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45. Jahrgang · 2008 · Heft 2 ISSN 0940-6638 Im Land Sachsen-Anhalt

SACHSEN-ANHALT Landesamt für Umweltschutz Naturschutz Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt

45. Jahrgang • 2008 • Heft 2 • ISSN 0940-6638

Inhaltsverzeichnis Seite Aufsätze

Henryk Baumbach Zur Situation der Schwermetallrasen und ihrer Standorte 3 im östlichen und südöstlichen Harzvorland

Jörg Günther Vergleich einer satelliten-/luftbildgestützten 20 Landbedeckungsklassifizierung in Sachsen-Anhalt

Falko Heidecke Die Goitzsche-Wildnis und ihre Libellenfauna (Odonata) 26

Mitteilungen Ehrungen Informationen

Christiane Funkel 80 Jahre Schutz der Natur um Questenberg 38 Bernd Ohlendorf Status und Schutz der Nymphenfledermaus in Sachsen-Anhalt 44 Otfried Wüstemann & Kreuzotterbeobachtung im Klippengebiet am Ottofels bei 50 Helmut Feix Wernigerode Andreas Rössler & Der Wolf in Sachsen-Anhalt? Konsequenzen aus der Meldung 52 Martin Trost eines bei Nedlitz gerissenen Schafes Uwe Zuppke Das NSG „Alte Elbe bei Bösewig“ – ein neuer Rast- 54 und Sammelplatz des Kranichs Matthias Jentzsch Neuer Nachweis der Roten Mordwanze 56 Robert Schönbrodt & Wie umgehen mit der Rot-Esche in den Schutzgebieten 57 Frank Jurgeit Sachsen-Anhalts? Falko Heidecke & Erster Nachweis der Schabrackenlibelle für Sachsen-Anhalt 60 Katja Lindemann in der Goitzsche

Schrifttum

SACHSEN-ANHALT Landesamt für Umweltschutz Geschützte und gefährdete Pflanzen, Tiere und Landschaften des Landes Sachsen-Anhalt

Zu den Abbildungen 2. und 3. Umschlagseite (Texte: H. Baumbach, Ch. Funkel; Fotos: H. Baumbach, B. Ohlendorf)

Die Kupfer-Grasnelke – eine Charakterart der Gipskarstlandschaft im Südharz Schwermetallrasen Die Artengruppe der Gewöhnlichen Grasnelke, Am Südrand des Harzes erstreckt sich auf über 100 Armeria maritima s. l., gehört zur Familie der Blei- km Länge über 2 Ländergrenzen hinweg die Gips- wurzgewächse (Plumbaginaceae). Die gesamte karstlandschaft Südharz: in Sachsen-Anhalt von Gattung Armeria ist nach der Bundesartenschutz- Pölsfeld bei durch Thüringen bis Os- verordnung geschützt. Die mitteleuropäischen terode in Niedersachsen. Die südharzer Gipskarst- Ökotypen von A. maritima besiedeln unterschied- landschaft weist ein äußerst abwechslungsreiches lichste Habitate mit zum Teil hohen physiolo- Erscheinungsbild auf; großflächige naturnahe gischen Anforderungen, so zum Beispiel Salz- und Laubwälder, Streuobstwiesen und Huteflächen auf Riedwiesen, Graudünen, Sand- und Silikattrocken- steppenartigen Trockenrasen wechseln mit Äckern rasen, Schwermetall- und Serpentin-Fluren, Flach- und Resten kleinbäuerlicher Erwerbswirtschaften moore und alpine Matten. Verbreitungsschwer- sowie idyllisch gelegenen Dörfern ab. punkte in Deutschland sind das Nordostdeutsche Das stark bewegte Relief sowie die große Vielfalt Tiefland (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom- der geologischen Verhältnisse sind der eigentliche mern, nördliches und östliches Sachsen-Anhalt) Grund für die unterschiedlichen Flächennutzungs- sowie die Küsten von Nord- und Ostsee. Die an formen. Im Südharz treten die Gesteine des Zech- metallhaltige Standorte angepassten Sippen ge- steins an die Oberfläche: Gipse, Anhydrite und auch hören zu den Charakterarten der mitteleuropä- Dolomite. Diese Erscheinung ist sehr selten, die ischen Schwermetallvegetation. Unter ihnen be- meisten Karstlandschaften auf der Erde befinden finden sich mehrere endemische, morphologisch sich im Kalkgestein. Der Südharzer Gipskarst ver- sehr variable Sippen, deren taxonomischer Rang fügt über eine Vielfalt an Karsterscheinungen, die trotz zahlreicher Untersuchungen in den letzten ihresgleichen sucht: über 20 000 Hohlformen, Doli- Jahren noch immer nicht vollständig geklärt ist. nen und Erdfälle, 200 Höhlen, 100 Quellen…Wegen Die Pflanzen sind immergrüne, ausdauernde Ro- der hohen Wasserlöslichkeit des Kalziumsulfats ist settenstauden, die bis zu 20 Jahre alt werden kön- diese Landschaft in ständiger Veränderung begrif- nen. Die linealischen Blätter sind 3-10 cm lang und fen – temporäre Karstquellen, Bachschwinden und 1-3 mm breit. Die Blütenschäfte stehen aufrecht in Abrissspalten prägen die Oberfläche. der Rosette und sind 5-30 cm lang. Die kugeligen In dieser strukturreichen Landschaft mit ihren Blütenköpfe werden aus dutzenden Einzelblüten Wäldern und Offenlandbereichen leben speziell gebildet. Die Kupfer-Grasnelke gehört nicht zu den angepasste Arten, die in der ausgeräumten, in- Erstbesiedlern der Kupferschieferhalden. Sie tritt dustriemäßig genutzten Landschaft rund um die in der Sukzession erst dann auf, wenn durch Früh- Karstlandschaft keinen Lebensraum mehr finden. lingsmiere (Minuartia verna), Leimkraut (Silene Als Schutzinstrument für den Erhalt dieser Land- vulgaris) und wenige andere Pionierarten bereits schaft und deren faunistischer und floristischer eine schüttere Vegetationsdecke aufgebaut wurde Artausstattung ist die Sicherung als Biosphären- und sich die Bodenverhältnisse an den extremen reservat vorgesehen, da dieses die Traditionen der Standorten verbessert haben. Das durch die Gras- Kulturlandschaft mit dem Erhalt wertvoller Natur­ nelke dominierte Armeria-Stadium stellt das Opti- elemente verbinden kann. Der Mensch spielt dabei malstadium der Kupfer-Grasnelkenflur (Armerie- die entscheidende Rolle. – Nur eine behutsame tum halleri) dar und ist durch zahlreiche weitere Nutzung sichert den Erhalt des sensiblen Gefüges xerotherme Arten gekennzeichnet. der Karstlandschaft auch für die Zukunft. H. B. Ch. F.

2 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 45. Jahrgang • 2008 • Heft 2: 3-19 Zur Situation der Schwermetallrasen und ihrer Standorte im östlichen und südöstlichen Harzvorland Henryk Baumbach

1 Einleitung Schätzungen gehen von einigen hundert (Baum- bach & Schubert 2008) bis mehr als 2000 (Jäger Wegen ihres hohen Metallsalzgehaltes gehören & Stolle 2002) noch bestehenden Halden aus. die inselartig verstreuten und meist nur klein- Aufgrund gestiegener Rohstoffpreise auf dem flächig auftretenden Standorte der Schwerme- Weltmarkt gibt es in jüngster Zeit Überlegungen tallrasen, die durch Pflanzengesellschaften der privater Investoren, das Haldenmaterial metal- Klasse Violetea calaminariae gekennzeichnet lurgisch aufzubereiten. Besonders interessant sind, zu den in ökologischer Hinsicht besonders sind hierbei die Kleinhalden des Altbergbaus, interessanten Lebensräumen Mitteleuropas. Sie die besonders hohe Metallkonzentrationen ent- sind deshalb entsprechend der FFH-Richtlinie, halten. Darüber hinaus besteht eine anhaltend Anhang I, als Lebensraumtyp (LRT) 6130 geschützt hohe Nachfrage nach preisgünstigem Straßen- und gehören zu den nach § 30 BNatSchG und § 37 schotter, den in noch stärkerem Maße als bisher NatSchG LSA besonders geschützten Biotoptypen. die Großhalden liefern sollen. Vor diesem Hinter- Verbreitungsschwerpunkte von Schwermetall- grund und der Tatsache, dass die Gesellschaft zur standorten im außeralpinen Mitteleuropa sind Verwahrung und Verwertung von stillgelegten in Deutschland Sachsen-Anhalt und Nordrhein- Bergwerksbetrieben (GVV mbH) im März dieses Westfalen (Aachen-Stolberger Raum, Mecher- Jahres alle Haldenobjekte in ihrem Eigentum nich, Siegerland, Sauerland, Blankenrode). Hinzu (insgesamt 279 ha) zum Verkauf ausgeschrieben kommen Standorte in Niedersachsen (Westharz, hat, ist zu befürchten, dass in wenigen Jahren Osnabrücker Land), Thüringen (Bottendorf), Sach- mitsamt der einmaligen Kulturlandschaft ein sen (Freiberg) und Baden-Württemberg (Schwarz- Großteil der Schwermetallstandorte verschwun- wald) sowie in Ostbelgien in den Regionen Liege, den sein könnte. Theux, Ourthe und Vesdre. In den Niederlanden Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über befindet sich der einzige (tertiäre) Standort am die Gesamtzahl und den Zustand der potentiellen Ufer der Göhl (Südlimburg). In Polen gibt es we- Schwermetallstandorte im ehemaligen Mans- nige, aber zum Teil großflächige Standorte um felder und Sangerhäuser Kupferschieferrevier zu Olkusz (Oberschlesien). geben. Ausgehend von der Darstellung ihrer ak- Aufgrund dieses Verbreitungsmusters kommt tuellen Verbreitung und ihrer Gefährdungssitua- Sachsen-Anhalt eine besondere Verantwortung tion soll eine Schutzkonzeption für die Schwerme- für den Erhalt der Schwermetallrasen zu. Ne- tallrasenstandorte der Region angeregt werden. ben kleineren Vorkommen im Oberharz (Oker- tal, Eckertal) konzentrieren sich die sekundären 2 Methodik Wuchsorte von Schwermetallvegetation auf die zahlreichen Halden des ehemaligen Mansfelder Die Erfassung der im Offenland liegenden Halden und Sangerhäuser Kupferschieferreviers im öst- erfolgte hauptsächlich durch die Auswertung von lichen und südöstlichen Harzvorland (Landkreis CIR-Luftbildern des Gebietes (Befliegung 2005), -Südharz). Verlässliche Angaben über die vom Landesamt für Umweltschutz Sachsen- die tatsächlich vorhandene Zahl von Halden- Anhalt zur Verfügung gestellt wurden. Ergänzend standorten sowie deren Sukzessionszustand herangezogen wurden die aktuelle Ausgabe der liegen aus neuerer Zeit nicht vor. Verschiedene Topographischen Karten TK 10 sowie die Karten

3 des Bergmännischen Risswerkes der Mansfelder ae zugeordnet werden können, mindestens eine und der Sangerhäuser Mulde. Für jede Halde wur- lebensraumtypische Art, Beeinträchtigungen de der Rechts- und Hochwert des Mittelpunktes stark ausgeprägt und mit z. T. deutlichen Aus- (Gauß-Krüger, Bessel-Ellipsoid, 3°-Streifen, Da- wirkungen, aber reversibel: z. B. starke Vergra- tum Rauenberg, Mittelmeridian 12° ö. L.) aufge- sung, teilweise eutrophiert (krautige Vegetation, nommen und die Verbuschung sowie vegeta- die nicht der Violetalia calaminariae zugeordnet tionslose Bereiche geschätzt. Vegetationsdaten werden kann mit 10-50 % Deckung) bzw. starker wurden dem zwischen 1994 und 2001 erstellten Tritt, teilweise Einbeziehung der Standorte in Haldenkonzept der Landkreise Mansfelder Land landwirtschaftliche Bodenbearbeitung, Gesteins­ und Sangerhausen (Wege 2000, Baumbach 2000) entnahme. entnommen sowie durch eigene Kartierungen seit 1991 erhoben. Daten zu Teilgebieten stellte auch Dr. Horst Volkmann zur Verfügung (Volk- 3 Flora und Vegetation der Schwerme- mann 2001, 2005). Ausgewertet wurden ebenfalls tallstandorte des östlichen und südöst- die Daten der FFH-Kartierung für die FFH-Gebiete lichen Harzvorlandes 105, 107, 109 und 114. Fragliche Objekte wurden in den Vegetationsperioden 2006 bis 2008 gezielt Die Kupfer-Grasnelkenflur, das Armerietum hal- aufgesucht. Die Flächenangaben für die Großhal- leri Libb. 1930, ist der typische Schwermetallrasen den sind dem Haldenkonzept sowie der Halden- der Kupferschieferhalden des Mansfelder und konzeption des Mansfeld Kombinates von 1981 Sangerhäuser Reviers. Er gehört wie das Armerie- und für die Kleinhalden der FFH-Kartierung ent- tum hornburgensis Schub. 1974 und das Armerie- nommen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass auch tum bottendorfensis Schub. 1953 zum Verband des mit einer GIS-gestützten Karten- und Luftbildaus- Armerion halleri Ernst 1965. Zur Problematik neu- wertung immer nur die Grundfläche der Halden er taxonomischer Erkenntnisse (Hildebrandt erfasst werden kann. Je höher die Halden sind, 2006, Baumbach 2005) zu den Charakterarten umso größer wird der Fehler der Oberflächen- der Violetea calaminariae und deren mögliche schätzung, da die Hangflächen in der Aufsicht Auswirkungen auf den Schutz von Schwermetall- nicht adäquat berücksichtigt werden können. standorten sei auf Baumbach & Schubert (2008), Die Gesamtbewertung des Erhaltungszustandes zu syntaxonomischen Konsequenzen auf Becker des LRT 6130 im Rahmen der FFH-Kartierung er- et al. (2007) sowie Dierschke & Becker (2008) folgte in drei Abstufungen (LAU 2004): verwiesen. Mit dem Fehlen von Viola calaminaria und Thlas- A (hervorragend): Verbuschung ≤10 %, mindestens pi caerulescens ist der Verband des Armerion hal- zwei LRT-kennzeichnende Arten, mindestens leri gegenüber dem Thlaspion calaminariae Ernst fünf weitere charakteristische Arten, keine Beein- 1965 mit der im Westen Deutschlands vorkom- trächtigungen vorhanden oder ohne erkennbare menden Gameiveilchen-Gesellschaft (Violetum Auswirkungen auf die Funktionalität des LRT, calaminariae Schwick. 1931) sowie der Galmei- Hellerkraut-Gesellschaft (Minuartio-Thlaspie- B (gut): Verbuschung 10≤80 %, mindestens eine tum caerulescens K. Koch 1932) zwar floristisch LRT-kennzeichnende Art, mindestens drei wei- verarmt, aber durch mehr Xerothermrasenarten tere charakteristische Arten; Beeinträchtigungen gekennzeichnet (vgl. auch Schubert 1953, Ernst mäßig ausgeprägt und ohne erhebliche Auswir- 1974, Pardey 1999, Dierschke & Becker 2008). kungen auf die Funktionalität des LRT, z. B. leicht Mit Cardaminopsis halleri fehlt im östlichen und eutrophiert (krautige Vegetation der offenen, südöstlichen Harzvorland ein weiterer typischer nicht verbuschten Flächen, die nicht der Viole- Vertreter der Schwermetallflora des Harzes und talia calaminariae zugeordnet werden kann mit Westdeutschlands. <10 % Deckung) bzw. geringe Trittschäden, Die Assoziationscharakterart des Armerietum halleri, Armeria maritima subsp. halleri, sowie C (durchschnittlich/beschränkt): Verbuschung die Klassencharakterarten der Violetea calami- >80 %, mindestens 50 % der nicht verbuschten nariae, Minuartia verna ssp. hercynica und Silene Fläche muss der Ordnung Violetalia calaminari- vulgaris (var. humilis), sind hochstet (Stetigkeits-

4 klasse V). Sehr häufig sind weiterhin Festuca ovi- zeigen, dass diese Annahme nicht richtig ist. na agg. und Agrostis capillaris (IV) sowie Achillea Langfristig besteht somit auf den meisten Halden millefolium, Asperula cynanchica, Carlina vulgaris, die Gefahr des völligen Verschwindens der kon- Campanula rotundifolia, Cirsium acaule, Dianthus kurrenzschwachen Schwermetallvegetation. carthusianorum, Euphorbia cyparissias, Euphra- sia officinalis, Galium verum, Hieracium pilosella, Verbreitung der Charakterarten Koeleria macrantha, Pimpinella saxifraga, Poten- Die Charakterarten der Schwermetallrasen kom- tilla heptaphylla, Potentilla tabernaemontani, men nicht im gesamten Untersuchungsgebiet Scabiosa ochroleuca und Thymus praecox (alle vor, sodass die Ausbildungsformen von einer Stetigkeitsklasse III, Schubert 2001). Charakteri- Minimalvariante (Vorkommen von nur einer der stische Moose und Flechten der Assoziation sind Charakterarten, wenige stetige Begleiter) bis zur Ceratodon purpureus, Bryum caespiticium, Cla- Optimalvariante (Vorkommen aller drei Charak- donia alcicornis, Cladonia chlorophaea und Pelti- terarten, viele stetige Begleiter) variieren kön- gera rufescens (alle Stetigkeitsklasse III). Weitere nen. typische Flechtenarten der Schwermetallhalden Silene vulgaris ist die häufigste und am weitesten sind Acarospora bullata, A. sinopica, A. smaragdu- verbreitete der Charakterarten und mit wenigen la, Lecanora stenotropa, L. subaurea, Lecidea inops, Ausnahmen auf allen Halden im Sangerhäuser Rhizocarpon oederi und Stereocaulon nanodes und Mansfelder Revier anzutreffen. Minuartia (Huneck 2006). verna ist im westlichen Mansfelder Revier auf Die Sukzessionsstadien des Armerietum halleri den Halden des Altbergbaus am Ausgehenden des auf den Kupferschieferhalden (Minuartia-, Sile- Kupferschieferflözes sowie der ersten Schachtrei- ne-, Euphrasia-, Cladonia-, Armeria-, Festuca- und he weit verbreitet. Auf den Halden der zweiten Brachypodium-Stadium) wurden von Schubert Schachtreihe tritt sie nur noch gelegentlich in (1953) für das östliche Harzvorland grundlegend kleineren Populationen auf und fehlt auf den Hal- ausgearbeitet und später durch Ernst (1966, 1974) den der dritten und vierten Schachtreihe völlig. ergänzt. Aufgrund der geologischen und klima- Im Bereich des nördlichen Ausgehenden erreicht tischen Bedingungen aber auch der Haldenmor- M. verna zwischen Welfesholz und ihre phologie geht die Bodenentwicklung auf den östliche Verbreitungsgrenze. Schubert (1954) gibt Haldenstandorten so langsam voran, dass die die Halde Neue Hoffnung (ca. 1,2 km östlich des Initialstadien der natürlichen Sukzession über ehemaligen Bahnhofs Welfesholz), Volkmann Jahrzehnte (bis Jahrhunderte) ohne eine erkenn- (2001) die Halde Karoline (700 m NE der Halde bare Entwicklung beobachtet werden können Neue Hoffnung) als östlichstes Vorkommen an. und somit den Charakter von Dauerpionierstadi- Auf den Halden östlich Friedeburgerhütte und en haben. östlich Piesdorf fehlt M. verna ebenso wie auf der Sowohl Schubert als auch Ernst sind davon aus- östlichen Saaleseite um Golbitz und südlich von gegangen, dass die Schwermetallstandorte natür- Dobis, wo sie durch Alyssum montanum ersetzt lich gehölzfrei sind und Gehölze nur infolge von wird. Westlich von Könnern kommt M. verna auf Anpflanzungen vorkommen bzw. am Rand der der Halde Georgsburg in einer kleinen Populati- Halden wachsen, wo sie Wasser- und Nährstoffe on vor. Im Sangerhäuser Revier ist M. verna auf auch aus dem umliegenden Boden aufnehmen einige wenige Kleinhalden zwischen Obersdorf können. Der hohe Verbuschungsgrad der ältes­ und Wettelrode sowie auf die Halde des Johann- ten Halden der Mansfelder Mulde (insbesondere schachtes südöstlich von Morungen beschränkt, durch Prunus spinosa, P. mahaleb, P. avium, Cra- die das westlichste Vorkommen im Sangerhäuser taegus spec., Rosa spec., Cornus sanguinea, Evony- Revier darstellt. mus europaea, Viburnum opulus, Ligustrum vul- Armeria maritima zeigt ein ähnliches Verbrei- gare und Betula pendula), die Vorwald- und Wald- tungsmuster wie Minuartia verna, kommt aber stadien auf zahlreichen jüngeren Halden des sehr zerstreut auch östlich von Gerbstedt sowie Sangerhäuser Reviers (u. a. mit Carpinus betulus, auf der östlichen Saaleseite vor. Im Sangerhäuser Fagus sylvatica, Quercus robur und Acer spec.) so- Revier ist sie auf die Kleinhalden zwischen Obers- wie die ausgedehnten, mit Hochwald bestockten dorf und Wettelrode beschränkt. Pingenfelder des Altbergbaus am Südharzrand

5 4 Zur Situation der Schwermetallstand- baus (1200 bis 1400) sind heute bis auf die Pingen- orte im ehemaligen Mansfelder felder in den Waldgebieten des Blankenheimer Kupferschieferrevier Berges sowie des Mansfelder Schlossberges kaum noch Relikte vorhanden. Die heute noch das Land- 4.1 Kleinhaldenlandschaft des Altberg- schaftsbild prägende und oft fälschlich als „mit- baus telalterlich“ bezeichnete Haldenlandschaft geht in ihren ältesten erhaltenen Bereichen meist erst Das ehemals den Ausstrich des Kupferschieferflö- auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück zes vom Hornburger Sattel bis Friedeburg an der (Jankowski 1995, Hebestedt 2007). Saale auf einer Länge von etwa 30 km säumende Insgesamt wurden im Rahmen dieser Arbeit 996 Band der altbergbaulichen Haldenlandschaft ist Kleinhalden im Offenland der Mansfelder Mul- heute an vielen Stellen unterbrochen. Um ein re- de sowie östlich der Saale kartiert, die sich auf alistisches Bild von der Anzahl der historischen folgende Altbergbau-Gebiete konzentrieren (von Bergbaurelikte zu bekommen, müssen nach Oer- Süd nach Nord; Abb. 1): südöstlich und westlich tel (2003) zu den heute noch bestehenden Klein- Helfta (1), südöstlich Wolferode (2), Holzmarken (3), und Kleinsthalden im Offenland der Mansfelder westlich Wimmelburg (FFH-Gebiet 109), westlich Mulde, die als potentielle sekundäre Standorte Kreisfeld, und (4), zwischen von Schwermetallvegetation in Frage kommen, und (FFH-Gebiet 107A), südwest- noch einmal etwa 50 % hinzugerechnet werden, lich (FFH-Gebiet 107B) und nordwestlich (FFH- die durch großflächige Haldenvergrabungen, Ab- Gebiet 107C) , der übrige, nicht tragung für Schottergewinnung und Hohlraum- zum FFH-Gebiet 107 gehörende Bereich zwischen verfüllung sowie Umlagerung auf größere Halden Helbra und Leimbach (5), westlich (6), weggefallen sind. Aus der Anfangszeit des Berg- zwischen Hettstedt und Quenstedt (FFH-Gebiet

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Abb. 1: Übersicht über die Haldenlandschaft des Mansfelder Reviers und des östlichen Teils des Sanger- häuser Reviers. Dargestellt sind die untersuchten Kleinhaldengebiete, die wichtigsten noch bestehen- den Großhalden sowie die FFH-Gebiete. Kartengrundlage sind die CIR-Luftbilder der Befliegung 2005. Weitere Erläuterungen im Text.

6 Tab. 1: Altbergbaugebiete im ehemaligen Mansfelder Kupferschieferrevier außerhalb der FFH-Gebiete. Angegeben ist die Anzahl der kartierten Halden sowie deren prozentuale Verteilung auf die einzelnen Verbuschungsklassen: 0: 0 %, 1: 1<10 %, 2: 11-20 %, 3: 21-40 %, 4: 41-60 %, 5: 61-80 %, 6: 81-100 %, 7: 100 %. Weitere Erläuterungen im Text.

Gebiet N % Halden / Verbuschungsklasse Verbuschungsklasse 0 1 2 3 4 5 6 7 1) SE- und W-Helfta 38 0 0 0 5 3 8 32 53 2) südöstlich Wolferode 29 0 7 24 17 7 7 14 21 3) Holzmarken 44 2 2 0 5 0 2 27 61 4) westlich Kreisfeld, Hergisdorf, Ahlsdorf 113 2 7 8 14 8 17 24 13 5) Helbra bis Leimbach 88 10 23 14 19 10 6 9 9 6) westl. Hettstedt 26 4 19 23 19 8 23 4 0 7) Burgörner und Welfesholzer Revier 52 17 48 14 10 4 4 2 2 8) E-Gerbstedt bis W-Friedeburgerhütte 13 23 8 15 8 0 15 0 31 9) östlich Friedeburgerhütte 44 0 34 27 18 5 9 2 5 10) östlich Piesdorf 20 0 0 5 0 0 15 20 60 11) südlich Sandersleben 28 0 11 0 4 7 18 36 25 12) Ostsaale-Revier 36 0 8 6 19 11 19 11 25 ∑ (ohne FFH-Gebiete) 531 5 16 11 13 6 11 16 21 gesamtes Mansfelder Revier (mit FFH-Geb.) 996 8 18 11 14 8 13 14 14

Tab. 2: FFH-Gebiete im östlichen Harzvorland, in denen der LRT 6130 (Violetalia calaminariae) pri- märer Schutzgegenstand ist. Angegeben sind die Fläche des LRT 6130 im Gebiet, die Anzahl der Hal- den im Gebiet sowie deren prozentuale Verteilung auf die Verbuschungsklassen (definiert wie in Tab. 1), Anzahl und Anteil der Halden mit LRT sowie deren Erhaltungszustand (A=hervorragend, B=gut, C=durchschnittlich/beschränkt). Weitere Erläuterungen im Text.

FFH- Fläche Anzahl Halden % Halden mit LRT im % Halden / Verbuschungsklasse Gebiet LRT (ha) Halden mit LRT Erhaltungszustand gesamt N % A B C 0 1 2 3 4 5 6 7 105A 1,61 94 45 48 13 56 31 9 14 16 15 13 20 11 3 105B 1,74 43 34 79 21 53 26 49 37 2 2 5 0 2 2 105C 4,71 91 64 70 11 64 23 19 34 12 16 3 7 7 2 105D 2,95 20 11 55 27 64 0 5 15 5 20 10 25 5 15 105E 1,36 25 16 64 0 44 56 4 16 12 24 16 12 8 8 ∑ 105 12,37 273 170 62 14 58 28 18 25 11 15 8 12 7 4 107A 1,14 18 15 83 73 20 7 0 6 17 39 11 17 6 6 107B 0,91 19 16 84 19 38 44 5 11 32 32 11 11 0 0 107C 2,05 47 36 77 33 22 44 9 40 11 13 9 9 4 6 ∑ 107 4,10 84 67 80 39 25 36 6 26 17 23 10 11 4 5 109 5,34 104 49 47 51 37 12 0 2 5 12 13 25 30 13 gesamt 21,81 461 286 62 104 120 76 11 20 11 15 10 15 12 6

105A), zwischen Hettstedt und Welfesholz (FFH- 105E), der übrige, nicht zum FFH-Gebiet 105 gehö- Gebiete 105B und C), die nicht zum FFH-Gebiet 105 rende Bereich zwischen Gerbstedt und Friedebur- gehörenden Teile des Burgörner und Welfesholzer gerhütte (8), östlich Friedeburgerhütte (9), östlich Revieres (7), zwischen Welfesholz und Gerbstedt Piesdorf (10), südlich Sandersleben (11) sowie bei (FFH-Gebiet 105D), östlich Gerbstedt (FFH-Gebiet Golbitz, Könnern und südlich Dobis (12).

7 Abb. 2: Das FFH-Gebiet 109 westlich von Wimmelburg. Im Bild rechts befindet sich die Halde des Otto- schachtes, rechts oben eine der Schlackehalden der Liebknechthütte (CIR-Luftbild, Befliegung 2005).

Die Anzahl der kartierten Halden und ihr Ver- Kleinhalden (etwa 600) überhaupt als Standorte buschungszustand ist Tab. 1 sowie für die FFH- für Schwermetallvegetation geeignet sind. Gebiete Tab. 2 zu entnehmen. Die überwiegende Die gut erhaltenen Halden konzentrieren sich im Zahl der kartierten Kleinhalden des Altbergbaus Norden auf das FFH-Gebiet 105, und hier beson- sind Berge- und Ausschlägehalden. Von den ders auf die Teilgebiete B und C, sowie das Gebiet Schlackehalden aus der Zeit des Altbergbaus sind östlich Friedeburgerhütte (9), im Westen auf die nur noch wenige kleinflächige Reste vorhanden, FFH-Gebiete 107 und 109 und im Süden auf das so zum Beispiel im Goldgrund bei Wimmelburg Haldengebiet SE-Wolferode (2). Am weitesten die Lutherhalde (1495-1509) sowie die Halden der fortgeschritten ist die Sukzession auf den Halden Neuen Hütte, an der ehemaligen Oberhütte (Eis- in den Holzmarken westlich Wolferode (3), wo leben) und an der Silberhütte in Mansfeld. fast 90 % der Halden zu mehr als 80 % verbuscht Mit 996 nachgewiesenen Klein- und Kleinsthal- sind. den ist die Zahl der potentiellen Schwermetall- Die ebenfalls stark verbuschten Halden südöstlich standorte wesentlich geringer, als oft in der Lite- und westlich Helfta (1) sind Stollenhalden des Er- ratur angegeben. Auf mindestens 113 (11 %) östlich deborner-, Froschmühlen- und Rißdorferstollens. von Gerbstedt gelegenen Halden ist aufgrund Ihr Gestein stammt vom Stollenvortrieb aus den der Verbreitung der Charakterarten nur die Mini- hangenden und liegenden Schichten des Kupfer- malausprägung der Schwermetallrasen mit einer schieferflözes und enthält somit keine erhöhten Charakterart zu erwarten. Unter Berücksichti- Metallgehalte. Unabhängig von ihrer aktuellen gung der Verbuschung, aber auch von Vergrasung Verbuschung kommen diese Halden deshalb und Ruderalisierung, muss davon ausgegangen auch als potentielle Standorte für Schwermetall- werden, dass aktuell nur noch maximal 60 % der vegetation nicht in Frage.

8 Knapp die Hälfte der Klein- und Kleinsthalden überwiegenden Zahl sogenannte Familienhal- liegt in einem der drei insgesamt 687 ha großen den, also Haldenkomplexe, an deren Bildung FFH-Gebiete des Mansfelder Landes, in denen mehrere, jeweils nur durch wenige Bergleute be- der LRT 6130 primärer Schutzgegenstand ist. Die legte Schächte beteiligt waren. Die durch diesen Gesamtfläche des LRT in den drei FFH-Gebieten Bergbau entstandenen Haldenkomplexe sind bei beträgt 22,8 ha, die sich auf 286 Halden verteilen. einer mittleren Fläche von 1800 m2 flach (1-3 m) Der Erhaltungszustand dieser Halden ist deutlich und weisen eine strukturreiche Oberfläche auf besser als der der außerhalb der FFH-Gebiete ge- (Abb. 3). Die Lage der ehemaligen Schächte ist bei legenen (Tab. 1 und 2). den meisten Halden heute noch durch trichter- förmige Vertiefungen zu erkennen. Von diesen 4.1.1 FFH-Gebiet 109 Vertiefungen, in denen sich Feinerde ansammeln Das 125 ha große FFH-Gebiet 109 „Kupferschie- kann, sowie vom Haldenfuß geht in der Regel ferhalden bei Wimmelburg“ (Abb. 1 und 2) liegt die Verbuschung aus. Der Verbuschungsgrad der südwestlich von Wimmelburg. Der nördliche Teil Halden im Gebiet ist vergleichsweise hoch und des Gebietes zwischen der B 80 und dem Pfaffen- nimmt tendenziell vom Westen, wo sich näher grund entspricht dem ehemaligen Schafbreiter am Ausgehenden die ältesten Halden befinden, Revier (Revier VIII), der südliche, durch den Sau- nach Osten hin ab. Von den 104 Halden sind 42 % grund begrenzte Teil, gehörte zum gleichnamigen zu mehr als 80 % verbuscht, nur 2 % sind zu weni- Revier VII. In beiden Revieren wurde nachweis- ger als 10 % verbuscht. lich bereits in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts Kupferschiefer abgebaut (Jankowski 1995). Die 4.1.2 FFH-Gebiet 107 jüngsten, im Osten des Gebietes gelegenen Hal- Das FFH-Gebiet 107 „Kupferschieferhalden bei den, gehen auf die Lichtlöcher 59, 60 und 61 F (ge- Klostermansfeld“ im Raum Benndorf-Kloster- teuft um 1770) sowie auf den Schacht S (geteuft mansfeld besteht aus 3 Teilgebieten und umfasst 1805) zurück. Die insgesamt 104 Kleinhalden, von eine Fläche von 96 ha. Es umfasst große Teile des denen auf 49 der LRT mit einer Fläche von 5,3 ha ehemaligen Reviers XIV (Heiliger Grund), das be- nachgewiesen werden konnte, befinden sich in- reits zu Beginn des 16. Jahrhunderts intensiv er- mitten intensiv genutzter landwirtschaftlicher schlossen wurde, sowie im Nordwesten das ehe- Flächen. Der Minimalabstand zwischen zwei malige Hirschwinkler Revier (Jankowski 1995). benachbarten Halden beträgt 71 m (bezogen auf Der LRT wurde auf 67 von 84 Halden mit einer den Mittelpunkt). Die heute im Landschaftsbild Fläche von 4 ha nachgewiesen. Der Erhaltungs- als Halden erscheinenden Objekte sind in der zustand der Halden mit LRT ist überwiegend sehr gut (39 %) bzw. gut (25 %). Das Teilgebiet A befin- det sich nördlich von Helbra. Die Minimaldistanz zwischen zwei benachbarten Halden beträgt im Mittel 113 m. Der LRT wurde auf 15 der 18 Halden (83 %) mit einer Gesamtfläche von 1,1 ha kartiert, wobei der Erhaltungszustand auf der überwie- genden Zahl der Halden mit A bewertet wurde. Die meisten der bis 3,5 m hohen Halden zeigen eine moderate Verbuschung, an der Obstgehölze einen großen Anteil haben. Problematisch sind Müllablagerungen, vor allem von Gartenabfällen, in Dorfnähe. Das Teilgebiet B befindet sich westlich von Klo- stermansfeld. Die Minimaldistanz zwischen zwei Abb. 3: Strukturreicher Kleinhaldenkomplex benachbarten Halden beträgt im Mittel 89 m. im Saugrund (FFH-Gebiet 109) aus dem 16. Jahr- Auf 16 der 19 Kleinhalden wurde der LRT mit ei- hundert mit Rohbodenaufschlüssen, unterschied- ner Gesamtfläche von 0,9 ha nachgewiesen. Der lichen Sukzessionstadien des Armerietum halleri Erhaltungszustand wurde auch hier bei mehr und verbuschten Bereichen. Foto: H. Baumbach. als der Hälfte der Halden mit A oder B bewertet.

9 Komplett verbuschte Halden gibt es in diesem flächigen Ausbildung der Schwermetallrasen Teilgebiet nicht, allerdings zeigt sich auf einigen muss aber in absehbarer Zeit mit einer weiteren Standorten im nördlichen Bereich eine stärkere, Qualitätsverschlechterung, eventuell auch mit durch Eutrophierung bedingte Ruderalisierung. dem völligen Verschwinden einiger Wuchsorte Zwischen den Teilgebieten B und C befinden sich infolge zunehmender Verbuschung und Vergra- keine Haldenstandorte mehr. In diesem Bereich sung gerechnet werden. Am besten erhalten sind östlich von Klostermansfeld und Benndorf sind die drei am nordwestlichen Ende des Teilgebietes auf den CIR-Luftbildern deutlich die Standorte gelegenen Halden des Wiederstedter Stollens. ehemaliger Halden erkennbar, die überwiegend Die Teilgebiete 105B-E sowie die Teile des Burg­ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergra- örner und Welfesholzer Reviers die außerhalb ben wurden, um landwirtschaftliche Nutzfläche des FFH-Gebietes liegen, gehören seit 2001 zum zurückzugewinnen. In einem Gebiet von 97 ha 1149 ha großen Landschaftsschutzgebiet „Klein- Größe sind von ehemals 238, in der Urgemar- haldenareal im nördlichen Mansfelder Land“ kungskarte von 1853 eingetragenen, Halden mit (zur Bergbauhistorie des Gebietes vgl. Hebestedt einer Gesamtfläche von 15 ha nur noch 16 mit ei- (2007)). ner Gesamtfläche von 1,3 ha übrig (Oertel 2003). Das Teilgebiet 105 B befindet sich östlich von Hett- Das Teilgebiet C liegt nordwestlich von Kloster- stedt-Burgörner. Die Halden sind inmitten von mansfeld. Schwermetallstandorte befinden sich Äckern und Ackerbrachen die einzigen Strukture- hier nicht nur auf den in der Ackerfläche liegen- lemente mit einer mittleren Größe von 500 m2. Die den Halden, sondern im westlichen und nörd- mittlere Minimaldistanz zwischen zwei benach- lichen Bereich des Teilgebietes auch an Talhän- barten Halden beträgt nur 53 m. Der LRT wurde in gen, zum Teil im Komplex mit Xerothermrasen. überwiegend gutem bzw. sehr gutem Erhaltungs- Die Minimaldistanz zwischen zwei benachbarten zustand mit einer Fläche von 1,7 ha auf 34 von 43 Halden beträgt im Mittel 62 m. Von den 47 Halden Halden nachgewiesen. Die Charakterarten finden konnte auf 36 der LRT mit einer Gesamtfläche von sich auf nahezu allen Standorten. Gebüsche sind 2,1 ha nachgewiesen werden, wobei für mehr als oft am Haldenfuß ausgebildet, gehen aber selten die Hälfte der Standorte der Erhaltungszustand auf die Halde über, so dass der Verbuschungsgrad mit A oder B eingeschätzt wurde (Tab. 2). Der Ver- vergleichsweise gering ist (Tab. 2). buschungsgrad ist bei fast der Hälfte der Halden Südlich des Teilgebietes 105 B liegt ein 38 Halden gering, bei 10 % liegt er über 80 %. umfassender jüngerer Teil des Burgörner Reviers der durch die ehemalige Halle-Hettstedter Bahn- 4.1.3 FFH-Gebiet 105 und Umgebung linie begrenzt wird und der nicht zum FFH-Gebiet Das FFH-Gebiet 105 „Kupferschieferhalden bei gehört (Abb. 4). Die Sukzession ist auf diesen Hettstedt“ ist mit einer Gesamtfläche von 466 ha Halden noch in den Anfängen begriffen, der Ver- das größte der drei FFH-Gebiete. Es besteht aus 5 buschungsgrad beträgt auf 73 % der Halden we- Teilgebieten mit insgesamt 273 Kleinhalden, von niger als 10 % und nur auf 3 % über 80 % (Tab. 1). denen auf 170 der LRT mit einer Fläche von 12,4 ha Die drei Charakterarten kommen hier auf nahezu kartiert wurde (Tab. 2). allen Standorten vor. Flächige Schwermetallrasen Das Teilgebiet 105 A erstreckt sich vom Ölgrund- sind vorwiegend auf den ebenen Haldenflächen teich im Nordwesten Hettstedts aus ca. 3 km in aber zum Teil auch am Haldenfuß ausgebildet. nordwestlicher Richtung. Die Halden sind im Die 11 größten, zwischen 1771 und 1814 entstan- Mittel 800 m2 groß. Die mittlere Minimaldistanz denen Halden des Gebietes (Prinz Ludwig, Erne- zwischen zwei benachbarten Halden beträgt 77 stine, Caroline, Charlotte, Morgenstern, Wagsford, m. Im Vergleich zu den anderen Teilgebieten ist Sonne, Mond, Henriette, Venus, Gerhard) mit ei- die Verbuschung und Ruderalisierung der Halden ner Gesamtfläche von 3,1 ha und einer Höhe von 5 stärker vorangeschritten. So konnte der LRT nur bis 10 m wurden im Rahmen der Haldenkonzep- noch auf knapp der Hälfte der 94 Halden mit einer tion hinsichtlich ihrer Biotoptypenausstattung, Gesamtfläche von 1,6 ha nachgewiesen werden. des Vorkommens von Schwermetallvegetation Der Erhaltungszustand der Halden mit LRT ist und ihres botanischen Artinventars untersucht überwiegend als gut bzw. durchschnittlich einge- und naturschutzfachlich alle als erhaltenswert schätzt worden. Aufgrund der oft nur sehr klein- eingestuft (Baumbach 2000).

10 rasen sowie einer großen Population von Epipac- tis atrorubens. Das Teilgebiet 105 D liegt zwischen Welfesholz und Gerbstedt und umfasst nur 20 Halden, die aber deutlich großflächiger (im Mittel 3200 m2) und höher sind als in den Teilgebieten A, B und C. Sie sind überwiegend Halden der Lichtloch- schächte des Johann-Friedrich-Stollens (1778- 1808), des Schlüsselstollens und des Zabenstedter Stollens, die zum Teil auch zur Kupferschieferför- derung genutzt wurden und deshalb, vor allem im westlichen Teil des Gebietes, noch einen über- wiegend offenen Charakter haben. Im östlichen Abb. 4: Südlicher Bereich der Halde des Otto- Teil ist die Verbuschung stärker vorangeschritten, schachtes mit ausgedehnten Schwermetallrasen hier sind drei Halden komplett verbuscht. Der und beginnender Birken-Sukzession. Im Hinter- LRT wurde mit einer Gesamtfläche von 3 ha auf 11 grund rechts die Halde des Thälmannschachtes, Halden nachgewiesen, der Erhaltungszustand ist im Hintergrund links die Schlackehalden der überwiegend gut. Die Minimaldistanz zwischen Liebknechthütte. Foto: H. Baumbach. zwei benachbarten Halden beträgt im Mittel 165 m bzw. 238 m zwischen zwei Halden, auf denen der LRT vorkommt. Südlich der Teilgebiete 105 C und 105 D sowie der Das Teilgebiet 105 C enthält mit 4,7 ha den größten ehemaligen Halle-Hettstedter Bahn liegen in der LRT-Anteil des gesamten FFH-Gebietes 105. Insge- Feldflur mehrere größere (0,15-5,6 ha), aber ver- samt liegen im Gebiet 91 Kleinhalden, von denen gleichsweise flache Halden, die zwischen 1832 der LRT auf 64 kartiert wurde. Wie im Teilgebiet und 1900 entstanden und zur 1. Schachtreihe B befinden sich die ältesten Halden mit der am gehörten. Mit Ausnahme des LL 26 Z (Veltheim- weitesten fortgeschrittenen Sukzession im Nor- schacht) liegen diese Halden (von West nach Ost: den. Nach Süden hin werden die Halden größer Zimmermann, LL 29 Z – LL 24 Z, Ludwig) nicht im und der Abstand zwischen ihnen vergrößert sich FFH-Gebiet. Schwermetallrasen sind auf den ebe- deutlich. Die mittlere Haldengröße beträgt wie im nen Haldenflächen ausgebildet, wobei von den Teilgebiet A 800 m2, die Minimaldistanz zwischen drei Charakterarten M. verna auf der Halde LL 29 zwei benachbarten Halden 69 m. Der Erhaltungs- Z und A. maritima auf der Halde LL 26 Z fehlen. zustand des LRT wurde für 75 % der Halden mit A Östlich von Gerbstedt liegt das Teilgebiet 105 E oder B eingeschätzt. 51 % der Halden sind gering, mit 25 Halden. Die mittlere Haldengröße im Ge- 8 % sehr stark verbuscht (Tab. 2). Minuartia verna biet beträgt 1800 m2, die Minimaldistanz zwi- ist auf deutlich weniger Halden vertreten als Ar- schen zwei benachbarten Halden 104 m. Der LRT meria halleri und Silene vulgaris und nimmt von wurde mit insgesamt 1,4 ha auf 16 Halden (64 %) West nach Ost merklich ab. Die meisten Halden nachgewiesen. Über die Hälfte der Halden wurde liegen im westlichen Teil des Gebietes inmitten mit dem Erhaltungszustand C bewertet. 20 % der intensiv genutzter landwirtschaftlicher Fläche Halden sind gering oder gar nicht, 16 % sehr stark bzw. mehrjähriger Ackerbrachen. Der Osten des verbuscht (Tab. 2). Gebietes wird durch ein ausgedehntes, bis an den Ortsrand von Welfesholz reichendes Wald- 4.1.4 FFH-Gebiet 114 und Umgebung gebiet gebildet, in dem sich ebenfalls zahlreiche Auf der östlichen Saaleseite, also außerhalb der (nicht kartierte) Halden und Pingen befinden, auf Mansfelder Mulde, wurde kleinräumiger Kupfer- denen jedoch aufgrund der Beschattung keine schieferbergbau um Golbitz, südwestlich Könnern Schwermetallrasen mehr ausgebildet sind. Zu er- und südlich Dobis betrieben. Insgesamt sind hier wähnen ist die abseits liegende Halde des LL 26 Z noch 36 Kleinhalden nachweisbar, von denen 18 (Veltheim-Schacht), mit ihrem charakteristischen im FFH-Gebiet 114 (Saaledurchbruch bei Rothen- Vorwald-Bewuchs, ausgedehnten Schwermetall- burg) liegen. Der LRT wurde hier mit insgesamt

11 0,24 ha auf acht Halden (jeweils 4 im Erhaltungs- der Regel alle drei Charakterarten vorkommen zustand B und C) kartiert. Von den 19 Halden süd- bzw. -kamen. Bereits größtenteils abgebaut wur- lich Dobis (von denen 17 im FFH-Gebiet liegen) den die Tafelberghalden des Freieslebenschachtes sind 2 gering verbuscht, nur eine ist sehr stark bei Großörner (trotz einer Erhaltungsempfeh- verbuscht (Tab. 1). lung in der Haldenkonzeption wegen des natur- Nördlich von Golbitz sind Schwermetallrasen nur schutzfachlichen Wertes der Halde), des LL 81 F noch auf zwei der fünf Halden sehr kleinflächig (Klostermansfeld) und des Glückhilfschachtes anzutreffen, die übrigen Halden sind, ebenso (Welfesholz) mit einer Aufstandsfläche von 51 ha. wie die südlich des Dorfes gelegenen 11 komplett Auf der Halde des Niewandtschachtes (nrdl. Siers- verbuscht, zum Teil auch mit vorwaldähnlichen leben) wurden in den 1980er Jahren Neutralisati- Strukturen bestockt. Nur auf einer dieser Hal- onsschlämme und Zinkoxidflugstäube deponiert. den sind noch wenige Quadratmeter artenarmer Die Halde des Walter-Schneider-Schachtes (Hel- Schwermetallrasen (nur Silene vulgaris als Cha- bra) wird als Deponie für Löserückstände („Teich rakterart, wenige stete Begleiter) ausgebildet. 10“) verwendet und ist größtenteils mit kulturfä- higem Substrat abgedeckt. 4.2 Großhalden des Tiefbergbaus Von den drei, zum Teil nur noch in Resten (Mit- tel- und Südhalde) vorhandenen Halden der Von 1829 bis zur Einstellung des Bergbaus im Jahr Hoffnungschächte (Neckendorf) sind nur auf der 1969 konzentrierten sich die Schachtanlagen auf nördlichen sowie der mittleren Halde artenarme vier Schachtreihen, die das Revier im Tiefbau von Schwermetallrasen ausgebildet, Minuartia verna Westen nach Osten fortschreitend erschlossen. fehlt hier. Eine ausführliche Darstellung der Flora und Ve- Besondere naturschutzfachliche Bedeutung getation sowie der abiotischen Standortfaktoren hat die 17 ha große Halde der ehemaligen Otto- dieser Halden ist hier nicht möglich, verwiesen schächte (1865-1910) bei Wimmelburg, die direkt sei deshalb auf Baumbach (2000). an den Fuß des NW-Hüneburghanges geschüttet Die Tafelberghalden der ersten Schachtreihe (ab worden ist. Hier finden sich alle Sukzessionsstadi- 1829) liegen noch relativ dicht am Ausgehenden en des Armerietum halleri, besonders großflächig des Kupferschieferflözes und damit der Halden- (mehrere hundert Quadratmeter) ausgebildet ist landschaft des Altbergbaus, sodass hier in der Re- das Minuartia-Stadium sowohl auf dem nörd- gel alle drei Charakterarten vorkommen. lichen Ausschlägeteil als auch auf dem südlichen, Als bedeutende Standorte von Schwermetallrasen durch hangende Zechsteinmassen gebildeten Teil sind die bereits erwähnten Halden im südlichen (Abb. 4). Im mittleren Teil der Halde wurde vor Welfesholzer Revier anzusehen. Im Südwesten 70 Jahren auf einer Fläche von 2500 m2 ein Be- des Reviers sind vor allem aufgrund der Halden- grünungsversuch durchgeführt (Wöhlbier 1937), morphologie die Schwermetallrasen meist nur dessen Ergebnis heute ein ausgedehnter Vor- noch kleinflächig ausgebildet und – bis auf das Pi- waldbereich ist, in dem sich eine mehre tausend onierstadium von Silene vulgaris - auf die ebenen Pflanzen große Population von Epipactis atroru- Haldenflächen beschränkt. Die Halden der ersten bens befindet. Schachtreihe sind (bis auf die des Wassermann- Ebenfalls besonders erhaltenswert ist die Hal- schachtes und die südliche Halde des Martins- de des Eduardschachtes (1864-1905), auf der am schachtes, die derzeit abgetragen wird) über die Osthang sowie in einigen Bereichen des Halden- letzten Jahrzehnte zwar weitgehend erhalten ge- plateaus ausgedehnte Schwermetallrasen ver- blieben, aber zum Teil so abgedeckt bzw. bebaut schiedener Sukzessionsstadien ausgebildet sind worden, dass sie nicht mehr als Standorte für (Abb. 5). Zwei größere Bereiche mit Vorwaldsta- Schwermetallrasen in Frage kommen (Erdmann: dien gehen wie am Ottoschacht auf Begrünungs- Hundesportplatz, Sander: Umspannwerk, illegale versuche der 1930er Jahre zurück. Auf die beson- Müllablagerung, Hövel: rekultivierte Deponie, dere Bedeutung der Halde als Flechtenstandort Theodor: ehem. Deponie, z. T. abgedeckt). wies Huneck (2007) hin. Beide Halden sind im Auch die Halden der zweiten Schachtreihe (ab Rahmen des Haldenkonzeptes als naturschutz- 1860) liegen räumlich noch nahe an der Halden- fachlich besonders wertvoll eingestuft worden. landschaft des Altbergbaus, sodass auch hier in Anträge zum Abbau der Halde Eduardschacht

12 diesen Standorten zumindest punktuell vorkom- men, soweit die Verwitterung bereits zur Ausbil- dung einer geringen Feinerdeschicht geführt hat (Baumbach 2000).

4.4 Primäre Schwermetallstandorte

In der naturschutzfachlichen Diskussion (vgl. Pardey 2002) wurde bisher davon ausgegangen, dass die primären, also natürlichen, Wuchsorte von Schwermetallvegetation am Ausgehenden des Kupferschieferflözes mit Beginn des Bergbaus Abb. 5: Blick von der Halde des Eduardschachtes zerstört worden sind. Aktuelle Untersuchungen auf das südliche Burgörner Revier. des Autors zeigten, dass es im Mansfelder Land Foto: H. Baumbach. mindestens zwei, vom Bergbau unbeeinflusste, Primärstandorte gibt, die bisher unbekannt wa- ren. Es handelt sich hierbei zum einen um einen wenige Quadratmeter großen Standort über an- sind deshalb bisher von der Kreisverwaltung ab- stehenden Sanderzen ca. 3 km westlich von Wim- gelehnt worden. melburg. Hier wurde eine Minuartia verna-Popu- Von den ehemals fünf Halden der dritten lation gefunden, deren Genotypen sowohl Merk- Schachtreihe (ab 1879) sind die drei größten mit male der alpinen Form als auch der auf den Hal- einer ursprünglichen Grundfläche von 48 ha kom- denstandorten weit verbreiteten Form besitzen plett (Lademannschacht Nord) oder größtenteils (Baumbach 2005). Ein zweiter Standort befindet (Hermannschacht, Seidelschacht) abgebaut. An sich im südlichen Bereich des Mansfelder Schloss- der südlichen, in den 1970er Jahren rekultivierten berges auf anstehenden Rotliegend-Konglomera- Halde des Lademannschachtes erfolgte vor eini- ten. Der dritte Primärstandort ist der Galgenberg gen Jahren ein Teilabbau. Nahezu unverändert er- bei Hornburg (FFH-Gebiet 201), auf dem die von halten ist nur noch die Halde des Zirkelschachtes Schulz (1912) beschriebene endemische Sippe Ar- (15 ha), die seit zwei Jahren für Besucher erschlos- meria hornburgensis in ihrer einzigen Population sen ist, aber als Standort von Schwermetallrasen vorkommt. Zur Situation dieses nur 170 m2 großen keine Bedeutung hat. Standortes sowie zu vorgeschlagenen Pflege- und Von der vierten Schachtreihe (1900-1969) sind die Managementmaßnahmen sei auf Baumbach & drei Kegelhalden der Schächte Fortschritt I, Thäl- Volkmann (2002, 2006) verwiesen. mann und Brosowski mit einem Gesamtvolumen von 23,8 Mio. m3 und einer Aufstandsfläche von 80 4.5 Tertiäre Schwermetallstandorte ha erhalten. Als potentielle Standorte für Schwer- metallvegetation kommen bei diesen Halden nur Tertiäre Schwermetallstandorte, wie sie an den die ausgedehnten Flachhaldenbereiche in Frage, Flüssen der Ober- und Westharzer Reviere (Ernst die jedoch kaum metallhaltige Ausschläge ent- et al. 2004, Knolle 1989) sowie dem belgisch- halten. Die einzige der bis jetzt dort nachgewie- holländischen Grenzgebiet durch die Fernver- senen Charakterarten ist Silene vulgaris. frachtung von Pochsanden entstanden sind, gibt es im Untersuchungsgebiet nicht. Am Weinberg 4.3 Schlackehalden bei Hettstedt-Burgörner haben Flugstaubablage- rungen der Kupferkammer- und späteren Blei- Als Standorte für Schwermetallvegetation ha- hütte zur Ausbildung des größten geschlossenen ben die großen, im 19. und 20. Jahrhundert ent- Schwermetallrasens der Region auf einer Fläche standenen Schlackehalden an den ehemaligen von 3,5 ha geführt. Der gesamte kontaminierte Hüttenstandorten Eisleben, Helbra, Hettstedt Bereich ist ca. 11 ha groß und in weiten Teilen be- und Leimbach nur eine geringe Bedeutung, auch reits durch Birken-Sukzessionswald charakteri- wenn in der Regel alle drei Charakterarten auf siert (Baumbach et al. 2007).

13 Tab. 3: Altbergbaugebiete im ehemaligen Sangerhäuser Kupferschieferrevier. Angegeben ist die An- zahl der kartierten Halden sowie deren prozentuale Verteilung auf die einzelnen Verbuschungsklas- sen (definiert wie in Tab. 1). Weitere Erläuterungen im Text.

Gebiet N % Halden / Verbuschungsklasse Verbuschungsklasse 0 1 2 3 4 5 6 7 E- und NE-Pölsfeld 92 4 1 1 1 0 0 12 80 E-Wettelrode 36 6 6 0 8 0 0 36 44 E-Morungen bis W-Wettelrode 16 0 0 0 6 13 13 50 19 SW-Morungen 50 0 0 0 4 2 6 46 42 E-Hainrode 142 2 1 1 5 10 19 26 35 Agnesdorf bis Breitungen 9 0 11 11 11 11 0 22 33 W-Breitungen 6 0 0 0 17 0 17 33 33 Uftrungen 18 0 0 0 0 6 0 33 61 E-Rottleberode 36 3 3 3 0 0 8 47 36 Seegen-Gottes-Stollen 3 0 0 0 0 0 0 0 100 gesamtes SGH-Revier 408 2 2 1 4 5 9 29 48

rell durch eine weit fortgeschrittene Sukzession 5 Zur Situation der Schwermetallstand- gekennzeichnet, die größtenteils auf die höheren orte im ehemaligen Sangerhäuser Niederschläge im Südharzbereich, aber auch auf Kupferschieferrevier ein - aufgrund der Nähe größerer Waldbestände - erhöhtes Diasporenangebot an Baumarten zurück- Im Sangerhäuser Kupferschieferrevier konzen- zuführen sein dürfte. Von Janowitz (1996) wird trierte sich der Altbergbau auf den unmittelbaren der im Verhältnis zum Bodenskelett hohe Feinbo- Südharzrand im Bereich des ausgehenden Kup- denanteil und eine damit möglicherweise gerin- ferschieferflözes. Eine Zählung in diesem Bereich gere Schwermetalleinwirkung auf die Vegetation von Pölsfeld über Wettelrode, Morungen bis Hain- erwähnt. Obwohl die Ursachen noch nicht hinrei- rode ergab die Anzahl von 3441 noch bestehenden chend geklärt sind, muss festgestellt werden, dass Pingen und Schächten (Sommer 1996). Allein nahezu die Hälfte der Halden im Revier komplett östlich und nordöstlich von Pölsfeld wurden in verbuscht ist und bei insgesamt 77 % der Halden der fünf Altbergbau-Revieren 979 alte Pingen kartiert Verbuschungsgrad über 80 % liegt. (Sommer 1996). Die meisten der Halden und Pin- Noch am besten erhalten sind die Standorte öst- gen des Sangerhäuser Altbergbaus liegen jedoch lich von Hainrode, die im FFH-Gebiet 101 liegen. in oder am Rand von Buchenwaldgebieten und Zwar sind die im nördlichen Bereich am Wald- sind zum größten Teil entweder selbst mit Ge- rand gelegenen Halden ebenfalls zum größten hölzen bestockt oder werden durch angrenzende Teil verbuscht, die südlichen hingegen haben Gehölze beschattet, sodass hier weder Schwerme- noch größere vegetationsfreie Bereiche sowie ei- tall- noch Xerothermrasen ausgebildet sind. nen deutlich geringeren Verbuschungsgrad, was Im Offenland des Sangerhäuser Reviers wurden möglicherweise auf die Beweidung mit Rindern insgesamt 408 Klein- und Kleinsthalden kartiert, in diesem Bereich zurückzuführen ist (A. Hoch, die sich auf die Altbergbau-Reviere östlich Pölsfeld, pers. Mitt.). Allerdings sind in diesem Gebiet die zwischen Obersdorf und Wettelrode, zwischen Wet- Schwermetallrasen aufgrund des Fehlens von telrode und Morungen, südwestlich Morungen, öst- Minuartia verna und Armeria maritima nur mi- lich Hainrode, zwischen Agnesdorf und Breitungen, nimal ausgeprägt. westlich Breitungen, östlich Uftrungen sowie öst- Im Altbergbaugebiet westlich von Obersdorf be- lich Rottleberode konzentrieren (Tab. 3). Im Gegen- finden sich die am besten ausgebildeten Bestän- satz zum Mansfelder Revier sind die im Offenland de an Schwermetallvegetation des Sangerhäuser liegenden Halden des Sangerhäuser Reviers gene- Reviers auf dem Gelände der Behinderteneinrich-

14 ter. Die Verhüttung des Kupferschiefers hatte im Sangerhäuser Revier nur eine untergeordnete Be- deutung, sodass nur wenige kleinflächige Schla- ckehalden entstanden sind, die komplett oder zumindest zum Teil rückgebaut oder überdeckt wurden. Reste von Schlackehalden kleiner und mittlerer Größe, die als Standorte von Schwer- metallvegetation jedoch zu vernachlässigen sind, finden sich heute noch in Großleinungen, Obers- dorf, Wickerode und Sangerhausen. Primäre und tertiäre Schwermetallstandorte gibt es nach derzeitigem Kenntnisstand im Sanger- Abb. 6: Mit Vorwald bestockte Kleinhalde süd- häuser Revier nicht. westlich von Morungen mit Resten von Schwer- metallvegetation in Minimalausprägung. 6 Gefährdung der Haldenlandschaft Foto: H. Baumbach. Gefahren für die Kleinhaldenlandschaft gehen zum einen von der Landwirtschaft aus (Umpflü- gen der Haldenränder, Eintrag von Düngemitteln tung Villa Kunterbunt (Obersdorf, In den Halden) und Pestiziden), zum anderen, insbesondere in sowie daran südlich anschließend. Hier ist neben der Nähe von Ortschaften, von der illegalen Ab- den drei Charakterarten auch eine Vielzahl wei- lagerung von Müll und Gartenabfällen sowie terer steter Begleiter vertreten. Mindestens zwei Materialentnahmen. Ein großes und in den letz- weitere Standorte von Minuartia verna in gutem ten Jahren stark zunehmendes Problem auf allen Erhaltungszustand befinden sich auf Kleinhalden Großhalden und der Kleinhaldenlandschaft, vor im Bereich des Ausgehenden zwischen Obersdorf allem im Hettstedter Raum, sind Motocross- und und Wettelrode. Quadfahrer, die in kürzester Zeit erhebliche Schä- Landschaftsbildprägende Tafelberghalden, wie den an der spärlichen Vegetation anrichten und sie für die Mansfelder Mulde typisch sind, fehlen durch die tiefen Fahrspuren die Erosion nachhal- im Sangerhäuser Revier. Die Brühltalhalde des tig fördern können. Die größte Bedrohung der Müntzer-Schachtes im Stadtgebiet von Sanger- nicht in den FFH-Gebieten oder in LSG liegenden hausen wird derzeit komplett abgebaut. Zum Teil Kleinhalden sowie aller noch verbliebenen Groß- abgebaut und für die Erfordernisse des Museums- halden geht derzeit jedoch von den Abbauplänen bereiches umgestaltet wurde die Halde des Röh- zur Schotter- und Metallgewinnung aus. rigschachtes (Wettelrode), auf der keine Schwer- metallrasen mehr ausgebildet sind. Größere 7 Diskussion und Schlussfolgerungen Halden gibt es noch bei Pölsfeld (Barbaraschacht, 1922-1926) sowie zwischen Wettelrode und Mo- Prozessschutz oder Mangement? rungen (Johann-, Alexander-, Carolusschacht). Mit der vorliegenden aktuellen Erfassung der Die Halde des Johannschachtes (1853-1874), die in Haldenlandschaft im Mansfelder und Sanger- weiten Bereichen durch einen lichten Birken-Pio- häuser Revier und ihrer Sukzession ist es erstmals nierwald charakterisiert ist, stellt das westlichste möglich, die Gesamtsituation der Schwermetall- Vorkommen von Minuartia verna im Sangerhäu- rasen im Gebiet quantitativ und qualitativ abzu- ser Revier dar. schätzen. Im Ergebnis dieser Bestandsaufnahme Auf den Kegelhalden bei Sangerhausen, stellt sich die Frage, ob selbst bei einem Erhalt al- und Nienstedt (bis 1990), denen ebene Bereiche ler potentiellen Standorte deren Zahl mittel- und fehlen, sind bis auf kleinflächige Vorkommen von langfristig tatsächlich ausreichend ist, um ohne Silene vulgaris keine Schwermetallrasen ausge- Managementmaßnahmen einen Erhalt des Le- bildet. Die beiden anderen Charakterarten fehlen bensraumtyps zu gewährleisten. dort ebenso wie die meisten der stetigen Beglei- Im Sangerhäuser Revier ist die Sukzession auf

15 den Kleinhalden soweit fortgeschritten, dass Abbaubegehrlichkeiten als Standorte für Schwer- ohne Management mittelfristig mit dem völligen metallvegetation erhalten werden sollten. Allein Verschwinden der Schwermetallrasen zu rech- die Haldengrundfläche des Ottoschachtes ist mit nen ist. Die wenigen noch vorhandenen Stand- 17 ha fast genauso groß wie die aller 104 Kleinhal- orte könnten allerdings durch wenige punktuelle den des benachbarten FFH-Gebietes 109 zusam- Maßnahmen mit geringem Aufwand (gelegent- men (19 ha). liche Entbuschungen, Mahd) bzw. durch die Bei- Im Anschluss an die Schottergewinnung, die an behaltung der bisherigen Nutzung (Halden öst- derzeit sieben Großhalden erfolgt, sollten die lich Hainrode, Objekt Villa Kunterbunt bei Obers- im Falle eines unvollständigen Abbaus verblei- dorf) erhalten werden. benden Haldenreste so gestaltet werden, dass Im Mansfelder Revier sollten nach Auffassung zumindest ein Teil der Aufstandsflächen als Suk- des Autors auf den Halden trotz der zum Teil weit zessionsstandorte für die Schwermetallflora er- fortgeschrittenen Verbuschung die natürlichen halten bleibt. Sukzessionsprozesse Vorrang vor steuernden Der einzige tertiäre Standort der Region bei Maßnahmen haben. Entbuschungen, wie sie für Hettstedt-Burgörner sollte der Sukzession über- die Kleinhaldenlandschaft mit dem Ziel der Wie- lassen werden, auch wenn damit bereits in den derherstellung früherer Sukzessionsstadien ge- nächsten 10 bis 15 Jahren ein gravierender Rück- fordert wurden (Ortlieb 1994), sind bei fast 1000 gang der Schwermetallvegetation zu erwarten ist Objekten eine praktisch kaum zu bewältigende (Baumbach et al. 2007). Aufgabe. Zudem wird durch Entbuschungen die Anders sieht es bei den drei primären Standorten Bedeutung der Halden als Lebensraum für zahl- aus, die aufgrund ihrer geringen Fläche hoch- reiche Vogel- und Kleinsäugerarten in der sonst gradig durch Sukzession und Eutrophierung ge- ausgeräumten Agrarlandschaft stark beeinträch- fährdet sind. Deshalb sollten im Rahmen einer tigt. Berücksichtigt werden muss auch, dass mit umfassenden naturschutzfachlichen Planung der Schaffung offener Rohbodenflächen durch (s. u.) umgehend an die jeweilige Standortsituati- Pflegemaßnahmen eine erhöhte Gefahr der Frei- on angepasste Managementpläne erarbeitet und setzung von Metallen über den Wasserpfad be- umgesetzt werden. Für den Standort westlich von steht und somit die umgebenden Ackerflächen Wimmelburg wird zudem die Ausweisung als sowie das Grundwasser verstärkt kontaminiert geschützter Landschaftsbestandteil nach § 35 Na- werden könnten. Eine Beweidung von Halden tSchG LSA vorgeschlagen. mit beginnender Ruderalisierung wäre aus na- turschutzfachlicher Sicht zwar erfolgverspre- Notwendigkeit einer Schutzkonzeption für den chend, ist aber aus ökotoxikologischen Gründen mitteldeutschen Raum abzulehnen und wäre aufgrund der Insellage der Eine umfassende Fachplanung für den langfri- Halden auch nicht praktizierbar. Die Altbergbau- stigen Schutz der Schwermetallstandorte, wie sie landschaft der drei FFH-Gebiete kann bei dem vorbildhaft bereits vor fast zehn Jahren für die derzeitigen Verbuschungs- und Ruderalisierungs- Nordrhein-Westfälischen Schwermetallstandorte zustand allein nicht langfristig den Bestand des veröffentlicht wurde (Pardey 1999), gibt es für Lebensraumtyps in der Region sichern. Wenn Sachsen-Anhalt bisher nicht. Eine solche Planung allerdings auch die außerhalb der FFH-Gebiete sollte seitens der zuständigen Naturschutzver- liegenden Halden als realisierte oder potentielle waltung kurzfristig in Angriff genommen wer- Schwermetallstandorte erhalten bleiben, sollte den und nicht nur auf die Schwermetallvegetati- die Fläche ausreichen um den Lebensraumtyp zu on beschränkt sein, sondern auch die Fauna der erhalten und trotzdem natürliche Sukzession zu- Schwermetallbiozönosen sowie Biotopverbund- zulassen. planungen für die einzelnen Schwerpunktgebiete Besondere Bedeutung kommt hierbei den bereits einschließen. Um einen langfristigen Schutz zu angesprochenen Kleinhalden im südlichen Burg­ gewährleisten, muss eine Schutzkonzeption die örner Revier, den Halden der 1. Schachtreihe im Geomorphologie der Bergbaufolgelandschaft Welfesholzer Revier, den Halden des Otto- und besonders berücksichtigen. Da es größere zu- Eduardschachtes sowie der Nord- und der Süd- sammenhängende Gebiete, wie sie in NRW zum westhalde des Martinsschachtes zu, die trotz der Beispiel durch Tagebaubetrieb entstanden sind,

16 nicht gibt, sind die meisten Objekte für sich allein technikhistorische Bedeutung und prägt im öst- deutlich zu klein, um auf Dauer überlebensfähige lichen Harzvorland wie in keiner anderen Region Populationen zu beherbergen. Nur wenn das ge- Mitteleuropas das Landschaftsbild. Auch wenn samte noch bestehende Haldennetz des Altberg- nicht wenige der Halden in den letzen Jahrzehnten baus dauerhaft gesichert wird, können sich über- und Jahrhunderten abgetragen worden sind, lässt lebensfähige Metapopulationen erhalten. Das sich an der noch bestehenden Haldenlandschaft bedeutet auch, dass bei Einrichtung von Schutz- der Mansfelder Mulde die technologische Ent- gebieten und naturschutzfachlichen Planungen wicklung des Bergbaus über einen Zeitraum von immer die meist agrarisch genutzten Zwischen- fast 800 Jahren verfolgen (Einbeck 1932, Wagen- bereiche einbezogen werden müssen. Die für eine breth 1973, Philipp 2000). Hier liegt –wie auch in solide Schutzkonzeption notwendigen natur- anderen strukturschwachen postmontanen Re- schutzbiologischen Parameter sind allerdings für gionen– eine Chance für den sanften Tourismus. die meisten Arten bisher nur unzureichend bzw. Neben Bergbaulehrpfaden und dem Projekt „Kup- überhaupt nicht bekannt. Dies betrifft vor allem ferspuren“ (www.kupferspuren.eu) gibt es auf die Mindestarealgröße, die Mindestgröße von dem Gelände des Fortschrittschachtes (Volkstedt) überlebensfähigen Populationen und den maxi- seit Juni 2006 einen „Haldengarten“ in dem die malen Abstand der Populationen, um noch ge- Haldenflora der interessierten Öffentlichkeit nä- netischen Austausch zwischen ihnen zu ermög- her gebracht wird. Mehrere Aussichtsplattformen lichen. Hierzu sind zukünftig neben populations- machen inzwischen auch den Lebensraum Halde genetischen vor allem ausbreitungsbiologische erlebbar. Die bisher nur an wenigen Terminen Untersuchungen gefordert, die auch die Frage im Jahr angebotenen öffentlichen Besteigungen klären müssen, inwieweit lokale Biotopverbund- der Halden des Thälmann-, des Zirkel- und jüngst planungen notwendig und Erfolg versprechend auch des Brosowskischachtes mobilisierten hun- sind. So könnte es beispielsweise notwendig sein, derte Interessierte aus der Region aber auch dem durch Entbuschung und Wiederherstellung von weiteren Umland. Diese positiven Ansätze sind Rohbodenstandorten auf einzelnen Halden zwi- noch deutlich ausbaufähig (vgl. auch Slotta schen isoliert liegenden Vorkommen von Schwer- 2003). metallrasen wieder einen genetischen Austausch zu ermöglichen und somit Inzuchtdepression Sensibilisierung der Bevölkerung und genetischer Drift (insbesondere in Populati- Ein dauerhafter wirksamer Schutz der Schwerme- onen der ausbreitungslimitierten Minuartia ver- tallstandorte ist nach Auffassung des Autors nur na) vorzubeugen. möglich, wenn die Bevölkerung im Umfeld sen- Im Rahmen der vorgeschlagenen Schutzkonzepti- sibilisiert und in Schutzkonzepte integriert wird. on sollten die FFH-Gebiete 107, 109, 105A und 201 Im Gegensatz zu anderen Regionen (vgl. Haese mittelfristig als Natur- oder Landschaftsschutz- 1999) ist die Haldenlandschaft im Mansfelder gebiete ausgewiesen werden. Besonders dring- Land nicht nur akzeptiert, sondern wird von der lich erscheint dies für den Schwermetallrasen bei Mehrheit der Bevölkerung auch als Denkmal für Hornburg, der trotz eingeleiteter Pflegemaßnah- die Arbeit der Berg- und Hüttenleute angesehen. men (Baumbach & Volkmann 2002) einen stark Deren Traditionsvereine stellen (noch) eine starke gefährdeten, primären Schwermetallstandort Lobby für den Erhalt der Haldenlandschaft dar, darstellt. die aktiv in die Schutzbemühungen einbezogen werden sollte. Denkmalschützerische und montanhistorische Aspekte Im ehemaligen Sangerhäuser und Mansfelder Zwar ist der derzeit betriebene Abbau der Berge- Kupferschieferrevier sollte nicht wie in anderen halden der 1.-3. Schachtreihe sowie der Schlacke- Regionen Europas (vgl. Barnatt & Penny 2004, halden an den ehemaligen Rohhüttenstandorten van der Ent 2007) der Fehler gemacht werden, hinsichtlich der Gefährdung der Schwermetall- die einmalige Bergbaufolgelandschaft leichtfer- vegetation als unproblematisch einzuschätzen. tig wirtschaftlichen Interessen zu opfern. Was Allerdings hat die Bergbaufolgelandschaft neben einmal zerstört ist, ist unwiederbringlich verlo- ihrem Wert als Lebensraum auch eine kultur- und ren!

17 Zusammenfassung Literatur

Der Beitrag gibt einen Überblick über die ak- Barnatt, J. & R. Penny (2004): The Lead Legacy. The Pros- pects for the Peak District’s Lead Mining Heritage. tuelle Situation der Schwermetallvegetation Hrsg.: Peak District National Park Authority, English und ihrer primären, sekundären und tertiären Heritage and English Nature, 111 S. Standorte im ehemaligen Mansfelder und San- Baumbach, H. (2005): Genetische Differenzierung mit- gerhäuser Kupferschieferrevier. Im Mansfelder teleuropäischer Schwermetallsippen von Silene Revier wurden 996, im Sangerhäuser Revier 408 vulgaris, Minuartia verna und Armeria maritima unter Berücksichtigung biogeographischer, montan- Klein- und Kleinsthalden durch eine Auswertung historischer und physiologischer Aspekte. – Disserta- der aktuellen CIR-Luftbilder erfasst und der Ver- tiones Botanicae, Band 398, Cramer, Stuttgart. buschungsgrad eingeschätzt. Von den Halden des -(2000): Beitrag zur Flora und Vegetation von Bergbau-, Mansfelder Reviers sind 26 % nicht oder gering Hütten- und Stollenhalden im Mansfelder und San- verbuscht (<10 %), 28 % sind sehr stark verbuscht gerhäuser Revier. – Schriftenreihe des Mansfeld-Mu- seums (NF) 5: 105-118. (>80 %). Insgesamt liegen 461 Halden in einem der Baumbach, H. & Schubert, R. (2008): Neue taxonomische drei FFH-Gebiete, in denen der LRT 6130 primärer Erkenntnisse zu den Charakterarten der Schwerme- Schutzgegenstand ist. Auf 286 dieser Halden tallvegetation und mögliche Konsequenzen für den konnte der LRT im Rahmen der FFH-Kartierung Schutz von Schwermetallstandorten. Feddes Reper- mit einer Gesamtfläche von 21,8 ha nachgewie- torium 119: 543-555. -& Volkmann, H. (2006): Zur Situation von Armeria ma- sen werden. Im Sangerhäuser Revier sind 77 % der ritima ssp. hornburgensis – aktuelle Daten zu Popu- Halden stark und nur 4 % leicht oder nicht ver- lationsgröße, Demographie und Taxonomie. – Mitt. buscht. Trotz der zum Teil weit fortgeschrittenen florist. Kart. Sachsen-Anhalt 11: 41-50. Verbuschung auf den Kleinhalden sollte die na- -& Volkmann, H. (2002): Dynamik, genetische Struktur türliche Sukzession Vorrang vor Pflegemaßnah- und Schutz kleiner Populationen – das Beispiel von Armeria maritima ssp. hornburgensis. – Mitt. florist. men haben. Hierzu ist es allerdings notwendig, Kart. Sachsen-Anhalt 7: 3-24. dass die Kleinhaldenlandschaft auch außerhalb Baumbach, H., Volkmann, H. & C. Wolkersdorfer der FFH-Gebiete erhalten bleibt und ebenso die (2007): Schwermetallrasen auf Hüttenstäuben am noch verbliebenen Tafelberghalden in die Schutz- Weinberg bei Hettstedt-Burgörner (Mansfelder bemühungen einbezogen werden, damit auch Land) – Ergebnis jahrhundertelanger Kontamination und Herausforderung für den Naturschutz. – Hercy- mittel- und langfristig genügend große Flächen nia N. F. 40 (1): 87-109. als potentielle Standorte für die Schwermetallve- Becker, T., Brändel, M. & Dierschke, H. (2007): Trocken- getation zur Verfügung stehen. Die größte Bedro- rasen auf schwermetall- und nicht schwermetallhal- hung der nicht in den FFH-Gebieten oder im LSG tigen Böden der Bottendorfer Hügel in Thüringen. liegenden Kleinhalden sowie aller noch verblie- – Tuexenia 27: 255-286. Dierschke, H. & T. Becker (2008): Die Schwermetall- benen Großhalden geht derzeit von den Abbau- Vegetation des Harzes – Gliederung, ökologische plänen zur Schotter- und Metallgewinnung aus. Bedingungen und syntaxonomische Einordnung. Ziel des Beitrages ist es, eine Schutzkonzeption für Tuexenia 28: 185-227. die Schwermetallrasenstandorte anzuregen so- Einbeck, E. (1932): Die Gestaltung der Bergbaulandschaft wie eine erste Datengrundlage dafür zu liefern. im Gebiet des Mansfelder Kupferschieferbergbaus. Petermanns geografische Mitteilungen, Ergänzungs- heft Nr. 214. Dank Ernst, W. (1966): Ökologisch-soziologische Untersu- chungen an Schwermetallpflanzengesellschaften Für die Bereitstellung von Daten und konstruktive Südfrankreichs und des östlichen Harzvorlandes. Hinweise danke ich Herrn Armin Hoch (Biosphä- Flora, Abt. B, Bd. 156: 301-318. -(1974): Schwermetallvegetation der Erde. Gustav Fi- renreservat Südharz i. G.), Dr. Dieter Frank (Lan- scher, Stuttgart. desamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt), Dr. Ernst, W., Knolle, F., Kratz, S. & E. Schnug (2004): As- Horst Volkmann (Lutherstadt Eisleben) und Dr. pects of ecotoxicology of heavy metals in the Harz Franz W. Wege (Mansfeld). An der Dateneingabe region – a guided excursion. – Landbauforschung der Luftbildauswertung war Natalia Conoplio- Völkenrode 54: 530-571. Haese, U. (1999): Der Schutz der Stolberger Schwerme- va (Brandenburg/Havel) maßgeblich beteiligt. tallvegetation im Lichte des öffentlichen Bewußt- seins. Naturschutzrahmenkonzeption Galmeifluren NRW, LÖBF Schriftenreihe 16, 129-137.

18 Hebestedt, E. (2007): Zum Kupferschieferbergbau um Anhalts. Mitteilungen zur floristischen Kartierung Welfesholz. In: Beiträge zur Regional- und Landes- Sachsen-Anhalts, Sonderheft 2. kultur Sachsen-Anhalts 44: 58-72. Schulz, A. (1912): Über die auf schwermetallhaltigem Hildebrandt, U., Hoef-Emden, K., Backhausen, S., Boden wachsenden Phanerogamen Deutschlands. Bothe, H., Bozek, M., Siuta, A. & E. Kuta (2006): The Jahresber. Westfäl. Prov.-Verein Wiss. 40: 210-227, rare, endemic zinc violets of Central Europe originate Münster. from Viola lutea Huds. Pl. Syst. Evol. 257: 205-222. Slotta, R. (2003): Die Mansfelder Kupfer-Straße – Chan- Huneck, S. (2006): Die Flechten der Kupferschieferhal- ce oder Utopie? – Der Anschnitt 55 (3-5): 224-235. den um Eisleben, Mansfeld und Sangerhausen. – Sommer, F. (1996): Erfassung des historischen Bergbau- Mitt. flor. Kart. Sachsen-Anhalt, Sonderheft 4. gebietes am Ausgehenden des Kupferschieferflözes Jankowski, G. (1995): Zur Geschichte des Mansfelder im Raum Pölsfeld. In: Landesheimatbund Sachsen- Kupferschieferbergbaus. GDMB, Clausthal-Zellerfeld, Anhalt e.V. (Hrsg.): Studien zum Altbergbau in der 366 S. Sangerhäuser Mulde. Halle/S.: 32-40. Janowitz, H. (1996): Vegetationskundliche und geo- Volkmann, H. (2001): Pflanzen und Pflanzengesell- morphologische Untersuchungen an schwermetall- schaften des Schieferhaldenareals zwischen Wel- haltigen Halden des Sangerhäuser Reviers und der fesholz, Gerbstedt und Zabenstedt. Unver. Manu- Mansfelder Mulde. Naturschutz im Land Sachsen- skript, Lutherstadt Eisleben, 44 S. Anhalt 33 (2): 15-23. -(2005): Die Pflanzen und Pflanzengesellschaften des Jäger, U. & Stolle, J. (2002): 6130 Schwermetallrasen Haldenareals am Nordhang des Mühlberges bei (Violetalia calaminariae). In: Die Lebensraumtypen Wolferode, Mansfelder Land. Unver. Manuskript, Lu- nach Anhang I der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie im therstadt Eisleben, 79 S. Land Sachsen-Anhalt. Naturschutz im Land-Sachsen- Van der Ent, A. (2007): Kansen voor herstel van zink- Anhalt, Sonderheft: 86-90. flora in het boven-Geuldal. – De Levende Natuur 108 Knolle, F. (1989): Harzbürtige Schwermetallkontamina- (1): 14-19. tionen in den Flußgebieten von Oker, Innerste, Leine Wagenbreth, O. (1973): Zur landeskulturellen Erhaltung und Aller. Beiträge zur Naturkunde Niedersachsens von Bergbauhalden. – Geographische Berichte 68 (3): 42: 53-60. 196-205. LAU Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Wege, F. W. (2000): Das Haldenkonzept der Landkreise (2004): Kartieranleitung zur Kartierung und Bewer- Mansfelder Land und Sangerhausen. – Schriftenrei- tung der Offenlandlebensraumtypen nach Anhang he des Mansfeld-Museums (NF) 5: 2-13. I der FFH-Richtlinie im Land Sachsen-Anhalt. Stand Wöhlbier, F. (1937): Zur Begrünung der Ottoschächter- 30.6.2004. halde. Mein Mansfelder Land 12 (17): 134-136. Oertel, T. (2003): Untersuchung und Bewertung geo- BNatSchG: Gesetz über Naturschutz und Landschafts- gener und anthropogener Bodenschwermetallan- pflege, BGBl I 2002, 1193, zuletzt geändert durch Art. reicherungen als Basis einer geoökologischen Um- 40 G v. 21. 6. 2005 I 1818. weltanalyse im Raum Eisleben-Hettstedt. Diss. Univ. FFH-Richtlinie: Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Er- Halle-Wittenberg. haltung der natürlichen Lebensräume sowie der Ortlieb, R. (1994): Über die Schutzwürdigkeit der Mans- wildlebenden Tiere und Pflanzen vom 21. Mai 1992. felder Bergbauhaldenlandschaft. – Naturschutz im NatSchG LSA: Naturschutzgesetz des Landes Sachsen- Land Sachsen-Anhalt 31 (2): 3-10. Anhalt vom 23. Juli 2004 (GVBl. LSA S. 454), geändert Pardey, A. (Hrsg.) (1999): Naturschutzrahmenkonzepti- durch Gesetz vom 14.1.2005 (GVBl. LSA S. 14). on Galmeifluren NRW. – LÖBF-Schriftenreihe Band Rechtsverordnung über das Landschaftsschutzgebiet 16. „Kleinhaldenareal im nördlichen Mansfelder Land“ -(2002): Naturschutz auf Schwermetallstandorten. Über- Landkreis Mansfelder Land vom 28.2.2001, Amtsblatt blick über die aktuelle Situation in Deutschland, Mansfelder Land 03/01. Belgien und den Niederlanden. – Naturschutz und Landschaftsplanung 34 (5): 145-151. Philipp, R. (2000): Denkmalpflegerische Aspekte der Adresse des Autors Haldenlandschaft des Kupferschieferbergbaus in Sachsen-Anhalt. – Schriftenreihe des Mansfeld-Mu- seums (NF) 5: 18-24. Dr. Henryk Baumbach Schubert, R. (1953): Die Schwermetallpflanzengesell- Institut für Spezielle Botanik, schaften des östlichen Harzvorlandes. – Wiss. Z. Mar- Herbarium Haussknecht und Botanischer Garten tin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg, Math.-Naturwiss. Friedrich-Schiller-Universität Reihe 3 (1): 51-70. -(1954): Zur Systematik und Pflanzengeographie der Philosophenweg 16 · 07743 Jena Charakterpflanzen der Mitteldeutschen Schwer- E-Mail: [email protected] metall-pflanzengesellschaften. – Wiss. Z. Martin- Luther-Univ. Halle-Wittenberg, Math.-Naturwiss. Reihe 3 (4): 863-882. -(2001): Prodromus der Pflanzengesellschaften Sachsen-

19 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 45. Jahrgang • 2008 • Heft 2: 20 - 25 Vergleich einer satelliten-/luftbild- gestützten Landbedeckungsklassifizierung in Sachsen-Anhalt Jörg Günther

1 Einleitung rungen zu ziehen, die dann als Grundlage für ef- fektives Handeln im Naturschutz dienen können. Naturschutzarbeit wird auf örtlicher-, landeswei- Mittels geographischer Informationssysteme ter- oder europäischer Ebene betrieben und bein- (GIS) ist die Verknüpfung verschiedener Betrach- haltet damit zwangsläufig unterschiedliche Be- tungsebenen problemlos und komfortabel mög- trachtungsebenen naturschutzfachlicher Inhalte lich, sofern alle Eingangsdaten digital vorliegen. der Landnutzung/Landbedeckung. Kann man Ein Grundproblem der Datenerhebung im Natur- die örtliche – regionale Ebene noch problemlos schutz ist eine mehr oder weniger starke, subjek- mit Artkartierungen und pflanzensoziologischen tive Komponente fast aller Naturschutzfachdaten. Aufnahmen im Gelände abdecken, wird dies mit Unabhängig von der Betrachtungsebene erlau- zunehmender Aggregation der Verwaltungsein- ben die hochkomplexen Beziehungsgeflechte in heiten immer schwieriger und stößt immer mehr der Natur immer nur thematische Momentauf- an personelle und finanzielle Grenzen, die nur nahmen, die obendrein von der individuellen Bil- mit technischen Hilfsmitteln mehr oder weniger dung und Gründlichkeit des Erfassers abhängig angemessen überwunden werden können. Ein sind. Dies ist bei der interpretatorischen Bildaus- solches Hilfsmittel sind Bildaufnahmen der Erd-­ wertung ebenso gegeben, wie bei der Kartierung oberfläche. Verglichen werden sollen nachfolgend im Gelände. Hinzu kommt, dass in der Natur flie- die Ergebnisse der Erfassung von Biotop- und Nut- ßende Übergänge der Normalfall sind und tech- zungstypen aus Color-Infrarot- Luftbildern (di- nische Daten harte (exakt definierte) Grenzen wi- gitaler Bildflug in Sachsen-Anhalt im Jahre 2005 derspiegeln, die real nicht vorhanden sind. Bei al- mit 20 cm Bildauflösung) und die europäische len technischen Möglichkeiten der Neuzeit wird Landnutzungs- und Landbedeckungskartierung dieser Fakt nur all zu oft ausgeblendet. Corine Land Cover (Satellitenbilder von Landsat Da sowohl Corine Land Cover (CLC), als auch die 7 aus den Jahren 1999/2000 mit 15 m Auflösung; Biotop- und Nutzungstypenerfassung (BTNT) in Keil, Kiefl & Strunz 2005), da beide die Erfas- Sachsen-Anhalt eine flächendeckende Übersicht sung der Landbedeckung/Landnutzung zum Ziel der Landnutzung und Landbedeckung zum Ziel haben. Beide Bildverfahren sollten vergleichbare haben und sowohl die CLC-Kartieranleitung, als Inhalte liefern, wobei erwartet wird, dass sich auch der BTNT-Katalog hierarchisch aufgebaut die Ergebnisse der niederen Erfassungsebenen sind, bietet sich eine Analyse der erfassten Inhalte in aggregierter nachvollziehbarer Form auf der in Bezug auf die jeweiligen Flächenanteile an, um höheren Erfassungsebene der Satellitenbilder wi- sich ein Bild von der Leistungsfähigkeit unter- derspiegeln. schiedlicher Methoden zu machen. Der Vergleich Gegenüber CIR-Luftbildern ist das Satellitenbild kann durchgängig digital erfolgen. Mit zwei vom für die regionale – landesweite Ebene nur be- LAU begleiteten Forschungsprojekten zu den Nut- dingt und in eingeschränktem Maße brauchbar. zungsmöglichkeiten von Satellitenbildern in der Bei einer ganzheitlichen Betrachtung von Na- Umweltverwaltung und speziell im Naturschutz turschutzaufgaben ist es jedoch unerlässlich, die (MOMSIS [Kenneweg et al. 2000] und OFULSA verschiedenen Betrachtungsebenen miteinander [Autorenkollektiv 2002]) sowie mit der Beglei- zu verknüpfen, um jeweils sinnvolle Schlussfolge- tung und Qualitätskontrolle von zwei Landes-

20 befliegungen und deren Auswertung existieren Maßstab 1 : 100 000 bei einer Bildauflösung von hinreichend gute Erfahrungen im Umgang mit 15 m zu erwarten. Verglichen wurden daher aus- unterschiedlichen Betrachtungsebenen der Fer- schließlich die Struktureinheiten, die im BTNT- nerkundung. Verschiedene Betrachtungsmaßstä- Schlüssel in den ersten beiden Buchstaben der be und Bildauflösungen bedingen zwangsläufig Codierung Ausdruck finden, mit den CLC-Klassen differierende Qualitäten in der Erfassung flä- der dritten Ebene (Beispiel WL – W wie Wald als chendeckender Daten, sowohl inhaltlicher -, als Kartiereinheit und L für Laubwald Reinbestand, auch abgrenzungstechnischer Art. Dies hat nicht Struktureinheit Laubwaldreinbestände). Die CLC- zuletzt die Untersuchung der Potenzen der Satel- Klasse der dritten Ebene 311 „Laubwälder“ dürfte litenbilder für die Aktualisierung der Biotop- und demnach nur Struktureinheiten (mehrere Mög- Nutzungstypenerfassung im Rahmen des Satelli- lichkeiten lt. BTNT-Katalog) beinhalten, die Laub- tenbildprojekts MOMSIS gezeigt. wälder repräsentieren, bzw. flächenbezogene Do- minanzen der entsprechenden Laubwaldtypen 2 Methodik aufweisen (CLC-Flächenfalle bei 25 ha, gegenüber 0,25 ha bei der BTNT-Erfassung). In Tabelle 1 wird Vor diesem Hintergrund soll nun der technisch- die verbal-interpretatorische Einschätzung der individuelle Vergleich der CLC- und BTNT-Daten CLC-Klassen den prozentualen Anteilen entspre- beschrieben werden. Zunächst wurden die CIR- chender Struktureinheiten der BTNT gegenüber- Luftbilder von 2005, die digitalen CLC-Daten und gestellt. die BTNT-Daten in ein GIS (ArcView) geladen und einzeln die CLC-Klassen der Ebene 3 transparent 3 Auswertung gemacht. Damit konnte der entsprechende Luft- bildausschnitt für die jeweilige CLC-Klasse sicht- Der Vergleich vermittelt ein sehr differenziertes bar gemacht und inhaltlich ohne störende Rand- Bild der Corine-Land-Cover-Kartierung in Sach- einflüsse mit den BTNT-Daten verglichen werden. sen-Anhalt Ein Teil der CLC-Klassen wird sowohl Die CLC-Kartieranleitung beinhaltet durch ihren inhaltlich, als auch abgrenzungstechnisch gut bis hierarchischen Aufbau, ähnlich wie die Kartier- sehr gut erfasst und beinhaltet überwiegend die anleitung zur Luftbildauswertung, verschiedene entsprechenden Struktureinheiten der BTNT-Er- Aggregationsebenen, wobei Ebene 3 als Aus- fassung, andere hingegen sind weder inhaltlich gangsebene in den höheren Ebenen immer stär- noch von der Abgrenzung her nachvollziehbar. ker zusammengefasst wird. Da der Bezugsmaß- Dazwischen liegt ein großer Bereich mit mäßiger stab für CLC-Daten 1 : 100 000 ist, wurde er auch Qualität, bedingt durch teilweise oder vollstän- Bezugsgröße für die Einschätzungen und Bewer- dige Fehlklassifikationen. Unsere Erfahrungen tungen des Vergleichs. Über Zoomfunktionen mit den erwähnten Satellitenbildprojekten ha- konnten problemlos Details der jeweiligen Klasse ben gezeigt, dass hier ein weitaus besseres Ergeb- eingesehen werden. Da beide Datensätze inter- nis möglich gewesen wäre, allerdings nur unter pretatorisch erhoben wurden, basiert auch ihr der Voraussetzung hinreichender Regionalkennt- Vergleich auf der inhaltlichen, naturschutzbezo- nisse, wie sie von jedem guten Luftbildinterpre- genen Interpretation entsprechender Bildinhalte. ten zu erwarten sind. Sehr kritisch sind die CLC- Landschaftsveränderungen, die sich aus den un- Klassen zu werten, die eine gewisse Naturnähe terschiedlichen Befliegungszeiten der Satelliten- implizieren (243, 321, z. T. 242), da für deren Klassi- bilder und der CIR-Luftbilder ergeben (z.B. Tage- fikation entweder spezifische Regionalkenntnisse bauflutungen) konnten, soweit möglich, durch oder ausgedehnte Geländekontrollen notwendig Gebietskenntnisse ausgeglichen werden. Klasse sind. Die Erfassung natürlicher oder naturnaher für Klasse wurde flächendeckend-landesweit Bereiche ist bereits bei der klassischen Luftbildin- dahingehend analysiert, inwieweit welche CLC- terpretation nicht fehlerfrei zu realisieren. Erst Klasse welche Struktureinheiten der BTNT-Daten recht führt dies bei Satellitenbildern mit einer widerspiegelt. Da die Vollcodierung (maximal wesentlich geringeren Bildauflösung zu Schwie- 8-stellig) der BTNT den Bezugsmaßstab 1 : 10 000 rigkeiten. Am stärksten weicht die CLC-Erfassung hat und sehr stark differenziert (Bildauflösung der „Heiden und Moorheiden“ (322) von deren 0,2 m), wäre es unzulässig, gleiche Qualitäten im tatsächlicher Verbreitung in Sachsen-Anhalt ab.

21 Tab. 1: CLC-Klassen in Sachsen-Anhalt im Vergleich mit den Struktureinheiten der BTNT-Erfassung

CLC-Klasse flächenmäßige Anteile der Anzahl wei- Bemerkung und qualitative Wertung Struktureinheiten (BTNT) terer, unter- der erfassten Inhalte der jeweiligen an der jeweiligen CLC-Klas- geordneter CLC-Klasse se in Prozent Strukturein- heiten 111 „Durchgängig städ- 81 BS, 12 BV, 5 BG 13 inhaltlich gut, aber nicht repräsentativ, tische Prägung tatsächliche Flächen unvollständig erfasst 112 „Nicht durchgängig 57 BS, 2 BV, 17 BG, 7 KG, 4 KS, 31 sehr grobe Abgrenzungen, Versiege- städtische Prägung“ 3 Gehölze lungsgrad von 20- über 50- bis 70% 121 „Industrie- und Ge- 57 BS, 11 KS, 5 AA, 5 KG, 5 BV, 4 21 unzureichende Trennung Wohnen- werbeflächen, öffentliche KC, 3 FA, 3 BG Gewerbe-Umland, z.T. Fehlcodierung, Einrichtungen“ qualitativ sehr mäßig erfasst 122 „Straßen-, Eisen- 44 BV, 17 BS, 10 KS, 5 KC, 4 GA, 10 inhaltlich gut erfasst, nicht ganz voll- bahnnetze und funktio- 4 AA, 3 FA, 5 Gehölze, 2 BG, ständig, Strukturvielfalt durch funktio- nell zugeordnete Flächen“ KG, 1 BX nelle Zuordnungen 123 „Hafengebiete“ 32 BS, 32 GF, 6 BV, 7 FA, 3 KC, 4 nur Elbhafen Magdeburg, inhaltlich 2 KG und abgrenzungstechnisch gut erfasst 124 „Flughäfen“ 6 BV, 9 BS, 30 KG, 14 KS, 5 KC, 7 3 Fehlklassifikationen (17% AA), einige 5 KM, 3 KH, 17 AA,10 Gehölze sind aufgelassen, grobe Grenzen, mä- ßige Qualität 131 „Abbauflächen“ 46 FA, 10 GA, 10 KS, 9 KC, 4 25 relativ schlecht erfasst, teilweise oder BS, 4, AA, 3 KM, 2 KG vollständige Fehlklassifikationen 132 „Deponien und Ab- 52 FA, 17 KS, 8 KC, 4 BS, 4 WU, 19 wenige Fehlklassifikationen, halden- raumhalden“ 4 AA, 3 KM, 1 KG typische Struktureinheiten, relativ gut erfasst 133 „Baustellen“ 23 AA, 16 KS, 4 GA, 4 BV, 2 KC 14 aufgrund des Zeitfensters 2000-2005 nicht aussagekräftig 141 „Städtische Grünflä- 34 BG, 15 KS, 10 BS, 9 KG, 5 20 inhaltlich und räumlich sehr gut chen“ GF, 4 WA, 3 AA, 3 BV, 2 HG, 2 erfasst, maßstabsbedingte Feindiffe- KC, 2 GS renzierung bei BTNT 142 „Sport- und Freizeitan- 48 BG, 19 BS, 8 KG, 7 AA, 5 KS, 23 viel zu großzügige Abgrenzung, z. T. lagen“ je 2 BV, WU und AG Fehlklassifikationen, relativ schlecht erfasst 211 „Nicht bewässertes 83 AA, 6 KG, 2 BS, 2 KS 38 schlechte Abgrenzungen, 455 qkm Ackerland „ Acker nicht erfasst 221 „Weinbauflächen“ 46 AW, 10 KG, 8 HS, je 6 KM, 2 ein Weinberg mit reichlich Umland HU, BS, BG, 5 FN, 2 HG, 2 KS erfasst, sonst zu kleinteilig für CLC 222 „Obst- und Beerenobst- 38 AA, 23 AG, 8 HS, 7 KG, 6 21 viel Fehlcodierung, nur fragmentarisch bestände“ BS, 2 KS, 2 HU wurden tatsächliche Obstbauflächen erfasst 231 „Wiesen und Weiden“ 77 KG, 9 AA, 4 KS 37 große Komplexe gut erfasst, wenig Fehlkodierung 242 „Komplexe Parzellen- 37 KG, 31 AA, 7 HS, 5 BS, 4 KS, 18 völlig unspezifische Mischkategorie, strukturen“ 4 BG, 2 AG, 6 Gehölze Südharzrandstrukturen z.T. korrekt erfasst, wenn auch nicht vollständig 243 „Landwirtschaftlich 26 KG, 22 AA, 9 WU, 6 KS, 6 26 unspezifische Mischkategorie mit genutztes Land mit Flä- WN, 4 BS, 3 WM, 3 BG, 3 HS, 2 bestimmten Gehölzverteilungsmuster, chen natürlicher Bodenbe- HU, 2 HG weder Naturnähe noch landwirt- deckung von signifikanter schaftliche Nutzung entscheidend Größe“ 311 „Laubwälder“ 50 WU, 11 WM, 9 WL, 6 WN, 5 32 relativ gut erfasste Klasse, Abgren- WA, 5 WF, 3 KG, 2 AA, 2 KS zung zu anderen Waldtypen in Teilen fragwürdig 312 „Nadelwälder“ 70 WN, 14 WM, 3 WU, 2 AA, 33 dito 2 WE

22 CLC-Klasse flächenmäßige Anteile der Anzahl wei- Bemerkung und qualitative Wertung Struktureinheiten (BTNT) terer, unter- der erfassten Inhalte der jeweiligen an der jeweiligen CLC-Klas- geordneter CLC-Klasse se in Prozent Strukturein- heiten 313 „Mischwälder” 26 WN, 25 WU, 24 WM, 6 WL, 32 meist nur kleinräumige Verteilungs- 4 KG, je 2 WE, KS, WF muster von reinen Laub- und Nadel- wäldern, Abgrenzung zu anderen Waldklassen fragwürdig 321 „Natürliches Grün- 37 KH, 18 KM, 8 KC, 8 KS, 6 25 relativ einheitlich erfasste, unspezi- land“ KG, 5 WU, je 3 WN, AA, WM fische Sukzessionsstadien krautiger Vegetation, großflächig Truppen- übungsplätze erfasst 322 „Heiden und Moorhei- 38 KC, 33 KH, 12 WM, 7 WN, 3 8 inhaltlich und räumlich kaum nach- den“ FA, 2 WL vollziehbar, nur 3 Polygone (ca. 400 ha) erfasst 324 „Wald-Strauch-Über- 36 KH, 15 WU, 11 KM, 10 KC, 6 24 einige Flächen wurden korrekt erfasst, gangsformen“ WM, 4 KS, je 3 WN, WL, FA es dominiert jedoch Offenland auf Truppenübungsplätzen (meist Heide) 333 „Flächen mit spärlicher 41 GA, 18 KC, 9 FA, 7 KM, 5 16 nicht repräsentativ durch Nutzungs- Vegetation“ W…, 3 KH, je 2 WN, WU, WL wandel und Sukzessionsvorgänge (z.B. Flutung Tagebaue) 411 „Sümpfe“ 28 KF, 26 KG, 16 KS, 8 GS, 5 19 großflächige Verlandungszonen sehr GA, je 2 HG, WA, WF, HU, GK gut erfasst, fraglich sind gewässer- reiche Auenab-schnitte 511 „Gewässerläufe“ 80 GF, 7 KS, 4 KG, 3 FN 25 Elbe und Havel korrekt erfasst (über 100m Breite) 512 „Wasserflächen“ 68 GA, 14 GS, 3 KS, 2 KF 29 z. T. fragliche Abgrenzungen, durch Flächenfalle (25 ha) viele Gewässer nicht erfasst

Beschreibung der verwendeten Struktureinheiten gemäß BTNT-Katalog: WL Laubwald-Reinbestand FN Vegetationsfreie Fläche naturnah WN Nadelwald-Reinbestand FA Vegetationsfreie Fläche anthropogen WU Laubmischbestand WE Nadelmischbestand AA Acker WM Mischwald AG Erwerbsgartenbau WA Auwald AW Weinbau WF Bruch-, Sumpfwald (Feuchtwald) BS Bebauung im Siedlungs- und Außenbereich HU Gebüsch BG Grünfläche HN Gehölzpflanzung, nicht standortgerecht BV Verkehrsfläche HG Baumgruppe BX Baustelle ohne erkennbare Folgenutzung HS Streuobstwiese

KG Grünland GF Fließgewässer > 5m (Fluss/Kanal) KS Staudenflur GK Stillgewässer < 1ha naturnah (Kleingewässer) KM Magerrasen GT Stillgewässer < 1ha anthropogen (Teich) KC Wildgrasflur/Calamagrostis GS Stillgewässer > 1ha naturnah (See) KH Heide GA Stillgewässer > 1ha anthropogen KF Flachmoor/Sumpf Ein Grund dafür kann darin liegen, dass Heiden Satellitenbild schwer erkennbar. Auch die teils beispielsweise bei der BTNT-Erfassung vereinba- kleinräumige Verzahnung mit Magerrasen und rungsgemäß bereits ab einem Deckungsgrad von Calamagrostisfluren kann eine Klassifikation im 30% Calluna als solche zu kartieren sind. Damit Satellitenbild erschweren und würde die zeitwei- subdominant, sind sie verständlicher Weise im se Zuordnung zur CLC-Klasse 321 rechtfertigen, je-

23 doch nicht in dem vorgefundenen Umfang. Dies sehr hilfreich und kann generelle Fehlentwick- trifft im Hinblick auf Verbuschungstendenzen lungen vermeiden. Die Qualitätsunterschiede von teilweise auch auf die Klasse 324 „Wald-Strauch- Firma zu Firma sind jedoch meist wesentlich grö- Übergangsformen“ zu, ist jedoch wiederum an- ßer als die individuellen Unterschiede einzelner hand realer, gut und großflächig ausgeprägter Interpreten derselben Firma. Die Auswertung der Heidevorkommen in Sachsen-Anhalt nur eine zweiten Landesbefliegung hat auch gezeigt, dass ansatzweise Erklärung. Hinzu kommt, dass die die Erstkartierung als Hintergrundinformation wenigen, tatsächlich als Heide kartierten Gebiete für eine Auswertung am Bildschirm äußerst hilf- inhaltlich und abgrenzungstechnisch nicht nach- reich sein kann oder eben bei schlechter Qualität vollziehbar sind. erhebliche Nacharbeiten erfordert. Dies wurde Bei allem technischen Fortschritt erscheint die bereits auch in anderem Zusammenhang bei den interpretatorische Bildauswertung immer noch von uns betreuten Satellitenbildprojekten fest- wesentlich leistungsfähiger als automatisierte gestellt. Die interpretatorische Auswertung von Verfahren. Dies ist jedenfalls das Ergebnis un- Fernerkundungsdaten ist wegen der subjektiven serer umfangreichen Recherchen im Vorfeld der Komponente zwangsläufig immer fehleranfällig. zweiten Landesbefliegung. Dies betrifft im glei- Nach unserer Erfahrung ist es jedoch vernünftig, chen Maß sowohl Luft-, als auch Satellitenbilder. im Sinne einer vertretbaren Kosten-Nutzen Rela- Sie hat jedoch den wesentlichen Nachteil indi- tion, eine gewisse Fehlerquote zu tolerieren. Jede vidueller Sichtweisen und der davon geprägten Nacharbeit kostet Zeit und Geld und individuelle Klassifizierungsergebnisse. Diese individuellen Sichtweisen sind auch bei langen Diskussionen Qualitäten können eine sehr große Spannbrei- nur sehr schwer zu vereinheitlichen. So wurde bei te haben, wie die Zusammenarbeit mit über 20 der Erstbefliegung Sachsen-Anhalts und deren Interpretationsfirmen und der daraus resultie- Auswertung eine Fehlerquote von 5% erheblicher renden Anzahl von Interpreten im Zuge zweier Fehler toleriert. Um die Qualität der BTNT-Erfas- Landesbefliegungen gezeigt hat. Nach unseren sung schrittweise anzuheben, lag die akzeptierte Erfahrungen ist es unabdingbar, die jeweiligen Fehlerquote bei der Landesbefliegung 2005 bei Ergebnisse flächendeckend, kurzfristig und unab- 3%.Bei allen individuellen Fehlerquellen bleibt hängig zu kontrollieren, um ein entsprechendes die interpretatorische Bildauswertung (CIR- und Feedback zu den Interpreten zu gewährleisten. Satellitenbilder gleichermaßen) bei großen Flä- Nur so kann ein möglichst homogenes Ergebnis chen leistungsfähiger als die automatische Bild- erzielt werden. Stichprobenartige Qualitätskon- auswertung, da zum einen eine automatische trollen haben sich nicht bewährt, da die Interpre- Grenzziehung zwischen unterschiedlichen Bio- tationsergebnisse, bzw. deren Qualität in einem top- und Nutzungstypen, bzw. Landbedeckungs-/ nicht zu unterschätzendem Maße auch von der Landnutzungsklassen problematisch und kaum Tagesform und dem Bearbeitungsgebiet des je- reproduzierbar ist und zum anderen die Kom- weiligen Interpreten abhängen können. plexität der Naturraumausstattung bei der auto- Die CLC-Klassifizierung ähnelt in ihrer tech- matischen Auswertung erhebliche Interaktionen nischen Realisierung sehr stark unserem Vorge- zwischen Mensch und Technik erfordern, die heu- hen bei der Auswertung der zweiten Landesbe- te noch wesentlich zeitaufwendiger sind als die fliegung, so dass man analoge Vermutungen zu reine Interpretation am Bildschirm. möglichen Fehlerquellen bei der Auswertung Obwohl im Abschlussbericht zu Corine-Land- der Befliegungsergebnisse anstellen kann. Ein Coverer, neben anderen Referenzquellen, auch großer Teil der Fehlklassifikationen läst sich aus auf Luftbilder verwiesen wird und es allgemein mangelnden Regionalkenntnissen erklären. Wei- bekannt sein müsste, dass alle neuen Bundes- terhin sind technisch bedingte Fehlzuweisungen länder und ein Teil der alten Bundesländer CIR- der jeweiligen Codierung eine nicht geringe Feh- Luftbilder flächendeckend nach Biotop- und lerquelle, genauso wie strukturelle Ähnlichkeiten Nutzungstypen ausgewertet haben und über die verschiedener Codiermöglichkeiten. Nicht zuletzt entsprechenden digital vorliegenden Daten ver- führen auch Zahlen- oder Buchstabendreher zu fügen, wird unerklärlicherweise keinerlei Bezug Fehlcodierungen. Eine firmeninterne Qualitäts- zu dieser Datenquelle genommen. Wie die vor- kontrolle durch einen „Chefinterpreten“ ist zwar liegende Analyse zeigt, ist es eine geringe Mühe

24 für den geübten ArcView-Nutzer Biotop- und Verfügung und andererseits ist durch möglichst Nutzungstypen thematisch zu aggregieren, mit genaue Vorgaben zur Art und Weise der Erfas- einer entsprechenden Signatur zu versehen und sung naturschutzrelevanter Naturraumausstat- als eigenständiges Thema ins ArcView zu laden. tungen eine gewisse Homogenität der Ergebnisse Mit einer geschickten Farbzuweisung erhält man zu erzielen. Ob zukünftig automatisiert werden so eine landesweite Übersicht der strukturellen kann, ist zweifelhaft, da Naturraumausstattung Ausprägung unterschiedlicher Untersuchungsge- und –nutzung äußerst wandelbare Größen sind, biete und eine nahezu ideale Referenzkartierung mit einer fast unüberschaubaren Vielfalt an Kom- für die Satellitenbildauswertung. Ganz nebenbei binations- und Verflechtungsmöglichkeiten. wäre so auch eine tragbare Verknüpfung der re- Nur wenige Bundesländer können für flächen- gional-landesweiten Ebene mit der bundesweit- deckende Aussagen zur Naturraumausstattung europäischen Ebene zustande gekommen auf eine CIR-Luftbildauswertung zurückgreifen, so dass für viele Corine Landcover die einzige dies- 4 Ausblick/Fazit bezügliche Informationsquelle ist. Daher erschien uns eine kritisch-konstruktive Auseinanderset- Die Nutzung der Fernerkundung wird auf der zung mit Corine Landcover notwendig, nicht zu- Suche nach möglichst effektiven Methoden zur letzt unter dem Gesichtspunkt einer möglichst Erfassung und Analyse von landesweiten Na- gleichgerichteten Naturschutzpolitik auf allen turraumausstattungen in Verbindung mit dem Ebenen, die nur all zu oft auf flächendeckenden entsprechenden Monitoring von Entwicklungs- Aussagen, bzw. auf der erfassten Naturraumaus- tendenzen eingesetzt. Die Berichtspflichten zu stattung beruht. NATURA 2000 Gebieten, verlangen von uns, nach effektiven Monitoringverfahren zu suchen. Ne- Literatur ben den BTNT sind auch die digitalen CIT-Bilder selbst ein äußerst hilfreiches Requisit für die Kar- Peterson, J. & U. Langner: „Katalog der Biotoptypen tierung im Gelände, da unterschiedliche Vegeta- und Nutzungstypen für die CIR-luftbildgestützte Bi- otoptypen- und Nutzungstypenkartierung im Land tionsstrukturen im Bild sichtbar sind und eine Sachsen-Anhalt“, Berichte des Landesamtes für Um- genauere Abgrenzung von Lebensräumen er- weltschutz Sachsen-Anhalt 1992 –Heft 4, geänderter möglichen als jegliches anderes Kartenmaterial. Nachdruck 1994. Auch Umlands- und Nachbarschaftsbeziehungen Keil, M., Kiefl, R. & G. Strunz: „CORINE Land Cover (Randeinflüsse) können mittels aktueller Luft- 2000 – Europaweit harmonisierte Aktualisierung der Landnutzungsdaten für Deutschland“, Abschlussbe- bilder problemlos in bestimmtem Umfang analy- richt zum F+E Vorhaben UBA FKZ 201 12 209, im Auf- siert werden, so dass die Kartierarbeit im Gelände trag des Umweltbundesamtes Mai 2005. optimiert werden kann. Kenneweg, H., Lehnert, S., Michael, F., Schönfeld, R. Unterschiedliche Betrachtungsebenen/Betrach- & C. Werner: „MOMSIS – Biotopüberwachung mit tungsmaßstäbe sollten dabei idealer Weise in ih- Satellitenfernerkundung – Der kombinierte Einsatz von multispektralen, hochauflösenden und stereo- ren systeminternen Grenzen und Möglichkeiten skopischen MOMS-2P-Daten zur Optimierung eines auch immer die gleichen Sachverhalte widerspie- Landschaftsinformationssystems und zum Land- geln. Jedoch zeigen unsere Untersuchungen, ins- schaftsmonitoring“, unveröffentlichter Endbericht besondere am Heidebeispiel, dass dies nur zum Mai 2000. Teil der Fall ist. Die entsprechende CLC-Klasse Autorenkollektiv: „OFULSA – Operationalisierung von Fernerkundungsdaten für die Umweltverwal- wurde in Sachsen-Anhalt nicht annähernd erfasst. tung des Landes Sachsen-Anhalt“, Berichte des Lan- Sachsen-Anhalt hat ca. 7900 ha Heide als entspre- desamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 2002 chenden Lebensraumtyp an die EU gemeldet und – Heft 37. die CLC-Klassifizierung als Bezugspunkt für euro- päische Naturschutzpolitik weist nur knapp 400 Anschrift des Autors ha als Heide aus, die dazu noch fragwürdig sind. Fernerkundung kann unter Naturschutzgesichts- Jörg Günther punken bereits heute optimiert werden. Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Einerseits stehen mit neuen Aufnahmetechniken Reideburger Str. 47 · 06116 Halle und deren Optimierung immer bessere Bilder zur E-Mail: Jörg.Gü[email protected]

25 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 45. Jahrgang • 2008 • Heft 2: 26 – 35 Die Goitzsche-Wildnis und ihre Libellenfauna (Odonata)

Falko Heidecke

1 Einleitung waltungsgesellschaft mbH (LMBV) vorgeschla- genes Kerngebietskonzept mit verbindenden Ko- Biotopverbund, Wildnisphilosophie und Prozess- härenzgebieten. Das Konzept sieht vor, die betref- schutz sind zentrale Inhalte der aktuellen deut- fenden Flächen entweder über die Einbeziehung schen Naturschutzdiskussion. Dies betrifft auch in ein gesetzlich abgesichertes Schutzgebietssy- Sachsen-Anhalt. Hier ist aber der Ansatz, Flä- stem festzuschreiben oder durch Verkauf an Na- chen bewusst, völlig und langfristig der Natur zu turschutzakteure zu sichern. Da die Ausweisung überlassen, zumeist nur in wenigen Kernzonen von Schutzgebieten nicht bzw. nur ausnahmswei- von Nationalparken und Biosphärenreservaten se zu erwarten war, stellte der Erwerb durch den sowie z. T. in Naturschutzgebieten realisiert wor- BUND die sicherste Möglichkeit zum Erhalt dieser den. In industriell überprägten Landschaften, Gebiete dar. Die Kern- und Kohärenzflächen bieten wie der Bergbaufolgelandschaft, findet man in einer vom Menschen geschaffenen Landschaft Prozessschutzflächen hingegen eher selten. Die die Chance, den vom BUND 1998 beschlossenen standörtlichen Gegebenheiten und ökologischen Leitantrag „Naturschutz 2000“ umzusetzen. Bedingungen in den Bergbaufolgelandschaften Die mittels Spendenakquise und Fördermitteln sind grundverschieden von denen des gewach- des Landes Sachsen-Anhalt durch den BUND er- senen, unverritzten Umlandes. Die Bergbaufol- worbenen Flächen stellen ein breites Spektrum gelandschaft stellt einen eigenständigen Kul- besonders wertbestimmender Biotope dar, die turlandschaftstyp dar und bietet hervorragende bereits jetzt ein großes Potenzial für den Arten- Bedingungen zur Etablierung von „Wildnis“, also schutz darstellen. Prozessschutzgebieten. Im nachfolgenden Artikel soll zum einen das 2 Geografische Einordnung Goitzsche-Wildnisprojekt kurz vorgestellt und zum anderen die Ausprägung der Libellenfauna Geografisch befindet sich das Untersuchungsge- in Abhängigkeit von den Sukzessionsstadien im biet zwischen 12° und 13° östlicher Länge sowie 51° Gebiet erläutert werden. und 52° nördlicher Breite. Die Goitzsche liegt im Im Sanierungsgebiet Goitzsche mit seinen zahl- Grenzbereich zwischen Köthener und Delitzscher reichen Baufeldern und Tagebaurestlöchern im Ackerebene im Einzugsbereich der Unteren Mul- Zentrum des Bitterfelder Braunkohlenreviers de. Im Norden und Osten der Goitzsche schließen wurden naturschutzfachlich hochwertige Flä- sich die Düben-Dahlener Heiden an. Das Höhen- chen (Kern- und Kohärenzgebiete) durch den niveau der Goitzsche liegt zwischen 75 und 110 m Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland über NN. Die Goitzsche umfasst ca. 62 km2, wovon e.V. (BUND) erworben. Der Verband übernahm da- ungefähr zwei Drittel der Fläche im Landkreis mit die Eigenverantwortung für den Erhalt dieser Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt liegen. Das Flächen, die grundsätzlich vorrangig der freien verbleibende Drittel der Abbaufläche liegt im natürlichen Entwicklung, d. h. dem Prozessschutz Landkreis Nordsachen im Freistaat Sachsen. Mit überlassen werden sollen. ihrer Gesamtfläche zählt die Goitzsche zu einem Grundlage bildet ein in den 1990er Jahren seitens der größten Abbaugebiete in dieser Region (Ti- der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Ver- schew et al. 2004).

26 3 Geschichtlicher Abriss In den folgenden 25 Jahren wurde das gesamte Gebiet bis an den Rand der Stadt Bitterfeld u. a. Das später von den Bergleuten insgesamt als Ortschaften, wie z.B. Pouch und Friedersdorf, aus- Goitzsche bezeichnete Gebiet wurde bis zum Be- gekohlt (Liehmann 1998). ginn des 20. Jh. durch den stark mäandrierenden, Im Gebiet der Holzweißiger Tagebaue schloss dynamischen Verlauf der Mulde und ihrer Zu- sich nach Außerbetriebnahme der kleineren flüsse geprägt (Schuppan & Schuppan 1998). Tagebaue eine militärische Nutzung durch die Weichholzauenwälder wuchsen längs des Fluss- Volksarmee an. Daher reduzierten sich hier die laufes und im Bereich der Altarme. Hartholzauen Rekultivierungsmaßnahmen auf Aufforstungen schlossen sich an die Weichholzauen an. Unter zum Erosionsschutz. Größere Offenlandbereiche dem Namen „Goitzsche“ war ein etwa 700 ha gro- waren aufgrund der militärischen Nutzung er- ßer Wald in die Flurkarten eingetragen, der bis an wünscht. die Stadt Bitterfeld heranreichte. Dabei handelte Im Jahr 1991 wurde auch der Tagebau Goitzsche es sich um einen Auenwald, der sich auf einem außer Betrieb genommen und mit den bergbau- feuchten, nährstoffreichen und fast ebenen Ge- lichen Sicherungsmaßnahmen begonnen. Das lände ausbreitete. Der Baumbestand setzte sich Abpumpen des Grundwassers im Bereich des aus Eichen, Eschen, Hainbuchen, verschiedenen Tagebaus Goitzsche und der Holzweißiger Rest- Ahornarten und Erlen zusammen. Letztere wa- löcher wurde 1998 eingestellt. Bis zu diesem Zeit- ren besonders entlang der Gräben und in den punkt konnten sich in den Restlöchern nur klein- vorhandenen Niederungen zu finden. In höher flächige, meist flache Gewässer ausbilden. gelegenen Bereichen, dort wo der Wald den Ab- Die nachbergbaulichen Sanierungsmaßnahmen hang des südlichen Talrands emporstieg, hatte sind inzwischen abgeschlossen. Zwischen den die Forstverwaltung Kiefern angepflanzt. Diese vollständig gefluteten Holzweißiger Restseen Bereiche waren mit Birken durchsetzt. Der Begriff (Neuhauser See, Ludwigsee, Paupitzscher See, „Goitzsche“ soll auf flämische oder slawische Ur- Zöckeritzer See) und dem Großen Goitzsche See sprünge zurückgehen und „Gottes Aue“ bedeuten (Niemegker See, Bernsteinsee) wurde im Jahre (Schuppan & Schuppan 1998). 2006 ein Gewässerverbund hergestellt. Einen Die ersten kleinflächigen Kohleaufschlüsse im überregionalen Bekanntheitsgrad hat das Gebiet Bitterfelder Raum fanden bereits um 1680 statt. durch die im Rahmen der Expo 2000 durchge- Der erste größere Aufschluss, Grube Auguste führten künstlerischen Aktionen, durch die Ereig- (1837) im Bereich des heutigen Ludwigsees im nisse während der Flutkatastrophe im Sommer Südwesten der Goitzsche, umfasste damals ledig- 2002 und durch das Wildnisprojekt des BUND e.V. lich ca. 6 ha. Die Abgrabungen folgten dem Braun- erlangt. kohleflöz von West nach Ost. Der Aufschluss des Im Rahmen ökologischer Forschungen in der ersten Großtagebaus (Grube Leopold) und damit Braukohlefolgelandschaft Bitterfeld (u. a. Bug- der großflächige Abbau der Braunkohle begann ner 1995, Herbst et al. 1998, Tischew et al. 1999, im Jahr 1908. Es schlossen sich weitere Tagebau- Scharapenko 2000, Benkwitz 2001) sowie der aufschlüsse im Bereich Holzweißig an, aus denen naturschutzfachlichen Begleitung der Sanie- u. a. die heutigen Restseen Ludwigsee, Zöckerit- rungsplanung durch das Büro Lederer (Lmbv zer See und Paupitzscher See resultieren. 1948/49 1999) kristallisierten sich einzelne naturschutz- wurde der sogenannte Tagebau Goitzsche aufge- fachlich wertvolle Teilgebiete heraus. Diese Flä- schlossen. Dieser Tagebau erstreckte sich groß- chen zu erwerben hatte sich der BUND im Jahr flächig in der Muldeaue. Zur Freimachung des 2000 als Ziel gesetzt. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ersten Kohlefeldes mussten die Bäche Lober und sind etwa 1.000 ha auf sachsen-anhaltischer Seite Leine in einen neuen, gemeinsamen Kanal ver- sowie weitere 300 ha in Sachsen erworben wor- legt und der Mulde zugeführt werden. Im Zuge den. Im Rahmen eines von der Deutschen Bun- der Erschließung des dritten Baufeldes im Jahr desstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projektes 1976 wurde die Mulde selbst verlegt und durch hat der BUND in Kooperation mit dem Professor den ausgekohlten Tagebau Muldenstein geführt. Hellriegel Institut e.V. an der Hochschule Anhalt Somit entstand der Muldestausee, der als gelun- ein Konzept zum Umgang mit den Flächen erar- genes Rekultivierungsprojekt der DDR-Zeit gilt. beitet.

27 Tab. 1: Verteilung der Hauptlebensraumtypen in den untersuchten Gebietskomplexen.

Fläche Gewässer Offenland Wald Bezeichnung Kerngebiet ha ha % ha % ha % Feuchtwald und Tonhalde 264 205 77,6 18 6,8 41 15,6 Tagesanlagen 93 16 17 63 68 14 15 Baufeld IIa 166 14 8 149 90 3 2 Paupitzscher See 178 80 44,7 35 19,8 63 35,5 Ludwigsee 177 84 48 51 29 41 23 Petersroda 109 14 13 88 80 8 7 Rehtränke 42 15 36 8 19 19 45 Summe in ha, gesamt 1029 428 412 189

In den Jahren 2005 bis 2007 entstand in einem 4.1 Untersuchungsgebiet weiteren Forschungsprojekt des Professor Hell- riegel Instituts e.V. in Zusammenarbeit mit dem Das Untersuchungsgebiet wird von Restlochseen, BUND und der BUNDstiftung, gefördert durch Vorwäldern sowie Offenlandbiotopen eingenom- die DBU, ein Freiwilligenkonzept. Dieses um- men. Die Biotoptypen des Offenlands bestehen fasst die ehrenamtliche Flächen- und Besucher- überwiegend aus mesophilen Gras- und Krautfluren betreuung sowie ein Artmonitoring ausgewähl- sowie xerophilen Silbergras-Pionierfluren. Schwer- ter Indikatorarten/-gruppen im Wildnisgebiet. punktmäßig sind sie in den Bereichen Petersroda, Dieses Konzept wird seither umgesetzt und um- Baufeld IIa und Teilen der Tagesanlagen zu finden. fasst unter anderem die Erfassung von Libellen, In den Gebietskomplexen Tonhalde/Feuchtwald, Heuschrecken, Tagfaltern, Amphibien und Vögeln Ludwigsee und Halde haben sich größere Pionier- sowie botanische Dauerbeobachtungsflächen. wälder entwickelt. Laubholzforstbestände finden Die Flächen des BUND Sachsen-Anhalt wurden sich lokal vermehrt am Paupitzscher See und an der 2007 an die BUNDstiftung übergeben, die säch- Rehtränke/Zöckeritzer See. Im Gebiet des Paupitz- sischen BUND-Goitzscheflächen folgten 2008. Die scher Sees und auf einem Streifen im Gebiet Tro- BUNDstiftung hat eine halbe Personalstelle für ckenrasen Petersroda sind Nadelholzforste vorhan- die Erledigung fachlicher und eigentümerseitiger den. Die einzigen Vorkommen von Eichen-Hain- Verpflichtungen zur Verfügung. buchen-Wäldern finden sich im Tagebaukomplex ausschließlich auf den gewachsenen Böden der Ta- 4 Die Libellenfauna der Braunkohlefol- gesanlagen und des Bärenhofes. Weitere große Teil- gelandschaft im Gebiet der Goitzsche- bereiche des Untersuchungsgebiets werden durch Wildnis unter Berücksichtigung der den Biotoptyp Restlochsee bestimmt. Gewässersukzession Aufgrund des erhöhten Grundwasserspiegels so- wie des Einstellens des Endwasserspiegels in den Die Gruppe der Libellen erscheint besonders geeig- Restlöchern kam bzw. kommt es im direkten Ein- net, die in den letzten Jahren durch den schnellen flussbereich des Wassers zu Absterbeprozessen Grundwasseranstieg einsetzende Veränderung von Sukzessionswäldern sowie einigen Forsten. der Gewässer in der Goitzsche zu dokumentieren. Dadurch wird das Landschaftsbild besonders im Daher wurden in den Jahren 2004 und 2005 die Bereich der Uferlinie an den Restlochseen sowie Libellen in der Goitzsche-Wildnis erfasst. Außer- in Flachwassergebieten von abgestorbenen Bäu- dem soll im Rahmen dieser Arbeit die Einordnung men geprägt. Verstärkt traten diese Absterbee- einiger Arten in den Verlauf der Gewässersukzes- reignisse im Feuchtwald und in der Rehtränke/ sion in der Braunkohlefolgelandschaft während Zöckeritzer See auf. und nach der Flutung in der Goitzsche diskutiert Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über den Land- werden. schaftscharakter der beprobten Gebietskomplexe

28 Anzahl der Untersuchungsflächen mit Artnachweisen dunkelblau = sicher bodenständig RL RL RL Art blau = wahrscheinlich bodenständig D ST SN hellblau = Imaginalnachweis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Enallagma cyathigerum Libellula quadrimaculata Orthetrum cancellatum Ischnura elegans Sympetrum striolatum D Sympetrum vulgatum Anax parthenope G V Lestes sponsa Sympecma fusca 3 Anax imperator Coenagrion puella Sympetrum sanguineum Ischnura pumilio 3 2 Sympetrum danae Aeshna mixta Libellula depressa Lestes virens 2 2 3 Erythromma najas V V Pyrrhosoma nymphula Platycnemis pennipes Brachytron pratense 3 V Cordulia aenea V V V Lestes viridis Coenagrion pulchellum 3 V 2 Orthetrum coerulescens 2 2 3 Aeshna cyanea Aeshna isoceles 2 3 Sympetrum flaveolum 3 3 Erythromma viridulum 3 Aeshna grandis V Calopteryx splendens V V Sympetrum fonscolombii D Crocothemis erythraea Aeshna affinis D 3 D Lestes dryas 3 3 3 Somatochlora flavomaculata 2 3 2 Orthetrum brunneum 3 1 G Somatochlora metallica

Leg.: RL D = Rote Liste Deutschland (Ott & Piper 1998); RL ST = Rote Liste Sachsen-Anhalt (Müller & Steglich 2004); RL SN = Rote Liste Sachsen (Günther, Olias & Brockhaus 2006); Gefährdungskategorien: 1 = Vom Aussterben be- droht; 2 = Stark gefährdet; 3 = Gefährdet; G = Gefährdung anzunehmen, aber Status unbekannt; D = Daten defizitär; V = Arten der Vorwarnliste; Artname unterstrichen = Nachweis nur für ST erbracht.

Abb. 1: Libellenarten mit Angaben zur Bodenständigkeit und zum Rote Liste Status (die Reihenfolge entspricht der Stetigkeit).

29 der BUNDstiftung mit Stand Sommer 2005, ver- Aufgrund der länderübergreifenden Kartierung ändert nach Richter et al. (2005) wieder. wurden zur Bewertung die Rote Liste der Libel- len in Sachsen-Anhalt (Müller & Steglich 2004) 4.2 Methodik und die Rote Liste der Libellen in Sachsen (Gün- ther et al. 2006) herangezogen. Wie Abbildung 1 Im Untersuchungsgebiet, welches eine Gesamt- zeigt, sind mit den 38 nachgewiesenen Arten 58% fläche von gut 1.300 ha umfasst, wurden insge- der in Sachsen-Anhalt vorkommenden Libellen- samt 13 Probeflächen ausgewählt. Die Probefläche Arten (64 Arten nach Müller 2004 + Crocothemis am Ludwigsee (Lw) konnte nur im Jahr 2005 un- erythraea Heidecke & Lindemann 2004) in der tersucht werden, da der See vorher aus bergrech- Goitzsche erfasst worden. tlichen Gründen gesperrt war. Alle Probeflächen Von den 29 bodenständigen Arten sind vier in der wurden etwa gleich groß ausgewählt, so dass sie Roten Liste Sachsen-Anhalt in der Kategorie 2 oder ca. 100 m lang und 20 m breit waren. Sie wurden 3 eingestuft, drei weitere Arten befinden sich auf dabei der Uferlinie angepasst. Die Probeflächen der Vorwarnliste und bei einer Art sind die Daten reichten ca. je 10 m auf das Gewässer und an defizitär. Von den insgesamt 38 im Gebiet nachge- Land. Ausnahmen bildeten die Probeflächen P4, wiesenen Arten befinden sich acht Arten in den Bf1 und Bf2. Dort umfassten die Probeflächen zum Kategorien 1 bis 3 der Roten Liste Sachsen-Anhalt Grossteil das vorhandene Gewässer mit anschlie- und insgesamt fünf auf der Vorwarnliste, bei ei- ßenden Landbereichen. ner weiteren Art sind die Daten defizitär. abb 2 karte Die Flächen wurden in einem Turnus von ca. drei Damit konnten im Gebiet 25% der in den Gefähr- Wochen begangen, wobei die Beprobung nur dungskategorien geführten Arten des Landes bei optimalem Wetter stattfand. Das bedeutet, Sachsen-Anhalt nachgewiesen werden. 12,5% dass die Flächen an sonnigen, windstillen und der bodenständigen Arten sind in der Roten Li- warmen Tagen aufgesucht wurden, um ein Ma- ste Sachsen-Anhalt (Müller & Steglich 2004) ximum an aktiven Individuen vorzufinden. Die in den Gefährdungskategorien geführt. Auf den Kartierungen begannen in jedem Jahr im April sächsischen Untersuchungsflächen wurden ins- und endeten im August/September. Im Jahr gesamt 18 Arten nachgewiesen, von denen eine 2004 wurde verstärkt auf Exuvien geachtet. Im in der Gefährdungskategorie 2 der sächsischen Jahr 2005 wurden die Exuvien nur als Beifunde Roten Liste (Günther et al. 2006) geführt wird, registriert. Zur Feststellung der Artzugehörig- weitere zwei Arten sind darin in der Vorwarnliste keit der Individuen wurden Exemplare mit Hil- geführt. Insgesamt konnten somit rund 26% der fe eines Insektenkeschers gefangen sowie mit in Sachsen nachgewiesenen Arten auf den säch- einem 10 x 28 Fernglas beobachtet. Die Exuvien sischen Probeflächen festgestellt werden. wurden mit Hilfe eines Euromex Binoculares In der Roten Liste Deutschlands (Ott & Piper mit einer 10 bis 40 fachen Vergrößerung deter- 1998) werden 11 der im Gesamtgebiet nachgewie- miniert. Von allen Arten wurden Belegfotos an- senen Arten in den Gefährdungskategorien 2 und gefertigt oder/und diese über Exuvien oder Be- 3 geführt, acht sind davon im Gebiet bodenstän- legexemplare dokumentiert. Im Rahmen der Ge- dig. Vier weitere im Gebiet vorkommende Arten ländearbeit wurden so auf den 13 Probeflächen werden in der Vorwarnliste und je eine in den in den Jahren 2004 und 2005 ca. 2.250 Exuvien Kategorien Gefährdung anzunehmen und Daten und über 9.000 Individuen (ergeben sich aus defizitär geführt. den Minimalanzahlen der Häufigkeitsklassen) Aus der Abbildung 1 geht auch hervor, dass En- kartiert und ausgewertet. allagma cyathigerum auf allen Untersuchungs- flächen bodenständig und Orthetrum cancel- 4.3 Ergebnisse der Libellenerfassungen in latum auf allen Probeflächen wahrscheinlich den Jahren 2004 und 2005 bodenständig ist. Daraus lässt sich ableiten, dass die zwei erwähnten Arten hochstet im Gebiet In den beiden Untersuchungsjahren konnten auf sind und voraussichtlich wenig Aussagewert den 13 ausgewählten Probeflächen insgesamt 38 bezüglich des Gewässerzustands haben. Auch Arten nachgewiesen werden, davon waren 29 Ar- Huth (2000) stuft diese Arten als hochstet in ten sicher bodenständig. den Braunkohlefolgelandschaften des Landes

30 Abb. ??: Lage der Probeflächen im Untersuchungsgebiet (Luftbild LMBV)

Abb.2: Lage der Probeflächen im Untersuchuchsgebiet (Luftbild LMBV).

Sachsen-Anhalt ein. Lestes sponsa und Anax im- mit 13 Arten (34% des Gesamtarteninventars) ver- perator waren auf allen Flächen aufzufinden. Es treten. Das sind rund 87% der von Huth (2004) als konnte aber nur auf 11 Flächen ein wahrschein- Besiedler der Frühstufe eingeordneten Arten. Auf licher Bodenständigkeitsnachweis erbracht wer- den Probeflächen konnten Lestes barbarus und den. Somit ist zu erwarten, dass auf zwei Unter- Sympetrum pedemontanum nicht nachgewiesen suchungsflächen artspezifische Parameter nicht werden. Die Vertreter der Übergangstufe waren gegeben waren. mit 5 Arten vertreten und damit mit 13% am Ge- samtarteninventar beteiligt. Die 5 Arten entspre- chen 100% der von Huth (2004) als Besiedler der 4.4 Verteilung der Besiedlungstypen in Übergangstufe eingestuften Arten. der Goitzsche Es konnten weiterhin neun Arten der Altersstufe im Untersuchungsgebiet festgestellt werden. Das Bei der Darstellung der Verteilung der Besied- entspricht 24% des Gesamtarteninventars und lungstypen in Hinblick auf ihre Einordnung in 69% der von Huth (2004) in die Gruppe der Alter- die Sukzession wurde auf die Einordnung der Ar- stufe eingeordneten Arten. ten von Huth (2004) zurückgegriffen. Die Abbil- Somit stellen die Arten der Initial- und Frühstufe dung 3 zeigt, dass auf den Untersuchungsflächen die deutliche Mehrheit der im Gebiet nachgewie- 10 Arten der Initialstufe nachgewiesen werden sen Arten. Die Arten aus der Initial-, Früh- und konnten, das entspricht 26% des Gesamtartenin- Übergangstufe sind fast vollständig vertreten. ventars und 100% der von Huth (2004) als Initial- Das vermehrte Fehlen von Arten aus der Alterstu- besiedler eingestuften Arten. fe lässt sich vermutlich über das Fehlen entspre- Die Besiedler der Frühstufe sind in der Goitzsche chender Habitatsstrukturen erklären.

31 !RT !RTEN !RTEN !RTEN  !RTEN     !RTEN 

!RTEN  !RTEN  !RTEN !RTEN   )NITIALSTUFE )NITIALSTUFE &R~HSTUFE &R~HSTUFE eBERGANGSSTUFE eBERGANGSSTUFE !LTERSTUFE !LTERSTUFE NICHTEINGESTUFT NICHTEINGESTUFT

Abb. 3: Verteilung der nachgewiesenen Libellen- Abb. 4: Verteilung der nachgewiesenen boden- arten in der Goitzsche nach Besiedlungstypen ständigen Libellenarten in der Goitzsche nach - Zuordnung der Arten in Initial-, Früh-, Über- Besiedlungstypen - Zuordnung der Arten in Initi- gangs- und Altersstufe nach Huth (2004). al-, Früh-, Übergangs- und Altersstufe nach Huth (2004).

Bei einer ausschließlichen Betrachtung der bo- an Libellen nach Huth (2004) zum Großteil deut- denständigen Arten war mit einer Verschiebung lich älter eingestuft worden als nach Beurteilung der Besiedlungstypen zugunsten der frühen Suk- der Vegetation (vgl. Tab.2). So können acht Flä- zessionsstufen zu rechnen, da die untersuchten chen in die Frühstufe und fünf in die Alterstufe Gewässer von ihrem Alter und ihrer Vegetations- eingestuft werden, während die Übergangsstufe ausstattung her zumeist in diese Sukzessionsstu- vollständig fehlt. Über die Beurteilung der Vege- fen einzuordnen sind. tationsstrukturen konnten drei Probeflächen in Die Vermutung, dass bei den bodenständigen Ar- die Initialstufe, neun in die Frühstufe und eine in ten noch stärker die Besiedler der frühen Sukzes- die Übergangstufe eingeteilt werden. Somit be- sionsstadien dominieren, trifft nicht im erwar- stehen nur auf fünf Flächen Übereinstimmungen teten Maße zu, denn die prozentuale Verteilung in der Beurteilung der Sukzessionsstufe anhand zwischen den Arten der Initial-, Früh- und Über- der Libellen und der Vegetation. Dabei handelt es gangstufe ist weitestgehend gleich. sich um die Flächen, die von Flachwasserzonen Eine Änderung gibt es aber bei den Arten der geprägt waren und keine Bäume das Landschafts- Alterstufe. Dort konnten vier Arten (Orthetrum bild mitbestimmten. brunneum, Sympetrum fonscolombii, Aeshna affi- Da Libellen in entscheidendem Maße auf die nis und Lestes dryas) weniger nachgewiesen wer- Vegetationsausprägung an den Gewässern an- den. Somit können die Arten der Alterstufe 17% gewiesen sind (Huth 2007), ist vermutlich der des Gesamtarteninventars stellen. Bei den Imagi- Fehler in der Einteilung der Libellenarten nach nalnachweisen waren es noch 24% des Gesamtar- Sukzessionsstufen der Gewässer zu suchen. teninventars. Es konnten fünf bodenständige Arten der Alters- stufe und fünf Arten der Übergangsstufe an den 4.5 Klassifizierung der Arten mit Habitat- untersuchten Gewässern der Goitzsche gefunden ansprüchen und Besiedlungszeitpunkt werden, die sich erst in der Initialstufe oder Früh- im Verlauf der Gewässersukzession stufe befinden. Aufgrund dieser Situation müs- sen sich also besondere Habitatstrukturen auf Die Gewässer der Goitzsche sind unter Bezug- den Flächen finden lassen, die sie für diese Arten nahme auf die Beurteilung des Arteninventars attraktiv machen und eine Entwicklung ermög-

32 Schlupfhabitat und wurde nur vereinzelt an im Gewässer stehenden abgestorbenen Gehölzen ge- funden. Das Vorkommen von Lestes viridis in der Frühstufe lässt sich auch mit den durch die Flu- tung im und am Gewässer befindlichen (zum Teil schon abgestorbenen) Weichhölzern in direkten Zusammenhang bringen. Bei einigen Arten konnten aufgrund sehr weni- ger Reproduktionsnachweise zum Teil nur Ten- denzen festgestellt oder keine Einstufung der Art im Gebiet vorgenommen werden. Bei zwei Arten der Initialstufe (Ischnura pumilio und Libellula depressa) war festzustellen, dass sie zwar im Ge- biet vorkamen, jedoch keine Gewässer, die sich in Flutung befinden, besiedeln. Abb. 5: Frühe Heidelibelle, Sympetrum fonscolom- In Tabelle 3 sind die Einstufungen zusammenge- bii. Fundort: Vernässungsfläche Petersroda bei fasst dargestellt. Die Einstufungen in die Über- Bitterfeld, 06.09.2005. Foto: F. Heidecke. gangstufe sind derzeit nicht sicher belegbar, da nur eine Untersuchungsfläche im Gebiet vorhan- den ist. Auf die Einschätzung der Arten aus der Al- tersstufe wurde verzichtet, da sich im Gebiet kei- ne entsprechende Untersuchungsfläche befindet. lichen und/oder ihre Einordnung als Arten der Übergangs- und Alterstufe muss speziell für die Goitzsche angezweifelt werden. Auffällig für die Goitzsche ist eine Zunahme der Arten der Initial- und Frühstufe. Diese Erschei- nung lässt sich vermutlich damit erklären, dass im Vorfeld der Flutung schon an den Ufern und Tab. 2: Einteilung der einzelnen Probeflächen in Böschungskanten eine Sukzession auf den tro- der Gewässersukzession anhand der nachgewie- ckenen Standorten stattgefunden hat. Mit Auf- senen Libellen und nach der Vegetationsausprä- gang des Wassers finden sich somit schon senk- gung rechte Strukturen im und am Gewässer, die zum Teil über Jahre einigen Arten als Ersatzstrukturen Probe- Einstufung in ein Einstufung in ein für gewässertypische Pflanzen wie z.B. Röhrichte, fläche Sukzessions- Sukzessionsstadium Tauchblattpflanzen, Unterwasserrasen und Ufer- stadium nach der Vegeta- gehölze (z.B. Weiden) dienen. nach Huth (2004) tionsausprägung Somit entsteht im Gebiet derzeit eine Diskre- P1 Frühstufe Initialstufe panz zwischen dem realen Sukzessionsalter der P2 Frühstufe Initialstufe Gewässer und einigen durch die Flutung in und P3 Frühstufe Initialstufe an das Gewässer gebrachten Strukturen, die zum Tr1 Frühstufe Frühstufe Teil deutlich älteren Stadien der Landsukzession Tr2 Frühstufe Frühstufe entsprechen. Davon profitieren nach jetzigem Bf2 Frühstufe Frühstufe Kenntnisstand besonders Anax parthenope, Lestes Bf3 Frühstufe Frühstufe viridis und Platycnemis pennipes. A. parthenope Bf1 Frühstufe Frühstufe konnte bspw. nur auf den Flächen der Initialstu- Lw Altersstufe Frühstufe fe bodenständig nachgewiesen werden, wo sich Reh1 Altersstufe Frühstufe Gehölze im Gewässer befanden. Auf den Untersu- Reh2 Altersstufe Frühstufe chungsflächen der Frühstufe nutzte die Art nach Fw Altersstufe Frühstufe Auftreten von Großröhrichten diese vermehrt als P4 Altersstufe Übergangsstufe

33 Tab. 3: Derzeitige Einstufungen der Libellenarten für die Goitzsche-Wildnis

Initialstufe Frühstufe Übergangsstufe (Besiedlung neuer Gewässer im (Besiedlung nach 2 bis wenigen (Besiedlung nach einigen Jahren 1. Jahr) Jahren) i.d.R. > 5 – 10) Lestes sponsa Sympecma fusca Pyrrhosoma nymphula Ischnura elegans Lestes virens Brachytron pratense Ischnura pumilio Lestes viridis Aeshna cyanea Enallagma cyathigerum Platycnemis pennipes Sympetrum flaveolum Libellula depressa Coenagrion puella Anax imperator Erythromma najas Anax parthenope Erythromma viridulum Orthetrum coerulescens Gomphus vulgatisimus Orthetrum cancellatum Aeshna isoceles Sympetrum danae Aeshna mixta Sympetrum striolatum Cordulia aenea Sympetrum vulgatum Libellula quadrimaculata Sympetrum sanguineum

Leg.: rot = Arten mit besonderen Beschränkungen bei der Einstufung, blau = Tendenz nach derzeitigem Kenntnisstand

5 Zusammenfassung und Ausblick keitsklassen) kartiert und ausgewertet. Von den insgesamt 38 nachgewiesenen Arten sind 29 bo- Der vorliegende Artikel befasst sich mit dem denständig. Das entspricht 58% der in Sachsen- Goitzsche-Wildnisgebiet der BUNDstiftung und Anhalt nachgewiesenen Arten und 25% der in dessen Libellenfauna. Dabei handelt es sich um den Gefährdungskategorien geführten Arten der ein vergleichsweise großflächiges Prozessschutz- Roten Liste des Landes Sachsen-Anhalt (Müller gebiet in der Bergbaufolgelandschaft Goitzsche & Steglich 2004). bei Bitterfeld. Das untersuchte Gebiet, welches Eine Besonderheit der Goitzsche stellen die teil- in einem über 100 jährigem Braunkohleabbau- weise in den Restseen vorhandenen Ersatzstruk- prozesses entstand, befindet sich zwischen den turen aus abgestorbener Landvegetation dar. Di- Ortschaften Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) und De- ese scheinen die Besiedlung der Gewässer bereits litzsch (Sachsen) vornehmlich im Einzugsgebiet in früheren Gewässersukzessionsphasen durch der Mulde. Libellenarten zu ermöglichen, die in anderen Das Untersuchungsgebiet ist geprägt von ver- Bergbaufolgelandschaften erst in reiferen Ge- gleichsweise jungen und nährstoffarmen Kipp- wässern auftreten. substraten unterschiedlichster Korngrößen. Die Im Jahr 2006 wurde mit einem Libellen - Moni- untersuchten Gewässer teilten sich in große toring auf 16 Probeflächen begonnen, welches Restseen mit erreichtem Endwasserstand, große die 13 Probeflächen aus den vorgestellten Unter- Restseen, die sich in Flutung befinden und Flach- suchungen mit umfasst. Die Flächen werden im gewässerkomplexe auf. Die pH-Werte der Ge- 5-Jahresturnus in zwei aufeinander folgenden wässer sind sauer bis basisch. Die Probeflächen Jahren untersucht. Dieses Monitoring wird dazu konnten anhand ihrer Vegetationsausstattung beitragen, die weitere Besiedlung der Goitzsche- in drei Sukzessionsstufen eingeteilt werden. Drei Wildnisflächen der BUNDstiftung kontinuierlich Flächen befanden sich in der Initialstufe, neun in zu dokumentieren. der Frühstufe und eine in der Übergangsstufe der Gewässersukzession. Im Rahmen der Geländearbeit wurden auf den 13 Probeflächen in den Jahren 2004 und 2005 ca. 2.250 Exuvien und über 9.000 Individuen (erge- ben sich aus den Minimalanzahlen der Häufig-

34 Schuppan, U. & R. Schuppan (1998): Aus der Geschichte Literatur des Ortes Niemegk. Dessau. Tischew, S. et al. (1999): Untersuchungen der spontanen Benkwitz, S. (2001): Struktur und Artenzusammenset- Sukzession und zum Management naturschutzfach- zung von Pionier- und Altwaldbeständen im Braun- lich wertvoller Sukzessionsstadien. Teilprojektbe- kohlentagebau Goitsche am Beispiel der zukünftigen richt zum FBM-Projekt: Konzepte für die Erhaltung, „Goitsche-Inseln“. Unveröff. Dipl.-Arb., HS Anhalt. Gestaltung und Vernetzung wertvoller Biotope und Brockhaus, T. & U. Fischer (Hrsg.) (2005): Die Libellen- Sukzessionsflächen in ausgewählten Tagebausyste- fauna Sachsens. Natur & Text Rangsdorf. men. Bugner. J. (1995): Die Bedeutung unterschiedlicher Tischew, S. et al. (2004): Renaturierung nach dem Sukzessionsstadien von Gewässern und ufernahen Braunkohleabbau. Verlag B. G. Teubner. Wiesbaden. Bereichen sowie Feuchtgebieten des Tagebaus Goi- tsche als Lebensraum für die Avifauna. Dipl.-Arb., MLU Halle-Wittenberg. Günther, A., M. Olias & T. Brockhaus (2006): Rote Liste Anschrift des Verfassers: Libellen Sachsens, Materialien zu Naturschutz und Landschaftpflege Falko Heidecke Heidecke. F. & K. Lindemann (2004): Erster Reproduk- tionsnachweis von Crocothemis erythraea (Odonata: Sieverstorstraße 57 Libellulidae) in der Goitzsche bei Bitterfeld in Sach- 39106 Magdeburg sen-Anhalt im Jahre 2003. Naturw. Beitr. Mus. Des- [email protected] sau, 16, 49-62. Herbst, F. & E.-G. Mahn (1998): Modelluntersuchungen zur Gestaltung von Bergbaufolgelandschaften auf der Basis spontaner und gelenkter Sukzession unter Berücksichtigung von Aspekten des Naturschutzes am Beispiel des Braunkohletagebaus Goitzsche - un- veröff. Forschungsbericht, PG Deutsche Bundesstif- tung Umwelt. Huth, J. (2000): Libellen (Odonata) der Braunkohlen- Bergbaufolgelandschaften Sachsen-Anhalts. Muse- um für Naturkunde Magdeburg, Band 23. Magde- burg, 3-28. Huth, J. (2004): Libellen (Odonata). In: Tischew, S. et al. (2004): Renaturierung nach dem Braunkohleabbau. Verlag B. G. Teubner, Wiesbaden. Huth, J. (2007): Zur Libellenfauna der Braunkohlen- Bergbaufolgelandschaften Sachsen-Anhalts (Odo- nata). Entomologische Nachrichten und Berichte, 51, 11-122. LMBV (1999): Tagebau Goitzsche, naturschutzrelevante Flächen, naturschutzfachliche Begleitung der LMBV. Länderbereich Sachsen-Anhalt, Bitterfeld. Liehmann, G. (1998): Chronik des Braunkohlenbergbaus im Revier Bitterfeld. In: Bitterfelder Bergleute e.V. (Hrsg.), 7. Müller, J. & R. Steglich (2004): Rote Liste der Libellen des Landes Sachsen-Anhalt. Ber. Landesamt f. Um- weltschutz Sachsen-Anhalt 39, 212-216. Oekokart (1997): Fauna. In: Zwischenbericht zum FBM- Projekt: Konzepte für die Erhaltung, Gestaltung und Vernetzung wertvoller Biotope und Sukzessionsflä- chen in ausgewählten Tagebausystemen. Richter, K., H. Heidecke, H. Teubert & A. Kätzel (2005): Bergbaufolgelandschaften - Chancen zur Integration von Wildnisgebieten in die Kulturlandschaft am Bei- spiel der Goitzsche. Unveröff. Endbericht, Bernburg. Scharapenko, R. (2001): Laufkäfer (Carabidae) und Heuschrecken (Saltatoria) auf Sukzessionsflächen der Braunkohlenbergbau-Folgelandschaft Goitzsche. Unveröff. Dipl.-Arb. HS Anhalt.

35 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 45. Jahrgang • 2008 • Heft 2

Mitteilungen

Ehrungen

Rolf Paproth – 70 Jahre

Wenn über den Elbe-Biber im Elb-Havel-Winkel im Land Sachsen-Anhalt gesprochen wird, so ist dies nicht möglich ohne den Namen Rolf Paproth zu nennen. Dieser engagierte Natur- freund und -schützer leistete einen sehr wich- tigen Beitrag zur naturkundlichen Erforschung seiner Heimat. Sein 70. Geburtstag am 11.Oktober 2008 ist Anlass, diese Leistungen zu würdigen. Rolf Paproth wurde am 11.10.1938 geboren. Durch Otto Koch (1901-1987), den langjährigen Naturschutzbeauftragten im Landkreis Havelberg angeregt und angeleitet, beschäftigte er sich mit der Biber-Beobachtung und der Erfassung von Le- bensräumen für seltene und geschützte Tiere. So entstanden umfangreiche Dokumentationen, Fo- tos und Filme, die teilweise veröffentlicht wurden. Es blieb jedoch nicht bei Naturbeobachtungen, sondern Rolf Paproth setzte sich für den Schutz der Elbe-Biber und anderer gefährdeter Tiere und Arbeit mit Schülern und Jugendlichen auf den Ge- Pflanzen ein. Dazu war es notwendig, vor allem bieten des Natur- und Umweltschutzes bekannt. Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu leisten. So ist es vor allem auch sein Verdienst, dass die Auch Auseinandersetzungen mit uneinsichtigen jährlich geplanten und monatlich durchgeführ- Mitmenschen blieben nicht aus. ten thematischen Wanderungen und Naturbeob- Seit der Gründung der Schriftenreihe „Untere achtungen stets gut besucht sind. Viele Themen Havel – Naturkundliche Berichte“ (Havelberg/ handelt er selbst ab - wie die beliebten Biber- und Stendal) im Jahr 1992 ist er als Autor vieler inte- Kranichbeobachtungen oder die Exkursionen zu ressanter Beiträge und als Redaktionsmitglied den künstlichen Nisthilfen für Trauerseeschwal- an ihrer Entwicklung beteiligt gewesen. Auch im ben. Er nutzt jedoch auch die Möglichkeiten der Förderverein „Naturschutz im Elb-Havel-Winkel“ fachlichen Unterstützung durch Experten, wie e.V. (gegr. 1993) übernahm er als langjähriger Ge- etwa bei botanischen Wanderungen mit Herrn schäftsführer Verantwortung. Dr. Wolfgang Fischer. Und wer einmal einen Bei der Bevölkerung vor Ort ist der „Bibervater“ seiner interessanten DIA-Vorträge besucht hat, durch seine zahlreichen Exkursionen und seine kommt immer gern wieder, um sich an den groß-

36 artigen Naturaufnahmen und umfangreichen Nachtrag Informationen über die Natur und deren erfor- derlichen Schutz zu erfreuen. Bewundernswert Während der Drucklegung zu diesem Heft erhiel- ist seine Gabe, scheinbar trockene fachliche Fak- ten wir die traurige Nachricht, dass Rolf Paproth ten interessant und emotional zu vermitteln. kurz nach seinem 70. Geburtstag am 16.11.2008 Eine gute Zusammenarbeit mit der Lokalpresse verstorben ist. gewährleistet, dass die Leser rechtzeitig über die Für alle Naturfreunde der Region bedeutet dies ei- geplanten Maßnahmen informiert werden. Seine nen großen Verlust. Erst vor wenigen Tagen wur- Erkenntnisse über die heimatliche Natur hat er in den seine großen Verdienste im Kampf um die zahlreichen Zeitungsbeiträgen und Veröffentli- Erhaltung der Natur und Landschaft gewürdigt, chungen dokumentiert. indem er sich in das „Goldene Buch“ der Hanse- Wir gratulieren Rolf Paproth recht herzlich zu stadt Havelberg eintragen durfte. Rolf Paproth seinem 70. Geburtstag und wünschen ihm alles betrachtete dies als eine hohe Ehre. Gute, besonders Gesundheit und viel Kraft bei der Betreuung und Umsetzung noch vieler Natur- Wir werden seiner stets in Ehren gedenken und und Landschaftsschutz-Projekte im Elb-Havel- können sein Erbe am besten bewahren, indem Winkel. wir seine Erfolge achten, seine Ideen aufgreifen und Begonnenes in seinem Sinne vollenden. Dr. Lothar Täuscher & Bernd Heinze Rolf Paproth wird von vielen Naturfreunden im Elb-Havel-Winkel vermisst werden!

Dr. Lothar Täuscher & Bernd Heinze

37 Informationen

80 Jahre Schutz der Natur um Questenberg des Naturschutzes. In dieser Zeit standen vor- nehmlich Naturdenkmale, vorwiegend kleinflä- Christiane Funkel chige Objekte, im Interesse. Jedoch gab es auch schon Bestrebungen, ganze Landschaften nach Im Oktober 2007 fand im Biosphärenreservat dem Vorbild der amerikanischen Nationalparke „Karstlandschaft Südharz“ i. G. die erste Herbst- zu schützen. Bestes Beispiel dafür ist der Natur- tagung einer künftig jährlich geplanten Vortrags- schutzpark „Lüneburger Heide“, der von Her- reihe statt. Drei Jubiläen waren Anlass für eine mann Löns unterstützt wurde. Festveranstaltung: 650 Jahre Ersterwähnung der Die um 1900 entstandenen Wander- und Hei- Höhle Heimkehle, 80 Jahre Naturschutzgebiet matvereine zählen zu den Begründern des „Questenberg“ und 25 Jahre Karstwanderweg. Al- immer stärker werdenden Naturschutzes in lein diese drei Daten lassen erahnen, welch reiche Deutschland. Auch im Südharz wurde der Wert Natur und Landschaft im Südharz vorzufinden der einzigartigen Karstlandschaft erkannt. Der sind. Ein Natur- und Kulturerbe, das für nachfol- naturschutzfachliche Verein von Sangerhausen gende Generationen erhalten werden muss. erklärte 1880 das Schwiederschwender Plateau Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus einem und die Waldgründe des Nassethales in der Nähe Vortrag zur Geschichte des Naturschutzgebietes von Questenberg zum Ziel seines jährlichen Aus- „Questenberg“. fluges. Dieser Plan fand bei einigen Mitgliedern Naturschutz ist eine gesellschaftliche Zielstellung lebhaften Widerspruch aufgrund der Fremdheit und Bewegung der modernen Zeit. Dennoch sind des Nassethales, von dem bisher niemand etwas Bestrebungen, die Natur vor dem Menschen – aus gehört habe. Außerdem fehlen die Ausflugsgast- welchen Gründen auch immer – zu schützen, nicht stätten… So berichtete die Sangerhäuser Zeitung erst in der heutigen Gesellschaft anzutreffen (vgl. am 23.09.1880. Schmoll 2006). Der erste bisher bekannte akten- 1892 ist in selbiger Zeitung zu lesen, dass: kundige Erlass zum Schutz eines Naturgebildes „aufgrund mangelnden Erwerbs das liebliche stammt aus dem Jahr 1668. Rudolf August, Her- Dörflein Questenberg zum gewissen Grade auf zog zu Braunschweig und Lüneburg, ließ die Bau- den Aussterbe-Etat gestellt ist. Ackerbau kann in mannshöhle als ein „sonderbares Wunderwerk dem engen Tal wenig betrieben werden, derselbe der Natur“ unter Schutz stellen. Für die Teufels- mauer im nördlichen Harzvorland verhängte der Landrat Weyhe am 02. Juni 1833 ein Verbot des Steinebrechens – nur deshalb können wir heute noch dieses Naturphänomen bewundern! Auch der Brocken ist noch so naturbelassen, weil Fürst Christian Ernst Stolberg-Wernigerode den Schutz des Brockens vor einer exzessiven Bebau- ung verfügt hatte. Engagierten, weit blickenden Einzelpersonen ist es letztendlich zu verdanken, dass in den Vorzei- ten des amtlichen Naturschutzes wertvolle Na- turgebilde erhalten geblieben sind – so auch in Questenberg. Bereits im Jahr 1880 prägte Ernst Rudorff mit seinem Aufsatz „Über das Verhältnis des moder- Abb. 1: Schluchtwald im Nassetal. nen Lebens zur Natur“ maßgeblich den Begriff Foto: Andreas Buchwald.

38 erfordert viel Anstrengung. Zu den Waldarbeiten drängen sich immer mehr Einwohner benachbar- ter Ortschaften, der Bergbau ruht schon viele Jah- re. So bleibt den Bewohnern nur noch die Obsterei. Aber Kirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen werfen auch nicht mehr den Gewinn verflossener Jahre ab. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo die Thüringer Schweiz, wie Questenberger stolz ihre Heimat nen- nen, ein Sommer-Kurort wird. Ein Anfang dazu ist ja schon geschaffen.“ In allen Lexika und Reiseführern aus dieser Zeit findet sich Questenberg aufgrund seiner Lage und Naturschönheiten wieder, so auch im „Ta- gebuch für Reisende in den Harz“ von Friedrich Gottschalk aus dem Jahr 1833: Abb. 2: Luftaufnahme von Questenberg: Blick „1 Stunde von Roßla liegt in einem Thale in der nach Osten über das Auslaugungstal nach Hain- Mittagsseite des Harzes in der Grafschaft Stolberg rode, im Hintergrund die Halde von Sangerhau- dieses Dorf von 83 Häusern mit 470 Einwohnern sen. Foto: Stefan Ellermann. sehr romantisch umgeben von hohen, schroff ab- laufenden Kalkgebirgen. Die Kette von Gipsbergen, die sich von Leinungen über Hainrode, Questen- berg und Agnesdorf bis gegen Breitungen hinzieht, Waggon darf das Unternehmen auf 99 Jahre dem ist sehr romantisch und merkwürdig. Besonders Berge den Gipskalk entnehmen. Zum Abtransport ist sie es auf dem Wege von Questenberg nach Wi- soll eine Anschlussbahn an die Eisenbahn Halle- ckerode. Man geht da in einem Thale, von weißen Kassel in Bennungen gebaut werden. Man rech- Gipsfelsen gebildet, in welchem eine Menge Kalk- net mit 50 Waggons täglich, so dass der Gemeinde schlotten sich befinden. Worunter das Häckersloch, eine bedeutende Einnahme zufließen würde, dafür das kleine Kalte oder Eisloch und das große Kalte opfert sie aber die romantische Schönheit der Na- Loch, die bekanntesten und bemerkenswertesten tur und die wundervolle Ruhe des Tales, die schon sind. Außer mehreren Schlotten und Erdfällen manchem Erholungsbedürftigen zugute gekom- sind auch die schlottenartigen Risse und Spalten men ist. Auch die Queste auf dem Berge und das merkwürdig, die in großer Fuß- und zollbreite die allbekannte Questenfest dürfte mit der Zeit ver- Berge um Questenberg, besonders den Wasserberg schwinden, denn auch diese Felsen sollen geopfert durchziehen. Sie gehen selten ganz senkrecht, aber werden.“ meist so tief nieder, dass man sie nicht ergründen kann. Wahrscheinlich tragen sie zu den aus allen Höhlen dieser Berge strömenden kalten Zugwin- den bei. Auch Erdfälle, die unmittelbaren Begleiter der Kalkschlotten, finden sich in der Gegend um Questenberg, wobei der merkwürdigste der Bau- erngraben bei Breitungen ist.“ Ein Artikel im Amtlichen Blatt für die Grafschaft Stolberg-Roßla aus dem Jahre 1919 meldet fol- gendes: „Einem der schönsten Punkte im Südharz droht die Industrie ein Ende zu bereiten: Es ist geplant, die Gipsfelsen bei Questenberg abzubauen. Wie wir hören, hat sich ein Industrieunternehmen den Ab- bau des Gipskalkes des Questenberges durch einen Vertrag mit der Gemeinde Questenberg gesichert. Abb. 3: Questenberg im Jahr 1930. Gegen eine Entschädigung von 1,50 Mark für den Foto: privat.

39 Abb. 4: Herbstliche Farbenpracht. Abb. 5: Blick vom Armsberg auf Questenberg. Foto: Armin Hoch. Foto: Bernd Ohlendorf.

Hunderten von Arbeitern wird durch dieses Un- nach dem Kampfe, seit auch die Gemeinde nach ternehmen Lohn und Brot versprochen. In abseh- schlimmen Erfahrungen eingesehen hat, daß sie barer Zeit sollte das industrielle Großunterneh- besser fährt, wenn der altehrwürdige Questenberg men den Questenberg wirtschaftlich erschließen. unter Schutz des deutschen Volkes steht, in dessen Aber es kam anders. Mit der Polizeiverordnung Vorzeitgeschichte er zweifellos einen gewichtigen vom 11.11.1927, die am 14.Januar 1928 in Kraft trat, Platz einnimmt“ (Hahne 1928). wurde ein Naturschutzgebiet „Questenberg“ er- Den Bemühungen von natur- und heimatverbun- klärt. In der Literatur werden verschiedene Grün- denen Menschen haben wir es zu verdanken, dass de für die Unterschutzstellung angegeben. Zum dieses landschaftlich schöne und an Traditionen einen wegen des beabsichtigten Gipsabbaues, reiche Gebiet heute noch für uns erlebbar und zum anderen soll im Ort die Meinung verbreitet nutzbar ist. Es bietet Raum für die Erholung, für worden sein, dass das Gebiet wegen der Schild- die Wissenschaft, Kultur und natürlich für die Na- laus (Margarodes polonicus) unter Schutz gestellt tur – als Grundlage für alles andere. Die Nutzung wird. Deren zweites Larvenstadium wurde früher wurde in der Polizeiverordnung vom 11.11.1927 ge- zur Gewinnung eines roten Farbstoffes, genannt regelt: Johannisblut, gesammelt. Tagebuchaufzeichnungen belegen aber auch hier Polizeiverordnung über das Naturschutzge- in Questenberg, dass eine Einzelperson maßgeb- biet Questenberg vom 11.11.1927, Auszug: lich an der Rettung des Questenberges und der §3, (1) anderen Gipshänge beteiligt war. Frau Tölle-Herbich, Gastwirtin in Questenberg, „Das vorher bezeichnete Naturschutzgebiet ist beherbergte alljährlich einen Herrn Dr. Hahne, in seiner ursprünglichen Eigenart zu erhalten. der im Auftrag der Landesanstalt für Vorgeschich- Jede auf die Gewinnung von Bodenbestand- te archäologische Ausgrabungen durchführte. Bei teilen gerichtete Tätigkeit, wie die Vornahme von Sprengungen, Ausgrabungen, Mutungen, den allabendlichen Gesprächen kam die Rede bedürfen der Genehmigung des Regierungs- auch auf den drohenden Gipsabbau. Frau Tölle- präsidenten.“ Herbich bat ihren Gast um Hilfe und Unterstüt- zung. Auf dem Questenberg befand sich eine Vor- Der Preußische Minister für zeitsiedlung aus der Zeit um 500 v. Chr. Herr Dr. Wissenschaft, Kunst Hahne nutzte alle seine Möglichkeiten und nach Der Preußische Minister für Landwirtschaft, 8-jährigem Kampf wurde ein Naturschutzgebiet Volksbildung, Domänen und Forsten ausgewiesen: „Jetzt haben wir erst einmal Ruhe

40 Schienengleise, Starkstromleitungen und son- stige Betriebsanlagen herzustellen oder Werbe- zeichen, also Reklame aufzustellen, waren ohne Genehmigung des Regierungspräsidenten in Mer- seburg untersagt. Ordnungsgemäße Forstwirt- schaft nach Genehmigung durch die zuständige Forstbehörde war erlaubt; der Questenberg selber ist in seiner gegenwärtigen Gestalt unberührt zu erhalten. Jeder Eingriff in seine Oberfläche wurde verboten. Übertretungen wurden mit einer Geld- strafe bis 150 Reichsmark oder Haft geahndet. Interessant ist aus heutiger Sicht auch der Fakt, dass diese Polizeiverordnung von zwei Ministern erlassen wurde – entsprechend der Bedeutung dieses Naturschutzgebietes war das ein vorteil- haftes Vorgehen. Das Naturschutzgebiet war etwa 1,7 km2 groß und erstreckte sich im Wesentlichen auf das Nassetal mit seinen Bergflanken und einen mehr oder we- niger breiten Streifen der Hochflächen rechts und links des Tales. Nach der Unterschutzstellung setzte ein regel- rechter Wissenschaftlerandrang ein, zahlreiche Untersuchungen im NSG sind belegt. Aus der jün- geren Vergangenheit liegt beispielsweise die be- kannte Untersuchung des Geobotanikers Zeising Abb. 6: Zeichnung der Pflanzengesellschaften von aus den Jahren 1955/56 vor. Zeising. Auch heute ist das noch so - die Karstlandschaft ist und bleibt ein Mekka sowohl für Botaniker als auch für Zoologen und Geologen. Der Karst bietet mit seinen außergewöhnlichen Ober- · Polizeiverordnung vom 11.11.1927 mit 155 ha Flä- flächenformen Lebensräume, die anderenorts che, nicht existieren. Der gesamte Formenschatz der · Einstweilige Sicherstellung vom 20.12.1991 mit Gipskarstlandschaft ist in einer für Deutschland 3667 ha Fläche, bzw. für Europa einmaligen Fülle und Ausprä- · NSG-Ausweisung vom 26.06.1996 mit 3891 ha gung vorhanden. Dazu kommt ein Mosaik an Fläche. verschiedensten Lebensräumen: Streuobstwie- In die NSG-Ausweisung der Karstlandschaft um sen, Trocken- und Halbtrockenrasen, Feldgehölze, Questenberg wurden drei bis dahin selbständige, Schwermetallrasen, anmoorige Bereiche, Karst- kleinflächige Naturschutzgebiete eingebunden: buchenwälder, Schluchtwälder etc. Die hier zu findende Artenvielfalt sucht aufgrund der Viel- · Bauerngraben 65 ha falt an Lebensräumen ihresgleichen. · Questenberg 155 ha · Mooskammer 94 ha Nach 1990 führten diese große naturschutz- fachliche Bedeutung und erneut drohender Ge- Das Naturschutzgebiet „Gipskarstlandschaft steinsabbau zur einstweiligen Sicherstellung und Questenberg“ gehört nun zu den drei größten Unterschutzstellung eines größeren, weit über Naturschutzgebieten im Land Sachsen-Anhalt. den Questenberg hinausreichenden, Naturschutz- Vornehmliches Schutzziel ist die Erhaltung eines gebietes. Damit ergibt sich folgende Chronologie typischen Ausschnittes der Südharzlandschaft der Unterschutzstellung der Karstlandschaft um mit Gipsmassiven und Karsterscheinungen, Questenberg: Pflanzen- und Tiergesellschaften, naturnahen

41 Abb. 7: Farn- und moosreicher Karstbuchenwald. Abb. 8: Buchenwald mit Spaltensystem um Que- Foto: Bernd Ohlendorf. stenberg. Foto: Bernd Ohlendorf.

land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen so- wird wiederum deutlich, welche naturschutz- wie ihren Vernetzungen. fachliche Bedeutung die Karstlandschaft besitzt: Das Naturschutzgebiet ist zu ca. 2/3 von verschie- densten Waldgesellschaften bedeckt. Im Natur- · FFH0100LSA „Alter Stolberg und Heimkehle schutzgebiet liegen zwei Totalreservate, in denen im Südharz“ (88 ha) jegliche wirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen · FFH0101LSA „Buntsandstein- und Gipskarst- ist. Einmal die Uftrunger Seeberge, eine Natur- landschaft bei Questenberg im waldzelle nach Waldgesetz mit ca. 70 ha und eine Südharz“ (6012 ha) Fläche bei Questenberg mit knapp 12 ha. · FFH0108LSA „Gipskarstlandschaft Pölsfeld Nachfolgend aufgelistete Naturschutzgebiete flan- u. Breiter Fleck im Südharz“ kieren das Naturschutzgebiet „Gipskarstlandschaft (1722 ha) Questenberg“ und bilden somit den Kern des Bio- sphärenreservats „Karstlandschaft Südharz“ i. G: Mit 13 Lebensraumtypen nach Anhang I der FFH- Richtlinie nimmt das FFH-Gebiet „Buntsand- · NSG0135 „Alter Stolberg (Sachsen-Anhalt) und stein- und Gipskarstlandschaft bei Questenberg Grasburger Wiesen“ (VO 1995) 28 ha im Südharz“ einen der vorderen Plätze im Land · NSG0160 „Gipskarstlandschaft Heimkehle“ Sachsen-Anhalt ein. (VO 1995) 66 ha Fritz Wirth aus Wallhausen ahnte schon im Jahr · NSG0164 „Gipskarstlandschaft Pölsfeld“ 1928, dass die Einsamkeit Questenbergs enden (VO 1996) 859 ha wird, sei es aufgrund seiner Naturschönheiten oder wegen seiner kulturellen Wurzeln; in jedem Diese Naturschutzgebiete mit insgesamt 4844 ha Falle ist der Schutz der Natur nicht nur förderlich, Fläche decken die interessantesten Bereiche der sondern notwendig: Karstlandschaft von der Landesgrenze im Westen „Questenberg ist heute über die Grenzen der Heimat bis zum Zechsteinausstrich bei Pölsfeld nördlich hinaus noch ziemlich unbekannt, aber kommende von Sangerhausen ab. Zeiten werden seinen Namen künden und es um Nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie der EU sind seines wiedererwachenden Reichtums willen, des durch die Mitgliedsstaaten Natura 2000-Gebiete Wissens aus der Welt unserer Väter, als hochbedeut- zu melden, zu schützen und zu entwickeln, in de- sames Stück geretteter Vergangenheit würdigen.“ nen wertvolle Arten bzw. Lebensräume von euro- Es sollte uns doch gelingen, auch die letzten Zweif- päischem Interesse vorkommen. An der Größe der ler von der Notwendigkeit des Schutzes unserer im Südharz ausgewiesenen Natura 2000-Flächen Heimat für uns Menschen zu überzeugen.

42 Abb. 9: Typischer Karstbuchenwald um Questen- Abb. 10: Der Questenberger Roland mit Queste. berg. Foto: Bernd Ohlendorf. Foto: Bernd Ohlendorf.

Literatur: Anschrift der Autorin Ahr, H. (1975): Die Entwicklung des Naturschutzes im Kreis Sangerhausen. – Beiträge zur Heimatforschung: Christiane Funkel Spengler-Museum Sangerhausen. – Sangerhausen 4. – S. 47-52. Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt Hahne: Der Questenberg, ein Naturschutzgebiet. Nach- Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz i. G. richtenblatt für deutsche Vorzeit. 4. Jahrgang Heft Hallesche Straße 68a 3/4. 1928. Leipzig Verlag Curt Kabitzsch. 06536 Roßla Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt E-Mail: (Hrsg.) (1997): Die Naturschutzgebiete Sachsen-An- halts. – Jena; Stuttgart; Lübeck; Ulm: Fischer Verlag. [email protected] Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Die Natur- und Landschaftsschutzgebiete Sachsen-Anhalts - Ergänzungsband. – Halle 2003. Knapp, H. D. (1980): Geobotanische Studien an Wald- grenzstandorten des herzynischen Florengebietes. Teil 3. – In: Flora. – Jena 1692/3. – S. 177-215. Meusel, H. (1992): Reliktflora und naturnahe Laubwäl- der, unersetzliche Schätze der Gipskarstlandschaft am Südrand von Harz und Kyffhäuser. – In: Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt. – Halle 6. – S. 14-16. Schoenichen, W. (1935): Urdeutschland: Deutschlands Naturschutzgebiete in Wort und Bild. – 1. Bd: 7. Na- turschutzgebiete im Gipsgebirge. – Neudamm: Verl. I. Neumann 1. – S.298-312. Schmoll, F. (2006): Schönheit, Vielfalt, Eigenart. Die For- mierung des Naturschutzes um 1900, seine Leitbilder und ihre Geschichte. – In: Frohn, H.-W. und Schmoll, F (Hrsg.): Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006. – Naturschutz und Biolo- gische Vielfalt. – Bonn 35. – S. 13-84. Wirth, F. (1928): Die Queste und das Questenfest: Wa- rum Questenberg Naturschutzgebiet werden muss- te. – Der Harz. – Magdeburg. – S. 129-132. Zeising, R. (1957): Floristische und vegetationskundliche Übersicht des Naturschutzgebietes Questenberg. – Halle, Martin-Luther-Univ. – Staatsex.-Arbeit.

43 Status und Schutz der Nymphenfledermaus in Sachsen-Anhalt *

Bernd Ohlendorf

* Aus dem Arbeitskreis Fledermäuse Sachsen-An- halt e.V. und der Landesreferenzstelle für Fleder- mausschutz Sachsen-Anhalt im Biosphärenreser- vat „Karstlandschaft Südharz“ i. G.

Die Nymphenfledermaus Myotis alcathoe (von Helversen und Heller, 2001) wurde erstmals für Griechenland und Ungarn beschrieben (von Hel- versen et al.2001). 2005 gelang der erste Artnach- Abb. 2: Links Nymphenfledermaus Myotis alca- weis für Deutschland im Südwesten von Baden- thoe, rechts Kleine Bartfledermaus Myotis mysta- Württemberg (Brinkmann & Niermann 2007, cinus. Die Nymphenfledermaus hat sehr kleine Brinkmann et al. 2007). Am Südwesthang des Füße, hellere kürzere Ohren, eine kurze Schnauze Kyffhäusers, im thüringischen Gipskarst, wurde und ist wasserfledermausähnlich gefärbt. Foto: die Nymphenfledermaus 2006 durch Sauerbier Bernd Ohlendorf. et al. (2006) festgestellt. Über die Verbreitung der Art in Europa geben Niermann et al. (2007) und in Sachsen-Anhalt Ohlendorf & Funkel (2008) Auskunft. Die Art kommt von Spanien (Niermann gleichzusetzen und mit dieser sowie mit der et- et al. 2007) bis Rumänien (eigene Beobachtungen was größeren Großen Bartfledermaus Myotis 2008) vor. Die nördlichsten Beobachtungen der brandtii relativ leicht zu verwechseln. Vorkommen in Europa gelingen gegenwärtig am Die Nymphenfledermaus erinnert auch etwas Nordharzrand in Sachsen-Anhalt (Abb. 1). an eine zu kleine Wasserfledermaus Myotis dau- bentonii. Die Nymphenfledermaus fällt durch Artbeschreibung ihre sehr kleinen Füße, den kurzen Tragus, wel- Die Nymphenfledermaus ist eine der kleinsten cher den Ohrhinterrand nicht überragt und eine Myotis-Arten in Europa. Sie ist in der Größe der Wasserfledermaus ähnlichen Behaarung auf der Kleinen Bartfledermaus Myotis mystacinus (Abb. 2 und 3). Die Nymphenfledermaus besitzt keine schwarzbraunen Ohren, wie es von der Kleinen Bartfledermaus oder von juvenilen Groß- en Bartfledermäusen (Ohlendorf & Hecht 2001) bekannt ist. Bei Dietz et al. (2007) und bei Ohlendorf & Fun- kel (i. Dr.) werden die differenzialdiagnostischen Bestimmungsmerkmale der drei Bartfledermaus- arten Große BartfledermausMyotis brandtii, Klei- ne Bartfledermaus Myotis mystacinus und Nym- phenfledermaus Myotis alcathoe näher erläutert und insbesondere auf Schwierigkeiten bei der De- termination hingewiesen. In Tabelle 1 findet ein Vergleich der differenzialdiagnostischen Unter- arm-Längen und Gewichte der drei „Bartfleder- mausarten“ anhand der vorläufig ausgewerteten Daten aus dem Jahr 2007 statt. Die Bezahnung im Abb. 1: Nachweise der Nymphenfledermaus Myo- Ober- und Unterkiefer erinnert deutlich an das tis alcathoe in Sachsen-Anhalt (Stand 2008). Gebiss einer Großen Bartfledermaus. Der Cingu-

44 ausgeprägten Cingulum-Höcker aufweisen kön- nen, was zu Irritationen führen kann (Hackethal 1983, Ohlendorf & Funkel im Dr.). Die gewon- nenen Erkenntnisse stammen von Netzfängen aus dem Jahr 2007 (n = 90 Fangnächte) und 2008 (n = 88 Fangnächte). In diesen Fangnächten wur- den insgesamt 116 Nymphenfledermäuse in Sach- sen-Anhalt gefangen (Tab. 2).

Lebensraum Das Vorkommen der Nymphenfledermaus wur- de zunächst aus alten Laubwäldern mit Eichen Quercus spec. und Hainbuchen Carpinus betulus beschrieben (von Helversen 2004, Brinkmann Abb. 3: Links Nymphenfledermaus Myotis alca- & Niermann 2007, Dietz et al. 2007). Die Nach- thoe, rechts Kleine Bartfledermaus Myotis mysta- weise im Kyffhäuser (Sauerbier 2006) belegen, cinus. Die Kleine Bartfledermaus hat deutlich grö- dass die Art auch in Buchenwäldern Fagus sylve- ßere und dunklere Ohren. Foto: Bernd Ohlendorf. stris mit einem geringen Eichenanteil vorkommt. In Sachsen-Anhalt (Ohlendorf & Funkel 2008) und in Sachsen (Ohlendorf et al. 2008) lebt die Art in Laubmischwäldern aus Trauben-Eiche lum-Höcker am P3 ist ausgeprägt, jedoch nicht so Quercus petraea, Gemeiner Hainbuche Carpinus stark wie bei der Großen Bartfledermaus. Es sei betulus, Rot-Buche Fagus sylvatica, Winter-Linde darauf hingewiesen, dass ca. 50% aller Kleinen Tilia cordata, Hänge-Birke Betula pendula, Ge- Bartfledermäuse ebenfalls einen unterschiedlich meine Esche Fraxinus excelsior, Bergahorn Acer

Tab. 1: Unterarm- (UA) Länge in mm und Gewicht in Gramm der gefangenen „Bartfledermausarten“ 2007 in Sachsen-Anhalt. M = adulte Männchen, W = adulte Weibchen, juv = Juvenile, Mw. = Mittelwert

Myotis alcathoe UA Gew. n Sex Min. Max. Mw. Min. Max. Mw. 16 M 31,2 33,5 32,16 4 4,7 4,35 7 M juv 29,4 31,8 30,84 3,5 4,3 3,9 21 W 31,8 33,7 32,9 4,2 6,2 4,36 7 W juv 31,5 33,5 32,44 3,7 4,9 4,27

Myotis mystacinus UA Gew. n Sex Min. Max. Mw. Min. Max. Mw. 33 M 32,7 37,2 34,38 4 5,5 4,73 3 M juv 33,7 34,2 34,03 4,2 4,9 4,67 26 W 32,2 36,3 34,57 4,2 6,5 5,29 5 W juv 33,1 34,3 33,3 4,1 6,7 4,94

Myotis brandtii UA Gew. n Sex Min. Max. Mw. Min. Max. Mw. 62 M 33,5 37,9 35,36 4,6 8 6,27 4 M juv 33,1 36,3 34,95 4,6 5,9 5,35 64 W 32,3 37,2 35,68 4,6 8,5 6,07 4 W juv 34,5 37,3 36,03 5,4 6,1 5,65

45 Tab. 2: Ergebnisse aus 178 Fangnächten auf der Suche nach der Nymphenfledermaus Myotis alcathoe in Sachsen-Anhalt 2007 und 2008. Darstellung der Häufigkeit der gefangenen Fledermausarten und deren Stellung in den Anhängen der FFH-Richtlinie und Roten Liste Sachsen-Anhalt.

n Expl. n Expl. Sum- Art/wissenschaftlicher Name % FFH-Anhang RL-LSA 2007 2008 me Kleinhufeisennase Rhinolophus hipposideros 0 1 1 0 II 1 Mopsfledermaus Barbastella barbastellus 53 118 171 5 II 1 Mausohr Myotis myotis 64 148 212 6 II 1 Bechsteinfledermaus Myotis bechsteinii 54 116 170 5 II 1 Teichfledermaus Myotis dasycneme 1 1 2 0 II R Nymphenfledermaus Myotis alcathoe 51 65 116 3 II Empfehlung 1 Empfehlung Kleine Bartfledermaus Myotis mystacinus 68 70 138 4 IV 1 Große Bartfledermaus Myotis brandtii 134 236 370 10 IV 2 Wasserfledermaus Myotis daubentonii 190 542 732 20 IV 3 Fransenfledermaus Myotis nattereri 168 338 506 14 IV 2 Abendsegler Nyctalus noctula 30 91 121 3 IV 3 Kleinabendsegler Nyctalus leisleri 80 173 253 7 IV 2 Braunes Langohr Plecotus auritus 90 69 159 4 IV 2 Graues Langohr Plecotus austriacus 10 6 16 0,5 IV 2 Nordfledermaus Eptesicus nilssonii 30 20 50 1,5 IV 2 Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus 13 25 38 1 IV 2 Rauhhautfledermaus Pipistrellus nathusii 6 148 154 4 IV 2 Zwergfledermaus Pipistrellus pipistrellus 78 234 312 9 IV 2 Mückenfledermaus Pipistrellus pygmaeus 8 71 79 2 IV 2 Empfehlung Zweifarbfledermaus Vespertilio murinus 0 1 1 0 IV R Alpenfledermaus Hypsugo savii 0 0 0 0 IV D - Irrgast 1128 2473 3601 100

pseudoplatanus, Schwarz-Erle Alnus glutinosa Eichen, am Stamm und in Seitenästen, meist in sowie in Nachbarschaft von Streuobstwiesen mit Höhen zwischen 10 bis 19 m (Lucˇan et al. 2008) Süßkirschen Prunus avium, Zwetschge Prunus do- ermittelt werden. Nach den bisherigen Beobach- mestica, Birne Pyrus communis und Äpfeln Malus tungen hat die Nymphenfledermaus ihren Le- domestica. bensraum im dichten Geäst der Laubwaldkronen Bei Netzfängen wurden vom Autor zwischen (Ohlendorf & Funkel 2008). 2007 und 2008 in Sachsen-Anhalt 116 Individuen Die Nymphenfledermaus bildet kleine Gesell- gefangen, weitere in Sachsen und Rumänien. schaftsverbände, die aus wenigen Individuen be- Hierbei konnte beobachtet werden, dass die Art stehen (Dietz et al. 2007). überwiegend sehr hoch fliegt. Die Nymphenfle- Meist wurden in Sachsen-Anhalt Nymphenfleder- dermaus wurde meist in den oberen Taschen der mäuse über Quellen, Bächen, Tümpeln, Teichen Puppenhaarnetze, in 3,5 bis 5 m Höhe, gefangen. und besonders über großen Wildschweinsuhlen Durch Telemetriestudien in Sachsen-Anhalt wur- kurz nach der Dämmerung gefangen (Ohlendorf den Baumquartiere in Eichen, so in einer toten et. al 2008). Sie jagen oft als erste Fledermausart Eiche in 6,5 m Höhe hinter Borke, in 10,5 m Höhe im Wald tief über kleinen Gewässern, weichen je- in einer Buntspechthöhle und in ca. 15 m Höhe in doch meist nach dem häufigeren Erscheinen von einem ausladenden Kronenast einer Eiche hin- Zwergfledermaus Pipistrellus pipistrellus, Großer ter Borke nachgewiesen. In Baden-Württemberg Bartfledermaus Myotis brandtii, Kleiner Bartfle- (Brinkmann & Niermann 2007) konnte ein dermaus Myotis mystacinus, Mopsfledermaus Quartier in ca. 12 m Höhe im Seitenast einer Ei- Barbastella barbastellus, Bechsteinfledermaus che und in Tschechien mehrere Baumquartiere in Myotis bechsteinii und FransenfledermausMyotis

46 reichen von laubwaldbestockten Steilhanglagen, so im Bodetal bei Neuwerk und im Nassetal bei Questenberg, erfolgreich parallel zum Hang ge- stellt (siehe Abb. 4). Die Fledermäuse jagen in den 1 Baumkronen, welche mit dem Oberhang Kontakt haben, wo sie dann u. U. gefangen werden kön- nen.

Status in Sachsen-Anhalt 2 Die Nymphenfledermaus wurde überwiegend in kollinen und kontinental getönten Lagen des Süd- harzes, im Biosphärenreservat "Karstlandschaft Südharz" i. G., im Nordharz bei Blankenburg im Birkental und bei Ballenstedt im Siebersteinstal, am Hornburger Sattel im NSG „Othaler Wald“, im 3 Ziegelrodaer Forst, am Rand der Querfurter Platte im NSG „Müchelner Holz“, in der Finne bei Ma- rienthal und im Zeitzer Forst nachgewiesen. Im Flechtinger Höhenzug und in der Dübener Heide konnte die Art bislang nicht gefunden werden. Die höchst gelegenen Nachweise gelangen in at- lantisch getönten Lagen im Graubachtal bei Stol- berg (Harz) in 435 m ü. NN und im Mittelharz im Bodetal bei Rübeland in 440 m ü. NN am Krock- Abb. 4: Schematischer Schnitt vom oberen Hang stein und am Weißen Stahlberg. In allen o. g. am Armsberg im Tal der Nasse mit Netzfangplatz Gebieten stocken noch alte Laubwaldbaumbe- im NSG „Gipskarstlandschaft Questenberg“. stände. Roter Strich: Netzstandort im oberen Steilhang Reproduktionsnachweise erfolgten 2007 außer- auf Höhe der Baumkronen. dem im NSG „Othaler Wald“ und im Ziegelrodaer Forst (Ohlendorf & Funkel 2008) sowie 2008 im 1 Jäger im Freiraum über und um Bäume, z.B. Birkenthal bei Blankenburg und im Schöntal bei Kleinabendsegler und Abendsegler Wettelrode im Biosphärenreservat "Karstland- 2 Jäger im Kronenraum der Bäume, z.B. Nym- schaft Südharz" i. G.. Weitere Reproduktionsnach- phenfledermaus und Bechsteinfledermaus weise werden u. a. bei Marienthal (Finne), bei Bad 3 Felswinter- und Schwärmquartier Hangabriss- Kösen im Saubachtal, bei Rottleberode im Thyra- spalte für Mopsfledermaus, Mausohr, Bechstein- tal und bei Questenberg im Nassetal erwartet. fledermaus, Kleine Bartfledermaus, Große Bart- Bislang gibt es keinen Hinweis darauf, dass die fledermaus, Wasserfledermaus, Fransenfleder- Nymphenfledermaus in Felsquartieren überwin- maus, Braunes Langohr und Graues Langohr. tert. Ihre Lebensweise ist vergleichbar mit der des Kleinabendseglers Nyctalus leisleri, welcher als typische Waldfledermausart gilt und keine Felsquartiere aufsucht. Im Devonkalk-Karst bei nattereri in die Höhe der Baumkronen aus. In der Rübeland wurden Nymphenfledermäuse am zweiten Nachthälfte kann die Nymphenfleder- 10.08.2008 im Bodetalsteilhang vor großen Fel- maus u. U. wieder an die Gewässer zurückkehren, seingängen gefangen: am Krockstein ein adultes wenn die o. g. Arten um Mitternacht eine Jagdru- Männchen, vor der Pinge „Weißer Stahlberg“ ein he einlegen. Bis in eine Entfernung von 550 m adultes und ein juveniles Männchen sowie ein von Gewässern wurden Nymphenfledermäuse in laktierendes Weibchen. Im Sulfat-Karst bei Que- Sachsen-Anhalt gefangen. stenberg, auf dem Armsberg im Nassetal, in der Auf der Suche nach geeigneten Fangmethoden Nähe von horizontalen Hangabrissspalten, wur- wurden Puppenhaarnetze in den oberen Be- den am 10.08.2008 zwei juvenile und ein adultes

47 ablösungen als Habitat Grundvoraussetzung. In diesen Wäldern befinden sich Bäume in der Al- ters- und Zerfallsphase. Sie sind durch Spechte, Fäulnis und Blitzschlag baumhöhlenreich. Repro- duktionsquartiere für die Nymphenfledermaus, Kleine und Große Bartfledermaus sowie Mops- fledermaus werden hinter sich lösenden Borken gebildet. Derartige Quartiere befinden sich in abgestorbenen sowie im Absterben begriffenen Bäumen vom Stammfuß bis in die Kronen mit ih- ren Seitenästen. Voraussetzung für die Erhaltung der Fledermausarten, insbesondere für Arten der Abb. 5: Typischer Nymphenfledermaus-Lebens- FFH-Richtlinie, Anhänge II und IV, ist es daher, raum, alte Laubmischwälder mit Trauben-Eichen, dass auf dem Wege des Prozessschutzes alte Wäl- Rotbuchen und Hainbuchen, Armsberg, NSG der als deren Jagdlebensräume, Reproduktions- „Gipskarstlandschaft Questenberg“. und Überwinterungsquartiere erhalten bleiben. Foto: Bernd Ohlendorf. In stark bewirtschafteten Laubwäldern lassen es dagegen die Zielstammdurchmesser nicht zu, dass Bäume ein hohes Alter erreichen. Wirtschaftlich geringwertige Bäume, z.B. mit Baumhöhlen und Männchen sowie am 10.09.2008 ein juveniles Fäulnis, werden zu Hackschnitzeln verwertet. Die Männchen der Nymphenfledermaus gefangen. Wälder verlieren an ökologischem Wert für ihre Die vorhandenen Beobachtungen können bisher Bewohner und verarmen (Trommer 2008; Klaus keinem Schwärmverhalten anderer Fledermaus- 2008). arten, die in Felsquartieren überwintern, zuge- Auch für Fledermäuse bieten intensiv bewirt- ordnet werden. Schwärmquartiere sind immer schaftete Laubwälder nur einen stark einge- wieder von Fledermausarten aufgesuchte Lokali- schränkten Lebensraum. täten, an denen soziale Kommunikation, Paarung, Damit die Artendiversität und die Erhaltungsziele Erkunden von Winterquartieren und die Weiter- der FFH-Arten gewährleistet werden können, sollte gabe von Informationen an Jungtiere erfolgen. daher bei der Neuausweisung von Naturschutzge- Wo und wie die Nymphenfledermaus schwärmt, bieten ein Mindestanteil an stehendem Altholz in ist bislang nicht bekannt. Die Beobachtungen im Altholzinseln bzw. die Einrichtung von Totalreser- August und September 2008 in den mittleren bis vaten oder Naturwaldzellen gesichert werden. oberen Hanghälften im Bode- und im Nassetal In Sachsen-Anhalt konzentriert sich der Bestand deuten auf ein Jagdverhalten oberhalb der kalten der Nymphenfledermaus nach derzeitigem Luftschichten in den Tälern hin. Ähnliche Beo- Kenntnisstand auf ca. 5 bis 8 % der Gesamtfläche. bachtungen gelangen beim Kleinabendsegler im Mit stabilen Populationen der Nymphenfleder- Bodetal (Ohlendorf 1983). maus kann in den großen Naturschutzgebieten Bodetal und Selketal gerechnet werden. Weitere Schutz Vorkommen werden insbesondere in vereinzelt Die Nymphenfledermaus kann als eine Indika- liegenden alten Laubwaldinseln erwartet (Oh- torart für alte Laubmischwälder mit besonders lendorf & Funkel 2008). hohen Anteilen an Eichen und Hainbuchen an- Mit der geplanten Erklärung des Biosphärenre- gesehen werden. In diesen Wäldern leben meist servats „Karstlandschaft Südharz“ werden Kern- auch Mopsfledermaus Barbastella barbastellus, zonen auf ca. 900 ha entsprechend der UNESCO- Bechsteinfledermaus Myotis bechsteinii, Maus- Kriterien eingerichtet. Allein mit diesem Groß- ohr Myotis myotis, Fransenfledermaus Myotis schutzgebiet wären dann ca. 40 % des Bestandes nattereri, Kleine Bartfledermaus, Große Bartfle- der Nymphenfledermaus in Sachsen-Anhalt lang- dermaus und Kleinabendsegler. Für die typischen fristig gesichert. Natürlich hätte das auch positive Waldfledermausarten sind alt- und totholzreiche Auswirkungen auf andere Fledermausarten und Wälder mit zahlreichen Baumhöhlen und Borken­ Artengruppen.

48 European bat species. Abstracts of the XIth European Bat Research Symposium, 94. 18 -22 August, Cluj-Na- poca, Romania. Niermann, I., Biedermann, M., Bogdanowicz, W., Brinkmann, R., Le Bris, Y., Ciechanowski, M., Di- etz, C., Dietz, I., Estók, P., von Helversen , O., le Houédec, A.,Paksuz, S., Petrov,B.P., Ökzan, B., Pik- sa, K., Rachwald, A., Roue, S.E., Sachanowicz, K., Schorcht, W., Tereba, A. & Mayer, F. (2007): Biogeog- raphy of the recently described Myotis alcathoe von Helversen and Heller 2001. Acta Chioropterologica, 9 (2) 361-378. Ohlendorf, B. (1983): Weitere Funde vom Kleinen Abendsegler, Nyctalus leisleri (Kuhl,1818), am nörd- lichen Harzrand sowie zur Biologie, zum Geschlechts- Abb. 6: Jagdlebensraum der Nymphenfledermaus dimorphismus und zur Verbreitung der Art im Harz. im Schönbachtal, Wettelrode, NSG „Gipskarst- Nyctalus (N.F.) 1: 531-536. landschaft Questenberg“. Foto: Bernd Ohlendorf. Ohlendorf, B. & Hecht, B. (2001): Zur Einstufung des Al- ters der Großen Bartfledermaus (Myotis brandtii) in Sachsen-Anhalt. Nyctalus (N. F.) 7, 504-516. Ohlendorf, B., & Funkel, C. (2008): Zum Vorkommen der Nymphenfledermaus, Myotis alcathoe von Hel- Konsens unter den Bearbeitern der Nymphenfle- versen & Heller, 2001, in Sachsen-Anhalt. Teil 1 Vor- dermaus in Deutschland ist, die Art sowohl bei kommen und Verbreitung (Stand 2007). Nyctalus (N. F.) 13, H 2-3, 99 -114. der IUCN, in der Roten Liste der Bundesrepublik Ohlendorf, B., Francke, R., Meisel, F., Schmidt, S., Woi- Deutschland und in der Roten Liste Sachsen-An- ton, A. & Hinkel, A. (2008): Nachweise der Nym- halt in die Kategorie „vom Aussterben bedroht“ phenfledermaus Myotis alcathoe in Sachsen. Nycta- einzustufen. Es wird empfohlen, die Nymphen- lus (N. F.) 13, H 2-3, 115-119. fledermaus in den Anhang II der FFH-Richtlinie Ohlendorf, B. & Funkel, C. (i. Dr.): Zur Determination und Biometrie der Nymphenfledermaus Myotis al- aufzunehmen. cathoe (Helversen und Heller, 2001) in Sachsen- Anhalt, Teil 2 (Stand 2008). Nyctalus (N. F.) Literatur Sauerbier, W., Schorcht, W. & Hörning, L. (2006): Er- stentdeckung der Nymphenfledermaus (Myotis alca- Brinkmann, R. & Niermann, I. (2007): Erste Untersu- thoe) in Mitteldeutschland. Beitr. z. Kyffhäuserland- chungen zum Status und zur Lebensraumnutzung schaft. Veröffentlichung des Regionalmuseums Bad der Nymphenfledermaus (Myotis alcathoe) am süd- Frankenhausen. 20, 58-60. lichen Oberrhein (Baden-Württemberg). Mitt. ba- Trommer, G. (2008): Das Glück ist hin! Holzernte trübt dischen Landesverein f. Naturkd. u. Naturschutz, 20 die Freude am Wald. Nationalpark 140, H 2, 32- 36. (1): 197-210. Dietz, C. & Helversen von, O., & Nill, D. (2007): Hand- buch der Fledermäuse Europas und Nordwestafrikas. 399 pp, Kosmos. Anschrift des Autors Hackethal, H. (1982): Zur Merkmalsvariabilität mittel- europäischer Bartfledermäuse. Nyctalus (N.F.), 1, 393- Bernd Ohlendorf 410. Landesreferenzstelle für Fledermausschutz Sach- Von Helversen. O., Heller, K.-G., Mayer, F., Nemeth, A., sen-Anhalt im Biosphärenreservat „Karstland- Volleth, M. & Gombköto, P. (2001): Cryptic mamma- lian species: a new species of Whiskered Bat (Myotis schaft Südharz i.G.“ alcathoe n. sp.) in Europe. Naturwissenschaften 88, Hallesche Straße 68 a · 06536 Roßla 217-223. E-Mail: Von Helversen. O. (2004): Myotis alcathoe – Nymphen- [email protected] fledermaus. In: F. Krapp (Hrsg.): Handbuch der Säu- getiere Europas, 4-II: 1159-1167, Aula-Verlag. Klaus, S. (2008): Schlecht geht es dem Buntspecht! Laub- Arbeitskreis Fledermäuse Sachsen-Anhalt e.V. wälder in Thüringen und in Sachsen unter wachsen- Zechental 1 · 06547 Stolberg (Harz) dem Nutzungsdruck. Nationalpark 140, H 2, 40-43. Lucˇan, R. K., Reiter, A., Horàcˇeck, I., Neckàrˇoyà, J., Ben- da, P., & Hulava: P. (2008): First Data on ecology of Al- cathoe Bat (Myotis alcathoe) – on of the least known

49 Kreuzotterbeobachtung im Klippengebiet am Ottofels bei Wernigerode

Helmut Feix und Otfried Wüstemann

Nach Meyer & Buschendorf (2004) gilt die Kreuzotter mit 70 Funddaten in den Jahren 1990 bis 2000 als die seltenste Schlangenart in Sach- sen-Anhalt. Als relativ kälteresistente Art, die auch Gebiete mit höheren Temperaturschwan- kungen toleriert, ist die Kreuzotter im Harz ab 300 m ü. NN zu finden (Meyer et al. 2004). Ob- wohl 67,2 % der aktuellen Kreuzotternachweise aus dem Land Sachsen-Anhalt den Harz betreffen, sind die Kenntnisse über das Vorkommen und die Stetigkeit der Kreuzotter im Harz noch sehr lü- ckenhaft. Lediglich bei Buschendorf (1984), Gaß- mann (1984), Illig (1984), Ortlieb (1984), Knolle & Buschendorf (1992), Schiemenz & Günter Abb. 1: Kreuzotter beim Sonnenbad auf einem Gra- (1994), Meyer (1997) und Meyer et al. (2004) fin- nitstein in mitten einer schmelzenden Schneeflä- den sich neuere Hinweise zur Verbreitung der Art che (Beobachtungstag: 17.04.1988). Foto: Helmut im Harz. Feix. Langzeitbeobachtungen an Kreuzotterpopula- tionen des Harzes gehören dabei eher zu den Ausnahmen. Soweit bekannt, konnte lediglich Westermann (1996) am Nordharzrand zwischen Trotz gezielter Nachsuche konnten die folgenden Thale, Stecklenberg und Friedrichsbrunn in einer Kreuzotternachweise nicht wie bei Wester- Höhenlage von 405 m ü. NN Kreuzottern über 5 mann (1996) jährlich wiederkehrend, sondern Jahre in ihrem Frühjahrshabitat auf einem be- nur sporadisch in größeren Abständen erbracht sonnten Waldweg beobachten. Die Mortalitäts- werden. Was darauf hinweisen könnte, dass der rate lag bei dieser Population lediglich bei 12 %, Lebensraum hier vielfältiger strukturiert ist und was auf eine relativ hohe Lebenserwartung von es wahrscheinlich deshalb zu keinen hohen Kon- Einzeltieren schließen lässt. Die Untersuchungen zentrationen an bestimmten Punkten kommt. ergaben außerdem eine gewisse Ortstreue der Am 14.06.1983 gelang Helmut Feix erstmals ein Tiere. Sichtnachweis einer ausgewachsenen Kreuzot- Das über 25 Jahre erfasste Gebiet im ehemaligen ter im Bereich der Eschwegestraße. An gleicher Landkreis Wernigerode befindet sich westlich Stelle fanden Werner Illig und Helmut Feix am der Stadt Wernigerode im Bereich des Ottofel- 22.06.1983 ein Natternhemd von ca. 80 cm Länge. sens, angrenzend an den Nationalpark Harz. Es Die nächsten Nachweise aus dem Beobachtungs- umfasst eine Fläche von rund 150 ha und liegt gebiet erfolgten erst wieder im Jahr 1988. Am 16. in einer Höhe von ca. 600 m ü. NN. Das Gebiet und 17.04.1988 gelang Helmut Feix die Beobach- ist geprägt durch großflächige Fichtenbestände tung von jeweils einer sich sonnenden Kreuzotter verschiedener Altersstufen mit einem geringen östlich der Eschwegestraße. Es handelte sich auf- Anteil an Nebenbaumarten (z. B. Birke, Eber-­ grund der unterschiedlichen Zeichnung und Far- esche). Die für das Kreuzottervorkommen wich- be um zwei verschiedene Tiere. Erstaunlich war, tigen Strukturen ergeben sich aus dem hohen dass sich eine der Kreuzottern, die vermutlich in Anteil an verstreut im Gebiet liegenden, zum einem alten Fichtenstubben überwintert hatte, Teil freistehenden Granitklippen, sowie meh- auf einem Granitstein inmitten einer schmel- reren mehr oder weniger offenen Moorflächen. zenden Schneefläche sonnte (siehe Abb. 1). Außerdem gibt es im Beobachtungsgebiet auf- Am 09.10.1994 wurde auf der Eschwegestraße gelassene Steinbrüche. eine tote Kreuzotter gefunden (Belegexemplar

50 befindet sich in der Sammlung des NP „Harz“). Im Wahrscheinlich reicht dieses Vorkommen aktuell gleichen Umfeld wurde ab 03.07.1999 mehrfach auch bis in das westlich der Eschwegestraße ge- eine Kreuzotter beim Sonnen beobachtet. Eben- legene Gebiet des Nationalparks Harz hinein. Zur falls im Jahr 1999 berichteten Forstarbeiter von Bestätigung dieser Vermutung ist aber eine syste- der Sichtung mehrerer Kreuzottern bei Durch- matische Nachsuche notwendig. forstungsarbeiten am „Gebohrter Stein“ (mar- kanter Granitfels). Michael Hartung und Bernd Literatur Lochau (persönliche Mitteilung) beobachteten am 29.04.2000 auf der Forststraße zwischen Berg- Buschendorf J. (1984): Kriechtiere und Lurche des Be- wacht und Ottofels eine ausgewachsene Kreuzot- zirkes Halle. – Naturschutzarbeit Bez. Halle und Mag- deburg 21: 29-56. ter beim Sonnenbad. Am 10.05.2000 berichtete der Gaßmann F. H. (1984): Lurche und Kriechtiere des Be- Mitarbeiter der Wernigeröder Bergwacht Erich zirkes Magdeburg. – Naturschutzarbeit Bez. Halle Geodecke von einem kleinen Jungen, der in der und Magdeburg 21: 29-56. Nähe der Bergwachtstation von einer Kreuzotter Illig, W. (1984): Kreuzottern im Harz ? Der Harz – Eine gebissen wurde und von der Bergwachtstation Landschaft stellt sich vor, H. 11/12: 63-64. Knolle, F. & J. Buschendorf (1992): Zur Situation der nach Wernigerode in das Kreiskrankenhaus ge- Kriechtiere (Reptilia) am und im Harz. – Mittei- bracht werden musste. Im Bereich des Granitfel- lungen des Naturwissenschaftlichen Vereins Goslar sens „Gebohrter Stein“ konnte im Juli 2002 und 3: 131-169. dann erst wieder am 09.05.2008 jeweils eine Meyer F. (1997): Kriechtiere (Reptilia). In: LANDESAMT Kreuzotter beim Sonnenbad beobachtet werden. FÜR UMWLTSCHUTZ (Hrsg.): Arten- und Biotop- schutzprogramm Sachsen-Anhalt – Landschaftsraum Nach Auswertung des Bildmaterials handelte es Harz. – Berichte des Landesamtes für Umweltschutz sich dabei um zwei verschiedene Tiere. Sachsen-Anhalt., Sonderheft 4/97: 229-232. Kathrin Baumann findet am 28.09.2008 am Meyer, F. , J. Buschendorf, U. Zuppke, F. Braumann, westlichen Wegrand der Eschwegestraße in Höhe M. Schädler & W. R. Grosse (2004): Die Lurche und der Hohensteinklippen eine juvenile Kreutzotter, Kriechtiere Sachsen-Anhalts – Bielefeld (Laurenti Verlag), 239 S. die auf den Versuch sie von dort zu vertreiben Ortlieb, R. (1984): Zum Vorkommen der Kreuzotter (Vi- sehr aggressiv reagiert. pera berus) und Glattnatter (Coronella austriaca) im Auch gezielte Nachfragen bei Personen, die in Südharz. Naturschutzarbeit Bez. Halle Magdeburg diesem Bereich länger tätig waren, ergaben, dass 21/1: II-IV. im Beobachtungsgebiet mehrmals Kreuzottern Schiemenz H. & R. Günther (1994): Verbreitungsatlas der Amphibien und Reptilien Ostdeutschlands (Ge- gesehen wurden. So teilte Revierförster Siegfried biet der ehemaligen DDR). – Rangsdorf . (Natur & Haake mit, dass in den 60er Jahren bei Auffor- Text) stungsarbeiten 6 Kreuzottern gefunden wurden. Westermann, A. (1996): Ergebnisse fünfjähriger Beo- Jochen Gräßner (Ehemaliger Hüttenwart) be- bachtungen an einem Frühjahrsquartier der Kreuz- richtet von mehrmaligen Beobachtungen der otter – Vipera berus im Harz. – Abhandlungen und Berichte des Museums Heineanum 3: 81 – 92 Kreuzotter im Bereich des Karlshauses. Arbeiter aus dem Steinbruch am kleinen Birkenkopf mel- deten ebenfalls Kreuzotterfunde. Der langjährige Anschrift der Autoren Kreisnaturschutzbeauftragte des Landkreises Wernigerode Achim Groß fand Anfang der 80er Helmut Feix Jahre bei einem Kontrollgang an der Zeterklip- Karlstraße 3 · 38855 Wernigerode pe in einer Höhenlage von ca. 900 m ü. NN das Natternhemd einer Kreuzotter. Bei diesem Fund- Otfried Wüstemann punkt dürfte es sich um den höchstgelegenen be- Nationalpark Harz kannten Kreuzotterfundpunkt im Harz handeln. Nationalparkverwaltung Wenn man die Unübersichtlichkeit des Geländes Lindenallee 35 · 38855 Wernigerode und die heimliche Lebensweise der Kreuzotter E-Mail: in Betracht zieht, so zeigen diese langjährigen [email protected] Beobachtungen, dass in dem von Granitklippen durchsetzten Gebiet um den Ottofelsen von einer stabilen Kreuzotterpopulation auszugehen ist.

51 Der Wolf in Sachsen-Anhalt? Gleichwohl war den Beteiligten eine hinreichend Konsequenzen aus der Meldung eines bei sichere Diagnose nicht möglich. Auch konnte Nedlitz gerissenen Schafes. nicht mehr vollständig rekonstruiert werden, auf welche Weise der mutmaßliche Wolf die Elektro- Andreas Rößler & Martin Trost Umzäunung überwunden hat. Nach dem Ortstermin wurde das Schaf in einer Im September 2008 wurde bei Nedlitz (Landkreis Garage in Schweinitz gelagert und am 12. 09. 2009 Anhalt-Bitterfeld) ein Schaf gerissen. Umgehend durch die Autoren dort eingehender untersucht. wurde der Verdacht geäußert, dass der Riss auf Die Bissspuren in der Halsregion wurden äu- einen Wolf zurückzuführen sei. Aufgrund des ßerlich beurteilt sowie auch vermessen. Weitere großen Interesses der Öffentlichkeit und der ab- Bissspuren wurden nach Abziehen des Fells am sehbaren Konsequenzen für die Naturschutzar- Körper des Tieres gefunden. Kopf und Hals (Trä- beit sollen die Umstände an dieser Stelle genauer ger) wurden abgetrennt und in das Zoologische dargestellt werden. Institut der Martin-Luther-Universität verbracht, wo noch am gleichen Tag eine nochmalige Beur- Sachstand teilung durch Dr. D. Heidecke erfolgte. Am 10. 09. 2008 gegen 08.30 Uhr wurden das Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammen- Veterinär- und Naturschutzamt des Landkreises fassen: Das Schaf wurde durch Drosselbiss ge- Anhalt-Bitterfeld von dem Revierkommissari- tötet. Dabei wurde vermutlich einmal „nachge- at Zerbst über einen „mysteriösen“ Schafriss bei fasst“. Typischerweise war dieser Drosselbiss ver- Nedlitz informiert. Tatort war eine ca. 1,5 km süd- gleichsweise unblutig. Entsprechend äußerlich westlich von Nedlitz gelegene Nachtweidefläche. wenig auffällig waren die Halsverletzungen. Der Bei dem toten Tier handelte es sich um ein Mut- Abstand der Einbissstellen der Eckzähne (Canini) terschaf der Rasse „Schwarzköpfiges Fleischschaf“ betrug ca. 4,5 cm. Diese Merkmale, insbesondere von ca. 80 kg Lebendgewicht. Der Elektrozaun war der Drosselbiss und der große Fleischverbrauch, auf ca. 12 m Länge umgeknickt, Wasserbehältnisse entsprechen den typischen Merkmalen eines lagen ungeordnet im Gelände und die Herde war Wolfsrisses. Gleichwohl kann nicht völlig aus- bereits auf der Tagesweide. Spuren, die einen geschlossen werden, dass ein großer wildernder eindeutigen Hinweis auf den Verursacher zuge- Hund das Schaf gerissen hat. Die letztendlich in lassen hätten, konnten auf Grund der Höhe der der Pressemitteilung des Naturschutzamtes des Vegetationsdecke nicht ausgemacht werden. Die Landkreises Anhalt-Bitterfeld getroffene Ein- Bauchdecke des gerissenen Schafes war geöffnet schätzung, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit und große Teile der hinteren Extremitäten waren ein Wolf für den Riss verantwortlich ist, beruhte abgefressen. Der Pansen war unbeschädigt. außerdem auf den im folgenden genannten wei- Der Schäfer hatte am Vorabend die Herde mit teren Erwägungen. Trinkwasser versorgt und im durch einen elek- trischen Weidezaun gesicherten Nachtpferch · Sichtung eines (vermutlichen) Wolfes durch gegattert. Gegen 20.00 Uhr hatte er die Herde den betroffenen Schäfer. verlassen. Da der Elektrozaun bespannt war, be- · Bei Rosian wurde ein Schaf auf ähnliche Wei- fanden sich keine Hütehunde bei der Herde. Am se gerissen. Leider wurde dies seinerzeit vom nächsten Morgen gegen 08.00 Uhr fand der Schä- Schäfer nicht weiterverfolgt, so dass keine ein- fer das verendete Schaf ca. 25 m außerhalb des gehende Prüfung stattfinden konnte. Nachtpferches und verständigte telefonisch das · Es gibt gut begründete Verdachtsmeldungen Revierkommissariat in Zerbst. Darauf hin wurde von Wolfsvorkommen in der Annaburger und die Lokalität durch die Polizei und Mitarbeiter der Colbitz-Letzlinger Heide (Beobachtungen des Naturschutzamtes sowie der Veterinärbe- durch Bundesforstmitarbeiter). Weiterhin wur- hörde besichtigt. Der Verdacht auf einen Wolf als den mutmaßliche Wolfssichtungen aus der Verursacher war naheliegend. Rücksprachen mit Altengrabower Heide bekannt. den Spezialisten des in der Lausitzer Wolfsregion · Befragungen von Jägern der Region ergaben, tätigen Büros LUPUS bestätigten aufgrund der dass keine Beobachtungen wildernder Hunde Beschreibung die Möglichkeit eines Wolfsrisses. vorliegen.

52 Zusammenfassend kann eingeschätzt werden, lung und Rudelbildung erfolgt ist, zunächst auf dass die Anwesenheit einzelner Wölfe in Sach- ehrenamtliche Spezialisten gesetzt werden. Einen sen-Anhalt, eventuell auch nur zeitweise, in ho- ersten Schritt zur Klärung der aktuellen Bestands- hem Maße wahrscheinlich ist und dass der Riss situation stellt eine vom LAU zu vergebende Stu- bei Nedlitz diese Einschätzung bestärkt, auch die zur Sammlung und Auswertung sämtlicher wenn er keinen zweifelsfreien Beweis darstellt. Beobachtungen und Hinweise auf Wölfe dar, die Ein wirklich sicherer Wolfsnachweis steht bislang im Jahr 2009 abgeschlossen werden soll. Gewiss- (November 2008) noch aus. heit über das Vorkommen von Wölfen ist nicht Das Bekanntwerden des Risses führte zu einer nur aus naturschutzfachlicher Sicht wünschens- deutlichen Sensibilisierung der Öffentlichkeit. wert, sondern wird von der Öffentlichkeit und Seitdem werden bereits zunehmend Beobach- verschiedenen Verbänden eingefordert werden. tungen mitgeteilt, die jedoch soweit möglich ve- Juristische und haushaltstechnische Fragen bzgl. rifiziert werden müssen. Bedauerlich sind einige der Förderung von Präventionsmaßnahmen der Falschaussagen in der Presse, z.B. zum Thema Tierhalter sowie des Ausgleichs von Schäden für Entschädigungszahlungen, sowie die z. T. über ein Halter gerissener Nutztiere sind zu klären. Aus rationales Maß hinausgehende Dramatisierung Sicht bislang betroffener Bundesländer ist eine der Gegebenheiten, die unterschwellige Ängste länderübergreifend einheitliche Verfahrenswei- und gegenüber dem Wolf negative Einstellungen se bei unterstützenden Maßnahmen erforderlich. verstärken. Die Reaktion in der Presse, die bislang Vor diesem Hintergrund wird auch in Sachsen- stark durch die Meinungen von Tierhaltern, Jä- Anhalt ein Zuschuss zu präventiven Maßnahmen gern und deren Verbänden dominiert wird, zeigt, durch Nutzung geeigneter Förderinstrumente an- dass ein sachlich zurückhaltender Umgang mit gestrebt. Eine Regelung zum Ausgleich der durch der Thematik dringend geboten ist. Wölfe verursachten Schäden an Nutztieren ist zu- gesagt und wird im MLU vorbereitet. Konsequenzen Die behördlichen Wege für eine schnelle, objek- Bereits im April 2009 fand im MLU in Magdeburg tive und fachlich einwandfreie Begutachtung von eine erste Informationsveranstaltung zum Thema Rissen müssen geklärt werden. Wolf statt. Daran nahmen neben den betroffenen Durch die „Leitlinie Wolf“ wird ein Weg zum Um- Behörden auch Naturschutzverbände sowie Ver- gang mit der Großraubtierart Wolf in Sachsen- bandsvertreter der Jägerschaft und der Tierhalter Anhalt aufgezeigt. Es gilt nun, die Vorschläge teil. Bei dieser Veranstaltung wurde auf das zu konstruktiv umzusetzen. Wie in anderen Ländern erwartende Auftreten von Wölfen sowie poten- Europas ist ein Zusammenleben mit dem Wolf zielle Ansiedlungsräume hingewiesen und mög- innerhalb der Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts liche Probleme diskutiert. Weiterhin wurde ein möglich. Damit würde eine einstmals ausgerot- vom LAU ausgearbeiteter Entwurf einer Leitlinie tete, faszinierende Tierart wieder heimisch und zum Umgang mit dem Wolf in Sachsen-Anhalt in ein Stück biologische Vielfalt bewahrt. Grundzügen vorgestellt. Eine zweite Diskussions- veranstaltung fand am 26. 09. 2008 im MLU statt. Anschrift der Autoren Damit wird rechtzeitig unter Einbeziehung aller Andreas Rößler potenziell Betroffenen auf die sich abzeichnende Naturschutzamt Landkreis Anhalt-Bitterfeld Entwicklung und sich eröffnende Problemfelder Fritz-Brandt-Str. 16· 39261 Zerbst/Anhalt eingegangen. E-Mail: [email protected] Dringliche Themen sind vor allem Wolfsmonito- ring, Prävention und Ausgleich von Schäden. Der Dr. Martin Trost zügige Aufbau eines Wolfsmonitorings wurde in Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt der Pressemitteilung vom 15. 09. 2008 durch Mini- Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (S.) sterin Frau Wernicke angekündigt. Gegenwärtig E-Mail: [email protected] ist seitens des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt die Schaffung einer „Referenzstelle Wolfsschutz“ beabsichtigt; zur laufenden Daten- sammlung soll, solange noch keine feste Ansied-

53 Das NSG „Alte Elbe bei Bösewig“ – ein neu- er Rast- und Sammelplatz des Kranichs

Uwe Zuppke

Das 358,75 ha große Naturschutzgebiet „Alte Elbe bei Bösewig“ liegt etwa 20 km südöstlich von Lu- therstadt Wittenberg zwischen dem Hochwas- serdeich und der Elbe, unmittelbar östlich der Ortschaft Bösewig. Vom Deich bei Bösewig bietet sich ein Blick auf den inmitten von Überflutungs- grünland gelegenen Mäanderbogen der Elbe, der mit seinem Umland aus überwiegend avifauni- Abb. 1: Kraniche im Flachwasser der Alten Elbe bei stischen Gründen mit Beschluss vom 17.03.1983 Bösewig (29.07.2008) – Foto: U.Zuppke. vom Bezirkstag Halle zum Naturschutzgebiet erklärt wurde (LAU 1997). Die überregionale Be- deutung des Gebietes als „Mauser-, Übersomme- rungs-, Rast- und Überwinterungsgebiet“ zahl- 1997: 17 (am 24.08.97) reicher Vogelarten wurde bereits dargestellt (Zu- 1998: 9 (am 05.09.98) ppke 2000) und 194 nachgewiesene Vogelarten 1999: 17 (am 18.08.99) aufgelistet. In dieser Zusammenstellung wurde 2000: 48 der Kranich (Grus grus) als „regelmäßiger Gastvo- 2001: 44 (am 17.08.01) gel“ aufgeführt. 2002: 134 (am 25.07.02) Wie im gesamten Mittelelbegebiet (Schwarze 2003: 130 1974) ist der Kranich auch in der Region Witten- 2004: 96 (am 09.09.04), berg ein regelmäßiger Durchzügler, der während 2005: 160 (am 15.10.05) der Zugzeiten (März und September/Oktober) 2006: 611 (am 27.10.06) gruppenweise fliegend gesehen werden kann. 2007: 278 (am 12.10.07) Einzelne Trupps rasten in der Elbeaue (an der Probstei und am Durchstich bei Pratau, in der (Die Einzeldaten zu den Kranichbeobachtungen Großen Straube bei Seegrehna und im Bremer können beim Autor abgefordert werden) Luch bei Apollensdorf) und in der Aue der Schwar- zen Elster. Diese Kranichscharen suchen auf dem Grünland Seit Mitte der 1990er Jahre halten sich regelmäßig der Elbeaue und später auf den abgeernteten an der Alten Elbe bei Bösewig bereits im Sommer Feldern, besonders Getreide- und Maisfeldern, Gruppen von Kranichen auf, die dann zum Herbst Nahrung und fallen vor dem Einbruch der Däm- anwachsen. Seit 2002 bleiben kleinere Trupps be- merung im weiträumigen Wiesengebiet bei Bö- reits nach der Ankunft aus dem Winterquartier im sewig ein, wo sie bis zur völligen Dämmerung März/April dort, so dass in den darauf folgenden weiter Nahrung suchen, um dann im Flachwas- Jahren ab März oder April ständig Kraniche auch ser der Alten Elbe zu nächtigen. Bei großer Hitze tagsüber im Flachwasser der Alten Elbe oder auf in den Sommermonaten fallen die Kraniche auch den angrenzenden Wiesen beobachtet werden am frühen Nachmittag (14.00 – 15.00 Uhr) grup- konnten. Aus den der Fachgruppe Ornithologie penweise im Flachwasser der Alten Elbe ein, um und Vogelschutz Lutherstadt Wittenberg vorlie- zu trinken (evtl. auch zur Kühlung über die Bei- genden Beobachtungsdaten (FG WB 1997-2007) ne?) und verlassen später, wieder gruppenweise lassen sich für den Zeitraum 1997 bis 2007 sowohl abfliegend, das Gewässer zur weiteren Nahrungs- eine Zunahme der anwesenden Kraniche als suche. Beim großen Sommerhochwasser 2002 auch der Zeitdauer ihres Aufenthaltes erkennen. wichen die anwesenden Kraniche zur Feldflur Folgende Maximalzahlen sind aus den Beobach- Klöden – Rettig - Rade auf der östlichen Elbeseite tungsdaten ersichtlich (diese Zahlen sind zufalls- aus, wo sie auf flach überfluteten Ackerflächen behaftet, da nicht systematisch erfasst wurde): übernachteten.

54 rungsgebiete und Schlafgewässer aufsuchen. Möglicherweise sind aber auch geschlechtsreife Kraniche in diesen Trupps, die keine geeigneten Bruthabitate finden, da diese durch den gestie- genen Brutbestand alle besetzt sind. Unklar ist auch, ob der längere Aufenthalt am Rastplatz mit dem sich ändernden Zugverhalten der Kraniche (Nowald 2008) erklärt werden kann. Die weitere Entwicklung und Bedeutung des NSG „Alte Elbe bei Bösewig“ als Kranich-Rast- und Sam- melplatz hängt einerseits ab vom zukünftigen Umfang des Anbaus nachwachsender Rohstoffe Abb. 2: Landende Kraniche an der Alten Elbe bei in der Elbeaue (Raps und biomasseertragreicher Bösewig (11.09.2006) – Foto: I. Elz. Mais ohne Kolben führen zur Verringerung der Nahrungsgrundlage) und andererseits von der Entwicklung der Jahresniederschlagsmenge im Zuge des Klimawandels (die Erhaltung der Wass- Damit kann das Gebiet an der Alten Elbe bei Bös- erführung der Alten Elbe in den Sommer- und ewig als ein neuer Sammel- und Rastplatz in der Herbstmonaten ist durch die Sohleintiefung der sachsen-anhaltischen Elbeaue angesehen wer- Elbe nur noch in Hochwassersituationen der Elbe den, der in der Übersicht von Prange & Kahle durch Einströmen von Elbewasser in den Altarm (2002) noch nicht berücksichtigt wurde und in gegeben). dem neben dem herbstlichen Sammeln und Ra- sten der wegziehenden Kraniche auch eine stän- Literatur dige Übersommerung stattfindet. Die Frequentie- rung dieses Rast- und Sammelplatzes ist von zwei FG WB (1997-2007): Avifaunistische Jahresberichte 1997 bis 2007 – Region Wittenberg. – Fachgruppe Ornitho- Faktoren abhängig: Zum einen vom Vorhanden- logie und Vogelschutz Lutherstadt Wittenberg. Un- sein erreichbarer Nahrung (kurzgrasige Wiesen, veröffentl. Berichte. abgeerntete Getreide- oder Maisfelder) und zum Gedeon, K.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Hrsg.(2004): anderen vom Vorhandensein von Flachwasser- Brutvögel in Deutschland. – Stiftung Vogelmonito- bereichen in der Alten Elbe. In den letzten Jahren ring Deutschland. Hohenstein-Ernstthal. LAU (1997): Die Naturschutzgebiete Sachsen-Anhalts. – wurde in der Wittenberger Elbeaue noch Mais an- Hrsg: Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt. gebaut, der auch Kolbenwachstum aufwies, den – Gustav Fischer Verlag, Jena. Kranichen also Nahrung bot. Durch eine neue Nowald, G. (2008): Was bringt die Zukunft? Kranich- Stauanlage wird die Wasserhaltung in der Alten welten im Wandel. – Der Falke 55 (9): 342-346. Elbe besser geregelt, so dass die Perioden des völ- Prange, H.; Kahle, R. (2002): Rastplätze des Kranichs in Deutschland. – Martin-Luther-Universität Halle- ligen Trockenfallens minimiert wurden und den Wittenberg. Kranichen in der überwiegenden Zeit Flächen mit Schwarze, E. (1974): Das Vorkommen des Kranichs im flachen Wasserständen als Schlafplatz zur Verfü- mittleren Mittelelbegebiet. - APUS 3: 73-90. gung stehen. Zuppke, U. (2000): Zur avifaunistischen Bedeutung des Diese Entwicklung kann möglicherweise eine Naturschutzgebietes „Alte Elbe bei Bösewig“. Über- arbeiteter Vortrag aus Anlaß der Alfred Hinsche- Auswirkung von Verschlechterungen der Bedin- Ehrung am 13.07.2000. – Naturwissenschaftliche gungen an anderen mitteldeutschen Rastplätzen Beiträge des Museums Dessau, Heft 12: 29-40. (z.B. in der Dübener Heide) sein, muss aber wohl auch mit der positiven Entwicklung der gesam- Anschrift des Autors ten europäischen Population des Kranichs im Zusammenhang gesehen werden (Gedeon et Dr. Uwe Zuppke al. 2004). Das Anwachsen des Brutbestandes hat Heideweg 1a · 06886 Lutherstadt Wittenberg ein Anwachsen des Anteils noch nicht fortpflan- E-Mail: [email protected] zungsfähiger Jungkraniche zur Folge, die sich als „Nichtbrüter“ sammeln und geeignete Nah-

55 Neuer Nachweis der Roten Mordwanze

Dr. Matthias Jentzsch

Am 20.05.2005 wurde ein Männchen der Roten Mordwanze (Rhynocoris iracundus Poda, 1761) (Abb. 1, anderes Tier) in der Bergbaufolgeland- schaft der Goitzsche im Messtischblatt-Qua- dranten 4440/1 des Landkreises Anhalt-Bitterfeld nachgewiesen. Der Fund gelang auf einem wert- vollen Trockenrasen, der vielerorts von vegetati- onsfreien Flächen unterbrochen war. Auffällige und bestandsbildende Blühpflanze ist dort unter anderem die Berg-Jasione (Jasiona montana). Das Tier geriet in eine der Weißschalen, die von Mit- Abb. 1: Rote Mordwanze (Rhynocoris iracundus arbeitern des Goitzsche-Büros der BUNDstiftung Poda, 1761). Foto: I. Antusˇek. und der BUND-Kreisgruppe Bitterfeld zum Nach- weis von Dipteren kontrolliert wurden. Das in Al- kohol konservierte Material bekam ich zur Deter- mination. Es befindet sich in meiner Sammlung. Literatur Die Rote Mordwanze wird in der Roten Liste Sach- sen Anhalts in der Kategorie „Vom Aussterben Bartels, R., Gruschwitz, W. & Kleinstäuber, W. (2004): bedroht“ geführt (Bartels et al. 2004). Sie lebt be- Rote Liste der Wanzen (Heteroptera) des Landes Sachsen-Anhalt.- Ber. des Landesamtes für Umwelt- vorzugt an sonnigen, trockenwarmen Standorten schutz Sachsen-Anhalt 39: 237-248. und dürfte daher in der Bergbaufolgelandschaft Brändle, M. & Rieger, C. (1999): Die Wanzenfauna von der Goitzsche ideale Bedingungen vorfinden. Kiefernstandorten (Pinus sylvestris L.) in Mitteleuro- Die erwachsenen Tiere findet man in der Kraut- pa. – Faun. Abh. Mus.Tierk. Dresden 21: 239-258. schicht und oft auf Doldenblütlern, wo sie ande- Gruschwitz, W. & Bartels, R. (2000): Kommentierte vorläufige Liste der Wanzen (Heteroptera) in Sach- ren Insekten nachstellen, die sie mit ihrem kräf- sen-Anhalt. – Entomol. Mitt. Sachsen-Anhalt 8: 37-61. tigen Stechrüssel töten und aussaugen. Ihr Stich kann auch für den Menschen schmerzhaft sein. Von der Geringelten Mordwanze (Rhinocoris an- Anschrift des Autors nulatus) unterscheidet sich die Art u. a. durch die leuchtend roten Flügelpartien (Corium und Cune- Dr. Matthias Jentzsch us der Vorderflügel). Bislang wurden nur wenige Schillerstraße 35 und zumeist historische Funde aus Sachsen-An- 06114 Halle (Saale) halt publiziert (Gruschwitz & Bartels 2000). Le- [email protected] diglich Brändle & Rieger (1999) erbrachten auf Kiefernstandorten der Dübener Heide bei Gräfen- hainichen (Juli 1994) und Bad Schmiedeberg (Juni 1994) Nachweise. Ich bedanke mich recht herzlich bei den Mitar- beitern des Goitzsche-Büros in Holzweißig für die Übermittlung des Materials und bei Herrn Ivo Antusˇek, Prag, für die freundliche Erlaubnis zur Publikation des Fotos.

56 Wie umgehen mit der Rot-Esche in den · Zu ökologischen Verhältnissen der Hartholzau- Schutzgebieten Sachsen-Anhalts? enwälder an Elbe und Rhein – ein Vergleich, · Zur Biologie der Rot-Esche – Vergleich Nordame- Robert Schönbrodt & Frank Jurgeit rika mit dem Mittelelberaum, · Ausbreitungsstrategie der Rot-Esche – erste Er- Am 20. September 2007 fand in Dessau, gefördert gebnisse zum Verhalten im Mittelelbegebiet, vom Bundesamt für Naturschutz, ein Workshop · Nischenstruktur und Vogelbesiedlung von Rot­ mit über 70 Fachleuten und Interessenten zu der Eschenbeständen auf feuchten Auenstandorten, Frage statt, inwieweit die eingebürgerte Baumart · Waldbauliche Möglichkeiten der Rückdrängung Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) in den Hart- und Eindämmung der Rot-Esche in künftig nicht holzauenwäldern des Mittelelbegebietes als in- bewirtschafteten Waldbeständen, vasiver Neophyt angesehen werden muss (Reich- · Probebekämpfung der Rot-Esche in den Natur- hoff & Eichhorn 2008). schutzgebieten „Untere Mulde“ und „Steckby- Ausgangspunkt für den Workshop waren u. a. Lödderitzer Forst“, Kartierungen zur Pflege- und Entwicklungspla- · Exkursionsbericht - Vorstellung der Roteschen- nung für das Naturschutzgroßprojekt „Mittlere problematik an Beispielsflächen. Elbe“. Die Vegetationskartierungen im 9050 ha großen Projektgebiet entlang der Elbe zwischen Auf 72 Druckseiten „bietet das Heft sicher die be- der Mulde- und der Saalemündung verdeutlichen ste und umfangreichste derzeit zu bekommende die weite Verbreitung der Rot-Esche sowie deren Übersicht über diese Art“ (Zacharias, briefl.). starke Ausbreitungstendenz. Leider wurde der Beitrag „Die Rot-Esche im Do- Die Rot-Esche wird im Bereich des heutigen Bios­ nauraum“ nicht zur Veröffentlichung einge­ phärenreservates „Mittelelbe“ seit mindestens reicht. Dr. A. Deschner von der Universität Graz 100 Jahren durch die Forstwirtschaft angepflanzt verdeutlichte den Anwesenden, dass es sich nicht (Reichhoff 2004). 2006 fanden Zacharias & nur um ein mitteldeutsches Problem handelt; er Breucker (2008) bei Jahresringauszählungen zeigte vergleichbare Entwicklungen in Ost- und Bäume mit einem Alter von mindestens 122 Jah- Südosteuropa auf. ren. Nach Berichten des Forstmeisters Birner Wie aktuell die Thematik ist, verdeutlicht auch (1922) von einer Lehrwanderung der Staatsober- das Heft 9/10 des Jahres 2008 der Zeitschrift „Na- förster der Provinz Sachsen durch den Revierför- tur und Landschaft“ zum Schwerpunkt „Invasive sterbezirk Grüneberg bei Barby an der Elbe am Arten – Handlungskonzepte des Naturschutzes“ 28. August 1920 reichen die ersten Pflanzungen (BfN 2008). vermutlich sogar 180 Jahre, d. h. bis etwa 1830 zurück: „Sie finden im Revier auch reichlich die Für den Workshop resümierten Rast & Eichhorn amerikanische Grauesche (mit grauen Knospen) in (2008) u. a. als Ergebnisse: bis ca. 90jährigen Stämmen. Leider! Sie hat gegen- über unserer einheimischen Esche nur den einen · Es handelt sich bei der Rot-Esche vermutlich um Vorzug, dass sie längeren Stauwasserstand erträgt; eine invasive Art, da sie einheimische Baumar- ihr Holz ist aber weniger zähe und ihre Neigung ten der feuchten Ausbildungen der Hartholzau- zur Zwieselbildung noch größer. Sie wird jetzt nur enwälder verdrängt und weitere ökologische noch zum Auspflanzen von tiefen Schlenken ver- Funktionen beeinträchtigt. wendet.“ (zur früher häufigen Verwechslung mit · Es ist derzeit offen, ob die Rot-Esche aktiv be- F. americana äußert sich Schaffrath 2001). kämpft bzw. verdrängt werden kann. Inzwischen liegen die folgenden Beiträge zum · Es sind weitere Untersuchungen notwendig, um o. g. Workshop als Heft 4 der Veröffentlichungen ein fundiertes Konzept für zukünftiges Handeln der LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH zu entwickeln. vor (s. Bezugshinweis): Die Naturschutzbehörden stehen vor der Aufga- · Vegetationskundlich - standortkundliche und be, geeignete Strategien im Umgang mit der Rot- dynamische Kennzeichnung der Auenwälder an Esche in Schutzgebieten zu entwickeln. Bis ein der mittleren Elbe, fundiertes Konzept dazu vorliegt, werden durch

57 die obere Naturschutzbehörde in Sachsen-Anhalt Anhalts und ggf. darüber hinaus weiterentwi- folgende Vorschläge für das Management der ckelt werden. Rot-Esche in Schutzgebieten unterbreitet: 4. Problematisch ist die Entwicklung der Rot- 1. Im Rahmen der forstwirtschaftlichen Nutzung Esche in Kernzonen von Schutzgebieten. Daher der Hartholzauenwälder ist eine Rückdrän- wird vorgeschlagen, unter bestimmten Bedin- gung der Rot-Esche möglich, wenn dies als gungen gezielte Maßnahmen zur Zurückdrän- forstwirtschaftliches Ziel der Bestandespflege gung der Rot-Esche in Kernzonen örtlich und und -entwicklung definiert wird. Ein Anbau zeitlich befristet durchzuführen. Dazu zählt der Baumart erfolgt nicht mehr. Es muss daher die Beseitigung von Vorkommen der Rot-Esche zum Bestandteil forstwirtschaftlichen Han- in Senken und Rinnen, die natürlicherweise delns werden, die Rot-Esche nicht zu fördern, waldfrei wären. Dort sollen die Rot-Eschen sondern im Zuge der Waldpflege und Holznut- entnommen und die Stockausschläge so lange zung zu eliminieren. mechanisch behandelt werden, bis die Bäume absterben. Sofern Rot-Eschen in Mischbestän- 2. Die Möglichkeiten zur Eliminierung der Rot- den in Senken stocken ist vorgesehen, durch Esche bestehen im Abtrieb oder der Ringelung Ringelung und Fällung eine schrittweise Re- der Bäume, wobei immer die Notwendigkeit duzierung des Anteils dieser Baumart zu errei- einer intensiven Bekämpfung der Stock- und chen. Vorkommen von Rot-Eschen entlang von Stammausschläge besteht. Bei kleinflächigen Rinnen, bei denen die Gefahr der Samenaus- Beständen, die vollständig abgetrieben wer- breitung über die Rinnen besteht, sind gleich- den, soll das entstandene „Femelloch“ stand- falls in der oben beschriebenen Weise zum Ab- ortgerecht vor allem mit Stiel-Eiche ausge- sterben zu bringen. pflanzt werden. Ziel dieser Maßnahmen ist die Maßnahmen zur Förderung einer frühzeitigen nachfolgende eigenregulative Entwicklung Durchströmung und möglichst langer natür- der Bestände. Eine spätere Nachsuche und licher Überstauungen von Senken und Rinnen Bekämpfung auf Naturverjüngung und Stock- bei Hochwasser können zusätzlich das Vor- ausschläge der Rot-Esche nach Eliminierungs- kommen der Art einschränken. maßnahmen ist trotzdem notwendig. In ausgewählten Kernzonen sollten die Rot- Eschen belassen werden; hier kann die ent- 3. Da die vorhandenen Kartierungen zur Verbrei- standene Situation zur Beobachtung der wei- tung der Rot-Esche völlig unzureichend sind, ist teren Entwicklung der von der Rot-Esche be- es erforderlich, dass kurzfristig eine spezielle einflussten Waldentwicklung genutzt werden. Kartierung der Vorkommen der Rot-Esche im Gebiet der mittleren Elbe erfolgt. Auch außer- 5. Sofern künftig Kernzonen mit Rot-Eschen- halb des Elbegebietes vorhandene Vorkommen Vorkommen neu ausgewiesen werden sol- sollten in die weitere Erforschung ihres ökolo- len, muss vorab detailliert deren Behandlung gischen und dynamischen Verhaltens einbezo- festgelegt werden. Ziel der ersteinrichtenden gen werden. Speziell ergibt sich die Frage, ob Maßnahmen sollte die Zurückdrängung und die Rot-Esche die ökologische Nische der weit- Eliminierung der Rot-Esche als neophytische gehend ausgefallenen Feld-Ulme einnimmt. invasive Art über einen definierten Zeitraum Daraus könnten weitergehende Rückschlüsse (mind. 20 Jahre) hinweg sein. auf den invasiven Charakter, insbesondere zur Verdrängung der Stiel-Eiche gezogen werden. 6. Da die Rot-Esche seit über 180 Jahren im Gebiet Zu klären sind weiterhin die ökologischen der mittleren Elbe forstlich eingeführt ist und Auswirkungen der Art, z. B. auf die Besiedlung sich in freier Natur ohne menschliche Hilfe durch Vögel, Fledermäuse, Insekten oder Pilze über mehrere Generationen als Population er- im Vergleich zu den Hartholzauenwäldern mit hält sowie auf den nassen und feuchten Stand- Gemeiner Esche. orten vermutlich die ökologische Nische der Im Ergebnis können die Strategien im Umgang Feld-Ulme ausfüllt, sollte grundsätzlich über mit der Rot-Esche in Schutzgebieten Sachsen- die Duldung ihrer „natürlichen“ Entwicklung

58 in Kernzonen (auch in FFH-Lebensraumtypen) Anschrift der Autoren oder Eliminierung nachgedacht werden. Da die Rot-Esche nach BNatschG § 10 Abs. 2 Ziff. Robert Schönbrodt 5b als heimische Art einzustufen ist, stellt sich Frank Jurgeit diese Frage bundesweit, insbesondere bei Vor- Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt kommen in FFH-Lebensraumtypen. Dessauer Str. 70 06118 Halle Für Literaturrecherchen danken wir sehr herzlich E-Mail: Frau Doreen Schmiedel und Herrn Dr. Rainer [email protected] Telle. [email protected]

Literatur Bezugshinweis:

BfN (2008): Schwerpunkt: Invasive Arten – Handlungs- Die Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) – eine konzepte des Naturschutzes. – Natur und Landschaft, Stuttgart 2008, 83. Jg., Heft 9/10, S. 393-455. invasive Baumart in den Hartholzauenwäldern Birner (1922): Die Wirtschaftsführung in einem vorma- des Mittelelbegebietes? – Veröffentlichungen ligen Auemittelwalde. Zeitschrift für das Forst- und der LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH. Jagdwesen. LIV Jg., Heft 5, S. 290-305. Dessau-Roßlau, 2008 (Heft 4) 72 S. Rast, G. & A. Eichhorn (2008): Zusammenfassung der zum Preis von 10,- € zzgl. Porto über: Ergebnisse des Workshops. – In: Die Rot-Esche (Fra- xinus pennsylvanica) – eine invasive Baumart in den LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH Hartholzauenwäldern des Mittelelbegebietes. Veröf- Zur Großen Halle 15 fentlichungen der LPR Landschaftsplanung Dr. Reich- 06844 Dessau-Roßlau hoff GmbH, Dessau-Roßlau 2008, Heft 4, S. 71-72. Fax: 0340-8823196 oder Reichhoff, L. (2004): Erfassung und Bewertung der [email protected] Vorkommen der Rot-Esche im Projektgebiet.- In: Pflege- und Entwicklungsplan für das Naturschutz- großprojekt von gesamtstaatlich repräsentativer Be- deutung Mittlere Elbe: Erfassung und Bewertung der Vorkommen der Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) im Projektkerngebiet. LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH Dessau, 28 S. Reichhoff, L. & A. Eichhorn (2008): Wird die Rot-Esche zum Problem an der Elbe? – In: Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt, 45 (1), S.60-61. Schaffrath, J. (2001): Vorkommen und spontane Aus- breitung der Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica Marshall) in Ost-Brandenburg. – In: Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg, 10 (4) : 134-193. Zacharias, D. & A. Breucker (2008) : Die nordamerika- nische Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica Marsh.) – zur Biologie eines in den Auenwäldern der Mittelel- be eingebürgerten Neophyten. – In: Braunschweiger Geobotanische Arbeiten, 9: S. 499-529.

59 Erster Nachweis der Schabrackenlibelle für zahl von Nachweisen der Art mehrere Tausend Sachsen-Anhalt in der Goitzsche Kilometer nördlich von ihrem vermuteten Her- kunftsgebieten erbracht werden (Askew 1988, Falko Heidecke und Katja Lindemann Sternberg 2000). Kurz vor dem hier publizierten Fund wies Adomßent (2007) die Art erstmals in Am 14.06.2007 wurden im Rahmen eines Dauer- Niedersachsen nach. monitorings fünf männliche Imagines der Scha- Erst eine intensive Suche in den nächsten Jahren brackenlibelle Anax ephippiger (Burmeister, wird klären können, ob es A. ephippiger gelingt 1839) über eine Dauer von 2 Stunden an einem sich in Sachsen Anhalt zu reproduzieren oder ob Flachgewässer der Bergbaufolgelandschaft Goitz- die Art nur temporär eingewandert ist. sche bei Bitterfeld beobachtet. Das Gewässer mit einem pH-Wert von 3,8 war 45 ha groß, maximal Literatur 3 m tief und seine Entwicklung befand sich in einem Pionierstadium. Die Ufervegetation be- Adomßent, M. (2007): Erstnachweis der Schabracken- libelle Anax ephippiger (BURMEISTER, 1839) für stand weitestgehend aus Calamagrostis epigejos Niedersachsen (Odonata: Aeshnidae). In: Entomolo- und vegetationsfreien Rohbodenstandorten. Es gische Nachrichten und Berichte 51 (2): 49-50. gelang eines der fünf in diesem Bereich patrouil- Askew, R. R. (1988): The dragonflies of Europe. Cholche- lierenden Männchen zu fangen und Belegfotos ster (Harley). anzufertigen. Das gefangene Männchen besaß Günther, A. (2005): Anax ephippiger in Europa - immer Invasionen in eine Sackgasse? (Odonata: Aeshnidae). noch vollkommen intakte Flügel. - Libellula 24: 241-247 Trotz intensiver Nachsuche an unterschiedlichen Sternberg, K. (2000): Anax ephippiger (Burmeister, Gewässern und zu verschiedenen Terminen 1839). In: Sternberg, K. & R. Buchwald (Hrsg.) konnten keine weiteren Nachweise im Gebiet er- (2000): Die Libellen Baden-Württembergs. Band bracht werden. Es ist stark zu vermuten, dass sich 2: Großlibellen (Anisoptera). Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. diese Individuen nicht im Untersuchungsgebiet reproduziert haben, da keine Exuvien gefunden werden konnten und A. ephippiger bekannterma- Anschriften der Autoren ßen eine sehr wanderfreudige Art ist (Günther 2005). Die Hauptverbreitung erstreckt sich von Falko Heidecke Afrika über den Mittleren Osten bis nach Asien. Sieverstorstraße 57 Die Art ist auch im Mittelmeerraum nicht selten 39106 Magdeburg (Askew 1988). Seit 1941 konnte bereits eine Viel- [email protected]

Katja Lindemann Sieverstorstraße 57 39106 Magdeburg

Abb. 1: Schabrackenlibelle, Anax ephippiger. Fund- ort: Vernässungsfläche Petersroda bei Bitterfeld, 14.06.2007. Foto: F. Heidecke.

60 UNESCO-Biosphärenreservate präsentieren Das Jahr 2009 ist offiziell als das Jahr der Bios­ sich auf der BUGA 2009 phärenreservate ausgerufen worden, weil dann die Gründung der ersten beiden Biosphärenre- Auf der Bundesgartenschau 2009 in Schwerin servate in Deutschland dreißig Jahre zurückliegt. präsentieren sich alle deutschen UNESCO-Bio- Das Vessertal in Thüringen und die Mittelelbe sphärenreservate mit einer bisher einmaligen in Sachsen-Anhalt sind die Geburtstagskinder. Ausstellung. Auf ca. 600 qm sind die 13 Regionen Aus diesen Regionen werden ebenso spannende aus ganz Deutschland dabei, die mit dem inter- Modellprojekte zu sehen sein, wie z. B. auch aus nationalen Prädikat der UNESCO für eine modell- Berchtesgaden, der Pfalz oder den Wattenmeeren. hafte Entwicklung im ländlichen Raum stehen. Zu den Themen Klimaschutz, Artenvielfalt und Die BUGA-Besucher können durch eine Vielfalt regionaler Wirtschaftskreisläufe präsentieren an Exponaten, Medien und persönlicher Betreu- die Biosphärenreservate Beispiele, die in Zukunft ung faszinierende Geschichten und Projekte aus vielleicht für ganz Deutschland wegweisend diesen Nationalen Naturlandschaften von Welt- sein können. Und durch das Angebot von kuli- rang erfahren. narischen und handwerklichen Produkten sowie kulturellen Events, können die Besucher diese Die 13 deutschen Biosphärenreservatsregionen schönen Regionen auch direkt riechen, schme- werden von unterschiedlich strukturierten Ver- cken und erhören. waltungen der Bundesländer betreut. Somit erscheint es sinnvoll, alle UNESCO- Biosphären- reservate in einem gemeinsamen Auftritt zu Die Ausstellung wird während der gesamten präsentieren. Die finanzielle Unterstützung des Laufzeit der BUGA vom 23.04. bis 11.10.2009 geöff- Bundesumweltministeriums und das Engage- net sein. ment der einzelnen UNESCO-Biosphärenreservate machen es möglich, die gemeinsame Ausstellung Dr. Inge Ammon-Kuajth umzusetzen.

61 Schrifttum

Sc h o l z , M.; St a b , S.; Dz i o c k , F.; He n l e , K. (Hrsg.): Kon- Band 2: Struktur und Dynamik der Elbe (voraus- zepte für die nachhaltige Entwicklung einer sichtlicher Erscheinungstermin Herbst Flusslandschaft. Band 4: Lebensräume der Elbe 2008) und ihrer Auen. Weißensee Verlag. – Berlin 2005. Band 3: Management und Renaturierung von – 380 S. 38,40 € (eBook 14,50 €) Auen im Elbeeinzugsgebiet (voraus- sichtlicher Erscheinungstermin Herbst Die Elbe ist mit einer Länge von ca. 1.100 km und 2008) einem Gesamteinzugsgebiet von knapp 150.000 Band 4: Lebensräume der Elbe und ihrer Auen km2 einer der größten Flüsse Mitteleuropas. Bis (2005) heute wurden etwa 80 % der Auen des Flusses Band 5: Stoffdynamik und Habitatstruktur in eingedeicht. Dennoch blieben trotz Ausbau als der Elbe (2006) Wasserstraße weite Bereiche als naturnahe Kul- Band 6: Auswirkungen des globalen Wandels turlandschaften erhalten, die das bestehende auf Wasser, Umwelt und Gesellschaft im großflächige Schutzgebietssystem an der Elbe Elbegebiet (2005) rechtfertigen. Neben dem Naturschutz bestehen Band 7: Werkzeuge für das integrierte Flussge- Nutzungsansprüche und Entwicklungsziele z.B. bietsmanagement. Ergebnisse der Fall- der Wasserwirtschaft, der Schifffahrt oder des studie Werra (2006) Hochwasserschutzes für die Elbe. Vor dem Hin- Bisher sind die Bände 1 und 4 bis 7 erschienen. tergrund des Abflusstyps der Elbe als Fluss mit Band 4 wird nachfolgend näher vorgestellt, da er ausgedehntem sommerlichen Niedrigwasser und von besonderem naturschutzfachlichem Interes- den zu erwartenden, diese Situation verschär- se ist: fenden Klimaänderungen entbrannte eine Aus- Band 4 widmet sich den Lebensräumen und Le- einandersetzung um die Sicherung der verschie- bensgemeinschaften der Elbe und ihrer Auen. In denen Ziele für die Nutzung und den Schutz der 12 Forschungsverbundvorhaben wurde folgenden Elbe mit ihren Auen. Fragen nachgegangen: Wie im Vorwort zur Buchreihe erläutert, eta- · Welche strukturellen und abiotischen Faktoren blierte das Bundesministerium für Bildung und bestimmen die Qualität der Lebensräume und Forschung (BMBF) den Forschungsverbund „Elbe- steuern die Zusammensetzung von Lebensge- Ökologie“. Ziel war es, wissenschaftlich basierte meinschaften? Handlungsstrategien für eine nachhaltige Ent- · Wie wirken sich menschliche Eingriffe in den wicklung zu entwerfen, die die ökologische Funk- Wasserhaushalt und Nutzungsänderungen auf tionsfähigkeit der Elbe erhalten bzw. verbessern. die Lebensgemeinschaften der Elbe und ihrer Ein grundsätzliches Anliegen der Forschungs- Auen aus? projekte besteht in der Weiterentwicklung von · Wie können diese indiziert und vorhergesagt Instrumentarien zur Prognose ökologischer Aus- sowie zur Ableitung von Schutz- und Manage- wirkungen menschlicher Aktivitäten auf die mentstrategien genutzt werden? Auen der Elbelandschaft. Eine Einführung in das Buch beschreibt die Aus- Die Ergebnisse dieser Forschungen von 28 For- gangslage und Ziele des Forschungsvorhabens schungsvorhaben und ca. 300 Wissenschaftle- sowie den Aufbau des vorliegenden Bandes: Es rinnen und Wissenschaftlern sollen in Form einer wird darauf verwiesen, dass es bereits regional siebenbändigen Buchreihe veröffentlicht werden. seit Jahrzehnten Forschungen und umfangreiche Die Reihe ist wie folgt konzipiert: Schutzbemühungen an der Elbe gab, eine kom- Band 1: Wasser- und Nährstoffhaushalt im Elbe- plexe auenökologische Forschung aber erst nach gebiet und Möglichkeiten zur Stoffein- der Wiedervereinigung Deutschland möglich tragsminderung (2004) wurde, als die Restriktionen am „Grenzfluss“ Elbe

62 weg fielen und weit reichende Nutzungsansprü- veröffentlicht. Die Thematik ist zwischenzeitlich che entstanden. durch das sich unmittelbar an das Forschungs- Im folgenden Kapitel werden die naturräum- vorhaben anschließende Naturschutzgroßpro- lichen Voraussetzungen der Elbe und ihrer Auen jekt „Mittlere Elbe“ vertieft worden. Erstaunlich beschrieben sowie die Nutzungen analysiert, die ist, dass bei den Untersuchungen das Problem der zum heutigen Zustand des Flusses und seiner invasiven Baumart Rot-Esche, die vor allem auf Auen führten. den nassen Standorten problematisch ist, wo die Dem schließt sich ein theoretisches Kapitel über Stiel-Eiche noch ihr größtes Vermehrungspoten- „Ökologische Konzepte und Theorien zu Fluss- tial hat, nicht behandelt wird. und Auenlebensräumen“ sowie ein Kapitel über Wie allgemein in vergleichbaren ökologischen „Ausgewählte methodische Ansätze“ an. Studien und eben der Schwierigkeit der Analyse, Den Hauptteil des Buches nehmen die Beschrei- Diagnose und Prognose der Komplexität der Le- bungen der Lebensräume und Lebensgemein- bensräume geschuldet, fällt dass Kapitel über die schaften sowie die Darstellungen von Entwick- Synthese der gewonnenen Ergebnisse und damit lungstendenzen ein. Behandelt werden die die Darstellung des komplexen Auenökosystems Strom­elbe, die Uferbereiche der Elbe, Auengewäs- recht knapp aus. Abgehandelt werden Schlüssel- ser, Auenwald und Auengrünland. Nach einer De- faktoren, Lebensstrategien und Skalen. Auch die finition und Abgrenzung des Lebensraumes wer- Aspekte der Bioindikation werden in dieses Kapi- den die bearbeiteten Organismengruppen und tel integriert. Es schließt mit der Erläuterung von Untersuchungsräume genannt, die nachfolgend Biologischen Modellen für Flusslandschaften. beschrieben werden. Als Beispiel seien die Auen- Im abschließenden Kapitel „Fazit und Ausblick“ gewässer angeführt, für die neben der Vegetation werden die erzielten Ergebnisse noch einmal zu- als Faunengruppen Weichtiere, Eintagsfliegen, Li- sammengefasst und bewertet. Drei Punkte wer- bellen, Köcherfliegen und Fische untersucht wur- den herausgestellt, denen man durchaus zustim- den. Erwartungsgemäß zeitigen die zoologischen men kann: Untersuchungen eher neue Erkenntnisse als die · zu verschiedenen Lebensräumen und Arten- vegetationskundlichen Erhebungen, wenn gleich gruppen konnten wesentliche Fortschritte im auch einzelne Gruppen, wie z.B. die Libellen oder Verständnis erreicht werden, die Fische, bereits vorher gut bearbeitet vorlagen. · viele neue Erkenntnisse haben unmittelbare Be- Bei der Abhandlung der Entwicklungstendenzen deutung für das Lebensraummanagement, gehen die Autoren von der Tatsache aus, dass · die komplexe Veröffentlichung der Ergebnisse durch den Ausbau der Elbe und die Eindeichung ermöglicht deren schnelle Überführung in die ihrer Auen Verhältnisse entstanden sind, die Praxis. keine Neuentwicklung von Altarmen erlauben. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis schließt Offen mit der Elbe verbundene Nebengerinne das Buch ab. geraten damit in ein erhebliches Defizit. Die be- Insgesamt kann den Autoren bescheinigt werden, stehenden Altwasser verlanden zusehens. Damit dass sie die Ergebnisse ihrer Forschung konzen- wird die Dynamik der Auengewässer zwischen triert darstellen und damit zugänglich machen. Entstehen und Verlanden unterbrochen und das Sie stützen damit das bereits in der Praxis ange- Lebensraumspektrum drastisch eingeschränkt. wendete Lebensraummanagement und weisen Bereits in diesem Kapitel verweisen die Autoren auf neue Aspekte, Möglichkeiten und Notwendig- auf die zwingende Notwendigkeit der Entschlam- keiten hin. Das Buch kann allen an Auenökologie mung der Altwässer und der Wiederanbindung interessierten Lesern empfohlen werden. der Altarme an den Fluss als aktives Manage- Mit besonderem Interesse wird nun das Erschei- ment des Lebensraums, wie diese bereits seit nen des Bandes 3 „Management und Renaturie- Jahrzehnten in beispielhafter Weise in Sachsen- rung von Auen im Elbeeinzugsbereich“ erwartet. Anhalt erfolgt. Umfangreich werden die Auenwälder beschrie- Lutz Reichhoff ben. Die speziellen Ergebnisse der forstwissen- schaftlichen Forschung wurden bereits in der Schriftenreihe „Wald in Sachsen-Anhalt“ 11/02

63 Impressum

ISSN 0940-6638 Hinweise für Autoren: Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt Für unverlangt eingereichte Manuskripte wird Herausgeber: keine Haftung, insbesondere keine Verpflichtung Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt zur Veröffentlichung übernommen. Grundsätz- Fachbereich Naturschutz lich werden nur bisher unveröffentlichte Beiträge PF 200841, o6oo9 Halle/S. angenommen. Es wird gebeten, die Manuskripte, Telefax 03 45/5 70 46 05 wenn möglich mit einem Textverarbeitungspro- E-mail: [email protected] gramm auf Diskette gespeichert, an die Redaktion einzureichen. Grafiken und Abbildungen sollen Redaktion: im Originalformat geliefert und nicht in den Text Dr. Inge Ammon-Kujath integriert werden. Der Umfang des Manuskriptes Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt sollte zehn Schreibmaschinenseiten (1,5-zeilig ge- Fachbereich Naturschutz schrieben) nicht überschreiten. Die Autoren sind Reideburger Str. 47 für den fachlichen Inhalt ihrer Beiträge selbst o6116 Halle/S. verantwortlich. Die von ihnen vertretenen An- sichten und Meinungen müssen nicht mit denen Schriftleitung: des Herausgebers übereinstimmen. Eine redakti- Dr. Inge Ammon-Kujath, Landesamt für Umwelt- onelle Überarbeitung wird abgestimmt. Die Bei- schutz Sachsen-Anhalt; Wolfgang Böttcher, träge können nicht honoriert werden, es werden Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt zehn Exemplare des jeweiligen Heftes zur Verfü- Sachsen-Anhalt; Fred Braumann, Naturparkver- gung gestellt. waltung Drömling; Egbert Günther, Untere Na- turschutzbehörde Landkreis Harz; Dr. Matthias Vertrieb: Jentzsch, Landesamt für Umweltschutz Sachsen- Naturschutz- und andere Behörden und Dienst- Anhalt; Dr. Hans-Ulrich Kison, Nationalpark- stellen sowie haupt- und nebenamtliche Natur- verwaltung Harz; Dr. Ulrich Lange, Landesamt schutzmitarbeiter/innen im Land Sachsen Anhalt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt; Dr. Lutz erhalten die Zeitschrift kostenlos. Alle kostenlos Reichhoff, LPR Landschaftsplanung Dr. Reich- abgegebenen Hefte dürfen auch nur kostenlos hoff GmbH; Robert Schönbrodt, Landesverwal- weitergegeben werden. Käuflicher Bezug gegen tungsamt Sachsen-Anhalt eine Schutzgebühr über Bestellung bei NATURA Fachbuchhandlung, Adolf-Grimme-Ring 12, 14532 Gestaltung und Satz: Kleinmachnow. Repro- und Satzstudio Kuinke Telefon: 03 32 03/2 24 68. Johannisstraße 15 · 06844 Dessau Schutzgebühr: 2,50 E Nachdrucke – auch auszugsweise – sind nur mit Druck: ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers Halberstädter gestattet. Druckhaus GmbH Gedruckt auf Papier mit 5o % Altpapieranteil. Osttangente 4 38820 Halberstadt Titelbild: Blick über die Kleinhaldenlandschaft des Burgörner Reviers (FFH-Gebiet 105) südöstlich Kartendarstellung mit Genehmigung des Lan- von Hettstedt. im Hintergrund die Tafelberghal- desamtes für Vermessung und Geoinformation de des Niewandtschachts und die Kegelhalde des Sachen-Anhalt. Geobasisdaten© LVermGeo LSA Thälmannschachts. (www.lvermgeo.sachsen-anhalt.de) | 10008 (Foto: H. Baumbach, Juni 2006)

64 Kupfer-Grasnelke Blick vom Armsberg auf Questenberg