freude. Aber diese De- batte werden wir in den nächsten Monaten eindeutig füh- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ren. Doch welche Konsequenzen haben Sie gezogen? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Keine. Im Gegenteil: Ob Kosten der Unterkunft für der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜND- Hartz-IV-Empfänger oder der Krippenausbau im Rah- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird ein Ge- men des Tagesbetreuungsausbaugesetzes, in den vergan- schenk für Herrn Rüttgers!) genen Jahren haben Sie den Gemeinden immer mehr Aufgaben übertragen, ohne gleichzeitig für einen Kos- Ein Mix aus Einkommen-, Körperschaft- und Um- tenausgleich zu sorgen. satzsteueranteilen ist einfacher, transparenter und deut- lich weniger konjunkturabhängig. Zum Beispiel sind die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Einnahmen aus der Umsatzsteuer im Gegensatz zu den der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das Einnahmen aus allen anderen Steuerarten im Krisenjahr ist nicht wahr!) 2009 sogar leicht gestiegen. Hätten Sie früher auf die FDP gehört, sähe es heute bei den Gemeindefinanzen Der Anteil der Gewerbesteuer an den Gemeinde- anders aus. steuern betrug 2009 in Deutschland 48 Prozent brutto und 41 Prozent netto, das heißt nach Abführung der Ge- (Beifall bei der FDP) werbesteuerumlage an Land und Bund. Damit ist der Voraussetzung für Steuereinnahmen sind wirtschaftli- (B) Gewerbesteueranteil für viele Kommunen immer noch (D) cher Erfolg, Arbeitsplätze und Wachstum. Jede verhin- ein wesentlicher finanzieller Grundstock. Leider ist die- derte Insolvenz, jeder erhaltene Arbeitsplatz kommt di- ser Grundstock auf keinem soliden Fundament gebaut, rekt auch den Kommunen zugute. Das vergessen unsere sondern auf einem sehr schwammigen Boden. So Kritiker sehr oft. schwankte das Gewerbesteueraufkommen im Zeitraum von 1999 bis 2008 zwischen 27 Milliarden und 41 Mil- Prognosen sind keine statischen Zahlen, sondern liarden Euro – mit einem Einbruch auf 23,5 Milliarden Hochrechnungen. Wirtschaft ist ein dynamischer Pro- Euro im Jahr 2002. Planungssicherheit sieht anders aus. zess. Mein Kollege Carl-Ludwig Thiele hat vor der Wahl das damalige SPD-geführte Finanzministerium gefragt, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten um wie viel die Steuereinnahmen bei einem Wirtschafts- der CDU/CSU) wachstum von 1 Prozent steigen. Die Antwort lautete, 2009 erlebten wir einen Konjunktureinbruch von dass dies den Finanzierungssaldo der öffentlichen Hand 5 Prozent. Der Deutsche Städtetag schätzt gleichzeitig um 0,5 Prozent verbessert. Ein halbes Prozent entspricht den Rückgang des Aufkommens aus der Gewerbesteuer etwa 5,5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, 3,5 Mil- 2009 auf circa 18,3 Prozent brutto, wobei die einzelnen liarden Euro höhere Sozialbeiträge sowie weniger So- Kommunen sehr unterschiedlich betroffen sind – teil- zialausgaben, summa summarum circa 12 bis 13 Milliar- weise mit einem Einbruch von über 40 Prozent. den Euro. Das ist der Weg zur Konsolidierung. Diese Zahlen belegen eindeutig die extreme Konjunk- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten turabhängigkeit gerade der Gewerbesteuer. der CDU/CSU) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) Durch den von der SPD geforderten Rettungsschirm würde den Kommunen mittel- und langfristig keine Pla- Wir brauchen eine Alternative, eine stabilere und ver- nungssicherheit gegeben, lässlichere Finanzierungsgrundlage für die Kommunen. (Joachim Poß [SPD]: Da stimmt ja kein Satz!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: weil Flickschusterei niemandem hilft. Wir wollen eine Aha!) nachhaltige Gemeindefinanzreform und eine Struktur- reform, durch die Fehlentwicklungen beseitigt werden. Ich darf daran erinnern, dass gerade die FDP seit Jah- Das Konnexitätsprinzip muss wieder zur Geltung kom- ren fordert, die Gewerbesteuer durch einen höheren men, damit wieder gilt: Wer bestellt, bezahlt. Das haben Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zu- Sie ausgehebelt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1937

Dr. Birgit Reinemund (A) (Beifall bei der FDP – [SPD]: Wer in allen anderen Städten und Gemeinden hoffentlich gut (C) hat denn dafür gesorgt, dass es existiert?) positioniert. Das werden wir auf den Weg bringen. Die Vorberei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tungen dazu sind bereits in vollem Gange. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank. Es ist nicht so, dass man die Abschaffung der Gewer- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten besteuer einfach nur so beschließt und die Unternehmen der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das dann sagen: Ja, toll. – Frau Reinemund hat uns gerade merkt man in den Ländern, in denen Sie regie- den Gefallen getan, zu sagen, wie man versucht, das ren! NRW zum Beispiel!) Ganze irgendwie ein bisschen zu kompensieren. Wissen Sie, wer bei dem Modell der FDP am Ende die Zeche Vizepräsidentin Petra Pau: zahlt? Aufgrund der höheren Umsatzsteuerpunkte zahlen Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann für die die Bürgerinnen und Bürger nach diesem Modell die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Rechnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und [FDP]: Sie haben überhaupt nicht zugehört!) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, Sie werden das Ganze nicht kompensieren. Das finde diese Aktuelle Stunde hat etwas gebracht, und zwar in ich interessant. Ich finde es gut, dass Sie das so offen sa- jeder Hinsicht. gen. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Die Offen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN barung von Frau Künast!) und bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin Wir wissen nämlich erstens, dass kein Ende des [FDP]: Glauben Sie diesen Unsinn wirklich?) schwarz-gelben Chaos in Sicht ist. Das wurde durch die Sie sind also für weitere Steuersenkungen und die Ab- unterschiedlichen Redebeiträge von Union und FDP schaffung der Gewerbesteuer. ganz eindeutig gezeigt. Ich sage Ihnen: Ich freue mich auf diese Auseinander- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzung; denn Sie zeigen damit, dass Sie keinerlei Ah- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der nung davon haben, wie es den Städten und Gemeinden (B) LINKEN) geht und wie die Situation vor Ort wirklich ist. (D) Das Zweite ist wirklich fast ein Geschenk – das sage (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aber Sie! ich in Richtung der Kolleginnen und Kollegen aus Sie wissen es, weil Sie sie dahin gebracht ha- NRW –: Reden Sie weiter so offen darüber, was Sie vor- ben! Mein Gott!) haben. Die CDU sagt: „Wir bleiben bei Steuersenkun- gen“ – hört, hört –, und das, obwohl Jürgen Rüttgers Jetzt kommen wir einmal zum vielbeschworenen überall in Nordrhein-Westfalen verkündet, dass es mit Wachstum. Herr Michelbach und andere Wirtschafts- Ihnen im Bundesrat keine Zustimmung für weitere Steu- politiker beschreien das ja so gerne. ersenkungen zulasten der Kommunen geben wird. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschreibe das, Frau Kollegin!) sowie bei Abgeordneten der SPD – Leo Wissen Sie, wie die Steuerbeschlüsse in den letzten Jah- Dautzenberg [CDU/CSU]: Mit der Aussage ren auf die Kommunen gewirkt haben? Ich nenne Ihnen hat er ja recht: Wir machen keine Steuerentlas- einmal ein paar Zahlen: tung zulasten der Kommunen!) Die Konjunkturpakete I und II, die Sie hier gerade ab- Ich finde das interessant. Herr Oettinger schließt sich feiern – 10 Milliarden Euro für die Kommunen für zwei dem an. Jahre –, haben für die Kommunen Mindereinnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bedeutet, durch das Bür- Mein Fazit für heute ist also: gerentlastungsgesetz haben die Kommunen Minderein- Erstens. Die CDU bereitet weitere Steuersenkungen nahmen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro, und durch das vor, die zulasten der Kommunen gehen. sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben die Kommunen Mindereinnahmen in Höhe von 1,6 Milliar- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein!) den Euro. Falls Sie nicht so schnell mitgerechnet haben, Das sollten alle Bürgerinnen und Bürger wissen. nenne ich Ihnen die Summe insgesamt: Durch Ihre Steu- erbeschlüsse haben die Kommunen zusätzliche Minder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einnahmen in Höhe von 5,8 Milliarden Euro. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie hoch ist Zweitens. Die FDP schafft die Gewerbesteuer ab. denn der Anteil der Gewerbesteuer, Frau Kol- Auch diese Nachricht ist in den Städten in NRW sowie legin?) 1938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Britta Haßelmann (A) Der Nächste steht schon im Raum. Sie lassen den Ich finde, die Situation nach 106 Tagen macht mehr (C) Rüttgers in Spiegel Online so etwas erklären, während Sie als deutlich, dass Sie nicht regieren können. Sie haben hier gleichzeitig mit Ihrer Funktionsverlagerung durch ei- sich nicht aufs Regieren vorbereitet, und Sie verstehen nen kleinen Umdruck für ein Minus von 650 Millionen sich nicht darauf, innezuhalten und zu sagen, wo es lang- Euro bei den Kommunen sorgen. geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ich finde, darüber muss man mit den Leuten vor Ort re- Wer hat Ihnen bloß diesen Unsinn aufgeschrie- den, weil Sie den Bürgerinnen und Bürgern dadurch die ben?) Mittel für die Daseinsvorsorge im Gemeinwesen entzie- hen. Das heißt an diesem Punkt: höhere Beiträge für Ki- tas, Schließung von Theatern, die Frage, ob man sich Vizepräsidentin Petra Pau: noch ein Schwimmbad leisten kann oder nicht. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, ein kleiner Hinweis: Ich denke, es ist gut für das Haus und Deshalb kommt hoffentlich der Zeitpunkt, an dem Sie diejenigen, die zuhören und sich ein Bild machen, wenn nicht nur auf Neujahrs- oder Frühlingsempfänge vor Ort eine Debatte lebhaft und mit Leidenschaft geführt wird. in Ihrem Wahlkreis gehen, sondern für die Politik, die Für die Aktuelle Stunde haben wir uns selbst die Regel Sie hier machen, von Ihren Kommunalos vor Ort gena- gegeben, dass es weder Zwischenfragen noch Kurzinter- gelt werden. ventionen oder Reaktionen auf eventuelle persönliche Angriffe geben soll. Ich bitte alle, ob sie sich per Zwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schenruf an der Debatte beteiligen oder am Rednerpult und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der stehen, auf Bezichtigungen wie Arroganz oder Falsch- LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Na, münzerei zu verzichten. na, na! Wir lassen uns doch nicht nageln! Wer lässt sich denn hier nageln?) (Joachim Poß [SPD]: Was? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falschmün- Vom Wachstumsmotor Kommunen kann doch keine zerei ist doch umgangssprachlich! – Gegenruf Rede sein. Reden Sie sich doch nicht schwindelig durch des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da die Theorie „Wir senken die Steuern, und dann kommt kennt Frau Künast sich aus!) das Wachstum schon vom Himmel heruntergefallen“. Sie haben dramatische Beschlüsse gefasst, die gravie- – Ich denke, „Sie Falschmünzerin“ ist nichts, was wir rende negative Auswirkungen auf die Kommunen ha- uns gegenseitig vorwerfen müssten. Wir können die De- (B) ben. Das sagt Ihnen nicht nur die Grüne Haßelmann, batte auch anders führen. (D) sondern das sagen mittlerweile auch Petra Roth vom Ich bitte für die kommenden Redebeiträge wie auch Deutschen Städtetag und jeder kommunale Spitzenver- für die weitere Teilhabe an der Debatte darum, dass wir band. uns auf die Argumentation und die Auseinandersetzung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Sache beschränken. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Dazu hat jetzt der Kollege Peter Götz für die Unions- LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: fraktion das Wort. Wer hat Ihnen das bloß aufgeschrieben?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Was die verrückten Ankündigungen gerade vonseiten neten der FDP) der FDP angeht, kann ich nicht verstehen, dass Sie mit diesem Credo weitermachen. Sie sind doch im freien Peter Götz (CDU/CSU): Fall. Besinnen Sie sich doch einmal ein bisschen! Sie Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für den Hinweis, liegen heute bei 8 Prozent. wieder zur Sachlichkeit zurückzukehren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So viel? – Dr. Birgit Reinemund NEN]: Ja, dann sagen Sie doch etwas zur Um- [FDP]: Sie sind doch schon weg!) satzsteuer!) Sie haben doch gar keine Zustimmung mehr. – Frau Haßelmann, man hat das Gefühl, viele in der Op- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Warum position haben noch nicht verschmerzt, dass die Wähle- schreien Sie denn?) rinnen und Wähler den Regierungsauftrag jemand ande- rem erteilt haben. Sie haben doch ein Riesenproblem. In NRW liegen Sie bei 6 Prozent. Sie machen aber einfach weiter mit dem Es ist unstrittig: Die weltweite Finanzmarkt- und Credo von Steuersenkungen. Wirtschaftskrise trifft alle politischen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen. Länder wie Griechenland sind (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pleite. Das zeigt: Die internationale Krise ist noch lange NEN]: Wofür?) nicht überwunden. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Sie wissen doch, was das für die Bürgerinnen und Bür- Richtig ist auch, dass die Gewerbesteuereinnahmen in ger in den Städten und Gemeinden bedeutet. den Kommunen von 34,3 Milliarden Euro in 2008 auf Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1939

Peter Götz (A) 28,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gesunken (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) sind. Das sind 17,4 Prozent weniger. Damit bewegen wir Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Deshalb uns bei den Gewerbesteuereinnahmen allerdings immer ging es den Kommunen besser!) noch auf einem höheren Niveau als 2005. Von den Vor- jahren will ich gar nicht reden. Wenn das alles, was Sie damals gemacht haben, kommu- nalfreundlich gewesen sein soll, dann weiß ich nicht (Nicolette Kressl [SPD]: Was sagen Sie denn mehr. zu den FDP-Plänen?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 2007 und 2008 waren gute Jahre für die Kommunen. Wenn Sie immer wieder die Korrekturen an der Ge- Es waren die besten seit Bestehen der Bundesrepublik. werbesteuer im Wachstumsbeschleunigungsgesetz quasi (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- als Kronzeuge für das Schließen von sechs Schwimmbä- neten der FDP und des Abg. Joachim Poß dern in Wuppertal anführen, dann ist das unredlich. [SPD] – Joachim Poß [SPD]: Weil wir die Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und werbesteuer stabilisiert haben!) der FDP) Die meisten Kommunen haben diese Zeit genutzt, um zu Erstens. Das Gesetz ist gerade sechs Wochen in Kraft. investieren, Schulden abzubauen und Rücklagen zu bil- Zweitens. Es führt laut Deutschem Städtetag in diesem den. Jahr bei der Gewerbesteuer zu Mindereinnahmen in (Beifall bei der SPD) Höhe von 0,3 Prozent. Lesen Sie die Presseerklärung der jüngsten Konferenz des Deutschen Städtetags! Oder hal- In Zeiten rot-grüner Regierungsverantwortung war daran ten Sie sogar die Erhöhung des Kindergeldes und die nicht zu denken. verfassungsgemäße Ausgestaltung in vielen Bereichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für falsch? neten der FDP) (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Erklären Sie das Ihren Bürgermeistern!) Damals lag der kommunale Saldo jahrelang im Minus. Der Investitionsstau wurde immer größer. Die kommu- Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. nale Verschuldung stieg. Das war das Ergebnis einer ka- Die meisten Unternehmen in Deutschland haben auf- tastrophalen rot-grünen Politik für die Kommunen. grund des restriktiven Verhaltens der Banken ein Liqui- ditätsproblem. Das Kürzen von Gewerbesteuervoraus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zahlungen stellt für viele Firmen zugegebenermaßen (B) neten der FDP) eine sehr kostengünstige Liquiditätshilfe dar. Das Geld (D) Nur zur Erinnerung: 2003 betrug der Negativsaldo fehlt nun in den Kassen der Kommunen. der kommunalen Haushalte 8,4 Milliarden Euro. Der (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Saldo lag also im Minus. Darunter, Herr Steinmeier, ha- NEN]: Was machen Sie denn dagegen?) ben Wuppertal und viele andere große Städte in Nord- rhein-Westfalen bis heute zu leiden. Das war Ihre Poli- Aber eine anziehende Konjunktur führt schnell wieder tik. Dafür tragen Sie die Verantwortung. zu Gewerbesteuernachzahlungen und verbessert damit die Einnahmesituation vor Ort. Wir haben auf kommu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und naler Ebene strukturelle Probleme. Deshalb wollen wir der FDP) die Gemeindefinanzen neu ordnen. Unser Ziel ist, die Wir wollen nicht daran denken, was es für die Städte kommunale Zusammenarbeit zu erleichtern, aber auch und Gemeinden bedeutet hätte, wenn in Zeiten von Rot- vor allem die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. Grün die internationale Finanzmarktkrise gekommen Wir müssen den Mut haben – das wurde bereits gesagt; wäre, Herr Poß. Nicht auszuhalten wäre das gewesen! dazu lade ich alle ein –, unvoreingenommen und ohne Tabus an eine Reform der Gemeindefinanzen heranzuge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – hen. Joachim Poß [SPD]: Was hat Herr Merz da- mals vorgeschlagen? Damals haben Sie 20 bis (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 30 Milliarden mehr Steuersenkungen vorge- neten der FDP) schlagen!) Dazu gehören nicht nur die Einnahmen, sondern auch Noch kurz vor Torschluss im Oktober haben Sie im Ka- die Ausgaben. binett Schröder beschlossen, den Bundesanteil an den Vor allem müssen wir die Aufgaben in unsere Be- Kosten der Unterkunft rückwirkend auf null zu senken. trachtungen einbeziehen. Zum Konjunkturpaket ist Auf null! schon viel gesagt worden. Investitionen in die energeti- (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) sche Sanierung von Schulen, Kindergärten und Kinder- tagesstätten tragen zum Klimaschutz und zur Verbesse- Ich erinnere Sie an Ihre Erhöhung der Gewerbesteuer- rung der Bildungsinfrastruktur bei. Sie sichern wertvolle umlage. Frau Künast und Herr Steinmeier, Sie saßen da- Arbeitsplätze im Handwerk. Vor allen Dingen spart eine mals im Kabinett einer rot-grünen Regierung und tragen energetisch sanierte Schule in Zukunft in erheblichem dafür die Verantwortung. Maß Betriebskosten. 1940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Peter Götz (A) (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg (CDU/ Sie sind die Partei für die Kommunen? In der Frankfur- (C) CSU) ter Rundschau ist zu lesen: „Wieder trifft es die Kommu- nen“. Städten und Gemeinden brechen die Einnahmen Die staatlichen Investitionen führen nicht zu Belastun- weg; die Infrastruktur ist infrage gestellt. Sie reden von gen, sondern entlasten in wenigen Jahren die kommuna- Familienpolitik, und gleichzeitig beschließen Sie im len Haushalte. Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes Kür- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die verstehen zungen in der Größenordnung von 1,6 Milliarden Euro. nix von Nachhaltigkeit!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn Sie sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unsere Koalitionsvereinbarung genau anschauen, wer- Der Sachverständigenrat hat Ihnen in seinem Gutach- den Sie feststellen, dass dort auf vielen Politikfeldern ten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ins Stamm- Weichen für die Stärkung der kommunalen Ebene ge- buch geschrieben, der Koalitionsvertrag sei „vage und in stellt sind, um gemeinsam gestärkt aus der Krise heraus- jeder Hinsicht enttäuschend“. Weiter schreibt er, dass zukommen. Das geht nicht mit Jammern, sondern nur Handlungsziele und Handlungsvorschläge absolut fehlen mit Anpacken. Deshalb sollten wir es anpacken. und dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle nichts mit Haushaltskonsolidierung zu tun hat. Vielen Dank. Ich frage mich in diesem Zusammenhang: Kennen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie sich eigentlich mit dem föderalen Staat aus? Wo blei- ben denn die Länder bei der ganzen Angelegenheit? Was Vizepräsidentin Petra Pau: machen Sie, wenn Sie mit den Ländern zusammensit- Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPD- zen? Appellieren Sie dann an sie, dass sie ihren Ver- Fraktion. pflichtungen nachkommen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Was heißt das zum Beispiel für Nordrhein-Westfalen? Petra Hinz (Essen) (SPD): Rüttgers redet von „unseren Kommunen“. Mit Blick auf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! seine Kommunen und seine Stadtsäckel kann man nur Manchmal frage ich mich – gerade angesichts der letzten feststellen: Er hat den Kommunen in den vergangenen 106 Tage –, in welchem Raumschiff Sie unterwegs sind. Jahren 3 Milliarden Euro weggenommen. Zumindest sind Sie nicht in den Kommunen vor Ort; (Peter Götz [CDU/CSU]: Das ist dummes (B) (D) denn diese sind gerade dabei, ihre Haushalte aufzustel- Zeug! Das Gegenteil ist der Fall!) len. Seine Kommunen? In Sonntagsreden sagt er, dass wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die kommunale Selbstverwaltung unterstützen sollen. DIE GRÜNEN) Aber sein Handeln spricht eine andere Sprache. Herr Götz, wenn Sie mir jetzt zuhören, werden Sie (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Gemeinde- verstehen, warum das, was Sie in den letzten Tagen und finanzierung ist sogar erhöht worden!) Wochen beschlossen haben, für die Kommunen sehr – Herr Dautzenberg, dazwischenrufen nützt nichts; das wohl wichtig ist. Die Kommunen achten sehr genau da- hören die Leute am Fernseher nicht. Zuhören kommt im- rauf, was Sie mit dem sogenannten Wachstumsbeschleu- mer vor dem Verstehen. nigungsgesetz auf den Weg gebracht haben; denn die Kommunen sind diejenigen, die nun die Haushalte auf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stellen und den Genehmigungsbehörden darlegen müs- der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: sen, wie sie mittelfristig aus der Verschuldung heraus- Kennen Sie das Gemeindefinanzierungsgesetz kommen wollen. Aber Sie sagen – quasi wie auf einer Nordrhein-Westfalen?) rosafarbenen Wolke schwebend –: Wer will, der kann Sie haben gerade einige Beschlüsse aus der Zeit der auch. – Die Kommunen können nicht mehr. Koalition mit den Grünen angesprochen. Ich will Ihnen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einmal sagen, was die Krise für meine Stadt, die Stadt DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Essen, bedeutet: Alleine die Zinsen, die für die Kassen- LINKEN) kredite aufzuwenden sind, belaufen sich für die Stadt Essen auf 1,47 Millionen Euro. Das sind doch keine Pea- Wenn Sie uns nicht glauben, dann glauben Sie we- nuts! Die Stadt ist gar nicht mehr handlungsfähig. nigstens dem Handelsblatt, das dargelegt hat: (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo liegen Kommunen lehnen Steuersenkungen ab. … Viele denn die Ursachen, Frau Kollegin? – Peter Bürgermeister sehen sich durch Regierungspläne zu Götz [CDU/CSU]: Das ist doch die Folge rot- Gebührenerhöhungen und Leistungskürzungen ge- grüner Politik!) zwungen. Wenn Sie hier über Familienpolitik oder Bildungs- (Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: politik sprechen, dann ist das alles nur Makulatur, weil Aha!) Sie in einem Raumschiff unterwegs sind und letzten En- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1941

Petra Hinz (Essen) (A) des nicht die Familien unterstützen. Allein das Wachs- in Deutschland diskutieren; denn wir, die wir in der Bun- (C) tumsbeschleunigungsgesetz bedeutet für die Kommunen despolitik Verantwortung tragen, tragen oft auch Verant- in Nordrhein-Westfalen 400 Millionen Euro Minderein- wortung in den Kommunen: als Stadträte, als Kreisräte, nahmen. Wissen Sie, was diese damit machen könnten? als Gemeinderäte. Wir wissen, dass die Kommunen die Tatsächliche Familienpolitik! Damit könnte die Stadt Wiege unserer Demokratie sind, dass das, was Bürger an Essen allen Kindern, die eine Kita besuchen wollen, die Daseinsvorsorge von der Gemeinschaft erwarten, in ers- Möglichkeit geben, das gebührenfrei zu tun. Ihre Steuer- ter Linie in den Kommunen gestaltet wird. Deshalb müs- geschenke gehen in eine andere Richtung: Sie erfolgen sen wir uns Gedanken machen, wie wir die kommunale auf Pump und gehen auf Kosten der Kommunen und auf Finanzausstattung in Zukunft verbessern. Kosten der Menschen in den Kommunen. In der heutigen Debatte ist schon deutlich geworden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass die finanzielle Lage der Kommunen zum einen auf die schwerste Krise, die unser Land nach dem Kriege All das, was wir hier beschließen, betrifft letzten En- durchmachen musste, zurückzuführen ist. des auch die Kommunen. Der 4. Dezember 2009 war de- ren schwärzester Tag. Zum anderen ist sie darauf zurückzuführen, dass un- sere Kommunen strukturelle Haushaltsprobleme haben, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Holen die durch die Veränderung ihrer Einnahmesituation, aber Sie doch mal Luft!) auch ihrer Ausgabenbelastung gelöst werden müssen. An einem einzigen Sitzungstag, an einem Freitag, haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie hier zuerst das Wachstumsbeschleunigungsgesetz neten der FDP) beschlossen. Dann lassen Sie sich dafür abfeiern, dass Sie Klientelpolitik betreiben. Zwei Tagesordnungs- Beiden Herausforderungen stellt sich diese Bundesregie- punkte später ging es um die Kosten für die Unterkunft. rung. Allein für meine Stadt, die Stadt Essen, bedeutet der Be- Ich bin Frau Kollegin Tillmann sehr dankbar, dass sie schluss bezüglich der Beteiligung des Bundes weitere deutlich gemacht hat, welche Impulse die Volkswirt- Kosten in Höhe von 4 Millionen Euro. schaft unseres Landes durch Wachstums- und Entlas- (Peter Götz [CDU/CSU]: Rot-grün hatte das tungsmaßnahmen der Vorgängerregierung, aber auch der auf null gesetzt!) jetzigen Regierung – denken Sie allein an das Jahr 2010 – erhalten hat. Ich bedaure wirklich sehr, dass sich die Da reden Sie davon, dass man sparen könne? Die Kom- SPD so schnell von den Maßnahmen verabschiedet, die munen sind handlungsunfähig; sie können nicht mehr. sie selber mit auf den Weg gebracht hat. Wir müssen über Entschuldung reden. Es gibt zwei Bun- (B) (D) desländer in unserer Republik, Rheinland-Pfalz und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sachsen-Anhalt, die anpacken, die etwas für ihre Kom- Joachim Poß [SPD]: Welche meinen Sie denn? munen tun. Sie versuchen im Rahmen einer Entschul- Das ist doch Quatsch!) dung, den Kommunen tatsächlich zu helfen. Wenn man das Bürgerentlastungsgesetz, die Konjunk- (Beifall bei der SPD) turpakete I und II, das Familienleistungsgesetz und die Maßnahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes Liebe Kolleginnen und Kollegen, Reden ist das eine, zusammennimmt, Handeln das andere. Wenn Sie uns nicht glauben wollen, dann glauben Sie Ihren Sachverständigen in den Anhö- (Joachim Poß [SPD]: Das waren doch in erster rungen. Im Finanzausschuss gab es zwei Anhörungen, Linie unsere Maßnahmen, nicht Ihre!) und beide waren eine Pleite für Sie. dann beträgt der Wachstumsimpuls in Deutschland, der (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist doch allein im Jahr 2010 haushaltswirksam wird, 30 Milliar- Quatsch!) den Euro. Zweimal haben Ihre eigenen Sachverständigen Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deutlich gemacht, dass Sie die Kommunen schröpfen. Das sollte man nicht kleinreden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wir wissen doch: Wir haben 2005, als Angela Merkel Das war selektive Wahrnehmung bei Ihnen!) die Regierungsverantwortung übernommen hat, die kommunalfeindliche Politik von sieben Jahren Rot-Grün beendet. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hartmut Koschyk. Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist hier deutlich gesagt worden, dass Sie noch im letz- ten Jahr der Regierungsverantwortung von Gerhard Schröder die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- die Unterkunft auf null gesenkt haben. desminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist gut, dass wir heute über die Lage der Kommunen neten der FDP) 1942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk (A) Wir haben die Beteiligung des Bundes, als wir in Regie- ob die Kommunen durch ein Zusammenwirken von (C) rungsverantwortung gekommen sind, wieder erhöht. Bund, Ländern und Gemeinden mit anderen, stetigen, nicht so konjunkturabhängigen Steuereinnahmen ausge- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stattet werden können. NEN]: Sie haben sie gerade gesenkt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Gegenüber Ihrem letzten Ansatz von 2005 haben wir sie erhöht. Sie wollten sie auf null senken. Ich will auch etwas zur Struktur der Ausgaben sagen. Eines haben wir in den letzten Jahren gespürt – daran Ich bin Mitglied eines Kreistags. Dort ist man sich über sollte sich vor allem die SPD erinnern –: Die Maßnah- alle Fraktionen hinweg einig, dass die Bundespolitik men, die wir gemeinsam in der Großen Koalition 2005 manchmal Standards setzt, deren Umsetzung für die eingeleitet haben, haben bis zum Hereinbrechen der Kommunen hohe Kosten bedeutet. Krise im Jahr 2008/2009 zu Wachstumsimpulsen ge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) führt. Peter Götz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen in den Jahren 2006, 2007 und 2008 Ich bin sehr gespannt darauf, wie Sie sich in dieser Kom- bis in das Jahr 2009 hinein zu einer einmaligen Finanz- mission zu den Vorschlägen Ihrer eigenen Kommunal- situation der Kommunen geführt haben. politiker stellen, ebendiese Standards zu verändern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da haben wir weniger Schwierigkeiten als Es ist richtig, dass mit den Maßnahmen der Vorgän- Sie!) gerregierung und den Maßnahmen, die die christlich- liberale Regierung im Anschluss ergriffen hat, eine Selbstverständlich müssen wir in dieser krisenhaften Rückkehr zum Wachstum in Deutschland erfolgt. Dies Situation der Kommunalfinanzen auch die Länder an wird zu einer verbesserten Einnahmesituation der Kom- ihre Pflicht erinnern. Ich bin dem Kollegen Brauksiepe munen führen. sehr dankbar dafür, dass er mir auf der Regierungsbank gerade gesagt hat, dass es in Nordrhein-Westfalen noch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nie eine so hohe Zuweisung an die Kommunen gegeben der FDP) hat wie in den letzten Jahren: Wachstumsimpulse sind richtig und wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden uns mit großer Entschiedenheit aber auch Im Jahr 2009 waren es 8 Milliarden Euro; 2010 werden den strukturellen Problemen in den kommunalen Haus- (B) es 7,6 Milliarden Euro sein. Davon konnten die Kommu- (D) halten stellen. nen in Nordrhein-Westfalen nur träumen, als Sie dort (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Regierungsverantwortung getragen haben. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Noch im Februar wird das Kabinett den Beschluss fas- Joachim Poß [SPD]: Der lügt ja schneller als sen, dass eine Kommission eingesetzt wird, der Vertreter ein Rennpferd laufen kann!) der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Angesichts dessen rate ich Ihnen: Hören Sie mit die- Spitzenverbände angehören. sen Fastnachtsmätzchen auf. Arbeiten Sie über Ihre Lan- (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!) desminister in der Regierungskommission, die wir ein- setzen, mit. Hören Sie auf, die Dinge zu tabuisieren. Das haben Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwor- Stehlen Sie sich nicht aus Ihrer Mitverantwortung für die tung versäumt. Sie haben sich nie grundsätzlich um sta- Unwucht bei den Kommunalfinanzen; schließlich waren bile Kommunalfinanzen gekümmert. Sie viele Jahre in Regierungsverantwortung. Durch das, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) was diese Regierung auf den Weg gebracht hat, werden Wachstumsimpulse gesetzt. Mehr Wachstum wird den Liebe Kollegen von der SPD, wir gehen ergebnis- Kommunen mehr Einnahmen bescheren. Wir wollen die offen und ohne Tabuisierung an die Themen heran. Ich Grundfrage der kommunalen Finanzierung auf der Ein- kenne eine Reihe von Kommunalpolitikern, auch aus nahme- und auf der Ausgabenseite endlich einmal den Reihen der SPD, die sich längst vom Dogma des grundsätzlich angehen, und wir wollen nicht so ein Festhaltens an der Gewerbesteuer verabschiedet haben. Flickwerk produzieren, wie Sie es getan haben, als Sie in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der Regierungsverantwortung gewesen sind. Widerspruch bei der SPD) Herzlichen Dank. Über die Ersetzung der Gewerbesteuer müssen wir mit den kommunalen Spitzenverbänden ohne Tabu sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eines ist klar: Auch innerhalb des Deutschen Städte- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tages gibt es längst eine andere Sicht. Ich glaube schon, Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege dass die Großstädte nach wie vor ohne Wenn und Aber Michael Groschek. an der Gewerbesteuer festhalten wollen. In kleineren und mittleren Städten ist eine Debatte darüber entbrannt, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1943

(A) Michael Groschek (SPD): ten zu kämpfen haben, steht das Wasser schon höher als (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt bis Unterkante Oberlippe. Wie reagieren Sie darauf? Sie doch noch Sternstunden im Parlament. Ich behaupte das, wollen weiter belasten statt entlasten. Wir sagen Ihnen: obwohl so gut wie nichts gesagt wurde. Das, was gesagt Die Städte brauchen keine Belastungsperspektive und wurde, war allerdings bezeichnend. Wenn der Staats- keine Bevormundung, sondern eine klare Soforthilfe, ei- sekretär aus dem Wahlkreis Bayreuth Bayreuther Fest- nen Rettungsschirm. spiele nach dem Motto „Tarnen, Tricksen, Täuschen“ Noch einmal zum Mitdenken: Wir wollen, dass die aufführt und sich bei den Themen „Gewerbesteuer“ und Städte und Gemeinden für die 1,6 Milliarden Euro ent- „Konjunkturpaket“ mit fremden Federn schmückt, dann schädigt werden, die Sie ihnen durch das sogenannte ist das das eine. Wachstumsbeschleunigungsgesetz geraubt haben. Wir (Beifall bei der SPD) wollen eine Überbrückungshilfe bei KdU. Wir wollen letztendlich, dass Sie hier hinsichtlich der Finanzie- Wenn er aber Herrn Brauksiepe zitiert und sagt, den rungssicherheit der Gemeinden klar bekennen: Es wird Städten in NRW sei es noch nie so gut gegangen, dann keine weiteren Steuersenkungen auf Pump geben. kann man nur lachen. Fragen Sie einmal Ihre schwarzen Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister! Fragen (Beifall bei der SPD) Sie Ihre schwarzen Landräte! Diese Personen demon- Damit bin ich bei einem Punkt, der mich von der Nai- strieren nicht mit Rüttgers, sondern gegen Rüttgers. Sie vität her erschreckt hat. Wer hier sagt – es ist noch nicht sehnen den 9. Mai herbei, wenn in Nordrhein-Westfalen einmal jemand aus der Union –: „Der Dr. Rüttgers ist gewählt wird. wach geworden und benennt Probleme“, den lade ich (Beifall bei der SPD und der LINKEN) herzlich nach Nordrhein-Westfalen ein; da wird er die Realität kennenlernen. Wenn Herr Solms hier erzählt, die FDP, die „Möven- pick-Partei“, stehe nach wie vor fest zur Steuergerechtig- Jetzt zu Dr. Rüttgers selbst. Er ist mit der Philosophie keit, dann kann man nur den Kopf schütteln; schließlich angetreten: Privat vor Staat, Freiheit vor Gleichheit. Was bekennt er im gleichen Atemzug wie alle anderen Mit- hat er gemacht? Mit einem Sofortprogramm hat er die glieder dieser Partei: Ja, wir stehen zur Abschaffung der Mittel für die Arbeitslosenberatungszentren zusammen- Gewerbesteuer. gekürzt, er hat die Frauenberatungsläden quasi abge- schafft, er hat die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst (Widerspruch bei der FDP) beschnitten, und er hat den Landesjugendplan geplün- Was heißt das denn im Hinblick auf Steuergerechtigkeit? dert. Das hat er bis zu einer Belastungshöhe von 3,1 Mil- liarden Euro fortgesetzt. Das ist die Fünfjahreswirklich- (B) Sie schonen die einen und belasten die anderen. Die klei- (D) nen Leute sollen die Abschaffung der Gewerbesteuer keit dieser Regierung in Düsseldorf. zahlen. Das ist keine Steuergerechtigkeit, das ist Klien- Jetzt, fünf vor zwölf, sagt er auf einmal: Mit mir, telpolitik. Dafür kriegen Sie die Klatsche. Das ist so si- Jürgen Rüttgers, wird es im Bundesrat keine Zustim- cher wie das Amen in der Kirche. mung zu weiteren Steuersenkungen geben, von denen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE die Kommunen negativ betroffen sind. GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ist das die Rede für den Ortsverein heute Abend?) Jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Thema; dazu haben Sie wenig gesagt. Mich würde interessieren, wie Das ist nicht Einsicht in die Notwendigkeit, sondern nur die Union dazu steht, dass sowohl die Regierung als der Panik angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse auch die „Mövenpick-Partei“ die fauchende Katze aus geschuldet, und Panik ist ein falscher Ratgeber. dem Sack gelassen haben, als sie klipp und klar gesagt haben: Unser Kampfauftrag ist klar; die Gewerbesteuer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ muss abgeschafft werden. Ist das auch Ihre Denkart? Be- DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina kennen Sie sich doch gleich hier. Ein Abgeordneter Ihrer Wawzyniak [DIE LINKE]) Fraktion wird noch zu diesem Tagesordnungspunkt spre- Wir erwarten von verantwortlicher Politik, sich eben chen. Nutzen Sie die Chance und schenken Sie den Men- nicht durch miserable Umfrageergebnisse treiben zu las- schen reinen Wein ein! Das haben sie nämlich verdient. sen und panikartig zu reagieren. Es geht um die Über- nahme von politischer Verantwortung. Sie beweisen nur (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE eines, nämlich dass Sie kommunalpolitisch verantwor- GRÜNEN und der LINKEN – Reinhard tungslos sind. Wir erwarten von Ihnen, meine Damen Grindel [CDU/CSU]: Jetzt weiß ich auch, wa- und Herren der Union, dass Sie hier klipp und klar be- rum Sie in Düsseldorf nicht mehr gebraucht kennen – auch Ihren eigenen Leuten gegenüber –, ob Sie werden!) für oder gegen die Gewerbesteuer sind. Die Bertelsmann-Stiftung – sie ist kein Institut der so- Ich freue mich auf ein Wiedersehen im Landtags- zialen Demokratie – hat eindeutig gesagt: Die Finanz- wahlkampf Nordrhein-Westfalen. entwicklung in strukturschwachen Städten ist drama- tisch. Gerade denjenigen Kommunen, die mit den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auswirkungen des demografischen Wandels und der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Strukturschwäche der Wirtschaft sowie mit sozialen Las- GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Oh! – 1944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Michael Groschek (A) Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das war aber (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) die Rede für den Ortsverein heute Abend, NEN]: Wir stellen die Mitgliederzahlen mal nicht? – [CDU/CSU]: Fünf ins Verhältnis zu den Mandaten! Dann sehen Minuten reden ohne zu atmen! Er sollte mal wir weiter!) Taucher lernen! – Leo Dautzenberg [CDU/ Schauen wir uns doch einmal die kommunale Leis- CSU]: War der Kampfschwimmer, oder was?) tungsbilanz seit 2005 an.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Manfred Kolbe hat das Wort für die CDU/CSU-Frak- CSU]) tion. Das Jahr 2005 ist geradezu eine Zäsur für die kommuna- (Beifall bei der CDU/CSU) len Finanzen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Super!) Manfred Kolbe (CDU/CSU): Im Jahr 2005 – das nur zur Erinnerung – wurde Angela Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Merkel Bundeskanzlerin. Lassen Sie mich zum Schluss der Aktuellen Stunde ein paar Punkte zusammenfassen: (Joachim Poß [SPD]: Oh!) (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Die Steuereinnahmen der Gemeinden sind seitdem vier Jahre lang kontinuierlich gestiegen. Der Finanzierungs- Erstens. Wir als CDU/CSU-Fraktion sind die kommu- saldo der Kommunen war letztmals 2005 negativ. Die nal, also vor Ort, verankerte Fraktion. Kommunen hatten 2006, 2007 und 2008, einen positiven (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Finanzierungssaldo erwirtschaftet. SPD und der LINKEN) (Manfred Zöllmer [SPD]: Und 2010?) Sie brauchen sich doch nur das Ergebnis der letzten Bun- Die kommunalen Investitionen betrugen im Jahr 2005 destagswahl anzuschauen. Unsere Fraktion umfasst nur18,6 Milliarden Euro und hatten somit einen Tiefst- 239 Abgeordnete. Davon sind 218 direkt gewählt. stand erreicht. Sie sind seitdem kontinuierlich gestiegen, nämlich auf 19,1 Milliarden Euro in 2006, 20 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU) Euro in 2007, 21,5 Milliarden Euro in 2008 und 22,5 Mil- Man wird in Deutschland nicht direkt gewählt, wenn liarden Euro im letzten Jahr. Das sind die Zahlen. Sie sa- man keinen Kontakt zur kommunalen Basis hat. gen mehr aus als manches hysterische Wort hier in die- (B) sem Saal. (D) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn man nicht die Interessen der Kommunen vertritt, dann gewinnt man keine Wahlkreise. Weil wir das tun, Dann kam die internationale Finanzkrise. Sie ist den haben wir so viele Wahlkreise gewonnen. In Sachsen ha- Kommunen nicht von der Bundesregierung aufgezwun- ben wir alle 16 Bundestagswahlkreise gewonnen. Wir gen worden und hat uns alle getroffen. Da haben wir alle haben alle zehn Landratsämter gewonnen. Wir stellen Fehler gemacht, der Bund, die Länder und auch manche die Oberbürgermeisterin in Dresden. Das wäre doch Kommune. Ich denke zum Beispiel an die Cross-Border- nicht der Fall, wenn wir eine kommunalfeindliche Poli- Geschäfte der Stadt Leipzig, die für die Kommunalen tik betreiben würden. Das müssen Sie zur Kenntnis neh- Wasserwerke ein finanzielles Risiko in Höhe von men. 290 Millionen Euro mit sich brachten. Da wir alle Fehler gemacht haben, sind wir alle gefordert. (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Reden Sie über Ihre Pläne, nicht über Die Kommunen haben jetzt in der Tat ein Finanzie- die Vergangenheit!) rungsdefizit: Nun zu den Grünen. Frau Künast sehe ich gar nicht (Bernd Scheelen [SPD]: Und Frau Merkel ist mehr. Sie muss sich offenbar von Ihrem eigenen Rede- immer noch Kanzlerin!) beitrag erholen. Letztes Jahr lag es bei 4,5 Milliarden Euro; dieses Jahr (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- droht eines in Höhe von bis zu 12,0 Milliarden Euro. Ich NEN]: Herr Solms ist auch schon weg!) sage ganz klar für meine Fraktion – das hat der Staatsse- kretär schon ausgeführt –: Wir alle sind gefordert. Wir Sie, Frau Haßelmann, haben sich hier aufgeplustert. Ihre müssen darüber nachdenken, und wir müssen auch han- Partei ist kommunal überhaupt nicht verankert. deln. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe von der SPD) NEN]: Sie haben keine Ahnung von den Grü- nen! Sie sollten nicht darüber reden!) Wenn man ehrlich ist, dann kommt man zu dem Schluss – das müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen –, dass die Ich kann die Anzahl der kommunalen Vertreter Ihrer Hauptursache für den augenblicklichen Rückgang der Partei in meinem Wahlkreis an einer Hand aufzählen. kommunalen Einnahmen die starke Konjunkturabhän- Das ist fast bedauerlich. gigkeit der Gewerbesteuereinnahmen ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1945

Manfred Kolbe (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: (C) [SPD]: Sagen Sie einmal et- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker was zur Gewerbesteuer! Sind Sie dafür, oder Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, sind Sie dagegen?) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Angesichts dessen sollte man nicht immer gleich mit NIS 90/DIE GRÜNEN dem Totschlagargument kommen: Ihr wollt die Gewer- Parteispenden begrenzen besteuer abschaffen. Das will doch keiner. – Drucksache 17/547 – (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Überweisungsvorschlag: Wir wollen die kommunalen Einnahmen verstetigen und Innenausschuss (f) Rechtsausschuss weniger konjunkturanfällig gestalten. Haushaltsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, wei- NEN]: Die FDP will sie doch abschaffen! Ha- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ben wir doch gerade gehört!) Parteispenden von Unternehmen und Wirt- Diese Bundesregierung unter Angela Merkel hat übri- schaftsverbänden verbieten gens sofort gehandelt – Sie von der SPD, Frau Kressl und andere könnten da ruhig klatschen, waren noch da- – Drucksache 17/651 – bei: Wir haben ein erstes Konjunkturpaket aufgelegt; wir Überweisungsvorschlag: haben ein zweites Konjunkturpaket aufgelegt; wir haben Innenausschuss (f) Rechtsausschuss die Straßenbaumittel des Bundes um 4 Milliarden Euro Haushaltsausschuss erhöht. Wir wollen hierzu verabredungsgemäß eine halbe (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sogar zusam- Stunde debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. men! – Zurufe von der SPD) Dann ist das so beschlossen. Als Ausblick auf diese Legislaturperiode sei gesagt: Wir Als Erstem gebe ich das Wort dem Kollegen Volker werden auch in dieser Legislaturperiode handeln. Das Beck für Bündnis 90/Die Grünen. können Sie in der Koalitionsvereinbarung nachlesen. Da steht, dass wir die kommunale Selbstverwaltung stärken, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) (D) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re- NEN]: Ja, da sind Sie dabei!) den heute hier über die Reform des Parteiengesetzes, weil die Mövenpick-Spende des Barons von Finck an die die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und FDP im Zusammenhang mit der auch von Herrn Kommunen überprüfen und Pinkwart kritisierten Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie den Eindruck erweckt hat, man könne politi- (Zuruf von der SPD: Und wann?) sche Entscheidungen in Deutschland durch Spenden be- die Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung einflussen. verbessern wollen, Friedrich Nowottny schreibt im Berliner Kurier etwas (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ zugespitzt: CSU] – Zurufe von der SPD) Alles ist gesetzlich geregelt. Mehrfach hat das Bun- desverfassungsgericht beraten und entschieden. damit die Kommunen nicht immer die Suppe auslöffeln Trotzdem: Um Parteispenden weht der üble Geruch müssen, wenn Bund und Länder etwas zulasten Dritter von Korruption. beschlossen haben. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der einmal angegangen werden muss. Das werden wir in Der Spiegel schreibt: dieser Legislaturperiode tun. Die „Mövenpick“-Spende ist so legal wie anrüchig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, die FDP erweckt den Ein- – Danke schön. druck, es sei legal verbucht, legal vermeldet, und des- halb sei auch alles in Ordnung. Die CDU/CSU-Fraktion steht zu den Kommunen und wird auch zugunsten der Kommunen handeln. (Patrick Meinhardt [FDP]: Es ist alles in Ord- nung!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Zurufe von der SPD und der Darin zeigt sich, dass Sie, meine Damen und Herren von LINKEN) der FDP, die Grundlagen des jetzigen Parteiengesetzes nicht verstanden haben. Es geht um Transparenz zur Er- möglichung von Kritik. Deshalb kann einem eine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Spende bei Umfragen und Wahlen unter Umständen Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. teuer zu stehen kommen, wie man aktuell sieht. 1946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Volker Beck (Köln) (A) Im eher konservativen Grundgesetzkommentar von die Stimmabgabe auf Grundlage dieser Information tref- (C) Maunz/Dürig wird die Logik des Parteiengesetzes darge- fen können. legt. Klein schreibt darin: Wir wollen auch, dass zukünftig die Wahlkampfkos- Die Pflicht zur Offenlegung der finanziellen Ver- ten zeitnah offengelegt werden müssen und dass Aktien- hältnisse dient dem Zweck, einerseits die Bürger, gesellschaften und Unternehmen, die Geschäftsberichte andererseits aber auch die um deren Stimme kon- schreiben müssen, darin aufführen müssen, wie viel kurrierenden Wettbewerber über die Ressourcen zu Geld sie an welche Parteien gespendet haben. informieren, über welche die Parteien verfügen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber auch darüber, woher sie kommen, weil es sich sowie bei Abgeordneten der SPD) dabei um einen wesentlichen Indikator der von ih- nen verfolgten Ziele handeln kann. ... Darauf haben die Eigentümer, die Aktionäre, einen An- spruch; denn es kann durchaus eine Divergenz geben, Weiterhin formuliert das auf der Grundlage des über die demokratisch diskutiert werden sollte. Art. 21 Abs. 3 des Grundgesetzes ergangene Partei- engesetz Veröffentlichungspflichten, denen wie- Wir wollen auf Grundlage des GRECO-Berichts eine derum der Gedanke zugrunde liegt, der Öffentlich- Anhörung im Innenausschuss zur Unabhängigkeit bei keit und jedem Bürger die Beurteilungsgrundlagen der Kontrolle, zu Spenden an MdBs, zur Finanzierung zur Verfügung zu stellen, deren sie für die sinnvolle von Wählervereinigungen durchführen. Der zentrale Ausübung ihrer Kontrollfunktionen bedürfen. Punkt sind die Transparenz und die Begrenzung von Spenden. Die Reform des Parteienrechtes ist in den letz- Dass Sie jetzt argumentieren: „Was legal ist, ist auch ten Jahrzehnten immer wieder vom Bundesverfassungs- in Ordnung“, zeigt, dass die Grundlagen unseres Parteien- gericht oder von der Empörung aufgrund von Partei- gesetzes so nicht mehr von allen geteilt werden. Ich fand spendenskandalen – ich nenne nur die Flick-Affäre und die Mövenpick-Spende im Zusammenhang mit dem die Kohl-Spende – angestoßen worden. Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht in Ordnung. Das sieht die Mehrheit der Bevölkerung auch so. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege! sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] – Zuruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CSU]) Lassen Sie uns die aktuellen Vorgänge für eine Re- form nutzen! Das dient dem Ansehen der Parteien als ei- Wenn Sie diese Grundlagen nicht mehr akzeptieren, (B) nes Trägers der politischen Willensbildung, und es dient (D) dann brauchen wir ganz offensichtlich eine Reform des der Legitimität der parlamentarischen Demokratie. Las- Parteiengesetzes, die mehr Transparenz schafft und die sen Sie uns den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass in die Möglichkeiten der Spenden so begrenzt, dass die Deutschland politische Willensbildung nicht käuflich Schwächsten im Parteiensystem durch Spenden in ihrer ist! politischen Entscheidungspraxis, in ihrer Regierungs- tätigkeit nicht beeinflusst werden können. Deshalb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlagen wir vor, auf Grundlage des GRECO-Berichts, sowie bei Abgeordneten der SPD – Reinhard des Berichts der Staatengruppe gegen Korruption im Grindel [CDU/CSU]: Außer bei der Solarin- Europarat, eine jährliche Obergrenze von Spenden durch dustrie!) natürliche und juristische Personen in Höhe von 100 000 Euro einzuführen. Das ist eine angemessene Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Summe. Das ist moderat; dies gestehe ich Ihnen zu. Man Der Kollege Ingo Wellenreuther hat jetzt das Wort für könnte da auch radikaler sein. Aber wir wollen Ihnen ein die CDU/CSU-Fraktion. ehrliches Angebot zur Reform des Parteiengesetzes ma- chen, damit wir hier einen Schritt weiterkommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen sicherstellen, dass in Zukunft noch trans- Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): parenter gehandelt wird. Es ist gut, dass der Bundestags- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und präsident jetzt sagt, er werde immer unverzüglich und Herren! Korruptionsbekämpfung ist grundsätzlich eine nicht nur einmal im Monat veröffentlichen. Wir wollen wichtige Sache, und Transparenz bei politischen Ent- außerdem die Transparenzgrenze von 50 000 Euro auf scheidungen ist für eine Demokratie unverzichtbar. Was 25 000 Euro herabsetzen, damit noch klarer wird, ob es Korruptionsbekämpfung angeht, liegen wir in Deutsch- unmittelbare Zusammenhänge von Spenden und politi- land richtig und befinden wir uns auf einem guten Weg. schen Entscheidungen gibt. 25 000 Euro mögen auf der Nach der aktuell veröffentlichten Korruptionsliste von Bundesebene keine große Summe sein. Aber wenn eine Transparency International belegt Deutschland unter Spende in dieser Höhe bei einem Ortsverband oder bei 180 Staaten weltweit einen der vordersten Plätze. Ich einem Kreisverband im Rahmen eines Kommunalwahl- begrüße, dass wir bereits 1999 der beim Europarat ein- kampfs eingeht, dann sollte dies den Wählerinnen und gesetzten Staatengruppe zur Korruptionsbekämpfung, Wählern bekannt sein, damit sie ihre Entscheidung für GRECO genannt, beigetreten sind. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1947

Ingo Wellenreuther (A) Die Anträge der Grünen und der Linken, die uns Was die Parteispenden anbelangt, ist das entschei- (C) heute jedoch vorliegen, zielen darauf ab, das Parteien- dende Kriterium die Transparenz. gesetz zu ändern. Das Ärgerliche daran ist, dass sie sich (Joachim Poß [SPD]: Als ob das Thema „ge- eines Etikettenschwindels bedienen, indem sie diese An- kaufte Republik“ neu wäre!) träge durch Verweis auf den GRECO-Bericht des Euro- parates in einen Zusammenhang mit Korruptionsbe- – Sie müssen zuhören, dann begreifen Sie es vielleicht, kämpfung stellen bzw. eine unzulässige Einflussnahme Herr Poß. – Das Parteiengesetz in der Fassung vom Juni auf politische Entscheidungen durch Spenden unterstel- 2002 hat sich insofern bewährt. Sie wissen genau, dass len. gemäß § 25 des Parteiengesetzes Spenden über 10 000 Euro im Rechenschaftsbericht angegeben werden Ich sage es ganz offen: Ich halte es für unverantwort- müssen. Spenden über 50 000 Euro müssen dem Bun- lich, dass Sie damit das eminent wichtige Thema der destagspräsidenten direkt angezeigt werden. Das Ganze Korruptionsbekämpfung in geradezu populistischer wird in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht. Das Weise missbrauchen, sind vernünftige Regelungen voller Transparenz, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sich – auch nach Auskunft der Bundestagsverwaltung – im Laufe der Jahre hervorragend bewährt haben. nur des parteipolitischen Vorteils wegen. In Wahrheit geht es Ihnen überhaupt nicht um die Empfehlung des Darüber hinaus begrüße ich, dass der Bundestagsprä- Europarates. Nein, der GRECO-Bericht muss als Fei- sident angekündigt hat – Herr Kollege Beck, Sie haben genblatt herhalten, um aus Kalkül heraus den politischen es angesprochen –, dass er Spenden zeitnah im Internet Gegner und die Spender zu kriminalisieren und in Verruf veröffentlichen wird. Damit wird dem Transparenzgebot zu bringen. in ganz besonderer Weise Rechnung getragen. (Joachim Poß [SPD]: Eine interessante Argu- (Joachim Poß [SPD]: Bei der CDU/CSU gab es nie mentation!) Schwarzgeld! So etwas ist unbekannt!) Bei der Frage, wie sich Parteien als Verfassungs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: organe im weiteren Sinne, das heißt als Faktoren des Herr Wellenreuther, Herr Kollege Beck hat eine Zwi- Verfassungslebens und damit des politischen Wettbewer- schenfrage. bes, finanzieren, darf man die Stichworte „Chancen- gleichheit“, „Staatsunabhängigkeit“ und „Meinungsfrei- Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): heit“ nicht außer Acht lassen. Wir haben uns in Nein, Herr Beck hat genug gesprochen. Deutschland ganz bewusst gegen eine rein staatliche Ali- (B) mentierung der Parteien entschieden und die gesell- (D) Ehrlicher wäre es gewesen, wenn Sie gleich gesagt schaftliche Verankerung als Wesenselement politischer hätten, worum es Ihnen wirklich geht. Sie wollen den Parteien definiert. politischen Gegner treffen, Sie wollen die politischen Parteien mit wesentlich größeren Spendenaufkommen Die Parteienfinanzierung hat – das wissen Sie – drei diskreditieren, und Sie wollen die Spender verunsichern. Säulen: Dieses Ansinnen ist nur allzu durchsichtig, und deshalb (Joachim Poß [SPD]: Die Familie Klatten ist ist Ihr Vorhaben in hohem Maße unehrlich. eine bessere Adresse als die staatliche Finan- zierung!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, der Kollege Montag würde Ihnen gerne Neben den Mitgliedsbeiträgen und den staatlichen Zu- eine Zwischenfrage stellen. wendungen erhalten sie Spenden natürlicher und juristi- scher Personen. Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. GRÜNEN]: Das wollen wir auch nicht verän- Wir können uns später austauschen. – Wie gesagt: Es dern!) wäre ehrlicher gewesen, wenn Sie gleich gesagt hätten, Spenden zu leisten, ist eine private Entscheidung der worum es Ihnen geht. Ich halte es für unerträglich, dass Bürger in unserem Land, die dies gegenüber sich, ihrer Sie in der Öffentlichkeit bewusst den Eindruck erwe- Familie, ihrem Vorstand, ihrem Aufsichtsrat, ihren Ak- cken, man könne in unserem Land Entscheidungen kau- tionären und der Öffentlichkeit zu rechtfertigen haben, fen. aber sicherlich nicht gegenüber dem politischen Gegner. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Spen- NEN]: Nein, nein! Das gibt es gar nicht! – denrechts entspricht der grundgesetzlich verankerten Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Parteienfreiheit. Dies drückt sich im Recht aus, dass na- NEN]: Das hat es hier noch nie gegeben!) türliche oder juristische Personen den Parteien als legi- Für unerträglich halte ich auch, dass Sie so tun, als ob time Formen der Teilhabe an der politischen Willensbil- eine Beschränkung der Parteispenden auf eine be- dung Spenden zukommen lassen. Berechtigterweise darf stimmte Höhe bzw. ein Verbot von Parteispenden durch es den Spendern darauf ankommen, die politischen Ziele juristische Personen dazu beitragen könnte, Korruption der entsprechenden Parteien zu unterstützen. Genau das zu bekämpfen. ist nach dem Grundgesetz, dem Parteiengesetz und der 1948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Ingo Wellenreuther (A) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so vor- Herzlichen Dank. (C) gesehen. Das Verfassungsgericht sieht Parteispenden ausdrücklich als eine Form zulässiger Interessenwahr- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nehmung und politischer Teilhabe an. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bei der vorigen Debatte wurde angesprochen, dass Spenden auch ein Indikator für den Erfolg einer Partei Gabriele Fograscher hat das Wort für die SPD-Frak- sind. tion. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gabriele Fograscher (SPD): NEN]: Haben Sie sich mal die Umfragen an- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- geschaut?) gen! Anlass für diesen Tagesordnungspunkt – das kann Oft spiegelt sich darin die Verankerung der Mandatsträ- und will ich Ihnen gar nicht ersparen – sind die Entschei- ger in den Wahlkreisen wider. Damit haben speziell die dung der Regierungskoalition, den Mehrwertsteuersatz Grünen und die Linken Probleme. Genau das ist es, was für Hotelübernachtungen zu senken, und die großzügige Sie stört und worauf Ihre Anträge abzielen. Durch die Spende der Hotelkette Mövenpick, von Herrn von Finck, beantragte Begrenzung der Spendenhöhe oder gar durch die FDP und CSU erhalten haben. Problematisch ist da- das von den Linken beantragte Verbot von Unterneh- bei nicht die Spende an sich. Alle Parteien sind auf mensspenden verspricht man sich Vorteile im politischen Spenden angewiesen. Was die öffentliche Diskussion Wettbewerb. Wie heuchlerisch Ihre Argumentation ist, ausgelöst hat, ist die zeitliche Nähe der Spende zu dieser zeigt sich schon daran, dass beispielsweise Sie von den isolierten, einseitigen steuerlichen Entlastung für Hotel- Grünen sich in den letzten Jahren sehr gerne durch Groß- übernachtungen. spenden aus der Solar- und Windenergiebranche haben (Beifall bei der SPD) unterstützen lassen. Einfach, niedrig und gerecht soll das Steuersystem (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden. Das wiederholen Sie gebetsmühlenartig. Aber NEN]: Großspenden nennen Sie das? Sie kön- Sie tun das Gegenteil. Die Senkung des Mehrwertsteuer- nen wohl nicht rechnen!) satzes für Hotelübernachtungen schafft mehr Aufwand Wenn Sie mögen, kann ich die einzelnen Beträge nen- bei der Abrechnung, fügt dem Dschungel der Ausnah- nen. metatbestände eine weitere Schlingpflanze hinzu, und (B) die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen (D) Um in Ihrem Gedankengebäude zu bleiben, müssten werden dadurch niedriger. Das mag sich für die CSU Sie Ihre eigene Integrität wegen Ihres Einsatzes für die und die FDP ja finanziell gelohnt haben, ob sich das aber Förderung regenerativer Energien infrage stellen. auch politisch gelohnt hat, bezweifeln inzwischen nicht (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) nur Herr Pinkwart von der FDP und Herr Rüttgers von der CDU. Die politischen Ziele Ihrer Spender deckten sich schließ- lich mit denen Ihrer Partei. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler Mit Die Gefahr des bösen Scheins ist ein Beitrag des [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben wir FDP-Politikers Burkhard Hirsch in der Süddeutschen im Gegensatz zu Ihnen aber nicht geändert!) Zeitung vom 1. Februar 2010 überschrieben. Sie sehen daran, wie scheinheilig Ihre Argumentation (Patrick Meinhardt [FDP]: Die eigenen Argu- ist. mente sind Ihnen ausgegangen!) (Joachim Poß [SPD]: Sie scheinen ein Jurist Er führt aus – ich zitiere –: mit wenig Skrupeln zu sein!) Der Gesetzgeber hat den bösen Schein von Spenden – Ja, genau, aber im Unterschied zu Ihnen mit Verstand, geahnt. Im Parteiengesetz verbietet er die Annahme Herr Poß. von „Spenden, die der Partei erkennbar in Erwar- tung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirt- Ihnen von der Linken müsste eigentlich die Schames- schaftlichen oder politischen Vorteils gewährt wer- röte ins Gesicht steigen, da das Verwaltungsgericht in den“. Diese gutgemeinte Bestimmung hat keine Berlin vor einigen Wochen, im Januar 2010, festgestellt praktische Bedeutung erlangt. hat, dass die Partei Die Linke gegen das Transparenzge- bot des Parteiengesetzes verstoßen hat, weil sie eine In dem Artikel macht Burkhard Hirsch Vorschläge, Spende in Höhe von 146 000 Euro, die im Zusammen- die wir von der SPD zwar nicht alle teilen, das Ziel je- hang mit dem Landtagswahlkampf Rheinland-Pfalz im doch, die Gefahr des bösen Scheins von Parteispenden Jahre 2006 geflossen ist, nicht im Rechenschaftsbericht zu bannen, teilen wir ausdrücklich. angegeben hat. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Es fällt uns schwer, Ihre Anträge ernst zu nehmen. Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen lehnen wir sie ab. NEN]) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1949

Gabriele Fograscher (A) Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Kontrolle und Zur Erhöhung der öffentlichen Kontrolle gehört für (C) mehr Transparenz. Bürgerinnen und Bürger müssen die uns auch, dass Kapitalgesellschaften verpflichtet wer- Möglichkeit haben, nachzuvollziehen, von wem und in den, ihre Spenden an Parteien in ihren Geschäftsberich- welcher Höhe politische Parteien finanzielle oder auch ten öffentlich auszuweisen. Es muss im Interesse aller materielle Zuwendungen erhalten. demokratischen Parteien sein, den Verdacht von Ein- flussnahme oder, schlimmer noch, von Käuflichkeit aus- (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Das ist Ge- zuräumen. Deshalb war es guter Brauch – es ist immer setzeslage!) gelungen –, Regelungen zur Parteienfinanzierung frak- Deshalb halten wir Änderungen im Parteiengesetz für tionsübergreifend zu vereinbaren. notwendig. Wir sind für die Einführung einer jährlichen Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs- Spendenobergrenze in Höhe von 100 000 Euro. Wir un- koalition, ich fordere Sie auf, über die Vorschläge zur terstützen die Forderung, dass Spenden ab einer Höhe Verbesserung der Transparenz offen mit uns zu diskutie- von 25 000 Euro statt bisher 50 000 Euro unverzüglich ren und mit uns gemeinsam zu Neuregelungen zu kom- dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden müssen. men. Wir begrüßen, dass diese Spenden in Zukunft unverzüg- lich veröffentlicht werden. Danke sehr. (Beifall bei der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Parteien dürfen künftig keine Zeitungen mehr Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- betreiben!) NEN]) Ein Spendenverbot für juristische Personen, das die Linke vorschlägt, und eine Spendenobergrenze von jähr- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lich 25 000 Euro halten wir für nicht sinnvoll. Spenden Der Kollege Dr. Stefan Ruppert hat das Wort für die würden gestückelt und von natürlichen Personen, zum FDP-Fraktion. Beispiel Führungskräften des Unternehmens, getätigt. (Beifall bei der FDP) Interessant für die Öffentlichkeit ist nicht, ob eine Per- son X an eine Partei Y spendet, sondern ob Unterneh- mensinteressen mit dieser Spende verbunden sind. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen (Beifall der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] – und Herren! Die Finanzierung von Parteien in Deutsch- Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sonst wür- land ist eng verbunden mit einem demokratischen Ver- (B) den die ja nicht spenden!) ständnis, das in diesem Lande geprägt wird. (D) Allerdings halten wir das Verbot von Verbandsspenden (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wirt- für notwendig. schaftsdemokratie!) (Beifall bei der SPD) Mit den vorliegenden Anträgen verlassen Grüne und Die Berliner Zeitung vom 9. Februar 2010 greift die Linke die gute Tradition, dass wir uns über die Frage, Spendenpraxis des Verbands der Bayerischen Metall- wie wir uns als Parteien finanzieren und wie wir Demo- und Elektroindustrie auf. Dieser Verband gehört zu den kratie gestalten, im Konsens der Demokraten unterhal- größten Parteispendern der Republik. Seit 2002 gingen ten. Sie gehen auf Kosten eines kleinen parteipolitischen mehr als 3,5 Millionen Euro an CSU und FDP. Vorteils einseitig vor. Das ist eine sehr kleine parteipoli- tische Münze, die Sie hier ausspielen. (Ute Kumpf [SPD]: Hört! Hört!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Zuwendungen an andere Parteien fielen entschieden der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜND- geringer aus. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nur mit- machen!) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist eine unglaubliche Neiddebatte, die hier heute ge- Ein genauerer Blick auf die deutsche Parteienfinan- führt wird!) zierung lohnt sich. In dem Artikel in der Berliner Zeitung „Das teure (Joachim Poß [SPD]: Das geht hier schon um Schweigen der Bayerischen Metallindustrie“ ist zu le- dicke Scheine, nicht um kleine Münze!) sen, dass nicht einmal alle Mitglieder des VBM von die- ser Spendenpraxis wissen. – Ich bin relativ neu in diesem Haus, Herr Poß, aber ich bin auf kommunaler Ebene von Ihrer Partei ein höheres (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Niveau gewohnt, als Sie es hier darstellen. GRÜNEN]: Gibt es doch gar nicht!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Audi-Unternehmenssprecher Jürgen de Graeve wird in der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Ach!) diesem Artikel wie folgt zitiert: Das Infame an Ihrer Kampagne ist doch, so zu tun, als Wir sind im VBM, damit der Verband Tarifpolitik seien die Vorgänge der Vergangenheit intransparent ge- für uns macht, nicht damit er an Parteien spendet. wesen. Keinesfalls waren sie das. 1950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. Stefan Ruppert (A) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Demokratie, meine Damen und Herren von der Linken, (C) NEN]: Das habe ich doch gerade erklärt!) von der SPD und von den Grünen, in der Parteien zu blo- ßen Staatsagenturen verkümmerten? Alles wurde rechtzeitig veröffentlicht. Die Spenden sind ordnungsgemäß verbucht und eingegangen. Auch unser (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Halina Parteiensystem ist keinesfalls so intransparent, wie Sie Wawzyniak [DIE LINKE]) es darstellen. 1 000 Euro dürfen Sie in bar nicht anneh- men, 10 000 Euro müssen im Rechenschaftsbericht ver- – Sie können sich gleich in Ihrer Rede dazu äußern. zeichnet werden und 50 000 Euro müssen dem Bundes- Im Antrag der Linken wird dieses Modell im Ergeb- tagspräsidenten gemeldet und veröffentlicht werden. All nis propagiert. das ist geschehen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Genau! Die Linken Was wollen nun Ihre Anträge? Die Grünen wollen wollen ja auch nur eine Partei im Staat!) eine Höchstgrenze für Spenden von juristischen Perso- nen festlegen. Die Linken wollen Spenden von juristi- Im Gegenzug kritisieren Sie aber die Parteienfinanzie- schen Personen gleich ganz verbieten, rung der NPD nach den selbst aufgestellten Kriterien. Als Liberaler, der politischen Extremismus, übrigens (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!) auch den auf Ihrer Seite, bekämpft, hoffe ich, dass ich weil sie keine bekommen haben, nicht aber die von na- als Parteipolitiker nie von der staatlichen Parteienfinan- türlichen Personen. Diese Unterscheidung wird nicht be- zierung, die Sie politisch wollen, abhängig sein werde. gründet. (Beifall bei der FDP – Jerzy Montag [BÜND- Wir müssen uns fragen, welche demokratische Kultur NIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber von Herrn von wir in diesem Land eigentlich fördern wollen. Finck! – Joachim Poß [SPD]: Genau! Sie sind doch ein Günstling von Herrn von Finck!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- – Herr Poß, Sie können gerne noch lauter schreien oder SES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: hier reden. Aber das ändert nichts. Genau! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Parteien in DIE GRÜNEN]: Das ist richtig! – Jerzy Deutschland unterschiedlich finanzieren. Sie von den Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Linken beispielsweise profitieren vom SED-Vermögen. gute Frage!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) – Genau, ich stelle diese Frage. – Wollen wir ein stärker der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN- (D) auf Personen ausgerichtetes System wie etwa in den KEN – Dr. [DIE LINKE]: USA, wo der Einzelne dafür sorgen muss, dass er seinen Das war klar! Darauf haben wir schon die Wahlkampf finanziert? Dies kann er, wenn er zu den ganze Zeit gewartet!) reichsten 1 bis 2 Prozent Menschen seines Landes gehört oder wenn er die medialen Möglichkeiten hat, sich selbst Wo wir Miete für eine Kreisgeschäftsstelle zahlen, war zu inszenieren, weil er die Medien, die das tun können, bei Ihnen der Weg vom volkseigenen Vermögen in Ihre besitzt, wie es in manchen Ländern der Fall ist. Parteikasse nicht weit. (Joachim Poß [SPD]: Das hat keiner gefordert! – (Jan Korte [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Sie Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE haben das doch komplett kassiert! – Stephan GRÜNEN]: Sie müssen unsere Anträge ein- Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ein sehr gutes mal lesen!) Thema! Weiter!) Wir wollen Parteien, die Politik organisieren, die de- Andere profitieren von massiver gewerkschaftlicher Un- mokratische Auswahl ermöglichen, ein Forum für den terstützung. politischen Diskurs liefern. Dazu brauchen sie Geld. Dieses Geld – das sage ich ausdrücklich – soll nicht al- (Joachim Poß [SPD]: Was? Wer denn?) lein vom Staat kommen, sondern es soll aus der Mitte – Ich kenne das aus meinem Wahlkampf, Herr Poß. der Gesellschaft stammen. (Joachim Poß [SPD]: Es gibt keine Gewerk- (Beifall bei der FDP – Jerzy Montag [BÜND- schaftsspenden!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht vom Te- gernsee! – Dr. [BÜND- Mein Gegenkandidat war von einer Gewerkschaft wo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus der Schweiz!) chenlang freigestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festge- (Abg. Joachim Poß [SPD] meldet sich zu einer stellt: Die Selbstfinanzierung von Parteien hat Vorrang Zwischenfrage) vor der Staatsfinanzierung. Das ist eine Möglichkeit, die ich nicht hatte. (Beifall bei der FDP) (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist doch völlig Außerdem hat es festgestellt, dass Spenden von juristi- absurd! – Ute Kumpf [SPD]: Da sind Sie aber schen Personen erwünscht seien. Was wäre das für eine ganz schön falsch gewickelt!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1951

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das hat natürlich ein Geschmäckle. Vor diesem Hinter- (C) Der Kollege Poß würde Ihnen gerne eine Zwischen- grund bekommt das Wort „Einspeisevergütung“ einen frage stellen. Möchten Sie sie zulassen? völlig neuen Bedeutungsgehalt. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Dr. Stefan Ruppert (FDP): Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Ich führe meinen nächsten Satz zu Ende, dann gerne. – Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann haben wir von denen denn mal Millio- (Ute Kumpf [SPD]: Sie stellen falsche Be- nen gekriegt? Wir haben ja noch nicht einmal hauptungen auf!) 100 000 Euro bekommen! Sie kriegen das Bei der letzten Bundestagswahl hat zum Glück der Satz doch jede Woche dreimal!) gegolten: Geld allein schießt keine Tore. – Das gilt auch Die FDP hat den kleinsten Parteiapparat. Auf die Un- für das Geld, über das Sie aufgrund Ihrer Medienbeteili- terstützung großer Institutionen hoffen wir vergeblich. gungen verfügen und das deutlich mehr ist als unsere Parteispenden. (Joachim Poß [SPD]: Es gibt aber die dicksten Spenden!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Herr Poß, was Sie vielleicht besonders ärgert, ist, dass 10 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder uns sogar ge- Jetzt können Sie gerne Ihre Zwischenfrage stellen. wählt haben. (Joachim Poß [SPD]: Ja, das weiß ich!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Poß, bitte schön. Sie können das vielleicht nicht verstehen, aber es ist so. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Joachim Poß (SPD): GRÜNEN]: Wir verstehen das auch nicht! Sehr geehrter Herr Kollege, können Sie einen Fall Aber jeder hat mal Glück! – Joachim Poß nennen, einen aktuellen oder einen aus den letzten Jahr- [SPD]: Das ist aber kein Argument! Das ge- zehnten, in dem es eine Gewerkschaftsspende für die So- hört zum Recht auf Irrtum! – Weitere Zurufe zialdemokratie gab? von der SPD: Das war einmalig! – Eine einma- lige Freude für Sie!) Dr. Stefan Ruppert (FDP): – Wir sind da gelassener als Sie und warten ab, was die (B) Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie den Satz, den Zukunft bringt. (D) ich gesagt habe, gehört. Mein Gegenkandidat im Wahl- kampf profitierte davon, dass er für diesen Wahlkampf Wir wollen die Demokratie in Deutschland im Kon- wochenlang von einer Gewerkschaft freigestellt war, sens mit Ihnen weiterentwickeln. Wir wollen nicht während ich am Max-Planck-Institut Grundlagenfor- kleine parteipolitische Münze quasi eine halbe Stunde schung betreiben musste. vor Karneval, sondern wir wollen, dass alle Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Un- erhört! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ (Joachim Poß [SPD]: Sie meinen wohl: aus der DIE GRÜNEN]: Sie hätten sich ja auch frei- Mitte der Schweiz!) stellen lassen können!) auch Unternehmer, die jeden Tag hart arbeiten müssen Diese Freistellung hat ihm sehr wohl einen Wettbe- und keine Zeit haben, sich politisch zu engagieren, werbsvorteil verschafft. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das NEN]: Dass die keine kleinen Münzen geben, hätte für Sie doch auch gegolten! Worüber be- ist bekannt!) schweren Sie sich eigentlich?) in diesem Parlament repräsentiert sind und nicht nur Ge- werkschaftssekretäre und Linke. Wir wollen, wie gesagt, Es geht nämlich nicht nur um direkte Finanzierung. dass hier alle Menschen aus der Mitte der Gesellschaft (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- repräsentiert sind. NEN]: Das steht jedem Abgeordneten und je- (Joachim Poß [SPD]: Aus der Mitte der dem Bewerber zu! – Dr. Kirsten Tackmann Schweiz!) [DIE LINKE]: Darum geht es hier doch gar nicht!) Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie zur ernsthaften Debatte zurück! Wir können in Ruhe über dieses Thema Die Grünen bekommen viele Spenden von Wind- und diskutieren. Die vorliegenden Anträge lehnen wir ab. Solarenergieunternehmen. Es ist bemerkenswert, dass Sie die Kappungsgrenze genau oberhalb der Zahl festle- Danke. gen wollen, die Sie regelmäßig als Spenden bekommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Joachim Poß [SPD]: Briefkastenfirmen aus der NEN]: Na ja! So regelmäßig leider nicht!) Mitte der Schweiz!) 1952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Patrick Meinhardt [FDP]: Davon haben Sie (C) Für die Fraktion Die Linke spricht die Kollegin keine Ahnung!) Halina Wawzyniak. Welche höchstpersönliche Willensbekundung soll hier (Beifall bei der LINKEN – Reinhard Grindel zum Ausdruck kommen? Wird zur Entscheidungsfin- [CDU/CSU]: Jetzt wollen wir erst einmal wis- dung, welche Partei in welcher Höhe mit einer Spende sen, wo die SED-Gelder geblieben sind!) bedacht wird, eine Mitarbeiterversammlung einberufen? Ist der Betriebsrat beteiligt? Findet gar eine Urabstim- mung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt? Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Welches Quorum ist notwendig, um die Entscheidung Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und herbeizuführen? Und wie sieht es aus, wenn die Ge- Herren! Ich habe selten eine Debatte verfolgt, die von so schäftsführung andere Präferenzen als die Mitarbeiterin- wenig Problembewusstsein geprägt war. nen und Mitarbeiter hat? Wir alle wissen doch, dass die (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen bei SED-Gelder?) solchen Entscheidungen außen vor bleiben. Insofern sind Spenden von Unternehmen gerade nicht Ausdruck Wenn Sie die SED-Millionen suchen, einer höchstpersönlichen Entscheidung. Wir sagen: Mit Spenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Suchen Sie soll Politik im Interesse der juristischen Personen erkauft die mal!) werden. rate ich Ihnen: Fragen Sie einmal beim Nachfolger der Juristische Personen, also Unternehmen, sind rechen- Treuhandanstalt und bei der Unabhängigen Kommission schaftspflichtig, eine Aktiengesellschaft vor allen Din- zur Überprüfung des Parteienvermögens nach. gen gegenüber den Aktionären. Die Aktionäre müssten (Zuruf von der CDU/CSU: Nein! Bei der eigentlich sauer sein, wenn der Vorstand mit Genehmi- Linkspartei!) gung des Aufsichtsrates enorme Summen an Parteien verschenkt. Diese Spenden sind allerdings Geschenke, Sie können allerdings auch einen Stift zur Hand nehmen für die Gegenleistungen erwartet werden. Worin soll und mitschreiben, was ich Ihnen jetzt sage. Sie können diese Gegenleistung bestehen, wenn nicht in Politik, die nämlich auch unter http://www.die-linke.de/partei/ge dem Unternehmen genehm ist? schichte/und dort unter Punkt acht nachlesen, dass wir seit dem 1. September 1991 auf dieses Geld verzichtet Ich glaube nicht, dass ich bei Ihnen auf offene Ohren haben. Aber dafür muss man natürlich lesen können. stoße; aber vielleicht können die Grünen einmal darüber (B) nachdenken, ob sie sich unserem Antrag anschließen – (D) (Beifall bei der LINKEN) im Sinne der Demokratie. Die FDP schreibt: Die FDP hat nicht nur jüngst von Spenden profitiert. Eine Richterin am Verwaltungsgericht Berlin kam neu- Spenden sind ein wichtiger und sehr persönlicher lich zu dem Schluss, dass die FDP infolge der Mölle- Beitrag des einzelnen Bürgers für die Politik seiner mann-Affäre eigentlich eine Strafe von 11 Millionen Wahl und Ausdruck persönlicher Willensbekun- Euro hätte zahlen müssen. Das hat sie nicht, weil der dung. Bundestagspräsident als Vertreter der Bundestagsver- Wenn die FDP auch noch zu der Erkenntnis kommen waltung – sagen wir einmal – großzügig war. könnte, dass dies auch für Bürgerinnen gilt, könnte ich (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE dem sogar zustimmen. GRÜNEN]: Das kritisiert man im Ältestenrat, (Patrick Meinhardt [FDP]: Dann machen Sie aber nicht im Plenum!) das doch!) Allianz, Deutsche Vermögensberatung, Deutsche Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Damit nicht Bank und Arbeitgeberverbände wie Südwestmetall und Wirtschaftsverbände und Unternehmen die Politik be- der Verband der Chemischen Industrie spendieren Union stimmen, fordern wir ein Verbot von Parteispenden juris- und FDP seit Jahren Unmengen von Geld. Unternehmen tischer Personen. entsenden Mitarbeiter in Ministerien. Deutschland ist damit eine Wirtschaftsdemokratie. Die Politik sollte aber Auch Spenden von Bürgerinnen und Bürgern sollen demokratisch sein: getragen von dem Willen der Mehr- begrenzt werden, weil andernfalls diejenigen, die viel heit der Bürgerinnen und Bürger. Geld haben, Politik kaufen, während diejenigen, die Transferleistungen empfangen, nur alle vier Jahre ihre (Beifall bei der LINKEN – Reinhard Grindel Stimme abgeben dürfen. Das ist uns zu wenig. [CDU/CSU]: ist ja nun Gewerk- schafter! Warum unterstützen Sie ihn eigent- (Beifall bei der LINKEN) lich nicht?) Bleiben wir bei dem Zitat der FDP. Wenn eine Spende Die Wahl ist eine höchstpersönliche Willensbekun- Ausdruck persönlicher Willensbekundung ist, wie müs- dung. Da nur die Bürgerinnen und Bürger wählen kön- sen wir uns das dann bei der Spende eines Unternehmens nen, nicht aber Unternehmen und Wirtschaftsverbände, vorstellen? ist es nur konsequent, dass sich die FDP rasant dem er- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1953

Halina Wawzyniak (A) mäßigten politischen Mehrwertstimmensatz von 7 Pro- Meine liebe Frau Kollegin Fograscher, bei den Vor- (C) zent nähert. Vielleicht lernen Sie dann, dass Geld und schlägen, die Sie für die SPD-Fraktion gemacht haben, Spenden allein nicht glücklich machen. hat mir ein konkreter Vorschlag gefehlt. Sie haben in keiner Weise eine Aussage dahin gehend getroffen, wie (Beifall bei der LINKEN – Patrick Meinhardt Sie die wirtschaftliche Betätigung von Parteien ein- [FDP]: Der Neosozialismus macht erst recht schränken wollen, wie Sie die Beteiligung von Parteien nicht glücklich! – Weiterer Zuruf von der FDP: an Mediengesellschaften begrenzen wollen. Ein Schelm, Unterirdisch! Über den Witz lacht nicht einmal wer Böses dabei denkt. Ihre Fraktion!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: neten der FDP) Stephan Mayer erhält das Wort für die CDU/CSU- Es gibt einen überfraktionellen Kompromiss zur No- Fraktion. vellierung des Parteiengesetzes aus dem Jahr 2002, der weiterhin Bestand hat. Er hat meines Erachtens die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Spendenpraxis in Deutschland sehr wegweisend und sehr zukunftsgerichtet neu gestaltet. Der wesentliche Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Punkt der Novellierung aus dem Jahr 2002 war, dass die Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol- Spenden von juristischen Personen, von Kapitalgesell- leginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir erleben heute wie- schaften nicht mehr als Betriebsausgaben steuerlich ab- derholt den vollkommen plumpen und durchsichtigen zugsfähig sind. Versuch der Opposition, sich parteipolitisch zu profilie- ren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Joachim Poß [SPD]: Das ist der CSU wesens- Herr Kollege, Frau Hendricks möchte Ihnen gerne fremd!) eine Zwischenfrage stellen. Es wird versucht, aus einem Vorgang politischen Profit zu schlagen, indem man ihn skandalisiert. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Dafür fehlt jegliche Grundlage; denn eines ist klar – das ist intensiv geprüft worden –: Alle Spenden, die die Opposition zum Gegenstand ihrer Anträge gemacht Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. (B) hat, sind vollkommen rechtmäßig gewesen, ordentlich (D) verbucht und entsprechend den geltenden Regelungen (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Frau Schatz- des Parteiengesetzes öffentlich gemacht worden. meisterin!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von Es ist völlig richtig, dass Spenden von Unternehmen der Opposition, ich bitte Sie, insoweit nur etwas weiter nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden können. zu denken. Ich habe die große Befürchtung, dass durch Aber gerade der Vorschlag der SPD-Fraktion, der darauf die Diskussion, die Sie vom Zaun gebrochen haben, abzielt, dass Unternehmensverbände oder andere Ver- bände zukünftig nicht mehr spendenberechtigt sein sol- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE len, beinhaltet zum einen den Aspekt der Transparenz, GRÜNEN]: Die hat die FDP vom Zaun gebro- weil man bei Spenden eines Verbandes gar nicht so recht chen!) weiß, wer dahintersteckt. Er beinhaltet zum anderen die gesamte politische Klasse in Deutschland diskredi- auch den Aspekt der steuerlichen Gleichbehandlung, tiert wird. Sie schädigen damit, dass Sie wie ein Agent denn einen Mitgliedsbeitrag in einem Unternehmensver- Provocateur fungieren, uns alle. band kann man selbstverständlich als Betriebsausgabe geltend machen. Auf diese Weise werden Unterneh- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE mensspenden auf einmal doch wieder steuerlich begüns- GRÜNEN]: Transparenz heißt, dass man Kri- tigt. Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen? tik aushalten muss!) (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel Sie versuchen dadurch, dass Sie den Vorgang skandali- [CDU/CSU]: Ein Wort zu den Zeitungsbeteili- sieren – dies entbehrt, wie gesagt, jeglicher Grundlage –, gungen!) den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zu sugge- rieren, die gesamte politische Klasse in Deutschland sei – Ja, genau dazu komme ich jetzt. Wollen Sie bitte im käuflich. Das ist – Gott sei Dank – nicht der Fall. Übrigen zur Kenntnis nehmen, dass das Bundesverfas- sungsgericht in einem Urteil vom März des Jahres 2008 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Beteiligungen der SPD an Medienunternehmen wie der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der übrigens die Beteiligungen von Parteien an Unterneh- SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ men für in Ordnung und für völlig unproblematisch ge- DIE GRÜNEN) halten hat? 1954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

Dr. Barbara Hendricks (A) (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: War das Ich möchte nur darauf hinweisen, meine sehr verehr- (C) transparent gemacht?) ten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass zum Beispiel Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender – Das ist ein höchstrichterliches Urteil des Bundesver- Ulrich Kelber über drei Jahre hinweg Einzelspenden von fassungsgerichts vom März 2008. Nehmen Sie das bitte Solarworld in Höhe von jeweils 25 000 Euro erhalten zur Kenntnis. Ich empfehle es Ihnen zur Lektüre. hat. Um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken, (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Jahrelang gehe ich aber nicht so weit, auch nur im Entferntesten verschleiert!) anzunehmen, dass der Kollege Kelber deshalb eine be- stimmte Position im Bereich des EEG oder der Energie- Wollen Sie im Übrigen bitte zur Kenntnis nehmen, politik vertritt. dass wir bei unseren Beteiligungen mit einer Ausnahme immer Minderheitengesellschafter sind? (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein!) Diesen Punkt habe ich vorher ausgeführt. Ihre An- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) träge sind deshalb so kurzsichtig, weil sie uns alle dis- – Eine Ausnahme: Bei einem Verlag sind wir mehrheits- kreditieren. Sie bringen uns alle in den Ruf der Käuflich- beteiligt, bei allen anderen sind wir minderheitsbeteiligt. keit, sei es durch die Solarbranche, sei es durch die Automobilbranche, sei es durch die Hotelbranche. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Mit Presse- freiheit hat das nicht viel zu tun!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wollen Sie darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, dass Das ist die große Gefahr, die in diesen Anträgen und Sie immer dann, wenn Sie versuchen, unsere ordentliche auch in dieser Debatte steckt. Geschäftstätigkeit zu diskreditieren, zugleich mittelbar die Mehrheitsgesellschafter aus dem mittelständischen Es ist doch vollkommen klar: Spenden, auch Spenden Bereich treffen? von Unternehmen, sind in einer Demokratie, die nun ein- mal zur Grundlage hat, dass Parteien zur politischen (Beifall bei der SPD) Willensbildung beitragen, überhaupt nichts Anrüchiges und Verwerfliches. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Meine liebe Frau Kollegin, ich nehme zur Kenntnis, GRÜNEN]: Deshalb darf man es trotzdem kri- dass das Bundesverfassungsgericht dezidiert darauf hin- tisieren!) gewiesen hat, dass die Eigenfinanzierung der Parteien zu (B) einem gewissen Teil sogar ein erhebliches Wesensmerk- In § 25 Abs. 2 des Parteiengesetzes steht ganz genau, un- (D) mal unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ter welchen Parametern Spenden unzulässig sind. Dies ist und dass die Novellierung des Parteiengesetzes aus sind insgesamt acht Ziffern. In Ziffer 7 wird dezidiert dem Jahr 2002, die ich erwähnt habe, meines Erachtens aufgeführt, dass Spenden unzulässig sind, wenn sie er- – diese Entscheidung ist interfraktionell gefällt worden – kennbar als Gegenleistung oder in Erwartung für einen wirklich sehr austariert und ausgewogen ist. Dadurch politischen oder wirtschaftlichen Vorteil gewährt wer- wurde das Finanzierungssystem der Parteien auf ein sehr den. verlässliches Fundament gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte darauf hinweisen, dass ich die wirtschaft- Genau das, was Sie anprangern, steht schon im Gesetz. liche Betätigung der SPD in keiner Weise diskreditiert Deswegen bedarf es der von Ihnen angestoßenen Ände- habe. Ich habe nur darauf aufmerksam gemacht, dass es rungen überhaupt nicht. mich verwundert, dass Frau Fograscher sehr weitrei- chende Vorschläge zur Novellierung des Parteiengeset- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grü- zes gemacht hat, aber diesen einen Punkt, aus welchen nen, Sie haben auf den GRECO-Bericht abgehoben. Ich Gründen auch immer, vergessen oder übersehen hat. möchte Sie darauf hinweisen, dass im GRECO-Bericht nicht die Empfehlung ausgesprochen wird, dass wir in (Joachim Poß [SPD]: Weil er irrelevant ist!) Deutschland Höchstgrenzen für Spenden festlegen sol- len. Ganz im Gegenteil: Der GRECO-Bericht hat sogar Ich sage dazu ganz offen, meine liebe Frau Kollegin: Ein zum Inhalt, dass Großspenden wesentlich weniger anfäl- Schelm, wer Böses dabei denkt. lig dafür sind, dass damit die politische Willensbildung Genauso verwundert es mich auch, dass die Grünen beeinflusst wird, als dies bei zahllosen Kleinspenden der einen Antrag gestellt haben, in dem für Spenden eine Fall wäre. Höchstgrenze von 100 000 Euro vorgesehen ist. Die Im GRECO-Bericht wird schwerpunktmäßig dazu Grünen haben in den letzten Jahren durchaus namhafte aufgefordert, dass kein zeitlicher Verzug zwischen der Großspenden bekommen, aber zufälligerweise keine Gewährung und der Veröffentlichung der Spende eintritt. Einzelspende über 100 000 Euro. Im Parteiengesetz existiert zwar schon jetzt die Rege- (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Doch, lung, dass Einzelspenden über 50 000 Euro zeitnah ver- eine!) öffentlicht werden müssen. Ich bin dem Bundestagsprä- sidenten aber sehr dankbar dafür, dass er in seiner Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Weisung vom 27. Januar 2010 unmissverständlich und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1955

Stephan Mayer (Altötting) (A) eindeutig festgelegt hat, dass zeitnah sofort bedeutet. In- schließen wir uns von der Unionsfraktion in keiner (C) soweit kann man sagen: Der Bundestagspräsident hat Weise. Wie gesagt, schon heute gibt es meines Erachtens sofort nach diesen Vorgängen gehandelt und präzisiert, ein sehr verlässliches und sehr strapazierfähiges Par- was ohnehin schon jetzt gültiges Recht im Parteien- teiengesetz, das genau festlegt, unter welchen Regelun- gesetz ist. gen bzw. Kautelen Parteispenden veröffentlicht werden müssen. Daran gilt es festzuhalten. Deswegen kann man Ich möchte auf Ihren Vorschlag eingehen, dass eine den Anträgen der Oppositionsfraktionen aus guten Grün- Höchstgrenze festgelegt wird. Sie von den Grünen for- den und mit guten Argumenten die Ablehnung erteilen. dern eine Grenze von 100 000 Euro. Meine lieben Kolle- gen von der Linkspartei, Herzlichen Dank. (Jan Korte [DIE LINKE]: Was, „meine lieben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kollegen“?)

Sie fordern 25 000 Euro. Man macht sich falsche Vor- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: stellungen davon, welche Auswirkung es hat, wenn man Ich schließe die Aussprache. Höchstgrenzen festlegt. Hier besteht Aufklärungsbedarf. Ich finde es interessant, dass die Linkspartei explizit auf Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf das Beispiel USA verweist; das an sich halte ich schon den Drucksachen 17/547 und 17/651 an die Ausschüsse für einen bemerkenswerten Vorgang. Ich bitte, den Blick vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Ich wirklich einmal in die USA zu richten. Wie wird dies sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist so be- denn dort gehandhabt? Es ist richtig, dass es in den USA schlossen. Höchstgrenzen für Parteispenden gibt. Nur, wie wird in der Praxis vorgegangen? Es werden zahlreiche, teilweise Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord- Hunderte von Mitarbeitern aufgefordert, Kleinspenden nung. zu leisten. Eine Festlegung von Höchstgrenzen kann Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- sehr leicht durch die Stückelung von Spenden umgangen destages auf Mittwoch, den 24. Februar 2010, 13 Uhr, werden, ist also kein probates und geeignetes Mittel, um ein. den Umstand, den Sie zu suggerieren versuchen, näm- lich dass Großspenden dazu anhalten, politische Ent- Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den scheidungen zu beeinflussen, auszuräumen. restlichen Tag. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Die Sitzung ist geschlossen. GRECO-Bericht ist insoweit bemerkenswert, als in ihm (B) klargemacht wird: Transparenz ist wichtig. Dem ver- (Schluss: 13.58 Uhr) (D)

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010 1957

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben entschuldigt bis mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Abgeordnete(r) einschließlich Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Aigner, Ilse CDU/CSU 10.02.2010 Auswärtiger Ausschuss Barchmann, Heinz- SPD 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.5 Joachim EuB-BReg 47/2009 Drucksache 17/136 Nr. A.7 Brackmann, Norbert CDU/CSU 10.02.2010 Ratsdokument 12631/09 Drucksache 17/136 Nr. A.8 Dreibus, Werner DIE LINKE 10.02.2010 Ratsdokument 12663/09 Drucksache 17/136 Nr. A.9 Ratsdokument 12674/09 Ernstberger, Petra SPD 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.12 Ratsdokument 13698/09 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.13 Ratsdokument 14120/09 Gunkel, Wolfgang SPD 10.02.2010 Rechtsausschuss Hänsel, Heike DIE LINKE 10.02.2010 Drucksache 17/178 Nr. A.6 Ratsdokument 15801/09 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 10.02.2010

Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 10.02.2010 Finanzausschuss Drucksache 17/136 Nr. A.31 (B) Köhler (Wiesbaden), CSU/CSU 10.02.2010 Ratsdokument 11640/09 (D) Kristina Drucksache 17/136 Nr. A.34 Ratsdokument 13284/09 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.42 Ratsdokument 13868/09 DIE GRÜNEN

Dr. Krogmann, CDU/CSU 10.02.2010 Haushaltsausschuss Martina Drucksache 17/136 Nr. A.43 Ratsdokument 11868/09 Lach, Günter CDU/CSU 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.45 Ratsdokument 12797/09 Lenkert, Ralph DIE LINKE 10.02.2010 Drucksache 17/178 Nr. A.11 Ratsdokument 14733/09 Drucksache 17/178 Nr. A.13 Link (Heilbronn), FDP 10.02.2010 Ratsdokument 14932/09 Michael Drucksache 17/178 Nr. A.14 Ratsdokument 14998/09 Menzner, Dorothée DIE LINKE 10.02.2010 Drucksache 17/178 Nr. A.16 Ratsdokument 15208/09 Drucksache 17/178 Nr. A.17 Möller, Kornelia DIE LINKE 10.02.2010 Ratsdokument 15386/09 Drucksache 17/315 Nr. A.1 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ 10.02.2010 Ratsdokument 16586/09 DIE GRÜNEN Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Pflug, Johannes SPD 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.50 Ratsdokument 11223/09 Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.52 Ratsdokument 11909/09 Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 10.02.2010 Drucksache 17/136 Nr. A.56 Ratsdokument 12732/09 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 10.02.2010 Drucksache 17/178 Nr. A.20 Ratsdokument 15279/09 DIE GRÜNEN Drucksache 17/178 Nr. A.21 Ratsdokument 15289/09 1958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Februar 2010

(A) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und (C) Drucksache 17/136 Nr. A.82 Technikfolgenabschätzung Ratsdokument 11516/09 Drucksache 17/136 Nr. A.102 Drucksache 17/136 Nr. A.85 Ratsdokument 13682/09 Ratsdokument 12392/09 Drucksache 17/136 Nr. A.103 Drucksache 17/178 Nr. A.28 Ratsdokument 13710/09 Ratsdokument 15204/09 Drucksache 17/178 Nr. A.33 Ratsdokument 15052/09 Drucksache 17/178 Nr. A.34 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ratsdokument 15196/09 Drucksache 17/136 Nr. A.91 Drucksache 17/178 Nr. A.35 Ratsdokument 13233/09 Ratsdokument 15234/09 Drucksache 17/178 Nr. A.36 Ratsdokument 15363/09

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/136 Nr. A.116 Ratsdokument 14513/09 Drucksache 17/315 Nr. A.7 Ratsdokument 16195/09

(B) (D)

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