Plenarprotokoll 15/103

Deutscher

Stenografischer Bericht

103. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung ...... 9336 D Marco Bülow SPD ...... 9317 D

Begrüßung des Vizepräsidenten des ungari- CDU/CSU ...... 9319 C schen Parlaments und seiner Delegation . . . . 9345 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 9321 C CDU/CSU ...... 9322 B Tagesordnungspunkt 19: Angelika Brunkhorst FDP ...... 9323 B a) – Zweite und dritte Beratung des von Dr. SPD ...... 9324 C den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Doris Meyer (Tapfheim) eingebrachten Entwurfs eines Ge- CDU/CSU ...... 9326 A setzes zur Neuregelung des Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/ Rechts der erneuerbaren Ener- DIE GRÜNEN ...... 9327 A gien im Strombereich (Drucksachen 15/2327, 15/2845, Birgit Homburger FDP ...... 9328 B 15/2864) ...... 9317 A Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 9328 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung einge- Dr. CDU/CSU ...... 9329 B brachten Entwurfs eines Gesetzes Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 9330 D zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im Dr. Peter Paziorek CDU/CSU ...... 9332 A Strombereich Rolf Hempelmann SPD ...... 9333 A (Drucksachen 15/2539, 15/2593, 15/2845, 15/2864) ...... 9317 B Birgit Homburger FDP ...... 9334 A Dr. Hermann Scheer SPD ...... 9335 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit zu dem Zusatztagesordnungspunkt 4: Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Beschlussempfehlung und Bericht des zung gemäß § 56 a der Geschäftsord- Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität nung: Technikfolgenabschätzung und Geschäftsordnung: Immunität von Mitgliedern der Bundesversammlung hier: Monitoring – „Möglichkeiten hier: Anträge auf Genehmigung zur geothermischer Stromerzeu- Durchführung der Strafverfol- gung in Deutschland“ gung (Drucksachen 15/1835, 15/2797) 9317 B (Drucksache 15/2879) ...... 9336 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Tagesordnungspunkt 18: Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Peter a) Erste Beratung des von den Fraktionen Paziorek, Marie-Luise Dött, weiterer der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Abgeordneter und der Fraktion der DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- CDU/CSU: Unabhängige Folgen- wurfs eines Gesetzes zur optionalen abschätzung der neuen EU-Chemi- Trägerschaft von Kommunen nach kalienpolitik dem Zweiten Buch Sozialgesetz- (Drucksache 15/2654) ...... 9337 A buch (Kommunales Optionsgesetz) (Drucksache 15/2816) ...... 9350 A b) Antrag der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Ulrike Mehl, wei- b) Antrag der Fraktionen der SPD und terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: der SPD sowie der Abgeordneten Verabschiedung eines Optionsgeset- Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard zes Loske, weiterer Abgeordneter und der (Drucksache 15/2817) ...... 9350 B Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Eine nachhaltige Che- Wolfgang Clement, Bundesminister miepolitik in Europa – Innovation BMWA ...... 9350 C fördern, Umwelt und Gesundheit Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen) . . . 9353 B schützen und Verbraucherschutz stärken Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ (Drucksache 15/2666) ...... 9337 A DIE GRÜNEN ...... 9356 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des FDP ...... 9358 D Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 9359 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Katherina FDP ...... 9359 D Reiche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:Stra- Karin Roth (Esslingen) SPD ...... 9361 C tegie für eine nachhaltige Che- Karl-Josef Laumann CDU/CSU ...... 9362 C miepolitik in Deutschland und Europa Hans-Werner Bertl SPD ...... 9364 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Tagesordnungspunkt 21: Brunkhorst, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Zweite und dritte Beratung des von der Leistungsfähigkeit der deut- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs schen Chemiewirtschaft im euro- eines Zwölften Gesetzes zur Änderung päischen Rahmen sichern des Arzneimittelgesetzes (Drucksachen 15/2109, 15/2360, 15/2849, (Drucksachen 15/1356, 15/1332, 15/2850) ...... 9365 D 15/2775) ...... 9337 B Dr. Marlies Volkmer SPD ...... 9366 A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU ...... 9337 C Dr. CDU/CSU ...... 9367 B Heinz Schmitt (Landau) SPD ...... 9339 A BÜNDNIS 90/ Birgit Homburger FDP ...... 9340 D DIE GRÜNEN ...... 9368 D Dr. Antje Vogel-Sperl BÜNDNIS 90/ Detlef Parr FDP ...... 9369 D DIE GRÜNEN ...... 9342 B Hubert Hüppe CDU/CSU ...... 9370 C Marie-Luise Dött CDU/CSU ...... 9344 B

Doris Barnett SPD ...... 9345 C Nächste Sitzung ...... 9371 D Franz Obermeier CDU/CSU ...... 9346 D

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker SPD ...... 9347 D Anlage 1 CDU/CSU ...... 9348 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9373 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 III

Anlage 2 Energien im Strombereich (Tagesordnungs- punkt 19 a) ...... 9374 D Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Ände- rung des Arzneimittelgesetzes(Tagesord- Anlage 4 nungspunkt 21) Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos ...... 9373 D Dr. (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf einesZwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelmittelgeset- Anlage 3 zes (Tagesordnungspunkt 21) ...... 9375 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann (FDP) zur Abstim- Anlage 5 mung über den Entwurf einesGesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Amtliche Mitteilungen ...... 9375 C

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9317

(A) (C) Redetext

103. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Berichterstattung: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abgeordnete Marco Bülow Sitzung ist eröffnet. Doris Meyer (Tapfheim) Michaele Hustedt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: Angelika Brunkhorst a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Zu den Gesetzentwürfen liegt je ein Entschließungs- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der GRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGeset- FDP vor. zes zur Neuregelung des Rechts der erneuer- baren Energien im Strombereich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen – Drucksache 15/2327 – Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (B) (Erste Beratung 87. Sitzung) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (D) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion. regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Beifall bei der SPD) zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich Marco Bülow (SPD): – Drucksachen 15/2539, 15/2593 – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Erste Beratung 94. Sitzung) Diese Rede richte ich vor allem an die Bürgerinnen und Bürger. Meine Damen und Herren, mit nur 1 Euro sind Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses Sie dabei! 1 Euro kosten nämlich die erneuerbaren Ener- für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitgien jeden Haushalt pro Monat. Mit 1 Euro helfen Sie (15. Ausschuss) mit, dass 50 Millionen Tonnen CO2 und 50 Millionen – Drucksachen 15/2845, 15/2864 – Tonnen anderer Klimagase pro Jahr eingespart werden können. Berichterstattung: Abgeordnete Marco Bülow (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Doris Meyer (Tapfheim) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Michaele Hustedt Mit 1 Euro haben Sie mitgeholfen, dass 130 000 zu- Angelika Brunkhorst kunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen worden sind. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Mit 1 Euro haben Sie mit dazu beigetragen, dass richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Deutschlands Energieversorgung sicherer geworden ist. und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem Mit 1 Euro haben Sie mit dafür gesorgt, dass die deut- Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung schen Unternehmen in einer Schlüsselindustrie zum und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) Marktführer geworden sind. Mit 1 Euro leisten Sie einen gemäß § 56 a der Geschäftsordnung wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Technikfolgenabschätzung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) hier: Monitoring – „Möglichkeiten geothermi- scher Stromerzeugung in Deutschland“ Die Kosten von 1 Euro pro Monat beweisen, dass die Förderung der erneuerbaren Energien nicht teuer sein – Drucksachen 15/1835, 15/2797 – muss. Ich möchte Ihnen einen Vergleich nennen: Ein 9318 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Marco Bülow (A) Videorekorder kostet jeden Haushalt, auch wenn er nicht Eines muss dabei aber klar sein: Es muss sich um alle er- (C) häufig benutzt wird, pro Monat mindestens 1,50 Euro, neuerbaren Energien handeln; denn nur im Mix erbrin- also mehr, als für die erneuerbaren Energien zu zahlen gen sie die Auslastung, diewir uns vorstellen und die ist. wir brauchen. Eigentlich sparen Sie sogar Geld. Denn die erneuer- Unser dritter Schwerpunkt ist die Härtefallregelung. baren Energien vermeiden so genannte externe Kosten. Darauf wird mein Kollege gleich eingehen. Das sind Kosten für Umweltschäden, für Schäden, die Natürlich haben wir noch einiges mehr verändert. Ich im Bereich Klima entstehen, aber beispielsweise auch will das alles aber nicht herunterbeten, weil Sie viele der für Castortransporte, die bekanntlich immer viel Geld kleinen Zahlen wahrscheinlich langweilen würden. Es kosten. All diese Kosten haben letztendlich Sie zu be- ist ja auch alles im Gesetz nachzulesen. zahlen, auch wenn sie auf keiner Stromrechnung auftau- chen. Mit dem novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz werden wir den Ausbau der erneuerbaren Energien un- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gehindert fortsetzen, ohne dass die Kosten explodieren. DIE GRÜNEN) Das deutsche EEG ist das weltweit erfolgreichste Instru- ment zur Förderung der erneuerbaren Energien. Ich warne davor, zu glauben, dass die Kosten niedrig ausfallen werden. Ich möchte Sie nur an die Hitze- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ periode und an die Hochwasserkatastrophe im letzten DIE GRÜNEN) Jahr erinnern. Wenn solche Ereignisse nicht Ausnahmen bleiben, sondern zum Regelfall werden, dann wird es Sie Andere Modelle sind teurer und nicht so erfolgreich. Das teuer zu stehen kommen, wenn Sie weiterhin hauptsäch- beweisen viele Gesetze in anderen Ländern. Deswegen lich die anderen Energieträger nutzen und nicht die er- kopieren immer mehr Länder unser Instrument. neuerbaren Energien. Zudem wissen wir, dass sich die Kostenschere zwi- schen den erneuerbaren Energien und den anderen Ener- Wir müssen die Förderung der erneuerbaren Energien gieformen schon allein deswegen schließen wird, weil natürlich um vieles andere ergänzen. Beispielsweise wir viele neue Kraftwerke bauen müssen; das kostet müssen wir eine höhere Energieeffizienz erreichen. Wir Geld. Daneben gibt es vorallen Dingen beim Öl und müssen dafür sorgen, dass neben der Förderung der er- beim Gas eine Endlichkeit, die schnell erreicht sein wird. neuerbaren Energien auch andere Instrumente eingesetzt werden. Die SPD-Fraktion hat deswegen bei der Novel- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lierung, über die wir heute sprechen, drei Schwerpunkte DIE GRÜNEN) (B) gesetzt. Wir wollen mit dieser Novelle nämlich errei- (D) chen, dass das EEG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Diese Erkenntnis spricht sich auch bei der Opposition erfolgreich bleibt und ein kostengünstiges Instrument ist. herum. Trotzdem kommt die Opposition insgesamt zu einem Nein bezüglich der Förderung der erneuerbaren Unser erster Schwerpunkt betrifft die Effizienz. Wir Energien. Dieser Satz lässt sich nur wie folgt kommen- wollen unser Ziel, nämlich die Verdoppelung des Anteils tieren: Die Energiepolitik der Union ist nicht zukunftsfä- der erneuerbaren Energien bis 2010 auf über 12 Prozent, hig und die FDP ist mit ihrer Energiepolitik noch nicht erreichen. Dabei dürfen aber die Kosten nicht in demeinmal in der Gegenwart angekommen. Maße steigen, wie der Anteil der erneuerbaren Energien (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ steigt. DIE GRÜNEN) Das heißt, wir haben an vielen Schrauben gedreht, um Ich bedaure, dass sich vor allen Dingen bei der Union es kostengünstiger zu machen. Ich will eine nennen, die wieder die Ewiggestrigen durchgesetzt haben. Es gab wir häufig benutzt haben, nämlich die Degression. Bei Gesprächsangebote von uns an Sie. Ich weiß, dass in- einer Degression von 2 Prozent, wie beispielsweise bei nerhalb der Union mehrere den erneuerbaren Energien der Windkraft, und Hinzurechnung der Inflationsratepositiv gegenüberstehen und dass es immer mehr wer- – diese wird nämlich nicht ausgeglichen – muss ein Be- den. Trotzdem gibt es dieses Nein. Ich frage mich, ob treiber in zehn Jahren 35 Prozent des Geldes einsparen, das aus taktischen Gründen so ist oder ob sich Frau um marktfähig zu bleiben. Merkel bei Ihnen durchgesetzt hat. Es ist eigentlich Unser zweiter Schwerpunkt war die Stärkung der För- schade, dass Frau Merkel mit Herrn Töpfer nur gemein- derung der Bioenergien. Auch hier haben wir eine De- sam hat, dass sie beide Umweltminister waren und in der gression eingeführt. Vor allen Dingen haben wir hierUnion sind, dass sie aber die Vernunft anscheinend nicht aber auch noch einiges andere getan. Wir haben nämlich gemeinsam haben. beispielsweise einen Bonus für nachwachsende Roh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem stoffe gestaltet, weil wir glauben, dass gerade die Bio- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter energien einen wichtigen Beitrag für die erneuerbaren Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch kein prin- Energien leisten und sie noch nicht so stark genutzt wor- zipielles Nein!) den sind, wie wir uns das gewünscht haben. Die Union will sich jetzt mit einem Trick retten: Die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erneuerbaren Energien werden bis 2007 gefördert; da- DIE GRÜNEN) nach wird geschaut, ob es ein anderes Instrument gibt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9319

Marco Bülow (A) Das ist ökologisch – aus den genannten Gründen – und (Ute Kumpf [SPD]: Wir haben keine Gesund- (C) ökonomisch natürlich unsinnig. Ökonomisch ist es des- heitsdebatte! Was haben Sie denn mit Energie halb unsinnig, weil es überhaupt keine Planungssicher- zu tun?) heit gibt. Niemand wird mehr irgendetwas in die erneu- erbaren Energien investieren, wenn er nicht weiß, was Horst Seehofer (CDU/CSU): hinterher dabei herauskommt. In 20 Jahren werden sich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und die Menschen an den Kopf fassen und fragen, warum es Herren! Was für starke Worte: ewig gestrig, trickreich, eigentlich so schwierig war, die erneuerbaren Energien noch nicht in der Gegenwart angekommen. zu fördern, und warum damit nicht schon viel früher an- gefangen wurde. ( [SPD]: Er wusste ja noch gar nicht, dass Sie reden!) (Zuruf von der SPD: Wegen der CDU!) Ich darf Herrn Bülow einmal daran erinnern, dass die er- Bei einigen fehlen leider der Fortschrittsglaube, der neuerbaren Energien zuallererst von der Union Anfang Mut und der Pioniergeist, die wir Deutschen doch soder 90er-Jahre gefördert wurden. Sie sind unser Kind. dringend brauchen. Glücklicherweise gilt das nicht für alle. Viele Menschen haben das Gegenteil bewiesen. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind nicht immer die Großen, die damit Geld verdienen neten der FDP) wollen – was ja legitim ist. Häufig sind das die Kleinen, Wir haben ein klares Bekenntnis zur Funktion der er- zum Beispiel die Solarinitiativen in Bayern, die eigenes, neuerbaren Energien auch in der Zukunft abgelegt. privates Geld in die Hand genommen haben und eine Menge für die erneuerbaren Energien tun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir stehen dazu. Die erneuerbaren Energien leisten für DIE GRÜNEN) den Klimaschutz, die Ressourcenschonung und die Technologieentwicklung einen wichtigen Beitrag. Des- Vorgestern habe ich den Bürgermeister von Badhalb werden nach Auffassung der Union die erneuerba- Urach in Baden-Württemberg getroffen. Er berichtete, ren Energien wie die Sonne, die Geothermie, die Bio- dass er vor 20 Jahren die erneuerbaren Energien entdeckt masse, die Wasserkraft und der Wind auch in der und gemeinsam mit anderen damit begonnen hat, sich Zukunft einen wichtigen Beitrag zum Energiemix in der dafür zu engagieren. Heute, nach einem 20-jährigenBundesrepublik Deutschland leisten. Kampf, Engagement usw., bringt er eineGeothermie- anlage ans Netz. Wenn nicht in diesem, dann wird er (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) (D) spätestens im nächsten Jahr eine Menge Haushalte in Damit nicht das geringste Missverständnis auftritt: Wir diesem Ort mit erneuerbarer Energie versorgen. Das ist bekennen uns eindeutig zu dem Verdoppelungsziel, Gründergeist, Mut und Initiative, die wir brauchen. nämlich dass sich der Anteil der erneuerbaren Energien (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ am Bruttostromverbrauch in der Bundesrepublik DIE GRÜNEN) Deutschland, gemessen am Jahre 2000, verdoppeln soll. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, all den Men- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schen, die sich aktiv für die erneuerbaren Energien ein- SES 90/DIE GRÜNEN) gesetzt haben und noch einsetzen werden – ob als Bür- Über das Ziel gibt es überhaupt keine Diskussion. germeister, Initiativen, Verbände oder allein –, meine Anerkennung auszusprechen und herzlich zu danken. (Marco Bülow [SPD]: Dann machen Sie mit!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir streiten um den richtigen Weg zum Ziel. Wir müssen DIE GRÜNEN) trotz unseres Bekenntnisses zu den erneuerbaren Ener- gien darauf achten, dass die erneuerbaren Energien Um beim Thema zu bleiben, möchte ich mich zum – diesen Grundsatz haben Sie in der Theorie bisher auch Schluss auch bei allen Referentinnen und Referenten so- immer vertreten – effizient, marktwirtschaftlich und wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, sinnvoll eingesetzt werden. Politikern, die für den sinn- die an der Novelle mitgearbeitet haben und ohne die wir vollen Einsatz eines Instrumentariums eintreten, kann Abgeordneten bei solch komplexen Themen manchmal man doch nicht vorwerfen, dass sie gegen dieses Instru- ganz schön alt aussehen würden. Gemeinsam haben wir mentarium sind. ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Vielen Dank da- für. Schauen Sie, ich komme aus der Gesundheitspolitik. Selbst in der Gesundheitsversorgung ist es parteiüber- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ greifend Konsens, dass die Versorgung der kranken DIE GRÜNEN) Menschen effizient und wirtschaftlich organisiert wer- den muss. Niemand würde deshalb auf die Idee kom- men, dass sich die Realisierung von Wirtschaftlichkeit Präsident Wolfgang Thierse: und Effizienz im Gesundheitswesen gegen die kranken Ich erteile das Wort Kollegen Horst Seehofer, CDU/ Menschen richtet. Das, was in der Gesundheitsver- CSU-Fraktion. sorgung selbstverständlich ist, muss erst recht für die 9320 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Horst Seehofer (A) Energieversorgung gelten, nämlich dass wir die erneuer- (Beifall bei der CDU/CSU) (C) baren Energien wirtschaftlich und effizient einsetzen. Denn Abnahmeverpflichtung und festeEinspeisungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und vergütung sind nicht annähernd marktwirtschaftliche der FDP) Prinzipien. Trotzdem muss eine Anschubfinanzierung in diese Richtung erfolgen. Deshalb waren wir auch immer Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen. Ihre Ar- dafür, dass man eine Einspeisungsvergütung vorsieht. gumentation, das Ganze koste nur 1 Euro, ist ein Einlul- Wir müssen aber auch mit dem zweiten Ziel Ernst ma- len der Bevölkerung. Das ist das Gesetz der kleinenchen. Wir müssen zu irgendeinem Zeitpunkt dazu kom- Zahl: Diese Maßnahme ist nicht so schlimm, weil sie nur men, dass sich erneuerbare Energien selbst tragen, wirt- 1 Euro kostet. Auch jene Maßnahme ist nicht schaftlich so sind und nur noch dort eingesetzt werden, wo schlimm, weil sie nur ein paar Cent kostet. – In dersie sinnvoll sind. Auch das müssen wir realisieren. Summe – das ist die entscheidende Botschaft für die pri- vaten Haushalte und die Industrie – hat Ihre Politik dazu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beigetragen, dass mittlerweile 40 Prozent des Stromprei- neten der FDP und des Abg. Marco Bülow ses für Maßnahmen des Staates in den letzten Jahren auf- [SPD]) gewendet wurden. Das ist die Wahrheit. Es macht doch keinen Sinn, wenn die feste Einspei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sungsvergütung dazu führt, dass auch an ungünstigen neten der FDP – Marco Bülow [SPD]: Das ist Standorten Windräder aufgestellt werden. Wenn Sie doch Quatsch! Sagen Sie mal was zur Subven- sich jetzt – ich wende mich an die Grünen – auf der ei- tion der Atomkraft!) nen Seite aus Gründen des Natur- und Landschaftsschut- zes hier im Deutschen Bundestag zu erneuerbaren Ener- Das heißt, wenn ein Haushalt eine Stromrechnung von gien bekennen, auf der anderen Seite Ihr Klientel aber 200 Euro erhält, dann sind in diesem Betrag 40 Prozent vor Ort gegen die Aufstellung von Windrädern de- davon für Maßnahmen aufzubringen, die Sie politisch monstriert, weil das aus ihrer Sicht an ungünstigen veranlasst haben. Standorten einen überzogenen Eingriff in die Natur und (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist falsch die Landschaft darstellt, dann passt das nicht zusammen. aufgeschrieben worden!) Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir die Förderung der Windkraft auf die Standorte konzentrieren, die irgend- Nun erklären Sie am ersten Tag: Das ist doch garwann einmal die Chance bieten, dass Windkraft wirt- nicht so schlimm, es sind an der Tankstelle nur ein paar schaftlich genutzt werden kann. Cent mehr für die Ökosteuer. Am nächsten Tag heißt es: (B) Das ist gar nicht so schlimm, es sind nur ein paar Cent (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D) mehr für die Mehrwertsteuer. Am dritten Tag sagen Sie: Weiterhin müssen wir die Förderung stärker hin zu er- Das ist gar nicht so schlimm, es sind nur ein paar Cent neuerbaren Energien umpolen, die vom Prinzip her mehr für die Kraft-Wärme-Kopplung. Am Ende der Wo- grundlastfähig sind. che erzählen Sie: Das ist gar nicht so schlimm, es sind nur ein paar Cent für die erneuerbaren Energien. – Jede (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) Maßnahme für sich betrachtet kostet in der Tat nur eine Es macht doch auf Dauer keinen Sinn, wenn wir erneu- geringe Summe. Aber alles zusammengenommen muss erbare Energien, die nur eine bestimmte Stundenzahl im uns Sorgen machen; denn ein Anteil von 40 Prozent am Jahr zur Verfügung stehen, weil nicht immer die Sonne Strompreis ist kein Pappenstiel. scheint oder der Wind bläst, fördern und gleichzeitig (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- aber die konventionellen Kraftwerke uneingeschränkt ruf von der SPD: Deshalb muss jetzt die Ge- ihre Grundlast vorhalten müssen. Was haben wir für den sundheitspolitik ran und das erklären!) Klimaschutz erreicht, wenn nur ergänzt, nicht aber er- setzt wird? Deshalb müssen wir umsteuern. Wie sieht das in der Praxis aus? Sie sprechen hier von einer Förderung der erneuerbaren Energie. In der Reali- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tät sieht es aber so aus, dass der Gesetzgeber eine Ver- Wir müssen zu grundlastfähigen Energiearten umsteuern pflichtung der Netzbetreiber vorgesehen hat, Strom aus und bei den übrigen Energiearten dafür sorgen, dass sie erneuerbaren Energien abzunehmen. irgendwann wirtschaftlich werden. (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel aus meiner Hei- NEN]: Das ist auch gut so!) mat. Dort organisieren Banken und Sparkassen zurzeit Hinzu kommt die Verpflichtung, den Strom zu einemAbendvorträge über das so genannte Schwarze-Dächer- Festpreis zu vergüten. Programm. Es wird den Menschen empfohlen, einen Kredit über 100 000 Euro aufzunehmen und die Dächer Ich darf in Klammern anmerken, dass ich bisher im- ihrer Häuser mit Sonnenkollektoren zu bestücken. Laut mer dachte, dass wir beim Apothekenrecht eine sehrFinanzierungsplan soll in den ersten zehn Jahren der hohe Regelungsdichte haben. Aber gemessen an der För- Kredit zurückgezahlt werden, in den zweiten zehn Jah- derung der erneuerbaren Energien haben wir bei denren soll der Investor ein Zubrot zu seiner Rente haben. In Apotheken noch den Inbegriff der sozialen Marktwirt- dem Beispiel, das ich vor Augen habe, wird von einer schaft. Rente in Höhe von 850 Euro gesprochen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9321

Horst Seehofer (A) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das muss der erneuerbaren Energien. Behalten Sie deshalb bitte(C) man sich einmal vorstellen!) auch diese anderen Faktoren im Blick! Dafür ist die Förderung der erneuerbaren Energien (Beifall bei der CDU/CSU) nicht gedacht. Für die CDU/CSU sage ich klipp und klar Ja zu den (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) erneuerbaren Energien, Es ist nicht so wie bei der Ökosteuer, die ein Beitrag zur (Dr. [SPD]: Aber nichts dafür tun!) Rentenfinanzierung ist. Es kann nicht sein, dass die klei- zu einer Umsteuerung hin zu den grundlastfähigen er- nen Leute und Familien mit Kindern über den höheren neuerbaren Energien und zu einem effizienteren Förder- Strompreis die Rente derjenigen finanzieren, die es sich system, damit das Ganze auch auf Dauer tragfähig leisten können, ihr Kapital in solche Anlagen zu inves- bleibt. tieren. Das kann nicht sinnvoll sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neten der FDP) Deshalb sagen wir klipp und klar: Ja zum Ziel der Verdoppelung der erneuerbaren Energien beimBrutto- Präsident Wolfgang Thierse: stromverbrauch. Da stimmen wir völlig überein. Wir Ich erteile der Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/ sagen aber ebenso entschieden: Umsteuerung hin zuDie Grünen, das Wort. grundlastfähigen Energiearten und keine Dauersubven- tion. Wir reden im Deutschen Bundestag fast wöchent- lich darüber, wie wir Subventionen abbauen; auf der an- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): deren Seite laufen wir Gefahr, gigantische neueVerehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Subventionen für unwirtschaftliche Anlagen zu gewäh- Heute ist ein guter Tag: Die rot-grüne Koalition wird den ren. Weg ins Solarzeitalter trotz einer beispiellosen Kampa- gne von RWE und Co beschleunigt fortsetzen. Unser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ziel ist es, den Anteil erneuerbarer Energien an der Marco Bülow [SPD]: Reden Sie mal über Stromerzeugung bis zum Jahr 2020 auf mindestens Atomkraft!) 20 Prozent zu erhöhen. Sie gehen davon aus, dass schon alles richtig werden Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird. Wir verstehen aber politische Verantwortung sodes BMU ausdrücklich für die sehr gute Vorlage danken, – darin unterscheiden wir uns von Ihnen –, dass wirdie sie erarbeitet haben. Der SPD-Fraktion danke ich für (B) durch Gestaltung und unsere Entscheidung dafür sorgen die sehr gute Zusammenarbeit bei der Weiterentwick-(D) wollen, dass es richtig wird. lung des Gesetzentwurfs. Das Gesetz ist und bleibt ein Gesetz des Parlaments und darauf sind wir stolz. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit sei- nem herkömmlichen Förderinstrumentarium bis Ende Das EEG ist zum wichtigsten Klimaschutzinstrument 2007 befristet werden. Wir werden bis zu diesem Zeit- geworden. Durch den Emissionshandel werden im Jahr punkt hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz vorlegen, 2012 10 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Mit dem das für die Ziele, die ich genannt habe, ein effizienteres EEG bzw. der Förderung der erneuerbaren Energien Förderinstrumentarium vorsieht, als es in der Vergangen- werden wir ungefähr 60 Millionen Tonnen CO2 einspa- heit der Fall war. ren können. Das ist die sechsfache Menge. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Kosten sind mit 1 Euro pro Haushalt – das wurde bereits angesprochen – vertretbar. Im Vergleich dazu Die von uns vorgesehene Förderung bis zum Jahr verursachen Stand-by-Schaltungen die achtfachen 2007 hängt nicht mit irgendeiner Wahl zusammen, son- Kosten. Wenn wir die freie Wahl der Strommesser dern damit, dass Ende 2007 die Versuchsphase des durchsetzen könnten, dann könnten die durch das EEG Emissionshandels ausläuft und mehr Klarheit darüber entstehenden Kosten durch den Wettbewerb im Energie- herrscht, welche Kosten durch die erneuerbaren Ener- bereich vollständig kompensiert werden. gien für den Netzausbau und die Regelleistungen beim Strom entstehen. Dann sind wir in der Lage, eine fun- Auf Sie persönlich, Herr Seehofer, geht die Einfüh- dierte Entscheidung zugunsten der erneuerbaren Ener- rung der Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal zurück. gien zu treffen. Diese Summe ist ein Vielfaches dessen, was die Förde- rung der erneuerbaren Energien den Bürger kostet. Wir müssen aber auch darauf achten, meine Damen und Herren von Rot-Grün, dass wir neben der Förderung Wir schaffen neue Impulse insbesondere bei der Bio- der erneuerbaren Energien in einem effizienteren System masse, also der Erzeugung von Strom und Wärme aus durch Stromeinsparung und mehr Effizienz bei denlandwirtschaftlichen Abfällen und nachwachsenden Kraftwerken zu einer Kostensenkung kommen. DennRohstoffen vom Acker. Der Landwirt wird zum Energie- mit günstigeren Preisen können wir wesentlich mehr für wirt. Neben der Windenergie wollen wir eine zweite den Klimaschutz erreichen als allein mit der Förderung starke Säule der erneuerbaren Energien aufbauen. 9322 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Michaele Hustedt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denen Kraftwerken im Raum Berlin genutzt wird. Wir(C) sowie bei Abgeordneten der SPD) haben über Monate versucht, diesen Aspekt in das EEG hineinzubringen. Er ist aber einfach nicht aufgenommen Herr Seehofer, wenn Sie eine stärkere Förderung der worden. Meine Frage lautet: Warum sieht das EEG keine erneuerbaren Energien fordern, mit denen die Grundlast Vergütung der Kombination aus Waldholz und Altholz abgedeckt und Spitzenlaststrom erzeugt werden kann, in Heizkraftwerken vor? dann müssen Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen. Denn genau diesen Weg beschreiten wir damit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der SPD) Offenbar haben Sie das Gesetz nicht gelesen. Wir wollen mit dem Gesetz die nachwachsenden Rohstoffe Sie hören doch sonst immer auf den Bauernverband. – dazu gehören auch Waldresthölzer – mit 2,5 Cent pro In der aktuellen Pressemitteilung des Bauernverbands Kilowattstunde zusätzlich fördern. Die nachwachsenden wird klar zum Ausdruck gebracht, dass der Verband er- Rohstoffe vom Acker wie zum Beispiel Mais wollen wir wartet, dass alle Fraktionen des Bundestages der Novelle mit 4,5 Cent bzw. 6 Cent fördern. Aber auch die Wald- des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit den darin vorge- hölzer werden durch das Gesetz, wie gesagt, weit mehr sehenen Verbesserungen im Zusammenhang mit der gefördert als zuvor. Stimmen Sie also zu, Herr Lamp! Biomasse zustimmen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn die CDU/CSU dem Gesetzentwurf nach lan- Schade, dass Sie den gleichen Fehler wie in der letzten gem Ringen nicht zustimmt, dann ist leider wieder eine Legislaturperiode machen! Chance verpasst. Wer meint, dass das Gesetz bis zum Zurzeit weht dem Klimaschutz der Wind vielleicht Jahr 2007 befristet werden soll, der kann auch gleich sa- ein bisschen entgegen. Aber das wird sich auch wieder gen, dass er das Gesetz abschaffen will. Denn niemand ändern. Dann stehen Sie erneut im dünnen Hemdchen wird mit so einer Frist noch einen Bankkredit bekom- da. Nach einer Allensbach-Umfrage sind nur 14 Prozent men. Das wäre das sofortige Aus der Förderung der er- der Bevölkerung für eine Senkung der Vergütungssätze, neuerbaren Energien. also für einen Abbau der Förderung. Ein Großteil ist ab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN solut für die erneuerbaren Energien. Sie werden den sowie bei Abgeordneten der SPD) Menschen in diesem Lande, insbesondere den Bauern und auch denjenigen, die in den ländlichen Räumen le- (B) (D) Das sollten Sie aber auch ehrlich sagen. ben, erklären müssen, warum Sie hier Ihre Unterstützung Dabei stimmte Frau Merkels Analyse nach der letzten versagen. Bundestagswahl haargenau. Sie hatte festgestellt, dass Der Klimaschutz ist bei weitem nicht nur eine ökolo- die Bundestagswahl von der CDU/CSU auch deshalb gische Frage und auch kein Luxusproblem der Grünen. verloren wurde, weil sie beim Umweltschutz ein Va- Ich möchte einmal wirtschaftlich argumentieren; denn kuum hat und weil sie in der vorigen Legislaturperiode wenn es um Umweltargumente geht, sind Sie – die FDP dem EEG nicht zugestimmt hat. völlig, die CDU/CSU zumindest zur Hälfte – sowieso (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf beiden Ohren taub. Die Kosten infolge der Flut 2002 sowie bei Abgeordneten der SPD) betrugen 15 Milliarden Euro; die Kosten infolge der Dürre 2003 beliefen sich auf 13 Milliarden Euro. Das al- Präsident Wolfgang Thierse: les muss der Steuerzahler tragen. Weltweit nimmt die Frau Kollegin Hustedt, gestatten Sie eine Zwischen- Zahl der Naturkatastrophen enorm zu. Von 1960 bis frage des Kollegen Lamp? 1969 betrugen die Kosten für die von Naturkatastrophen verursachten Schäden 71 Milliarden US-Dollar. Von 1990 bis 1999 beliefen sich die Kosten für die Schäden, Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die durch von Menschen verursachte Naturkatastrophen Ja, gerne, Herr Lamp. Welchem Verein gehören Sie entstanden sind, schon auf 607 Milliarden US-Dollar. noch mal an? Das ist fast eine Verzehnfachung. Wer zahlt dafür? Es sind die Bürger, die Bauern und die Unternehmer, die Helmut Lamp (CDU/CSU): Haus und Hof verlieren, sowie die Hausbesitzer. Wer Ich bin Vorsitzender des Bundesverbandes Bio-Ener- verursacht das? Verursacher sind diefossilen Energie- gie, dem der Fachverband Biogas, der Deutsche Bauern- träger wie Kohle, Gas und Erdöl. 70 Prozent des CO2- verband sowie die Forstwirte- und die Waldbauern-Ausstoßes kommen aus den Industrieländern. Deutsch- verbände angehören. Vielleicht haben auch Sie dieland ist beim Klimaschutz bei weitem kein Vorreiter; Stellungnahme der Waldbauernverbände gelesen, in der denn Deutschland liegt mit seinem CO2-Ausstoß pro darauf hingewiesen wird, dass die Hölzer rund um Ber- Kopf weit über dem EU-Durchschnitt. Im Vergleich zu lin seit einem Jahrzehnt kaum genutzt werden. Dieseanderen Industrieländern in der EU hat es sogar den Verbände hatten die große Hoffnung, dass mit dem Er- höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. Wir sind also keine neuerbare-Energien-Gesetz die Möglichkeit besteht,Vorreiter, obwohl wir in diesem Land viel für den Kli- dass dieses enorme Potenzial an Hölzern in den vorhan- maschutz getan haben. Wir müssen noch viel tun. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9323

Michaele Hustedt (A) 150 000 Menschen sind laut der Weltgesundheitsor- Das Erneuerbare-Energien-Gesetz halten wir aller-(C) ganisation im letzten Jahr an den von Menschen verur- dings für den falschen Weg, um den Anteil der erneuer- sachten Treibhauseffekten gestorben. Ich nenne Ihnen baren Energien zu erhöhen. Die festgelegten Einspeise- noch einen anderen Grund, warum wir uns für den Kli- vergütungen sind eine ständige Marktintervention. Den maschutz einsetzen sollten. Weltweit nimmt der Ver-durch das EEG gesetzten Anreiz zur Kostenreduktion brauch an Rohstoffen zu, insbesondere durch das rasante und zur Steigerung der technischen Effizienz halten wir Wachstum in China und Indien – was diesen Ländernfür nicht ausreichend. durchaus vergönnt ist. (Beifall bei der FDP) Wir haben in diesem Jahr den höchsten Erdölver- brauch, den es jemals gegeben hat. Die gestiegene Nach- Die Kosten für Stromkunden sind enorm; diese Ent- frage nach Energie führt zu drastischen Preissteigerun- wicklung ist nicht wegzudiskutieren. Im Jahr 2003 er- gen bei Erdöl, Kohle und Gas. Das DIW geht davon aus, zeugten Stromversorger und private Anlagenbetreiber dass eine Preiserhöhung von 5 Dollar pro Barrel Erdöl 45 Milliarden Kilowattstunden Ökostrom. Das ist dop- einen Einbruch beim Bruttoinlandsprodukt von 0,4 Pro- pelt so viel wie 1999. Die Mehrkosten durch staatlich zent bedeutet. Schon in den letzten Monaten lag der Öl- festgelegte Einspeisepreise stiegen im gleichen Zeitraum preis dauerhaft bei über 30 Dollar pro Barrel Öl. Das be- um das Siebenfache. 2003 zahlten die Verbraucher, also deutet laut DIW 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte wenigerdie Stromkunden, 1,9 Milliarden Euro. Wirtschaftswachstum durch die erhöhte Nachfrage nach Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Öl. Sie wissen genau: Dieses Problem wird eher größer EEG werden von der Bundesregierung und von den als kleiner werden, der Preisdruck bei uns wird also zu- Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen nehmen. Deswegen sage ich Ihnen: Je unabhängiger ein leider immer wieder ausgeblendet. So wachsen die Wett- Industrieland von fossilen Energieträgern wird, destobewerbsnachteile der stromintensiven Unternehmen. größer sind seine Vorteile im globalen Wettbewerb mit Das gefährdet die noch vorhandenen 660 000 Arbeits- anderen Industrieländern. plätze. Im Bereich der Windkraftanlagen fördert der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staat jeden Arbeitsplatz mit – diese Zahl stammt vom sowie bei Abgeordneten der SPD) BMU – 36 000 Euro. Wenn das nichts ist, dann frage ich mich, was denn überhaupt etwas ist.

Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der FDP – Rolf Hempelmann Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. [SPD]: Haben Sie auch die Zahlen für die Kernenergie?) (B) Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Uns Liberalen geht es darum, einen unter ökologi-(D) Ich komme zum Schluss. schen, ökonomischen und sozialen Kriterien optimalen Energiemix zu den geringstmöglichen Kosten bereitzu- Die erneuerbaren Energien stehen für Klimaschutz. stellen. Sie schaffen Arbeitsplätze, bewirken das Verbleiben der Wertschöpfung im eigenen Land, tragen zur Friedenssi- (Beifall bei der FDP) cherung sowie zur Armutsbekämpfung bei und stärken Dabei werden sich die erneuerbaren Energien langfristig den Innovationsstandort Deutschland. Wir können damit nur dann als ein ernst zu nehmender Bestandteil der Ener- eine starke Exportwirtschaft aufbauen. Wir sagen Ja zu gieversorgung behaupten können, wenn sie am wettbe- den erneuerbaren Energien, wir sagen Ja zum Klima-werblichen Energiemarkt selbstständig bestehen können. schutz und wir sagen Ja zur Politik der ökologischen Modernisierung. Unser Ansatz ist marktwirtschaftlich. Durch die Um- stellung auf ein Modell marktwirtschaftlicher Förderung Ich danke Ihnen. durch Mengensteuerung werden Netzbetreiber und Ei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ generzeuger verpflichtet, eine gewisse Menge durchge- DIE GRÜNEN) leiteten oder selbst genutzten Strom aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Durch Ausschreibungsmodelle sind diese Mengen am freien Markt erwerbbar. So Präsident Wolfgang Thierse: kommt unter Wettbewerbsbedingungen jeweils diejenige Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst, Technologie zum Zuge, zu der die klimatischen und geo- FDP-Fraktion. graphischen Bedingungen passen. Der Verbraucher kann darauf hoffen, dass auch erneuerbare Energien möglichst Angelika Brunkhorst (FDP): kostengünstig produziert werden. Das ist ein gutes Ziel. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erneuerbaren Energien sind Zukunftstechnologien. Sie (Beifall bei der FDP) können dazu beitragen, die Energieversorgung nachhal- Weitere große Kostensenkungspotenziale bestehen da- tig zu sichern. rin, dass man die erneuerbaren Energien von der Netzein- (Beifall des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) speisung und der Abhängigkeit von der Regelenergie un- abhängiger macht. Das könnte mit hochleistungsfähigen Sie dienen dem Klimaschutz, den wir – das möchte ich Energiespeichertechniken erreicht werden. Dabei ist vor hier betonen – ausdrücklich unterstützen. allem an Wasserstofftechnologie und die Brennstoffzelle 9324 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Angelika Brunkhorst (A) zu denken. Zur Beschleunigung der Erforschung von Ein Motto zeichnet sich ab: Es wird nicht mehr geför- (C) Speichertechnik haben wir, die FDP, den Antrag „Ener- dert, was sich irgendwann rechnen wird, sondern es wird giespeicherforschung vorantreiben – Höchsttechnolo- gefördert, wirklich alles gefördert, damit es sich rechnet. gien für die Speichertechnik entwickeln“ vorgelegt. Auch wir von der FDP wollen die Förderung der er- Eine auf Energiespeicherung aufbauende Nutzung er- neuerbaren Energien, aber auf einem anderen Weg, auf neuerbarer Energien macht diese grundlastfähig undeinem marktwirtschaftlichen Weg. wird auch für den Verkehrssektor, der bislang nicht in Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ein integriertes Energie- und Klimakonzept eingebunden ist, interessant. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP)

Des Weiteren müssen die flexiblenKioto-Instru- Präsident Wolfgang Thierse: mente Joint Implementation und Clean Development Ich erteile Kollegen Hermann Scheer, SPD-Fraktion, Mechanism entschlossener durchgesetzt werden. Wenn das Wort. wir auf eine technische Entwicklungszusammenarbeit setzen, die den Schwellen- und Entwicklungsländern (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Energie bereitstellt, um diese in ihrer wirtschaftlichen Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Entwicklung zu unterstützen, profitieren auch wir davon, NEN]) indem wir uns die dort günstig errungenen Minderungen auf unsere Verpflichtung anrechnen lassen können. Das Dr. Hermann Scheer (SPD): ist ein guter Weg. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Inte- ressante ist, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, des- Außerdem setzen wir auf technische Innovationen und auf Offenheit in der Forschung. Ich komme an die- sen Novelle heute zur Entscheidung steht, umstrittener ser Stelle auf den TA-Bericht zu sprechen, der dieGeo- ist, als das im Jahr 2000 der Fall war. Das hat seinen Grund vor allem darin, dass dieses Gesetz erfolgreich thermie beleuchtet hat. Wir sehen, dass die Geothermie ein sehr interessantes Potenzial ist. Es ist ein riesigesgeworden ist. Es wird zu einer ernsthaften Herausforde- Reservoir an Energie, das 600fache des jährlichenrung für die Struktur der Energiewirtschaft. Von daher erklärt sich das seit einem Jahr anhaltende Getöse um er- Stromverbrauchs in Deutschland. Unter Nachhaltig- keitsaspekten sollte diese Menge aber über einen sehr neuerbare Energien, das teilweise mehr als peinliche langen Zeitraum – 1 000 Jahre – abgebaut werden. Züge angenommen hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) Der technische Aufwand ist, wie wir wissen, noch (D) DIE GRÜNEN) sehr hoch. Außerdem ist das Risiko von Fehlbohrungen nach wie vor groß. Deshalb plädieren wir für eine zu- Es gibt zahllose Lippenbekenntnisse für erneuerbare sätzliche Förderanstrengung im Rahmen des Zukunfts- Energien. Natürlich spricht jeder dafür. Man würde sich investitionsprogramms, um zusätzliche Kostenreduk-auch wundern, wenn jemand dagegen wäre, dass eine tionspotenziale zu erforschen und um Pilotprojekte zu emissionsfrei und dauerhaft nutzbare Energie gefördert unterstützen. wird. Aber dieses Ja ist oft nur ein Lippenbekenntnis. Es gibt Ausflüchte, und zwar immer dann, wenn es um kon- (Beifall bei der FDP) krete Forderungen geht. Konkrete Forderungen sind der Ich will auf die vielen Neuerungen des EEG, die Zu- eigentliche Lackmustest dafür, ob wir in dieser Frage und Abschläge, gar nicht eingehen, sondern nur so viel wirklich vorankommen. sagen: Ein untaugliches Gesetz wird durch viele Ände- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rungen und Interventionen nicht besser. DIE GRÜNEN) Zum Thema Windkraftanlagen ist Ihnen, liebe Kol- Eine Befristung, wie sie aus der Unionsfraktion ge- leginnen und Kollegen der Regierung und der Koali- fordert worden ist, ist geradezu absurd. Sie hätte unmit- tionsfraktionen, noch ein Coup oder ein kleines Gano- telbar zur Folge, dass die erfolgreichen Unternehmen, venstück gelungen. Sie wissen ganz genau, dass die die jetzt auch auf den Weltmarkt gehen – das reicht von Akzeptanz für den Zubau von Windkraftanlagen im Bin- der Windenergie bis zur Photovoltaik –, ihren Standort nenland sinkt, dass es gegen diesen Zubau sehr viel Bür- in die Länder verlagern würden, die mittlerweile mer- gerprotest gibt. Sie haben in einer Nacht-und-Nebel-Ak- ken, dass es gar keinen Weg an erneuerbaren Energien tion in Art. 1 § 10 den Abs. 4 gänzlich gestrichen. Damit vorbei gibt. Kann eine Befristung wirtschaftlich ernst- entfällt die Anforderung, nach der mindestens 65 Pro- haft begründet werden? zent des Referenzertrages erzielt werden müssen. Das heißt, es kann jetzt überall im Binnenland gebaut wer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den. Ich weiß nicht, wie die Bürger darauf reagieren. Sie DIE GRÜNEN) sehen sich schon jetzt dem Horrorszenario von riesigen Die mangelnde Effizienz des EEG wird beklagt. Was Windparks ausgesetzt. Das Ganze ist schon ein Über- soll dieses Argument? In Bezug auf die Effizienz stellt rumpelungsmanöver gewesen; die Streichung wurde sich in erster Linie die Frage: Welches politische Instru- zum Schluss einfach vorgenommen. ment ist bei der Einführung erneuerbarer Energien am (Beifall bei der FDP) erfolgreichsten? Die Antwort ist statistisch weltweit klar. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9325

Dr. Hermann Scheer (A) Alle, die erneuerbare Energien ernsthaft fördern wollen, Zehntausende von Megawatt an Überkapazitäten ent-(C) schauen auf dieses Gesetz. standen. Es heißt, jetzt sollen die erneuerbaren Energien mit dem konkurrieren, was längst bezahlt ist. Marktwirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaft bedeutet, das Prinzip der Marktgleichheit zu be- DIE GRÜNEN – [CDU/CSU]: achten und diese überhaupt wiederherzustellen, denn sie Das ist ja Sozialismus pur!) existiert gegenwärtig nicht. Wenn es um Effizienz geht, geht es sicherlich auch um Kostensenkung. Aber die Senkung der Kosten einer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Technologie erfolgt doch nicht durch das Labor, sie er- DIE GRÜNEN) folgt durch Wir könnten uns die Förderung der erneuerbaren (Volker Kauder [CDU/CSU]: Subvention!) Energien im Rahmen des EEG sparen, wenn die bisheri- gen, über Jahrzehnte getätigten Subventionen von der Produktionssteigerung, Produktionstechnikverbesserung, herkömmlichen Energiewirtschaft zurückgezahlt werden Markteinführung. Wer also nach Kosteneffizienz ruft, müssten und die Subventionen zurückgefordert werden darf nicht die Markteinführung künstlich blockieren,könnten. Dann brauchten wir kein Förderprogramm für sondern muss sie vorantreiben. erneuerbare Energien. Das ist aber leider unrealistisch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Insofern geht an einem solchen Marktinstrument speziel- DIE GRÜNEN) ler Art nichts vorbei. Das Gesetz sei zu ambitioniert, heißt es. Wir sollten Die Grundlast soll damit angeblich nicht abgedeckt die Zielsetzung der Reduktion von CO2-Emissionen werden können. Sehen Sie sich doch einmal die wech- um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 streichen. In diesem selseitige Ergänzung der erneuerbaren Energien an, und Zusammenhang erinnere ich an das, was die Umwelt- beachten Sie, dass der Regelbedarf an Energie in den ministerin Merkel am 28. April 1998 wörtlich gesagtletzten Jahren gesunken und nicht gestiegen ist, obwohl hat: wir die erneuerbaren Energien ausgebaut haben. Wenn Sie diesen Punkt so hervorheben, dann müssen Sie doch Das große Ziel lautet, bis Mitte des nächsten Jahr- gerade deshalb zustimmen, weil der Hauptpunkt dieser hunderts den Anteil erneuerbarer Energien aufNovelle die verstärkte Förderung der Bioenergie ist. Sie 50 Prozent zu steigern. ist in jedem Fall grundlastfähig, weil sie genauso leicht Deshalb müssten Sie mitmachen, wenn das nicht wieder speicherbar ist wie fossile Energien. nur ein Lippenbekenntnis gewesen sein soll, (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Das versuchte Ausspielen gegen denEmissions- statt Ziele zu blockieren, die an diese Dimension noch handel ist doch nun wirklich lächerlich. Das Instrument lange nicht herankommen. EEG hat schon jetzt mehr zur Emissionsminderung bei- getragen, als es mit den ambitionierten Zielen des Um- Das Argument, das Gesetz sei zu ambitioniert, ist läp- weltministers in Bezug aufden Emissionshandel, die pisch. Es ist nicht zu ambitioniert. Bei jeder anderen nicht ganz durchgekommen sind, und mit dem Emis- Technologie heißt es doch: schneller sein als andere, sionshandel überhaupt möglich gewesen wäre. weil das die internationale Wettbewerbsfähigkeit der in dieser Richtung tätigen Unternehmen steigert. Bei den Die Förderung der erneuerbaren Energien hat im Rah- erneuerbaren Energien aber heißt es jetzt: Bitte keinen men des Klimaschutzes Priorität. Das EEG ist ein Alleingang! Das hätten Sie sich einmal bei anderenvielfältigeres Instrument. Aber es geht im Grunde ge- Technologien überlegen sollen, die zu einem riesigennommen nicht nur um Klimaschutz. Es geht um Indus- Milliardengrab geworden sind: schneller Brüter, dietrieförderung; es geht um Förderung der Landwirtschaft; Atomtechnologie insgesamt. es geht um Förderung des Handwerks. Es gibt außerdem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vielfältige zusätzliche Effekte, die die gesamte Entwick- DIE GRÜNEN) lung der Wirtschaft auf eine neue Stufe stellen. Damit können wir die Herausforderungen unseres Jahrhunderts Die erneuerbaren Energien seien zu teuer, heißt es. bewältigen. Wenn man die externen Effekte der herkömmlichen Energieversorgung, allen voran die Atomenergie, mit Sehen Sie die Thematik einmal unter diesen Gesichts- einbezieht, sind die herkömmlichen Energien aus gesell- punkten und stellen Sie die entsprechenden Fragen! Sie schaftsökonomischer Sicht längst unbezahlbar gewor- werden sehen, dass die heutigen Argumente gegen das den. An diesem Tatbestand kommen wir nicht mehr vor- EEG irgendwann einmal als peinlich empfunden wer- bei. den. Mangelnder Markt wird beklagt. Der Hintergrund ist, Danke schön. dass wir bis 1998 einen Gebietsschutz für die gesamte deutsche Stromversorgung hatten, sodass ohne irgendein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Risiko Investitionen getätigt werden konnten, wodurch DIE GRÜNEN) 9326 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

(A) Präsident Wolfgang Thierse: 15 Terawattstunden beziffert. Kleine und mittlere Anla- (C) Ich erteile das Wort Kollegin Doris Meyer, CDU/gen stellen den Löwenanteil an der ebenfalls dezentralen CSU-Fraktion. Energieerzeugung dar. (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn es uns gelingt, erstens einen Energiemix aus al- NEN]: Die Arme!) len – und ich betone: aus allen – zur Verfügung stehen- den Energiearten zu schaffen, zweitens die Technologie im Bereich der erneuerbaren Energien weiterzuentwi- Doris Meyer (Tapfheim) (CDU/CSU): ckeln und weitere Kosteneinsparungen zu erreichen so- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen wie drittens die erneuerbaren Energien an die Wirt- und Herren! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die schaftlichkeit heranzuführen und sie dort zu halten, dann Union Anfang der 90er-Jahre als Stromeinspeisungs- können wir sagen: Die erneuerbaren Energien haben sich gesetz auf den Weg gebracht hat, hat heute vierten Ge- ihren Platz neben den herkömmlichen Energiearten dau- burtstag. Und da ist es an der Zeit, sich Gedanken über erhaft gesichert. die Zukunft zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Und dazu muss man folgende Fragen stellen: Kann das EEG neben dem Emissionshandel noch in unverän- Der vorliegende Gesetzentwurf deutet in die richtige derter Form weiterbestehen? Gibt es Möglichkeiten, er- Richtung. Bei Biomasse und Wasserkraft könnte die neuerbare Energien stärker nach Effizienz, Grundlastfä- Union den Entwurf teilweise mittragen. Die Laufzeit für higkeit und Wirtschaftlichkeit zu fördern? Vor diesem die Vergütung bei der Biomasse wurde von 15 auf wie- Hintergrund hat die Union ein neues Konzept ausgear- der 20 Jahre erhöht. Die Degression wurde von ur- beitet. Und damit wollen wir in die Zukunft gehen. sprünglich 2 auf jetzt 1,5 Prozent gesenkt. Das sind For- derungen der Union, die erfüllt wurden, und das haben Die Unionsfraktion kann die Zielvorgabe des Gesetz- wir auch im Ausschuss zum Ausdruck gebracht. entwurfs zur Neuregelung des EEG bis 2020 ohne ein vernünftiges zukunftsfähiges Gesamtkonzept nicht mit- Wir schlagen in unserem Entschließungsantrag vor, tragen. Das bisherige EEG-System möchte die Koalition Ende 2007 das EEG nach der Testphase des Emissions- unverändert bis 2020 beibehalten. Der Zeitraum ist aus handels durch eine Anschlussregelung zu ersetzen. heutiger Sicht viel zu lang. Wegen vieler Unwägbarkei- Beide Instrumente, das EEG wie der Emissionshandel, ten – sei es die technische Entwicklung, seien es dietragen zu einer CO2-Reduzierung bei. Wenn beide In- Auswirkungen des Emissionshandels – erscheint unsstrumente gleichzeitig greifen, muss geprüft werden, ob dieser Zeitraum deutlich zu lang. Wir stehen nach wie beide nebeneinander noch in der jeweiligen Form Be- (B) vor zu dem Ziel, bis 2010 den Anteil erneuerbarer Ener- stand haben können. (D) gien auf 12,5 Prozent zu erhöhen. Bei der Windkraft setzen wir darauf, durch die 65-Pro- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zent-Regelung nur noch einen weiteren Zubau an wind- NEN]: Das reicht nicht!) günstigen Standorten zuzulassen. Diese Regelung hilft der Windkraft, sich nicht mehr Vorwürfen ausgesetzt zu Die Rolle der erneuerbaren Energien im notwendigen sehen, sie werde an allen, also auch an windungünstigen Energiemix darf nicht unterschätzt werden. In den ein- Standorten unwirtschaftlich gefördert. zelnen Energiearten stecken beachtliche Potenziale. Gerade die, mit denen der Grundlastbereich abgedeckt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werden kann – wie Geothermie, Biomasse und Wasser- Die 65-Prozent-Regelung möchten wir von entsprechen- kraft –, sind noch lange nicht ausgeschöpft oder über- den Regelungen beim Bau- und beim Planungsrecht haupt schon erschlossen. flankiert sehen, Die Geothermie steht noch ganz am Anfang ihrer Ent- (Horst Seehofer [CDU/CSU]: Sehr gut!) wicklung. Wie auch der Bericht zu den Möglichkeiten geothermischer Stromerzeugung in Deutschland auf-um so den Zubau an windungünstigen Standorten im zeigt, gibt es auf diesem Gebiet enorme, kaum genutzte Binnenland auszuschließen. Potenziale. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Union bekennt sich damit zum Ausbau der Wind- Bei der Bioenergie ist das Tor zur Erschließung schon kraft im Binnenland an windgünstigen Standorten, schon weit offen, aber noch lange nicht alles erschlossen. Das allein deshalb, um für die Offshoretechnik deutsches Gesamtpotenzial bei der Stromerzeugung mittels Bio- Know-how zu erhalten und weiter auszubauen. masse wird auf etwa 60 Terawattstunden pro Jahr ge- schätzt. Die Bioenergie stellt damit ihre Grundlastfähig- Nach 2007 soll es nach unseren Vorstellungen ein an- keit unter Beweis und stellt somit einen wertvollenderes Förderinstrument geben. Das bedeutet, das bishe- Beitrag zu einer echten dezentralen Energieversorgung rige EEG wird durch eine Anschlussregelung abgelöst. dar. Diese wird intensiver auf die Bedeutung der Grundlast- energie eingehen und den volkswirtschaftlich effizien- Ausgehend von derzeit rund 26 Terawattstunden, die testen Weg einschlagen. Die Union steht nach wie vor pro Jahr erzeugt werden, wird das noch nicht erschlos- unverändert zu ihrem Ziel, die erneuerbaren Energien zu sene Potenzial bei der Wasserkraft mit fördern. etwa Über die Anschlussregelung, die wir gesetzlich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9327

Doris Meyer (Tapfheim) (A) verabschieden wollen, werden wir bis dahin gründlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) diskutieren und beraten. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Dann Auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen war die- wird es ja nie etwas! – Michaele Hustedt ses Gesetz gut. In den letzten Jahren wurden dadurch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel Spaß!) 100 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. In den nächsten zehn Jahren wollen wir 500 000 zusätzliche Arbeits- Für die Union bedeutet Energiepolitik immer auchplätze schaffen. Daran sehen wir: Dieses Instrument Standortpolitik. Die Auswirkungen auf die Wettbe-wird auch auf die Wirtschaft gute Auswirkungen haben. werbsfähigkeit Deutschlands dürfen deshalb bei der Pla- nung und Verwirklichung der Förderung nicht außer Auch beim Biogas gab es in den letzten Jahren eine Acht gelassen werden. Unser Konzept sieht neben der Zunahme von 15 Megawatt im Jahr 1999 auf 35 Mega- Förderung der grundlastfähigen erneuerbaren Energien watt im Jahre 2003. Aber es zeigte sich schnell, dass das weiterhin vor, die Stromeinsparung und die effizienteerwünschte Wachstum bei den Bioenergien nicht in dem Verwendung des Stroms massiv voranzutreiben. Das ge- Maße erreicht wurde, wie es gewünscht war. Der relativ hört zu unserem Gesamtkonzept. kostengünstige Markt für landwirtschaftlichen Abfall und Reststoffe war bald erschöpft. Einen weiteren Aus- Wir halten an unseren Zielen fest: Erneuerbare Ener- bau kann es nur durch den Einsatz nachwachsender Roh- gien müssen gefördert werden, um zu einem zukunftsfä- stoffe geben. Die heutige Novelle wird hierfür den ent- higen Energiemix zu kommen. Jedes Instrument muss scheidenden Durchbruch ingen. br Der vorgesehene permanent daraufhin überprüft werden, ob es zusammen Vergütungszuschlag für nachwachsende Rohstoffe wird mit anderen seinen optimalen Wirkungsgrad entfalten der Landwirtschaft neue Verdienstmöglichkeiten eröff- kann. Das beabsichtigen wir mit unserem Vorschlag. Nur nen. Daran zeigt sich: Die wahren Freunde der Land- so hat unsere nationale Energieversorgung eine Zukunft. wirtschaft sind die rot-grünen Regierungsfraktionen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht die CDU und die CSU, die diesen Gesetzentwurf neten der FDP) heute ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsident Wolfgang Thierse: sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Josef Fell, Frak- Homburger [FDP]: Oh, oh!) tion des Bündnisses 90/Die Grünen. Ich bin gespannt, wie Bauernverbandspräsident Sonnleitner Ihnen für Ihre ablehnende Haltung am heuti- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen Tage die Leviten lesen wird. (B) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (D) Herren! Frau Meyer, ich weiß, nicht Sie persönlich, aber (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ihre Fraktion will 2007 nicht das EEG ablösen. Ihre SES 90/DIE GRÜNEN) Zielvorstellung ist eine ganz andere: Sie wollen die Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Schröder Markteinführung von erneuerbaren Energien beenden, hat das Jahr 2004 als„Jahr der Innovation“ ausgeru- um weiter Atomstrom und Kohlestrom umweltschädlich fen. Die heutige EEG-Novelle ist dafür ein wesentlicher in diesem Land zu produzieren. Dies ist das entschei-Baustein. Neuartige Techniken werden in das EEG auf- dende Ziel Ihrer Politik. genommen, zum Beispiel Wellenkraft, Meeresströ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mungskraftwerke und Salzgradientenkraftwerke; das al- und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ les sind für den deutschen Maschinenbau große CSU]: Das ist eine Unverschämtheit, Herr Chancen. Vor allem bei den Bioenergien sieht das Erneu- Fell! Sie wissen es genau anders!) erbare-Energien-Gesetz einen wichtigen Innovations- schub vor. So wird es erhöhte Vergütungen geben: für Gestern war der vierte Geburtstag des Erneuerbare- Biogasbrennstoffzellen, für Sterlingmotoren, für thermo- Energien-Gesetzes. Heute führen wir mit einer Novelle genische Gaserzeugung und für Biogasreinigung auf die erneuerbaren Energien aus den Kinderschuhen in das Erdgasqualität. Dass solche Innovationsanreize ihre Wir- industrielle Erwachsenenzeitalter. kung nicht verfehlen, wissen wir schon längst: aus unse- ren Erfahrungen mit dem alten EEG. Schon die derzeitige Fassung des Erneuerbare-Ener- gien-Gesetzes führte zu einem stürmischenWachstum, Die Windkraftbranche hat in den letzten Jahren vor allem in den Bereichen Windkraft und Photovoltaik. hoch effiziente Windräder erzeugt, weil die Marktein- So verzehnfachte sich in vier Jahren die jährlich neu in- führung der entscheidende Forschungsanreiz ist, Frau stallierte Photovoltaikleistung auf aktuell 130 Megawatt. Brunkhorst. Darauf hat Herr Scheer in seiner Rede hin- Die Windkraft legte auf hohem Niveau noch einmal um gewiesen. 70 Prozent neu installierte Leistung auf 2 600 Megawatt (Birgit Homburger [FDP]: Und was ist mit den im Jahr 2003 zu. Gleichzeitig, Herr Seehofer, konnten Kostensenkungen für die Verbraucher?) die Kosten drastisch gesenkt werden, zum Beispiel bei der Photovoltaik um 25 Prozent in nur vier Jahren. Der Die großen CO2-freien Strommengen, die durch den Ein- Weg ist klar vorgezeichnet: Wir führen die erneuerbaren satz dieser hoch effizienten Windräder an süddeutschen Energien mit hoher Geschwindigkeit zu Wettbewerbsfä- Standorten gewonnen werden können, wollen wir nun higkeit und Wirtschaftlichkeit. ernten und einer aktiven, CO2-freien Stromerzeugung 9328 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Hans-Josef Fell (A) zuführen. Daher war es nur konsequent, dass die Regie- Deswegen ist das, was Sie hier machen, nichts anderes(C) rungsfraktionen den Regierungsentwurf an dieser Stelle als Augenwischerei: Es ist teuer – Sie belasten die Ver- korrigiert haben. braucherinnen und Verbraucher –, aber es bringt für die Umwelt überhaupt nichts. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Denn diese Windräder werden auch Atomstrom aus süd- der CDU/CSU) deutschen Ländern ersetzen, selbst wenn das den atom- Wenn Sie wirklich wollen, Herr Fell, dass wir in die- politischen Versessenheiten sem Bereich weiterkommen, müssen Sie dem Antrag der (Birgit Homburger [FDP]: So ein Quatsch!) FDP-Bundestagsfraktion auf Förderung von Speicher- technologien zustimmen, sodass wir erreichen, dass auch der Ministerpräsidenten Stoiber, Koch und Teufel nicht die erneuerbaren Energien, die nicht grundlastfähig sind, passt. durch Speicherung grundlastfähig werden. Das ist unser (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Konzept; das haben wir mehrfach gefordert. Sie haben SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) es im Umweltausschuss abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, das sei eine Dinosauriertechnologie. Auch die Angebotsschwankung im Windbereich wird Sie haben keine Ahnung, was für die Zukunftsfähigkeit die Sicherheit einer zukünftigen Vollversorgung mit er- der erneuerbaren Energien wichtig ist. Deswegen sagen neuerbaren Energien nicht stören. Denn wir fördern mit ich Ihnen noch einmal ganz deutlich: Wir brauchen die dieser Novelle auch die Stromerzeugung aus Tiefenerd- Förderung der Speichertechnologien, um die Grundlast- wärme. Sie hat das Potenzial, rund um die Uhr und stän- fähigkeit der erneuerbaren Energien zu erreichen dig die Grundlaststromerzeugung von Kohle- und Kern- kraftwerken zu ersetzen. Das hat eine wissenschaftliche (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist keine Kurz- Untersuchung des Büros für Technikfolgenabschätzung intervention!) längst aufgezeigt. und ihnen damit eine große Chance für die Zukunft zu Ich bin überzeugt: Diese Gesetzesnovelle wird einen eröffnen. weiteren aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber (Beifall bei der FDP) nicht nur dazu; sie wird auch eine Grundlage für die Stärkung der deutschen Wirtschaft sein. Frau Hustedt Der letzte Punkt: Sie sagten, die Opposition solle end- hat bereits auf die Erdölpreissteigerungen hingewiesen. lich begreifen, dass die erneuerbaren Energien eine Stär- Der OPEC-Beschluss von gestern passt doch nicht in das kung für den Wirtschaftsstandort seien und keine (B) Bild der grenzenlosen Verfügbarkeit von Erdöl. Trotz ei- Schwächung. Jawohl, sie sind eine Stärkung, wir brau- (D) nes extrem hohen Ölpreises hat die OPEC beschlossen, chen die erneuerbaren Energien im Energiemix; die die Fördermengen zu senken. Darin sehe ich ein wichti- FDP-Bundestagsfraktion steht dazu. Ich sage Ihnen aber ges Indiz dafür, dass die weltweite Ölförderung nichtauch: Wenn Sie wollen, dass das hier in Deutschland weiter gesteigert werden kann. Damit die deutsche Wirt- greift, müssen wir das auch so machen, dass es mög- schaft auch in Zukunft noch ausreichend Energie zurlichst kostengünstig organisiert wird. Eine kostengüns- Verfügung hat, müssen wir diese Versorgungslücketige Organisation erreichen Sie nur dann, wenn Sie unter durch den Einsatz erneuerbarer Energien schließen. An- den erneuerbaren Energien Wettbewerb erzeugen, einen sonsten werden wir ein riesiges Problem in unserer Ener- eigenen Markt nur für erneuerbare Energien kreieren. giewirtschaft und in unserer Wirtschaft überhaupt be- Dann haben Sie die Chance, Kostenreduktionen durch- kommen. Es wird Zeit, dass Sie von der Opposition und zusetzen, dann wird das ein Erfolg für die erneuerbaren auch der BDI mit Herrn Rogowski endlich begreifen: Er- Energien und auch für unseren Wirtschaftsstandort; ge- neuerbare Energien sind eine Stärkung für den Wirt-nau das ist das Konzept der FDP. schaftsstandort Deutschland und keine Schwächung. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Fell, Sie haben Gelegenheit zur Antwort. Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle- gin Birgit Homburger. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Kollegin Homburger, es ist gut, dass Sie mir Gelegenheit geben, diese von Ihnen und Birgit Homburger (FDP): von anderen in der Gesellschaft immer wieder genannten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Falschargumente geradezurücken. habe mich auf den Wortbeitrag des Kollegen Fell von gerade eben gemeldet. Herr Kollege Fell, ich möchte Sie Kein Mensch hat je behauptet, dass die Windenergie bitten, endlich aufzuhören, zu behaupten, dass Sie mit allein die Atomenergie vollständig ablösen solle. Die der Windenergie die Kernenergie ersetzen können.Windenergie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten: Windenergie – das ist genau das Problem – ist nichtin einem zukünftigen Energiemix, in der Addition mit grundlastfähig. Die Kernenergie leistet aber genau einen Geothermie, mit Bioenergie, mit der Wasserkraft, mit großen Teil derGrundlast unserer Stromversorgung. der Sonne, der Photovoltaik, die auch Angebotsschwan- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9329

Hans-Josef Fell (A) kungen hat. In einem intelligenten Energiemix ist das Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ (C) ohne Probleme zu erreichen. DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- – Hören Sie zu, dann wissen Sie es, Herr Fell. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE Stellen Sie sich nur folgenden einfachen Gedanken vor: GRÜNEN]: Jawohl, Herr Oberleutnant!) Im fränkischen Bereich, wo angeblich wenig Wind weht, kann die einfache Kombination aus einem Windrad und Energiepolitik ist kein Selbstzweck. Die Union for- einer Biogasanlage an dessen Fuß für ein Dorf rund um dert eine konsistente Energiepolitik aus einem Guss, die die Uhr Versorgungssicherheit bieten – über Jahrhun-mehrere Ziele gleichzeitig erfüllt: Wir wollen Klima- derte und Jahrtausende hinweg. schutz, aber nicht irgendeinen, sondern einen kosteneffi- zienten Klimaschutz. Wir wollen Versorgungssicherheit. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir wollen bei den erneuerbaren Energien eine marktge- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) rechte Innovations- und Technologieförderung sowie eine rasche Markteinführung. Wir wollen in der Energie- Dazu bedarf es nicht der konventionellen Energiefor-politik vor allem europaweit wettbewerbsfähige Ener- men. giepreise für die Verbraucher und unsere Wirtschaft. Es ist auch wichtig – Sie haben darauf hingewiesen –, Über diese Ziele sind wir uns in diesem Hause teilweise dass Speichertechnologien gefördert werden. Dafür ha- oder sogar weitgehend einig. ben wir in dieser EEG-Novelle einen Anreiz geschaffen. Der grundlegende Unterschied – leider nicht nur in Darum wundere ich mich, dass Sie ihr nicht zustimmen. der Energiepolitik – zwischen Rot-Grün und der Union – Wir haben auch die Forschungsförderung dafür erhöht. das wurde heute wiederum deutlich – besteht darin, dass Ich erinnere mich, dass bis 1998 unter der alten Regie- Sie offenbar der Meinung sind, dass der Staat es richten rung, als Ihre Partei noch selbst mit die Verantwortung soll; denn er weiß am besten, was für die Menschen und trug, die Forschung an Batterien – eine wichtige Spei- die Wirtschaft gut ist. Das zieht sich wie ein roter Faden chertechnologie – völlig beendet wurde. Wir haben das durch Ihre Politik. Egal, ob gestern bei der Frage der wieder neu belebt. Es gibt neue Batteriehoffnungen in Ausbildungsplatzabgabe oder nachher beim Optionsge- ganz großem Stil. Wir sehen also, dass wir Ihre Forde- setz am Arbeitsmarkt, ob bei der Energiepolitik, dem rungen schon längst erfüllt haben; dazu brauchen wirEmissionshandel oder heute Morgen bei den erneuerba- Ihre Anträge nicht. ren Energien: Sie frönen dem Zentralismus. Zum letzten Punkt, den Sie angesprochen haben, wir Wie hat Herr Müntefering das vor geraumer Zeit so (B) sollten endlich begreifen, dass wir möglichst kosten-schön entlarvend gesagt: weniger für den privaten Kon- (D) günstig sein müssen. Genau das tun wir. Schauen Siesum, dem Staat Geld geben; dazu muss man „sich auch sich die Windkraftentwicklung in Deutschland und Eng- bekennen“? Also bekennen Sie sich dazu und reden Sie land an. In England wird exakt das Modell produziert, nicht immer von Marktwirtschaft, wo Sie doch auf dem das Sie immer wieder vorschlagen: Quotenmodelle und Weg nicht nur in die ungeplante, sondern in die geplante Ausschreibungsmodelle. Staats- und Planwirtschaft sind. (Birgit Homburger [FDP]: Das stimmt doch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gar nicht!) der FDP) Obwohl in England wesentlich mehr Wind weht als in Diesen ideologiegetriebenen Wahnsinn werden wir, Deutschland und dort die von Ihnen propagierten Instru- die Union, nicht mitmachen. Im Gegenteil. Wir wollen mente angewendet werden, kostet die Kilowattstunde zuvorderst, dass wir die energiepolitischen Ziele mit aus Wind dort 13 Cent und in Deutschland mit dem Er- marktwirtschaftlichen Instrumenten und Mechanismen neuerbare-Energien-Gesetz nur 8,8 Cent. Ich frage Sie: umsetzen. Während Sie auf möglichst viele staatliche Was ist billiger? Ich fordere Sie auf, endlich zu rechnen Vorgaben – egal, ob beim Emissionshandel, bei der jetzt und von dem ideologischen Beharren auf den falschen anstehenden Novellierung des Energiewirtschaftsgeset- Argumenten abzusehen. zes oder bei den erneuerbaren Energien – setzen, setzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir, die Union, auf den Markt. Hier kann man in der Tat und bei der SPD) unseren alten Spruch wieder ausgraben: Freiheit statt So- zialismus! Das ist unser Programm. Wir wollen keine Staats- und Planwirtschaft. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Joachim Pfeiffer, CDU/ Jetzt aber zu der Frage, wie erfolgreich das EEG CSU-Fraktion, das Wort. wirklich ist und um welchen Preis die Ziele und Erfolge des EEG erkauft werden. Beginnen wir mit dem Klima- Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): schutz. Sie singen das Hohelied vom Klimaschutz. Tat- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sache ist aber, dass das EEG in seiner jetzigen Form ren! Was will die Union in der Energiepolitik? nichts zur weiteren Erfüllung des Kiotoziels beiträgt. Im Gegenteil. Durch die nicht abgestimmte Einführung des (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Emissionshandels und die Fortführung des EEG in der DIE GRÜNEN]: Das frage ich mich auch! – von Ihnen vorgeschlagenen Form wird eine Verbilligung 9330 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Joachim Pfeiffer

(A) der CO2-Zertifikate erreicht und letztlich nur die Kohle- EEG, dass das höchstens ein Strohfeuer sein wird. Sie sa- (C) verstromung, also gerade die fossilen und CO2-trächti- gen Ihnen für das Jahr 2010 voraus, dass der Beschäfti- gen Energien, in anderen Ländern Europas wie Italien gungseffekt negativ sein wird, und zwar um 6 000 Ar- und Großbritannien gefördert. beitsplätze. Im Jahr 2012 wird es bereits einen negativen Beschäftigungseffekt von 20 000 Arbeitsplätzen geben. Das sage nicht ich, sondern das sagen Ihre Gutachter Das sagen Ihnen Ihre Gutachter voraus, wenn Sie Ihre im Bundeswirtschaftsministerium. Das ist offensichtlich Politik so weiterbetreiben. auch der Grund dafür, weshalb Sie diese Gutachten bis heute nicht öffentlich zugänglich machen und nicht dem (Ulrich Kelber [SPD]: Sie müssen mehr als Bundestag vorlegen. nur die Zusammenfassung von Gutachten le- sen!) (Rolf Hempelmann [SPD]: Die stehen im In- ternet!) Ihre Politik ist also alles andere als nachhaltig, meine Damen und Herren. Sie legen die Gutachten vor, nachdem Sie das Gesetz verabschiedet haben und nicht vorher, weil darin Ihr ideo- (Beifall bei der CDU/CSU) logiegetriebener Wahnsinn schon von Ihren eigenen Gutachtern konterkariert wird. Deshalb schlagen wir, die Union, einen Doppelbe- schluss vor: Wir wollen die jetzige Förderung durch das Die EEG-Förderung verstößt auf jeden Fall gegen das EEG mit seiner Systematik und seinen Ineffizienzen Wirtschaftlichkeitsziel im Klimaschutz. Wenn Sie einen zum 31. Dezember 2007 eenden b und zeitgleich eine kosteneffizienten Klimaschutz wollen, müssen Sie sich neue Systematik, mit der alle energiepolitischen Instru- an den Kosten pro Tonne vermiedener CO2-Emission mente des EEG, Emissionshandel, Ökosteuer und auch orientieren. Dort sind Wirkungsgraderhöhungen im kon- die Steinkohlesubventionen, mit der Förderung der ventionellen Kraftwerkspark oder Maßnahmen in ande- Kraft-Wärme-Kopplung verknüpft werden, in einem ren Sektoren, zum Beispiel bei Gebäuden, wesentlichlangfristigen, in sich geschlossenen engergiepolitischen kosteneffizienter. Konzept umsetzen. Nur mit einem Konzept, in dem die Instrumente auf die einzelnen Energieträger durch Aus- Wie sieht es mit der Belastung von Verbrauchern und schreibungsmodelle oder Bonusmodelle abgestimmt Wirtschaft aus? Herr Seehofer hat es angesprochen: sind, werden wir eine effizientere Förderung der erneu- Heute liegt der Anteil der staatlich administrierten Abga- erbaren Energien erreichen. Nur durch dieses Konzept benbelastung am Strompreis bei 40 Prozent. der Union werden die erneuerbaren Energien in Zukunft (Ulrich Kelber [SPD]: Von was?) zielgerichtet an die Marktreife herangeführt und nur so (B) werden die erneuerbaren Energien im Energiemix lang- (D) Von 1998 bis 2003 sind die administrativ verursachten fristig die Rolle spielen können, die sie verdient haben. Steuern und Abgaben im Strombereich von 2,2 auf 12,6 Milliarden Euro angestiegen. Die zusätzlichen Kos- (Beifall bei der CDU/CSU und der CDU/CSU) ten wurden in einer Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro durch die Stromsteuer, durch Konzessionsabgaben Präsident Wolfgang Thierse: und durch KWK verursacht; bei den erneuerbaren Ener- Ich erteile das Wort dem Minister Jürgen Trittin. gien sind es bereits heute 2 Milliarden Euro an zusätzli- chen Kosten, die Verbraucher und Wirtschaft belasten. Jürgen Trittin (Bundesminister für Umwelt, Natur- Es sind eben nicht, wie verharmlosend gesagt wird, schutz und Reaktorsicherheit): Cent- oder 1-Euro-Beträge. Ein Durchschnittshaushalt Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit zwei Erwachsenen und einem Kind wird in Deutsch- mich über die Rede des Kollegen Seehofer, als er be- land im Jahr mit 160 Euro zusätzlich belastet. Wenn Sie gann, ungeheuer gefreut. die Ökosteuer im Mineralölbereich für Heizung und Auto noch hinzurechnen, reden wir über eine Mehrbe- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das meine lastung von 421 Euro im Jahr. Das sind die Fakten. Die ich doch! Das war eine gute Rede!) müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen, meine sehr ge- Es hat sich aber herausgestellt, dass das, was Herr ehrten Herren und Damen von der Regierung. Pfeiffer gerade ausgesprochen hat, das ist, was die Union Wie sieht es mit dem Beschäftigungseffekt aus? Sie wirklich denkt, und das hat sich im Verlauf Ihrer Rede, erzählen uns, dass Sie für einen viel beschworenen Be- Herr Seehofer, bereits angedeutet. schäftigungseffekt von 130 000 zusätzlich Beschäftigten Sie haben ein krachendes Bekenntnis für die erneuer- eintreten. baren Energien abgelegt. Aber es war eine Radio-Eri- (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ wan-Rede: im Prinzip ja. Anschließend sind Sie mit al- DIE GRÜNEN]: Das ärgert Sie!) len Vorurteilen gekommen, die man gegen die erneuerbaren Energien auffahren kann. – Nein, das ärgert mich nicht. Im Gegenteil: Wir können in diesem Land nicht genug Beschäftigte haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Was aber sagen wiederum Ihre Gutachter im Bundes- wirtschaftsministerium? Sie bestätigen Ihnen in der Un- Ich will dies an einem Punkt deutlich machen. Sie tersuchung der sektoralen Entwicklung im Bereich des stellen sich hier hin, berechnen den staatlichen Anteil am Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9331

Jürgen Trittin (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (A) Strompreis und schieben den den erneuerbaren Energien ein Argument, das von der Landesregierung Baden-(C) unter. Württembergs, von Herrn Kauders Parteifreunden, ange- führt wurde. Wir sind diesem Wunsch nachgekommen Schauen Sie sich die Statistik des VDEW an. Ihr kön- und haben ihn umgesetzt. Wir sind konstruktiv auf Sie nen Sie entnehmen, dass ein durchschnittlicher Haushalt zugekommen, während Sie sich verweigern. Ich habe in- mit drei Personen zurzeit 50 Euro im Monat für denzwischen den Eindruck gewonnen, das hat mehr mit Strom bezahlen muss. Davon – so der VDEW, nicht das Ideologie als mit Überzeugung in der Sache zu tun. Umweltministerium – wird 1 Euro – das sind 2 Prozent – für die erneuerbaren Energien aufgewendet. Wenn Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von staatlichen Belastungen beim Strompreis reden, und bei der SPD) dann müssen Sie auch hinzufügen, dass 5 Euro – das sind 10 Prozent – Konzessionsabgaben an die Gemein- Zurzeit sind einige Zeitungen der Auffassung, sie den sind. Ich habe von niemandem hier im Hause, weder müssten anderen Magazinen beim Wettlauf um einen aus Bayern noch aus Baden-Württemberg, gehört, dass falschen Populismus Konkurrenz machen. Selbstver- er dagegen vorgehen wolle. Hören Sie auf, diese Belas- ständlich müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Deshalb tungen den erneuerbaren Energien in die Schuhe zusetzen wir mit diesem Gesetz für den Ausbau der Wind- schieben! energie erstens ein klares Signal für die Offshoretechno- logie und zweitens schaffen wir damit bessere Bedin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gungen für das Repowering,also für den Ersatz alter und bei der SPD) Anlagen. Wir wollen mehr erneuerbare Energien mit we- niger Masten erreichen. Das ist die einfache Formel. Das Sie sagen: Ja, wir sind für erneuerbare Energien, aber ist der Ansatz unseres Gesetzentwurfs und auch diesem wir wollen im Jahr 2007 eine Überprüfung vornehmen. verweigern Sie sich. Meine Damen und Herren, haben Sie schon einmal et- was von Investitionssicherheit und von stabilen Rah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN menbedingungen gehört? Wollen Sie der Branche der sowie bei Abgeordneten der SPD) erneuerbaren Energien alle drei Jahre eine Novellie- rungsdebatte aufzwingen, in der es wieder heißen wird: Eine letzte Bemerkung: Waren Sie schon einmal in Wir warten mit den Investitionen in die Biomasseanla- Magdeburg? Haben Sie sich einmal angesehen, wo dort gen, in die Wasserkraftwerke oder in neue Anlagen, weil die letzten industriellen Arbeitsplätze sind? Sie befinden wir nicht genau wissen, was kommen wird? Die gleichen sich auf dem Gelände des einst zehntausend Menschen Redner, die in der Debatte um den Emissionshandel min- beschäftigenden Betriebes SKET. Dort ist jetzt die Firma destens zwölf Jahre Investitionssicherheit gefordert ha- Enercon, ein Hersteller von Windrädern, ansässig. (B) (D) ben, versuchen nun, einer anderen Branche einen Zeit- Ich würde mir wünschen, dass auch Unionsabgeord- raum von zwei Jahren zuzumuten. Das geht nicht. Sie nete mit dem gleichen Selbstbewusstsein, mit dem man verhalten sich hier standortfeindlich. sich in Dresden darüber freut, dass AMD und VW dort (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN produzieren, in Magdeburg sagen: Die Windenergie und bei der SPD) sorgt für 3 000 bis 4 000 Arbeitsplätze; dass es in Mag- deburg überhaupt noch Industrie gibt, ist eine Folge des Ich finde das traurig, weil ich am Anfang dieser De- Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ein solches Selbstbe- batte den Eindruck gewonnen hatte, dass wir die Chance wusstsein wünsche ich mir bei Ihnen. zu einem wirklichen Konsens bei der Umsetzung dieses Ziels – nicht nur beim Bekenntnis – haben. Sie haben ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagt: Wir müssen bei den erneuerbaren Energien mehr und bei der SPD) auf Regelenergie setzen. Das ist der Grund, warum diese Durch die Nutzung der erneuerbaren Energien können Regierung – ich bedanke mich für die gute Unterstüt- in Deutschland heute bereits 50 Millionen Tonnen CO zung durch die Koalition – die Biomasse stärker fördern 2 eingespart werden. Das ist und bleibt richtig. Hören Sie will. auf, erneuerbare Energien gegen Effizienz und Energie- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sparen auszuspielen. Meine Erfahrung der letzten Tage SES 90/DIE GRÜNEN) ist: Diejenigen, die gegeneinen effizienten Emissions- handel sind, sind immer schon gegen erneuerbare Ener- Herr Paziorek, wir haben Ihre Kritik aufgenommen gien gewesen. und sind Ihnen in der Frage desDegressionszeitraums entgegengekommen; denn wir wollten an dieser Stelle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein gemeinsames Signal setzen. Es ist genau so gekom- und bei der SPD) men, wie Sie es gefordert haben. Dennoch sagen Sie Nein. Ich habe den Eindruck, Sie tun das aus Prinzip. Wahr ist aber auch: Im Bereich der erneuerbaren Energien, also quasi durch die Einsparung von 50 Mil- Sie haben gesagt, es muss mehr darauf geachtet wer- lionen Tonnen CO2, haben 120 000 Menschen in diesem den, grundlastfähig zu werden. Aus diesem Grund stand Lande Arbeit gefunden, 50 000 Menschen davon in den schon im Regierungsentwurf, dass wir mehr für die För- letzten Jahren. Der Bereich der erneuerbaren Energien derung der Wasserkraft, auch für den Ausbau der gro- ist also der Beweis dafür, dass Umweltschutz und Be- ßen Wasserkraftwerke, tun wollen. Schließlich liegen in schäftigung, dass ökologische Modernisierung und Wett- diesem Bereich enorme Klimaschutzpotenziale. Das war bewerbsfähigkeit bestens zusammenpassen. 9332 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Jürgen Trittin (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (A) Ich bedanke mich für die gute Unterstützung und die lagen bis Ende 2007 ans Netz geht, soll nach unseren(C) Bereitschaft des Bundestages, heute den Gesetzentwurf Vorstellungen Bestandsschutz erfahren. in seiner jetzigen Fassung zu verabschieden. (Ulrich Kelber [SPD]: Was ist mit den Produk- Vielen Dank. tionsanlagen?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wie können Sie es also überhaupt wagen, hier zu vermit- und bei der SPD) teln, dass für Betreiber und Investoren Unsicherheiten existieren könnten? Wir sagen allen: Wer bis zum Präsident Wolfgang Thierse: Jahr 2007 ans Netz geht, der hat Bestandsschutz. Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/ Darüber hinaus wollen wir auch einen Übergang. CSU-Fraktion. Weshalb wehren Sie sich so dagegen, Herr Minister, dass (Beifall bei der CDU/CSU) man in diesem Hause darüber diskutiert, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ideologe!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rednerliste war eigentlich schon geschlossen, als derob das Festpreissystem langfristig sinnvoll ist oder ob Minister darum gebeten hat, auch an das Rednerpult ge- man nicht eventuell einBonussystem einführen solle, hen zu dürfen. Aufgrund seiner Rede wird nun eine neue wie wir es bei der KWK haben? Da gibt es nämlich für Diskussionsrunde zum EEG aufgelegt. ganz bestimmte erneuerbare Energien einen Zuschlag auf den normalen Strompreis. Ist das der Weltuntergang? Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Ihr Redebeitrag, Ich habe das Gefühl, Sie wollen der Diskussion auswei- chen, ob das Bonussystem besser ist als das Festpreis- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: War modell, welches Sie uns zurzeit vorschlagen. gut!) Ihr Versuch, die Ausführungen unseres stellvertretenden (Beifall bei der CDU/CSU) Fraktionsvorsitzenden Horst Seehofer umzuinterpretie- Sie weichen einer Diskussion darüber aus, ob wir für die ren, war eine reine Unverschämtheit. Das war Polemik Zeit nach 2008 ein besseres Modell entwickeln können, und war sachlich falsch. Das ist nicht hinzunehmen. das die erneuerbaren Energien genauso gut fördert, aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- volkswirtschaftlich viel effektiver ist als das, das Sie uns neten der FDP – Hans-Josef Fell [BÜND- heute auf den Tisch legen. Das ist unsere Position. (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man keine (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Argumente hat, muss man sagen: Unver- schämtheit!) Angesichts Ihrer Aufregung hat man das Gefühl, Sie seien davon getroffen, dass Sie nicht das schöne Bild Wir haben immer klar und deutlich gesagt, dass wir vermitteln können, die Union sei pauschal gegen erneu- zu den erneuerbaren Energien stehen. Sie haben mehr- erbare Energien. fach anerkannt, dass die Union wie andere Fraktionen in diesem Hause für die erneuerbaren Energien eintritt. (Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schlechte Gewissen!) (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum stimmen Sie dann nicht zu?) Das wird Ihnen in der Öffentlichkeit und auch bei den Firmen nicht gelingen. Wir werden Gespräche mit den Wie können Sie vor diesem Hintergrund nur aufgrund Firmen darüber führen, was nach 2008 besser werden dessen, dass die Union sagt, ab dem Jahr 2008 wolle sie wird. Wer aber so polemisch auftritt und so massiv ver- ein neues Fördersystem , behaupten, dass wir den Be- sucht, durch einen Wortbeitrag jede Gemeinsamkeit hin- reich der erneuerbaren Energien kaputtmachen wollen? sichtlich der Gestaltung auch nach 2008 zu zerstören, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das wol- NEN]: Wollen Sie es kaputtmachen?) len Sie doch gar nicht!) Wie können Sie behaupten, dass wir die erneuerbaren der versagt als Umweltminister in diesem Lande. Sie ha- Energien und damit den dafür wichtigen Standortben auch die Aufgabe, für die erneuerbaren Energien Deutschland zerstören wollen? Sie haben gar kein Inter- langfristig einen großen gesellschaftlichen Konsens zu esse daran, dass die Union zustimmt. finden. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir haben drei Termine mit Ihnen aus- NEN]: Sie verabschieden sich vom Konsens!) gemacht! Alle haben Sie abgelehnt!) Sie haben auch die Aufgabe, Herr Minister, dafür zu sor- Ihnen gefällt es viel besser, jetzt mit einer solchen Pole- gen, dass die Energie inDeutschland so günstig wie mik kommen zu können. möglich hergestellt wird; denn letztlich geht es in Wir haben klar und deutlich gesagt: Wir wollen eine Deutschland auch um Arbeitsplätze in den anderen Be- klare Übergangsfrist. Bis zum Jahr 2007 soll das jetzige reichen, also außerhalb der erneuerbaren Energien. Das Fördersystem weiter bestehen. Jeder, der mit seinen An- müssen wir immer berücksichtigen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9333

Dr. Peter Paziorek (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens. Die Einigung beim Emissionshandel hat(C) eines deutlich gemacht: Es ist gelungen, Klimaschutz Verantwortliche Politik muss sowohl für die erneuerba- mit der Industriepolitik zu verbinden und dafür zu sor- ren Energien als auch für die anderen Wirtschaftsberei- gen, dass der Klimaschutz in diesem Lande gleichzeitig che eintreten. Nur so können wir unserer Verantwortung auch Standortpolitik ist; denn die Unternehmen im gerecht werden. Lande – egal ob in der Energiewirtschaft oder in der Herr Minister, Sie haben dieser Aufgabe heute einen Industrie – haben jetzt feste Rahmenbedingungen. Wir Bärendienst erwiesen. Ich kann jetzt aus voller Überzeu- können davon ausgehen, dass es in den nächsten Jahren gung nur sagen: Es war richtig, dass die CDU/CSU-Bun- zu Investitionen in den Kraftwerksparks und in den destagsfraktion den Beschluss gefasst hat, mit allen ge- Industrieanlagen kommen wird. Das ist gut so. sellschaftlichen Akteuren darüber zu diskutieren, ob wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht ein besseres System zur Förderung der erneuerba- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren Energien für die Zeit nach 2008 auf den Weg bringen können. Genau dieser Philosophie folgt auch das EEG. Es ist eben nicht nur ein Klimaschutzinstrument. Deswegen ist Herzlichen Dank. es mit anderen Instrumenten auch nicht vergleichbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Man kann deshalb nicht fordern – auch mit zeitlicher neten der FDP – Michaele Hustedt [BÜND- Verzögerung nicht –, dass das alte Instrument abge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel Spaß dabei!) schafft wird, wenn ein neues eingeführt wird; (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Präsident Wolfgang Thierse: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich erteile Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Frak- tion, das Wort. denn mit diesen Instrumenten werden ganz unterschied- liche Ziele verfolgt. Es gibt sicherlich Schnittmengen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber eben auch ganz unterschiedliche Schwerpunkte. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem EEG werden wir nicht nur die CO2-Emissi- onen senken, sondern auch den Einstieg in die erneuer- Rolf Hempelmann (SPD): baren Energien erreichen. Das ist angesichtsendlicher Herr Präsident! Meine sehr verehrten KolleginnenRessourcen auch im Sinne künftiger Generationen eine und Kollegen! Lieber Kollege Paziorek, angesichts der absolute Notwendigkeit. (B) Tatsache, dass Sie drei Terminangebote der Koalitions- (D) fraktionen nicht wahrgenommen haben, war es schon (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mutig, so vollmundig zu sagen, dass die Koalitionsfrak- DIE GRÜNEN) tionen die Zusammenarbeit mit der CDU abgelehnt ha- Mit dem EEG werden wir gleichzeitig aber auchIn- ben. dustriepolitik im Bereich der erneuerbaren Energien be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ treiben. Die Anlagenbauer im Bereich der Windenergie DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ haben die Chance, weiterzumachen, und die Anlagen- CSU]: Wir konnten uns über die Befristung bauer im Bereich der Bioenergien haben die Chance, nicht einigen!) richtig loszulegen. Das ist gut; denn das schafft Arbeits- plätze und Wertschöpfung im Land. Daneben eröffnen Das gehört zur Wahrheit dazu und das macht deutlich, sich dadurch für uns Exportchancen. Das ist Wirtschafts- wer hier den Konsens gesucht hat und wer ihn von vorn- förderung im besten Sinne des Wortes. herein nicht wollte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) NEN]: Weil die sich nicht einigen konnten! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das stimmt Mit dem EEG schaffen wir nicht nur bei den erneuer- wiederum auch nicht!) baren Energien eine solche positive Entwicklung, son- dern wir sorgen durch die Neugestaltung der Härtefallre- Diese Woche war für die Energiepolitik ausgespro- gelung ebenso dafür, dass auch andere Industriebereiche chen bedeutsam: klare Zukunftsperspektiven erhalten. Wir haben die bis- Erstens. Es gab die Einigung beim Emissionshandel, herige Härtefallregelung durch Absenkung der Schwel- also beim Nationalen Allokationsplan. Deutschland ist len mittelstandsfreundlicher ausgestaltet. Auch haben eines von vier Ländern, die diesen Allokationsplan inwir dafür gesorgt, dass die besonders im Wettbewerb ste- Brüssel pünktlich eingereicht haben. henden und stromintensiven Branchen vom Selbstbehalt befreit werden. Das heißt, von der ersten Kilowattstunde (Volker Kauder [CDU/CSU]: Rechtswidrig! an muss nur der niedrigere Satz gezahlt werden. Das ist Ohne Beratung im Parlament!) ein gutes Signal. Es machtdeutlich: Wir machen nicht eine Politik des Entweder-oder, sondern eine Politik des Dieser Allokationsplan orientiert sich eng an den Klima- Sowohl-als-auch. schutzzusagen, die wir im Zusammenhang mit Kioto ge- macht haben. Darauf können wir stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 9334 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Rolf Hempelmann (A) Mit dem EEG werden wir Wachstumsimpulse auslö- Sie machen eine Milchmädchenrechnung auf, um die(C) sen. Es wird Wachstum – ich habe es schon angedeutet – Gemüter im Lande zu beruhigen. beim Anlagenbau im Bereich von Windenergie und Bio- masse geben. Es wird aber auch im Bereich der Industrie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu Wachstum kommen. Im Verbund mit dem Instrument der CDU/CSU) des Emissionshandels wird es im deutschen Kraftwerks- In der Aluminiumindustrie, die in der Bundesrepublik bau zugleich eine Investitionswelle geben. Wir haben die Deutschland nach wie vor sehr viele Arbeitsplätze stellt, Rahmenbedingungen so gesetzt, dass es im deutschen machen die Belastungen allein durch das EEG 30 Euro Kraftwerksbau sowohl im Bereich von Braunkohle, von je Tonne aus. Wenn Sie das umrechnen, dann ist das je Steinkohle als auch von Gas zu Ersatzinvestitionen kom- nach Größe des Betriebes eine Belastung von circa men wird. Wir stehen vor einer Modernisierungswelle in 3 000 bis 4 000 Euro je Arbeitsplatz im Jahr. Das ist der deutschen Energiewirtschaft. wettbewerbsrelevant, Herr Trittin. Dies ist – insofern gebeich meiner Kollegin Frau (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Hustedt absolut Recht – nicht nur für die deutsche Ener- der CDU/CSU) giepolitik, sondern auch für die erneuerbaren Energien, die Energiewirtschaft insgesamt und die Industrie eine Sie haben erklärt, der Einsatz der erneuerbaren Ener- gute Woche. Darauf sind wir stolz. Verlassen Sie sichgien spare 50 Millionen Tonnen CO2 ein und diejenigen, darauf: Wir lassen uns diesen Erfolg nicht zerreden. die gegen den Emissionshandel seien, seien gegen die erneuerbaren Energien. Sehr verehrter Herr Minister, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ FDP-Bundestagsfraktion ist mit Unterstützung der CDU/ DIE GRÜNEN) CSU-Fraktion zu einem Zeitpunkt, als Sie das Wort Emissionshandel überhaupt noch nicht kannten, für die- ses effiziente Instrument des Klimaschutzes eingetreten. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDP- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fraktion. der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Jetzt wollen Sie davon nichts mehr wissen! – Dr. Axel Berg [SPD]: Das ist ja das Entlar- Birgit Homburger (FDP): vende!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon bemerkenswert, dass wir in dieser Dis- Wer hat denn dieses Instrument international durchge- kussion über das Erneuerbare-Energien-Gesetz einesetzt? Das waren nicht Sie, sondern wir haben es durch- (B) zweite Runde aufmachen. Herr Trittin, unsere Argu-gesetzt. (D) mente müssen Sie so massiv unter Druck gesetzt haben, (Dr. Axel Berg [SPD]: Was kommt dabei dass Sie es für nötig befunden haben, hier zu sprechen. heraus?) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn Sie die letzten Jahre der CDU/CSU – Dr. Axel Berg [SPD]: Vor Ih- die Vorbereitung des Emissionshandels in Deutschland rer Spitzenargumentation zittern wir alle!) nicht verschlafen hätten, wären wir heute beim Klima- Ich möchte ein paar Punkte, die Sie angesprochen ha- schutz und bei der Einsparung von Kosten sehr viel wei- ben, Herr Trittin, aufgreifen. Sie haben erklärt, der hohe ter. staatliche Anteil am Strompreis – das sind immerhin (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 41 Prozent – ergeben sich aus der Konzessionsabgabe. der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Dabei verschweigen Sie aber, dass die Kosten, die durch das EEG und die Ökosteuer verursacht werden, der weit- Ich sage ganz klar: Die FDP steht zur Förderung er- aus größere Teil sind. Dafür sind Sie verantwortlich,neuerbarer Energien. Wir wollen aber weder die Technik ohne eine vernünftige Begründung geliefert zu haben. politisch vorgeben, noch wollen wir den Preis politisch vorgeben. Genau das tun Sie mit dem Erneuerbare-Ener- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gien-Gesetz. Wir wollen ein wettbewerbliches, ein der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: marktwirtschaftliches Fördermodell für erneuerbare Eben nicht! – Dr. Axel Berg [SPD]: Letztes Energien, mit dem es gelingt, Klimaschutz kosteneffi- Jahr waren es 30 Millionen!) zient zu erreichen. Das sind wir den Bürgerinnen und Sie sprechen immer davon, dass dadurchArbeits- Bürgern in diesem Lande schuldig. plätze geschaffen werden. Sie machen das wie in allen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten anderen Bereichen auch: Sie denken nur an einzelne der CDU/CSU) Bereiche, aber nie an die Gesamtbilanz. Ich sage Ihnen: Das Märchen, das Ganze koste nur 1 Euro, stimmt einfach nicht. Das ist schlicht und ergreifend vomPräsident Wolfgang Thierse: Stromverbrauch abhängig. Aber das verschweigen Sie Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt immer. erteile ich dem Kollegen Hermann Scheer das Wort. (Rolf Hempelmann [SPD]: Haben Sie schon (Ute Kumpf [SPD]: Hören Sie gut zu, Herr einmal das Wort Durchschnitt gehört?) Kauder!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9335

(A) Dr. Hermann Scheer (SPD): (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das stimmt (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil die doch gar nicht!) Debatte wegen der vorzüglichen Rede des Bundesum- Das ist die Aussage dieser Gutachten. Diese stützt sich weltministers verlängert worden ist, habe ich die Gele- auf die denunziatorische, meines Erachtens unwissen- genheit, noch einmal auf einige Punkte einzugehen. schaftliche Behauptung, dass die erneuerbaren Energien (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn es sein keine Arbeitsplätze schaffen, sondern sogar noch Ar- muss!) beitsplätze kosten. Der Verweis darauf, dass in der nächsten Legislatur- Es kennen sich aber auch andere in den Wissenschaf- periode im Jahr 2007 etwas anderes kommen werde, – ten aus. Es ist vielleicht für die Öffentlichkeit und auch für Sie, wenn Sie das Ganze nicht gelesen haben sollten, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Eine andere Re- interessant, zu erfahren, wie diese Gutachter zu einer gierung ist dann dran!) solchen Aussage kommen. Sie kommen dazu, indem sie behaupten, dass die EEG-Umlage, die heute von allen wohinter die stillschweigende Hoffnung der Unionprivaten Stromverbrauchern gezahlt wird, zulasten des steckt, dass sie dann die Dinge gestalten könnte –, istKonsums geht, weil diese Mittel für Investitionen in die mehr als fadenscheinig. erneuerbaren Energien verwendet werden. Weil das zu- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wieso denn lasten des Konsums gehe, gingen Arbeitsplätze verloren. das?) Es wird aber an keiner Stelle gesagt, was denn anstelle dessen konsumiert werde – das kann man nicht bele- Ich erkenne durchaus an, dass es in der Union seriöse gen –, ob das ein Bier im Ballermann auf Mallorca ist Strömungen gibt, die diesem Erneuerbare-Energien-Ge- oder irgendetwas anderes. setz in der Tradition des Stromeinspeisungsgesetzes für erneuerbare Energien sehr positiv, sogar zustimmend ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ballermann ist genüberstehen. Auf der anderen Seite aber gibt es eine gut! – Jörg van Essen [FDP]: Ihre Rede tut ganz entschiedene, radikale Gegnerschaft. Die hat heute einem doch weh!) zu dem Bild geführt, das Ihre Fraktion geboten hat. Daraus ergibt sich logischerweise: Die wirtschafts- wissenschaftlichen Gutachter kommen zu dem Ergebnis, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des dass jedweder Konsum, egal welcher Art, für die Ent- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter wicklung der Volkswirtschaft und sogar der Umwelt Paziorek [CDU/CSU]: Ist doch nicht wahr!) wichtiger ist als eine präzise und vorbestimmte Förde- rung der erneuerbaren Energien über eine Umlage, wo- (B) Das ist ganz eindeutig und bleibt auch der Öffentlichkeit (D) nicht verborgen. Es wird doch durch diese Debatte of- durch noch weitere Faktoren wie eine zusätzliche Wert- fensichtlich. Das heißt, die Begleitmusik zu Ihren angeb- schöpfung geschaffen und Entwicklungen in Gang lich besseren Alternativen, die Sie versprechen, gesetzt werden. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!) Mit anderen Worten: Wissenschaftliche Gutachten auf einem solchen Niveau sind im Grunde genommen nicht geht doch an der Öffentlichkeit, an den Betroffenen und zitierfähig. an den Investoren überhaupt nicht vorbei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das ist wahr!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt bestimmte Aussagen, auch im Wirtschaftsaus- Solche Gutachten können allenfalls referiert werden. In schuss. So hat ein Unionssprecher gesagt: Wenn wir die der Wissenschaft ist es nun einmal so: Es ist selbstver- Macht übernehmen, werden wir mit dem Erneuerbare- ständlich nicht jeder Professor käuflich, aber irgendeinen Energien-Gesetz Schluss machen. Das ist eine wunder- findet man leider immer, der sich zu einer gewünschten bare Botschaft. Aussage bereit findet. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nicht die Beschlusslage!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – – Ich weiß, dass das vielleicht nicht Ihre offizielle Be- Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist nur schlusslage ist. peinlich!) Betrachten Sie einmal die so genanntenwissen- Wenn wir über Wirtschaft sprechen, dann müssen wir schaftlichen Gutachten, die mehrfach von verschiede- erkennen, nen Rednern der Opposition erwähnt worden sind. Diese (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dass Sie es nicht Gutachten, die zwar aus dem Umfeld des Wirtschaftsmi- können!) nisteriums kommen, deren Aussagen sich das Wirt- schaftsministerium aber nicht zu Eigen gemacht hat, ha- dass erneuerbare Energien mit der Zeit immer billiger ben alle denselben Tenor. Dieser lautet: Ab werden. dem Denn alle Kosten, die für diese Energien – mit Jahr 2007 – deshalb ist die Jahreszahl ja so interessant – Ausnahme der Biomasse – ausgegeben werden, fallen sollte die gesamte Förderung erneuerbarer Energien zu- bei der Mobilisierung und Bereitstellung der Technik an. gunsten des Emissionshandels fallen gelassen werden. Daraus ergibt sich – das zeigt die Geschichte der 9336 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Hermann Scheer (A) technologischen Revolutionen –, dass erneuerbare Ener- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) gien auf Dauer billiger werden. Dort, wo für die Primär- DIE GRÜNEN) energie etwas bezahlt werden muss – das ist nur bei der Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- Biomasse der Fall –, wird als Ergebnis der Mobilisie- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschlie- rung erneuerbarer Energien eine Revitalisierung des ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa- landwirtschaftlichen Sektors erzielt. che 15/2858? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Bündnis 90/Die Grünen und einer Stimme aus der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen Präsident Wolfgang Thierse: Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt. Kollege Scheer, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- Dr. Hermann Scheer (SPD): tion der FDP auf Drucksache 15/2859? – Wer stimmt da- Herkömmliche Energien dagegen können wegen der gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist negativen Umwelteffekte und der bevorstehenden Er- mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen schöpfung der konventionellen Energieträger nur teurer gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/ werden. Insofern stehen wir mit dem vorliegenden Ge- CSU-Fraktion abgelehnt. setzentwurf an einer Wasserscheide energiestrategischer Tagesordnungspunkt 19 b: Beschlussempfehlung des Entscheidungen, die wir heute treffen. Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ cherheit, Drucksache 15/2797, zu dem Bericht des Aus- DIE GRÜNEN) schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung mit dem Titel: Monitoring – „Möglichkeiten geothermischer Präsident Wolfgang Thierse: Stromerzeugung in Deutschland“. Der Ausschuss emp- Ich schließe die Aussprache. fiehlt, in Kenntnis des Berichts auf Drucksache 15/1835 Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die GrünenBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- sowie von der Bundesregierung eingebrachten Ge-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- setzentwürfe zur Neuregelung des Rechts der erneuerba- men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal- ren Energien im Strombereich, Drucksachen 15/2327, tung von CDU/CSU und FDP angenommen. (B) (D) 15/2539 und 15/2593. Der Ausschuss für Umwelt, Na- Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- turschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Be- gesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung schlussempfehlung auf Drucksache 15/2845, die ge-des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- nannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Neuregelung des schäftsordnung zu Anträgen auf Genehmigung zur Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich in Durchführung der Strafverfolgung zu erweitern und jetzt der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, sofort als Zusatzpunkt 4 aufzurufen. Sind Sie damit ein- die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in Somit rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 4 auf: zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des Bünd- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nisses 90/Die Grünen und einer Stimme aus der CDU/ richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- CSU-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen Mitglie- nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) der der CDU/CSU-Fraktion und die Stimmen der FDP- Fraktion angenommen. Immunität von Mitgliedern der Bundesver- sammlung Vor der dritten Beratung und Schlussabstimmung will ich mitteilen, dass der Kollege Hans-Michael Goldmann hier: Anträge auf Genehmigung zur Durch- von der FDP-Fraktion einepersönliche Erklärung zur führung der Strafverfolgung Abstimmung abgegeben hat und mitteilt, dass er sich der – Drucksache 15/2879 – Stimme enthalten will.1) Berichterstattung: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abgeordneter Jörg van Essen Dritte Beratung Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – che 15/2879, die Genehmigung zur Durchführung der Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Strafverfolgung zu erteilen. Wer stimmt für diese Be- wurf ist mit derselben Mehrheit wie bei der Abstimmung schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- in der zweiten Beratung angenommen. tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei 1) Anlage 3 Nichtbeteiligung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9337

Präsident Wolfgang Thierse (A) (Dr. [CDU/CSU]: Ihre Ab- (Münster), weiterer Abgeordneter und (C) der stimmungsfrage, Herr Präsident, war unprä- Fraktion der FDP zise! – Gegenruf der Abg. Ute Kumpf [SPD]: Leistungsfähigkeit der deutschen Chemie- Sollen wir sie ins Bayerische übersetzen?) wirtschaft im europäischen Rahmen sichern – So präzise, wie das in solchen Fällen immer der Fall – Drucksachen 15/1356, 15/1332, 15/2775 – ist. Herr Kollege Ramsauer, darf ich Ihren Einwand so verstehen, dass auch die CDU/CSU-Fraktion zustimmt? Berichterstattung: Abgeordnete Heinz Schmitt (Landau) (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ja!) Marie-Luise Dött Dr. Antje Vogel-Sperl – Dann nehmen wir das so zu Protokoll. Die Beschluss- Birgit Homburger empfehlung ist also einstimmig angenommen worden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 18 a bis Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen 18 c auf: Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Paziorek, Marie-Luise Dött, Karl-Josef Laumann, Kollegen Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unabhängige Folgenabschätzung der neuen europäische Chemikalienpolitik ist von weit reichender EU-Chemikalienpolitik industrie- und standortpolitischer Bedeutung für Deutsch- land; denn unser Land ist mit mehr als 450 000 Beschäf- – Drucksache 15/2654 – tigten der größte Chemiestandort in Europa. Mit der Chemiepolitik entscheiden wir somit auch über die Zu- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz kunftsfähigkeit unseres Landes. Schmitt (Landau), Ulrike Mehl, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Die EU-Kommission möchte mit ihrem Verordnungs- Fraktion der SPD sowie der Abgeordnetenentwurf das Chemikalienrecht in Europa neu regeln. Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard Loske,Mehr als 100 000 der derzeit in der Europäischen Union Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und vorkommenden Altstoffe sollen nach dem so genannten (B) der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- REACH-System innerhalb von elf Jahren nach In-Kraft- (D) NEN Treten der Verordnung erfasst werden. Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion begrüßt die grundsätzliche Zielset- Eine nachhaltige Chemiepolitik in Europa – zung des Verordnungsentwurfs. Es besteht kein Zweifel Innovation fördern, Umwelt und Gesundheit an der Notwendigkeit, zum Schutz von Mensch und Um- schützen und Verbraucherschutz stärken welt hohe Sicherheitsstandards zu garantieren und Risi- ken zu minimieren. – Drucksache 15/2666 – Wir unterstützen ebenfalls die Zielsetzung des Ver- Überweisungsvorschlag: ordnungsentwurfs, das heute existierende Chemikalien- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss recht zu vereinheitlichen, zu vereinfachen sowie effi- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zient und von bürokratischen Hemmnissen befreit zu Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und gestalten. Doch leider müssen wir feststellen, dass der Landwirtschaft vorgelegte EU-Verordnungsentwurf dieses Ziel verfehlt Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung und somit aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ausschuss für Bildung, Forschung und nicht rechtskräftig werden darf. Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Beifall bei der CDU/CSU) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Die Vorschriften der Verordnung belasten die Unter- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz nehmen durch extreme Bürokratie und massive zusätzli- und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) che Kosten und bewirken wettbewerbsschädliche Zeit- verluste auch bei durchaus gewünschten Innovationen. – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. PeterDiese Belastungen sind zu groß und insbesondere für Paziorek, , Marie-Luise Dött, mittelständische Unternehmen sowie für weiterverarbei- weiterer Abgeordneter und der Fraktion dertende und auch kleine Anwender nicht tragbar. CDU/CSU Durch die vorgesehenen Regelungen wird nicht nur Strategie für eine nachhaltige Chemiepolitik für die chemische Industrie massiver wirtschaftlicher in Deutschland und Europa Schaden hervorgerufen, sondern auch für die gesamte deutsche Wirtschaft. Selbst die verantwortlichen EU- – zu dem Antrag der Abgeordneten BirgitKommissare schätzen die Folgekosten der EU-Verord- Homburger, Angelika Brunkhorst, nung nur für die Chemieindustrie auf 7 Milliarden Euro 9338 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Peter Paziorek (A) und für die übrigen Industriezweige, die mit der Chemie- Herr Präsident, ich möchte mit Ihrer Zustimmung den (C) industrie in diesen Fragen in Verbindung stehen, auf ins- NRW-Wirtschaftsminister Schartau, SPD, zitieren: gesamt 26 Milliarden Euro. Käme sie Dem Kostengesichtspunkt wird häufig entgegenge- – die Verordnung – halten, das neue europäische Chemikalienrecht helfe im Gegenzug, im Gesundheitsbereich zweistellige Milliar- in ihrer jetzigen Form, würde sie die Konkurrenzfä- denbeträge einzusparen. Dies mag sein. Aber die Frage higkeit unserer Chemieindustrie stark beeinträchti- ist doch, ob dieses Ziel nur mit diesem bürokratischen gen. Das muss auch mit aller Deutlichkeit und auf Monster zu erreichen ist. Dazu sagen wir: Nein, dieses allen Ebenen klar gemacht werden. Ziel kann auch durch eine einfachere Regelung erreicht Recht hat er. Deshalb sagen wir: Diese Position aus werden. Nordrhein-Westfalen muss die Mehrheitsposition dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hauses werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die Kostenfrage wurde erst vor kurzem in einem Un- [Bayreuth] [FDP]: Wäre ternehmen in meiner münsterländischen Heimat, bei schön, wenn Herr Schartau hier wäre! Dann BASF Coatings in Münster-Hiltrup, erörtert. Wenn diese könnte er das selber deutlich machen!) EU-Verordnung unverändert in Kraft tritt, bedeutet dies, dass dieses BASF-Werk allein 1 800 Stoffe registrieren Fest steht, dass dieser Verordnungsentwurf – das zei- muss und dass 25 000 Rezepte neu definiert werden müs- gen bis jetzt alle Planspiele – erheblich nachgebessert sen. Ich mache auf die Kostenbelastung aufmerksam, die werden muss. Gerade mittelständische Anwender wer- daraus erwächst, dass man pro registrierten Stoff Kosten den große Probleme haben, die auf sie zukommenden in Höhe von 50 000 Euro zugrunde legen muss. EinProbleme ohne Unterstützung von außen zu lösen. Zur Weltkonzern kann das eventuell auffangen, vielleicht nur so genannten Expositionsbewertung ist ein vereinfachtes durch Stellenabbau. Das kann aber nicht das Ziel sein. Verfahren notwendig. Wir brauchen einen besseren Da- Für viele kleinere mittelständische Unternehmer, für die tenaustausch in den Wertschöpfungsketten. kleineren Anwender kann eine Verteuerung der Produkte Nachdem der Bundeskanzler und die Gewerkschaften um 20 Prozent bis 50 Prozent – davon gehen die Schät- im vergangenen Jahr in dieser Frage eine gemeinsame zungen teilweise aus – das wirtschaftliche Aus bedeuten. Position hatten – es ist eine Erklärung verabschiedet Uns macht nicht nur der drohende Wegfall von Ar- worden, in der viele der Bedenken, die ich für die CDU/ CSU soeben vorgetragen habe, aufgegriffen worden sind –, (B) beitsplätzen große Sorgen; auch die zu erwartende Zu- (D) nahme von Tierversuchen durch das REACH-Verfah- hatten wir die Hoffnung, dass wir jetzt gemeinsam in ren kann uns alle in diesem Hause nicht kalt lassen. Eine Europa für einen solchen Weg kämpfen können. vom britischen Ministerium für Umwelt und Verkehr in Angesichts des Antrags, den Sie heute im Deutschen Auftrag gegebene Studie der Universität Leicester geht Bundestag vorlegen, muss man sagen: Sie haben diese für den schlimmsten Fall davon aus, dass für die notwen- Erklärung Ihres eigenen Bundeskanzlers leider nicht auf- digen Untersuchungen 12 Millionen Tiere in Europa be- gegriffen. Sie haben in diesem Antrag leider nicht das nötigt werden. Wir sollten uns ernsthaft fragen, ob wir Problembewusstsein gezeigt, das einfach notwendig ist, diesen Preis wirklich zahlen wollen. um jetzt in Europa tatsächlich etwas für unsere Chemie- industrie zu bewirken. Ihr heute vorgelegter Antrag ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nichts anderes als ein fauler Kompromiss, der die Pro- Der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommis- bleme auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nicht sion weicht leider der Beantwortung der Fragen aus, wie beseitigt. Er trägt nicht dazu bei, dass Deutschland ein ein ausreichender Rechtsschutz der Firmen gewährleistet Chemiestandort bleibt. und wie für eine Sicherung des Abflusses von Unterneh- Aus den Beratungen im Ausschuss kennen wir Ihre mensdaten gegen Missbräuche – ganze Informations-mitunter vorhandene Sympathie für die Position der EU- blätter müssen weitergegeben werden – Sorge getragen Kommissarin für Umwelt, Frau Wallström. Da gibt es werden soll. Äußerungen des Inhalts, dass all die Bedenken aus der Wirtschaft falsch sind. Ich frage mich, was die Erklärung Wir stellen an dieser Stelle mit großer Freude fest: In des Bundeskanzlers aus dem vergangenen Jahr bedeutet, Ihren eigenen Reihen, also in den Reihen von Rot-Grün, wenn der Antrag, den Sie vorgelegt haben, hinter diesen wird unsere Ansicht geteilt. Das von der nordrhein-west- Positionen zurückbleibt. Wir sollten gemeinsam dafür fälischen Umweltministerin Bärbel Höhn und dem nord- sorgen, dass der Verordnungsentwurf nicht in Kraft tritt rhein-westfälischen Wirtschaftsminister Harald Schartau und dass es tatsächlich zu einer Regelung kommt, die initiierte Planspiel hat die zahlreichen Schwachstellen praktikabel ist und damit auch der deutschen Wirtschaft dieses Verordnungsentwurfs eindrucksvoll offen gelegt. hilft. Dass der Alarmruf aus Nordrhein-Westfalen kommt, ist sicherlich kein Zufall. Es liegt daran, dass man dort ge- Deshalb sagen wir als Union: Das europäische nau weiß, was ein Festhalten an diesem Verordnungsent- Rechtssetzungsverfahren darf erst dann abgeschlossen wurf für die Chemieindustrie dieses Bundeslandes be- werden, wenn die Auswirkungen der Verordnung von ei- deutet. ner unabhängigen Stelle außerhalb der EU-Kommission Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9339

Dr. Peter Paziorek (A) überprüft worden sind. Wir begrüßen durchaus, dass die (Birgit Homburger [FDP]: Mit dem Ergebnis, (C) Kommission jetzt bereit ist, eine so genannte Impact- dass die Chemiewirtschaft in Europa ver- Studie auf den Weg zu bringen. Es gibt erste Gespräche schwindet!) mit der Industrie. Das reicht aber nicht aus. Wir sagen ganz klar: Wir können in diesem Hause den Verord-Eine Vielzahl verschiedener europäischer Regelungen nungsentwurf nur überprüfen und letztlich bewerten,wird in einer einzigen Verordnung zusammengefasst. wenn ihn zuvor eine unabhängige Stelle außerhalb der Richtig ist, dass es in bestimmten Bereichen – da EU-Kommission auf den Prüfstand gestellt hat. Dasstimme ich Ihnen zu – noch Klärungsbedarf gibt. Die muss die Zielrichtung sein, die wir gemeinsam festlegen Umwelt- und Verbraucherverbände zum Beispiel fordern sollten. Weitergehendes; ihnen geht die jetzige Vorlage nicht weit genug. Die Industrie beklagt einen zu hohen Auf- Unsere politische Forderung lautet: Dieser Verord- wand, zu viel Bürokratie. Es sind die klassischen unter- nungsentwurf darf unter inhaltlichen und fachlichen Ge- schiedlichen Sichtweisen. Viele dieser Einwände wur- sichtspunkten so nicht in Kraft treten. Deshalb fordern den seit der Vorlage des Weißbuchs bereits wir Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir berücksichtigt. Weiteren Bedenken kann im weiteren in Brüssel eine gemeinsame Position im Interesse der Verfahren – so erscheint es mir – Rechnung getragen deutschen Chemieindustrie entwickeln können! werden. Herzlichen Dank. Insbesondere geht es nun darum, die Umsetzungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Durchführungsbestimmungen von REACH gemein- sam zu entwickeln. Wir haben einen Antrag vorgelegt, der den Anliegen beider Seiten, nämlich der Ökologie Präsident Wolfgang Thierse: und der Wirtschaft, ausgewogen Rechnung trägt. Wir ha- Ich erteile dem Kollegen Heinz Schmitt, SPD-Frak- ben den elementaren Schutz der Umwelt, der Gesundheit tion, das Wort. und des Verbrauchers noch einmal unterstrichen. Wir be- fürworten zum Beispiel – Sie haben das angesprochen – Heinz Schmitt (Landau) (SPD): eine allgemeine Sorgfaltspflicht auch für Stoffe, bei de- nen die Jahresproduktion unter 1 Tonne liegt. Wir halten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und es ferner für sinnvoll, dass bestimmte Mindestanforde- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kol- rungen an die Tests für die Registrierung gestellt wer- lege Paziorek, ich bedanke mich zuerst einmal ganz den, damit wir tatsächlich aussagekräftige Informationen herzlich dafür, dass Sie zumindest den Versuch unter- zu den stoffbezogenen Risiken bekommen. (B) nommen haben, das REACH-System zu beschreiben. (D) Für eine bessere Risikobeurteilung wollen wir auf (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: In acht längere Sicht einen Stoffsicherheitsbericht schon ab Minuten geht das nicht!) einem Produktionsvolumen von 1 Jahrestonne ver- Allerdings möchte ich Ihnen die Frage stellen: Wo bleibt pflichtend machen. Das ist uns wichtig, da es ohne In- das Positive? Sie haben eine sehr negative Sichtweise zu formationen zu demGefährdungspotenzial für viele den bisherigen Ergebnissen. Sie haben das negativ be- registrierungspflichtige Stoffe keine zureichende Aussa- wertet und bei Ihrer Rede die Chancen und die positiven gekraft in der Risikobeurteilung gibt. Möglichkeiten, die sich aus REACH auch für den Che- Auch wir sehen natürlich die Notwendigkeit mög- miestandort Deutschland ergeben, völlig unterschlagen; lichst unbürokratischer und effizienter Bestimmungen. ich sage einmal: vermutlich aus Unkenntnis, nicht bösar- Ich komme ebenfalls aus einem Bundesland mit einer tig. bedeutenden Chemieindustrie, mit großen und mittleren REACH ist notwendig; denn es gibt ZehntausendeBetrieben und vielen Tausenden von Arbeitsplätzen. Es von chemischen Altstoffen in der EU, über die wir nichts ist deshalb keine Frage, dass wir die Anliegen der Unter- wissen; da hat sich seit den 80er-Jahren nichts geändert. nehmen in dieser Hinsicht ernst nehmen. Das ist so, obwohl der Anteil der Altstoffe mehr als (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne 90 Prozent aller auf dem Markt befindlichen Chemika- Kastner) lien beträgt. Deshalb ist eine Neuordnung der Chemie- politik nicht nur notwendig; sie ist überfällig. Wir betonen zum Beispiel ausdrücklich die Notwendig- keit, dass REACH in vollem Umfang auch für impor- Über diese Notwendigkeit besteht bei allen Beteilig- tierte Stoffe zu gelten hat. Wir wollen sicherstellen, dass ten, auch bei der Industrie, lieber Herr Kollege, Überein- REACH in dem System der WTO-Abkommen verankert stimmung. Das kommt nicht von ungefähr. Die Rege- und dort ebenfalls berücksichtigt wird. Wir wollen glei- lung bringt allen Beteiligten Vorteile. Sie bedeutet einen che Bedingungen für Stoffe, die bei uns produziert wer- wichtigen Schritt hin zu mehr Sicherheit im Umgang mit den, und für Stoffe, die eingeführt werden, damit ein Chemikalien. REACH ist ein wichtiges Projekt für den fairer Wettbewerb sichergestellt ist. Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz. Was die Kostenbelastungangeht, so ist nachvoll- Daneben gibt es handfeste ökonomische Vorteile.ziehbar, dass die Industrie und die EU-Kommission un- REACH schafft zum Beispiel einheitliche Wettbewerbs- terschiedliche Sichtweisen haben. Die EU geht davon bedingungen in ganz Europa. aus, dass sich die Kosten auf 2,5 bis 5 Milliarden Euro 9340 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Heinz Schmitt (Landau) (A) belaufen werden, verteilt, wie gesagt, auf einen Zeitraum Es wird zum Beispiel viel zu wenig über die Möglich- (C) von zehn Jahren. Dass die Industrie zu anderen Ergeb- keit gesprochen, Konsortien zu bilden, damit Unterneh- nissen kommt, ist nachvollziehbar, denn es fehlen noch men, die einen Stoff gemeinsam bearbeiten oder nutzen, die detaillierten Umsetzungs- und Durchführungsbe-sich die Kosten für REACH aufteilen. Bei gutem Willen stimmungen. Von daher ergibt sich bei der Kostenschät- gibt es viele Chancen, die Kosten zu senken. zung eine andere Sichtweise. Viel zu wenig – das kam bei Ihnen und auch im FDP- Unklar ist zum Beispiel auch, wie viele der geforder- Antrag kaum herüber – wird über die Chancen gespro- ten Informationen und Kenntnisse zu Stoffen bereitschen, die REACH bietet. REACH kann Europa zu einem jetzt vorhanden sind und wie sie im neuen REACH-Sys- Vorreiter im Umgang mitsicheren Chemikalien ma- tem genutzt werden können. Schließlich wird es darauf chen. Damit können auch große Vorteile im Wettbewerb ankommen, dass das Registrierungsverfahren so ver- entstehen. REACH kann ein Gütesiegel werden und Eu- einfacht und standardisiert werden kann, dass es gerade ropa ein Lead-Markt, ein Führungsmarkt, für sichere für kleine und mittlere Betriebe leicht handhabbar ist. Chemikalien. Ich komme zu demPlanspiel des Bundeslandes Eine ausgewogene Betrachtung bedarf auch einer an- Nordrhein-Westfalen. Kollege Paziorek, ich war bei gemessenen Würdigung des Nutzens. Für einen Teilbe- der Vorstellung in der Landesvertretung vor wenigen Ta- reich lässt sich dieser Nutzen bereits jetzt quantifizieren. gen. Ich sage: Das Glas war nicht halb leer, sondern halb Die EU geht davon aus, dass in einem Zeitraum von voll. 30 Jahren allein 50 Milliarden Euro bei den Krankheits- kosten eingespart werden können, weil der Umgang mit (Horst Kubatschka [SPD]: Dreiviertel!) Chemikalien sicherer wird und Krankheiten vermieden – Dreiviertel. Für mich war das Glas auf jeden Fall gut werden können. Allein diese Zahl zeigt, dass REACH gefüllt. Es gab sehr viele Anregungen und Verfahrens- für die europäischen Staaten und für uns Bürger als Ver- vorschläge. braucher, als Konsumenten und als Nutzer große Vor- teile bringt. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das stimmt! – Birgit Homburger [FDP]: Und Feu- Das Planspiel in Nordrhein-Westfalen hat auch ge- eralarm!) zeigt, dass Kooperation und gemeinsames Handeln der richtige Weg sind, um Barrieren bei der Umsetzung von Selbstverständlich gab es auch konstruktive Kritik. REACH auszuräumen und nach vorne zu schauen. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, natür- (Beifall bei der SPD) (B) lich!) (D) Auf diesem Ansatz lässt sich aufbauen. Ich bin sicher, Aber man sollte jetzt nicht alles niedermachen, weil es dass sich die noch offenen Punkte gemeinsam klären las- vielleicht nicht in die eigene Weltsicht passt. Ich habe sen. Wir sollten die Chancen nutzen und nicht nur von von dieser Veranstaltung sehr viel Positives mitgenom- den Risiken reden. men. Ich habe auch gelernt, dass die Umsetzung von REACH nur gelingt, wenn wir sie gemeinsam vorneh- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. men, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) wenn Industrie, Verbraucherschutz und Umweltver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bände gemeinsam an einem Strang ziehen. Eine Verwei- Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDP. gerungshaltung oder ein Spielen auf Zeit bringt uns in diesem Punkt nicht weiter. Birgit Homburger (FDP): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ Die anstehende Verordnung zu einer neuen EU-Chemi- CSU]: Es wird doch schon auf Zeit gespielt! kalienpolitik wird im Deutschen Bundestag nicht zum Europaweit!) ersten Mal debattiert. Nach wie vor hat sich aber auch angesichts der Pläne auf europäischer Ebene bei uns Wir sollten bei aller Diskussion nicht vergessen, dass nicht sehr viel geändert. Das, was mit dem neuen es bei REACH auch darum geht, Versäumnisse aus der REACH-System geplant ist, wird massive Auswirkun- Vergangenheit nachzuholen. Es geht um Stoffe, die seit gen auf alle Industriezweige in Deutschland haben, in über 20 Jahren auf dem Markt sind, über die wir aberdenen Chemikalien oder chemische Produkte hergestellt, überhaupt nichts wissen. importiert oder verwendet werden. (Dr. [CDU/CSU]: Das (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) stimmt doch nicht!) Weit mehr Industriezweige als nur die Chemiewirtschaft, Es geht also auch um Vergangenheitsbewältigung. Die die allerdings schon für sich allein ein sehr wichtiger Industrie hat es damit selbst in der Hand, REACH posi- Wirtschaftsbereich ist, sind davon betroffen. Die Frage, tiv anzugehen. wie die Chemikalienpolitik in Europa organisiert wird, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9341

Birgit Homburger (A) hat deshalb eine entscheidende Bedeutung auch für die nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Ich bin ein- (C) Arbeitsplätze. mal gespannt, wer sich da durchsetzt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auf insgesamt rund 1 200 Textseiten werden 135 Artikel mit ihren technischen Anhängen ausgebrei- Anfang 2001 hat die EU-Kommission erstmalig ein tet. Diese Zahl muss man ch si einmal vorstellen. Dass Weißbuch vorgelegt. Die FDP hat direkt danach einen die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in einem Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht und die Planspiel zu dem vorgeschlagenen REACH-System zu Bundesregierung aufgefordert, entsprechend Einflussdem Ergebnis gekommen ist, dass insbesondere der Mit- auf das zu nehmen, was die Europäische Union hiertelstand in der chemischen Industrie auf absehbare Zeit plant. Es geht natürlich darum, einen sicheren Umgang völlig überfordert sein wird, kann also überhaupt nicht mit Chemikalien zu gewährleisten. Die Bestimmungen überraschen. des Gesundheitsschutzes und des Umweltschutzes sind einzuhalten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aber es geht selbstverständlich auch um Wett-Man muss auch sagen: Bis zum heutigen Tage werden bewerbsfähigkeit. Die Bundesregierung, vor allem das diese beunruhigenden Untersuchungsergebnisse vom Bundeskanzleramt und das Wirtschaftsministerium,Bundesumweltministerium ignoriert. Das ist nichts spricht in offiziellen Stellungnahmen davon, dass einNeues. Zusammenspiel zwischen diesen einzelnen Faktoren er- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genauso ist reicht werden muss. Wenn ich mir aber anschaue, was in es!) Europa vertreten wird, dann muss ich sagen: Dieses Zu- sammenspiel ist nicht mehr gegeben. Sie setzen ganzDas kennen wir, wenn ich mich richtig daran erinnere, massiv auf eine Richtung und lassen die Wettbewerbsfä- vom Emissionshandel. higkeit völlig außen vor. Wie beim europäischen Emissionshandel droht Ihnen demnächst auch bei der europäischen Chemikalienpoli- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tik ein Debakel. Noch ist es ein Landeswirtschaftsminis- Wir müssen Ihnen deutlich sagen, dass die Ablehnung ter, nämlich der Herr Schartau, der in einer offiziellen von FDP-Anträgen – wir haben mehrere Anträge zu die- Stellungnahme zu den Ergebnissen der Projektstudie sem Thema eingebracht und detaillierte Vorschläge ge- ausgeführt hat – diesmal sekundiert von Bärbel Höhn, macht – noch keine konsistente Chemikalienpolitik ist. Umweltministerin –, dass erhebliche Nachbesserungen Das gilt vor allen Dingen mit Blick auf die Umsetzbar- an der neuen Chemikalienrichtlinie unabdingbar und die an die betroffenen Unternehmen gerichteten Anforde- (B) keit der Anforderungen und die Folgen für die betroffe- (D) nen Unternehmen. Nicht zuletzt muss man sagen, dass rungen vielfach nicht zu erfüllen seien. Dazu sage ich Ih- aus Brüssel ein Monster in Form einer gigantischen Um- nen: Das sollte Ihnen zu denken geben. weltbürokratie droht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Jawohl!) Ich bin einmal gespannt, was passiert, wenn der Kollege Diese Politik wird von Rot-Grün massiv unterstützt. von Herrn Schartau auf Bundesebene, der Herr Bundes- wirtschaftsminister Clement, in dieser Hinsicht aufwacht Herr Schmitt, Sie sagen – wir stimmen Ihnen in die- und sich räuspert. Ich habe den Eindruck: Dann wird es sem Punkt zu –: Nur wenn wir gemeinsam mit der In- auch hier für den Umweltminister eng. dustrie handeln, werden wir einen Erfolg erzielen. Wenn Die FDP weist deutlich darauf hin, dass aufgrund der Sie das nur tun würden! Ihr Antrag, den Sie heute vorle- neuen europäischen Regelungen zur Chemikalienpolitik gen, zeigt aber, dass Ihre Vorschläge überhaupt nicht ein unnötiger, kostspieliger und insbesondere für kleine ausgewogen sind und dass Ihre Darstellung nicht realis- und mittlere Unternehmen existenzbedrohender bürokra- tisch ist. Deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zu- tischer Aufwand entsteht, ohne dass Umwelt und stimmen. menschliche Gesundheit hiervon profitieren würden. Ich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Der Ansatz, auf die Menge der Chemikalien zu setzen, ist völlig Dass wir uns nicht einbilden, dass Ihre Vorschlägefalsch. Es geht nicht um die Menge, die für die Verarbei- nicht realistisch sind, zeigt allein die Tatsache, dass es tung eines Produktes oder einer Substanz benötigt wird, kürzlich einen Vorschlag des Bundesinnenministeriums sondern um die Gefährlichkeit und die Beherrschbarkeit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Umgang mit solchen Chemikalien. gab, die europäische REACH-Verordnung auf die Liste der Initiative „Bürokratieabbau“ zu setzen. Genau da ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hört sie hin. Deshalb hat die FDP-Bundestagsfraktion in dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) heute vorliegenden Antrag die Bundesregierung noch- mals aufgefordert, aktiv zu werden. Noch immer fehlt in Dass Sie das nicht aufgreifen, wundert mich allerdings dem gesetzgeberischen Vorhaben der EU-Kommission nicht besonders; denn von dem groß angekündigteneine umfassende Untersuchung derwirtschaftlichen Masterplan Bürokratieabbau, von dem Sie immer reden Auswirkungen. Neben den direkten Kosten in Mil- und dessen Umsetzung so dringend notwendig wäre, ist liardenhöhe drohen ein gigantischer bürokratischer 9342 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Birgit Homburger (A) Aufwand und im Übrigen massive Verwerfungen bei der Erstens. Das bisherige Chemikalienrecht verhindert(C) künftigen Standortwahl von Chemieunternehmen. durch die Ungleichbehandlung von Alt- und Neustoffen Wir tun gut daran, uns in der Europäischen Union zuInnovationen. Neu entwickelte Stoffe unterliegen bei der überlegen, ob wir die Unternehmen – bei hohen Um-Vermarktung derzeit höheren Anforderungen als Alt- welt- und Gesundheitsstandards – in der EU halten wol- stoffe. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen len oder ob wir sie – zu geringeren Standards – ins Aus- 20 Jahren kaum neue Stoffe in Europa entwickelt wur- land treiben und dadurch mit schuld daran sind, wenn den. Es waren nur 3 700 Stoffe gegenüber 30 000 Alt- der Umwelt- und der Gesundheitsschutz reduziert wer- stoffen mit mehr als 1 Jahrestonne. In Zukunft gilt für den. alte und neue Stoffe ein einheitliches Recht. Das heißt, dass das äußerst ineffiziente Altstoffverfahren, das Un- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ternehmen wie staatliche Behörden überfordert hat, Herr Schmitt, Sie haben gesagt, es gebe viele Chan- durch REACH ersetzt wird. In rund zehn Jahren konnten cen, Kosten zu sparen, wenn die Unternehmen gutennur etwa 30 Chemikalien abschließend bewertet werden. Willens sind. Ich würde sagen: Die Politik müsste zu- Mit der jetzigen Regelung würden daher frühestens im nächst einmal guten Willens sein, eine Regelung zu tref- Jahr 3000 alle Altstoffe abschließend bewertet sein. fen, die die Unternehmen gar nicht erst dazu zwingt, sich Zweitens. REACH bringt den Unternehmen eine Ver- zu überlegen, wie sie das Ganze irgendwie bewältigen einheitlichung und Vereinfachung des europäischen können. Wir sollten zunächst einmal dafür sorgen, dass Chemikalienrechts. 40 Richtlinien und zwei Verordnun- ein guter Gesundheitsschutz und ein hoher Umweltstan- gen werden zu einer einzigen Verordnung zusammenge- dard durchgesetzt werden und gleichzeitig mehr Effi-führt. Das bedeutet Klarheit, Transparenz und Bürokra- zienz und weniger Bürokratie in diesem System entste- tieabbau. hen. Das schlagen wir vor. Dazu braucht man einfache und praktikable Regelungen. Die Vorschläge der FDP (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: dazu liegen auf dem Tisch. Ich hoffe, dass wir vielleicht Transparenz?) im weiteren Verfahren doch noch zu einer Einigung kommen. Von den angesprochenen 1 200 Seiten – darauf möchte ich hinweisen – ist der Teil, der wirklich relevant ist, mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) einem Umfang von circa 70 Seiten zu beziffern. (Birgit Homburger [FDP]: Warum kann man Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: den Rest nicht weglassen, wenn er nicht rele- Das Wort hat die Kollegin Dr. Antje Vogel-Sperl, vant ist?) Bündnis 90/Die Grünen. (B) – Ich nehme zur Kenntnis, dass Ihnen das nicht gefällt. (D) Aber so ist es manchmal mit der Wahrheit. Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn sowie bei Abgeordneten der SPD) ich die Ereignisse der letzten Tage und Wochen zum Drittens. REACH setzt Anreize zur Entwicklung qua- Thema Emissionshandel sowie die heutige Debatte zum litativ hochwertiger, sicherer und ökologisch unbedenk- EEG, aber auch die Reden von Herrn Paziorek und von licher Stoffe. Denn zum einen erleichtern großzügige Frau Kollegin Homburger Revue passieren lasse, er-Ausnahmeregelungen für den Forschungsbereich die kenne ich durchweg Parallelen, nach dem Motto: Wie Markteinführung neuer Chemikalien, zum anderen wer- viel Umweltschutz können wir uns angesichts einer wirt- den gefährliche Stoffe nur noch für bestimmte, kontrol- schaftlichen Krise in einer globalen Weltwirtschaft leis- lierbare Anwendungen zugelassen. Das bedeutet gleich- ten? Völlig ausgeblendet wird in dieser Argumentation, zeitig mehr Akzeptanz bei den Verbraucherinnen und dass es gerade der Kurs derökologischen Modernisie- Verbrauchern in Europa wie auch weltweit. Langfristig rung ist, der es ermöglicht, deutliche Investitionsanreize werden innovative und ökologisch unbedenkliche Stoffe zu setzen und sowohl Umwelt und Verbrauchern alsdie gefährlichen ersetzen. Das heißt, wer sich früh auf auch der Wirtschaft große Chancen zu eröffnen. Dasdiese Entwicklung einstellt, wird am Ende zu den Ge- EEG – wir haben es soeben verabschiedet – ist das beste winnern zählen. Beispiel dafür, wie man mit grünen Ideen schwarze Zah- len schreiben kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Daraus ergibt sich ganz klar: REACH fördert Innovatio- nen und ist gut für eine zukunftsfähige Wirtschaft. Die REACH-Verordnung stellt neben dem Emissions- handel bis dato das ambitionierteste europäische Um- Im Übrigen hat die Kommission das Instrument einer weltvorhaben dar. Die Verordnung eröffnet der chemi- Verordnung gewählt. Damit ist gewährleistet, dass für schen Industrie die Entwicklung innovativer Produkte alle Unternehmen in Europa die gleichen Regeln gelten. und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit derLiebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Branche. REACH setzt Anreize für mehr Innovationen Wettbewerbsbenachteiligungen durch unterschiedliche und eine zukunftsfähige Wirtschaft. Ich sage Ihnen auch, nationale Umsetzungen der Vorschriften können daher warum: nicht entstehen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9343

Dr. Antje Vogel-Sperl (A) Wie hoch die Kosten für die jeweiligen Unternehmen wir einfach viel zu wenig. Das heißt, was für Elektroge- (C) konkret sein werden, hängt vor allem davon ab, welche räte eine Selbstverständlichkeit ist, gilt künftig genauso Daten vorliegen und ob es in der Vergangenheit Ver-für die Sicherheit von Chemikalien – bevor sie auf den säumnisse gab. Hier gilt ganz klar: Wer als HerstellerMarkt kommen, gemäß dem Prinzip „no data – no mar- oder Verarbeiter von Chemikalien bisher verantwor-ket“. Das bedeutet, REACH macht die Verwendung von tungsvoll mit seinen Produkten umgegangen ist und das Stoffen entlang der Produktkette sichtbar und eventuelle Motto „Responsible Care“ ernst genommen hat, wirdRisiken erkennbar. Die Verwender und Weiterverarbei- von REACH unmittelbar profitieren. ter waren bislang nicht in der Verantwortung, ein mögli- ches Risiko auszuschließen. Das wird sich nun ändern. Denn es wäre doch verantwortungslos, wenn ein Her- Das bedeutet, das Phänomen des „Schadstoffs des Mo- steller ohne Angaben über den Aggregatzustand, dennats“ wird in Zukunft verhindert werden können. Das Siedepunkt, die Wasserlöslichkeit oder die grundlegen- heißt, der Verbleib beispielsweise von Azo-Farbstoffen den toxikologischen Eigenschaften mit einer Chemikalie in Leder und Spielzeugen wird erkennbar. Die Anwen- umgehen könnte. Dies wird mit REACH künftig nicht dung von PCB in Innenräumen hätte durch REACH ver- mehr möglich sein. Das bedeutet weiterhin, hier kann hindert werden können. Die jetzt notwendigen Sanie- vor allem die deutsche chemische Industrie profitieren. rungsmaßnahmen müssen mit öffentlichen Mitteln Denn aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung aus finanziert werden, mit Geld, das besser in die Förderung dem Jahre 1997 müssten den meisten deutschen Chemie- des Bildungssystems fließen sollte. REACH wird also unternehmen bereits seit langem grundlegendeStoff- dazu beitragen, gesamtwirtschaftliche Kosten zu senken, informationen vorliegen. im Vorfeld einzusparen. Genau dies wollen wir mit Die meisten mittelständischen Weiterverarbeiter von REACH erreichen, und deshalb ist REACH gut für Um- Chemikalien sind im Übrigen nur dann vor REACH be- welt und Gesundheit. troffen, wenn sie die Stoffe auf nicht vorgesehene Weise Bei der Gestaltung der Regelungen für die Unterneh- verwenden. Sie können dann bei fairer Aufteilung der men wollen wir ein optimales Verhältnis zwischen dem Kosten gemeinsam mit dem Hersteller der Chemikalie Aufwand und dem umwelt- und gesundheitspolitischen eine eventuell notwendige ergänzende Risikobeurteilung Nutzen. Genau dies ist Gegenstand unseres Antrags; durchführen. deswegen haben wir ihn eingebracht. Darin fordern wir An dieser Stelle eine Bemerkung zum NRW-Plan-unter anderem: spiel. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie, nur Erstens. Das hohe Schutzniveau in Deutschland – so- um das Wie. Das hat die Ministerin eindeutig klar ge- wohl aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der macht. (B) chemischen Industrie als auch des deutschen(D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chemikalienrechts – muss europaweit etabliert werden. und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ Unter dieses Niveau dürfen wir nicht zurückfallen. Dies CSU]: Ja, genau! – Weiterer Zuruf von der ist nicht nur für den Umwelt- und Verbraucherschutz, CDU/CSU: Nichts anderes wird von uns ge- sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit der deut- sagt!) schen chemischen Industrie unverzichtbar. Nur, diese Punkte sind insbesondere Gegenstand der zu- Zweitens. Wir brauchen aussagekräftige Daten über künftigen Verwaltungsvorschrift, nicht des Gesetzes. Chemikalien, um eine angemessene Risikobeurteilung zu ermöglichen. Sonst wird REACH zu einer nutzlosen (Birgit Homburger [FDP]: Der Verordnung!) Datensammlung; daran kann niemand ein Interesse ha- Selbstverständlich sind wir für Vorschläge offen. ben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern in Ihrem Antrag eine umfassende Folgen- und bei der SPD) abschätzung zu REACH. Eines ignorieren Sie dabei je- Drittens wollen wir praktikable Regelungen für die doch: Es gibt kaum ein vergleichbares Reformwerk, bei mittelständischen Unternehmen. Bei der Registrierung dem seitens der EU-Kommission ein größerer Aufwand von Stoffen soll gelten: „Einer für alle – alle für einen.“ für eine systematische Folgenabschätzung betrieben Um gerade für die kleinen und mittelständischen Unter- wurde. Wir sollten die Kommission bei diesen Bemü- nehmen Kosten und Aufwand so gering wie möglich zu hungen unterstützen. Das Rad hier noch einmal ganz neu halten, sollten vorliegende Konzepte wie „ein Stoff – ein zu erfinden macht wahrlich keinen Sinn. Deshalb lehnen Dossier“ geprüft werden. wir Ihren Antrag ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Viertens. Um doppelte Tierversuche zu verhindern, und bei der SPD) sind verbindliche Regelungen zur gemeinsamen Daten- nutzung in der Verordnung notwendig. Das deutsche Kommen wir zum nächsten Bereich, für den wirChemikalienrecht bietet auch hier praktikable Lösungen. REACH brauchen. Wir brauchen REACH für Umwelt Hier funktioniert die gemeinsame Datennutzung im Üb- und Gesundheit und ich sage Ihnen auch hier, warum: rigen sehr gut. Gleichzeitig sollte mit REACH die Über den Verbleib und die Verwendung vieler Chemika- Chance genutzt werden, tierversuchsfreie Testverfahren lien, mit denen wir in Alltagsprodukten oder in Produk- international zu etablieren; auch dies ist eine weitere tionsprozessen tagtäglich in Berührung kommen, wissen Chance für Innovationen. 9344 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Antje Vogel-Sperl (A) Fünftens. Der Zugang von Verbraucherinnen und Ver- nicht gewährleisten. Die Belastung trifft aber auch Groß- (C) brauchern zu risikorelevanten Daten muss gewährleis- unternehmen, die als Stoffhersteller die geforderte Risi- tet sein. Die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse kann kobewertung entlang der ganzen Wertschöpfungskette dabei selbstverständlich durch entsprechende Regelun- vornehmen müssen. gen und technische Maßnahmen gewährleistet werden. Das sollte im Zeitalter der Informationstechnologien nun Außerdem stellte die NRW-Landesregierung in ihrem wahrlich kein Hindernis sein. Praxistest fest, dass die Vorschläge unpraktikabel sind und dass viele Unternehmen entlang der gesamten Wert- Letzter Punkt. Es werden zwar gleiche Anforderun- schöpfungskette überfordert werden. Diese Ergebnisse gen an Hersteller und Importeure von Stoffen gestellt, zeigen den Handlungsbedarf bei der Bundesregierung aber nicht an den Import von Produkten. Es muss aber auf, sich für eine erhebliche Vereinfachung des EU-Ent- zeitgleich mit In-Kraft-Treten der Verordnung eine Lö- wurfs einzusetzen. sung gefunden werden, um zu verhindern, dass schad- stoffbelastete Konsumgüter, zum Beispiel Textilien, (Beifall bei der CDU/CSU) durch die Hintertür ungehindert nach Europa kommen Insofern reicht der Antrag zur nachhaltigen Chemie- können. politik von SPD und Grünennicht aus. Dieser Antrag Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden REACH enthält noch nicht einmal eine realistische und schon gar zu einem effektiven und praktikablen Instrument ma-keine ausgewogene Darstellung des EU-Verordnungs- chen, das nicht nur ein Mehr an Umwelt- und Verbrau- vorschlages. Ihr Antrag, verehrte Kollegen, lässt alle be- cherschutz bringt, sondern auch der chemischen Indus- reits zum Vorentwurf erwähnten Mängel einfach unbe- trie in Europa neue Chancen für zukunftsfähigerücksichtigt und enthält keine der dringend notwendigen Innovationen eröffnet. Verbesserungen. (Zuruf von der CDU/CSU: Mehr Bürokratie!) (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Zentrale Forderungen, die notwendig sind, um REACH unbürokratisch, praktikabel, kosteneffizient und wettbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werbsgerecht zu machen, haben Sie in Ihrem Antrag nur und bei der SPD) vage formuliert oder komplett vergessen. (Dr. Antje Vogel-Sperl [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben unseren An- Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/ trag nicht gelesen!) CSU-Fraktion. (B) Verehrte Kollegen von der SPD, Ihr Parteikollege(D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Harald Schartau, Minister für Wirtschaft und Arbeit in Nordrhein-Westfalen, hat am 13. Januar 2004 in einer Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Presseerklärung zu REACH erklärt – wie auch schon Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Dr. Paziorek ausgeführt hat; es ist wirklich ganz wich- Ziel, das europäische Umweltrecht zu vereinfachen und tig –: zu straffen, hat die Europäische Kommission einen Ver- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das muss ordnungsvorschlag zur Neuordnung des europäischen man immer wieder betonen!) Chemikalienrechts verabschiedet. Kernpunkt des Ent- wurfs ist ein neues, einheitliches Chemikalienkontroll- Chemiestandorte brauchen auch Akzeptanz und system mit dem Namen REACH. REACH steht für Re- dazu ist moderner Umwelt- und Verbraucherschutz gistrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung unabdingbar. Deshalb arbeiten wir konstruktiv an chemischer Stoffe. der Verordnung mit. Aber genauso klar ist auch: Käme sie in ihrer jetzigen Form, würde die Konkur- Der Verordnungsvorschlag der EU zur Chemikalien- renzfähigkeit unserer Chemieindustrie stark beein- politik enthält aber einen solchen bürokratischen Wust, trächtigt. dass eines schon jetzt sicher ist: Ohne Änderungen wird es mit diesem Bürokratieungetüm keine schlanke Um- (Beifall bei der CDU/CSU) weltgesetzgebung geben. Das muss auch mit aller Deutlichkeit und auf allen (Beifall bei der CDU/CSU) Ebenen klar gemacht werden. Das hat auch bereits die SPD-geführte Landesregie- – So Herr Schartau. Recht hat er! Ich gehe davon aus, rung von Nordrhein-Westfalen in einem REACH- dass Sie, Herr Minister Clement, dieselbe Ansicht ver- Praxistest festgestellt. Insbesondere kleinere und mitt- treten. lere Unternehmen werden – ob als Hersteller, Importeure (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Der ist für oder so genannte nachgeschaltete Anwender – durch ein- Nordrhein-Westfalen!) zelne REACH-Anforderungen durch bürokratischen Mehraufwand erheblich belastet. Die meisten dieser Un- Insgesamt müssen daher die geltenden Regelungen so ternehmen können vor allem eine fachlicheStoff- und ausgestaltet werden, dass die deutschen und andere euro- Risikobeurteilung in der nach REACH geforderten De- päische Firmen imglobalen Wettbewerb gegenüber tailtiefe und in dem entsprechenden Umfang derzeitKonkurrenten aus Asien und den USA nicht benachtei- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9345

Marie-Luise Dött (A) ligt werden. Lassen Sie mich darum ganz deutlich sagen: ständischen Unternehmen nicht mit der bürokratischen (C) Ich unterstütze voll und ganz die Kommission der Euro- Verordnungskeule! päischen Union, die das Durcheinander von 40 Richt- Danke. linien und Verordnungen, die derzeit EU-weit den Um- gang mit Chemikalien regeln, durch ein einheitliches (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Regelwerk zusammenfasst, und ich unterstütze das Ziel, den Gesundheits- und Umweltschutz weiter zu verbes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sern, wobei gleichzeitig die Wettbewerbs- und die Inno- Ich begrüße an dieser Stelle recht herzlich den Vize- vationsfähigkeit der europäischen Unternehmen nicht präsidenten des ungarischen Parlaments mit seiner Dele- gefährdet werden sollen. gation auf der Tribüne. Herzlich willkommen in unserem (Beifall bei der CDU/CSU) Reichstag! Wenn aber das REACH-System das zentrale Element (Beifall) des neuen Chemikalienrechts werden soll, dann muss Das Wort hat die Kollegin , SPD-Frak- auch klar sein, dass REACH erhebliche Auswirkungen tion. nicht nur auf die chemische Industrie in Deutschland, sondern auch auf alle Industriezweige haben wird, die Doris Barnett (SPD): chemische Stoffe verarbeiten oder nutzen. Damit wird Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! REACH Einfluss auf die weitere Entwicklung der deut- Kollegin Dött, wir vergessen nichts. Auch wir wissen, schen Wirtschaft insgesamt haben. dass die chemische Industrie in Europa, erst recht in Ich sehe daher Nachbesserungsbedarf in folgenden Deutschland eine beherrschende Stellung hat. Fast ein Bereichen: Drittel der Wertschöpfung in dieser Branche wird von Deutschland erbracht. Auch als Arbeitgeber hat die deut- Erstens. Die aufwendige und bürokratische Registrie- sche chemische Industrie eine herausragende Position; rung von Stoffen führt zu produktbezogenen Kosten- denn – das ist auch in diesem Bereich so – ein Drittel al- steigerungen von teilweise mehr als 100 Prozent, dieler Arbeitsplätze in der Chemie wird von Deutschland sich am Markt nicht durchsetzen lassen werden. Die Fol- gehalten. Das soll auch so bleiben. gen sind absehbar: der Wegfall von Stoffen, die Verlage- rung ganzer Betriebsteile in Staaten außerhalb der EU Mir ist schon wichtig, die Bedeutung der chemischen sowie der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und damit Industrie herauszustellen, nicht zuletzt, weil in meiner von Arbeitsplätzen. Heimatstadt Ludwigshafen fast ausschließlich chemi- (B) sche Unternehmen zu Hause sind. Das prägt auch das(D) Zweitens. Das ausgedehnte Autorisierungsverfahren, Bewusstsein von den Leistungen der chemischen Indus- das auf „weitere Besorgnis erregende Stoffe“ ohne klare trie für mehr Wirtschafts- und Lebensqualität. Kriterien erweitert wird, führt zu Rechtsunsicherheit und zu einer Überlastung des Systems. Nun hat sich die Europäische Union in Lissabon zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigs- Drittens. Der vorliegende Verordnungsentwurf regelt ten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der auch Bereiche, die bereits durch EU- oder nationalesWelt zu werden. Wachstum, Wohlstand und weitere wirt- Recht ausreichend abgedeckt sind, zum Beispiel das Ar- schaftliche Entwicklung brauchen aber ein wettbewerbs- beitsschutzrecht, das Abfallrecht und die Vorschriften zu fähiges produzierendes Gewerbe in Europa und da spielt Gefahrstoffen und zum Immissionsschutz. die chemische Industrie nun einmal eine Schlüsselrolle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allerdings – auch dieses Ziel hat sich Europa gesetzt – Vergessen wir eines nicht: Gerade für Deutschlandsoll die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig sein; steht viel auf dem Spiel; denn kein anderes Land in der denn Ökonomie und Ökologie vertragen sich. EU macht höhere Umsätze im Bereich der Chemie. Um (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Relationen deutlich zu machen: 2002 lag der Umsatz DIE GRÜNEN) deutscher Chemieunternehmen immerhin bei 132 Mil- liarden Euro; das entspricht rund 7 Prozent des weltwei- Das heißt: Die Herstellung chemischer Produkte soll auf ten Umsatzes. In der Chemieindustrie arbeiten hierzu- einem hohen Niveau an Schutz für die menschliche Ge- lande insgesamt mehr als 460 000 Menschen, in einer sundheit und die Umwelt erfolgen, ohne das effiziente Branche, die von kleinen und mittleren Unternehmen ge- Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu gefährden. prägt ist. Das heißt konkret, dass über 40 Prozent derIm Gegenteil, die Wettbewerbsfähigkeit der europäi- Chemieunternehmen weniger als 50 Mitarbeiter beschäf- schen Chemieindustrie soll gestärkt werden und damit tigen. auch ihre Innovationsfähigkeit. – Mit dem von der Kom- mission im letzten Oktober vorgelegten Entwurf einer (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) REACH-Verordnung sollen diese Ziele erreicht werden. Es sind vor allem diese Mittelständler, die die Brüsse- An dieser Stelle darf ich darauf hinweisen, dass es ler Pläne schnell die Existenz kosten können; denn sie durch das gute Zusammenspiel von Politik, Arbeitge- stellen meist Spezialchemikalien in geringen Mengen bern und Arbeitnehmern, also von Bundesregierung, her, deren Produktion durch REACH unrentabel wird. VCI und IG BCE, gelungen ist, Einfluss auf die Ausge- Daher mein Appell an Sie: Erschlagen Sie unsere mittel- staltung der Chemikalienverordnung zu nehmen. Gerade 9346 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Doris Barnett (A) weil die chemische Industrie eine so herausragende Stel- Understanding über Umfang und Verfahren des Impact (C) lung in Deutschland hat, müssen wir darauf achten, dass Assessments führten, auf gutem Wege. Ich bin hier ande- sie diese im globalen Wettbewerb behält und ausbaut. rer Auffassung als einer meiner Vorredner. Prävention und Substitution dürfen nicht nur bei der Ich sage es nochmals: Arbeits-, Gesundheits- und Medizin Anwendung finden; auch in der Chemie gewin- Umweltschutz sind hohe Güter. Das Kostenargument nen sie an Bedeutung. Sichere, möglichst unschädliche darf ihnen gegenüber nicht zum Totschlagargument wer- Produkte, zum Teil ersetzt durch neue Stoffe, werdenden. sich gegenüber denjenigen, von denen man eben nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weiß, ob sie gefährlich sind und worin ihre Gefahr be- DIE GRÜNEN) steht, durchsetzen. Darin wird dann auch ihr Wettbe- werbsvorteil liegen. Die deutschen Chemieunternehmen Andererseits müssen die durch REACH verursachten haben in dieser Richtung schon viel im Wege der freiwil- Kosten der Frage nach dem Nutzen, dem realen, notwen- ligen Verpflichtung getan. Dabei vergessen wir nicht,digen Mehr an Sicherheit standhalten. dass die Mehrzahl dieser Firmen kleine und mittlere Be- Wir fordern natürlich auch, dass importierte chemi- triebe mit weniger als 250 Mitarbeitern sind. Deshalb sche Produkte den gleichen strengen Sicherheitsanfor- darf REACH nicht dazu führen – da haben Sie vollkom- derungen unterliegen wie die in Europa hergestellten; men Recht –, dass besonders für diese Unternehmen die denn zum Beispiel für die Arbeitnehmer des erwachen- Kosten und Aufwendungen so hoch sind, dass sich der den Wirtschaftsriesen China wären schärfere Sicher- Betrieb nicht mehr lohnt. Darauf wird bei den kommen- heitsbestimmungen zum Beispiel dringend geboten. den Beratungen im Europäischen Parlament zu achten Deshalb fordern wir auch die Implementierung des sein. REACH-Systems in das der WTO-Abkommen. Nur Lassen Sie mich ein Beispiel aus meiner Heimatstadt dann hätten wir einen weltweiten fairen Wettbewerb. Bis Ludwigshafen nennen – nicht BASF –: Das Chemie-dahin liegt aber noch eine lange Wegstrecke vor uns, unternehmen Raschig produziert circa 200 Chemikalien weshalb wir auf europäischer Ebene mit Bedacht vorge- und erzielt damit ungefähr 65 Millionen Euro Umsatz. hen müssen. Schauen Sie einmal, was wir mit den Poly- Diese Summe machte im letzten Jahr zwei Drittel des meren vorhaben. Gesamtumsatzes aus. Der Rest des Umsatzes wird mit Wir stehen zum Wettbewerb, aber wir können es uns Kunststoffen und in anderen Bereichen erzielt. Der ge- auch aus Kostengründen nicht mehr leisten, die Gesund- samte Jahresüberschuss nach Steuern betrug letztes Jahr heit der Menschen und eine intakte Umwelt zu vernach- 0,5 Millionen Euro. Im Unternehmen arbeiten deutsch- lässigen. Beides muss uns gleich viel wert sein – Ihnen landweit etwa 500 Menschen. (B) hoffentlich auch. Deshalb laden wir Sie ein: Stimmen(D) Raschig hat auf der Basis des aktuellen REACH-Vor- Sie unserem Antrag zu! schlages berechnet, dass von den 200 Chemikalien circa Die Chemie ist ein starkes Stück Deutschland. 140 von REACH betroffen wären. Die umfänglichen Prüf- und Registrierungsverfahren für diese Stoffe wür- den Kosten von bis zu 18,5Millionen Euro, so sagt die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Firma, verursachen. Selbst wenn man diese Kosten auf Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit. eine Zeitachse von zehn Jahren verteilte und man in Be- zug auf die Höhe der Kosten Abstriche machte, sie nur Doris Barnett (SPD): zur Hälfte akzeptierte, wäre die jährliche Belastung hö- Das soll auch so bleiben, deshalb setzen wir auf Inno- her als der gesamte Jahresüberschuss. Ein Unternehmen vationen, Mut zur Erneuerung, aber auch auf Offenheit wie Raschig würde das schwerlich stemmen können. für Veränderungen. Hier setzen wir an, wenn wir unser besonderes Au- Vielen Dank. genmerk auf die Kostenseite der Umsetzung der Verord- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nung richten; denn wir wollen unter keinen Umständen DIE GRÜNEN) die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im glo- balen Markt aufs Spiel setzen. So könnte ein wichtiger Hebel für ein praktikables Registrierungsverfahren die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Verständigung auf Expositions- und Verwendungskate- Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier, CDU/ gorien sein, wie es von Rheinland-Pfalz, aber auch von CSU-Fraktion. NRW vorgeschlagen wird. Dieser Ansatz deckt sich mit (Beifall bei der CDU/CSU) der gemeinsamen Position von Bundesregierung, VCI und IG BCE. Wir unterstützen sie. Franz Obermeier (CDU/CSU): Wir unterstützen mit unserem Antrag ebenfalls die Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dies ist Bundesregierung in ihrer Forderung, aufgrund der imdie zweite Debatte heute, bei der wir uns über die Ziel- NRW-Planspiel zur Registrierung gewonnenen Erfah- setzung einig sind. Allerdings sind wir hinsichtlich der rungen eine eingehende Folgenabschätzung auch auf eu- einzusetzenden Instrumente uneinig. Dazu, ob sich das ropäischer Ebene durchzuführen. Die VorbereitungenChemikalienkontrollsystem mit dem schönen Namen dazu sind nach Gesprächen der Europäischen Kommis- REACH auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen sion und der Industrie, die zu einem Memorandum ofChemiewirtschaft im Vergleich zu der beispielsweise in Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9347

Franz Obermeier (A) Südostasien vorteilhaft oder negativ auswirken wird, Wir haben in die heutige Debatte zwei Anträge einge- (C) gibt es unterschiedliche Auffassungen. Es darf aber un- bracht. Der eine Antrag trägt die Überschrift: „Strategie ter gar keinen Umständen dazu kommen, dass mit dieser für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland und Verordnung ein neuer Bürokratiesaurier geschaffen wird. Europa“. Wir wollen, dass durch die Neuordnung der Davon haben wir bereits genug. europäischen Chemikalienpolitik die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie verbes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sert wird. In diesem Antrag fordern wir die Bundesregie- neten der FDP) rung auf, in Brüssel vorstellig zu werden, damit noch Angesichts dessen, dass schon die nordrhein-westfäli- rechtzeitig umgesteuert werden kann. sche Landesregierung zu der Erkenntnis gekommen ist, Der andere Antrag lautet: „Unabhängige Folgenab- dass hier Vorsicht geboten ist, ist es für die Bundesregie- schätzung der neuen EU-Chemikalienpolitik“. Darin for- rung meines Erachtens allerhöchste Zeit, in Brüssel mas- dern wir, dass eine wirklich unabhängige Studie zur siv vorstellig zu werden, damit wir die EntwicklungUntersuchung der ökonomischen Folgen in Auftrag ge- noch rechtzeitig beeinflussen können. geben wird, die möglichst breit angelegt sein sollte. In meinem Wahlkreis gibt es eine ganze Reihe von Aufgrund einer Internetkonsultation aus dem Jahr chemischen Betrieben, insbesondere mittelständische. 2003 verfügt die Europäische Kommission bereits über Mit Vertretern dieser Unternehmen habe ich in den ver- erste Erkenntnisse von Praktikern. Diese sollten im wei- gangenen Monaten gesprochen, weil mir natürlich ihre teren Verfahren unbedingt berücksichtigt werden. Dabei internationale Wettbewerbsfähigkeit sehr wichtig ist.geht es um einige sehr wichtige Punkte, nämlich um die Der Anteil der Produkte, die in außereuropäische Länder hohen Registrierungskosten und die Anforderungen für exportiert werden, liegt bei diesen Unternehmen, auch unter strenger Kontrolle transportierte Zwischenpro- bei den kleineren, bei einer Größenordnung von 70 bis dukte, darum, dass chemische Produkte innerhalb der 90 Prozent. Chemieparks als Zwischenprodukte gelten, um Zulas- sungsverfahren, die auf zentraler Ebene durchgeführt Angesichts der Horrormeldungen, die wir täglich da- werden sollen, und darum, dass Doppelregelungen unbe- rüber hören, welche Firmen wieder Arbeitsplätze insdingt vermieden werden, der Rechtsschutz eingehalten Ausland verlagern wollen – gestern haben wir eine sol- wird und die Patentregeln verbessert werden. Ferner che Nachricht von Siemens bekommen –, wollen wir auf alle Fälle vermeiden – darauf wurde in dieser Debatte noch nicht hingewiesen –, dass es durch (Heinz Schmitt [Landau] [SPD]: Weil sie raffgierig sind!) diese Verordnung wieder zu mehr Tierversuchen kommt. Schließlich haben wir uns sehr dafür eingesetzt, dass der (B) (D) müssen wir uns intensiv mit der Frage beschäftigen, wie Tierschutz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- wir Arbeitsplätze in Deutschland halten. Die chemische land verankert wird. Industrie bietet lukrative Arbeitsplätze, die für unser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Land wichtig sind. Es ist eine zentrale Aufgabe der Poli- tik, darauf zu achten. Die chemische Wirtschaft inIch habe eine Bitte an die Vertreter der Regierungs- Deutschland besteht aber nicht nur aus den Großbetrie- koalition: Sorgen Sie dafür, dass die Bundesregierung ben und den großen Konzernen, es gibt auch einedie Interessen der deutschen und der europäischen che- Vielzahl kleiner und mittlerer Betriebe, die sich mit Er- mischen Wirtschaft so in Brüssel vertritt, dass durch findergeist, Risikobereitschaft, Mut und Ausdauer ihre diese Verordnung keine Nachteile für unsere Unterneh- Marktnischen erobert haben. Auf diese müssen wir be- men entstehen. sonders achten. Dabei dürfen wir natürlich nicht die As- Herzlichen Dank. pekte Umweltschutz und Gesundheitsfürsorge aus dem Auge verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Durch ein neues europäisches Kontrollsystem entste- hen für die Betriebe unweigerlich neue Kosten. Die Nei- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gung und die Fähigkeit zu Innovationen in dieser Bran- Das Wort hat der Kollege Ernst Ulrich von che werden abnehmen. Das bedeutet in Deutschland und Weizsäcker, SPD-Fraktion. in Europa einen Verlust von Arbeitsplätzen. Das gilt aber nicht nur unmittelbar für die chemische Industrie, das Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD): gilt für die gesamte deutsche Wirtschaft, insbesondere Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon für das Handwerk. Die Entwicklungskosten werden ver- als Schüler war ich von der Chemie fasziniert. Ich habe mutlich zu höheren Preisen führen. dann ein paar Semester Chemie studiert. Die ungeheure Vielfalt der Stoffe, die wir erzeugen und mit denen wir Ich unterstütze ausdrücklich die Ziele bei der Neuaus- umgehen, fand ich großartig. Später bin ich dann in die richtung eines europäischen Chemikalienrechts. Wir Physik und in die Biologie gewechselt. Die Faszination wollen den hohen Sicherheitsstandard in den Bereichen ist bei mir aber auf jeden Fall geblieben. Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz halten. Bei einer Neugestaltung müssen wir aber auch Augenmaß Ich bewundere die Tausende von Chemikern, Inge- beweisen. Kosten und Nutzen müssen in einem ange-nieuren und Managern, die es geschafft haben, Hundert- messenen Verhältnis stehen. tausende verschiedene Stoffe zu produzieren, zu prüfen, 9348 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (A) auf den Markt zu bringen und damit Millionen von Ar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) beitsplätzen zu schaffen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Wir Deutschen sollten bald dazu übergehen, REACH als FDP) Marketinginstrument für die Länder, in denen die Be- sorgnis über Bedrohungen aus der Chemie in den letzten Wir haben allen Grund, mit derChemiebranche pfleg- zehn Jahren rasant angestiegen ist, zu verwenden. lich umzugehen. Die Chemiebranche ist in höherem Maße als fast alle anderen Branchen auf dauerndes Ver- Wir stehen zu unserer Chemiebranche. Wir stehen trauen der Verbraucherinnen und Verbraucher angewie- aber auch zu unserer Chemiepolitik. Sie hat die Zielset- sen. zung, auch künftigen Generationen, jungen Menschen wie erfahrenen Ingenieuren, die Freude am Umgang mit (Beifall im ganzen Hause) Stoffen und an der Chemie zu erhalten. In diesem Sinne Das weiß man aus den vergangenen 20 bis 30 Jahrenkönnen wir unseren Antrag zur REACH-Verordnung nur Umwelt- und Verbraucherpolitik. unterstützen. Dieses auf Dauer zu erhalten ist die eigentliche Ab- Vielen Dank. sicht, die hinter REACH steht. Es besteht doch kein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zweifel an dem grundlegenden Reformbedarf bezüglich DIE GRÜNEN) der Regelung bei Chemikalien. In den Worten des Sach- verständigenrats für Umweltfragen duldet die bisherige Chemikalienpolitik – ich zitiere – Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege nicht zu verantwortende Wissenslücken hinsichtlich Helge Braun, CDU/CSU-Fraktion. der Eigenschaften und Verwendungen Zehntausen- der auf dem Markt befindlicher Altstoffe. Das gel- (Beifall bei der CDU/CSU) tende Kontrollsystem ist schwerfällig und zeitauf- wendig. Helge Braun (CDU/CSU): Die Jahreszahl 2003 ist dabei genannt worden. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Sie hier gerade als Ihre Chemikalien- Die Überwindung dieses nicht zu verantwortenden politik skizziert haben, bedeutet einen grundsätzlich an- Zustands ist aber auch nicht ohne Aufwand zu erreichen. deren Weg als das, was der Kanzler in seinen Innovati- Das sieht jeder, der sich den REACH-Verordnungsent- onsoffensiven beschreibt. Es bedeutet auch einen völlig (B) wurf vom Oktober 2003 anschaut. Alle bisherigen Red- anderen Weg als das, was der neue Parteivorsitzende der (D) nerinnen und Redner haben die Notwendigkeit einerSPD, Müntefering, meint, wenn er davon redet, dass Kostenbegrenzung und der Folgenabschätzung betont. Deutschland im Bereich Innovation wieder Spitze wer- Ich möchte erwähnen, dass der Entwurf vom Oktober im den soll. Gegensatz zu früheren Entwürfen – einschließlich des Weißbuchs – einigen dieser Bedenken bereits Rechnung (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: trägt. Ich will aber nicht bestreiten, dass es noch Nach- Bedenkenträger!) besserungsbedarf gibt. Das ist in unserem Antrag zum Bei zahlreichen Argumenten, die Sie hier angeführt Ausdruck gebracht worden. Wir treten hier in einen Pro- haben, wird deutlich, dass Sie sich der wirklichen Lage, zess von zehn Jahren ein; das geht ja nicht von heute auf die eine solche Verordnung bewirken würde, offenbar morgen. überhaupt nicht bewusst sind. Noch immer stellen sich die Kosten für einzelne mit- (Doris Barnett [SPD]: Sie haben überhaupt telständische Hersteller – Frau Dött hat darauf hingewie- nicht zugehört!) sen – insbesondere von Fein- und Spezialchemikalien besorgniserregend hoch dar. Auf der anderen Seite sind Sie haben erklärt: Über viele Altstoffe, die seit 20 Jahren gerade für die Fein- und Spezialchemikalien auf aus dem Markt sind, wissen wir überhaupt nichts. Des- Deutschland die Weltmarktchancen ausgezeichnet. Ge- wegen sind unter anderem Tierversuche notwendig, um rade in China, aber auch in anderen dicht besiedeltenInformationen über diese Stoffe zu bekommen. – Ich asiatischen Ländern beobachten wir in den letzten zehn frage Sie: Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, Jahren eine laufende, teilweise rasante Verschärfung der wie viele Tierversuche durchgeführt werden müssen, um Gesundheits- und Umweltauflagen. Die Behörden wol- bessere Informationen zu bekommen, als das bisher len immer genauer wissen, was sich hinter den impor- durch jahrzehntelanges, tonnenweises industrielles Ver- tierten Chemikalien verbirgt und wo es möglicherweise arbeiten dieser Stoffe der Fall war? Risiken gibt. Das gilt ganz besonders für Altstoffe. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie Frau Vogel-Sperl hat schon mit Recht darauf hinge- haben nichts begriffen!) wiesen, dass es für unsere Innovationskraft sehr darauf Das sind Größenordnungen, die mit dem Tierschutz, den ankommt, die Ungleichbehandlung von Altstoffen und Sie bisher gemacht haben, in keiner Weise vereinbar Neustoffen zugunsten der Neustoffe zu beenden, damit sind. wieder Innovationskraft in unser Land kommt. Das ist für die Weltmärkte besonders wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9349

Helge Braun (A) Zu der Frage, was an dieser Richtlinie unter dem As- lionen Euro bereitstellen wird, um Innovationen zu för- (C) pekt Innovationen bemerkenswert ist, will ich einige dern. Das ist eine verschwindend kleine Summe, wenn Anmerkungen machen. Die chemische Industrie macht man auf der anderen Seite die Belastung allein der che- im Jahr mit Produkten, die sie neu auf den Markt bringt, mischen Industrie durch diese Einzelmaßnahme sieht. 19 Milliarden Euro Umsatz. 18 Prozent der Gesamtaus- Die Kosten sind wesentlich höher als der Betrag, der für gaben der Wirtschaft in Deutschland für Forschung und die gesamte Innovationsoffensive zur Verfügung gestellt Entwicklung stammen aus dem Bereich der chemischen wird. Deshalb, meine Damen und Herren: Die Chemie Industrie. Die chemische Industrie weist darüber hinaus stimmt an dieser Stelle in keiner Art und Weise. mit einem Anteil von 6 Prozent ihrer Ausgaben für For- Vielen Dank. schung und Entwicklung den höchsten Anteil von allen Wirtschaftsbereichen auf. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker [SPD]: Das soll auch so bleiben!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache. Wie ist die Situation? Wir haben heute über das EEG, Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zum Antrag die Einbeziehung der Netzwerke von Firmenstandorten der CDU/CSU auf Drucksache 15/2654 mit dem Titel in dieses Gesetz und die finanziellen Belastungen für die „Unabhängige Folgenabschätzung der neuen EU-Che- chemische Industrie gesprochen. mikalienpolitik“. Die Fraktionen der SPD und des Bünd- (Ulrich Kelber [SPD]: Völliger Quark!) nisses 90/Die Grünen habenbeantragt, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Diese Woche hat die OPEC beschlossen, dass die Öl-Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung preise hoch bleiben. Das bedeutet konstant hohe Roh- an die Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit, Gesundheit stoffpreise für die chemische Industrie. und Soziale Sicherung, Bildung, Forschung und Tech- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie ha- nikfolgenabschätzung und an den Ausschuss für die An- gelegenheiten der Europäischen Union zu überweisen. ben es wie üblich wieder einmal nicht gele- sen!) Die Fraktion der CDU/CSU verlangt hingegen sofor- tige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Ab- Hinzu kommen die allgemeinen Strukturprobleme auf stimmung über den Überweisungsvorschlag vor. Ich dem Arbeitsmarkt, die Ausbildungsplatzabgabe und jetzt bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der noch die REACH-Verordnung. Wir wollen doch nicht SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zustimmen wirklich das Signal aussenden, dass in einer Phase wirt- wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – (B) schaftlicher Stagnation, in der alle von Innovationen re- Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den (D) den, unsere Forscher in den Labors 30 000 Altstoffe be- Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/ werten sollen, statt dass sie sich jeden Tag um CSU die bei Enthaltung der FDP angenommen. Damit stim- Erforschung neuer Produkte bemühen. men wir heute nicht in der Sache ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 18 b. Interfraktionell wird Über- Überlegen Sie sich außerdem, dass bei den Neustof- weisung der Vorlage auf Drucksache 15/2666 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- fen eine 1 200 Seiten umfassende Richtlinie zu beachten gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. ist. Dann ist die Überweisung so beschlossen. (Dr. Antje Vogel-Sperl [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Frau Präsi- GRÜNEN]: Verordnung! Das ist ein gewalti- dentin, können Sie die Herren Abgeordneten ger Unterschied!) bitten, nicht an der Bank des Bundesrates her- Die ist von mittelständischen Unternehmen praktisch umzulungern, sondern sich an der Abstim- nicht umsetzbar. Wir müssen aber darauf achten, dass mung zu beteiligen?) wir neue Chemikalien in Deutschland früher auf den– Ich hoffe, die Abgeordneten haben den Ruf ihres Ge- Markt bringen, als das in anderen Wissenschaftsregionen schäftsführers gehört. der Fall ist. Wir werden jedenfalls mit der REACH-Ver- ordnung nicht zum Wissenschaftsstandort Nummer eins (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Einer ist in der Welt werden. selber Geschäftsführer!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Tagesordnungspunkt 18 c. Wir kommen zur Be- Birgit Homburger [FDP]) schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/2775. Ich will mich jetzt nicht darauf kaprizieren, ob dieDer Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- Kosten, die für die Altstoffbewertung aufgewendet empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der werden müssen, 2 Milliarden Euro, die Sie zugestehen, CDU/CSU auf Drucksache 15/1356 mit dem Titel „Stra- oder 5 Milliarden Euro, 7 Milliarden Euro oder nochtegie für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland mehr betragen. Aber ich will die Dimension des Pro-und Europa“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- blems einmal aufzeigen. Der Kanzler hat in dieserlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss- Woche im Rahmen der Partnerschaft für Innovationen empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge- verkündet, dass die Bundesregierung zusätzlich 540 Mil- genstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. 9350 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft (C) der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion und Arbeit: der FDP auf Drucksache 15/1332 mit dem Titel „Leis- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und tungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im euro- Herren! Wie wir alle wissen, geht es bei dem so genann- päischen Rahmen sichern“. Wer stimmt für diese Be-ten kommunalen Optionsgesetz, über das wir heute dis- schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – kutieren, nur um einen Teil eines großen Reformwerks, Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koa- das uns gelingen muss. Dieses Reformwerk ist das Herz- lition gegen die Stimmender CDU/CSU-Fraktion und stück der Arbeitsmarktreformen, nämlich die Zusammen- der FDP angenommen. führung von Arbeitslosen- undSozialhilfe zu einer ein- heitlichen Leistung in Form der neuen Grundsicherung Ich rufe die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: für Arbeitssuchende. Ich denke, wir alle wissen, wie a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD wichtig das ist. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- Nur durch eine einheitliche Betreuung und Leistung brachten Entwurfs eines Gesetzes zur optionalen können wir vermeiden, dass Langzeitarbeitslose weiter- Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten hin zwischen den Institutionen, zwischen den verschie- Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Options- denen Fürsorgesystemen in Deutschland hin- und herge- gesetz) schoben werden, wie es bisher viel zu häufig der Fall ist. In dieser Sache sind wir uns einig. Das haben auch die – Drucksache 15/2816 – Verhandlungen im Vermittlungsverfahren im Dezember Überweisungsvorschlag: vergangenen Jahres gezeigt. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) Innenausschuss Ich denke, wir sind uns auch darüber einig, dass es Sportausschuss neben der besseren Betreuung von Arbeitssuchenden Rechtsausschuss Finanzausschuss wichtig ist, dass sich auch die Arbeitssuchenden selbst Verteidigungsausschuss aktiv um eine neue Arbeitsmöglichkeit bemühen. Unsere Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Maxime „Fördern und Fordern“ ist ein Leitgedanke der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung neuen Grundsicherung für Arbeitslose. Über die Umset- Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zung dieser Maxime erhält jeder bzw. jede Arbeit- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung suchende die Unterstützung, die er oder sie braucht. Wir Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und stellen sicher, dass jeder Grundsicherungsempfänger Entwicklung eine qualifizierte Betreuung bekommt, die diese Be- Ausschuss für Tourismus zeichnung auch verdient. (D) (B) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Aber wir verlangen von ihm oder ihr, alles zu tun, um Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO die Arbeitslosigkeit zu beenden. Dazu gehört auch, dass b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDkünftig jede legale Erwerbstätigkeit prinzipiell zumutbar und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ist. Das hat vielfach zu Kritik geführt. Ich halte es aber für falsch, den Arbeitsmarkt in seiner jetzigen Ausprä- Verabschiedung eines Optionsgesetzes gung zu belassen, indem man Arbeitssuchende gewisser- maßen sich selbst überlässt, statt dafür zu sorgen, dass – Drucksache 15/2817 – sie wieder Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Da- Überweisungsvorschlag: rum geht es bei den Reformen, die wir jetzt zur Diskus- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) sion stellen. Innenausschuss Sportausschuss Was wir uns in diesem Zusammenhang vorgenommen Rechtsausschuss haben und was im Gesetz bereits vorgesehen ist, nämlich Finanzausschuss die Zusammenführung der beiden Fürsorgesysteme zu Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einem einzigen System, der neuen Grundsicherung, wird Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung auch realisiert. Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und Sozialhilfe wird, um das in aller Klarheit zu sagen, Ausschuss für Bildung, Forschung und ungeachtet des Disputs über das Optionsgesetz realisiert, Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und und zwar zum 1. Januar 2005. Entwicklung Ausschuss für Tourismus (Beifall bei der SPD) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Das heißt, sie wird ab dem 2. Januar 2005 in die Praxis Haushaltsausschuss umgesetzt. Zu diesem Zweck ist die Bildung von Ar- beitsgemeinschaften vorgesehen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Ich trage und übernehme die Verantwortung dafür, Widerspruch. Dann ist so beschlossen. dass dieses Vorhaben gelingt. Das sage ich auch unge- achtet derer – die wir allekennen –, die immer wieder Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- von Chaos, von einer Katastrophe, vom sicheren Schei- minister Wolfgang Clement. tern, von Murks und was nicht allem sprechen. Wir wer- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9351

Bundesminister Wolfgang Clement (A) den sie am Wegesrand stehenlassen und die Reform rea- gen zu finden; denn dort sind auch die finanziellen Aus- (C) lisieren. Sie ist unausweichlich notwendig. wirkungen prognoseabhängig und damit meistens strit- tig. Ich bin sicher, dass wir hier – etwa durch Spitz- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ abrechnungen im Nachhinein – zu einer Verständigung DIE GRÜNEN) mit der kommunalen Seite kommen werden. Die Bundesagentur für Arbeit hat die Gespräche zum Ich sage noch einmal: Jawohl, die 2,5 Milliarden Aufbau der Arbeitsgemeinschaften mit den Kommu- Euro, die wir, der Bundeskanzler, der Finanzminister nen längst aufgenommen. Die Gespräche laufen und und – unnötigerweise – auch ich, zugesagt haben, wer- werden voraussichtlich im Mai in entsprechende Ver- den tatsächlich den Kommunen zugute kommen, und tragsabschlüsse münden. Schon jetzt finden Gespräche zwar dort, wo es Not tut, auch über die Länder, die das, über die Ausstattung der einzelnen Pilot-Jobcenter statt. was sie durch den Umbau gewinnen, an die Kommunen Ich gehe davon aus, dass wir mit den Kommunen zu ei- entsprechend ihrem Bedarf weiterleiten werden. ner Verständigung kommen. Und um das aufzunehmen, was in den Debatten eine Vor diesem Hintergrund – das ist das eigentliche Rolle spielt – ich verfolge das alles aufmerksam; gestern Kernstück der heutigen Debatte – spielt natürlich auch war wieder einmal drastisch vom drohenden Chaos die die kommunale Option eine Rolle. Sie stützt sich auf die Rede –: Wir sind mithilfe von Experten – um es klar zu Vereinbarung, die wir im Vermittlungsausschuss getrof- sagen: von der Telekom bzw. von T-Mobile – fen haben. Danach sollen neben dem Grundmodell der Arbeitsgemeinschaft, das auf jeden Fall praktiziert wird, (Dirk Niebel [FDP]: Die haben auch den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, auch die Maut gemacht!) in eigener Trägerschaft Vermittlungsarbeit zugunsten von Langzeitarbeitslosen zu leisten. Genau das ist der dabei, die erforderlichen IT-Programme zu entwickeln, Auftrag des Vermittlungsausschusses. Wir versuchen, um denjenigen, die in Zukunft vor Ort die Verantwor- mit dem heute von der Koalition vorgelegten Gesetzent- tung für die Arbeitssuchenden übernehmen, die notwen- wurf diesem Auftrag gerecht zu werden. Wir tun das mit dige Sicherheit im Umgang mit dem Problem zu bieten. dem System der so genannten Organleihe. Es war klar, Sie können davon ausgehen, dass wir uns mit aller Akri- dass Sie, Herr Kollege Niebel, sich darüber lustig ma- bie und Sorgfalt darum bemühen. chen werden und gleich von Organspende sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Vorhaben gelin- gen wird, auch wenn niemand – auch ich nicht – aus- (Dirk Niebel [FDP]: Die Medizin beweist: schließen kann, dass auf diesem Weg Fehler begangen Organleihe funktioniert nicht!) (B) werden. Es wird sicherlich zu Fehlern kommen. Mir ist Wir setzen im Gegensatz zu dem Bild, das Sie gestern(D) auch bewusst, dass es zu eruptiven Ausbrüchen über sol- gezeichnet haben, tatsächlich auf die Organleihe, und che Fehler kommen wird. Das ist nun einmal Bestandteil zwar deshalb, weil bei der Organleihe auch der Empfän- der politischen Auseinandersetzung. Das wird uns aber ger mitwirken muss, was, wie Sie wissen, bei der Organ- nicht von der Notwendigkeit abhalten, die Arbeitsver- spende selten der Fall ist; denn dort ist der Empfänger mittlung in Deutschland endlich wieder vom Kopf auf während der Transplantation betäubt. die Füße zu stellen. Wirmüssen sie aus der Bürokratie herausholen und als eine in den Kommunen und mit den (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Kommunen handhabbare Aufgabe gestalten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Aber nur lokal!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bei der Organleihe ist das anders. Hier wollen wir die aktive Mitwirkung der Kommunen. Parallel dazu sprechen die Fachleute unseres Ministe- riums – des Bundesministeriums für Wirtschaft und Ar- Wir haben den Gesetzentwurf deshalb so gefasst, dass beit – und des Finanzministeriums mit den Ländern und er den Kommunen sehr wohl einen eigenen Gestaltungs- den Kommunen über die kommunale Finanzausstattung. spielraum im Rahmen einer Zielvereinbarung gibt, die Wie Sie alle wissen, gibt es ziemliche Differenzen bei mit der Bundesagentur für Arbeit vor Ort getroffen wer- den Erwartungen und den Prognosen über die finanzielle den soll. Auf diesen Gestaltungsspielraum kommt es an; Ausstattung. denn er rechtfertigt sehr wohl, von einer Trägerschaft der kommunalen Seite zu sprechen. Sie, die Union, und auch (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Über die Zahlen!) die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-geführten Län- – Sie rufen zu Recht immer dazwischen. Das ist auch gut der sind damit nicht einverstanden, was Sie sicherlich so und belebt meinen Kreislauf. gleich noch darlegen werden. Sie halten stattdessen den Weg über eine Verfassungsänderung für besser, um den (Heiterkeit bei der SPD) Kommunen entsprechende Eigenständigkeit zu geben. Wir wollen zum einen versuchen, Bund, Länder und Kommunen auf eine gemeinsame Berechnungsbasis zu Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: stellen. Damit sich niemand falsche VorstellungenHerr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des macht: Davon sind wir gar nicht mehr so weit entfernt. Kollegen Niebel? Wir versuchen zum anderen, dort, wo wir uns heute nur auf Erwartungen und Prognosen stützen können, Lösun- (Zurufe von der SPD: Nein!) 9352 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

(A) Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft In Wahrheit erfüllt keiner der drei Vorschläge das im (C) und Arbeit: Vermittlungsverfahren entwikkelte Ideal, nämlich eine Frau Präsidentin, ich bitte darum, meine Rede fortzu- saubere, uneingeschränkte und klare Trägerschaft der setzen; denn ich bin gerade so schön drin. Kommunen. Wir glauben aber, dass der Weg über eine so ausgestaltete Organleihe mit entsprechenden Spiel- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: räumen für die Kommunen vernünftiger als eine Verfas- Herr Kollege Niebel, der Minister möchte seine Rede sungsänderung ist. Sämtliche Argumente sind natürlich fortsetzen. noch sehr viel intensiver zu erörtern, aber sie laufen im Kern auf das hinaus, was ich gesagt habe.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft Wir werden den Gesetzentwurf, den wir heute ein- und Arbeit: bringen, im Vermittlungsverfahren zu erörtern, gegebe- Herr Kollege Niebel, vielleicht können wir das gleich nenfalls streitig zu diskutieren haben. Vielleicht werden aufnehmen. Aber jetzt möchte ich nicht unterbrochenwir in diesem Verfahren allesamt klüger. Ich hoffe, wir werden; denn genau um diesen Punkt geht es mir. finden dort einen gemeinsamen Weg; jedenfalls schließe ich nicht aus, dass dies möglich ist. In den Vorgesprächen zum Gesetzgebungsverfahren – insofern: das Verfahren, das wir vorgeschlagen haben, Allerdings will ich eines sehr deutlich sagen: Diese ist sehr fair – hat die so genannte B-Seite, also Sie, eine Diskussion kann und darf den Aufbau der Arbeitsge- Änderung des Art. 120 unserer Verfassung favorisiert. meinschaften und die Zusammenführung von Arbeitslo- senhilfe und Sozialhilfe nicht aufhalten. (Otto Fricke [FDP]: Nein!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Sie haben das natürlich nicht getan, aber die Vertreter DIE GRÜNEN) der CDU/CSU, insbesondere Ministerpräsident Koch. – Dieser Änderung liegt letztendlich die Vorstellung zu- Dies wird auf keinen Fall geschehen. Wir sind den Ar- grunde, dass die Länder anstelle des Bundes die Aufga- beitsuchenden in Deutschland schuldig, dass dieser Pro- ben übernehmen, nur in einem Bereich nicht, nämlich im zess nicht mehr aufgehalten wird. Wir allesamt haben Bereich der Finanzen. Der Bund soll also die Musik be- die Reform des Arbeitsmarktes lange genug versäumt. zahlen, die die Länder – im Verhältnis zu den Kommu- Die hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland weisen nen – spielen. Niemand kann ernsthaft erwarten, dassunübersehbar darauf hin: Die von uns eingesetzten In- dies vonseiten des Bundes praktiziert wird. strumente waren nicht hinreichend. Deshalb müssen wir andere verwenden und diesen Weg gehen. Das ist das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) Herzstück der Reformen und deshalb müssen wir unser (D) DIE GRÜNEN) Vorhaben auf jeden Fall realisieren, und zwar fristge- Herr Ministerpräsident Koch – ich hoffe, dass Sie mir recht, wie es das Gesetz vorsieht. Dazu bedarf es keiner diesen kleinen Spaß nachsehen werden –, wenn Sie ir- weiteren Aktivitäten. gendwann einmal in die Verlegenheit kommen sollten, Diesen Streit, den wir heute – und wahrscheinlich über einen solchen Vorschlag auf Bundesebene zu ent- noch ein bisschen länger – führen, ist ein Streit um Orga- scheiden, nämlich die Musik zu bezahlen, die die Länder nisation. Wir Deutsche lieben diese Art des Streites of- bestimmen, dann glaube ich, dass Sie nie auf die Idee fensichtlich; besser aber wäre es, wenn wir darüber strit- kommen würden, sich selber so etwas zuzumuten. Abge- ten, wie wir die Inhalte verbessern, sehen davon ist, glaube ich, auch das Vertrauen des Lan- des Hessen in die Kommunen nicht so ausgeprägt – in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wahrheit ist es nicht wesentlich ausgeprägter als das in DIE GRÜNEN) den Bund –, dass die Mittel tatsächlich an die kommuna- nämlich: Wie schaffen wir die Integration der Arbeit- len Stellen weitergeleitet werden. Der vorgeschlagene suchenden in den Arbeitsmarkt? Wie schaffen wir mehr Weg ist jedenfalls aus unserer Sicht nicht gangbar. kommunale Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutsch- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ land, damit wir allen Arbeitsuchenden einen Arbeits- DIE GRÜNEN) platz in Deutschland anbieten können? Wie schaffen wir mehr Möglichkeiten zur Betreuung der Kinder – verges- Wir haben ja schon über mehrere Verfassungsände- sen Sie das nicht! –, damit die Familienangehörigen und rungen diskutiert, so auch über eine Änderung desnicht zuletzt die Mütter in den Arbeitsmarkt zurückkeh- Art. 106 des Grundgesetzes. Auch dies ist aus unserer ren können? Sicht nicht gangbar, vor allem deshalb, weil Ministerprä- sidenten nicht akzeptieren wollen – das kann ich durch- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aus verstehen; denn ich war selber einmal einer –, dass DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Aber ein durch eine rasche Verfassungsänderung ein neues Fi- bisschen organisieren müssen wir das!) nanzverhältnis zwischen Bund und Kommunen etabliert – Herr Kollege Niebel, das ist keine Frage der Organisa- wird, ohne dass die Länder daran beteiligt wären. Aus tion, sondern eine Frage der Aktivitäten, nicht zuletzt der diesem Grunde sind diese beiden Wege einer Verfas-Aktivitäten der Kommunen. sungsänderung nicht sinnvoll; wir lehnen das ab. Im Ge- setzentwurf ist deshalb der Weg über die Organleihe vor- Die Kommunen – sie werden heutzutage vielfach ins gesehen. Feld geführt – können mehr kommunale Beschäftigungs- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9353

Bundesminister Wolfgang Clement (A) möglichkeiten schaffen, indem sie, unter anderem durch Eindruck, Sie seien erst vor kurzem in Deutschland ge- (C) Unterstützung vom Bund, mehr Angebote zurBetreuung landet. von Kindern zur Verfügung stellen. Sie können maß- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – geblich dazu beitragen, dass die Arbeitslosigkeit in Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deutschland sinkt. Es gibt in Deutschland Beispiele da- für, dass das hervorragend funktioniert. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und mein Bundesland haben bereits vor drei Jahren – ich Experten sagen, dass wir allein mit diesen beiden In- hatte schon damals Gelegenheit, hier zu sprechen – die strumenten – mehr kommunale Beschäftigungsmöglich- Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe keiten und mehr Möglichkeiten zur Betreuung von Kin- gefordert. dern – die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 20 oder 30 Prozent senken können. Das werden wir tun. Im Mo- (Dirk Niebel [FDP]: Das gilt für uns genauso!) ment streiten wir über die Organisation dieses Prozesses. Wären Sie seinerzeit darauf eingegangen, hätten wir al- Wir werden diese Reform so realisieren, wie es das Ge- les, was wir wollen, längst realisiert. Hören Sie also auf, setz vorsieht. Wenn Sie so wollen, Kolleginnen und Kol- an der Stelle mit Zeitdruck zu argumentieren! legen der CDU/CSU: Die Karawane zieht weiter! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sie zieht ins Klaus Brandner [SPD]: Warum brauchen Sie Abseits weiter!) dann zwei Jahre für die Umsetzung? Das ist Ich möchte noch eine Bemerkung zum Bereich Orga- nicht glaubwürdig!) nisation machen. Sie haben gestern eine intensive Dis- Wir reden heute über zwei Dinge gleichzeitig, näm- kussion über die Ausbildungsplatzumlage geführt. Diese lich einmal über die sachliche Regelung, die in dem Ge- Diskussion ist außerordentlich wichtig. Allerdings gilt setzentwurf der Koalitionsfraktionen vorgeschlagen auch da: Wir sollten uns auf die Dauer nicht in einer Dis- wird – die ich für falsch halte –, und zum anderen über kussion über das richtige Instrument verbeißen. Viel-den Vorgang der Erfüllung der im Vermittlungsaus- mehr sollte jeder von uns das tun, was er tun kann, um schuss getroffenen Vereinbarung vom Dezember letzten für die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen zu sor- Jahres. Ich sage Ihnen, Herr Minister, ganz klar: Was die gen. Fraktionen vorgelegt haben, ist gemessen an dem, was (Zuruf des Abg. wir im Vermittlungsausschuss verabredet haben, ein [CDU/CSU]) glatter Wortbruch; das ist nicht das, was wir verabredet haben. Beispielsweise sollte sich jeder von Ihnen, Herr Kollege (B) Singhammer, in einem der knapp 300 Wahlkreise der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D) Bundesrepublik darum bemühen, dass etwa 100 zusätzli- Sie wissen, dass es ein Gesetz zu Hartz IV heute nicht che Ausbildungsplätze geschaffen werden. Viele von uns gäbe, wenn wir damals den Eindruck gehabt hätten, dass tun das schon. Wenn Sie das alle tun, ist die Ausbil-Sie ein solches Verhandlungsergebnis nicht umsetzen. dungsplatzumlage überhaupt kein Problem mehr; sie wäre dann nicht nötig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es geht darum, auch in der Praxis mehr Engagement zu mobilisieren, als das bisher gelungen ist. Es ist das erste Mal, jedenfalls in der jüngeren deutschen Geschichte, dass eine Verabredung im Vermittlungsaus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schuss – wir waren uns einig: das können wir erst später des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in einem weiteren Gesetz regeln – anschließend nicht so Das erreichen wir mit den Instrumenten, die wir jetztumgesetzt wird, wie es verabredet worden ist. einsetzen. Dabei wissen wir: Die Instrumente sind das Hinzu kommt, dass die Verabredung sehr präzise war. eine, die Arbeit vor Ort ist das andere. Sie alle sind herz- Herr Stiegler, der jetzt nicht da ist, könnte das sicher be- lich dazu eingeladen. stätigen, aber Sie, Herr Minister, waren ja zeitweise auch Ich danke Ihnen. dabei; zum Teil haben wir sogar in Ihrem Haus verhan- delt. Wir haben eine ganze Nacht darüber gerungen, ob (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in §6a SGBII das Wort „Träger“ vorkommen sollte. DIE GRÜNEN) Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wohlwissend, was Sie wollten, und einige Kollegen von SPD und Grü- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nen, haben das Wort immer wieder herausgestrichen. Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Hes- (Dirk Niebel [FDP]: Richtig!) sen, Roland Koch. Wir haben Ihnen immer wieder gesagt: Es gibt keine ge- (Beifall bei der CDU/CSU) meinsame Beschlussfassung in Bundestag und Bundes- rat, wenn da nicht das Wort „Träger“ steht. Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen): (Dirk Niebel [FDP]: Richtig!) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Clement, wenn man Ihre Wenn Sie jetzt sagen, „Organleihe“ sei so etwas Ähnli- flammenden Appelle hier hört, hat man ein bisschen den ches wie eine Trägerschaft, dann ist das jedenfalls unter 9354 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Ministerpräsident Roland Koch (Hessen) (A) Juristen eine Unverschämtheit, Herr Minister; denn Sie zum Wettbewerb erklärt wird. So hat das niemand ge-(C) wissen, dass das nicht stimmt. meint. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben im Gesetzentwurf an einigen Stellen ver- Der Sinn der Sache ist, dass man neue Modelle aus- sucht – das will ich einräumen –, es kosmetisch so zu ge- probieren und regional spezifische Lösungen finden stalten, dass es um eine beauftragte Institution und nicht kann. um einen Organleiher oder Ähnliches geht. Nur, die Ab- teilung „Werbung und PR“ auf der einen Seite und die (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist Abteilung „Recht“ auf der anderen Seite haben sich im es!) letzten Teil der Begründung des Gesetzentwurfs – bei Längst sind doch auch die Abgeordneten der SPD für die dem Stress, Herr Minister – auseinander entwickelt. Das Option, nicht nur im Bundesland Hessen, wo der Land- ist auf den Seiten 1, 10 und 20 des Entwurfs schön ge- kreistag inzwischen einstimmig für die Option votiert, glättet, aber auf der Seite 31 ist Ihnen eine Sache durch- weil man dort sieht, was an kommunalen Strukturen al- gegangen. Da steht nämlich in herzerfrischender Ehr- les kaputtgeht, wenn man keine Chance hat, das zu ge- lichkeit der Satz – da geht es nicht mehr um den stalten. Sozialbereich, sondern um den Bundesrechnungshof –: Die Sätze 2 und 3 dienen der Klarstellung und Si- (Zuruf des Abg. Klaus Brandner [SPD]) cherung des Prüfungsrechts des Bundesrechnungs- – Ich sage Ihnen, Herr Brandner: Ihnen werden in den hofes. nächsten Wochen die Tränen kommen, wenn die ganzen Das klingt noch ganz harmlos. karitativen Institutionen und Selbsthilfeorganisationen, die Einrichtungen aufgebaut haben, durch europaweite Gleiches gilt für die kommunalen Stellen, Ausschreibungen plattgemacht worden sind; dann wer- den Sie sich wundern, dass Sie keine kommunalen – das sind die Gemeinden, über die wir reden – Strukturen mehr haben. Das wird Ihnen dann nämlich da diese infolge der Organleihe in die Organisation passieren. der Bundesagentur eingegliedert sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das beschreibt genau, was Sie machen. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Dabei ist völlig klar: Dies muss nicht sein. Man kann sogar mit dem gefundenen Kompromiss leben. Wir ste- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hen zu diesem Kompromiss. Wir sind der Meinung, dass (D) die Bundesagentur auch dann, wenn die Kommunen op- Insofern brauchen wir auch nicht darüber zu reden, ob tieren, noch ziemlich überfordert sein wird; aber das ist der Wortbruch virtuell ist oder nicht; Sie haben ihn dan- Ihre Entscheidung. Wir sind auch sehr skeptisch, Herr kenswerterweise in die Begründung geschrieben. Minister – das will ich zu Protokoll geben –, dass Sie das Sie können nicht erwarten, dass wir das hinnehmen. mit den Instrumenten der Bundesagentur hinbekommen. Sie werden hinnehmen müssen, dass wir daraus, wenn Im Prinzip bedeutet die Bereitschaft der Kommunen zu das so bleibt, auch an anderer Stelle Konsequenzen zie- einer Zusammenarbeit eher die Übernahme eines Risi- hen: Man kann Ihnen im Vermittlungsausschuss nicht kos. In den Sitzungen inden letzten Tagen ist gesagt mehr trauen, wenn in einer wichtigen Sache ein solches worden, dass Sie Zehntausende neue Leute für die Be- Ergebnis zustande kommt. treuung von Empfängern des Arbeitslosengeldes II brau- chen; von bis zu 46 000 Leuten war die Rede. Sie wollen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die IT auf einem System fahren, das 35 Jahre alt ist, weil neten der FDP) Sie ein neues nicht zustande bekommen. Ich wünsche Es bleibt die Frage: Worum geht es inhaltlich? – Es Ihnen an einigen Stellen viel Spaß mit der großspurigen sollte nicht so sein, dass Sozialamtsmitarbeiter unterErklärung, am 1. Januar 2005 werde alles wie geplant dem Kommando des Landrats arbeiten, der unter derstarten, die Sie hier eben abgegeben haben; wir werden Weisungsbefugnis des örtlichen ArbeitsamtdirektorsSie daran messen. oder – wie er jetzt heißt – Regionaldirektors steht. Tatsa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) che ist, dass wir gesagt haben: Wenn wir die Kommunen schon nicht prinzipiell mit der Verantwortung und der Wir haben Ihnen in den Gesprächen angeboten, dass Organisation in der Frage, wie man mit den Langzeitar- wir, wenn wir es in vier Wochen nicht zustande bekom- beitslosen umgeht, betrauen – das hätten wir von dermen, darüber reden können, es zum 1. Januar 2006 ge- Union übrigens für besser gehalten –, dann sollte es we- ordnet zu starten. Ich will das nur gesagt haben. Wir ma- nigstens, so der Kompromiss, unterhalb des SGB II eine chen das nicht zur Bedingung; aber sagen Sie bitte selbstständige Bundesagentur für Arbeit auf der einen nachher, wenn wir uns über diese Frage an entsprechen- Seite und selbstständige Kommunen auf der anderender Stelle unterhalten, nicht, es hätte keine andere Mög- Seite geben. Beide sollten ihren Job machen, jeweils un- lichkeit gegeben. Wir erwarten in dem vor uns liegenden ter Zielvereinbarungen mit dem Minister. JedenfallsVerfahren, dass Sie zu der Möglichkeit zurückkehren, sollte es nicht so sein, dass die Kommunen der Bundes- eine faire, wettbewerbsorientierte Struktur für die Be- agentur unterstellt werden und das Ganze anschließend treuung von Langzeitarbeitslosen zwischen den Kom- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9355

Ministerpräsident Roland Koch (Hessen) (A) munen einerseits und der Bundesagentur für Arbeit an- kann man sich darüber verständigen und eine Lösung(C) dererseits, wie wir es verabredet haben, zu schaffen. finden. Ihre Überzeugung ist – und das ist wahrscheinlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch richtig –, dass es klüger sei, dafür eineGrundge- Hören Sie bitte auf, öffentlich zu behaupten, es liege setzänderung vorzunehmen, als das in einfachgesetzli- an der Opposition im Bundestag, also an der CDU/CSU chen Regelungen festzulegen. Darüber wollen wir anund an der FDP, oder am Bundesrat, in dem die B-Seite dieser Stelle nicht streiten. Ich weise nur vorsichtig da- eine Mehrheit hat, wenn es eine solche Grundgesetzän- rauf hin: CDU/CSU bzw. die so genannten B-Länderderung nicht gibt. Es stehen Ihnen alle Möglichkeiten of- müssen Sie davon nicht überzeugen. Wir legen Ihnenfen, diese Änderungen vorzunehmen. Sie können jeden seit drei Jahren Vorschläge zur Zusammenführung von Tag mit uns darüber reden. Da Sie aber schon zwei Vor- Arbeitslosen- und Sozialhilfe vor. Jeder dieser Vor-schläge abgelehnt haben, wäre es ganz nett, wenn Sie ir- schläge hat eine Grundgesetzänderung beinhaltet, weil gendwann einmal einen eigenen Vorschlag machen wür- wir jeweils ein spezielles Aufgabenverhältnis für dieden und wir dann die Möglichkeit hätten, darüber zu Kommunen begründen. Daran ist nichts neu. sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situa- Herr Minister, wir haben Ihnen zunächst angeboten, tion. Was Sie heute vorlegen, hebt das, was wir in § 6 a das gemeinsam mit dem Landkreistag über Art. 106 des SGB II beschlossen haben – es geht also nicht nur um Grundgesetzes zu regeln. Wenn Ihnen das nicht gefällt, Entschließungen –, aus den Angeln. Deshalb fordere ich weil Sie den direkten Durchgriff zu den KommunenSie auf: Kehren Sie zurück zu dem, was wir im Dezem- auch in diesem speziellen Fall nicht wollen, ist das auch ber gemeinsam beschlossen haben, und geben Sie den anders zu lösen. Ich sage das sehr pragmatisch: Als es Kommunen möglichst schnell Sicherheit in Sachen Trä- um die Umverteilung der Gelder für den Nahverkehrgerschaft! ging, gab es einige Leute, die mit diesem Vorschlag Da wir schon bei diesem Thema sind, möchte ich kurz schneller dabei waren. Dabei geht es diesmal um Men- – das ist heute nicht der eigentliche Gegenstand der De- schen und nicht um Züge! Ich finde, man könnte dasbatte – einen weiteren Punkt hinzufügen. Ich finde es auch anders regeln. Aber wenn Sie sagen, es passt Ihnen sehr beachtlich, wie Sie mit den Finanzen umgehen. Sie nicht, und Sie bekommen innerhalb der SPD dafür keine sind Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Mehrheit – auch das gehört doch zur Wahrheit –, können gewesen. Die Ergebnisse der Rechnungen in den Quanti- wir das auch anders regeln. Wenn ich das sagen darf: Ich fizierungsausschüssen zeigen, dass es anstatt einer als Verhandlungsführer der B-Seite habe mit Ihnen als Entlastung der Gemeinden um 2,5 Milliarden Euro – Sie (B) (D) Verhandlungsführer der Bundesregierung vor vier Wo- haben das garantiert – eineMehrbelastung der chen verabredet, dass wir das Grundgesetz ändern. Wenn Landkreise und kreisfreien Städte des Landes Nord- die Gespräche irgendeinen Sinn haben, sollte das gelten. rhein-Westfalen in Höhe von 1,1 bis 1,2 Milliarden Euro Wir haben verabredet, über eine Formulierung zu reden. im nächsten Jahr gibt. Das ist keine Kleinigkeit. Das Sie sind eine Woche später gekommen und haben gesagt, liegt daran, dass Sie im Vermittlungsausschuss Zahlen Sie hätten das mit den A-Ländern und der Bundesregie- vorgelegt haben, die darauf beruhen, dass sich der Bund rung besprochen und keine Mehrheit dafür bekommen. an den bekannten Stellen sozusagen gesund gerechnet hat. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was gilt das Wort eines Ministers?) Bis zum jetzigen Zeitpunkt nehme ich Ihre Zusage ernst – das ist nicht ganz einfach, weil andere Erklärun- Sie wollten dann vorschützen, es gebe auch bei den B-Län- gen nicht ganz ernst genommen werden konnten –, dass dern keine Mehrheit. Ich sage Ihnen hier erneut und ver- 2,5 Milliarden Euro netto bei den Kommunen im nächs- bindlich: Wir, die CDU/CSU-Fraktion – das denke ich ten Jahr ankommen. Daran werden wir Sie messen. Das jedenfalls – und die B-Länder – von denen weiß ich es –, ist die Bedingung für die gesamte Zusammenarbeit. Sie sind zu einer solchen Änderung des Grundgesetzes be- können nicht alle Landkreise und kreisfreien Städte in reit. An uns wird es nicht liegen. Deutschland mit der Politik, die Sie eingeleitet und orga- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dirk nisiert haben, in den Bankrott treiben. Die Frage wird Niebel [FDP]: Die FDP auch!) also sein, ob Sie Ihre Zusage einhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie meinen, Art. 106 sei ungeeignet, dann neh- men Sie Art. 120. Wenn Sie in Bezug auf Art. 120 sa- Wir sollten Folgendes nicht vergessen – das ist eine gen: So eine Sauerei, da stehen ja die Länder drin, dann Gemeinsamkeit, auch wenn wir unterschiedliche An- schreiben Sie die Gemeinden hinein. Erklären Sie mir sätze verfolgen –: Wir reden darüber, wie wir Menschen dann aber bitte, warum Sie Art. 120 und nicht Art. 106 in einer schwierigen Lebenslage – diese ist von Nord nehmen! Es ist mir nicht egal, aber wir sind bereit zunach Süd, von Stadt zu Stadt, von Landkreis zu Land- verhandeln. Nehmen Sie die Grundgesetzänderung vor, kreis und je nach Alter sehr unterschiedlich – möglichst die Sie für geboten halten, um das, was Sie vertraglich individuell helfen können. Unsere Motivation ist, dass zugesagt haben, nämlich die Trägerschaft der Kommu- wir nicht glauben, dass eine zentrale Organisation, in de- nen, zu erreichen. Sie sind am Zug! Wir haben genügend ren Bereich es über 4 000 Erlasse gibt und die im Augen- Vorschläge gemacht. Machen Sie einen anderen, dann blick 100 000 und später vielleicht 130 000 Mitarbeiter 9356 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Ministerpräsident Roland Koch (Hessen) (A) hat, in der Lage ist, diese individuelle Hilfe so zu organi- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dirk Niebel (C) sieren, dass damit das Optimum für die Regionen er- [FDP]: Wenn man nächtelang zusammensitzt: reicht werden kann. Das ist der Grund, warum wir an- Was will man da erwarten?) dere Vorschläge machen. Darum geht es in dem Wettbe- werb. ein paar Punkte sagen. Ichmöchte zunächst Folgendes festhalten: Was Sie hier vorgetragen haben, nämlich dass Wir machen diese Vorschläge nicht, weil es Organisa- wir einen Wortbruch begehen würden, ist eine große tionsstreitigkeiten gibt, werter Herr Minister, sondernFehlinterpretation. Damit wird das verschleiert, was im weil wir im Prinzip davon überzeugt sind, dass in einem Vermittlungsausschuss beschlossen worden ist. Herr großen Land dezentrale Lösungen wirksamer, bürger- Koch, im Vermittlungsausschuss ist gerade keine Verfas- näher, menschengerechter und letztendlich auch effi-sungsänderung zur Durchführung der Option beschlos- zienter sind als zentralistische Lösungen. sen worden. Wir wollen die Option. Aber dort ist keine Verfassungsänderung beschlossen worden, weil das, was (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie, Herr Koch, hier mit lautem Topfgeklapper ankündi- gen, nämlich eine Mehrheit unter den Ländern für diese Da wir über Organisation reden, will ich Ihnen sagen: Position, nicht herzustellen war. Sie selber haben sie Was wir Ihnen mit dem Existenzgrundlagengesetz an de- nicht hergestellt. zentraler Lösung vorgelegt haben, ist in vergleichbarer Weise am 1. Januar in den Niederlanden eingeführt wor- (Otto Fricke [FDP]: Stimmt doch nicht!) den. Wenn Sie die Begründung des niederländischenWir haben nächtelang diskutiert. Wir haben – auch das als Parlaments lesen, dann werden Sie feststellen, dass der Vorbemerkung – Folgendes beschlossen – ich zitiere –: Kernsatz lautet: Die Niederlande sind zu groß, um das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit zentral lösen zu Wenn die Kommunen optieren, dann wird sicherge- können. stellt, dass zwischen den kommunalen Trägern, die von der Option Gebrauch machen, deren zuständi- (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dirk Niebel gen Landesbehörden und der Bundesagentur Ziel- [FDP]: Richtig!) vereinbarungen abgeschlossen werden. Sehr verehrter Herr Minister, meine sehr verehrtenHerr Koch, das haben wir abgemacht Damen und Herren, wir haben wahrlich genug Pro- (Wolfgang Clement, Bundesminister: Ganz bleme. Wir sollten nicht in einer neuen Großmannssucht genau!) glauben, wir könnten mit Mammutorganisationen, riesi- gen IT-Programmen und Zehntausenden von neuen Mit- und das schlagen wir vor. (B) arbeitern ein Problem lösen, für dessen Lösung es vor (D) Ort genug Ressourcen gibt. Man muss diese Ressourcen Sie haben heute zum wiederholten Male das Einbin- mobilisieren und die betreffenden Stellen ernst nehmen. den der Kommunen in die komplette Arbeitsmarktpolitik Sie müssen die Möglichkeit haben, eigenverantwortlich über Zielvereinbarungen infrage gestellt. Dies ist aber zu handeln – und nicht einem Regionaldirektor und eini- mit der Mehrheit der von Ihrer Partei regierten Länder gen Tausend Erlassen gegenüber verantwortlich zubeschlossen worden. sein – und ihre Kreativität zu nutzen. Das ist die Anfor- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sollten derung, die wir gestellt haben, als wir in das Verfahren zuhören!) eingetreten sind. Das haben Sie im Vermittlungsaus- schuss zugesagt. Wir erwarten von Ihnen, dass das am Was Sie hier sagen, entspricht nicht der Wahrheit. Ende im Deutschen Bundestag beschlossen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Insgesamt ist diese Debatte im Moment entlarvend für das, was die Opposition in der Arbeitsmarktpolitik Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: will. In meiner Heimatzeitung gab es gestern eine große Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert, Debatte über das Optionsgesetz. In diesem Zusammen- Bündnis 90/Die Grünen. hang möchte ich dem Kollegen Niebel eine Frage stel- len. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie waren mal für Basisdemokratie! Lang ist’s (Dirk Niebel [FDP]: Was ist das, eine her! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Oppositionbefragung?) Von der Basis zur Zentrale!) Herr Niebel, waren Sie jemals in einem Bürgerkriegsge- biet? Haben Sie einmal gesehen, wie es den Menschen Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dort geht, die hungern und von Gewalt bedroht sind? Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKennen Sie die Situation in Bürgerkriegsgebieten? Wie Laumann, da Sie mich so lautstark empfangen, will ich können Sie vor diesem Hintergrund folgende Feststel- sagen: Seien Sie alle gegrüßt! lung – meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen vor- lesen, was sich Herr Niebel im Zusammenhang mit dem Herr Koch, lassen Sie mich vorab in aller Freund-Optionsgesetz geleistet hat – treffen? Er behauptet – er schaft leitet das auch her –, dass die Auszahlung des Arbeits- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9357

Dr. Thea Dückert (A) losengeldes II nicht funktionieren wird und dass davon (Otto Fricke [FDP]: Sie sollen nicht fragen! (C) die Existenz von Millionen Menschen abhängt, und fährt Sie sollen sagen, was Sie wollen!) dann fort: Was bedeutet eine Verlegung um ein Jahr? Wie viele Dann wird es Regionenin Deutschland geben, in Menschen sind davon betroffen? Betroffen sind die heu- denen wir bürgerkriegsähnliche Zustände haben. tigen Sozialhilfeempfänger, die ein weiteres Jahr lang zum Bittsteller der Kommunen werden sollen, und dieje- (Hans-Werner Bertl [SPD]: Unglaublich!) nigen, die keinen Zugang zur aktiven Arbeitsmarktpoli- Dann ist das politische System in Gefahr. tik haben. Ich halte so etwas in diesem Zusammenhang für eine un- (Otto Fricke [FDP]: Ja, und immer die BA!) geheuerliche und schamlose Entgleisung. Nein, Herr Laumann, das, was Sie hier vorschlagen, be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutet Geiselhaft für die Langzeitarbeitslosen. Ich sage und bei der SPD) Ihnen eines: Ich sage Ihnen ehrlich: Das disqualifiziert Sie, Herr (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jetzt Niebel, und die Position der FDP im Zusammenhang mit warten Sie doch erst einmal, bis er zum Spre- der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. chen kommt! Er hat ja noch gar nicht gespro- chen! – Otto Fricke [FDP]: Da kann man nur (Otto Fricke [FDP]: Jetzt sind wir bei der Sa- beten!) che, Frau Dückert! Für so etwas die Redezeit herzugeben!) Trotz des ganzen Getöses, das Sie hier machen, werden wir die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial- Über Ihre Vorschläge, mit denen Sie nichts anderes wol- hilfe zum 1. Januar 2005 durchsetzen. len, als die Bundesagentur für Arbeit zu zerschlagen, brauchen wir hier nicht weiter zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe das hier vorgetragen, weil es ein Licht auf die Debatte wirft. Hier soll bei den betroffenen Men- Aber es kommt noch schlimmer; denn in diesem Zu- schen und den Kommunen Angst geschürt werden, sammenhang verkaufen Sie die Kommunen auch noch für dumm. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, leider ist das so!) (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Macht mal so weiter! Ich jage dich durch die ganze Repu- um Widerstand gegen eine notwendige Reform, die wir blik!) (B) im Bereich der Arbeitsmarktpolitik durchführen, zu or- (D) ganisieren. Sie wissen doch, was es bedeutet, wenn diese Zusam- menlegung um ein Jahr verschoben wird. Die Entlastung (Otto Fricke [FDP]: Was hätten Sie denn für von 2,5 Milliarden Euro – Herr Laumann, ich sehe, auch Aufrufe gemacht, wenn wir an der Regierung jetzt lachen Sie; denn Ihnen geht es gar nicht darum, das wären?) umzusetzen – Die Union sagt: Wir brauchen Reformen. Aber Sie (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir wollen sie in Wahrheit verhindern. haben wohl Lachverbot!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das glauben werden wir erbringen, Sie doch wohl selber nicht!) (Otto Fricke [FDP]: Ja, wie denn?) Dazu will ich Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Das Beispiel ist der Herr Laumann, weil die Kommunen sie brauchen. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Der ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gut!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese 2,5 Milliarden Euro werden nämlich für die Kin- der nachher ebenfalls zu diesem Thema reden wird. Er dererziehung benötigt. tritt hier immer sehr freundlich im Sinne der Arbeitslo- sen auf, weist aber hinter verschlossenen Türen darauf Zusammen mit Herrn Wulff und Herrn Koch – Herr hin, dass wir die Zusammenlegung der Arbeitslosen-Wulff ist leider nicht mehr anwesend – und Sozialhilfe um ein Jahr verschieben könnten. Das (Zuruf von der SPD: Wieso „leider“? – Karl- klingt ganz harmlos. Ich weiß, warum Sie lächeln, wenn Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich habe lieber Sie das sagen. Sie lächeln, weil Sie genau wissen, was Herrn Koch vor mir als Sie!) dann passiert: Dann wird die Arbeitsmarktpolitik in die- sem Lande chaotisiert, dann werden die Reformen ver- machen Sie sich wirklich einen schlanken Fuß. Denn der hindert. Das wollen Sie; das ist die Strategie auch beiDatenbasis, anhand deren wir unsere Berechnungen an- dieser Optionsdebatte. gestellt haben, haben Sie im Vermittlungsausschuss zu- gestimmt. Aber jetzt schlagen Sie sich in die Büsche. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind das Wissen Sie, das kennen wir in Deutschland: eine Vater- Problem!) schaft, die aufgekündigt wird, wenn sie Ihnen nicht mehr Herr Laumann, ich frage Sie: passt. 9358 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Thea Dückert (A) (Otto Fricke [FDP]: Das geht nicht!) – Das, was ich sage, hören Sie wohl nicht gerne. (C) Herr Laumann, daran erkannt man die Verantwortungs- (Dirk Niebel [FDP]: Doch, wir hören sehr losigkeit Ihrer Politik. gerne, dass Sie zum Schluss kommen!) Nein, wir werden sowohl die Entlastung von 2,5 Mil- Das, was von Ihrer Seite vorgeschlagen wird, ist nicht das, liarden Euro für die Kommunen erbringen was wir im Vermittlungsausschuss verabredet haben. Sie schlagen vor, dass das Geld in die Hände der Länder flie- (Otto Fricke [FDP]: Wie?) ßen soll und dass sie den KommunenAuflagen machen als auch sicherstellen, dass am 1. Januar 2005 die Zu- können. In der Vergangenheit haben Sie schon bewiesen, sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe voll- welch klebrige Finger gerade Ihre Länder in dieser Hin- zogen wird. sicht haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Lüge!) (Zuruf von der CDU/CSU: Ach!) Auch werden wir sicherstellen – das ist im Optionsge- setz enthalten und das haben wir auch schon beschlos- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sen –, dass die Kommunen kooperieren und eingebun- Frau Kollegin, Ihr Redezeit ist zu Ende. den werden, weil wir sie brauchen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Warum Ich komme zum Schluss. schimpfen Sie mich eigentlich aus, obwohl ich noch gar nicht geredet habe?) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich sage Ihnen eines – hier verweise ich auf Herrn Sie wollten bereits zum Schluss kommen. Gerd Landsberg, der in Fragen der Kooperation mit den Kommunen Erfahrung hat –: Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt es!) Kollege Wulff, der vorhin noch hier gesessen hat, hat in Niedersachsen 200 Millionen Euro einkassiert, die im Bundesweit haben wir bereits 20 Pilotstädte, in denen Zusammenhang mit der Wohngeldreform bei den Kom- die Kooperationen zwischen Bund und Kommunen gut munen landen sollen. Gerade weil Sie, meine Damen arbeiten und in denen sich die Zahl der Arbeitslosen re- und Herren von der Opposition, so agieren, stellen Sie duziert. – die Kommunen unter die Knute. Das wollen wir nicht. (Otto Fricke [FDP]: Ja, Sie haben auch Wir wollen ihnen Handlungsfreiheit geben. (B) „Spiegel online“ gelesen!) (D) Danke schön. Genau darum geht es. WeilSie uns diesen Erfolg aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht gönnen, und bei der SPD) (Otto Fricke [FDP]: Sie sind ja so böse! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir wol- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: len den Misserfolg vermeiden!) Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege fahren Sie gegen unsere Reform eine Torpedostrategie. Niebel. Das, was wir hier vorschlagen, ist ein ehrliches Ange- (Hans-Werner Bertl [SPD]: Jetzt will er wieder bot an die Kommunen, entweder auf gleicher Augen- abstreiten, was er gesagt hat, was? Man muss höhe an den Arbeitsgemeinschaften teilzunehmen, auch mal dazu stehen!) (Otto Fricke [FDP]: Ja, klar! Gleiche (FDP): Augenhöhe!) Dirk Niebel Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist schon bemer- oder – das schlagen wir vor – die Optionen zu wählen, kenswert, dass die Kollegin von den Grünen ihre Rede- die einen möglichst großen Handlungsspielraum im Zu- zeit zu einer Oppositionsbefragung nutzt. Ich möchte na- sammenhang mit den Budgets bieten. Mit diesen Bud- türlich nicht unhöflich sein, sondern die Frage, die sie gets können die Kommunen – das wiederhole ich – auf gestellt hat, beantworten: Ja, ich war schon in Bürger- der Basis von Zielvereinbarungen selbstständig agieren. kriegs- bzw. Kriegsgebieten. Das, was Sie mit Ihrem Ge- Damit erreichen wir genau das, was Sie einklagen: Wett- setz machen, ist das Spielen von Mikado mit den Le- bewerb zwischen unterschiedlich agierenden Kommu- benschancen von Millionen Menschen. nen und Vergleichbarkeit. Das brauchen wir in diesem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten System. der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: So Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. eine Unverschämtheit!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wenn Sie dieses Gesetz so umsetzen, können Sie mit an Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von verschiede- auch gut so! Es wäre besser gewesen, Sie hät- nen Szenarien ausgehen, die gemeinsam eintreten werden. ten gar nicht angefangen! – Zuruf von der Erstens wird nach dem SGB II ab 1. Januar 2005 grund- FDP: Genau, Ihre Redezeit!) sätzlich die Bundesagentur für Arbeit für das Arbeitslo- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9359

Dirk Niebel (A) sengeld II zuständig sein. Die Ausnahme davon bildet (Zuruf von der SPD: Der ist doch (C) dann eine von Bundesagentur für Arbeit und Kommune wahnsinnig!) zu bildende Arbeitsgemeinschaft. Bei einer solchen muss die Kommune aber erst einmal mitmachen wollen. Sie haben den Vermittlungsausschuss über den Tisch ge- Die Kommunen haben schon die Erfahrung gemacht,zogen, wenn Sie dieses Gesetz verabschieden. So kön- dass es in solchen Arbeitsgemeinschaften immer nurnen wir nicht miteinander arbeiten. dann gut läuft, wenn es keinen Konflikt gibt, dass aber (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der dann, wenn es kritisch wird, die Bundesagentur sagt, CDU/CSU) was zu passieren hat. – Das mögen die meisten Kommu- nen nicht. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Zweitens. Die Menschen in den Kommunen, die Ent- Das Wort hat die Kollegin Thea Dückert. scheidungen zu treffen haben, werden vor dem Hinter- grund der Lage der kommunalen Haushalte sehr genau Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Zuständigkeit prüfen. Sie werden feststellen, dass sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege Niebel, Aufgaben ausführen sollen, für die sie nicht zuständig ich kann verstehen, dass Ihnen Ihre Fraktion bei so viel sind, und werden sich überlegen, ob sie ihre kommuna- Dreckschleuderei, die Sie hier machen, und so viel len Finanzen vielleicht besser in den Griff bekommen, Angst, die Sie schüren, keine Redezeit gibt. wenn sie auf die Aufgabe in Zukunft verzichten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Weiterhin werden Sie die Situation haben, dass die DIE GRÜNEN und der SPD) Bundesagentur für Arbeit, die mit 4,6 Millionen Arbeits- losen hinreichend überbeschäftigt ist, auch noch zustän- Ich habe Ihnen vorhin gesagt: Der Ausdruck „bürger- dig wird für eine knappe Million Sozialhilfeempfänger, kriegsähnliche Zustände“ – Sie haben ihn wiederholt –, die erwerbsfähig sind, sowie deren Bedarfsgemeinschaf- mit dem Sie hier Angst unter die Bevölkerung streuen, ten, das heißt deren Familien. Es handelt sich um einen disqualifiziert Sie. Deswegen gebe ich auf den Quatsch, Personenkreis, bei dem der Verlust des Arbeitsplatzes (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ meist nur eines von ganz vielen Problemen ist, bei dem DIE GRÜNEN und der SPD) eine Suchtproblematik hinzukommt, bei dem Woh- nungsprobleme hinzukommen, bei dem Überschuldung den Sie von sich gegeben haben, keine Antwort mehr; hinzukommt – alles Dinge, für die die Bundesagentur, ich halte das für unglaublich. weil sie damit nie zu tun hatte, keine Kompetenzen hat, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ für die sie solche auch nicht vorhalten und auch nicht (B) DIE GRÜNEN und der SPD – Dirk Niebel (D) schnell schaffen kann. Sie werden ein überdimensionier- [FDP]: Weil Sie genau wissen, dass es so tes EDV-Projekt haben, das wahrscheinlich ein ähnliches kommt! Das ist das Schlimme daran!) Schicksal zeitigen wird wie die Maut oder der virtuelle Arbeitsmarkt: Es wird im Endeffekt nicht funktionieren. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Zuruf von der SPD: Darf der heute für die Das Wort hat der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion. FDP nicht reden oder was?) Das führt in der Folge dazu, dass die Menschen – etwa Otto Fricke (FDP): in Regionen wie in Prenzlau mit 29,7 Prozent Arbeitslo- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- senquote –, die existenziell darauf angewiesen sind, dass legen! Frau Kollegin Dückert sie ihre Lohnersatzleistungen, dass sie ihre Betreuung er- halten, ab 1. Januar 2005 in ihrer Existenz gefährdet wer- (Hans-Werner Bertl [SPD]: Das ist doch die den. Sache der Kollegin! Rotznase!) (Hans-Werner Bertl [SPD]: Das glauben Sie – Frau Kollegin Dückert, wenn Sie wenigstens zuhören doch selbst nicht!) würden, wäre das nett – das ist eben der Unterschied. Bei uns wird das kollegial gelöst: Ich war der Verhandlungs- Dann möchte ich einmal sehen, ob Sie, Herr Clementführer, er ist der Sprecher; dann teilt man sich das schön – auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Nord- auf. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie versu- rhein-Westfalen und Schleswig-Holstein –, bereit sind, chen, eventuell doch etwas Vernünftiges mit uns auszuhandeln und ein vernünftiges EDV-System zu entwickeln, damit (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir den Menschen helfen können. Ansonsten haben wir NEN]: Die Dreckschleuderei hat er gemacht! tatsächlich soziale Aufstände, die bürgerkriegsähnlichen Das ist Angstpropaganda! Das ist unglaub- Zuständen lich!) (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- an einer Stelle, an der es um ein schwieriges Problem NIS 90/DIE GRÜNEN) geht – Herr Clement, das gestehe ich Ihnen zu, es ist sehr, sehr schwierig, die richtige Lösung zu finden –, im in einigen Regionen gleichen werden, Frau Dückert. Sie Endeffekt eine Rede halten, in der es nur darum geht, der handeln hier unverantwortlich, Sie handeln hier wortbrü- Opposition Fragen zu stellen, Sie aber keinerlei Dinge chig. zur Sache sagen, dann gehen Sie einfach in die falsche 9360 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Otto Fricke (A) Richtung. Die Arbeitslosen in diesem Lande verdienen „Gleiche Augenhöhe“ bedeutet mehr, als dass man nur(C) es nicht, dass man sie so links liegen lässt. auf gleicher Augenhöhe steht. Es bedeutet auch, dass man gleichberechtigt entscheidet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ (Hans-Werner Bertl [SPD]: Sie wissen gar DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch auf dem Rü- nicht, wovon Sie reden!) cken der Arbeitslosen Stimmung machen!) Hier im Bundestag sitzen wir in den Ausschüssen auf Meine Damen und Herren, heute ist ein schlechter Tag gleicher Augenhöhe. Wenn es hart auf hart kommt, ent- für die Arbeitslosen – dabei unterstelle ich niemandem, scheidet die Mehrheit. Was die Mehrheit in den Arbeits- dass er es nicht gut meint. Wir spielen im Moment wie- gemeinschaften jeweils ist, bestimmt das Gesetz. Das der das alte Spiel: Wer ist schuld? Wer hat Fehler ge-gilt auch für die Organleihe. Sie wissen ganz genau, dass macht? Wir beschäftigen uns in dieser Debatte aber nicht die Arbeitsgemeinschaften deswegen funktionieren, weil – Frau Dückert, dazu haben Sie gnadenlos beigetragen – es keine Hierarchie gibt. mit Lösungen. (Klaus Brandner [SPD]: Ich glaube, Sie haben (Klaus Brandner [SPD]: Da sind Sie aber ganz das Gesetz überhaupt nicht gelesen! Sie erzäh- schön arrogant: Hier wird über Lösungen dis- len hier dummes Zeug!) kutiert, die Sie blockieren!) – Herr Brandner, das ist das übliche Mittel: Wenn man Über Lösungen kann man reden; so habe ich Sie verstan- sich nicht mit den Argumenten auseinander setzen will, den, Herr Clement. Die FDP nimmt das ernst: Wir wol- sagt man immer, der Redner hat keine Ahnung. Die len über diese Sache reden. Vielleicht kriegen wir jaFrage ist, ob man sich auseinander setzen will oder nicht. wirklich noch etwas hin. Man sollte das in einem Ge- setzgebungsverfahren – ich habe Sie da wahrscheinlich (Klaus Brandner [SPD]: Ein Blick ins Gesetz anders verstanden als Frau Dückert; aber es kann ja an- würde Ihnen weiterhelfen!) ders sein – immer wieder versuchen; auch Herr Koch hat Ich kann Ihnen eines nur noch mal sagen: Wenn Sie es das gesagt. Dann lassen Sie uns das auch tun und uns nicht schaffen, das Vertrauen der Kommunen darauf zu nicht immer nur gegenseitig beschimpfen. gewinnen, dass sie in den Arbeitsgemeinschaften gleiche (Hans-Werner Bertl [SPD]: Wer ist denn Rechte haben, nützt Ihnen die gleiche Augenhöhe nichts. „uns“?) Wenn Sie es nicht schaffen, dass beide Seiten die glei- chen Rechte haben, werden die Kommunen sagen: Ich Was da läuft, bringt es nicht. bin doch nicht blöd. Ich lasse mich doch nicht verhohne- (B) Nun zur Sache selbst. Es ist auch ein schlechter Tag pipeln. Da mache ich nicht mit. (D) für die Kommunen. (Beifall bei der FDP) (Dr. [SPD]: Ein schlechter Tag Ich erzähle Ihnen mal etwas zu meiner Heimatge- für Herrn Fricke!) meinde Krefeld. Wir haben einen tollen Chef des Ar- Egal wie das Modell derOrganleihe ausgestaltet wird, beitsamtes und einen guten Sozialdezernenten, Beige- Organleihe bedeutet letztlich immer ordneten, übrigens ein Genosse, der seine Arbeit wunderbar macht. (Klaus Brandner [SPD]: Entweder sind Sie bösartig oder ahnungslos!) (Klaus Brandner [SPD]: Davon haben wir viele!) – achten Sie auf das Wort „Leihe“, Herr Brandner; ich weiß, Sie dürfen nicht reden; denn bei Ihnen dürfen die Diese beiden kommen gut miteinander klar und werden Verhandlungsführer scheinbar nicht reden – Leihe. Das etwas erreichen. Sie wissen aber genauso gut wie ich, Wort „Leihe“ bedeutet, man kann es jederzeit zurück- dass das nicht überall der Fall ist, weil es sich um Men- nehmen. schen handelt. Deswegen muss man – hier kommt der Jurist in mir hoch; das gebe ich gerne zu – den Kommu- Das Verräterische in Ihrem Gesetzentwurf ist dochnen eine rechtliche Absicherung geben. – Juristen sind Folgendes: Wenn sich die wesentlichen Bedingungengar nicht so schlimm. Auch ihr Minister ist Jurist. ändern, dann darf die Bundesagentur den Vertrag kündi- gen. Ändern sich jedoch die wesentlichen Bedingungen Damit komme ich zu dem eigentlichen Problem, dem zum Nachteil der Kommunen, darf diese den Vertraglieben Geld. Es geht um die 2,5 Milliarden Euro, die nach Ihrem Gesetzentwurf nicht kündigen. Herr Clement, die Sie, die der Finanzminister und die Familienministerin genannt haben. Die Familienminis- (Dirk Niebel [FDP]: Pfui!) terin braucht 1,5 Milliarden Euro – zu Recht – für die Sie legen bei der Bemessung der Augenhöhe ein unter- Kinderbetreuung. Wir haben aber noch nicht gehört schiedliches Maß an. Genau darum geht es auch in den – auch nicht im Haushaltausschuss dieser Woche –, wo- Arbeitsgemeinschaften, Herr Brandner und her Frau diese 2,5 Milliarden Euro eigentlich kommen. Im Dückert. Haushalt finden Sie dazu nichts. Ich bin gespannt, wo diese Summe im Haushalt 2005 auftaucht. (Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie schon ein- mal ins Gesetz geschaut? Wissen Sie eigent- (Wolfgang Clement, Bundesminister: Bei den lich, worüber Sie reden?) Ländern!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9361

Otto Fricke (A) Wenn wir die nicht finden, haben die Kommunen ein (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) weiteres Problem. Frau Schmidt wird doch sagen: Ich der CDU/CSU) brauche die 1,5 Milliarden Euro. – Ich möchte die Kom- munen erleben, die aufgrund der Organleihe dann, wenn Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: es hart auf hart kommt, machen müssen, was die BA Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Roth, SPD- sagt, gleichzeitig aber auch noch für die Kinderbetreu- Fraktion. ung Geld ausgeben sollen. Das, meine Damen und Her- ren von der Regierung, ist für die Kommunen ein Schritt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) in die Insolvenz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Karin Roth (Esslingen) (SPD): der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte, die wir gerade Herr Clement, Sie haben gesagt: Das ist ein weiterer führen, zeigt, dass die Aufgeregtheiten der letzten Wo- Schritt nach vorn. Dazu sage ich: Ich habe gestern das chen, wie bereits im Rahmen des Vermittlungsausschus- Gefühl gehabt, dass wir am Abgrund stehen. Somitses, so weit gehen, dass man, wohl wissend, dass man es bringt der Schritt nach vorn sehr wenig. nicht mehr verhindern kann, dennoch alles verhindern möchte, auch und gerade das Optionsgesetz. Ich finde Es ist auch ein schlechter Tag für die BA. Ich wardas bedauerlich, weil das Gerangel der letzten Wochen heute Morgen im Rechnungsprüfungsausschuss. Ich un- und Monate zulasten von 2,7 Millionen arbeitslosen terstelle, dass die BA Gutes will, dass sie den Arbeitslo- Menschen geht, die erwarten, dass sie von uns eine Lö- sen helfen will. Wenn Sie aber sehen, mit welchen Pro- sung präsentiert bekommen. Und: dass sie zu ihrem blemen sich diese herumschlägt und welches Chaos dort Recht kommen, besser beraten und vermittelt zu werden, herrscht – ich nehme keine Schuldzuweisungen vor; die- und dass sie die Perspektive haben, in Arbeit zu kom- ses Chaos ist nun einmal da–, werden Sie mit mir der men. Auffassung sein, dass dieses Chaos im Zweifel nur noch größer wird. (Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD]) (Beifall bei der FDP) Das Tauziehen, das wir auch heute wieder erlebt ha- ben, finde ich unverantwortlich. Besonders vor dem Hin- Wenn Sie das Chaos vergrößern, haben Sie Probleme. tergrund, dass es nicht darum geht, zu sagen, die kom- Dann haben wir politisch letztlich alle Probleme; denn munale Ebene könne Vermittlung und Beratung besser nachher wird doch gesagt werden: Die Politik bekommt als die Agenturen für Arbeit. Wir wissen ganz genau, (B) es nicht hin. dass auf beiden Ebenen unterschiedliche Kompetenzen (D) vorhanden sind. Deshalb haben wir uns ja im Vermitt- Eine letzte Anmerkung zum Thema Grundgesetz: Wir lungsausschuss darauf geeinigt, diese unterschiedli- könnten eine Grundgesetzänderung hinbekommen. Ob chen Kompetenzen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft diese nun Art. 106 des Grundgesetzes oder einen ande- zusammenzuführen, und zwar auf gleicher Augenhöhe, ren Artikel betrifft, ist doch – Herr Clement, wenn wir mit gleicher Verantwortung und mit gleicher Kompe- ehrlich sind, müssen Sie das zugeben – für die Politike- tenz. Das ist die richtige politische Antwort, die wir ge- rinnen und Politiker, die eine Verfassung ändern wollen, geben haben. zunächst einmal egal. Sie müssen wissen, was sie wol- len, nämlich eine Grundgesetzänderung, und sie müssen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wissen, wem sie dadurch Hilfe geben wollen, nämlich DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Gleiche den Kommunen. Dann kann das in Art. 127 q, x, y oder z Kompetenz!) stehen. Das ist völlig egal. Entscheidend ist, dass darin etwas steht, was den Kommunen Sicherheit gibt. Dann Natürlich war es so, dass Herr Koch das Optionsge- können sie sich notfalls auch in Karlsruhe dagegen weh- setz zur Wahrung seines politischen Gesichts brauchte. ren, wenn ihnen der Hahn vom Bund abgedreht wird. Wir haben dann im Rahmen der Einigung gesagt: Okay, das lassen wir zu. Wir haben Ihnen sogar angeboten, Zum Abschluss: Herr Koch, ja zu einer Grundge-Herr Koch, das Optionsmodell in Hessen durchzuführen. setzänderung; aber der Bundesrat müsste schon noch (Dr. Rainer Wend [SPD]: Von uns aus kann er schauen, welche. Als ich Ihnen – aber auch vielen ande- auch Kanzlerkandidat werden!) ren – zugehört habe, als Sie Ihre Vorstellungen darüber mitgeteilt haben, was die Kommunen alles machen sol- Sie haben es aber abgelehnt, weil Sie Angst vor Ihrer ei- len, habe ich eines festgestellt: Der von der FDP vorge- genen Courage haben. Erst wollten Sie es und dann wie- schlagene Weg, die Zuständigkeit insgesamt den Kom- der nicht. – Wir haben im Optionsgesetz vorgesehen, munen zu übertragen, wäre der einzig richtige unddass die Kommunen und die Landkreise die Wahlmög- vernünftige gewesen. Wenn wir diesen von Anfang an lichkeit haben. eingeschlagen hätten, stünden wir heute besser da. Ich prophezeie Ihnen: Spätestens in einem Jahr wird bei Ih- Ich finde es aber falsch, dass so getan wird, als ob die nen genau diese Überlegung aufkommen und dann wer- Bundesagentur für Arbeit in diesem Zusammenhang den wir die Zuständigkeit den Kommunen übertragen. eine geringere Kompetenz hätte als die Kommunen. Das Auseinanderdividieren dieser beiden Ebenen halte ich Herzlichen Dank. für politisch unverantwortlich. 9362 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Karin Roth (Esslingen) (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich Ihnen noch eine gute Zahl nennen. Im Februar 2004 (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gab es rund 52 000 Jugendliche ohne Arbeit weniger als im Februar 2003. Das sindErgebnisse unserer Arbeits- Es schadet den Menschen und übrigens auch den Mitar- marktpolitik. Darauf können wir stolz sein. beiterinnen und Mitarbeitern, die in diesem Bereich zu- sammenarbeiten sollen. Hier geht es darum, die beste (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Lösung für die Menschen vor Ort zu finden. DIE GRÜNEN) Dieses Hin und Her ist auch schade, weil es sich um Lassen Sie uns die Zusammenarbeit von Kommunen eine unserer gemeinsamen Perspektiven handelt. Derund der Agenturen vor Ort voranbringen; denn die Zu- Minister hat schon ausgeführt, dass wir eine Arbeitsver- sammenarbeit ist die beste Lösung. Sie sollten nicht blo- mittlung aus einer Hand wollen. Wir wollen durch die ckieren, sondern kooperieren. Sie sollten nicht Behör- Jobcenter versuchen, die Vermittlung von Langzeitar- dengerangel organisieren, sondern an einem Strang beitslosen in Arbeit zu beschleunigen. Wir sind optimis- ziehen. Vor allen Dingen sollten Sie die Mitarbeiter nicht tisch, dass das geht; denn wir haben ja schon in der Ver- schlechtreden, sondern deren Motivation fördern und gangenheit bewiesen, dass wir durch die Umstellung der ihre Kompetenz anerkennen. Das wäre ein gutes Zeichen Arbeitsförderung eine schnellere Arbeitsvermittlung or- dieses Parlamentes. Wir müssen versuchen, unsere Ver- ganisieren können. sprechungen einzuhalten. Wir dürfen das Chaos nicht herbeireden. Wir wissen, dass die Kommunen ein besseres Netz an sozialer Infrastruktur haben. Wer will das bestreiten? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deshalb sehen wir ja vor, dass das hohe Fachwissen im DIE GRÜNEN) Rahmen des regionalen Netzwerkes eingebracht werden kann. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Menschen verlangen von uns einen optimalen Das Wort hat jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann, Service. Hören Sie auf, die Menschen mit Ihren Parolen CDU/CSU-Fraktion. und Ankündigungen zu verunsichern! Die Menschen (Beifall bei der CDU/CSU) brauchen das Vertrauen, dass die Politik bzw. die Bun- desagentur für Arbeit dies leisten kann. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind alle keine Propheten, dennoch kann ich eines prophezeien: Uns alle – auch den zuständigen Bundes- (B) Herr Koch, Sie wissen genau – das haben die Vorred- minister – treibt heute die Sorge um, wie die zentralisti- (D) ner unserer Koalition schon gesagt –, dass Sie in Wahr- sche Bundesagentur für Arbeit Ihr Gesetz umsetzen soll. heit nicht das Mandat der B-Länder bezogen auf eineIch bin ziemlich sicher, dass die Bundesregierung und Grundgesetzänderung hatten. Wenn Sie das heute ankün- die BA alles daransetzen werden, dass es funktionieren digen, dann vermutlich vor dem Hintergrund der Hoff- wird; aber ich sage voraus: Bestenfalls wird die Bun- nung, dass es hier nicht zum Schwur kommt. Aber wir desagentur für Arbeit in der ersten Zeit, in der sie dafür können doch nicht Bundesmittel zuständig ist, das Geld auszahlen; sie wird sich aber (Dirk Niebel [FDP]: Lesen Sie einmal Bundes- nicht um die Menschen kümmern können. ratsdrucksachen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ohne Verbindlichkeit an die Kommunen weitergeben. Ich mache eine einfache Rechnung auf: Es werden Wir müssen auch wegen der politischen Finanzverant- rund 2,5 bis 3 Millionen Menschen – diese Zahl ist ziem- wortung des Bundes dafür sorgen, dass die Mittel richtig lich realistisch – das Arbeitslosengeld II beziehen. Wenn verwendet werden. Insofern halte ich die Zielvereinba- Sie für diese Menschen den Betreuungsschlüssel anset- rung für ein richtiges und modernes Instrument zur Steu- zen wollen, den es in vielen Kommunen gibt – ein Be- erung dieser Ausgaben. treuer auf 70 Arbeitslose –, dann brauchen Sie in der Bundesagentur für Arbeit dafür zwischen 35 000 und Ich bin der Meinung, dass die Machtspiele zulasten der 40 000 Mitarbeiter. Jetzt überlegen Sie doch einmal ei- Menschen, die insbesondere von der Opposition betrieben nen Moment. In der Bundesagentur für Arbeit sind heute werden, beendet werden müssen. Die bisherige Arbeits- 91 000 Mitarbeiter beschäftigt. Diese Zahl ist wohl auch weise war nicht effizient, sondern teuer. Das muss aufhö- ein Grund dafür, dass der Umbau, den Sie richtigerweise ren. Wir brauchen neueBeschäftigungsprojekte und eingeleitet haben, so schwerfällig vorangeht. Wie soll diese haben wir auf den Weg gebracht. Jetzt muss es da- die Behörde funktionieren, wenn sie jetzt noch einmal rum gehen, diese Projekte umzusetzen. um 35 000 bis 40 000 Mitarbeiter erweitert wird? Da die Agentur für Arbeit schlechtgeredet wird, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) möchte ich ein paar Zahlen anführen. Im Jahr 2003 wur- den immerhin rund 4,3 Millionen Bewilligungen von Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wir alle Trainingsmaßnahmen, Mobilitätshilfen und Lohnkosten- hier im Parlament, Union, SPD, FDP und Grüne, waren zuschüssen vergeben. Das waren – trotz geringeren Mit- uns einig, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in einem teleinsatzes – 640 000 Maßnahmen mehr als im Vorjahr. System zusammengeführt werden müssen, weil die Bezüglich der langzeitarbeitslosen Jugendlichen kann Grundsicherung des Bundes für Arbeitslosenhilfebezie- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9363

Karl-Josef Laumann (A) her auf der einen Seite und die Grundsicherung derSie sich durchgesetzt, haben die Zusammenführung und (C) Kommunen für Sozialhilfebezieher auf der anderen Seite den Zentralismus. Aber den Menschen, bei denen es sich in der Vergangenheit zu Verschiebebahnhöfen geführt oft um eine Klientel handelt, die sich nicht in dem Maße haben. Es ist doch wahr, dass viele kommunale Beschäf- entfalten kann, wie wir hier das sicherlich können, rei- tigungsorganisationen auch das Ziel hatten, die Men-chen Sie nicht die Hand und eröffnen ihnen nicht die schen zwölf Monate lang zu beschäftigen, damit sie aus Möglichkeiten, die das SGB II hinsichtlich des Zuver- der Sozialhilfe in die Arbeitslosenhilfe des Bundes kom- dienstes bietet. Das finde ich einfach schäbig. men konnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Deshalb Bis zur dritten Lesung sollten Sie über diesen Weg noch waren sie auch so gut!) einmal in Ruhe nachdenken, vielleicht in der Karwoche, Das war gängige Praxis. Solche Systeme verführen dazu. in der man etwas zur Einkehr und zur Besinnung kommt. Es ist noch nicht zu spät. (Vorsitz: Präsident Wolfgang Thierse) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Zusammenführung wird für Millionen von Men- NEN]: Für Sie auch noch nicht!) schen, vor allem in Ostdeutschland, wo der Anteil der Arbeitlosenhilfebezieher höher ist als im Westen, mit Ein weiterer Punkt. Als jemand, der kein Jurist ist, erheblichen Mittelkürzungen verbunden sein. Das steht habe ich immer geglaubt, dass dieVerfassung unseres außer Frage. Wir wissen, dass es ostdeutsche Bundeslän- Landes für die Menschen da ist. der geben wird, die alleine wegen dieser Kürzungen (Otto Fricke [FDP]: Ja!) Kaufkraft von 200 Millionen bis 300 Millionen Euro verlieren werden. Das wird real existierende Menschen In vielen Gesprächen haben wir festgestellt – wir sind da und Familien treffen. gar nicht auseinander, Herr Bundesminister –, dass eine kommunale Trägerschaft nur vernünftig zu regeln ist, ( [CDU/CSU]: So ist es!) wenn wir die Verfassung ändern. Bei dieser gewaltigen Unsere Philosophie war immer, dass man solche Kür- Aufgabe brauchen wir einen sicheren Weg für den Fi- zungen nur dann verantworten kann, wenn wir einenanztransfer vom Bund zu den Kommunen. Wenn wir Organisationsform schaffen, in der die Menschen an uns darüber im Klaren sind, dass die Verfassung für die die Hand genommen werden, damit sie in den Arbeits- Menschen da ist, dann begreife ich Folgendes nicht: Seit markt zurückfinden, oder die Menschen die Möglichkeit 1990 haben wir im Deutschen Bundestag viele Verfas- bekommen, sich zur Sozialhilfe etwas hinzuzuverdienen. sungsänderungen durchgebracht, zum Beispiel haben wir den Tierschutzgedanken in die Verfassung aufge- (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nommen. Wenn man den Tierschutz in die Verfassung Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufnehmen kann, dann kann man doch wohl auch die NEN]: Das wollen Sie doch hinauszögern!) Verfassung ändern, um für die Schwächsten in der Ge- Das ist unsere Philosophie. Nur dann, wenn wir nach ihr sellschaft eine Organisationsstruktur zu schaffen, durch handeln, können wir die Kürzungen sozialpolitisch ver- die sie in den Arbeitsmarkt gebracht werden. antworten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was machen Sie jetzt? Mit Ihrer Verliebtheit in den Ich begreife eine solche Diskussion nicht. Es ist fast Zentralismus schlagen Sie uns diese Möglichkeit aus der menschenverachtend, wie Sie sich hier verhalten. Hand. Am Ende haben Sie eine Leistungskürzung zu verantworten, haben aber keine Organisation geschaffen, Über unsere Vorstellung, nämlich nicht einfach zu in der die Menschen an die Hand genommen werden, da- kürzen, sondern die Kürzungen mit neuen Chancen wie mit sie mit ihrer Situation fertig werden können. etwa des Zuverdienstes zu verbinden, werden wir, Frau Dückert, in den nächsten Wochen und Monaten Diskus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sionen in den Städten und Gemeinden unserer Wahl- Ich finde, das ist schlichtund ergreifend eine schäbige kreise und im ganzen Land führen. und schreckliche Politik. Sie ist unmenschlich. Sie neh- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men für die Klientel, über die wir reden, die falschen In- NEN]: Ich glaube, dass Sie aufhetzen werden! strumente in die Hand. Das ist nicht in Ordnung. Deswe- So werden Sie das machen! Das ist unglaub- gen sind wir so enttäuscht. lich! Sie hetzen die Leute auf!) Sie hätten die Zusammenführung von Arbeitslosen- – Ich hetze nicht! Ich werde so reden wie heute. Auch hilfe und Sozialhilfe vorWeihnachten nicht durchbe- wenn es Ihnen nicht gefällt: Wir werden in dieser Sache kommen, wenn nicht die Option bestanden hätte, dass mit der Caritas, der Diakonie, der Arbeiterwohlfahrt und sich in vielen Regionen des Landes kommunale Träger- mit vielen anderen Organisationen der Sozialbewegung schaften dieser Aufgabe stellen. Seite an Seite stehen, um anzuprangern, was Sie mit die- sem Gesetz anrichten wollen. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie wollen sie ja gar nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir hätten ansonsten eine Zusammenführung abgelehnt Viele von uns haben mit ihrer politischen Arbeit in und es wäre beim alten System geblieben. Jetzt haben der Kommunalpolitik angefangen. Ich bin ohnehin der 9364 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Karl-Josef Laumann (A) Meinung, dass einige Jahre Kommunalpolitik die beste in wie vielen Regionen der Republik sich tüchtige Kom- (C) Ausbildung für ein Abgeordnetenmandat ist. munalpolitiker und -politikerinnen mit den unterschied- lichsten Parteibüchern dieser Aufgabe stellen würden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sorgen Sie dafür, dass die Bundesagentur für Arbeit ne- Ich frage Sie eines: Was haben Sie in der Kommunalpo- ben ihren heutigen 91 000 Beschäftigten nicht noch litik eigentlich gelernt? Trauen Sie unseren Bürgermeis- 30 000, 35 000 oder 40 000 zusätzliche Leute für diese tern, Gemeinderäten und Kreistagen wirklich nicht zu, Aufgabe bekommt. In der ganzen Welt reden wir davon, dieses Problem – auch mit einer demokratischen Kon- dass die Einheiten kleiner und überschaubarer werden trolle – besser als die Bundesagentur zu lösen, die mit müssen. Sie machen genau das Gegenteil. Das kann ich vielen Kraken im Land arbeitet, die am Ende aber aus einfach nicht verstehen. Sie wissen ganz genau, dass Sie Nürnberg und Berlin zentralistisch gesteuert werden? in der Sache einen schweren Fehler machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Unsinn!) Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und NEN]: Sie bekommen doch die Möglichkeit! – den Arbeitsämtern wird hier und da funktionieren, sie Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie krakeelen hier!) wird aber nicht mehr dazu führen – das ist das Entschei- Wenn wir in diesem Land in der Arbeitsmarktpolitik dende –, dass die Kommunen die Arbeitsmarktpolitik vorankommen wollen, dann muss man sich fragen, wo mit unterschiedlichen Ideen und Innovationen gestalten. man besser entscheiden kann als gemeinsam mit demNatürlich werden die kommunalen Beschäftigungs- Handwerk, den Unternehmen, dem Einzelhandel undgesellschaften vor Ort zunächst Verträge mit den Ar- den Gewerkschaften vor Ort. beitsämtern abschließen. Irgendwie wird die Aufgabe weiterlaufen. Dort, wo ichVerantwortung trage, werde (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich das auch befördern und nicht boykottieren. Im Kreis- NEN]: Das gibt es doch schon!) tag wird sich aber kein Ausschuss mehr mit der Arbeits- Welche Qualifizierung ist regional nötig? In welchenmarktpolitik beschäftigen. Es werden Innovationen ver- Arbeitsmärkten gibt es Wachstumschancen? Sie können loren gehen, regional doch besser steuern. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, das ist es!) Ich sage Ihnen eines zurAusschreibungspraxis der weil Sie letzten Endes alles durch die Bundesagentur für Bundesagentur für Arbeit: Sie schreibt zentral aus und Arbeit erledigen lassen wollen. erstellt große Lose. Ich stelle mir gerade vor, dass es zentrale Ausschreibungen für die Beschäftigungsgesell- Das Optionsgesetz, das Sie uns heute vorschlagen, (B) schaften und große Lose gibt, wie wir das in der Vergan- werden wir deswegen ablehnen, weil keine kommunale (D) genheit erlebt haben. Liebe Leute, ihr veranstaltet einTrägerschaft vorgesehen ist. Chaos und die Leidtragenden sind die Schwächsten in (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Republik. NEN]: Wir wollen alles in der Arbeitsgemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaft!) Das tun Sie nur, um Ihre zentralistische Idee aus Berlin Mit uns wird der Landrat niemals ein Organ der Bun- und Nürnberg, wie eine Krake in das Land hinein eine desagentur für Arbeit werden. Das haben die Landräte in ideologische Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, umzuset- diesem Land wirklich nicht verdient. zen. Schönen Dank. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und das bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Grünen!)

In der Sache waren wir uns sehr einig. Weil wir bezüg- Präsident Wolfgang Thierse: lich der Organisationsstruktur aber so unterschiedlicher Ich erteile Kollegen Hans-Werner Bertl, SPD-Frak- Meinung sind, wird es einen schweren politischen Kampf tion, das Wort. geben. Ich sage Ihnen, warum wir ihn in den nächsten Wochen mit aller Schärfe führen werden: Meine Sorge ist, dass Sie, wenn diese 35 000 bis 40 000 Stellen bei der BA Hans-Werner Bertl (SPD): erst einmal geschaffen worden sind, damit in den letzten Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe zwei Jahren Ihrer Regierungstätigkeit eine Organisation Kolleginnen und Kollegen! Man muss sich wirklich fra- einführen werden, die wir anschließend nur ganz schwer gen, warum an Ostern auf einmal von Propheten und wieder kommunalisieren können. Ich befürchte, dass das Kraken gesprochen wird. Möglicherweise hat auch der – deswegen sind wir dabei so engagiert – eine irrepa-eine oder andere in den langen Nächten der Sitzungen rable Maßnahme wäre. des Vermittlungsausschusses Wachträume gehabt. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Realität in diesem Land sieht Gott sei Dank ganz NEN]: Sie sind engagiert beim Torpedieren!) anders aus. Die Frage der Augenhöhe wird glücklicher- weise von verantwortlichen Kommunalpolitikern und Daher kann ich Ihnen nur sagen: Kehren Sie um, so- den Leitungsgremien der Bundesagentur für Arbeit lange noch Zeit dafür ist, nämlich bis zur dritten Lesung! ebenfalls anders gesehen. Es ist eben nicht so, dass Men- Ändern Sie das Grundgesetz! Sie würden sich wundern, schen mit unterschiedlichen Besoldungsgruppen wie Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9365

Hans-Werner Bertl (A) A 16, B 4 oder B 5 nicht miteinander verhandeln undgen, wie wir das Ganze gesetzlich handhaben – von(C) Strukturen aufbauen könnten. Diese Strukturen sollen wirklich motivierten Menschen sowohl in den Arbeits- dazu dienen, den Menschen in unserem Land, insbeson- ämtern als auch in den Kommunen schon geschaffen dere den Langzeitarbeitslosen kompetente Hilfe ausworden sind? Sie sitzen bereits seit Monaten zusammen. einer Hand zu geben. Dabei gibt es zwischen Großstadt und Landkreis oft große Unterschiede. Ich frage mich: Wie haben Sie es Gott sei Dank sieht die Landschaft in unserem Land geschafft, eine derartige Angst vor diesen Regelungen anders aus. Es gibt zwar unterschiedlicheKompeten- zu verbreiten? Viele Landräte fragen sich: Habe ich zu- zen, aber es gibt Kompetenzen. Bei den örtlichen Sozial- künftig noch eine Aufgabe? Wie werden die Finanz- hilfeträgern werden begleitende Beratung und Therapien ströme verteilt? Bei einem Gespräch mit so manchem angeboten. Hinzu kommen Ortsnähe und Kenntnis der Bürgermeister eines Landkreises bekommt man ganz an- Strukturen. Die Träger haben in der Vergangenheit be- dere Antworten. Dort heißt es vielmehr: Ich weiß nicht, wiesen, dass sie Arbeitsmarktpolitik machen können.wie meine örtliche Arbeit demnächst über die Kreisum- Genauso existieren aufseiten der Bundesagentur für Ar- lage strukturiert sein wird. beit regionale und überregionale Vermittlungsstrukturen, mit denen Weiterbildung und Berufsvorbereitung orga- Sie tun so, als ob diese Republik im Chaos versinkt nisiert sowie ärztliche und psychologische Dienste ange- und die Apokalypse droht. In Wirklichkeit aber wird mit boten werden, die den Menschen zugute kommen. den Hartz-IV-Regelungen in diesem Land dafür gesorgt, dass die Kompetenzen in zwei Strukturen von sozialen Lieber Karl-Josef Laumann, dieses Parlament wäre Sicherungssystemen gebündelt werden. Ich sage Ihnen doch wirklich mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ganz ehrlich: Mir ist vollkommen egal, ob sich Kom- es uns nicht gelänge, diese beiden Kompetenzen zusam- mune A oder Kreis B für das Optionsmodell oder die Ar- menzubringen, ohne uns im Gestrüpp zu verheddern, un- beitsgemeinschaft entscheidet. Für mich ist wichtig, dass ter welchen Bedingungen bzw. auf welcher Augenhöhe die Fachleute vor Ort endlich zusammenarbeiten und für diese Ebenen zusammenarbeiten. Die Strukturen, die wir die Menschen ein Angebot aus einer Hand zimmern. organisieren, ermöglichen es, durch Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe umfassende Dienst- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ leistungen in einer vollkommen anderen Struktur vor Ort DIE GRÜNEN) anzubieten. Diese entscheidende Kompetenz wollen wir auf den Ich sage es noch einmal: Gott sei Dank gibt es nicht Weg bringen. Dies werden wir mit diesem Gesetz errei- nur in den 20Modellämtern positive Beispiele. Beam- chen. ten und Angestellten, Direktoren von Arbeitsämtern und Danke schön. Mitarbeitern von Kommunen, Sozialdezernenten und (B) Oberbürgermeistern ist es wichtig, für die Menschen in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) ihrer Stadt oder ihrem Kreis eine Struktur zu schaffen. DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Mit dem Schon seit Monaten sitzen Sozialdezernenten mit den Gesetz nicht!) Leitern der Arbeitsagenturen zusammen. Sie haben bei- spielsweise die Frage, wo sie sich zusammensetzen kön- Präsident Wolfgang Thierse: nen, über die wir lange diskutiert haben, längst geklärt. Ich schließe die Aussprache. Sie organisieren schon seit Monaten Weiterbildungs- maßnahmen für ihre Mitarbeiter und richten sich darauf Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ein, den Menschen kompetent und vor allen Dingen de- den Drucksachen 15/2816 und 15/2817 an die in der Ta- zentral vor Ort ein Angebot zu unterbreiten, welches die gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. gesamte Klaviatur von Arbeitsmarktpolitik, die wir mit Der Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2816 soll zusätz- den Hartz-IV-Reformen realisiert sehen wollen, umfasst. lich an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Ge- schäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit ein- Ich finde es erstaunlich, wenn hier immer vonZen- verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die tralismus und einer Krake, die das Land bedroht, ge-Überweisungen so beschlossen. sprochen wird. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: (Dirk Niebel [FDP]: Ich mag Meeresfrüchte Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- sogar!) regierung eingebrachten Entwurfs einesZwölf- Den Menschen ist es letztendlich egal, ob Arbeitsge- ten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittel- meinschaften oder Optionsmodelle zum Tragen kom- gesetzes men. Für die Menschen zählt schlicht und ergreifend, – Drucksachen 15/2109, 15/2360 – dass sie im Gestrüpp von Sozialhilfeträgern und Arbeits- ämtern nicht mehr hin- und hergeschickt werden. Für (Erste Beratung 82. Sitzung) eine junge Frau mit Kind ist es kein Trost, vom Arbeits- a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- amt zum Sozialamt geschickt zu werden, die Kinder- schusses für Gesundheit und Soziale Siche- betreuung zu organisieren, um dann möglicherweise rung (13. Ausschuss) wieder zurückgeschickt zu werden. Erst dann steht sie dem Arbeitsmarkt vielleicht zur Verfügung. – Drucksache 15/2849 – Sehen Sie denn nicht, dass die erforderlichen Struk- Berichterstattung: turen der Hartz-IV-Reformen – jenseits aller Überlegun- Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer 9366 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Präsident Wolfgang Thierse (A) b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Besonderen Schutzes bei klinischen Prüfungen bedür- (C) schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung fen nicht einwilligungsfähige Personen, darunter auch Kinder. Daher war es eine besonders schwierige Ent- – Drucksache 15/2850 – scheidung, neue Regelungen zur Forschung an Kindern Berichterstattung: gesetzlich zu verankern, um die Arzneimittelsicherheit Abgeordnete Waltraud Lehn bei Kindern zu verbessern. Dr. Michael Luther Ein Hindernis bei der Entwicklung spezifischer für Anja Hajduk Kinder und Jugendliche zugelassener Arzneimittel soll Otto Fricke mit der Einführung des Kriteriums der Gruppennützig- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die keit beseitigt werden. Danach ist nicht nur der unmittel- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörebare individuelle Nutzen für eine klinische Prüfung not- keinen Widerspruch. wendig, sondern auch ein direkter Nutzen für die Gruppe der Patienten, die an derselben Krankheit leidet wie die Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kol- Versuchsperson. Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kol- legin Marlies Volkmer, SPD-Fraktion. legen, dass wir diesen Punkt lange kontrovers diskutiert (Beifall bei der SPD) haben. Das ist auch verständlich. Denn auf der einen Seite ist es ein berechtigtes Interesse von Eltern kranker Kinder, aber auch von Ärzten, den Zugang zu neuen Me- Dr. Marlies Volkmer (SPD): dikamenten und die Arzneimittelsicherheit zu verbes- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hintersern, auf der anderen Seite wollen wir aber alle nicht, dem technischen Titel des Gesetzes verbirgt sich ein in- dass Kinder zu Versuchskaninchen werden. Ich meine teressanter und bedeutsamer Inhalt. Denn wir ändernaber, dass wir alle zusammen diesen Konflikt gut gelöst heute nicht nur das Arzneimittelgesetz ein kleines biss- haben. chen, sondern wir geben derklinischen Arzneimittel- forschung in Deutschland einen neuen Rahmen. Wir (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt überführen europäisches Recht in deutsches Recht und Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wir verbessern die Bedingungen für die klinische Arz- Auf der einen Seite haben wir bewusst an der Grup- neimittelforschung in Deutschland. pennützigkeit festgehalten, um alle Möglichkeiten zu (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt nutzen, den riskanten Off-Label-Use von Erwachsenen- Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) arzneimitteln zu beenden. Auf der anderen Seite haben wir alle Maßnahmen ergriffen, um die an Studien teil- (B) Von den neuen Zustimmungs- und Genehmigungsver- nehmenden Kinder wirkungsvoll zu schützen. (D) fahren wird der Pharmastandort Deutschland profitieren. Kurze Fristsetzungen werden zu einer beschleunigten Deshalb haben wir im Gesetzgebungsverfahren klar- Beurteilung beitragen. Europarechtliche Vorgaben wer- gestellt, was unter minimalen Risiken und Belastungen, den unter Berücksichtigung von Standortaspekten ausge- die den Kindern zugemutet werden können, zu verstehen schöpft. ist und was es heißt, dass der natürliche Wille des Kindes zu beachten ist. Hierbei sind wir den Empfehlungen der Klinische Forschung findet im Spannungsfeld zwi- Enquete-Kommission „Ethik und Recht in der modernen schen Forschungsinteressen und dem Schutz von Pro- Medizin“ gefolgt. banden statt. Hohe qualitative Anforderungen an die kli- nische Forschung stehen dabei in keinem Gegensatz zu (Beifall bei der SPD) industriepolitischen Zielen. Im Gegenteil: Ein hoher Standard beim Probandenschutz und eine damit verbun- Dem Schutz minderjähriger Probanden dient auch dene gute Qualität der Forschung stärkt im internationa- eine Maßnahme, die neu im Gesetz verankert worden ist. len Maßstab die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem durch Wenn eine Ethikkommission eine Prüfung bewerten ein stärkeres Vertrauen der Patientinnen und Patienten in soll, dann erhält sie von der zuständigen Bundesober- die Teilnahme an klinischen Studien. Das zeigt die Zu- behörde alle relevanten Daten, die für die Bewertung nö- lassungspraxis am weltgrößten Pharmastandort, die Pra- tig und wichtig sind. Denn die Bundesoberbehörde hat xis der US-amerikanischen Food and Drug Administra- im Gegensatz zu den Ethikkommissionen Zugriff auf die tion. europäische Datenbank, in der Informationen über den Inhalt, den Beginn, aber auch über die Beendigung und Dem Probandenschutz dient unter anderem die Ver- den Abbruch von klinischen Prüfungen registriert wer- besserung des Versicherungsschutzes. Ein hohes Schutz- den. Mit dieser Unterrichtungspflicht können unnötige niveau wird dadurch erzeugt, dass künftig neben derklinische Prüfungen vermieden werden. Genehmigung durch die Bundesoberbehörde eine zu- stimmende Bewertung der Ethikkommission zwingend Auf Anregung der Kinderkommission des Deutschen notwendig ist, um eine klinische Prüfung zu beginnen. Bundestages haben wir die Bundesregierung gebeten, nach einem Zeitraum von fünf Jahren zu überprüfen und (Beifall bei der SPD) zu berichten, wie sich die Änderungen zur Erprobung von Arzneimitteln an Minderjährigen auswirken. Es geht also nicht mehr, dass eine Studie auch im Falle eines negativen Votums der Ethikkommission be- Vielfach wurde die Sorge geäußert, dass Universitäts- gonnen werden kann. kliniken keine Therapieoptimierungsstudien mehr Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9367

Dr. Marlies Volkmer (A) durchführen könnten, weil sie durch das Gesetz in die halten müssen, wenn wir in diesem Bereich etwas für(C) Rolle des Sponsors gelangten. Damit – so die Befürch- den Pharmastandort Bundesrepublik Deutschland hätten tungen – würden sie Anforderungen und Verfahren un- tun wollen. terliegen, die die Universitäten überfordern könnten. Obwohl es lange Zeit so ausgesehen hat, als könnten Für die geforderten Ausnahmeregelungen stehen dem wir im Interesse der Sache einen gemeinsamen Gesetz- Gesetzgeber aber nur begrenzte Möglichkeiten zur Ver- entwurf vorlegen, haben die Koalitionsfraktionen in den fügung, da das europäische Recht hier eindeutig ist. The- für uns wesentlichen Punkten nahezu keine Kompro- rapieoptimierungsstudien müssen denselben Qualitäts- missbereitschaft gezeigt. standards entsprechen wie andere klinische Studien (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das stimmt doch auch. Die bestehenden Möglichkeiten sollten freilich im gar nicht!) Rahmen der noch zu erlassenden Rechtsverordnung ge- nutzt werden. Hinzu kommt, dass die Verhandlungen auch deshalb ge- scheitert sind, weil man uns in letzter Minute mit einem Uns ist es wichtig, dass Versicherte auch dann An- Änderungsantrag konfrontiert hat, der rechtlich äußerst spruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversi- problematisch ist und der in seiner Tragweite nicht in- cherung haben, in denen die medizinische Versorgung nerhalb von einer Woche zu erfassen war. Die Bundes- im Rahmen einer Erprobung durchgeführt wird. Der Ge- regierung hat mit diesem Antrag die Einigungsbemühun- meinsame Bundesausschuss wird hier durch uns aufge- gen unnötig beschwert und letztendlich den Weg zu fordert, eine entsprechende Anpassung der Arzneimittel- weiteren Verhandlungen versperrt. richtlinien vorzunehmen. Im Jahr der Innovationen erneuern wir das Arzneimit- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- telgesetz. Das ist ein gutes Zeichen für die pharmazeuti- neten der FDP) sche Forschung in unserem Land. Eine starke Pharmain- Hier noch einmal die wesentlichen Argumente, die dustrie in Deutschland verbessert auch die medizinische uns veranlassen, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen Versorgung der Patientinnen und Patienten. – einen Teil werde ich anführen, den anderen wird der (Detlef Parr [FDP]: Das sollten Sie immer Kollege Hüppe gleich noch vortragen –: Bereits in dem beachten!) Entschließungsantrag „Klinische Prüfung in Deutsch- land entbürokratisieren“ haben wir unsere Vorstellungen – Das tun wir. – Durch die Einbindung der Ärzte in den beispielsweise betreffend die Entbürokratisierung und Entwicklungsprozess haben die Patientinnen und Patien- das gesamte komplexe Verfahren derEthikkommis- ten früher Zugang zu innovativen Medikamenten. sionen dargelegt. Obwohl in der 12. AMG-Novelle das (B) Votum einer Ethikkommission als ausreichend angese-(D) Diese Maßnahmen fügen sich in die Bemühungen der hen wird, bestehen die Koalitionsfraktionen weiterhin Bundesregierung zur Fortsetzung der langen Tradition auf der Beteiligung der lokalen Ethikkommissionen. Da- der Arzneimittelforschung und -entwicklung in Deutsch- mit ist das Problem des aufwendigen Verfahrens der land ein. Die Taskforce zur Verbesserung der Standort- Ethikkommissionen nicht gelöst. bedingungen für die pharmazeutische Industrie, die im Mai vorigen Jahres eingerichtet wurde, wird in Kürze ih- Weitere Kosten und Erschwernisse sind durch die de- ren Abschlussbericht vorlegen. Das Forschungsministe- zentrale Ansiedlung von Kontaktstellen zu erwarten. rium fördert seit dem Jahr 2000 klinische Forschung mit Das damit verfolgte Ziel einer persönlichen Beratung der insgesamt 280 Millionen Euro. Probanden wird ebenfalls nicht erreicht. Die entspre- chenden Ländereinrichtungen haben keine detaillierten Ich bin davon überzeugt, das die 12. AMG-Novelle Kenntnisse über die klinischen Prüfungen. Sie kennen zur Stärkung der pharmazeutischen Industrie in Deutsch- weder Daten über Beginn, Verlauf und Beendigung noch land beitragen wird, indem die Verfahren reformiert, die das Ergebnis einer klinischen Prüfung. Also müssten Arzneimittelsicherheit verbessert sowie ein umfassender sich die Länder bei einer Anfrage durch einen Prüfungs- Probandenschutz gewährleistet werden. teilnehmer in aller Regel erst bei der zuständigen Bun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ desoberbehörde informieren, um überhaupt eine ver- DIE GRÜNEN) nünftige Antwort geben zu können. Damit entstehen ein unnötiger Verwaltungsaufwand und eine Zeitverzöge- Präsident Wolfgang Thierse: rung, die weder im Interesse des Prüfungsteilnehmers Das Wort hat nun der Kollege Wolf Bauer, CDU/noch im Interesse der beteiligten Behörden liegen kann. CSU-Fraktion. Unter dem Aspekt der Verbesserung der Standortbe- dingungen ist schließlich die Beibehaltung der expliziten Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Genehmigung für bestimmte Arzneimittel nicht förder- Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe lich. Kolleginnen und Kollegen! Mit der Verabschiedung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 12. AMG-Novelle wird bei der Umsetzung von EU- Recht in nationales Recht die Chance vertan, den vor- Zwar haben die Koalitionsfraktionen darauf verwiesen, handenen Spielraum im deutschen Interesse auszuschöp- dass die Genehmigungsfrist höchstens 60 Tage beträgt, fen. Ich sehe das völlig anders als meine Vorrednerin: dass die Genehmigung also früher erteilt werden kann. Das ist keine Stärkung. Wir hätten uns ganz anders ver- Aber angesichts der Erfahrung mit der Nachzulassung 9368 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Dr. Wolf Bauer (A) besteht die Gefahr, dass das BfArM die Bearbeitung ( [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C) auch hier nicht bewältigen kann. GRÜNEN]: Für einen Kuhhandel ist das BMGS gar nicht zuständig! Das macht das Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Sätze aus BMVEL!) dem Abschlussbericht der Kommission „Organisations- strukturen und Verfahrensabläufe des BfArM“ zitieren: Das ist ein mehr als gefährliches Vorhaben. Wir können nur begrüßen, dass es zu diesem Kuhhandel nicht ge- Fehlende Gesamtkoordination der Zulassungs-kommen ist. anträge führt zu langen Zulassungszeiten bei den nationalen Zulassungsverfahren. Ich komme auf den parlamentarischen Bereich zu- rück. Uns gegenüber hat sich die Bundesregierung ge- Weiter heißt es: rade an dieser Stelle keinen Zentimeter bewegt, um auf die berechtigten Forderungen einzugehen. Schon das al- Die Experten arbeiten jedoch weitgehend unabhän- lein ist Grund genug, im Zusammenhang mit diesem Ge- gig voneinander und ohne sich zu fachübergreifen- setzentwurf keinen Kompromiss zu schließen. den Aspekten auszutauschen. Ich möchte am Schluss meiner Ausführungen an eine Auch wenn diese Aussagen im Zusammenhang mit Aussage des neuen SPD-Parteivorsitzenden Franz dem Zulassungsverfahren stehen, sind sie doch nicht ge- Müntefering erinnern, die er am 11. Januar 2004 in der eignet, das Vertrauen der Hersteller zu stärken, dass die Sendung „Sabine Christiansen“ gemacht hat: Bearbeitungszeit von höchstens 60 Tagen eingehalten wird. Die Tatsache, dass die pharmazeutische Industrie in den letzten Jahrzehnten aus Deutschland im We- In der Anhörung erklärte der damalige Leiter des sentlichen rausgegangen ist, hat auch damit zu tun, BfArM, Professor Schwalm, dass 29,5 Stellen benötigt dass wir ihnen nicht genügend Möglichkeiten gege- werden, um die zusätzlichen Arbeiten des BfArM be- ben haben. Dass die Arbeitsplätze dann auch mitge- wältigen zu können. Überaus spannend ist zu beobach- hen, ist die Konsequenz daraus. ten, wie die Bundesregierung versucht, an das notwen- „Möglichkeiten“, das hat auch etwas mit Verlässlich- dige Geld für diese Stellen zu kommen. Wie bereitskeit zu tun. Ich kann nur an Sie appellieren, just in die- anfangs erwähnt, tauchte eine Woche vor Abschluss der sem Sinne zu arbeiten und diesem Gesetzentwurf daher Beratungen im Gesundheitsausschuss plötzlich ein Än- nicht zuzustimmen. derungsantrag der Regierungskoalition auf, der die Ver- jährungsfrist für die Gebührenerhebung des BfArM im Danke schön. (B) Nachzulassungsverfahren rückwirkend – ich betone: (D) rückwirkend – aufheben soll. Hier reicht uns die Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sage des Justizministeriums, man habe keine Einwände, nicht aus. Wir haben weder ein schriftliches Gutachten Präsident Wolfgang Thierse: des Justizressorts bekommen noch die Zeit gehabt, sel- Nun hat Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/ ber Sachverständige zu diesem Problembereich anhören Die Grünen, das Wort. zu können. Das BMGS selbst räumt in einem Schreiben an den Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ausschussvorsitzenden, an den Kollegen Kirschner, ein, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich dass „es etwa im Rahmen eines konkreten Normenkon- auf das Thema „Bemühungen um eine Einigung mit der trollverfahrens zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung CDU“ zu sprechen komme, möchte ich einiges zu den der geänderten Vorschrift kommen“ könnte. Weiter heißt Inhalten dieses Gesetzes sagen. Ich glaube, daraus wird es: „Denkbar wäre auch eine Verfassungsbeschwerde, deutlich, dass die CDU nicht wirklich gute Gründe hat, die ein pharmazeutischer Unternehmer im Anschluss an dieses Gesetz abzulehnen. eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwal- Mit der 12. AMG-Novelle macht Deutschland zu- tungsgerichts erheben kann.“ nächst einmal seine Hausaufgaben: Wir setzen die Richt- Rechtssicherheit, ein ganz wichtiges Gut, kannlinie zur guten klinischen Praxis der EU um. Diese durch diese Regelung somit nicht erreicht werden. Viel- Richtlinie war notwendig, weil es sehr unterschiedliche mehr sind nach dieser Rechtslage weitere Klageverfah- rechtliche Bestimmungen zur Arzneimittelforschung in ren zu befürchten, die die personellen und finanziellen den EU-Mitgliedstaaten gab. Jetzt wird die Durchfüh- Ressourcen des BfArM ebenfalls belasten und die Stel- rung multinationaler Prüfungen vereinfacht. Gleichzeitig lenvorgaben wahrscheinlich nicht realisierbar machen. wird – das ist uns sehr wichtig – der Schutz der Patien- tinnen und Patienten sowie der Probandinnen und Pro- In diesem Zusammenhang gibt es – das ist überaus in- banden innerhalb der EU weiterentwickelt. teressant – Indizien dafür, dass die Bundesregierung ei- Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ist es gelun- nen Kuhhandel dergestalt versucht hat, ein Entgegen-gen – mich wundert, dass die CDU das so gar nicht zu kommen der Hersteller bei der Verjährung würdigen der weiß –, entscheidende Schritte weiterzugehen. Gebührenerhebung des BfArM mit einem Entgegen- kommen bei den Anforderungen an klinische Prüfungen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zu kompensieren. SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9369

Birgitt Bender (A) Man kann sagen, dass dieses Gesetz ein bedeutenderim Nachzulassungsverfahren, die Beibehaltung der ex- (C) Schritt ist in Richtung einer Arzneimittelforschung und pliziten Genehmigung und die dezentrale Ansiedlung -versorgung, die die bestehenden unterschiedlichenvon Kontaktstellen. Nun sind das wahrlich keine ethi- Wirkungsweisen von Medikamenten bei Frauen, bei schen Fragen wie etwa die Frage der gruppennützigen Kindern und bei Jugendlichen tatsächlich berücksich- Forschung an kranken Kindern oder die Frage, ob man tigt. Wir alle wissen: Bei etlichen Krankheiten, von de- die Deklaration von Helsinki aufnimmt. Für Sie waren nen Kinder betroffen sind, gibt es keine Arzneimittel.nicht die ethischen, sondern die monetären Aspekte zen- Möglich ist auch, dass Kindern nicht zugelassene Arz- tral. Sie wollten die Kassen der Pharmaindustrie ebenso neimittel gegeben werden, obwohl man nicht weiß, wie wie die der Länder schonen. Das ist nun wirklich etwas sie eigentlich wirken. Gleichzeitig gab es Anhalts-schmalspurig gedacht, finde ich, zumal Sie den Proban- punkte, dass in der Praxis – in einer rechtlichen Grau- den auch noch wohnortnahe Kontaktstellen vorenthalten zone – an Kindern geforscht wird. wollen. Jetzt schaffen wir in diesem BereichRechtssicher- Wenn sich der Nebel aus allem, was hier vorgebracht heit. Ich dachte eigentlich, die CDU habe hin und wieder worden ist, etwas lichtet, wird man sehen: Wir haben ein auch ethische Fragestellungen im Blick. gutes Gesetz formuliert, ein Gesetz, das einerseits die In- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Haben wir auch!) teressen der Pharmaindustrie berücksichtigt, aber ande- rerseits gerade auch den Schutz der Probanden und Pa- – Ja, Herr Hüppe. Da sollten Sie einmal genauer hin-tienten im Auge hat. Einseitigkeit wäre fehl am Platze. schauen. – Nun wird nämlich klar, in welchen FällenIch hoffe, dass die CDU/CSU das bis zur Verhandlung eine gruppennützige klinische Arzneimittelforschung bei im Vermittlungsausschuss auch noch erkennt. Minderjährigen durchgeführt werden darf. Der Schutz dieser Patientengruppe wird gestärkt: Danke schön. Im Gesetz wird klargestellt, dass eine klinische For- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schung an gesunden Kindern nicht durchgeführt werden und bei der SPD) darf. Weiterhin haben wir klargestellt, dass der Wille eines Präsident Wolfgang Thierse: kranken Minderjährigen, an einer klinischen Forschung Ich erteile Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion, das nicht teilzunehmen, beachtet werden muss. Darunter fal- Wort. len – das kommt eindeutig zum Ausdruck – auch nicht sprachliche Äußerungen. (B) Detlef Parr (FDP): (D) Außerdem ist diese Forschung nur dann erlaubt, wenn Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die zusätzlichen Maßnahmen lediglich mit einem mini- schon eine interessante Erfahrung, die wir in dieser malen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden Stunde machen: Die Bundesregierung ist offensichtlich sind. Auch diese Begriffe haben wir klar definiert. auf eine rote Strickjacke reduziert worden. Wir haben eine zusätzliche Anforderung an die Ethik- (Zuruf von der SPD: Schauen Sie mal! Sie ist kommissionen gestellt. Eine Ethikkommission muss bei hier in den Abgeordnetenreihen! – Marion Anträgen für klinische Forschung an kranken Minder- Caspers-Merk [SPD]: Ich wollte Ihnen applau- jährigen kinderheilkundlichen Sachverstand hinzuzie- dieren! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie wissen hen, wenn sie ihn in der Kommission nicht schon hat. doch genau: Von hier aus hat man mehr Des Weiteren ist es jetzt möglich, Doppeluntersu- Rechte!) chungen – das war ein wichtiges Thema bei der Anhö- – Sehr nett, dass Sie mir zuhören und auch noch applau- rung – zu vermeiden, weil eine Auskunftspflicht derdieren wollen, Frau Caspers-Merk. Bundesoberbehörde eingeführt wird. Die Behörde muss die Ethikkommissionen über im europäischen Register Schon in der ersten Lesung haben wir festgestellt: In vorliegende Informationen zu ähnlichen Studien wie den vielen Punkten der 12. AMG-Novelle sind wir uns einig. beantragten Studien unterrichten. Das ist wirklich im Unseres Erachtens sind einige wirklich gute Lösungen besten Interesse der Patientinnen und Patienten. gefunden worden, so zum Beispiel in der Frage der For- Wir haben uns dafür stark gemacht, dass die Arbeit schungsmöglichkeiten bei nicht einwilligungsfähigen der Ethikkommissionen – die Kommissionen erhalten Personen. Der Gesetzentwurf besagt, dass der Wille von jetzt umfassendere Befugnisse und Aufgaben – evaluiert Minderjährigen, nicht an einer klinischen Prüfung teilzu- wird. Wir werden uns also in einigen Jahren genauer an- nehmen, sei es durch verbale Äußerung oder sei es durch schauen, ob sich das tatsächlich bewährt hat. Anzeichen von Furcht oder Schrecken, strikt zu beach- ten ist. Die Anregung unseres Kollegen Kolb ist aufge- Lassen Sie mich abschließend an die Adresse dernommen worden. Dafür herzlichen Dank. Mit dieser CDU/CSU sagen: Zwischen uns sind nicht die ethischen Formulierung, so denken wir, ist eine sehr gute Grund- Aspekte streitig geblieben; Ihnen ging es um das liebe lage dafür geschaffen worden, dass Kinder und Jugendli- Geld. Wie schreiben Sie in einem Antrag? Ihnen geht es che nicht vom medizinischen Fortschritt abgekoppelt dabei um die rückwirkende Erhebung von – wie Sie es werden und ihnen dennoch der höchstmögliche Schutz ausdrücken – bereits verjährten Gebührenansprüchen garantiert wird. 9370 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

Detlef Parr (A) Es darf nicht sein, dass Minderjährige gegen ihren So bedauern wir, dass wir trotz des konstruktiven Di- (C) Willen in eine klinische Prüfung kommen. Es darf aber alogs, den wir geführt haben, diesem Gesetzentwurf ebenso wenig sein, dass die Forschung an und die Ent- letztendlich doch nicht zustimmen können. wicklung von Arzneimitteln speziell für Minderjäh- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rige behindert wird. Kinderund Jugendliche müssen der CDU/CSU) dasselbe Recht auf eine adäquate, effiziente und sichere Pharmakotherapie wie Erwachsene haben. Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam einen Antrag Präsident Wolfgang Thierse: verabschiedet mit dem Ziel, die medizinische Versor- Ich erteile das Wort Kollegen Hubert Hüppe, CDU/ gung von Kindern und Jugendlichen zu sichern und zu CSU-Fraktion. verbessern. Darin ist das chdrücklich na unterstrichen worden. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zu begrüßen ist auch, dass es weiterhin möglich sein Bender, ich will das an dieser Stelle noch einmal deut- wird, Pflanzen oder Pflanzenteile zu importieren. Dielich machen: Natürlich hat die Novelle des AMG eine Chancen für naturheilkundliche Produkte dürfen nicht hohe bioethische Brisanz. Deswegen komme ich auf die- durch restriktive Regelungen zur Herstellererlaubnis ge- ses Thema hauptsächlich zu sprechen. Aus diesem nommen werden. Die Vorschrift ist entsprechend umfor- Grunde sind wir enttäuscht – auch das darf ich an dieser muliert worden. Stelle sagen –, dass man den Empfehlungen der Enquete-Kommission – Frau Volkmer, Sie haben diesen Auch in anderen Bereichen hätten wir uns weniger Empfehlungen in der Enquete-Kommission zuge- bürokratische Lösungen vorstellen können. So ist unse- stimmt – wenn überhaupt, nur teilweise und auch nur res Erachtens nicht nachzuvollziehen, Frau Kolleginhalbherzig gefolgt ist. Bender, warum die Zahl der Krankheitsbilder erhöht worden ist, bei denen eine explizite Genehmigung ein- (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das stimmt geholt werden muss. Aus unserer Sicht hat es in der Ver- nicht!) gangenheit keinerlei Probleme mit der impliziten Geneh- – Ich komme noch auf die einzelnen Punkte. migung gegeben. Deshalb hätte man es dabei belassen sollen. Natürlich ist gerade die Einführung des„Gruppen- nutzens“ bei Kindern ein sensibler Punkt. Es ist richtig, Ein weiterer Grund, warum wir den Gesetzentwurf Herr Parr, dass wir uns in dem Ziel einig sind, sichere letztendlich doch noch ablehnen, liegt in der Vorlage ei- Therapien gerade für Minderjährige, für Kinder zu (B) (D) ner Änderung durch die Regierungsfraktionen erst kurz schaffen. Wir haben dort ein großes Problem, weil die vor Abschluss des Gesetzes: die rückwirkendeAusset- meisten Mittel für Kinder nicht zugelassen sind. Auch zung von Verjährungsfristen bei der Erhebung von das ist natürlich ein ethisches Problem. Deswegen wol- Gebühren im Rahmen der Nachzulassung. Kollegelen wir bessere und sichere Therapien für Kinder. Bauer hat darauf hingewiesen, dass das rechtlich nicht Aber ich sage hier auch ganz deutlich: Das wird sich haltbar ist, und ich stimme ihm ausdrücklich zu; das ist nicht allein mit den Rahmenrichtlinien dieses AMG lö- auch aus unserer Sicht so. Sie versprechen sich offenbar sen lassen. Wir brauchen auch neue Möglichkeiten und eine sichere Einnahmequelle für das BfArM. Das wird Anreize für die Pharmaindustrie, sich um diese Dinge zu aus unserer Sicht so nicht eintreten. Die betroffenen Fir- kümmern. Es ist einfach so, dass die Gruppe der kranken men werden – das ist schon heute absehbar – klagen, ich Kinder häufig zu klein ist, als dass sich teure Forschung vermute, mit Erfolg. Deswegen tragen wir eine solche lohnen würde. Es ist ein Irrglaube, dass durch dieses Regelung nicht mit. AMG alle Probleme gelöst seien. Deshalb müssen wir uns auf diesem Gebiet weiterhin viele Gedanken ma- Letzte Bemerkung zu dem von Ihnen vorgelegtenchen. Entschließungsantrag. Sie fordern die Bundesregierung auf, in Abstimmung mit den zuständigen Landesbehör- Natürlich habe ich noch immer Probleme mit dem den die Wahrnehmung der Aufgaben durch dieEthik- Bereich und auch dem Begriff des so genannten Grup- kommissionen zu beobachten, zu evaluieren und nach pennutzens, weil er beinhaltet, dass es sich um fremdnüt- drei Jahren einen Evaluierungsbericht vorzulegen. Das zige Forschung handelt. Allerdings handelt es sich hier hätten wir prinzipiell mittragen können. Was wir aber für um einen etwas anderen Tatbestand; denn bei Kindern bedenklich halten und deshalb nicht mittragen können, lag, anders als bei nicht einwilligungsfähigen Erwachse- sind die in diesem Antrag formulierten Wertungen und nen, die Einwilligungsfähigkeit nie vor. Deswegen ist, das damit verbundene Misstrauen gegenüber der Selbst- auch auf Drängen der Union, erreicht worden, dass die verwaltung. Sie fragen nach Mängeln und zweifeln an, Begriffe minimales Risiko und minimale Belastung dass die Ethikkommissionen ihre Bewertungen in Über- enger gefasst worden sind. Dafür bedanke ich mich an einstimmung mit dem medizinisch-wissenschaftlichen dieser Stelle bei allen Parteien, die dazu beigetragen ha- ben. Erkenntnisstand getroffen haben. Das ist aus unserer Sicht erneut Ausdruck des grundlegenden Zweifels der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundesregierung an der Arbeit von Selbstverwaltungen neten der FDP – Erika Lotz [SPD]: Nicht mit und allem, was nicht staatlich ist. fremden Federn schmücken!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9371

Hubert Hüppe (A) –„Nicht mit fremden Federn schmücken“ – wenn Sie un- terstützen, wenn es einen direkten Zugriff der Ehtikkom- (C) sere Änderungsanträge in diesem Bereich, die Sie alle mission auf das neu zu schaffende Register auf europäi- abgelehnt haben, genau gelesen hätten, wüssten Sie, dass scher Ebene gibt. Diesem Vorschlag sind Sie nicht unsere Anträge wesentlich wasserdichter sind als Ihre. gefolgt. Ich hätte gedacht, dass Sie in diesem Punkt in Ihrem Antrag deutlicher geworden wären. Ich darf hier einen weiteren Punkt ausführen, nämlich die Streichung des Halbsatzes in § 41 der Novelle, in Sie sehen also: Wenn es um den Forschungsstandort dem es hieß, dass praktisch jedeklinische Prüfung er- und wenn es um die Ethik geht, dann haben Sie manch- folgen dürfe, die „ihrem Wesen nach nur an Minderjähri- mal Probleme, im Einzelfall die notwendigen Regelun- gen“ durchführbar ist. Nachdem wir Sie immer wieder gen dezidiert in einem Gesetz zu verankern. Wir lehnen auf diesen Punkt hingewiesen haben, hat es noch bis zur Ihren Gesetzentwurf nichtnur aus forschungspoliti- letzten Minute gedauert, bis Sie bereit waren, diesen schen, sondern auch aus ethischen Gründen ab. Satz zu streichen. Ich bin dafür dankbar. Aber wenn Sie sagen, dass Sie durch die Streichung die ethischen Prin- Vielen Dank fürs Zuhören. zipien vertreten hätten, dann muss ich Ihnen sagen: Sie (Beifall bei der CDU/CSU) haben diesen Halbsatz nur gestrichen, weil wir Sie so lange gedrängt haben. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kollegin Lötzsch hat ihre Rede zu Protokoll gegeben. Damit schließe ich die Aussprache.1) Wäre dies nicht geschehen, wäre der Eindruck entstan- den, dass an kranken Kindern fremdnützige Forschung Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- durchgeführt werden dürfte. desregierung eingebrachten Entwurf eines Zwölften Ge- setzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Es han- (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das ist eine Un- delt sich um die Drucksachen 15/2109 und 15/2360. Der terstellung, Herr Hüppe! – Erika Lotz [SPD]: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung emp- Falsch Zeugnis!) fiehlt unter Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf – Alle, die an diesen Verhandlungen teilgenommen ha- Drucksache 15/2849, den Gesetzentwurf in der Aus- ben, wissen, Frau Volkmer, dass Sie zumindest in zwei schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Sitzungen gesagt haben, dass der Satz im Gesetz stehen dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen bleiben soll, weil es vielleicht doch noch etwas geben wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – könnte, was gemacht werden soll. Erst in der letzten Sit- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter zung haben Sie sich vom Gegenteil überzeugen lassen. Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ (B) Die Grünen angenommen. (D) (Peter Dreßen [SPD]: Ihre Zeit ist abgelaufen!) Dritte Beratung Es gibt noch einen anderen Punkt, der mir sehr wich- tig ist. Das Prinzip in der Helsinki-Deklaration, dassund Schlussabstimmung. Dazu liegt eine persönliche kranke Menschen als Studienteilnehmer nicht unbehan- Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kol- delt bleiben dürfen, haben Sie im Gesetz nicht so veran- legen Wodarg vor.2) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- kert, wie wir es wollten. Wir wollten insbesondere in Be- entwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer zug auf kranke Kinder klargestellt haben, dass stimmt im dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Rahmen solcher Studien nicht auf die Standardtherapie ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü- verzichtet werden darf, weil es sich nach unserer Mei- nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange- nung eben nicht um ein minimales Risiko und nicht um nommen. eine minimale Belastung handelt. Wenn Sie wirklich das Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung auf gewollt hätten, was in Ihrem Entschließungsantrag ent- Drucksache 15/2849 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- halten ist – Sie erwarten darin, dass man im Falle kran- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- ker Kinder bei klinischen Studien nicht auf die Standard- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- therapie verzichtet –, dann hätten Sie das in das Gesetz tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen schreiben müssen. Das hätte die Sicherheit gegeben, die Mehrheit wie soeben angenommen. wir haben wollen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- (Beifall bei der CDU/CSU) ordnung. Der Bundestag ist ein Gesetzgebungsorgan. Er hat nicht Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Erwartungen zu äußern, sondern er muss das, was ge- destages auf Mittwoch, den 28. April 2004, 13 Uhr, ein. wollt ist, in einem Gesetz regeln. Ich wünsche Ihnen allen eine heitere Osterzeit. Es gäbe noch viele Dinge zu sagen. Ich will aber nur noch einen letzten Punkt ansprechen. Wir wollen Arz- Die Sitzung ist geschlossen. neimittelsicherheit. Aber wir wollen auch sicherstellen, dass keine Versuche durchgeführt werden, die es schon (Schluss: 13.49 Uhr) gegeben hat. Wir haben auch hier eine konkrete Forde- rung formuliert und ein nationales Register gefordert. 1) Anlage 2 Wir haben in den Verhandlungen gesagt, dass wir Sie un- 2) Anlage 4

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9373

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Büttner (Ingolstadt), SPD 02.04.2004 Simm, Erika SPD 02.04.2004 Hans Dr. Stadler, Max FDP 02.04.2004 Deß, Albert CDU/CSU 02.04.2004 Thiele, Carl-Ludwig FDP 02.04.2004 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 02.04.2004 Joseph DIE GRÜNEN Dr. Thomae, Dieter FDP 02.04.2004

Gönner, Tanja CDU/CSU 02.04.2004 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 02.04.2004

Griese, Kerstin SPD 02.04.2004 Weiß (Groß-Gerau), CDU/CSU 02.04.2004 Gerald Freiherr von und zu CDU/CSU 02.04.2004 Guttenberg, Karl- Weisskirchen SPD 02.04.2004 Theodor (Wiesloch), Gert

Hartnagel, Anke SPD 02.04.2004 Anlage 2 Heinen, Ursula CDU/CSU 02.04.2004 Zu Protokoll gegebene Rede Hilbrecht, Gisela SPD 02.04.2004 zur Beratung des Entwurfs eines Zwölften Ge- setzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Irber, Brunhilde SPD 02.04.2004 (B) (Tagesordnungspunkt 21) (D) Koppelin, Jürgen FDP 02.04.2004 Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): „Niemand darf Laurischk, Sibylle FDP 02.04.2004 der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder ernied- rigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 02.04.2004 Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zu- stimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versu- Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 02.04.2004 chen unterworfen werden.“ Klaus W. So lautet Art. 7 des Internationalen Paktes über bür- gerliche und politische Rechte. Er erklärt damit die Lips, Patricia CDU/CSU 02.04.2004 Forschung ohne Einwilligung der betroffenen Versuchs- personen zum Musterfall unmenschlicher und erniedri- Dr. Nüßlein, Georg CDU/CSU 02.04.2004 gender Behandlung. Weil aber nur Personen, die aus juristischer Sicht geschäftsfähig sind, eine solche Ein- Polenz, Ruprecht CDU/CSU 02.04.2004 willigung rechtmäßig erteilen können, sind zum Beispiel Minderjährige von einer Versuchsteilnahme grundsätz- Dr. Rexrodt, Günter FDP 02.04.2004 lich ausgeschlossen. Eine allgemein akzeptierte Aus- Romer, Franz CDU/CSU 02.04.2004 nahme liegt nur dann vor, wenn der Minderjährige einen voraussichtlichen, individuellen Nutzen aus der Studien- Rühe, Volker CDU/CSU 02.04.2004 teilnahme hat, den er ohne die Studienteilnahme nicht haben könnte. Nur in diesem Fall dürfen die Sorgebe- Scharping, Rudolf SPD 02.04.2004 rechtigten des minderjährigen Patienten in ein solches Forschungsvorhaben einwilligen. Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 02.04.2004 Diese klare völkerrechtlich verbindliche Regelung, DIE GRÜNEN wie sie sich auch in der geltenden Fassung des Arznei- mittelgesetzes wiederfindet, entstand aus den Erfahrun- Schultz (Everswinkel), SPD 02.04.2004 gen mit den unmenschlichen medizinischen Versuchen Reinhard in den Jahren der NS-Diktatur. Doch diese Grundsätze will die Bundesregierung mit dem vorgelegten Gesetzes- Dr. Schwanholz, Martin SPD 02.04.2004 entwurf über Bord werfen. Die fremdnützige Forschung 9374 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

(A) mit Minderjährigen soll erlaubt werden. Unisono mitauch ohne fremdnützige Forschung die notwendigen(C) den Pharmakonzernen versucht sie mit Tarnung, Tricks wissenschaftlichen Daten für die Kinderheilkunde zu ge- und Täuschung, die Entrechtung minderjähriger Proban- nerieren. Hierzu nur ein Beispiel: Gerade die Kenntnisse den durchzusetzen. Erster Trick: Die fremdnützige For- über die Wirkstoffkonzentration im kindlichen Körper schung wird mit dem Attribut „gruppennützig“ belegt. sind oft mangelhaft. Doch selbst für das in dieser Hin- Das soll wohl suggerieren, es handele sich um etwassicht sehr schwierig zu charakterisierende Antibiotikum vollkommen anderes. Doch die unter anderem von dem Tobramycin konnten mit einer speziell für nicht einwilli- BPI-Sachverständigen Rechtsanwalt Sträter, einem be- gungsfähige Patienten entwickelten Methodik mehrfach rüchtigten Pharmalobbyisten, vor dem Gesundheitsaus- erfolgreich die notwendigen Ergebnisse beschafft wer- schuss gebrauchte Definition der „Gruppennützigkeit“ den. Es geht also auch unter den derzeitigen rechtlichen dient nur der Augenwischerei. Richtig ist vielmehr:Bedingungen. „Gruppennützige“ Forschung ist fremdnützige For- schung mit der Einschränkung, dass Versuchsperson und Statt Menschenrechte zu unterminieren, wäre es also diejenigen, denen die Forschung einmal nützen soll, der- das Gebot der Stunde, den Herstellern im Rahmen der selben Gruppe von Patienten angehören. Doch einen in- Arzneimittelzulassung oder der Zulassungsverlängerung dividuellen Nutzen haben die kindlichen Probanden aus die Beschaffung des erforderlichen wissenschaftlichen der Versuchsteilnahme nicht. Sonst bräuchten wir ja, wie Erkenntnismaterials aufzuerlegen. Dies kann mittels le- bereits gesagt, in diesem Punkt keine Gesetzesänderung, galer Studien, bei denen minderjährige Studienteilneh- weil die Forschung mit individuellem Nutzen auch bei mer einen individuellen Nutzen erfahren, und aufgrund Minderjährigen bereits jetzt legal ist. der Auflagenbefugnis gemäß § 28 AMG geschehen. Spä- testens in fünf Jahren sehen wir dann, ob noch relevante Offenbar schrecken die Verbände der Pharmaindustrie Defizite in der pädiatrischen Arzneitherapie bestehen wieder einmal auch vor unlauteren Methoden nicht zu- oder nicht. rück, was ihr Interesse an der Aufweichung des Patien- tenschutzes hinreichend charakterisiert. Und die Bun- Fassen wir zusammen: Die Freigabe der fremdnützi- desregierung ist zwar nicht in Fragen der sozialengen Forschung an Kindern und Jugendlichen ist men- Absicherung, wohl aber, wenn sie einigen Großkonzer- schenrechtsverletzend, sie ist keine Umsetzung europäi- nen zu Diensten sein kann, zum Kollektivismus in jeder schen Rechts, und es gibt keine inhaltliche Notwendigkeit Form bereit. dafür. Auch der Verweis der Bundesregierung, die Einfüh- Gestatten Sie mir noch diesen Nachsatz: Erklärtes rung fremdnütziger Forschung an Minderjährigen seiZiel dieser AMG-Novelle ist auch die Verbesserung der Pharmakovigilanz, also der Erfassung von Nebenwir- (B) aufgrund der europäischen Richtlinie 2001/20/EC erfor- (D) derlich, dient nur der Tarnung des Vorhabens. Diesekungen. Gleichzeitig soll die Voraussetzung, dass eine Richtlinie verfügt in § 3, dass strengere Schutzbestim- Arzneimittelstudie von einem Arzt geleitet wird, wegfal- mungen in den einzelnen Mitgliedstaaten unberührt blei- len. Gerade in der wichtigsten Erhebungsphase für Ne- ben. Sie will und darf nicht zur Absenkung des bestehen- benwirkungen, der Phase der klinischen Prüfung, meint den Schutzniveaus für Studienteilnehmer herangezogen die Bundesregierung also, auf Ärzte verzichten zu kön- werden. nen. Dies zeigt den unbeschreiblichen Dilettantismus, mit dem diese AMG-Novelle vorbereitet wurde. Die Das perfideste Täuschungsmanöver liegt jedoch inPDS wird sich beidem, der Einführung fremdnütziger der offiziellen Begründung für die Freigabe fremdnützi- Forschung bei Minderjährigen und dem Wegfall des ger Forschung an Kindern. Dass die KinderheilkundeArztvorbehaltes, in Bundestag und Bundesrat widerset- vielfach auf Pharmaka angewiesen ist, deren Wirksam- zen. keit und Sicherheit nicht an Kindern geprüft wurde und die somit bei Kindern gar keinen Einsatz finden dürften, ist in der Tat ein Skandal. Doch die daraus abgeleitete Anlage 3 Folgerung, das Schutzniveau für kindliche Versuchsper- sonen müsste deshalb abgesenkt werden, hält der Über- Erklärung nach § 31 GO prüfung nicht stand. Die Europäische Kommission des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann macht in ihrem Positionspapier „Better Medicines for (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Children“ vom 28. Februar 2002 vielmehr das Desinte- Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneu- resse der pharmazeutischen Industrie für die Misere ver- erbaren Energien im Strombereich (Tagesord- antwortlich. Der Markt, den die Kinderheilkunde bietet, nungspunkt 19 a) sei zu klein und die Amortisation pädiatrischer Entwick- lungskosten schwierig. Ich erkläre, dass ich mich entgegen dem Votum mei- ner Fraktion enthalte. Sie haben richtig gehört, meine Damen und Herren, mögen die Gewinne der Pharmabranche auch noch so Mein Abstimmungsverhalten möchte ich kurz wie astronomisch sein: Eine Verpflichtung, die Arzneimittel folgt begründen: Das EEG wird grundsätzlich der Be- auch für Kinder und Jugendliche nutzbar zu machen,deutung der erneuerbaren Energien gerecht und geht in wird von den Unternehmen wegen mangelnder Rentabi- die richtige Richtung; aber im Detail werden die Pro- lität negiert. Und die Zulassungsbehörden schweigenbleme der erneuerbaren Energien nur unzureichend gere- dazu. Dabei bestünden ausreichende Möglichkeiten,gelt. Der Bioenergiebereich wird mangelhaft begleitet, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004 9375

(A) der Forschungsansatz kommt zu kurz und der Windener- neuerdings mit Genehmigungszuständigkeit ausgestat-(C) giebereich bleibt teilweise überfördert. tete Ethikkommission ausgeübt werden kann. Pharmaun- ternehmen können jetzt die genehmigende Ethikkommis- sion gegebenenfalls bei Versagen einer Genehmigung für wirtschaftliche Nachteile in Millionenhöhe haftbar ma- Anlage 4 chen, während die Probanden einer Studie wohl kaum ih- ren Schutz in gleicher Weise bei einer Ethikkommission Erklärung nach § 31 GO einzufordern in der Lage sind. des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) Die beiden vorgenannten Schwachpunkte der zur Abstimmung über den Entwurf eines 12. AMG-Novelle bieten besonders in ihrer Kombina- Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arznei- tion Fehlanreize für die Beteiligten, welche zu einer ge- mittelgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) fährlichen Absenkung des Schutzniveaus für die Teil- Ich stimme dem Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur nehmer an klinischen Studien in Deutschland führen Änderung des Arzneimittelgesetzes nicht zu. Dies tue können. Da es mir leider trotz erheblicher Anstrengun- ich, obwohl ich anerkenne, dass es Regelungen enthält, gen im Rahmen der Ausschussberatungen nicht gelun- die den Schutz von Kindern bei der Erforschung vongen ist, die hier vorgetragenen Argumente zur Geltung Medikamenten verbessern und Nichtzustimmungsfä-zu bringen, möchte ich mit dieser Zusatzerklärung mei- hige vor fremdnütziger Forschung schützen. Trotzdem ner Verantwortung als fachkundiger Abgeordneter nach- schwächt dieses Gesetz an anderer Stelle in für michkommen. nicht hinnehmbarer Weise den Probandenschutz. Das vorliegende Gesetz ermöglicht, dass auch solche Wissenschaftler klinische Forschungen konzipieren, lei- Anlage 5 ten und über deren Fortführung entscheiden dürfen, die Amtliche Mitteilungen nicht Ärzte sind. Dabei ist von Belang, dass der Schutz der Patienten vor unsachgemäßer Behandlung inDer Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit- Deutschland weitestgehend durch das Berufsrecht für geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ärzte geregelt ist. Das hat zur Folge, dass nach diesem Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der Gesetz die große Verantwortung für klinische Versuche nachstehenden Vorlagen absieht: auch solchen Personen übertragen werden darf, für die die berufsrechtlichen und ethischen Schranken, welche (B) in Deutschland die Ausübung der Heilkunde regeln, Ausschuss für Tourismus (D) nicht gelten. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Obwohl die Europäische Union in ihrer Richtlinie die Bericht der Bundesregierung über Prüfungsergebnisse Mitgliedstaaten auffordert, hier ihre nationalen Regelun- zur Tourismusstatistik gen zur Geltung zu bringen, und zum Beispiel Österreich – Drucksachen 15/1167, 15/1272 Nr. 1.5 – und weitere Länder das Wohl von Probanden durch einen solchen Arztvorbehalt rechtlich gewährleisten, Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben schafft das vorliegende Gesetz hier einen Freiraummitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- zulasten der Teilnehmer von klinischen Studien, der mei- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische nes Erachtens nicht hinnehmbar ist. Es kann danachParlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- verantwortliche Leiter einer klinischen Studie zur Erpro- tung abgesehen hat. bung von Arzneimitteln geben, die nicht an das für Ärzte geltende Berufsrecht gebunden sind, und dies wird hin- Innenausschuss genommen, obwohl von ihnen nach dem Gesetz Tätig- keiten erwartet werden, die der rechtlichen Definition Drucksache 15/173 Nr. 2.92 der „Ausübung der Heilkunde“ entsprechen. Die Kon- trolle der Ausübung der Heilkunde liegt in der Zustän- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und digkeit der Länder. Landwirtschaft Drucksache 15/2447 Nr. 1.2 Mit der 12. AMG-Novelle werden die zuständigen Drucksache 15/2636 Nr. 2.29 Bundesoberbehörden ermächtigt, auf Antrag von Spon- Drucksache 15/2636 Nr. 2.31 soren – zum Beispiel Pharmaunternehmen – Patienten Drucksache 15/2636 Nr. 2.33 schützendes Berufsrecht außer Kraft zu setzen. Weder Drucksache 15/2636 Nr. 2.45 die zuständige Ethik-Kommission noch das BfArM und Drucksache 15/2636 Nr. 2.46 Drucksache 15/2636 Nr. 2.48 das Paul-Ehrlich-lnstitut als zuständige Behörden sind Drucksache 15/2636 Nr. 2.50 bisher berechtigt, über die in der Gesetzesnovelle impli- zit vorgeschriebene Befähigung zur Ausübung der Heil- kunde im Einzelfall zu entscheiden. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 15/1547 Nr. 1.9 Hinzu kommt, dass durch eine weitere Neuregelung Drucksache 15/1547 Nr. 1.16 des AMG Druck von antragstellenden Sponsoren auf die Drucksache 15/1613 Nr. 1.2 9376 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. April 2004

(A) Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Drucksache 15/2447 Nr. 2.33 (C) Drucksache 15/2636 Nr. 2.24 Drucksache 15/2447 Nr. 2.34 Drucksache 15/2519 Nr. 2.32

Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 15/2447 Nr. 2.7 Drucksache 15/2447 Nr. 2.32 Drucksache 15/2636 Nr. 2.30

(B) (D)

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