15012 Deutscher – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Wir werden über diesen Antrag später namentlich ab- Die Menschen verlangen übrigens auch Fairness vom (C) stimmen. Verbraucher. Das sage ich ganz ausdrücklich auch als jemand, der gerne wiedergewählt werden möchte. Aber Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten es gehört zur Fairness dazu, auch darüber zu sprechen, vereinbart. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das dass es nicht sein kann, dass 90 Prozent der Verbraucher, so beschlossen. wenn sie gefragt werden, behaupten, sie würden gerne Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege einen höheren Preis für Lebensmittel zahlen, wenn sie Dr. Gero Hocker für die Fraktion der FDP. dafür die Gewissheit hätten, dass das Tier unter hohen Standards gelebt hat, dass Pflanzen mit wenig Pflan- (Beifall bei der FDP) zenschutzmitteln behandelt worden sind, während nur 10 Prozent der Menschen tatsächlich, wenn es zum Dr. (FDP): Schwur kommt, nämlich an der Supermarktkasse, auch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und zu höherpreisigen Lebensmitteln greifen. Meine Damen Herren! Vergangenen Dienstag haben deutschlandweit und Herren, es ist eine Frage der Fairness, dass auch der mehrere Zehntausend Menschen demonstriert, viele von Verbraucher seine Ankündigungen wahrmacht, wenn es ihnen auch hier in Berlin. Die meisten von ihnen sind aus darauf ankommt, nämlich an der Kasse, wenn es ums ländlichen Räumen in die Großstädte mit einer ganz kla- Bezahlen geht. ren Motivation gefahren: Sie haben das Gefühl, dass in den vergangenen Jahren, in den vergangenen Jahrzehnten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Landwirtschaft immer mehr an Wertschätzung verloren der AfD – [BÜNDNIS 90/DIE hat, ländliche Räume in der Politik eine immer geringere GRÜNEN]: Woher nehmen Sie die Zahlen?) Rolle spielen. Last, but not least geht es natürlich auch um Fairness Sie stehen als Betriebsinhaber vor der Situation, dass seitens der Politik und seitens der Gesellschaft: Politik, sie immer mehr Bürokratie zu bewältigen haben, dass ihre die höchste Ansprüche des Verbrauchers in Gesetze, in Leistungen und sie immer weniger wertgeschätzt werden Verordnungen gießt, aber es Landwirten gleichzeitig und – am allerschlimmsten, meine sehr verehrten Damen nicht ermöglicht, Zugriff auf die Technologien, auf die und Herren – dass die gemeinsame Grundlage für Ent- Innovationen zu bekommen, die sie benötigen, um genau scheidungen, nämlich Wissenschaftlichkeit und Sach- diesen Herausforderungen genügen zu können. lichkeit, immer mehr in den Hintergrund gerät und immer Wenn Sie behaupten, dass es ausreichen würde, schnel- häufiger Entscheidungen – auch von dieser Bundesregie- les Internet an jeder Milchkanne zu haben, dann versagen rung – aus dem Bauch heraus, nach Gutdünken und nach Sie damit ganzen Regionen die Möglichkeiten zum Bei- (B) Gefühl getroffen werden. Und das machen wir Ihnen zum (D) spiel im Bereich autonomen Fahrens, im Bereich des Vorwurf, meine sehr verehrten Damen und Herren. Drohneneinsatzes. Sie verweigern ihnen die Technolo- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Udo gien, die sie benötigen, um die großen Herausforderun- Theodor Hemmelgarn [AfD]) gen, gerade aus Gesellschaft und Politik, zu erfüllen. Das funktioniert nicht. Ich wage die These – die kann ich nicht verifizieren; aber es ist mein Gefühl vom vergangenen Dienstag –, Es ist übrigens auch, verehrter Herr Staatssekretär – dass Sie niemanden finden werden, der ein Plakat hoch- leider ist die Ministerin wiederum nicht da –, ein Gebot gehalten hat, irgendetwas in eine Kamera gehalten oder in der Fairness, dass wir den Landwirten nicht immer mehr ein Mikrofon gesprochen hat, was sinngemäß besagte: abverlangen und ihnen den Zugriff auf Technologien er- „Wir Landwirte wollen mehr Geld aus Brüssel“ oder möglichen, die sie benötigen, um genau diesen Ansprü- „Wir wollen mehr Subventionen“ oder „Wir wollen mehr chen gerecht zu werden. Geld in der ersten oder zweiten Säule“. Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren, was die Menschen tatsächlich (Beifall bei der FDP – [FDP]: fordern, kann man mit einem Begriff zusammenfassen: Sehr richtig!) Die Menschen wollen Fairness. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit kom- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten me ich zum Schluss. Ich meine, dass es jetzt unsere ge- der AfD) meinsame Aufgabe als Deutscher Bundestag ist – da schließe ich ausdrücklich meine Fraktion, die Opposition Die wollen Fairness. Sie produzieren innerhalb des mit ein –, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass junge europäischen Binnenmarktes nach den höchsten Stan- Männer und Frauen, die jetzt die Landwirtschaftshoch- dards überhaupt Lebensmittel und achten dabei darauf, schule, die Universität verlassen, Lust darauf haben, den dass Tierschutz realisiert wird, dass wenig Pflanzen- elterlichen Betrieb zu übernehmen, dass es auch in fünf schutzmittel eingesetzt werden. Aber sie konkurrieren oder zehn Jahren noch Landwirtschaft in Deutschland auf dem europäischen Binnenmarkt mit Wettbewerbern gibt. Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst. Jetzt aus Portugal, aus Spanien, aus Polen, die zu ganz anderen liegt es auch an dieser Bundesregierung, verehrter Herr Standards erzeugen. Das ist unfair, meine sehr verehrten Staatssekretär, zu handeln. Der Ball liegt bei Ihnen! Damen und Herren, und das lassen wir Ihnen nicht ein- fach durchgehen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15013

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Jahren, sondern in Generationen. Dafür brauchen wir Pla- (C) Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege nungssicherheit. Johannes Röring. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Ministerin Julia Klöckner

Johannes Röring (CDU/CSU): (Reinhard Houben [FDP]: Die ist doch nicht Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- da! – [FDP]: Wo ist die eigent- gen! Wir erleben aktuell in Deutschland, dass sich Tau- lich?) sende von Landwirten mit ihren Traktoren auf den Weg – der Staatssekretär wird es ihr übermitteln –, ich bin sehr machen, um nicht nur hier in Berlin, sondern auch in dankbar dafür, dass ein Agrargipfel geplant ist, wo die anderen großen Städten Deutschlands für ihre Arbeit zu unterschiedlichen Meinungen an einen Tisch geholt wer- werben und auf aktuelle Probleme der Landwirtschaft den sollen, die es ja ohne Zweifel in der Gesellschaft gibt. hinzuweisen. Das Schöne war: Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich verständnisvoll gezeigt. Ich erinnere mich an ein schönes Bild, wo eine junge Frau ein Plakat in Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die Höhe hält mit der Aufschrift „Danke für eure Arbeit“. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Nein. (Beifall bei der CDU/CSU) Es bringt all das zum Ausdruck, was unsere Landwirte Johannes Röring (CDU/CSU): verdienen und auch vermissen: Respekt und Anerken- Denn wir brauchen langfristig einen gesellschaftlichen nung für ihre Arbeit. Konsens, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll. Unsere Landwirte haben diese Klarheit verdient. Was die Demonstrationen vom Dienstag auch gezeigt haben, ist, dass es unseren Bäuerinnen und Bauern nicht (Beifall bei der CDU/CSU) um einseitige Forderungen geht, sondern dass sie in den Die Landwirtschaft tut nämlich einiges, um des Problems Dialog treten wollen, dass sie für Gespräche offen sind Herr zu werden: neue Techniken, Precision Farming, Gül- und dass sie die Öffentlichkeit einladen, mit ihnen über leaufbereitung; es tut sich hier sehr viel. Aber das geht ihr Handwerk zu diskutieren. nicht von heute auf morgen. Für die Umsetzung benöti- Es wurden Straßen abgesperrt, damit Treckerkolonnen gen die Landwirte Zeit und natürlich unser Vertrauen. durch die Stadt fahren konnten. Gleichzeitig wurde mit Unter dem Strich lässt sich festhalten: Die Landwirte in (B) den wartenden Autofahrern gesprochen, ihnen der Hinter- Deutschland sind fleißig und offen für Veränderungen. (D) grund der Demonstration erklärt und anschließend ein Und auch die anberaumten Vorhaben lassen sich durch Apfel oder ein Sack Kartoffeln übergeben. So sehen vor- kreative Ansätze meistern. Aber all das ist nur möglich, bildliche Demonstrationen aus: Dialog statt Abschottung. wenn die Bäuerinnen und Bauern sicher sein können, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten diese Entscheidungen langfristig angelegt sind. Nur mit Tackmann [DIE LINKE]: Extinction Rebellion klaren Rahmenbedingungen ist es möglich, langfristig ist aber auch vorbildlich!) Planungssicherheit zu schaffen. Dann sind auch die Bauern bereit zu investieren. Sie sind dann bereit, Risiken Ich habe, meine Damen und Herren, volles Verständnis einzugehen. Und dann, wenn das gesichert ist, werden sie für die Demonstrationen und finde es gut, dass sich Land- auch weiterhin gesunde, vielfältige, sichere, bezahlbare wirtinnen und Landwirte Gehör verschaffen. heimische Nahrungsmittel liefern können. (Zuruf des Abg. [CDU/CSU]) Zum Schluss, Herr Hocker, fragen Sie sich, warum wir diesen Antrag ablehnen. Viele neue Programme und Gesetzesvorhaben bringen die Bauern dazu, sich zu fragen, ob sie überhaupt noch (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Tja! Aber gewollt sind. Dabei sind es doch die Landwirte, die uns das können Sie mir sagen! Vor allem die Men- tagtäglich mit gesunden, hochwertigen Lebensmitteln schen da draußen fragen sich das!) versorgen. Vieles davon ist schon längst auf den Weg gebracht. (Zuruf des Abg. [AfD]) Wenn Sie sich vor anderthalb Jahren nicht vom Acker gemacht hätten, hätten wir das alles jetzt gemeinsam um- Es sind auch die Landwirte, die seit vielen Jahrzehnten setzen können. aktiv Natur- und Umweltschutz betreiben und ihre Arbeit immer weiter optimieren, um den gestiegenen Anforde- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. rungen gerecht zu werden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Gero Clemens Hocker Es geht den Landwirten dabei auch um Antworten auf [FDP]: Dann wäre Herr Hofreiter Landwirt- die existenziellen Fragen, was sie machen sollen, wie sie schaftsminister! – Weitere Zurufe von der FDP) es machen sollen und wer das Ganze am Ende bezahlt – der Markt macht es nämlich nicht allein. Daher müssen wir uns über die Finanzierung der Vorhaben unterhalten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Landwirte müssen Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Stephan in langen Perioden denken – nicht in fünf, nicht in zehn Protschka. 15014 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Beifall bei der AfD – Das Einzige, was Sie erreichen werden, meine Damen (C) [CDU/CSU]: So ein Populismus!) und Herren, ist, dass Sie die kleinen und mittelständi- schen landwirtschaftlichen Betriebe ökonomisch in die (AfD): Ecke treiben und das Höfesterben damit weiter beschleu- Herr Präsident! Habe die Ehre! Gott zum Gruße, liebe nigen. So viel ist sicher: Sie sind schuld, dass unser länd- Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste hier im Hohen licher Raum stirbt, meine Damen und Herren. Haus! Es wurde schon angesprochen: Am Dienstag haben mehrere Tausend Bauern demonstriert. Ich war in Bonn (Beifall bei der AfD) dabei. Die Bauern haben die Schnauze gestrichen voll Alle von Ihnen geplanten Auflagen und Verbote basie- von Ihrer Agrarpolitik, liebe Bundesregierung. ren überhaupt nicht auf fachlicher Praxis oder wissen- (Beifall bei der AfD) schaftlichen Fakten, Sie von der Bundesregierung rauben unseren Bauern jede (Zuruf des Abg. Stefan Schmidt Planungs- und Investitionssicherheit und bringen die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Existenz der heimischen Landwirtschaft drastisch in Ge- sondern auf den Forderungen der selbsternannten Um- fahr. welt-NGOs. Denen laufen Sie ja auch schon hinterher. Schauen wir uns einmal die jüngsten Pläne unserer Es gab einmal einen schönen Spruch, der lautete: Ideolo- Bundesregierung an. Die Bundesregierung will die Ein- gie kann man nicht essen. kommens- und Risikoabsicherung, auf die vor allem die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe angewie- (Beifall bei der AfD) sen sind, im nächsten Jahr um 75 Millionen kürzen. Dass sich ausgerechnet die CDU/CSU zu einem will- Die Bundesregierung will die Düngeverordnung frei von fährigen Helfer dieser Ideologen macht, ist für mich ein wissenschaftlichen Fakten erheblich verschärfen. Skandal, meine Damen und Herren von der Bundesregie- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rung. Sie haben in der Agrarpolitik auf ganzer Linie ver- Was? Ja, Sie sind ja lustig!) sagt. Die Ministerin tut sich dieses Thema heute nicht einmal an. Ich hoffe, der Staatssekretär übermittelt alles Mit dem sogenannten Insektenschutzgesetz soll eine richtig. große Zahl von landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr bewirtschaftet werden dürfen. Also, ich habe einmal ge- ( [CDU/CSU]: Haben Sie Zweifel lernt, dass das Sozialismus ist und dass man das Ganze am Staatssekretär?) dann Enteignung nennt. (B) Es gleicht ja schon fast einem schlechten Witz, wenn (D) (Beifall bei der AfD – Albert Stegemann sich jetzt sogar CDU-Politiker – wie letzte Woche ein [CDU/CSU]: Das ist sachlich falsch!) Politiker aus meinem Landkreis – hierhinstellen, sich ge- gen ihre eigenen Anträge aussprechen und von einem Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll ebenfalls Bruch der Vertragstreue gegenüber der Landwirtschaft eingeschränkt werden. Der Kollege von der CDU hat es und von fehlender Verlässlichkeit sprechen. Sie verar- vorhin selbst gesagt: Es werden so wenig Pflanzenschutz- schen hier am Tresen die deutschen Landwirte, mittel wie möglich verwendet; Deutschland ist ein Land, in dem am wenigsten verwendet werden. – Trotzdem ( [SPD]: Das ist kein Tresen! – spricht die Umweltministerin pauschal von einer Redu- Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zierung um 75 Prozent. Sagen Sie das mal einem Hand- NEN]: Na, na, na!) werker! Nehmen Sie ihm 75 Prozent seines Werkzeuges. Dann kann er nicht mehr überleben. Mit dem Klimapaket Sie verarschen den deutschen Mittelstand und machen wird eine weitere Regelungsflut auf unsere Landwirte damit alles kaputt, meine Damen und Herren. zukommen. (Beifall bei der AfD) (Dr. [DIE LINKE]: Das sind Ich möchte aber an dieser Stelle unbedingt betonen, nicht eure Landwirte!) welch wichtigen Beitrag die heimische Landwirtschaft Aber halten Sie nur weiter richtig drauf; irgendwann leistet. Mit den weltweit höchsten Standards im Umwelt- wählt Sie überhaupt kein Bauer mehr. schutz und im Tierschutz produzieren die deutschen Bauern die qualitativ hochwertigsten Lebensmittel der Man bekommt wirklich den Eindruck, dass die CDU Welt. Sie leisten außerdem einen unverzichtbaren Beitrag und die CSU schon mal die Weichen für eine schwarz- zum Naturschutz, zur Pflege unserer Kulturlandschaft, grüne Regierungskoalition stellen möchten. Wie hat Frau zur Stärkung unseres ländlichen Raums und vor allem Göring-Eckardt es einmal so schön gesagt: zum Erhalt der Artenvielfalt. Das alles wäre ohne unsere Wir wollen, dass in den nächsten vier Jahren jede Bauern nicht denkbar und nicht möglich. Der Bauern- Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in stand ist der beste Partner für den Umweltschutz und diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie für den Tierschutz. Die AfD ist die einzige Partei in die- einsetzen! sem Hohen Haus, Eines kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen: Mit Ihren (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Die keine Plänen werden Sie keinen einzigen Schmetterling, keine Ahnung hat! Wie viele Anträge gibt es denn einzige Biene und auch das nicht Klima retten können. schon?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15015

Stephan Protschka (A) die sich für die deutschen Arbeiter und die deutschen den jungen Landwirten, auch bitte eine Antwort darauf, (C) Bauern einsetzt, meine Damen und Herren. wie sie damit umgehen können. Danke für die Aufmerksamkeit. Habe die Ehre! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schönen Abend. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Kollege Spiering, gestatten Sie eine Zwischenfra- ge? Die Kollegin von der FDP würde Sie gern etwas Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Rainer fragen. Spiering. (Beifall bei der SPD) (SPD): Bei Gero Hocker immer gerne. Rainer Spiering (SPD): Herr Kollege Protschka, wenn es nicht so traurig wäre, (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ich komme könnte man ja vielleicht darüber nachdenken, ob Sie das, erst als Zweiter dran!) was Sie sagen, alles ernst meinen. – Ach so, zwei Fragen. Auch gut. ( [CDU/CSU]: So ist es!) (FDP): Wir hatten vor ein paar Tagen eine Veranstaltung mit Ihr Vortrag hat uns so begeistert, dass wir uns beide zu jungen, sehr gut ausgebildeten Landwirten. Da hat der Wort gemeldet haben. Vielen Dank, dass Sie die Zwi- Kollege Protschka ähnlich rumgepöbelt, wie er es jetzt schenfrage zulassen. hier gemacht hat. Von ihnen haben Sie eine Antwort be- kommen, sie haben Ihnen auch gesagt, was Sie von Ihren In dieser Woche ist ja etwas Beeindruckendes passiert. Auslassungen halten: nichts. Die Zahl der Traktoren, die in deutschen Städten unter- wegs waren, wird auf 15 000 geschätzt. Die Traktoren (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP gehören eigentlich auf den Acker. Dass sie sich auf den und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Weg in die Städte machen, sollte uns allen hier ja sehr [AfD]: Sprechen Sie mal ins deutlich zeigen, dass genau das, was Sie gerade angespro- Mikro!) chen haben, nämlich der Schutz der Natur, der Schutz der Ich würde mich jetzt gern dem Antrag der FDP zuwen- Umwelt, das zentrale Anliegen der Landwirtschaft ist. Ich (B) den. Sie sagen: finde es erstaunlich, dass Sie in Ihrem Redebeitrag ver- (D) suchen, das so ein bisschen infrage zu stellen. Die zentrale Aufgabe der politischen Entschei- dungsträger muss es sein, die landwirtschaftliche (Zurufe von der SPD: Oh! – Produktion in Einklang mit den Wünschen und An- [CDU/CSU]: Hat er gar nicht gemacht!) forderungen aus der breiten Gesellschaft zu bringen. Die Landwirtschaft wirtschaftet mit der Natur und Kollege Hocker, die Wünsche kann ich benennen; die durch die Natur. Die Natur ist die Lebensgrundlage und kennen Sie auch: saubere Luft, sauberes Wasser, gesunde die Ertragsgrundlage für eine funktionierende Landwirt- Böden, gesunde Seen, Tiere, die im Einklang mit der schaft. Natur leben können, keine Nitratbelastung, keine Ammo- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- niakbelastung und alles das, was Menschen im Einklang NEN]: Haben Sie keine Redezeit bekommen? – mit ihrer Natur wollen. Das sind die Wünsche der Men- Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schen. Ohropax rausnehmen!) Wenn Sie das tatsächlich, wie Sie hier erklären, in Ein- Angesichts dessen würde ich Sie gerne fragen – ich freue klang bringen wollen, dann müssen Sie diesen Wünschen mich sehr, dass die Bundeslandwirtschaftsministerin der schon folgen. Sie sagen: Debatte jetzt beiwohnt –, wie Sie es beurteilen, dass der Jedoch müssen wissenschaftliche Grundlagen und Dialog vom Bundesumweltministerium permanent abge- sachlich ausgearbeitete Tatsachen die Voraussetzung lehnt wird und dass die Bundesumweltministerin auch dieser Auseinandersetzungen sein. heute an dieser Debatte nicht teilnimmt, wo die Landwirte zu Tausenden in die Städte gestürmt sind und den Dialog Ja, okay, da bin ich gerne dabei. Schauen Sie sich die aktiv angeboten haben. Veröffentlichungen des Johann-Heinrich-von-Thünen- Instituts, des Julius-Kühn-Instituts und des Bundesinsti- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tuts für Risikobewertung an! Schauen Sie sich den Welt- der CDU/CSU und des Abg. Martin Hebner klimabericht an! Schauen Sie sich die Nitratbelastung [AfD]) unserer Flüsse und Seen an! Schauen Sie sich die Ammo- niakbelastung an! Schauen Sie sich die CO2-Problematik Rainer Spiering (SPD): an! Schauen Sie sich an, wie hoch die Methanbelastung Frau Konrad, zwei knappe Antworten: Wir müssen hier ist! Das sind alles wissenschaftliche Erkenntnisse, die unterscheiden. Das eine ist der Dialog zwischen dem unbestritten sind. Stellen Sie sich dem bitte! Geben Sie Bauernverband und Frau Schulze. Soweit ich weiß, gibt dann den jungen Menschen in unserem Land, vor allem es – Frau Schulze hat mir das letzten Freitag im Zug ge- 15016 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Rainer Spiering (A) sagt – absolute Dialogbereitschaft. Woher die Aussage Landmaschinenhersteller und die Landwirte. Das ist ein (C) von Herrn Rukwied, dass diese nicht vorhanden sei, weltweit einmaliger Versuch, der mit viel Geld unterlegt kommt, ist mir schleierhaft. ist. Was ich viel spannender finde als den Dialog mit dem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf Bauernverband – das mag mir auch keine der anwesenden des Abg. Stephan Protschka [AfD]) Personen übelnehmen –, ist die Frage, wie es um den Dialog mit den jungen aufgeklärten Landwirten, Ich will Ihnen auch sagen, warum wir das wollen, Kol- lege Hocker, da Ihnen ja leider das Netzwerk entgangen (Zuruf der Abg. Dr. [CDU/CSU]) ist, das schon längst entstanden ist die offensichtlich – das zeigt ihre Demonstration – ein (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das anderes bäuerliches Bild wollen, steht. Diesen Dialog Telefonnetzwerk entgeht mir immer!) würde ich allen Beteiligten dringend anraten. und Ihrer fachlichen Wertschätzung offensichtlich nicht (Beifall bei der SPD – Dr. Gero Clemens genügt. Dieses Netzwerk wird dafür sorgen, dass wir die Hocker [FDP] meldet sich zu einer Zwischen- Marktmacht der Amazons, Googles, Microsofts und der frage) SAPs gerade in einem extrem sensiblen Bereich wie der Ernährung der Menschen und der Reinhaltung der Le- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bensgrundlagen einschränken. Das wäre wirklich den Herr Kollege, Sie haben zu diesem Tagesordnungs- Schweiß der Edlen wert, und wir würden uns freuen, punkt schon gesprochen. wenn Sie sich daran beteiligen würden. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Der Redner (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hat es zugelassen!) der CDU/CSU) – Ich bitte wirklich um Verständnis: Keine Zwischenfra- Zum letzten Punkt. Da muss man schon tief durchat- gen mehr. men. Sie machen fünf Vorschläge, wie die Bundesregie- rung reagieren soll. Alle fünf Vorschläge bedeuten, jeg- Rainer Spiering (SPD): liche Verantwortung nach Europa zurückzuschicken, wohl wissend, dass Europa in seinem jetzigen Zustand Sie sprechen in Ihrem Beitrag von sachlichen Grund- überhaupt nicht dazu in der Lage ist, die Entscheidungen lagen. Ja, wir haben ein EuGH-Urteil, das Deutschland zu treffen, die Sie einfordern. Sie suggerieren den Men- ganz klar verurteilt. Wenn wir den Vorgaben des europä- schen: Schiebt das nach Europa weg, dann wird schon ischen Gesetzgebers nicht folgen, werden wir pro Tag (B) nichts passieren. – Wissen Sie, was Sie damit betreiben? (D) 850 000 Euro zahlen müssen. Sie müssen dann dafür ge- Stagnation einer modernen, jungen, effektiven Landwirt- radestehen, dass diese 850 000 Euro pro Tag nicht gezahlt schaft. Das finde ich unendlich schade. Wenn ein starkes werden. Das, was Sie hier vorbringen, hilft aber bei der Land wie Deutschland mit einer extrem starken Landwirt- Vermeidung dieser Strafzahlung von 850 000 Euro gar schaft Pflöcke einschlagen kann, dann muss es das tun. nicht. Und mit Ihren Vorschlägen verhindern Sie das auf eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für mich unangenehme Art und Weise. der CDU/CSU – Stephan Protschka [AfD]: Wa- Herzlichen Dank fürs Zuhören. rum? Weil die Regierung es verschwitzt hat, früher etwas zu machen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Frage der Digitalisierung, Kollege Hocker, hat des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mich wirklich umgetrieben. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Schön wäre es!) Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann. Egal was man am Ende der Betrachtung über diese Koali- tionäre sagen wird, eins wird man sagen und feststellen (Beifall bei der LINKEN) müssen: Diese Koalition hat die Digitalisierung vorange- trieben, mit Geldmitteln unterlegt, im Ministerium eine Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Stabsstelle geschaffen, und die funktioniert. Wir haben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- die Beteiligten an einen Tisch geholt, und wir versuchen be Gäste! Herzlich willkommen, Frau Ministerin. Mit etwas, was überhaupt noch nicht versucht worden ist. einem Satz, Frau Klöckner, haben Sie absolut recht: Ja, die Landwirtschaft ist systemrelevant. Sie haben das ge- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Weniger lassen ausgesprochen; aber der Satz hat es eigentlich in Versuche, mehr Gesetze! – Stephan Protschka sich, wenn man ihn wirklich zu Ende denkt. Denn er [AfD]: Sie versuchen seit sechs Jahren, zu re- bedeutet, dass die Beantwortung existenzieller Fragen gieren! Das wird nichts!) in der Landwirtschaft uns alle etwas angeht, zum Bei- Wir versuchen nämlich über eine staatlich finanzierte – spiel: Wem gehört das Land? Wer bewirtschaftet es und nicht eine staatlich dirigierte – IT-Plattform, eine Platt- wie? Kann man von dieser Arbeit leben? Was dürfen, was form zu schaffen, von der alle profitieren können, und müssen Lebensmittel vielleicht kosten? Und wer kann zwar unter dem Schutz ihrer Daten: Verbraucher, die sich eine gesunde Ernährung eigentlich noch leisten? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15017

Dr. Kirsten Tackmann (A) Oder anders ausgedrückt: So, wie heute landwirtschaft- (Beifall bei der LINKEN) (C) lich produziert wird, werden wir nicht nur heute, sondern Gemessen an diesem Anspruch ist der vorliegende An- auch morgen leben und möglicherweise auch leben müs- trag der FDP, sagen wir mal, unterkomplex. Er folgt einer sen, wenn wir nicht wirklich etwas ändern. simplen Logik: die gleichen Standards für alle, nämlich (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. die, die die FDP gut findet, möglichst viele Pflanzen- Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE schutzmittel, und man muss auf die Wissenschaft hören, GRÜNEN]) der auch die FDP glaubt. Aber die Systemrelevanz kann man auch umgekehrt Aber im Antrag ist auch nicht alles schlecht. Ja, natür- betrachten; denn die Landwirtschaft ist selbst Gefangene lich macht zum Beispiel eine weitere EU-Harmonisie- eines Systems, nicht nur des Ökosystems, sondern auch rung der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Sinn; denn eines Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Deshalb wenn solche bei uns wegen ökologischer oder gesund- stehen wir gemeinsam vor einer Weggabelung, an der heitlicher Gefahren verboten sind, können sie nicht in agrarpolitisch entschieden werden muss: Soll die Land- den anderen Mitgliedstaaten weiterhin erlaubt bleiben. wirtschaft weiter möglichst billig Waren produzieren für Das ist absurd. immer größere und mächtigere Schlachthof-, Molkerei- oder auch Lebensmittelkonzerne? Soll sie weiter deren (Beifall bei der LINKEN) Reichtum erarbeiten, auch zum Preis der Selbstausbeu- Aber wer den Agrarbetrieben wirklich helfen will, tung, auf Kosten der Natur und von uns allen, auch dann, muss anfangen, Landwirtschaft neu zu denken, und er wenn es mit Vollgas in die Sackgasse geht? Oder steigen muss sie vom Joch der Konzerne und Bodenspekulanten wir aus diesem System aus und wählen einen anderen befreien. Dann kann man sagen: Landwirtschaft ist sys- Weg, temrelevant. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. einen Weg, auf dem die Landwirtschaft möglichst wieder (Beifall bei der LINKEN) regionale Versorgerin ist, die das produziert, was wirklich gebraucht wird, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Entscheiden Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für Bündnis 90/Die Sie das, was gebraucht wird?) Grünen hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff. die klima- und naturschonend produzieren kann zu Erzeu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) gerpreisen und Standards, die nicht von Konzernen er- (D) presst, sondern demokratisch verhandelt und entschieden werden? Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Protesten am Dienstag bleibt oft Ratlosigkeit, Aber dazu braucht es eine mutige Agrarpolitik, die sich manchmal auch Wut bei den Bäuerinnen und Bauern, bei nicht zum Beispiel von Schlachthofkonzernen erpressen Verbraucherinnen und Verbrauchern, in den verantwort- lässt, sondern im Sinne des Staatsziels Tierschutz die lichen Ministerien. Was haben die Bäuerinnen und chirurgische Ferkelkastration endlich beendet, Bauern eigentlich falsch gemacht? Sie sind ihren Beratern (Beifall bei der LINKEN) gefolgt, Hochleistungstiere wurden gezüchtet, mit Soja aus Übersee gefüttert. Sie haben ihre Äckerbewirtschaf- die sich bei der Tierwohlkennzeichnung nicht von Super- tung intensiviert und Stallsysteme verbessert und in Tech- marktketten vor sich hertreiben lässt und dann auch noch nik investiert. Sie haben alle Schräubchen gedreht, man- merkwürdige Videos mit Nestlé dreht, die Probleme nicht che sogar überdreht, immer bestärkt vom Bauernverband so lange aussitzt, bis sie zur existenziellen Bedrohung für und von Unionspolitikern, die den knallharten Wettbe- Agrarbetriebe, Waldbesitzende und die Küstenfischerei werb auf dem Weltmarkt mit seinen Billigpreisen als gol- werden, die mit Weitblick Ursachen beseitigt und nicht dene Zukunft priesen. nur weiße Salbe auf Wunden schmiert. Eigentlich müssen wir darüber diskutieren, wie wir zu einem kooperativen Plötzlich aber ein Berg an Anforderungen: mehr Tier- Wirtschaftssystem kommen, in dem nicht nur Geld und wohl, weniger Umweltschäden, mehr Insektenschutz. Macht entscheiden. Anforderungen, die Sie von der Union seit 2005 wegge- schoben, ignoriert, vertagt haben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Auch Die Linke hat nichts gegen Wettbewerb, aber die Dieter Stier [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht Regeln müssen fair sein, und sie müssen diejenigen aufgepasst!) schützen, die für die gesamte Gesellschaft wichtige Leis- tungen erbringen, also zum Beispiel für eine faire Be- Die Bäuerinnen und Bauern verstehen die Welt nicht zahlung der Arbeit sorgen oder unsere natürlichen Le- mehr. Die Gesellschaft dagegen ist verunsichert und em- bensgrundlagen und das Klima schützen. Genau diese pört, weil sie auf einmal schlimme Details einer un- Schutzfunktion muss der Staat endlich wieder überneh- sichtbaren Tierhaltung sieht: die Kollateralschäden der men. Intensivierung, den Verlust der Artenvielfalt und die Ge- 15018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Friedrich Ostendorff (A) fährdung des Wassers. Das will die Gesellschaft nicht Es ist doch aber, Herr Hocker, gerade die Nichteinhaltung (C) weiter mittragen. der Wasserrahmenrichtlinie der EU, die die Verschärfung der Düngeverordnung notwendig macht. Genau das Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genteil ist der Fall. Die Menschen erfahren, dass Ferkel ohne Betäubung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kastriert werden, dass wenige Tage alte Kälber bis nach Spanien verfrachtet werden, dass Millionen von Tieren Bitte seien Sie doch etwas aufrichtiger; das hilft in der dahinvegetieren, dass ein Tierleben oft gar keinen Wert Debatte allen weiter. mehr hat. Aber auf Wurst, Fleisch und Eiern sind immer glückliche Tiere abgebildet. Die Marken heißen „Bauern- Die zuständigen Landwirtschaftsministerinnen und -- glück“ und „Wiesenhof“. Immer heißt es, alle Lebens- minister von CDU und CSU haben doch seit 2005 jeden mittel seien sicher und von hoher Qualität. Warum sollten Fortschritt verweigert Verbraucher sie nicht kaufen? Wie passt das alles zusam- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ja! Da men? Beenden Sie doch endlich diese irreführende Wer- haben Sie recht!) bung, Frau Ministerin! und sich davor gedrückt, politische Verantwortung zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übernehmen. In Ihren Reden klingen Sie oft so, Frau Die Ratlosigkeit darüber ist doch schon bis ins Kanz- Klöckner, als wären Sie schon in der Opposition. Sie leramt durchgedrungen. Kanzlerin Merkel scheint ja un- stimmen doch alle mit ein in den Protest: Politik, rede zufrieden zu sein, sodass sie sich des Themas selber an- mit uns! – Das ist doch eine sehr, sehr merkwürdige nimmt. Das ist ein schlechtes Arbeitszeugnis, denken wir. Form, mit sich selber zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Papperlapapp!) Diese Unzufriedenheit der Kanzlerin ist nachzuvollzie- hen. Statt Lösungen beruft Ministerin Klöckner übermor- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gen wahrscheinlich wieder den x-ten runden Tisch ein, um das x-te blumige Papier formulieren zu lassen. Aber Herr Kollege, denken Sie an die Zeit. es gibt in den Schubladen doch wahrlich genug Gutach- ten, Berichte und Empfehlungen. Wir wissen doch, was Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- los ist. Es muss endlich gehandelt werden. Das ist doch NEN): die Aufgabe der Zeit! Ich bin sofort fertig. – Jan Grossarth als Pressesprecher (B) (D) zu holen, zeigt doch Ihre große Not, Frau Ministerin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Machen Sie endlich Ihre Arbeit: Definieren Sie Ziele, Es ist zu billig, die Verantwortung je nach Lage immer wie die Landwirtschaft aussehen soll! Unterstützen Sie zwischen den gesellschaftlichen Gruppen hin und her zu den notwendigen Weg der Transformation mit entsprech- schieben. Der Unmut der Städter allgemein auf die Land- enden Mitteln! wirtschaft wird doch von Ihnen herbeigeredet. Bauern- höfe haben doch bei Städtern ein äußerst hohes Ansehen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ihre Redezeit Es ist das Maß der Industrialisierung, das die Menschen ist zu Ende!) zu Recht nicht mehr wollen. Das ist doch das Entschei- Wirklich: Kein Tier, kein Mensch braucht Ihre ambitions- dende und sollte die Debatte bestimmen. losen Reden und Ihre Ambitionslosigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP. Sie versprechen ein Weiter-so, wo es kein Weiter- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: so geben kann. Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Artur Auernhammer. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Haben Sie den Antrag gelesen? – Gegenruf des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU – Ingo Gädechens Stephan Protschka [AfD]: Nein!) [CDU/CSU]: Der bringt jetzt endlich Sachver- Sie, Herr Hocker, fordern einheitliche EU-Regeln gegen stand in die Debatte hier! – Britta Haßelmann Wettbewerbsverzerrung. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 14 Jahren Landwirtschaft bei der Union! – Gegenruf des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dieter Stier [CDU/CSU]: Und das ist gut Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ja! Und das so! Das ist sehr gut so!) ist ein Weiter-so? Wo gibt es denn einheitliche EU-Regeln? Wo ist das ein Weiter-so, Herr Artur Auernhammer (CDU/CSU): Kollege? Das ist ja lächerlich! Schnäbel wer- Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den gekürzt und Schwänze kupiert! Wo ist denn Kollegen! Ich gebe zu: Ich war Dienstagfrüh etwas in irgendwas einheitlich? Wer verzichtet denn al- Sorge. les auf Pflanzenschutz? Sie haben doch keine Ahnung!) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Etwas?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15019

Artur Auernhammer (A) Ich war in Sorge darüber, wie diese Demonstration am ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Dienstag abläuft: ob sie friedlich ist, ob alles gut geht. Ich NEN]: Schämen Sie sich, Herr Auernhammer, muss sagen: Ich war nach der Demonstration stolz auf für so was! – Weitere Zurufe vom BÜND- unsere Bäuerinnen und Bauern, wie das abgelaufen ist. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. in Schleswig-Holstein ist der Anteil der Ökobetriebe we- Stefan Keuter [AfD]) sentlich geringer als in Bayern. Also, irgendwo muss doch hier etwas verkehrt laufen. Ich weiß, dass die Grü- Wir haben Demonstrationen gesehen, die kultiviert abge- nen sich jetzt etwas darüber aufregen; aber das ist einfach laufen sind, wo kein Müll hinterlassen wurde. Wer sich so die Realität. manche Demonstration in Berlin anschaut, der weiß, dass es auch anders geht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn sich das Bundesumweltmi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nisterium und auch das Umweltbundesamt auf wissen- schaftliche Grundlagen berufen würden und sich nicht Deshalb sage ich noch mal: Ich bin stolz auf unsere deut- von Emotionen oder der Beratung durch NGOs leiten sche Landwirtschaft. lassen würden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zurzeit das Problem, dass sich die Landwirtschaft auf der neten der FDP – Friedrich Ostendorff [BÜND- einen Seite und die Gesellschaft auf der anderen Seite NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo macht das Um- vielleicht nicht mehr ganz so verstehen, wie wir es uns weltbundesamt das?) wünschen. Aber diesen Keil in die Gesellschaft treiben auch die einen oder anderen hier in diesem Haus. Sie Es ist ja nicht so, dass die Landwirtschaft keinen Bei- treiben diesen Keil zwischen Bauern und Gesellschaft trag dazu leisten will, ganz im Gegenteil. durch Polarisierung in Bezug auf die Probleme in der Landwirtschaft. Das dürfen wir ihnen nicht durchgehen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lassen, meine Damen und Herren. NEN]: 14 Jahre haben Sie die Verantwortung für das Ministerium!) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Landwirtschaft ist im Dialog. Gerade die junge Ge- Wir haben im Sommer über das Agrarpaket diskutiert. neration bei uns in der Landwirtschaft, die Landjugend, Schauen wir uns an, wie zum Beispiel das Bundesum- will mit den Verbrauchern und mit der Gesellschaft reden weltministerium mit den Problemen in der Landwirt- und sucht nach den besten Lösungen. Wer in der letzten (B) schaft umgeht: Wenn Mitarbeiter des Bundesumweltmi- Woche vielleicht die Verleihung des CeresAward hier in (D) nisteriums Äußerungen machen, die jenseits von Gut und Berlin verfolgt und sich die Betriebe angeschaut hat, wer Böse sind, und sagen, ein grünes Kreuz stehe für „Land- gesehen hat, welche Begeisterung in der Landwirtschaft wirtschaft ist der Tod unserer Natur und unserer Kultur- vorhanden ist, Landwirtschaft zu betreiben, Lebensmittel landschaft“, wenn NGOs, die im BMU ein und aus gehen, zu produzieren, Energie zu produzieren, im Dialog mit behaupten, die Landwirte seien Brunnenvergifter, Käfer- dem Verbraucher zu sein, der muss sagen: Die Landwirt- töter und Vogelschänder, schaft hat Zukunft. Das lassen wir uns nicht kaputtreden. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN]: Wer behauptet das? Das ist wieder Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihr Antrag so eine Auernhammer’sche Feststellung!) von der FDP ist ja wirklich gut gemeint, aber er ist etwas dann ist das keine Diskussionsgrundlage, um Brücken zu kurz gesprungen. Wenn wir angemessene Regelungen zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft zu bauen. finden wollen, dann brauchen wir auch differenzierte Lö- Wir müssen aber mehr Brücken bauen. sungen für die Landwirtschaft. Deshalb: Ihr Antrag ist mir viel zu unklar. Bitte gehen Sie hier mehr in die De- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tails, gerade bei der Düngeverordnung; ich sage nur: Ab- neten der FDP – Britta Haßelmann [BÜND- grenzung der roten und grünen Gebiete. Das bereitet uns NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal Butter bei in der Praxis draußen unwahrscheinlich viel Kopfzerbre- die Fische! Wer hat das gesagt? Weiß er näm- chen. Darüber müssen wir mehr nachdenken. Vor allem, lich nicht! Kann er niemanden nennen! – liebe Freunde von der FDP: Sie hatten die Chance. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das behauptet?) (Zuruf von der CDU/CSU: Vertan!) Deshalb: Wenn dann Gesprächsangebote von der Land- Sie hatten die Chance, Mitverantwortung zu übernehmen, wirtschaft an das Umweltministerium kommen und diese (Beifall der Abg. [CDU/ abgelehnt werden, dann habe ich dafür auch kein Ver- CSU]) ständnis. die Landwirtschaft in Deutschland zu gestalten, aber Sie Wer wissen will, wie „erfolgreiche“ grüne Agrarpolitik haben sich für das Nichtregieren entschieden, ausschaut, der soll mal nach Schleswig-Holstein schauen. In Schleswig-Holstein ist die Zahl der nitratbelasteten (Dr. [AfD]: Immer dassel- Grundwasserbrunnen wesentlich höher als in Bayern, be! – Zuruf des Abg. Stephan Protschka [AfD]) 15020 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Artur Auernhammer (A) und jetzt wollen Sie hier aus dem berechtigten Protest das steht, Herr Kollege! An welcher Stelle des (C) unserer Bäuerinnen und Bauern nur politisches, populis- Antrags ist das formuliert? Wo steht das denn?) tisches Kapital schlagen. Das lassen wir Ihnen nicht Wo ich schon bei wirr und weltfremd bin: Sie schreiben durchgehen. in Ihrem Antrag, „dass wissenschaftliche Argumente oft- Danke schön. mals in den Hintergrund geraten“. Erst mal herzlichen Glückwunsch zu dieser selbstbewussten Formulierung! (Beifall bei der CDU/CSU) Und zweitens muss man ja fragen: Was wollen Sie denn noch? Es gibt einen IPBES-Bericht, in dem Hunderte Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wissenschaftler die Grundlage für ein Aktionsprogramm Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Carsten Insektenschutz formuliert haben. Das stellen Sie komplett Träger. in Abrede. Ich warne Sie: Sie sind da ganz, ganz nah bei den Kollegen von rechts drüben. (Beifall bei der SPD) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ja, wenn Carsten Träger (SPD): nichts mehr hilft, dann kommt das!) Vielen Dank. – Herr Präsident! Kolleginnen und Kol- Wenn die keine Lösung für ein Problem haben, dann sa- legen! Frau Tackmann, Sie haben gesagt, an dem Antrag gen sie auch erst mal: Moment! Wir müssen erst mal der FDP sei nicht alles schlecht. Ich muss Ihnen wider- schauen, ob wir überhaupt ein Problem haben. sprechen. Das ist kompletter Müll, weil er nämlich in sich komplett widersprüchlich ist. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Nein! Wir sagen, wir wollen die Wissenschaft fragen! Das (Beifall der Abg. [SPD] und sagen die nie! Grober Unfug!) Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE Gehen Sie nicht auf diesen Pfad! Stellen Sie nicht das GRÜNEN] – Dr. Gero Clemens Hocker Problem in Abrede; denn wir haben Probleme! [FDP]: Da klatschen nicht mal die eigenen Leute! Das ist den eigenen Leuten peinlich!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das einzig Gute an diesem Antrag ist, dass man in dieser des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Debatte mal in Ruhe vor vollem Haus sagen kann, was die Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Wenn die SPD eigentlich will. Argumente ausgehen, dann wird alles in einen Topf geworfen! Das ist unerträglich! Unerträg- (Beifall bei der SPD) lich! Eine Frechheit ist das! Sie haben den An- (B) Die SPD will eine gute Förderung für unsere Landwir- trag noch nicht mal gelesen!) (D) te, weil wir sie in schwierigen Zeiten unterstützen müs- Die Wissenschaftler sagen uns: 25 Prozent der bedroh- sen. Wir wollen aber auch, dass unsere Landwirtschaft ten Arten werden aussterben. – Die Landwirtschaft ist da umweltfreundlicher wird, dass sie tierfreundlicher wird natürlich nicht allein die Verursacherin, aber niemand und dass es gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftig- wird in Abrede stellen, dass wir die Probleme haben, ten in der Landwirtschaft gibt. die der Kollege Ostendorff aufgezählt hat und die ich jetzt aus Mangel an Zeit nicht mehr alle wiederholen kann. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Und dass sie Geld verdienen!) (Beifall bei Abgeordneten des Deshalb wollen wir den Umbau der Agrarsubventionen; BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn durch die Art und Weise, wie die Agrarsubventionen Wir müssen das also angehen. Die Forderung nach ausgestaltet sind, fördern wir nur die Entwicklung hin zu europaeinheitlichen Regelungen ist nichts anderes als einer hochintensiven Landwirtschaft. Und wer da nicht die Flucht aus der Verantwortung. Wenn Sie Politik ge- mitmachen kann oder nicht mitmachen will, der bleibt stalten wollen, dann müssen Sie schon sagen, was Sie eben auf der Strecke. Das ist nicht ökologisch, das ist verändern wollen, und dann dürfen Sie nicht den Schwar- nicht ökonomisch, und das ist auch nicht gerecht. Des- zen Peter nach Europa schieben. wegen wollen wir das ändern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Wir sind da sehr klar: Wir wollen unsere Landwirte Ich könnte noch so viel sagen, aber meine Redezeit ist kräftig unterstützen, aber wir wollen das auf eine intelli- um. Eigentlich ist es dieser Antrag auch nicht wert, länger gente Art und Weise tun. Damit bin ich bei Ihrem Antrag, darüber zu reden. Schlimm genug, dass wir namentlich liebe Neoliberale. Die Nichtintelligenz geht ja schon da- darüber abstimmen müssen. mit los, dass Ihre ständigen Forderungen nach Subven- Vielen Dank. tionsabbau, nach einer Subventionsbremse, in komplet- tem Widerspruch dazu stehen, dass Sie jetzt auf einmal (Beifall bei der SPD) den Erhalt der Agrarsubventionen fordern. Sie müssen sich schon entscheiden: Was wollen Sie denn nun? Sagen Vizepräsidentin : Sie uns das doch mal! Vielen Dank, Kollege Träger. – Schönen Abend Ihnen (Beifall bei der SPD – Dr. Gero Clemens von mir! – Der letzte Redner in der Debatte vor der na- Hocker [FDP]: Sagen Sie mir mal bitte, wo mentlichen Abstimmung ist Herr Stier von der CDU/ Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) CSU-Fraktion. Es gilt wieder die Regel: Nehmen Sie für den Berufsstand mittlerweile die Zumutbarkeitsgren- (C) Platz, sonst lasse ich ihn gar nicht anfangen zu reden. – zen liegen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Wir sind noch in der Debatte, und ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, Platz zu nehmen. – Herr Stier, Sie ha- Die landwirtschaftlichen Betriebe sind trotz eigener ben jetzt das Wort. Veränderungsbereitschaft mit einer immer neuen Vielzahl weiterer Forderungen konfrontiert, deren Umsetzung in der Theorie zwar möglich erscheint, die im praktischen Dieter Stier (CDU/CSU): Alltag aber oft nicht mehr integrierbar sind. Wenn wir in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dieser zugespitzten Auseinandersetzung zu einer wirklich Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute fairen Debatte zurückkommen wollen, dann sollten wir einen FDP-Antrag, bei dem die Zukunft einer wettbe- uns im Vorfeld auf zwei grundlegende Dinge verständi- werbsfähigen Landwirtschaft in Europa im Mittelpunkt gen: stehen soll. Wer dieses Thema aufruft, der kommt nicht daran vorbei, sich die aktuelle Situation der landwirt- Erstens. Wir brauchen ein schnelles Ende der Diffa- schaftlichen Betriebe vor Augen zu führen. mierung der Landwirte. Unsere Landwirte brauchen An- erkennung statt Verachtung. Die Darstellung unserer Landwirtschaft in der öffent- lichen Debatte hat in unserer Wohlstandsgesellschaft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei mittlerweile einen gefährlichen Tiefpunkt erreicht. Ech- Abgeordneten der FDP) ten Seltenheitswert haben ausgewogene Darstellungen zu dieser Branche. Die Folgen sind dramatisch. Zweitens. Landwirtschaftsfremden Kritikern muss klar sein, dass Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe nicht (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Genau so endlos finanzielle Ressourcen haben, um jedes Jahr gran- ist es!) diose Stallumbauten, die sie übrigens meist gar nicht ge- nehmigt bekommen, finanzieren und jeweils die origi- Gespräche mit Schülerinnen und Schülern offenbaren nellsten Tierwohlvorstellungen umsetzen zu können. mir, dass gerade junge Menschen aus den urbanen Zent- ren unseres Landes teilweise ernsthaft überzeugt sind, Was heißt das nun konkret? Einmal vereinbarte ver- dass Bauern als kauzige Sonderlinge vom Dorf täglich besserte Standards – ob für das Tierwohl oder für den unser Grundwasser verseuchen und unschuldige Tiere Umweltschutz – müssen längerfristig Bestand haben quälen – und alles nur aus reiner Profitgier. Den Alltag und dann auch von allen Seiten als verbindlich akzeptiert eines Landwirtes kennt hingegen meistens keiner mehr. – werden. Das ist die Lage. Leider! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (D) der FDP) Die Betriebe brauchen Planungssicherheit. Es müssen die Die Medienberichterstattung tut ihr Übriges: Unterstel- Grundlagen ökonomischen Sachverstands Berücksichti- lungen statt Fakten, man beruft sich, um Objektivität zu gung finden, wenn sich echte Erfolge einstellen sollen. suggerieren, einseitig auf das Umweltbundesamt und auf einschlägige NGOs – diese sind übrigens in keiner Weise (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE demokratisch legitimiert – sowie deren vorgebliche un- GRÜNEN]: Ihr regiert!) abhängige Expertise. Noch einmal kurz zurück zum Antrag, der auf zwei- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was sagt einhalb Seiten eine Sachstandsbeschreibung, hingegen der Wissenschaftliche Beirat?) kaum neue Handlungsempfehlungen enthält: Ihre Forde- rung, die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu ver- Unter diesen Bedingungen stellt sich mir die Frage: bessern, erfüllen wir. Wie soll unsere moderne Landwirtschaft eine Zukunft haben, wenn viele Konsumenten nicht einmal mehr wis- Ich bin der Frau Bundeskanzlerin, die jetzt hier ist, sehr sen, wie Landwirtschaft heute aussieht und welchen ho- dankbar, dass sie die Landwirte zu einem Gespräch ein- hen Anforderungen sie bereits jetzt genügen muss? laden will, und ich glaube, dass wir diesen Dialog unbe- dingt weiterführen müssen. Ich denke, wir sollten auch Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, zu- schnellstens den neuen polnischen Agrarkommissar ken- nächst danke ich Ihnen für den vorliegenden Antrag, wel- nenlernen, um auch Verbesserungen auf europäischer chen wir heute auch mal nicht früh um 2 Uhr, sondern zu Ebene zu erreichen. bester Sendezeit beraten, der die Absicht hat, hier einiges geradezurücken, und der uns wieder in die seriöse Debat- te zurückführen kann. Vizepräsidentin Claudia Roth: Und Sie sollten bitte schnellstens zum Ende kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LIN- Dieter Stier (CDU/CSU): KE]: So ein Quatsch!) Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Außer- Alte Feindbilder bringen uns nicht weiter. Grüne Kreu- dem sollten wir die Chance nutzen, dass wir jetzt eine ze und die Proteste der Landwirte vor zwei Tagen – ich deutsche EU-Kommissionspräsidentin haben werden. denke an Magdeburg, Hannover, Bonn und auch hier an Dann ist mir um die deutsche Landwirtschaft auch nicht Berlin, um nur einige zu nennen – machen deutlich, wo bange. 15022 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Dieter Stier (A) Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (C) (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 19/13395 Vizepräsidentin Claudia Roth: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Vielen Dank, Herr Kollege Stier. – Damit schließe ich schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus- die Aussprache. schuss) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Drucksache 19/14416 Fraktion der FDP auf Drucksache 19/14343 mit dem Titel „Fachlich fundierte und europäisch einheitliche Rahmen- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des bedingungen für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- mit Zukunft“. Über den Antrag – das wissen Sie – stim- ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- men wir auf Verlangen der Fraktion der FDP namentlich geordneten , Susanne ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Ab- vorgesehenen Plätze neben den Abstimmungsboxen ein- geordneter und der Fraktion DIE LINKE zunehmen. – Wir sind komplett. Ich eröffne die Abstim- mung über den Antrag auf Drucksache 19/14343. Pflegelöhne auf Tarifniveau sofort refi- nanzieren Gibt es noch Kolleginnen oder Kollegen, die ihre Stim- me nicht abgegeben haben? – Es sieht nicht so aus. Dann Drucksachen 19/14023, 19/14416 schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer- Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- innen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. sprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gegeben.1) Ich bitte diejenigen Kollegen, die an der weiteren De- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin batte nicht teilnehmen wollen, den Saal jetzt zu verlassen für die SPD-Fraktion. oder sich hinzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Glocke der Präsidentin) CDU/CSU) Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, entweder Kerstin Tack (SPD): (B) Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen und die Ge- (D) spräche, bilaterale wichtige Gespräche, außerhalb zu füh- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und ren? Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pflege in Deutschland, das ist uns eine echte Unterstützung wert. Darf ich noch einmal darum bitten, auch die Landwirt- Wir sind froh und dankbar, dass diese Bundesregierung schaftskolleginnen und -kollegen, ihre interessanten Ge- sich wirklich richtig viel vorgenommen hat, wie auch spräche draußen fortzusetzen? schon in der letzten Koalition, und sich für die Pflege in Deutschland, für die Arbeit und die Tarifbindung, einset- Weil ich gerade von mehreren Kollegen danach gefragt zen und gute Rahmenbedingungen schaffen will, damit worden bin, will ich eine Ankündigung machen: Wir nä- Pflege attraktiv ist, damit Pflege ein Job, eine Arbeit ist, hern uns heute 1 Uhr morgens. Deswegen werde ich ab von der man leben kann, damit Pflege die Wertschätzung jetzt in Absprache mit den folgenden Kollegen und Kol- und Anerkennung bekommt, die ihr gebührt. Dafür setzen leginnen des Präsidiums keine Zwischenfragen und keine wir heute ein wichtiges Zeichen – ein guter Tag für die Kurzinterventionen zulassen. Pflege. (Beifall der Abg. [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das hat etwas mit der Verantwortung, vielleicht gar nicht der CDU/CSU) so sehr uns gegenüber, aber gegenüber den Mitarbeiter- innen und Mitarbeitern, den Assistenten, unseren wun- In der Konzertierten Aktion Pflege der Bundesregie- derbaren Protokollmenschen, zu tun. rung hat es zu ganz unterschiedlichen Bereichen der Pfle- ge Arbeitsformen und -beschlüsse gegeben. Vor einigen (Reinhard Houben [FDP]: Tagen hat die Familienministerin ihre große Kampagne „Protokollmenschen“?) zur Attraktivität des Pflegeberufes vorgestellt. Wir disku- tieren heute das Pflegelöhneverbesserungsgesetz, mit Also, keine Zwischenfragen und keine Kurzinterventio- dem wir die Rahmenbedingungen schaffen, dass Tarifver- nen! handlungen in der Pflege stattfinden und, wenn diese po- Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b sitiv zum Abschluss kommen – dafür drücken wir fest die auf: Daumen –, dieser Abschluss über das heute zu beschlie- ßende Gesetz von der Bundesregierung dann deutsch- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- landweit für verbindlich erklärt werden kann. Ich glaube, desregierung eingebrachten Entwurfs eines kaum eine andere Branche hat so sehr wie der Bereich der Pflege vernünftige Rahmenbedingungen und gute Löhne 1) Ergebnis Seite 15024 B verdient. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15023

Kerstin Tack (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen; denn es gebe einen angeblichen Fachkräftemangel, (C) der CDU/CSU und der LINKEN) also will man einen allgemeingültigen Tarifvertrag ab- Dass wir dieses wichtige Gesetz heute unverändert be- schließen. Aber da gibt es ein Problem: 80 Prozent der schließen werden – wie eingebracht so auch heute be- Arbeitgeber sind nicht tarifgebunden und 90 Prozent der schlossen –, verdanken wir der hervorragenden Vorarbeit Arbeitnehmer in keiner Gewerkschaft. Für Minister Heil des Bundesarbeitsministeriums. Lieber Hubertus, herzli- kein Problem, chen Dank für die gute Vorlage. (Lachen der Abg. Kerstin Tack [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) flugs gründet er einen Arbeitgeberzusammenschluss, der – Genau. Der Dank sei dir gegönnt. seine Ansichten teilt. Wir haben uns vorgenommen, uns für die Pflege in (Kerstin Tack [SPD]: Ein Minister, der einen Deutschland nicht nur bei der Frage der Tarife, sondern Arbeitgeberverband gründet!) auch bei den Rahmenbedingungen mächtig ins Zeug zu Dazu gibt es dann eine Mindestlohnkommission, in der legen. Wir – wer, wenn nicht wir? – müssen unsere Ver- die kirchlichen Arbeitgeber sitzen, die bereits ein eigenes antwortung wahrnehmen und in diesem wichtigen Be- Tarifwerk haben und somit von den Verhandlungsergeb- reich ein deutliches Signal des erklärten politischen Wil- nissen gar nicht betroffen sind. lens setzen, dass wir für gute Bedingungen in der Pflege sorgen werden. Mit dem heutigen Gesetz zu den Rahmen- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE bedingungen der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarif- GRÜNEN]: Was ist das für eine Theorie? So vertrages – sollte er vorgelegt werden – und zur Stärkung ein Quatsch!) der Pflegemindestlohnkommission setzen wir gute Anrei- Dem Ganzen setzt er dann die Krone auf, indem die mit- ze. verhandelnde Gewerkschaft, die keine 10 Prozent der Ich will an dieser Stelle noch einmal den Appell an Arbeitnehmer im Verhandlungsbereich repräsentiert, mit diejenigen richten, die noch nicht bereit sind, für gute zwei Sitzen in der Kommission vertreten ist. – Was für ein Tarifverträge einzustehen. Ich möchte insbesondere an mediales Echo würde das haben! Die Presse würde Zeter die Träger privater Einrichtungen appellieren, aber auch und Mordio schreien, und auch die Kunden; denn jede an die Wohlfahrt, die sich noch nicht zur Mitberatung Reparatur würde sich deutlich verteuern. erklärt hat, wirklich auch diese Chance zu nutzen, für (Beifall bei Abgeordneten der AfD) einen guten Tarifvertrag jetzt auch mit einzustehen, die Verhandlungen mit aufzunehmen, sich einzubringen, mit- Das, liebe Kollegen, hat mit sozialer Marktwirtschaft so (B) zumachen, nicht am Rand zu stehen, selber auch die eige- viel zu tun wie damals die DDR. (D) nen Vorstellungen von guten Rahmenbedingungen und guten Tarifen mitzuverhandeln. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Aber wir sind ja nicht im Bereich der Kfz-Werkstätten, In diesem Sinne drücke ich fest die Daumen für die sondern im Bereich der Pflege. bereits angefangenen Tarifverhandlungen und freue mich, dass wir mit guter Unterstützung in den nächsten Ob derartige Rechtsverdrehungen verfassungsgemäß Wochen und Monaten einen wirklich guten Tarifvertrag sind, lassen wir gerade prüfen. Unseres Erachtens sind bekommen, den wir mit großer Freude dann auch für all- die von Ihnen geplanten Änderungen bzw. Einschränkun- gemeinverbindlich für Deutschland erklären wollen. Das gen des § 5 des Tarifvertragsgesetzes, des § 7 des Arbeit- ist ein ganz wichtiger Tag heute für die Kolleginnen und nehmer-Entsendegesetzes nicht verfassungskonform. Kollegen, die in der Pflege richtig gute und gesellschaft- lich notwendige Arbeit leisten. (Beifall bei der AfD) Herzlichen Dank. Weiter lassen wir prüfen, ob durch Ihren Gesetzentwurf Artikel 9 Absatz 3, Artikel 12 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Artikel 20 Absatz 1 bis 3 des Grundgesetzes verletzt der CDU/CSU) werden. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Die haben die Vizepräsidentin Claudia Roth: wahrscheinlich alle gar nicht gelesen!) Vielen Dank, Kerstin Tack. – Nächster Redner für die Die kennen Sie wahrscheinlich gar nicht; anders kann ich AfD-Fraktion: . mir das nicht erklären. (Beifall bei der AfD) (Lachen bei Abgeordneten der SPD und dem Uwe Witt (AfD): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir kennen die Liebe Gäste des Hohen Hauses! Lassen Sie uns die jetzige Urteile des Verfassungsgerichts!) Situation einmal aus einem anderen Blickwinkel betrach- Widmen wir uns dem nächsten Fantasiegebilde des ten: Ersetzen wir den Bereich der Altenpflege einfach mal Ministers Heil: dem angeblichen Fachkräftemangel. Es durch den Bereich der Kfz-Werkstätten. Plötzlich wäre stellt sich die Frage, wieso Deutschland einen Fachkräf- Minister Heil der Meinung, dass die Arbeitnehmer im temangel haben soll und der Fachkräftemangel in Öster- Bereich der Kfz-Werkstätten viel zu wenig Geld verdie- reich und der Schweiz kaum ein Problem darstellt. 15024 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Uwe Witt (A) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Sollte Herr Heil sich mit seinen Plänen durchsetzen (C) GRÜNEN]: Weil dort die Löhne höher sind!) können, führt das dazu, dass einige Arbeitnehmer 10 bis Es stellt sich die Frage, warum das so ist. Schnell höre ich 20 Euro mehr in der Geldbörse haben, aber sich die Kos- das erste Murmeln: wegen der höheren Bezahlung. Nein, ten für die Pflege nach Schätzung der Deutschen Stiftung mitnichten, liebe Kollegen. Das Problem liegt bei uns, Patientenschutz um 5 Milliarden Euro erhöhen werden. und es ist hausgemacht. Tätigkeiten im Bereich der Alten- Diese 5 Milliarden Euro zahlen die Patienten und in vie- pflege, die in der Schweiz und in Österreich von Pflege- len Fällen letztendlich der Staat. Denn die Umsetzung des helfern erledigt werden, sind in Deutschland Sache der Gesetzentwurfes führt zu einer Kostenexplosion. Auch Fachkräfte. Tätigkeiten wie zum Beispiel das Anziehen diese Kostenexplosion wurde während der Anhörung von Strümpfen oder das Messen von Blutdruck und Puls durch Sachverständige mehrfach erwähnt und deutlich werden in Österreich und der Schweiz von Pflegehelfern kritisiert. Pflegeheimbewohnern droht eine Erhöhung übernommen. In Deutschland ist das Sache von Fachkräf- des Eigenanteils von bis zu 500 Euro monatlich. Fraglich ten. ist, ob diese Mehrausgaben von der Pflegeversicherung aufgefangen werden können oder ob hierbei eine teilwei- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE se Finanzierung aus Steuermitteln zwingend notwendig GRÜNEN]: Die Kompressionsstrümpfe haben werden wird. Sie vergessen! Wir reden hier nicht von So- cken!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Dazu kommt, dass die Fachkräfte ein Drittel ihrer Ar- Kommen Sie bitte zum Schluss. beitszeit mit administrativer Verwaltung, insbesondere mit Dokumentationstätigkeiten, verbringen; dies bestä- tigten am Montag auch die Sachverständigen. Gäbe es Uwe Witt (AfD): hier eine Zuordnung der Tätigkeiten wie in Österreich Frau, Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Wege zur und der Schweiz und würde Deutschland ähnlich wie in dauerhaften Lösung der hausgemachten Probleme in der Österreich und der Schweiz auch in diesem Bereich Ab- Pflege habe ich Ihnen in meiner letzten Rede und auch hilfe durch digitalisierte Vorgänge innerhalb der Doku- jetzt wieder aufgezeigt. Aber Sie haben es noch nicht mentation, Erhebung und Überwachung medizinischer einmal für nötig befunden, mit uns, der AfD, das Ge- Basisdaten schaffen, würde dies nicht nur eine erhebliche spräch zu suchen. Dieses Gesetz ist rechtlich nicht zu- Erleichterung darstellen, sondern wir hätten statt eines lässig und bedeutet einen eklatanten Eingriff in die sozia- Fachkräftemangels eher einen Fachkräfteüberschuss, le Marktwirtschaft. Daher lehnen wir den Gesetzentwurf der uns für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehn- ab. (B) te wappnen würde. Danke schön. (D) (Beifall bei der AfD – Kerstin Tack [SPD]: (Beifall bei der AfD – Norbert Kleinwächter Natürlich! – Kordula Schulz-Asche [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo leben Sie denn?) [AfD]: Sehr gute Rede!) Ich will hier nicht wieder thematisieren, dass Herr Heil Vizepräsidentin Claudia Roth: es seit Jahren nicht schafft, die 40 000 offenen Stellen in der Pflege – das entspricht übrigens einer Unterbesetzung Danke schön, Uwe Witt. – Bevor ich den nächsten von 2,5 Prozent in der Pflege – durch die zielgerichtete Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftfüh- Ausbildung aus dem Heer der knapp 3 Millionen Arbeits- rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na- suchenden zu besetzen. Liebe Kollegen, wehren Sie sich mentlichen Abstimmung bekannt – das war die nament- gegen das, was hier unter dem Deckmantel eines ange- liche Abstimmung über den Antrag der FDP „Fachlich blichen Pflegenotstandes versucht wird. Es soll ein mas- fundierte und europäisch einheitliche Rahmenbedingun- siver Eingriff in die soziale Marktwirtschaft vorgenom- gen für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft mit Zu- men werden. Die Verfassungswidrigkeit dieser kunft“ –: abgegebene Stimmkarten 592. Mit Ja haben Maßnahme ist offensichtlich. gestimmt 139. Mit Nein haben gestimmt 451 Kolleginnen und Kollegen. Es gab 2 Enthaltungen. Der Antrag ist ab- (Beifall bei der AfD) gelehnt.

Endgültiges Ergebnis Berengar Elsner von Gronow Abgegebene Stimmen: 592; Mariana Iris Harder-Kühnel davon Dr. Dr. ja: 139 Jürgen Braun nein: 451 Marcus Bühl Dr. Udo Theodor Hemmelgarn enthalten: 2 Matthias Büttner Dr. Götz Frömming Ja Dr. Alexander Gauland Dr. Heiko Heßenkemper AfD Dr. Nicole Höchst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15025

(A) Carl-Julius Cronenberg Dr. Astrid Grotelüschen (C) Dr. Britta Katharina Dassler Johannes Vogel (Olpe) Markus Grübel Leif-Erik Holm Bijan Djir-Sarai Christian Dürr Monika Grütters Dr. Fritz Güntzler Dr. Nein Stefan Keuter CDU/CSU Norbert Kleinwächter Jürgen Hardt Steffen Kotré Dr. Rainer Kraft Artur Auernhammer Rüdiger Lucassen Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Manuel Höferlin Thomas Bareiß Dr. Christoph Hoffmann Dr. Reinhard Houben (Chemnitz) Dr. Birgit Malsack- (Börde) Mark Helfrich Winkemann Dr. Dr. André Berghegger Volker Münz Dr. Sebastian Münzenmaier Alexander Hoffmann Jan Ralf Nolte Carina Konrad Tobias Matthias Peterka Paul Viktor Podolay Michael Brand (Fulda) Jürgen Pohl Dr. (B) Stephan Protschka Torbjörn Kartes (D) (Heilbronn) Roman Johannes Reusch Dr. Stefan Kaufmann Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Jürgen Martens Dr. Michael Kießling Alexander Müller Dr. Dr. Roman Müller-Böhm René Springer Frank Müller-Rosentritt Dr. Hansjörg Durz Dr. (Lausitz) Hermann Färber Carsten Körber Dr. Alexander Krauß Dr. Christian Wirth Dr. Axel E. Fischer (Karlsruhe- Uwe Witt Christian Sauter Land) Rüdiger Kruse Frank Schäffler FDP Dr. Dr. Dr. Roy Kühne Matthias Seestern-Pauly Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers (Hof) Andreas G. Lämmel Christine Aschenberg- Hans-Joachim Fuchtel Ulrich Lange Dugnus Bettina Stark-Watzinger Ingo Gädechens Dr. Silke Launert Nicole Bauer Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann Dr. Dr. (Rhein-Neckar) Dr. Ursula Groden-Kranich Dr. (Südpfalz) Hermann Gröhe Dr. Klaus-Dieter Gröhler Dr. Michael Grosse-Brömer Dr. 15026 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Dr. Elisabeth Winkelmeier- Johannes Kahrs (C) Nikolas Löbel Patrick Schnieder Becker Nadine Schön Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Dr. Thomas de Maizière (Weil am SPD Dr. Bärbel Kofler Rhein) -Emre Dr. Ingrid Arndt-Brauer Christian Lange (Backnang) Dr. (Altötting) Dr. Dr. Kirsten Lühmann Dr. Dr. Isabel Mackensen Jan Metzler Björn Simon Sören Bartol Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Bärbel Bas Michelbach Dr. (Heidelberg) Dr. Karsten Möring Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Axel Müller (Rostock) Martin Burkert Siemtje Möller Sepp Müller Dr. Dr. Rolf Mützenich Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten (Braunschweig) Dr. Dieter Stier Ulli Nissen Stefan Müller (Erlangen) Dr. Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Georg Nüßlein Dr. (B) (D) Dr. Florian Oßner Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Hans-Jürgen Thies Dr. Ingrid Pahlmann Dr. Dr. Dr. René Röspel Dr. Dr. Dr. Christoph Ploß Dr. Volker Ullrich Angelika Glöckner Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel (Kleinsaara) Michael Groß Dr. Marianne Schieder Alois Rainer Rita Hagl-Kehl Dr. Dr. Johann David Wadephul Dr. (Peine) (Aachen) (Wetzlar) Johannes Röring Albert H. Weiler Dr. Norbert Röttgen Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) (Spandau) Gabriele Hiller-Ohm Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Eva Högl Bettina Margarethe Rita Schwarzelühr-Sutter Wiesmann Rainer Spiering Klaus-Peter Willsch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15027

(A) Martina Stamm-Fibich Heike Hänsel (C) Sonja Amalie Steffen Matthias Höhn Pia Zimmermann Dr. Dr. Kerstin Tack BÜNDNIS 90/ Claudia Müller Dr. DIE GRÜNEN Beate Müller-Gemmeke Dr. Markus Töns Dr. Carsten Träger Dr. Friedrich Ostendorff Marja-Liisa Völlers Cem Özdemir Dirk Vöpel Ekin Deligöz Katja Dörner Claudia Roth (Augsburg) Gülistan Yüksel Dr. Gesine Lötzsch Harald Ebner Dr. Dagmar Ziegler Corinna Rüffer Dr. Jens Zimmermann Cornelia Möhring Dr. DIE LINKE Stefan Schmidt Norbert Müller (Potsdam) Britta Haßelmann Kordula Schulz-Asche Zaklin Nastic Gökay Akbulut Dr. Bettina Hoffmann Dr. Alexander S. Neu Dr. Dr. Dr. Lorenz Gösta Beutin Matthias W. Birkwald Tobias Pflüger Dr. Kirsten Kappert- Beate Walter-Rosenheimer Gonther Jörg Cezanne Eva-Maria Schreiber (B) Sevim Dağdelen Dr. Sven-Christian Kindler Fraktionslos (D) Helin Maria Klein-Schmeink Marco Bülow Dr. Sylvia Kotting-Uhl Anke Domscheit-Berg Oliver Krischer Enthalten Dr. Kirsten Tackmann Christian Kühn (Tübingen) Markus Kurth AfD Andreas Wagner Martin Hebner Dr. André Hahn Sven Lehmann

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Nächster Redner: Peter Weiß für die CDU/CSU-Frak- Es ist in der Vergangenheit nun mal Tradition in un- tion. serem Land gewesen, dass die Menschen in sozialen und pflegerischen Berufen eher schlechter bezahlt wurden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden sie immer noch!) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Damit muss endgültig Schluss sein. legen! Es geht nicht um Automaten. Es geht nicht um (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Roboter. Es geht in der Pflege um ganz konkrete Men- der SPD) schen. Und vor allen Dingen: Es geht um menschliche Zuwendungen, die keine Maschine ersetzen kann. Des- Diejenigen, die in der Pflege arbeiten, bedürfen der An- wegen ist Pflege etwas ganz Besonderes. erkennung und der Wertschätzung, und dazu gehört auch eine gute Bezahlung der Pflegekräfte in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Kordula Schulz- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15028 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Nur dann werden wir übrigens auch junge Menschen fin- auch einen Anspruch darauf, dass sie bei den Verhandlun- (C) den, die sich neu für diesen Beruf entscheiden, und wir gen über die Entgelte berücksichtigt werden. werden mehr von ihnen brauchen. (Marianne Schieder [SPD]: Jawoll!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetz- entwurf, den wir heute verabschieden, erhöhen wir nicht Wir haben gerade für die Privatgewerblichen, die sich den Lohn; aber wir schaffen die Voraussetzungen dafür, zurzeit ja noch ein bisschen schwer damit tun, mitzuma- dass gute Löhne in der Pflege geschaffen werden können. chen, ausdrücklich in den Entwurf hineingeschrieben, Es ist als Parlament und als Politik, finde ich, unsere ver- dass bei diesen Verhandlungen auch das unternehmer- dammte Pflicht, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass ische Risiko mit abzubilden ist, sprich: Wer Tarife ver- die Sozialpartner gute Löhne miteinander aushandeln. handelt, wer anständige Tarife anwendet, hat nach den Darum geht es heute. heute geltenden Gesetzen, die wir geschaffen haben, auch einen Anspruch darauf, dass entsprechend refinanziert (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wird. Von daher ist die Refinanzierungsfrage klar und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE eindeutig geregelt und kann in den Verhandlungen auch GRÜNEN) entsprechend geltend gemacht werden. Wir haben bereits das Instrument der Pflegemindest- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem lohnkommission – acht Personen, vier Arbeitgeber- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vier Arbeitnehmervertreter –, die in der Vergangenheit bereits Mindestlöhne für die Pflegehilfskräfte festgelegt Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommt der hat. Diese Kommission soll jetzt dauerhaft, zunächst für Sprech auf: Wenn wir jetzt den Pflegekräften mehr bezah- fünf Jahre und dann erneut, berufen werden. Ihr Abstim- len, dann kostet die Pflege mehr. – Entschuldigung, es ist mungsverfahren soll vereinfacht werden. Meine sehr ge- doch geradezu pervers, die gute Bezahlung von Pflege- ehrten Damen und Herren, ich finde, die Pflegemindest- kräften gegen die Kosten, die entstehen, auszuspielen. lohnkommission hat bislang gute Arbeit geleistet, und ich Sollen wir denn Pflege in Deutschland dadurch billiger bin der Überzeugung, dass sie auch in Zukunft gute Ar- machen, dass wir die Leute schlecht bezahlen? Das ist beit leisten wird. doch irrsinnig! Wir schaffen außerdem die Voraussetzungen dafür, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – dass dann, wenn Arbeitgeberverbände und Gewerkschaf- Norbert Kleinwächter [AfD]: Aber nicht zu ten einen Tarifvertrag zur Pflegeentlohnung verhandelt den Preisen, die da abgerufen werden! Wie sol- haben, dieser nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz len das normale Familien bezahlen?) für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer dem Prinzip (D) (Marianne Schieder [SPD]: Das ist gut! Weil einer sozialen Marktwirtschaft folgt, der muss sich die- wir einen guten Minister haben!) sem Gesetz auch voll und ganz verpflichtet fühlen. Die Verehrte Kolleginnen Kollegen, bevor jetzt hier noch Tarife legen nicht wir Abgeordnete fest, sondern die wer- irgendetwas Falsches aufkommt: Das Bundesverfas- den in freien Verhandlungen zwischen Gewerkschaften sungsgericht hat das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aus- und Arbeitgeberverbänden gefunden. Aber wir bieten drücklich für verfassungskonform erklärt, und auf dieser ihnen eine Chance, sie als allgemeinverbindlich zu erklä- Basis verabschieden wir diesen Gesetzentwurf. ren. Es ist daher meine herzliche Bitte von hier aus: Ar- beitgeberverbände in der Pflege, Gewerkschaften, nehmt (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem eure Verantwortung wahr! Verhandelt gute Tarife! Ihr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) habt es in der Hand, dieses Gesetz mit Leben zu erfüllen. In der Tat: Die kirchlichen Träger Caritas und Diakonie Darum bitte ich herzlich; denn die Pflege hat mehr Aner- haben eigene Tarifwerke, die von anderen Tarifverhand- kennung, Wertschätzung und bessere Löhne verdient. lungen nicht erfasst sind, und deswegen haben wir eine, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem finde ich, intelligente Mitbeteiligung ins Gesetz hinein- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geschrieben. So was Intelligentes, wie da zur Beteiligung von Caritas und Diakonie drinsteht, muss erst mal jemand erfinden. Ich finde, es ist eine tolle Lösung, die wir ins Vizepräsidentin Claudia Roth: Gesetz hineingeschrieben haben. Vielen Dank, Peter Weiß. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Carl-Julius Cronenberg. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Weil wir so einen (Beifall bei der FDP) guten Minister haben!) Nun wird natürlich zu Recht gefragt: Ja, wie sieht es Carl-Julius Cronenberg (FDP): mit der Refinanzierung aus? Verehrte Kolleginnen und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, das haben wir auch schon geregelt. Wir haben Kollegen! Lassen Sie mich anknüpfen an die Kurzinter- in das Pflegeversicherungsgesetz ausdrücklich hineinge- vention der geschätzten Kollegin Baehrens nach der Rede schrieben und in das Krankenversicherungsrecht, was die von Nicole Westig in der vorletzten Sitzungswoche. Frau häusliche Krankenpflege anbelangt, erst vor Kurzem neu Baehrens, Sie haben gefragt, wie es zu rechtfertigen sei, hineingeschrieben: Wer seinen Mitarbeiterinnen und Mit- dass wir die Pflege – ich zitiere – „weiterhin dem freien arbeitern in der Pflege tarifgemäße Löhne bezahlt, der hat Markt überlassen“. Ich darf daran erinnern, dass wir in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15029

Carl-Julius Cronenberg (A) Deutschland eben keinen freien Markt haben, sondern Nur unter Zuhilfenahme der kirchlichen Träger, die später (C) eine soziale Marktwirtschaft, nicht betroffen sein werden, schafft man gerade einmal die Hälfte. Das ist zu wenig für ein staatlich verordnetes (Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Lohnkartell. und zwar eine außerordentlich erfolgreiche. (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) (Beifall bei der FDP) Dabei sind die Löhne in der Pflege in den letzten Jahren Genau aus diesem Grund setzen wir Standards bei Lohn, kräftig gestiegen, jedenfalls stärker als die Tariflöhne. Arbeit und Qualität. Das ist gut und richtig so. Wenn Sie Fachkräfte werden dringend gesucht und mitunter mit nun den Eindruck erwecken wollen, es ginge in der Pflege Kopfprämien abgeworben. Wenn jetzt Verdi in der Anhö- zu wie im Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts, rung diesen Überbietungswettbewerb als Humbug be- dann tun Sie Tausenden von privaten Pflegeanbietern un- zeichnet, dann frage ich mich: Mit welcher Sachkunde recht. will Verdi trotz des geringen Organisationsgrads in der Pflege für die gesamte Branche verhandeln? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Sie leben (Beifall bei der FDP) schon in dieser Welt?) Da fehlt schlicht und ergreifend das Verständnis für be- Deren Arbeit verdient genauso viel Respekt und Wert- triebliche Realität. schätzung wie die der Wohlfahrt oder der kirchlichen Träger, und am Ende wissen Sie das auch. Kollege Weiß hat gesagt: Am Ende werden sich alle Anbieter dem Tarifvertrag anschließen. – Das werden wir Die dienstälteren Kolleginnen und Kollegen mögen dann ja sehen. Aber selbst wenn: Das ist überhaupt nicht sich erinnern, dass mein Vater, Dieter-Julius Cronenberg, die entscheidende Frage. Vielmehr geht es darum, wie vor fast auf den Tag genau 26 Jahren bei der Einführung sich die Pflegeanbieter, insbesondere die privaten, in Zu- der Pflegeversicherung auf die Folgen des demografi- kunft verhalten werden. Wie viel werden sie investieren schen Wandels und die damit verbundenen Risiken hin- in die Erhaltung und vor allem in die Ausweitung der gewiesen hat. Damals ging es darum, circa 1 Million Pfle- Pflegekapazitäten? Schon jetzt fehlt es überall an Betten gebedürftige zu versorgen. Heute sind es mehr als und Einrichtungen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ titelte 3,5 Millionen. Das dieser Anstieg überhaupt bewältigt völlig zu Recht vor einigen Tagen: „… sehenden Auges werden konnte, war und ist eine großartige gesamtgesell- in den Pflegenotstand“. Trotz massiver Kritik weigern Sie schaftliche Leistung, an der die privaten Pflegeanbieter, (B) sich weiter, zu erklären, wer die Mehrkosten in Höhe von (D) besonders kleine und mittlere, einen wesentlichen Anteil 1,5 bis 5 Milliarden Euro übernehmen soll: der Beitrags- haben. zahler, der Steuerzahler oder am Ende die Pflegebedürf- tigen durch höhere Zuzahlung? Darüber schweigen Sie (Beifall bei der FDP – Marianne Schieder sich aus. Allein deshalb werden wir den Gesetzentwurf [SPD]: Alle! Die anderen auch!) ablehnen. Vor Ort wird mir das im persönlichen Gespräch auch be- stätigt, zuletzt in den Einrichtungen kirchlicher Träger. (Beifall bei der FDP) Die Versorgung ohne die privaten Pflegeanbieter ist nicht Ihr Gesetz mag kurzfristig Beifall einbringen. Lang- möglich. fristig höhlen Sie Tarifautonomie und Subsidiarität aus Nun wünschen wir uns alle eine höhere Tarifbindung und gefährden damit die zukünftige Versorgung. Wenn im Pflegesektor. notwendige Investitionen in mehr Heime und Plätze aus- bleiben, erweisen Sie als Erstes Pflegebedürftigen und (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht ihren Familien einen Bärendienst. nur da! Überall!) (Marianne Schieder [SPD]: Das kann nicht Als Freie Demokraten sagen wir: Tarifbindung, ja gern. zulasten des Pflegepersonals gehen!) Staatlich verordnete Allgemeinverbindlichkeit aus politi- schen Motiven, nein. – Da ist der Dissens. Wir Freie Demokraten fordern Sie auf: Entlasten Sie Pfle- gerinnen und Pfleger von Bürokratie! Verkürzen Sie Ge- (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald nehmigungsverfahren! Geben Sie Gas bei der Fachkräf- [DIE LINKE]: In der Tat! – Marianne Schieder tezuwanderung! Dann sind wir dabei. [SPD]: Also doch keine festen Löhne!) Die Freien Demokraten stehen zu den hohen Hürden an Vielen Dank. die Allgemeinverbindlichkeit, insbesondere an die Reprä- (Beifall bei der FDP) sentativität des zugrundeliegenden Tarifvertrags. Genau das ist hier nicht der Fall. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Carl-Julius Cronenberg. – Nächste Red- GRÜNEN]: Das können Sie doch gar nicht wis- nerin: für die Fraktion Die Linke Pia Zimmermann. sen! Sie kennen doch noch gar nicht den Tarif- vertrag!) (Beifall bei der LINKEN) 15030 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Pia Zimmermann (DIE LINKE): sorgungsauftrag und ans Pflegebett. Da, wo zwischen (C) Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Menschen mit Pflegebedarf und professionellen Pflege- Herren! Beschäftigte in der Altenpflege machen einen kräften ein vertrauensvolles Miteinander nötig ist, spielen verantwortungsvollen Job, der wichtig ist für unsere Ge- Sie die Interessen gegeneinander aus. Das ist unredlich sellschaft; da sind wir uns alle einig. Beschäftigte in der und unsozial. Altenpflege werden aber skandalös niedrig bezahlt und brauchen dringend deutlich höhere Löhne. (Beifall bei der LINKEN) So verspielen Sie nicht nur das Vertrauen der Menschen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mit Pflegebedarf, sondern auch das Vertrauen der Pflege- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kräfte. Diese Menschen wissen ganz genau, wie das Sys- Eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit im Auf- tem funktioniert, und sie durchschauen, dass Sie untätig trag unserer Fraktion, der Fraktion Die Linke, hat erge- bleiben, obwohl Vorschläge zur Refinanzierung auf dem ben, dass knapp zwei Drittel der vollzeitbeschäftigten Tisch liegen. Altenpflegehelferinnen und -helfer in Deutschland weni- Mit unserem Antrag „Pflegelöhne auf Tarifniveau so- ger als 2 203 Euro brutto im Monat verdienen. Das ist die fort refinanzieren“ haben wir die Möglichkeit der sofor- Niedriglohnschwelle. Sogar bei den Fachkräften rackerte tigen Refinanzierung auf den Tisch gepackt. Das Geld für sich im letzten Jahr jede Siebte für diesen Niedriglohn ab. bessere Löhne in der Altenpflege ist doch da. Das Geld Wir sind uns einig, dass die Löhne in der Altenpflege wird nur falsch verteilt. steigen müssen, und es ist gut und richtig, dass dies über (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wie Tarifverhandlungen passieren soll und Sie einen Weg er- immer!) möglichen, ein Tarifergebnis für allgemeinverbindlich zu erklären. Dafür vielen Dank! Der Handlungsdruck ist riesig, und die Bundesregierung lässt im Pflegevorsorgefonds fast 7 Milliarden Euro un- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- genutzt liegen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Um es noch einmal klar zu sagen: Wir wollen tarifliche Das große Problem ist nicht, was Sie hier vorlegen, Herr Bezahlung für alle in der Pflege Beschäftigten, und zwar Arbeitsminister Heil. Das große Problem ist, was die Re- schon viel länger als Sie. Aber wir können diesem Ge- gierung nicht vorlegt. Die Basis Ihres Gesetzes, die Re- setzentwurf nicht zustimmen, weil er nicht zu Ende ge- finanzierung höherer Löhne, fehlt. An der Stelle duckt dacht ist, weil er den Menschen mit Pflegebedarf nimmt, sich die Bundesregierung weg. Sie bieten da keine kon- was er den Pflegekräften sichern will, weil er keine Fi- zertierte Aktion mit dem Gesundheitsminister. Das ist (B) nanzgrundlage hat. So geht das nicht, meine Damen und (D) unverantwortlich. Das ist regelrechte Arbeitsverweige- Herren. Pflege muss mehr wert sein. Nehmen Sie das bitte rung der Bundesregierung, meine Damen und Herren. endlich zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Immer nur einen ersten halben Schritt zu machen, reicht eben einfach nicht. Machen Sie doch endlich auch Vizepräsidentin Claudia Roth: einmal einen guten zweiten und einen guten dritten Vielen Dank, Pia Zimmermann. – Nächste Rednerin: Schritt. Sie reden erst gar nicht über die Refinanzierung für Bündnis 90/Die Grünen Beate Müller-Gemmeke. der Lohnsteigerungen. Im jetzigen System bedeutet das aber, dass Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rigen über Eigenanteile noch mehr zur Kasse gebeten werden, weil sie eben genau diese Lohnsteigerungen zah- Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len müssen. Unisono sagen mittlerweile alle Parteien, NEN): dass die Eigenanteile in der Altenpflege zu hoch sind; Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi- da sind wir uns auch wieder einig. nister! Kolleginnen und Kollegen! In der Anhörung am Montag hat ein Vertreter der privaten Pflegeeinrichtungen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. davon gesprochen, dass wir doch darauf achten müssten, Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE dass die Pflegebranche weiterhin attraktiv bleibt für den GRÜNEN]) Wettbewerb, für Wagniskapital und für die Rendite von Wir reden uns seit Jahren den Mund fusselig zu diesem privaten Unternehmen. Das hat mich doch sehr irritiert, Thema. Endlich ist es auch bei Ihnen angekommen. End- zumal ich einige private Pflegeeinrichtungen kenne, die lich! Das nutzt aber gar nichts, wenn das nicht in konkrete das so nicht unterschreiben würden. Bei dem Gesetzent- und gute Politik mündet. Eine Debatte über höhere Löhne wurf heute geht es nicht um Rendite und Wagniskapital, in der Altenpflege in diesem Parlament ohne eine andere sondern um die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte; Finanzierung der Pflegeversicherung ist verantwortungs- denn die Pflege muss aufgewertet werden und nicht für los. Das sind keine getrennten Diskussionen, sondern das Wagniskapital, sondern für die Beschäftigten attrakti- zwei Seiten einer Medaille. ver werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie stellen sich dieser notwendigen Debatte hier im Die Pflege ist eine wertvolle Arbeit von Menschen für Haus nicht, sondern verlagern dieses Problem in den Ver- Menschen. Deshalb haben die Pflegekräfte mehr als nur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15031

Beate Müller-Gemmeke (A) einen Pflegemindestlohn verdient. Ein Tarifvertrag be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (C) deutet nicht nur höhere Löhne, sondern eröffnet vor allem wie bei Abgeordneten der LINKEN – auch die Möglichkeit, die Löhne in Stufen breit und an- Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wenn er gemessen zu regeln. Das entspricht dieser anspruchsvol- keinen hat, kann er auch keinen liefern!) len Tätigkeit und wäre vor allem auch gerecht. – Er muss trotzdem endlich liefern. Er hätte ja schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- etwas vorlegen können. wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Das ändert aber nichts daran, dass wir die Pflege auf- SPD) werten wollen. Die Pflegekräfte haben bessere Löhne Wenn ein Tarifvertrag in der Pflegebranche dann auch verdient. Deshalb stimmen wir dem Gesetz aus voller noch allgemeinverbindlich erklärt werden kann, schafft Überzeugung zu. das gleiche Spielregeln für alle. Aber genau das war im Vielen Dank. Arbeitnehmer-Entsendegesetz rechtlich bisher nicht möglich, weil es in dieser Branche parallel Tarifautono- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- mie und kirchliches Selbstbestimmungsrecht gibt. Beides wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der wird jetzt mit dem neuen Verfahren der Tariflösung kom- SPD) biniert. Das Verfahren wird den Anliegen der Kirchen gerecht; das haben die kirchlichen Sachverständigen in Vizepräsidentin Claudia Roth: der Anhörung bestätigt. Gleiches gilt für die Tarifvert- Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke. – Nächster ragsparteien, zumindest für diejenigen, die überhaupt ei- Redner: Dr. Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Frak- nen Tarifvertrag verhandeln würden. Aus unserer Sicht ist tion. das Verfahren nicht nur gut, sondern auch rechtskonform. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf auch zustim- (Beifall bei der CDU/CSU) men. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der par- lamentarische Tagesablauf hat es gefügt, dass wir die Nachdem ich die Anhörung erlebt habe, möchte ich Debatte und die Verabschiedung des Gesetzes in den wiederholen, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt Abendstunden durchführen, mit wenig Hoffnung auf eine habe: Verdi und die Kirchen haben sich gemeinsam an große öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist schade; denn einen Tisch gesetzt und lange miteinander geredet und (B) das Thema hat eine große gesamtgesellschaftliche Bedeu- (D) auch gerungen, mit dem Ziel, bessere Löhne auf den tung. Lassen Sie es mich so formulieren: Jeder hier kennt Weg zu bringen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Und jeden Das rechne ich beiden, den Kirchen und Verdi, hoch an; von uns kann das Schicksal ereilen, später selbst einmal denn nur deshalb ist das Gesetz heute überhaupt möglich. auf Pflege angewiesen zu sein. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der AfD werden dann froh sein, wenn eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- liebevolle Pflegekraft, vielleicht auch mit Migrationshin- wie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. tergrund, die Verrichtungen des Alltags erleichtert oder Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) erst einmal ermöglicht und auch klaglos jene braunen Kritik habe ich noch immer an Gesundheitsminister Ausscheidungen beseitigt, die der Würde mitunter im . Erstens. Eine gute Bezahlung ist wichtig, Wege sind. aber gleichzeitig müssen auch die Arbeitsbedingungen (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN der Pflegekräfte verbessert werden. Statt Personalunter- sowie bei Abgeordneten der SPD und des grenzen brauchen wir unbedingt eine realistische Perso- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nalbemessung. Meine Damen und Herren, die Pflege hat etwas mit der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Würde des Menschen zu tun. Thomas Noetzel hat in ei- nem Aufsatz unlängst geschrieben, dass sich das Grund- Die Pflegekräfte brauchen endlich genügend Zeit für die recht auf Pflege als normative Reproduktionsbedingung pflegebedürftigen Menschen, und zwar ohne Stress und von Gesellschaftlichkeit und personaler Würde am ehes- Hektik. ten aus dem Anerkennungsverhältnis der Bürger unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einander ableiten lässt. Das bedeutet dann aber auch sowie der Abg. Susanne Ferschl [DIE LINKE]) zwingend, dass man die Erfüllungsbedingungen der Pfle- ge in den Blick zu nehmen hat. Eine menschenwürdige Zweitens. Tarifliche Bezahlung bedeutet höhere Kos- Pflege erfolgt dort nicht, wo ich den Menschen nur als ten. Diese Kosten tragen aktuell die Pflegebedürftigen Objekt, als Bearbeitungsvorgang, als Fall wahrnehme. oder deren Angehörige. Genau das darf nicht sein. Des- Deshalb müssen wir auch die Bedingungen betrachten, halb haben wir das Konzept der doppelten Pflegegarantie denen diejenigen unterworfen sind, die Pflege als Beruf entwickelt, mit dem die Eigenanteile sofort gesenkt betreiben. Ich habe da zunächst den Verdacht, dass Pflege und dauerhaft gedeckelt werden sollen. Bundesminister als ein geschuldetes menschenwürdiges Anerkennungs- Spahn aber hat überhaupt keinen Plan, und den muss er verhältnis, als eine Form des Grundrechts, mit Prozessen endlich liefern. nur schwer vereinbar ist, die primär auf den Profit abzie- 15032 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Dr. Matthias Zimmer (A) len. Deswegen leuchtet mir auch nicht unmittelbar ein, Heike Baehrens (SPD): (C) worin der Vorteil privater Träger liegen soll. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Heute, in dieser Debat- (Beifall bei der LINKEN sowie bei te, scheiden sich die Geister. Die Pflege ist seit Mitte der Abgeordneten der SPD) 90er-Jahre dem Wettbewerb ausgesetzt. Das hat genau zu dem geführt, was heute der Fall ist: Wir haben einen Nachdenklich machen sollte, meine Damen und Her- Preiskampf, Personaleinsparungen und Arbeitsverdich- ren, dass der Medianlohn der Pflegenden unterhalb des tung. All das ist für das Personal unerträglich. Median aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt. Das ist vor allem in der Altenpflege der Fall. For- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mulieren wir es etwas drastischer: Die Nachhilfelehrer DIE GRÜNEN) unserer Kinder werden mitunter besser bezahlt als die 25 Jahre Wettbewerb in der Pflege zeigen: Im Bereich der Pfleger unserer Eltern. Das mag für jemanden, der auch Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger in un- im Generationenverhältnis zwischen investiven und kon- serem Land richtet es der Markt eben nicht. sumtiven Ausgaben trennt, nachvollziehbar und richtig sein. Aus dem Blickfeld der menschlichen Würde heraus (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ist aber Pflege nie eine konsumtive Ausgabe. Es ist ein Investment in unser Selbstverständnis, und das lautet: Vielmehr hat er dazu geführt, dass wir in Deutschland bei Würde kann nie konsumiert werden. gleicher Qualifikation regionale Gehaltsunterschiede in der Altenpflege von bis zu 800 Euro im Monat haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Damit macht man das Ansehen der Pflegeberufe in die- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sem Land kaputt. Deshalb braucht es ordentliche tarif- liche Rahmenbedingungen. Mit dem Gesetz, das heute im Entwurf vorliegt, ermög- lichen wir die leichtere Erstreckung von Tarifverträgen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ im Pflegelohnbereich auf Grundlage des Arbeitnehmer- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Entsendegesetzes. Davon können Pflegekräfte profitie- CDU/CSU) ren, aber auch diejenigen, die gepflegt werden. Vielleicht In dieser Debatte war von massiven Eingriffen in die hilft es auch, die prognostizierte Versorgungslücke im soziale Marktwirtschaft die Rede. Das Gegenteil ist der Pflegebereich zu verkleinern. Nach jetzigem Stand be- Fall. trägt diese bis 2030 um die 500 000 Arbeitskräfte. Eine gute, eine faire Bezahlung kann der erste Schritt sein, den (Lachen des Abg. Martin Reichardt [AfD]) (B) Beruf auch attraktiver zu machen. Eine kleine Bemer- (D) kung zu Herrn Witt muss ich mir erlauben: Pflegende sind Tarifverträge sind das Markenzeichen deutscher Arbeits- keine Kfz-Mechaniker, marktpolitik. Sie sind der Garant für wirtschaftliche Sta- bilität, für die Anerkennung von Leistung und für die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem obwohl der eine oder andere froh wäre, so gut bezahlt zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden. Deshalb ist der Tarifvertrag in der Pflege der Königsweg für mehr Attraktivität der Pflegeberufe. Wir wollen gute Wir alle wollen ein langes und möglichst selbstbes- Qualität in der Pflege. Wir brauchen gute Standards und timmtes Leben führen. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht nur Mindestmaß. Nur in einem Tarifvertrag können nicht. In einer älter werdenden Gesellschaft mit absehbar Regelungen für alle Beschäftigten in der Pflege getroffen mehr Pflegefällen müssen wir Wege finden, selbstbes- werden; denn auch die Hauswirtschaft, die Alltagsbe- timmtes Leben zu unterstützen, ohne den Einzelnen dabei treuer und die Hilfskräfte sind wichtig. Wir brauchen finanziell zu überfordern oder die Gemeinschaft über Ge- dringend insgesamt mehr Personal in der Pflege. bühr zu belasten. Und gleichzeitig müssen wir dies tun unter Anerkennung der besonderen und schwierigen Auf- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem gaben, denen sich Pflegekräfte gegenüber sehen. Ja, es ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- schade, dass wir die Debatte so spät führen. Die gesamt- ordneten der LINKEN) gesellschaftliche Aufgabe hätte auch ein wenig mehr ge- Bereits 80 Prozent der öffentlichen und freigemein- sellschaftliche Aufmerksamkeit verdient. nützigen Anbieter in der Pflege sind heute schon tarifge- bunden. Das gilt auch – Herr Cronenberg, nur zu Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Kenntnis – für 15 Prozent der Privatanbieter. Viele inha- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bergeführte Kleinbetriebe in der Pflege warten nur da- rauf, eine Leitwährung für die Bezahlung ihrer Mitarbei- Vizepräsidentin Claudia Roth: terinnen und Mitarbeiter zu bekommen, zum Beispiel, Vielen Dank, Dr. Matthias Zimmer. – Nächste Redne- damit sie für die schwierigen Verhandlungen mit den rin: für die SPD-Fraktion Heike Baehrens. Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern besser gewapp- net sind. Deshalb brauchen wir jetzt dringend einen Tarif- (Beifall bei der SPD) vertrag. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15033

Heike Baehrens (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald GRÜNEN) [DIE LINKE]) Wir müssen uns ehrlich machen: Altenpflege ist nicht In der Anhörung wurde gesagt, das sei gegen die unter- nur eine extrem wichtige, sondern auch eine extrem nehmerische Freiheit. Ich komme aus dem Schwaben- schwierige Aufgabe. Sie ist körperlich anstrengend und land. Im Schwabenland wissen Unternehmerinnen und kann seelisch sehr belastend sein. Wer Pflege wirklich gut Unternehmer ganz genau, dass Freiheit auch bedeutet, machen möchte, sollte es aus Berufung, aus Leidenschaft, unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen, mit Herz und Verstand machen. Unsere Altenpflegerin- nen und -pfleger arbeiten oft für zwei und weit über das (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: hinaus, was man erwarten kann. Der Mangel an Pflege- Sehr richtig!) fachkräften ist nicht erfunden. Längst gibt es viel zu we- nige helfende Hände und immer mehr Menschen, die sich einzusetzen, die Freiheit dafür zu nutzen, verantwor- Pflege und Hilfe brauchen. Bei der Pflege geht es nicht tungsvoll ein Unternehmen zu führen, für gute Qualität um unternehmerische Freiheit, erst recht nicht in erster eben auch die Mitarbeiter zu schulen, auszubilden und sie Linie, sondern um die Menschen. ordentlich zu bezahlen. Das ist notwendig. Wir müssen alles tun, damit das Ansehen der Pflege und der Pflege- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- berufe steigt und wir endlich gute und verlässliche Tarif- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE bedingungen bekommen. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deshalb gilt meine Hochachtung all jenen, die sich für DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der diesen Beruf entscheiden und diesen Beruf ausüben. Wir CDU/CSU) brauchen sie mehr denn je. Gewinne dürfen nicht durch schlechte Bezahlung der Wir hier im Parlament müssen die Frage beantworten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege erwirt- wie wir die Situation der Pflegekräfte nachhaltig verbes- schaftet werden. Flächendeckende Tarifverträge und bun- sern können, wie wir mehr Frauen und Männer in diesen desweit verbindliche Personalschlüssel sind ein Mittel Beruf bringen, der ja unwahrscheinlich viel an Mensch- gegen die Finanzspekulationen in der Pflege, gegen die lichkeit zurückgibt. Eine Möglichkeit ist natürlich, für wir uns dringend wenden müssen. bessere Löhne zu sorgen und den Beruf dadurch attrakti- ver zu machen. (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr Personal wäre auch was!) Ich komme zum Schluss. Teile der Opposition wollen – Mehr Personal wäre auch was. Da haben Sie recht. unter dem Paradigma der unternehmerischen Freiheit weiterhin schlechte Lohnstrukturen in der Pflege zulas- (Beifall bei Abgeordneten des sen. Wir als SPD ermöglichen eine gute Tarifbezahlung in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Pflege. Damit stärken wir die Pflegeprofession und stehen wir für das sozialstaatliche Versprechen einer gu- Aber wir gehen immerhin einen ersten Schritt. ten und würdevollen Pflege in unserem Land ein. Die Altenpflege ist im Verhältnis zu anderen Pflegebe- rufen immer noch hintendran. Und wir brauchen uns Vielen Dank. nichts vorzumachen: Bei der Berufswahl ist das Gehalt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten natürlich mit entscheidend. Mit dem Gesetz möchten wir der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE heute den Grundstein dafür legen, dass sich die Bezah- GRÜNEN) lung in der Pflegebranche verbessert. Über die Wege zu diesem Ziel, zu Tariflöhnen, haben meine Vorredner be- reits gesprochen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heike Baehrens. – Letzte Rednerin in Das Gesetz soll neben dem Lohnaspekt auch Beschlüs- dieser Debatte: Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/ se der Pflegekommission über bessere Arbeitsbedingun- CSU-Fraktion. gen erleichtern. Die Kommission hat bereits mehrmals einen Mindestlohn festgelegt und ihre Funktionsfähigkeit (Beifall bei der CDU/CSU) bewiesen. Sie gilt es zu sichern und zu stärken. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur wir in Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): der Bundespolitik sind gefragt, wenn es darum geht, die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zukunft der Pflege mitzugestalten. Der Freistaat Bayern Natürlich werden wir mit dem Gesetz, das hier im Ent- geht mit gutem Beispiel voran. wurf vorliegt, nicht alle Herausforderungen der Pflege bewältigen, aber es ist ein ganz wesentlicher Baustein (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) für eine attraktivere Altenpflege. Weitere müssen folgen. – Ja, so ist es, Kollege Birkwald. – Erst im vergangenen Aber heute ist mit Sicherheit ein guter Tag für die Pflege Monat hat Bayern ein Aktionsprogramm gegen den Fach- unserer älteren Menschen. kräftemangel und für mehr Fachkräfte in der Altenpflege 15034 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Dr. Astrid Freudenstein (A) aufgelegt. Geplant sind unter anderem Werbekampagnen bei Zustimmung der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und (C) zur Nachwuchsgewinnung, die zeigen: Ja, es gibt auch Bündnis 90/Die Grünen, Gegenstimmen von der Fraktion unendlich viele schöne Seiten an dem Beruf. – Es soll ein der FDP und der Fraktion der AfD und Enthaltungen der IT-Programm eingeführt werden, das die Einsätze im Linken mit zwei Ausnahmen, bei denen für uns das Rahmen der Pflegeausbildung koordiniert. Eine Ombuds- Stimmverhalten nicht zu klären war. person für die Auszubildenden in der Pflege soll helfen, dass die Auszubildenden ihre Ausbildung auch erfolg- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und reich abschließen. Die Hospiz- und Palliativversorgung Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem in stationären Einrichtungen soll gestärkt werden, um die Titel „Pflegelöhne auf Tarifniveau sofort refinanzieren“. Pflegekräfte zu entlasten. Ferner soll – das ist für die Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Ballungszentren besonders wichtig – eine spezielle Woh- schlussempfehlung auf Drucksache 19/14416, den An- nungsvermittlung den Menschen in Sozial- und Pflege- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/14023 berufen dabei helfen, günstigen Wohnraum zu finden. abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Das ist ein ganz wichtiger und wesentlicher Punkt. lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion Die Linke, und ent- – Applaus für die Bayern. halten haben sich Bündnis 90/Die Grünen. Solche Maßnahmen für unsere Pflegerinnen und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: Pfleger sollten auch in anderen Bundesländern beschlos- sen werden. Dann könnte das Gesetz, das wir heute ver- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten abschieden, noch mehr Wirkung entfalten. Und genau das Nicole Gohlke, Caren Lay, Dr. Petra Sitte, wollen wir doch erreichen: bessere Bedingungen für die weiterer Abgeordneter und der Fraktion Pflegebranche. Deutschland wird älter; wir alle werden DIE LINKE älter. Auch wenn wir es uns nicht wünschen: Viele von uns werden im Alter auf Pflege angewiesen sein. Lassen Für einen Hochschulsozialpakt – 50 000 Sie uns deshalb gemeinsam etwas für bessere Bedingun- neue Wohnheimplätze für Studierende gen für unsere Pflegerinnen und Pfleger tun. Drucksache 19/14154

Ich danke Ihnen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nen (f) (B) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- (D) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zung (f) GRÜNEN) Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Vizepräsidentin Claudia Roth: Gehring, Christian Kühn (Tübingen), Beate Vielen Dank, Dr. Astrid Freudenstein. – Damit schließe Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter ich die Aussprache. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf für bessere Offensive für bezahlbaren Wohnraum für Löhne in der Pflege. Der Ausschuss für Arbeit und So- Studierende ziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 19/14416, den Gesetzentwurf der Drucksache 19/13551 Bundesregierung auf Drucksache 19/13395 in der Aus- Überweisungsvorschlag: schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- nen (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- len, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer zung (f) enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- Federführung strittig nen der SPD, der CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der FDP und der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die AfD. Enthalten hat sich die Fraktion Die Linke. Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Dritte Beratung Ich warte, bis die Kolleginnen und Kollegen Platz ge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nommen haben, bevor ich die erste Rednerin aufrufe. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Diejenigen, die nicht an der Debatte teilnehmen wollen, Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- mögen die Gespräche bitte draußen weiterführen. entwurf ist angenommen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Nicole (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Gohlke für die Fraktion Die Linke. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15035

(A) Nicole Gohlke (DIE LINKE): samten Wohnungsmarkt für Entspannung sorgen. Davon (C) Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Letzte hätten alle etwas, die auf bezahlbaren Wohnraum ange- Woche hat an den Unis und an den Hochschulen das neue wiesen sind. Die letzten Jahre zeigen aber, dass die Semester begonnen, und ein altbekanntes Drama wieder- Bundesländer die nötigen Mittel für den Neubau und holt sich: In den meisten Hochschulstädten ist nämlich den Erhalt der Studentenwohnheime oft nicht haben oder Wohnraum akute Mangelware, und die Preise für studen- nicht bereitstellen. Ich will nur kurz erwähnen: Löbliche tisches Wohnen haben wieder – wieder! – neue Höchst- Ausnahmen in den letzten Jahren waren übrigens Länder stände erreicht. In München kostet ein WG-Zimmer jetzt mit linken Regierungen oder Regierungsbeteiligungen, im Schnitt 650 Euro. zum Beispiel Thüringen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: (Beifall bei der LINKEN – Karsten Möring Unglaublich!) [CDU/CSU]: Und Berlin!) In Berlin ist die Angebotsmiete binnen eines Jahres von Es reicht nicht mehr aus, wenn die Bundesregierung 420 auf 480 Euro geklettert. Im bundesweiten Schnitt darauf verweist, dass die Länder Geld aus dem Fonds für werden knapp 400 Euro verlangt. Das liegt alles ganz die soziale Wohnraumförderung für studentischen Wohn- deutlich über dem Satz, den das BAföG fürs Wohnen raum einsetzen dürfen. Ich sage: Wer konkret und mess- vorsieht. Man muss einfach sagen: Die Suche nach be- bar den Bestand an Wohnheimen ausbauen und erhalten zahlbarer Unterkunft ist für Studierende zur größten fi- will, muss direkt und in Zusammenarbeit mit den Trägern nanziellen und auch logistischen Herausforderung ge- investieren. Wir wollen, dass der Bund aktiv wird und ein worden. Das ist ein peinlicher und vor allem ein völlig eigenes Programm für den Erhalt und die Schaffung von überflüssiger Zustand. Deswegen kann ich an die Adresse neuem studentischen Wohnraum auflegt, dass 50 000 der Bundesregierung nur sagen: Schaffen Sie endlich Ab- neue Wohnheimplätze geschaffen werden und dass auch hilfe! die Liegenschaften des Bundes dafür zur Verfügung ge- (Beifall bei der LINKEN und dem stellt werden. Die Linke fordert einen Hochschulsozial- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pakt. Die Studierendenwerke, in deren Verantwortung die (Beifall bei der LINKEN) Studentenwohnheime liegen, bemühen sich nach Kräften, neuen und mehr Wohnraum zu schaffen, aber sie werden Rechtlich ist das möglich. Finanziell wäre das eine von dieser Regierung damit alleine gelassen. Die Bundes- sinnvolle Investition, die sich im Übrigen jahrzehntelang regierung hat es in den letzten Jahren, in denen es einen so auszahlen wird. Die Studierenden und die Mieterinnen und Mieter hätten es auf jeden Fall verdient. (B) großen Ansturm auf die Unis gegeben hat, nicht ge- (D) schafft, sich um die soziale Infrastruktur an den Hoch- Vielen Dank. schulen zu kümmern. Wir haben heute mit einer Unter- bringungsquote in den Wohnheimen von unter 10 Prozent (Beifall bei der LINKEN und dem den niedrigsten Stand seit der deutschen Wiedervereini- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gung. Das hat auch diese Bundesregierung zu verantwor- ten. Derzeit stehen rund 30 000 Erstsemester auf den Wartelisten für einen Unterbringungsplatz, allein in Mün- Vizepräsidentin Claudia Roth: chen sind es 13 000. Das Deutsche Studentenwerk wirbt Vielen Dank, Nicole Gohlke. – Nächste Rednerin: für für Unterstützung mit dem Slogan „Kopf braucht Dach“. die CDU/CSU Fraktion Emmi Zeulner. Man fragt sich: Was ist an dieser Botschaft so schwer zu (Beifall bei der CDU/CSU) verstehen? Warum kommt das bei Union und SPD nicht an? Kommen Sie bitte endlich in die Pötte! Emmi Zeulner (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann in dieser Woche keine Rede zum Die Wohnungskrise, der schlimme Mangel an bezahl- Thema Wohnen und Bau halten, ohne den Berliner Mie- barem Wohnraum, hat auch wegen der halbherzigen Po- tendeckel zu erwähnen. litik der Bundesregierung einen großen Gewinner, näm- lich die Vermieter- und die Immobilienlobby, die sich mit (Beifall bei der LINKEN) den explodierenden Mieten eine goldene Nase verdienen. Die Mieterinnen und Mieter müssen das bezahlen. Sie Ich halte ihn für grundfalsch, nicht wirklich sozial und bin bezahlen jedes Jahr mehr für dieselbe Ware, nämlich für fest davon überzeugt, dass er unsere Probleme gerade in das Dach über dem Kopf. Das ist eine ungeheure Unge- den Großstädten nicht lösen wird. rechtigkeit, besonders für diejenigen, die ohnehin über (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wenig Geld verfügen. Fangen Sie endlich an, für diese Menschen Politik zu machen! Im Gegenteil: Die Probleme werden sich eher verstärken. Die Stadt Berlin wächst jährlich im Minimum um 40 000 (Beifall bei der LINKEN und dem Menschen. Wie man da mehr Wohnraum schaffen will, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn man sich gleichzeitig in eine Debatte begibt, die Wenn das Angebot an bezahlbaren Unterkünften für Investitionen in den Wohnungsbau verhindert, erschließt Studierende ausgeweitet würde, würde das auf dem ge- sich mir nicht, und ich finde es grob fahrlässig, das zu tun. 15036 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Emmi Zeulner (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn – Wir kümmern uns auch. – Wir haben durch die Grund- (C) [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gesetzänderung im April dieses Jahres die Möglichkeit Das gilt doch nicht für Neubau!) geschaffen, die Länder weiterhin bei der sozialen Wohn- raumförderung finanziell zu unterstützen und werden dies Man hat den Eindruck, Sie wollen auf Biegen und Bre- 2020 und 2021 mit jeweils 1 Milliarde Euro tun. Zudem chen die unbedingte Dankbarkeit der Berliner für die laufen aktuell die Verhandlungen zwischen Bund und scheinbare Lösung eines Problems, das Sie selbst ver- Ländern zur Verwaltungsvereinbarung für die soziale schuldet haben. Und weil die Enteignung nicht klappt, Wohnraumförderung, und hierbei wirkt der Bund darauf denn dann müsste ja der Verkehrswert der Wohnungen hin, dass auch der Wohnbedarf von Studenten beim An- gezahlt werden, und den kann sich die Stadt Berlin nicht satz der Bundesfinanzhilfen berücksichtigt werden soll. leisten, unternimmt man jetzt einen Zwischenschritt und Ich persönlich befürworte das sehr, da Plätze in Studen- deckelt die Mieten und drückt somit den Wert der Immo- tenwohnheimen nicht irgendwann aus der Bindung fallen bilien. Dann klappt’s auch kostengünstiger mit der Ent- und zweckgebunden von Studenten bewohnt werden eignung, könnte man meinen. Das ist aber nicht meine müssen. Wir haben hier also ein Instrument, das den Län- Vorstellung einer sozialen Marktwirtschaft, in der wir dern helfen wird, mehr Wohnraum für Studenten zu selbstverständlich die sozial Schwächeren schützen, aber schaffen. gleichzeitig erlauben, dass Werte geschaffen werden. Durchgeführt wird der Bau und Betrieb von Studenten- Es macht mich einfach nur fassungslos, mit welcher wohnheimen zum großen Teil von den Studentenwerken – Selbstverständlichkeit hier manche – nicht alle, aber man- aktuell liegt der Anteil bei 85 Prozent -, die ich hier ex- che – Vertreter der in Berlin regierenden Parteien am plizit für ihre tolle Arbeit loben möchte. Doch entschei- Rednerpult stehen und suggerieren: Sie sind die Guten dend ist die Zusammenarbeit mit den Ländern vor Ort. und moralisch Überlegenen. Aber die Fakten sprechen Auch hier ist der Freistaat Bayern Taktgeber mit dem eine andere Sprache. CSU-geführten Bauministerium unter unserem Staatsmi- nister Dr. Hans Reichhart. In Bayern fördern wir zum (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mora- einen jeden geschaffenen Studentenwohnheimplatz mit lisch überlegen, weiß ich nicht, aber wir sind 32 000 Euro. Das ist die höchste Förderung unter den die Guten!) Ländern; Baden-Württemberg beispielsweise gibt für je- Beispielsweise wurde von 2006 bis 2011 in Berlin unter den Platz 8 000 Euro. Wir haben in Bayern eine Wohn- einer rot-roten Regierung nicht eine neue Sozialwohnung platzquote von 10 Prozent, und das trotz des großen Zu- gebaut, und das sind unter anderem die Wohnungen, die wachses an Studenten, gerade auch in München. heute fehlen. (B) (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Bayern, Bayern, (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bayern!) Nun stellen Sie als Linke und Grüne passend zum Se- – Ja, Bayern. Dort stehen wir als CSU in Verantwortung. mesterstart Anträge, die zu mehr Wohnraum für Studen- Sie stehen in Berlin in Verantwortung. Tun Sie was, dass ten führen sollen. Sie die Probleme in Ihrem Land lösen! (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – DIE GRÜNEN]: Das ist leider notwendig!) Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Sie sind besten- falls Mittelfeld! Nehmen Sie mal das Ranking Der Grund für den knappen Wohnraum auch für Studen- zur Kenntnis!) ten, ist unter anderem der Anstieg der Studierendenzahlen in den letzten Jahren, und das führt logischerweise in Zum anderen tut Bayern etwas beim Bauland. Hier einigen Hochschulstädten zu großen Engpässen beim ver- versteht sich unser Wissenschaftsminister als erster Lob- fügbaren Wohnraum. Der entscheidende Punkt, was die byist der Studentenwerke bei den Kommunen, die für die Verantwortlichkeiten angeht – das wird hier einfach ver- Vergabe von Bauland zuständig sind und die Studenten- schwiegen –, ist aber, dass die soziale Wohnraumförde- werke nicht immer auf dem Schirm haben. Ich kann auch rung, unter die auch der Bau von Studentenwohnheimen hier die Kollegen nur ermutigen, es uns in ihren Ländern fällt, in der Verantwortung der Länder liegt. gleichzutun. Das gilt auch für die Flächen der Deutschen Bahn AG Dennoch verschließen wir hier natürlich nicht unsere und aus dem Bundeseisenbahnvermögen. Wir haben im Augen, und wenn ich lese, dass zum Beispiel in Bamberg Rahmen der Baulandkommission darüber diskutiert, was für Studenten Feldbetten aufgestellt werden müssen, ist wir mit diesen Flächen machen wollen. Wir unterstützen das für mich nicht akzeptabel und zufriedenstellend. die Einführung einer Verbilligungsrichtlinie, analog zur (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BImA-Verbilligungsrichtlinie. Zusammen mit der vom Und was machen Sie dagegen?) Bundesumweltministerium vorgeschlagenen Experimen- tierklausel zum Lärmschutz, über die ebenfalls in der Wir vonseiten des Bundes liefern in diesem Bereich. Baulandkommission diskutiert wurde, können hier wei- tere Potenziale für den Bau auch von Studentenwohnhei- (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: men entwickelt werden, Sie sind doch an der Regierung! Kümmern Sie sich darum! – Weiterer Zuruf vom BÜND- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, dann NIS 90/DIE GRÜNEN: Peinlich!) machen Sie es halt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15037

Emmi Zeulner (A) zum Beispiel im Umfeld der Infrastruktur des Münchner der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Zusammenhang (C) Hauptbahnhofes. mit den Wohnheimplätzen für Studenten lassen immer wieder dieselbe Struktur erkennen: Die Auswirkungen Neben diesen Maßnahmen, die in Teilen schon umge- einer ideologiegetriebenen Politik sollen mit erheblichen setzt oder eben in der Mache sind, sehe ich noch zwei Steuermitteln repariert werden. – Ich empfehle beiden weitere Felder, auf denen wir tätig werden können und die Fraktionen, sich vielleicht auch einmal mit markwirt- angespannte Lage für die Studenten verbessern können: schaftlichen Aspekten von Angebot und Nachfrage aus- Erstens. Ich glaube, dass wir, um schnell zu mehr einanderzusetzen. Vielleicht sollte man sich vom Kennt- Wohnraum zu kommen, vorhandene Ressourcen nutzen nisstand Lenins mit seinem Zitat: „Die Lehre von Marx müssen. Im Rahmen des Programms „Wohnen für Hilfe“ ist allmächtig, weil sie wahr ist“, einfach einmal lösen. wird genau dieses Thema schon adressiert. Ich halte das (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, für eine sehr lobenswerte Initiative, die inzwischen von ist das billig!) vielen Studentenwerken aufgegriffen wurde. Hier können Studenten für eine stark vergünstigte Miete bei älteren Geschichte entwickelt sich nämlich weiter. Menschen, aber auch bei Familien in einem Zimmer woh- Und nun im Detail. Wir haben eine katastrophale, völ- nen. Im Gegenzug zur günstigen Miete bieten die Studen- lig verfehlte Bildungspolitik vorliegen, die bisher immer ten Hilfeleistungen und Erledigungen, zum Beispiel Gar- das Ziel verfolgt hat, möglichst viele Schüler zum Abitur tenarbeiten, Wohnungsputz oder auch Einkäufe, an. Hier und damit auch zum Studium zu bringen. So hat sich die wird also die Solidarität zwischen den Generationen be- Studienanfängerquote von 35,6 Prozent im Jahr 2006 auf wusst gelebt. Wir müssen uns dringend die Frage stellen: 60 Prozent im Jahr 2014 erhöht. Man entzieht dem erfolg- Reicht dieses Instrument aus? Ich meine, nein. Wir müs- reichen dualen Bildungssystem auch die Substanz, wenn sen dazu ins Gespräch kommen und gerade solche Instru- man der Ideologie „Alle sind gleich“ folgt, statt dem be- mente, durch die bereits bestehende Wohnräume nutzbar rechtigten Ansatz „Alle sollten ähnliche oder gleiche gemacht werden können, weiter ausbauen. Chancen haben“ zu folgen. Zweitens liegt für mich ein Teil der Lösung im länd- (Beifall bei der AfD) lichen Raum. Statt immer weitere Lehrstühle und Fakul- täten an bestehende Hochschulen anzugliedern und somit Das Ziel, möglichst viele zum Abitur zu bringen, er- den Druck auf die Hochschulstädte zu erhöhen, halte ich reicht man durch ein Absenken des Bildungsniveaus, wo- es hier wie unser früherer bayerischer Ministerpräsident mit die rot-grüne Ideologie Erfahrung hat, und heutiger Bundesbauminister, der sich in Bayern sehr (Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje!) um dieses Thema verdient gemacht hat, indem er eine (B) klare Dezentralisierungsstrategie verfolgt hat. Hierzu ge- wie Sie einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2016 über (D) hört nicht nur die Verlagerung von Instituten oder Behör- den Bildungsstand in den verschiedenen Bundesländern den in den ländlichen Raum, sondern auch die Errichtung entnehmen können. Da schlagen sich die rot-grün regier- von Hochschulen und Lehrstühlen. Dies hat mehrere Vor- ten Länder immer um die Spitzenabstiegsplätze, also Bre- teile: Es werden nicht nur bestehende Hochschulstandorte men, Berlin, Nordrhein-Westfalen usw. entlastet, sondern zugleich setzen wir hiermit gezielt (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nord- Wachstumsimpulse in den ländlichen Räumen. – Wir rhein-Westfalen ist von CDU und FDP regiert, müssen die Dinge miteinander denken. leider!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da, wo Sie kurzfristig an die Macht gekommen sind, In den ländlichen Räumen gibt es aber nicht so in Baden-Württemberg, wird ein Artikel überschrieben viele Unis!) mit: Baden-Württemberg schmiert ab. Ich kann Großstadt nicht ohne ländlichen Raum denken Aber nun sind all diese Studierwilligen, aber nicht un- oder umgekehrt. bedingt Studierfähigen nun einmal da und erzeugen die- Lassen Sie uns im Gespräch bleiben, um Lösungen für sen Nachfrageüberhang. Hier sollen wieder Milliarden das Problem der Wohnungsnot in den Städten zu finden. ausgegeben werden, wobei das Instrument völlig untaug- lich ist. Vielen Dank. (Ulli Nissen [SPD]: Auch Auszubildende (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Otto brauchen Wohnungen!) Fricke [FDP]) Eigentlich sollte den beteiligten Fraktionen in den Aus- schusssitzungen, zum Beispiel zum Strukturstärkungsge- Vizepräsidentin Claudia Roth: setz, klar geworden sein, dass wir das Bürokratiemonster Vielen Dank, Emmi Zeulner. – Nächster Redner: für nicht unter Kontrolle haben. Und selbst wenn im Bundes- die AfD-Fraktion Dr. Heiko Heßenkemper. tag die Gelder freigegeben würden, sind die entsprech- enden Institutionen und Kommunen verwaltungstech- (Beifall bei der AfD) nisch gar nicht in der Lage, diese Gelder in Wohnraum umzusetzen. Darüber hinaus wird die Produktionskapazi- Dr. Heiko Heßenkemper (AfD): tät gar nicht ausreichend sein, da ja der Innenminister Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die noch nicht einmal in der Lage ist, schon für die Normal- hier vorliegenden Anträge der Fraktion Die Linke und bevölkerung eine verabredete Anzahl an Neubauwohnun- 15038 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Dr. Heiko Heßenkemper (A) gen zur Verfügung zu stellen. Daraufhin jetzt noch 50 000 es realistischere, effizientere und kostengünstigere Mög- (C) neue Wohnheimplätze zu fordern, ist tatsächlich sehr re- lichkeiten gibt, mit dem Wohnraumproblem umzugehen. alitätsfern und muss einfach als linkspopulistische Klien- telpolitik klassifiziert werden. Auch das Ausweichen in die umgebende ländliche Re- gion ist eine Option. Schließlich muss der normale Ar- (Beifall bei der AfD – Lachen beim BÜND- beitnehmer das tägliche Pendeln auch auf sich nehmen. NIS 90/DIE GRÜNEN – Marianne Schieder Auch das ist, glaube ich, den Studenten zumutbar. Sie [SPD]: Ogottogott!) haben sicherlich keinen Anspruch darauf, in ihren hippen Großstädten noch öffentlich finanzierten Wohnraum zu Es ist sicherlich unzweifelhaft, dass in manchen Regio- bekommen. nen Problemsituationen existieren. Es sollten innovative Lösungsmöglichkeiten angedacht werden: (Beifall bei der AfD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Re- Aus diesem Grund lehnen wir diese Anträge ab. de der Kollegin Gohlke haben Sie nicht zuge- Vielen Dank. hört! Nicht eine Sekunde!) (Beifall bei der AfD – René Röspel [SPD]: Wie In der Ihnen ideologisch sehr nahestehenden DDR hatte feiern die eigentlich Weihnachten? – Gegenruf man Wohnheimplätze, wo sich mehrere Studenten eine der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Die Frage war Wohnung geteilt haben, was übrigens auch in Moskau bei gut!) Wohnheimplätzen der Fall ist. Diese Wohnheimplätze wurden dann durch Luxussanierung in Einzelzimmer- wohnungen vernichtet. Mit relativ einfachen Mitteln Vizepräsidentin Claudia Roth: könnte man dies wieder aufbauen. Danke schön, Herr Heßenkemper. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Ulli Nissen. Darüber hinaus wäre eine Erhöhung der Wohnkosten- pauschale beim BAföG vielleicht ein probates Mittel, (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Oh, weil man damit auch auf die Eigeninitiative und Kreati- jetzt wird es rot!) vität der jungen Leute setzen könnte. Das war häufig not- wendig, um staatliches Versagen zu korrigieren, zum Ulli Nissen (SPD): Beispiel in Westberlin in den 1980er-Jahren mit den Kin- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau derläden. Mit einer Erhöhung der Wohnkostenpauschale Präsidentin! Ich freue mich, dass wir heute die Wohnsi- könnten sich die Studenten Alternativmöglichkeiten er- tuation der Studierenden debattieren. Die Lage ist gerade (B) schließen. zu Beginn des Semesters besonders angespannt. Auch in (D) Frankfurt ist das jeden Tag spürbar. Es war gut und wich- (Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje!) tig, dass wir zum 1. August dieses Jahres eine BAföG- Es bleibt auch unerfindlich, warum der Steuerzahler, Reform durchgeführt haben. Mit dieser Reform steigt der der all dies bezahlen soll, während seiner Arbeit auf Förderhöchstsatz von 735 Euro auf 861 Euro monatlich. Großbauplätzen zum Beispiel monatelang in einer Con- Darin enthalten ist der Wohnzuschlag für BAföG-Geför- tainerwohnung leben muss, was aber für Studenten nicht derte, die nicht bei den Eltern wohnen. Dieser ist um akzeptierbar erscheint, um zumindest die schlimmste Not 30 Prozent angehoben worden: von derzeit 250 Euro zu lindern und Zeit zu gewinnen. auf 325 Euro. Das war ein konkreter Beitrag zur Verbes- serung der Situation der Studierenden. Auch die Bildung von Wohngemeinschaften könnte eine sehr spannende soziale Erfahrung sein, (Beifall bei der SPD) (Ulli Nissen [SPD]: Was meinen Sie, wie viele In der Vergangenheit gab es gemeinsame Wohnheim- das machen?) bauprogramme von Bund und Ländern. Mit dem Bund- Länder-Programm von 1969 bis 1982 wurde das Angebot insbesondere für ausländische Studenten, weil das die an preiswertem Studentenwohnraum in den alten Bundes- Integration und das Einleben erleichtern würde. ländern um rund 80 000 Plätze erhöht. Mit dem Bund- Zusammengefasst: Das sind offensichtlich klientelge- Länder-Programm von 1989 bis 1993 kamen weitere rund steuerte, populistische Anträge 40 000 Wohnplätze in den alten Bundesländern dazu. Ins- gesamt wurde damals so mehr als die Hälfte der öffentlich (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das wird geförderten Wohnplätze in den alten Bundesländern ge- durch Wiederholung nicht besser, Herr Kolle- schaffen. In den neuen Bundesländern konnte mit dem ge!) Bund-Länder-Sanierungsprogramm ab 1994 ein großer Teil der dortigen Bestandsplätze saniert und strukturell – ja, merken Sie sich das für die Zukunft –, modernisiert werden. (Zuruf von der LINKEN: Das ist nun mal so, (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: So etwas auch im Kapitalismus!) brauchen wir wieder!) die wieder auf Kosten des Steuerzahlers, des normalen So wurde studiengerechter und preiswerter Wohnraum Arbeitnehmers gehen sollen, die daher abzulehnen sind, erhalten. erstens, weil damit die Ursache, nämlich eine verfehlte Bildungspolitik, nicht beseitigt wird, und zweitens, weil (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15039

Ulli Nissen (A) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Bund-Länder- in Richtung der Grünen lautet: Machen Sie Ihre Hausauf- (C) Programme sind seit der Föderalismusreform I von 2006 gabe in den Ländern, in denen Sie mitregieren. Wenn ich nicht mehr möglich. Seitdem liegt die Kompetenz für die mir Hessen anschaue: Na, na, na, nicht so gut, nicht? soziale Wohnraumförderung ausschließlich bei den Län- dern. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frankfurt liegt in Hessen, (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: War das gut, nicht vergessen!) oder ist es nicht gut?) Daran ändert auch die Mitfinanzierungskompetenz für Vizepräsidentin Claudia Roth: den sozialen Wohnungsbau nach Artikel 104d des Grund- Denken Sie bitte an die Redezeit. gesetzes nichts. Ich denke, liebe Kolleginnen und Kol- legen, wir sind uns weitgehend einig: Wir brauchen mehr Ulli Nissen (SPD): öffentlich geförderte Wohnheimplätze für Studierende. Verschieben Sie nicht den Schwarzen Peter in Richtung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bund. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) eine weitere gute Zusammenarbeit. Bezahlbares Wohnen ist auch eine wichtige Forderung Danke schön. der Nachhaltigkeitsziele 2030 – wie Sie wissen, erwähne ich sie immer wieder gerne –, der SDGs, denen wir uns (Beifall bei der SPD) verpflichtet fühlen. Diese gelten natürlich auch für die Studierenden. Es ist Aufgabe der Länder, mehr Wohn- Vizepräsidentin Claudia Roth: plätze für Studierende zu schaffen. Vielen Dank, Ulli Nissen. – Nächster Redner: für die Der Bund stellt dafür Haushaltsmittel zur Verfügung. FDP-Fraktion Hagen Reinhold. In diesem Jahr haben wir 1,5 Milliarden Euro für die (Beifall bei der FDP) soziale Wohnraumförderung zur Verfügung gestellt. Mit der Grundgesetzänderung ist es uns zum Glück gelungen, Hagen Reinhold (FDP): dass der Bund auch über das Jahr 2019 hinaus Mittel für Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen die soziale Wohnraumförderung zur Verfügung stellen und Herren! Ich beginne einmal mit einem Spruch, den kann. 2020 und 2021 sind dafür jeweils 1 Milliarde Euro viele von Ihnen wahrscheinlich kennen: Lehrjahre sind im Haushalt vorgesehen. Insbesondere in den Hochschul- keine Herrenjahre. – Diesen Spruch kennen viele aus der (B) städten mit den höchsten Mieten herrscht dringender (D) Lehre, aus dem Studium. Während man mit ihm damals Handlungsbedarf. Hier brauchen die Studierenden drin- noch die Überlegung verband, an welchem Tag vor dem gend Unterstützung: in Freiburg, in Düsseldorf, in Hei- Monatsende man in die heimischen Gefilde strömen delberg, in Tübingen, in Mainz, in Darmstadt, in Münster konnte, um den Kühlschrank zu plündern, verbinden heu- und selbstverständlich auch in meinem wunderschönen te viele junge Leute damit die Frage: Finden wir über- Frankfurt. haupt in unserer Ausbildung, in unserer Lehre, in unse- Aber mit der Hauptforderung der beiden Anträge kön- rem Studium Wohnraum, in dem wir wohnen können, nen wir nicht mitgehen. Der Bund hat keine Zuständigkeit während wir ausgebildet werden? Alle, die bis drei zählen für den Bau von Wohnheimplätzen. Diese liegt in der können, sind sich darin einig, dass jeder während seiner Zuständigkeit der Länder. Dennoch enthält zumindest Ausbildung eine bezahlbare Bleibe braucht. der Antrag von den Grünen einige Forderungen, bei de- Natürlich sind Wohnheime für Studenten ein Teil der nen wir von der SPD durchaus mitgehen können. Lösung; keine Frage, darin stimmen wir Ihnen zu. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurzeit leben, glaube ich, 9,8 Prozent der Studenten in sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Wohnheimen. Auch mit zusätzlichen 50 000 Wohnungen wären es nur 11,5 Prozent. Das ist noch nicht der Weisheit So wird gefordert, Bundesliegenschaften für den Bau von letzter Schluss. Ich glaube, es ist durchaus denkbar, dass Wohnheimplätzen zur Verfügung zu stellen. Liebe Kol- man zu anderen Lösungen kommen kann. Ich bitte Sie, legen, das machen wir bereits. Selbstverständlich möchte darauf hinzuwirken. ich dies um die Forderung erweitern, auch Landesliegen- schaften für den Bau von Wohnheimplätzen zur Verfü- Das Erste, was mir am Herzen liegt, ist: So schön es ist, gung zu stellen. dass wir heute über Studenten reden. Aber mir sind Azu- bis und Lehrlinge gleichermaßen wichtig. Auch fordert die SPD einen Mietenstopp für Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten, zuletzt in unserem (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Da widerspre- Positionspapier „Eine sozialverantwortliche Wohnungs- chen wir nicht! – Matthias W. Birkwald [DIE politik für Menschen, nicht für Märkte“. Ebenfalls kön- LINKE]: Haben Sie dazu einen Antrag vorge- nen wir uns vorstellen, die Mietkostenpauschale im legt? Bis drei gezählt?) BAföG nach den Stufen im Wohngeldgesetz regional zu Deshalb sollten wir aufhören, einzelne Gruppen heraus- staffeln. zugreifen. Vielmehr sollten wir dafür sorgen, dass wir Wir sehen: Die Länder haben hier die Kompetenz und insgesamt in Deutschland für alle, die Wohnraum brau- die Möglichkeit, tätig zu werden. Mein deutlicher Appell chen, Wohnraum schaffen, auch für die Auszubildenden. 15040 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Hagen Reinhold (A) Immerhin haben wir mit der BAB mittlerweile ein adä- Was mir an dieser Debatte bis jetzt nicht gefällt: Fach- (C) quates Mittel, um auch in der Ausbildung zusätzlichen hochschulen und Universitäten im ländlichen Raum ha- Wohnraum zu finanzieren. ben den großen Standortvorteil, dass sie günstigen Wohn- raum zur Verfügung stellen. Wenn wir mit allen Mitteln, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben gerade mit Steuermitteln, ständig versuchen, die Bal- Sie bis drei gezählt und einen Antrag dazu?) lungsräume so schön zu machen, dass dieser Standortvor- Ich habe Ihren Antrag gelesen. teil in den ländlichen Räumen wegfällt, dann sind wir weit entfernt von gleichwertigen Lebensbedingungen in (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Deutschland. Sie einen vorgelegt?) (Beifall bei der FDP – Marianne Schieder Ich will, dass wir für alle, nicht nur für Studenten, sondern [SPD]: Ach Gott! Ach Gott! Das ist eine Un- auch für Lehrlinge Wohnraum zur Verfügung haben. Das kenntnis der Situation, die ist erschreckend!) wäre sinnvoll. Deshalb: Mir ist durchaus klar, dass das nicht bei jedem (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald Studiengang der Fall sein kann und wird. Nichtsdesto- [DIE LINKE]: Wir doch auch!) trotz ist es so, dass wir Standortvorteile auch einmal nut- zen können, sonst können wir uns jede Kommission dazu Ihren Antrag habe ich gelesen und stelle fest, dass wir sparen. für den Bau von 50 000 Plätzen in Wohnheimen bei den Baukosten heutzutage ungefähr 2,7 Milliarden Euro brau- Jetzt ist meine Redezeit leider vorbei. chen, also nach Ihrem Antrag 675 Millionen Euro pro Jahr. Ich glaube, das ist weder finanzierbar, noch sind (Marianne Schieder [SPD]: Gott sei Dank!) 50 000 Plätze – ich habe es ja gesagt: Sie kommen bei Deswegen ende ich augenzwinkernd mit einem Spruch der Unterbringungsquote von 9,8 auf 11,5 Prozent – ir- meines Lehrmeisters, der mir mal gesagt hat: Jeder gendein Maß, das greifbar wäre. Mir wäre es lieb, wir schlechte Maurermeister ist noch ein guter Jurist. – Des- hätten greifbare Konzepte, mit denen allen Wohnraum halb hoffe ich, dass wir bald mehr Maurer haben, die all zur Verfügung gestellt wird, nicht nur einer bestimmten die Wohnraumplätze bauen, die Sie brauchen. Anzahl. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kön- (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald nen Sie der Fraktion mit dem höchsten Juristen- [DIE LINKE]: Nehmen Sie das Geld aus der anteil erzählen!) Exzellenzinitiative, da ist genug drin! Da haben Dann haben wir doch etwas erreicht. (B) Sie doch 12,4 Milliarden, die gut angelegt (D) sind!) Schönen Dank. Es ist wichtig – das ist einmal eine anständige Idee –, (Beifall bei der FDP) wenn wir dafür sorgen würden, Wohnheimplätze so güns- tig zu bauen, wie es qualitativ machbar ist. Ich glaube, dass die Baukosten in Deutschland viel zu hoch sind. Mir Vizepräsidentin Claudia Roth: wäre es tausendmal lieber, ich hätte Wohnraumplätze für Vielen Dank, Hagen Reinhold. – Nächster Redner für 1 600 Euro pro Quadratmeter gebaut anstatt für 2 600 Euro Bündnis 90/Die Grünen: Kai Gehring. pro Quadratmeter. Dann könnten wir mit dem gleichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geld hunderttausend Plätze mehr bauen. Aber auf solche Ideen, die dann wirklich allen nützen, weil dann Wohn- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): raum für alle da wäre, müssen wir kommen, dürfen nicht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf einzelne Gruppen oder Projekte schauen. Das kann Heute Morgen stand die berufliche Bildung im Fokus; nicht funktionieren. jetzt geht es mehr um die akademische. Für uns als Grüne (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Matthias im Bundestag ist entscheidend: Wir wollen Chancen und W. Birkwald [DIE LINKE]) Wahlfreiheit für alle in der jungen Generation. – Ganz ruhig, ganz ruhig! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Ich habe im Antrag der Grünen gelesen und bin über den Begriff der „Mietkostenpauschale“ gestolpert. Das Hundertausende haben in diesen Tagen nun ihr Studium hieß früher „Mietkostenzuschlag“, heute heißt es „Wohn- aufgenommen, und damit beginnt für sie eine sehr span- pauschale“, aber gemeint ist wahrscheinlich das Gleiche. nende Lebensphase. Da wünschen wir viel Neugierde und Dies hat es mir schwer gemacht, den Antrag zu durch- auch viel Erfolg auf diesem Weg. dringen. Doch anstatt voll ins Studium und in den Unialltag hineinzustarten, ist es so, dass Tausende Studis auf Warte- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: listen für Wohnheimplätze stehen und keine bezahlbare Wir wollten Sie nicht überfordern!) Bleibe finden. In manchen Hochschulstädten gibt es Not- Ich glaube trotzdem, dass es wichtig wäre, dass wir nicht unterkünfte für Erstis. Was sind das eigentlich für Zu- nur für die Studenten – das habe ich gesagt –, sondern für stände in einem Land der Dichter und Denker? So geht jeden Wohnraum zur Verfügung stellen. das nicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15041

Kai Gehring (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ja, und diese Erfolgsgeschichte wollen wir endlich (C) und bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: fortsetzen. Daran wollen wir anschließen; da muss man Zum Beispiel in Hessen!) doch weitermachen. Deswegen fordern wir eine bundesweite Offensive für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN studentisches Wohnen. Denn Kopf braucht eben Dach. – und bei der LINKEN) Warum ist das so? Wir haben wirklich die Nase davon voll, dass die Erstens. Wohnen wird für Studierende immer teurer. Hochschulministerin, Frau Karliczek, sich hinter dem Für eine 30-Quadratmeter-Bude bezahlt man im Schnitt Bauminister Seehofer versteckt und umgekehrt. 403 Euro; in Stuttgart sind es 542 Euro, in München 717 Euro. (Ulli Nissen [SPD]: Der ist doch groß genug! Hinter dem kann man sich doch gut verste- (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Bei uns sind es cken!) 200 Euro!) Beide zusammen verstecken sich dann noch hinter den Für finanzarme Studis ist das eben nicht zu stemmen. Im Ländern, und für die Studis und Azubis ist nichts gewon- BAföG gibt es pauschal maximal 325 Euro fürs Wohnen. nen. Das muss sich dringend ändern. Wir wollen deshalb eine regional gestaffelte und dynami- sierte Wohnkostenpauschale im BAföG; die ist einfach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerechter. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist die Realität dieser Regierung. Das ist doch hilflos sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und das ist verantwortungslos, wenn man sieht, wie die Es gibt zweitens einen historischen Tiefststand bei Situation vor Ort ist. Da kann man sich doch nicht einfach Wohnheimplätzen. Nur noch 9,6 Prozent der Studis fin- für nicht zuständig erklären. den Platz in einem Wohnheim. Das ist aber nun mal die Wir haben natürlich auch umfassende andere woh- preisgünstigste Wohnform, die es nach dem Elternhaus nungspolitische Schwerpunkte: eine wirksame Miet- gibt. Es entlastet die völlig überhitzten Wohnmärkte vor preisbremse, eine kreative Quartiersentwicklung in Ort. Es ist auch ein wunderbarer Integrationsort für inter- Hochschulstädten, die Bundesmittel für den sozialen nationale Studis und deshalb eine sehr gute Wohnform. Wohnungsbau – da muss eben auch ein Teil für Studie- Der Bedarf ist riesig; die Wartelisten für diese Wohn- rendenwohnen reserviert sein –, die neue Wohngemein- heimplätze sind lang. Allein in München, Frau Zeulner, nützigkeit und, und, und. Viele Vorschläge, die eben auch (B) sind 12 000 Studis auf dieser Warteliste. die kommunalen Wohnungsmärkte entlasten, sind drin- (D) (Ulli Nissen [SPD]: Und wie viele sind es in gend notwendig. Hessen?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir helfen auch gerne in Bayern ein Stück weit über ein Jetzt haben Sie ja gesagt, Sie seien nicht zuständig. Ich Bund-Länder-Programm zum Bau von öffentlich finan- möchte Sie als Koalition daran erinnern, dass Sie mit zierten Wohnheimplätzen. großem Tamtam und Getöse die Neufassung des Artikels (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 91b im Grundgesetz mit uns verabschiedet haben. und bei der LINKEN – Emmi Zeulner [CDU/ (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Historische CSU]: Wie ist das in Baden-Württemberg? Entscheidung!) Dort sind Sie in Verantwortung! Immer dort, wo man in Verantwortung ist! – Ulli Nissen Damit könnte der Bund den Ländern entsprechend unter [SPD]: Wie war das denn in Hessen?) die Arme greifen. – Ja, das regt Sie auf; ich weiß. Aber 12 000 Studis auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Wartelisten in München, das sollte Ihnen echt zu den- ken geben. Die Ministerin hat sogar gesagt: Es müssen ja nicht alle in teuren Städten studieren. – Ja wie zynisch ist das eigent- Übrigens: Mehr als die Hälfte der Plätze in Wohnhei- lich? Der Studienort darf nicht vom Geldbeutel abhängen. men sind über Bund-Länder-Programme in den 70er- und 80er-Jahren entstanden und ab 1994 über Sanierungspro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gramme fit gemacht worden. und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Am besten alle nach München! – (Marianne Schieder [SPD]: Wer regiert noch Weitere Zurufe von der CDU/CSU) mal in Baden-Württemberg?) Entscheidend ist, welches Fach man studieren möchte. Zitat aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Denn Wohnen muss für alle Studierenden bezahlbar sein, Kleine Anfrage zu den Bund-Länder-Programmen für auch für die aus den armen Elternhäusern, die im BAföG- den Wohnheimbau: Bezug sind. Deshalb: Packen Sie es endlich an, und hören Aus Sicht der Bundesregierung waren die Program- Sie auf mit dem Versteckspiel. me erfolgreich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist richtig!) und bei der LINKEN) 15042 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Was die Länder damit machen, ist in ihrer Verantwortung. (C) Danke, Kai Gehring. – Nächster Redner in der Debatte: Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion. Mit dem Inkrafttreten des neuen Artikels 104d Grund- gesetz, der auch schon zitiert worden ist, hat der Bund die (Beifall bei der CDU/CSU) Möglichkeit erhalten, die Länder auch weiterhin bei ge- samtstaatlichen Aufgaben zu fördern, und das tun wir mit Karsten Möring (CDU/CSU): jährlich 1 Milliarde Euro. Auch hier gilt: Was die Länder Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! damit machen, ist in ihrer Verantwortung. Sie können Lieber Kollege Gehring, also Ihr Beispiel mit dem Land damit auch sozialen Wohnraum fördern, es für Studenten- der Dichter und Denker geht ein bisschen fehl. Es ist zwar wohnheime ausgeben. Der Wohnungsbedarf von Studie- schon sehr lange her, aber einer der wichtigsten Denker renden ist ein mögliches Einsatzfeld auch für die künf- des Abendlandes – – tigen Bundesfinanzhilfen. Trotzdem liegt, wie gesagt, die Zuständigkeit bei den Ländern. Die Bundesregierung hat 2018 im Rahmen des Wohngipfels ein Maßnahmen- Vizepräsidentin Claudia Roth: paket beschlossen, an dessen Umsetzung weiter gearbei- Herr Gehring, es wird gerade zu Ihnen geredet. tet wird – Ziel: 1,5 Millionen neue Wohnungen bis Ende (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2021. Es gibt gerade eine Zwischenfrage der SPD!) (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das werden Sie krachend ver- Karsten Möring (CDU/CSU): fehlen!) Ich erinnere mich daran, dass ein sehr bekannter Den- ker sich damit begnügte, in einer Tonne zu wohnen, Entscheidend ist dabei auch die Mitwirkung der Län- der. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schon sehr lange her!) (Ulli Nissen [SPD]: Genau!) und zwar nicht wegen der Wohnungsnot, sondern weil er Denn der Bund baut im Wesentlichen nicht; das tun die meinte, dass er dort konzentrierter denken könnte. Nun Länder. Der Bund finanziert wesentlich mit. Das ist eine bin ich weit davon weg, das unseren Studenten von heute Aufgabe, die er verantwortlich wahrnimmt. Aber die Län- zu empfehlen, aber sei es drum. der haben die Verantwortung, zu entscheiden, was sie Pünktlich zum anlaufenden Wintersemester zeigt sich daraus machen. Davon können die Studenten mit ihren das Defizit in der Wohnraumversorgung von Studenten – Wohnraumbedürfnissen profitieren, wenn die Länder (B) keine Frage –, und pünktlich zum Wintersemester kom- denn wollen. Ich sage dazu, dass die erfolgte Mietrechts- (D) men die Anträge der Opposition dazu, die im Wesentli- änderung auch einen Beitrag zur allgemeinen Stabilisie- chen den Inhalt haben: der Bund, der Bund, der Bund. rung der Wohnungsmärkte leistet, wovon auch die Stu- dentinnen und Studenten einen Nutzen haben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bund und Länder!) Ich möchte ein Beispiel aus Köln nennen. Ich kenne Wir sind uns der Problematik der fehlenden Wohnplätze natürlich die schwierige Situation: Köln ist eine Hoch- für Studenten sehr bewusst. Wir sind uns auch einig, dass schulstadt mit einer sehr hohen Zahl von Studenten. Jahr es Handlungsbedarf gibt. Aber die Frage ist: Wie und wo? für Jahr suchen sie preiswerte Wohnungen und finden sie nicht. Wohngemeinschaften sind rar. Der Markt für preis- Wenn die Grünen in ihrem Antrag ein Bund-Länder- werte Wohnungen in Köln ist angespannt. Es besteht er- Programm nach dem erfolgreichen Muster der Program- höhter Bedarf. Dennoch soll auch Köln für studentisches me in den 70er- und 80er-Jahre fordern, so verkennen sie Wohnen attraktiv bleiben – oder werden; darüber würde die fundamental andere Situation, die wir heute haben. ich jetzt gar nicht streiten. Daher setzt die Stadt schon seit einigen Jahren auf ein Modell, das meine Kollegin (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeulner schon erwähnt hat, nämlich die Kombination von Wieso?) Miete oder Wohnen gegen Hilfe im Alltag. Das ist keine Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Zuständig- Lösung für alle; aber es zeigt, dass kreatives Nachdenken keit für soziale Wohnraumförderung, also auch für den notwendig ist und auch einen Beitrag zur Lösung leisten Bau von Studentenwohnheimen, hat seit 2006 jeweils das kann. Land und nicht der Bund. Niedrige Zinsen bieten Investoren im freifinanzierten (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Wohnungsbau die Möglichkeit, auch im studentischen DIE GRÜNEN]: Aber wir haben doch die Segment zu bauen. Viele tun das aber, indem sie dann Grundgesetzänderung!) teure Kleinstwohnungen bauen. Die Möglichkeiten der Als Ausgleich für die früheren Bundesfinanzhilfen hat Länder aber, über Tilgungszuschüsse den Bau zu verbil- der Bund den Ländern bis einschließlich dieses Jahr ligen und damit auch zu niedrigen Mieten zu kommen, Kompensationsmittel, die allein in diesem Jahr noch sollte man ebenfalls nutzen. Wenn Private inzwischen 1,5 Milliarden Euro betragen, gegeben. mehr Wohnraum bauen als Studentenwerke – oder „Stu- dierendenwerke“, wie es jetzt heißt –, dann ist das eigent- (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich zu begrüßen, wenn die Mieten für unsere Studentin- NEN]: Im nächsten Jahr noch 1 Milliarde!) nen und Studenten auch entsprechend bezahlbar sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15043

Karsten Möring (A) Sie brauchen eine hochschulnahe oder verkehrsgünsti- Bauministerium und Bildungsministerium müssen den (C) ge Wohnmöglichkeit. Voraussetzung hierfür ist die Be- Koalitionsvertrag erfüllen. Wir warten auf die Verlänge- reitstellung von genügend Wohnraum. Entscheidend da- rung der Geltungsdauer der Verwaltungsvereinbarung zur für ist aber auch genügend Bauland, das zu Preisen sozialen Wohnraumförderung. Herr Seehofer und Frau bereitsteht, bei denen man durch den Bau nicht zu über- Karliczek sind da jetzt in der Pflicht. höhten Mieten kommen muss. Hier ist die Verantwortung von Ländern und Kommunen gefragt. In Nordrhein- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Bleibt in der Westfalen stellt das Land aus landeseigenem Besitz Koalition, dann erlebt ihr es noch!) Grundstücke zum Bau von Studierendenwohnungen zur Als SPD-Fraktion werden wir dazu den Druck auf- Verfügung. Die Stadt Köln kann das auch. Seit der Ge- rechterhalten. Wenn im nächsten Jahr der neue Grund- meindereform, durch die es nicht mehr notwendig ist, gesetzartikel 91b in Kraft tritt, haben wir mehr Möglich- dass Grundstücke zum Höchstpreis abgegeben werden, keiten, mit denen der Bund Bildungsgerechtigkeit fördern sollten die Kommunen, die Hochschulstädte diese Mög- kann. Wir erwarten dazu aber zunächst die Vorschläge aus lichkeit stärker nutzen. dem Ministerium. Wenn da nichts kommt, werden wir So gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die sicherlich auch über parlamentarische Initiativen spre- man vor Ort nutzen kann. Das ist der Schlüssel zum Er- chen. folg. Geld vom Bund gibt es bisher schon. Die Umset- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zung und die Förderung sind Sache der Länder; dabei Aber wann?) bleibt es. Wir unterstützen sie dabei. Die Verantwortung wird dort wahrgenommen, und so soll es auch bleiben. Die Verpflichtungen des Bundes sind das eine. Das Zweite, über das wir sprechen, ist, dass Hochschulbau (Beifall bei der CDU/CSU) originäre Aufgabe der Länder ist. Darum – das muss ich schon sagen – finde ich es bemerkenswert, dass Sie das in Vizepräsidentin Claudia Roth: Ihren Anträgen überhaupt nicht aufgreifen. Ich finde, wir Vielen Dank, Karsten Möring. – Letzte Rednerin in sollten uns die Frage stellen, warum die Länder daran dieser Debatte: Dr. Wiebke Esdar für die SPD-Fraktion. gescheitert sind, mehr sozialen, öffentlich geförderten Wohnraum für Studierende zu schaffen. (Beifall bei der SPD) Insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen gerichtet: Dr. Wiebke Esdar (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (B) „Lernen am Limit“, das ist das Motto, unter dem Studie- Ja?) (D) rende am 30. Oktober, also nächste Woche, wieder in ganz Deutschland protestieren werden. Eine ihrer Haupt- Mit Stuttgart, Tübingen, Konstanz, Freiburg und Heidel- forderungen an die Politik wird dabei lauten: Schafft be- berg sind fünf Städte unter den Top Ten der Studierenden- zahlbaren Wohnraum für alle! – Liebe Kolleginnen und städte, in denen die Mietpreissteigerungen in den letzten Kollegen, ich finde, die Studierenden haben recht, und Jahren am höchsten waren und in denen heute die teuers- wir müssen diese Forderung erfüllen. ten Mieten vorzufinden sind. Das sind alles Städte in Baden-Württemberg. Da stellen Sie nicht nur den Minis- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) terpräsidenten, sondern auch die Wissenschaftsministe- rin. Wir haben heute Vormittag das Berufsbildungsgesetz novelliert. Da haben wir über die Gleichwertigkeit von (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: beruflicher und akademischer Bildung gesprochen. Ich Deshalb wird ja da auch sehr viel gebaut! – möchte darum zunächst die Debatte erweitern, indem Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ ich hinzufüge, dass, wenn wir heute über studentisches DIE GRÜNEN]: Der Bau- und Wohnminister Wohnen sprechen, wir bevorzugen würden, über „junges kam bis vor drei Jahren von der SPD! Das muss Wohnen“ zu sprechen; denn es geht nicht nur um das man schon mal sagen!) akademische Wohnen für Studierende, es geht auch um das Wohnen für Auszubildende. Wenn wir noch mal in die Statistik gucken, dann sehen wir, dass mit Frankfurt und Darmstadt zwei Städte aus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hessen zu diesen teuren Städten gehören. Dann ist das der LINKEN) auch eine Frage an die hessische – grüne – Wissenschafts- ministerin wert. Uns schwebt dabei vor, dass wir Wohnheime fördern, in denen sich diese beiden Gruppen begegnen, also in denen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Studierende und Azubis gemeinsam wohnen. Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Am schlimmsten ist NRW!) (Ulli Nissen [SPD]: Sehr guter Vorschlag!) Auch dafür brauchen wir beide, Bund und Länder. Weil wir aber, meine Damen und Herren, das Problem überall in Deutschland lösen wollen, bin ich der Mei- Als Erstes steht natürlich völlig außer Frage: Auch der nung – ganz egal, ob es um Wohnheimplätze, Grund- Bund muss mehr Wohnheimplätze schaffen, und zwar finanzierung oder Beschäftigungsverhältnisse im Wis- öffentlich finanzierte. Deshalb haben wir das auch im senschaftssystem geht –: Wir müssen die Länder in die Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ich sage ganz klar: Pflicht nehmen, und wir müssen als Bund selbst aktiv 15044 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Dr. Wiebke Esdar (A) werden. Darum brauchen wir eine gemeinsame Kraftan- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der (C) strengung von Bund und Ländern. Lassen Sie uns daran Überweisungsvorschlag ist angenommen. Zugestimmt gemeinsam arbeiten, damit wir dann sagen können: Ler- haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und nen ohne Limit. AfD. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Guter Vor- Beratung des Antrags des Bundesministeriums schlag! Das machen wir!) der Finanzen Griechenland: Vorzeitige teilweise Rückzah- Vizepräsidentin Claudia Roth: lung des ausstehenden Kredites des Internatio- Vielen Dank, Dr. Wiebke Esdar. – Ich schließe die leb- nalen Währungsfonds hafte Aussprache. 1. Antrag auf Einholung eines zustimmen- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf den Beschlusses des Deutschen Bundes- Drucksache 19/14154 an die in der Tagesordnung aufge- tages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Stabilisierungsmechanismusgesetzes und jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Bau, Woh- 2. Antrag auf Einholung eines zustimmen- nen, Stadtentwicklung und Kommunen. Die Fraktion Die den Beschlusses des Deutschen Bundes- Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Bil- tages gemäß § 5 Absatz 2 Nummer 1 des dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. ESM-Finanzierungsgesetzes Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- Drucksache 19/13977 vorschlag der Fraktion Die Linke: Federführung beim Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Fraktion Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- der AfD vor. schätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- haben die Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich bitte Grünen. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von die Kollegen, Platz zu nehmen. Wir würden gerne anfan- SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. gen. (B) (D) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs- Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Fe- Bettina Hagedorn für die Bundesregierung. derführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadt- entwicklung und Kommunen. Wer stimmt für diesen (Beifall bei der SPD) Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist an- Bettina Hagedorn, Parl. Staatssekretärin beim Bun- genommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, desminister der Finanzen: CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegen: Linke und Grüne. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir stellen Ihnen heute den Antrag auf die Genehmigung Die Vorlage auf Drucksache 19/13551 soll ebenfalls an vorzeitiger Rückzahlung des IWF-Darlehens vor, den die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über- Griechenland bei seinen europäischen Partnern gestellt wiesen werden. Auch da ist die Federführung strittig. Die hat. Das ist natürlich ein Vorgang, den Sie vom Grundsatz Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- her kennen; denn wir haben solchen vorzeitigen Rück- rung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung zahlungen schon öfter zugestimmt, und zwar im Falle von und Kommunen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Portugal, von Zypern und von Irland. wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung. Es bedeutet, dass sich die Länder, die Programmländer waren, dank der Solidarität Europas und der Nachbarlän- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- der aus dieser Krise befreien konnten. Es ist für diese vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Feder- Länder ein wichtiger Schritt, um ihre Souveränität ein führung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Stück weit wiederzufinden. Am 28. und 29. Oktober, also Technikfolgenabschätzung. Wer stimmt für diesen Vor- in wenigen Tagen, wollen die Gremien des ESM und der schlag? – Wer stimmt dagegen? – Der Überweisungsvor- EFSF über diesen Antrag Griechenlands entscheiden. In- schlag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen sofern bitten wir Sie heute, unserem Antrag zuzustim- von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Dagegenge- men. stimmt haben die Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wir haben hier – ich will gerne daran erinnern – erst im August 2018 dank der erreichten Fortschritte das Pro- Ich lasse jetzt abstimmen über den Überweisungsvor- grammende, also das Ende der Auszahlung an Griechen- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Da geht es land, erleben können. um die Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Wer stimmt dafür? – (Otto Fricke [FDP]: Welche Fortschritte?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15045

Parl. Staatssekretärin Bettina Hagedorn (A) Griechenland ist inzwischen erfolgreich an den Kapital- teten so Griechenland, damit mal wieder den Euro und (C) markt zurückgekehrt. Dadurch sind natürlich auch die zu vor allem ihre eigenen Jobs. zahlenden Zinsen für die Griechen gesunken. Inzwischen sind die damaligen Minizinskreditge- Vor diesem Hintergrund ist es für die Griechen wie schenke angesichts der Voodoo-Ökonomie der EZB- zuvor für die Portugiesen, die Iren und die Zyprioten Negativzinsen tatsächlich teure Kredite geworden. Grie- natürlich attraktiv, sich von den relativ teuren Krediten chenland hat dank der EZB inzwischen wieder eindeutig des IWF mit einem Zinssatz von 4,9 Prozent zu verab- Zugang zum Kapitalmarkt, sogar zu echten Traumkondi- schieden. Sie brauchen dafür unsere Zustimmung, weil tionen von aktuell etwa 0,7 Prozent – 0,7! – Jahreszins. aufgrund der Parallelitätsklausel eigentlich mal verabre- det war, dass dann auch die Tilgung beim ESM und bei Es stellt sich damit, erstens, ökonomisch die Frage, der EFSF, warum Griechenland seine Rückzahlung an den IWF über Ersatzanleihen mit einem relativ hohen Zinssatz von (Peter Boehringer [AfD]: Wieso eigentlich?) 3,1 Prozent finanziert. Zweitens stellt sich aber vor allem die Frage einer parallelen Kreditrückzahlung ganz an- wo die Zinsbedingungen günstiger sind, starten sollte. ders, als es das BMF eben dargestellt hat. Entschuldi- (Peter Boehringer [AfD]: Genau!) gung, Frau Hagedorn, es ist ein großer Unterschied, ob man von Refinanzierungsmöglichkeiten mit einem Zins- Aber auch in der Vergangenheit haben wir den Pro- niveau in der Höhe von 3,1 Prozent oder 0,7 Prozent grammländern zugestanden, darauf zu verzichten; denn spricht. Das ist der entscheidende Unterschied hier. es ist in unserem Interesse, dass die Griechen wie auch andere Partnerländer zuvor dank einer solchen Umschul- Griechenland wäre über den ganz regulären Kapital- dung ihre gesamte finanzielle Situation, die Refinanzie- markt in der Lage, beides zu leisten: die Rückzahlung der rung insgesamt, verbessern. IWF-Tranche, wie gewünscht, und parallele Rückzahlung an ESM und EFSF. Deutschland würde damit auf einem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schlag toxische Kredite los, und zwar in Höhe bis zu der CDU/CSU) 10 Milliarden Euro. Dieses Vorgehen würde die AfD na- Das ist in unserem Interesse und ist ein Erfolg für die türlich mittragen. solidarische Aktion, die wir gemeinsam gestartet haben. (Beifall bei der AfD) Es geht um 2,7 Milliarden von 8,4 Milliarden Euro, mit Warum um Gottes willen nimmt man das Geschenk als denen Griechenland beim IWF insgesamt verschuldet ist. Folge der EZB-Zinsmanipulation also nicht einfach an? Der Liquiditätspuffer Griechenlands, der das Vertrauen in Griechenland hat wieder Kapitalmarktzugang. Und damit (B) Griechenland stützt, zu dem auch Kredite des ESM bei- (D) ist übrigens auch der einzige Grund entfallen, weswegen getragen haben, wird nicht angetastet. man 2010 und 2012 die Rettungsinstitutionen überhaupt Meine drei Minuten Redezeit sind um. Ich glaube, es gegründet hatte. ist auch alles gesagt. Ich bitte Sie um die Unterstützung für Griechenland und für die europäische Solidarität. Die vom ESM behaupteten Vorteile eines Verzichts auf parallele Kreditrückzahlungen sind nicht überzeugend. Vielen Dank. Das angeblich geglättete Risikoprofil ist marginal und völlig vernachlässigbar, und das verringerte Wechsel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kursrisiko von Sonderziehungsrechten zu Euro ist ein der CDU/CSU) Witz. Hierbei muss man sich eher fragen, warum man Verträge zur Euro-Rettung nicht gleich auf Euro lauten Vizepräsidentin Claudia Roth: lässt. Vielen Dank, Bettina Hagedorn. – Nächster Redner: Fazit: Griechenland würde bei einer Umschuldung so- Peter Boehringer für die AfD-Fraktion. gar Geld sparen. Einfach die Geschenke des Kapital- (Beifall bei der AfD) markts annehmen! Die EZB zahlt die Party doch. Bei zweijährigen Anleihen hat Griechenland inzwischen fast Peter Boehringer (AfD): völlige Zinsfreiheit erreicht. Das sind übrigens Entwick- Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! lungen der letzten drei Monate – das BMF hätte sich das Griechenland will relativ teure IWF-Kredite ablösen, ja auch mal aktuell anschauen können –; das war vor drei günstigere der EU aber trotz Verpflichtung nicht. Aus Monaten noch anders, aber heute ist es so. Auf wie viel griechischer Sicht ist das verständlich, aus deutscher aber mehr Kapitalmarktzugang will man denn noch warten? nicht. Man muss hier daran erinnern, warum 2010 und Kredit für lau – das ist der Traum jedes Pleitiers –, einfach 2012 die Euro-Rettungsinstitutionen EFSF und ESM annehmen, Deutschland aus dem Ausfallrisiko nehmen. eigentlich geschaffen worden sind. Es geht; die EZB macht das Wunder möglich. Angeblich war Griechenland damals nicht mehr kapi- Bringen Sie den deutschen Steuerzahler aus der Haf- talmarktfähig. Das ist zwar ökonomisch unhaltbar – jedes tung! Stimmen Sie für den Entschließungsantrag der Land ist immer kapitalmarktfähig; das ist ausschließlich AfD! eine Frage des Zinssatzes –, Griechenland wollte damals Herzlichen Dank. aber keine 8 oder mehr Prozent Zinsen zahlen. Also ver- langten die Finanzminister einfach nur gut 1 Prozent, ret- (Beifall bei der AfD) 15046 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Verhältnisse zu leben. Auch in diesem Haus wollen uns (C) Vielen Dank, Peter Boehringer. – Nächster Redner: das einige Parteien schmackhaft machen. Josef Rief für die CDU/CSU-Fraktion. Wachstum und Wohlstand sind inzwischen nach Grie- (Beifall bei der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt chenland zurückgekehrt; aber nach so einem drastischen [CDU/CSU]: Ein sehr guter Mann!) Einschnitt geht das eben nicht von heute auf morgen. Mit der neuen bürgerlichen Regierung sehen wir jetzt eine – Schauen wir mal! deutlich positivere Entwicklung. Die Regierung Mitsota- kis ist mit einem starken Bekenntnis zu Wachstum und Josef Rief (CDU/CSU): Innovation angetreten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möch- (Peter Boehringer [AfD]: Die Botschaft hören te zunächst unserem jetzigen Staatssekretär Fuchtel wir wohl!) danken, der, glaube ich, mit seinem Engagement für Grie- Wir sehen ein besseres Wirtschaftsklima mit Steuersen- chenland sehr, sehr viel zu der jetzigen Situation beige- kungen und mehr Investitionen. tragen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Antrag zeigt, dass unsere Europapolitik unter Die internationalen Finanzmärkte sehen das übrigens ge- Führung von Angela Merkel übrigens seit 2009 sehr er- nauso. folgreich war. Allen Unkenrufen zum Trotz beweist die Es wurde schon gesagt: Griechenland musste für eine Entwicklung, dass unser Ansatz, der „Wir helfen, aber zehnjährige Staatsanleihe im Januar noch Zinsen in Höhe Griechenland muss seinen Haushalt in Ordnung bringen von 4,3 Prozent zahlen. Zu Beginn der Woche habe ich und Reformen einleiten“ lautete, ein Erfolgsrezept war. den Wert 1,3 Prozent gesehen. Wenn wir jetzt 0,7 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU) haben, ist das umso besser. Wir sehen also: Griechenland kann sich mit wachsendem Erfolg wieder selbst am Ka- Der erste Dank gilt vor allem den Menschen in Grie- pitalmarkt mit Geld versorgen. chenland, die dafür gesorgt haben, dass der Staat Einnah- men und Ausgaben wieder in Einklang bringt. Jetzt sollten wir diesen Weg unterstützen und es Grie- chenland ermöglichen, einseitig teure Schulden beim In- (Otto Fricke [FDP]: Das stimmt doch gar ternationalen Währungsfonds zurückzuzahlen. Wir haben nicht!) (B) dies bei Irland, Portugal und Zypern erfolgreich gemacht. (D) Dies ist die Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung Die Zinsersparnis kommt dem Land und den Menschen eines jeden Staatswesens, übrigens auch eines jeden Bür- zugute. Wir stimmen deshalb dem Antrag heute zu. gers. Wer Einnahmen und Ausgaben nicht im Blick hat, gerät unweigerlich in Schwierigkeiten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der AfD-An- trag, der uns ebenfalls vorliegt, zeigt, dass ihr nichts an (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist der Europäischen Union und dem Wohlergehen aller die Nummer der schwäbischen Hausfrau! Die Menschen des Euro-Raumes liegt. Sie müssten ja sonst Volkswirtschaft ist aber keine schwäbische auch das Positive erwähnen und eingestehen, dass wir in Hausfrau!) Griechenland die Kehrtwende geschafft haben. Man kann eben keine Politik gegen Adam Riese machen. (Lachen des Abg. Peter Boehringer [AfD]) (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Boehringer Wenn Sie sich wirklich, wie Sie vorgeben, für die Interes- [AfD]: Doch, beim BMF können die das!) sen Deutschlands starkmachen, sollten Sie Griechenland Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir es Griechen- unterstützen; denn ein prosperierender Euro-Raum und land ermöglichen, vorzeitig Schulden beim Internationen ein funktionierender Binnenmarkt sind im ureigenen Währungsfonds zu tilgen. Das unterstützen wir. Nach deutschen Interesse. Portugal, Irland und Zypern wird Griechenland eine wei- (Beifall bei der CDU/CSU) tere Erfolgsgeschichte. In meinem Wahlkreis stellt die Firma Liebherr unter (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der anderem Bagger her. Und, meine sehr geehrten Damen AfD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wer und Herren, zwei von drei Baggern gehen ins Ausland, in hätte das gedacht?) den Export. Meine Damen und Herren, wir haben als Europäische Union alle Hilfen an Griechenland mit Bedingungen ver- (Peter Boehringer [AfD]: Das war auch schon knüpft, und diese Instrumente greifen jetzt. Es ist wichtig, vor der Griechenland-Rettung so!) in ganz Europa immer wieder davor zu warnen, Ohne Euro und Binnenmarkt ginge der Export zurück, und es wären genau die Arbeitsplätze gefährdet, die die (Peter Boehringer [AfD]: Das ist Realsatire!) Grundlage unseres Wohlstands sind. Deshalb ist Europa mit teuren Wahlversprechen, die über die langfristigen wichtig; deshalb ist Europa in unserem Interesse. Und der wirtschaftlichen Möglichkeiten hinausgehen, über seine IWF bleibt trotzdem an Bord. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15047

Josef Rief (A) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir unterstüt- (Beifall bei der FDP – Zuruf von der LINKEN) (C) zen die positive Entwicklung in Griechenland und stim- men der beantragten Rückzahlung zu. – Ja, bei Ihnen bin ich klar. Sie wollen – das finde ich klar bei der Linken – der neuen konservativen Regierung der Herzlichen Dank. Nea Dimokratia, die Sie bis 2014 noch verdammt haben, jetzt helfen. Das ist auch in Ordnung; das können Sie auch (Beifall bei der CDU/CSU) tun. Aber für uns als Liberale bleibt es bei dem, was objektiv die Fakten sind. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Rief. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir wol- len keiner Regierung helfen, wir wollen den Josef Rief (CDU/CSU): Menschen helfen!) Entschuldigung, ich hatte nicht gesehen, dass Sie ge- Dann gehen wir mal objektiv an die Fakten heran. wechselt haben. Griechenland hat sich an viele Vereinbarungen unter einer linken Regierung nicht gehalten. Dazu gehört, dass sie die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Mehrwertsteuer nicht weiter harmonisiert hat. Dazu ge- Das spielt keine Rolle; ich bin auch mit „Frau Präs- hört, dass die Rentenreformen, die gemacht worden sind, identin“ anzureden, kein Thema. – Als nächster Redner rückabgewickelt worden sind. spricht zu uns der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist (Beifall bei der FDP) auch gut so!) Dazu gehört, dass die Privatisierung nicht erfolgt ist. Da- Otto Fricke (FDP): zu gehört auch, dass die Kreditprivilegien für den Erst- Geschätzter Herr diensthabender Präsident! Liebe Kol- wohnsitz nicht rückabgewickelt worden sind, sondern leginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick scheint es weiterhin bestehen. Sprich: Keine dieser Reformen wur- eine gute Meldung zu sein, was uns die Staatssekretärin de gemacht, obwohl sie Teil der Vereinbarung waren, hier gesagt hat: Griechenland zahlt Schulden zurück. – über die Sie, Frau Staatssekretärin, vorhin geredet haben. Tut es aber gar nicht. Griechenland nimmt am Markt bei Investoren – denn sie sind sicher, dass wir das alles auch Und was bedeutet das? Wir haben eine neue Regierung, irgendwann zurückzahlen, wenn die Not wieder groß ist – die sich aber an die alten Dinge der linken Regierung Geld zu günstigeren Zinssätzen auf. Nun könnte man weiterhin gebunden fühlt und nichts von den Reformen (B) (D) fragen: Bringt denn das was? Ja, es bringt sogar was. umsetzt. Und zur Belohnung sagen CDU/CSU, SPD und, Denn – Frau Staatssekretärin, das haben Sie nicht gesagt – ich vermute, nachher auch die Grünen: Ist nicht schlimm; worum geht es hier eigentlich? Es geht um 33 Millionen wir haben zwar eigentlich Vereinbarungen getroffen, an Euro, die Griechenland dadurch spart, dass es am Markt die man sich halten muss, aber ob ihr das nun macht oder niedrigere Zinsen bekommt. nicht, ist uns egal. Jetzt frage ich mal Sie alle hier – gerade auch die Kol- leginnen und Kollegen von der CDU/CSU, von der ich Wenn Sie mal die Muße hätten, sich den Antrag der doch sehr enttäuscht bin, weil sie den Pfad der Vernunft griechischen Regierung anzugucken, würden Sie sehen, zu verlassen scheint –: Wenn Sie als Schuldner 33 Millio- dass da nicht steht: Wir wollen das zurückgeben; wir nen Euro oder, sagen wir mal, nur 3 300 Euro sparen wollen uns an die Verträge halten. – Da steht nur: Wir würden und weiterhin mit über 180 Prozent Ihres Jahres- sparen 33 Millionen Euro Zinsen, und die wollen wir für einkommens verschuldet sind, würden Sie dann nicht, anderes ausgeben. – Dem zuzustimmen, ist weder euro- wenn Sie ein ehrlicher Sparer sind, als Erstes sagen: päisch noch national verantwortlich, noch ist es meiner „Das, was ich einspare, zahle ich zusätzlich zurück, damit Meinung nach der Sinn einer modernen europäischen ich meine Schulden etwas tilge“? Das wäre vernünftig. Politik. Was macht Griechenland? Griechenland sagt: Wir Herzlichen Dank. sparen 33 Millionen Euro an Zinsen, aber wir zahlen nichts davon zusätzlich für die Tilgung, sondern wir blei- (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald ben weiterhin bei dem alten Schuldenstand. Und wofür [DIE LINKE]: Aber sozial verantwortlich!) nutzen wir die 33 Millionen? Für Konsum und neue Pro- gramme. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Die Kollegin (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Für Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke, hat ihre Rede welche Programme denn, Herr Kollege?) zu Protokoll gegeben;1) das ist bemerkenswert. – Als Meine Damen und Herren, einem solchen Programm nächster Redner erhält der Kollege Sven-Christian zuzustimmen, finde ich schon sehr waghalsig Kindler, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Welchem Programm denn?)

und immer noch sehr unverständlich. 1) Anlage 6 15048 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das lag zum Teil an den falschen Strukturen im Staats- (C) NEN): sektor in Griechenland. Das lag aber auch an der falschen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- und harten Kaputtsparpolitik, die die Armut und Arbeits- ren! Es wurde schon gesagt: Was hier zur Abstimmung losigkeit in Griechenland vergrößert hat. steht, ist der Antrag der griechischen Regierung, ein Drit- Deswegen ist es sinnvoll, wenn Griechenland jetzt die tel seiner IWF-Kredite zurückzuzahlen und gleichzeitig Spielräume nutzt: für mehr Investitionen, für die Verrin- auf Parallelität der Rückzahlung von ESM- und EFSF- gerung der Armut, für die Verringerung der Arbeitslosig- Darlehen zu verzichten. Aus unserer Sicht ist das zu keit. Aber wir sagen auch klar: Griechenland muss den Recht ein sinnvoller Antrag: Er führt – das wurde schon Spielraum und die Zeit jetzt auch dafür nutzen, Struktur- gesagt – zu einer deutlichen Zinsersparnis für Griechen- reformen weiter anzugehen: Strukturreformen im Steuer- land; Griechenland hat momentan eine deutlich bessere system und im Justizsystem – das muss jetzt Priorität Möglichkeit, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren: zu haben. 1,5 Prozent bei einer zehnjährigen Anleihe. Das ist deut- lich weniger als der IWF-Kreditzins, der bei 4,9 Prozent (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) liegt. Es ist richtig: Es gibt jetzt auch eine neue Regierung. Diese Maßnahme führt zu einer Zinsersparnis in Grie- Die Schwesterpartei von CDU/CSU, Nea Dimokratia, ist chenland, zu einer Glättung des Rückzahlungsprofils und jetzt neu im Amt. Sie haben diesen Wahlkampf gewon- auch zu einer langfristigen Verbesserung der Schulden- nen, indem sie eine anderen Wirtschafts- und Finanzpo- tragfähigkeit. Das ist auch gut für den deutschen Bundes- litik in den Vordergrund gestellt haben. Das muss man zur haushalt. Wir werden dem heute zustimmen. Kenntnis nehmen. Es gibt Teile davon, die wir richtig finden, zum Beispiel dass man jetzt auch gerade kleine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einkommen, die sehr stark in der Krise gelitten haben, unterstützen will. Aber es gibt auch Maßnahmen, die aus Es ist auch so, Kollege Fricke: Auch der ESM als eu- unserer Sicht falsch sind, die neoliberal sind: Steuersen- ropäische Institution, die Europäische Kommission und kungen für Reiche, für Unternehmen, für Dividendenbe- die anderen Länder der Euro-Zone sind für diese Rück- zieher. Das halten wir für falsch; das kritisieren wir hier zahlung – das zum Thema „europäische Verantwortung, auch klar. europäische Solidarität“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das führt trotzdem nicht dazu, dass wir jetzt den Deutschland sollte sich hierbei in Europa nicht isolieren, eingeschlagenen Weg verlassen, uns aus der europäischen (B) sondern darum bemühen, dass man in der Gemeinschaft Solidarität und Verantwortung stehlen und diese sinnvolle (D) der europäischen Länder diesen Schritt zusammen macht. ökonomische Maßnahme hier jetzt nicht beschließen. Deswegen plädieren wir dafür, dem heute zuzustimmen. Und zur Erinnerung – Danke. (Der Redner wendet sich an das Präsidium) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Entschuldigung, die Unruhe nervt ein bisschen –: Auch in anderen Fällen – auch Irland, Zypern und Portugal hatten eine Rückzahlung an den IWF unter Nichtanwen- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dung der Parallelitätsklausel beantragt. Dem der Deut- Vielen Dank, Herr Kollege Kindler. Sie haben das Prä- sche Bundestag zugestimmt. Ich sehe nicht, warum wir sidium zu Recht gerügt wegen der Lautstärke unserer jetzt hier eine Ausnahme machen sollten. Daran sollten Unterhaltung hier oben. Aber wir haben versucht, den wir heute auch erinnern. Rest der Tagesordnung ordentlich abzuarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Zuruf des Abg. Frank Schäffler [FDP]) Otto Fricke [FDP]: Weil wir es schon immer so – Herr Kollege Schäffler, das war eine freundliche Be- gemacht haben! Konservativer geht es nicht! – merkung, wie ich hoffe. Peter Boehringer [AfD]: Das Zinsniveau ist ein völlig anderes!) Die Kollegin Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion, und der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion, haben ih- Griechenland macht sich aus unserer Sicht damit auch re Reden zu Protokoll gegeben.1) Damit beende ich die ein Stück unabhängiger vom IWF. Wir haben von Anfang Aussprache. an gesagt: Europa kann seine Probleme alleine lösen, da- für braucht Europa nicht den IWF. Europa kann das selber (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der machen. Das ist auch ein gutes Zeichen, wenn man klar- FDP) macht: Die Euro-Zone kann das alleine lösen; dafür Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des braucht sie nicht den IWF. Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 19/ 13977 mit dem Titel „Griechenland: Vorzeitige teilweise Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Griechinnen Rückzahlung des ausstehenden Kredites des Internationa- und Griechen harte Jahre hinter sich haben. len Währungsfonds – 1. Antrag auf Einholung eines zu- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das hat der Kollege Fricke nicht mitgekriegt!) 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15049

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) stimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Mit- (C) nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsme- glieder der FDP-Fraktion, ihre Wiedersehensfeiern zu be- chanismusgesetzes und 2. Antrag auf Einholung eines enden. zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 5 Absatz 2 Nummer 1 des ESM-Finanzierungs- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- gesetzes“. Wer stimmt für den Antrag des Bundesminis- nerin der Kollegin Petra Nicolaisen, CDU/CSU-Fraktion, teriums der Finanzen auf Drucksache 19/13977? – Wer das Wort. stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist ge- (Beifall bei der CDU/CSU) gen die Stimmen der AfD-Fraktion, der Fraktion der Freien Demokraten mit den Stimmen der übrigen Frak- Petra Nicolaisen (CDU/CSU): tionen des Hauses der Antrag angenommen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Kollegen! „Wir von der Union sind der Meinung, der ßungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/ öffentliche Dienst muss als Arbeitgeber attraktiv bleiben; 14405. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – denn ein starker Staat braucht einen starken öffentlichen Wer stimmt dagegen? – Dann ist dieser Entschließungs- Dienst!“ antrag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Mit diesem Satz habe ich bereits meine erste Rede zu Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a und 6 b sowie Zusatz- diesem Gesetzgebungsverfahren begonnen, und gerne punkt 7 auf: starte ich auch heute wieder mit diesem besonders zutreff- enden Satz. Denn es freut mich sehr, dass wir heute in der ZP 6 a) – Zweite und dritte Beratung des von der zweiten und dritten Lesung den vom Bundesministerium Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des Innern, für Bau und Heimat eingebrachten Gesetzent- eines Gesetzes zur Modernisierung der wurf – BesStMG – auf den Weg bringen werden. Strukturen des Besoldungsrechts und zur Änderung weiterer dienstrechtli- Der vorliegende Gesetzentwurf samt der dahin gehen- cher Vorschriften (Besoldungsstruktu- den Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres renmodernisierungsgesetz – BesStMG) und Heimat sorgt neben organisatorischen und anderen strukturellen Maßnahmen vor allem für attraktive und Drucksache 19/13396 wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen. Beschlussempfehlung und Bericht des (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Ausschusses für Inneres und Heimat (D) (4. Ausschuss) Es ist ein wichtiger Schritt zur Sicherstellung der Funk- tions- und Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Diens- Drucksache 19/14425 tes des Bundes und zugleich Teil der Umsetzung unseres gemeinsam mit der SPD im Koalitionsvertrag festgehal- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- tenen Bekenntnisses zu einem modernen öffentlichen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Dienst. Drucksache 19/14426 Ungeachtet der bereits erzielten Erfolge und Verbes- serungen – so beispielsweise das Ergebnis der Tarifver- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des handlungen im öffentlichen Dienst von 2018 oder das Berichts des Ausschusses für Inneres und sogenannte Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungs- Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der gesetz mit zahlreichen Verbesserungen für unsere Solda- Abgeordneten Konstantin Kuhle, Stephan tinnen und Soldaten – müssen wir, liebe Kolleginnen und Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Ab- Kollegen, noch mehr machen, um die Attraktivität des geordneter und der Fraktion der FDP öffentlichen Dienstes des Bundes auch in Zukunft sicher- Für einen modernen und attraktiven Öf- zustellen: mehr Geld für Anwärter, moderne Personalge- fentlichen Dienst winnung und -bindung sowie attraktive Zulagen. Drucksachen 19/13519, 19/14425 Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur einige der zentralen Maßnahmen und damit ein Bruchteil der ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Verbesserungen, die das BesStMG aufgreift. Insgesamt Mihalic, , Canan Bayram, weite- führt das BesStMG für viele Beamtinnen und Beamten rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ sowie Soldatinnen und Soldaten zu finanziellen Verbesse- DIE GRÜNEN rungen. Im Rahmen der strukturellen Verbesserung und Erhöhung von Stellenzulagen sei insbesondere die vorge- Polizeizulage wieder ruhegehaltsfähig gestal- sehene Erhöhung der Polizeizulage um immerhin 40 Pro- ten zent zu nennen. Drucksache 19/14381 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Abgeordneten der SPD und der FDP) Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Darüber hinaus kommt es zur Verbesserung der Aus- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. landsbesoldung: Die Tagessätze des Auslandsverwen- 15050 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Petra Nicolaisen (A) dungszuschlags werden deutlich erhöht. Überdies sollen (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja kaum (C) insbesondere eine attraktive Einmalzahlung bei der Per- zu glauben!) sonalgewinnung ermöglicht und die Anwendungsvoraus- Darum bedauern wir sehr, dass die Bundesregierung wie- setzungen dafür vereinfacht werden. der einmal die Chance verpasst hat, die Besoldungsstruk- Im Zuge des parlamentarischen Verfahrens hatten wir turen für diese Gruppen grundlegend zu modernisieren. zudem noch hinreichend Gelegenheit, dort Einfluss auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu nehmen, wo (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ach was!) wir noch Verbesserungsbedarf sahen. So sind auf Antrag Erstens. Die Bundesregierung hat, wie gerade schon der Koalitionsfraktionen in die Beschlussempfehlung des gehört, eine Reform des Familienzuschlages ausgeklam- Ausschusses für Inneres und Heimat beispielsweise noch mert und in die Zukunft verschoben. Zweitens. Die No- folgende Änderungen aufgenommen worden: Die bisher vellierung der Erschwerniszulagenverordnung ist kein nur für das ITZ Bund gewährte Stellenzulage wird auf die Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens mehr. Und drit- Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Or- tens – auch das ist wichtig – fehlt die Ruhegehaltsfähig- ganisationen mit Sicherheitsaufgaben erstreckt. Der Aus- keit der Polizeizulage. nahmetatbestandszuschlag für Soldatinnen und Soldaten wird von im Regierungsentwurf vorgesehenen 86 Euro (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nun lesen Sie auf 91 Euro erhöht, bei gleichzeitig angemessener Erhö- einfach weiter ab! Ahnung haben Sie ja nun hung des Höchstbetrags des Auslandsverwendungszu- nicht von dem, was Sie da sagen!) schlags von im Regierungsentwurf ursprünglich 141 Euro Dabei ist inzwischen vollkommen klar, dass die beson- auf 145 Euro. Vorgesehen ist auch die Erweiterung der dere Belastung der Polizeibediensteten nicht mit der Pen- Zulage für militärische Führungsfunktionen bei Kompa- sionierung endet. Die physische, aber auch die psychische niechefs auf A 13/A 14 für Soldatinnen und Soldaten. Belastung durch die ständige Konfrontation mit Gewalt und Verbrechen wirkt auch nach Ende der aktiven Dienst- (Beifall bei der CDU/CSU) zeit fort. Ich erinnere nur kurz an die PKS 2018: allein Keine Einigung konnten wir leider in der Frage des 34 000 Delikte im Bereich Widerstand gegen die Staats- Familienzuschlags erzielen. Deshalb haben wir in der gewalt – ein Anstieg um 40 Prozent zum Vorjahr 2017. Es Beschlussempfehlung die Bundesregierung nun aufge- wäre ein gutes, wichtiges und schönes Signal und vor fordert, die Reform des Familienzuschlags in einem allem auch ein Ausdruck von Wertschätzung insbesonde- separaten Verfahren auf Basis des Referentenentwurfs re gegenüber der Bundespolizei gewesen, hier eine ent- fortzuentwickeln, und das relativ zügig; denn, liebe Kol- sprechende Anerkennung im Alter zu gewähren. leginnen und Kollegen, das darin unter anderem verfolgte (B) Ziel, die Haushaltsmittel künftig bei den Familien mit (Beifall bei der AfD) (D) Kindern zu konzentrieren und diese damit zu stärken, Nur zur Erinnerung: Die Polizeizulage war bis 2009 bereits ruhegehaltsfähig. Wir würden den Polizisten also (Konstantin Kuhle [FDP]: Schön wär’s!) nur das wieder zurückgeben, was ihnen später genommen ist uns an der Stelle sehr wichtig. wurde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Und auch das Argument der Mehrkosten ist schnell Vogt [SPD]) entkräftet. Der Vertreter des dbb, Herr Schäfer, hat in der Sachverständigenanhörung vorgerechnet, dass die Im Ergebnis ist der vorliegende Gesetzentwurf samt Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage auf zehn Jahre der dahin gehenden Beschlussempfehlung – das möchte gerechnet 640 Millionen Euro kosten würde – 640 Millio- ich nochmals ausdrücklich betonen – ein guter Schritt, der nen Euro als Anerkennung und Wertschätzung für unsere allen Beteiligten gerecht wird. In diesem Sinne bitte ich Bundespolizisten, die die Bundesregierung nicht bereit ist Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Zustimmung zu zahlen. Für andere ist natürlich Geld da: zu diesem guten Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ah! – Konstantin Kuhle [FDP], an die CDU/CSU ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei wandt: Hat sie was zu Ausländern gesagt? Ich Abgeordneten der SPD) habe nicht zugehört! Was hat sie gesagt: Aus- länder oder Gender?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zwischen 2007 und heute 600 Millionen Euro für Gender- Vielen Dank, Frau Kollegin Nicolaisen. – Als nächste gaga, Rednerin hat das Wort die Kollegin Beatrix von Storch, AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) für Genderforschung, für LSBTTIQ-Projekte und diesen (Beifall bei der AfD) ganzen Nonsens. Gendergaga Beatrix von Storch (AfD): (Konstantin Kuhle [FDP]: Bingo!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Die in- ist der Regierung 600 Millionen Euro wert, aber die Bun- nere und die äußere Sicherheit, das sind die Kernaufgaben despolizei nicht. des Staates. Die AfD weiß, welche Verantwortung die Polizisten und die Soldaten auf sich nehmen. Wir stimmen dem Gesetz trotzdem zu. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15051

Beatrix von Storch (A) (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – so nüchterne Gesetz auch ziemlich viel mit dem zu tun (C) Lachen des Abg. Konstantin Kuhle [FDP] – hat, was wir gestern im Rahmen von Meinungsfreiheit Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nee! Das wollen und Wahrung der Demokratie diskutiert haben. Denn wir nicht! Dann haben wir einen Fehler ge- wenn man es mal martialisch ausdrückt, dann sind die macht!) Bundespolizistinnen und Bundespolizisten, die Zollbe- Es fehlt vieles, aber die Polizeizulage steigt endlich spür- amtinnen und Zollbeamten, die Mitarbeiter von Ministe- bar. rien Wenn wir in Regierungsverantwortung sein werden, (Beatrix von Storch [AfD]: Und Mitarbeiterinnen!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nie- und die Bundeswehrsoldatinnen und Bundeswehrsolda- mals! Nur über unsere Leichen! Never ever!) ten gerade diejenigen, die tagtäglich für diesen demokra- was schneller der Fall sein wird, als Ihnen lieb und recht tischen Rechtsstaat einstehen, ihren Kopf hinhalten und ist, werden wir das Besoldungsgesetz grundlegend er- manchmal ihr Leben riskieren. Sie verdienen von uns auf neuern. jeden Fall nicht nur schöne Worte, sondern wahrlich An- erkennung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der AfD) bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: NEN]) Vielen Dank, Frau Kollegin von Storch. – Als nächster Sie verdienen das in aller Deutlichkeit. Und genau so Redner hat der Kollege Helge Lindh, SPD-Fraktion, das handeln wir: Sie verdienen das durch Prämien und da- Wort. durch, dass Zulagen endlich signifikant erhöht werden. (Beifall bei der SPD) Man könnte jetzt – das wäre das Übliche – erwidern: Ja, aber was ist mit der Ruhegehaltsfähigkeit, der pau- Helge Lindh (SPD): schalen Beihilfe, den durch § 55 BeamtVG betroffenen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Grenzschützern, dem Familienzuschlag? Es ist nämlich würde eine andere Gegenrechnung aufmachen, Frau von üblich, dass wir uns daran gewöhnt haben, alles aufzuzäh- Storch: Was würde diesem Staat finanziell erspart blei- len, was wir noch nicht oder bewusst nicht beschlossen ben, haben, anstatt mal zu betonen – Johannes Rau hat es uns (B) empfohlen, und wir sollten uns daran erinnern –, was alles (D) (Zuruf von der AfD: Ohne Sie!) gelungen ist. Dies ist ein verdammt gutes Gesetz, ein sehr wenn wir nicht Ihre Partei finanzieren müssten, sinnvolles, kluges Gesetz und ein kluger Kompromiss, auf den wir stolz sein können. Ich finde, es ist auch gar (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE nicht beschämend, das zu sagen. LINKE]) wenn Polizistinnen und Polizisten nicht Kundgebun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gen der AfD und rechtsextremistischer Organisationen CDU/CSU) schützen müssten und wir nicht so viel Geld für diese Wir müssen jetzt nicht hurrapatriotisch feiern und es sehr traurigen Tätigkeiten ausgäben! das beste Gesetz aller Zeiten nennen; diese Rituale braucht kein Mensch mehr. Aber genauso wenig müssen (Beatrix von Storch [AfD]: Vor was müssen die wir uns davon distanzieren oder immer betonen, was denn Mitglieder unserer Fraktion schützen? nicht gelungen ist. Ich weiß, wovon ich rede: Wir haben Vor Ihren linken Schlägern!) in meiner eigenen Partei durchaus die Tradition, immer Das wäre eine viel sinnvollere Refinanzierung. hervorzuheben, was nicht geschafft ist. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Marcus Faber [FDP] – Ingo Ich bin stolz darauf, dass diese Koalition sowohl für Be- Gädechens [CDU/CSU]: Ist ja auch eine Men- amtinnen und Beamte viel macht als sich auch für Ge- ge!) ndergerechtigkeit, für Frauen, für Verfolgte und für Opfer von Vergewaltigungen einsetzt. Das ist das Zeichen eines Heute Morgen hat Herr Michelbach in Form eines negati- selbstbewussten Rechtsstaates, und es ist gut, dass es so ven Bekenntnisses in der Frage des Solidaritätszuschla- ist. ges auch so etwas geliefert. Ich denke, wir brauchen das nicht. Wir können den Kompromiss sehr selbstbewusst (Beifall bei der SPD und der LINKEN) vertreten. Eigentlich müsste dieses Gesetz „Attraktiverer-öffent- licher-Dienst-Gesetz“ oder „Glücklichere-Beamte-Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setz“ heißen. Jetzt hört man gleich – im Ausschuss war Das fällt aber schwer in Zeiten, in denen gerade zum es auch so – das Schreien. Ich werde aber versuchen, es Beispiel von der AfD unser sehr handlungsfähiger Staat Ihnen sehr schlüssig zu begründen, und ich versuche, im als unfähig, langsam und alles behindernd dargestellt Zuge dessen auch zu begründen, warum dieses scheinbar wird. 15052 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Helge Lindh (A) (Andreas Bleck [AfD]: Die Regierung ist un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) fähig, nicht der Staat! Das sind zwei verschie- der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- dene Dinge!) NEN) Und es fällt schwer in Zeiten, in denen Thomas de Wir Sozialdemokraten sind immer noch überzeugt, Maizière leider sehr unsouverän daran gehindert wird, dass die pauschale Beihilfe eine kluge Idee und beihilfe- zu reden. Es fällt auch schwer in Zeiten, in denen es als rechtlich vernünftig ist und dass auch nicht, wie Sie es pseudointellektuell dargestellt wird – ich habe jüngst sehen, die Gefahr besteht, dass wir in die Bürgerversiche- diese Erfahrung gemacht –, wenn man Sachverhalte mit rung geraten. fünf längeren Sätzen darlegen will und auch noch drei Fremdwörter gebraucht. Aber ich bin der Meinung: lieber Vizepräsident Wolfgang Kubicki: pseudointellektuell als echt dumm. Herr Kollege, so gern ich Ihnen zuhöre, Sie müssen (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Heiter- zum Ende kommen. keit des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Helge Lindh (SPD): Deshalb stehen wir mit Selbstbewusstsein zu diesem Aber als Koalition entscheiden wir gemeinsam nur, Gesetz. Es wurde schon erwähnt: 40 Prozent Erhöhung was wir zusammen tragen. Deshalb ist das noch Work der Polizeizulage, bei der BKA-Zulage sind es 50 Pro - in Progress und noch zu erledigen. zent. Summa summarum: – (Zuruf von der FDP: Redezeit!)

Wir versuchen jetzt, bewusst Prämien einzuführen, die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: flexibler gestaltet sind, um darauf zu reagieren, dass es Herr Kollege Lindh, bitte kommen Sie jetzt zum jetzt keine paradiesischen Verhältnisse mehr im öffent- Schluss. lichen Dienst gibt, sondern eine große Konkurrenz durch Wettbewerber auf dem privaten Markt oder im IT-Be- Helge Lindh (SPD): reich. – Ganz viele Beamtinnen und Beamte stehen mit die- Da reicht es nicht, einfach festzuhalten, dass es ja ein sem Gesetz besser da. Keiner kann es leugnen: Es ist ein ganz gutes Ruhegehalt gibt, sondern der Auftrag ist, uns Tag bzw. ein Abend, glücklich zu sein, auch für die Be- darum zu kümmern, dass der Dienst selbst attraktiv ist amtinnen und Beamten. (B) und dass der Dienstherr die Möglichkeiten hat, das be- (D) weglich zu gestalten. Ich bin der Meinung: Das ist dank (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums, ten der CDU/CSU – Heiterkeit des Abg. die das in mühsamer Arbeit entwickelt haben, gelungen. Konstantin Kuhle [FDP]) Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktio- nen, die die Verbesserungen für uns mitentwickelt haben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – das machen nicht allein wir Abgeordneten –, gebührt Ich bin jetzt auch glücklich, dass Sie wirklich zum Dank, dass wir heute ein so gutes Gesetzespaket auf den Schluss gekommen sind. Weg bringen. Der Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion, hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) überraschenderweise seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Im Rahmen dessen möchte ich auch auf die Kritik- (Beifall des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU] – punkte eingehen; denn ich finde, das gehört zu einer sou- Stephan Thomae [FDP]: Schade eigentlich, veränen Demokratie. Der Familienzuschlag wurde er- oder?) wähnt. Bewusst haben wir nicht nur im Rahmen der Auch die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke, hat ihre Beschlussempfehlung, sondern auch in Form eines An- Rede zu Protokoll gegeben.2) trages eindeutig festgehalten, dass wir den Familienzu- schlag mit einem Schwerpunkt auf der Situation von Fa- Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/ milien mit Kindern wieder aufgreifen werden. In diesem Die Grünen die Kollegin Dr. Irene Mihalic. Rahmen wird es sicher auch sinnvoll sein, sich noch ein- mal die Versorgungslücke bei Geschiedenen – das betrifft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gerade geschiedene Frauen – und bei Polizistinnen und Polizisten in Teilzeit anzugucken. Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe ja eigentlich erwartet, dass der Kollege Kuhle Wir haben uns ganz bewusst gemeinsam entschieden – hier noch zu seinem Antrag sprechen möchte; aber dann denn wir sind in einer Koalition, und dieser Gesetzent- muss das wohl an anderer Stelle noch mal geschehen. wurf ist ein Kompromiss –, dass wir keine Verbesserung bei den ehemaligen DDR-Grenzschützern und Stasimit- (Konstantin Kuhle [FDP]: Habe ich ja vor zwei arbeitern wollen; denn es gibt einen Generalkompromiss Wochen schon gemacht!) aus den 90er-Jahren. Aus Respekt vor den SED-Opfern haben wir letztlich diese Entscheidung gemeinsam ge- 1) Anlage 7 troffen, und wir stehen auch zu dieser Entscheidung. 2) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15053

Dr. Irene Mihalic (A) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- Ganz herzlichen Dank. (C) be Kollegen! Das Besoldungsstrukturenmodernisierungs- gesetz bringt für die Beamtinnen und Beamten einige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) längst überfällige Verbesserungen, und die Reform trägt auch dazu bei, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes Vizepräsident Wolfgang Kubicki: insgesamt zu erhöhen. Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Mihalic. – Die Kolle- gin Kerstin Vieregge, CDU/CSU-Fraktion, hat ihre Rede Klar ist natürlich auch: Es lässt sich nicht alles über die zu Protokoll gegeben.1) Damit schließe ich die Ausspra- Besoldung lösen. Wenn man sich allerdings so eingehend che. mit der Besoldung beschäftigt, wie es der vorliegende Gesetzentwurf tut, dann kommen sehr schnell einige Zusatzpunkt 6 a. Wir kommen zur Abstimmung über zentrale Fragen auf, die der vorliegende Gesetzentwurf den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent- entweder nicht oder nicht wirklich befriedigend beant- wurf zur Modernisierung der Strukturen des Besol- wortet. dungsrechts und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften. Der Ausschuss für Inneres und Heimat (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Oder noch empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung nicht!) auf Drucksache 19/14425, den Gesetzentwurf der Bun- Es ist zum Beispiel nicht gelungen – das ist auch schon desregierung auf Drucksache 19/13396 in der Ausschuss- gesagt worden –, eine zeitgemäße Familienförderung auf fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- den Weg zu bringen, die insbesondere bei den Kindern setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, ansetzt. Der ergänzende Antrag, der vorgelegt worden ist, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Dann ist macht dieses Defizit auch ganz deutlich. dieser Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Bei der Polizeizulage sind Sie leider auf halbem Weg Hauses in zweiter Beratung angenommen. stehen geblieben. Sie haben sie zwar erhöht – das ist an- erkennenswert, und das ist auch wichtig –, aber Sie haben Dritte Beratung eben keine Lösung gefunden, was die fehlende Ruhege- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem haltsfähigkeit betrifft. Angesichts der vielen offenen Stel- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – len bei der Polizei ist das ein großes Problem, und des- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen auch keine. Dann wegen bitten wir Sie auch eindringlich, unserem Antrag ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung gegen die Stim- zuzustimmen, der die Bundesregierung auffordert, eine men der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Lösung dafür zu finden. Fraktionen des Hauses angenommen. (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zusatzpunkt 6 b. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Ich halte das auch angesichts der vielen offenen Stellen Heimat auf Drucksache 19/14425 fort. Unter Buchstabe in diesem Bereich wirklich für ein ganz wichtiges Signal b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags an die Polizei und auch an die Bewerberinnen und der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/13519 mit Bewerber; denn die Belastungen des Polizeiberufs wirken dem Titel „Für einen modernen und attraktiven Öffent- ja in der Tat bis in den Ruhestand hinein nach. Ich weiß lichen Dienst“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- gar nicht, wie oft wir nicht nur in dieser, sondern auch in lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann der letzten Wahlperiode hier im Haus schon über das ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Thema Wertschätzung und über Respektlosigkeiten ge- FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ genüber Beamtinnen und Beamten geredet haben. Sie Die Grünen und Die Linke mit den Stimmen der übrigen haben ja sogar das Strafrecht verschärft, um Ihre Wert- Fraktionen des Hauses – das sind CDU/CSU, SPD und schätzung zum Ausdruck zu bringen. An dieser Stelle AfD – angenommen. hätten Sie mal die Gelegenheit, das ganz lebenspraktisch zu machen, und zwar auch über die aktive Dienstzeit Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der Frak- hinaus. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/14381 mit dem Titel „Polizeizulage wieder ruhegehaltsfähig ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt Ansonsten möchte ich noch mal hervorheben, dass der dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag vorliegende Gesetzentwurf schon allein deshalb unsere gegen die Stimmen der Fraktionen der AfD, Bündnis 90/ Zustimmung verdient, weil er die Beschäftigten in vielen Die Grünen und Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bereichen des öffentlichen Dienstes berechtigterweise der FDP mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD- besserstellt. Insgesamt wird es aber auch unsere Aufgabe Fraktion abgelehnt. als Parlamentarier hier im Haus sein, sehr genau hinzu- Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: schauen, ob sich diese Verbesserungen tatsächlich ein- stellen und wie es dann am Ende auch mit der Umsetzung Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi aussieht. Und wir sollten offen dafür sein, gegebenenfalls Lemke, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, wei- auch schnell gegenzusteuern, wenn sich infolge der Neu- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- erungen vielleicht unbeabsichtigte Folgen oder Probleme NIS 90/DIE GRÜNEN ergeben. In diesem Sinne machen wir jetzt den Sack zu, aber nicht den Deckel drauf. 1) Anlage 7 15054 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) 30 Jahre Grünes Band mal, zum Gedenkort, zum Erinnerungsort geworden ist, (C) dieser Aufgabe haben sich der Deutsche Bundestag und Drucksache 19/14382 die Bundesregierung in der Vergangenheit bereits ange- Überweisungsvorschlag: nommen und sollten sich ihrer auch weiter annehmen. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Inneres und Heimat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des Deshalb fordern wir, die grüne Bundestagsfraktion, mit BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) unserem Antrag, dass sich die Bundesregierung verstärkt für den vollständigen Lückenschluss des Grünen Bandes – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die ich hoffe, dass sich der Deutsche Bundestag dem an- Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen schließen wird – und für die vollständige Ausweisung Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. des ehemaligen Grünen Bandes zum Nationalen Natur- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- monument einsetzen soll. nerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schätzten Kollegin Steffi Lemke das Wort. Das Nationale Naturmonument ist eine Schutzkategorie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die im deutschen Bundesnaturschutzgesetz erst 2009 eingeführt wurde und durch die Gebiete, die aus wis- Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): senschaftlichen, naturgeschichtlichen, kulturhistorischen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Gründen von herausragender Bedeutung sind, gewürdigt Kollegen! In wenigen Tagen, am 9. November, werden und geschützt werden sollen. Ich glaube, dass dies in der wir der Friedlichen Revolution von 1989 gedenken, wir Tat nur geht, wenn neben den Bundesländern in Ost wie werden aber auch des Mauerfalls gedenken, und wir dür- West auch der Deutsche Bundestag und die Bundesregie- fen in diesem Zusammenhang auch 30 Jahre Grünes Band rung diese Vorhaben unterstützen und die historische wie feiern. die naturräumliche Bedeutung des Grünen Bandes hoch- heben und entsprechend würdigen und unterstützen. Diese Ereignisse sind untrennbar verbunden mit dem 9. November als Tag des Gedenkens an die November- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pogrome gegen die deutschen Juden. Dieser 9. Novem- ber ist zugleich Mahnmal für die Grenzziehung durch Wir fordern die Bundesregierung mit unserem Antrag Deutschland infolge von Faschismus, Zweitem Welt- auch auf, das europäische Grüne Band, das letztendlich (B) krieg, Holocaust und der Verbrechen des Naziregimes. den ehemaligen Eisernen Vorhang repräsentiert, zu unter- (D) stützen, dort auch für Erinnerungskultur zu werben und Nach der Grenzziehung zwischen der Sowjetischen zu helfen, die wertvollen Naturlandschaften, die dort Besatzungszone und den westlichen Besatzungszonen existieren, unter Schutz zu stellen und sie zu bewahren, entstand durch das Regime der DDR ein Grenzregime, Gedenken, Erinnerung und Mahnung zugleich dort wach- das unmenschlich gewesen ist und dem Hunderte Men- zuhalten. schen zum Opfer gefallen sind; sie wurden erschossen Ich würde mich freuen, wenn wir in den Ausschüssen oder sind durch Minen und Selbstschussanlagen getötet vielleicht sogar dazu kommen, einen interfraktionellen worden. Es fanden Zwangsumsiedlungen Tausender DDR-Bürger statt, unter anderem mit der sogenannten Antrag zu formulieren. Aktion Ungeziefer im Jahr 1952; allein durch diesen Na- Vielen Dank. men kommt schon die Menschenverachtung der DDR zum Ausdruck. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, es ist ein wirklich besonderes Paradoxon, dass sich genau auf diesem Todesstreifen und in den an- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: grenzenden Arealen eine der wertvollsten Naturland- Vielen Dank, Frau Kollegin Lemke. – Der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU-Fraktion, hat seine schaften Deutschlands erhalten hat, Natur, die dort Schutz 1) vor Zerschneidung, vor Zersiedlung, vor zu intensiver Rede zu Protokoll gegeben. wirtschaftlicher Nutzung gefunden hat. (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb rufe ich jetzt den Kollegen Andreas Bleck, AfD- Das Grüne Band Deutschland ist mit einer Gesamtlänge Fraktion, auf. von 1 400 Kilometern der längste Biotopverbund in (Beifall bei der AfD) Deutschland. Er ist Rückzugsort für rund 1 200 bedrohte Arten. 87 Prozent seiner Fläche sind naturnah. Wir finden Andreas Bleck (AfD): dort Feuchtgebiete, naturnahe Stand- und Fließgewässer, Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle- Bergwiesen, Nasswiesen, Trockenstandorte, naturnahe gen! 30 Mauerfall, 30 Jahre Grünes Band: Das ist ein Wälder und sehr viele bedrohte Arten, also eine unheim- schönes Jubiläum, das wir am 9. November 2019 feiern liche Vielfalt. können. Dass diese ehemalige innerdeutsche Grenze zum Leuchtturm für Naturschutz und gleichzeitig zum Mahn- 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15055

Andreas Bleck (A) Mit einer Länge von etwa 1 400 Kilometern ist die (Beifall bei der AfD) (C) innerdeutsche Grenze der größte Biotopverbund Früher waren führende Grüne gegen die Überwindung Deutschlands. Für etwa 1 200 gefährdete Arten wurde der innerdeutschen Grenze. der Todesstreifen zur Lebenslinie. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE Das Problem: Mit dem Mauergrundstücksgesetz wurde GRÜNEN) die Privatisierung von Flächen am Grünen Band ermög- licht und damit der Grundstein für den Nutzungsstreit Angelika Beer, Jutta Ditfurth und Claudia Roth beteilig- zwischen Landwirten, Naturschützern und Heimatkund- ten sich an Demonstrationen unter dem Motto: Nie wie- lern gelegt. der Deutschland – gegen die Wiedervereinigung. Selbst- verständlich wollen Sie davon heute nichts mehr wissen. Etwa 10 Prozent der Fläche des Grünen Bands befin- Den Wandel vom Saulus zum Paulus nehmen wir Ihnen den sich in Privateigentum. Länder wie Thüringen und jedenfalls nicht ab. Sachsen-Anhalt haben das Grüne Band mittlerweile als Nationales Naturmonument ausgewiesen und möchten (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum die Flächen, die sich in Privateigentum befinden, jetzt nicht? Nicht begründet!) zum Staatseigentum machen. Der Bund hat die Länder Auch in Ihrem Antrag haben Sie den Sozialismus dabei durch die Übertragung seiner Flächen am Grünen sprachlich noch nicht ganz abgeschüttelt in Ihren Reihen. Band unterstützt. Das heißt, der Ball liegt nicht mehr Mit dem Begriff „Hitlerfaschismus“ bedienen Sie sich der beim Bund, sondern bei den Ländern. Sprachpropaganda der DDR. Dort ist auch der Flaschenhals bei der Ausweisung des Grünen Bandes als Nationales Naturmonument zu su- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: chen. Beim Nutzungsstreit um das Grüne Band besteht Unglaublich!) nämlich ein Spannungsfeld zwischen den Interessen der Das gefällt den Linken natürlich. Dieser Begriff wurde Landwirtschaft, des Naturschutzes und der Heimatkunde. und wird von Sozialisten verwendet, um eine Assoziie- Landwirte fürchten die Enteignung landwirtschaftlicher rung von Elementen des Nationalsozialismus mit Ele- Flächen, Naturschützer den Verlust der Biodiversität und menten des Sozialismus sprachlich in weite Ferne zu rü- Heimatkundler die Auslöschung der Erinnerung. cken. In ihrem Antrag bezieht die Fraktion Bündnis 90/Die (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das eine hat mit Grünen Position für die Naturschützer und gegen die dem anderen nun gar nichts zu tun!) Landwirte. Denn beim Einparteiensystem, der Ausschaltung der Op- (B) (D) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: position, der Überwachung der Gesellschaft durch Polizei Lesen Sie den Antrag!) und Geheimdienste sowie der Militarisierung gleichen sich beide Ideologien. Sie fordern den Lückenschluss des Grünen Bands, das unter anderem durch landwirtschaftliche Flächen unter- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Daran brochen ist. Dabei tröstet es die Landwirte eben nicht, sieht man, dass unser Bildungssystem – –) dass die Grünen das Grüne Band auch als Erinnerungsort voranbringen möchten. Wenn Sie es mit der Erinnerungskultur so ernst mei- nen, wie Sie es mit Ihrem Antrag suggerieren wollen, Stattdessen sollten Sie sich fragen, an was sich die dann hätte ich erwartet, dass Sie nicht diese Sprachpro- Landwirte erinnert fühlen, wenn ihre Familien, die bei paganda der DDR übernehmen, sondern das Kind beim der Grenzziehung zwischen West und Ost zum ersten Namen nennen: Nationalsozialismus. Mal enteignet wurden, durch den Lückenschluss zum zweiten Mal enteignet werden. Nein, werte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, aus unserer Sicht ist deutlich geworden, dass Sie den Heimat- (Beifall bei der AfD) schutz als Vorwand nutzen. Ihr Antrag ist einseitig und kurzsichtig. Das ist Geschichtsvergessenheit in Reinkultur. Die Frak- tion der AfD lehnt das trotz der Ausgleichsflächen ent- Die AfD befürwortet hingegen die Ausweisung des schieden ab. Grünen Bands als Nationales Naturmonument unter Bei- behaltung landwirtschaftlicher Flächen. (Beifall bei der AfD) Darüber hinaus behaupten die Grünen in ihrem Antrag, (Beifall bei der AfD) dass sich das Grüne Band vom Symbol der Teilung zum Das Grüne Band soll stattdessen mit Bypässen an diesen Symbol der Überwindung von Grenzen gewandelt hat. vorbeigeführt werden. Das bedeutet auch, dass der Ver- Werte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, das ist lauf des Grünen Bands an diesen Stellen dann nicht mehr nun wirklich grober Unfug. Das Grüne Band ist explizit exakt der Grenzziehung zwischen West und Ost ent- Symbol der Überwindung der innerdeutschen Grenze, die spricht. Da es aus Sicht des Naturschutzes jedoch keinen ein und dasselbe Volk in zwei Staaten geteilt hat. Sie Unterschied macht, ob das Grüne Band als Biotopver- versuchen hier, das Grüne Band als Symbol Ihrer im bund exakt auf oder an der innerdeutschen Grenze be- wahrsten Sinne des Wortes grenzenlosen Migrations- steht, halten wir das in jedem Fall für vertretbar. Damit und Integrationspolitik umzudeuten und zu vereinnah- wäre zumindest den Interessen der Landwirtschaft und men. Das macht die AfD sicherlich nicht mit. des Naturschutzes Rechnung getragen. 15056 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Andreas Bleck (A) Ihren Antrag lehnen wir inhaltlich ab. Insgesamt hat das Bundesumweltministerium das Grü- (C) ne Band mit rund 19 Millionen Euro aus unterschiedli- Vielen Dank. chen Förderinstrumenten unterstützt. Wir tragen zum Beispiel dazu bei, Lücken im Grünen Band schließen zu (Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann können. Im Rahmen des Bundesprogramms „Biologische [DIE LINKE]: Überraschung!) Vielfalt“ fördern wir das Projekt „Lückenschluss Grünes Band“, welches Flächenbesitzer innerhalb des Bandes, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wie etwa Naturschutzstiftungen der Länder, Kommunen, Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht zu uns die Privatpersonen, dabei unterstützt, zerstörte Lebensräume Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr- wiederherzustellen. Sutter für die Bundesregierung. Auch die Bundesregierung selbst leistet einen wesent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lichen Beitrag zur Sicherung der im Grünen Band ver- fügbaren Bundesflächen. Alle diese Flächen wurden in das Nationale Naturerbe übertragen. In der Vergangenheit Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei waren dies insgesamt 6 800 Hektar. In dieser Legislatur- der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nuk- periode kommen im Rahmen der vierten Tranche des leare Sicherheit: Nationalen Naturerbes weitere Flächen hinzu. Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- legen! 30 Jahre nach dem Mauerfall steht das Grüne Band Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Schutz des wie kein anderes Erfolgsprojekt des Naturschutzes für Grünen Bandes funktioniert auch deshalb so gut, weil hier die Überwindung der schmerzlichen Trennung Deutsch- alle – die unterschiedlichen staatlichen Ebenen, die Ver- lands und Europas. Statt Stacheldraht, Grenzkontrollen bände und Privatpersonen; ich nehme ein paar wenige und Wachtürmen sehen wir grüne Landschaften, Rad- aus – an einem Strang ziehen. Diesen Erfolg wollen wir und Wanderwege und Begegnungsorte. Das Grüne Band gemeinsam weitertragen und den ehemaligen Eisernen zeigt, was mit dem Willen aller Beteiligten geschaffen Vorhang vom hohen Norden Europas bis zum Schwarzen wurde und dass Narben auch verheilen können, verwach- Meer im Süden in ein europäisches Grünes Band verwan- sen können. Es mahnt uns, auch in Zukunft keine Mauern deln. neu zu errichten, und es lehrt uns, dass Natur- und Um- (Andreas Bleck [AfD]: Wir sehen das anders!) weltschutz verbinden und Brücken schlagen kann. – Auf der ganz rechten Seite ist europäisch sowieso Hop- Das Grüne Band ist mit einer Länge von fast 1 400 Ki- fen und Malz verloren, weil Nationalismus da ja immer (B) lometern der längste Verbund von Lebensräumen der Na- großgeschrieben wird. – Erfreulicherweise erhalten wir (D) tur in Deutschland. Hier konnte sich die Natur über Jahr- viel Unterstützung von anderen Mitgliedstaaten und der zehnte hinweg beinahe ungestört durch menschliche Kommission. Nutzung entwickeln, sodass ein Rückzugsort für mehr als 1 200 bedrohte Tier- und Pflanzenarten entstehen Ja, Deutschland hat auch eine ganz besondere Verant- konnte. Das Grüne Band ist der einzige nationale Biotop- wortung, das Grüne Band als historischen Ort, als Ort der verbund, der sich durch neun Bundesländer zieht und Begegnung, als Ort der biologischen Vielfalt und als Ort einen Querschnitt durch fast alle Landschaften Deutsch- des Naturschutzes zu erhalten, und dieser Verantwortung lands bildet – von den norddeutschen Niederungsgebieten stellen wir uns auch in Zukunft. bis hin zu den Mittelgebirgen. Dieses ökologische Juwel Herzlichen Dank. gilt es auch in Zukunft zu erhalten, und zwar richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Umso mehr freue ich mich, dass Thüringen im vergan- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE genen Herbst mit der Ausweisung des Nationalen Natur- GRÜNEN) monuments „Grünes Band Thüringen“ vorangegangen ist. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Die nächsten Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Rednerinnen und Redner, die Kollegin Judith Skudelny, FDP-Fraktion, der Kollege Ralph Lenkert, Linke-Frak- – Danke, Herr Lenkert. – Das Bundesumweltministerium tion, der Kollege Volkmar Vogel, CDU/CSU-Fraktion, hat das von Anfang an unterstützt; denn durch die Aus- und der Kollege Carsten Träger, SPD-Fraktion, haben weisung stärken wir das Zusammenspiel von Biotopver- ihre Reden zu Protokoll gegeben,1) bund und Erinnerungslandschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marianne Unsere Hoffnung ist, dass wir in Zukunft das gesamte Schieder [SPD]: Sehr schön!) Grüne Band in Deutschland zum Nationalen Naturmonu- ment erklären können. Heute kam eine gute Nachricht aus weshalb ich die Aussprache schließen kann. Sachsen-Anhalt: Dort wurde auch beschlossen, das Grü- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf ne Band zum Nationalen Naturmonument zu erklären. Drucksache 19/14382 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie mit diesem (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Ich finde auch: Das ist einen Beifall wert. 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15057

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Überweisungsvorschlag einverstanden? – Ich sehe, das mehr Rechtssicherheit gefordert, wenn sie artenschutz- (C) ist der Fall. Dann verfahren wir so. rechtliche Ausnahmen erteilen. Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: Mit dem geänderten Gesetz können Wölfe, die Weide- tiere reißen, bereits bei drohenden „ernsten Schäden“ an- ZP 9 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- stelle der bislang erforderlichen „erheblichen Schäden“ gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur entnommen werden. Was nach Semantik klingt, hat er- Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes hebliche Auswirkungen; denn bisher haben manche Ge- Drucksachen 19/10899, 19/13289 richte die Regelung so eng ausgelegt, dass ein Wolf erst dann geschossen werden durfte, wenn die wirtschaftliche Überweisungsvorschlag: Existenz des Tierhalters gefährdet war. Hier schaffen wir Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft nun mehr Klarheit und Sicherheit. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Mit dem neuen § 45a werden in das Bundesnatur- ZP 10 Erste Beratung des von den Abgeordneten schutzgesetz spezifische Regelungen zum Wolf aufge- Karlheinz Busen, Frank Sitta, Nicole Bauer, wei- nommen. Wenn Nutztierrisse keinem bestimmten Wolf teren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eines Rudels zugeordnet werden können, ist nun der Ab- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum schuss eines Wolfes des Rudels möglich, und zwar so Wolfsmanagement lange, bis es zu keinen weiteren Schäden mehr kommt. Dies kann im Einzelfall das gesamte Rudel betreffen. Drucksache 19/10792 Grundlage bleibt aber eine artenschutzrechtliche Ausnah- Überweisungsvorschlag: meregelung. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Entgegen einer teilweisen Wahrnehmung wird die so- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen genannte Alternativenprüfung nach der FFH-Richtlinie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die nicht ausgehebelt. Vor der Ausnahme muss weiterhin im- Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu mer geprüft werden, ob sich Nutztierrisse durch zumutba- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ren Herdenschutz abwenden lassen. Nur wenn das nicht der Fall ist, darf der Abschuss genehmigt werden. Ich will Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- hier ausdrücklich betonen, dass der Herdenschutz unab- nerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita dingbar und wirklich wesentlich ist; denn die meisten Schwarzelühr-Sutter das Wort. Wolfsrisse betreffen nicht oder nicht ausreichend ge- schützte Herden. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: Ebenfalls in § 45a findet sich ein Fütterungsverbot, da Schon wieder! Dauerrednerin!) das Füttern von Wölfen diese zu stark an die Menschen gewöhnen würde. Wölfe sollen ihre Scheu vor den Men- schen nicht verlieren; denn das kann tatsächlich gefähr- Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei lich werden. Zudem ist vorgesehen, dass sogenannte der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nuk- Wolf-Hund-Hybride von den Naturschutzbehörden ent- leare Sicherheit: nommen werden, weil Haustiergene eine Gefahr für die Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Wolfspopulation sind. legen! Der Grund, weswegen wir uns heute Abend mit dem Bundesnaturschutzgesetz befassen, ist ein erfreuli- Zusammenfassend kann ich sagen: Mit dem vorliegen- cher: Der Wolf, der einst über Jahrhunderte ganz selbst- den Gesetz gelingt uns ein vernünftiger Interessenaus- verständlich zu unserer Kultur- und Naturlandschaft ge- gleich zwischen Herdenschutz und Artenschutz. Wir ste- hörte, ist wieder nach Deutschland und Mitteleuropa hen zum europaweit vereinbarten Schutz gefährdeter zurückgekehrt. Arten, und wir unterstützen die Schäferei, die für den Naturschutz unverzichtbar ist und auch dort in Zukunft (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Er war nie Teil der sichergestellt bleiben muss, Kulturlandschaft! – Heiterkeit bei der AfD) (Karlheinz Busen [FDP]: Es gibt bald keine Allerdings löst das bei den Menschen im Land auch mehr!) Sorgen und Ängste aus, gerade auch bei Weidetierhalte- rinnen und Weidetierhaltern. Die berechtigen Sorgen der wo durch die Zuwanderung des Wolfs vermehrt Zielkonf- Bevölkerung, das nehmen wir sehr ernst, und es ist schon likte auftreten. Die Koexistenz von Wolf und Weidetier- unser Ansatz, dass wir hier auch einen angemessenen haltung in Deutschland ist möglich, und die Novelle leis- Ausgleich und eine Lösung zustande bringen, sodass tet dazu einen wichtigen Beitrag. die Menschen vor Ort das auch sehen und registrieren. (Karlheinz Busen [FDP]: Träumereien sind Die Sicherheit des Menschen hat für uns oberste Priorität. das! Das kann auf Dauer nicht gutgehen!) (Karsten Hilse [AfD]: Ah ja!) Wir haben also auf die Sorgen vor Ort reagiert. In einem intensiven Abstimmungsprozess innerhalb Da, wo es Probleme gibt, lösen wir sie, und da, wo es der Bundesregierung haben wir eine gute und angemes- keine gibt, gilt der Artenschutz uneingeschränkt. Wölfe sene Lösung gefunden. Das bestätigt auch die Stellung- ohne guten Grund abzuschießen, ist und bleibt ausge- nahme des Bundesrates. Die Länder hatten insbesondere schlossen. 15058 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (A) (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Es gibt immer einen land seit der Rückkehr des Wolfes noch kein Mensch (C) guten Grund!) gefressen wurde? Nein, es hat einfach Angst – Angst Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch kurz um sein eigenes Leben und um das Leben seiner kleinen auf das EuGH-Urteil zum Wolfsmanagement eingehen: Geschwister. Finnland hatte um eine Vorabentscheidung zur Ausle- (Beifall der Abg. Sylvia Kotting-Uhl gung der FFH-Richtlinie ersucht. Das Urteil wurde natür- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lich mit Spannung erwartet. Es ist wegweisend für den Artenschutz insgesamt; denn der Europäische Gerichts- Für diese Angst bedarf es nicht der AfD, die auf die hof legt darin strenge Anforderungen fest und schafft nun Gefahren hinweist, die sich mit der Ansiedlung des Wol- endlich Klarheit. Der präventive Abschuss von Wölfen fes ergeben, diese Angst kommt von innen, sie ist ange- ohne konkreten Anlass ist nicht zulässig. – Das bestätigt boren, sie führt zu erhöhtem Pulsschlag und zu erhöhtem unsere Linie, die Linie des Bundesumweltministeriums. Adrenalinausstoß; es ist eine angeborene Schutzfunktion. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sollen jetzt angstgeleitete (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Politik machen, oder was?) der CDU/CSU) Ihr Gesetzentwurf wird diesem Mädchen nicht die Angst nehmen; er wird auch die Situation der Lämmer, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kälber, Fohlen und Ponys nicht verbessern, Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Nächster Redner ist der Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie machen viel mehr Menschen Angst!) (Beifall bei der AfD) die bei lebendigem Leibe von Wölfen aufgefressen wer- den. Karsten Hilse (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Lösen Bürger aus Cunnewitz und Schönau! – Warum spreche Sie sich auf, wenn Sie dagegen sind, dass Men- ich explizit die Bürger aus Cunnewitz und Schönau aus schen Angst bekommen! Lösen Sie sich auf! dem Kreis Bautzen an? Wir haben dort – so wie in ande- Sie machen vielen Menschen Angst! – ren Gegenden Deutschlands – eine Situation, vor der ich Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Schämen hier gewarnt habe: Der Wolf verliert seine natürliche Sie sich!) Scheu. Ihm ist die Nähe oder Anwesenheit von Menschen (B) Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde, Wölfe sind (D) vollkommen egal, und das ist eben nicht sein natürliches wunderschöne Tiere, sie sind hochintelligent und haben, Verhalten. Dort wurden allein in den letzten drei Wochen wie ich es schon einmal erwähnt habe, ein Sozialverhal- dreimal mehrere Schafe von Wölfen gerissen. ten, von dem sich einige hier noch eine Scheibe abschnei- Im Gegensatz zu vielen Großstädtern können Men- den könnten. schen vom Lande im Allgemeinen und Schäfer und Land- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) wirte im Speziellen nachvollziehen, dass es in solchen Fällen eben nicht nur um Geld, sondern auch um Emotio- Aber es sind nun mal für den Menschen gefährliche nen geht. Ich weiß, Empathie für das gemeine Volk ist bei Raubtiere. den meisten der hier schon länger Herumsitzenden nicht Die bei uns lebenden Exemplare gehören eindeutig zu erwarten, zur Unterart Eurasischer Wolf, von der es circa (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unver- 100 000 Exemplare gibt. Die Art ist also nicht vom Aus- schämtheit! – Zuruf von der LINKEN: Beneh- sterben bedroht, und um die Art zu erhalten, bedarf es hier men Sie sich! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE in Deutschland, einem der dichtest besiedelten Länder der LINKE]: Hochmut kommt vor dem Fall!) Erde, keines günstigen Erhaltungszustandes. aber versuchen Sie, sich in diesem einen Fall in die Lage (Rainer Spiering [SPD]: „Erhaltungszustand“!) des Schäfers zu versetzen, der am frühen Morgen mehrere Das Verlogene ist, dass Sie sich nicht einmal auf eine Zahl seiner Schafe, die er von Geburt an aufwachsen sah, mit einlassen wollen, wann dieser günstige Erhaltungszu- aufgerissenen Bäuchen und angefressenen Hinterläufen stand erreicht sein soll. Es gibt alles in allem keinen ver- gerade noch lebend vorfindet. nünftigen Grund, den Wolf nicht wie jedes andere Wild- Versuchen Sie, sich in die Psyche des zehnjährigen tier in Deutschland zu regulieren, wie es zum Beispiel in Mädchens zu versetzen, das in ihrem Garten, direkt vor skandinavischen Ländern gang und gäbe ist und wie es dem Küchenfenster, ein Schaf vorfindet – blutüberströmt, Frau Klöckner auch vorgeschlagen hat. mit gequältem, hilfesuchendem Blick, der halbe Hinter- Erlassen Sie endlich Gesetze, die die Menschen lauf abgefressen. schützen und dafür sorgen, dass der Wolf zu seinem na- (Zuruf der Abg. Sylvia Kotting-Uhl türlichen Verhalten zurückfindet. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Können Sie sich vorstellen, dass sich dieses Mädchen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nicht für Ihre Statistiken interessiert, wonach in Deutsch- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15059

(A) Karsten Hilse (AfD): die Tiere nur im Stall gehalten werden, dann hilft das dem (C) Sonst werden die Wähler Ihnen, wie am kommenden Insektenschutz nicht weiter. Sonntag in Thüringen, in noch größerer Zahl den Rücken kehren. Gleiches gilt für die Wanderschäfer, die mit ihren Schafherden für eine entsprechende Landschaftspflege Danke. sorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ohne Schafherden, ohne Ziegenherden eine vernünftige Land- (Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann schaftspflege hinbekommen. Außerdem ist sie noch rela- [DIE LINKE]: Abwarten! Hochmut kommt vor tiv kostengünstig. dem Fall!) (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: LINKE]) Als nächster Redner hat für die CDU/CSU-Fraktion Sicherlich wird es gegen das Gesetz und die beabsich- der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze das Wort. tigte Entnahme viel Widerstand geben. Hier lohnt sich aber der Blick über den Gartenzaun, über unsere Grenze (Beifall bei der CDU/CSU) in Richtung Osten. Schauen wir ins Baltikum: Estland, Lettland und Litauen sind Anfang der 2000er-Jahre Mit- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): glied der Europäischen Union geworden und haben sich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- in ihren Verträgen mit der Europäischen Union darauf ren! Canis lupus ist ein Generalist mit großer Wander- geeinigt, dass der Wolf – anders als bei uns – im Anhang V freudigkeit. Er steht an der Spitze der Nahrungspyramide, der FFH-Richtlinie gelistet wird. Das heißt, dass die Ver- deshalb setzt er sich in vielen Regionen Europas und waltungsbehörden relativ schnell entscheiden können Asiens immer mehr durch. und auch entscheiden. Es werden im Baltikum jährlich zwischen 200 und 300 Wölfe entnommen. Wenn ich mir Wir hatten im Jahr 2000 1 Rudel, im Jahr 2010 waren die Bestandsentwicklung anschaue, dann ist Folgendes es 7, und im Erfassungsjahr 2018/2019 mindestens 80 Ru- festzustellen: Trotz dieses Jagddruckes ist der Bestand – del. Die Entwicklung, die die Population in Deutschland im Jahr 2005 betrug er 1 000 Wölfe – inzwischen auf genommen hat, führt natürlich zu ganz erheblichen Kon- 2 000 bis 2 200 angewachsen. Die Bejagung führt also flikten in der Landwirtschaft und darüber hinaus. Aus nicht dazu, dass die Population vielleicht stark dezimiert diesem Grunde haben sich die Koalitionspartner darauf wird bzw., was einige vermuten, ausgerottet wird. Ich geeinigt, dass im Bundesnaturschutzgesetz eine entspre- glaube, das wird nicht passieren. Denn der Wolf ist von chende Regelung getroffen wird, und diese diskutieren seiner Verhaltensstruktur her anders angelegt. (B) wir heute. Wir haben diese Regelung genau deshalb ge- (D) troffen – und wir werden sie dann in zweiter und dritter Aber – und darüber werden wir sicherlich zu diskutie- Lesung sicherlich auch beschließen, Herr Hilse –, damit ren haben, meine sehr verehrten Damen und Herren – wir die zuständigen Behörden in solchen Fällen, wie Sie sie müssen in die Überlegung einbeziehen, dass es in be- hier geschildert haben, künftig wesentlich schneller und stimmten Bereichen unseres Landes auch Gebiete gibt, auch rechtssicher reagieren können. wo die Errichtung von Weidezäunen und andere Schutz- maßnahmen aus Kostengründen nicht greifen – ich er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) innere hier an die Almen, und ich erinnere auch an die Das ist ein wichtiger Punkt in diesem Gesetz, und dafür Deiche –, und darüber müssen wir in den nächsten Wo- haben wir uns von der CDU/CSU-Fraktion auch entspre- chen diskutieren. chend eingesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Wölfe nicht zu füttern, Wolfshybriden konsequent zu Abgeordneten der AfD) entnehmen und bei bereits ernsten Schäden handeln zu Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Staatssekre- können, das sind die wesentlichen Punkte, auf die auch tär Flasbarth, der im Juni 2017 nicht ausgeschlossen hat, die Staatssekretärin schon eingegangen ist. Die Neurege- dass man an solchen Stellen auch Rudel entnehmen kann. lung wird zu mehr Schutz für den Bürger führen und wird natürlich die Situation der Nutztierhalter verbessern. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich denke, wir müssen uns den Weidetierhaltern zu- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. wenden. Naturschutz kann nur durch Akzeptanz und ein gutes Ansehen erreicht werden. Deshalb sind die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen ein erster Schritt in die Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): richtige Richtung. Und darüber werden wir sicherlich Herr Präsident, ich habe Ihr Signal gesehen. – Ich be- noch weiter zu diskutieren haben: Können wir beide Din- danke mich für die Aufmerksamkeit – ge oder müssen wir beide Dinge verfolgen? Die Weide- tierhaltung ist unter anderem auch deshalb wichtig, weil Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sie einen wesentlichen Beitrag zum Insektenschutz leis- Ja. tet. Ich möchte daran erinnern, dass das, was wir als Kuh- fladen bezeichnen, mindestens 200 bis 300 Gramm Bio- masse von Insekten trägt. Wenn bei Rinderhaltung darauf Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): verzichtet wird, die Tiere auf die Weide zu bringen, und – und möchte abschließend – 15060 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (C) Herr Kollege. AfD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, dass Sie Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): das mit dem Monitoring nicht ganz verstanden haben!) – meinem Kollegen Carsten Träger zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren. – Hören Sie mal zu! – Der Gesetzentwurf des BMU ist nur eine Attrappe, er soll nur dem Koalitionsfrieden dienen. (Beifall) Und noch nicht einmal das schafft er. Die Weidetierhalter aber haben nichts von einer Attrappe, gebraucht werden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Lösungen. Dieser Entwurf schafft nicht die dringend not- Herr Kollege Dr. Schulze, Sie haben mir sozusagen das wendige Beweislastumkehr für Weidehalter, dieser Ent- Wort aus dem Mund genommen. wurf schafft keinen Rechtsanspruch auf Ersatz von Schäden, die durch Wölfe verursacht werden, und dieser (Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE Entwurf schafft noch nicht einmal die Möglichkeit zum GRÜNEN singen „Happy birthday“) schnellen Abschuss von Problemwölfen, weil die aufge- Wir haben den 25. Oktober 2019 erreicht. Das gibt mir bauten bürokratischen Hürden gar nicht überwunden wer- Gelegenheit, dem Kollegen Carsten Träger zum Errei- den können. chen des neuen Lebensjahres herzlich zu gratulieren. – (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der So, jetzt reicht es auch mit dem Singen. AfD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- Der Kollege Karlheinz Busen, FDP-Fraktion, hat als NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden bestimmt Nächster das Wort. Digitalisierung vorschlagen!) (Beifall bei der FDP) Der EuGH hat mit seinen klaren Kriterien die gesetz- geberischen Spielräume deutlich größer gesetzt. Dieser Regierung fehlt einfach der Mut, die Probleme anzuge- Karlheinz Busen (FDP): hen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Staats- sekretärin! 133 Wölfe haben Sie von der Bundesregie- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der rung neulich der EU als Erhaltungszustand gemeldet. AfD) Schon im Jahr 2017 hat das Bundesamt für Naturschutz eine wesentlich höhere Zahl gemeldet. Also: Der offiziel- Der von meiner Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf nutzt (B) le Bericht Deutschlands an die EU ist grob falsch. dagegen die Möglichkeiten von Artikel 16 der FFH- (D) Richtlinie voll aus. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Ich hoffe, dass wenigstens die Unionsfraktion Wort AfD) hält. Frau Klöckner hat Nachbesserungsbedarf angekün- Nach offiziellen Angaben des DJV – wir haben es gerade digt. Wir sind gespannt, ob sie liefern wird. Und wer gehört – gab es im Jahr 2017 in Deutschland bereits 1 000 weiß: Vielleicht kann bald ganz abseits von Koalitions- Wölfe. Plus Zuwachs von jährlich 30 Prozent und mehr zwängen entschieden werden. sind wir heute bei rund 1 800 Wölfen angelangt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall der Abg. Carina Konrad [FDP]) der AfD) Aber Frau Schulze sollte man den Zählfehler nachsehen – sie kann es einfach nicht. In Nordrhein-Westfalen haben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir da so unsere Erfahrungen gemacht. Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Als nächster Red- ner hat der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke, Die Meldung falscher Zahlen beweist aber einmal das Wort. mehr: Dem Bundesumweltministerium sind alle Mittel recht, um der Kuscheltierromantik weiter Vorschub zu (Beifall bei der LINKEN) leisten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Ralph Lenkert (DIE LINKE): AfD) Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- gen! Sie von der Union, die gesamte rechte Seite des Der EU wurden nicht nur alte, sondern vor allem falsche Hauses, Sie haben, nein, Sie schüren die Angst, die Angst Zahlen übermittelt. Das bewusste Täuschen über den tat- vorm bösen Wolf. sächlichen Erhaltungszustand des Wolfes soll nur dem Ziel dienen, dass die Bewertung der Wolfspopulation in (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deutschland erheblich schlechter ausfällt. Hier erwarten wir Aufklärung. Anders kann man Ihre Reden, Anträge und Management- sachen nicht interpretieren. Diese verlogene Argumenta- Weidetierhaltern ist es egal, ob ihre Weidetiere von tion, Herr Hilse – übrigens auch bei Ihnen von der FDP einem erwachsenen Wolf, von einem Jährling oder von und von der Union –, kann man nur machen, wenn man Welpen gerissen werden. Das ideologisch konstruierte durch die nationalistische Brille immer nur auf sich selbst Monitoring nur erwachsener Wölfe versteht kein Bürger. guckt und nicht ins Ausland schaut. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15061

Ralph Lenkert (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – La- (Beifall bei der LINKEN) (C) chen bei Abgeordneten der FDP und der AfD – Wenn Sie den Wolf ins Bundesjagdgesetz aufnehmen, Stephan Thomae [FDP]: Sie haben nicht zuge- dann nehmen Sie den Naturschutzbehörden die Möglich- hört!) keit, schnell zu reagieren. In Rumänien mit 2 500 Wölfen leben seit Jahrzehnten Menschen, Schafe, Herdenschutzhunde und Touristen zu- (Zuruf der Abg. Carina Konrad [FDP]) sammen. Wie sieht es denn aus? Ein Wolf soll entnommen werden. Dann muss sich die Naturschutzbehörde mit dem Jagd- (Karsten Hilse [AfD]: Wie dicht ist Rumänien pächter in Verbindung setzen, der muss genehmigen, dass denn besiedelt? So ein Quatsch, was Sie hier bei ihm gejagt wird – bzw. man kann eine Ausnahme- erzählen! – Gegenruf des Abg. Matthias W. regelung zusätzlich beantragen –, und in der Zwischen- Birkwald [DIE LINKE]: Zuhören, Herr Hilse, zeit ist der Wolf in ein anderes Revier gelaufen. zuhören!) (Karsten Hilse [AfD]: Herr Lenkert, Sie haben In Italien mit 2 000 Wölfen leben seit Jahrzehnten Vieh- keine Ahnung von Wölfen! Gar keine!) züchter, Bauern, Herdenschutzhunde, Wölfe nebeneinan- der, und es gibt sogar Touristen, die gerne dorthin fahren, So regeln Sie nichts, das ist einfach Schwachsinn. und manchmal freuen sie sich, wenn sie einen Wolf vor die Kamera bekommen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie wirklich das Zusammenleben von Wölfen, (Grigorios Aggelidis [FDP]: Wie naiv sind Sie Menschen, Tierhaltern regeln wollen, dann führen Sie die denn!) Weidetierprämie ein – so, wie es Linke und Grüne for- Da sage ich mal ganz offen: Was ist der Unterschied dern –, dann führen Sie das Herdenschutzhundzentrum zu zwischen diesen Ländern und Deutschland? In diesen einem Erfolg, – Ländern gibt es Weidetierprämien, in diesen Ländern gibt es Herdenschutzhundprogramme, in diesen Ländern wer- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den Entschädigungen unbürokratisch durchgeführt – Herr Kollege. dann ist das Zusammenleben möglich. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Birkwald [DIE LINKE]: Aber die AfD will ja – dann sorgen Sie dafür, dass wir die Bäuerinnen und nicht vom Ausland lernen! – Zuruf der Abg. Bauern – (B) Carina Konrad [FDP]) (D) Aber Sie, Sie haben Angst, jawohl, die FDP hat Angst, die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Union hat Angst, und die andere Truppe auch: Sie wollen Herr Kollege, bitte. einfach kein Geld ausgeben, Sie wollen kein Geld für die Viehzüchter ausgeben, für die Weidetierprämie. Sie wol- Ralph Lenkert (DIE LINKE): len kein Geld für Herdenschutzhundprogramme ausge- – genügend entschädigen, wenn die Wölfe zuschla- ben. Und Sie wollen Entschädigungen schwierig gestal- gen, – ten. Das ist einfach schäbig.

(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Jetzt komme ich mal zu Ihren Änderungen im Bundes- Herr Kollege, kommen Sie bitte jetzt zum Schluss. naturschutzgesetz. Der Wolf, der mehrfach Schafe reißt, wird vielleicht nicht erkannt. Dann darf irgendein Wolf Ralph Lenkert (DIE LINKE): des Rudels geschossen werden. – und dann reden Sie hier nicht von Wolfsausrottung, sondern reden Sie davon, – (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Aber beim vierten oder fünften oder vielleicht beim zehnten Mal!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wird das nächste Tier gerissen, dann wird der nächste Herr Kollege. Wolf geschossen – so lange, bis die Wolfsrisse aufhören oder das Rudel ausgerottet ist. Ein Schelm, wer bei sol- Ralph Lenkert (DIE LINKE): chen Menschen daran zweifeln würde, dass der Täterwolf – wie man gemeinsam das Problem lösen kann. als Letzter erlegt wird. Vielen Dank. – Herr Präsident! (Karsten Hilse [AfD]: Also, das ist so abstrus! Das hätte ich selbst von Ihnen nicht erwartet! (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Also wirklich! – Gegenruf des Abg. Manfred Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Grund [CDU/CSU]: Doch!) Sie wollen Wölfe ausrotten, Sie wollen überhaupt kein Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zusammenleben erreichen. Diese Regelungen sind ein- Als nächste Rednerin hat die Kollegin Steffi Lemke, fach nur schlecht. Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. 15062 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber Ihr Gesetz geht nach meiner Auffassung an zwei (C) ganz praktischen Problemen, die wir mit dem Wolf haben, komplett vorbei: Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten des Kollegen! Nach der wirren Rede von Herrn Hilse und den BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Anklängen auch bei dem FDP-Redner versuche ich jetzt Das Erste sind die Probleme in der Durchführung. Wir noch mal auf den Gesetzeszweck zurückzukommen. haben jetzt in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein und (Zuruf von der FDP) in Thüringen seit Wochen bzw. seit mehreren Monaten rechtskonform erteilte Abschussgenehmigungen vorlie- Laut Gesetzestext wird das Ziel verfolgt, die Rechtssi- gen, die schlichtweg deshalb nicht umgesetzt werden cherheit bei der Erteilung von Abschussgenehmigungen können, weil man der Wölfe nicht habhaft werden kann. für Wölfe zu erhöhen. Diesem Gesetzesziel könnte ich Dazu sagen Sie überhaupt nichts. Ich habe noch nie von mich sogar anschließen. Aber nach meiner Auffassung einem Ihrer Redner hier, die deshalb Krokodils- und verfehlt das vorliegende Gesetz dieses Ziel vollständig, Wolfstränen vergießen, verkehrt es sogar ins Gegenteil. Sie schaffen mit diesem Gesetz mehr Rechtsunsicherheit. Sie wollen, dass in Zu- (Beifall des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD]) kunft eine Abschussgenehmigung bereits erteilt werden auch nur einen einzigen Ton dazu gehört, wie Sie tatsäch- kann, ohne dass eine existenzbedrohende Situation für lich einen Wolf besser abschießen können, wenn die Ab- Betriebe eingetreten ist. schussgenehmigung erteilt ist. (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD] – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grigorios Aggelidis [FDP]: Das ist doch Zynis- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) mus pur, was Sie da sagen!) Das Zweite ist die Weidetierprämie. Sie gehen mit Ih- Ich frage mich, wer in diesem Hause gegen dieses Ge- rem Gesetz nach wie vor komplett an den ökonomischen setzesziel wäre. Ich frage mich: Wer wäre dagegen? Ich Problemen der Weidetierhalter vorbei, – unterstütze dieses Gesetzesziel ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das Problem ist, dass Sie mit Ihrem Gesetz jetzt die Gerichte dazu zwingen, erneut festzulegen – rechtssicher Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nun –, was denn für die betroffenen Betriebe eine exis- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. (B) tenzbedrohende Situation ist: Was ist ein ernster und ein (D) erheblicher Schaden? Sie zwingen jetzt die Gerichte, das Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): neu auszuurteilen. Deshalb schaffen Sie mit diesem Ge- – und Sie haben Ihre Miniweidetierprämie, die Sie für setzentwurf keine Rechtssicherheit, sondern zusätzliche ein Jahr eingeführt hatten, mit 1 Million Euro – Rechtsunsicherheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Lemke, bitte. Sie hätten einen anderen Weg gehen können, um dieses Ziel, das ich ausdrücklich teile, zu erreichen: indem Sie Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich beispielsweise an der Brandenburgischen Wolfsver- – ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident –, ordnung orientiert hätten. Die zeigt, dass das Ganze ohne Gesetzesänderung geht: indem dort festgestellt wird, dass Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nach zweimaligem Überwinden von Herdenschutzmaß- Ja. Bitte. nahmen durch den gleichen Wolf der Abschuss möglich ist. Hätten Sie diese Verordnung als bundeseinheitliche Verordnung eingeführt, wären Sie schneller gewesen, Sie Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hätten eine Vereinheitlichung zwischen den Bundeslän- – im Haushaltsjahr 2020 nicht mal mehr eingestellt. dern herbeigeführt und mehr Rechtssicherheit geschaf- Wenn Sie die ökonomischen Nöte beheben wollen, müs- fen. sen Sie dort ansetzen. (Beifall der Abg. Katharina Dröge Vielen Dank. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich verstehe nicht, warum Sie das nicht getan haben. sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ob die Aufgabe des Individuenbezugs – das klang bei Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den Vorrednern an: die Möglichkeit, inzwischen auch an- Vielen Dank, Frau Kollegin Lemke. – Als letzter Red- dere Wölfe zu schießen, die nicht nachweislich Herden- ner zu diesem Tagesordnungspunkt spricht zu uns der schutzmaßnahmen überwunden haben – EU-rechtskon- Kollege Hans-Jürgen Thies, CDU/CSU-Fraktion. form ist, werden wir sicherlich in der Anhörung weiter diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15063

(A) Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und AfD und der FDP) Kollegen! Mittlerweile leben bei uns rund 1 300 Wölfe, Außerdem: Wolfsichere Zaunanlagen zerschneiden die ganz überwiegend im Norddeutschen Tiefland. Offenlandschaft, versperren Lebensräume für wild leben- (Karsten Hilse [AfD]: Nein, nein, nein, nein! In de Tiere und sind deshalb für die Biodiversität absolut der Lausitz auch!) schädlich. In einzelnen Landkreisen – in einzelnen Landkreisen – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gibt es bereits sechs territorial bestätigte Wolfsrudel und AfD und der FDP) damit die größte Wolfsdichte weltweit. In den betroffe- Wenn es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur nen Wolfsregionen führt diese Situation zu großer Ver- Änderung des BNatSchG jetzt heißt, die positive Be- unsicherung der ländlichen Bevölkerung und bei den standsentwicklung der Wölfe in Deutschland sei ein Er- Weidetierhaltern. Auf diese Konfliktsituation muss die folg des Artenschutzes und als solches zu begrüßen, so Politik Antworten finden, und zwar praxisgerechte Ant- kann ich diese Einschätzung nicht teilen. worten. (Beifall der Abg. Karsten Hilse [AfD] und (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Carina Konrad [FDP]) Weidetierprämie zum Beispiel!) Artenschutz und Tierschutz sind unteilbar. Die Rückkehr Herdenschutzmaßnahmen in Wolfsgebieten sind selbst- des Wolfes hat in seinen Verbreitungsgebieten zur um- verständlich wichtig und notwendig, sie werden aber gehenden Ausrottung einer anderen heimischen Tierart, auf Dauer das Problem nicht lösen. Wer meint, mit immer nämlich der Mufflons, geführt. Der Wolf führt somit in ausgefeilteren Umzäunungsmethoden eine friedliche Ko- Deutschland zum Artenschwund. existenz zwischen Wölfen und Weidetieren erreichen zu können, der irrt gewaltig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD und der Abg. Carina Konrad [FDP]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP) Dennoch begrüßt die CDU/CSU-Fraktion den vorlie- genden Gesetzentwurf der Bundesregierung, weil er die Wir begeben uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, in eine Rechtssicherheit beim Erhalten und bei der Erteilung von Aufrüstungsspirale, die wir gegen den intelligenten Wolf Ausnahmegenehmigungen zur Entnahme von Wölfen er- nicht gewinnen können. höht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (B) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das (D) AfD und der FDP – Dr. Kirsten Tackmann [DIE werden wir noch sehen!) LINKE]: Was heißt denn das? Durchladen, oder was?) und weil er die durch Artikel 16 Absatz 1e der FFH- Richtlinie eröffneten Handlungsspielräume erweitert. Bedenken Sie bitte, dass Ein- und Aushegeschutz zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Die geplante Gesetzesänderung kann – der Kollege Schulze hat es schon erwähnt – allerdings nur ein erster (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann Schritt auf dem Weg zu einem engagierten nationalen tun Sie doch etwas!) Wolfsmanagement sein. In Zusammenarbeit mit den Bun- Die in zahlreichen Schaugehegen in Deutschland gehalt- desländern müssen nun rasch nationale und regionale Be- enen Wölfe müssen ausbruchssicher in Gehegen gehalten standspflegepläne entwickelt werden, deren Umsetzung werden, die durch ortsfeste, mindestens 2,20 Meter hohe durch bestandspflegende Jagd zu erfolgen hat. engmaschige Zäune mit Überkletterschutz (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gefangenschaft!) Herr Kollege. und mit 50 Zentimeter tief in die Erde eingelassenem Untergrabungsschutz ausgestattet sind. Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): Dass dies auch bei der Regulierung einer streng ge- (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Hört! Hört!) schützten Art durch EU-Recht durchaus möglich ist, hat Logischerweise müsste die gleiche Zaunqualität auch er- jüngst das EuGH-Urteil vom 10. Oktober 2019 deutlich forderlich sein, um Weidetiere vor eindringenden Wölfen bestätigt. zu schützen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Lesen (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Sie das Urteil noch einmal!) Quatsch!) Wie wollen Sie aber beispielsweise eine Mutterkuhherde Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auf einer 100 Hektar großen mit Gräben durchzogenen Herr Kollege Thies, bitte kommen Sie zum Schluss. Grünlandschaft und Grünfläche schützen? Wolfsdichte Zaunanlagen sind hier weder praktikabel, noch sind sie Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): finanzierbar. Ja. – Dann will ich einfach nur noch eines sagen. 15064 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): (C) Nein, Sie kommen jetzt zum Schluss bitte. Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürger! Mit dem Gesetz zur Änderung Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): des Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Rentenversi- Jawohl. – Ich will einen Appell an die Fraktionen des cherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Deutschen Bundestages richten: Der Wolf hat hohes Ver- Knappschaft-Bahn-See werden der Knappschaft umfang- hetzungspotenzial. Wir haben – – reiche Aufgaben zur Verwaltung des Europäischen So- zialfonds übertragen. Bisher waren 16 verschiedene Stel- (Beifall der Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] und len damit befasst. Mit der Gesetzesänderung erfolgt eine Carina Konrad [FDP] – Lisa Badum [BÜND- Zentralisierung der Verwaltung bei der Knappschaft. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) Wir als AfD-Fraktion begrüßen dieses Vorhaben. Wir begrüßen ebenfalls die Ansiedelung dieser Verwaltung in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Cottbus. Diese neue Aufgabe eröffnet die Möglichkeit Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- der Stärkung dieser Region, die vom Kohleausstieg direkt gen. – Herr Kollege Thies, ich habe Ihnen das Wort ent- betroffen ist. zogen, Sie dürfen sich setzen, bitte. Der Umstellungsaufwand für die Knappschaft wird auf (Hans-Jürgen Thies [CDU/CSU]: Ich bitte rund 230 000 Euro geschätzt. Diese Kosten sollen vom also – –) BMAS übernommen werden. – Nein, Sie bitten jetzt nicht; Sie gehen jetzt auf Ihren Bisher ist dieser Posten nicht im Haushaltsentwurf Platz, Herr Kollege Thies. Bitte! 2020 des BMAS dargestellt. Wir gehen aber davon aus, dass dies bis zur Bereinigungssitzung erfolgen wird, Frau (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Griese. – Sie hört gerade nicht zu. der FDP – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LIN- KE]: Lobbyisten!) Die Knappschaft wird zur Erfüllung ihrer Aufgaben zunächst 140 Stellen benötigen. In § 7 Absatz 2 des Ge- Damit beenden wir nun die Aussprache. setzentwurfs heißt es, dass die Verwaltungskosten, die ihr Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe durch die Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben auf den Drucksachen 19/10899, 19/13289 und 19/10792 entstehen, vom Bund erstattet werden. Auch hier gehen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- wir davon aus, dass die in der Knappschaft neu geschaf- geschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – fenen Stellen auch im Haushaltsplan des Bundes abge- (B) Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie bildet werden, Frau Griese. (D) vorgeschlagen. Wir beschließen hier heute nicht nur dieses Gesetz. Im Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Omnibusverfahren soll auch eine Änderung der Renten- formel beschlossen werden. Die jährliche Rentenanpas- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- sung ergibt sich aus der Entwicklung der Löhne. Die regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Lohnentwicklung wird aus Daten der Volkswirtschaft- zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung der lichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes Deutschen Rentenversicherung Bund und der ermittelt. Hier kommt es durch Generalrevisionen regel- Deutschen Rentenversicherung Knappschaft- mäßig zu Ausschlägen, die sich auf die nächste Renten- Bahn-See (RVBund/KnErG-ÄndG) anpassung auswirken. Drucksache 19/13446 Um hier ein genaueres Abbild der Lohnentwicklung und damit auch eine gerechtere Rentenanpassung zu be- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- kommen, ist es notwendig, diese regelmäßigen statisti- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) schen Ausschläge zu glätten. Dies passiert in diesem Drucksache 19/14418 Gesetzentwurf durch Einbeziehung der Daten aus dem Vorvorjahr. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wir sehen als AfD-Fraktion die Notwendigkeit der Ge- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. setzesänderung ein. Wir kritisieren hier aber die Eile der Umsetzung; denn dieses Problem ist seit einigen Jahren Ich eröffne die Aussprache. bekannt. Die Gesetzesänderung hätte schon weit früher auf den Weg gebracht werden können. Der Kollege Ralf Kapschack, SPD-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Wir kritisieren hier ausdrücklich nicht das Verfahren, nach dem diese Gesetzesänderung auf den Weg gebracht Ich erteile deshalb der Kollegin Ulrike Schielke- wurde. Hier hat die Zusammenarbeit zwischen Ministe- Ziesing von der AfD-Fraktion als erster Rednerin das rium und allen Parteien, auch den Oppositionsparteien, Wort. sehr gut geklappt. (Beifall bei der AfD) Wir kritisieren den Zeitraum, den es gedauert hat, bis das ganze Verfahren endlich in Gang gekommen ist. 1) Anlage 9 Wenn hier mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte, hätte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15065

Ulrike Schielke-Ziesing (A) die Möglichkeit bestanden, sich über Alternativen Ge- Aber sei‘s drum. Insgesamt ist es, glaube ich, eine sinn- (C) danken zu machen, so wie es in der Anhörung zu diesem volle Ergänzung. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Gesetz andiskutiert wurde, beispielsweise die Verwen- dung der Lohndaten aus der Rentenversicherung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aus diesem Grund ist es uns nicht möglich, der Ge- setzesvorlage zuzustimmen. Wir werden uns hier daher enthalten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Straubinger. – Die Kolle- Vielen Dank. ginnen und Kollegen Johannes Vogel, FDP-Fraktion, Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke, Markus (Beifall bei der AfD) Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und , SPD-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben,1) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sodass ich die Aussprache schließen kann. Vielen Dank, Frau Kollegin Schielke-Ziesing. – Als nächster Redner hat der Kollege Max Straubinger, Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- CDU/CSU-Fraktion, das Wort. desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Rentenversi- (Beifall bei der CDU/CSU) cherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Max Straubinger (CDU/CSU): Drucksache 19/14418, den Gesetzentwurf der Bundesre- Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und gierung auf Drucksache 19/13446 in der Ausschussfas- Kollegen! Es wurden schon die wesentlichen Inhalte sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- des Gesetzes dargelegt, zum einen dass wir der Deutschen entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Aufgaben das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält der Verwaltung verschiedener Haushaltsmittel und von sich? – Dann ist dieser Gesetzentwurf in der Ausschuss- Projekten übertragen, womit eine vernünftige grundle- fassung bei Enthaltung der Fraktion der AfD mit den gende Verwaltungsregelung besteht und die Durchfüh- Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- rung von Projekten unter Aufsicht der beauftragenden men. Ministerien gebündelt wird, die diese Projekte entspre- chend mitfinanzieren. Dritte Beratung (B) Das ist ein sinnvoller Schritt; denn damit wird vieles und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (D) zentralisiert, und es wird verhindert, dass 16 Zuständig- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – keiten nebeneinander bestehen. Ich glaube, dass dies im Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – allgemeinen Interesse ist und in der Anhörung, aber auch Die AfD-Fraktion. Dann ist in der dritten Beratung und insgesamt in den Beratungen aller Fraktionen Zustim- Schlussabstimmung der Gesetzentwurf in der Ausschuss- mung gefunden hat. fassung bei Enthaltung der Fraktion der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. men. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: Der zweite Problembereich, der mit angedockt ist, be- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- trifft die alle fünf Jahre stattfindende Volkswirtschaftliche desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesamtrechnung, die dazu führt, da sie immer wieder Gesetzes zur Änderung des Straßenver- unter anderen Parametern stattfindet, dass sich letztend- kehrsgesetzes und weiterer straßenver- lich bei der Rentenanpassung unterschiedliche statisti- kehrsrechtlicher Vorschriften sche Effekte ergeben. Wir wollen ja, dass die Renten sich so entwickeln wie die Löhne. Das ist hiermit gegeben. Drucksache 19/12915 Aber es gibt die statistischen Effekte, dass die Renten plötzlich stärker steigen als die Löhne, und das ist nicht Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gewollt. Deshalb wird dies angeglichen und zukünftig auf schusses für Verkehr und digitale Infrastruk- eine gemeinsame Grundlage gestellt, damit nicht Äpfel tur (15. Ausschuss) mit Birnen verglichen werden. Das ist zukünftig ausge- Drucksache 19/14419 schlossen. Hier haben die Rentnerinnen und Rentner kei- ne Nachteile, sondern eine kontinuierliche Entwicklung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des bei der Rentensteigerung zu erwarten. Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Ich bin jetzt völlig überrascht, dass die Kollegin dem dem Antrag der Abgeordneten Torsten Teil nicht zustimmen kann. Herbst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Enthalten!) FDP In den Beratungen ist das anders zum Ausdruck gebracht worden. 1) Anlage 9 15066 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Verkehrssicherheit durch Reform des Be- Fahrlehrer darf mit mehreren Punkten in Flensburg noch (C) gleiteten Fahrens ab 17 Jahren erhöhen seinen Beruf ausüben, und der Begleitfahrer darf nur ei- nen Punkt haben. Aus unserer Sicht sollten beide nur noch Drucksachen 19/9921, 19/14325 einen Punkt haben dürfen. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (Beifall bei der AfD) nen vor. Ich sehe nämlich in der Verantwortlichkeit beider keine Unterschiede, auch nicht in der Vorbildwirkung. Da sehe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die ich eher eine Ungleichbehandlung. Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Daneben fordern Sie in Ihrem Antrag die Bundesregie- rung auf, die EU-Richtlinie 2006/126/EG neu zu fassen. Ich eröffne die Aussprache und darf bekannt geben, Diese EU-Richtlinie steht Ihrer Vision, das begleitete dass der Kollege Gero Storjohann, CDU/CSU-Fraktion, Fahren schon ab 16 zu ermöglichen, völlig im Wege. in vorbildlicher Weise seine Rede zu Protokoll gegeben Auch wir von der AfD befürworten ein begleitetes Fahren hat.1) ab 16. Das Erfolgsmodell – auch bei mir in Sachsen-An- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei halt – AM 15, also das Mopedfahren schon mit 15, be- Abgeordneten der FDP) weist, dass Jugendliche durchaus schon in jungem Alter in der Lage sind, verantwortungsbewusst am Straßenver- Deshalb rufe ich als ersten Redner den Kollegen kehr teilzunehmen. Andreas Mrosek, AfD-Fraktion, auf. Ihr Antrag muss hier zwei Hürden nehmen: die Hürde (Beifall bei der AfD) Bundesregierung und die Hürde EU. Die Hürde Bundes- regierung können Sie nur nehmen, wenn Sie irgendwann Andreas Mrosek (AfD): mal wieder in Regierungsverantwortung stehen sollten. Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! „Verkehrs- sicherheit durch Reform des Begleiteten Fahrens ab (Grigorios Aggelidis [FDP]: Das geht 17 Jahren erhöhen“: So lautet der Titel des FDP-Antra- schneller, als Sie denken!) ges, den wir heute beraten. Eigentlich ist es eine gute Idee, die Bedingungen des begleiteten Fahrens zu refor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mieren. Es ist ein Erfolgsmodell, das viele Jugendliche Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. schon frühzeitig am Straßenverkehr teilnehmen lässt. Sie sammeln Erfahrungen im Verkehr und im Umgang mit Andreas Mrosek (AfD): (B) den Fahrzeugen sowie der Technik. Gerade für Azubis im (D) Kfz-Gewerbe wären frühzeitige Kenntnisse und das Sam- Das steht in weiter Ferne. Die Hürde EU: Sie kennen meln von Erfahrungen von Vorteil. unsere Meinung zur EU und zu den damit verbundenen Kompetenzabtretungen. Kommen wir mal zu den konkreten Forderungen und deren Umsetzung. Die Hürde AfD brauchen Sie hier nicht zu nehmen. Sie haben unsere Zustimmung. Bezüglich der Umsetzung kann ich mich kurzfassen: In diesem Hohen Hause ist es zum Sport geworden, Anträge (Beifall bei der AfD) der Opposition schon aus Prinzip abzulehnen und somit Regierungsstärke zu demonstrieren. Aber, meine Damen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und Herren, es ist keine Stärke, sondern Schwäche, wenn Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Redne- man Sachargumenten einfach nur noch den Rücken kehrt. rin hat die Kollegin Kirsten Lühmann, SPD-Fraktion, das (Beifall bei der AfD) Wort. Wie lange diese Regierungsstärke noch anhält, ist natür- (Beifall bei der SPD) lich fraglich. Auch dieser Antrag der FDP, so prognosti- ziere ich jetzt einmal, wird abgelehnt werden. Kirsten Lühmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sie fordern, durch eine Novellierung der Fahrerlaub- Wir behandeln zu so später Stunde ein sehr emotionales nis-Verordnung das Einpunktlimit der Begleitperson zu Thema. Worum geht es? Es geht um das Thema Führer- streichen und durch einen achtjährigen Führerscheinbe- scheine, und das ist in diesem Lande, wie gesagt, sehr sitz zu ersetzen. Liebe Kollegen der FDP, darüber kann emotional. man streiten. Wir sehen das eher kritisch; denn ein acht- jähriger Führerscheinbesitz ist kein Garant für ein acht- Allerdings habe ich auch eine ganz persönliche Bezie- jähriges durchgängiges und zuverlässiges Führen eines hung zu diesem Thema – zum einen weil ich als Polizei- Kraftfahrzeuges und die damit verbundenen gesammel- beamtin eine Menge mit Menschen zu tun gehabt habe, ten Erfahrungen. die ihre Fahrerlaubnis kurzzeitig oder für länger haben abgeben müssen, und zum anderen weil die Reform des Idealer wäre es, die Auflagen für einen Begleitfahrer Punktesystems, über das wir hier heute Abend reden, den Bedingungen eines Fahrlehrers anzugleichen. Ein eines der ersten großen Gesetzesvorhaben war, die ich 2013 als relativ neue Bundestagsabgeordnete mit beglei- 1) Anlage 10 ten durfte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15067

Kirsten Lühmann (A) Wir haben als SPD erreicht, dass das sogenannte Frei- me ich mit meinen Erfahrungen und sage: Ich finde das (C) kaufen – kurz vor dem Entzug der Fahrerlaubnis nimmt nicht so toll. – Die Studie, die wir dazu gemacht haben, man noch schnell an einem Seminar teil, und dann hat spiegelt genau diese Ambivalenz wider. Die Leute, die man ein paar Punkte weniger und darf noch weiter fah- befragt wurden, haben gesagt, sie finden es toll, dass sie ren – verboten wird. Wir haben festgelegt, dass man nur jetzt mit 15 Moped fahren dürfen. Wenn Sie sich die bis zu einem Punktekonto von fünf Punkten einen Abzug Unfallzahlen angucken – und insofern reden wir hier über von einem Punkt bekommt, wenn man an so einem Se- Fakten –, dann sieht das aber ganz anders aus: Die Zahlen minar teilnimmt, und das auch nur einmal innerhalb von sind deutlich gestiegen. fünf Jahren. Wir wollten damals ermöglichen, dass Menschen mit Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich war etwas skeptisch. 15 schon Fahrerfahrungen sammeln, damit sie dann, Darum haben wir in das Gesetz auch hineingeschrieben, wenn sie den Führerschein der Klasse A1 machen, siche- dass wir das Ganze evaluieren wollen. Dieses Gutachten rer fahren können. Wir müssen deutlich sehen: Das Ziel liegt jetzt vor, und es gibt uns den Hinweis, dass es durch- ist nicht erreicht. Dass junge Menschen diese Fahrerlaub- aus möglich ist, diese Regelung zu entfristen, das heißt, nis erwerben, damit sie Erfahrungen sammeln, haben bei dass der eine Punkt weniger durch Teilnahme an einem den Befragungen nur 10 Prozent als Grund angegeben. Seminar auch für längere Zeit durchaus möglich sein 60 Prozent haben schlicht gesagt: Wir wollen mobiler sollte. sein, und darum haben wir das gemacht. Wir sollten uns die 114 Seiten des Gutachtens aber mal Ich sage Ihnen ganz ehrlich, sehr geehrte Kollegen und genauer angucken. Darin steht nämlich auch, dass die Kolleginnen: Ein Mopedführerschein mit 15 kann kein Wirkung dieser Fahreignungsseminare nicht nachweisbar Ersatz für einen fehlenden ÖPNV sein. Er kann höchstens ist – mit einer Ausnahme: bei Frauen schon. eine Ergänzung zu einem Bus- und Bahnangebot sein, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber kein Ersatz. Es kann sein, dass wir lernfähiger sind; ich weiß es nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber auf alle Fälle ist es so. Bei Männern bringt das wohl der CDU/CSU) nichts. Zu dem Antrag der Grünen und der FDP – es ist span- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der nend –: Sie haben dieselbe Studie als Grundlage, kommen SPD) aber zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen. Die Das hat mehrere Gründe: Zum einen sagen die Gut- FDP schreibt in ihrem Antrag, es gebe durchweg positive Erfahrungen mit dem Modellversuch. Ich weiß nicht, wie (B) achter, dass es daran liegen kann, dass die Menschen, (D) die das machen, nicht die Erkenntnis haben, dass sie ein weit Sie die Studie gelesen haben. Danach kommt noch Problem haben, sondern dass sie das tun, weil sie einfach ein Teil, und darin steht etwas von einer erhöhten Zahl nur keinen Ärger mit der Behörde haben wollen oder weil von Verkehrsunfällen mit Verletzten. Ich weiß nicht, ob sie beim begleiteten Fahren nur einen Punkt haben dürfen Sie das als positive Erfahrung sehen. Ich sehe das ein und das machen müssen. Darüber hinaus reichen die zwei bisschen anders. Stunden Seminar nicht aus, um dieses Problembewusst- Die Grünen haben das sehr wohl thematisiert und ge- sein zu schaffen. Zum anderen ist die Methode der Be- sagt, sie wollen das gleich verbieten. Sie haben noch ein fragung fehleranfällig. paar andere Punkte in Ihrem Antrag, denen ich durchaus Das heißt, wir beschließen heute eine Entfristung. Aber positiv gegenüberstehe. Ich möchte jetzt meine Rede von wenn wir die Studie ernst nehmen, dann sollten wir auch letzter Woche nicht wiederholen, aber darüber könnte die darin enthaltenen Verbesserungsvorschläge, was die man noch mal reden. Dass Sie allerdings gleich katego- Qualität dieser Seminare angeht, ernsthaft diskutieren risch sagen, Sie wollen den Mopedführerschein mit 15 und gegebenenfalls umsetzen. verbieten, entspricht nicht dem, was in der Studie steht. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Qualität Ja, die Unfallzahlen sind höher; sie liegen zwischen 40 der Männer!) und 110 pro Bundesland und Jahr – übrigens außer bei Zusätzlich haben wir in einem Antrag gefordert, dass Frauen. Bei Frauen steigen die Unfallzahlen nicht. die Änderungen im Bußgeldkatalog, die wir schon seit (Beifall der Abg. Kerstin Tack [SPD]) sechs Jahren anmahnen, jetzt endlich durchgeführt wer- den. Da haben wir inzwischen durch die vielen Änderun- Es tut mir leid; das kommt nicht von mir. Das stammt aus gen ein echtes Missverhältnis. Zum Beispiel passen das, diesen beiden Studien; das ist so. was man für einen Parkverstoß bezahlt, und das, was für eine Geschwindigkeitsüberschreitung zu bezahlen ist, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was nicht mehr zusammen. Das Verkehrsministerium möge wahr ist, muss wahr bleiben!) uns das bitte endlich vorlegen, damit wir das wieder ins Also, bei Frauen nicht, aber bei Männern steigen die Un- Lot bringen. fallzahlen. Darum möchte die SPD diesen Führerschein Das zweite Thema – der Mopedführerschein mit 15 – auch nicht bundesweit. Wir müssen die Vorteile der Mo- ist genauso emotional besetzt. Wenn ich hier Schulklas- bilität gegen die Nachteile der erhöhten Unfallzahlen ab- sen zu Besuch habe und sie frage, was sie davon halten, wägen, und ich bin sicher, dass die Bundesländer das dann sagen sie unisono, das finden sie super. Dann kom- verantwortungsvoll machen. 15068 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

Kirsten Lühmann (A) Ganz zum Schluss ein letzter Punkt für Feinschmecker. meiner Sicht ist, dass wir den Ländern die Möglichkeit (C) Das Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz ist ein wun- geben, das Mindestalter für die Fahrerlaubnisklasse AM, derbares Gesetz. Wir werden darin regeln, dass ein Regis- also für den Führerschein für leichte Motorräder, deren ter eingeführt wird, das den ehrlichen Spediteuren in Hubraum auf 50 Kubikzentimeter begrenzt ist bzw. die Deutschland – und das ist die überwiegende Anzahl –, einen Elektromotor mit einer Leistung von maximal 4 kW die ihren Job vernünftig machen, im Kampf gegen die haben, von 16 auf 15 Jahre herabzusetzen. schwarzen Schafe hilft. Wir beauftragen jetzt das Kraft- Seit dem Jahr 2013 laufen in den neuen Bundesländern fahrt-Bundesamt, dieses Register zu erstellen. bereits Modellversuche mit dem Führerschein mit 15. Dieser ermöglicht gerade Jugendlichen in ländlichen Re- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gionen einen enormen Zuwachs an eigenständiger Mobi- Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. lität. Allerdings – das muss hier auch in aller Deutlichkeit gesagt werden – stellt der Mopedführerschein mit 15 na- Kirsten Lühmann (SPD): türlich nicht das Allheilmittel für die Mobilitätsengpässe Wie das ausgestaltet wird, werden wir im Berufskraft- im ländlichen Raum dar. Er kann nur einer von vielen fahrer-Qualifikations-Gesetz regeln. Ich bitte das Minis- wichtigen Bausteinen sein. Deswegen setzen wir als terium, uns das zeitnah vorzulegen. Dann haben wir auch Union nicht nur auf saubere Verbrennungsmotoren, son- da eine runde Sache. Wir werden dem zustimmen, und ich dern auch auf neue, alternative Antriebe, wie etwa die bitte Sie, das auch zu tun. Wasserstoff- oder die Brennstoffzellentechnologie, auf mehr öffentlichen Personennahverkehr Herzlichen Dank. (Zuruf des Abg. Arno Klare [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – genau, Herr Klare –, aber auch auf die Schiene, auf der CDU/CSU) mehr Radwege und Fußwege sowie auf smarte und digi- tale Konzepte zur besseren Vernetzung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir werden ermöglichen statt verbieten – und das im Vielen Dank, Frau Kollegin Lühmann. – Als letzter Gegensatz zu vielen anderen Fraktionen hier im Deut- Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege schen Bundestag völlig technologieoffen. Florian Oßner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU) Kirsten Lühmann [SPD]) (B) Florian Oßner (CDU/CSU): Für uns als Union, als CDU/CSU, mit Bundesminister (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Andreas Scheuer gilt: Wir wollen gleichwertige Lebens- Kollegen! Ich will meine Rede nicht ganz so männer- verhältnisse in Stadt und Land. – Um dies zu erreichen, ist feindlich aufbauen, wie das meine Vorrednerin teilweise die uneingeschränkte Mobilität der Schlüssel. Es lohnt vielleicht gemacht hat, sich, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen. Insofern wünsche ich unserem Unionsspitzenkandidaten Mike (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Mohring für die Landtagswahl in Thüringen am nächsten der AfD – Kirsten Lühmann [SPD]: Das steht Sonntag alles Gute; in der Studie!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – und eine kleine Lanze für alle brechen, die am Verkehr Grigorios Aggelidis [FDP]: Glauben Sie wirk- teilnehmen. Ich will mich auch nicht ganz so stark auf den lich, dass das in Thüringen ausgestrahlt wird?) Punktekatalog in Flensburg beziehen. denn überall da, wo CDU und CSU regieren, fließt der Unser Ziel als CDU/CSU bleibt, Mobilität in der Stadt Verkehr wesentlich besser – ohne ideologische Scheu- wie auch im ländlichen Raum zu gewährleisten. Wir spie- klappen gegen die Individualmobilität. len diese völlig unterschiedlichen Lebensumfelder und Voraussetzungen nicht gegeneinander aus, wie es die (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Grünen, die Linken und die AfD sehr häufig machen. Birkwald [DIE LINKE]: Hört ja in Thüringen Wir sehen eben nicht nur schwarz oder weiß, sondern keiner!) wir haben auch die Graustufen im Blick. Wichtig beim Führerschein mit 15 ist uns als Unions- fraktion, dass die Verkehrssicherheit weiterhin die aller- (Zuruf von der AfD: Sie sehen gar nichts!) höchste Priorität genießt. Hier darf es keinerlei Abstriche Die CDU/CSU ist letzten Endes der Garant dafür, dass bei der Umsetzung seitens der Länder geben. Mobilität auch in Zukunft im gesamten Land bezahlbar bleibt. Zudem lösen wir ein weiteres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein, nämlich das Versprechen, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rainer Kraft bis zum Jahr 2022 alle Verwaltungsdienstleistungen on- [AfD]: Hört! Hört! Mal schauen!) line angeboten werden. Außerdem können wir in Zukunft die Daten der Bundeswehrreservisten verkehrstechnisch Mit den Änderungen und Erleichterungen im Straßen- besser nutzen. verkehrsgesetz – meine Vorrednerin hat das schon sehr ausführlich ausgeführt; deshalb verkürze ich das – setzen Ich komme zum Schluss. Sie sehen, liebe Kolleginnen wir exakt diese Ziele um. Die wichtigste Neuerung aus und Kollegen: Wir setzen heute eine Reihe von sinnvollen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15069-15086

Florian Oßner (A) Maßnahmen um, weswegen ich um Zustimmung zu dem Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, sich zu erheben. – (C) vorliegenden Gesetzentwurf bitte. Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass der Gesetzent- wurf in der dritten Beratung und Schlussabstimmung Herzliches „Vergelts Gott!“ Und als letzter Redner gegen die Stimmen von FDP-Fraktion und Fraktion wünsche ich eine gute Nacht und einen guten Nachhause- Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen weg. Fraktionen des Hauses angenommen ist. Vielen Dank. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 19/14419 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist diese Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der AfD-Frak- Herr Kollege Oßner, ich bin sicher, wir sind uns einig, tion und der Fraktion der Freien Demokraten mit den dass ich die Sitzung schließe und nicht Sie. Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom- (Heiterkeit) men. Die Kollegen Torsten Herbst, FDP-Fraktion, und Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Thomas Lutze, Fraktion Die Linke, sowie die Kollegin ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Daniela Wagner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, haben Drucksache 19/14436. Wer stimmt für diesen Entschlie- ihre Reden zu Protokoll gegeben,1) weshalb ich die Aus- ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sprache schließen kann. sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt haltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der üb- 22 a über den von der Bundesregierung eingebrachten rigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- zes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften. Tagesordnungspunkt 22 b. Beschlussempfehlung des Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Ver- auf Drucksache 19/14419, den Gesetzentwurf der Bun- kehrssicherheit durch Reform des Begleiteten Fahrens ab desregierung auf Drucksache 19/12915 in der Ausschuss- 17 Jahren erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14325, den An- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/9921 abzu- um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Dann ist der Ge- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – (B) setzentwurf in der Ausschussfassung gegen die Stimmen Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist diese (D) von FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. der AfD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hau- Dritte Beratung ses angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Herr Schluss unserer heutigen Tagesordnung, und ich will sa- Pascal Kober, das ist jetzt falsch. gen: Ich bin stolz darauf, dass es diesem Haus gelungen ist, ohne besonderen Druck des Präsidiums die Tagesord- (Heiterkeit – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Das wis- nung ordnungsgemäß abzuarbeiten. sen Sie doch gar nicht! – Karsten Hilse [AfD]: Das kann er alleine entscheiden!) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- – Im Gegensatz zu einigen anderen passe ich ja noch auf. tages auf heute, Freitag, den 25. Oktober 2019, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Herzlichen Dank. (Florian Oßner [CDU/CSU]: Keine Neutralität des Bundestagspräsidenten!) (Schluss: 0.44 Uhr)

1) Anlage 10

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15087

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altenkamp, Norbert Maria CDU/CSU Petry, Dr. Frauke fraktionslos Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ Pilsinger, Stephan CDU/CSU DIE GRÜNEN Post, Florian SPD Christmann, Dr. Anna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Pronold, Florian SPD Feiler, Uwe CDU/CSU Rix, Sönke SPD Flachsbarth, Dr. Maria CDU/CSU Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Freihold, Brigitte DIE LINKE Rüthrich, Susann SPD Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Gerdes, Michael SPD Schlund, Dr. Robby AfD Gnodtke, Eckhard CDU/CSU Schrodi, Michael SPD Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Schulz, Jimmy FDP Gottberg, Wilhelm von AfD Schulz, Uwe AfD Grundmann, Oliver CDU/CSU Steineke, Sebastian CDU/CSU (B) (D) Hampel, Armin-Paulus AfD Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hartmann, Verena AfD Ullrich, Gerald FDP Henke, Rudolf CDU/CSU Ulrich, Alexander DIE LINKE Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU Weber, Gabi SPD Hoppenstedt, Dr. Hendrik CDU/CSU Weinberg, Harald DIE LINKE Jensen, Gyde * FDP Weyel, Dr. Harald AfD Juratovic, Josip SPD Ziemiak, Paul CDU/CSU Köhler, Dr. Lukas FDP Zimmermann (Zwickau), DIE LINKE Marks, Caren SPD Sabine Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Mieruch, Mario fraktionslos

Müller (Chemnitz), Detlef SPD Anlage 2 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU Erklärung Müller, Hansjörg AfD des Abgeordneten Martin Rabanus (SPD): Ich bin in der Müntefering, Michelle SPD Anlage 1, Liste der entschuldigten Abgeordneten, der Stenografischen Berichte der 117., 118. und 119. Plenar- Nahles, Andrea SPD sitzung aufgeführt. Ich hatte mich allerdings in die An- wesenheitslisten des Deutschen Bundestages eingetragen Oppermann, Thomas SPD und hatte an diesen Sitzungen teilgenommen. 15088 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Anlage 3 Das Containern stellt mitnichten ein strafwürdiges Ver- (C) halten dar und muss vom Gesetzgeber dringend entkrimi- Erklärung nach § 31 GO nalisiert werden. Der Strafanspruch des Staates nimmt einen absurden Charakter ein, wenn er lediglich dazu des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) dient, die Profitinteressen von Supermarktketten zu zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- schützen. Es wird ein Verhalten kriminalisiert, bei dem rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur die Motivlage von Armut oder aber mit dem Ziel des Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bil- nachhaltigen Umgangs mit Lebensmitteln gekennzeich- dung net ist. Eine kriminelle Energie liegt seitens derjenigen, die containern, gerade nicht vor. In Deutschland werden (Tagesordnungspunkt 3 a) jährlich circa 18 Millionen Tonnen Lebensmittel wegge- Ich stimme dem Gesetz zur Modernisierung und Stär- worfen, die oft noch genießbar sind. Es ist vielmehr diese kung der beruflichen Bildung, BBiMoG, in zweiter und Praxis der Verschwendung, die ein gesellschaftliches dritter Lesung heute zu, mit der Aufforderung, dass die Stigma begründen sollte, nicht die Rettung genießbarer Kultusministerkonferenz, KMK, nunmehr zügig handelt Lebensmittel. und ihren Beitrag zur Sicherung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung leistet.

Das BBiMoG ermöglicht es den Bundesländern, die Anlage 5 neuen, ergänzenden Begrifflichkeiten für die beruflichen Weiterbildungsabschlüsse auch auf die Fachschulab- schlüsse der Länder zu übertragen. Dies sollte umgehend Erklärungen nach § 31 GO erfolgen, damit die Fachschulen wettbewerbsfähig im zu der namentlichen Abstimmung über die Be- System der beruflichen Weiterbildung bleiben. Ferner schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses halte ich es vonseiten der KMK für notwendig, die Fach- zu dem Antrag der Bundesregierung: Einsatz schulabschlüsse neu zu bewerten mit dem Ziel, sie im bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung Rahmen des Deutschen Qualifikationsrahmens richtig sichern, Wiedererstarken des IS verhindern, Ver- einzuordnen und dabei insbesondere den Lernumfang söhnung fördern in Irak und Syrien zu überdenken. Die Arbeitsgruppe der KMK die für die Fachschulen der Länder zuständig ist, sollte in diesem (Tagesordnungspunkt 7 a) Sinne umgehend tätig werden. (B) Ich gehe davon aus, dass die KMK den Signalcharakter (D) dieses Gesetzes versteht und ihren notwendigen Beitrag Saskia Esken (SPD): Ich habe dem Mandat für die zur Förderung und den Erhalt der deutschen Fachschulen Streitkräfte im Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak leistet. anfangs zugestimmt unter der Prämisse, dass dieser Ein- satz nicht nur in der Sache, sondern auch zeitlich klar Eine weitere Bedingung für meine Zustimmung zu begrenzt ist. Anders als beispielsweise in Afghanistan diesem Gesetz war die Zusage des Bundesministeriums sollte dieser Einsatz die Streitkräfte nicht immer weiter für Bildung und Forschung, dass bei der Neufassung der hineinziehen, sodass ein Abzug allein aus technischen Verordnungen über die Prüfungen zu den beruflichen und organisatorischen Gründen immer schwieriger wird. Weiterbildungsstufen sichergestellt wird, dass die Zu- Das Ende des Mandats war bereits vereinbart, doch die lassungsvoraussetzungen so gefasst werden, dass auch frühere Verteidigungsministerin der CDU, Ursula von der Absolventen der Fachschulen die Erlangung der im Leyen, hat es versäumt, den Abzug vorzubereiten, sodass BBiMoG neu eingeführten Weiterbildungsabschlüsse die Regierung und die Koalitionsfraktionen sich nun aus umfassend offensteht. Sachzwängen heraus gezwungen sehen, das Mandat zu verlängern. Ich kann mich diesen Sachzwängen bei aller Verärgerung und bei allen Bedenken nicht entziehen und werde zustimmen. Anlage 4 Insbesondere in der veränderten Situation nach dem Erklärung nach § 31 GO sehr wahrscheinlich völkerrechtswidrigen Einsatz türki- scher Streitkräfte, der weit über das türkisch-syrische des Abgeordneten Niema Movassat (DIE LINKE) Grenzgebiet hinausgeht, ist eine Verlängerung dieses zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung Mandats problematisch. Der Vorstoß der amtierenden des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 359 zu Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Petitionen (Containern entkriminalisieren) CDU, dort eine Sicherheits- oder auch Schutzzone ein- (Tagesordnungspunkt 32 m) zurichten, hat die Lage für die deutschen Soldaten vor Ort meines Erachtens weiter verschärft. Ich kann von sol- Die Kriminalisierung des sogenannten „Containerns“ chen, im Übrigen mit dem Koalitionspartner so wenig ist ein unhaltbarer Zustand. Betroffene werden meist we- wie mit den Bündnispartnern abgestimmten, Vorschlägen gen Diebstahls und Hausfriedensbruchs verurteilt, wenn für militärische Abenteuer nur abraten. Was die Region sie noch genießbare Lebensmittel aus Supermarktmüll- stattdessen dringend braucht, sind Frieden, Freiheit und tonnen entnehmen. Das ist eine skandalöse Rechtspraxis. Entwicklungsperspektiven für die Zivilbevölkerung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15089

(A) Gerade wenn – was man immer wieder hört – Deutsch- 2. Antrag auf Einholung eines zustimmenden Be- (C) land in der internationalen Politik künftig eine stärkere schlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 5 Rolle verantwortungsvoll einnehmen soll, geht es dabei Absatz 2 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- um Konfliktvermeidung und Friedenssicherung, und die setzes Regierung ist gut beraten, dabei nach innen wie nach (Tagesordnungspunkt 19) außen gut abgestimmt und mit ruhiger Hand zu agieren. Alois Rainer (CDU/CSU): Mit Beendigung des An- Dr. Nina Scheer (SPD): Terrorismus und die Ausbrei- passungsprogramms im Sommer 2018 wurde Griechen- tung von Terrorismus stellen ohne Zweifel eine Bedro- land wieder regulär in das Europäische Semester inte- hung von Frieden, für Kulturen, für Zivilgesellschaften griert. Mittlerweile lässt es sich auch an den Zahlen und auch Rechtsstaatlichkeit dar. Terrorismus, wie er mit ablesen, dass die Maßnahmen erfolgreich und folglich den Anschlägen von Paris für eine unfassbare Dimension auch richtig gewesen sind. menschenverachtender Grausamkeit steht, muss insofern schnellstmöglich bekämpft werden, auch aus Solidarität Eine der wichtigsten Handlungen war es, die Rückkehr mit den Opfern von Terrorismus und ihren Angehörigen Griechenlands an den Kapitalmarkt sicherzustellen. Ich sowie zu unserem eigenen Schutz und zum Schutz von begrüße es daher ausdrücklich, dass Griechenland schritt- Kultur und Rechtsstaatlichkeit. weise wieder in den Markt zurückgekehrt ist. Der vorliegende Antrag zur vorzeitigen Rückzahlung Terrorismus zielführend und wirksam zu bekämpfen, an den IWF stellt eine Änderung der in der Vereinbarung setzt unweigerlich voraus, die Wurzeln für Terrorismus über eine Finanzhilfefazilität mit Griechenland enthalte- zu erkennen und an ihnen anzusetzen. Wir wissen, dass nen Parallelitätsklauseln über die Tilgung von Darlehen der Nährboden von Terrorismus in Armut, Verelendung, der EFSF und des ESM dar. Dabei ist das Programm der Zerstörung und Perspektivlosigkeit, auch in Folge von EFSF unmittelbar mit der Hilfszusage des IWF verbun- Kriegen, liegt. So hat der vergangene Irakkrieg und mit den. ihm einhergehende Zerstörung das Aufkeimen der Ter- rororganisation IS und deren Ausbreitung begünstigt. Griechenland hat einen schwierigen Weg hinter sich und hat im September seine Absicht bekundet, einen Teil Laut Antrag der Bundesregierung soll der Bundestag seiner bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber dem dem von der Regierung am 18. September 2019 beschlos- IWF vorzeitig zurückzuzahlen. Zugleich ersucht Grie- senen Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Si- chenland die EFSF und den ESM damit um einen Ver- cherung der Stabilisierung, zur Verhinderung des Wieder- zicht auf die parallelen Rückzahlungsverpflichtungen. erstarkens des sogenannten „Islamischen Staates“, IS, (B) Diese entstehen grundsätzlich, wenn Griechenland vor- (D) und zur Förderung der Versöhnung im Irak und in Syrien zeitig seine bis 2024 ausstehenden Verbindlichkeiten zustimmen. tilgt. Auch wenn ich dieses Bestreben teile, halte ich es den- Der Verzicht auf die parallelen Rückzahlungspflichten noch für unverzichtbar, Maßnahmen zu vermeiden, deren setzt eine positive Entscheidung im Direktorium von Folgewirkungen das friedenschaffende Ziel ihrerseits er- EFSF und ESM, dem auch deutsche Vertreter beisitzen, schweren können. Eine militärische Beteiligung sowie voraus. Daher ist eine Abstimmung im Deutschen Bun- deren Fortsetzung nähren Stellvertreterkonflikte. Ich er- destag zwingend erforderlich. kenne an, dass das Mandat an die Bedingung völkerrecht- Unter anderem wurde der Antrag Griechenlands damit licher Voraussetzungen gebunden ist. begründet, die derzeitigen IWF-Verbindlichkeiten durch Dennoch stimme ich aus den genannten Gründen, in Marktkredite mit besseren Konditionen zu ersetzen, um Anknüpfung an mein Abstimmungsverhalten, auch zu dadurch vor allem Zinsersparnisse zu erzielen. Die ein- den vorangegangenen Mandaten des betreffenden Bun- hergehende Rückzahlung an den IWF verringere das im deswehreinsatzes bei der hier zur Abstimmung stehenden Rahmen der IWF-Kredite bestehende Wechselkurs- und Mandatserteilung mit Nein. Zinsrisiko. Die griechische Regierung gab an, dass mit einer vor- zeitigen Rückzahlung der IWF-Kredite größere Vorteile für den griechischen Schuldendienst und für die Schul- Anlage 6 dentragfähigkeit erzielt werden könnten, hingegen bei gleichzeitiger Rückzahlung an den ESM die Vorteile ge- Zu Protokoll gegebene Reden ringer wären, da die Verbindlichkeiten hier deutlich güns- tiger seien. zur Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Griechenland: Vorzeitige teilweise Mit Blick auf den langen und schwierigen Weg, den Rückzahlung des ausstehenden Kredites des Inter- Griechenland bereits gegangen ist, aber auch noch gehen nationalen Währungsfonds muss, kann man dem Antrag zustimmen und ihn unter- stützen. 1. Antrag auf Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Sonja Amalie Steffen (SPD): Griechenland möchte Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmecha- einen Kredit des Internationalen Währungsfonds teilwei- nismusgesetzes und se vorzeitig zurückzahlen, es geht um rund 2,7 Milliarden 15090 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Euro. Griechenland hat deshalb den Europäischen Stabi- wir es auch bei Portugal, Irland und Zypern gemacht. (C) litätsmechanismus, also letztlich die Mitgliedstaaten der Diese Länder haben ebenfalls vorzeitig IWF-Kredite zu- Euro-Zone, darum gebeten, dieser vorzeitigen Zurück- rückgezahlt. Auch bei diesen Ländern hat der Bundestag zahlung zuzustimmen. Das Bundesfinanzministerium dem Verzicht auf die Parallelitätsklausel zugestimmt – möchte in den Gremien des Europäischen Stabilitätsme- und so werden wir das hier auch machen. chanismus diese Zustimmung für Deutschland erteilen. Das geht nur, wenn der Bundestag zustimmt. So steht Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Es gibt keinen es in den Stabilitätsmechanismusgesetzen. Grund zum Feiern! Für Griechenland ist es günstig, sich Jetzt fragt man sich: Wieso muss denn die Euro-Zone Geld an den Kapitalmärkten zu leihen. Dort liegen die zustimmen, wenn Griechenland Geld an den Internatio- Renditen für zehnjährige Staatsanleihen mit 3,31 Prozent nalen Währungsfonds der Vereinten Nationen zurück- derzeit deutlich unter den 5 Prozent, die Griechenland zahlt? Was hat das mit uns zu tun? Das liegt an den jährlich für die beiden im Rahmen der Hilfsprogramme sogenannten Parallelitätsklauseln. Bekanntlich steckte vergebenen IWF-Kredite zahlen muss. Griechenland 2010 in einer schlimmen Staatsschulden- Die vorfristige Rückzahlung eines IWF-Kredites durch krise. Das Land war praktisch zahlungsunfähig. Es kam Griechenland ist also kein Beleg, dass die Strategie von zu mehreren Rettungsaktionen; Rettung kam sowohl aus Merkel und Schäuble richtig war. Im Gegenteil, die Bun- der Euro-Zone vom Europäischen Rettungsschirm als deskanzlerin und der damalige Finanzminister haben auch vom Internationalen Währungsfonds. Beide haben Griechenland eine Medizin verschrieben, die sie für Kredite gegeben, und dabei wurde vereinbart: Wenn Grie- Deutschland immer abgelehnt haben. chenland vorzeitig Kredite an einen der Kreditgeber zu- rückzahlt, dann muss es gleichzeitig auch den anderen Jeder Ökonom weiß, dass eine Wirtschafts- und Fi- Kreditgeber bedienen. Keiner soll Gläubiger zweiter nanzkrise nicht durch dramatische Lohn- und Sozialkür- Klasse sein. Das ist die Parallelitätsklausel. Jetzt will sich zungen gelöst werden kann. Griechenland aber gar nicht an diese Klausel halten. Wa- rum will das Bundesfinanzministerium hierfür unsere Zu- Doch der Bundesregierung ging es nie um die Rettung stimmung? Griechenlands, es ging ihnen immer nur um die Rettung deutscher Banken, die in Griechenland faule Kredite zu Dazu muss man wissen, dass Griechenland die Rück- liegen hatten. zahlungssumme nicht wirklich in der Staatskasse hat; vielmehr will Griechenland einen neuen Kredit mit einem Griechenland wurde von der Bundesregierung an den Zinssatz von 3,1 Prozent am Markt aufnehmen und mit europäischen Pranger gestellt. Sie hätten über ihre Ver- (B) diesem neuen Kredit den teuren IWF-Kredit mit einem hältnisse gelebt, hieß es immer wieder aus Berlin. (D) Zinssatz von 4,9 Prozent zurückzahlen. Es handelt sich also um eine Umschuldung. Griechenland kann dabei von Dabei war es die Finanzindustrie, die Griechenland der Niedrigzinsphase profitieren. Dasselbe Umschul- zum Spielball gemacht hatte. dungsmodell funktioniert aber nicht gegenüber dem Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus. Denn der hat seine Die Europäische Union hätte Griechenland vor den Kredite zu günstigeren Zinsen gegeben als der Internatio- Banken und Hedgefonds schützen müssen. Stattdessen nale Währungsfonds. haben Sie mit ihrer Politik den Ausverkauf Griechenlands betrieben. Die von Griechenland geplante Umschuldung beim IWF-Kredit ist absolut vernünftig. Sie liegt auch in un- Griechenlands Wirtschaft wurde mit brutalen Kürzun- serem Interesse, weil Griechenland damit bis 2021 etwa gen noch tiefer in die Krise gestoßen. Die sozialen Folgen 33 Millionen Euro einsparen kann. Das ist nicht die Welt, sind dramatisch. Ein Dutzend Rentenkürzungen gab es in aber eine kleine Verbesserung der Schuldentragfähigkeit acht Jahren. Löhne wurden auf das Niveau von 2003 ge- von Griechenland. kürzt. Das Gesundheitssystem wurde zerstört.

Das Beharren auf der Parallelitätsklausel würde uns 34,8 Prozent der Menschen sind von Armut und sozia- also gar nichts nützen. Die AfD-Fraktion will das nun ler Ausgrenzung bedroht. In der Euro-Zone sind es unbedingt anders sehen. Wir wissen ja, dass die AfD 22,1 Prozent. 300 000 junge, meist gut ausgebildete Men- Griechenland überhaupt nicht helfen, sondern am liebsten schen haben Griechenland verlassen. aus der Euro-Zone werfen will. Deshalb behauptet sie in ihrem Entschließungsantrag einfach, dass Griechenland Geblieben ist ein großer Schuldenberg. Betrug der An- auch zugunsten der Euro-Zone eine vorteilhafte Um- teil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2007 schuldungsaktion starten könnte und dies deshalb tun noch 103 Prozent, waren es 2018 bereits 182,5 Prozent. soll. Gleichzeitig lamentiert sie darüber, dass Europa Die Hilfsprogramme waren mit der Forderung verbun- Griechenland viel zu günstige Zinssätze und Rückzah- den, durch Kürzungen im Staatshaushalt die Schuldenlast lungsbedingungen eingeräumt habe. Die Argumente pas- zu reduzieren. Das Gegenteil ist passiert. Der Sozialstaat sen hinten und vorne nicht zusammen. Das kann man wurde zerstört und die Schulden sind trotzdem gestiegen. nicht ernst nehmen. Die zerstörerische Kürzungs- und Privatisierungspoli- Kurz und gut: Alles spricht dafür, dass wir dem Antrag tik muss beendet werden. Griechenland braucht dringend des Bundesfinanzministers zustimmen. Genauso haben Investitionen und Schutz vor Finanz-Heuschrecken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15091

(A) Für die Bundesregierung waren die sogenannten Hilfs- bereitschaftsstärkungsgesetz wird mit dem BesStMG ein (C) programme ein gewinnbringendes Geschäft: 2,9 Milliar- weiteres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umge- den Euro an Zinsgewinnen wurden von Griechenland setzt. Es ist das dritte Gesetz in dieser Legislaturperiode, nach Deutschland gezahlt. Wir fordern, dass diese Zins- welches Maßstäbe bei der Steigerung der Attraktivität des gewinne dem griechischen Volk zurückgezahlt werden. Dienstes in der Bundeswehr setzt. Darauf dürfen wir stolz sein. Mir ist bewusst, dass wir Verteidigungspolitiker Historiker werden möglicherweise die Auslieferung beim BesStMG nur mitberatend tätig waren. Die Feder- Griechenlands an die Finanzindustrie als den Anfang führung liegt bei den Innenpolitikern. Insofern danke ich vom Ende der Europäischen Union beschreiben. den Kolleginnen und Kollegen des Innenausschusses für Die Linke ist überzeugt: Nur ein solidarisches Europa die Gelegenheit, einen Beitrag zu dieser Debatte zu leis- hat eine Zukunft. ten. Wie bei den meisten Gesetzen galt auch hier: Es gab und gibt viele Wünsche zur Optimierung des Gesetzent- wurfs. Nun hat Politik immer mit dem Finden von Kom- promissen zu tun. Nach vielen, intensiv geführten Ge- Anlage 7 sprächsrunden sage ich jedoch voller Selbstbewusstsein: Das BesStMG ist ein gutes Gesetz und mit dem vorlie- Zu Protokoll gegebene Reden genden Änderungsantrag von CDU/CSU und SPD wird das Gesetz noch besser. Es ist gelungen, in für die Bun- zur Beratung deswehr relevanten Bereichen Verbesserungen zu errei- – a) des von der Bundesregierung eingebrachten chen: Nicht nur wird ein Ausnahmetatbestandszuschlag Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- neu eingeführt; es ist sogar gelungen, diesen gegenüber rung der Strukturen des Besoldungsrechts dem Gesetzentwurf noch zu erhöhen. Dafür wird es zu- und zur Änderung weiterer dienstrechtli- sätzlich eine wichtige Evaluierungsphase geben. cher Vorschriften (Besoldungsstrukturen- modernisierungsgesetz – BesStMG) In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der Auslandsverwendungszuschlag höher steigt als ur- b) der Beschlussempfehlung und des Berichts sprünglich geplant. Ebenfalls Verbesserungen gibt es des Ausschusses für Inneres und Heimat zu bei den Zulagen für Kompaniefeldwebel und für Füh- dem Antrag der Abgeordneten Konstantin rungsverwendungen bis zur Gruppe der Kompaniechefs. Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios Außerdem wird die Prämie für Angehörige der Spezial- (B) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der kräfte erhöht, und die Mütterrente wird auf die Bundes- (D) Fraktion der FDP wehr übertragen. Dies sind nur einige Beispiele aus einem Gesetz, welches insgesamt 46 Maßnahmen zur Verbes- Für einen modernen und attraktiven Öffent- serung von Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des lichen Dienst Dienstes in der Bundeswehr umfasst. Daraus wird deut- – des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene lich: Wir tun etwas für die Soldatinnen und Soldaten so- Mihalic, Luise Amtsberg, Canan Bayram, wei- wie die zivilen Bediensteten der Bundeswehr. Wir hono- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rieren deren Dienst und die erbrachten Leistungen, NIS 90/DIE GRÜNEN erkennen den Wert militärischer Führung und Verantwor- tung an und machen die Bundeswehr überdies attraktiver Polizeizulage wieder ruhegehaltsfähig gestalten für den Nachwuchs. (Zusatzpunkt 6 und 7) CDU und CSU wollen einen starken Staat. Wir wollen einen Staat, der für alle Bürgerinnen und Bürger da ist und Kerstin Vieregge (CDU/CSU): Der öffentliche ihnen Schutz und Sicherheit gewährt. Bestandteil dieses Dienst in Deutschland ist gut. Er verfügt über leistungs- fähige und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. starken Staats ist ein starker öffentlicher Dienst. Eine Wie bei jedem Arbeitgeber so ist auch beim öffentlichen starke Bundeswehr gehört ohne jeden Zweifel dazu. Dienst eine wesentliche Frage das Besoldungswesen, bei Ich danke den Verbänden für die wichtigen Impulse der insbesondere über die Attraktivität als Arbeitgeber sowie allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen nebst entschieden wird. Dies gilt selbstverständlich auch für ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den verant- die Bundeswehr. Zweifelsohne können Soldatinnen, Sol- wortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der betei- daten und Zivilpersonal nicht ohne Weiteres mit den ligten Ministerien für die auch diesmal gewinnbringende Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Behörden vergli- und kameradschaftliche Zusammenarbeit im Sinne der chen werden. Aber eines haben sie doch alle miteinander Bürgerinnen und Bürger. So macht Politik Spaß. gemein: Sie dienen Deutschland. Als Mitglied im Verteidigungsausschuss will ich mich Konstantin Kuhle (FDP): Der Deutsche Bundestag auf die Belange der Bundeswehr konzentrieren. Insofern berät heute abschließend über den Entwurf eines Geset- kann ich sagen, dass das Besoldungsstrukturenmoder- zes zur Modernisierung der Strukturen des Besoldungs- nisierungsgesetz – kurz: BesStMG – unter die Rubrik rechts und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vor- „Versprochen – gehalten“ fällt. Nach dem GKV-Versi- schriften (Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz). chertenentlastungsgesetz und dem Bundeswehr-Einsatz- Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt das Ansin- 15092 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) nen der Bundesregierung, das komplizierte und oft kaum eine weniger einschneidende Reform zu beschließen, et- (C) durchschaubare Besoldungsrecht des Bundes zu verein- wa eine Regelung, bei der über großzügige Übergangs- fachen und neu zu strukturieren. Wir begrüßen es auch, fristen sichergestellt wird, dass niemand schlechterge- dass die Bundesregierung sich dabei von dem Anspruch stellt wird. Das Einzige, wozu sich die Große Koalition leiten lassen will, dass öffentliche Dienstrecht insgesamt durchringen konnte, war es, im Innenausschuss einen vor dem Hintergrund von Herausforderungen wie der Di- Entschließungsantrag auf den Weg zu bringen, mit dem gitalisierung und dem demografischen Wandel zu moder- das Bundesinnenministerium beauftragt wird, eine Re- nisieren. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein richtiger form des Familienzuschlags auf den Weg zu bringen. Beitrag um beide Ziele zu erreichen, einerseits eine Mo- Diesen Schritt hätte man heute schon haben können. Es dernisierung des Besoldungsrechts und andererseits eine ist schade, dass mit dem Besoldungsstrukturenmoderni- Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts vor dem sierungsgesetz eine Reform des Familienzuschlags ver- Hintergrund aktueller Herausforderungen. Der vorliegen- säumt wird. de Gesetzentwurf bleibt jedoch hinter seinen Möglichkei- ten zurück. Er ist nicht der Schlusspunkt der Modernisie- Die Angehörigen der Bundespolizei wünschen sich au- rung des öffentlichen Dienstrechts, sondern allenfalls ßerdem, dass die Polizeizulage ruhegehaltsfähig wird. eine Wegmarke. Aus diesem Grund stimmt das Parlament Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Polizeizulage heute auch über einen ergänzenden Antrag der Fraktion mit dem vorliegenden Gesetzentwurf um 40 Prozent an- der Freien Demokraten ab, mit dem wir weiter gehende gehoben wird. Die Fraktion der Freien Demokraten unter- Vorschläge zu einer Reform des öffentlichen Dienstrechts stützt diese Steigerung bei der Polizeizulage, weil sie ein machen. wichtiger Bestandteil für die Anerkennung und den Res- pekt gegenüber den Beschäftigen bei der Polizei ist. Die Beamtinnen und Beamten, aber auch die Tarifbe- Wenn hinsichtlich der Polizeizulage vorgetragen wird, schäftigten im öffentlichen Dienst übernehmen wichtige dass diese ruhegehaltsfähig gemacht werden müsse und Aufgaben für unser Gemeinwesen. Man kann beispiels- dass diese ferner einer dynamischen Anpassung in Bezie- weise anhand der Migrationspolitik seit dem Jahr 2015 hung zum Grundgehalt unterworfen sein sollte, so muss erkennen, dass in bestimmten Bereichen die quantitativen man festhalten: Es muss einen Unterschied machen, ob und qualitativen Anforderungen an den öffentlichen ein Gehaltsbestandteil Teil des Grundgehaltes ist oder ob Dienst sehr schnell wachsen können. Das betrifft neben er Teil einer Zulage ist. Das Grundgehalt sollte ruhege- dem Bereich der Migration etwa den gesamten Bereich haltsfähig sein, während die Zulage dies grundsätzlich der inneren Sicherheit. Die Große Koalition plant einen nicht sein sollte. Dementsprechend sind auch die anderen massiven Stellenaufwuchs bei den Sicherheitsbehörden Zulagen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit des Bundes. Die Fraktion der Freien Demokraten unter- nicht ruhegehaltsfähig, zumindest beim Bund. Die Be- (B) stützt diesen Stellenaufwuchs. Aus diesem Grund unter- lastungen des Polizeiberufs, die auf den Ruhestand fort- (D) stützen wir auch die im Besoldungsstrukturenmodernisie- wirken, unterscheiden sich nicht kategorial von den rungsgesetz vorgesehenen Steigerungen bei den Zulagen Belastungen anderer Berufsgruppen, beispielsweise des für die Angehörigen der Sicherheitsbehörden. Wer gute Soldatenberufs, die auf den Ruhestand fortwirken. Wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen will, der haben große Sympathie für das Ansinnen, die besonderen muss sich auch für einen attraktiven öffentlichen Dienst Belastungen des Polizeiberufs über die Zulage abzubil- einsetzen. den. Aber wir können uns heute nicht eine einzelne Be- rufsgruppe herausgreifen, ohne das Zulagensystem insge- Es ist richtig, dass der Innenausschuss sich nach der samt weiter zu reformieren. Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf entschieden hat, auch im Bereich der Bundeswehr weitere Modifika- Die Fraktion der Freien Demokraten wird dem Gesetz- tionen vorzunehmen. Auch im Bereich der IT-Fachkräfte entwurf heute zustimmen. Sie wird aber mit ihrem eige- muss sich der öffentliche Dienst in besonderer Weise um nen Konzept, das heute ebenfalls zur Abstimmung steht, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen. weiter darauf drängen, dass der öffentliche Dienst insge- Dass das Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz samt attraktiver und moderner wird. Angesichts des ho- neue Instrumente zur Personalgewinnung und zur Perso- hen Bedarfs an IT-Fachkräften braucht es eine eigene nalbindung vorsieht, ist dabei ein sinnvoller Schritt. Laufbahn für IT-Fachkräfte. Wir brauchen in den Behör- den eine neue Kultur des Wechsels zwischen öffentlich- Wenn der vorliegende Gesetzentwurf aber nicht bloß em Dienst und Privatwirtschaft. Dazu muss das unter der ein Beitrag zu höheren Zulagen, sondern auch ein echter letzten FDP-Regierungsbeteiligung eingeführte Alters- Beitrag zur Strukturmodernisierung sein soll, so wäre es geld weiter ausgebaut und flexibilisiert werden. Es ist erforderlich gewesen, auch den Bereich der Familien- weder anrüchig noch ehrenrührig, wenn Menschen im zulagen in dem vorliegenden Gesetz mit abzuhandeln. Laufe ihrer Erwerbsbiografie einen Teil der Zeit beim Im ersten Entwurf des Besoldungsstrukturenmoderni- Staat und einen Teil in der freien Wirtschaft verbringen sierungsgesetzes war vorgesehen, den Verheiratetenzu- wollen. Im Gegenteil: Sowohl der öffentliche Dienst als schlag zu halbieren und im Gegenzug den Kinderzu- auch die Privatwirtschaft können wechselseitig von den schlag zu erhöhen. Ein solcher Schritt hätte dazu Erfahrungen in dem jeweils anderen Bereich profitieren. beigetragen, die tatsächlichen Belastungen einer Familie Hier brauchen wir in Deutschland dringend einen Kultur- zum Anknüpfungspunkt für Zulagen im öffentlichen wandel. Dienstrecht zu machen. Die große Koalition hat sich nicht nur entschieden, diesen Reformvorschlag aus dem Ge- Einen solchen Wandel braucht es aber auch bei der setzentwurf zu streichen. Sie hat es auch nicht geschafft, Kultur innerhalb der Behörde, wenn es etwa um Auf- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15093

(A) stiegsämter und um die Anerkennung von Fortbildun- Anlage 8 (C) gen geht. Wir Freien Demokraten wollen, dass sich Leis- tung und Eigeninitiative auch im öffentlichen Dienst stär- Zu Protokoll gegebene Reden ker lohnen. Gute Beamtinnen und Beamte sowie gute Tarifbeschäftigte müssen eine Perspektive haben, dass zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi sich die eigene Leistung auch in Form einer Beförderung Lemke, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, weite- auszahlen wird. Der öffentliche Dienst muss zudem auf rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ die Herausforderungen der Digitalisierung mit neuen Ar- DIE GRÜNEN 30 Jahre Grünes Band beitsformen reagieren. Insgesamt bleibt hier für den öf- (Zusatzpunkt 8) fentlichen Dienst auf Bundesebene noch viel zu tun. Die Freien Demokraten werden das vorliegende Gesetz Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Mitten durch unterstützen, aber gleichzeitig weiter darauf achten, dass Deutschland zieht sich von der Ostsee bis ins Vogtland die Modernisierung und Attraktivitätssteigerung des öf- auf bis zu 200 Meter Breite ein 1 393 Kilometer langes fentlichen Dienstes vorangeht. Grünes Band. An der ehemaligen innerdeutschen Gren- ze wechseln sich verschiedene Landschaftstypen wie Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Mit dem „Besol- Feuchtgebiete und blühende Heideflächen ab und bilden dungsstrukturenmodernisierungsgestz“ (BesStMG) soll Heimat und Rückzugsraum für viele Tier- und Pflanzen- das Besoldungsrecht modernisiert sowie vereinfacht arten. Zählt man die naturnahen Gebiete im Umkreis von und mithin der öffentliche Dienst für künftige Beamtin- 5 Kilometern hinzu, ergibt sich an der ehemaligen Grenze nen und Beamte attraktiver werden – so weit der An- ein Lebensraumnetz von über 2 200 Quadratkilometern. spruch der CDU/CSU und SPD. Das geschieht mit dem Das entspricht fast der Fläche des Saarlandes. vorliegenden Gesetz allerdings nicht. Das unterstrichen Während der über Europa niedergehende Eiserne Vor- auch etliche Experten in der parlamentarischen Anhö- hang für die Menschen eine Todeszone schuf, verschaffte rung. Das vom Kollegen Lindh ausgegebene Ziel, ein er der Natur im Grenzgebiet beider deutscher Staaten eine „glückliches Beamtengesetz“ zu schaffen, wird verfehlt. über 30-jährige Atempause, von der wir heute bei unse- Ergo wird die Fraktion Die Linke ihm auch nicht zustim- rem Einsatz für den Artenschutz profitieren. men. Der vorliegende Antrag der Grünen greift somit ein Zweitens. Neue Eingruppierungen und eine höhere Be- wichtiges Thema auf, und auch die zweigeteilte Zielset- soldung sind vor allem für Beamtinnen und Beamte bei zung ist grundlegend richtig. In diesem Jahr erinnern wir der Polizei, den Nachrichtendiensten, der Bundeswehr uns an die friedliche Revolution in der DDR vor 30 Jah- (B) und für IT-Spezialisten vorgesehen. Dass die IT-Bereiche ren. Das Grüne Band ist ein geeigneter Ort, um auch (D) attraktiver werden müssen, ist unbestritten. Es ist nur nachfolgende Generationen über die dunkle Seite der fraglich, ob das mit den vorliegenden Maßnahmen ge- DDR, die Teilung Deutschlands und deren Überwindung lingt, zumal sie Stückwerk sind und keineswegs alle aufzuklären. Deswegen gilt es, die vielen bestehenden IT-Beschäftigten meinen. Vereine und Initiativen zu unterstützen, die sich bereits seit Jahrzehnten ehrenamtlich für die Pflege der Erinne- Finanziell attraktiver sollen auch Auslandseinsätze der rungskultur einsetzen. Bundeswehr werden. Die Linke lehnt sie aus prinzipiel- len, politischen Gründen ab. Folglich haben wir auch Die Grünen verfolgen mit ihrem Antrag zudem das keinen Grund, sie höher zu besolden. Ziel, das gesamte Grüne Band in Deutschland als Na- tionales Naturmonument auszuweisen. Dieses Ansinnen Drittens. Unklar ist uns auch, warum sich manche vor- sehe ich kritisch. Bereits heute stehen große Teile des gesehene Zuschläge auf das Altersruhegeld von Beschäf- Grünen Bandes unter Schutz. Bundesweit sind bislang tigten im öffentlichen Dienst positiv auswirken, andere 162 Naturschutzgebiete am Grünen Band ausgewiesen. nicht. Das klingt nach zweierlei Maß. Der Freistaat Sachsen hat bereits 1996 das Band vollstän- Viertens. Die Linke hat eigene Änderungsanträge vor- dig unter Naturschutz gestellt. In Sachsen-Anhalt stehen gelegt. Damit folgen wir Anregungen der Gewerkschaft von der als Grünes Band identifizierten Fläche bereits fast der Polizei, von ver.di und des DGB. Dabei geht es zum 80 Prozent unter Naturschutz. Diese gliedern sich auf in Beispiel darum, dass Beamtinnen und Beamte der Bun- 47 Prozent Natura-2000-Gebiete und 30 Prozent Natur- despolizei mit beanstandungsloser Vorbeschäftigung in parke und Landschaftsschutzgebiete. Lediglich 23 Pro- der DDR ihren Westkolleginnen und -kollegen endlich zent unterliegen in Sachsen-Anhalt bisher keiner Schutz- gleichgestellt werden. Das haben CDU/CSU und SPD kategorie. weiterhin nicht vor. Im Jahr 30 der Deutschen Einheit Eine Umwandlung der kompletten Fläche des Grünen ist das schlicht blamabel. Bandes in ein Naturschutzgebiet würde jedoch etwa die Fünftens. Schließlich hätten wir uns zum Anspruch Kommunen bei geplanten Wohngebietserweiterungen Attraktivität gewünscht, dass die Wochenarbeitszeit von und Ausweisung von Gewerbegebieten umfassend ein- Beamtinnen und Beamten auf das sonst übliche Niveau schränken. Hinzu kommt, dass in Thüringen ein Fünftel gesenkt wird. Auch das bleibt aus und ist mithin eine des Grünen Bandes mit Infrastruktur belegt ist. erneut verschenkte Chance. Die Forderung nach einer Ausweisung zum Nationalen Naturmonument entspricht damit gewissermaßen dem Einsatz des Hammers, wo eher ein Skalpell nötig ist. 15094 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Ich plädiere daher dafür, durch einen Flächentausch ge- Im letzten Jahr wurde das Grüne Band Thüringen zum (C) zielt die Lücken zwischen den bereits bestehenden Nationalen Naturmonument erklärt. Das freut mich sehr. Schutzgebieten des Grünen Bandes unter Schutz zu stel- Denn damit ist die ehemalige Grenze auch zu einem Zei- len, um so eine Biotopverknüpfung zu erreichen. Die chen für etwas Verbindendes geworden. Das Grüne Band Grundstückseigentümer durch eine Ausweisung zum Na- ist heute eine Lebenslinie mit einer einzigartigen Pflan- tionalen Naturmonument faktisch vor vollendete Tatsa- zen- und Tierwelt, in der sich auch der Mensch frei be- chen zu stellen, halte ich für den falschen Weg. Wirksa- wegen kann. Das müssen wir bewahren. mer Naturschutz ist schließlich auf die Akzeptanz der Bevölkerung und vor allem der betroffenen Akteure an- Der ehemalige Grenzverlauf darf nicht verwischt wer- gewiesen. den, sondern muss in seinen Konturen als Mahnung er- halten bleiben. Dies ist 30 Jahre nach der friedlichen Re- Wird das Grüne Band zu einem Nationalen Naturmo- volution und dem Fall der Mauer unbedingt notwendig. nument erklärt, so werden die betroffenen Flächen gemäß Auch wenn die Wunden inzwischen verheilt sind, die dem Bundesnaturschutzgesetz automatisch zu Natur- Narben sollten als Mahnung sichtbar bleiben. Für die schutzgebieten aufgewertet. Gerade für die Eigentümer Menschen war die Grenze eine unüberwindbare Barriere, von landwirtschaftlichen Flächen in der Schutzzone wäre die immenses Leid verursachte. Hier zeigte sich das SED- dies mit einem drastischen wirtschaftlichen Nachteil ver- Regime von einer seiner schlimmsten Seiten. Hunderte bunden, da konventionelle Landwirtschaft in diesen Ge- Menschen wurden erschossen oder durch Minen und bieten kaum mehr möglich wäre. In Anbetracht der hohen Selbstschussanlagen getötet. Symbolik des Grünen Bandes als Mahnmal des DDR- Unrechtsregimes halte ich es für nicht zielführend, an Gerade in diesem Grenzgebiet entwickelte sich nach dieser Stelle über die Köpfe der Eigentümer hinweg zu der friedlichen Revolution jedoch ein weltweit einzigarti- entscheiden. ges Band vielfältiger Lebensräume, die anderswo bedroht oder ganz verschwunden sind. Denn der mit dem DDR- Ich möchte abschließend noch auf einen Punkt einge- Grenzgesetz im Jahr 1952 entstandene innerdeutsche To- hen: In ihrem Antrag verweisen die Grünen auf die Not- desstreifen mit seiner Fünfkilometersperrzone und dem wendigkeit der Biotopvernetzung und warnen davor, dass 500 Meter breiten Kontrollstreifen bot zugleich Tieren sich eine Zerschneidung der Landschaft negativ auf das und Pflanzen Schutz vor dem Eingriff durch den Men- Überleben von Pflanzen und Tieren auswirkt. Aus diesem schen. Diese besondere Biodiversität im Grünen Band Grund sollen die verschiedenen Naturschutzgebiete des gilt es zu schützen. Grünen Bandes miteinander verknüpft werden. Dieses Argument ist richtig, und gerade in Gebieten mit umfas- Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Markenkern von (B) sender landwirtschaftlicher Nutzung sind zusammenhän- CDU/CSU. Wir setzen uns konsequent für den Erhalt der (D) gende und vielseitige Schutzgebiete von großem Wert. biologischen Vielfalt ein – in Deutschland, Europa und weltweit. Artenschutz ist ein starker Pfeiler unserer Um- Allerdings ist an dieser Stelle kritisch anzumerken, weltpolitik. Die Unionsfraktion hat dafür gesorgt, dass dass für die Grünen scheinbar die Problematik der Zer- die Mittel für den Schutz der biologischen Vielfalt im schneidung von Landschaften nur dann von Belang ist, Bundeshaushalt 2019 um mehr als 7 Millionen Euro auf wenn es der eigenen Argumentation nutzt. Ich verweise in etwas über 32 Millionen Euro aufgestockt wurden. diesem Zusammenhang auf die Diskussion zum Umgang mit der Rückkehr des Wolfes. Da stellen sich die Grünen Das Programm „Nationales Naturerbe“ wird um rund gegen die reglementierte Entnahme von Wölfen und se- 30 000 Hektar Fläche erweitert. Rund 156 000 Hektar hen allein im Herdenschutz – und somit in der Errichtung wertvoller Naturflächen aus Bundesbesitz wurden dem von Zäunen – das Mittel gegen Wolfsrisse. Wenn wir aber Naturschutz übergeben, dazu zählen auch Gebiete entlang in unserer Landschaft kilometerlange, 120 Zentimeter ho- der innerdeutschen Grenze. Insgesamt stellt der Bund he, stromführende und untergrabungssichere Zäune auf- mehr als zweimal die Landesfläche Berlins für den Arten- stellen, dann zerschneiden wir Lebensräume in undurch- und Naturschutz zur Verfügung. dringliche Parzellen. Was bei dem eigenen Antrag richtig ist, kann bei einem fremden Antrag nicht falsch sein. Hier Doch beim Grünen Band geht es nicht allein um Schutz wünsche ich mir vonseiten der Grünen mehr Stringenz. von Flora und Fauna. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden. Lange genug bildete diese Grenze eine tödliche Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Der ehe- Barriere für uns. Wir dürfen die Menschen nicht wieder malige Todesstreifen ist zu einem Grünen Band des Le- aus dem Gebiet verbannen. Denn es ist auch der Lebens- bens geworden. Er ist einmalig, und es ist richtig und raum des Menschen. Für die dort Ansässigen gehört die- wichtig, ihn zu schützen. ses Gebiet zu ihrer Existenz und muss demzufolge zumin- dest in Teilen wirtschaftlich genutzt werden dürfen, etwa Von 1945 bis 1989 trennte der Eiserne Vorhang auf für Land- und Forstwirtschaft. Wo kommen wir sonst über 12 500 Kilometer ganz Europa. Die ab 1961 vom hin? Etwa wieder zu Enteignungen? Das darf nicht sein. DDR-Unrechtsregime errichteten innerdeutschen Grenz- anlagen haben eine Länge von 1 400 Kilometern, mehr als Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht dafür, die Hälfte davon, knapp 763 Kilometer, verlaufen an der dass das Grüne Band intensiv wirtschaftlich genutzt wird. Thüringischen Landesgrenze. Damit trägt meine Heimat Ich wiederhole: Das Mahnmal darf nicht verwischt wer- Thüringen eine besondere Verantwortung dafür, den ehe- den. Doch ich betone auch: Es darf für den Menschen maligen Todesstreifen sichtbar und erfahrbar zu erhalten. auch keine Barriere darstellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15095

(A) Die ehemalige Grenze ist ein Mahnmal. Sie erinnert an Das Grüne Band ist auch Bestandteil des Nationalen (C) das SED-Unrechtsregime der DDR, das infolge des Na- Naturerbes. Die Bundesregierung hatte damals die Bun- tionalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges Deutsch- desflächen im Grünen Band von der Privatisierung aus- land auf unmenschliche Weise geteilt hat. Das Grüne genommen und sie den Bundesländern beziehungsweise Band ist ein Mahnmal wider jegliche ideologische Ver- Naturschutzstiftungen übertragen. Auch für diese Wahl- blendung und muss als solches erhalten bleiben. Erweite- periode haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf ver- rungen durch Zukäufe oder die Verödung einzelner Ge- ständigt, weitere Naturschutzflächen im Rahmen einer biete würden das Grüne Band verwischen und so vierten Tranche ins Nationale Naturerbe zu überführen. zweckentfremden, davon abgesehen, dass Wildwuchs der Biodiversität auch schaden würde. Ich begrüße auch, dass sich das Bundesumweltministe- rium an den Stellen und Bereichen, in denen das Grüne Was gibt es Besseres, als aus einem Gebiet, auf dem Band leider beeinträchtigt und lückenhaft ist, mit der För- einst Stacheldraht und Minen lagen, auf dem geschossen derung von Projekten dafür einsetzt, diese Lücken zu wurde und vom Menschen auf Menschen abgerichtete schließen und den Biotopverbund zu vervollständigen. Hunde angekettet waren, einen Raum zu schaffen, den Vor knapp einem halben Jahr wurde es auf einer Länge Menschen, Tiere und Pflanzen einvernehmlich nutzen? von 763 Kilometern in Thüringen als erstes großflächiges Das haben wir mit dem Grünen Band und müssen es er- Nationales Naturmonument Deutschlands ausgewiesen. halten. Ein Naturmonument und ein Mahnmal: Lebens- Damit wurde die Grundlage geschaffen, dieses lange raum für Flora und Fauna, Lebensraum und Existenz- und schmale Großschutzgebiet nach einem einheitlichen grundlage für die Menschen. Konzept zu erhalten und weiterzuentwickeln. Ich hoffe sehr, dass auch andere Bundesländer diesem Beispiel fol- Carsten Träger (SPD): Heute beraten wir den Antrag gen werden. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „30 Jahre Grünes Von der Idee vor 30 Jahren zur Wirklichkeit: Das Grü- Band“. Im Dezember 2004, also vor fast genau 15 Jahren, ne Band ist eine Erfolgsgeschichte geworden. verabschiedete der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Union – bei Enthaltung der FDP – den rot-grünen Judith Skudelny (FDP): Das Grüne Band beschreibt Antrag „Grünes Band als einzigartigen Biotopverbund den Grenzstreifen zwischen der ehemaligen DDR und der und als Erinnerungsstätte der deutschen Teilung si- Bundesrepublik Deutschland. Dieser Grenzstreifen war chern“ – Bundestagsdrucksache 15/3454. in seiner aktiven Zeit ein Zeichen der Trennung. Die ursprüngliche Idee für das Grüne Band ging auf Heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, ist der Grenz- (B) den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland – streifen ein Mahnmal der Vergangenheit. Die räumliche (D) BUND – zurück und wurde im Deutschen Bundestag Trennung ist überwunden, Deutschland ist zusammenge- zuerst von den Tourismuspolitikern aufgegriffen. Sie wachsen. Gleichzeitig haben sich entlang des Grenzstrei- formulierten den Antrag „Grünes Band für naturverträg- fens einzigartige Lebensräume für Tiere und Pflanzen lichen Rad- und Wandertourismus erschließen“. Der An- entwickelt. Es ist richtig und wichtig, dass wir diesen trag wurde dann im weiteren Verfahren um die ökologi- Ort des Erinnerns, diesen Ort der Artenvielfalt erhalten schen Aspekte und um den Gedanken ergänzt, dass im und weiterentwickeln. wiedervereinten Deutschland die Erinnerung an die deut- sche Teilung, an Wachtürme an der innerdeutschen Gren- Wichtiger als das Erinnern ist es aber, aus der Ge- ze und an den sogenannten Todesstreifen gewahrt bleiben schichte zu lernen. Liebe Grüne, ein empathisches Lernen muss. aus der Geschichte liest sich in Ihrem Antrag nicht ab. Die Menschen, die entlang des Grenzstreifens leben und ar- Heute ist das Grüne Band ein wichtiger Lernort für beiten, fühlen sich durch Ihren Antrag in die Ecke ge- junge Menschen, die sich gar nicht mehr vorstellen kön- drängt, bevormundet, und sie befürchten eine erneute nen, dass vor 30 Jahren auf einer Länge von fast 1 400 Ki- Enteignung. lometern mitten durch Deutschland eine Mauer lief, an Sie wollen aus einem funktionierenden Biotopenver- der ein Schießbefehl galt. Insofern ist es gut, dass unsere bund ein Verbundbiotop machen. Die Lücken im Biotop- Kollegen und Kolleginnen vor 15 Jahren daran gedacht verbund, die Sie schließen wollen, gehören aber heute haben, diesen 500 Meter breiten Streifen mit all seinen den Landwirten. Und diese wollen ihre Flächen gerne Facetten – Natur und erlebbare deutsche Geschichte – zu weiter bewirtschaften. schützen und für die nachfolgenden Generationen zu er- halten. Was wir benötigen, ist ein Naturschutz, der mit den Menschen und mit der Landwirtschaft erfolgt und nicht Als Umweltpolitiker freuen wir uns natürlich, dass gegen sie. Dass wir diesen Weg des Miteinanders von jetzt im ehemaligen Todesstreifen an vielen Stellen die Naturschutz und Landwirtschaft in Deutschland verlas- Natur wieder die Oberhand gewinnt. Seltene Biotope sind sen, lässt sich an den vielen Grünen Kreuzen in Deutsch- wieder entstanden, und seltene Arten haben sich wieder land erkennen. Die Landwirtschaft fühlt sich von der Po- angesiedelt. Außerdem dient das Grüne Band als Biotop- litik im Stich gelassen. Während die Verbraucher immer verbund; es ist der längste Wald- und Offenlandbiotop- mehr regionale Produkte fordern und kaufen, machen wir verbund Deutschlands und Rückzugsgebiet für seltene unseren Landwirten die Produktion dieser Produkte im- Arten, wie zum Beispiel den Wiesenknopf-Ameisenbläu- mer schwerer und gefährden ihre wirtschaftliche Exis- ling, das Braunkehlchen und den Schwarzstorch. tenz. 15096 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) Naturschutz mit und nicht gegen die Landwirtschaft: Der ehemalige Grenzstreifen der DDR verbindet ver- (C) Wer sich auf diesen Weg begibt, erkennt, dass auch auf schiedenste Standorte, Lagen, Bodentypen und Lebens- diesem Weg das Grüne Band nachhaltig gestärkt werden räume. Meist unverbaut, mit wenigen Straßen und Sied- kann. lungen, bietet sich die Chance, ein grünes Band einzurichten. Dieser ehemalige Grenzstreifen ermöglicht Lücken im Biotopverbund können durch die Einrich- es, zu lernen, wie wir unseren Wald retten können. Darü- tung weiterer Biotoptrittsteine geschlossen werden. Dort, ber hinaus vernetzt er die Lebensräume für viele Tierarten wo auf dem ehemaligen Grenzstreifen bereits landwirt- und bildet einen Zufluchtsort für Insekten. schaftliche Flächen etabliert wurden, können sogenannte Bypässe entstehen, um den Biotopverbund zu sichern. Durch die verschiedenen verbundenen Biotope können Der Vertragsnaturschutz ermöglicht es den Landwirten, Tiere und Pflanzen wandern, sich ausbreiten. Die links- Naturschutzmaßnahmen anrechenbar und damit wirt- geführte Landesregierung hat in Thüringen dieses grüne schaftlich für sie zu gestalten. Viele Ansätze, die wir in Band eingerichtet, und für Die Linke ist dies ein wichtiger Ihrem Antrag nicht wiederfinden. Schritt zum Erhalt der Artenvielfalt. Sachsen-Anhalt hat sich in einem langen Prozess auf Es braucht zusätzlich ein Programm, das diesen ein- den Weg zu einem Naturmonument gemacht. In vielen maligen Biotopverbund bundesweit sichert. Das kostet großen und kleinen Veranstaltungen hat sich die Landes- Geld, und deshalb hat Die Linke im Haushalt eine Auf- regierung mit den Menschen vor Ort aufgemacht, ihre stockung von 50 Millionen Euro für den Erhalt unseres Sorgen und Anregungen gehört. Der Landtag hat sich – Naturerbes gefordert. Die Linke will 200 Millionen Euro nachdem es aufgrund der Maximalforderungen mancher für den Waldumbau. Mit diesem Geld können auch die Parteien fast zum Bruch der Koalition kam – nach einem notwendigen Forschungen zum Wald finanziert werden. Vermittlungsverfahren dazu durchgerungen, ihren Teil Das alles ist eine Aufgabe von Umwelt- und Klima- des Grünen Bandes zum Nationalen Naturmonument um- politik, eine Aufgabe, um unsere Zukunft zu sichern. An- zuwidmen. An diesem Beispiel kann man erkennen, dass träge, die diesem Zweck dienen, unterstützt die Linke. Integration der unterschiedlichen Interessen unter Einbin- dung der Menschen vor Ort gelingen kann. Der Grenzstreifen erinnert gleichzeitig an die Folgen der deutschen Teilung und mahnt, die Vergangenheit Den vorliegenden Antrag heute, in dem die Bundes- nicht zu vergessen. Die Linke hat zum Beispiel in Thürin- politik in Berlin den Menschen in den Ländern erklärt, gen Forschung dafür an Hochschulen finanziert. Wir un- wie bei ihnen vor Ort Umwelt und Gedenken gestaltet terstützen Museen und Gedenkstätten, welche die Erin- werden muss, lehnen wir ab. Der Stärkung des Biotop- nerung wachhalten. Der Blick zurück ist wichtig, damit (B) verbunds Grünes Band auf einem integrativen, verbind- Demokratie gestärkt wird. Das ist eine Aufgabe von Kul- (D) enden Weg stimmen wir zu und unterstützen sie aus- tur- und Bildungspolitik. Wir unterstützen eine lebendige drücklich. Erinnerungskultur.

Ralph Lenkert (DIE LINKE): Letzte Woche war ich Die Vermischung von Umweltpolitik und Erinnerungs- im Thüringer Grenzgebiet, im Wald bei Eisenach. Es war kultur in diesem Antrag verhindert, dass beide bestmög- erschreckend: mächtige Buchen ohne Blätter und Rinde, lich umgesetzt werden, und schadet damit sowohl dem die noch im Frühjahr gesund schienen, Fichten ohne Na- Umwelt- und Klimaschutz als auch der Erinnerung und deln oder schon von Borkenkäfern besiedelt. Die Forst- der Demokratie. Machen Sie zwei Anträge daraus; das betriebe schaffen es nicht mehr, die toten Bäume aus dem wird Ihren verschiedenen Anliegen besser dienen. Wald zu entfernen; es sind zu viele. Ich war im bewirtschafteten Mischwald – tote Buchen und Fichten –, ich war in Buchenwäldern – tote Buchen –, Anlage 9 ich war in Fichten-Monokulturen – entnadelte Fichten –, und ich war in Waldgebieten, die seit den 50er-Jahren sich Zu Protokoll gegebene Reden selbst überlassen wurden – tote Buchen und Fichten. Egal, ob im seit 50 Jahren sich selbst überlassenen Ur- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- wald, in Monokulturen oder im bewirtschafteten Misch- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wald: Zwei Jahre mit Hitze und Dürre ließen Buchen und des Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Ren- Fichten sterben, unabhängig von der Bewirtschaftungs- tenversicherung Bund und der Deutschen Ren- form. Die Bäume sterben; es steht schlecht um unseren tenversicherung Knappschaft-Bahn-See (RVBund/ Wald. KnErG-ÄndG) Offensichtlich wurde: Es ist standortabhängig – abhän- (Tagesordnungspunkt 21) gig von Hanglage, Höhe, Boden und Untergrund –, ob Fichten oder Buchen noch leben. Deshalb ist ein Biotop- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Am 21. Ja- verbund, durchgehend von der Ostsee bis ins Fichtelge- nuar 1957 hat der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz birge, sehr wichtig, damit wir lernen, welche Baumarten zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der unter den sich ändernden Klimabedingungen wo noch Arbeiter und Angestellten die dynamische, lohnbezogene wachsen und welche Baumarten an welchen Standorten Rente eingeführt. Das ist die größte und wirksamste So- nicht mehr werden leben können. zialreform in Deutschland. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15097

(A) Die Höhe der Rentenansprüche wurde erstmals an die Grundgedanke der dynamischen Rente ist, und gleicht (C) Entwicklung der Löhne und Gehälter gekoppelt, sodass diesen Sondereffekt aus. auch die Rentnerinnen und Rentner am wirtschaftlichen Aufschwung teilnehmen konnten und nicht mehr hinter Die jährliche Rentenanpassung wird bereinigt und von der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückblei- den Verzerrungen durch den statistischen Sondereffekt ben. Durchschnittlich bescherte die Reform von 1957 befreit. Mit Nachteilen für die Versicherten ist durch diese den Rentnerinnen und Rentnern einen Einkommenszu- Korrektur nicht zu rechnen. Ohne Änderung der Anpas- wachs von circa 60 Prozent. Grundlegend für das neue sungsformel wäre die Entwicklung des Rentenwertes von Rentenrecht war die Idee des „Generationenvertrages“. der Entwicklung der Löhne und Gehälter abgekoppelt worden. Wir würden revidierte Werte von 2019 mit nicht Die Einführung der dynamischen Rente unter Konrad revidierten Werten von 2018 vergleichen. Dies entspricht Adenauer ist bis heute eine politische Leistung ersten nicht dem eigentlichen Gedanken. Ranges, da hierdurch die Rente nicht mehr nur einen Zu- schuss gegen Altersarmut darstellt, sondern die Funktion Wir verabschieden heute eine Neuregelung, die zur einer echten Lohnersatzleistung erhalten hat. Verlässlichkeit der Renten beiträgt und damit das Vertrau- en in die Rente stärkt. Dynamischer Faktor der Rentenformel, deren Grund- züge noch heute gelten, ist die allgemeine Bemessungs- Die betroffenen Rentnerinnen und Rentner würden so grundlage, also die Einbeziehung des durchschnittlichen einen Jo-Jo-Effekt nicht verstehen. Sie erwarten zu Recht, Verdienstes aller Beschäftigten. Von den Auswirkungen dass die Rente regelmäßig Jahr für Jahr ansteigt. Und dieser Neuerung profitieren die Rentnerinnen und Rent- genau dieser Erwartung der Rentnerinnen und Rentner ner noch heute tagtäglich. sollten wir auch mit einer deutlich einfacheren, aber umso verlässlicheren Anpassungsregel entsprechen. Steigt das Durchschnittsentgelt, so steigen auch die Renten. Der Anpassungsprozess erfolgt über die jährliche Auch die in dem Gesetzentwurf zur Aufgabenerweite- Neuberechnung des aktuellen Rentenwerts, also des Ge- rung für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft- genwerts zu einem Entgeltpunkt, in der gesetzlichen Ren- Bahn-See geplante stärkere Bündelung der Prüfung und tenversicherung. Verwaltung von aus Bundesmitteln finanzierten Förder- mitteln ist sachgerecht und zu begrüßen. Gemäß § 65 SGB VI wird der bestehende aktuelle Rentenwert jährlich jeweils zum 1. Juli durch einen neuen Haben bislang mehrere Behörden und externe Dienst- aktuellen Rentenwert ersetzt. Dieser neue aktuelle leister die Administration und Prüfung von Förderpro- Rentenwert wird anhand der Rentenanpassungsformel in grammen übernommen, so können mit dem neuen § 7 RVBund/KnErG die anfallende Aufgaben bei einer (B) § 68 SGB VI ermittelt. Grundlage dafür ist wiederum die (D) Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die beim Statisti- Stelle, namentlich der Deutschen Rentenversicherung schen Bundesamt geführt wird. Sie erfasst neben der Knappschaft-Bahn-See, geleitet werden. Wirtschaftsleistung und der Verwendung des Bruttoin- Derzeit werden Förderprojekte, wie zum Beispiel das landsprodukts auch die Entwicklung der Löhne und Ge- ESF-Bundesprogramm der laufenden Förderperiode von hälter. 2014 bis 2020 des Europäischen Sozialfonds, entweder durch das Arbeitsministerium, externe Dienstleister oder Durch die umfassende Generalrevision der Volkswirt- nachgeordnete Behörden verwaltet. Dazu gibt es 16 zwi- schaftlichen Gesamtrechnung in Deutschland wie auch in schengeschaltete Stellen und 8 verschiedene IT-Projekt- anderen europäischen Ländern im laufenden Jahr entsteht verwaltungssysteme. Mit der Übertragung der Befugnis ein statistischer Sondereffekt. Diese Revision erfolgt in der Verwaltung von Förderprogrammen und -projekten der Regel alle fünf Jahre, um neue Datenquellen und Be- auf die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft- rechnungsmethoden in die Berechnungen der VGR zu Bahn-See wird dieser unübersichtliche und ineffiziente integrieren. Zustand beendet. Außerdem wird ermöglicht, dass auch Als Auswirkungen dieser neuen statistischen Erfas- andere durch die Bundesregierung verwaltete Mittel zur sung sind die Werte zur Lohnentwicklung der vergange- Administration und Prüfung übertragen werden können, nen Jahre – es wurde rückwirkend bis 2001 gerechnet – etwa die Mittel des Ausgleichsfonds nach § 161 des im Zuge der Revision nach oben korrigiert worden. Sie Neunten Buches Sozialgesetzbuch. fallen absolut betrachtet ab 1991 deutlich höher aus, was Das ist ein weiterer Schritt zu mehr Bürokratieabbau, zu einer Abweichung von rund 2 Prozent führt. Im größerer Transparenz und Effizienz. Zudem werden da- Gegensatz dazu ist die gemessene tatsächliche Lohnent- mit circa 140 neue Stellen am Standort Cottbus und damit wicklung nahezu unverändert geblieben. Damit würde in Brandenburg Arbeitsplätze geschaffen. Dies ist ein die Rentenanpassung möglicherweise in dem einen Jahr starkes Signal für die neuen Bundesländer, dass wir un- ungewöhnlich stark steigen und eine Missweisung von sere Verantwortung aus dem Kohlekompromiss ernst etwa 2 Prozentpunkten enthalten, wohingegen im darauf- nehmen und den Worten Taten folgen lassen. folgenden Jahr die Rentenanpassung nur sehr gering aus- fallen würde, da der Effekt dann kompensiert würde. Ralf Kapschack (SPD): Wir beschließen heute ein Durch eine Änderung des § 68 SGB VI verhindern wir, Gesetz, das 140 neue Arbeitsplätze in der Lausitz schaf- dass die Rentenanpassung nicht den tatsächlichen Lohn- fen wird. Die Knappschaft-Bahn-See soll zukünftig die entwicklungen folgt und erst im Folgejahr ein Ausgleich Administration der Fördermittel aus dem Europäischen stattfindet. Die neue Formel setzt das durch, was der Sozialfonds, kurz ESF, für den Bund übernehmen. Damit 15098 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) wird eine Empfehlung der Kommission „Wachstum, Uns war wichtig, bei diesem Gesetz die Opposition (C) Strukturwandel und Beschäftigung“ zum Kohleausstieg früh und transparent in das Verfahren miteinzubeziehen, umgesetzt. um in der öffentlichen Debatte möglichst keine Verun- sicherung, keine Missverständnisse und keine bewussten Das ist aus unserer Sicht eine gute Sache, insbesondere Fehlinterpretationen aufkommen zu lassen. Damit, denke was die Ansiedlung neuer Arbeitsplätze in den neuen ich, können wir alle diesem Gesetz und der Änderung zur Bundesländern angeht. In der Anhörung dazu am vergan- Rentenanpassung ohne Probleme zustimmen. genen Montag ist auch seitens der Deutschen Renten- versicherung Knappschaft-Bahn-See mehrfach bestätigt Daniela Kolbe (SPD): Die Gelegenheiten, zu einem worden, dass der Aufbau der Arbeitsplätze in Cottbus Gesetzentwurf zu sprechen, bei dem hier im Haus nicht mit einem Abbau von Jobs im Ruhrgebiet einher- weitgehende Einigkeit herrscht, sind gering. Es ist bemer- geht. Das ist mir als Abgeordnetem aus dem Revier be- kenswert, dass wir trotz aller politischer Differenzen noch sonders wichtig. solche Punkte finden. Eine ungewohnte Situation auch am Montag in der Anhörung: viel Lob und kaum Kritik Heute reden wir aber nicht nur über die Knappschaft- von den Sachverständigen. Bahn-See, sondern auch über einen Änderungsantrag zur jährlichen Rentenanpassung. Ein zentrales Prinzip der ge- Aber was soll man auch kritisieren! Mit diesem Gesetz setzlichen Rentenversicherung ist, dass die Renten den werden gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschla- Löhnen folgen. Mit der Stabilisierung des Rentenniveaus gen: Zum einen werden Aufgaben an einer sinnvollen haben wir da für die nächsten Jahre wichtige und vor Stelle gebündelt, zum anderen freut sich die Knapp- allem richtige Entscheidungen getroffen. Damit ist klar: schaft-Bahn-See ausdrücklich über die neue Aufgabe, Die Durchschnittsrente entwickelt sich so wie die durch- die ihr übertragen wird und die ihr vielfältiges Profil er- schnittlichen Löhne und Gehälter. Das stärkt das Vertrau- weitert. Und dann sorgt das Gesetz noch ganz nebenbei en in die gesetzliche Rente. Das war und ist uns als SPD dafür, dass neue Arbeitsplätze nach Cottbus kommen, besonders wichtig. So weit, so gut. ohne dass an anderer Stelle bei der Knappschaft welche wegfallen. Zur Berechnung der Lohnentwicklung wird die volks- wirtschaftliche Gesamtrechnung herangezogen. Durch Auch der DGB hat bestätigt, dass die Aufgabenüber- die im August 2019 erfolgte sogenannte Generalrevision tragung nicht zum Nachteil anderer Arbeitnehmerinnen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ergibt sich und Arbeitnehmer vorgenommen wird. Mittelfristig wer- ein statistischer Effekt, der dieses Prinzip für die Jahre den Hunderte neue Verwaltungsstellen in der Lausitz be- 2020 und 2021 aushebeln würde. Zahlen vor der Revision setzt werden müssen. Damit löst die Bundesregierung ein (B) würden mit Zahlen nach der Revision verglichen. Nur zentrales Versprechen im Zuge des Strukturwandels ein. (D) durch diesen statistischen Effekt würde die Rentenanpas- Die Menschen in der Lausitz nehmen dieses Angebot sung 2020 2 Prozent höher und 2021 2 Prozent niedriger an. Die neuen Aufgaben übernehmen zunächst 20 Mitar- ausfallen. Das ist nicht plausibel und hat nichts mit der beiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bestand. Für diese reellen Entwicklung der Löhne und Renten zu tun. Personen muss nun aber nachbesetzt werden. An die 900 Bewerbungen aus der Lausitz sind dafür bei der Knapp- Mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisie- schaft-Bahn-See eingegangen. Sicher werden viele von rungsgesetz haben wir die sogenannte doppelte Haltelinie ihnen früher oder später ihre Chance bekommen. eingeführt: Das Rentenniveau wird bis 2025 bei 48 Pro- zent stabilisiert und der Beitragssatz bei 20 Prozent. Das Die Bundesregierung schafft neue Strukturen im Os- ist ein großer Erfolg, den wir als Sozialdemokratinnen ten, die dauerhaft und langfristig Beschäftigung in die und Sozialdemokraten durchsetzen konnten. Insgesamt Region bringen. Das ist gut für den Osten und belegt, dass hat es in den vergangenen Jahren so viele Leistungsver- wir den Strukturwandel ernst nehmen und es ernst meinen besserungen im Bereich der Rente gegeben wie seit Jahr- mit Angeboten für die betroffenen Regionen. Es muss zehnten nicht mehr. Darauf können wir stolz sein. unser Ziel sein, möglichst viele Anreize dafür zu schaf- fen, dass die Menschen in Regionen wie der Lausitz blei- Insofern ist es nur folgerichtig und auch sachgerecht, ben wollen und können. wie es die Sachverständigen in der bereits erwähnten An- hörung am vergangenen Montag bestätigt haben, dass wir Wir wollen es aber auch nicht übertreiben mit dem hier zu einer Veränderung kommen, die transparenter und Lob. Das ist hier natürlich nicht die Lösung auf alle Zu- nachvollziehbarer ist und eben dem Grundsatz „Die kunftsfragen und sorgt auch nicht für Jobs für alle. Aber Renten folgen dem Lohn“ gerecht wird. es ist eines der ersten nötigen Zeichen und zeigt, dass die Regierung, zumindest das Bundesministerium für Arbeit Schön und gut, wird jetzt vielleicht der eine oder die und Soziales, die Lausitz auf dem Schirm hat. Klar kann andere sagen, aber was heißt das für meine Rente kon- das nicht das Ende der Förderung für die Region sein; das kret? Habe ich nach der Änderung genauso viel Rente wie wird es aber auch nicht. vorher? Ja, es kommt zu keinen nennenswerten Verände- rungen der eigenen Rente. Extreme Schwankungen blei- Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Die Deutsche Ren- ben jedoch aus. Wir vollziehen quasi eine Glättung der tenversicherung selbst, alle relevanten Wissenschaftler Werte, bügeln die Falten glatt, sodass die Lohnentwick- und sonstigen in der Anhörung gehörte Experten und eine lung wieder realistisch ohne Hüpfer in die eine oder an- fraktionsübergreifende große Mehrheit dieses Hauses ist dere Richtung abgebildet wird. sich einig: Diese hier heute zur Entscheidung anstehende Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15099

(A) Anpassung der statistischen Grundlagen der jährlichen Ausschuss für Arbeit und Soziales zu dem Gesetzent- (C) Entwicklung des Rentenwerts – also der Rentensteigerun- wurf. Die Sachverständigen äußerten sich zu dem Vor- gen – macht diese noch präziser entlang der Lohnsteige- schlag, den Jo-Jo-Effekt bei den Rentenanpassungen rung und damit einfach besser. Auch das damit einher- künftig auszuschließen. In der Stellungnahme des Sozial- gehende Ziel, allein durch die nachträgliche Korrektur verbandes Deutschland e. V. hieß es dazu: „Der Sozial- statistischer Effekte ausgelöste größere Schwankungen verband Deutschland setzt sich grundsätzlich dafür ein, der jährlichen Rentenanpassung zu vermeiden, ist richtig. dass die Renten vollumfänglich den Löhnen folgen. Das Um es mal ganz simpel zu sagen: Das Gesetz zwang die heißt in erster Linie, dass hierzu die sogenannten Kürz- Rentenversicherung bisher dazu, zur Berechnung der ungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel gestrichen jährlichen Rentenpassung ältere Daten zu nutzen, als be- werden müssten. Dies allein würde schon zu zukünftig reits zur Verfügung stehen, und das erst im nächsten Jahr höheren Anpassungen führen.“ Ja, der SoVD hat recht, bei der dann folgenden Anpassung zu korrigieren. Das und wir Linken schließen uns ohne Wenn und Aber seiner macht keinen Sinn, und deshalb stimmen auch wir dem Forderung an. Gesetz heute zu. Allein zwischen 2002 und 2019 blieben die Renten im Auch der zweite Teil des Gesetzentwurfs, eine Bünde- Westen deshalb um 6,9 Prozentpunkte und im Osten um lung der Administration und Prüfung von Förderpro- 2,8 Prozentpunkte hinter der Lohnentwicklung zurück. grammen und -projekten und die damit einhergehende Leider geht es im vorliegenden Gesetzentwurf samt Än- Effizienzsteigerung sowie Entbürokratisierung, ist im derungsantrag der Bundesregierung aber nicht um die Grundsatz gut. Nicht gut ist aber, was Sie sonst so bei beiden Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsfor- der Rente machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von mel, sprich den Riester- und den Nachhaltigkeitsfaktor, den Koalitionsfraktionen von Union und SPD. Wir strei- für deren Streichung sich Die Linke im Bundestag ein- ten nicht aus Prinzip, sondern stets konstruktiv in der setzt, sondern um die im Großen und Ganzen sachgerech- Sache und für die Sache. Und weil das so ist, kann man te Änderung des Lohnfaktors. nicht im Deutschen Bundestag zur ersten Hälfte der Ren- Um Verzerrungen durch regelmäßig wiederkehrende tenformel reden und dazu schweigen, was Sie letztes Jahr statistische Revisionen und damit einen Jo-Jo-Effekt oder mit der zweiten Hälfte der Rentenformel gemacht haben. einen Hüpfer bei den jährlichen Rentenanpassungen im Denn wenn uns Mitte der 20er-Jahre – also in dem Jahr- Juli zu vermeiden, werden zukünftig nur die aktuell vor- zehnt, das in dieser Legislaturperiode bereits beginnt – Ihr liegenden Bruttolöhne der volkswirtschaftlichen Gesamt- rentenpolitisches Handeln einholt und die finanzielle Sta- rechnung herangezogen und dann noch mal mit den bilität des Rentensystems auf dem Spiel steht – und das eigentlich entscheidenden beitragspflichtigen Bruttolöh- wird es –, dann sollten wir alle unsere rentenpolitischen (B) nen korrigiert. Höhere Rentenanpassungen im einen Jahr, (D) Reden in dieser Legislaturperiode nachlesen. die im nächsten Jahr dann wieder einkassiert werden wür- Heute geht es darum, die Rentenanpassungen präziser den, will niemand. Sie würden das Vertrauen in die heute entlang der jeweils neuesten Daten zu machen. Damit schon schwierig erklär- und vermittelbare Rentenanpas- beweisen Sie, dass Sie zu einem sorgsamen Umgang sungsformel noch mehr beschädigen. Deshalb unterstützt mit der Rentenformel fähig sind. Umso schlimmer und Die Linke im Bundestag den Gesetzentwurf und auch die empörender ist Ihr Eingriff in die Rentenformel im letzten darin enthaltene Aufgabenübertragung an die Knapp- Jahr. Wissentlich und trotz aller Warnungen haben Sie schaft-Bahn-See in Cottbus. sich am Nachhaltigkeitsfaktor vergriffen. Sie haben damit Der von uns berufene Sachverständige Professor ganz bewusst den rentenpolitischen Konsens verletzt, der Dr. Uwe Fachinger hat das getan, was man von einem in den 2000er-Jahren in unserem Land einmal erreicht Sachverständigen erwartet: Er hat genau nachgerechnet. wurde. Dieser Konsens besagte, dass die Lasten des de- Demnach führt der Basiseffekt einer geglätteten Renten- mografischen Wandels fair auf alle Generationen, Junge anpassung auf lange Sicht durchaus zu geringen Verlus- wie Alte, zu verteilen waren. Ihre Aushebelung des Nach- ten. Nach seiner Berechnung würden Renten zukünftig haltigkeitsfaktors verhindert diese faire Aufteilung zu- um 0,34 Prozentpunkte niedriger ausfallen können, also lasten der Jüngeren. Sie haben sich für die kurzfristige nur 99,66 Prozent erreicht werden können. Eine durch- Umsetzung Ihrer fehlgeleiteten Wahlversprechen ent- schnittliche Rente mit einem Zahlbetrag von 1 000 Euro schlossen, obwohl Sie nicht beantworten konnten und würde dann nur noch 996,60 Euro betragen, also um bis heute nicht beantworten können, wie das langfristig 3,40 Euro im Monat und somit um 40,80 Euro im Jahr finanziert werden soll. Entweder man hat einen Plan, geringer ausfallen. Das ist als nicht beabsichtige Folge dann muss man den offenlegen. Oder man hat keinen der Glättung sicherlich verkraftbar. Aber es sollte durch- Plan, dann muss man es lassen. Das war eine bewusste aus kommuniziert und damit in der Folgeabschätzung Manipulation der Rentenformel zulasten der Generatio- auch realistisch quantifiziert werden, wie hoch insgesamt nengerechtigkeit, und das ist unverantwortlich. die Einsparungen an Beitragsmitteln und Bundeszuschüs- Aber schön, dass wir heute Abend einen Exkurs ins sen ausfallen. Positive hatten – vielleicht bringt Sie das ja dazu, Ihre Das hatte auch der Kölner Professor Dr. Eckart Boms- Rentenpolitik generell zu überdenken. Gut für unser Land dorf in seiner Stellungnahme eingefordert, und die DRV wäre es. hat das, soweit ich das sehe, nicht in the long run beziffert. Ich schlage vor, bald eine Leistungsverbesserung einzu- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Am vergange- führen, beispielsweise die Abschläge bei den Erwerbs- nen Montag hatten wir eine öffentliche Anhörung im minderungsrenten abzuschaffen, vor allem im Bestand, 15100 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019

(A) oder eine wertgleiche Maßnahme einzuführen. Zudem Ihr Vorschlag, die Schwankungen zu glätten, ist, auch (C) möchte ich noch einmal daran erinnern, dass der DGB nach den Aussagen der Sachverständigen in der An- herausgearbeitet hat, dass reale Einbrüche wie eine mas- hörung, technisch sachgemäß und zielführend. In Zu- senhafte Ausweitung des Kurzarbeitergeldes in einer Kri- kunft werden nur noch revidierte Werte miteinander in senphase weiter zu starken Schwankungen führen könn- Beziehung gesetzt. Langfristig hat das vorgeschlagene ten. Das sollte man dann auch ehrlich so kommunizieren. Modell nach aktuellen Berechnungen des Volkswirts Uwe Fachinger faktisch keine negativen Auswirkungen Der DGB hatte sich auch für eine einheitliche Fort- auf die Rentenhöhen der heutigen und künftigen Rentne- schreibung aller Rechengrößen ausgesprochen. Die Deut- rinnen und Rentner. Insgesamt können wir als grüne Bun- sche Rentenversicherung und weitere Sachverständige destagsfraktion die methodisch-technische Umstellung hatten darauf hingewiesen, dass eigentlich auch komplett bei der Rentenanpassung also unterstützen. auf den Umweg der Löhne nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verzichtet werden könnte und man Die Koalition bringt neben ihrer Initiative zur Renten- gleich ausschließlich auf die beitragspflichtigen Löhne anpassung ein zweites Reformvorhaben in den Bundestag zurückgreifen sollte, selbst wenn das mit einer zeitlichen ein, das in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Lücke verbunden wäre. ersten steht. So sieht die Bundesregierung vor, die Administration Wir haben also in der Anhörung viel gelernt. Das Mi- und die Prüfung von Förderprogrammen und Förderpro- nisterium sollte sich langfristig der Herausforderung stel- jekten des Bundes stärker zu bündeln. Die Aufgaben der len, die Rentenanpassungsformel grundsätzlich zu über- Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See arbeiten, im Sinne einer Vereinfachung, aber auch mit werden zu diesem Zweck erweitert. Wir Grünen befür- dem Ziel, dass die Renten endlich wieder eins zu eins worten die Zielsetzung, darüber eine Verwaltungsverein- den Löhnen folgen. So hatten es sich die Erfinder der fachung und eine Steigerung der Effizienz der Arbeits- lohnbezogenen Rente ausgedacht, und dafür steht Die abläufe zu erreichen. Klar ist für uns aber auch, dass die Linke im Bundestag immer noch. Dadurch würden die der Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See entste- Renten steigen. Das ist dringend notwendig. Alles in henden Kosten vollständig über Bundesmittel auszuglei- allem: Die Richtung stimmt, und darum stimmt Die Linke chen sind und die Beitragszahlerinnen und -zahler nicht zu. belastet werden dürfen.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Rente folgt prinzipiell den Löhnen. Rentnerinnen und (B) Rentner werden an der Einkommensentwicklung betei- Anlage 10 (D) ligt. Für sie ist die jährliche Rentenerhöhung deshalb ein Moment, der Vertrauen in die Rentenversicherung Zu Protokoll gegebene Reden stiftet. Die Orientierung an der Lohnentwicklung ist zu Recht ein konstituierendes Prinzip der gesetzlichen Ren- zur Beratung tenversicherung. Es ist also richtig, in den kommenden a) des von der Bundesregierung eingebrachten Jahren und auch langfristig Schwankungen der Renten- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stra- höhe zu vermeiden, die allein auf Veränderungen in der ßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenver- Lohnstatistik zurückzuführen sind. kehrsrechtlicher Vorschriften Nach heute geltendem Recht würde eine im August b) der Beschlussempfehlung und des Berichts vom Statistischen Bundesamt vorgenommene Revision des Ausschusses für Verkehr und digitale In- von Lohndaten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten nung erhebliche Auswirkungen auf die Rentenanpassung Torsten Herbst, Frank Sitta, Grigorios im kommenden Juli nach sich ziehen. Eine Ursache die- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- ses Effekts der Statistikanpassung ist auch die bisherige tion der FDP Systematik der Rentenanpassungsformel: Bislang sind die im Vorjahr bei der Berechnung der Rentenanpassung Verkehrssicherheit durch Reform des Begleite- genutzten Lohndaten im folgenden Jahr erneut zu ver- ten Fahrens ab 17 Jahren erhöhen wenden. Bei einer Neuaufstellung der statistischen Da- (Tagesordnungspunkt 22) tenbasis führt dies im Ergebnis dazu, dass Äpfel mit Bir- nen, nämlich revidierte mit nicht revidierten Zahlen Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir beraten heute verglichen werden. Abend über zwei Vorlagen: über den Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und über den An- Schon in den Jahren 2015 und 2016, als ein Statistik- trag der FDP-Fraktion „Verkehrssicherheit durch Reform effekt die Rentenerhöhung erst drastisch kleiner ausfallen des Begleiteten Fahrens ab 17 Jahren erhöhen“. In beiden ließ, um im Folgejahr dann umso höher auszufallen, wäre Vorlagen geht es vor allem darum, das Mindestalter für eine neue Berechnungsgrundlage bei der Rentenanpas- Fahranfänger herunterzusetzen. sung sinnvoll gewesen. Die schwarz-rote Bundesregie- rung hat es damals aber versäumt, die richtigen Maßnah- Zuerst einmal möchte ich etwas zur Änderung des Stra- men einzuleiten. Immerhin: Diesen Fehler wiederholen ßenverkehrsgesetzes sagen: Die Technischen Prüfstellen die Regierungsfraktionen nun nicht. möchten bereits jetzt ihre fahrerlaubnisrechtlichen Leis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15101

(A) tungen zunehmend digitalisieren. Aus diesem Grund be- Weiter fordert der Bundesrat eine klarstellende Ände- (C) nötigen sie die E-Mail-Adresse von Fahrerlaubnisbewer- rung der Übermittlungsvorschriften im Antragsverfahren, bern. Für die Erhebung, Speicherung und Übermittlung die von der Bundesregierung unterstützt wird und im vor- der E-Mail-Adresse im Bereich des Fahrerlaubniswesens liegenden Entwurf auch umgesetzt wurde. gibt es derzeit aber keine Rechtsgrundlage. Diese wird Wir als Koalition von CDU/CSU und SPD haben zum nun geschaffen und die Arbeit der Prüfstellen erleichtert. Gesetzentwurf noch einen Änderungs- und Entschlie- Außerdem läuft zum 30. April 2020 das sogenannte ßungsantrag eingebracht. Der Änderungsantrag fordert, Modellprojekt AM mit 15 Jahren aus. Daher sind wir in § 65 Absatz 4 aufzuheben. Durch die Aufhebung des der Pflicht, frühzeitig Planungssicherheit für die interes- § 65 Absatz 4 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) wird sierten Fahrerlaubnisbewerber zu schaffen. Mit dem vor- die bisher vorgesehene Möglichkeit des Punktabzugs im liegenden Gesetz erhalten die Länder die Ermächtigung, Fahreignungs-Bewertungssystem für den Besuch eines für ihr Gebiet das Mindestalter für die Klasse AM auf Fahreignungsseminars unter den Voraussetzungen des 15 Jahre herabzusetzen. § 4 Absatz 7 StVG entfristet und findet damit auch nach Ablauf des 30. April 2020 weiterhin Anwendung. Ich begleite diesen Prozess schon seit 2013. Damals hat die Bundesregierung mit der Dritten Verordnung über Der Änderungsantrag sieht auch eine Änderung des § 2 Ausnahmen von den Vorschriften der Fahrerlaubnis-Ver- Absatz 1 des Gesetzes über die Errichtung eines Kraft- ordnung mit Wirkung vom 1. Mai 2013 die Grundlage für fahrt-Bundesamtes vor. Die Änderung des § 2 Absatz 1 einen Modellversuch „Moped mit 15“ geschaffen. des Gesetzes über die Errichtung des Kraftfahrt-Bundes- amtes ist erforderlich zur Umsetzung der Berufskraftfah- Dieser zunächst bis April 2018 befristete Modellver- rer-Qualifikations-Richtlinie (EU) 2018/645. Artikel 10a such ermöglichte es, dass interessierte Bundesländer das der Richtlinie sieht die Errichtung eines sogenannten Mindestalter für die Fahrerlaubnis der Klasse AM (Klein- Durchsetzungsnetzes vor, mittels dessen sich die Mit- krafträder, Mopeds und vierrädrige Leichtkraftfahrzeu- gliedstaaten der Europäischen Union über ausgestellte ge [bis 45 km/h]) auf 15 Jahre absenken konnten. Die und entzogene Teilnahmebescheinigungen austauschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sollen. bieten seitdem auf dieser Grundlage seit 2013 die Mög- Durch die Neunte Verordnung zur Änderung der lichkeit, den Mopedführerschein schon ab dem 15. Le- Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrs- bensjahr zu erwerben. 2015 kamen auch Brandenburg rechtlicher Vorschriften wurde die Bußgeldkatalog-Ver- und Mecklenburg-Vorpommern hinzu. ordnung partiell, soweit es die Reform des Verkehrszen- Begleitet wird der Modellversuch durch wissenschaft- tralregisters erforderte, angepasst, die Änderungen traten (B) (D) liche Studien zur Verkehrssicherheit und zum Mobilitäts- 2014 in Kraft. Hierdurch entstand insbesondere im Ge- verhalten der teilnehmenden Jugendlichen. Im Februar samtgefüge der Bußgeld- und Verwarnungsgeldregelsät- 2018 wurde das Modellprojekt auf weitere zwei Jahre ze in der Anlage 1 ein Prüfungs- und Anpassungsbedarf, bis jetzt zum Februar 2020 durch das Bundesministerium um die zuvor fein abgestimmte Wertigkeit der Verstöße für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) verlängert. zueinander zu wahren und generell Einkommens- und Preissteigerungen zu berücksichtigen. Ich habe die Umsetzung der Modellversuche als Spre- Daher fordern wir in unserem Entschließungsantrag cher für Verkehrssicherheit der CDU/CSU-Fraktion im- die Bundesregierung auf, im Rahmen der Reform die mer positiv begleitet und freue mich, wenn wir jetzt hier Bußgeldkatalog-Verordnung bis spätestens Ende 2020 und heute eine dauerhafte Umsetzung verabschieden. hinsichtlich des Gefüges der Regelsätze zu überarbeiten. Viele Jugendliche in ländlichen Regionen in Deutschland sind auf diese alternativen Mobilitätsangebote angewie- Kommen wir nun zum Thema „Verkehrssicherheit sen, um Schule oder Ausbildungsstätte zu erreichen. durch Reform des Begleiteten Fahrens ab 17 Jahren erhö- hen“, dem Antrag der Fraktion der FDP. Der Antrag greift Der Kritik Ihres Antrages, liebe Kollegen von der FDP- im Wesentlichen das vom BMVI ohnehin bereits laufende Fraktion, dass mit diesem Regulierungsansatz zu be- Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Fahranfän- fürchten ist, dass in Deutschland ein Flickenteppich un- gervorbereitung auf, in dem weiterführende Maßnahmen- terschiedlicher Regelungen entsteht, muss ich mich leider ansätze zur Absenkung des Unfallrisikos von Fahranfän- anschließen. Es ist zu hoffen, dass die Länder hier ge- gern in der Anfangsphase des selbstständigen Fahrens meinsame Lösungen finden. Umso mehr freut es mich, erarbeitet werden. Dazu gehört auch eine Erleichterung dass mein Bundesland Schleswig-Holstein schon ange- der Rahmenbedingungen zum begleiteten Fahren ab 17. kündigt hat, dass es diese Ermächtigung auch umsetzen wird. Zur ersten Forderung, „durch eine Novellierung der Fahrerlaubnis-Verordnung die Registrierung, das Der Bundesrat fordert in seiner Stellungnahme eine 1-Punkt-Limit sowie das Mindestalter für BF-17-Be- Änderung der Regelungen zum Mindestalter für das Füh- gleitpersonen zu streichen und allein einen achtjährigen ren von Lkw. Die geforderte Änderung der Fahrerlaubnis- ununterbrochenen Führerscheinbesitz als Voraussetzung Verordnung ist im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorha- für Begleitpersonen festzuschreiben“. Es lässt sich sagen, bens jedoch verfassungsrechtlich nicht zulässig, da sie in dass die Umsetzung der Forderung sich bereits in der keinem Zusammenhang mit den im Entwurf enthaltenen Beratung mit den Ländern befindet. Grundlage hierfür gesetzlichen Änderungen steht, und wurde daher nicht bildet ein unter der Leitung der BASt gemeinsam mit aufgenommen. Experten erarbeitetes sogenanntes Rahmenkonzept zur 15102 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. 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(A) Verbesserung der Fahranfängersicherheit, das in Kürze Grund genug also, den AM 15 endlich bundesweit aus- (C) veröffentlicht wird. zurollen. Doch genau an diesem Punkt hat die Bundesre- gierung anscheinend der Mut verlassen; denn der vorlie- Zur zweiten Forderung, „sich auf europäischer Ebene gende Gesetzentwurf sieht nicht etwa eine bundesweite nachhaltig für eine Neufassung der Richtlinie 2006/126/ Einführung vor, sondern eine Delegation der Entschei- EG einzusetzen, sodass künftig der Erwerb der Führer- dung an die Länder. Die Leidtragenden dieser kurzsichti- scheinklassen B und BE bereits ab 16 Jahren grund- gen und mutlosen Politik sind ausgerechnet jene Jugend- sätzlich ermöglicht wird“. liche in den ländlichen Regionen Deutschlands, die dringend auf ein besseres Mobilitätsangebot angewiesen Auch dieser Punkt hat sich bereits erledigt. Das BMVI wären. Durch die inkonsequente Politik dieser Bundesre- hat sich bei der EU bereits dafür eingesetzt, die Vorgaben gierung könnte es in Deutschland also bald passieren, bzw. das Mindestalter für den Erwerb der Fahrerlaubnis- dass 15-Jährige mit dem Moped zwar von Sachsen nach klasse B und BE auf 16 Jahre zu senken. Tschechien oder Polen fahren dürften, aber nicht nach Zur dritten Forderung, „den Ländern nach einer ent- Bayern. Anstatt innerdeutsche Grenzen abzubauen, wer- sprechenden Änderung der EU-Richtlinie zu ermögli- den durch diesen Gesetzentwurf neue Grenzen entstehen. chen, Modellprojekte zu realisieren und wissenschaftlich Das halten wir für den völlig falschen Ansatz. Ich kann zu begleiten“. Auch hier ist zu sagen: Auch dieser Forde- daher nur mit Nachdruck dafür werben, allen Jugendli- rung kommt das BMVI bereits nach, sobald die Europä- chen in Deutschland den Zugang zum AM 15 zu ermög- ische Kommission die entsprechende Rechtsänderung in lichen – für mehr individuelle Mobilität und eine höhere der 3. EU-Führerscheinrichtlinie vorgenommen hat. Verkehrssicherheit. Zur vierten Forderung, „bei positiver Evaluation das Thomas Lutze (DIE LINKE): Das Modellprojekt Straßenverkehrsgesetz entsprechend zu ändern, um das „Moped mit 15“ zeigte sich erfolgreich, und dementspre- Begleitete Fahren mit 16 Jahren dauerhaft gesetzlich zu chend ist es nur logisch, dass der Weg freigemacht wird, verankern“. Auch hier lässt sich wieder nur das Gleiche das Mindestalter für den Erwerb eines Führerscheins der erwidern: Das BMVI wird in diesem Fall nach Prüfung Klasse AM dauerhaft auf 15 Jahre zu senken. Wir als der Evaluationsergebnisse die erforderlichen Rechtsände- Linke unterstützen dieses Vorhaben voll und ganz. Ju- rungen prüfen und vornehmen. gendliche kommen somit früh in Kontakt mit den Gege- benheiten im Straßenverkehr und genießen bereits in jun- Der Antrag ist folglich abzulehnen, da er keine neuen gen Jahren eine gewisse Autonomie. Initiativen für die Verkehrssicherheit bietet und zeitlich Vernachlässigt werden darf aber nicht der Ausbau des veraltet ist. (B) öffentlichen Nahverkehrs, gerade auf den ländlichen (D) Gebieten. Nur weil die jungen Menschen nun ihr motor- Torsten Herbst (FDP): Mit dem vorliegenden Ge- isiertes Zweirad haben, heißt das nicht, dass sie nicht setzentwurf will die Bundesregierung den Bundesländern beispielsweise auch einen Bus brauchen, der in regelmä- die Möglichkeit einräumen, das Mindestalter für die ßigem Takt fährt. Fahrerlaubnis der Klasse AM, also für Kleinkrafträder und Mopeds, von 16 auf 15 Jahre abzusenken. Dafür gibt Zudem sehe ich die Ermächtigungsgrundlage für die es viele gute Argumente. Stellen Sie sich vor, Sie sind Länder kritisch. Mir muss man mal erklären, warum der 15 Jahre alt und wollen in einer der vielen ländlichen Erwerb eines Führerscheins auf Landesebene geregelt Regionen Deutschlands nach der Schule zum Fußballtrai- werden soll; mir fällt dazu keine Erklärung ein. Nun soll ning, zum Musikunterricht oder zu Freunden fahren. Ein der eine Jugendliche in Dorf A also ein Moped fahren entsprechendes ÖPNV-Angebot gibt es nicht, für das Taxi dürfen und der andere Jugendliche in Dorf B nebenan reicht das Taschengeld nicht aus, und auch die Eltern eben nicht, nur weil sein Dorf im falschen Bundesland haben um diese Uhrzeit häufig andere Verpflichtungen. liegt. Folglich ist da der Bund gefragt; die Länder sollten Dieses Szenario macht klar deutlich: Der Mopedführer- dafür keine Zuständigkeit bekommen. Nichtsdestotrotz schein ab 15 Jahren ist für Tausende Jugendliche ein Bau- unterstützen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung. stein für mehr individuelle Mobilität und ein Stück per- Wir als Fraktion sehen auch den Antrag der FDP-Frak- sönliche Freiheit. tion positiv. Das begleitete Fahren ab 17 ist schlicht ein Erfolgsmodell. Durch die Begleitpersonen steigt bei den Dieser Meinung sind wir nicht allein. Sechs Jahre Mo- Jugendlichen das Selbstbewusstsein hinter dem Steuer, dellversuch in den ostdeutschen Bundesländern haben und auch die Verkehrsregeln werden besser verinnerlicht, nicht nur gezeigt, dass der AM 15 von den Jugendlichen wenn eine erfahrene Person auf dem Beifahrersitz sitzt gut angenommen wird. Der Versuch hat vor allem ge- und bei Fragen und Problemen ansprechbar ist. Die Ver- zeigt, dass die Unfallzahlen nicht signifikant gestiegen kehrssicherheit im Allgemeinen ist durch das begleitete sind und dass die Prüfungsergebnisse der 15-Jährigen Fahren ab 17 gestiegen. Diese Sonderregelung kann aller- besser ausfallen als die der 16-Jährigen. Der AM 15 erhält dings nur ein Baustein einer umfassenden Mobilitätser- daher auch parteiübergreifend Unterstützung. Sachsen- ziehung sein. Jede Fahrt mit der Bahn ist bis zu 40-mal Anhalts Verkehrsminister von der CDU nennt ihn ein sicherer als eine Autofahrt, zudem auch ökologischer. Erfolgsprojekt, und das SPD-geführte sächsische Ver- kehrsministerium stellt fest, dass die Absenkung des Min- Dennoch ist es sinnvoll, am Modell „Begleitetes Fah- destalters nicht auf Kosten der Verkehrssicherheit erfolgt ren“ festzuhalten und es stetig weiterzuentwickeln. Wir ist. sind deswegen erfreut über den Antrag der FDP-Fraktion, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Oktober 2019 15103-15122

(A) der die richtigen Ansätze wählt, um das begleitete Fahren Insgesamt hat sich die Anzahl der verunglückten (C) sinnvoll zu ergänzen. Das Einpunktlimit ist in der Tat 15- bis 17-Jährigen mehr als verdoppelt. In den Ver- inkonsequent. Dass ein Fahrlehrer sich mehr Punkte im gleichsländern blieb es dagegen gleichzeitig unauffällig. Fahreignungsregister in Flensburg leisten darf als eine Die Bundesregierung schlägt hier eine Maßnahme vor, Begleitperson, ist schlicht und ergreifend unsinnig. Diese die eher zu mehr Unfällen führt. und andere Voraussetzungen sorgen dafür, dass Begleit- personen, die sich dazu bereit erklären, einen Jugendli- Mehr und bessere Mobilität heißt, mehr und besseren chen beim Autofahren zu begleiten, rar gesät sind. Mit ÖPNV, mehr und sichere Fahrradwege und Fahrrad- dem Abbau dieser Hürden gäbe es mehr infrage kommen- schnellwege einzurichten. Und: Warum schieben Sie die de Begleitpersonen, somit mehr Jugendliche, die bereits Verantwortung den Ländern zu, anstatt es bundesweit zu früh das Führen eines Autos erlernen, und folglich auch regeln? mehr Verkehrssicherheit. Das benötigte Alter für das be- Die Begründung, die Länder wüssten selbst besser den gleitete Fahren um ein Jahr auf 16 Jahre herabzusenken, Zustand des ÖPNVs und des Radverkehrs und der Ra- ergibt ebenso Sinn. Wer wie wir das Wahlrecht ab 16 dinfrastruktur einzuschätzen, ist nicht wirklich haltbar. fordert, kann es einem jungen Menschen auch zumuten, Abgesehen davon kann ich der Bundesregierung ver- ein Auto zu fahren. sichern, dass in keinem Land der ÖPNV in ländlichen Räumen den Mobilitätswünschen der Bürgerinnen und Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bürger gerecht wird. Bundesregierung plant hier, neben anderen Änderungen im StVG, den Führerschein Klasse AM, also Moped und Und darüber hinaus konnte mit dem Modellversuch Ähnliches, bereits ab 15 Jahren zugänglich zu machen. nicht erreicht werden, dass Jugendliche, insbesondere in Wir sehen keinen vernünftigen Grund, wieso man das tun ländlichen Räumen, mobiler wurden. Vielmehr zeigte sollte. Das sogenannte Projekt AM 15 gefährdet die Si- sich, dass Strecken, die sonst mit Fahrrad oder ÖPNV cherheit auf der Straße deutlich. bewältigt wurden, nun mit dem Moped bestritten wurden. Es ist nicht klug, dass das Bundesministerium immer Die Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen fand mehr Vorschläge einreicht, die die Sicherheit auf den heraus, dass den teilnehmenden Jugendlichen mit dem Straßen verringern, und förderliche Maßnahmen für Ver- Moped keine neuen Fahrtziele erschlossen wurden in kehrssicherheit, wie beispielsweise Tempolimits, ablehnt. den Modellversuchsländern. Um mal ein paar Zahlen Offenbar gewichtet das Verkehrsministerium etwaige aus der Studie zu nennen: Vor ihrer AM-15-Teilnahme Mobilitätsgewinne stärker als die aus dem Jugendlich- fuhren 65,2 Prozent der Befragten meistens mit dem keits- und Fahranfängerrisiko resultierenden Gefahren ÖPNV zur Schule oder Ausbildungsplatz, danach waren (B) für die Gesundheit 15-Jähriger und anderer Verkehrsteil- es nur noch 24,1 Prozent. (D) nehmenden. Auch der Verkehrssicherheitsrat hat das Vorhaben auf- Bei dem Modellversuch konnte man sehen, dass viel grund dieser Tatsachen negativ bewertet. mehr Jugendliche in Verkehrsunfälle verwickelt waren und sich dabei verletzt haben als in den Ländern, die nicht Das ist dem Ziel „Vision Zero“, das dringend im Stra- am Modellversuch teilnahmen. Außerdem kann man von ßenverkehrsgesetz verankert werden muss, nicht dien- einer gewissen Dunkelziffer ausgehen, da gerade bei so- lich. Deshalb sollten wir jetzt ernsthaft an der „Vision genannten Alleinunfällen die Polizei nicht hinzugerufen Zero“ arbeiten, so wie wir es in unserem Antrag vorschla- wird. gen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333