+ Beilage

Europa Kultur Stadt III deutsch/englisch

Zeitung des Deutschen Kulturrates

Nr. 02/05 • März - April 2005 www.kulturrat.de 3,00 € • ISSN 1619-4217 • B 58 662

Arbeitsmarkt Kultur Kulturfinanzierung Vorstandsbericht EU-Dienstleistungsrichtlinie Europa Kultur Stadt In welche Richtung entwickelt sich Welche Möglichkeiten bietet Public Was der Vorstand des Deutschen Kul- Welche Gefahr der Kultur durch die Inwieweit sind Städte von Migrati- der Arbeitsmarkt Kultur – Wachs- Private Partnership für Kultureinrich- turrates in den vergangenen zwei Jah- EU-Dienstleistungsrichtlinie droht on betroffen, wie gehen sie damit tum oder Stagnation? Aus Sicht der tungen und welche Fallstricke beste- ren auf den Weg gebracht hat, welche und wie sich dieses Vorhaben der EU um, was bedeutet Migration kultur- Bibliotheken, der Museen und der hen bei dieser Form der Zusammen- Akzente gesetzt wurden und welche in die Politik einer stärkeren Ökono- politisch, wie kann das Thema Mig- Theater wird der Frage nachge- arbeit der öffentlichen Hand mit pri- Wirkungen die Arbeit hatte, darüber misierung von Kultur einordnet, wird ration künstlerisch verarbeitet wer- gangen, welche Chancen und wel- vaten Unternehmen? Leistet Public wird im Vorstandsbericht Rechen- gefragt. Der Deutsche Kulturrat warnt den, diese Fragen werden in der che Risiken Ein-Euro-Jobs in sich Private Partnership der Ökonomisie- schaft abgelegt. Veranstaltungen und vor der Verabschiedung der geplan- Beilage aus unterschiedlichen Per- bergen. rung des Kulturbereiches Vorschub? wichtige Treffen werden aufgeführt. ten EU-Dienstleistungsrichtlinie. spektiven beleuchtet. Seiten 3 bis 5 Seiten 6 bis 9 Seiten 20 bis 21 Seiten 16 bis 18 Seiten I bis XII

Editorial Sinnvoll aufteilen und verknüpfen Schamhaftes Schweigen Zur Reform des 5öderalismus • Von Johanna Wanka

oran liegt es, dass die wirt- seiner Finanznot immer öfter aus. Die Reform des 5öderalismus, die turstiftung hat. Das kulturelle Erbe darüber die Formulierung gemein- W schaftliche Lage der Maler, Aber auch die öffentlichen Hände grundsätzlich von allen Beteiligten zu wahren und die zeitgenössische samer Interessen z.B. gegenüber der Schriftsteller oder Komponisten eine kaufen nur noch äußerst selten gewollt ist und von vielen Bürger- Kunst zu fördern, wäre Auftrag einer Europäischen Union ins Hintertref- geringere Aufmerksamkeit in der Öf- Kunstwerke an oder erteilen den innen und Bürgern erwartet wird, ist vereinten Kulturstiftung. Das eine fen geraten ist. Eine Vielzahl von Re- fentlichkeit erhält, als zum Beispiel Auftrag für eine Komposition. noch nicht gelungen. Die Bildungs- den Ländern und das andere dem gelungen des außerkulturellen Be- die Finanznot eines Theaters oder „Kunst am Bau“, für die eigentlich politik spielte für diesen Zwischen- Bund zuordnen zu wollen, ist welt- reichs haben Einfluss auf die Kul- der Rückgang des CD-Absatzes eines 2% der Bausumme von öffentlichen stand bekanntlich eine große, die fremd. Die zeitgenössische Kunst turpolitiken der Länder und des Musikmultis? Gebäuden verwendet werden soll- Kulturpolitik indes eine marginale von heute ist das kulturelle Erbe von Bundes, ohne dass dies im Einzel- Die großen Kulturinstitutionen, te, fällt wegen der Angst vor einem Rolle. Die 5ortführung des Status morgen. Kultur ist ein lebendiger nen schon begriffen wurde. Spät die Theater, Opern und Museen populistischen Rüffel des Rech- quo kann aber kein dauerhaftes Ziel Prozess der Auseinandersetzung, erst haben wir Kulturpolitiker wahr- sind im Stadtraum und damit im nungshofes oder dem Bund der der Politik in Deutschland sein. des sich Reibens, der sich nicht in genommen, dass die Europäische Bewusstsein der Öffentlichkeit un- Steuerzahler immer öfter schon im Schubladen ordnen, zuordnen und Union im Rahmen von GATS auch übersehbar und die Film- und Mu- vorauseilenden Gehorsam weg. Öf- ie ursprünglich noch relativ kla- verwalten lässt. Eine Lösung des die Liberalisierung kultureller sikindustrie feiert sich, wie gerade fentliche Künstlerförderungspro- Dre Kompetenzverteilung im Streits zwischen Bund und Ländern Dienstleistungen grundsätzlich er- an der 55. Berlinale in Berlin zu se- gramme, Stipendien oder Atelier- Grundgesetz wurde in der jahrzehn- ist denkbar, wenn sie aus der Sicht möglicht hat. Nun versuchen wir hen war, gekonnt selbst. Die Medi- förderungen waren vielfach schon telangen Verfassungspraxis unter der kulturellen Akteure, der Desti- aus der Defensive ein völkerrecht- en saugen begierig die „News“ des vor Jahren die ersten Einsparungs- Mitwirkung aller Beteiligten so fein näre der Stiftung, um die es eigent- liches Gegengewicht zu schaffen, vermeindlich schillernden Kultur- ziele der Kommunen und Länder. verflochten, dass nun das System lich gehen sollte, gedacht würde. indem unter dem Dach der UNESCO betriebes auf. Nur die Protagonisten Bislang konnte man sich einre- hakt. Es ist daher grundsätzlich rich- Gerade die Form der Stiftung, die im eine Konvention zum Schutz der von all dem, die freischaffenden den, dass ein erfolgreicher Künstler tig, Verantwortlichkeiten klar zuzu- öffentlichen Bewusstsein mit „Staats- Vielfalt kultureller Inhalte und Künstler, werden oft vergessen. Im auch gut von den Erträgen seiner ordnen. Es scheint jedoch auch eine ferne“ verbunden wird, ist hierfür künstlerischer Ausdrucksformen Durchschnitt leben sie von unter Arbeit leben kann. Also war ein ar- Illusion zu sein, wenn man versucht, prädestiniert, lässt sie es doch zu, verhandelt wird. Auch die Bemü- 1.000 Euro im Monat. Viele Künst- mer Künstler ein erfolgloser Künst- in einem Bundesstaat mit zwei staat- die Ferne staatlicher Einflussnah- hungen der Europäischen Kommis- ler erreichen selbst dieses karge ler und letztlich selbst Schuld. Doch lichen Ebenen zwei quasi berüh- me, mit anderen Worten die fachli- sion zur Regelung der Dienstleis- Einkommen nicht mehr und erhal- jetzt wo immer öfter auch aner- rungsfreie Rechtskreise schaffen zu che Nähe in ihren Strukturen zu ver- tungen im Binnenmarkt und die im ten, sollten sie keinen der begehr- kannte Künstler arm sind, geht die- wollen. Vielmehr kommt es auf eine ankern. Voraussetzung ist jedoch, Weißbuch zu den Dienstleistungen ten Taxijobs ergattert haben, mit se einfache und schon immer fal- sinnvolle Aufteilung und – dort wo es dass eine gemeinsame Verantwor- von allgemeinem Interesse auf- viel Glück einen Ehrensold des Bun- sche Rechnung nicht mehr auf. sachlich geboten ist – Verknüpfung tung von Ländern und Bund für die scheinende Absicht, auch diese zu despräsidenten oder der Länder Die Kulturpolitik tut sich sicht- von Verantwortlichkeiten von Bund deutsche Kultur, die mehr ist als nur harmonisieren, um ein „harmoni- sonst Sozialhilfe. Wie groß dieses bar schwer mit diesem Problem. und Ländern an. ein Nebeneinander der Kulturen in sches Miteinander von Marktme- Problem wirklich ist, wird durch die Dies liegt auch daran, dass die In der Kultur plädiere ich für eine den Ländern, akzeptiert wird. Gera- chanismen und Gemeinwohlaufga- zahlreichen Fragen deutlich, die Künstler auf ihre schwierige Situa- Zusammenführung der Kulturstif- de das nationale Interesse, das sich ben sicherzustellen“, können Aus- nach der Umstellung der Sozialhil- tion nicht laut genug aufmerksam tung der Länder und der Kulturstif- über die Kulturen der Länder wölbt, wirkungen auf die nationalen Kul- fe auf das Arbeitslosengeld II am machen. tung des Bundes. Deutschland ist zu ist Anknüpfungspunkt für eine na- turpolitiken haben. Diese gilt es Anfang des Jahres an den Deut- Doch wer spricht schon gerne Recht stolz auf sein reiches kulturel- tionale Kulturstiftung. Im Zuge der rechtzeitig zu erkennen und darauf schen Kulturrat gestellt wurden. darüber, dass sein Verdienst nicht les Erbe, allein 30 herausragende Vereinigung Deutschlands fand die zu reagieren. Auf diese Aufgabe muss Künstler, von denen ich es nie ausreicht, um überleben zu können. Zeugnisse unserer Geschichte wur- Forderung, die kulturelle Substanz die Kultusministerkonferenz sich und nimmer geglaubt hätte, leben Das schamhafte Schweigen der den auf Grund ihrer universellen in den neuen Ländern dürfe keinen einstellen, indem sie u.a. geeignete schon seit Jahren von Sozialhilfe. Künstler könnten am besten die Bedeutung als Welterbestätten an- Schaden nehmen, Eingang in den Strukturen schafft, in denen diese Maler, deren neueste Werke gerade Künstler brechen, die selbst von Ar- erkannt. Viele stehen für neue ge- Einigungsvertrag. Warum soll das Fragen kurzfristig beraten und zur noch in einem Museum zu sehen mut nicht betroffen sind. Sie könn- sellschaftliche Entwicklungen, die für die deutsche Kultur im Zuge der Entscheidung geführt werden kön- waren und Schriftsteller, die regel- ten für die dringend notwendige öf- von ihnen ausgingen. Die Dichte an Föderalismusreform eigentlich nen. Die Kultusministerkonferenz mäßig verlegt werden, können of- fentliche Beachtung für ihre Kolle- Theatern, Orchestern oder Museen nicht gelten? In diesem Geiste soll- hat ein Konzept für solche Struktur- fensichtlich nicht von ihrer Arbeit gen sorgen. Es ist Zeit für eine sol- nötigt Bewunderung ab. Ebenso ten auch alle Beteiligten bemüht reformen erarbeitet, das von den leben. Gerade der öffentlich-recht- che Solidarität unter Künstlern! verfügt Deutschland über eine viel- sein, den mit dem so genannten Ministerpräsidenten der Länder liche Rundfunk, der jahrzehntelang gestaltige zeitgenössische Kunst- „Eckpunktepapier“ begonnenen zum Ende vergangenen Jahres ge- eine der wichtigsten Einnahme- Olaf Zimmermann, Geschäftsführer szene. So verwundert es schon, dass Weg der kulturpolitischen Abstim- billigt wurde. Dies gilt es nun zügig quellen für Urheber war, fällt wegen des Deutschen Kulturrates Deutschland keine nationale Kul- mung zwischen den Ländern und umzusetzen. Wir wollen uns in der dem Bund erfolgreich zum Ziel zu Kultusministerkonferenz künftig führen. stärker auf unsere Kernkompeten- Der „Ständigen Konferenz der zen konzentrieren. Die Zahl der Kultusminister der Länder in der Gremien ist deutlich reduziert wor- Bundesrepublik Deutschland“, die den, Entscheidungen sollen künftig Kultur-Mensch anders als die anderen Fachminis- schneller fallen. Ich werde mich terkonferenzen traditionell auf die dafür einsetzen, dass die Kultusmi- Oliver Scheytt Verortung „in“ nicht nur Wert legt, nisterkonferenz in Zukunft von der sondern ihr wegen der darin zum Öffentlichkeit wieder stärker als Ausdruck gebrachten Eigenstaat- Konferenz der Kulturminister der lichkeit der Länder besondere for- Länder wahrgenommen wird. Wir Oliver Scheytt gehört zu den profiliertesten kommunalen Kultur- melle Bedeutung beimisst, wächst müssen nicht zuletzt unsere Anstren- politikern in Deutschland. Mit großem Geschick, Ideen, Liebe zu im Zusammenhang mit der Födera- gungen noch weiter verstärken um den Künsten und der &ähigkeit zum Politikmanagement hat er es lismusreform eine neue Rolle zu, endlich zu einer bundeseinheitlichen als Kulturdezernent von Essen geschafft, die Stadt bundesweit und zwar nicht nur im Bereich der Kulturstatistik zu gelangen, die kulturell zu platzieren. Bildung, sondern auch in der Kultur. insgesamt auch den Erfordernissen In die Debatte um die Ausrichtung des Regionalverbands Ruhrgebiet Sie soll aber keinesfalls der Herstel- hat er sich mit seiner Kandidatur als Regionaldirektor eingemischt lung gleichwertiger kultureller Ver- und damit deutlich gemacht, dass Kultur und Bildung wichtige &elder Weiter auf Seite 2 sind, in denen sich das Ruhrgebiet profilieren könnte. Kultur ist hältnisse in Deutschland dienen. An nämlich nicht nur im Ruhrgebiet längst zu einem harten Stand- dieser Stelle sollte sie sich Zurück- ortfaktor geworden. haltung auferlegen, denn die kultu- relle Vielfalt in den Ländern ist gera- Foto: Archiv de das Pfund, mit dem Deutschland 4:V;n wuchern kann. Mir scheint, dass ZUR DISKUSSION GESTELLT politik und kultur • März – April 2005 • Seite 2

ich anknüpfen. Es geht um die kul- gangsmöglichkeiten für alle Kinder meinsam mit den Trägern der au- gigen Informationsaustausch orga- Fortsetzung von Seite 1 turelle Bildung, in deren Mittel- und Jugendlichen. Im Zusammen- ßerschulischen Bildung müssen nisieren, damit die besten Prakti- punkt die ästhetische Bildung steht. hang mit dem Ausbau von Ganz- vor Ort Konzepte entwickelt wer- ken im Interesse der Schülerinnen Sinnvoll aufteilen und Sie vermittelt mehr als Kenntnisse tagsangeboten und -schulen und den, die die kulturelle Bildung in und Schüler zeitnah umgesetzt verknüpfen im Malen, Singen, Tanzen, Theater trotz länderspezifischer Unterschie- den Schulalltag einbinden, denn werden. spielen, Umgang mit Film und Me- de in den Konzeptionen von Ganz- neben kognitiven Leistungen gehö- einer internationalen Vergleichbar- dien usw. Sie bedeutet Aneignung tagsschulen muss es darum gehen, ren auch musisch-kulturelles Inte- Die Verfasserin ist Ministerin keit standhält. An einem Punkt, der Welt und Auseinandersetzung eine Ganztagsbildung zu ermögli- resse, Begabungen und soziale für Wissenschaft, Forschung dem bereits meine Amtsvorgänge- mit ihr. Die kulturelle Bildung chen, bei der die verschiedenen Kompetenz zu den zu entwickeln- und Kultur und im Jahr 2005 rin, Frau Ministerin Ahnen, große knüpft an grundlegende sinnliche Partner ihre Stärken und Besonder- den Schlüsselkompetenzen. Hier Präsidentin der Kultusminister- Aufmerksamkeit schenkte, möchte Erfahrungen an und bietet Zu- heiten einbringen können. Ge- muss die KMK einen regen und zü- konferenz Kulturpolitik im Aufbruch? Möglichkeiten und Widerstände im aktuellen gesellschaftlichen Umbruch • Von Max &uchs

Das Bewusstsein einer krisenhaften Entwicklung begleitet die Moderne von Anfang an. Zum Teil liegt dies daran, dass die „Versprechungen der Moderne“ (eigenverantwortli- ches Subjekt, &reiheit, Wohlstand, Gerechtigkeit, &rieden, Wachstum etc.) stets von der dann doch nicht so guten Realität enttäuscht wer- den. Mit guten Gründen kann man jedoch annehmen, dass die Umbrü- che national und weltweit, die in den späten 80ern des letzten Jahrhun- derts begonnen haben, eine beson- dere Qualität hatten. Bereits jetzt wird die digitale Revolution mit der industriellen Revolution verglichen – auch in Hinblick auf die gesell- schaftlichen Auswirkungen.

eiten der Umbrüche sind immer Z auch Zeiten der Verunsiche- rung, der Entwurzelung und mit ei- nem erheblichen Bedarf an Orientie- rung verbunden. Die bürgerliche Ge- sellschaft hat sich zu diesem Zwecke der Selbstbeobachtung und Selbst- deutung eine ganze Reihe von Insti- tutionen und Wissenschaften ge- Kultur im Untergrund: das ZKMax, eine Außenstelle des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), in München Foto: Martin Hufner schaffen. Insbesondere ist es eine zentrale Funktion des Kulturbe- müssen. Daher gibt es im Kulturbe- seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu Nach wie vor gibt es zudem einen durchaus unterschiedlich: Vom Un- reichs, den Prozess der Selbstdeu- reich ein Gefühl der Selbstverständ- tun haben. Diese gesellschaftlichen engen Zusammenhang zwischen behagen oder Leiden an der Moder- tung und das Angebot von Orientie- lichkeit, dass insbesondere eine Grundlagen der Kunstpraxis sind Bildung (als subjektiver Seite der ne ist die Rede, von der Heimatlo- rungen auf Dauer zu stellen. Doch ist künstlerische (produktive und re- heute brüchig geworden. Dies be- Kultur) und Kultur (als objektiver sigkeit des Menschen, von Entfrem- es auch und gerade der Kulturbe- zeptive) Praxis nicht bloß in anthro- trifft insbesondere die spezifischen Seite von Bildung). Kultur- und dung und Entzauberung der Welt. reich selbst, dem seine angestamm- pologischer Hinsicht für die Men- Trägergruppen, aber auch die damals Kunstpolitik haben daher von „Na- Gemeinsam ist jedoch allen Diag- ten Deutungsmuster, Sprachrege- schen wichtig seien (z. B. Recht auf relevanten Kulturfunktionen, die das tur“ aus eine enge Verbindung mit nosen ein stark verunsichertes Ein- lungen und Selbstverständlichkei- Kunst und Spiel in der Kinderrechts- Kunstsystem zu erfüllen hatte. Bildungspolitik. zelwesen. Daher hat dieser Einzel- ten, aber auch seine finanziellen konvention), sondern diese anthro- Vor diesem Hintergrund kann Wer Steuermittel wofür auch ne einen kaum zu stillenden Bedarf Ressourcen zur Zeit verloren gehen. pologische Notwendigkeit auch nur und sollte Verschiedenes offensiv immer haben möchte, muss be- an Zeitdiagnose, Sinndeutung und Das Ergebnis ist auch in der Kultur- im Rahmen des derzeitigen deut- angegangen werden: rücksichtigen, dass auf Dauer Gel- Orientierung, an Möglichkeiten, politik ein ausgesprochen heteroge- schen Kultur- und Kunstsystems rea- Man sollte in der Kulturpolitik die der der Allgemeinheit nur für be- sich und sein Verhältnis zur Welt zu nes Verhalten der Akteure: Abwehr, lisiert werden kann. Erkenntnisse, die etwa die Ge- stimmte, von der Allgemeinheit im reflektieren, in Beziehung zu ande- Erkenntnisverweigerung, nostalgi- Dieser Konsens wird heute in schichtswissenschaften und die So- Grundsatz akzeptierte Aufgaben ren zu setzen, seine eigene Welt- scher Rückzug, aber auch bedin- verschiedener Hinsicht brüchig: Ein ziologie über Genese, Rolle und ausgegeben werden können. Das wahrnehmungsweise vor dem Hin- gungslose Kapitulation, Bereitschaft Blick in andere vergleichbare Länder Funktion der Künste erarbeitet ha- heißt für die Kulturpolitik, dass es tergrund kultureller Vielfalt zu über- zur Aufgabe einer eigenen Identität. zeigt, dass das Menschenrecht auf ben, bewusst zur Kenntnis nehmen. einen erneuten, politisch zu errei- prüfen und weiterzuentwickeln. All Die Veränderungsnotwendigkeiten – Kunst durchaus sehr verschieden Dazu gehört insbesondere die Ana- chenden gesellschaftlichen Kon- dies wird sich in Zukunft eher noch und dies macht es zur Zeit so schwer umgesetzt wird. Insbesondere ist der lyse der unterschiedlichen gesell- sens über die Legitimität der Kultur- verstärken. Hier fanden die Künste – betreffen sowohl den alltäglichen Grad des öffentlichen Engagements schaftlichen Trägergruppen einzel- förderung geben muss: Die Men- in der Moderne immer schon ihre Kampf um die Existenzsicherung höchst verschieden, ohne dass dies ner Kunstbereiche und Kunsteinrich- schen müssen erkennbar wollen, kulturelle Aufgabe, ohne dass dies („politics“), aber eben auch ganz ein Gradmesser dafür ist, ob die be- tungen. Dazu gehört auch, den oft wofür ihr Geld verwendet wird. Das ihrer „Autonomie“ Abbruch getan grundsätzliche Fragen nach Sinn, troffene Gesellschaft mehr oder we- verwendeten Topos des Eigenwertes bedeutet die Realisierung einer hätte. Überwiegend sah und sieht Zielen und Aufgaben des Politikfel- niger barbarisch, unzivilisiert oder von Kunst und von Kunstautonomie klassischen Idee der politischen man vielmehr gerade in einer auto- des („policy“). Insbesondere ist es unkultiviert wäre. Die Künste selbst sorgsam zu reflektieren und präziser Moderne, nämlich einen entspre- nomen Kunst eine besonders gute der neue Einfluss des ökonomischen haben zudem erhebliche Probleme in darzustellen, was er jeweils bedeutet chenden neuen Gesellschaftsver- Möglichkeit, diese Selbstbeobach- Denkens, so wie er – scheinbar un- ihrer Selbstdefinition. Es gibt keine hat und in Zukunft bedeuten kann. trag in der Kulturpolitik zu erwir- tung vorzunehmen. Das zentrale vermeidlich – in den letzten Jahren Kunstsparte, in der nicht offen über Man sollte sich gerade im Kunstbe- ken. Das zentrale kulturpolitische Problem wird allerdings darin be- durch die Welthandelsorganisation eine Krise diskutiert oder zumindest reich darüber klar werden, dass die Ziel und Menschenrecht (!) einer stehen, die Akzeptanz und Relevanz und die EU der Medien- und Kultur-, die Frage gestellt wird, was denn „die Künste eine Kulturmacht sind, „kulturellen Teilhabe“ hat zwangs- der Künste gegenüber konkurrie- aber auch der Bildungs- und Sozial- Relevanz“ der Sparte ausmacht. Auch allerdings eine Kulturmacht neben läufig das Ziel einer kulturpoliti- renden Kulturmächten – und hier politik aufgezwungen wird. In dieser gesamtgesellschaftlich gibt es kaum anderen. Man kann auf anthropolo- schen Teilhabe zur Folge. Dabei ist vor allem gegenüber den Medien – Situation ist es ausgesprochen noch Bereiche, die nicht kritisch hin- gischer Ebene die Erkenntnisse über angesichts der Internationalisie- zu behaupten. Es ist außerdem er- schwierig, in Ruhe das Bestehende terfragt werden. Alles kommt zur Zeit die menschliche Notwendigkeit ei- rung aller Lebensbereiche zu be- neut zu präzisieren, wie viel und – durchaus auch kritisch – zu über- „auf den Prüfstand“. Kultur- und ner künstlerischen (produktiven und rücksichtigen, dass dieser „Vertrag“ welche Kunst die Menschen wollen. prüfen, notwendige Reformen vor- Kunstpolitik werden sich dem auch rezeptiven) Praxis nutzen. Man soll- je nach Land, vielleicht sogar je Denn für eine „kulturelle Grundver- zunehmen und sich auf Ziele zu ver- nicht entziehen können. te sich zusätzlich darüber informie- nach Region oder Kommune völlig sorgung“ kann es nur eine politi- ständigen. So wird man selbst als je- In dieser Situation fragt man sich ren, ob und wie die heutige (und zu- unterschiedlich ausfallen kann, da sche und keine „objektive“ Ent- mand, der Reformen für nötig hält, verstärkt, was denn die Gründe für künftige) Gesellschaft Systeme der „Kunst“ stets kulturell eingebunden scheidung über Art und Umfang dazu gezwungen, sich gegen besse- den bisherigen „Kultur-Konsens“ Selbstreflexion und Beobachtung ist. Dabei muss man sich vielleicht geben. Und es muss geklärt werden, res Wissen für den Erhalt des Beste- waren. Man wird dabei in vielfacher benötigt und inwieweit das Kunst- weniger Sorgen machen, als gele- was Kulturpolitik über das engere henden einzusetzen, weil die Gefahr Hinsicht fündig, etwa bei der Rolle system sich hier einordnen lässt. gentlich festzustellen ist. Denn das Feld von Kunstpolitik hinaus sonst existiert, dass bei einer „Reform“ zu des Bürgertums und seiner „Kultur“ Gerade der in den Künsten der Mo- zentrale Charakteristikum der Mo- noch an Gestaltungsaufgaben hat. vieles einfach gestrichen und eben im 19. Jahrhundert, bei der Untersu- derne institutionalisierte (selbstrefe- derne ist, dass das Individuum im Dass neben dieser Frage nach nicht bloß verändert wird. Die fol- chung der deutschen Entwicklung rentielle) Diskurs darüber, was denn Mittelpunkt steht. Dieser Einzelne dem Grund für Kulturpolitik die Er- genden Ausführungen versuchen von Nationalstaatlichkeit, bei der „Kunst“ eigentlich ist und wie diese muss nunmehr entscheiden, was haltung und Verbesserung der Rah- eher thesenartig eine selbstkritische Untersuchung der Geschichte der jeweils in Beziehung zur Gesellschaft wahr oder falsch, was gut oder böse, menbedingungen auf der Tagesord- und eher metatheoretische Diskus- verschiedenen Kunstsysteme und steht, ist keine zu verheimlichende was schön oder hässlich ist. Die neu nung bleibt, muss nicht gesondert sion von derzeitigen Diskursproble- -betriebe, bei der Analyse der Ge- Schwäche, sondern vielmehr eine gewonnene Freiheit musste teuer erwähnt werden. Doch auch dieses men, geben jedoch auch eine Pers- schichte der Künste selbst etc. Im Art Laborsituation für den Zweifel bezahlt werden. Denn die Rücksei- pragmatische Alltagsgeschäft lässt pektive an. Ergebnis kann man sagen: Das heu- der Moderne an sich selbst. Die Kul- te der Medaille, deren eine Seite sich besser erledigen, wenn man auf Es hat sich in den letzten 150 bis tige deutsche Kunstsystem hat klar tivierung dieses Zweifels ist dabei Freiheit heißt, ist die Zerstörung einem – durchaus auch theoretisch 200 Jahren ein Konsens in Deutsch- angebbare historische Ursachen, die geradezu ein zivilisatorischer Akt, da von Verhaltenssicherheit, ist die Er- gefestigten – sicheren Boden steht. land entwickelt, dass Kunst und Kul- sehr viel mit sozialen, kulturellen oft genug eine brachiale Beendigung kenntnis von Kontingenz, die tur so notwendig für alle seien, dass und politischen Wandlungsprozes- dieses Zweifelns in der Barbarei ge- nunmehr zu bewältigen ist. Die Di- Der Verfasser ist Vorsitzender des sie öffentlich unterstützt werden sen in der deutschen Gesellschaft endet hat. agnosen der Moderne klingen zwar Deutschen Kulturrates ARBEITSMARKT KULTUR politik und kultur • März – April 2005 • Seite 3

Wachstumsbranche Kultur – aber unter welchen Bedingungen Von Olaf Zimmermann

Noch vor einigen Jahren hörte man Euro haben und damit in der Um- über 16.617 Euro im Jahr. Und bei Insgesamt 76% der vom Mikrozen- re zwölf Monate mit Versicherungs- vom Arbeitsmarkt Kultur v.a. positi- satzsteuerstatistik nicht erfasst wird. den selbstständigen Musikern und sus erfassten abhängig Beschäftigten pflicht vorliegen. Bislang sind die ve Nachrichten. In den Kulturwirt- D.h. auf Grund der Abschneidegren- Artisten ist es sogar weniger als ein in den Kulturberufen werden auch in letzten drei Jahre maßgebend. Für schaftsberichten des Landes NRW ze bei der Umsatzsteuerstatistik wer- Viertel. D.h. drei Viertel der Selbst- der Beschäftigtenstatistik geführt, Schauspieler, Regisseure, Kameraleu- war von den enormen Wachstums- den deutlich geringere Fallzahlen als ständigen dieser Berufsgruppen er- d.h. diese haben ein sozialversiche- te, Kostümbildner, die nicht fest an potenzialen die Rede und stolz wur- beim Mikrozensus erreicht. zielen einen so kleinen Umsatz, dass rungspflichtiges Beschäftigungsver- einem Theater beschäftigt sind, wird de verkündigt, dass im Arbeits- In der Beschäftigtenstatistik der sie umsatzsteuerlich nicht erfasst hältnis. Betrachtet man die einzel- es schwer sein, die neuen Anforde- marktsegment Kultur inzwischen so Bundesagentur für Arbeit werden werden. nen Berufsgruppen ergibt sich fol- rungen zu erfüllen. Zusätzlich ist viele Beschäftigte zu finden sind wie abhängig Beschäftigte, die einer so- Bei einem beträchtlichen Teil der gendes Bild (Kulturberufe in nach Angaben der Bundesagentur für in industriellen Branchen. Es schien zialversicherungspflichtigen Be- Selbstständigen in den Kulturberu- Deutschland Tabelle 11): Arbeit der Trend zu einer Reduzie- einen stetigen Aufwind zu geben. schäftigung als Angestellte, Arbeiter fen muss also davon ausgegangen · 94% der im Mikrozensus geführten rung von Gagen und Honoraren fest- oder Auszubildende nachgehen, er- werden, dass sie durch ihre selbst- abhängig beschäftigten Fotogra- zustellen bei gleichzeitiger Erhöhung uch Kulturstaatsministerin fasst. Die Daten werden von den Ar- ständige Tätigkeit nur unzureichend fen werden auch in der Beschäftig- der Leistungserwartung. Sofern Tarif- A Christina Weiss sprach bei der beitgebern gemeldet. In der Beschäf- ihren Lebensunterhalt decken kön- tenstatistik geführt, löhne existieren, werden diese Vorstellung der Studie „Kulturberu- tigtenstatistik werden nur jene Be- nen. Umso bedeutsamer ist zumin- · dies gilt ebenfalls für 91% der Mu- teilweise unterschritten. Ebenso ver- fe in Deutschland – Statistisches schäftigten geführt, die mindestens dest für den engeren Teil der Selbst- siker, Sänger und Darstellenden langen nach Angaben der Bundes- Kurzportrait zu den erwerbstätigen 15 Wochenstunden arbeiten bzw. ei- ständigen in den Kulturberufen die Künstler, agentur für Arbeit Fernsehproduzen- Künstlern, Publizisten, Designern, nen Mindestlohn von 400 Euro und Künstlersozialversicherung, die eine · für 83% der Lehrer für musische ten und -sender umfangreichere Architekten und verwandten Beru- mehr erhalten. Geringfügig Beschäf- soziale Absicherung im Bereich der Fächer, Rechteübertragungen von Schau- fen im Kulturberufemarkt in tigte werden also in der Beschäftig- gesetzlichen Kranken-, Pflege- und · für 81% der Architekten und spielern und Regisseuren ohne Zah- Deutschland 1995 – 2003“ im Okto- tenstatistik nicht geführt. Rentenversicherung bietet. Wobei Raumplaner, lung von Zusatz- oder Wiederholungs- ber 2004 vom Kulturbetrieb als einer Bei einer quantitativen Beschrei- festzuhalten ist, dass die Mehrzahl · für 74% der Geisteswissenschaftler, honoraren. D.h. die zunächst sehr po- beachtlichen Wachstumsbranche. bung des Arbeitsmarktes Kultur der in der Künstlersozialversiche- · für 73% der Publizisten, sitiv aussehende soziale Absicherung Sie betonte bei der Vorstellung der müssen die verschiedenen Statisti- rung Versicherten auf Grund ihres · für 72% der Bibliothekare, Archi- der Künstler von Bühne, Film und Studie, der Kulturbetrieb gebe ken miteinander in Beziehung ge- niedrigen Einkommens eine nur vare und Museumsberufe, Theater ist bei genauerer Betrachtung darüber hinaus auch andere wichti- setzt werden, um ein Bild erhalten zu sehr kleine Rente beziehen wird. Die · für 69% der künstlerisch-techni- nicht so günstig wie es auf den ersten ge Impulse: „Denn die Eigenschaf- können. Diese aggregierten Daten Veränderungen in der gesetzlichen schen Berufe, Blick erscheint. Bereits jetzt zeichnet ten, die uns das Erwerbsleben der werden von Söndermann in „Kultur- Rentenversicherung in den vergan- · für 68% der Bildenden Künstler im sich ein Trend ab, dass mehr und mehr Zukunft abverlangen wird – Flexibi- berufe in Deutschland“ zur Verfü- genen Jahren werden das Problem Bereich angewandte Kunst/Design, Künstler selbstständig und nicht mehr lität, Mobilität, Offenheit im Denken gung gestellt. noch verschärfen. Die gesetzliche · für 60% der Raum-, Schauwerbe- abhängig beschäftigt arbeiten wollen. und im Handeln – sind hervorste- Rentenversicherung wird in der Zu- gestalter, Sie werden voraussichtlich Mitglied chende Merkmale einer Tätigkeit im Selbstständige in kunft selbst bei einer durchschnitt- · für 45% der Dolmetscher. der Künstlerversicherung werden, so kulturellen Sektor. Kultur ist also Kulturberufen lichen Erwerbsbiografie nicht mehr Festzuhalten ist zuerst, dass bis auf dass ein weiterer Anstieg der Versi- auch in dieser Hinsicht nicht eine den Lebensstandard der dann in Ren- die Dolmetscher immerhin über chertenzahl in der Künstlersozialkas- bloße Kostgängerin des Staates, son- Laut Mikrozensus sind in Deutsch- te befindlichen Rentnergeneration 60% der im Mikrozensus als abhän- se zu erwarten ist. dern vielmehr Avantgarde des Ar- land 780.000 Erwerbstätige in Kul- sichern. Die Bundesregierung geht gig Beschäftigte in Kulturberufen Auffallend ist auch, dass von den beitsmarktes.“ turberufen tätig. Im Vergleich dazu davon aus, dass eine zusätzliche pri- Geführte sich in der Beschäftigtensta- Bibliothekaren, Archivaren und Mu- Es stellt sich allerdings die Frage, sind in der deutschen Automobilin- vate Alterssicherung aufgebaut wird. tistik wiederfinden. Eine solitäre Stel- seumsfachleuten nur 72% einen so- um was für ein Wachstum es sich dustrie 620.000 Erwerbstätige be- Mit Hilfe der steuerlich geförderten lung nehmen die Dolmetscher ein. zialversicherungspflichtigen Ar- handelt. Um ein Wachstum an Be- schäftigt. Von den nach dem Mikro- Riester-Rente soll es auch Beziehern Nur 45% der Dolmetscher aus den beitsplatz haben. Bemerkenswert ist schäftigten oder an Umsätzen? Und zensus 780.000 Erwerbstätigen in kleiner Einkommen möglich sein, Daten des Mikrozensus werden auch dies v.a. deshalb, weil gerade bei den wenn es sich um ein Wachstum an Kulturberufen sind 318.000 Perso- eine zusätzliche Alterssicherung auf- in der Beschäftigtenstatistik geführt. Bibliothekaren und Archivaren in Beschäftigung handelt, ist weiter zu nen selbstständig. Davon finden sich zubauen. Bislang werden die Angebo- D.h. im Umkehrschluss immerhin der Vergangenheit das abhängige fragen, was für Beschäftigung ent- in der Umsatzsteuerstatistik aber te aber nur zu einem geringen Pro- 55% in der Berufsgruppe verdienen Vollzeitbeschäftigungsverhältnis die steht und ob diese den abhängig Be- nur 118.600 Personen. D.h. rund 37% zentsatz der berechtigten Kultur- weniger als 400 Euro im Monat oder Regel und die Selbstständigkeit die schäftigten bzw. Selbstständigen der laut Mikrozensus in den Kultur- schaffenden wahrgenommen. arbeiten weniger als 15 Wochenstun- seltene Ausnahme war. Jetzt verfügt auch ein auskömmliches Einkom- berufen Selbstständigen haben ei- Noch prekärer ist die Situation den und werden daher der Bundes- immerhin ein Prozentsatz von 28% men ermöglicht. nen Umsatz von über 16.617 Euro der Selbstständigen in Kulturberu- anstalt für Arbeit nicht als abhängig über einen Arbeitsplatz, bei dem die und werden damit in der Umsatz- fen, die nicht Mitglied der Künstler- beschäftigt gemeldet. Beschäftigung unter 15 Wochenstun- Statistische Daten zum steuerstatistik erfasst. Umgekehrt sozialversicherung werden können Demgegenüber sind 94% der Fo- den oder der Verdienst unter 400 Arbeitsmarkt Kultur heißt dies aber, dass immerhin 63% und sich daher privat krankenversi- tografen, zu denen in den hier zur Euro im Monat liegt. der laut Mikrozensus als in Kulturbe- chern sowie eine eigenständige Al- Diskussion stehenden Statistiken Die erwähnte Studie „Kulturberufe rufen Selbstständigen einen Umsatz terssicherung aufbauen müssen. Es auch die Kameraleute gerechnet Entwicklung des Arbeits- in Deutschland“ wurde von Michael haben, der unterhalb des Wertes steht angesichts der Daten aus der werden, aus dem Mikrozensus auch marktes Kultur Söndermann, Arbeitskreis Kultursta- liegt, der von der Umsatzsteuersta- Umsatzsteuerstatistik zu befürchten, nach der Beschäftigtenstatistik ab- tistik, im Auftrag der Beauftragten tistik erfasst wird. Bei den Selbst- dass dieses nur einem kleinen Teil hängig beschäftigt. In „Kulturberufe in Deutschland“ wird der Bundesregierung für Kultur und ständigen aller Berufe ist das Verhält- der Selbstständigen in den Kulturbe- Einen ähnlich hohen Wert errei- unter Nutzung von Daten der Be- Medien erstellt. Für die Studie wur- nis genau umgekehrt. Insgesamt rufen gelingt und darum in den chen die darstellenden Künstler, Mu- schäftigtenstatistik und Prognosen den Daten des Mikrozensus, der Be- 61% der im Mikrozensus als selbst- nächsten Jahren viele ehemals siker und Sänger. Sie verfügen im Ver- des Instituts für Arbeitsmarkt- und schäftigtenstatistik und der Umsatz- ständig Geführten werden auch in Selbstständige, die nicht Mitglied gleich zu anderen Berufsgruppen im Berufsforschung angenommen, dass steuerstatistik ausgewertet und der Umsatzsteuerstatistik geführt. der Künstlersozialversicherung wer- Kulturbereich über eine relativ hohe die Schrumpfung des kulturellen Ar- zueinander in Beziehung gesetzt. Bereits diese Daten liefern einen ers- den konnten, von der Altersarmut soziale Absicherung, da sie zu 91% beitsmarktes für abhängig Beschäf- Daten der Künstlersozialkasse wur- ten Hinweis darauf, dass es sich bei betroffen sein werden bzw. ihren sozialversicherungspflichtig beschäf- tigte nach einem Höhepunkt im Jahr den in die Untersuchung nicht ein- den Selbstständigen in Kulturberu- Beruf weit über das Rentenalter hi- tigt werden. Schauspieler werden 2001 mit 351.300 Arbeitsplätzen wei- bezogen. Ebenfalls nicht einbezogen fen um keine Selbstständigen im naus ausüben müssen. auch dann sozialversicherungspflich- ter anhalten wird, so dass voraus- wurden die kulturwirtschaftlichen klassischen Sinne handelt. Laut Mikrozensus ist die Zahl der tig beschäftigt, wenn sie beispiels- sichtlich im abgelaufenen Jahr 2004 Berufe wie Verlags-, Buch- oder Mu- Betrachtet man die von Sönder- Selbstständigen in den Kulturberu- weise in einem Fernsehfilm mitwir- die Zahl der sozialversicherungs- sikalienhändler, Kunsthändler, Auk- mann zusammengestellten Zahlen fen zwischen 1995 und 2003 um 50% ken, zehn Drehtage haben und da- pflichtigen Arbeitsplätze im Kultur- tionatoren und Galeristen. (Kulturberufe in Deutschland, Tabel- gestiegen. Dieser Anstieg findet ein nach wieder arbeitslos sind. D.h. bereich bei 332.500 gelegen haben Die Daten des Mikrozensus beru- le 10) genauer, so zeigt sich, folgen- Pendant in der Zahl der Versicherten anders als beispielsweise bei den Bil- wird, was in etwa dem Niveau von hen auf einer 1-Prozent-Stichprobe des Bild: der Künstlersozialkasse, denn im sel- denden Künstler, bei denen die 1995 mit 330.000 Arbeitsplätzen ent- aller deutschen Haushalte, die hoch- · von den Lehrer für musische Fä- ben Zeitraum stieg deren Zahl von selbstständige Tätigkeit vorherr- spricht. gerechnet wird. Die Zuordnung zu cher sind 72% der im Mikrozensus 81.698 auf 131.699, d.h. um 50.001 schend ist und bei einer kurzzeitigen Vor diesem Hintergrund wundert Berufen erfolgt durch die Befragten erfassten Selbstständigen auch in Personen, das sind rd. 38%. Beschäftigung eher ein Werkvertrag es wenig, dass im Museumsbereich selbst. Eine Person gilt laut Mikro- der Umsatzsteuerstatistik erfasst, geschlossen als ein Angestelltenver- die Ein-Euro-Jobs mit gemischten zensus als berufstätig, wenn sie re- · bei den Architekten und Raum- Abhängig Beschäftigte in hältnis eingegangen wird, ist es bei Gefühlen betrachtet werden. Die Fi- gelmäßig mindestens eine Stunde in planern gilt dies für 68%, Kulturberufen den darstellenden Künstlern üblich, nanznot der öffentlichen Haushalte der Woche in ihrem Hauptberuf tä- · bei den Fotografen bzw. dem Fo- dass auch bei kurzzeitigen Beschäf- zwingt die Kultureinrichtungen tig ist. Auf Grund der sehr weiten tografischen Gewerbe für 65%, Ebenso wie die Daten der Umsatz- tigungen ein sozialversicherungs- inzwischen auch an den Personal- Definition von Berufstätigkeit wer- · bei den Bühnen-, Film- und Rund- steuerstatistik in der Studie „Kultur- pflichtiges Beschäftigungsverhältnis kosten zu sparen, nachdem die Spar- den bei den Daten des Mikrozensus funkkünstlern für 43%, berufe in Deutschland“ mit denen geschlossen wird. Dieses ermöglich- möglichkeiten bei den Sachkostene- sehr hohe Fallzahlen erreicht. · bei den Schriftstellern und Journa- des Mikrozensus verglichen wurden te den Künstlern sich während der tats ausgeschöpft worden sind. Demgegenüber beruht die Um- listen für 35%, und sich hier zeigte, dass nur ein klei- offiziellen Arbeitslosigkeit auf neue Zugleich gibt es genügend qualifi- satzsteuerstatistik auf den Daten, die · bei den Übersetzern und Dolmet- ner Teil der Selbstständigen in den Rollen vorzubereiten. Die Filmpro- ziertes Personal, das auch bereit ist, von Unternehmen den Steuerbehör- schern für 33%, Kulturberufen einen Umsatz erwirt- duktionsfirmen haben die Möglich- auf Werkvertrags- oder Honorarba- den gemeldet werden. In der Um- · bei den Bildenden Künstlern und schaftet, der umsatzsteuerstatistisch keit, die Schauspieler tatsächlich nur sis zu arbeiten. Wahrscheinlich wird satzsteuerstatistik werden die in den Restauratoren für 29%, erfasst wird, grenzt ein Vergleich der die Drehtage zu beschäftigen. Die es ebenso nicht schwer sein, lang- Kulturberufen Selbstständigen er- · bei den Designern für 25%, Beschäftigtenstatistik der Bundes- gesamte Vorbereitungszeit wird zeitarbeitslose Akademiker zu fin- fasst, die einen Jahresumsatz von · bei den Musikern für 18%, agentur für Arbeit mit dem Mikro- letztlich von der Bundesagentur für den, die mittels eines Ein-Euro-Jobs mindestens 16.617 Euro erwirtschaf- · bei den Artisten für 16%. zensus die Zahl der abhängig Be- Arbeit, also den Arbeitnehmerinnen in einem Museum den Wiederein- tet haben. Da die in der Künstlerso- Die Aufteilung nach Kulturberu- schäftigten ein. Dieses liegt in erster und Arbeitnehmern über ihre Beiträ- stieg in das Berufsleben erhoffen. zialkasse versicherten Künstler und fen zeigt, dass immerhin mehr als die Linie daran, dass der Mikrozensus, ge zur Arbeitslosenversicherung, be- Ebenso wenig erstaunt, dass der Publizisten im Durchschnitt nur ein Hälfte der selbstständigen Lehrer für wie beschrieben, einen umfassende- zahlt. Das „Dritte Gesetz für moder- künstlerische Bereich der Theater Einkommen von 11.078 Euro (Stand musische Fächer, Architekten und ren Begriff von Beschäftigung anlegt ne Dienstleistungen am Arbeits- von Ein-Euro-Jobs weniger betroffen zum 01.01.2004) erzielen, ist davon Raumplaner sowie Fotografen einen als die Beschäftigtenstatistik. Doch markt“ wird die Fortführung der bis- sein wird. Hier bestehen offensicht- auszugehen, dass ein Teil der in der Umsatz von über 16.617 Euro im Jahr weichen die Daten nicht so stark herigen Praxis unmöglich machen. lich – glücklicherweise - noch Sozial- Künstlersozialkasse versicherten erwirtschaften. Demgegenüber er- voneinander ab, wie der Vergleich Ab dem 1. Februar 2006 entsteht ein selbstständigen Künstler und Publi- reicht nur ein Viertel der selbststän- des Mikrozensus mit der Umsatz- Anspruch auf Arbeitslosengeld erst, Weiter auf Seite 4 zisten einen Umsatz unter 16.617 digen Designer einen Umsatz von steuerstatistik. wenn innerhalb der letzten zwei Jah- ARBEITSMARKT KULTUR politik und kultur • März – April 2005 • Seite 4

zu einem Arbeitsmarkt der Selbst- tete Verträge sind auch bei abhängig sein, dass in anderen Branchen auf fe in Deutschland“ formulierte, bei Fortsetzung von Seite 3 ständigen anhalten wird. Passiert Beschäftigten inzwischen eher die hohe Umsatzrenditen gezielt wird gleichzeitigem Schweigen über die kein Wunder, verdient jedoch nur ein Regel als die Ausnahme geworden. bei gleichzeitiger Inkaufnahme einer geringen Umsätze. Beide Modelle Wachstumsbranche Kultur kleiner Teil der Selbstständigen im Wenn der Arbeitsmarkt Kultur sinkenden Zahl an Beschäftigten, sind unter gesellschaftspolitischem Kulturbereich auskömmlich. Die ein Modell für die Zukunft ist, wie wie es derzeit die Deutsche Bank mit Blickwinkel sicherlich wenig zielfüh- standards, die ein Aufweichen der breite Masse wird auf zusätzliche von manchen prognostiziert, so in einem Rekordgewinn und gleichzei- rend. Beschäftigungsverhältnisse verhin- Unterstützungsmaßnahmen ange- erster Linie als Modell einer unsiche- tig verkündeten Abbau von Arbeits- dern. wiesen sein. Die abhängige Beschäf- ren, meist selbstständigen Beschäf- plätzen vormacht. Im Kulturbereich Der Verfasser ist Geschäftsführer des Die vorliegenden Daten und die Be- tigung, d.h. das normale Angestell- tigung. Die Euphorie über die wach- hingegen wird ein Wachstum an Be- Deutschen Kulturrates und Sachver- richte aus den Kultureinrichtungen tenverhältnis wird weiterhin abneh- sende Zahl an Beschäftigten wird ge- schäftigten begrüßt, wie es die Kul- ständiges Mitglied der Enquete- lassen die Prognose zu, dass die Ent- men. Eine Festanstellung gehört fast dämpft, betrachtet man deren Ein- turstaatsministerin in ihrer Rede zur Kommission „Kultur in Deutsch- wicklung des Arbeitsmarktes Kultur schon der Vergangenheit an. Befris- kommenssituation. Es scheint so zu Vorstellung der Studie „Kulturberu- land“ des Deutschen Bundestages Hartz IV und 1-Euro-Jobs Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse als Voraussetzung für 1-Euro-Jobs • Von Uwe Lübking fe leisten. Die Nachfrage nach den 1- Die Haltung des Deutschen Städte- dringend zu empfehlen. Aufgabe sich der Deutsche Städte- und Ge- Euro-Jobs zeigt, dass dieser Personen- und Gemeindebundes zu den so ge- dieser Beteiligung ist es, den Dialog meindebund gegenüber der Beauf- kreise durchaus bereit ist, derartige nannten 1-Euro-Jobs findet sich in der über die lokale Arbeitsmarktpolitik tragten der Bundesregierung für Kul- Tätigkeiten zu übernehmen. gemeinsamen Erklärung der kommu- zu führen, die Prozesse zur öffentli- tur und Medien auch kritisch gegen- Zum Schluss erlauben Sie mir nalen Spitzenverbände mit der Bun- chen Beschäftigung zu begleiten über Plänen geäußert, die die digitale den Hinweis, dass der Begriff 1- desagentur für Arbeit sowie den Wohl- und zu bewerten, sowie insbeson- Kulturgutsicherung im Rahmen von 1- Euro-Job mehr als missverständlich fahrtsverbänden einerseits sowie dere einen Konsens über das Ver- Euro-Jobs sicherstellen zu wollen. Das ist. Die so beschäftigten Langzeitar- dem Zentralverband des Deutschen ständnis von Zusätzlichkeit und öf- vorliegende Konzept für die digitale beitlosen erhalten nicht nur 1 Euro Handwerks andererseits wieder. fentlichem Interesse herzustellen. Dokumentation von Kulturgütern be- pro Stunde für ihre Tätigkeit, son- Öffentlich geförderte Beschäfti- rücksichtigt die oben genannten dern darüber hinaus je nach sonsti- ie Hartz IV-Reform bezweckt gung soll nur den erwerbsfähigen Grundsätze und Ziele so genannter gem Einkommen und Vermögen un- Ddurch eine Verstärkung der Ver- Hilfebedürftigen zur Verfügung ste- Zusatzjobs nicht in ausreichender gekürzt das so genannte Arbeitslo- mittlungsaktivitäten einen effizien- hen, die absehbar nicht in eine re- Weise. Zum einen ist die Sicherung der sengeld II, die damit verbundenen ten Einsatz des arbeitsmarktpoliti- guläre Beschäftigung vermittelt Kunstgegenstände durch konservato- Versicherungsleisten sowie die Leis- schen Instrumentariums zur Be- werden können. Die Möglichkeiten rische Behandlung keine zusätzliche tungen für Unterkunft und Heizung. schleunigung der Stellenbesetzung. der öffentlich geförderten Beschäf- Aufgabe, sondern wird im Rahmen der Je nach Ausgestaltung der Arbeitsge- Bei den Vermittlungsaktivitäten tigung auf dem so genannten zwei- Möglichkeiten durch qualifiziertes legenheit kommen die so genannten muss die Eingliederung in den ers- ten Arbeitsmarkt dürfen nur dann ge- Personal in regulären Beschäftigungs- 1-Euro-Jobber damit in die Vergütung ten Arbeitsmarkt oberste Priorität nutzt werden, wenn Wettbewerbsver- verhältnissen betrieben. Zum anderen des Niedriglohnbereichs. Hinzu haben. Fördervoraussetzungen der zerrungen ausgeschlossen und regu- Informationsbroschüre des Bundes- ist es äußerst fraglich, ob der Einsatz kommt, dass die Tätigkeiten je nach Zusatzjobs: läre Beschäftigung nicht gefährdet ministeriums für Wirtschaft und öffentlich geförderter Beschäftigung Ausgestaltung auch mit Qualifizie- · Zusatzjobs dürfen keine regulären bzw. durch diese nicht ersetzt wird. Arbeit für die Teilnehmer dieser Programme rungsmaßnahmen verbunden sein Beschäftigungsverhältnisse ver- Hierzu sind die Kriterien der Zusätz- eine realistische Perspektive auf sollen. Ich verweise insofern auf die drängen oder die Neueinrichtung lichkeit und des öffentlichen Interes- Durch das Merkmal der „Zusätzlich- Wiedereingliederung in den ersten gemeinsame Erklärung der kommu- verhindern (Zusätzlichkeit). Sie ses strikt einzuhalten. In diesem Rah- keit“ soll verhindert werden, dass Arbeitsmarkt beinhaltet. Dies schließt nalen Spitzenverbände mit der Bun- müssen im öffentlichen Interesse men sind auch Beschäftigungspo- Arbeitsplätze im ersten Arbeitmarkt ein Modell nicht aus, in dem „auch“ desagentur für Arbeit und den Ver- liegen. tenziale im Kultur- und Medienbe- durch 1-Euro-Jobs ersetzt werden. 1-Euro-Jobs eingesetzt werden. Gera- bänden der Freien Wohlfahrtspflege. · Die Ausfüllung der Begriffe Zusätz- reich denkbar. Der Bereich ist nicht Dies muss auch für den Kulturbe- de für ältere Langzeitarbeitslosen, die lichkeit und öffentliches Interesse von vornherein ausgeschlossen. Es reich gelten. Darüber hinaus ist si- allein auf Grund ihres Alters in der Der Verfasser ist Beigeordneter erfolgt durch die lokale Ebene und können durchaus z.B. in Museen und cherzustellen, dass dort, wo fachli- derzeitigen Arbeitsmarktlage keine für Soziales, Jugend, Gesundheit, im Konsens der beteiligten Akteure. Theatern 1-Euro-Jobs angeboten che Arbeit notwendig ist, diese Aussicht auf eine Stellung im ersten Bildung und Kultur beim Deut- · Die Beteiligung der Vertreter der werden. Die Entscheidungen müs- Fachlichkeit ebenfalls aufrechter- Arbeitsmarkt haben, kann der 1-Euro- schen Städte- und Gemeindebund Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist sen vor Ort getroffen werden. halten bleibt. Aus diesem Grund hat Job eine wertvolle Überbrückungshil- ARBEITSMARKT KULTUR politik und kultur • März – April 2005 • Seite 5

Ein-Euro-Jobs – Chance und Risiko Über Chancen und Risiken des neuen Gesetzes aus der Sicht der Museen • Von Mechtild Kronenberg

Die Herstellung des Menschen ist gemeinnützige Beschäftigung han- ne Arbeitskräfte verdrängt werden. schlummern in den Museen zahl- Von der Realisierung des Konzeptes seit Jahrtausenden eine preiswerte deln muss. Darüber hinaus darf aus- Bereits früher haben in zahlreichen reiche Projekte, die es wert sind, hingegen, in einer Großaktion etwa Angelegenheit – sein Unterhalt hin- schließlich zusätzliche Arbeit errich- Museen so genannte Arbeitsbe- endlich von kompetenten und mo- 20.000 Langzeitarbeitslose auf der Ba- gegen ist es nicht. Der Mensch fi- tet werden: also Arbeit, die sonst schaffungsmaßnahmen zur Auf- tivierten Kräften angepackt zu wer- sis der 1-Euro-Jobs für die Sicherung nanziert sich durch Arbeit, und die- nicht – zumindest nicht in diesem rechterhaltung des regulären Be- den. Darüber hinaus könnten kurz- und Vermarktung des Kulturguts zu se kostet wiederum Geld. Beson- Umfang oder zu diesem Zeitpunkt – triebes beigetragen. Auch zahlrei- fristig – und je nach Bedarf, denn schulen und einzusetzen, hat der ders öffentliche oder öffentlich ge- verrichtet wird. che Volontärinnen und Volontäre in das Gesetz sieht die Jobs ja lediglich Deutsche Museumsbund in einer aus- förderte Kultureinrichtungen wissen Hartz IV wird auf den Kultursek- den Museen beklagen, dass sie – für zusätzliche Aufgaben vor – eini- führlichen Stellungnahme an die Be- hiervon ein Lied zu singen. Kein tor wirken wie auf keinen anderen. anstatt gemäß der Empfehlungen ge Service-Angebote und techni- auftragte der Bundesregierung für Kul- Wunder also, das Mitarbeiterinnen Besonders im Museumsbereich ver- der Kultusministerkonferenz für sche Bereiche verbessert werden. tur und Medien allerdings entschie- und Mitarbeiter von Museen, Bibli- läuft die hitzige Debatte um die Ri- den Museumsbetrieb ausgebildet Eine qualifizierte Tätigkeit bietet den abgeraten. Das lückenhafte Kon- otheken oder Archiven sich zuneh- siken und Chancen der neuen Re- zu werden – zu einer deutlich gerin- mit Sicherheit eine größere Chance zept wird sich weder für Langzeitar- mend mit unsicheren Beschäfti- gelung in zwei Argumentationslini- geren Vergütung als ihrer wissen- zu einem Wiedereinstieg in das Er- beitslose noch für Museen sinnvoll gungsverhältnissen konfrontiert se- en: Während einerseits befürchtet schaftlichen Ausbildung angemes- werbsleben als jahrelanges Warten. oder gar gewinnbringend erweisen. hen. Immer häufiger werden die wird, dass Kultur zum Experimen- sen den Aufgabenbereich und die Langzeitarbeitslose werden daher Das in den Museen bewahrte Kernaufgaben mit Zeit-, Honorar- tierfeld der Arbeitspolitik wird und Verantwortung eines Kurators über- glücklich sein, endlich wieder einer Kulturgut ist das Kapital unserer Zu- oder Werkverträgen bewältigt. Ar- mit den durch die Arbeitsagenturen nehmen müssen. Wettbewerbsver- geregelten, sinnvollen und interes- kunft. Die Chancen und Risiken des beitsbeschaffungsmaßnahmen, die ergänzten Kulturetats neue Abhän- zerrungen, so die Kritiker, sind un- santen Tätigkeit nachgehen zu kön- neuen Gesetzes sind daher sorgfäl- über viele Jahre hinweg zur Siche- gigkeiten geschaffen werden, bli- ausweichlich. Es ist daher zu erwar- nen. 1-Euro-Jobs, so das Fazit der tig abzuwägen und in Empfehlungen rung des Tagesgeschäfts beitrugen, cken andererseits zahlreiche Muse- ten, so die Kritiker, dass die 1-Euro- Befürworter, sind also nicht nur ein münden zu lassen, in welchen mu- erscheinen als Juwel vergangener umsdirektoren den beantragten 1- Jobs lediglich ein weiterer Baustein Beitrag zum Abbau der Arbeitslo- seumsrelevanten Bereichen 1-Euro- Zeiten. Euro-Jobs erwartungsvoll entgegen. sind, den unterfinanzierten Kultur- sigkeit und zur Schaffung regulärer Jobs sinnvoll eingesetzt werden kön- Die Kritiker der neuen Regelung sektor am Leben zu erhalten oder Beschäftigungsverhältnisse, son- nen. Hieran sollten alle Museums- eit dem 1. Januar 2005 ist das so befürchten, dass das Gesetz zu ei- vielmehr noch, dass sie das endgül- dern auch für die Museen eine will- verantwortlichen mitwirken. Sgenannte Hartz-IV-Gesetz in ner massiven Verdrängung der so- tige Vernichtungspotential für den kommene Möglichkeit, ihr Tätig- Kraft. Demnach sind Empfänger des zialversicherungspflichtigen Be- Arbeitsmarkt Museum darstellen keitsfeld zu erweitern und zu ver- Die Verfasserin ist Geschäftsführerin Arbeitslosengeldes II verpflichtet, schäftigungsverhältnisse führen könnten. bessern. des Deutschen Museumsbundes Arbeitsgelegenheiten wahrzuneh- und den seit Jahren anhaltenden Die Befürworter der 1-Euro-Jobs men, die mit ein bis zwei Euro die Abbau von regulären Arbeitsplätzen hingegen argumentieren, dass die Stunde vergütet werden. Die Kosten im Museumsbereich verschleiern neue Regelung bei adäquatem und hierfür übernimmt die Bundesagen- und weiter fördern wird. Doch wo umsichtigem Einsatz auch eine gro- tur für Arbeit. Als wichtiges Kriteri- für die Bewältigung der Kernaufga- ße Chance bietet: Von der Inventa- Kontraproduktiv um für diese 1-Euro-Jobs schreibt ben kaum noch fest angestellte Mit- risation von noch unbearbeiteten Bibliotheken und der Ein-Euro-Job • Von Claudia Lux der Gesetzgeber vor, dass es sich um arbeiterinnen und Mitarbeiter zur Sammlungsbeständen bis zur Kon- eine maximal neunmonatige sowie Verfügung stehen, können auch kei- zeption neuer Ausstellungsbereiche Die Chancen und Risiken der Be- Bibliotheken oder auch an bestimm- schäftigung von Ein-Euro-Jobs im te Bereiche der Digitalisierung von Bibliotheksbereich sind meiner An- Beständen. Im laufenden Etat der sicht nach differenziert zu beurtei- Bibliotheken sind für derartige Auf- len. gaben praktisch keine Kapazitäten Grundsätzlich Beschäftigungspotenzial vorhanden. eschäftigungspotenziale für Ein- Als oberste Prämisse bei der Be- BEuro-Jobs sehe ich im Biblio- schäftigung der „Ein-Euro-Jobs“ für Ein-Euro-Jobs theksbereich insbesondere für zeit- muss jedoch stets gelten, dass vor- Antworten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit lich befristete Projekte, die mit den handene Arbeitsplätze im ersten Ar- vorhandenen eigenen finanziellen beitsmarkt hierdurch nicht gefähr- puk: Sehen Sie Beschäftigungspo- puk: Bestehen aus Ihrer Sicht Chan- oder Ausbildung, Qualifizierung und und personellen Ressourcen der je- det werden. Ein Ersatz vorhandener tenziale für so genannte Ein-Euro- cen für den Arbeitsmarkt Kultur aus anderen Förderinstrumenten. Die weiligen Institution nicht zu erledi- Stellen durch 1-Euro-Jobs ist prinzi- Jobber im Kultur- und Medienbe- dem Einsatz von Ein-Euro-Jobber Zusatzjobs können dazu beitragen, gen sind. piell nicht möglich. Aus diesem reich? Und wenn ja, in welchen Seg- oder gibt es das Risiko, dass trotz die Erwerbsfähigkeit aufrecht zu er- Dies betrifft vor allem Grund ist aus Sicht des DBV nur ein menten? der vorhandenen Restriktionen, Ar- halten oder (wieder) zu erlangen. · einfache Reinigungsprojekte (z.B. projektorientierter, zeitlich befriste- beitsplätze im ersten Arbeitsmarkt Auch soziale Qualifikationen wer- Reinigung von Magazinbestän- ter Einsatz der „Ein-Euro-Jobs“ in BMWA: Die Bundesregierung sieht durch Ein-Euro-Jobber ersetzt wer- den vermittelt. Auch sie dienen der den), bisher gar nicht oder nicht ausrei- grundsätzlich Beschäftigungspoten- den? Verbesserung der Integrationschan- · Hilfe bei Bestandserhaltungspro- chend abgedeckten Bereichen anzu- zial auch im Kultur- und Medien- cen in den Arbeitsmarkt. Natürlich jekten, streben und zu befürworten. bereich für die von ihr als „Zusatz- BMWA: Arbeitsplätze zu schaffen, ist dürfen Zusatzjobs keinen Verdrän- · einfache Klebe- und Reparaturar- Ähnlich wie bei bisherigen ABM- jobs“ bezeichneten Arbeitsgele- Aufgabe der Wirtschaft. Diesen Pro- gungswettbewerb auslösen. Gerade beiten unter Anleitung, Projekten besteht im Einzelfall die genheiten mit Mehraufwandsent- zess flankiert die Bundesregierung deshalb haben wir im Gesetz die · Räumarbeiten, Transporttätigkei- Möglichkeit, erprobte bzw. qualifi- schädigung. Diese Arbeitsgelegen- mit ihren arbeitsmarktpolitischen Kriterien der Gemeinnützigkeit und ten und diverse einfache Ord- zierte Personen aus diesem Bereich heiten müssen im öffentlichen In- Maßnahmen. Zusatzjobs sind je- Zusätzlichkeit zur Voraussetzung nungsarbeiten. in den ersten Arbeitsmarkt zu brin- teresse liegen und zusätzlich sein, doch in erster Linie eine individuel- gemacht. Die Bundesregierung geht Darüber hinausgehend gibt es pro- gen. Insbesondere deshalb wäre eine so sieht es das Gesetz vor. Ob diese le Hilfe zur Eingliederung in den Ar- davon aus, dass Arbeitsgemeinschaf- jektorientierte Aufgaben, in denen Reduzierung bzw. ein Ersatz von Voraussetzungen vorliegen, muss beitsmarkt für erwerbsfähige Hilfe- ten, Arbeitsagenturen und optieren- die Möglichkeit des Einsatzes von existierenden Stellen im Kulturbe- in jedem Einzelfall geprüft werden. bedürftige, die keine Arbeit oder de Kommunen verantwortungsbe- qualifizierten Ein-Euro-Jobs im Ein- reich völlig kontraproduktiv zu den Die jeweilige Entscheidung über Ausbildung finden. Sie sind nur die wusst mit dem Einsatz solcher Zu- zelfall zu prüfen wäre. Ich denke hier politischen Zielen von Hartz IV. die Förderung obliegt den Arbeits- letzte Alternative zur Überwindung satzjobs umgehen, so dass Wettbe- z.B. an die Einarbeitung (Retro-Ka- gemeinschaften, Arbeitsagenturen von Arbeitslosigkeit und insbeson- werbsverzerrungen zu Lasten re- talogisierung) übernommener Die Verfasserin ist Vorsitzende des und optierenden Kommunen vor dere nachrangig gegenüber Maß- gulärer Beschäftigung vermieden Sammlungen in wissenschaftlichen Deutschen Bibliotheksverbandes Ort. nahmen zur Vermittlung in Arbeit werden. Ein-Euro-Jobs und Kultur Differenzierung nötig Von Rolf Bolwin Von Klaus-Peter Böttger Die im Hartz–IV-Gesetz vorgesehe- von Arbeitsbeschaffungsmaßnah- Sieht man von den grundsätzlichen aber es wäre m.E. nur ein weiterer, zierte Ein-Euro-Jobber der Retter ei- nen „Arbeitsgelegenheiten“, so ge- men (ABM) beschäftigt wurden. So- arbeitsmarktpolitischen Zweifeln zudem unmoralischer Schritt in der ner Bibliothek sein könne. Das Ar- nannte Ein-Euro-Jobs, mit denen der weit bisher ersichtlich, spielen die ab und über die Sinnhaftigkeit der- Aushöhlung qualifizierter Beschäfti- beitsfeld Bibliothek ist seit langem Bezieher von Arbeitslosengeld II sei- Ein-Euro-Jobs im künstlerischen Be- artiger Beschäftigungsverhältnisse gungsverhältnisse und fachlicher bemüht seinen Anspruch auf Profes- ne Bezüge aufbessern kann, sind reich keine größere Rolle. Insgesamt im Sinne einer moralisch-humanen Qualitätsstandards. sionalität durch Ausweitung und In- insbesondere für die Theaterbetrie- ist daher die Aufregung um die Ein- Tätigkeit hinweg, so darf man sich tegration unbibliothekarischer Pro- be von Interesse. Euro-Jobs im Kulturbereich völlig durchaus die selbstkritische >rage Kontraproduktiv fessionen zu untermauern, da ist, überzogen und unangemessen. stellen, warum gerade der kulturel- nicht nur aus strategischen Ge- o haben Theater, bei denen die Das Arbeitslosengeld II wird le Bereich sich offensichtlich so- Sicherlich ist damit die Gefahr eines sichtspunkten, der Ein-Euro-Job im SPersonaldecke aufgrund der sin- allerdings über die Ein-Euro-Jobs zu wohl für ehrenamtliche Beschäfti- Imageverlustes verbunden, weil sich wahrsten Sinne kontraproduktiv. kenden öffentlichen Zuschüsse einer indirekten Kulturfinanzie- gung als auch jetzt als Einsatzfeld wieder einmal ausgerechnet der kul- knapp geworden ist, die Möglichkeit, rung, was auch aus Sicht des Büh- von Ein-Euro-Jobber anbietet bzw. turelle Bereich als wenig zugänglich Der Verfasser ist Vorsitzender vor allem technisches Personal auf nenvereins nicht unproblematisch mit dem Etikett versehen wird „für für solche „innovativen Experimen- des Berufsverband Information der Grundlage von Ein-Euro-Jobs zu ist. Es macht unter dem Aspekt der kostenlose Arbeitskräfte geeig- te“ zeigt, aber wenn Kundenerwar- Bibliothek engagieren. Hiervon wird durchaus Staatsfinanzen wenig Sinn, dass die net“. tungen an eine Bibliothek noch ei- Gebrauch gemacht. Das ist auch im öffentliche Kulturfinanzierung nen Anspruch auf Erfüllung haben Interesse der Arbeitnehmer, die einerseits reduziert wird und Mitar- egradieren sich aus der Not sollen, dann muss man sich dieser andernfalls überhaupt keine Be- beiter entlassen werden, die ande- D heraus und in der Schere zwi- Arbeitsmarktpolitik wiedersetzen. schäftigung fänden. Warum soll eine rerseits mit Mitteln der Bundes- schen gestiegenen Dienstleistungs- So wäre es auch aus meiner Sicht arbeitslose Schneiderin nicht in der agentur für Arbeit wieder beschäf- ansprüchen und konsolidierter Be- blauäugig anzunehmen, dass in Schneiderei eines Theaters auf der tigt werden. schäftigungsvolumina Bibliotheken Kompensation zu den vorhandenen Grundlage eines Ein-Euro-Jobs ar- zu Ein-Euro-Institutionen? Restriktionen, Konsolidierungen, beiten? Das war im Übrigen auch Der Verfasser ist Geschäftsführender Sicherlich gibt es einzelne Beschäf- Haushaltssperren, Einstellungsstopps schon früher nicht anders, als Ar- Direktor des Deutschen tigungspotenziale für Ein-Euro-Jobs, der bibliotheksfachlich unqualifi- beitslose in der Kultur im Rahmen Bühnenvereins KULTUR INANZIERUNGARBEITSMARKT KULTUR politik und kultur • März – April 2005 • Seite 46

PPP - Ein Scheinriese? Sich mit dem Modell der Public Private Partnership auseinandersetzen • Von >riedrich Loock

Ist „Public Private Partnership“ ein Kulturvorhaben zugeführt. Die Pri- Chancen für eine Etablierung der ressierte Unternehmen erst anhand fiskalisch und administrativ erheb- geeignetes Instrument, um der kon- vatisierung von öffentlichen Kultur- noch jungen Kooperationsform trotz des konkret ausgeschriebenen Pro- lich von einem PPP unterscheiden. tinuierlich wachsenden >inanznot zu aufgaben bzw. öffentlichen Kultur- der aktuell eher schwerfällig anmu- jektes, welche Expertise in welcher Bei allem Streben nach Eigen- entrinnen? Nein, PPP in der Kultur einrichtungen ist auch kein PPP, da tenden Startphase auch in Deutsch- Form benötigt wird. Zum anderen ständigkeit – die bestehende Rechts- ist nicht mehr und nicht weniger ein hier allenfalls Strukturen (z.B. land gut. Doch darf das Entwick- sollten begleitend zu den Vergabebe- lage erscheint zur Zeit jedoch ausrei- ergänzendes, niemals aber ein er- Rechtsform und Rechnungslegung) lungs- und Gestaltungspotential kanntmachungen auch kompetente chend, spezifische PPP-Gesetze sind setzendes Instrument. neu ausgerichtet werden. nicht überschätzt werden. Vor-Vertragsverhandlungen stattfin- aktuell nicht zwingend erforderlich. PPP entsteht dann, wenn sich Die Entwicklungschancen eines den; bislang sind die Repräsentanten Empfehlenswert sind allerdings ein- PP ist nicht dazu geeignet, um eine öffentliche und eine private In- Kultur-PPP hängen in sehr starkem der öffentlichen Hand häufig nicht heitliche Regelungen im Umgang PKulturaufgaben der öffentlichen stitution zu einem gemeinsamen Maße davon ab, ob für die Kulturak- ausreichend über das Vorhaben in- mit PPP. Konkret sollte die öffentli- Hand teilzuprivatisieren. PPP ist Vorhaben entschließen und dieses tivität ein ausreichend hohes unter- formiert und daher nur einge- che Hand bei der Berechnung der ebenfalls ungeeignet, um Kulturak- Vorhaben auch gemeinsam tragen. nehmerisches Geschäftsfeld-Inter- schränkt als Ratgeber und Wegberei- Projektkosten (= für sie entfällt die tivitäten in semi-öffentliche Struktu- Im Gegensatz zu anderen Koopera- esse besteht. Hier haben es andere ter dienlich. Umsatzsteuer) die durch Eigen- ren zu überführen, die sich im rein tionsmodellen umfasst ein PPP öffentliche Bereiche im Vergleich zur Eine gute Vorbereitung hilft auch, durchführung entstehenden Steuer- privatwirtschaftlichen Wettbewerb sämtliche Phasen eines Lebenszy- Kultur möglicherweise einfacher: Im die unvermeidlichen Abstimmungs- ausfälle in die Berechnung einbezie- durchaus behaupten können. PPP klus‘ und sollte folglich auch über Hoch- und Tiefbau beispielsweise bedarfe zwischen den letztlich un- hen. Dies wäre ein entscheidender erscheint hingegen geeignet für kul- diesen Zeitraum bewertet werden. oder bei Infrastruktur-Projekten ge- gleichen Partnern optimal zu lenken. Schritt zur Gleichbehandlung von turelle Vorhaben, die die öffentli- Diese vereinfachte Darstellung er- hen Unternehmen mit der öffentli- Denn bereits vor Entstehen eines privaten und öffentlichen Kalkulati- chen Kulturaufgaben und die priva- klärt, weshalb insbesondere im Kul- chen Hand eine Partnerschaft ein, PPP fällt ein erheblicher Investiti- onen. Der nur scheinbare Kalkulati- ten Kulturaktivitäten sinnvoll ergän- turbereich ein PPP bislang eher sel- bei denen der Gegenstand des PPP onsbedarf an, da der Betrieb von ons- und Wettbewerbsvorteil wäre zen. Welche kulturellen Aufgaben ten anzutreffen ist und Einschätzun- zu einem nicht unwesentlichen Teil PPP-Projekten besondere Expertisen somit fairerweise aufgehoben und konkret nicht (mehr) zu den öffent- gen von PPP-kritischen Experten der unternehmerischen Geschäfts- erfordert. An diesen Gutachten dürf- würde eine angemessene fiskalische lichen Grundaufgaben gezählt wer- nicht ohne Grundlage sind, dass PPP tätigkeit entspricht. Hingegen koo- ten vor allem die Unternehmen bzw. Bewertung der Einbindung privater den, dies bedarf vorab jedoch einer wohl auch in naher Zukunft in perieren im Kulturbereich nicht sel- privaten Partner interessiert sein, da Partner ermöglichen. kulturpolitischen Entscheidung der Deutschland nicht umfassend Raum ten Unternehmen mit der öffentli- sie in der Regel einen Großteil der Auch in anderen Ländern tat entsprechenden Mandatsträger. Ein greifen wird. chen Hand, bei denen Kultur nicht Betreiberrisiken tragen. Das sorgfäl- man sich anfangs schwer mit dem PPP ohne politische Grundsatz-Ent- Allen Unkenrufen jedoch zum oder kaum zum Haupt-Geschäfts- tig abgestimmte Vertragswerk zwi- Konstrukt „PPP“. Daher sollten Start- scheidung ist politisch unredlich Trotz: Es gibt bereits erfolgreiche feld gehört. schen den Partnern regelt darauf schwierigkeiten keineswegs als Be- und den Beteiligten gegenüber un- PPP-Beispiele in der Kultur und es Auch tun sich öffentliche Verwal- aufbauend die Leistungen, Risiken leg für Nicht-Eignung fehlgedeutet fair. wird zukünftig weitere Kooperatio- tungen aktuell noch schwer mit ei- und Liquiditätsströme. werden. In Deutschland verliert man Das Potenzial von Kultur-PPP für nen dieser Art geben. Das Literatur- nem PPP. Wer aber hat das größere Auch tarifrechtliche Bedingun- allerdings viel Zeit, indem man Er- die öffentliche Hand wird insgesamt haus in München ist eines dieser er- Interesse an einer öffentlich-priva- gen sollten Bestandteil der Verträge fahrungen Dritter für die Entwick- als hoch eingeschätzt. EU-weit ver- folgreichen Kultur-PPP’s. Weitere ten Zusammenarbeit? Mehrheitlich sein. Grundsätzlich sind aufgrund lungsprozesse im Kultur-PPP mit fügen neben Großbritannien auch Beispiele sind: „museum kunst pa- dürfte es wohl die öffentliche Hand eines PPP tarifrechtlich keine Pro- dem Hinweis ablehnt, bei uns sei al- Länder wie z.B. Spanien, Portugal last“ in Düsseldorf, Stadtbibliothek sein. Also sollten die entsprechend bleme zu erwarten. Allerdings ist die les anders und daher nicht mit inter- und Griechenland über erheblich Gütersloh oder auch das Philharmo- beteiligten Verwaltungen der Ge- tarifvertragliche Zuordnung eines nationalen Erfahrungen vergleich- mehr PPP-Erfahrung als Deutsch- nische Staatsorchester Bremen (vgl. bietskörperschaften langwierige und PPP nicht immer zweifelsfrei und bar. Dieses „Igel-Syndrom“ ist land. Aber Achtung: Eine vorteilhaf- dazu Loock, 144 ff. in: Litzel et al., zähe Prozesse vermeiden. Denn daher entsprechend zu regeln. erfahrungsgemäß immer dort er- te Wirkung auf Kulturorganisationen Handbuch Wirtschaft und Kultur, wenn Unternehmen, die sich grund- Gleichzeitig kann damit der Gefahr kennbar, wo Mitwirkende Verände- ist allein durch die Mitwirkung von Berlin 2003). sätzlich für ein Kultur-PPP interes- eines Missbrauchs von Kultur-PPP rungen im Denken und Handeln ver- Unternehmen nicht zwingend gege- Selbstverständlich gibt es auch sieren und mit großem Engagement vorgebeugt werden: Kulturleistun- meiden wollen – aber eben jene Ver- ben, da (a) inzwischen auch die öf- weniger rühmliche Beispiele – so das einem solchen Vorhaben zuwenden, gen, die bisher in anderen Instituti- änderungen sind für erfolgreiche fentliche Hand in einigen Bereichen Festspielhaus in Baden-Baden, wel- die öffentliche Verwaltung und Poli- onen bzw. im Rahmen anderer Pro- Kultur-PPP in Deutschland unerläss- vorbildliche Strukturen aufweist und ches erst nach der kompletten Über- tiker als zögerlich bzw. hemmend jekte erbracht wurden, werden somit lich. (b) Unternehmen nicht automatisch nahme durch Stadt, Kreis und Land wahrnehmen, dann werden sich die- nicht „ausgeflaggt“. Es ist daher ausdrücklich zu be- die kompetenteren Mitarbeiter ha- wieder gesundete –, doch sollten die- se Unternehmen in aller Regel grüßen, dass der Deutsche Bundes- ben. se nicht dahingehend missbraucht wieder zurückziehen und Quo vadis? tag am 1. April 2004 einen Antrag zu werden, um allzu einseitig auf ein gegebenenfalls solchen Vorhaben ÖPP/PPP beschlossen hat. Damit PPP - eine umstrittene Form generelles Scheitern-Müssens eines vorerst eher skeptisch begegnen. Die PPP ist ein eigenständiges Instru- setzt er ein Zeichen, dass er die Not- des öffentlich-privaten PPP zu verweisen. Im Gegenteil: „Aus Gefahr eines Flurschadens durch ment mit eigenen Anforderungen wendigkeit einer intensiven Ausein- Zusammenwirkens Fehlern lernen“ – dieses Recht und zögerliches Denken und Handeln ist und Bedingungen. Diese Eigenstän- andersetzung mit diesem Modell er- diese Pflicht sollten selbstverständ- also groß. digkeit muss sich zwingend auch in kannt hat und die erforderlichen Nicht jedes Zusammenwirken lich auch beim Kultur-PPP gelten. Angesichts der verbreiteten Un- der korrekten Einordnung dieses öf- politischen Entscheidungen in die von privater und öffentlicher Hand sicherheit ist in hohem Maße eine fentlich-privaten Zusammenwir- Wege leiten wird. ist ein PPP. Kultursponsoring Strukturelle Begleitung bestmögliche Vorbereitung eines kens widerspiegeln. PPP darf nicht beispielsweise hat nichts mit PPP zu Zusammenwirkens entscheidend. mit Sponsoring oder Spenden Der Verfasser ist Direktor des tun, denn hier werden Mittel von Beim PPP in der Kultur besteht An- Zum einen sollten geplante PPP- gleichgesetzt werden, da jene Leis- Instituts für Kultur- und Medien- Unternehmen mit kommunikativer lass weder zur Euphorie noch zur Ausschreibungen frühzeitig ange- tungen aus einer gänzlich anderen management der Hochschule für Zweckbindung einem bestehenden Resignation. Insgesamt stehen die zeigt werden; häufig erkennen inte- Intention heraus erfolgen sowie sich Musik und Theater Hamburg Die Zurückhaltung endlich aufgeben Public Private Partnerships im Kulturbereich • Von Dieter Neumann

Die Enquete-Kommission „Kultur in bei dem Betrieb kommunaler Ver- wendet werden. Einerseits sind dort die Zukunftssicherung. Dies gilt besonders kräftig ausfallen können, Deutschland“ des Deutschen Bun- sorgungseinrichtungen wie der Was- – wie überhaupt bei öffentlichen auch und vielleicht besonders au- wenn durch die Zahl der öffentlichen destages hat sich, jüngst auch in ei- serversorgung und Abwasserbeseiti- Bauten – besondere Defizite erkenn- genfällig für die zu kulturellen Zwe- Gebäude die Synergieeffekte auf der ner Anhörung von Sachverständigen, gung oder der Instandhaltung und bar, andererseits aber auch besonde- cken genutzten Gebäude und Lie- Seite des privaten Partners gezielt mit den Chancen befasst, die in der Bewirtschaftung von Gebäuden und re Effizienzvorteile bei der Einschal- genschaften. Bei knappen oder er- mobilisiert werden. So können die in Anwendung von Public Private Part- Liegenschaften finden, mit Erfolg tung Privater in PPP-Projekten zu schöpften Haushaltsmitteln richtet Betracht kommenden Gebäude des nerships (PPP) im Kulturbereich lie- und das meint: mit handgreiflichen erwarten. Die systematische Aus- sich die Aufmerksamkeit bei der Su- Kulturbereichs in einer eigenen gen können. Die Bestandsaufnahme Effizienzvorteilen und Kostenredu- wertung der in- und ausländischen che nach Ausgabenkürzungen typi- Rechtsgestalt zusammengefasst hat ergeben, dass im Bereich der Kul- zierung bei der Erfüllung öffentli- PPP-Projekte sowie die Erfahrungen scherweise auf den Kulturbereich werden, etwa in der Rechtsform ei- tur bereits eine Vielzahl unterschied- cher Aufgaben in der Zusammenar- aus den jüngsten PPP-Projekten – und erzeugt dort besondere Recht- ner Anstalt des öffentlichen Rechts licher Kooperationsformen zwischen beit mit Privaten durchgeführt wer- etwa der unlängst vereinbarten Sa- fertigungszwänge. PPP-Projekte bei oder einer anderen der kommunal- den öffentlichen Trägern kultureller den. In diesen Bereichen hat sich nierung und Bewirtschaftung von 88 der Instandhaltung und Bewirt- rechtlich zulässigen Organisations- Einrichtungen und Privaten besteht, auch der Begriff PPP entwickelt und Schulen des Kreises Offenbach schaftung können mit ihren Wirt- formen. Für kommunenübergreifen- vom Sponsoring und Spenden über bezeichnet dort die langfristig ange- durch private Unternehmen für die schaftlichkeitsvorteilen zur Entlas- de Vorhaben können auch die privates Ausstellungsmanagement legte und vertraglich geregelte Zu- Dauer von 15 Jahren – haben gezeigt, tung der Haushalte und damit zur Rechtsformen der kommunalen Zu- und dem privaten Betrieb von Orches- sammenarbeit zwischen der öffent- dass mit der Einbindung von priva- Sicherung der kulturellen Infrastruk- sammenarbeit für Vorhaben in An- tern mit staatlicher >örderung bis hin lichen Hand und privaten Partnern ten Partnern in die Erhaltung und tur in dem Sinne wesentlich beitra- spruch genommen werden. zur langfristig angelegten und insti- zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, Bewirtschaftung staatlicher Gebäude gen, dass auch in der näheren Zu- Bei der Ausgestaltung solcher tutionell in Stiftungen oder privat- bei der die erforderlichen Ressourcen und Liegenschaften Einsparungen kunft noch akzeptable Spielorte und PPP-Projekte wird gewiss auf die spe- rechtlichen Gesellschaftsformen ver- von den Partnern zum gegenseitigen von 15% bis 20% gegenüber der staat- Ausstellungseinrichtungen oder zifischen Bedürfnisse des Kulturbe- festigten Zusammenarbeit. Nutzen in einen Organisationszu- lichen Aufgabenerfüllung erreicht Schulen zur Verfügung stehen. reichs zu achten sein. Das notwendi- sammenhang eingestellt und die Ri- werden können. In vielen Fällen wird Bei der Auswahl geeigneter Pro- ge rechtliche Instrumentarium steht b man mit der Zusammenfas- siken zwischen den Partnern danach es überhaupt erst durch die Einbin- jekte wird es sich als nützlich erwei- bereit, das Interesse privater Partner Osung all dieser Kooperationsfor- aufgeteilt werden, wer das jeweilige dung privaten Kapitals ermöglicht, sen, eine ausreichende kritische mit Fachkompetenz, Erfahrung und men unter dem begrifflichen Dach der Risiko am besten beherrschen kann. die dringend erforderlichen Instand- Größe für solche PPP-Projekte zu Finanzierungskraft auch. Es ist Zeit, PPP den bestehenden, aber sehr ver- In dieser Kerngestalt besteht setzungs- und Erhaltungsmaßnah- schaffen. Eine allgemeine Regel lässt die mancherorts noch anzutreffende schiedenen Initiativen einen Gefallen auch im Bereich der Kultur ein nam- men durchzuführen, weil die dem sich dazu nicht aufstellen, so dass Zurückhaltung der öffentlichen Auf- tut und ob dadurch greifbare Vorteile hafter und naheliegender Anwen- staatlichen Aufgabenträger derzeit auch die Sanierung und Bewirtschaf- gabenträger gegenüber PPP-Projek- für die einzelnen Projekte entstehen, dungsbereich für PPP-Projekte. Vor und in absehbarer Zukunft zur Verfü- tung weniger öffentlicher Gebäude, ten im Kulturbereich aufzugeben. müsste sich noch erweisen. allem drängt sich hier die Instand- gung stehenden Haushaltsmittel sogar nur die eines einzigen Gebäu- Mit großer Gewissheit lässt sich haltung/Instandsetzung und Unter- lediglich zur notdürftigen Verwaltung des in einem PPP-Modell erfolgreich Der Verfasser ist Rechtsanwalt hingegen heute schon feststellen, haltung der öffentlichen Gebäude des Mangels ausreichen. PPP-Projek- sein kann. Es ist aber zu bedenken, und befasst sich mit Fragen des dass die PPP-Projekte, die sich etwa auf, die für kulturelle Zwecke ver- te sind daher ein wichtiger Beitrag für dass die Effizienzvorteile dann Public-Private-Partnership KULTURINANZIERUNG politik und kultur • März – April 2005 • Seite 7

Nur selten gut Warum die Public-Private-Partnership kein gutes Rezept für die Kultur ist • Von Alexander Bretz

Public-Private-Partnership klingt che Hand sich einen Partner sucht, te Betreiber konkurrieren, dann soll- das heißt ja auch „Corporate Citizen- Bleibt das Argument der Befürworter, sehr schick nach moderner Verwal- der ko-finanziert. Jedem Euro aus te die öffentliche Hand sich ganz zu- ship“, also gesellschaftliches Enga- durch die Public-Private-Partnership tung. Noch besser klang sie in der dem öffentlichen Haushalt wird so rückziehen und den betreffenden gement der privaten Wirtschaft im könnten zusätzlich – sonst nicht zu Spezialform des Cross-Border-Lea- ein Euro aus der privaten Schatulle Bereich insgesamt „outsourcen“. Für Kulturbereich. Das ist einer von die- leistende – Kulturaufgaben angegan- sing: Unter diesem Aufkleber ver- hinzugesellt. Klingt wieder nach so eine Public-Private-Partnership be- sen „augenzwinkernden Kompro- gen werden und die Eigeninteressen kauften einige Kommunen ihre In- einer Win-Win-Situation. Doch pro- steht dann kein Bedarf. Oder schär- missen“ zur stärkeren Finanzbetei- des Private-Partners könne man frastruktureinrichtungen (z.B. die blematisch sind nicht nur die Ziele fer ausgedrückt: Der Betrieb eines ligung privater Unternehmen, weil durch eine faire Gremienbeteiligung Kanalisation in Bochum, die Stra- solcher Partnerschaften, problema- solchen Bereiches in öffentlicher Trä- die öffentliche Hand ihr Geld bei lösen. Und tatsächlich gibt es einige ßenbahn in Nürnberg oder das Kli- tisch sind auch die Motivationen der gerschaft würde zur Wettbewerbsver- weitem nicht so gerne für die Kultur wenige Beispiele für solche funktio- nikum St. Georg in Leipzig) an US- Partner. zerrung auf dem – ja offensichtlich ausgibt wie für die Subvention pri- nierende Konstruktionen. Doch sie amerikanischen Investment-8irmen, Wenn eine bestimmte Aufgabe vorhandenen – Markt führen. vater Unternehmen. Und manches alle sind geprägt von Ausnahmeum- um sie kurzerhand längerfristig zu- als öffentliche Aufgabe verstanden Anders, wenn es um die kulturel- private Unternehmen liebt so einen ständen und einer komplizierten rückzuleasen. Das Schöne dabei: wird, also eine politische und demo- le Kernaufgabe geht: Das Theater Deal. rechtlichen Konstruktion. Da gibt es Die Investoren konnten durch die kratisch legitimierte Mehrheit nach selbst, der Spielplan, die Programm- Also sprechen bereits grundsätzli- das regional verwurzelte Großunter- Abschreibungen nach US-amerika- ausführlicher Diskussion endlich die entscheidungen, das Ensemble. Hier che Erwägungen gegen solche Misch- nehmen mit dem leichten Image- nischen Steuervorschriften Mega- Entscheidung trifft, sagen wir, ein hakt es noch mehr am Geld. Die Plä- finanzierungen: Was öffentliche Kul- Problem, das für die Konzernzentra- Gewinne von bis zu 300 Prozent ein- bestimmtes Theater zu betreiben, ne sind größer als die finanziellen turaufgabe ist, das muss auch aus öf- le einen attraktiven Innenstadt- streichen. Die deutschen Kommu- dann ist diese Entscheidung wichtig. Möglichkeiten. Warum also nicht fentlichem Beutel bezahlt werden. Standort gefunden hat, indem es nen mussten sich dagegen mit dem Durch die demokratische Legitima- auch diese Kernaufgabe privatisie- Jede Form der Public-Private-Part- gleichzeitig das benachbarte Muse- so genannten Barwertvorteil in tion ist sie sogar sehr wichtig, so ren und durch eine Public-Private- nership für eine Aufgabe, die als öf- um finanziert und sich bei den inhalt- Höhe von nur 4 % genügen – was wichtig, dass es wohl kaum legitim Partnership den öffentlichen „Dau- fentlicher Kulturauftrag beschlossen lichen Kultur-Entscheidungen wie ihnen aber meistens völlig zur Haus- sein dürfte, diese Entscheidung men drauf“? wurde, relativiert nur die demokrati- der Ausstellungsplanung zurückhält. haltsentlastung ausreichte: durch durch die Beteiligung eines Partners Doch Vorsicht! Nur die wenigsten sche Grundentscheidung zu einem Das kann es mal geben, aber wohl die unterschiedliche bilanzielle Zu- aus der privaten Wirtschaft zu beein- Private-Partner gehen idealistisch an „Ja, aber ...“ Und legt sie hinter diesem nicht sehr oft. Denn vielleicht will der ordnung des Leasingguts zu Lea- flussen. die Partnerschaft heran. Verfolgen sanften Schein für ein Vielfaches von Private-Partner vielleicht doch bei sing-Geber und Leasing-Nehmer Denn entweder geht es aus kulturel- sie nicht einen direkten Erwerbs- Legislaturperioden fest, ohne dass den inhaltlichen Entscheidungen konnten die Beteiligten die verhö- ler Sicht ohnehin nur um infrastruk- zweck durch die Partnerschaft selbst eine Änderung möglich wäre. Von ei- mitentscheiden: Bitte nicht so viel an- kerte Infrastruktur nach Bedarf turelle Hilfsaufgaben, die sich privat (wie beispielsweise der Kantinenca- nem Scheitern des Projekts und den spruchsvolle Hochkultur, mehr mas- zweimal erscheinen oder ganz ver- oft besser erledigen lassen, wie das terer aus dem Infrastrukturbeispiel), daraus resultierenden Folgelasten für senwirksame Events! Oder er hält sich schwinden lassen. Experten hatten Catering oder den Betrieb des Hau- so ist meist Image-Pflege das Motiv. den betroffenen öffentlichen Haushalt – vorerst – zurück und profitiert nur das Modell als typischen 8all einer ses. Wenn um diese Aufgaben priva- Denn Public-Private-Partnership, ganz zu schweigen. vom Imagegewinn durch „seine“ Kul- allseits geliebten „Win-Win-Situati- turinstitution. So kommt es im on“ gepriesen. schlimmsten Fall zu einer Konzentra- tion auf die Leuchtturm-Kultur, im un ermitteln die amerikani- besten Fall zu einer versteckten Sub- Nschen Staatsanwaltschaften ventionierung des Marketing-Etats wegen Beihilfe zur Steuerhinterzie- des Unternehmens. hung. Und der amerikanische Ge- Bleibt also allenfalls ein kleiner setzgeber hat die Gesetzeslücke Anwendungsbereich für die Public- schnellstens geschlossen. Ein Ex- Private-Partnership im Kulturbereich, tremfall? Wohl kaum, da es doch der noch dazu höchst komplizierte noch einige Fälle mehr als die ge- rechtliche Konstruktionen voraus- nannten gegeben haben soll. Eher setzt. Alles steht und fällt aber mit der ein Symbol, was passieren kann, Frage, ob eine Kulturaufgabe als öf- wenn sich deutsche Verwaltungen fentliche Aufgabe anzusehen ist. von hippen Trends beflügeln lassen Darüber lässt sich streiten und disku- und Dinge tun, bei denen nicht etwa tieren. Aber wenn es so ist, dann muss nur altbezopfte Bürokraten staunen, die öffentliche Hand diese Aufgabe sondern sich auch normal Denken- auch in einer Form erfüllen, die trans- de wundern. Jüngstes Beispiel dafür: parent und frei von privaten Fremd- die Public-Private-Partnership im einflüssen und -interessen ist. Und Kulturbereich. Da gebe es beträcht- wenn es nicht so ist, gehört die Aufga- liches Potenzial. Natürlich nicht zur be schleunigst privatisiert: Es gibt kein Einsparung, nein, sondern zur Er- Bleiberecht der öffentlichen Hand in weiterung der Handlungsfähigkeit Glamour-Kulturaufgaben, die mühe- der Verwaltungen bei Erfüllung ihrer los privat zu finanzieren sind. öffentlichen Kulturaufgaben. Sagen die Experten. Doch was ist dran an Der Verfasser ist Rechtsanwalt in dieser Verheißung? Berlin und spezialisiert auf die Bereits die Formen und Beispie- Beratung und Betreuung von le der Public-Private-Partnerships Unternehmen der Kulturwirtschaft, sind verwirrend vielfältig. Gemein- Ein Beispiel für PPP: Die e.on AG und das museum kunst palast in Düsseldorf. Im Vordergrund museum kunst palast insbesondere Mode- und Produkt- samer Nenner ist, dass die öffentli- Foto: e.on AG design sowie Kulturvermittlung Sponsoring an der Bayerischen Staatsoper Oder von der Kunst, einen Sponsor zu finden • Von Maurice Lausberg

Sponsoring steckt an den meisten Sponsoringansatz hat sich an der Besucher, welche die Siemens AG als 2. Das künstlerische Angebot, d.h. onen (Beispiel: Audi und der Ring der Theater- und Operbetrieben Deutsch- Bayerischen Staatsoper ausgezahlt – Sponsor der Festspielpremiere „Die die aktuellen Opernproduktionen Nibelungen), oder als Mitglied im lands noch in den Kinderschuhen. in nur drei Jahren wurden die Spen- Meistersinger von Nürnberg“ wahr- und Premieren Premium Circle wieder. Mittelständ- Die durchschnittlichen Sponsoring- den- und Sponsoringeinnahmen genommen haben, beurteilten das 3. Die konkreten Leistungen, die ei- ler und kleinere Unternehmen kön- einnahmen der 10 größten deut- von ca. 700.000 € auf rund 1,9 Mio. € Unternehmen in Bezug auf seine Re- nem Sponsor geboten werden – im nen von interessanten Angeboten schen Opernhäuser (exklusive Bay- ausgebaut. putation vielfach signifikant besser wesentlichen Werbeleistungen (z.B. u.a. im Patron und Classic Circle pro- erische Staatsoper) liegen durch- Um beim Sponsoring erfolgreich als diejenigen Besucher, die das Logo im Programmheft), Public Re- fitieren. Von Kommunikationsleis- schnittlich bei etwa 500.000 € pro zu sein, muss man die Motivation Sponsoringengagement nicht wahr- lations-Leistungen (z.B. gemeinsa- tungen in Form von Logoplatzierung Jahr. Ein erprobter Umgang mit dem eines Sponsors verstehen. Ein genommen haben. Die beiden wei- me Pressekonferenz), exklusive über gemeinsame Pressearbeit bis Thema ist bisher bei wenigen Kultur- Opernhaus bietet dem Sponsor die teren Motivatoren für Sponsoren Sponsorenveranstaltungen und er- hin zum VIP-Event in der Premium institutionen zu erkennen. So beru- Möglichkeit, eine zwar sehr kleine, sind Kundenbindung – insbesondere leichterter Zugang zum künstleri- Circle Loge werden den Sponsoren hen Sponsoring-Partnerschaften oft aber handverlesene und selektierte durch Events – und Mitarbeitermo- schen Angebot, z.B. in Form von Kar- somit attraktive Leistungen als Vehi- noch auf der Initiative interessier- Zielgruppe auf nahezu konkurrenz- tivation („Der Arbeitgeber engagiert ten. kel für Reputationssteigerung, Kun- ter Unternehmen. Diese stoßen dann lose Weise anzusprechen; und dies in sich“). Anhand der Fundraising-Pyrami- denbindung und Mitarbeiterbin- auf Strukturen, welche den „unvor- einem emotional positiv besetzten Ein Sponsoringengagement muss de ist genau festgelegt, welcher dung geboten. hergesehenen 8all“ nicht bewältigen Umfeld. In dieser scharf umrissenen eine oder mehrere dieser Zielsetzun- Sponsor, welche Leistungen (Spon- Neben dem Sponsoringprodukt können. Wer kümmert sich um den Zielgruppe steigert der Sponsor gen im Vergleich zur klassischen soringprodukte) für welchen finan- hat sich die Erschließung von Kon- Sponsor? Was kann man ihm bieten? durch das Engagement seinen Be- Werbung besser erfüllen und dabei ziellen Sponsoringbeitrag erhält. takten und Netzwerken als entschei- Wie hoch ist eine angemessene kanntheitsgrad, bzw. seine Reputa- preislich attraktiv sein, sonst ist es Dabei wird darauf geachtet, dass dender Erfolgsfaktor herausgestellt; Sponsoringsumme? tion. Die Wirkung des Kultursponso- wirtschaftlich nicht zu begründen. Produkt- und Preisgestaltung trans- Sponsoring ist „regionales People ring in Bezug auf die Reputations- Um dem Sponsor Konkretes an- parent, gerecht und konsistent sind. Business“. Aufbau und Entwicklung ultursponsoring wurde an der steigerung konnte übrigens u.a. an bieten und präsentieren zu können, Schritt für Schritt wurden an der brauchen Zeit, Geduld, Mühe und K Bayerischen Staatsoper von An- der Bayerischen Staatsoper mit Hil- ist die Kreation und Darstellung ei- Bayerischen Staatsoper mögliche viel Arbeit – ein Investment, welches fang an als Vertriebsaufgabe verstan- fe des Reputationsmodells von Prof. nes Sponsoringproduktes erforder- Projekte und damit verbundene sich lohnt, auch wenn es sich oft den: wie werden die richtigen Unter- Manfred Schwaiger (Institut für Un- lich. Dieses setzt sich in unserem Fall Leistungen für Sponsoren ermittelt nicht sofort auszahlt. Bevor der In- nehmen und deren Lenker davon ternehmensentwicklung und Orga- aus drei Komponenten zusammen: und gewichtet und zu Produkten ge- tendant zum Hörer greift und ver- überzeugt, ein vielschichtiges Spon- nisation an der Universität Mün- 1. Die Bayerische Staatsoper selbst bündelt. So finden sich Konzerne soringprodukt zu erwerben. Dieser mit den damit verbundenen Werten und große Unternehmen als Exklu- chen) in einer Studie eindrücklich Weiter auf Seite 8 produkt- und kundenorientierte nachgewiesen werden: Diejenigen und Attributen sivsponsoren für einzelne Produkti- KULTURINANZIERUNG politik und kultur • März – April 2005 • Seite 8

erischen Staatsoper die Leistungen ausschöpfen. Vertraglich zugesicher- kommuniziert wird. Dabei liegt hier noch professioneller und aktiver wer- Fortsetzung von Seite 7 für Sponsoren detailliert quantifi- te Leistungen verfallen oft unge- der entscheidende Hebel, den Spon- den. Kultursponsoring sollte nicht ziert. Beispielsweise im Premium nutzt. Hier sind auch die Kulturinsti- soringinhalt in größerem Stil reputa- nur Liebhaberei des Chefs sein, son- Sponsoring an der Circle erzielt ein Mitgliedsunterneh- tutionen gefragt, anzuregen und hin- tionssteigernd zu nutzen. dern als ein sensibles, intelligentes Bayerischen Staatsoper men mit Logo und Text mehr als zuweisen, denn der anstrengende Die Erfahrung an der Bayerischen Marketinginstrument verstanden 550.000 hochwertige Kontakte pro Sponsor ist der bessere Sponsor: Er Staatsoper zeigt, dass sich marktori- werden, das es voll auszuschöpfen sucht den Vorstandsvorsitzenden Jahr in einer attraktiven Zielgruppe. bleibt auch in der Zukunft bei der entiertes und professionelles Han- gilt – eine persönliche Liebe zur Oper des größten Konzerns in der Stadt an Das entspricht bei einem Tausender- Stange, weil er weiß, was er von sei- deln in Sachen Sponsoring lohnt und kann dabei natürlich nicht schaden. den Apparat zu bekommen, sollte kontaktpreis von 10 – 20 € einem nem Investment hat. Schade ist auch, zwar für beide Seiten: Kulturschaffen- systematisch analysiert werden, Wert von ca. 7.000 €. Zudem enthält dass die Sponsoringbotschaft in Form de und Sponsoren. Um den vollen Der Verfasser ist der Leiter des über welche Kontakte die Kulturin- das Premium Circle Angebot drei ex- von Anzeigen in Tageszeitungen, oder Nutzen aus dem Kultursponsoring zu Development der Bayerischen stitution bereits verfügt. Diese gilt es klusive Eventoptionen für Sponso- Radiospots nur selten in die Breite ziehen, müssen jedoch beide Seiten Staatsoper transparent zu machen. Beispiels- ren und deren Gäste sowie die Ein- weise befinden sich unter den För- ladung zu zwei hochkarätigen Veran- derervereinen, unter den Abonnen- staltungen. Nach Vergleich mit Prei- ten sowie unter den Bekannten der sen von Eventagenturen entspricht Mitarbeiter eines Opernhauses i.d.R. dies einem monetären Gegenwert genügend Entscheidungsträger aus von rund 20.000 €. Und nicht zuletzt der Wirtschaft, die dem betroffenen erhält ein Premium Circle Mitglied Theater nahe stehen. Diese müssen Kartenvergünstigungen in Höhe von identifiziert und angesprochen wer- ca. 5.000 € p.a. In Summe belaufen den. Sponsoring ist die Kunst, die sich die Premium Circle Leistungen Absagehemmung bei Unternehmen also auf über 30.000 €, die Kosten für zu erhöhen – dies gelingt nur über eine Mitgliedschaft liegen gerade den persönlichen Kontakt und die einmal bei 25.000 €. emotionale Bindung. Die Beispielkalkulation verdeut- Die Erfahrungen an der Bayer- licht, dass sich Sponsoring an der ischen Staatsoper zeigen allerdings Bayerischen Staatsoper mit her- auch, dass Unternehmen das Kultur- kömmlichen Marketingmaßnahmen sponsoring häufig noch auf Basis von durchaus messen lassen kann. Mäzenatentum behandeln. Wie eine Reichweite, hohe Kontaktqualität kürzlich vorgestellte Studie von Ro- sowie Optionen für hochkarätige land Berger Stragtegy Consultants Events zur Kundenbindung: das al- zeigt, sehen ein Großteil der Unter- les hat nachvollziehbare Preise. Den- nehmen Kultursponsoring als gesell- noch wollen nur wenige Unterneh- schaftliche Verantwortung und nur men von solchen Berechnungen wis- wenige verfolgen mit ihren Sponso- sen. Entscheidungen fallen leider ringengagements kommerzielle Ziele. immer noch oft aufgrund persönli- Um dagegen anzuwirken und cher Beziehungen und Vorlieben. überzeugende Argumente für eine Zudem ist bedauerlich, dass kommerzielle Sponsoringberechti- nicht alle Firmen die Möglichkeiten Szenenfoto aus Alban Bergs „Lulu“ an der Bayerischen Nationaloper in München: Margarita De Arellano gung zu liefern, wurden an der Bay- ihrer Sponsoringengagements voll als Lulu Foto: W.E. Rabanus Der Kunst geht es so gut wie nie zuvor Das neue Gesicht des Kultursponsorings • Von Max Hollein

Leere Kassen, schwierige 8inanzla- ine Konsolidierung dieser Situa- aber de facto nicht aufhalten kön- geben, ist diese Ausgabe stets als bieten hat. Kunstsponsoring ist – gen, Kürzungen – trotz der perma- Etion – so unpopulär und so tra- nen. Auf kompensierende Gelder der Marketinginstrument mit einer ganz etwa im Vergleich zum Sportsponso- nenten Diskussion rund um sinken- gisch sie für die kulturelle Vielfalt Europäischen Union ist in diesem klaren Kosten-Nutzen-Rechnung zu ring – relativ kostengünstig, ziel- de Kulturetats infolge der allerorts einzelner Orte sein mag – ist unaus- Zusammenhang nicht zu hoffen – sehen. Die Kultureinrichtung ist gruppenspezifisch (jüngeres, akade- angespannten Haushaltssituation weichlich und bereits im Gange. gerade 0,05% des Gesamtetats wer- dabei ein langfristiger Partner und misch gebildetes und individualisti- der öffentlichen Hand muss gesagt Dies manifestiert sich nicht in einem den für kulturelle Zwecke verwendet, muß diesbezüglich auch professio- sches Publikum mit gehobenem Ein- werden: der Kunst geht es so gut offenen, aggressiven Verdrängungs- die europäischen Prioritäten werden nell aufgestellt sein. Das bedeutet kommen) und mit geringem Streu- wie nie zuvor. Gebettet in eine ra- wettbewerb, sondern in einem auch in Zukunft weit abseits der Kul- nicht nur eine eigene Abteilung für verlust. Das Produkt – die Ausstel- sant gewachsene institutionelle In- schleichenden Sterben und Zusam- tur liegen. die Zusammenarbeit mit der Wirt- lung, das Konzert – ist mit einem gro- frastruktur steht sie im Mittelpunkt menführen. Allein damit wird sich Die Finanzierung orientiert sich schaft zu haben, sondern auch die ßen Imagetransferpotenzial ausge- des gesellschaftlichen Interesses die finanzielle Schieflage innerhalb folgerichtig zunehmend in Richtung Sprache des Sponsors zu sprechen – stattet und eine ideale Plattform für und ist im Wettbewerb der Kommu- der institutionalisierten Kultur je- Privatwirtschaft. In Anbetracht die- im Grunde genommen bereits im Corporate Entertainment und Fir- nen als „weicher Standortfaktor“ doch nicht lösen lassen. 90% der fi- ser Situation wird sich die Zusam- Vorfeld eine auf den Sponsor abge- menkultur. Die positive Wahrneh- mittlerweile sogar Liebkind jedes nanziellen Unterstützung für Kunst menarbeit von Kunst und Unterneh- stimmte Kampagne zu erarbeiten, mung des Kunstsponsoring liegt bei noch so bodenständigen Lokalpoli- und Kultur kommen nach wie vor men in Zukunft mehr und mehr zu um ihn überhaupt zu gewinnen. Die etwa 90%. Die Reichweiten, laut em- tikers. In den letzten dreißig Jah- von Bund, Ländern oder Kommu- einer strategischen entwickeln – jen- Initialzündung, die Marketingidee, pirischer Studien, bei einem gestütz- ren waren es folgerichtig die Kul- nen. Es ist allerdings eine Tatsache, seits von punktuellem Mäzenaten- die ersten PR-Konzepte müssen in ten Recall bei ca. 70%. Zum Ver- tureinrichtungen, die allerorts aus dass sich die öffentliche Hand in Be- tum und spontanem persönlichem diesem Zusammenhang in erster Li- gleich: selbst sehr gute Fernsehspots dem Boden geschossen sind und zug auf die Subventionierung von Engagement. Man braucht sich kei- nie von der Kulturinstitution kom- erreichen selten einen höheren Re- eine nie dagewesene Dichte er- staatlichen und städtischen Kultur- ne Illusionen zu machen: Auch wenn men, um dann gemeinsam mit dem call als 45%, bei Plakaten liegt er gar reicht haben. Waren es 1970 noch einrichtungen in einem finalen offiziell rund 41% der deutschen Sponsor weiterentwickelt zu werden. nur bei 23%. Eine Befragung in der rund 1.500 Museen in Deutschland, Rückzug befindet. Eine Entwicklung, Unternehmen als Hauptbeweg- So ist etwa die Schirn Kunsthalle Kunstsammlung NRW hat den direk- hat sich diese Zahl bis 2002 nahezu der wir Direktoren mit zivilem Un- grund für Kultursponsoring noch anlässlich der Ausstellung „Shop- ten Zusammenhang zwischen der vervierfacht. gehorsam entgegen treten, die wir gesellschaftliche Verantwortung an- ping“ eine strategische Partnerschaft Wahrnehmung des Sponsorships mit der Galeria Kaufhof eingegan- und der Einstellung zum sponsern- gen. Dies resultierte in einem vom den Unternehmen nachgewiesen: Kaufhaus finanzierten Großprojekt Die Besucher, die das Sponsorship der konsumkritischen amerikani- wahrnahmen, waren der Marke ge- schen Künstlerin Barbara Kruger, genüber signifikant positiver einge- das die gesamte 2.200m2 umfassen- stellt als jene, denen das Sponsoring de Fassade der Frankfurter Filiale unbemerkt blieb. mit einem großen Augenpaar und Die Zusammenarbeit mit dem dem Spruchband „Du willst es, du begleitenden Unternehmen beginnt kaufst es, du vergisst es“ verhüllte. weder kurz vor noch endet sie nach Damit nicht genug, drehte die Schirn der Eröffnung oder Premiere. Die im Zusammenhang mit dem Spon- langfristige Kooperation, der Aus- sor den Spieß um: der Sponsor Ga- tausch zwischen den „beiden Wel- leria Kaufhof war in der Schirn ten“ ist eine Grundvoraussetzung für selbst, dem Hauptort der Ausstel- eine erfolgreiche Arbeit. Auf diese lung, nicht präsent, dafür war die Weise können auch die Mitarbeiter Schirn in der Galeria Kaufhof mit eines Unternehmens – und das wird Werbung für die Ausstellung und In- in Zukunft besonders an Bedeutung Foto stitution allgegenwärtig. Selbst die gewinnen – optimal in die Koopera- Werbeprospekte und Einkaufstüten tion integriert und zu deren Multip- des Kaufhauses präsentierten sich likatoren gemacht werden. Nichts ist folgt während der Laufzeit im „Corporate kontraproduktiver, als eine einsame Design“ der Schirn-Ausstellung – für Entscheidung aus der kulturbeflisse- die Galeria Kaufhof ein Riesenerfolg. nen Chefetage, die bei den Mitarbei- Mit simplem Logo Placement tern als Geldverschwendung angese- unter dem Ausstellungstitel ist es hen wird. Einen erfolgreichen inte- schon lange nicht mehr getan. We- grativen Ansatz des Kultursponsoring der ist dies effektiv genug für die verfolgt die Deutsche Bank bereits Zielsetzungen des Unternehmens, noch nutzt es ausreichend die Poten- Weiter auf Seite 9 Schirn Kunsthalle Frankfurt: Besucher in der Carsten-Nicolai-Ausstellung (bis 28.März 05) Foto: Schirn ziale, die das Kultursponsoring zu KULTURINANZIERUNG politik und kultur • März – April 2005 • Seite 9

weile auch von so manchem budget- einander um diese Gelder konkur- Mäzens gefragt. Denn im Grunde Wenn die Titelstory des amerikani- Fortsetzung von Seite 8 geplagten Kämmerer gefordert wird? rieren – Universitäten gegen Muse- genommen ist die Neuorientierung schen Wochenmagazins Business Mit Sicherheit nicht, denn einerseits en, Krebsforschung gegen die UNO der Kultur hin zur Finanzierung Week ankündigt „The New Face of seit Jahren mit ihrer eigenen Kunst- ist man in Deutschland weit von der und dass es je nach Gemütsverfas- durch den privaten Sektor ein Wei- Philanthropy – Our exclusive ran- sammlung und den vielfältigen Spon- amerikanischen, fast durchwegs in sung zu leichten Verschiebungen in terreichen der Verantwortung in Be- king of the most generous givers – sorships. Die Beschäftigung mit mo- Form privater Stiftungen organisier- den gesellschaftlichen Prioritäten zug auf die Entscheidung, was förde- and a look at a few cheapskates“ derner Kunst „verschafft uns in der ten Institutionsstruktur entfernt und kommt. So mussten einige New Yor- rungswürdig erscheint. Ein steuer- dann kann man erahnen, was auch Bank andere Perspektiven auf die Welt, noch viel wichtiger – und das wird ker Stiftungen für Obdachlose nach schonendes Modell einer Unterneh- Good Old Europe bevorsteht. Wer sensibilisiert uns, wie auch unser so- fast immer falsch gesehen – baut das dem 11. September die Gesellschaft mensstiftung, die Kultur unterstützt gemeinnützig spendet, wird groß ziales Engagement dazu beiträgt, bes- amerikanische Support System in aufrufen, nicht weiter an sie zu spen- – wie etwa in Deutschland die Ge- gefeiert und jene, die es nicht tun, ser zu verstehen, was die Menschen diesem Bereich nur zu einem klei- den, da sie aufgrund der enormen meinnützige Hertie Stiftung – be- werden öffentlich an den Pranger denken“ – so formuliert Deutsche- nen Teil auf Sponsoring auf. Viel Solidarität und der unerwarteten, deutet, dass die nicht ausbezahlten gestellt. Bank-Vorstand Tessen von Heyde- wichtiger ist dort das Mäzenaten- exorbitanten Geldflüsse Gefahr lie- Steuern über die Spenden der Stif- Bleibt die alte Angst vor dem Ein- breck die Motivation hinter diesem tum, also die Spende ohne direkte fen, ihren Non-Profit-Status zu ver- tung wieder der Öffentlichkeit zu- fluss der Sponsoren und privaten weitreichenden Engagement. Gegenleistung. lieren. kommen. Die Entscheidung über die Geldgeber auf die Kunst, die Furcht Als Kulturschaffender muß ich Im Land der niedrigen Ertrags- In den USA gibt es bereits eine Förderung von Projekten liegt nicht vor dem stromlinienförmigen Zu- hier auch ganz deutlich sagen, dass steuern gilt das Spenden in der wohl- neue Gruppe von Mäzenaten, mehr in der kommunalen Struktur, rechtstutzen der Inhalte angesichts es oft die Gespräche mit Persönlich- habenden Gesellschaft als erste Bür- durchwegs hocherfolgreiche Perso- bei den Bürgermeistern, Kämmerern eines auf Konsens und heile Welt keiten aus der Wirtschaft sind, Ge- gerpflicht. Bill Gates hat in den ver- nen aus den neuen Wirtschaftsfel- oder Kulturdezernenten, sondern ausgerichteten Unternehmens- spräche die sich beileibe nicht per- gangenen fünf Jahren 19,2 Milliarden dern der IT-Branche, die sich von innerhalb der Unternehmensstruk- images. Doch die Realität sieht manent um Kunst und Sponsoring Euro – die Hälfte seines derzeitigen den klassischen, im Hintergrund tur bei den Stiftungsvorständen. In anders aus. Die Vielfalt der Unter- drehen, die oft ungemein inspirie- Vermögens – für wohltätige Zwecke agierenden Stiftern unterscheiden. diesem Sinne sind Stiftungsmittel nehmen bietet einerseits eine Viel- rend für die eigene Arbeit sind. Wir gespendet. Diese Summe scheint Diese neuen Unterstützer verlangen Steuergelder, die nicht an den Staat falt der Möglichkeiten und Image dürfen nicht vergessen, dass Kunst enorm, aber Fakt ist, dass jemand Transparenz, Effizienz und insbe- ausbezahlt wurden. Folgerichtig Identities – was nicht zum Bankkon- immer auch eine Reflexion von ge- wie Bill Gates – oder Ted Turner, sondere Ergebnisse. Das Geld muss stellt etwa auch Michael Endres, zern passt, ist dann eben etwas für sellschaftlichen Zusammenhängen George Soros, Eli Broad u. a. – gesell- Wirkung zeigen und messbare Resul- ehem. Vorstandsmitglied der Deut- den anarchischen Energy-Drink- darstellt und das gerade auch in ei- schaftlich überhaupt nicht überle- tate hervorrufen. Die Institutionen schen Bank und Vorsitzender der Ge- Produzenten. Den größten Einfluss ner marktwirtschaftlich orientierten ben könnten, wenn sie nicht einen müssen eine Mission definieren und meinnützigen Hertie Stiftung fest: auf das Programm, auf die Inhalte Weltordnung es die Manager und Teil an die Gesellschaft zurückgeben diese auch in absehbarer Zeit errei- „Eine Stiftung arbeitet nur dann hätten die Sponsoren, wenn es sie Unternehmer sind, die Seismogra- würden. „Do not ask what your coun- chen können. Es ist das klassische wirklich gut, wenn sie mit dem Geld nicht gäbe – dann nämlich wären phen für weitreichende Entwicklun- try can do for you but what you can short and mid range planning, das besser umgeht als die öffentliche Projekte überhaupt nicht realisier- gen sein können. do for your country“ gilt eben auch die Wirtschaft jetzt auch dem Kultur- Hand.“ bar. Haben wir also bald amerikani- im Bereich des wohltätigen Spen- bereich abverlangt. Die mäzenatische Tätigkeit wird sche Verhältnisse im Kulturbereich, dens. Mit der Folge natürlich, dass Professionalisierung ist jedoch in Zukunft öffentlicher werden und Der Verfasser ist Direktor wie so oft zu lesen ist und mittler- eine Unzahl von Institutionen unter- auch auf Seiten des Sponsors oder das Sponsoring zielgerichteter. der Schirn Kunsthalle Frankfurt Marketing nicht länger als Feind sehen Von Dettloff Schwerdtfeger

Ist die Musik Dienerin des Textes, des Bühnenvereins zeigt darüber hi- es dem Theatermanagement kaum ge: Welche sind mögliche Ansprüche Gestaltungsmittel prägen oder darf umgekehrt der Text und naus regelmäßig, dass Zauberflöte, möglich, den eigenen Markt durch oder – nach Prof. Dr. U. Koppelmann, die Marke seine Verständlichkeit der Musik ge- Hänsel und Gretel oder Carmen markenpolitisch differenzierte An- Inhaber des Lehrstuhls für Allgemei- opfert werden? Am Ende ihrer ers- immer gehen. Wie sollte es aber gebote zu segmentieren. ne Betriebswirtschaftslehre, Beschaf- Um den unterschiedlichen Ansprü- ten Blütezeit und zu Beginn des 18. möglich sein, diese „Steuerung auf Hier setzt nun die „Markenpolitik für fung und Produktpolitik an der Uni- chen zu begegnen, werden ergän- Jahrhunderts war das u.a. eine exis- Sicht“ durch ein strategisch ausge- Theater“ an: Ihr Ziel ist es, neue, zu- versität zu Köln – „nahe der Verhal- zend dazu Gestaltungsmittel des tenzielle /rage der Gattungsge- richtetes programmatisches und sätzliche Entscheidungs- und Ma- tensoberfläche liegende leistungsge- Theaters identifiziert. Diese umfas- schichte im Musiktheater. Erst in produktpolitisches Konzept zu er- nagementoptionen bereitzustellen richtete Wünsche“ des Publikums? sen traditionelle Aspekte der Thea- der Reformoper Orpheus und Euri- gänzen? Wie kann die wahrgenom- und damit den Handlungsspielraum Diese gehen jedenfalls über rein in- terarbeit und beziehen sich auf Spar- dike finden Gluck und sein Libret- mene Unsicherheit des Theaterbe- zu erweitern. Die Markenpolitik ver- haltliche Aspekte des Theaterange- ten-, Programm-, Inszenierungs- tist Calzabigi schließlich zu einer ex- suchers hinsichtlich Interpretation, folgt dabei natürlich auch das Ziel, botes hinaus (siehe Kasten). und Besetzungsentscheidungen. emplarischen Antwort, die die Gat- Regie, Inszenierung und Ausstattung durch einen guten Auftritt am Markt Der Gestaltungsspielraum speist tung vorerst wieder möglich ge- reduziert werden? Wie kommt der mit hochwertigen Kulturangeboten Wünsche des Publikums sich damit aus künstlerischen Opti- macht hat. Intellektuelle und Avantgardist die Legitimation für öffentliche Förde- onen, die mindestens implizit natür- ebenso wie der Hedonist im Theater rungen zurück zu gewinnen, die in den · intellektuelle Ansprüche: richten lich schon immer eine Rolle spielen. eute – in einem Zeitalter einzig- regelmäßig auf seine Kosten? vergangenen Jahrzehnten – oft durch sich auf die dargebotenen Theater- Markenpolitik bedeutet lediglich die H artiger kultureller Vielfalt und Besucherschwund – manchenorts inhalte selbst. Fokussierung solcher Entscheidun- Freiheit – wird u.a. darüber disku- Was heißt Markenpolitik verloren gegangen scheint. · gesellschaftliche Ansprüche: um- gen auf strategische Ziele. Die Thea- tiert, ob künstlerische oder wirt- für Theater? fassen auch das Publikum als Teil terwissenschaft hat als System einen schaftliche Belange die Entschei- Die Ansprüche der Kunden der aufgeführten Leistung. „theatralischen Code“ erkannt (vgl. dungen von Theaterleitungen be- Der scheinbar größte Widerspruch sind entscheidend · emotionale Ansprüche: lassen sich E. Fischer-Lichte, Semiotik des The- stimmen. Auch diese Frage bedroht zwischen der Konzeption einer Mar- angesichts von Werken wie „Romeo aters). Dieser ermöglicht eine Diffe- die Existenz des Theaters: Willkür ke und der eines Theater-Spielplans Wenn es um Marketing geht, geht es und Julia“, „Fidelio“ oder „Schwa- renzierung der möglichen Gestal- droht Kunst dort zu ersetzen, wo die liegt in der Konstanz und Kontinui- immer um Bedürfnisse des Marktes. nensee“ kaum verleugnen. tungsmittel einer Theaterproduktion. Freiheit immer weniger durch Ur- tät, die bei täglich wechselnden Pro- Im Kulturbereich muss angenommen · Erlebnis-Ansprüche: sind ganzheit- Es empfiehlt sich, zur Gestaltung von teilskraft und Geschmack von Exper- gramminhalten im Repertoirebe- werden, dass „der Markt“ zunächst lich ausgerichtet und werden un- wahrnehmungsidentischen Theater- ten gezügelt wird; Einfältigkeit und trieb des Theaters ja kaum zu reali- den Teil der Gesellschaft darstellt, der terschiedlich verstanden. produkten die Gestaltungsmittel Einfallslosigkeit drohen Kunst dort sieren sind. Daraus resultiert, dass Theater will. Woher rühren sonst die · Bewertungs-Ansprüche: richten nach Kundenansprüchen zu grup- zu ersticken, wo Urteilskraft und Ge- sich das Markenverständnis im Kul- starken bürgerschaftlichen Initiati- sich auf eine bewusste und kritische pieren. Unterschiedliche Insze- schmack sich im Markt einem mas- turbereich fast ausschließlich auf ven, die bis heute die Dichte der Kul- Wahrnehmung des Erlebnisses. nierungskonzepte – vom traditionel- senhaften Durchschnitt annähern. Institutionen (z.B. „Lindenoper Ber- turlandschaft ausmachen? Diskussi- · Wirkungs-Ansprüche: betreffen len Illusionstheater bis zur moder- Es ist also dem künstlerischen lin“) oder Personen (aktuell z.B. onen über den Niveauverfall im Zu- den Einfluss, den der Theaterbe- ebenso wie dem haushalterischen „Christoph Schlingensief“ in Bay- sammenhang mit Marketing erübri- such auf das Verhalten oder Den- Exzess vorzubeugen, damit Kunst reuth) bezieht. Aus dieser Warte ist gen sich somit. Also stellt sich die Fra- ken jedes Einzelnen nimmt. Weiter auf Seite 10 am freiheitlichen Klima gedeiht. Geht das, indem beide Paradigmen dichotomisch als unvereinbare Füh- Monomarke rungssysteme einander entgegenge- /amilienmarke stellt werden? Ist nicht vielmehr eine /irmenmarke Versöhnung beider anzustreben? Produktmarke Personenmarke Diese Frage steht am Anfang einer Auseinandersetzung mit einem mar- kenpolitischen Konzept für Theater Programmebene ABONNEMENTS · Urheber-/ – und sie kann mit „Ja!“ beantwortet · Vollsparten- · intellektuell Autorenmarke werden, wenn man „Marketing“ theatermarke ...... richtig versteht. Zu einem richtigen ...... · Sparten- · emotional Verständnis von Marketing gehört Produktionsebene · Regiemarke dabei vor allem, dass die Produktpo- theatermarke · erlebnisorientiert litik vor dem Hintergrund der bishe- · bewertungs- rigen Überlegungen nicht weiter als orientiert „Feind der künstlerischen Freiheit“ · wirkungsorientiert tabuisiert wird. Das produktpolitische Markenkon- zept für Theater stellt einen Versuch dar, markt- und publikumsbezogene Entscheidungen in den künstleri- ...... schen Entscheidungsprozess zu in- Aufführungsebene · Spielstättenmarke · gesellschaftlich · Einzelproduktion · Ensemblemarke tegrieren. Die künstlerisch Verant- mit bestimmter wortlichen haben in der Regel ein · Solistenmarke gutes Gespür für die Publikumswirk- Aufenthaltsqualität samkeit der geplanten Werke und Inszenierungen. Die Werkstatistik KULTURINANZIERUNG politik und kultur • März – April 2005 • Seite 10

Markenstrategien für Theater: Vor Zu abstrakt? Vielleicht hilft am gie“ in einer Weise kombiniert wur- steht durch Prägnanz, Wiederer- Fortsetzung von Seite 9 allem die Abonnements werden Schluss ein Beispiel: Überregionale den, die neben intellektuellen auch kennbarkeit und Identifikation mit nach dieser Systematik zum pro- Aufmerksamkeit hat die Produktion gesellschaftliche und emotionale dem Produkt. Schließlich braucht Marketing nicht länger duktpolitischen Instrument des stra- Leonce und Lena vom Berliner En- Besucheransprüche angesprochen die so entwickelte Abo-Reihe nur als /eind sehen tegischen Theatermarketings. Durch semble (Premiere: 1. Mai 2003) er- haben. Dies ist eine genuin künst- noch einen wirksamen Markenna- Erarbeitung konkreter Produkthand- langt. Was kann man hier marken- lerische Entscheidung gewesen. Ein men, aber bitte nicht „Abo-Zyklus nen interpretierenden Inszenierung bücher wird es möglich, Abonne- politisch lernen? Mit der Regie von markenpolitischer Ansatz wäre, die B2“! – werden anspruchsgerecht zu Pro- ments als markenpolitisch profilier- Robert Wilson, dem renommierten produktpolitische Prägnanz dieser duktbündeln zusammengefasst. te Angebote zu entwickeln. Drama- Berliner Ensemble, einem bekann- Produktion in einer Produktionsrei- Der Verfasser ist Kulturmanager turgie und künstlerisches Betriebs- ten Werk des Repertoires und der he weiterzuentwickeln und so den und als Berater für die Firma ICG Ableitung von Marken- büro setzen dabei nach wie vor alle Bühnenmusik von Herbert Gröne- einmaligen Erfolg regelmäßig zu Culturplan tätig. Sein Beitrag strategien für das Theater wesentlichen Impulse im inhaltli- meyer wurde eine prägnante Ge- wiederholen. Die Markenleistung bezieht sich auf seine gleichnamige chen Bereich. Die zielgruppenge- staltungsmittelkombination aus- ist die prägnante Gestaltungsmittel- Dissertation, die bei der Förderge- Vor dem geschilderten Hintergrund rechte Positionierung der Abonne- probiert und gefunden. Allgemein kombination, die Programminhalte sellschaft Produkt-Marketing lassen sich hergebrachte Markenbe- ments wird jedoch vom Produkt- kann man sagen, dass die Gestal- sind – ganz im Sinne des Repertoire- erhältlich ist. griffe in ein System überführen. Es und Markenmanagement gesteuert tungsmittel „Werkauswahl“, „Büh- betriebs – auch weiterhin aus- resultieren zahlreiche verschiedene und überwacht. nenmusik“, „Besetzung“ und „Re- tauschbar, die Markenwirkung ent- Vom kulturellen Kick der Promiskuität Martin Heller über böse Eventkultur und rückwärtsgewandte Kulturpolitik

Zwischen 1986 und 1999 war Mar- beit, die als Programm gelesen wer- finden, was zwischen Kunst und nern haben wir die Initiative ergrif- auf sehr hohem Ausstattungsniveau. tin Heller erst Kurator und dann Di- den kann. Im Sinne einer künstleri- Wirtschaft alles möglich ist. Zugleich fen für ein gemeinsames Kulturpro- In Deutschland besteht Kulturpoli- rektor des Museums für Gestaltung schen Strategie. Solche Projekte gibt ist wichtig, angesichts der Ökonomi- gramm in der Schweiz und Öster- tik momentan aus drastischen Anti- Zürich, ab 1997 zudem Direktor des es nicht sehr häufig. Beispiele dafür sierungszwänge bewusst zurückzu- reich. Nicht als Beigemüse zur Euro thesen und Polarisierungen vom Ty- Museums Bellerive Zürich. Dann sind meine Intendanz in Bremen gehen auf das, was Kultur im Wesen 2008, sondern um eine Plattform zu pus: Schließe ich eher einen Kinder- übernahm er für vier Jahre die künst- oder meine frühere Tätigkeit als Di- ausmacht. Deswegen war die Erfin- nutzen, die vom Fussball her bereits garten, oder eine Theatersparte? Ge- lerische Direktion der Expo.02, der rektor des Museums für Gestaltung dung unserer Formel „Brutstätten gezimmert ist, inklusive Publikum nau darum erscheint mir die Kultur- Schweizer Landesausstellung 2002. Zürich. Auch bei der Expo.02, der und Besessene“ in Bremen so wich- und Kameras. hauptstadt-Bewerbung als politi- Mit seinen Ansichten über Kunst, Schweizer Landesausstellung, konn- tig – Brutstätten als Orte, in denen puk: Gibt es dann noch so etwas wie sches Projekt so interessant, und da- Kulturpolitik und Städteplanung te ich über die konkrete Autorenar- an dem künstlerische Prozesse ent- eine Nachhaltigkeit? rum plädiere ich dafür, die Erfahrun- provoziert Heller gerne gestandene beit hinaus deutlich machen, wie ich stehen, und Besessene als jene un- Heller: Die Nachhaltigkeit der Schwei- gen daraus in Umlauf zu bringen. Kulturpolitiker. Er kann sich das leis- die Rolle der Kultur in ihrem Bezie- verzichtbaren Kulturschaffenden, zer Expo.02 etwa liegt nicht in den Wie fühlt es sich in den jeweiligen ten, denn er ist erfolgreich. Erfolg- hungsfeld zu Politik und Wirtschaft die ihre Vision über alles stellen. Die Gebäuden. Die sind abgebaut. Die Kommunen an, wenn man in Zeiten reich aber ist er, weil er es hervor- zu bestimmen suche. Kulturpolitik und damit auch die Nachhaltigkeit liegt in der Erinne- brutalen Mangels ein kulturelles ragend versteht, zu überzeugen. puk: Kann man die Expo.02 und die Kultur hat sich neuen Begründungen rung, in den Bildern; im Gefühl des Großprojekt durchsetzen will? Alle Bremer Kulturhauptstadtbewerbung zu stellen, muss sie auch selbst mit- Publikums, des Kollektivs. Da gab es haben wir schließlich die Erfahrung ber seine Firma Heller Enterpri- vergleichen? tragen und begleiten. Dazu zählen Dinge, die man nie vergessen wird: gemacht, dass jede Forderung, Kul- Ü ses – derzeit fünf Mitarbeit- Heller: Bremen und die Schweizer durchaus neue Nutzenvorstellun- die Wolke über dem Neuenburgersee tur finanziell bevorzugt zu behan- innen und Mitarbeiter – ist der Kul- Landesausstellung haben nicht viel gen: etwa Kultur als Standortfaktor zum Beispiel, oder der schwimmen- deln, spezifische Begründungen ver- turunternehmer, Autor und Ausstel- gemeinsam. Strukturell allerdings oder als Entwicklungsfaktor. Aber: de Würfel von Jean Nouvel. Dinge, langt. Diese Begründungen wieder- lungsmacher mit Projekten insbeson- schon; beide sind wesentlich be- Man sollte als Gegengift immer auf die mittlerweile verschwunden sind, um müssen auf strategische Ziele dere in Deutschland, Österreich und stimmt von einer Großwetterlage: der den Kern zurückkommen. Kultur aber gerade deshalb umso prägen- abgestützt sein, die man erst einmal der Schweiz aktiv. Darunter fallen die zunehmenden Ökonomisierung von kann nur entstehen, wenn es diese der. formulieren muss. Das ist Kulturpo- künstlerische Leitung der Bewerbung Kultur. Ich stelle gerade in Deutsch- Besessenen gibt. Sie sind diejenigen, puk: Und bei Ihnen, als Macher? litik am Beispiel von Kulturhaupt- Bremens als Kulturhauptstadt Euro- land immer wieder fest, dass diesbe- die Kunst und Kultur möglich ma- Heller: Es hat sich durch die Expo.02 stadt-Bewerbungen und davon lässt pas 2010, die Steuerung der Tiroler züglich große Ängste vorhanden sind. chen. Dazu brauchen sie keine Für- innerhalb einer überaus breiten Kul- sich einiges übersetzen in den kul- Landesausstellung 2005 („Die Zu- Zu Unrecht, wie ich meine – man sorge – Paternalismus ist mir fremd. turszene ein neues Netzwerk erge- turpolitischen Alltag von Nichtbe- kunft der Natur“) oder eine Machbar- muss den Tatsachen ins Auge schau- Aber sie brauchen Wertschätzung ben. Dazu ein Bewusstseinsprung: Es werber-Städten. keitsstudie zur Entwicklung des Ka- en. In den letzten zehn, fünfzehn Jah- und Achtung, und bestimmte Wir- wurde klar, dass unser Weg der Sinn puk: Was ist den Bürgern ihre Kultur sernenareals in der Zürcher City. po- ren ist die Ökonomisierung von Le- kungsbedingungen. Wenn Kommu- macht. Derzeit plane ich mit IBM wert? litik und kultur unterhielt sich mit bensbereichen wie Bildung, Gesund- nen ihren Kulturbereich stärken wol- Schweiz – dem CEO bin ich seit der Heller: In der Regel sind die Verga- Heller über Kulturpolitik und die heitswesen rapide voran geschritten. len, müssen erst einmal diese Stät- Landesausstellung in grosser Sympa- bekriterien von privater Seite natür- Ökonomisierung der Kultur. Die Frage des Nutzens wird heute ten definiert und gefördert werden. thie verbunden – eine Ausstellung lich immer auf dieselben Institutio- überall gestellt, ob wir das wahrha- puk: Sie sagten „Keine Angst vor der über Manager, als soziale Klasse. Das nen gerichtet. Also gilt es, gerade bei puk: Wo sehen Sie das Schwerge- ben wollen oder nicht. Ökonomisierung von Kultur“. Sehen ist unendlich spannender als in ei- privaten Sponsoren die Lust zu we- wicht Ihrer Arbeit? puk: Und Sie kennen die Antworten? Sie keinen Widerspruch in der För- nem Museum zu sitzen und sich vor- cken, etwas für das Experimentelle Martin Heller: Mich interessiert je Heller: Aus meinem Expo-Abenteu- derung von Event und Kultur? zunehmen, wir könnten mal was über zu tun. Man muss den Leute zeigen, länger je weniger die Tagesaktualität er habe ich eine grosse Lust und Heller: Das muss ich verdeutlichen. Manager machen. Alle Formen von dass es sich lohnt, ins Offene zu ge- als vielmehr jene Entwicklungsar- Neugier mitgenommen, herauszu- Bei der Ökonomisierung der Kunst Promiskuität, die sich durch die Ge- hen. Bei der Bremer Kulturhaupt- muss man sehr genau, sehr kritisch gebenheiten des aktuellen Lebens stadt-Bewerbung beispielsweise hinschauen. Aber ich habe keine ergeben, finde ich enorm interessant. wollte ich nicht auf – in meinen Au- Angst vor diesen Rahmenbedingun- puk: Sind in der Schweiz die Berüh- gen – vordergründige Bürgerpartizi- gen. Der Megatrend Ökonomisierung rungsängste zwischen Wirtschaft pation in Form irgendwelcher Ideen- ist gegeben. Da wird keiner gefragt. und Kultur nicht so stark wie in wettbewerbe setzen. Deshalb haben Die schwindenden Budgets sind ge- Deutschland? wir erst zu einem späteren Zeitpunkt geben. Und es ist gegeben, dass wir Heller: Die Unterschiede sind nicht das Bremer Weltspiel entwickelt. Es uns ein kulturelles System aufgebaut sehr gross. Ich sprach mehrfach mit ist eine Einladung insbesondere haben, das nicht mehr so einfach fi- Martin Roth, dem einstigen Verant- auch an nichtprofessionelle Kultur- nanzierbar ist. Dieses System ist wortlichen für die Themenausstel- akteure, Ideentransfer zu betreiben, mittlerweile ein Amalgam unter- lungen der Expo Hannover, über sol- über Deutschland hinaus. All das ist schiedlichster Interessen und Forma- che Fragen. Wir beide konstatierten privat finanziert. Daher bietet das te. Viele scheinbare Widersprüche große Aufmerksamkeit seitens der Weltspiel die Möglichkeit, über An- sind darin faktisch aufgehoben. Was Wirtschaft. Denn Kultur kann etwas träge schnell und unbürokratisch zu ist das Kulturhauptstadt-Projekt an- bringen, was „die“ Wirtschaft nie entscheiden. Die Hälfte des Geldes deres als ein Event? Was ist eine Lan- und nimmer zu leisten imstande ist: stammt von unseren Partnerfirmen; desausstellung anderes als ein Event? Content zumal, aber auch Emotio- es gibt aber auch einen Mäzen, der Ich wehre mich gegen althergebrach- nen, Widerständigkeit und Beharr- mir innerhalb einer halben Stunde te Kulturpolitiker, die reflexhaft über lichkeit. Vor diesem Hintergrund un- 300.000 Euro zusicherte, auf einein- die böse Eventkultur schimpfen. Man terscheide ich klar zwischen zwei As- halb Jahre hin. Mein Respekt für sol- kann zu Recht manches gegen einen pektierungen der Ökonomisierung. che Menschen ist riesig. Denn überhitzten Kulturbetrieb einwen- Auf der einen Seite geht es um die schlussendlich ist das eine Frage von den. Den finde ich aber nicht nur im Frage nach effizientem Management Vertrauen, die wichtigste Kategorie Eventbereich, sondern auch in der von Kulturereignissen, und auf der in diesem Spiel. Der Mäzen gibt das Giesskannen-Förderung. anderen um Sponsoring, und um die Geld ja nicht der Stadt Bremen, nicht puk: Ist die heutige Kulturpolitik eine Finanzierung von Kunst und Kultur. einmal der Kulturhauptstadt-Bewer- rückwärtsgewandte? Das darf man nicht durcheinander- bung. Er gibt das Geld eigentlich mir Heller: Vor zehn Jahren hätte ich bringen. Allein schon deshalb, um als eine Art kultureller Treuhänder, auch noch gedacht: Event, Jubiläen... nicht der ebenso saloppen wie fal- weil er mein Engagement für diese wie langweilig. Heute denke ich: Je- schen Formel Vorschub zu leisten, Stadt schätzt, und mir vertraut. An des banale Jubiläum ist eine Chan- auch Kultur müsse sich immer rech- diesem Punkt bin ich zutiefst be- ce. Und zwar deshalb, weil wir uns nen. Kultur rechnet sich sehr wohl, rührt, weil sich völlig neue Perspek- im normalen kulturellen Alltag aber anders. tiven eröffnen. Interessenvertreter schwer tun, etwas Außerordentli- puk: Welche Zukunft geben Sie der von Einrichtungen können da nicht ches zu bewegen. Das Interessante Kulturpolitik? mehr mithalten. Vertrauen dieser Art an Events ist deshalb, dass man sie Heller: Hier sehe ich große Unter- setzt entweder, wie in Bremen, eine als Hebel benutzen, an sie andocken schiede zwischen der Schweiz und unabhängige Intendanz voraus, oder, kann. Als Beispiel mag die Fussball- Deutschland. Zum einen, weil die wie in Zürich, die Freiheit eines Kul- Europameisterschaft 2008 in Öster- materiellen Gegebenheiten in turunternehmers. reich und der Schweiz dienen. Mit Deutschland um einiges schlechter Erfolgreicher Querdenker: Martin Heller Foto: Marc Wetli Zürich Heller Enterprises und einigen Part- sind. In der Schweiz jammern alle Das Interview führte Andreas Kolb WERT DER KREATIVITÄT politik und kultur • März – April 2005 • Seite 11

„Nie wieder CDs kaufen“ Das Problem, wenn die Privatkopie zur primären Nutzungsform wird • Von Thorsten Braun

Das Aufzeichnen von Musik aus In- ternetradio-Programmen ist sogar noch einfacher. Denn die „Schnitt- listen“ werden ohne weiteres Zutun der Nutzer aus den von den Interne- tradios automatisch mitgelieferten Song-Informationen (sog. „ID3- Tags“) erstellt (siehe Abb. 2 rechts). Als Basis für die Software, die Inter- netradio aufzeichnet (z.B. Stream- Schaut man heute in die einschlä- ripper, Stationripper), dient die gigen Computerzeitschriften oder Shoutcast-Technologie. Shoutcast Internet-,oren, so wimmelt es von bietet sehr bequeme Möglichkeiten Schlagzeilen wie „Geschickter als zum Auffinden gewünschter Songs kaufen“, „Musik kostenlos und völ- (siehe Abb. 3 unten). lig legal“, „Hits for free“. Wer heute Die Gefahren einer solchen Soft- noch Musikprodukte kauft, seien es ware liegen auf der Hand, gerade CDs oder Musik-Downloads, scheint auch im Zusammenspiel mit neuen nicht mehr „up-to-date“ zu sein. Formen von „Internetradio“. Reine Verwundert reibt man sich die Au- Musikkanäle, in denen nur ein eng gen: Kann das denn wirklich stim- abgegrenztes Repertoire einer be- men? Die Antwort ist: leider ja. stimmten Musikrichtung übertragen wird (z.B. „Pop International der chon seit geraumer Zeit ist die 80er“, „Der Beatles-Kanal“), können SFeststellung berechtigt, dass bereits ohne weiteres den Musikbe- zwar immer mehr Musik genutzt, darf eines Verbrauchers vollständig aber immer seltener dafür bezahlt befriedigen. Doch das Internet bietet wird. Die Schere zwischen kopierter noch viel mehr Möglichkeiten, ein und verkaufter Musik geht immer Programm sogar individuell auf den weiter auseinander. Das Urheber- Musikgeschmack und die Wünsche rechtsgesetz leistet dieser Entwick- jedes einzelnen Hörers zuzuschnei- lung weiter Vorschub. Denn die le- den. Funktionen, mit denen Titel bei gale „Privatkopie“ eröffnet vielfälti- Nichtgefallen übersprungen werden ge Möglichkeiten, den Musikbedarf können, sind erst der Anfang. Durch zu befriedigen, ohne dafür bezahlen weitere Einflussmöglichkeiten („Ne- Abb. 1: Funktionsweise der Software zu müssen. Und diese Möglichkeiten ver-Play-It-Again“; Angabe von Lieb- werden massenhaft genutzt. Die Pri- lingskünstlern und/oder -titeln) ist es vatkopie ist schon lange keine Aus- möglich, jedem Hörer ein individuell nahme mehr, sondern die Regel. Was für ihn konzipiertes Programm zu mit dem Kopieren auf Audio-Leer- übertragen. Mit einem redaktionell cassetten begann, ging über das gestalteten Vollprogramm, das für alle „Brennen“ von CDs sowie dem Her- Hörer gleich und in dem Musik nur unterladen von Musik auf die Fest- ein Bestandteil von mehreren ist, ha- platte und ist heute beim automati- ben diese Formen des „Internetra- sierten Aufnehmen von Musik aus dios“ nichts zu tun. Internetradio- und Rundfunkpro- Wenn dann noch Software-Ange- grammen angekommen. bote hinzutreten, die die einzelnen Programmbestandteile gezielt auf- Die „intelligente“ nehmen, bedeutet dies eine über- Aufnahmesoftware mächtige Konkurrenz zu kommerziel- len Download-Angeboten für Musik. Neue Aufnahmesoftware (z.B. Tobit Wie gesagt, das Urheberrechts- ClipInc., Air2MP3, AudioJack, Stati- gesetz setzt derzeit dieser Entwick- onripper, Streamripper) vereinfacht lung nichts entgegen. Und wenn es das gezielte Aufnehmen einzelner nach dem Referentenentwurf für das Abb. 2: Von den Internetradios automatisch mitgeliefert: Die Song-Informationen ( ID3-Tags) Musikaufnahmen aus Rundfunk- Zweite Gesetz zur Regelung des Ur- und Internetradio-Programmen. Wo heberrechts in der Informationsge- verhindern, die allein dem Ziel die- gen, ein Ausschließlichkeitsrecht Es bleibt viel zu tun man früher vor dem Radio saß, um mit sellschaft geht, wird sich daran auch nen, die kostenlose Musikversor- gewährt werden. Die Gewährung ei- seinem Cassetten-Recorder mit Start- in Zukunft nichts ändern. Zwar hat gung aus Rundfunk- und Internetra- nes bloßen Vergütungsanspruchs an Es ist zu befürchten, dass auch der und Pause-Taste einzelne Songs auf- das Bundesjustizministerium die dio-Angeboten zu ermöglichen. Sol- Stelle eines Ausschließlichkeits- „zweite Korb“ des Urheberrechts in zunehmen, zeichnet man heute be- Gefahren durch neue Aufnahme- che Aufnahme-Tools sollten aus- rechts ist nur dort hinnehmbar, wo der Informationsgesellschaft wieder quem Musikprogramme auf, die au- technologien durchaus gesehen. drücklich verboten werden. Musik in einem redaktionell gestal- den technologischen Entwicklungen tomatisiert in die einzelnen Songs un- Aber, gehandelt hat es nicht. § 53 Abs. Schließlich sollte auch die Zulässig- teten Programm ohne interaktive hinterherhinken wird. Von einem „Ur- terteilt und separiert mit allen Infor- 1 UrhG soll auch weiterhin in sich wi- keit des Herstellenlassens von Kopi- Elemente (also ohne direkte Mög- heberrecht für das neue Jahrtausend“, mationen zu Künstler und Titel auf der dersprüchlich, missbrauchsanfällig en durch Dritte aufgrund der eviden- lichkeit der Einflussnahme für den das von der Tonträgerwirtschaft drin- Festplatte des PCs abgelegt werden. und viel zu weit gefasst bleiben. Die ten Missbrauchsmöglichkeiten ent- Hörer) gesendet wird. Der Gesetz- gend benötigt wird, kann derzeit Von dort können sie beliebig weiter- Schranke der Privatkopie wird nicht fallen. entwurf äußert sich hierzu gar nicht. jedenfalls noch keine Rede sein. verarbeitet, beispielsweise auf CD- auf einen Anwendungsbereich be- Darüber hinaus sollte ausüben- Ein weiteres Gebiet, wo er auf tech- Rohling gebrannt werden. Der Auf- grenzt, der allenfalls noch gerechtfer- den Künstlern und Tonträgerher- nologische Entwicklungen nicht re- Der Verfasser ist Syndikus der nahmevorgang wird durch umfangrei- tigt ist. Die Bundestagsabgeordneten stellern hinsichtlich der Übertra- agiert, obwohl die Gefahren für die Deutschen Landesgruppe der IFPI che Servicefunktionen automatisiert, sind aufgefordert, dies zu hinterfragen gungsformate, die jenseits der her- Rechteinhaber bereits klar auf der e.V. (International Federation of the wobei auch das gezielte Aufnehmen und doch noch Änderungen an dem kömmlichen Rundfunksendung lie- Hand liegen. Phonographic Industry), Berlin vorbestimmter Musikaufnahmen Gesetzentwurf vorzunehmen. möglich ist, ohne dass der Nutzer das übertragene Gesamtprogramm anhö- Was ist zu tun? ren muss. Wenn schon an der Schranke der Pri- Funktionsweisen vatkopie festgehalten werden soll, so der Software muss sie zumindest auf wenige, eng umgrenzte Ausnahmefälle begrenzt Als Quellen für die Musikaufnahmen werden, in denen die Herstellung ei- dienen sowohl herkömmliche Rund- nes Vervielfältigungsstücks (gegen funksendungen als auch Internetra- pauschale Vergütung) überhaupt dio-Programme. Werden Musiksen- noch gerechtfertigt ist. Die berechtig- dungen aus dem Hörfunk oder ten Ausnahmen könnten hinsichtlich Fernsehen aufgenommen, werden der Überspielung von Ton-/Bildträ- zur Aufteilung des Programms in die gern die Sicherungskopie vom eige- einzelnen Musiktitel sog. Schnittlis- nen Original und hinsichtlich des ten („Cut-Lists“) benötigt, die die Aufnehmens von Rundfunksendun- Anbieter der Software liefern oder gen („off-the-air-copying“) das sog. andere Nutzer derselben Software „time-shifting“ sein, also das Auf- zur Verfügung stellen. Hier eröffnen zeichnen einer Rundfunksendung, sich für die Anbieter weitere Ge- um diese zu einem späteren Zeit- schäftsmodelle. So ist bereits ange- punkt anhören bzw. ansehen zu kön- kündigt worden, die Schnittlisten nen. Letzteres entspricht beispiels- kostenpflichtig anzubieten. weise der „fair use“-Doktrin des US- Die Funktionsweise der Softwa- amerikanischen Rechts und ist not- re lässt sich schematisch wie in Abb. wendig, um die dargestellten „intel- Abb. 3: Suche nach Song oder Künstler, liefert alle Radio-Streams, in denen der Song oder Künstler gerade läuft. Verfügt 1 (siehe rechts) darstellen: ligenten“ Aufnahmetechnologien zu über 6.400 (!) Radiostationen WERT DER KREATIVITÄT politik und kultur • März – April 2005 • Seite 12

Harsche Kritik am Referentenentwurf zu Korb II Von Gabriele Schulz

dert, ein Tarifverhandlungsverfah- um deren gerechten Anteil an der ren zwischen den Verwertungsge- Wertschöpfungskette. Urheber- sellschaften und der Geräteindustrie rechtliche Vergütungen sind keine geplant, welches die Gefahr der Almosen und auch kein Handels- Rechtsunsicherheit und vor allem hemmnis, sondern eine Entlohnung lange Verhandlungen mit großen der Urheber. Unsicherheiten für die Unterneh- Ebenso deutlich, wenn auch in men und die Rechteinhaber in sich einer anderen Tonlage vorgetragen birgt. Bereits bei den Anhörungen zu kritisierte der Wissenschaftsverleger Korb II im vergangenen Jahr wurde Dr. Wulf D. von Lucius die im Refe- Bis zum November 2004 erbat das letztere Neuregelung sowohl von rentenentwurf vorgeschlagene Neu- Bundesministerium der Justiz Stel- den Vertretern der Rechteinhaber als regelung der Pauschalvergütung. lungnahmen und Meinungen zum auch der Geräteindustrie abgelehnt. Wulf von Lucius unterstrich in sei- Referentenentwurf für den so ge- Dennoch scheint das Bundesminis- nen Worten die Leistungen, die Ver- nannten Korb II Urheberrecht in der terium der Justiz hieran festhalten zu lage, von ihm besonders in den Blick Informationsgesellschaft. Der Deut- wollen. gerückt Wissenschaftsverlage, für sche Kulturrat hat im November Als Geschenk brachte Bundesjus- ihre Autoren erbringen. Er verdeut- 2004 seine Stellungnahme vorge- tizministerin Zypries den ca. 120 ge- lichte, dass sich die Abgabe auf Ge- legt und verdeutlicht, dass er noch ladenen Gästen in ihrem Grußwort räte, die zur Vervielfältigung geeig- erheblichen Handlungsbedarf sieht jedoch mit, dass die Cessio legis nun net sind, auf die gesamte Lebens- (siehe hierzu auch politik und kul- doch nicht in den Korb II aufgenom- dauer eines Gerätes beziehen und tur 1/2005). Über die Stellungnah- men wird. Hiergegen haben sich die damit alle urheberrechtsrelevanten men und Positionen der so genann- Vertreter der Urheber mit Vehemenz Vergütungen abgegolten werden. ten interessierten Kreise hinaus und – wie es scheint – mit Erfolg ge- Ungeeignet erscheint aus seiner fordert das Bundesministerium der wehrt. Ansonsten ließ die Ministerin Sicht das geplante Verfahren, die Ver- Justiz auf seinen eigens eingerich- keinen Zweifel daran, dass der Ge- gütungssätze künftig in Tarifver- teten Seiten unter http://www. ko- setzesentwurf in der vorliegenden handlungen zu ermitteln. pien-brauchen-originale.de zur Dis- Fassung nach der Ressortabstim- Der promovierte Urheberrecht- kussion um diesen Korb II auf. Ein mung in das parlamentarische Ver- ler und Leiter des Ressorts Innen bei solcher Diskussionsbeitrag war das fahren eingebracht werden soll. der Süddeutschen Zeitung Dr. Heri- Symposion der VG Wort am 17. Ja- Zum Auftakt der Veranstaltung bert Prantl ließ ebenfalls an der ge- nuar dieses Jahres unter dem Titel hielt der Schriftsteller und Nobel- planten Regelung zur Pauschalver- „Ein Korb für Künstler“. preisträger Günter Grass eine beein- gütung kein gutes Haar. Scharf kriti- druckende Rede zur Stellung der Ur- sierte er, dass trotz zweier Vergü- n dieser hochkarätig besetzten heber in der Gesellschaft. Er klagte tungsberichte, in denen die Bundes- IVeranstaltung gingen die Redner über die Missachtung der Schrift- regierung die Anhebung der Vergü- mit dem Vorhaben der Justizministe- steller durch die Öffentlichkeit, tungssätze empfohlen hat, immer rin hart ins Gericht. Aus den Begrü- durch die Verlage aber auch das Re- noch nichts geschehen ist und im ßungsworten von Prof. Dr. Ferdi- gietheater. Anschaulich, und vor al- Gegenteil die nun geplanten gesetz- Redner beim Symposion der VG Wort: Günther Grass Foto: Achim von Michel nand Melichar, Geschäftsführender lem eindringlich stellte Günter Grass lichen Neuregelungen vor allem das Vorstand der VG Wort, ging sogleich klar, dass niemand anderes als die Wohl der Geräteindustrie im Blick Einzelrechte, z.B. am Drehbuch oder sen Beiträge aller Redner. Sie war hervor, welche Bedeutung die VG Urheber, die Schöpfer künstlerischer haben und nicht die gerechte Vergü- der Filmmusik an den Produzenten zugleich ein Musterbeispiel des Wort diesem Gesetzesvorhaben bei- Werke, erst jenen Grundstoff produ- tung der Urheber. Es ist davon aus- auseinander setzen. Der Drehbuch- „prodesse et delectare“, denn alle misst. Als zentralen Kritikpunkt stell- zieren, der die Wertschöpfungskette zugehen, dass die Einnahmen der autor und Produzent ließ sich von Vorträge hatten so viel Witz, im bes- te Ferdinand Melichar nochmals die Kultur in Gang setzt. Besonders hart Rechteinhaber aus der Pauschalver- der Aussage der Ministerin aber ten Sinne des Wortes, dass das Pu- geplanten Neuregelungen zur Pau- ging Grass mit jenen internationalen gütung sinken werden. Prantl be- nicht beirren und verdeutlichte in blikum gebannt auf seinen Stühlen schalvergütung heraus. Nicht nur Konzernen ins Gericht, die den nutzte hierfür den Begriff einer Ent- einer filmreifen Rede als Mann mit saß und allen Rednern aufmerksam dass statt einer Erhöhung der seit Buchmarkt dominieren und mit Au- eignung der Urheber. zwei Hüten, einem als Produzent zuhörte. Beim späteren Empfang nunmehr fast zwei Jahrzehnten fest- toren und ihren Werken wie mit ei- Professor Dr. Fred Breinersdorfer und einem als Drehbuchautor, wel- gab es ausreichend Gelegenheit zur stehenden Vergütungssätze faktisch ner Ware wie jeder anderen umge- stand vor der schwierigen Aufgabe, che Auswirkungen die Cessio legis Diskussion. Es bleibt zu hoffen, dass eine Erniedrigung droht, überdies ist hen. Die Worte von Grass veranker- eine Rede zu einem Thema zu hal- auf die Urheber gehabt hätte. die VG Wort die ausgezeichneten statt einer Festlegung per Gesetz, ten bei jedem noch einmal, worum ten, welches sich bereits erledigt hat. Die Veranstaltung der VG Wort Beiträge in einem Sammelband ver- wie zur Zeit festgelegt, oder auf dem es beim Urheberrecht geht, um den Er wollte sich mit der geplanten Ces- war nicht nur ein intellektuelles Ver- öffentlichen und so einem breiten Verordnungsweg, wie vielfach gefor- Schutz der Schöpfer kreativer Werke, sio legis, d.h. die Übertragung aller gnügen dank der klugen und konzi- Kreis zugänglich machen wird. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten Kritische Anmerkungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk • Von Heinrich Bleicher-Nagelsmann

Bereits in meinem Grußwort zur Er- de“ handelt. In Frage gestellt ist die Klangkörper und Chöre nicht ge- bundenen definitorischen Probleme Trotz des von mir eingangs ange- öffnung der Veranstaltung des Ini- doch, ob auch in Zukunft noch aus- fährdet sind, gilt dies für den Bayer- angesprochen hat. Wenn wir nicht zu sprochenen zutreffenden weiten tiativkreises öffentlich-rechtlicher reichend Finanzmittel bei ARD und ischen Rundfunk und den Südwest- einer genaueren Unterscheidung Kulturbegriffs müssen wir also für Rundfunk dürfte deutlich geworden ZDF für solche Produktionen zur rundfunk schon nicht mehr. Der Bay- zwischen Unterhaltung und Kultur eine sinnvolle und zukunftsweisen- sein, dass wir von Seiten des Deut- Verfügung stehen. Deutlich hat der erische Rundfunk hat angekündigt, im engeren Sinn kommen, wird man de Debatte des öffentlich-rechtli- schen Kulturrates (DKR) dem öffent- Bundesverband deutscher Fernseh- dass bis zum Ende der Spielzeit 2005/ keine angemessene Diskussion füh- chen Kulturauftrags um Differenzie- lich-rechtlichen Rundfunk mit sei- produzenten vor einer Gefährdung 2006 das Münchener Rundfunkor- ren und Politik entwickeln können. rung bemüht sein. In Abgrenzung zu nem Kulturauftrag einen kaum zu der Existenz mittelständischer TV- chester aufgelöst wird. Damit sollen Selbst wenn man von einem weiten anderen Programmbestandteilen, überschätzenden Stellenwert zu- Produzenten durch die Sparpolitik neun Millionen Euro pro Jahr gespart Kulturbegriff ausgeht, muss dieser z.B. Unterhaltung und Sport steht messen. Aus den Beiträgen am Vor- der Fernsehsender gewarnt. Man werden. Beim Südwestrundfunk ist für den Kulturauftrag des öffentlich- ein engerer Kulturbegriff zur Diskus- mittag und auch durch 4rau Piehl und sieht die Gefahr, dass nach der von einer Kooperation oder mögli- rechtlichen Rundfunks doch präzi- sion. Es geht um Programmbeiträge, Herrn Henke vom WDR ist uns allen jüngsten Gebührenentscheidung chen Fusion der SWR-Orchester mit siert werden. Der Verfassungsrecht- die eher mit dem Begriff einer Hoch- dieser Stellenwert noch einmal deut- der Ministerpräsidenten die Produ- dem Rundfunksinfonieorchester Saar- ler Prof. Dieter Grimm hat schon kultur (die schönen Künste) in Ab- lich vor Augen geführt worden. Wo zenten als „schwächstes Glied“ zwi- brücken die Rede. Detaillierte Infor- 1983 in einem Vortrag zum „Kultur- grenzung zu Massen- oder Populär- soviel Lob und Licht ist, werden schen Politik und Sendern zerrieben mationen zu diesem Komplex kann auftrag im staatlichen Gemeinwe- kultur zu benennen sind. Auch und allerdings auch Schatten sichtbar werden (so Verbandspräsident Bur- sicher der Geschäftsführer der Deut- sen“ exemplarisch für den Rundfunk gerade im Bewusstsein, dass Über- und da Verbesserungen immer mög- gemeister anlässlich der Hauptver- schen Orchestervereinigung, Gerald folgendes ausgeführt: gänge fließend bzw. (siehe E- und U- lich und erwünscht sind, möchte ich sammlung am 25. November 2004 in Mertens, geben, der bei dieser Veran- „Aus der Zugehörigkeit des Musik) im Wandel begriffen sind. Es im folgenden quasi als „agent cul- Berlin). Nimmt man die Entwicklung staltung anwesend ist. Rundfunks zur Kultur folgt die Not- geht um das kulturelle Subsystem im turel“ auch aus Zeitgründen einige der drei vergangenen Jahre, ist nach Um die Konsequenzen für die wendigkeit einer kulturrechtlichen engeren Sinn. eher kritische Anmerkungen ma- Aussagen des Verbandssprechers Kulturprogramme des öffentlich- Interpretation der Rundfunkfrei- Zu dieser Debatte haben Helmut chen. Karl-Otto Saur die Zahl der 90-minü- rechtlichen Rundfunks ermessen zu heit…. Als kulturelle Freiheit bezieht Volpers und Hans-Jürgen Weiss in tigen Fiction-Produktion aller Sen- können, muss eine Debatte über das, sich Rundfunkfreiheit auf das Pro- ihrer Studie über „Kultur- und Bil- er den „Leuchtturm WDR“ der von 300 auf 170 Filme pro Jahr was als Kulturprogramm des öffent- gramm und seine spezifisch publi- dungsprogramme im bundesdeut- Wsieht, wird gern zugestehen, gesunken. Dies hat in erster Linie an lich-rechtlichen Rundfunks zu be- zistische Ausdrucksform. Dagegen schen Fernsehen“ (BLM Schriften- dass er ein sehr positives Beispiel in- der Sparpolitik der Privatsender ge- zeichnen ist, geführt werden. In sei- sind kulturelle Freiheiten weder reihe, Band 22, München 1992) ei- nerhalb der ARD für die Wahrneh- legen. Dass dieser Trend sich als Fol- nen Ausführungen hat Dr. Eckhard wirtschaftliche Freiheiten noch ga- nen Beitrag geleistet. Im folgenden mung des öffentlich-rechtlichen ge der verminderten Gebührenerhö- Bezug auf die Kulturstudie von ARD rantieren sie regelmäßig private beziehe ich mich auf diese Studie. Kulturauftrages darstellt. Vergegen- hung auch bei öffentlich-rechtlichen und ZDF genommen und zu Recht Strukturen. Eine den kulturrechtli- In Bezug auf das Vielfaltsgebot des wärtigt man sich die eindrucksvolle Sendern bemerkbar macht, ist zu be- auf die Notwendigkeit neuerer Un- chen Anforderung entsprechende Bundesverfassungsgerichts werden Aufzählung von Gebhard Henke, der fürchten. tersuchungen hingewiesen. Wenn Rundfunkordnung muß ein kulturell als Kultur „gesonderte Programmleis- insbesondere den Stellenwert des Tatsache ist, dass die negativen wir zu einem für Programmentwick- angemessenes Programm gewähr- tungen verstanden, die eindeutig öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Auswirkungen einer unzureichen- lung und Programmkritik praktikab- leisten. Dazu gehört sowohl die Ver- 1. gegenüber Programmangeboten, den Film herausgestellt hat, kann den Gebührenerhöhung in der ARD len Kulturbegriff kommen wollen, mittlung kultureller Grundlagen von die sich auf die Meinungs- und poli- man sich doch des Eindrucks nicht im Kulturbereich bei den Klangkör- muss hieran weiter gearbeitet wer- Person und Gesellschaft als auch ein tische Willensbildung beziehen, erwehren, dass es sich bei der pern bereits greifen. Wenn die Hör- den. Hierzu möchte ich einen Denk- zugänglicher Anteil kultureller Sen- nahezu lückenlosen Aufzählung der funkdirektorin Monika Piel des WDR anstoss geben, auch wenn Prof. Ros- dungen im engeren Sinne (Hervorhe- Weiter auf Seite 13 Highlights um ein „Pfeifen im Wal- noch betonen kann, dass beim WDR sen-Stadtfeld bereits die damit ver- bung HBN).“ RUNDUNK politik und kultur • März – April 2005 • Seite 13

tiert werden. Sie sind – diesmal im funk im öffentlich-rechtlichen Fortsetzung von Seite 12 weiteren Sinn verstanden – ein Bei- Rundfunk stattfinden. Wenn man trag zur politischen Kultur in unse- sich die Formatierung der Hörfunk- 2. gegenüber Programmangeboten, rem Land. programme in den vergangenen Jah- die über die laufende Berichterstat- Auf die konkrete Bedrohung von ren vor Augen führt, muss auch hier tung hinausgehen, und Klangkörpern und Chören hatte ich deutlich HALT gesagt werden. In der 3. gegenüber Unterhaltungsangebo- bereits hingewiesen. Es entbehrt bewährten Tradition des Rundfunks ten abzugrenzen sind.“ nicht einer gewissen Ironie, wenn zur Förderung von neuer Musik, die In dieser Perspektive ist es zwingend einer der Urheber des sogenannten nicht stromlinienförmig einem Zeit- erforderlich, einen Kernbereich der SMS-Papieres, der Ministerpräsi- geschmack entspricht, gilt es auch Kulturvermittlung und Kulturher- dent Milbradt, Kürzungen bei den zukünftig, das zu fördern, was sich vorbringung durch das Fernsehen zu Klangkörpern im öffentlich-rechtli- vom Minderheitenprogramm zum bestimmen, der gegenüber den typi- chen Rundfunk kritisiert. Statt von Kulturprogramm für (qualifizierte) schen Unterhaltungsangeboten ab- Ironie müsste man vielleicht eher Mehrheiten entwickeln kann. gegrenzt ist. von Scheinheiligkeit sprechen. Wa- Hierfür müssen Ressourcen bereit- Natürlich gibt es wie schon ange- ren es doch die Ministerpräsidenten gestellt werden. merkt Übergänge zwischen Kultur- Steinbrück, Milbradt und Stoiber Statt den öffentlich-rechtlichen und Unterhaltungsprogrammen. selbst, die in ihrem Papier diese Rundfunk zu schützen und seinen Manchmal übrigens, wenn man den Richtung angegeben hatten. Sie hat- Kulturauftrag zu befördern, sind maß- Beitrag genauer bewertet, entgegen ten gefordert, die beiden Kultursen- gebliche Ministerpräsidenten damit dem ihm zugewiesenen Sendeplatz. der ARTE und 3SAT zu vereinen. Das beschäftigt, ihn zu demontieren und Hier ist weder die Zeit noch der würde eine Halbierung der Kultur- ihm die Legitimationsgrundlage zu Ort eine vertiefte Begriffsdiskussion programme bedeuten und Vielfalt entziehen. Von den Intendanten hät- zu führen oder gar detaillierte Krite- entsprechend reduzieren. Eine wei- te ich mir gewünscht, dass sie rien aufzustellen. Dies erscheint mir tere Forderung: Die Berechtigung hiergegen stärker opponiert hätten jedoch sinnvoll für eine zukünftige von ARD und ZDF zu den bisherigen und den Weg nach Karlsruhe ernsthaft Bestands- und Entwicklungsdebatte zusätzlichen digitalen Angeboten in Erwägung ziehen würden. „Wenn für den Kulturauftrag des öffentlich- (Eins MuXx, EinsExtra, EinsFestival, schon Streichung, dann nicht bei der rechtlichen Rundfunks. Anhalts- ZDFdokukanal, ZDFinfokanal, ZDF- Kultur“ hätte es meiner Auffassung punkte liefert übrigens auch die Theaterkanal) und die Kooperati- nach heißen müssen. Man sägt nicht Es muss ein Denken jenseits der Quote geben. Foto: Martin Hufner schon angesprochene Studie der onsmöglichkeit mit kommerziellen den Ast ab, auf dem man sitzt. ARD/ZDF-Medienkommission zu Anbietern sollen entfallen. Selbst Bedauerlicherweise kam auch begründet, dass zum Beispiel die Prä- an Herrn Schmidt gezahlt wird, für Kultur und Medien. wenn man trefflich über den Kultur- von manchen Gremien nur verhal- senz von drei Ministerpräsidenten Kultur nicht mehr zur Verfügung und Sinnvoll wäre es, nach ca. 15 Jah- charakter einzelner Programmbe- tener Protest. Ich befürchte, hier unter 13 Mitgliedern des ZDF-Ver- welche Sendeplätze sind in der Fol- ren, eine neue Studie über Kultur im standteile der Sender streiten kann, macht sich zu großer Parteien- bzw. waltungsrates die Staatsfreiheit des ge davon tangiert? Es ist meines Er- öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ist der ZDF-Theaterkanal unbestrit- staatlicher Einfluss geltend. Ein Rundfunks beeinträchtigt. Es ist mei- achtens an der Zeit, das Verfahren machen. Ich befürchte allerdings, ten einer der Kulturkanäle des öf- deutliches Beispiel für das ungesun- nes Erachtens dringend notwendig, zur Quotenmessung grundsätzlich dass wenn man diese qualitativ und fentlich-rechtlichen Fernsehens. An de Gewicht von Regierungsvertre- auch die Diskussion um die Staatsfer- zu revidieren und auch im Interesse quantitativ valide betreibt, im Rück- dieser Stelle sei die Anmerkung er- tern in Rundfunkgremien ist der ne des Rundfunks und seiner Gremi- des öffentlich-rechtlichen Kulturauf- blick schmerzliche Lücken offenbar laubt, dass zur umfassenden Reali- ZDF-Rundfunkrat. Die Intendanten- en erneut offensiv zu diskutieren. trages neu zu bewerten. Eine Selbst- werden. Was wurde abgewickelt, was sierung des Kulturauftrages unseres wahl hat deutlich gemacht, in welch Dr. Eckhard hat in seinem Beitrag verpflichtung, die den Horizont des zur Unkenntlichkeit verändert oder Erachtens auch Kultur im Vollpro- schwierige Situation der öffentlich- die noch offene Frage gestellt, ob es, bornierten Quotendenken, nicht auf Sendeplätze geschoben, wo nur gramm gehört. So wünschenswert rechtliche Rundfunk damit gerät. gemessen an den Kosten, zu viel überschreitet, verfehlt ihr Ziel. noch ein Schattendasein möglich Spartenkanäle erscheinen mögen Dies bitte ich nicht als Kritik am oder zu wenig Kultur gebe. Meine war bzw. ist? Wir alle erinnern uns und auch im Interesse mancher Zu- amtierenden Intendanten des ZDF Antwort: Es kann gar nicht genug Der Verfasser ist noch an die Verschiebung des Kul- schauer sind, stehen sie aufgrund selbst zu werten. Sein ARD-Kollege geben. Es muss ein Denken jenseits Stellvertretender Vorsitzender turmagazins der ARD am Sonntag technischer Bedingungen doch Jobst Plog hat zu Recht darauf hin- der Quote geben. In diesem Zusam- des Deutschen Kulturrates hinter den Programmplatz von Sabi- nicht allen Gebührenzahlern zur Ver- gewiesen, dass das Verhältnis von 31 menhang stellt sich mir die Frage, ne Christiansen. In diesem Zusam- fügung. Hier existiert ein Mangel politisch besetzten Stühlen bei einer welchen Einfluss die Verpflichtung Bei dem Beitrag handelt es sich um menhang müsste meines Erachtens dem abgeholfen werden muss. Gesamtheit von 77 insgesamt wenig von Harald Schmidt für die ARD hat. das geringfügig überarbeitete auch das aktuelle Beispiel der poli- Ein wahrhaft unkulturelles förderlich ist. Selbst wenn man poli- Welche Mittel für Kulturprogramme Statement bei der Tagung des tischen Magazine, die Veränderung Streichkonzert soll nach Vorstellung tischen Parteien zu Recht eine Vertre- im engeren Sinne stehen aufgrund Initiativkreises öffentlich-rechtlicher ihrer Länge und Sendeplätze disku- der Ministerpräsidenten beim Hör- tung zugesteht, ist die Vermutung der außerordentlichen Summe, die Rundfunk am 26.1.2005 in Köln. Das Durcheinander der Hilfsverben Eindrücke von einer Kölner Tagung über den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks • Von Armin Conrad

„Kulturauftrag des öffentlich-rechtli- ena Metze-Mangold von der Deut- Und zweifellos gab es auch Erkennt- wählen, auch das sei öffentlich-recht- sich nicht wundern, wenn ein simp- chen Rundfunks“, unter dieser Über- schen UNESCO-Kommission, David nisgewinn. Wer es noch nicht wuss- licher Auftrag. Das war routiniert und ler – nur kulturellem Tun an sich ver- schrift hatte der Initiativkreis öffent- Hober von der Katholischen Rund- te: Die begriffliche Einhegung des doch irgendwie dürftig. pflichteter – Auftrag eher stört. Man- lich-rechtlicher Rundfunk Köln Ende funkarbeit und Manfred Kops vom Wortes Kultur bestimmt sich im Es verstärkte sich während der ches, was bei diesem Symposium in Januar zu einem Symposium einge- Veranstalter, dem Initiativkreis öf- Fernsehen nach den Interessen sei- Referate und der Diskussionen ein Köln gesagt wurde, wird vor dieser laden. Unterstützt wurde die Veran- fentlicher Rundfunk IÖR. ner Benutzer. Wer rechtfertigen soll, Eindruck, der vermutlich vermieden Gedankenfolie vielleicht verständ- staltung von der Deutschen UNESCO- Was kam raus? Hat der öffentlich- ob sein Programm genügend Kultur werden wollte. Nämlich, dass ein lich. Kommission, der Deutschen Bi- rechtliche Rundfunk einen Kulturauf- enthält, weitet den Kulturbegriff aus, ,Kulturauftrag’ etwas ist, was man Wie soll ein öffentlich-rechtli- schofskonferenz und dem Deutschen trag? Ja. Erfüllt er diesen Kulturauf- zur Not bis zum Anschlag. Wer Kul- dem Rundfunk, auch dem öffent- cher Rundfunk einen Kulturauftrag Kulturrat. Etwa 200 Teilnehmer hat- trag? Ja. Ist dieser Kulturauftrag durch turjournalisten gängeln möchte, lich-rechtlichen Rundfunk, doch ab- erfüllen, wenn die Menschen sich ten sich angemeldet, ca. die Hälfte die Kommerzialisierung, die auch engt ihn wieder ein und wer Hoch- ringen müsse. Eine Messgröße für großenteils selbst nicht mehr als Kul- davon war ins Tagungszentrum des eine Selbstkommerzialisierung des kultur veranstaltet, sieht sich durch Legitimation vor den politischen turauftrag begreifen? Mögen, wollen, Erzbistums Köln gekommen. öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, einen engen Kulturbegriff auch bes- Entscheidern, die angeblich letzte, dürfen? Wenn die Fähigkeit, Kultur bedroht? Ja. Bleibt ein Unbehagen ser bedient. Schließlich ist dann die die den öffentlich-rechtlichen An- wahrzunehmen, durch die Main- elge Rossen-Stadtfeld, Bundes- nach dieser Veranstaltung zurück? Ja. Konkurrenz um die knappe Sende- stalten noch bleibt. stream-Schablonen von Warner, H wehruniversität München er- Gut, ich habe mir die letzten Re- zeit nicht so groß. Kann es sein, dass wir uns da et- Sony und Bill Gates zur Einnahme klärte, warum das Kulturwesen ferate nicht mehr angehört. Und Der Kulturbegriff gedreht, gewen- was vormachen? Dass wir da in der von Bildschirm-Menüs deformiert Mensch den öffentlich-rechtlichen deshalb kann ich auch keine verläss- det, gegrillt und stahlgehärtet, „every- verkehrten Spur unterwegs sind? ist. Wer meint, daneben könne sich Rundfunk und seinen Kulturauftrag liche Zahl liefern, wie oft die Über- bodies darling“, das „kleine Schwarze“ Dass wir in großem Konsens mit- auf Dauer ein unabhängiger Kultur- braucht. Der Medienforscher im Ru- schrift der Tagung von Referenten in der von Marktschlachten geprägten einander mindestens etwas falsch auftrag behaupten, der irrt. Kulturel- hestand, Josef Eckardt, fütterte sei- und Diskutanten in den Mund ge- medienpolitischen Diskussion. ausdrücken? Dass wir vielleicht nur le Dienstleistungen sind in Europa ne Zuhörer mit Statistik über das nommen worden ist. 50mal? Viele Medienmenschen saßen im die Hilfsverben durcheinander brin- der Markt der Zukunft. Was in Köln Kulturinteresse in Deutschland. Ge- 100mal? 200mal? „Kulturauftrag des Saal, nicht nur vom WDR. Sie kamen gen? Hat(!) also der öffentlich-recht- diskutiert wurde, hatte damit wenig bhard Henke vom WDR begründete, öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, von Verbänden, Gewerkschaften, liche Rundfunk einen Kulturauftrag? zu tun. warum Tatort-Krimis durch ihre Spie- das klang im Kölner Maternushaus Parteien auch von der wegen ihrer Oder ist(!) er der Kulturauftrag? Und Professor Rossen-Stadtfeld von gelungen „deutscher Befindlichkei- so wie in den achtziger Jahren „Deut- bösen Liberalisierung der Fernseh- wenn er es ist, gibt es die Gesellschaft der Bundeswehr-Universität in Mün- ten“ eigentlich Kultursendungen sche Demokratische Republik“ aus märkte so gern gegeißelten EU. Es noch, die für sich einen solchen Kul- chen hatte in sein Referat einen vor- sind. Monika Piel vom WDR wählte dem Munde einer Gebetsmühle na- waren Kulturschaffende da, Print- turauftrag empfindet? In Zeiten irri- sichtigen Satz eingebaut: „Einen spe- die quantitative Beweisführung. Sie mens Erich Honecker, nur ohne des- journalisten, Kirchenvertreter. Und tierender Statements über fremde ziellen Kulturauftrag des öffentlich- zählte in zwanzig Minuten und mit sen pfeifende Hochtonartikulation. alle im Grunde entschlossen, den öf- Kulturen, Assimilationsdruck ,Kopf- rechtlichen Rundfunks zu definieren atemloser Strenge die unfassbar vie- „Kulturauftrag des öff.-rchtl. Rdfks.“, fentlich-rechtlichen Rundfunk hoch- tuchtrageregeln und Hartz IV, in die- und abzugrenzen vom Gesamtauf- len WDR-Kulturleistungen auf. Prof. eine anthropologische Konstante? zuhalten, weil, ja eben weil er diesen sen Zeiten gefühlter Verunsicherung trag, könnte redundant werden.“ Es Klaus Katz vom WDR ging rezeptiv vor Man kam ins Grübeln? ‚Kulturbe- Kulturauftrag hat. Und dann fühlte darüber, „wer wir eigentlich sind“, in war ein Hinweis auf das, um das es und stellte nach einem Besuch der griff’, auch so ein Wort zum Abarbei- sich mancher doch allein gelassen. diesen Zeiten wachsender kulturel- wirklich geht: Öffentlich-rechtlich or- WDR-Internetseite fest, dass die Kul- ten? Mal eng und streng, mal weit Da strampeln sich Konzertveranstal- ler Schmuckleisten finanziell hoch- ganisierte und kontrollierte Rund- turquote in den Regionalprogram- und kosmisch gedehnt. Und so fiel ter und Kulturinitiativen in NRW ab, potenter Wirtschaftsriesen, die die funkanstalten und künftig hoffentlich men im Grunde übererfüllt sei. Ulrich Prof. Rossen-Stadtfeld von der Bun- stellen Veranstaltungen hin, und Hör- Kultur gerne auf die Pay-Roll ihrer auch öffentlich-rechtlich organisier- Deppendorf vom WDR sah das mit deswehr-Hochschule auch bald auf funk und Fernsehen bringen nichts Marketing-Abteilung nehmen, sind tes und kontrolliertes Online, sind Blick auf den gesamten Rundfunk im die Nase, als er den ARD-Anstalten darüber. Das bewirkt nicht nur nar- kulturelle Aufträge oft so schnell de- Garanten für Demokratie und auch Prinzip genauso. Ingrid Haas, Direk- vorwarf, das Erste sei bald nur noch zisstische Kränkungen, das hat auch finiert wie vergessen. Und wo Men- für zivilen Umgang unter Menschen. torin bei RTL, dagegen nicht. ein Sender „für Volksmusik und Fuß- handfeste materielle Folgen. Die Ant- schen mehr und mehr darauf abge- Das ist(!) der Kulturauftrag. Es gab Statements von Heinrich ball“. Volksmusik ist Kultur, antwor- worten der Referenten auf dem Podi- richtet sind, die Herrschaft der Geld- Bleicher-Nagelsmann vom Deut- tete ein anderer Referent und es gab um auf diese Kritik: Man könne eben ökonomie in ihre tägliche Gedan- Der Verfasser ist Redaktionsleiter schen Kulturrat, Grußworte von Ver- viel Beifall. nicht alles bringen, man müsse aus- kenwelt einzugravieren, muss man bei KulturZeit 3sat KULTURELLES LEBEN politik und kultur • März – April 2005 • Seite 14

Alkoholrausch, Kunsttheorie und Sportpolitiken Die Stiftung Aufarbeitung und ihre Wissenschaftsförderung • Von Peter Maser

Anfang November 2004 haben eines Tages doch noch für die Aufar- wahrscheinlich die meisten eine beitung der Diktatur eben dieser kleine Pressemeldung einfach über- Partei zur Verfügung stehen würden. lesen: „Ehemaliges SED-Vermögen Seit ihrer Gründung hat die Stif- finanziert DDR-Aufarbeitung. Stif- tung Aufarbeitung bundesweit mehr tung erhält 55 Millionen Euro Kapi- als 1.000 Projekte mit 14 Millionen tal.“ Die wenigen, die den kurzen Euro fördern können. Unterstützt Text zur Kenntnis genommen hat- werden u.a. die Arbeit der Verbände ten, werden sich gewundert haben: der Opfer der SED-Diktatur, wissen- In diesen Zeiten der klammen Kas- schaftliche Konferenzen und Veran- sen 55 Millionen Euro für eine Stif- staltungen der politischen Bildung, die tung zur Aufarbeitung der SED-Dik- Erschließung von Archivbeständen zu tatur, wie ist das möglich? Das jetzt Opposition und Widerstand in der zur Ausschüttung gekommene Ka- DDR, Projekte in Museen und Ge- pital stammte aus Geldbeständen, denkstätten, verschiedene Ausstellun- die die SED im Umfeld der Kommu- gen, die Drucklegung von Publikatio- nistischen Partei Österreichs ge- nen zur Aufarbeitung der SED-Dikta- parkt hatte, um sie dem Zugriff der tur und eine Reihe von Film- und an- demokratischen Kräfte nach der deren Medienprojekten sowie eigene friedlichen Revolution 1989/90 zu Veranstaltungen der Stiftung. Eine entziehen. Nach langwierigen Ge- besonders breite Resonanz fanden die richtsprozessen mussten diese Ver- vielfältigen Bemühungen der Stiftung, mögenswerte nun herausgerückt anlässlich des 50. Jahrestages den Ju- werden, um im Prozeß der deut- niaufstand 1953 erneut in das histori- Aus der Präsentation zur Festschrift zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Herrmann Weber. schen Einheit einer sinnvollen Ver- sche Bewußtsein des vereinigten Foto: Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wendung zugeführt zu werden. Rai- Deutschland einzuordnen. ner Eppelmann MdB und Vorsitzen- Die Wissenschaftsförderung, die der Tschechoslowakei“, den „Ikarus- von denen einige inzwischen erfolg- wachzuhalten sowie den antitotalitä- der des Vorstandes der Stiftung Auf- von einem eigenen Fachbeirat der Mythos in der DDR-Literaturge- reich abgeschlossen werden konnten, ren Konsens in der Gesellschaft, die arbeitung erklärte sich deshalb Stiftung koordiniert wird, stellt nur schichte“, „Jugendmoden und Ju- tragen im Sinne des Stiftungsauftra- Demokratie und die innere Einheit auch höchst zufrieden damit, „daß einen Teilbereich im Spektrum der gendkulturen“, „autonome Künstler- ges dazu bei, „Beiträge zur umfassen- Deutschlands zu fördern und zu fes- die Arbeit der Stiftung künftig Stiftungsaktivitäten dar und konzen- gruppen und deren Beitrag zur Aus- den Aufarbeitung von Ursachen, Ge- tigen“ (Stiftungsgesetz §2.1). zumindest zu einem guten Teil aus triert sich insbesondere auf die Ver- prägung dissidenter Kulturmilieus in schichte und Folgen der Diktatur in dem Vermögen der einstigen SED gabe von Doktorandenstipendien, der DDR“, „die Architektur des MfS“ der sowjetischen Besatzungszone in Der Verfasser ist Vorsitzender finanziert wird“. durch die Dissertationen zur Ge- oder die „Sportpolitiken in BRD und Deutschland und in der DDR zu leis- des Fachbeirates Wissenschaft schichte der DDR im weiteren Sinne DDR in den 1960er Jahren“ gehen. ten [...], die Erinnerung an das ge- der Stiftung zur Aufarbeitung ie konnte es zu dieser Rege- ermöglicht werden. Pro Jahr können Alle Projekte unserer Stipendiaten, schehene Unrecht und die Opfer der SED-Diktatur Wlung kommen? Als die Bun- etwa acht solcher Stipendien verge- destag-Enquete-Kommission „Über- ben werden, deren Höhe den För- windung der Folgen der SED-Dikta- dersätzen der Deutschen For- tur im Prozeß der deutschen Ein- schungsgemeinschaft entspricht. Im heit“ auf die in Österreich geparkten Fachbeirat Wissenschaft wirken füh- Deutscher Kulturrat begrüßt SED-Millionen aufmerksam wurde, rende Zeitgeschichtsforscher, Muse- war bald eine interfraktionelle Über- ums- und Gedenkstättendirektoren, einkunft darüber hergestellt, dass aber auch Vertreter unabhängiger Bundesstiftung Baukultur zumindest ein Teil dieses Geldes, Historikergruppen und Journalisten wenn er denn je freigegeben werden zusammen. In jedem Herbst ist es un- Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Bundesstiftung Baukultur sollte, der Aufarbeitung der SED-Dik- sere wichtigste Aufgabe, die neuen Sti- tatur zur Verfügung gestellt werden pendienanträge auf ihre Qualität und Bundesstiftung Baukultur gehört nach Berlin solle. Das war um so notwendiger, als ihre Relevanz für das Stiftungsanlie- zahlreiche Initiativen, die aus der gen zu prüfen. Erfreulicherweise ha- Berlin, den 16.12.2004. Der Deut- einmal deutlich zu machen, sollte im lich sein, ihre ohnehin knapp bemes- Bürgerrechtsbewegung der DDR her- ben wir immer sehr viel mehr Anträ- sche Kulturrat begrüßt den von der zweiten Satz von § 2 des Gesetzesent- senen Ressourcen optimal zu nutzen. vorgegangen waren, inzwischen mit ge zu prüfen, als wir Stipendien ver- Bundesregierung vorgelegten Entwurf wurfes das Wort „Baukultur“ durch „die Deshalb sollte der Sitz der Stiftung großen finanziellen Schwierigkeiten geben können. Die Qualität, aber zur Errichtung einer Bundesstiftung baukulturellen Leistungen der Gegen- nicht in das Belieben des Bundesmi- zu kämpfen hatten. Gerald Häfner auch die thematische Breite der An- Baukultur. Eine Institution, die sich auf wart und der Vergangenheit“ ersetzt nisteriums für Verkehr, Bau- und Woh- erklärte dazu in der Debatte zum Stif- träge hat sich fortlaufend gesteigert. nationaler Ebene für die Belange der werden. nungswesen gestellt werden. Nach tungsgesetz am 2. April 1998: „Im Neben Themen zur Staats-, Wirt- gebauten Umwelt engagiert, ist in Ansicht des Deutschen Kulturrates Kern ist die Aufarbeitung zurücklie- schafts- und Gesellschaftsgeschich- Deutschland überfällig. Der Deutsche Kulturrat vertritt bereits muss die Stiftung in Berlin angesie- genden Unrechts eine politisch-kul- te der DDR, insbesondere auch zu seit Jahren die Position, dass Stiftun- delt werden. turell-gesellschaftliche Aufgabe, eine Opposition und Widerstand im SED- Die Disziplinen der Baukultur, ob gen mit einem ausreichenden Stif- Aufgabe, die vor allem ‚unten’ in der Staat, nehmen inzwischen auch Un- Hochbauarchitektur, Innenarchitektur, tungskapital ausgestattet werden müs- In Berlin sind Politik, Verwaltung, Me- Gesellschaft selbst passieren muß. tersuchungen zur Kulturpolitik und Landschaftsarchitektur, Stadtplanung, sen, um aus den Erträgen des Stif- dien und die Organisationen der Zi- Wer wäre dazu besser prädestiniert zu einzelnen künstlerischen Ent- Ingenieurbaukunst oder Denkmal- tungskapitals die angestrebten Zwecke vilgesellschaft konzentriert. Wer etwas als diejenigen Menschen, die auf wicklungen und Persönlichkeiten schutz, waren hierzulande lange Zeit erfüllen zu können. Der Deutsche Kul- bewirken will, muss dort präsent sein. Grund ihrer Biographie, ihres beson- einen beachtlichen Raum ein. ein Stiefkind in der kulturpolitischen turrat fordert daher die Bundesregie- Das zeigen nicht zuletzt die Haupt- deren und besonders schweren Le- Immer häufiger werden uns auch Auseinandersetzung. Dafür gab es rung auf, die Stiftung Baukultur mit ei- stadtbüros älterer wie jüngerer Kul- bensweges ebenso wie ihrer persön- Projekte vorgetragen, in denen die einen einfachen Grund: Baukultur zielt nem solchen ausreichenden Stiftungs- turinstitutionen, die ihren Hauptsitz lichen Entscheidungen in diesem Le- DDR-Geschichte in einer verglei- nicht auf reine Kunst ab, sondern kapital auszustatten, damit sie unab- außerhalb Berlins haben. Im Gegen- ben ohnehin schon mehr als andere chenden Perspektive betrachtet bewegt sich in einem Spannungsfeld hängig von den jährlichen Haushalts- satz zu diesen Institutionen wird die ihre Aufgabe sehen, diese Arbeit zu wird. Schaut man auf die inzwischen von Ästhetik und -unktion. entscheidungen des Deutschen Bun- Bundesstiftung Baukultur aber über tun und sie heute vielfach nicht mehr stattliche Reihe der Stipendiatinnen destags ihren Aufgaben nachkommen einen deutlich geringeren Etat verfü- fortsetzen können, weil die Mittel und Stipendiaten der Stiftung, darf Erst die Erweiterung des allgemeinen kann. gen. Die vorhersehbaren Kosten für dazu fehlen. Deshalb wollen wir mit man wohl sagen, hier ist die deut- Kulturbegriffs hat einen neuen Blick auf ein Zweitbüro sollten deshalb lieber der Stiftung vor allen Dingen helfen, sche Einigung inzwischen weitge- die Baukultur ermöglicht. Dabei haben Um ihre Ziele verwirklichen zu können, unmittelbar der Baukultur zugute diese so wichtige Arbeit fortzusetzen: hend Wirklichkeit geworden. Disser- andere europäische Länder früher als bedarf die Stiftung einer soliden Aus- kommen. Außerdem dürfte die inter- die Arbeit der Aufarbeitungsinitiati- tationsprojekte zur DDR werden Deutschland erkannt, dass sie in der stattung. Die bis jetzt in den -inanz- nationale Aufmerksamkeit von Berlin ven, auch der Opferverbände, die Ar- heute keineswegs mehr nur an Uni- Öffentlichkeit für die gebaute Umwelt plan der Bundesregierung eingestellten aus leichter zu erringen sein als von beit der unabhängigen Archive, die versitäten der neuen Länder be- werben müssen. Beispiele sind unter 1,5 Millionen Euro jährlich bis 2008 einem anderen deutschen Standort. Arbeit der freien und unabhängigen arbeitet, vielmehr erreichen uns ent- anderem -innland, wo eine gute ge- lassen eine große Lücke zum geschätz- Forscher, die vielfach nicht die Mög- sprechende Anträge heute völlig baute Umwelt als Staatsziel in der Ver- ten -inanzbedarf „von bis zu 2,5 Milli- -ür die Glaubwürdigkeit und Effektivi- lichkeit hatten, ein Hochschulstudi- selbstverständlich aus ganz fassung verankert ist, und die Nieder- onen Euro“ jährlich klaffen. Diese Sum- tät der Stiftung ist es außerdem von um zu durchlaufen, aber auf Grund Deutschland. Durch regelmäßige lande, die mit dem NAI in Rotterdam me der Drittmittelakquise zu überlas- zentraler Bedeutung, dass die ange- ihrer persönlichen Kenntnisse und mehrtägige Stipendiatenkolloquien das weltweit größte Architekturmuse- sen, ist in der gegenwärtigen wirtschaft- strebte Unabhängigkeit der Stiftung Erkenntnisse viel genauer wissen, versucht die Stiftung, ihre Stipendi- um und -institut unterhalten. lichen Situation zumindest gewagt, Baukultur auch durch die Besetzung wovon die Rede ist, wenn es um die aten untereinander in Kontakt zu zumal Sponsoren erfahrungsgemäß des Stiftungsrates deutlich wird. Eine Aufarbeitung dieser Vergangenheit bringen. Für die Mitglieder des Fach- Seit Herbst 2000, als die Bundesre- außerordentliche Projekte bevorzugen, wesentliche Rolle spielt dabei der Stif- geht.“ beirates, die an diesen Kolloquien gierung - angeregt durch die europä- nicht aber einen laufenden Betrieb. tungsrat. Der Deutsche Kulturrat ver- Die Bestimmung in § 3.3 des Ge- aktiv diskutierend und beratend teil- ischen Vorbilder - die Initiative Archi- tritt die Auffassung, dass neben Mit- setzes vom 5. Juni 1998, dass die Stif- nehmen, sind diese Tage immer so tektur und Baukultur gestartet hat, hat Schon jetzt ist absehbar, dass sich das gliedern der Bundesregierung einer- tung – neben einem jährlichen Zu- etwas wie ein nachgeholtes Studium das öffentliche Gespräch über die ge- -inanzproblem der Stiftung im Laufe seits Mitglieder des Konvents der schuß des Bundes – „im Rahmen der generale. Haben wir zunächst bis zu baute Umwelt an Popularität gewon- der Jahre noch verschärfen würde, da Baukultur andererseits mit gleichem Verfügbarkeit“ Mittel aus dem Ver- zwei Stunden über „Alkohol und Al- nen. Um breite Bevölkerungskreise zu der Gesetzesentwurf einen degressiven Gewicht vertreten sind. Da der Deut- mögen der Parteien und Massenor- koholrausch in der DDR“ diskutiert, erreichen, muss der einmal in Gang Verlauf der staatlichen Unterstützung sche Bundestag als Haushaltsgesetz- ganisationen der ehemaligen DDR so schließt sich unmittelbar daran gesetzte Dialog aber weiter vertieft vorsieht. Wer eine Bundesstiftung Bau- geber die Bundesstiftung Baukultur zugewiesen bekommen solle, muss- das Gespräch über die „Kunsttheo- werden. Dazu ist die geplante Bun- kultur will, muss auch entsprechende in der jetzigen Konstruktion als Zu- te vor sechs Jahren noch recht uto- rie in der DDR“ an. Es könnte aber desstiftung Baukultur ein geeignetes Bundesmittel zur Verfügung stellen. wendungsstiftung kontrollieren muss, pisch wirken. Wir Kommissionsmit- auch um „Jugendliche Subkulturen Instrument. Wichtig ist dabei, dass die lehnt der Deutsche Kulturrat die Be- glieder wollten damals aber nicht die in Thüringen“, den „Pankower Frie- Stiftung das gesamte Spektrum der -ür den Erfolg der Stiftung wird es ge- setzung des Stiftungsrates mit Mitglie- Hoffnung abschreiben, dass die denskreis“, das „politische Grenzre- Baukultur im Blick hat. Um dies noch rade vor diesem Hintergrund wesent- dern des Deutschen Bundestags ab. beiseite geschafften SED-Millionen gime der DDR gegenüber Polen und KULTURELLES LEBEN politik und kultur • März – April 2005 • Seite 15

Absichtsvoll missverstanden Oder geht ein Riss durch den kulturpolitischen Diskurs • Von Gabriele Schulz

Bereits seit einiger Zeit geistern die und Bürgern festzulegen, welches Gesellschaft, in zwei Ausgaben das selbstverständlich müssen die Ver- on zur Grundversorgung für abge- Begriffe „Daseinsvorsorge“ und Kulturangebot in welcher Kommune Thema „Daseinsvorsorge“ disku- antwortlichen vor Ort Entscheidun- schlossen und fragte Helga Trüpel „Grundversorgung“ durch die kultur- angeboten werden soll. Regionale tiert, wobei man den Eindruck ge- gen treffen, wie die Kulturförderung nach der Kulturpolitik der Europäi- politische Debatte. In dieser Zei- Besonderheiten, wie z.B. ein ausge- winnen konnte, dass der Präsident aussehen soll, welche Akzente ge- schen Union, Kulturpolitik im Sinne tung haben sich Max Cuchs, Olaf prägtes Interesse für eine künstleri- der Kulturpolitischen Gesellschaft setzt werden sollen und – durchaus von Kulturförderung. Es entzündete Zimmermann, Hans-Jürgen Blinn, sche Sparte, müssen dabei genauso Oliver Scheytt, der bereits in den 90er schmerzlich – welche Maßnahmen sich daran eine zwar amüsante aber Critz Pleitgen, , Bar- Berücksichtigung finden, wie z.B. die Jahren die Diskussion um die kultu- in der Zukunft nicht mehr gefördert mäßig zum Sachverhalt beitragende bara Gessler und andere mit diesen Bevölkerungsstruktur. Kultur als Da- relle Grundversorgung anregte, ziem- werden können. Diese kulturpoliti- Diskussion zur finanziellen Ausstat- Cragen auseinandergesetzt. Aus- seinsvorsorge ist eine Beschreibung, lich allein auf weiter Flur steht. schen Entscheidungen müssen von tung der Kulturförderprogramme gangspunkt waren jeweils die inter- die vor Ort mit Leben erfüllt werden der Politik zusammen mit den zivil- und deren Sinn und Zweck, dem nationalen Verhandlungen um den muss. In der Stellungnahme „Kultur Rettungsanker oder gesellschaftlichen Akteuren, den Thema Daseinsvorsorge bzw. Handel mit Dienstleistungen sowie als Daseinsvorsorge“ werden Trugbild Künstlerinnen und Künstlern und Grundversorgung wurde sich aber die Konvention zum Schutz der kul- zugleich Forderungen an den Ge- den Kultureinrichtungen getroffen nicht mehr substantiell genähert. turellen Vielfalt, ebenfalls ein inter- setzgeber formuliert, um Kunst und Ein positives Signal war daher die werden. Dieses ist nichts anderes als Dieses lag keineswegs an den Disku- nationales Instrument. Ebenso wur- Kultur besser abzusichern. So zielt außerordentliche Mitgliederver- eine lokale Verortung der kulturellen tanten, die beharrlich immer wieder de sich mit den europäischen Be- die Forderung nach der Verankerung sammlung der Kulturpolitischen Daseinsvorsorge. Genauso wird kul- versuchten, zu dem Thema zu spre- strebungen zur Regelung des von Kultur als Staatsziel im Grund- Gesellschaft am 20.01.2005 in der turelle Daseinsvorsorge in der Stel- chen, zu dem sie eingeladen wurden Dienstleistungssektors wie dem gesetz nicht in erster Linie darauf ab, Landesvertretung Schleswig-Holst- lungnahme des Deutschen Kulturra- und deren Einschätzung von größ- Grünbuch über Dienstleistungen die Kulturförderung zu verbessern, ein in Berlin. In zwei Diskussions- tes verstanden. Es geht weder um tem Interesse gewesen wäre, viel- von allgemeinem Interesse und der sondern vielmehr ist eine solche runden sollte das Thema „Kulturelle planerische Vorgaben, wie teilweise mehr wurde vom Moderator jede EU-Dienstleistungsrichtlinie ausein- Staatszielbestimmung eine Argu- Grundversorgung – Rettungsanker unterstellt, noch um einen „Master- aufkeimende Diskussion zum The- ander gesetzt. Innerhalb des Deut- mentationshilfe, wenn es beispiels- oder Trugbild der Kulturpolitik?“ dis- plan“ Kultur, der von Berlin aus diri- ma erstickt. Es wurde damit eine schen Kulturrates mündete die De- weise um den Erhalt des ermäßigten kutiert werden. In der ersten Runde gistisch vorgibt, was vor Ort gesche- Chance vertan, zu verdeutlichen, batte in die Erarbeitung und Verab- Mehrwertsteuersatze für Kulturgüter debattierten unter der Überschrift hen soll. Zugestanden werden muss dass die Begriffe Daseinsvorsorge schiedung der Stellungnahme „Kul- oder die Sicherung der Künstlerso- „Was ist und wozu brauchen wir kul- den Kritikern des Begriffs der Da- und Grundversorgung zwar sperrig tur als Daseinsvorsorge“ (siehe zialversicherung und anderes mehr turelle Grundversorgung“ Kurt Eich- seinsvorsorge bzw. Grundversor- sind, jedoch dazu dienen zu um- hierzu politik und kultur 1/2005). geht. Kultur als Daseinsvorsorge ler, Geschäftsführer der Kulturbe- gung, dass dieser weder besonders schreiben, welche Verantwortung meint eben mehr als die Infrastruk- triebe Dortmund und Vorstandsmit- schön noch kulturell anmutet. der Staat künftig in der Gestaltung er Verabschiedung gingen in tur an Kultureinrichtungen, Kultur glied der Kulturpolitischen Gesell- Nachdem die Emotionen bei der ers- der Rahmenbedingungen für Kunst D tensive Diskussionen voraus. als Daseinsvorsorge zielt auf die Si- schaft; Prof. Dr. Hermann Glaser, ten Diskussionsrunde heftig hoch und Kultur sowie der Kulturförde- So wurde die Frage aufgeworfen, ob cherung und Verbesserung der Rah- Mitglied des Kuratoriums des Insti- kochten, sollte die Debatte in der rung übernehmen soll. der Kulturbereich überhaupt mit menbedingungen für Kunst und Kul- tuts für Kulturpolitik der Kulturpoli- zweiten Diskussionsrunde unter dem Dienstleistungsbegriff gemeint tur ab. Dabei galt es bei der Stellung- tischen Gesellschaft; Barbara Kisse- dem Titel „Wer trägt die Verantwor- Fazit sei und ob eine Betonung der grund- nahme die unterschiedlichen Posi- ler, Staatssekretärin für Kultur Berlin; tung für die kulturelle Grundversor- gesetzlich verankerten Kunstfrei- tionen aus den Reihen des Deut- Dr. Oliver Scheytt, Kultur-, Bildungs- gung?“ fortgeführt werden. Es disku- Insgesamt machte die Veranstaltung heitsgarantie den Kulturbereich schen Kulturrates zu berücksichti- und Jugenddezernent der Stadt Es- tierten: Monika Griefahn, MdB, Vor- offenkundig, welche Kommunikati- nicht vor der Subsummierung unter gen und eine Konsens zu erarbeiten, sen, Präsident der Kulturpolitischen sitzende des Ausschusses für Kultur onsprobleme in der kulturpoliti- den Dienstleistungsbegriff bewahre. der mehr ist als der kleinste gemein- Gesellschaft und Olaf Zimmermann, und Medien des Deutschen Bundes- schen Diskussion bestehen. Auf der Ebenfalls wurde gründlich die Frage same Nenner. Geschäftsführer des Deutschen Kul- tags, Vorstandsmitglied der Kultur- einen Seite stehen jene, die pragma- debattiert, ob Grundversorgung bzw. turrates. Die Moderation hatte Jörg politischen Gesellschaft; Dr. Norbert tisch die internationalen und euro- Daseinsvorsorge nun eine Versor- Dialog vorantreiben Stüdemann, Dezernent für Kultur Lammert, MdB, Vizepräsident des päischen Debatten zur Dienstleis- gung auf einem Minimalniveau be- und Sport, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundestags, Mitglied im tungsproblematik verfolgen und ver- deute, die gerade noch zugestanden Die Kulturpolitische Gesellschaft als Kulturpolitischen Gesellschaft inne. Kuratorium des Instituts für Kultur- suchen auf dieser Folie eine Idee ei- wird und alles darüber hinausgehen- Personenzusammenschluss von Ver- Die Karten waren so gemischt, dass politik der Kulturpolitischen Gesell- ner nachhaltigen Kulturpolitik zu ent- de dem Sparstift zum Opfer fiele antwortlichen aus der Kulturverwal- mit Oliver Scheytt und Olaf Zimmer- schaft; Dr. Iris Magdowski, Kultur- wickeln. Deren Duktus mag teilweise oder anders gesagt, ob der Kulturbe- tung, aus Kulturinstitutionen, aus mann zwei Befürworter für eine De- bürgermeisterin der Landeshaupt- technokratisch wirken, gemeint ist reich sich nicht selbst Ast absägt auf Kulturverbänden und der kulturpo- finition der Daseinsvorsorge auf dem stadt Stuttgart, Vizepräsidentin der nicht mehr und nicht weniger als die dem er sitzt, wenn zur Daseinsvor- litisch interessierten Öffentlichkeit Podium saßen und mit Kurt Eichler Kulturpolitischen Gesellschaft; Dr. Sicherung und Fortentwicklung der sorge bzw. Grundversorgung Positi- hat es bei ihren Diskussionen einfa- und Barbara Kisseler zwei Gegner. Karsten Rudolph, MdL NRW, Vor- kulturellen Substanz im Lichte verän- on bezogen wird. cher. Hier geht es nicht um die Ver- Hermann Glaser nahm eine neutrale standsmitglied der Kulturpolitischen derter Rahmenbedingungen. Auf der Die ausführlichen Debatten ha- teidigung einmal erreichter Stan- Rolle ein, schwenkte im Laufe der Gesellschaft; Dr. Helga Trüpel, MdEP, anderen Seite stehen jene, die aus ben sich im Ergebnis gelohnt. Mit dards für einen bestimmten Bereich, Diskussion zu den Befürwortern der Stellvertretende Vorsitzende des Sicht der Verwaltung versuchen das der Stellungnahme „Kultur als Da- die u.U. zu Lasten von anderen ge- Debatte um die Daseinsvorsorge um. Ausschusses für Kultur und Bildung Beste aus den vorhandenen Ressour- seinsvorsorge“ legt der Deutsche hen, hier geht es nicht um die Wah- Sowohl die Podiumsdiskussion als des Europäischen Parlaments, Vor- cen zu machen und dieses mit der Kulturrat ein umfassendes Papier rung von Verbandsinteressen. Die auch die anschließende Diskussion standsmitglied der Kulturpolitischen kulturpolitischen Idee des Bürger- vor, in dem die unterschiedlichen Kulturpolitische Gesellschaft hat die mit dem Publikum zeigte, dass aus- Gesellschaft. Moderiert wurde diese rechts Kultur zu verbinden. Ob diese Sektoren des Kulturbereiches von Freiheit durchaus kontrovers den kul- giebig aneinander vorbei geredet Runde von Prof. Dr. Olaf Schwencke, Position weniger technokratisch ist, der künstlerischen Produktion, über turpolitischen Dialog voranzutreiben wurde. Im Kern liegen die Positionen Vorsitzender des Kuratoriums des sei dahingestellt. die Kultureinrichtungen, die Kultur- und avantgardistische Positionen zu gar nicht so weit auseinander, strei- Instituts für Kulturpolitik der Kultur- Zu wünschen ist, dass die Debatte vereine und die Kulturwirtschaft be- vertreten. Kontrovers wurde auch in tig ist in erster Linie, ob der Begriff politischen Gesellschaft. weitergeht, dass eine Kommunikati- schrieben und in ihrer Wechselwir- den Kulturpolitischen Mitteilungen, Daseinsvorsorge oder Grundversor- Gleich zu Beginn erklärte der Mode- on entsteht und beginnende Diskus- kung dargestellt werden. Es wird dar- der Zeitschrift der Kulturpolitischen gung verwandt werden sollte. Denn rator Olaf Schwencke die Diskussi- sionen nicht abgewürgt werden. gelegt, dass es sich bei Kunst und Kultur um Waren besonderer Art handelt, die daher eines besonderen Schutzes bedürfen und es wird dar- an erinnert, dass in verschiedenen gesetzlichen Grundlagen die Förde- rung des kulturellen Lebens bereits verankert ist. Deskriptiv wird sich der Frage genähert, was unter kultu- reller Daseinsvorsorge zu verstehen ist, um es schließlich auf den Punkt zu bringen, dass „Daseinsvorsorge im Bereich der Kultur (...) ein flä- chendeckendes Kulturangebot in den verschiedenen künstlerischen Sparten (meint), das zu erschwing- lichen Preisen, mit niedrigen Zu- gangsschwellen breiten Teilen der Bevölkerung kontinuierlich und ver- lässlich zur Verfügung steht. Neben der quantitativen Sicherung von kul- turellen Angeboten ist deren Quali- tät ein wesentliches Charakteristi- kum.“ Bewusst hat sich der Deut- sche Kulturrat gegen planerische Vorgaben entschieden. Es geht eben nicht darum, wie es z.B. beim Bibli- otheksplan 1973 noch diskutiert wurde, festzulegen, wie viele Medi- eneinheiten für wie viele Menschen in welcher Entfernung zur Verfügung stehen müssen. In der Vergangenheit hat sich erwiesen, dass diese Pla- nungsdaten eben nicht in die Tat umgesetzt wurden. Ziel muss viel mehr sein, im Dialog mit der Zivil- gesellschaft, mit den Bürgerinnen von rechts nach links: Kurt Eichler, Oliver Scheytt, Jörg Stüdemann, Hermann Glaser, Barbara Kisseler, Olaf Zimmermann. Foto: Franz Kröger EUROPA politik und kultur • März – April 2005 • Seite 16

Deutscher Kulturrat warnt vor Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtlinie

Berlin, den 16.12.2004. Der Deut- Grund für entsprechende Schutzklau- bliothek, in Gestalt eines Eintrittsgeldes nicht unter den Anwendungsbereich Kulturbereich, der Ökonomisierung sche Kulturrat, der Spitzenverband der seln und Sonderregelungen, so etwa in das Museum oder Theater bzw. beim der EU-Dienstleistungsrichtlinie fallen von Kunst und Kultur weiterer Vor- Bundeskulturverbände, warnt vor der auch für die Bemühung um eine Kon- Elternbeitrag für Musikschulen, läuft die- dürfen. schub geleistet wird und die Qualität Verabschiedung der geplanten EU- vention zum Schutz kultureller Vielfalt: se Einschränkung ins Leere. des künstlerischen und kulturellen Dienstleistungsrichtlinie und lehnt sie zwar sind in Teilbereichen auch künst- Keine Anwendung soll die EU-Dienst- Zu den kulturellen Dienstleistungen Angebotes leiden würde. in der vorliegenden assung ab. lerische Prozesse und Produkte Wa- leistungsrichtlinie darüber hinaus auf zählt auch die Tätigkeit von Verwer- ren, aber es sind auch dann Waren „Dienstleistungen von allgemeinem tungsgesellschaften; auch diese ist 4orderungen des Zielrichtung der EU- eigener Art, deren kulturelle Bedeu- Interesse“ finden. Hierbei wird Bezug daher von einer allgemeinen EU-Dienst- Deutschen Kulturrates Dienstleistungsrichtlinie tung als werttragend und identitätsstif- auf das „Grünbuch der EU-Kommissi- leistungsrichtlinie auszunehmen. Die tend nicht durch eine Behandlung als on zu Dienstleistungen von allgemei- Tätigkeit der Verwertungsgesellschaf- · Der Deutsche Kulturrat fordert, ge- Von der vorherigen EU-Kommission bloßes Wirtschaftsgut in rage gestellt nem Interesse“ genommen. Demge- ten ist in den einzelnen Mitgliedsstaa- genüber der horizontalen Regelung wurde im ebruar 2004 der Vorschlag werden darf. genüber sollen „Dienstleistungen von ten der EU unterschiedlich geregelt. des Dienstleistungsbereiches sekt- für eine „Richtlinie des Europäischen Unter den verschiedenen genannten allgemeinem wirtschaftlichen Inte- In einigen Staaten dürfen Verwertungs- oralen Regelungen den Vorzug zu ge- Parlaments und des Rates über Dienst- Maßnahmen der EU-Dienstleistungs- resse“ nicht ausgenommen werden. gesellschaften nur mit staatlicher Ge- ben. Sektorale Regelungen ermögli- leistungen im Binnenmarkt“ (EU- richtlinie ist für den Kulturbereich die Auch wenn Kulturdienstleistungen von nehmigung und unter strenger staat- chen, dass die spezifischen Aus- Dienstleistungsrichtlinie) vorgelegt. geplante Einführung des Herkunfts- öffentlich geförderten Kultureinrichtun- licher Aufsicht tätig werden; dies gilt gangslagen sowie Bedingungen eines Dieser Richtlinienvorschlag wird zur landsprinzip besonders bedeutsam. gen als Dienstleistungen von allgemei- nach dem Wahrnehmungsgesetz auch Bereiches Berücksichtigung finden Zeit in den europäischen Gremien be- Dieses hätte zur olge, dass der Dienst- nem Interesse betrachtet werden kön- für Deutschland. Nach der Dienstleis- können. Das Prinzip des Herkunfts- raten. Der Ausschuss der Regionen hat leistungserbringer nur den Rechtsvor- nen, ändert sich diese Betrachtungs- tungsrichtlinie könnten dagegen Ver- landes ist abzulehnen. bereits in seiner Stellungnahme vom schriften des Landes, in dem er seinen weise, sobald es ein privatwirtschaftli- wertungsgesellschaften aus allen Mit- 30.09.2004 Bedenken gegenüber die Sitz hat, also des Herkunftslandes, ches Pendant bzw. Teilprivatisierungen gliedsstaaten der EU in allen anderen · Sollte die EU-Kommission an einer Richtlinie geäußert. Die Behandlung im unterliegt. D.h. konkret Dienstleister gibt. Da zunehmend mehr öffentlich Mitgliedsstaaten tätig werden, ohne horizontalen Regelung des Dienstleis- Europäischen Parlament wird in der aus anderen EU-Mitgliedsstaaten kön- geförderte oder in Trägerschaft der öf- der dortigen Staatsaufsicht unterwor- tungssektors festhalten wollen, for- ersten Jahreshälfte 2005 erfolgen. nen in Deutschland ihre Leistungen fentlichen Hand befindliche Kulturein- fen zu sein. Die – im Interesse von Ur- dert der Deutsche Kulturrat eine Aus- anbieten und müssen sich dabei aus- richtungen wie z.B. Theater, Museen hebern und Nutzern eingeführte – nahmeregelung für den Kunst-, Kul- Die EU-Dienstleistungsrichtlinie steht schließlich an die Rechtsvorschriften oder Musikschulen Privatisierungsten- durch die staatliche Kontrolle garan- tur- und Medienbereich einschließlich im Kontext der so genannten Lissa- ihres Herkunftslandes und nicht mehr denzen unterliegen, sind sie potenziell tierte Qualitätssicherung der Tätigkeit des ilms sowie der kollektiven Ver- bon-Strategie, mit der das Ziel ver- die im Inland geltenden Qualitäts- und gefährdet. Der Deutsche Kulturrat von Verwertungsgesellschaften würde wertung von Urheberrechten. Der folgt wird, bis zum Jahr 2010 den EU- Sozialstandards halten. schließt sich daher der orderung des damit beseitigt. Ebenso würden Deutsche Kulturrat sieht die EU-Kom- Binnenmarkt zum dynamischsten, Europäischen Parlaments an die Eu- dadurch die nach deutschem Recht mission und die Abgeordneten des wissensbasierten Wirtschaftsraum der Die Richtlinie verfolgt einen dynamisier- ropäische Kommission an, einen ge- wichtigen sozialen und kulturellen Auf- Europäischen Parlaments in der Ver- Welt zu entwickeln. Die Richtlinie zielt ten Ansatz. Sie soll sukzessive verwirk- setzlichen Rahmen für „Dienstleistun- gaben der Verwertungsgesellschaften antwortung, hier die im EG-Vertrag darauf, einen Rechtsrahmen zu schaf- licht werden, bis im Jahr 2010 der Pro- gen im allgemeinen Interesse“ vorzu- (vgl. §§ 7 S. 2 und 8 Wahrnehmungs- festgelegte Kulturverträglichkeitsprü- fen, der bestehende Hindernisse im zess abgeschlossen sein soll. Ein we- schlagen. Es wird gefordert, dass alle gesetz) umgangen. Eine Einbeziehung fung konsequent anzuwenden und Dienstleistungsverkehr beseitigen sentliches Ziel der Richtlinie ist die Stär- von der öffentlichen Hand geleisteten der Tätigkeit von Verwertungsgesell- auf Grund der Gefahren für die ge- soll. Mit der Richtlinie wird ein hori- kung der Mobilität von kleinen und mitt- und finanzierten Dienstleistungen aus- schaften in eine allgemeine EU- nannten Bereiche, eine Ausnahme zontaler Ansatz angelegt, d.h. alle leren Unternehmen. drücklich vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie verbietet sich von der Richtlinie festzulegen. Dienstleistungsbereiche für Unterneh- geplanten „Richtlinie über Dienstleis- darüber hinaus auch, weil sich die men und Verbraucher werden Kultur in der EU-Dienst- tungen im Binnenmarkt“ ausgeschlos- Kommission schon völlig unabhängig · Darüber hinaus sieht der Deutsche gleichermaßen erfasst. Einige weni- leistungsrichtlinie sen werden. davon intensiv mit den spezifischen Kulturrat die Gefahr, dass die EU- ge Branchen wie Bankdienstleistun- Problemen der Wahrnehmung von Ur- Dienstleistungsrichtlinie die Gestal- gen oder Telekommunikation und ho- In seinem Positionspapier „Kultur als Darüber hinaus findet die EU-Richtli- heberrechten und verwandten Schutz- tungsmöglichkeiten der Mitglieds- heitliche Aufgaben werden ausgenom- Daseinsvorsorge“ (http://www.kulturrat. nie ohnehin Anwendung auf private rechten im Binnenmarkt, also der Tä- staaten im Kulturbereich einschränkt. men. Der horizontale Ansatz der Richt- de/daseinsvorsorge.htm) hat der Deut- Kultureinrichtungen – und seien es tigkeit von Verwertungsgesellschaften, Da die Europäische Union im Kultur- linie hat zur olge, dass branchen- bzw. sche Kulturrat herausgearbeitet, dass auch Scheinprivatisierungen der öf- befasst (Mitteilung der Kommission bereich nach Art. 151 EG-Vertrag nur sektorspezifische Besonderheiten Kunst und Kultur in zunehmendem fentlichen Hand -, auf die Tätigkeit von vom 16.4.2004 KOM (2004) endg.). subsidiär handeln darf, würde eine nicht berücksichtigt werden. Maße unter ökonomischen Gesichts- Künstlerinnen und Künstler sowie Anwendung der EU-Dienstleistungs- punkten betrachtet werden. Dies gilt die Unternehmen der Kulturwirt- Kultur als richtlinie auf den Kulturbereich die- Daraus folgt, dass auch Dienstleistun- nicht nur mit Blick auf den wirtschaftli- schaft. Daseinsvorsorge sem Vertragsartikel zuwider laufen. gen des Bildungs- und Kulturbereiches, chen Erfolg von Künstlern oder Kultur- Die Bewahrung und örderung der die audiovisuellen Medien und Dienst- einrichtungen, sondern auch in Hinblick Der Kunst- und Kulturbereich ist In seinem Positionspapier „Kultur als kulturellen Vielfalt zählen zu den leistungen der Gebietskörperschaften, auf die Einbeziehung von Kunst und also wie andere Sektoren auch von Daseinsvorsorge“ hat der Deutsche Grundwerten der Europäischen Ge- insbesondere der Kommunen, wie Wa- Kultur in internationalen Abkommen, der EU-Dienstleistungsrichtlinie Kulturrat ausführlich dargelegt, dass meinschaft. Neben ihrer estschrei- ren angesehen werden und damit nach die den Markt regeln sollen. Kunst und unmittelbar betroffen. Kunst und Kultur einen Doppelcha- bung in Art. 151 EG-Vertrag sind sie der EU-Dienstleistungsrichtlinie in vol- Kultur werden sowohl von der Welthan- rakter haben. Sie sind Wirtschaftsgü- in Art. 22 der Charta der Grundrech- lem Umfang den Marktgesetzen un- delsorganisation (WTO), der UNESCO Die Einbeziehung audiovisueller und ter aber auch kulturelle Güter, die von te der EU verankert und werden in terliegen, ohne dass ihr besonderer als auch der Europäischen Union als kultureller Dienstleistungen sowie der großer gesellschaftliche Bedeutung der von den Mitgliedstaaten der Eu- Charakter oder ihr gesellschaftlicher Dienstleistungen klassifiziert. Daraus ilmförderung verbietet sich aber sind. ropäischen Union noch zu ratifizieren- Nutzen berücksichtigt würden. folgt, dass Kunst und Kultur, sofern sie schon aus Art. 151 des EG-Vertrags den Verfassung an mehreren Stellen bei internationalen Abkommen oder zur Wahrung und örderung der kultu- Kunst und Kultur müssen nach Auffas- zu finden sein. Vor dem Hintergrund der derzeit eben auch im Geltungsbereich der EU- rellen Vielfalt. In dem der Kommissi- sung des Deutschen Kulturrates ein wieder verstärkt stattfindenden Dis- Dienstleistungsrichtlinie nicht explizit onsvorschlag in Art. 2 audiovisuelle elementarer Bestandteil der Daseins- · erner muss nach Auffassung des kussion über die geistigen Grundla- ausgenommen werden, den gleichen und kulturelle Dienstleistungen nicht vorsorge sein. Unter kultureller Da- Deutschen Kulturrates bei komplexen gen Europas und insbesondere der Regeln wie andere Dienstleistungsbe- komplett ausschließt, unterläuft er die seinsvorsorge versteht der Deutsche freiberuflichen Dienstleistungen wie Europäischen Union ist darauf hin- reiche unterliegen. Position der EU-Kommission im Zu- Kulturrat ein kontinuierliches flächen- z.B. Architekturdienstleistungen das zuweisen, dass gerade Kultur und sammenhang mit den GATS-Verhand- deckendes Kulturangebot in verschie- Bestimmungslandprinzip erhalten blei- Künste, dass die Künstlerinnen und In dem Entwurf der EU-Dienstleistungs- lungen, bei denen diese explizit nicht denen künstlerischen Sparten zu er- ben, da nur so anerkannte Qualitäts- Künstler sowie generell die Kultur- richtlinie wird klargestellt, dass sie kei- in den Angebots- bzw. orderungska- schwinglichen Preisen mit niedrigen standards gesichert werden können. schaffenden sehr viel stärker als ne Anwendung auf Tätigkeiten finden talog einbezogen waren. Der Deutsche Zugangsschwellen. Dieses Angebot bisher im politischen Handeln be- soll, die der Staat in Erfüllung seiner Kulturrat fordert deshalb, sämtliche muss qualitativ anspruchsvoll und der · Ebenso müssen erreichte Sozial- rücksichtigt werden müssen. Das sozialen, kulturellen, bildungspoliti- audiovisuellen und kulturellen Dienst- Innovation verpflichtet sein. Der Deut- standards im Kulturbereich fortgelten, heißt aber auch, Prinzipien und schen und rechtlichen Verpflichtungen leistungen einschließlich der kollekti- sche Kulturrat misst in seinem Positi- da sie wesentliche Voraussetzung für Handlungskonzepte von Kunst und ausübt und bei denen kein Entgelt ge- ven Verwertung von Urheberrechten onspapier „Kultur als Daseinsvorsorge“ die Qualität künstlerischer Leistungen Kultur, die bereichsspezifischen Re- zahlt wird. D.h. konkret, dass der ho- aus dem Geltungsbereich des Richtli- der kulturellen Bildung eine besondere sind. Das kulturellen Leben in geln ihrer Entstehung, Verbreitung heitliche Bereich von der Richtlinie nienvorschlag herauszunehmen. In Bedeutung bei, da kulturelle Bildung Deutschland zeichnet sich nicht nur und Rezeption zu respektieren. ausgenommen werden soll. Ebenso wird diesem Zusammenhang wird auch auf dazu beiträgt, Interesse für Kunst und durch eine große Quantität und Viel- Insbesondere heißt das, dass eine der Kulturbereich in Trägerschaft der die Maßnahmen zur ilmförderung ver- Kultur zu wecken und zu fördern. fältigkeit des kulturellen Angebotes, rein marktbezogene Denkweise nicht öffentlichen Hand explizit angesprochen wiesen, die gemäß der filmwirtschaft- sondern auch durch eine hohe Qua- angemessen ist und letztlich für die und eingeschränkt. Da hier in der Regel lichen Mitteilung der Kommission vom Der Deutsche Kulturrat befürchtet, dass lität aus. Diese darf durch die Ein- notwendige kulturelle Vielfalt schäd- aber ein Entgelt verlangt wird, sei es als 16. März 2004 (KOM (2004) 171 bei der Anwendbarkeit der geplanten führung des Herkunftslandsprinzips lich wäre. Diese Erkenntnis ist der Jahresgebühr für die Nutzung einer Bi- endg.) geregelt sind und damit auch EU-Dienstleistungsrichtlinie auf den nicht gefährdet werden.

Capriccio für Siegfried Palm Henriette Zehme: ConBrio Verlagsgesellschaft Ein Gesprächsporträt von Michael Zeitgenössische Musik und ihr Publikum Brunnstraße 23 CONBRIO 93053 Regensburg Schmidt Eine soziologische Untersuchung im Tel. 0941/945 93-0 Unter Mitwirkung von Theo Geißler, Rahmen der Dresdner Tage der Fax 0941/945 93-50 Juan Martin Koch, Brigitte Palm und zeitgenössischen Musik www.conbrio.de NEUHEITEN [email protected] Ludwig Harig ZeitMusikSchriften Band 1(Hellerauer ZUR MUSIKMESSE Paperback, ca. 192 Seiten Beiträge zur zeitgenössischen Musik) € 14,80 Paperback, 228 Seiten APRIL 2005 CB 1171, ISBN 3-932581-71-7 € 14,80, CB 1151, ISBN 3-932581-51-2 EUROPA politik und kultur • März – April 2005 • Seite 17

Kippt die Dienstleistungsrichtlinie? Der Untergang des Abendlandes findet auch diesmal nicht statt • von Karin Junker

Droht diesmal der Untergang des der nicht eben linksverdächtige Bun- rahmen dar, der zwar durchaus Er- Ein Blick zurück, nicht im Zorn: Die um die zum Teil ebenso erbittert ge- Abendlandes? Man könnte es glau- desrat stellt fest, dass der Kommis- gänzungen – vor allem in Bezug auf europäische Integration ist seit jeher rungen wurde. Wir sind überwie- ben angesichts der geballten Ableh- sionsvorschlag zu einer „weitest ge- Online-Angebote - bedarf, aber nicht ein Prozess learning by doing. Es gab gend sogar ziemlich gut damit ge- nung des Vorschlags der Europäi- henden Verdrängung des Staates, in im Kontext mit einer Dienstleis- Eurosklerose, der Motor einer immer fahren. schen Kommission für eine „Richt- dem die Dienstleistung erbracht tungsrichtlinie, die sich nur am Fak- größer werdenden Gemeinschaft Wird die Dienstleistungsrichtlinie linie über Dienstleistungen im Bin- wird, zugunsten der Vorschriften des tor Wirtschaft und nicht am Faktor geriet immer mal ins Stottern, und also gekippt? Auch diesmal darf man nenmarkt“, auch von Seiten des Herkunftslandes“ führt. Will sagen: Kultur, genauer gesagt, kulturelle es gab Phasen, da kam man gedank- davon ausgehen, dass nichts so heiß Deutschen Kulturrates. Die Dienstleistungsrichtlinie be- Vielfalt, orientiert. Zweifellos ist eine lich kaum hinterher. Typisch ist, vor gegessen wird, wie es gekocht wird. günstigt Billiganbieter aus Niedrig- Anpassung der Fernsehrichtlinie allem in Deutschland, bei neuen Vor- Schon hören wir die Signale, die Bin- orum geht es? Nach Auffas- Standard-Ländern zu Lasten von In- und anderer Vorschriften an die haben immer erst einmal ein Anti- nenmarktkommissar McCreevy aus- W sung der Kommission um die ländern, die an hohe Standards etwa technischen Entwicklungen und das reflex. Die Begeisterung derer, die sendet. Er ließ per Pressemeldung überfällige „Vollendung eines wirk- des Arbeitnehmer- und Verbrau- veränderte Kommunikationsverhal- einst auszogen, die Schlagbäume wissen, dass er guten Willens sei, die lichen Binnenmarktes für Dienstleis- cherschutzes gebunden sind. Die ten nötig, weshalb sich das Europäi- niederzureißen, verzagt angesichts Bedenken „einiger Mitgliedstaaten tungen“. Die Richtlinie soll einen Sorge ist nicht unberechtigt, und die sche Parlament vehement für einen der Mühen der Ebenen. Hier schlägt und Europaabgeordneten“ zu be- Beitrag zur Verwirklichung der so ge- Ausnahmen, die in dem Entwurf ent- abgestuften Regelungsrahmen in die Stunde der Bedenkenträger. rücksichtigen. Ihm sei die einver- nannten Lissabonstrategie leisten. halten sind, können keineswegs alle Form einer Inhalte-(Content-)Richt- Trotzdem ist es z. B. zur Zollunion, nehmliche Verständigung auf einige Zur Erinnerung: Im März 2000 setz- Bedenken ausräumen. linie ausgesprochen hat – aber auch dem Binnenmarkt, dem Euro, einem Liberalisierungsmaßnahmen wich- te sich der Europäische Rat in der Nach ausführlicher Lektüre der das ist ein anderes Thema. immer stärker werdenden direkt ge- tiger als die reine Lehre. Noch ist portugiesischen Hauptstadt zum beachtlichen Fleißarbeit verfällt Was den Hörfunk angeht, haben wählten Parlament und jetzt auch ei- nicht zu erkennen, welche Zuge- Ziel, die Europäische Union bis zum man leicht in eine gewissen Ratlosig- wir bisher in Europa ohne grenzü- nem Verfassungsvertrag in spe ge- ständnisse er konkret zu machen Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten keit nach dem Motto: Nichts Genau- berschreitende Gesetzgebung ganz kommen. bereit ist, aber wenn alles den übli- und dynamischsten wissensbasier- es weiß man nicht. Auch der Bundes- gut gelebt. Hier hat es einen Harmo- Apropos Binnenmarkt: Der war chen europäischen Gang nimmt, ten Wirtschaftsraum der Welt zu ma- rat bezweifelt, „ob die Auswirkungen nisierungsdruck wie im Fernsehbe- das Negativthema im Wahlkampf wird am Ende mit einer Vielzahl von chen, wovon wir jetzt, zur Halbzeit, in sensiblen Bereichen wie Sicher- reich nie gegeben. Es wäre völlig wi- 1989 schlechthin. In der angepeilten Veränderungen ein Kompromiss allerdings noch ziemlich weit ent- heit, Rechtssicherheit, Gesundheits- dersinnig, unter dem Vorzeichen, grenzüberschreitenden Freiheit für herauskommen, mit dem alle leben fernt sind. Aber es ist ja nicht grund- und Verbraucherschutz, Waffenrecht Hürden abbauen zu wollen, neue Menschen, Waren, Kapital und können (und müssen). In dieser sätzlich verwerflich, ehrgeizige Zie- oder auch auf überwiegend staatlich Hürden zu errichten, wo es bisher Dienstleistungen (!) wähnten brei- Disziplin sind die Europäer Welt- le zu verfolgen. Die so genannte finanzierte Tätigkeiten im Bildungs- keine gab. te Kreise, nicht zuletzt die Gewerk- meister. Dienstleistungsrichtlinie – samt An- und Forschungsbereich sachgerecht Von Kunst, Kultur und Kultur- schaften, das Einfallstor für Über- Der Untergang des Abendlandes lagen 89 Seiten umfassend – soll Hin- sind.“ schaffenden ist in dem Richtlinien- flutung mit Drogen, Kriminellen findet daher auch diesmal gewiss dernisse für die Niederlassungsfrei- entwurf nirgendwo die Rede, aber es und Terroristen, und vor allem So- nicht statt. heit und den freien Dienstleistungs- Sensible Bereiche ist klar, dass auch Kunst und Kultur, zialdumping auf der ganzen Linie. verkehr zwischen den Mitgliedstaa- in welcher Form auch immer, unter So schlimm ist es bekanntlich nicht Der Verfasserin war von 1989 bis ten beseitigen und allseitige Rechts- Zu den besonders sensiblen Berei- die Dienstleistungsrichtlinie fallen gekommen, dafür haben schon an 2004 Mitglied im Europäischen sicherheit schaffen. Aber gerade chen zählen Kunst, Kultur und Me- können, denn auch Kunst und Kul- die dreihundert Richtlinien gesorgt, Parlament letzteres wird in Zweifel gezogen. dien, die bekanntlich unter das Sub- tur haben, wie Medien, einen Dop- Der Richtlinienvorschlag hat ei- sidaritätsprinzip fallen. Die Kultur- pelcharakter. Sie sind ein Kulturfak- nen horizontalen Ansatz, d. h. er soll hoheit, Rundfunkhoheit inklusive, tor von ideellem Wert, aber ebenso für sämtliche Dienstleistungen gel- obliegt den Mitgliedsstaaten bzw. in Wirtschaftsgut und Dienstleistungs- ten, so weit sie nicht bereits in sek- Deutschland den Bundesländern, faktor. Und weil es hier zwar Abonnieren oder empfehlen torspezifischen Richtlinien – z.B. der was schon seit längerem zumindest möglicherweise um gewinnträchtige Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen partiell die Begehrlichkeit einschlä- Dienstleistungen, nicht aber um die Sie puk und Sie erhalten ein – geregelt sind. Das ist ein weites, giger Brüsseler Kommissare hervor- Marktgesetze des Teppichhandels wahrscheinlich zu weites Feld, das ruft, verstärkt durch allerlei Anwür- und der Vermarktung von Butter, ganz besonderes auch bei Wohlmeinenden viele un- fe des VPRT (Verband Privater Rund- Eier, Käse geht, ist die Sorge des beantwortete Fragen aufwirft. Als funk und Telekommunikation), der Deutschen Kulturrates vor negativen Dankeschön! Dienstleistung gilt „jede selbständi- sich Schützenhilfe aus Brüssel er- Auswirkungen der Dienstleistungs- ge wirtschaftliche Tätigkeit, bei der hofft in dem Bestreben, dem öffent- richtlinie berechtigt. Ob sektorale einer Leistung eine wirtschaftliche lich-rechtlichen System die Grund- Vorschriften sinnvoll sein könnten, Leistung gegenübersteht“, die „von lage zu entziehen. Aber das ist eine wäre sorgfältig zu prüfen. Auch sie Dienstleistern erbracht“ wird, „die in andere Baustelle. können leicht mit dem Subsidari- DEUTSCHE einem Mitgliedstaat niedergelassen Die Stellungnahme des Bundes- tätsprinzip kollidieren. Am besten sind.“ rates, die ja nur eine von vielen ist, wäre, die Bereiche Kunst, Kultur und ORCHESTER Alles klar? Handelt es sich doch stellt das erklärte Ziel der Kommis- Medien völlig aus dem Anwen- Zwischen Bilanz und um „einen sehr weiten Bereich wirt- sion, den Binnenmarkt im Dienst- dungsbereich auszuklammern. schaftlicher Tätigkeiten, wie leistungsbereich zu verwirklichen, Die Berichterstatterin des Euro- Perspektive beispielsweise Unternehmensbera- keineswegs infrage. Auch der Bun- päischen Parlaments, die deutsche Herausgegeben von der tung, Zertifizierungs- und Prüfungs- desrat sieht durchaus Chancen für Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt, Jungen Deutschen oder Wartungstätigkeiten, die Unter- Entfaltungsmöglichkeiten deutscher hat noch viel vor sich, um alle Inter- Phiharmonie, mit Beiträgen haltung und die Bewachung von Bü- Dienstleistungsunternehmen, findet essen unter einen Hut zu packen und von Wolfram Goertz, Heiner roräumen, Werbung, Personalagen- aber auf stattlichen 22 Seiten gleich einen abstimmungsreifen Vorschlag Gembris, Monika Griefahn, turen, einschließlich Zeitarbeitsver- dutzendweise Haare in der Liberali- in das Parlament einzubringen. Wie Gerald Mertens u.a. mittlungen, die Dienste von Han- sierungs-Suppe, nicht zuletzt unter man hört, hat sie sich vorgenom- delsvertretern, Rechts- und Steuer- Berufung auf das Subsidaritätsprin- men, die Zahl der Änderungsanträ- ConBrio Verlagsgesellschaft beratung, Dienstleistungen des Im- zip, etwa, um ein „exotisches“ Bei- ge unter 800 (!) zu halten, wogegen mobilienwesens, wie die Tätigkeit spiel zu nennen, bei der Veranstal- jedoch andererseits mit deutlich hö- Anlässlich ihres 30. Geburtstages zieht die Junge Deutsche der Immobilienmakler, Dienstleis- tung von Glücksspielen. Diese sol- heren Nummern spekuliert wird. Philharmonie Bilanz und zeigt Perspektiven für die tungen des Baugewerbes und der len, so fordert der Bundesrat, Herzlichen Glückwunsch, Evelyne! Orchesterlandschaft in Deutschland auf. Architekten, Handel, die Veranstal- ebenso aus dem Anwendungsbe- Inzwischen liegt ein Arbeitsdoku- 160 Seiten, Paperback, tung von Messen, die Vermietung reich der Richtlinie herausgenom- ment vor. Es stößt sich hauptsäch- CB 1166 von Kraftfahrzeugen, Sicherheits- men werden wie die audiovisuellen lich am Herkunftslandprinzip und dienste, Dienstleistungen der Frem- Dienstleistungen, insbesondere wirft viele klärungsbedürftige Fragen ISBN 3-932581-66-0 denverkehrsbranche, einschließlich Rundfunk und Filmförderung. Denn: auf, aber Aussagen zu Medien, Kunst ...... der Dienste von Reisebüros und „Medien haben eine über den wirt- und Kultur sind darin (noch) nicht # Fremdenführern, audiovisuelle schaftlichen Aspekt hinausgehende aufgenommen. Man darf jedoch hof- Ich möchte politik und kultur (puk) abonnieren Dienste, Sportzentren und Freizeit- weit reichende kulturelle Bedeu- fen, dass sie diesbezüglich auf der (€ 18,00/6 Ausgaben im Jahr, inkl. Porto) und erhalte als parks, Dienstleistungen im Freizeit- tung.“ Hier sind Bundesrat, ARD und richtigen Seite ist. Geschenk das Buch: bereich, Gesundheitsdienstleistun- ZDF (ebenso wie die Europäische Deutsche Orchester – zwischen Bilanz und Perspektive gen und häusliche Dienste wie die Rundfunk-Union (EBU) auf europä- Inzwischen Proteste Pflege älterer Menschen.“ Das dürf- ischer Ebene) ganz nah beieinander, Meine Adresse (=Rechnungsanschrift) te genügen, um zu verdeutlichen, was ja nicht immer so ist. Es dürfte Inzwischen haben auch Berlin und dass der Richtlinienentwurf jede an dieser Stelle nicht nötig sein, in Paris Protest angemeldet, Bundes- Ich abonniere puk Menge Zündstoff enthält. epischer Breite darzustellen, warum kanzler Schröder befürchtet nun der audiovisuelle Bereich in einer Lohndumping und andere Risiken. Herkunftslandprinzip EU-Dienstleistungsrichtlinie nichts Selbst bei der deutschen Wirtschaft ist Name zu suchen hat. Es müsste Einigkeit der Jubel in Bedenken umgeschlagen. Hauptkritikpunkt, gegen den die bestehen, dass alles dafür getan wer- Im Zentralverband des Deutschen unterschiedlichsten Akteure Sturm den muss, der Aushöhlung von spe- Handwerks fürchtet man mal wieder Straße laufen, ist das so genannte Her- zifischem Rundfunk- bzw. Medien- die Abschaffung des Meisterbriefs – kunftslandprinzip, nach dem – von recht entgegenzustehen. zu Unrecht, behauptet die Kommis- Ausnahmen abgesehen – „der Die geltende Fernsehrichtlinie, sion. Die für die Informationsgesell- PLZ Ort Dienstleistungserbringer nur den das so genannte Telekompaket (das schaft und Medien zuständige Kom- Rechtsvorschriften des Landes un- z. B. ausdrücklich „Must-Carry“-Vor- missarin Viviane Reding verabreicht Unterschrift/Datum terliegt, in dem er niedergelassen schriften enthält, die nach der Beruhigungspillen: der Rundfunk, der ist.“ Versteht sich, dass zwischen Dienstleistungsrichtlinie aber hin- öffentlich-rechtliche zumal, sei „si- Bundeswirtschaftsminister Wolf- terfragt werden sollen) und eine Rei- cher“. Wozu dann der Hinweis auf „au- Coupon einsenden/faxen an: ConBrio Verlagsgesellschaft mbH, gang Clement und Liberalisierungs- he von einschlägigen Schutzrechten diovisuelle Dienste“? Vom Kulturkom- Brunnstraße 23, 93053 Regensburg, 4ax: 0941/945 93 50 gegnern diesbezüglich eine herzli- sowie die e-commerce-Richtlinie missar hört man nichts. Es fehlt an lau- che Gegnerschaft besteht, aber auch stellen einen weit gefassten Rechts- ten Stimmen für die Kultur! EUROPA politik und kultur • März – April 2005 • Seite 18

Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt Bewertung des UNESCO-Abkommens aus Sicht der Kultusministerkonferenz • von Wilhelm Neufeldt

Die Länder haben im November EU aus. Die EU deckt mehr als ¼ des gegenüber fremden Einflüssen nicht EU-Kommission hat weder Forde- allein wegen Kunstmarktseiten kau- 2003 im Bundesrat erklärt, dass die gesamten Welthandels im Dienst- gedeihen. Ich meine, niemand will zu rungen im Kulturbereich an Dritt- fen, sind besorgt und fragen nicht zu Wahrung und 0örderung der kultu- leistungsbereich ab. Diese Zahlen den Zeiten der Abschottung zurück. staaten gestellt, noch macht sie Unrecht, wie weit diese Entwicklung rellen Vielfalt für sie ein vorrangi- belegen die wirtschaftliche und Das Handeln mit kulturellen Gütern selbst Liberalisierungsangebote. noch getrieben werden wird und ob ges Anliegen ist und ein wichtiges nicht zuletzt beschäftigungspoliti- und Dienstleistungen darf im Grund- Zudem enthält das GATS eine noch ein Gefühl dafür vorhanden ist, Ziel der Kulturpolitik in den Mit- sche Bedeutung des Dienstleis- satz nicht in Frage gestellt werden. Schutzklausel für Dienstleistungen, dass es sich um eine öffentliche Auf- gliedsstaaten der Europäischen tungssektors, die durch den Abbau Um die Kultur dürfen keine protekti- die in Ausübung hoheitlicher Gewalt gaben der Daseinsfürsorge handelt. Union sein muss. Sie sehen in der von Handelshemmnissen gestärkt onistischen Zäune gezogen werden. erbracht werden, also solche, die So haben Staat und Kommunen angestrebten UNESCO-Konvention werden kann. Die Kultur nimmt in Jedoch muss der kulturelle Reich- weder zu kommerziellen Zwecken die Kultur aus dem Kernbereich ih- eine wichtige Orientierungshilfe bei Deutschland nach der Zahl der Be- tum bewahrt werden. Die Staaten noch im Wettbewerb mit einem oder rer Tätigkeit, auf den man sich nur den Verhandlungen im Rahmen des schäftigten einen nicht unbedeuten- dürfen ihres kulturpolitischen Ge- mehreren Dienstleistungserbrin- noch beschränken will, herausdefi- GATS, indem sie die Besonderhei- den Platz ein. Die Gesamtzahl der staltungsspielraumes, den sie zur gern erbracht werden. Hier stellt sich niert. Im Ergebnis wurden die priva- ten des Kultursektors zum Ausdruck Erwerbstätigen in den Kulturberufen Bewahrung der kulturellen Vielfalt, jedoch die Frage, ob wir in Deutsch- tisierten Einrichtungen per Definiti- bringt und dazu beiträgt, die kultur- belief sich nach einer von Frau des Meinungspluralismus und land nicht schon den Ast, auf dem on aus der Schutzklausel des GATS spezifischen Aspekte stärker zum Staatsministerin Weiss in Auftrag ge- letztlich zur Wahrung ihrer Identität wir sitzen, abgesägt haben: entlassen. Für sie gilt grundsätzlich Tragen zu bringen. gebenen Studie2 im Jahr 2003 auf einsetzen, nicht verlustig gehen. In Deutschland werden seit meh- das Gebot der Liberalisierung. rund 780.000 Personen. Bezogen auf Hierfür benötigen wir – trotz der reren Jahren zunehmend Kultur- Bayern oder Baden-Württemberg usdrücklich loben will ich, und die gesamte erwerbstätige Bevölke- nicht zu unterschätzenden flexiblen dienstleistungen aus dem Bereich beschreiten einen anderen Weg. Sie A das ist – wie die jüngsten Ereig- rung entspricht dies einem Anteil in Ausgestaltung des GATS – die der öffentlichen Verwaltung unter belassen es bei der Zuordnung der nisse insbesondere in der Föderalis- Höhe von 2,2 Prozent. Im Vergleich UNESCO-Konvention als Gegenge- den Schlagworten „Rechtsformwan- Kunst- und Kultureinrichtungen zur muskommission gezeigt haben – stehen den 780.000 „Kulturberuf- wicht zu einer rein wirtschaftlichen del“, „Verwaltungsoptimierung“ und öffentlichen Hand und ermöglichen nicht immer so, das hohe Maß an lern“ 620.000 Beschäftigte in der ge- Betrachtungsweise. nicht zuletzt „Flexibilisierung“ aus- ein wirtschaftlicheres Handeln - um Übereinstimmung zwischen den samten Automobilindustrie gegenü- Wie sich der Bund und die Län- gegliedert und in gewöhnliche Kapi- nicht missverstanden zu werden, es Ländern und dem Bund und die sehr ber, eine Branche immerhin, die oft der im Ziel der Konvention einig talgesellschaften oder sonstige Kör- handelt sich um ein Ziel, das meine gute Zusammenarbeit insbesondere als tragende Säule der deutschen sind, so trifft das auch auf Detailfra- perschaften umgewandelt. Ehemali- volle Unterstützung findet – im Rah- mit dem Auswärtigen Amt. Ebenso Volkswirtschaft bezeichnet wird. gen zu. So darf bei aller guter Absicht ge Staatsmuseen oder Staatsballette men des öffentlichen Haushaltsrechts. erfreulich ist das bislang einver- Zwischen 1995 und 2003 ist die Zahl durch die Konvention nicht ein zu- sind plötzlich nur noch beschränkt Der Wirtschaftsteil des Tagesspie- nehmliche Zusammenwirken der der im Kultursektor Tätigen sätzlicher Verwaltungsapparat ge- haftbar zu machen. Im günstigsten gels berichtete am 12. Januar 2005 EU-Kommission und der Mitglieds- insgesamt um 31 Prozent gestiegen. schaffen, den Vertragsstaaten nicht Fall handelt es sich um „Scheinpri- über ein neues Urteil des EuGH, wo- staaten. Sicher wird es noch in kon- Dies bedeutet ein jährliches Wachs- überbordender Verwaltungsauf- vatisierungen“, also von der öffent- nach öffentliche Aufträge an kommu- kreten Fragen zu unterschiedlichen tum um 3,4 Prozent, dem im glei- wand (Notifizierungs- und Berichts- lichen Hand beherrschte Tochterun- nale Firmen (meist der Daseinsfür- Positionen kommen, nicht nur zwi- chen Zeitraum ein Nullwachstum im pflichten) aufgebürdet und es dürfen ternehmen, zum Teil handelt es sich sorge) nicht ohne Ausschreibung ver- schen den Staaten und der Kommis- Gesamt der erwerbstätigen Bevölke- keine (einklagbaren) Leistungsrech- um „echte“ Privatisierungen (Über- geben dürfen, wenn an diesen Fir- sion, sondern auch zwischen den rung gegenübersteht. Der Anteil des te Einzelner postuliert werden. tragung öffentlicher Einrichtungen men auch Private beteiligt seien, was nunmehr 25 Mitgliedstaaten, aber es Kulturbereiches an der Gesamtbe- Lassen Sie mich aber abschlie- an Trägervereine). die Kommunen aber nicht als prakti- scheint doch so zu sein, dass das schäftigung hat sich also in den letz- ßend noch ein Wort zum GATS sa- Formal unterscheiden sich die kabel ansehen. Ein Rechtsexperte des Anliegen der UNESCO-Konvention ten acht Jahren signifikant vergrö- gen: Mit seinen 12 Dienstleistungs- privatisierten Unternehmen nicht Deutschen Städte- und Gemeinde- im Grundsatz unstrittig ist. ßert, wobei klar ist, dass diese Beru- sektoren und 155 Subsektoren er- von anderen Kapitalgesellschaften, bundes prognostizierte, dass dieses Möglicherweise hat zur Entspan- fe nicht im öffentlichen Sektor ent- laubt es nach meinem Dafürhalten die kulturelle (kulturwirtschaftliche) Urteil faktisch zu einer stärkeren Ten- nung auch die Erkenntnis beigetra- standen sind, im Gegenteil, dort war in der Tat ein sehr differenziertes Zwecke verfolgen, nur dass der denz der Rekommunalisierung füh- gen, dass die Liberalisierung des die Zahl der Kulturbeschäftigten Vorgehen bei der Liberalisierung, „Shareholder“ die öffentliche Hand ren wird. Vielleicht – und darüber Handels mit Dienstleistungen und rückläufig. Die Gruppe der selbst- wenn es innerhalb der Europäischen ist und/oder sie exklusiv von der öf- sollten wir diskutieren – brauchen wir Ausnahmen für den Kultursektor ständigen Kulturberufe wächst vier Union gelingt, am politischen Kon- fentlichen Hand finanziert werden. eine erneute „Rekommunalisierung/ keine unüberwindlichen Gegensät- mal schneller als das Gesamt der sens, Kultur nicht zu liberalisieren, Sind aber nicht auch die Kulturstif- Verstaatlichung“ der Kunsteinrich- ze bilden müssen. Vielmehr geht es Selbstständigen in der Bevölkerung. festzuhalten. Denn die Staaten bzw. tung der Länder, die Kulturstiftung tungen. Gehören sie – nach alldem darum, internationale Handelsrege- Ist es vor diesem Hintergrund die EU-Kommission haben das Ini- des Bundes oder die Deutsche Stif- was heute gesagt wurde – nicht doch lungen und die Besonderheiten der wirklich eine provokante Frage, ob tiativrecht, also immer auch die tung Denkmalschutz privatrechtli- zum Kernbereich? Kultur mit ihrem Doppelcharakter der Abbau von Hemmnissen nicht Möglichkeit, nicht initiativ zu wer- che Stiftungen, die im Wettbewerb (Gegenstand staatlicher Kulturpoli- auch eine Chance für Deutschland den. Zudem hat die EU eine restrik- mit den anderen privatrechtlichen Der Verfasser ist Leiter der Kultur- tik zu sein und gleichzeitig Handels- bedeuten könnte? tive Verhandlungslinie festgeschrie- Kulturstiftungen stehen. abteilung im Ministerium für gut) in einen gerechten Ausgleich zu Die Bedingungen für den interna- ben, indem sie bei den für alle Sek- Eine besondere Vorreiterrolle Wissenschaft, Forschung und Kultur bringen. Zu Recht hat die Deutsche tionalen Kulturaustausch, sind trotz toren verbindlichen Verpflichtungen nimmt ein uns durch seinen Apfel- Brandenburg UNESCO-Kommission darauf hinge- aller Restriktionen in einzelnen Län- Beschränkungen eingetragen hat, wein bekanntes Land ein, dem jetzt wiesen, dass nationale Ausnahmefor- dern und Regionen heute so gut wie wonach in sämtlichen EU-Mitglieds- die Gemütlichkeit gehörig ausgetrie- Der Beitrag ist die leicht überarbeite- derungen für die Kultur ebenso wie nie zuvor. Der Fall des Eisernen Vor- staaten „Dienstleistungen, die auf ben wird. Es wird straff nach wirt- te Fassung des Statements anlässlich der Freihandel an die internationalen hangs, die Demokratisierung in den nationaler oder örtlicher Ebene als schaftlichen Grundsätzen einer Ak- der Veranstaltung zur Konvention Vereinbarungen über die Menschen- mittel- und osteuropäischen Län- öffentliche Aufgaben betrachtet wer- tiengesellschaft organisiert und zum Schutz der kulturellen Vielfalt rechte und Grundfreiheiten gebun- dern, die EU-Erweiterung, Reisefrei- den, staatlichen Monopolen oder wohl künftig auch durch einen Vor- am 17.1.2005 in Berlin. den sind.1 Die Vorschläge, die Frau heit, aber auch die immer schnellere ausschließlichen Rechten privater standsvorsitzenden geführt. Dort ist Prof. Dr. Schorlemmer in der letzten Verbreitung von Inhalten über mo- Betreiber unterliegen“ können. der gesamte staatliche Kunstbesitz 1 Resolution der 64. Hauptversammlung Fachtagung zum Verhältnis von GATS derne Medien haben günstige Vor- Daneben hat sich die EU vorbehal- bis hin zum letzten Karton mit ar- der Deutschen UNESCO-Kommission, Leipzig am 7. und 8. Juli 2004 aussetzungen geschaffen, um eigene ten, Subventionen auf Staatsangehö- chäologischen Scherben bewertet und UNESCO-Übereinkommen un- 2 Michael Söndermann, „Kulturberufe terbreitet hat, scheinen mir den rich- künstlerische Angebote bekannt zu rige eines Mitgliedstaats zu be- und in die Bilanz des Landes aufge- in Deutschland“ tigen Weg zu weisen. machen oder fremde kennen zu ler- schränken bzw. staatliche Förderung nommen worden. Die an Kunst und 3 unesco heute online, Ausgabe 10. Ok- Dienstleistungen machen rund nen. Kultur kann ohne den wechsel- nicht auf niedergelassene Anbieter Kultur Interessierten, die z.B. die FAZ tober 2003, Stichwort: GATS und kul- 2/3 des Bruttoinlandsprodukts der seitigen Austausch, ohne Offenheit aus Drittstaaten auszuweiten.3 Die wegen ihres Feuilletons und nicht turelle Vielfalt Europa und die Kultur Verhandlungen ums Geld, um Dienstleistungsfreiheit, bei der UNESCO und um die Zukunft der Programme • Von Barbara Gessler

Einen ersten Höhepunkt des Jahres prägt, aber auch von stichhaltigen die Kulturprogramme in der „Agen- konnten beruhigt werden. Für die des Jahres angesiedelt ist, eruiert. erreicht die Debatte um den Richt- und guten Argumenten begleitet da 2007“ fallen, redet man jedoch Europäische Kommission ist es Ersten Input geben die Ergebnisse linienvorschlag der Europäischen werden muss. von durchaus bescheidenen 1,8 % besonders wichtig, dass eine Koor- einer Studie, die Anfang des Jahres Kommission über Dienstleistungen Vorläufig geschlossen scheint da- der Gesamtausgaben. Im Frühsom- dinierung der gemeinsamen Positi- erscheinen soll, nach der nach wie im Binnenmarkt und zwar sowohl gegen bei Redaktionsschluss die Dis- mer sollte eigentlich sowohl allge- on bei den Verhandlungen im Vor- vor nur 12,5 % des nationalen TV- innerhalb des Europäischen Parla- kussion um die unmittelbare Zu- mein, als auch für einzelne Sektoren feld stattfindet und dass das Ge- Programms aus dem europäischen ments (Berichterstatterin die deut- kunft der Kulturhauptstädte, nach- (für Kultur und audiovisuelle Fragen wicht, das dieser gemeinsam erho- Ausland stammen, die Quoten im sche SPD-Abgeordnete Evelyne Ge- dem sowohl Rat als auch Parlament Ende Mai) mehr Klarheit geschaffen benen Stimme somit verliehen wird, allgemeinen jedoch respektiert wür- bhardt) als auch durch eine mögli- sich über eine Erhöhung des Budgets werden, aber ob dieser Zeitplan an- nicht gemindert wird. Welche inhalt- den. Die Frage nach dem Regelungs- che „neue“ Haltung Deutschlands zugunsten der neuen Mitgliedstaa- gesichts der disparaten Interessens- lichen Fortschritte man im Februar bereich der Richtlinie und der Neu- im Ministerrat. ten einigen konnten. Gleichzeitig lage innerhalb der Union gehalten in Paris erreicht haben wird, ist beim gestaltung der Gesetzgebung mit arbeitet die Europäische Kommissi- werden kann, erscheint mehr als Verfassen des Artikels noch nicht er- Blick auf den Inhalt und nicht auf ährend die Bundesregierung on derzeit, wie angekündigt, an ei- fraglich. Eine zeitliche Verschiebung kennbar gewesen. sein technologisches Transportmit- W bisher auf die enormen posi- ner Revision des Auswahlverfahrens. der Entscheidungen wird, wie Wie es innerhalb der EU um die tel ist eine, die auch im Zusammen- tiven potenziellen Auswirkungen auf Beim Budget nicht nur für die bereits in der Vergangenheit erfah- Politik zum Schutz der kulturellen hang mit den GATS-Verhandlungen den Arbeitsmarkt durch eine Libera- Kulturprogramme sondern für die ren, sicher auch praktische Folgen Vielfalt im audiovisuellen Bereich eine nach wie vor sehr große Rolle lisierung der grenzüberschreitenden Prioritäten im Rahmen der finanzi- für die konkrete Gestaltung der ein- bestellt ist und wie sie zukünftig ge- spielt und aufmerksam beobachtet Dienstleistungen hingewiesen hatte, ellen Vorausschau 2007 bis 2013 wird zelnen Programme haben. staltet werden soll, etwa wenn es um wird. scheinen die Bedenken auch in an- es in diesem Jahr in die entscheiden- Positiv jedoch scheint die Eini- die in der Richtlinie Fernsehen ohne Zumindest für den Rundfunk deren Staaten gegenüber manchen de Runde gehen, in der die luxem- gung mit Blick auf das Verhandlungs- Grenzen vorgesehenen Quoten für lässt sich das Jahr in jeder Hinsicht dem Richtlinienvorschlag zugrunde burgische und im zweiten Halbjahr mandat der Europäischen Kommis- europäische Programme geht oder als eine Herausforderung an. liegenden Prinzipien inzwischen so die britische Präsidentschaft eine sion bei der UNESCO verlaufen zu welcher technologische Bereich ei- virulent geworden zu sein, dass der große Herausforderung zu bewälti- sein. Bedenken vonseiten einiger gentlich dafür zugrunde gelegt wer- Die Verfasserin ist Leiterin weitere institutionelle Entschei- gen haben werden. Unter dem Titel Mitgliedstaaten wie Großbritannien den wird, wird derzeit bei der Gene- der EU-Vertretung in dungsprozess sehr intensiv sein wird „Unionsbürgerschaft, Freiheit, Si- und Griechenland bezüglich einer raldirektion Informationsgesell- und sowohl von Abwägungen ge- cherheit und Recht“, unter die auch wichtigen Rolle für die Kommission schaft, wo dieser Bereich seit Beginn EUROPA politik und kultur • März – April 2005 • Seite 19

Kulturpolitik und der Schwedische Kulturrad Von Per Svenson und Gudrun Vahlquist

Der Schwedische Kulturrad wurde war weitestgehend fertiggestellt. Ver- teln an Einrichtungen, Organisatio- theken und die städtischen Musik- Kulturstiftung und der Initiative Ars 1974 als staatliche Dachorganisa- altete Institutionen waren moderni- nen und Projekte als auch in der Ver- und Kunstzentren. Sie bezuschussen Baltica. Er beteiligt sich am Compen- tion zur Umsetzung der vom Reichs- siert und neue wie das Film Institut, ständigung mit Partnern aus dem Bildungsvereine und kulturelle Ver- dium Cultural Policies in Europe und tag beschlossenen Kulturpolitik auf Schauspielschulen, städtische Musik- Kulturbetrieb und den angeschlosse- anstaltungen. Vielerorts, vor allem in ist der EU Culture Contact Point nationalem Niveau gegründet. Bei schulen, und Tournée-Vermittlungen nen Bereichen. Der Kulturrad ist auch den größeren Städten, sind sie für The- Schweden. Seitdem die Regierung aller Wortverwandtschaft, der Deut- für Theater, Konzerte und Ausstellun- für Gutachten, deren Auswertungen ater und Konzerthäuser zuständig. dem Kulturrad im Jahre 2003 die Ver- sche Kulturrat und der schwedische gen waren geschaffen worden. und der Berichterstattung zuständig. Desweiteren tragen Einrichtungen der antwortung für den internationalen Kulturrad unterscheiden sich erheb- 1995 stellte die Regierungskom- Der Rat vergibt seine Zuschüsse Erwachsenenbildung, die Verbände Astrid Lindgren Memorial Award für lich in ihren Strukturen und Aufga- mission für Kultur ihren Zwischen- nicht an Einzelpersonen, sondern von Kulturschaffenden und Laienak- Kinderliteratur und für den langfris- ben – der Deutsche Kulturrat ist der bericht zu den Ergebnissen der Den allein an Institutionen und Organi- tivitäten einen großen und wichtigen tig angelegten Sweden-South Africa Spitzenverband der Bundeskultur- nya kulturpolitiken (Die neue Kultur- sationen bzw. relevante Bereiche. Teil zum kulturellen Leben bei. Der Fund für kulturelle Kooperation verbände, der Schwedische Kultur- politik) seit 1974 vor. 1996 präzisier- Einzelne Künstler werden von ge- Kulturrad vergibt Zuschüsse an regi- übertragen hat, haben sich die inter- rad ist eine staatliche Behörde, die te das Parlament einige der Formu- sonderten staatlichen Gremien ge- onale Künstler für Beratertätigkeiten nationalen Beziehungen noch er- dem Ministerium für Bildung und lierungen des Beschlusses von 1974: fördert, z.B. vom Konstnärsnämn- in den Bereichen Tanz, der bildenden weitert. Kultur und somit der Regierung un- · Gewährleistung der freien Mei- Ab diesem Jahr und auch tersteht. Im Herbst 2004 wurde das nungsäußerung und Schaffung ei- weiterhin wird die zukünftige Funk- Kulturministerium in 0olge einer ner wirklichen Chance für alle, um tion des Kulturrads in Bezug auf Be- „mit-legislativen“ Regierungsumbil- von dieser Freiheit Gebrauch zu lange des internationalen Aus- dung nach acht Jahren der Selbstän- machen, tauschs stärker präzisiert werden. digkeit wieder mit dem Bildungsmi- · daran zu arbeiten, die Chance für Die Regierung hat die Betätigungs- nisterium vereinigt. Es ist zu hoffen, alle zu schaffen, um sowohl am kul- felder der im internationalen Kultur- dass nach diesen acht Jahren, in der turellen Leben und an kulturellen austausch tätigen Hauptakteure die Kulturpolitik an Sichtbarkeit und Erfahrungen teilzunehmen, als analysiert, und es ist zu erwarten, Profil inmitten der großen Politik hin- auch um sich mit eigenen kreativen dass genauere Abgrenzungen, aber zugewinnen konnte, die Rückkehr in Tätigkeiten befassen zu können, auch Verknüpfungspunkte vorgege- den Schoß des Ressorts von Wissen- · Förderung der kulturellen Vielfalt ben werden, die dann, neben ande- schaft und Bildung, und damit des- und der künstlerischen Erneue- ren schwedischen Organisationen sen Mittel, eine fruchtbare Kombi- rung und Qualität; dabei gleichzei- auch den Kulturrad und das Swedish nation hervorbringen wird. Und tig den negativen Auswirkungen Institute anbelangen werden. bislang ist der Schwedische Kultur- kommerziellem Missbrauchs ent- Die vielen Eindrücke, die über rad in seinen Aufgaben und in sei- gegenwirkend, Sateliten TV, Video, Internet und an- nem Status auch nicht betroffen · es der Kultur zu ermöglichen, eine dere Medien übermittelt werden, worden – wie gesagt, bislang. dynamische, herausfordernde und Zwei Stadtansichten Stockholms Fotos: Archiv haben starke Auswirkungen auf Wis- sen, Einstellungen, life-style und Ver- den, dem Författarfonden oder dem Kunst und der kulturellen Vielfalt, um braucherverhalten mit sich ge- Bildkonstnärsfonden. somit die kulturellen Netzwerke und bracht. Es ist nicht allein die Folge Der Kulturrad erfüllt eine übergeord- die Entwicklung innerhalb ihrer der Globalisierung, die Schweden nete Funktion. Andere staatliche Be- künstlerischen Bereiche zu fördern. noch näher mit dem Rest der Welt hörden sind auf Schlüsselpositionen verbindet, sondern es liegt vielmehr im Kulturbereich und des kulturellen Der internationale an Schwedens EU Mitgliedschaft und Erbes spezialisiert. So verwaltet das Kulturausstausch den vielen Menschen aus aller Welt, Riksantikvarieämbetet (Amt für die hier leben und Schweden zu ei- staatliches Kulturerbe) das Kulturer- Der Kulturrad ist seit langem in der ner multikulturellen Gesellschaft begesetz und die damit verbunde- Förderung des internationalen Kul- machen. Diese Situation hat, und nen Kompetenzen, u.a. die Betreu- turaustauschs sehr erfahren. Er un- wird es auch weiterhin haben, einen ung der 12 schwedischen in die terstützt Organisationen, Interes- Einfluss auf die Kultur, auf die kultur- UNESCO Liste aufgenommenen sensverbände und Partner, die sich politischen Ziele, Programme und Weltkulturerbestätten. Das Amt ar- in gemeinsamen Projekten, Netz- Maßnahmen. Seien Sie sich sicher. beitet mit den Kulturerbe-Abteilun- werken und in Seminaren engagie- gen der Regionalverwaltungen zu- ren. Aktiv vertreten ist der Kulturrad Per Svenson ist Leiter der Presseab- sammen. Die Staats- und Regional- in zahlreichen internationalen Orga- teilung des Schwedischen Kulturrad. archive sind Regierungsbehörden nisationen und Netzwerken wie der Gudrun Vahlquist ist Chefberaterin mit besonderen für das Archivwesen UNESCO, der EU, der Nordischen des Schwedischen Kulturrad. gestalteten Zuständigkeiten. Das Dreißig Jahre im Rückblick unabhängige Kraft in der Gesell- Schwedische Film Institut ist eine für schaft zu sein, die Filmpolitik zuständige Regie- IN0ORMATIONEN iniger unterschiedlicher partei- · Erhalt und Nutzung des kulturel- rungsbehörde. Das Swedish Institu- Der Schwedische Kulturrad hatte 2004 ördermittel in Höhe von SEK 1,4 Milli- politischer Standpunkte über das len Erbes, te trägt, gemeinsam mit dem Kultur- E arden (ca. EUR 153 Millionen) zur Verfügung. Der Rat verteilt diese Regierungs- Ausmaß von Subventionen für die · Förderung der Bildung, rad, die Gesamtverantwortung für mittel an regionale Museen, Bezirksbibliotheken und kommunale Theater und Kulturpolitik zum Trotz, war es ein · Förderung des internationalen den kulturellen Austausch mit dem Einrichtungen für Tanz und Musik. Desweiteren gehen die Gelder u.a. an einhelliger Reichstag, der die zukünf- Kulturaustauschs und von Zusam- Ausland. tigen Ziele der staatlichen Kulturpo- menkünften unterschiedlicher Ferner gewähren andere Fonds - öffentliche Bibliotheken litik festlegte – die kulturelle Gleich- Nationen in Schweden. Fördermittel und Zuschüsse an ein- - Tonaufnahmen berechtigung sei ebenso wichtig wie zelne Künstler. So wurde 1994 eine - orschung und Entwicklung die finanzielle und die soziale. Stiftung – Future Culture – befugt mit Lediglich zwei Gesetze - reie Tanz- und Musikgruppen Im Bereich Kultur bewirkte dieser dem Auftrag über 10 Jahre hinweg - Internaltionaler Kulturaustausch Entschluss eine erhebliche Zunahme Lediglich zwei Kulturbereiche wer- langfristige und innovative Projekte - Kultur am Arbeitsplatz der Regierungszuständigkeiten. Der den in Schweden direkt per Gesetz zu fördern. Das Stiftungsvolumen - Kultur in sozial schwachen Gebieten Staatliche Kulturrad wurde gebildet, reguliert: Erstens das kulturelle Erbe, belief sich auf SEK 529 Millionen (ca. - Kunst-Periodika um die Mittel und Maßnahmen auf bzw. sein Umfeld und dessen Erhalt EUR 58 Millionen). - Literatur (iktion, Sach- und Kinderbücher) nationalem Niveau im Einklang mit und Pflege und zweitens das öffent- - Minderheiten-Kulturen den neuen Zielen zu koordieren. Die- liche Bibliothekswesen. Zusätzlich Die regionale und - Kunstaktionen in der Provinz se Ziele, 1974 nur recht allgemein for- gibt es eine verbindliche Absprache lokale Ebene - Beraterhonorare für regionale Künstler muliert, kennzeichneten Kultur als zwischen der Regierung und den - Projekte von großen Museen Grundvoraussetzung für freie Mei- politischen Parteien hinsichtlich der In ganz Schweden hat sich eine - Entfaltungsaktionen (development activities) nungsäußerung, für die Entfaltung der Filmindustrie. Des weiteren verab- Struktur von unabhängigen, profes- - Behindertengerechter Zugang zu Kultur oder Zugang zur Kultur für persönlichen schöpferischen Tätigkeit schiedet der Reichstag auf Regie- sionellen regionaler und lokaler Ein- Behinderte und zur Förderung von Dezentralisie- rungsvorschlag Resolutionen, die richtungen mit einer gemeinsamen - Kulturelle Vielfalt rung, von künstlerischen und kulturel- auf den Zielen und Richtlinien der Finanzierung durch die Zentralre- len Neuerungen sowie des internatio- Kulturpolitik sowie deren organisa- gierung herausgebildet. Die Regio- Die Mittel wollen Vielfalt und Qualität fördern. Der Kulturrad betrachtet es als nalen Kulturaustauschs. Diese Ziele torischen Grundlagen und dem Ver- nalverwaltungen, häufig mit Part- außerordentlich wichtig, dass lebendige Kultur sowohl für Kinder und Jugend- und die mit ihnen einhergehenden fahrensschlüssel der Mittelzuwei- nern aus örtlichen Gemeinwesen, liche als auch für jene außerhalb der urbanen Zentren zugänglich ist. zusätzlichen Finanzmittel sollten so- sung für verschiedene kulturelle sind die Hauptbezugsberechtigten, wohl den Provinzen und Kommunen Zwecke beruhen. Der Reichstag ent- da sie für die regionalen Kulturein- als auch Institutionen und Interes- scheidet auch, welche lokalen und richtungen wie Bibliotheken, Or- Die Organisationsstruktur des Statens Kulturradet sensverbänden als Anreiz dienen, um regionalen Institutionen berechtigt chester, Museen und Theater verant- Der Vorstand des Kulturradet wird von der schwedischen Regierung ernannt. kulturpolitsche Fragen und Initiativen sind, Regierungszuschüsse für lau- wortlich sind. In den nächsten Jah- Generaldirektorin ist rau Kristina Rennerstedt. Ausgewiesene Experten in den auf die Tagesordnung zu bringen. fende Kosten zu erhalten, die dann ren wird man große Veränderungen Arbeits- und Beratergruppen stellen die bestmögliche Verteilung der Mittel si- Die späten 70er und die 80er Jah- vom Kulturrad verwaltet werden. Die der regionalen Strukturen und deren cher. Das Sekretariat beschäftigt ungefähr 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. re waren die Zeit heftiger Reformen Regierung benennt die Experten, Funktion für Schweden erleben - das und Entwicklungen. Zwischen 1970 besetzt die Kommissionen und be- Verhältnis zur Zentralregierung mit Besucheradresse: und 1980 hatte sich der staatliche ruft die Aufsichtsräte und Direktoren inbegriffen, was auch Auswirkungen Langa raden 4, Skeppsholmen Kulturhaushalt mehr als verdoppelt. der staatlichen Kultureinrichtungen. auf die Kulturpolitik haben könnte. Anschrift: P.O. Box 7843, 103 98 Stockholm Städte und Kreise konnten sogar ei- Der lokale Kulturbetrieb sollte Tel +46-8-519 264 00 nen weitaus größeren Zuwachs ver- von den Gemeinden selbst getragen Die staatliche Ebene ax +46-8-519 264 99 buchen, und das heutige strukturel- werden, da ihr Engagement ungefähr [email protected] le Netzwerk professioneller regiona- Somit trägt der Kulturrad die volle 60 Prozent der öffentlichen Ausga- www.kulturradet.se ler und lokaler Einrichtungen wie Verantwortung sowohl bei der Verga- ben im Kulturbereich ausmacht. Sie Museen, Theater und Bibliotheken be von Zuschüssen und Fördermit- unterhalten die öffentlichen Biblio- VORSTANDSBERICHT politik und kultur • März – April 2005 • Seite 20

UNESCO, WTO, GATS, EU, puk und mehr

Der Vorstand hat in seiner Amtszeit vom März 2003 bis zum März 2005 die in der Amtsperiode des vorheri- gen Vorstands begonnene stärkere internationale Ausrichtung der Ar- beit des Deutschen Kulturrates kon- sequent fortgeführt. In zunehmen- dem Maße werden die Rahmenbe- dingungen des kulturellen Lebens durch internationale Abkommen oder europäische Richtlinien vorge- prägt. Die Globalisierung macht auch vor dem Kultur- und Medien- bereich nicht halt, im Gegenteil ge- rade hier vermuten die Anhänger des Wirtschaftsliberalismus noch Wachstumspotenziale.

er Kulturbereich tut sich im Ge- D gensatz zum Mediensektor teilweise noch schwer, anzunehmen, dass auch er zu den Dienstleistun- gen gezählt wird und daher ebenso wie andere Dienstleistungssektoren von den Liberalisierungsbestrebun- gen auf der internationalen wie der europäischen Ebene betroffen ist. Auch wenn die Erarbeitung einer Schauspielproduktion und schließ- lich die Aufführung vor Publikum etwas anderes ist, als das Streichen einer Wand oder Transport von Wa- ren von A nach B, wird Kultur in den internationalen und europäischen Debatten längst zu den Dienstleis- tungen gezählt. D.h. sowohl die Welt- handelsorganisation (WTO) als auch Der Vorstand bei einem Treffen mit der Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und mit Bundestagsvizepräsident : v.l.n.r.: die UNESCO ebenso wie die Europä- Christian Höppner (stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kulturrates), Heinrich Bleicher-Nagelsmann (stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kultur- ische Union ordnen Kunst und Kul- rates), Angela Merkel (Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), Norbert Lammert (Vizepräsident des Deutschen Bundestages), Max Fuchs (Vorsitzender des tur unter den Dienstleistungen ein. Deutschen Kulturrates), Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates). Foto: Peer Steinwald Dieses Faktum kann nicht weg dis- kutiert werden, es mag dem Kultur- in dem Maße, in dem öffentliche kulturpolitischen Debatte ist, nach- Pascal Lamy zum Thema GATS. EU- schiedet werden soll. Die Konventi- bereich gefallen oder nicht. Kultureinrichtungen privatisiert dem in den 90er Jahren des letzten Handelskommissar Pascal Lamy on zum Schutz der kulturellen Viel- Besonders schmerzlich bei der Dis- werden bzw. stärker Eigenmittel er- Jahrhunderts mit den Neuen Steue- hatte für die EU-Kommission und falt hat zum Ziel, die Entwicklung der kussion um Kultur als Dienstleistung wirtschaften müssen, werden auch rungsmodellen und anderen Instru- mithin für alle Mitgliedsstaaten der nationalen Kulturwirtschaften zu ist, dass die Besonderheiten der kul- sie in zunehmendem Maße unter menten der Verwaltungsvereinfa- Europäischen Union das Verhand- unterstützen und vor einer Liberali- turellen Produktion und Rezeption wirtschaftlichen Kriterien betrachtet chung ein Primat der Verwaltung in lungsmandat bei den GATS-Ver- sierung zu schützen sowie auch oftmals keine Berücksichtigung fin- und geraten in das Blickfeld der Li- der kulturpolitischen Debatte Ein- handlungen (Allgemeines Überein- weiterhin eine nationale Kulturpoli- den. Doch Kunst ist etwas anderes beralisierungsbefürworter. zug gehalten hat. kommen über den Handel mit tik der Mitgliedsstaaten ermögli- als der Transport von Waren. Kunst Über die Bestimmung der kultu- Dienstleistungen). In dem Gespräch chen. Es wird sich erweisen müssen, und Kultur haben immer einen Dop- Sensibilisieren gefragt rellen Daseinsvorsorge, also jenem sicherte Pascal Lamy dem Vorstand ob die Konvention zum Schutz der pelcharakter, Kunst und Kultur sind Bereich, den der Staat entweder in zu, dass er sich dafür einsetzen wird, kulturellen Vielfalt ein scharfes In- oft ein Wirtschafts- aber stets ein Es war daher ein wesentliches Anlie- seiner eigenen Trägerschaft oder den Kultur- und Medienbereich strument, völkerrechtlich verpflich- Kulturgut. Sie verweisen auf die gen des Vorstands in seiner Amtszeit, durch freie Träger mit öffentlicher nicht in die GATS-Verhandlungen tendes gegenüber der Dienstleis- Transzendenz des Menschen. In der innerhalb des Kulturbereiches dafür Unterstützung bereit halten sollte, einzubeziehen und damit von der tungsliberalisierung im Rahmen des Kunst drücken sich Menschen aus, zu sensibilisieren, dass Kunst und hinaus, geht es in dieser Debatte Liberalisierung des Handels mit GATS wird. Kunst ist auch ein Spiegel der Gesell- Kultur nicht per se von der Liberali- auch darum, die Rahmenbedingun- Dienstleistungen auszunehmen. Die schaft und wirkt in diese zurück. sierung ausgenommen sind und es gen für die nationale Kulturwirt- EU-Kommission hat in die GATS- Grünbuch Bei aller Bedeutung von Kunst daher dringend erforderlich ist, sich schaft so optimal wie möglich zu ge- Verhandlungen in Cancún daher kei- Dienstleistungen und Kultur für die Gesellschaft fin- mit so kulturfern erscheinenden Ver- stalten. D.h. konkret den ermäßigten ne Angebote für den Kultur- und den sie nicht ausschließlich im öf- handlungen wie den GATS-Verhand- Mehrwertsteuersatz genauso zu er- Medienbereich eingebracht, aber Begleitet wurden die Debatten in der fentlichen Sektor statt. In vielen kul- lungen, den europäischen Prozessen halten wie die Künstlersozialversi- auch keine Forderungen an andere Zeitung des Deutschen Kulturrates turellen Sparten von der Musik über wie dem Grünbuch über Dienstleis- cherung, die im europäischen Ver- Länder gerichtet. politik und kultur, der dank der Un- die darstellenden Künste, die Litera- tungen von allgemeinen Interesse gleich einmalig ist. Bis zum September 2003 hat der terstützung des Auswärtigen Amtes tur, die Bildende Kunst, die Baukul- und der EU-Dienstleistungsrichtli- Auf Grund der Bedeutung der Deutsche Kulturrat die Öffentlich- für drei Ausgaben eine englischspra- tur, das Design bis hin zum Film und nie zu befassen. Es geht nicht nur Diskussion um die Frage der kultu- keit intensiv über die möglichen Ge- chige Beilage beigefügt werden Medienbereich sowie der Soziokul- darum, den öffentlichen bzw. den rellen Daseinsvorsorge hat der Vor- fahren einer Liberalisierung von Kul- konnte. tur existiert neben dem öffentlichen öffentlich geförderten Kulturbereich stand diese Diskussion in den Mit- turdienstleistungen im Rahmen der Im September 2003 verabschie- bzw. öffentlich geförderten Kultur- in seiner Dichte und Ausdifferen- telpunkt seiner Arbeit in seiner GATS-Verhandlungen informiert dete der Deutsche Kulturrat eine betrieb auch ein marktwirtschaftli- ziertheit zu erhalten, es geht auch Amtszeit gestellt. Er hat dabei zum und so das Thema in der Öffentlich- Stellungnahme zum Grünbuch der ches Segment. Der Buchmarkt ist in um den Erhalt von Regelungen wie einen auf internationale Verhand- keit präsent gehalten. Zusammen EU-Kommission zu Dienstleistun- erster Linie marktwirtschaftlich or- der Buchpreisbindung oder dem er- lungen, wie den GATS-Verhandlun- mit der ARD, der Heinrich-Böll-Stif- gen von allgemeinem Interesse. In ganisiert. Autorinnen und Autoren mäßigten Mehrwertsteuersatz für gen oder der Erarbeitung der Kon- tung und dem INCD (International diesem Grünbuch unternahm die wollen vom Verkauf ihrer Werke le- Kunst und Kultur. vention zum Schutz der kulturellen Network of Cultural Diversity) hat EU-Kommission den Versuch, ben, sie suchen daher Verlage, die Vielfalt, und europäische Vorhaben sich der Deutsche Kulturrat während Dienstleistungen zu differenzieren die Bücher herstellen, drucken und Zusammengefasst werden die wie dem Grünbuch über Dienstleis- der GATS-Verhandlungen in Cancún in Dienstleistungen von allgemei- vertreiben. Bildende Künstlerinnen Debatten um die Bewahrung von tungen von allgemeinem Interesse im September 2003 bei den dortigen nem Interessen, in Dienstleistungen und Künstler leben ebenfalls in ers- Kunst und Kultur vor der rein wirt- oder der EU-Dienstleistungsrichtli- Verhandlungsdelegationen für Aus- von allgemein wirtschaftlichem In- ter Linie davon, dass sie ihre Bilder, schaftlichen Betrachtungsweise un- nie reagiert, aber auch Positionie- nahmeregelungen für die Kultur ein- teresse und in Dienstleistungen von Skulpturen oder Grafiken z.B. an ter der Diskussion um die Daseins- rungen im Inland angeregt und an- gesetzt. Ebenso hat der Deutsche wirtschaftlichem Interesse. Letztere Sammler verkaufen. Der Verkauf an vorsorge oder „Grundversorgung“. gestoßen, wie z.B. die Anträge im Kulturrat in Cancún intensive Ge- sollen uneingeschränkt im Binnen- ein Museum, d.h. an die öffentliche Beide Begriffe, die teilweise auch sy- Deutschen Bundestag zur Konventi- spräche mit Abgeordneten des Deut- markt liberalisiert werden, erstere Hand ist für die Mehrzahl der Bil- nonym gebraucht werden, zielen on zum Schutz der kulturellen Viel- schen Bundestags und des Europäi- sollen einen besonderen Schutz er- denden Künstler eher die Ausnahme darauf ab, einen Bereich zu beschrei- falt. Ebenso wurden in dieser Amts- schen Parlaments sowie Vertretern fahren. Für den Kulturbereich be- als die Regel. Die Sparten Baukultur ben, der jenseits des Marktgesche- zeit verschiedene Stellungnahmen von Kulturorganisationen und deutsam ist, dass Kulturdienstleis- und Design sind ohnehin in erster hens von der öffentlichen Hand ge- des Deutschen Kulturrates zu die- Künstlern aus aller Welt geführt. tungen, also z.B. Angebote von Mu- Linie marktwirtschaftlich organi- währleistet sein muss. Dabei geht es sem Themenkomplex erarbeitet und Im Oktober 2003 wurde bei der seen, als Dienstleistungen von allge- siert. Im Musikbereich ist die gesam- nicht um planerische Vorgaben, wie verabschiedet, die jeweils unter in- UNESCO-Generalkonferenz in Paris meinem wirtschaftlichen Interesse te Popularmusik fast ausschließlich sie etwa in den 70er Jahren des letz- tensiver Mitwirkung von Vorstands- die Erarbeitung einer Konvention eingeschätzt werden, sobald Ein- marktvermittelt und im Bereich der ten Jahrhunderts angestrebt wurden, mitgliedern entstanden sind. zum Schutz der kulturellen Vielfalt trittsgeld genommen wird, auch darstellende Künste gibt es neben sondern um politische Festlegungen verabschiedet. Der Vorsitzende des wenn dieses längst nicht dazu die- den Staats-, Landes- und Stadtthea- und Entscheidungen, was unter „Da- Kulturelle Daseinsvorsorge Deutschen Kulturrates gehörte als nen kann, die Kosten für den Unter- tern auch Privattheater mit oder seinsvorsorge“ verstanden werden offizielles Mitglied der deutschen halt der Kultureinrichtung zu de- ohne festes Haus. Allein diese kurze soll. Diese Festlegungen müssen im Begonnen wurde die Auseinander- Delegation in Paris an. Innerhalb der cken. Der Europäische Gerichtshof Auflistung zeigt, dass der Kulturbe- Zusammenspiel von Bürgern, zivil- setzung mit dem Thema der kultu- Deutschen UNESCO-Kommission hat dieses in seiner jüngsten Rechts- reich traditionell ein starkes kultur- gesellschaftlichen Akteuren und Po- rellen Daseinsvorsorge noch in der arbeitet der Vorsitzende des Deut- sprechung am Beispiel der Museen wirtschaftliches Standbein hat. Es litik gewonnen werden. Man kann Amtszeit des letzten Vorstands an- schen Kulturrates intensiv an der Er- noch einmal bestätigt, indem er al- liegt daher auf der Hand, den Kultur- sagen, dass die Diskussion um die lässlich eines Treffens im Februar arbeitung der Konvention zum bereich auch unter wirtschaftlichen Daseinsvorsorge die Wiedergewin- 2003 mit EU-Handelskommissar Schutz der kulturellen Vielfalt mit, Weiter auf Seite 21 Gesichtspunkten zu betrachten. Und nung des Primats der Politik in der die bereits im Herbst 2005 verab- VORSTANDSBERICHT politik und kultur • März – April 2005 • Seite 21

eine Stellungnahme erarbeitet, die Neben dem Thema Kultur als Da- im Dezember 2004 eine gemeinsa- Die Arbeit des Vorstands wäre nicht Fortsetzung von Seite 20 vom Sprecherrat des Deutschen Kul- seinsvorsorge wurde in der Amtszeit me Veranstaltung des Bundesminis- möglich, ohne die Unterstützung der turrates im September 2004 verab- des Vorstands die Gesetzgebung des teriums für Gesundheit und Soziale ehrenamtlichen Gremien des Deut- lein den Verkauf von Eintrittskarten schiedet wurde. Bundes und die Richtlinienpolitik Sicherung und des Deutschen Kul- schen Kulturrates. Unser besonderer bereits als wirtschaftliche Tätigkeit In der Stellungnahme „Kultur als intensiv begleitet. Ein wichtiges turrates zur zusätzlichen Alterssi- Dank gilt daher sowohl den Fachaus- qualifiziert und eine Einordnung als Daseinsvorsorge!“ nimmt der Deut- Thema ist dabei stets die Urheber- cherung von Künstlerinnen und schüssen als auch dem Sprecherrat. Dienstleistung von allgemeinem Inte- sche Kulturrat grundlegend zu kul- rechtspolitik. Der Deutsche Kultur- Künstlern eröffnet. Hier werden teilweise sehr kontro- resse verneint. In seiner Stellungnah- turpolitischen Fragen Stellung. Er rat hat sich sowohl zur Vorbereitung verse Diskussionen geführt, doch me zum Grünbuch über Dienstleis- unterstreicht, dass das kulturelle Le- eines Zweiten Gesetzes zur Rege- Kulturelle Bildung stets wird das Ziel im Blick gehalten, tungen von allgemeinem Interesse hat ben in Deutschland auf den Säulen: lung des Urheberrechts in der Infor- einen Konsens zu erarbeiten, der der Deutsche Kulturrat dafür plädiert, · Künstler mationsgesellschaft positioniert Ein weiteres wichtiges Thema in der mehr ist als der kleinste gemeinsa- Kultur zu den Dienstleistungen von · Kultureinrichtungen wie zur kulturellen und sozialen Amtszeit des Vorstands waren Fra- me Nenner und der darauf abzielt, allgemeinem Interesse zu rechnen. · Kulturvereine (Bürgerschaftlichen Bedeutung der Verwertungsgesell- gen der kulturellen Bildung. Die die Rahmenbedingungen für die un- Engagements) schaften. Chancen der kulturellen Bildung terschiedlichen Bereiche des kultu- Bericht des Vorstands · Kulturwirtschaft Ein besonderes Augenmerk rich- bei der Entwicklung der Ganztags- rellen Lebens zu verbessern, ohne beruht. Er hat definiert, dass unter tet der Vorstand auf die soziale Lage schule zu nutzen, dafür setzt sich dass ein Bereich dabei belastet wird. Damit tritt der Deutsche Kulturrat Kultur als Daseinsvorsorge ein flä- der Künstlerinnen und Künstler. Da der Deutsche Kulturrat in seiner Ebenso danken möchten wir den für ein flächendeckendes hochste- chendeckendes hochstehendes Kul- die Einkommen der meisten Künst- Stellungnahme „Chancen der Kul- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hendes Kulturangebot zu erschwing- turangebot mit niedrigen Zugangs- lerinnen und Künstler mit ca. 11.000 turellen Bildung nutzen! – Stellung- der Geschäftsstelle des Deutschen lichen Preisen ein. schwellen zu verstehen ist. Zugleich Euro Durchschnittseinkommen im nahme des Deutschen Kulturrates Kulturrates namentlich dem Ge- Der Deutsche Kulturrat hat sich hat der Deutsche Kulturrat deutlich Jahr relativ klein ist, hat der Deut- zum Ausbau der Ganztagsschulen“ schäftsführer Olaf Zimmermann, der zugleich in der Verpflichtung gese- gemacht, dass sowohl öffentliche sche Kulturrat bereits in der Amts- vom März 2004 ein. Im September sowohl die Arbeit des Vorstands als hen, aus dem Kulturbereich selbst bzw. öffentlich geförderte Kulturein- zeit des letzten Vorstands eine ad- 2004 fand die Abschlusstagung auch die der anderen Gremien des heraus die Debatte um Kultur als richtungen als auch der öffentlich- hoc-AG soziale Sicherung einge- „Kulturelle Bildung in der Bil- Deutschen Kulturrates unterstützt. Daseinsvorsorge zu führen und da- rechtliche Rundfunk jenen Kunstfor- richtet. Diese adhoc-AG hat eine dungsreform – Konzeption Kultu- Unser Dank gilt ebenfalls unseren mit zu beschreiben, wie ein Kultur- men verpflichtet sind, die nicht markt- Stellungnahme zur Verbesserung relle Bildung“ des gleichnamigen Gesprächspartnern aus den Verbän- angebot auszusehen hat, welches gängig sind und sich beim Publikum der soziale Lage der Künstler-innen Projektes des Deutschen Kulturra- den, aus den Kommunalen Spitzen- zur Daseinsvorsorge zählt und damit erst noch durchsetzen müssen. Eben- und Künstler vorbereitet, die im tes statt. Der Deutsche Kulturrat verbänden, den Ländern, dem Bund vor einer Liberalisierung gesichert so sind die Kultureinrichtungen aber Juni 2004 verabschiedet wurde. In wird im Frühjahr 2005 nach zehn und der europäischen Ebene. Dieser wird. Es wurde daher eine adhoc- auch gefordert, um das Publikum zu dieser Stellungnahme appelliert der Jahren ein neues Kompendium zur Austausch, das Lob aber auch die Arbeitsgruppe Daseinsvorsorge ein- werben. Kulturelle Bildung ist eine Deutsche Kulturrat bei den anste- kulturellen Bildung in Deutschland Kritik, sind für uns ein Ansporn in gerichtet, die sich unter der Leitung besondere Verpflichtung für Kultur- henden Veränderungen der sozialen vorlegen. Darin werden alle Berei- unserer Arbeit. Die nachfolgenden des Vorsitzenden des Deutschen Kul- einrichtungen, um das Publikum zu Sicherungssysteme, besonders der che der kulturellen Bildung wie Auflistungen zeigen, dass die ver- turrates intensiv mit dem Thema qualifizieren und künftige Generati- Krankenversicherung, die soziale auch die verschiedenen künstleri- gangenen zwei Jahre eine produkti- auseinandergesetzt hat. Die Debat- onen an Kunst und Kultur heranzu- Errungenschaft der Künstlersozial- schen Sparten Berücksichtigung ve Zeit waren. te wurde mit Textbeiträgen aus allen führen. Ebenso setzt sich der Deut- versicherung zu sichern. Ebenso finden. Neben einem Überblick zu Sektionen angereichert und es wur- sche Kulturrat in dieser Stellungnah- fordert der Deutsche Kulturrat eine den Handlungsfeldern kultureller Prof. Dr. Max Fuchs de in insgesamt sechs Sitzungen un- me für die Verankerung des Staats- verbesserte Altersabsicherung der Bildung wird der Schwerpunkt in (Vorsitzender) ter Beteiligung von Vertretern aus ziels Kultur in der Verfassung ein, wie Künstlerinnen und Künstler. Zu- der Darstellung der Rahmenbedin- Heinrich Bleicher-Nagelsmann den Kommunalen Spitzenverbän- auch für die konsequente Umsetzung sammen mit Bundessozialministe- gungen kultureller Bildung und de- (Stellvertretender Vorsitzender) den, der Länder, des Bundes und des der bestehenden Staatsziele Kultur in rin , MdB hat der Vor- ren Auswirkungen auf die Träger- Christian Höppner öffentlich-rechtlichen Rundfunks den Verfassungen der Länder. sitzende des Deutschen Kulturrates landschaft liegen. (Stellvertretender Vorsitzender)

IN DER AMTSZEIT DES VORSTANDS VERABSCHIEDETE IN DER AMTSZEIT DURCHGE;ÜHRTE VERANSTALTUNGEN: STELLUNGNAHMEN: Zeitschriften · Veranstaltungen im Rahmen der WTO-Verhandlungsrunde in Cancún zusam- · Deutscher Kulturrat warnt vor Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtli- men mit der ARD und der Heinrich-Böll-Stiftung (September 2003) nie (16.12.2004) bei ConBrio · Gemeinsame Tagung mit der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wol- · Deutscher Kulturrat begrüßt Bundesstiftung Baukultur – Stellungnahme des fenbüttel zum Thema Bürgerschaftlichen Engagements (Juni 2003) Deutschen Kulturrates zur Bundesstiftung Baukultur (16.12.2004) · Vergabe des Kulturgroschens 2003 an William Horsythe (Dezember 2003) · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Referentenentwurf eines · Tagung Eurovisionen zusammen mit dem Goethe-Institut, der Robert-Bosch- Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsge- Stiftung und Bundeszentrale für politische Bildung (April 2004) sellschaft (09.11.2004) · Parlamentarischer Abend zum Thema Daseinsvorsorge zusammen mit dem · Kultur als Daseinsvorsorge! (29.09.2004) WDR (September 2004) · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Vorschlag der Europäischen · Hachtagung “Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion – Konzepti- Kommission für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Ra- on Kulturelle Bildung” (September 2004) tes zum Programm „Kultur 2007“ (29.09.2004) · Zwei Hunkhausgespräche zusammen mit dem WDR (Oktober 20004) · Kulturzuständigkeit ist mehr als Kulturförderung! – Diskussionspapier des Deutschen Kulturrates zur Entflechtung der Kompetenzen von Bund und · Informationstag zusammen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Ländern (24.06.2004) Soziale Sicherung zum Thema Riester-Runde (Dezember 2004) · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Entwurf des „Gesetz zur Än- · Vergabe des puk-Preises zusammen mit DeutschlandRadio (Dezember 2004) derung des Deutsche-Welle-Gesetzes“ (24.06.2004) · Veranstaltung mit dem Initiativkreis öffentlich-rechtlicher Rundfunk, dem · Deutscher Kulturrat fordert Politik auf, die soziale Sicherung der Künstlerin- WDR und der Deutschen UNESCO-Kommission (Januar 2005) nen und Künstler zu stärken! – Stellungnahme des Deutschen Kulturrates (24.06.2004) ZEITUNG · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Mitteilung der Kommission an dem Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- IN DER AMTSZEIT GE;ÜHRTE GESPRÄCHE MIT SPITZENPOLITIKERN: und Sozialausschuss „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwand- ten Schutzrechten im Binnenmarkt“ (07.06.2004) · Gespräche mit Kulturstaatsministerin Weiss (Oktober 2003, Juni 2004, · Positionspapier: Kulturelle und kulturpolitische Herausforderungen der eu- September 2004, Hebruar 2005) Oper&Tanz ropäischen Erweiterung – Deutscher Kulturrat sieht Zivilgesellschaft in der · Gespräch mit dem Präsidium der Kultusministerkonferenz, Ministerin Dr. Verantwortung (29.04.2004) Zeitschrift der VdO für , Ministerin Prof. Dr. Dagmar Schipanski, Minister Steffen Opernchor und Bühnentanz · Chancen der Kulturellen Bildung nutzen! – Stellungnahme des Deutschen Reiche (Oktober 2003) Kulturrates zum Ausbau der Ganztagsschulen (25.03.2004) · Gespräch mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz Staatsministerin · Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Vorbereitung eines Zweiten Doris Ahnen (Juni 2004) Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft · Gespräch mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz Ministerin Prof. (11.12.2003) Dr. Johanna Wanka (Hebruar 2005) · Nicht an der Nachwuchsförderung sparen! – Deutscher Kulturrat fordert, die · Gespräch mit dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion und SPD-Vor- musisch-künstlerischen Wettbewerbe zu erhalten (26.09.2003) sitzenden Hranz Müntefering, MdB (März 2004) · Bürgerschaftliches Engagement in der Kultur stärken! – Rahmenbedingun- · Gespräch mit der Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vor- gen für bürgerschaftlich Aktive verbessern (26.09.2003) sitzenden der CDU Dr. Angela Merkel (Januar 2005) · Schutz der kulturellen Vielfalt muss im Vordergrund der Überlegungen ste- ConBrio Verlagsgesellschaft hen! – Positionspapier des Deutschen Kulturrates zum Grünbuch der Euro- Brunnstraße 23 päischen Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (KOM 93053 Regensburg 2003 (270) endg.) (26.09.2003) VOM VORSTAND WAHRGENOMMENE VERTRETUNGEN IN EXTERNEN Tel. 0941/945 93-0 · Resolution: Bürgerschaftlich Engagierte nicht mit unangemessenen Haftungs- GREMIEN: Fax 0941/945 93-50 risiken belasten – Deutscher Kulturrat fordert Präzisierung der Haftungsre- E-Mail: [email protected] gelungen für ehrenamtliche Vorstandsmitglieder (26.06.2003) · Arbeitskreis gesellschaftliche Gruppen der Stiftung Haus der Geschichte (Prof. www.conbrio.de Dr. Max Huchs) · Resolution: Deutsche Kulturstiftung als Chance?! – Deutscher Kulturrat for- dert inhaltliche und strukturelle Sicherung der Deutschen Kulturstiftung · Beirat der Kulturstiftung des Bundes (Prof. Dr. Max Huchs) (17.06.2003) · Hachausschuss Kultur der Deutschen UNESCO-Kommission (Prof. Dr. Max Huchs) · Resolution: Die deutsche Sprache stärken! Deutscher Kulturrat fordert, · Programmausschuss von RTL (Christian Höppner) Deutsch als dritte Arbeitssprache der Europäische Union zu verankern (27.03.2003) · Rundfunkrat der Deutschen Welle (Heinrich Bleicher-Nagelsmann) KULTUR UND RECHT politik und kultur • März – April 2005 • Seite 22

Umsatzbesteuerung von Künstlern – keiner steigt mehr durch Ist ein DJ ein Kammermusikensemble im Sinne des Gesetzes? • Von Jens Michow

Eigentlich gibt es ja nur drei Mög- fang eines Orchesters erreichten, er- ensembles in ganz offenbarer Un- fern auch die übrigen Voraussetzun- Und auch die Künstler vermögen lichkeiten: Der Umsatz eines Künst- kannte die Finanzverwaltung bis vor kenntnis ihrer gesetzlichen Option gen des § 4 Nr. 20 a) UStG vorliegen, zumeist kaum nachzuvollziehen, lers, also im wesentlichen sein Ho- kurzem als Orchester, Kammermu- in der Vergangenheit die entspre- steuerfrei. wieso sie denn von ihrem altbewähr- norar, ist entweder gem. § 4 Nr. 20 sikensembles und Chöre alle Musi- chenden Chancen nicht genutzt. Nach dem Urteil des EuGH zur ten Regelsteuersatz abweichen sol- a) Umsatzsteuergesetz (UStG) steu- ker- und Gesangsgruppen an, die Letztendlich war aber alles Steuerfreiheit von Solisten war klar, len. Schließlich ist 16% doch weni- erfrei, gem. § 12 Abs. 1 UStG mit aus zwei oder mehr Mitwirkenden zumindest schematisch klar: En- dass auch die unterschiedliche Be- ger als 7% und wer verzichtet schon dem Regelsteuersatz von derzeit bestehen. Grundsätzlich ausge- sembles werden unter gewissen Vo- handlung von Solisten und En- freiwillig auf Geld. 16% oder gem. § 12 Abs. 2 Nr. 7 a) schlossen sowohl von der Steuerbe- raussetzungen begünstigt, Solisten sembles bei der Zubilligung des er- Die Veranstalter argumentieren, UStG ermäßigt mit derzeit 7 % zu freiung als auch der ermäßigten Be- sind immer benachteiligt. Einzige mäßigten Steuersatzes nicht länger dass sie gem. eines Urteils des Bun- besteuern. steuerung waren – jedenfalls in der Ausnahme bei den Ensembles: aufrecht erhalten werden konnte. desfinanzhofs aus dem Jahre 1998 Vergangenheit – lediglich solistische „Wann immer das Tanzbein ge- Mit Urteil vom 23. Oktober 2003 nur noch berechtigt seien, den nach ber leicht sieht das – wenn Leistungen. schwungen wird, gilt der Regelsteu- entschied der EuGH, dass der deut- dem Gesetz geschuldeten Umsatz- A überhaupt – nur auf den ersten Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. ersatz“. Da der gesetzlichen Begriffs- sche Gesetzgeber auch auf die steuersatz als Vorsteuer geltend zu Blick aus. Das zeigt sich spätestens, 20 a UStG wurde unter der Voraus- aufzählung jedenfalls konzertmäßi- Leistungen der Solisten, die diese machen. Werde ihnen ein zu hoher wenn man in den verworrenen setzung gewährt, dass die Leistun- ge Darbietungen immanent waren, gegenüber Veranstaltern erbrin- Umsatzsteuersatz berechnet, könn- Wortlaut der Vorschriften einsteigt. gen der Theater, Orchester, Kam- ließ die Finanzverwaltung regelmä- gen, den ermäßigten Umsatzsteu- te ihnen die Finanzverwaltung den Dort ist nämlich nicht etwa von mermusikensembles und Chöre den ßig nicht zu, dass auch Tanzen- ersatz gewähren muss. Das Urteil zu hoch geltend gemachten Vor- Künstlern oder Künstlergruppen Leistungen der entsprechenden Ein- sembles die Begünstigung in An- wurde mit Erlass des Bundesminis- steueranteil im nachhinein aber- die Rede, sondern durchweg nur richtungen des Bundes, der Länder, spruch nahmen, da ihre Leistungen teriums der Finanzen vom 26. März kennen. von „Theatern, Orchestern, Kam- der Gemeinden oder Gemeindever- nicht dem Kultur- sondern dem 2004 in innerstaatliches Recht um- Und schließlich: wer gilt eigent- mermusikensembles und Chören“ bände entsprachen und „die zustän- nicht begünstigten Unterhaltungs- gesetzt. lich im umsatzsteuerrechtlichen als etc., deren Umsätze im Falle des dige Landesbehörde“ die Gleichar- bereich zuzurechnen sind. So, könnte man denken, dann ist Künstler? Welche Solisten und wel- Vorliegens gewisser zusätzlicher tigkeit der zu befreienden Ensemble- Wer irgendeine nachvollziehba- ja jetzt endlich alles klar: keine Un- che Ensembles fallen denn nun un- Bedingungen entweder steuerfrei leistung mit den entsprechenden re Logik hinter dem System der un- terscheidung mehr zwischen Solis- ter die so transparente Aufzählung oder ermäßigt zu besteuern sind. Es Leistungen der Öffentlichen Hand terschiedlichen Behandlung von So- ten und Ensembles. Auch Solisten der Theater, Orchester, Kammermu- handelt sich dabei um auslegungs- bescheinigte. listen und Ensembles suchte, muss- sind Kammermusikensembles im sikensembles und Chöre? Sind DJ’s bedürftige Begriffe, die, wie die Die Inanspruchnahme der Steuer- te lange suchen, aber irgendwie nah- Sinne des Gesetzes, oder Chöre. Solisten im Sinne des Erlasses? War- Rechtsprechung festgestellt hat, ermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 a) men die Solisten ihr Schicksal trotz Oder Orchester. um fallen Dirigenten aus dem Ras- lediglich exemplarischen Charakter UStG stand – jedenfalls gem. bishe- allem hin. Bis zum Jahre 2003. In ei- Trotz eigentlich unmissverständ- ter und werden von den Finanzäm- haben. riger Praxis der Finanzverwaltung – ner Entscheidung vom 3. April 2003 licher Erlasse des Bundesministeri- tern ebenfalls nicht als Solisten iSd Aber wie immer, wenn es der zwar auch bereits in der Vergangen- hat der Europäische Gerichtshof ums der Finanzen besteht bei den der §§ 4 Nr. 20 a) und 12 Abs. 2 Nr. 7 Rechtsprechung vorbehalten bleibt, heit Musikensembles offen, dessen (EuGH) eine aufsehenerregende Finanzämtern allerdings nach wie a) UStG behandelt ? Begriffe auszulegen, gibt es Rechts- Leistungen im weitesten Sinne – un- Entscheidung mit erheblicher Be- vor großes Durcheinander. So wird Fragen über Fragen. Konkrete unsicherheiten und Abgrenzungs- abhängig von der Musikrichtung – deutung für die deutsche Veranstal- argumentiert, dass es grundsätzlich Antworten gibt es leider kaum. Es probleme. So hat die Rechtspre- mit den Leistungen der Theater, Or- tungswirtschaft gefällt. Gemäß Urteil darauf ankommen solle, wo und in wird Zeit, dass der Gesetzgeber eine chung zunächst festgestellt, dass chester, Kammermusikensembles des Europäischen Gerichtshofes welchem Rahmen der jeweilige Auf- Überarbeitung der entsprechenden Theater, Orchester, Kammermusik- und Chöre gleichzusetzen waren. Da (EuGH) verbietet es der Grundsatz tritt stattfände. Trete z.B. ein Künst- Vorschriften vornimmt. Sowohl ensembles und Chöre ohne Rück- alle Begriffe zwangsläufig eine Per- der steuerlichen Neutralität, die für ler im Rahmen einer Betriebsveran- Künstler als auch Veranstalter sitzen sicht auf die Art der Musik und die sonenmehrheit voraussetzen, waren Künstlergruppen mögliche Befrei- staltung oder einer ‚Tanzbelusti- mal wieder auf einem steuerrechtli- Qualität der Darbietung begünstigt solistische Leistungen von der Ermä- ung von der deutschen Umsatzsteu- gung’ auf, sei seine Leistung nicht chen Pulverfass. sind. Während jedoch einige Kom- ßigung grundsätzlich ausgeschlos- er Einzelkünstlern vorzuenthalten. begünstigt. Das ist aber juristisch mentatoren kleinere Musikgruppen sen. Gesetzgeberisches Motiv dieser Mit Erlass vom 31. Juli 2003 setzte nicht vertretbar. Gemäß gefestigter Der Verfasser ist Rechtsanwalt nur unter die Vorschriften subsumie- Begünstigung war es, die „Grundver- das Bundesministerium der Finan- Rechtsprechung kommt es regelmä- bei Michow Rechtsanwälte ren wollten, sofern sie Kammermu- sorgung mit Kultur“ für den Verbrau- zen das EuGH-Urteil in innerstaatli- ßig auf die konkrete Leistung und Hamburg und Präsident sik betreiben und Jazzgruppen aus- cher günstiger zu gestalten. ches Recht um. Seitdem gilt: Auch nicht auf den Rahmen an, in wel- des Bundesverband der schlossen, sofern sie nicht den Um- Allerdings haben zahlreiche Musik- die Umsätze von Solisten sind, so- chem sie stattfindet. Veranstaltungswirtschaft BUNDESTAGSDRUCKSACHEN politik und kultur • März – April 2005 • Seite 23

Bundestagsdrucksachen

Im Folgenden wird auf Bundestags- drucksachen mit kulturpolitischer Relevanz hingewiesen. Berücksich- tigt werden Kleine und Große Anfra- gen, Anträge, Entschließungsanträ- ge, Beschlussvorlagen, Schriftliche Fragen, Mündliche Fragen sowie Bundestagsprotokolle. Alle Drucksa- chen können unter folgender Adres- se aus dem Internet heruntergeladen werden: http://dip/bundestag.de/ parfors/parfors.htm.

Berücksichtigt werden Drucksachen zu folgenden Themen:

· Auswärtige Kulturpolitik, · Bildung, · Bürgerschaftliches Engagement, · Daseinsvorsorge, · Erinnern und Gedenken, · Europa, · Informationsgesellschaft, · Internationale Abkommen mit kultureller Relevanz, · Kulturelle Bildung, · Kulturfinanzierung, Deutscher Bundestag im Reichstagsgebäude Fotonachweis: Deutscher Bundestag · Kulturförderung nach § 96 Bun- desvertriebenengesetz, Überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- KOM (2004) 649 endg.; Rasdok. Deutschland“ darfsgerechten Ausbau der Tages- · Kulturpolitik allgemein, tel 15 13 Titel 636 12 – Zuschuss des 13271/04 – Drucksache 757/04 - betreuung und zur Weiterentwick- · Kulturwirtschaft, Bundes an die Künstlersozialkasse- 2.22 Vorschlag für eine Empfehlung lung der Kinder- und Jugendhilfe · Künstlersozialversicherungs- des Rates und des Europäischen Plenarprotokoll Bundestag 15/145 (Tagesbetreuungsausbaugesetz – gesetz, Bürgerschaftliches Parlaments betreffend die verstärk- (2. Dezember 2004) 13484 C-13495 TAG) – Drucksachen 15/3676, 15/ · Medien, Engagement te europäische Zusammenarbeit C; 13553 C-13564 A; 13566 A-1350 B 3986, 15/4045 – · Soziale Sicherung zur Qualitätssicherung in der Hoch- Tagesordnungspunkt 5 b) Beschlussempfehlung und Be- · Steuerrecht mit kultureller Rele- Drucksache 15/4076 (28.10.2004) schulbildung KOM (2004) 642 endg.; Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE richt des Ausschusses für Familie, vanz, Entschließungsantrag der FDP-Frak- Ratsdok. 13495/04 GRÜNEN: Senioren, Frauen und Jugend zu dem · Stiftungsrecht, tion zu der dritten Beratung des Ge- Zukunft der Freiwilligendienste – Antrag der CDU/CSU-Fraktion · Urheberrecht. setzesentwurfs der Fraktionen SPD Plenarprotokolle Ausbau der Jugendfreiwilligen- Elternhaus, Bildung und Betreuung und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dienste und der generationsüber- verzahnen Kulturelle Bildung -Drucksachen 15/3439, 15/4051- Plenarprotokoll Bundestag 15/141 greifenden Freiwilligendienste als zu dem Antrag der FDP-Fraktion Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse- (24. November 2004) 13056 B; 13059 C zivilgesellschaftlicher Generatio- Solides Finanzierungskonzept für Drucksache 14/8040 (21.01.2002) rung des unfallversicherungsrecht- Tagesordnungspunkt 1 nenvertrag für Deutschland – den Ausbau von Kinderbetreuungs- Unterrichtung durch die Bundesre- lichen Schutzes bürgerschaftlich a) Zweite Beratung des von der Bun- Drucksache 15/4395 – angeboten für unter Dreijährige gierung Engagierter und weiterer Personen desregierung eingebrachten Ent- Redner: Anton Schaaf (SPD), Tho- (Drucksachen 15/3488, 15/3512, 15/ Faktenbericht 2002 zum Bundesbe- wurfs eines Gesetzes über die Fest- mas Dörflinger (CDU/CSU), Anton 4045) richt Forschung 2000 Auswärtige Kulturpolitik stellung des Bundeshaushaltsplans Schaaf (SPD), Jutta Dümpe-Krüger c) Beschlussempfehlung und Bericht für das Haushaltsjahr 2005 (Haus- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Sibyl- des Ausschusses für Familie, Senio- Drucksache 14/5946 (02.05.2001) Drucksache 15/4046 (27.10.2004) haltsgesetz 2005) – Drucksachen 15/ le Laurischk (FDP), Dr. Michael ren, Frauen und Jugend Unterrichtung durch die Bundesre- Beschlussempfehlung und Bericht 3660, 15/3844 - Bürsch (SPD), zu dem Antrag der Fraktion Bündnis gierung des Ausschusses für Kultur und Me- b) Beschlussempfehlung des Haus- (CDU/CSU), Anton Schaaf (SPD), 90/Die Grünen Berufsbildungsbericht 2001 dien (21. Ausschuss) haltsausschusses zu der Unterrich- Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ Ausbau von Förderungsangeboten a) zu dem Gesetzesentwurf der Bun- tung durch die Bundesregierung: Fi- DIE GRÜNEN), Klaus Riegert (CDU/ für Kinder in vielfältigen Formen als Drucksache 15/4045 (27.11.2004) desregierung nanzplan des Bundes 2004 bis 2008 CSU), Ute Kumpf (SPD) zentraler Beitrag der öffentlichen Erste Beschlussempfehlung und ers- - Drucksache 15/3278 – – Drucksachen 15/3661, 15/3844, Tagesordnungspunkt 14 Mitverantwortung für die Bildung, ter Bericht des Ausschusses für Fa- Entwurf eines Gesetzes zur Ände- 15/4326) a) Antrag der Abgeordneten Günter Erziehung und Betreuung von Kin- milie, Senioren, Frauen und Jugend rung des Deutsche-Welle-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 1.13) Nooke, (Bremen), dern (12. Ausschuss) b) zu dem Antrag der Abgeordneten Redner: Dr. Christina Weiss, Staats- Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), zu dem Antrag der CDU/CSU-Frak- Zu dem Gesetzesentwurf der Bun- Monika Griefhahn, Eckhardt Barthel ministerin BK, Petra- Evelyne Merkel weiterer Abgeordneter und der Frak- tion desregierung (Berlin), Detlef Dzembritzki, weite- (SPD) tion der CDU/CSU: Klarheit für eine Ausbau und Förderung der Tages- - Drucksachen 15/3676, 15/3986 – rer Abgeordneter und der Fraktion einheitliche Rechtschreibung – pflege als Form der Kinderbetreuung Entwurf eines Gesetzes zum quali- der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Plenarprotokoll 806 (26. November Drucksache 15/4261 – in der Bundesrepublik Deutschland tätsorientierten und bedarfsgerech- , (Augs- 2004) 579 C-581 C b) Antrag der Abgeordneten Hans- zu dem Antrag der FDP-Fraktion ten Ausbau der Tagesbetreuung und burg), (Köln), weiterer Bundesrat Stenographischer Bericht Joachim Otto (Frankfurt), Vera Tagespflege als Baustein zum be- zur Weiterentwicklung der Kinder- Abgeordneter und der Fraktion 806. Sitzung Lengsfeld, Josef Philip Winkler und darfsgerechten Kinderbetreuungs- und Jugendhilfe (Tagesbetreuungs- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 2 weiterer Abgeordneter: Die Einheit angebot – Bessere Rahmenbedin- ausbaugesetz – TAG) - Drucksache 15/1214 – Gesetz zur Verbesserung des unfall- der deutschen Sprache bewahren gungen für Tagesmütter, -väter, El- 50 Jahre Deutsche Welle – Zukunft versicherungsrechtlichen Schutzes – Drucksache 15/4249 – tern und Kinder Beschlussempfehlung und Bericht des und Modernisierung des Deutschen bürgerschaftlich Engagierter und Redner: Günter Nooke (CDU/CSU), zu dem Antrag der FDP-Fraktion Ausschusses für Familie, Senioren, Auslandsrundfunks weiterer Personen (Drucksache 833/ Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD), Faire Chancen für jedes Kind – Für Frauen und Jugend (12. Ausschuss) c) zu dem Antrag der Abgeordneten 04, zu Drucksache 833/04) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) eine bessere Bildung, Erziehung 1. zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd Neumann (Bremen), Günter Redner: Kurt Beck (Rheinland-Pfalz), (FDP), Josef Philip Winkler (BÜND- und Betreuung von Anfang an Dr. Maria Böhmer, Gerda Hassel- Nooke, Renate Blank, weiterer Abge- Franz Thönnes, Parlamentarischer NIS 90/DIE GRÜNEN), Hans Joach- (Drucksachen 15/2580, 15/2651, 15/ feldt, Maria Eichhorn, weiterer Ab- ordneter und der Fraktion der CDU/ Staatssekretär bei der Bundesmini- im Otto (Frankfurt) (FDP), Erika 1590, 15/2697, 15/3036) geordneter und der Fraktion der CSU sterin für Gesundheit und Soziale Steinbach (CDU/CSU), Heinrich Wil- d) Beschlussempfehlung und Be- CDU/CSU - Drucksache 15/1208 – Sicherung helm Rohsöhr (CDU/CSU), Jörg Tauss richt des Ausschusses für Familie, - Drucksache 15/3488 – 50 Jahre Deutsche Welle – Perspek- Tagesordnungspunkt 3 (SPD), (CDU/CSU), Senioren, Frauen und Jugend Elternhaus, Bildung und Betreuung tiven für die Zukunft Gesetz zum qualitätsorientierten Dr. (CDU/CSU) zu dem Antrag der CDU/CSU-Frak- verzahnen und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesordnungspunkt 16 tion 2. zu dem Antrag der Abgeordneten Europa Tagesbetreuung für Kinder (Tages- Beschlussempfehlung und Bericht Frauen und Männer beim Wieder- Ina Lenke, Klaus Haupt, , betreuungsausbaugesetz – TAG) – des Ausschusses für Kultur und Me- einstieg in den Beruf fördern weiterer Abgeordneter und der Frak- Drucksache 15/4213 (12.11.2004) gemäß Artikel 84 Abs. 1 dien zu dem Antrag der Abgeordne- (Drucksachen 15/1983, 15/3035) tion der FDP Unterrichtung über die gemäß § 93 Redner: Ute Schäfer (Nordrhein- ten Günter Nooke, Bernd Neumann Redner: , Bundesmi- - Drucksache 15/3512 – der Geschäftsordnung an die Aus- Westalen), Christa Stewens (Bayern), (Bremen), Renate Blank, weiterer nisterin BMFSFJ, Maria Eichhorn Solides Finanzierungskonzept für schüsse überwiesenen Vorlagen Dr. Ralf Stegner (Rheinland-Pfalz), Abgeordneter und der Fraktion der (CDU/CSU), Katrin Göring- Eck- den Ausbau von Kinderbetreuungs- (Eingangszeitraum 27. Oktober bis 9. Erwin Huber (Bayern), Renate CDU/CSU: Abriss des Palastes der hardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), angeboten für unter Dreijährige November 2004) Schmidt, Bundesministerin für Fa- Republik nicht verzögern – Druck- Ina Lemke (FDP), Nicolette Kressl 2. Überweisung von EU-Vorlagen milie, Senioren, Frauen und Jugend, sachen 15/315, 15/3887 – (SPD), Maria Eichhorn (CDU/CSU), Drucksache 15/4684 (19.01.2005) gemäß § 93 Abs. 1 GO Herbert Mertin (Rheinland-Pfalz) Redner: Eckhardt Barthel (Berlin) Peter Götz (CDU/CSU), Christel Kleine Anfrage der FDP-Fraktion 2.11 Vorschlag für einen Beschluss Tagesordnungspunkt 10 (SPD), Renate Blank (CDU/CSU), Humme (SPD), (SPD), Umsetzung des Tagesbetreuungs- des Rats über den Abschluss eines Gesetz zur Änderung des Deutsche- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE ausbaugesetzes Abkommens zwischen der Gemein- Welle-Gesetzes – Drucksache841/04 – (FDP), Vera Lengsfeld (CDU/CSU) GRÜNEN), Maria Eichhorn (CDU/ schaft und der Schweizerischen Eid- Tagesordnungspunkt 53 CSU), Klaus Haupt (FDP), Marlene Soziale Sicherung genossenschaft im Bereich audiovi- Benennung eines stellvertretenden Plenarprotokoll Bundestag 15/135 Rupprecht (Tuchenbach) (SPD), An- suelle Medien über die Voraussetzun- Mitglieds des Kuratoriums der Stif- (28. Oktober 2004) 12280 C-12304 B dreas Scheuer (CDU/CSU), Maria Drucksache 15/4242 (17.11.2004) gen und Bedingungen für die Beteili- tung „Haus der Geschichte der Bun- Tagesordnungspunkt 3 Eichhorn (CDU/CSU), Dr. Maria Unterrichtung durch die Bundesre- gung der Schweizeischen Eidgenos- desrepublik Deutschland“ – gemäß a) Zweite und dritte Beratung des Flachsbarth (CDU/CSU), Christel gierung senschaft an den Gemeinschaftspro- § 7 Abs. 3 des Gesetzes zur Errich- von der Bundesregierung einge- Humme (SPD), Dr. Gesine Lötzsch Haushalts- und Wirtschaftsführung grammen MEDIA Plus und MEDIA- tung einer Stiftung „Haus der Ge- brachten Entwurfs eines Gesetzes (fraktionslos), Ingrid Fischbach 2004 Fortbildung sowie einer Schlussakte schichte der Bundesrepublik zum qualitätsorientierten und be- (CDU/CSU) DAS LETZTE politik und kultur • März – April 2005 • Seite 24

Zeichnung: Dieko Müller Kurz-Schluss Hoyzer for Intendant Impressum ,ür die armseligen fünfstelligen Ge- Kultur-Kompetenz auf dem Friedhof der französischen „Exception Cultu- hälter, die sie beziehen, haben un- des angeblich vermodernden Bil- relle”. Sie versetzt Frankreich in den sere öffentlich-rechtlichen ARD-In- dungsbürgertums, für das man mit privilegierten Stand, dass europäische tendanten und auch die Hörfunk-Di- Fussball-WM, Yvonne Catterfield, Gesetzgebung seine gewachsenen rektoren schon eine Menge auszu- Microsoft, Big Brother und McDo- Kultur-Strukturen nicht dominieren halten. Von rechts hinten wird ihnen nalds gesamtgesellschaftlich be- darf. Und doppelt peinlich: Ausge- Zeitung des Deutschen Kulturrats das messerscharf kalkulierte Stein- trachtet innovativen Ersatz gefun- rechnet dieses – möglicherweise pri- brück-Milbradt-Stoiber-Papier (SMS) den hat. Weg mit Hörspiel-Autoren, vilegierende – Alleinstellungsmerk- immer wieder um die Ohren gehau- anspruchsvollen Features, Orches- mal, nämlich ihren Kulturauftrag, sind Deutscher Kulturrat en, dessen „inhaltliche” ,orderungen terbeamten. Platz da für Harald unsere öffentlich-rechtlichen Sender- sie in weit vorauseilendem Gehor- Bundesgeschäftsstelle Schmidt, Beckenbauer, Beckmann Oberen gerade dabei zu verjuxen. Chausseestraße 103 sam doch substanziell schon längst und Gottschalk, die neuen Oberleh- Wer rettet den öffentlich-rechtli- 10115 Berlin erfüllt haben. Udo Reiters ,önwelle rer der Nation. Und den Jauch kau- chen Rundfunk vor sich selbst, fra- Tel: 030/24 72 80 14, ax: 030/24 72 12 45 ,igaro, Gernot Romanns norddeut- fen wir auch. Dafür haben wir die gen wir mit Cato´scher Hartnäckig- Internet: www.kulturrat.de, E-Mail: [email protected] sches Kuschel-Klassikradio oder der knapp neunzig Cent Gebührenerhö- keit an dieser Stelle zum dritten Mal. hessische Kultur-Dudelsender mö- hung, die unseren Anstalten wohl Vielleicht will er ja gar nicht mehr ge- gen als Beispiele aus dem Musikan- doch zuwachsen wird, gern und im rettet werden. Herausgeber tenwinkel dienen. SMS-Sinne renditeträchtig für die Im Spannungsfeld zwischen Par- Olaf Zimmermann und Theo Geißler nächsten zehn Jahre vorab schon tei-Proporz und längst ausgelagerten Redaktion onsumentengerechte Industrie- mal ausgegeben. Ach wie gern wä- Wirtschaftsinteressen (wer prüft ei- Olaf Zimmermann (verantwortlich), Gabriele Schulz, Andreas Kolb K Konserven statt teurer Eigen- ren wir mit den von der KEF vorge- gentlich die Nebenverdienste der Di- produktion – des Südwestfunkes schlagenen und von kleingeistigen rektoren und der Intendanten, die ih- Anzeigenredaktion geschmeidiger Vorarbeiter Peter Voß Landesfürsten weggeknapsten zwan- rer Frauen und Kinder...) hat sich an Martina Wagner, Tel: 0941/945 93 35, ax: 0941/945 93 50 hat es kürzlich auf den Punkt ge- zig Cent unserer Mäzenatenrolle den Sender-Spitzen mit wenigen Aus- E-Mail: [email protected] bracht: Über die Berichterstattungs- auch noch gerecht geworden – nahmen doch eine Personaldecke funktion hinaus habe der öffentlich dämpfelt es aus den Intendantenbü- breitgemacht, deren mentale Zweidi- Verlag rechtliche Funk eigentlich keinen ros. Und die Krokodilstränen heben mensionalität sich leider nicht in der ConBrio Verlagsgesellschaft mbH Brunnstraße 23, 93053 Regensburg Kulturauftrag. Was da in den letzten den Grundwasserspiegel bundes- Digitalisierung und Roboterisierung E-Mail: [email protected] fünfzig Jahren an produktivem In- weit um einen halben Meter. der von ihnen geleiteten Produkti- strumentarium samt Know-How ent- Wie nicht anders zu erwarten: onsstätten erschöpft. So gerät Medi- Herstellung standen ist, ob Filmproduktion, Or- Diese Suppe ist versalzen. Sozusagen en-Macht als elementar gesell- Petra Pfaffenheuser, ConBrio Verlagsgesellschaft chester oder Chor, sei unter mäzena- von schräg oben, aus dem vollökono- schaftsgestaltendes Element ins Zen- tischem Aspekt, sozusagen als freiwil- mischen Himmelreich der Europäi- trum ökonomischer Interessen, wo- Druck lige Leistung zu sehen. Sein Fortbe- schen Union, droht neues Unge- bei jede Form von Kultur, wie wir sie Der Neue Tag Druck- und Verlagshaus GmbH, Weiden stand gehöre angesichts der Forde- mach. Angezettelt vermutlich von der bislang verstanden haben, zwangs- rung nach „Ausschöpfung der Wirt- neidischen Privatfunker-Konkurrenz läufig als Störfaktor wirken muss. Erscheinungsweise 6 Ausgaben im Jahr schaftlichkeits-Reserven” (SMS-Pa- hierzulande. Nachdem wir RTL, Kein Wunder, dass kürzlich bei einer pier) auf einen strengen Prüfstand. SAT1, Pro7 und Konsorten (im Ver- Tagung in Köln über den Kulturauf- Preis/Abonnement Sehr vernünftig: Man begräbt ein bund mit Warner, Universal und trag des öffentlich-rechtlichen Rund- 3,00 Euro, im Abonnement 18,00 Euro, incl. Porto im Jahr halbes Jahrhundert hart erarbeitete Sony) die ästhetische Konfektion un- funks zwischen Programmverant- serer jüngsten Gesellschaftsreform wortlichen und Referenten gewisse Aboverwaltung: maßgeblich zu verdanken haben, le- Differenzen über die Auslegung des PressUP GmbH, Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg gen diese anerkannt unpolitischen Kulturbegriffes aufkamen. Tel. 040/414 48-466 Kräfte zurecht Wert auf ihr Copy- Das ist erst der Anfang. So wie der [email protected] right. Es ist ja auch nicht einzuse- Fußball nicht zuletzt durch Medien- hen, dass gewissermaßen mit öffent- Hype und reichlich öffentlich-recht- puk ist in Bahnhofsbuchhandlungen sowie an ,lughäfen lichen Mitteln hochsubventionierte liche Gelder zum Spielfeld mafioti- erhältlich. Distributionsapparate hemmungslos schen Spekulantentums verkam, Programmkonzepte abkupfern, Per- gibts, geht es so weiter, in fünf Jahren sonalstrukturen bis ins Detail kopie- „Dschungel-Camp”-Reprisen auf Alle Ausgaben von politik und kultur können von der Homepage des ren, Layouts „übernehmen” – gerade dem Theaterkanal und Arte sendet Deutschen Kulturrates (http://www.kulturrat.de) heruntergeladen werden. so wie nordkoreanische Schneider- nonstop „Fliege”. Schon 2006 führt Ebenso kann der kostenlose Newsletter des Deutschen Kulturrates werkstätten das Branding von Levis- Intendant Robert Hoyzer den öffent- (2-3mal die Woche) unter http://www.kulturrat.de abonniert werden. Jeans oder kleinkriminelle Schwarz- lich-rechtlichen Fußballsender 3Sat brenner auf dem Schulhof die teuren zu Quoten-Rekorden, indem er, ge- ür unaufgefordert eingesandte Manuskripte und otos übernehmen wir Contents der Majors. Also: Weg mit meinsam mit Boris Becker, Michael keine Haftung. Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich ge- den Rundfunkgebühren oder eben Schumacher und – natürlich Franz schützt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt den Werbe-Einnahmen, es geht nur Beckenbauer – die Schiedsrichterleis- die Meinung des Deutschen Kulturrates e.V. wieder. eins von beidem! tungen bei der Weltmeisterschaft live Peinlich. Der argumentative Atlan- kommentiert. „Es ist immer Hochkul- tik-Wall unserer Öffentlich-Rechtli- tur, wenn man Fünfe einfach mal gra- Gefördert aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur Theo Geißler, Herausgeber der „neuen chen wider solche existenzgefährden- de sein läßt“ (Schlingensief? Oder und Medien musikzeitung“ und „Jazzzeitung“ den Herausforderungen fußte bislang Kohl?? Oder Schröder???). sowie Mitherausgeber der puk, Moderator der Radiomagazine auf einer gesetzlich nicht fundierten, „taktlos“ (BR/nmz) und „contra- aber immerhin intuitiven Übernahme Theo Geißler punkt“ (BR) Foto: Barbara Haack Europa Kultur Stadt

März. – April 2005 Beilage des Deutschen Kulturrates und der Kulturstiftung des Bundes in politik und kultur Ausgabe III

Inhalt Deutschland ist längst ein Einwanderungsland, die- ses ist eine Binsenweisheit. Wie die Kulturpolitik darauf reagiert, welchen Stellenwert Migranten im kulturellen Leben haben, inwieweit sich mit Mig- rantenkultur auseinandergesetzt wird, steht im Mit- telpunkt dieser Ausgabe von Europa Kultur Stadt. Hilmar Hoffmann setzt sich in seinem Artikel vor dem Hintergrund der Migration mit zwei Modellen der Stadtpolitik, der Wachstumspolitik oder der In- tegrationspolitik, auseinander. Er erinnert daran, dass gerade die Künsten und die kulturellen Kräfte insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Humanisie- rung der Gesellschaft und zur Integration leisten können. In einem Gespräch mit dem Kuratorium des Projektes Migration, einem Initiativprojekt der Kul- turstiftung des Bundes wird ausgelotet, wie künst- lerische Projekt anregt werden können, die sich mit dem Thema Migration auseinandersetzen. An dem Gespräch nahmen teil: Martin Rapp und Aytaç Eryil- maz (DOMiT), Regina Römhild (Institut für Kultur- anthropologie und Europäische Ethnologie der Uni- versität Frankfurt), Marion von Osten (Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich) sowie Kathrin Rhomberg und Virginia Friedlaender (Kölnische Kunstverein). Am Beispiel der Bewerberstädte zur Kulturhaupt- stadt Europa 2010 Braunschweig, Bremen, Essen, Halle/Saale, Görlitz, Karlsruhe, Kassel, Lübeck, Pots- dam und Regensburg wird deutlich, wie unter- schiedlich Kommunen mit Fragen von Migration konfrontiert sind und wie Migranten bzw. das The- Studenten vor der Universität Halle Foto: Thomas Ziegler Students in front of the university of Halle Photo: Thomas Ziegler ma Migration in die Bewerbung zur Kulturhaupt- stadt 2010 einbezogen werden. Das duale Stadtregime Content Germany has long since become a nation of immi- Von Hilmar Hoffmann grants; that is a truism. How cultural policies re- spond to that fact, how important immigrants are Auf einer Konferenz der Kulturpolitischen Gesell- meinschaften, den Projekten des interkulturellen Di- Dieses Gerüst entsteht aber nicht automatisch. „Kul- in the nation’s cultural life, and how much attenti- schaft in Frankfurt am Main hat Hartmut Häußer- alogs, den Museen mit ihrem Beitrag zur Interpreta- tur“ ist schließlich kein Eintopf, der allen gleich gut on is paid to immigrant culture are the focus of mann, Professor für Stadt- und Regionalsoziologie tion der Welt oder den Diskursen der ästhetisch-kul- mundet, egal, was der Löffel gerade herausholt. Man- this issue of „Europe Culture City.“ an der Berliner Humboldt Universität, das duale turellen Bildung. che möchten uns Kultur-Rationen wie Vitaminga- In his article Hilmar Hoffmann examines two mo- Stadtregime analysiert, wie es in der heutigen Kom- Die Gesellschaft braucht Menschen, die nicht nur diese ben verordnen. Aber Kultur war in Deutschland nie dels for urban policy, growth policy, and integrati- munalpolitik die Regel sei: Eine der Optionen favo- Standards erfüllen, sondern die in die Lage versetzt ein Einheitsbrei. on policy against the backdrop of migration. He re- risiert das Wachstumsregime. Die Positionierung der werden, diese auch selbständig zu setzen. Auch in der kulturellen Sphäre spielen sich ähnliche minds us that the arts, and cultural forces in gene- Kommunen in der Konkurrenz zu anderen „hot spots“ Opernhäuser oder Krabbelstuben, lautet die Provoka- Auseinandersetzungen ab wie in der Gesellschaft. ral, are in an especially good position to make im- werde durch systematische Förderung einer wirt- tion der eingangs zitierten Frankfurter Fragestellung. Daher ist es für die Steigerung von Lebensqualität portant contributions to humanizing society and to schaftsfreundlichen Infrastruktur und von image- Aber ohne das Unterfutter der kulturellen Tradition und für die mentale Integration keineswegs egal, integration. In an interview with the curatorial bildenden kulturellen „Leuchttürmen“ gestützt (zu und ihrer Einrichtungen wäre der Ruf nach Krabbel- welche Art von Diskursen im kulturellen Feld mit board of the project Migration, an initiative of the Lasten der übrigen kulturellen Strukturen in der Flä- stuben und Kindergärten, damit zu sozialer Integrati- welchem Ziel stattfinden. Federal Cultural Foundation, the participants ex- che, vor allem aber zum Nachteil der sozialen Stadt- on längst verhallt. Weiter auf Seite II plore how to encourage artistic projects that con- politik). sider the theme of migration. The participants were: Martin Rapp and Aytaç Eryilmaz (DOMiT), Regina Gleichzeitig und parallel dazu, korrespondiert als an- Römhild (Institute for Cultural Anthropology and dere Option ein so genanntes „Integrationsregime“. Das The dual „city regime“ European Ethnology), Marion von Osten (Institute bemüht sich systematisch um Stärkung jener Kräfte, by Hilmar Hoffmann for the Theory of Art and Design at the Zurich Aca- welche die Stadtgesellschaft zusammenhalten und den demy of Art and Design), as well as Kathrin Rhom- sozialen Frieden sichern. Dabei geht es auch um die At a conference of the Cultural Policy Society in Frank- quality in a community based on solidarity, is linked to berg and Virginia Friedlaender (Art Association of soziale Grundsicherung der Bürger und um die Inte- furt am Main, Hartmut Häußermann, Professor For Re- transmitted cultural standards. Since German classi- ). gration von Minderheiten bzw. Migranten, die in man- gional and Urban Sociology at Berlin’s Humboldt Uni- cism, at the latest, the ongoing cultural discourse in versity, examined the dual approach to urban develop- everyday life has provided a firm foundation to anchor The examples of cities applying for the title of Cul- chen Stadtteilen längst schon die Mehrheit bilden. ment commonly found throughout urban policy today. a solid framework of values on communal life, which tural Capital of Europe 2010—Brunswick, Bremen, Dieses „Integrationsregime“ ist für die Lebensqualität The first approach favours a “regime of growth”, where are viewed as absolutely vital. Our theatres, venues for Essen, Halle an der Saale, Görlitz, Karlsruhe, Kassel, der urbanen Gesellschaft verantwortlich. Es ist ein Cha- the local authority asserts its competitive position literary readings, cinemas, and galleries debate and Lübeck, Potsdam, and Regensburg—make it clear rakteristikum der deutschen Städte, dass Slums oder against other “hot spots“, initiating targeted measures update these life-serving standards in shared civic and how different communities are confronted with Milieus der Unsicherheit hierzulande nicht existieren, to promote a business-friendly infrastructure and crea- civilised life. In this process, they are supported by the questions of migration and how migrants and the wie sie in den französischen, britischen Städten, erst te image-building “lighthouse” cultural institutions and citizens’ social commitment, religious communities, theme of migration are incorporated into their ap- recht den entsolidarisierten US-Amerikanischen Sub- events (at the cost of other broad cultural structures, projects in intercultural dialogue, the museums with and disadvantaging, above all, social urban policy). their contributions to interpreting the world, and the plications. zentren wie der Bronx oder Harlem als Synonyme für In a simultaneous and parallel development, the se- aesthetic-cultural educational discourses. Randständigkeit gelten. Sie würden bei uns als men- cond option pursues a “regime of integration”, seeking Society does not only need people able to fulfil these schenverachtende Realität mitnichten toleriert werden. to systematically buttress forces instrumental in a co- standards, but has to put people in a position where Wie kommt es zu dieser Asymmetrie sich widerspre- hesive urban society and ensure social peace - a pro- they can set such standards independently. chender Optionen von koexistierenden Kulturen in der cess concerned with basic social provision for all citi- “Opera houses or crèches?” was the way the Frankfurt Gemeindepolitik? Ich denke, dass die Gewissheit, bei zens and moves to integrate migrants and minorities, conference above provocatively formulated the ques- uns werde der Anspruch auf soziale Integration und who, in some urban districts, have long since been the tion. But without the underlying substance provided Lebensqualität in einem solidarischen Gemeinwesen majority. This integrative approach is responsible for by cultural tradition and its facilities and institutions, the life-quality found in urban society: German cities the call for crèches and kindergartens – and hence, for von niemandem ernsthaft in Frage gestellt, auch prin- are marked by the absence of the slums or milieus of social integration – would have long died away. Über die Bilder: About the photographs: zipiell nicht aufgegeben, mit tradierten Standards der insecurity found in French or British cities or, above all, But this supporting framework does not appear auto- Was macht Kultur What defines culture? Kultur zusammenhängt. Ein starkes Gerüst von als the de-solidarised US American sub-centres like the matically – after all, “culture” is not a stew tasting the aus? Architektur, Architecture, history, unverzichtbar behaupteten Werten des Gemein- Bronx or Harlem, synonyms for marginality. In Germa- same to everyone no matter what they happen to ladle Geschichte, lebendige lively every-day schaftslebens wurde spätestens seit der deutschen ny, they would be seen as a cynical, inhumane reality, out of it. Some would like to prescribe rations of cultu- Gegenwart. Europa culture? Europa Kultur Klassik durch den kulturellen Diskurs im Alltag fest and regarded as totally unacceptable. re, rather like vitamin shots, but culture in Germany Kultur Stadt will Stadt wants to give verankert. Unsere Bühnen, Literaturhäuser, Filmthea- But where are the roots of this asymmetry between has never come in one standardised flavour. The cultu- Antworten geben aus answers from the the contradictory options of co-existing cultures in lo- ral sphere also experiences similar conflicts to those ter und Galerien diskutieren und aktualisieren diese dem Blickwinkel von perspective of migra- cal authority policy? I believe the certainty that here found in society as a whole – and for this reason, in Migrationsbewegun- tion-movements. lebensdienlichen Standards des zivilisatorischen Zu- no-one seriously questions or has, in principle, aban- terms of improving life-quality and intellectual inte- gen. sammenlebens. Sie werden dabei unterstützt vom so- doned our aspirations to social integration and life- Continued on page II zialen Engagement der Bürger, von den Religionsge- Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite II

Fortsetzung von Seite I gen für den Arbeitsmarkt neuerdings hoch gelobte Kulturwirtschaft ist nicht schon automatisch an der Continued from page I Das duale Stadtregime Entwicklung von Lebensqualität und sozialer Integra- tion beteiligt. Es tummelt sich im Kulturbereich im The dual „city regime“ Die Freiheit der Entfaltung der kulturellen Kräfte ist Vielen Vielerlei. Der Streit zwischen Optionen der In- zwar unabdingbar, aber darüber darf die Gefahr nicht tegration und jenen der opportunistischen Feier eines gration, it does indeed matter what kind of discourses cently lauded so highly for its effect on the job mar- verdrängt werden, dass elitäre, esoterische oder op- selbstzweckhaften Wachstums reproduziert sich are taking place in the cultural field and what goals ket, does not automatically contribute to improved portunistische, nationalistische oder rassistische Dis- letztlich auch in den Künsten. they have. The freedom to evolve culturally may be life-quality and social integration. The cultural sec- inalienable, but this should not let us lose sight of tor is packed with a whole range of issues; ultimately, kurse auch in der Kultur ihre Nischen suchen und in Wichtig für die Lebensqualität in einer zukunftsfähi- the danger that elitist, esoteric, opportunist, natio- the dispute over integrative options and opportunis- einer miserablen politischen Wirklichkeit immer wieder gen Gesellschaft sind jene lebendigen kulturellen Mi- nalist or racist discourses are also seeking to find their tically celebrating self-serving growth is reproduced auch finden (denken wir nur an die nationalkonser- lieus und Sparten des kulturellen Lebens, in denen die cultural niche too – and, given a deplorable political in the arts. vative Zeitschrift „Mut“). Ausprägungen der humanen Qualitäten des Mitein- reality, repeatedly manage do so (one only need re- For life-quality in a society fit for the future, those Weil über die Sinnfrage, wie wir in metaphysisch ob- anders unter den neuen Bedingungen von Globalisie- call the national conservative magazine Mut (Coura- lively cultural milieus and branches of cultural life are dachloser Zeit leben wollen, in der kulturellen Sphäre rung und all der anderen kulturellen Herausforderun- ge)). crucial where the human qualities of shared life under seit dem 11. September 2001, intensiver diskutiert gen entwickelt werden – so wie im Milieu der Wei- Since September 11, 2001, the cultural sphere has the new conditions of globalisation, and all the many been engaged in a more intensive debate on the ques- other cultural challenges, are being expressed and evol- wird, muss es dafür genügend freie kulturelle Institu- marer Klassik einst die humanen Konzepte für die neue tion of how we intend to live in an era of metaphysi- ved – just as, once, the milieu of Weimar classicism tionen geben, die weder vom Wohlwollen der Volks- bürgerliche Welt entworfen wurden. cal destitution, a discussion that inevitably requires provided the setting to generate humane ideas for the vertreter zur Linken wie zur Rechten, noch allein von Die Frankfurter Öffentlichkeit reagierte kürzlich mit enough independent cultural institutions, neither at new civic world. der Akzeptanz durch das Publikum abhängig sein dür- blankem Entsetzen, als eine aus ihrer Wohnung eines the mercy of elected representatives’ political good- Recently, the Frankfurt general public expressed their fen. Wie ich in meiner langen Zeit beim Goethe-Insti- gemeinnützigen Trägers hinausgeworfene alte Frau will, whether on the left or the right, nor merely the total outrage over the case of an old woman found tut erfahren konnte, gibt es zahlreiche Menschen au- kurze Zeit danach auf einer Parkbank tot aufgefun- captive of broad public acceptance. As I constantly dead on a park bench who, shortly before, had been ßerhalb Deutschlands, die es als ein Geschenk der klas- den wurde. Was anderswo, selbst in modernen Indus- discovered during my years with the Goethe Institu- evicted from an apartment rented from a non-profit te, there are indeed numerous people in other coun- organisation. An event hardly thought worth men- sischen deutschen Philosophie zu würdigen wissen, triestaaten, kaum eine Zeitungsnotiz für Wert befun- tries who value, as a gift of classical German philoso- tioning in the papers in other parts of the world, even wie dezidiert etwa Immanuel Kant darauf beharrt, dass den worden wäre, wird bei uns (noch) als nicht kom- phy, Immanuel Kant’s adamant insistence that, even in modern industrial countries, is (still) considered auch in der Herrschaft der Vernunft nicht alles dem mentarlos hinnehmbare Schande wahrgenommen. Auf under the rule of reason, not everything is subject to here, in Germany, an intolerable scandal that must be blanken unmittelbaren Nutzen unterworfen werde. Für eine solche humane Haltung und ein solches solidari- undiluted direct utility. For Kant, as is well known, made public. No-one in Germany is (yet) willing to Kant sind die Gebote der Sittlichkeit per definitionem sches Verständnis vom Gemeinwesen möchte in moral laws are, by definition, maxims of practical re- abandon an attitude so humane or a notion of com- bekanntlich Gebote der praktischen Vernunft. Deutschland (noch) niemand verzichten. Umso mehr ason. munity so much rooted in solidarity – and all the more So gesehen ist es keineswegs selbstverständlich, dass bedarf es der Symbolarbeit der freien Künste und ih- In these terms, it is far from self-evident that the pres- then do we need independent art and its institutions, tige and image-building generated by specifically fun- and cultural forces altogether, as a symbolic message, die der Repräsentation und der Imageproduktion we- rer Institutionen sowie der kulturellen Kräfte insge- ded “lighthouses“ is inherently significant or useful at least in an era without universal moral standards – so gen besonders geförderten „Leuchttürme“ wichtig und samt, jedenfalls in einer Zeit ohne universelle Stan- in creating integration in the community. If access to that our standards of humanity are not completely lost. nützlich sind für die Integration in die Gemeinschaft: dards der Moral, damit unsere menschlichen Standards these cultural “lighthouses” is – and remains – the Sie können, wenn der Zugang zu ihnen privilegiert ist nicht gänzlich verloren gehen. privilege of a few, they could just as well serve to The author was president of the Goethe-Institute und bleibt, genau so gut zur Vertiefung des Risses in deepen the rift in society between the other and the and Head of the Culture Department in the Frank- der Gesellschaft zwischen Fremd und Eigen, Oben und Der Verfasser war Kulturdezernent in Frankfurt/Main own, top and bottom. Even the cultural economy, re- furt City Authority Unten, beitragen. Auch die wegen ihrer positiven Fol- sowie Präsident des Goetheinstituts Suchbewegung nach dem Besseren Ein Gespräch mit dem Kuratorium des Projektes Migration

Die Kulturstiftung des Bundes hat 2002 mehrere In- Frage: Migration – im Zeitalter von Multikulti und Selbstorganisationen basiert zumeist auf ehrenamt- die der ganze Recherche- und Erkenntnisprozess ein- itiativprojekte entwickelt, die aus ihrer Sicht wichti- Globalisierung ein Thema, das in aller Munde und al- licher Arbeit, und die Ausstellungen hatten ein sehr fließt – am Ende vorzustellen hat? Welche Themen ge und für Deutschland aktuelle Themenbereiche be- ler Köpfe sein sollte. Trotzdem hat man den Eindruck, kleines Budget. Dazu kommt die Marginalisierung auf und Arbeitsbereiche werden sich widerspiegeln? treffen. Das sind unter anderem Projekte über die dass eine fundierte und substantielle Auseinanderset- Seiten der offiziellen Institutionen. Beim genauen Hin- Deutsche Einigung, Mittel- und Osteuropa, Heraus- zung mit dem Thema noch aussteht. Es geht hier sehen erweckt die Geschichte des Diskurses zu und Kathrin Rhomberg: Das Projekt Migration hat sich zum forderung des 11. Septembers und Migration. Für die sicherlich auch um ein großes Stück bundesrepubli- über Migration in Deutschland daher den Eindruck, Ziel gesetzt, die wissenschaftliche Erforschung von verschiedenen Initiativprojekte wurden Projektträger kanischer Geschichte – der „Gastarbeitergeschichte“ dass es sich um ein „Randthema“ handelt, in dem eine Migration zu unterstützen und gegebenenfalls auch aus unterschiedlichen deutschen Städten ausgewählt, –, das erst aufgearbeitet werden muss. Aber es geht „Minderheit“ ausgemacht wird. neue methodische Ansätze in Deutschland zu fördern, die Kulturstiftung des Bundes hat darüber hinaus alle ja auch um mehr: Um die Bedeutung des Phänomens die eine langfristige, nachhaltige Perspektive haben. Projektpartner ausgewählt und nominiert. Im Fall des für unsere soziale und politische Realität innerhalb Martin Rapp: Genau diese „Entmarginalisierung“ steht Wir versuchen daher, sowohl mit der Ausstellung als Migrations-Projektes sind das DOMiT (vertreten durch eines neuen Europas. Welche Aufgabe hat das Projekt auch im Fokus unserer Arbeit. Migration ist ein uni- auch mit der Publikation ungewöhnliche, neue Wege Martin Rapp und Aytaç Eryilmaz), das Institut für vor diesem Hintergrund, welchen Wirkungsgrad er- versalgeschichtliches Phänomen und hat in allen Jahr- zu gehen. Gemeinsam mit einem Architektenteam Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der hofft es sich, was versteht man überhaupt unter dem hunderten stattgefunden, Einwanderung und Auswan- entwickeln wir ein Ausstellungsformat, das künstleri- Universität Frankfurt (vertreten durch Regina Röm- Thema Migration? derung hat die modernen Gesellschaften Europas kon- sche Arbeiten, aber auch sozialhistorische Dokumen- hild), das Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst tinuierlich verändert. Die Vorstellungen von homoge- te wie Fotos, Objekte, Dokumente und wissenschaft- an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zü- Marion von Osten: Natürlich hat es in Deutschland nen (Kultur-)Nationen ist eine rückwärtsgewandte liche Erkenntnisse zusammenführt. Wir streben da- rich (vertreten durch Marion von Osten) und der Köl- bereits viele unterschiedliche Initiativen gegeben, die Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert. In den europä- mit weder eine reine Kunstausstellung noch eine aus- nische Kunstverein als maßgeblicher Träger und Aus- Geschichte der Arbeitsmigration in der Nachkriegs- ischen Großstädten leben Menschen aus aller Herren schließlich sozial- und kulturgeschichtliche Dokumen- richter des Projektes vor Ort (vertreten durch Kathrin zeit – oder auch jene zur Zeit der Industrialisierung – Länder. In den Kölner Schulen haben mehr als die tation an. Vielmehr möchten wir mit einer Zusam- Rhomberg und Virginia Friedlaender). Zur Zielsetzung vor allem in der Forschung und in Ausstellungen zu Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund. Die menführung von künstlerisch, sozialwissenschaftlich des Projektes gehören die Förderung der Untersu- thematisieren. Die deutsche Migrationsforschung hat Erinnerung an die Einwanderung ihrer Großeltern wird und dokumentarisch erarbeiteten Zugängen eine at- chung, Aufarbeitung und Dokumentation der Ge- aber erst seit kurzem den nationalen Blickwinkel er- zwar als Familiengeschichte überliefert, sie hat aber mosphärische, nach künstlerischen Verfahrensweisen schichte der Migration in Deutschland, die Initiie- weitert und erkannt, dass Migration eben genau je- bisher kaum Eingang in die offizielle Geschichtsschrei- entwickelte Ausstellung erarbeiten, bei der die ver- rung künstlerischer und wissenschaftlicher Projekte, nes positive Potenzial besitzt, Orte und Menschen bung gefunden, d.h. ihre Migrationserfahrung erscheint schiedenen Darstellungsformen der Disziplinen ihre die Förderung des Dialoges zwischen Kulturschaffen- miteinander zu verbinden – auch und gerade über immer noch als Ausnahme von der Regel und bleibt spezifischen Eigenheiten und Qualitäten behalten den und WissenschaftlerInnen, die Ermöglichung ei- nationalstaatliche Grenzen hinweg. Das ist ein An- deshalb mit einem Makel behaftet. Dabei prägt sie längst können. Dabei basiert unsere Konzeption und Arbeit ner breiten und vertiefenden Wahrnehmung und Aus- satz, der für unser Projekt zentral ist. Gleichzeitig die Alltagskultur. Das Projekt Migration will diese ge- nicht zuletzt auf dem Fundament, das durch die kon- einandersetzung mit dem Thema Migration in wurden Ansätze dieser Art in der breiten Öffentlich- sellschaftlichen Veränderungsprozesse sichtbar machen tinuierliche Arbeit von DOMiT gelegt ist. Deutschland sowie die Präsentation der Ergebnisse keit und auch in den Medien bislang kaum wahrge- und wird dabei Vorstellungen von Nation, Differenz und der transdisziplinären Zusammenarbeit in einem ge- nommen. Wenn man beispielsweise die oben genann- kultureller Identität in Frage stellen. Aytaç Eryilmaz: Unser Part ist, ganz konkret und nach meinsamen Ausstellungsprojekt im September 2005 ten Initiativen genauer anschaut, dann sieht man, wie wissenschaftlichen Methoden die Geschichte der Ar- in Köln. Hier ein Gespräch mit den verschiedenen Be- wenig finanzielle Mittel ihren Projekten zur Verfügung Frage: Wie kann man diese Muster denn überhaupt beitsmigration aus zwölf Ländern aufzuarbeiten, mit teiligten über den Verlauf des Projektes. standen. Die darin geleistete Arbeit migrantischer erfolgreich aufbrechen – und dies dann auch noch denen die Bundesrepublik und die DDR seit den 50er visuell darstellen? Jahren Verträge zur Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen hat. Die wissenschaftliche Recherche wird Marion von Osten: Das Projekt Migration verfolgt be- von einem interdisziplinären Team von Historikern, wusst einen gegensätzlichen Ansatz: Es behauptet, das Literatur-, Religions- und SozialwissenschaftlerInnen Migration einen wesentlichen und ganz grundsätzli- wie Kulturanthropologen geleistet. Das Material wird chen Anteil an der Konstitution unserer Gesellschaf- von einer wissenschaftlichen Dokumentarin archiv- ten hat. Es stellt das Thema quasi ins Zentrum: gerecht erfasst und aufbewahrt. Unsere Mitarbeiter- Einerseits, was seine konzeptionelle Ausrichtung an- Innen haben selbst einen Migrationshintergrund und geht – andererseits, was die Wahl der Orte der ab- verfügen über entsprechende Sprachkenntnisse. Sie schließenden Ausstellung angeht, die mitten in der führen lebensgeschichtliche Interviews mit Zeitzeu- Innenstadt von Köln liegen. In allen Teilen des Projek- gen, recherchieren in Archiven und sammeln Doku- tes, also auch in der Ausstellung selbst, geht es um mente und persönliche Erinnerungsstücke, die als zeit- den Aushandlungsprozess zwischen der Mehrheits- geschichtliche Quellen für die wissenschaftliche For- und Minderheitsgesellschaft seit der Nachkriegszeit. schung oder als Exponate für die Ausstellung geeig- D.h. wir versuchen, den Ort beschreibbar zu machen, net sein können. Wir sammeln Fotos, Filme, Dokumen- in dem das, was wir heute unter Migration verstehen, te, Plakate und Gegenstände, Material, das die viel- definiert wird und wurde. Gleichzeitig betont das Pro- fältigen und widersprüchlichen Geschichten der Ein- jekt eine gemeinsam geteilte transnationale und eu- wanderung widerspiegelt. In der Ausstellung werden ropäische Geschichte, die gerade durch Migration in wir thematische Schwerpunkte setzen, die diese ge- ihren unterschiedlichen Ausprägungen – der Ein- und sellschaftlichen Veränderungsprozesse am besten Auswanderung, der Saisonarbeit, der Pendelmigrati- sichtbar machen. on etc. – bestimmt wurde. Kathrin Rhomberg: Dieses Montageverfahren möch- Frage: Das hört sich nach einer völlig veränderten ten wir auch bei der Publikation anlegen: Es wird ne- Perspektive an. Kathrin Rhomberg, können Sie kon- ben einem Ausstellungsführer eine gemeinsame, um- kretisieren, wie man sich das Ergebnis – zum einen fassende Publikation geben, in der Kunst, Wissenschaft Das Kuratorium Migration bei der Diskussion The Kuratorium Migration in discussion die Ausstellung, zum anderen auch die Publikation, in Weiter auf Seite III Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite III

Fortsetzung von Seite II tive der europäischen und der globalen Bewegungen und Sozialgeschichte zusammengeführt werden. Mit der Migration zur Diskussion stehen. anderen Worten: Es soll eine Art Standardpublikation zum Thema Migration werden, in der Beiträge interna- Frage: Und damit von der Vergangenheit in die Zu- tionaler AutorInnen mit den wissenschaftlichen Ergeb- kunft: Welchen Erkenntniswert generiert dieser Pro- nissen der zweijährigen Forschung des Projektes Mig- zess für die Gestaltung und den Umgang mit einem ration – Bildbeiträgen von KünstlerInnen, literarischen neuen Europa? Texten, Interviews, Fotos und Dokumenten, Songtexte und Statements – zusammenfließen werden. So soll Regina Römhild: Das Wissenschaftlerteam am Institut sowohl in der Ausstellung als auch in der Publikation für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der ein vielfältiger Blick auf ein anderes, migrantisch ge- Universität Frankfurt, das ich leite, bringt die Perspekti- prägtes Deutschland möglich werden, durch den ven einer avancierten, transnational orientierten Migra- schließlich die Beiträge der Migration, ihre Prägungen tionsforschung ein – für die deutsche Diskussion relati- durch Kultur, Ökonomie und Politik ebenso wie ihre ves Neuland. Denn hier, das zeigte zuletzt wieder die zukunftsweisende Potenziale deutlich werden. Debatte um „Zuwanderung“ und „Integration“, geht der Blick auf Migration noch immer vom Kontrollzentrum Frage: Das heißt, die Arbeit rekurriert immer wieder des Nationalstaates und seiner Mehrheitsgesellschaft auf wissenschaftliche Ergebnisse. Wie verhält sich da aus: ein national verengter Blick, der an den Staatsgren- der klassisch-akademische Part, Frau Römhild? zen endet. Aber Migration widersetzt sich diesem Blick. Als Prinzip der Bewegung über Grenzen führt sie das Bild Regina Römhild: Generell lässt sich ein Thema wie der geschlossenen Container-Gesellschaft ad absurdum. Migration nicht für eine Ausstellung bearbeiten, ohne Die Wirksamkeit dieses Prinzips deutlich zu machen, ist die Fragen und Ergebnisse einer damit befassten in- ein Ziel des Projektes – mit Blick auf die Geschichte der ternationalen wissenschaftlichen Debatte zu berück- Arbeitsmigration, die aus Deutschland schon lange eine sichtigen. Aber das würde man sonst vielleicht in Form transnationale Einwanderungsgesellschaft gemacht hat. einer wissenschaftlichen Beratung realisieren. Neu in Und erst recht mit Blick auf die neuen Dimensionen ei- unserem Fall ist, dass wir als WissenschaftlerInnen von ner sich globalisierenden Migrationslandschaft Europa, Aytac Eryilmaz Aytac Eryilmaz Anfang an in einen transdisziplinären Arbeitsprozess die seit 1989, mit den Umbrüchen in Osteuropa und den eingebunden waren, dass wir also die Fragestellungen weltweit veränderten Kräfteverhältnissen, Gestalt an- torium der Grenze und der Entgrenzung, als ein noch der Installation der Schengengrenze – selbst zur Ein- und Produktionen des Projektes aktiv mitgestalten, auch nimmt. Im allseits kolportierten Bild der „Festung Euro- offenes, weiter zu befragendes Projekt. wanderungsregion geworden sind. Beide Projektteile ha- mit eigenen Forschungen. Und auch für uns ist diese pa“ wiederholt sich die Fantasie des abschließbaren Con- ben eine transnationale Perspektive, den Prozess der Form der transdisziplinären Zusammenarbeit eine neue tainers – diesmal mit Blick auf ein scheinbar weitab vom Frage: Wie sieht konkret der Austausch zwischen wis- Europäisierung wie auch die neuen globalen Verände- Herausforderung, die oft einige Anstrengungen in der Zentrum stattfindendes Geschehen an den europäischen senschaftlichen und künstlerischen Arbeitsmethoden rungen im Blick. In der Konzeptphase wurden diese Prä- gegenseitigen Verständigung erfordert. Aber sie ermög- Außengrenzen. aus? missen als Voraussetzung für ein gemeinsames Projekt licht, die Expertise aus unterschiedlichen Wissensgen- erkannt und die verschiedenen Herangehensweisen res – dem sozial-, kultur- und kunstwissenschaftlichen Frage: Das heißt sogar möglicherweise, sich von der Marion von Osten: Im Projekt arbeiten eine große thematisch weiterentwickelt und auf ihre Parallelen und Bereich ebenso wie der künstlerischen, der dokumen- Idee einer nationalen Grenze als topografische Größe Zahl wissenschaftlicher MitarbeiterInnen mit, deren El- Widersprüche hin geschaut. Es ist der Versuch, einen tarischen und der politischen Praxis – produktiv zu in Kürze zu verabschieden? tern als ArbeitsmigrantInnen nach Deutschland kamen. Dialog zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart machen für das, was wir gemeinsam erreichen wollen: Seit zwei Jahren sind sie mit der historischen Aufarbei- herzustellen, statt chronologisch abzuhandeln, was nämlich das Thema der Migration jenseits eingefahre- Regina Römhild: Die Forschungen des Projektteams zei- tung der Arbeitsmigration in der BRD wie auch der Ver- einmal war und was nun ist. Das ist für Kathrin Rhom- ner Pfade der Diskussion in und für Deutschland neu gen ganz konkret, dass hier, in den ehemaligen Anwer- tragsarbeit der DDR beschäftigt. Parallel dazu arbeitet berg und mich als die verantwortlichen Ausstellungs- aufzuwerfen. Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen beländern der „Gastarbeit“ im Süden und Osten Euro- eine Gruppe von ForscherInnen in Frankfurt, die von macherinnen eine – um nicht zu sagen – die große daher zwei internationale Symposien, die im Rahmen pas, die Konturen einer zukünftigen europäischen Ein- Anfang an mit FilmemacherInnen und KünstlerInnen Herausforderung: diesen Dialog zu vermitteln und dar- des Projekts organisiert werden. Nachdem im letzten wanderungs- und Transitgesellschaft ausgehandelt vernetzt war, über die neuen Grenzziehungen Europas zustellen im Format einer großen thematischen Aus- Jahr in Rethymnon, Griechenland, die Formierung Eu- werden und dass daran die Bewegungen der Migration aus der Perspektive der ehemaligen „Entsendeländer“ stellung, in das wir wiederum die Potenziale der künst- ropas an der „Peripherie“ Thema war, wird im Novem- als eigenständige Kraft besonderen Anteil haben. Aus Türkei, Griechenland und Yugoslawien. Länder, die seit lerischen Bearbeitungen des Themas mit historischen ber diesen Jahres in Köln Deutschland aus der Perspek- dieser Perspektive erweist sich Europa als ein Labora- 1989 – mit Beginn der Transformationen im Osten und und zeitgenössischen Arbeiten einbringen werden.

A search for the better An Interview with the Committee for the Migration Project

In 2002 the Federal Cultural Foundation developed se- tioned initiatives, you will see how little money was avai- one hand, the exhibition and on the other, the publicati- dard publication on the subject of migration in which veral initiatives on subjects that it deemed important lable for their projects. The work done by migrants’ own on, which will incorporate the entire investigative and contributions by international authors and the scho- and relevant for Germany today. Included are projects organizations is mostly voluntary work, and the exhibi- discovery process? What themes and fields will be re- larly results of the Migration Project’s two years of re- concerning German unification, Central and Eastern Eu- tions had very small budgets. In addition, there’s the role flected? search—artistic works, literary texts, interviews, pho- rope, the challenges arising from September 11th, and of official institutions in marginalization. That is why, tographs and documents, song lyrics, and statements— migration. Project members from different German ci- when closely examined, the history of the discourse on Kathrin Rhomberg: The Migration Project has set as its will coalesce. And thus, in the exhibition as in the pu- ties were chosen for the various initiatives, and the Fe- migration in Germany gives the impression that one is goal the support of scholarly exploration of migration blication, a multifaceted view of another Germany, one deral Cultural Foundation selected and nominated all dealing with a “marginal subject” in which a “minority” and, if applicable, the encouragement of new methodo- shaped by migration, will become possible, through the project partners. The Migration Project’s partners is constituted. logical approaches in Germany that have a long-ranging, which ultimately the contributions of migration, its are DOMiT [Documentation Center on Turkish Immig- sustainable outlook. That is why we are trying to follow formative influences via culture, economy, and politics, ration] (represented by Martin Rapp and Aytaç Eryil- Martin Rapp: And it is precisely this “demarginalizati- paths not usually taken, both with regard to the exhi- as well as its forward-looking potential, will become maz), the Institute for Cultural Anthropology and Eu- on” that is a focus of our work. Migration is a universal bition as well as the publication. Together with a team clear. ropean Ethnology at the University of Frankfurt am Main historical phenomenon that has occurred through the of architects, we are developing an exhibition format (represented by Regina Römhild), the Institute for the centuries; immigration and emigration are constantly that brings together artistic works but also socio-his- Question: Your work seems to return again and again to Theory of Art and Design at the Zurich Academy of Art changing Europe’s modern societies. The notions of ho- torical documents like photographs, objects, documents, the scholarly results. Ms Römhild, how does the classical and Design (represented by Marion von Osten) and the mogenous (cultural) nations is a backward-looking idea and scholarly findings. Our aim in doing this is to pro- academic approach come into play here here? Art Association of Cologne, which functions as the prin- from the nineteenth century. The major European cities duce neither an art exhibition in the pure sense nor a cipal member and organizer of the project on site in are populated by people from all four corners of the earth. documentation that exclusively focuses on social and Regina Römhild: In general, a subject like migration can- Cologne (represented by Kathrin Rhomberg and Virgi- More than half of the children attending Cologne schools cultural history. Rather, by bringing together artistic, not be adapted for an exhibition without taking into nia Friedlaender). The aims of the project include en- come from a background of migration. The memory of social-scientific, and documentary approaches, we consideration the issues and results of the international couraging the investigation, reappraisal, and documen- their grandparents’ immigration is passed down as part would like to effect an exhibition atmosphere that is scholarly debate around the topic. Normally one might tation of the history of migration in Germany, initia- of the family history, though it has thus far scarcely found developed following artistic procedures but in which perhaps do that in the form of academic consultation. ting artistic and scholarly projects, stimulating dialogues its way into official historiography—that is, their migra- the different forms of representation used by each of What is different here is that we as scholars have been between creative artists and scholars, promoting a broad tion experience still appears as an exception to the rule, the disciplines are able to retain their specific features integrated from the beginning into a cross-disciplinary and deepening awareness and examination of the sub- and hence it continues to be stigmatized. At the same and qualities. And both our concept and our work is working process, actively participating in the structu- ject of migration in Germany, as well as a presentation time, the migration experience has long had an influ- based not least on the foundations laid by DOMiT’s ring of the questions and output of the project, and of- of the results of the transdisciplinary collaboration in a ence on everyday culture. The Migration Project aims to ongoing efforts. ten incorporating our own research. This form of trans- joint exhibition to take place in Cologne in September make this process of social transformation visible, and in disciplinary cooperation is a new challenge for us as 2005. What follows is a discussion with the various doing so will question the notions of nation, difference, Aytaç Eryilmaz: Our part is to reappraise, very concrete- well. It is a challenge that often demands that a cer- participants on the progression of the project. and cultural identity. ly and following scholarly methods, the history of the tain amount of effort be made toward mutual under- migration of labor from twelve countries with which, be- standing, but which also enables expertise from diffe- Question: In an age of multiculturalism and globalizati- Question: How can one successfully break down these ginning in the 1950s, the Federal Republic of Germany rent genres of knowledge—from the fields of the social on, migration is a topic that we all should be talking and patterns at all—and then represent it visually on top of and the German Democratic Republic made agreements sciences, cultural studies, and the fine arts, as well as thinking about. Nevertheless, one has the impression that that? regarding the recruitment of labor. The scholarly inquiry from the practical experience of art, documentation, a sound and substantial examination of the subject hasn’t is undertaken by an interdisciplinary team consisting of and politics—to be productive in reaching our common taken place yet. And certainly a major part of Germany’s Marion von Osten: The Migration Project deliberately experts in the fields of history, literature, religion, and goal: that is, to reopen the discussion in and for Ger- history—the history of the Gastarbeiter, or guest wor- pursues a different approach: we maintain that migrati- the social sciences, such as cultural anthropology. An many on the subject of migration, going beyond the kers—is part of this, and must be dealt with at the out- on makes an essential and very fundamental contributi- information specialist records and preserves the materi- well-worn path the discussion has usually taken. This set. But there is really more at stake: the significance of on to the constitution of our societies. We place the sub- al following archival procedures. The people working on is why two international symposia organized within the the phenomenon for the social and political reality of ject of migration virtually in the center: on the one hand, this project come from a migration background them- framework of the project are at the center of our work. Germany within a new Europe. Against this background, with regard to the project’s conceptual orientation; on selves and possess the corresponding language abilities. Following last year’s symposium in Rethymnon, Greece, what is the project’s mandate, what degree of effective- the other, with regard to the choices of the sites for the They conduct interviews with contemporary witnesses, which focused on the formation of a new Europe at the ness does it hope to achieve, and how is the theme “mi- concluding exhibition, which are located in the middle asking them about their life histories, do archival re- “periphery”, the discussion at this year’s symposium in gration” to be understood? of downtown Cologne. All parts of the project, including search, and assemble documents and personal keepsa- November in Cologne will look at Germany from the the exhibition itself, deal with the process of negotiati- kes which, as surviving historical sources, could be ap- perspective of the European and global migration mo- Marion von Osten: Of course there have already been on between “majority” and “minority” society since the plied to the scholarly research, or which could be adap- vements. many different initiatives in Germany—predominantly in postwar period. That is, we are trying to make it possible ted as exhibits for the final exhibition. We are collecting the form of research and exhibitions—to explore the his- to describe the place where what we understand today photographs, films, documents, posters, and objects— Question: And thus a shift from the past to the future: tory of the migration of labor in the postwar period as under migration was and is defined. At the same time, materials that reflect the multifaceted and contradicto- What value does the knowledge generated by this pro- well as during the period of industrialization. Migration the project emphasizes a common, shared transnational ry histories of immigration. The exhibition will prioritize cess have for the shaping of, and interacting with, a new research in Germany has only recently, however, expan- and European history that was actually determined by those themes that best make visible the processes of Europe? ded its perspective beyond the national, recognizing that migration and the different ways it takes its form—im- social transformation. migration possesses that very positive potential to link migration, emigration, seasonal work, shuttle migration, Regina Römhild: The team of scholars I lead at the Ins- places and people—beyond, and especially despite, nati- and so on. Kathrin Rhomberg: We also hope to apply this monta- titute for Cultural Anthropology and European Ethnolo- onal borders. Such a starting point is central to our pro- ge approach to the publication: In addition to an exhi- gy at the University of Frankfurt am Main introduces the ject. At the same time, up to now the general public and Question: That sounds like a completely different ap- bition guide, there will be a comprehensive joint publi- perspectives of an advanced and transnationally orien- the media have hardly noticed approaches of this sort. proach. Kathrin Rhomberg, can you explain in concrete cation that brings together art, scholarship, and social ted research on migration—relatively virgin territory in If, for example, you look more closely at the above-men- terms how one ultimately envisions the result—on the history. In other words, it is to become a sort of stan- Continued on page IV Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite IV

Continued from page III been taking shape since 1989 with the upheavals in Eas- proven to be a laboratory of borders and the elimination the transformations in Eastern Europe and the instal- tern Europe and the changing relations of power world- of borders, as a project that is still open and that should lation of the Schengen border—have themselves become A search for the better wide. In the image of a “Fortress Europe,” an image that continue to be queried. immigration destinations. Both parts of the project have is peddled everywhere and by everyone, the fantasy of a transnational point of view, considering both the pro- the German debate. For here in Germany—and this was the closeable container repeats itself—this time with a Question: What, precisely, does the exchange between cess of Europeanization and the new global changes. seen once again in the recent public discussion on im- view to events seemingly taking place far from the cen- scholarly and artistic working methods look like? In the concept phase, these premises were understood migration and integration—the view on migration still ter at the outer borders of Europe. as being the prerequisite for a joint project, and the emanates from the control center of the nation-state Marion von Osten: There are a large number of scho- various approaches were thematically developed, and and its “majority” society: a view that is restricted to the Question: That could even potentially mean the idea of lars working on the project whose parents came to Ger- parallels and contradictions were considered. It is an national, and which ends at the national borders. But a national border as a topographical area will be aban- many as migrant laborers. For two years they have been attempt to produce a dialogue between the past and migration refuses to comply with this view. As a princip- doned before long. preoccupied with the historical reappraisal of the mig- the future instead of treating chronologically what was le of movement over borders, migration reduces the ration of labor into the Federal Republic of Germany as then and what is now. This has been for Kathrin Rhom- image of the closed “container society” to absurdity. Regina Römhild: The project team’s research reveals very well as of contract work in the German Democratic berg and me, as the two people responsible for the cre- Making the effectiveness of this principle clear is a goal concretely that here in the countries that once recruited Republic. In parallel with this, a group of researchers in ation of the exhibition, a major if not the major chal- of this project—with an eye to the history of the migra- Gastarbeiter from southern and eastern Europe the con- Frankfurt that has been working with filmmakers and lenge: to mediate this dialogue and to portray it in the tion of labor, which long ago turned Germany into a so- tours of a future European immigration and transit soci- artists from the outset is looking at the new European form of a large, thematic exhibition—a format into ciety of transnational immigration. And, even more so ety are being negotiated and that the movements of border delineations from the perspective of the former which we will in turn introduce, via historical and con- with a view to the new dimensions of a Europe globali- migration as an independent force are very specifically “sending countries” of Turkey, Greece, and Yugoslavia. temporary works, the possibilities for treating the the- zing itself into a migration landscape, a process that has contributing to this. From this point of view Europe has These are countries that since 1989—the beginning of me artistically. Migration – In Braunschweig gelebte Normalität Von Wolfgang Laczny

Wer sich heute mit dem Thema Migration und dem nationale Begegnungsstätte mit derzeit acht Vereinen dazugehörigen Aufgabenfeld der Integration aus- als Dauernutzern. Damit werden insbesondere in Stadt- einandersetzt angesichts polarisierender öffentlicher teilen mit hoher Migrantenbevölkerung ethnisch kul- Diskussionen wie der „Kopftuchdebatte“ oder der turelle Rückzugsräume und gleichzeitig soviel interkul- Mediendebatte „Ist die multikulturelle Gesellschaft turelle Begegnungen wie möglich geschaffen. gescheitert“ muss seinen Blickwinkel innerhalb die- Integration fängt im Lebensumfeld an, Wohnen und ses komplexen Aufgabenfeldes sehr genau wählen. Nachbarschaft, Kindergarten, Migrantenverein, Schule In diesem Beitrag soll von den kommunalen Bemü- und Jugendtreff. Die Initiativkraft einheimischer Bür- hungen und Erfahrungen mit Migration und Inte- ger kann dabei aktiviert und einbezogen werden. In gration in der Kommune Braunschweig die Rede sein. nahezu allen Stadtteilen, in denen Zuwanderer vermehrt Für Braunschweig stehen beide Themen seit den ers- leben, haben sich in Braunschweig soziale Stadtteilin- ten Nachkriegsjahren für ein kontinuierlich gestal- itiativen und trägerübergreifende Arbeitsgemeinschaf- tetes, kommunalpolitisches Handlungsfeld und sind ten gebildet, die nach Lösungsansätzen zum nachbar- daher in Aufgaben, Erscheinungsformen und Pro- schaftlichen Miteinander im Wohnquartier suchen. blemen gelebte politische, gesellschaftliche und Insbesondere in Niedersachsens größtem Programm- kulturelle Normalität. gebiet der „Sozialen Stadt“ ist die integrative und akti- vierende Stadteilentwicklungsstrategie fest verankert. Entwicklung Projekte und Veranstaltungen der Migranten erfah- ren vielfältige finanzielle, organisatorische und sach- Die Entwicklung der Zuwanderung in Braunschweig liche Unterstützung durch die unterschiedlichen Fach- ist ähnlich strukturiert wie in anderen größeren Städ- bereiche der Stadt je nach inhaltlichem Charakter der ten Deutschlands. In den Jahren nach dem Zweiten Projekte. Weltkrieg war die Zuwanderung geprägt durch Ver- Durch diese facettenreiche Unterstützung der Selbst- triebene und Flüchtlinge aus Osteuropa. Ab den sech- organisationen der Migranten durch die Stadt ist ein ziger Jahren kam ein steigender Anteil an Zuwande- reges soziales und kulturelles Vereinsleben mit vielen rern insbesondere aus den süd- und südosteuropäi- Orten der Begegnung und verschiedenen interkultu- schen Ländern hinzu, die als Arbeitskräfte angewor- rellen Initiativen entstanden. Ihre vielfältigen Aktivi- ben wurden. In den achtziger Jahren erhöhte sich der täten und Veranstaltungen bilden eine wichtige Anteil der Zuwanderer aus anderen Teilen der Welt. Grundlage für die wechselseitige Verständigung. Mit der Eröffnung der Zentralen Anlaufstelle für Asyl- Gleichzeitig sind die rund 70 internationalen Vereine, bewerber (ZASt) 1983 kam Braunschweig im Asylver- Gesellschaften und interkulturellen Initiativen Poten- fahren niedersachsenweit eine besondere Bedeutung tial und Bindeglieder zur Verwirklichung der gesell- zu. Mittlerweile leben und arbeiten hier dauerhaft schaftlichen, kulturellen und politischen Partizipati- Menschen aus über 140 Nationen. on von Zuwanderern in Braunschweig.

Integrationsfähigkeit der Stadt 2. Vernetzung: Die Arbeit der Stadt zielt im Rahmen von Integrati- Braunschweig sah und sieht die Integrationsfähigkeit onsmaßnahmen, Projekten und Veranstaltungen auf der Stadt als Chance und Aufgabe für die Zukunft und eine Vernetzung mit internationalen Vereinen, Insti- hat dabei schon frühzeitig einen beteiligungsorien- tutionen und Verbänden ab. Politisches und Verwal- tierten Weg eingeschlagen, der die Grundlage des tungshandeln werden somit transparent, bürgernah wachsenden Erfolges der Integration in Braunschweig und nachhaltig. Als zentrale Kontaktstelle dient seit bildet. Die Stadt Braunschweig nimmt in Niedersach- vielen Jahren das „Büro für Migrationsfragen“, in des- sen mittlerweile in weiten Teilen der Integrationspo- sen Zuständigkeit Grundsatzfragen der Gestaltung der litik eine führende Rolle ein. Kennzeichnend für die Integrations- und Migrationsarbeit fallen. langfristig verfolgten Ansätze der Integrationspolitik sind im Wesentlichen vier Säulen. 3. Partizipation : Damit sich Zuwanderer für ihre Belange in dieser Ge- 1. Selbstorganisationen: sellschaft einsetzen können, förderte die Stadt bereits Die Stadt Braunschweig fördert seit 20 Jahren ein Be- im Verlauf der 70er Jahre ihre kommunalpolitische gegnungsstättenkonzept, indem sie Mietkosten bezu- Beteiligung. Dem 1988 in Braunschweig erstmals ge- Braunschweig Parcours 2004, Bildende Kunst im öffentli- Braunschweig Parcour 2004, Fine Arts in the public realm. In schusst, Migrantenvereinen Räumlichkeiten in städti- bildeten Ratsausschuss für Ausländerangelegenheiten chen Raum. Der mexikanische Künstler Pedro Reyes hat sich his work „ZIKZAK“ artist Pedro Reyes has focused on the schen Liegenschaften kostenlos zur Verfügung stellt und gingen bereits ein „Arbeitskreis für die Probleme aus- mit seiner Arbeit ZIKZAK der lokaltypischen Bauweise des typical construction-methods of half-timbered houses. He ermöglicht, dass kommunale Gemeinschaftseinrichtun- ländischer Arbeitnehmer“ (1971) und ein „Unteraus- Fachwerks gewidmet und unter Einsatz zeitgenössischer Kon- has created an architecture that combines traditional and gen als Treffpunkte dienen können. Seit wenigen Jah- schuss des Sozialausschusses für die Belange auslän- struktionsmethoden eine Tradition und Moderne vereinigen- contemporary architecture, using modern methods of des Architektur entworfen. Foto: Stadt Braunschweig construction. Photo: City of Braunschweig ren arbeitet mit städtischer Unterstützung eine Inter- Weiter auf Seite V

Migration – Lived normality in Braunschweig By Wolfgang Laczny

Given the present polarising public discussion, whe- Background Facilitating integration ned properties free of charge, enabling municipal com- ther on Muslim women’s rights to wear headscarves The way migration developed in Braunschweig followed Braunschweig saw, and sees, its ability to facilitate in- munity facilities to serve as a meeting point. A few in non-denominational space, or the media debate a similar pattern to the other major cities in Germany. In tegration both as an opportunity for the city now and years ago, a state-funded International Encounter on whether the multi-cultural society has failed, any- the years immediately after the Second World War, mig- a task for the future. For this reason, it was quick to Centre was set up, which is, at present, used perma- one tacking the topic of migration today, with its cor- ration consisted mainly of refugees and displaced per- initiate moves directed at participation, providing a nently by eight associations. In this way, city areas responding task of integration, needs to choose their sons from eastern Europe. From the 1960s on, growing foundation for the city’s growing success in this area. with a high migrant population, in particular, are gi- perspective inside this complex area of action very number of migrants came to Braunschweig, primarily In the meantime, in Lower Saxony, Braunschweig has ven an ethnic and cultural space for retreat, while si- carefully. This contribution intends to discuss the lo- from southern and south-eastern European countries, a leading role in many of the concerns in integration multaneously creating a framework for as many in- cal-level efforts in tackling issues around migration drawn by the promise of work. The 1980s then saw an policy. The integration policy approaches pursued over tercultural encounters as possible. and integration undertaken by the city of Braun- increase in the proportion of migrants coming from other the long-term can be characterised under the follo- Integration begins in the normal environment where schweig and the experience gathered. For Braun- parts of the world. In 1983, after the main reception wing four main pillars. people live, their neighbourhoods, kindergartens, mig- schweig, since the first years after the Second World centre for asylum-seekers (ZASt) was opened, Braun- rant associations, schools and youth clubs – and here, War, both of these concerns represent a continually schweig played a key role in the asylum process in Lower 1. Self-organisation the local citizens’ power of initiative can be activated shaped field of action in municipal policy and, for this Saxony. Now, people from more than 140 nations are For twenty years, Braunschweig has been promoting and integrated. In nearly all city districts that are home reason, are, as tasks, phenomena, and problems, lived permanently settled in Braunschweig, living and wor- a scheme to subside the rent of meeting places for to larger migrant communities, grass-roots social initi- political, social and cultural normality. king here. migrant associations and provide rooms in state-ow- Continued on page V Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite V

Fortsetzung von Seite IV zur Arbeitsmarktintegration der gemeinsamen ARGE schaften und viele institutionelle Partnerkontakte Braunschweig auf unterschiedlichen Ebenen und für discher Arbeitnehmer/innen“ (1973) voraus. Auslän- der Stadt Braunschweig und der Bundesagentur für entstanden. Neben den bestehenden Städtepartner- breit angelegte Zielgruppen initiiert und umgesetzt dische Bürgermitglieder, gewählt durch die ausländi- Arbeit geprüft. schaften wird nunmehr eine Städtepartnerstadt mit hat, dass kulturelle Ansätze in den verschiedenen sche Bevölkerung oder vorgeschlagen durch die Ver- Auch der Fachbereich Kinder, Jugend, Familie hält Lettland angestrebt. Eine kulturelle Öffnung nach Os- künstlerischen Vermittlungsformen ein hervorragen- eine und über die im Rat vertretenen Fraktionen be- diverse Integrations- und Präventionsprojekte vor. Zu teuropa, die die EU-Osterweiterung nahe legt. Jen- des Medium zur Integration darstellen. Jenseits von nannt, haben durch ein Mandat als Bürgermitglied die nennen sind z. B. das Projekt „PRINT – Prävention seits offizieller Gesten findet der osteuropäische Di- Alter, nationaler oder ethnischer Herkunft, auch jen- Möglichkeit, in den politischen Gremien des Rates der und Integration“ an zwei Braunschweiger Haupt- alog bereits in vielfältiger Form vor Ort statt und seits von Sprachbarrieren ermöglichen gemeinsame, Stadt gestaltend an der Migrationspolitik mitzuwir- schulen oder das Projekt „Lebensweltbezogene Mäd- bindet sich ein in die zusammenwachsende multi- aktiv von Deutschen und Migranten getragene Kunst- ken. Braunschweig hat die Gremiumsform eines Aus- chenarbeit mit Aussiedlerinnen, Migrantinnen und ethnische Gesellschaft in Braunschweig. Gerade der projekte oder gemeinsam erarbeitete Theaterstücke schusses als effektivste und bislang weitestgehende benachteiligten Mädchen“. Eine Besonderheit ist das lebendige interkommunale Austausch hat die Idee nachhaltiger eine Kommunikation und Verständnis- Möglichkeit zur Interessenvertretung und für die Be- Kinder- und Jugendzentrum „Selam“, das in Koope- zu einem Kongress „Europa 2010 – Partnerschaft und annäherung, die weit über die Wirkung von passiv atung integrationsrelevanter Themen bewertet. Die- ration mit der Einrichtung „Nachbarschaftsladen“ Wettbewerb in Kultur, Politik und Wirtschaft“ Ge- erlebbaren Angeboten hinausgehen. sem Beispiel sind in der laufenden Wahlperiode wei- eine konzeptionell / modellhaft integrative Stätte für stalt annehmen lassen, der im Mai 2005 als gemein- Somit verdeutlicht die Bewerbung Braunschweigs zur tere Kommunen in Niedersachsen gefolgt. türkische Kinder, Jugendliche und deren Familien ist. sames Projekt Braunschweigs mit Partnern in der Kulturhauptstadt Europas 2010 auch mit dem Braunschweig ist zudem Gründungsmitglied der 1984 Darüber hinaus nehmen Braunschweiger Schulen teil Region stattfinden wird. Ziel ist es, Visionen für Schwerpunkt „Braunschweig – die interkulturelle auf Landesebene initiierten „Arbeitsgemeinschaft am „Braunschweiger Modell“, dem vermutlich größ- Handlungsstrategien kommunaler und regionaler Stadt“ einmal mehr, dass sie das Zusammenleben der Kommunale Ausländervertretung Niedersachsen“ (AG ten Gewaltpräventionstraining in Deutschland, das Partnerschaftskontakte insbesondere für den osteu- Kulturen und die darin angelegten Chancen und Po- KAN), seit 2001 „Niedersächsischer Integrationsrat“. bei einem Bildungsträger angesiedelt und im Braun- ropäischen Raum zu formulieren. Auch damit wird tentiale als kulturelle Herausforderung begreift. schweiger Bündnis „Peace to the City“ integriert ist. ein weiterer Baustein für Migrations- und Integrati- 4. Modellprojekte: onspolitik geformt. Fazit Die Stadt initiiert immer wieder innovative Projekte Bewerbung zur Es versteht sich von selbst, dass vielfältige Projekte zur Optimierung ihrer Integrationspolitik. Mit dem Kulturhauptstadt Europas 2010 in allen künstlerischen Bereichen das inter- und mul- Braunschweig hat in den Bereichen Migration und Modellprojekt „Integrationsprogramm für Spätaus- tikulturelle Potential der Stadt aufgreifen. Hierbei kann Integration in den letzten Jahrzehnten eine Reihe siedler“ beschritt die Stadt Braunschweig Anfang Die Stadt Braunschweig versteht die Bewerbung zur auf einem integralen Ansatz des (inter)kulturellen Dis- von Maßnahmen auf der Ebene der Gesamtstadt ent- 2000 neue Wege in der Aussiedlerintegration. Die- Kulturhauptstadt Braunschweig als Möglichkeit, sich kurses gefußt werden, der in vielen Jahren gerade im wickelt und gute Erfolge verzeichnen können. Gera- ses erstmalig erprobte Eingliederungsmodell der ge- als international agierende Kommune auch im inter- Kontext zeitgenössischer Kunst durch Wettbewerbe de die breite Palette von Kulturangeboten, von stadt- steuerten Integration wurde in Zusammenarbeit mit nationalen Kontext präsentieren zu können. Interna- gepflegt wird. Insbesondere im Bereich der Kunst im teilbezogenen Aktionen bis hin zu international aus- der Flüchtlingshilfe e. V. im Jahr 2003 auf Grund tional ist nicht nur, wie oben skizziert, die Bevölke- öffentlichen Raum werden international arbeitende gewiesenen Kunstprojekten, hat sich dabei als nach- seiner effizienten Ergebnisse auf die Zuwanderer- rungsstruktur. Auch die partnerschaftlichen Kontakte Künstlerinnen und Künstler zur Auseinandersetzung haltig wirksamer Integrationsmotor erwiesen. Als we- gruppe der Flüchtlinge übertragen. Zurzeit werden weltweit sprechen eine entsprechende Sprache. mit der Stadt Braunschweig, ihrem Erscheinungsbild sentliches Kriterium für die erfolgreiche Arbeit an die Übertragbarkeit des Verfahrens und die Imple- Aus der Geschichte der Migration sind acht verschie- und ihren Menschen aufgefordert. Überhaupt hat sich diesen Projekten hat sich stets die aktive Einbezie- mentierung der Modellbausteine in die Planungen dene Städtepartnerschaften, mehr als 60 Schulpaten- anhand zahlreicher Kulturprojekte, die die Stadt hung und Partizipation der Migranten in den Pro- jekten herauskristallisiert. Aber die Stadt hat auch nachvollzogen, dass gerade eine aktive und integrative Stadtteilpolitik, die die Continued from page IV Problemlagen der Bewohner – Deutsche wie Migran- Migration – Lived normality in then implemented in employment integration in the joint Conclusion ten im Sinne einer effektiven Integration zum Ziel Braunschweig ARGE employment partnership between Braunschweig and Over the last decades, Braunschweig has evolved a hat, dass eine bessere Verzahnung der einzelnen the Federal Employment Service (BA). series of successful municipal-level measures in mig- Maßnahmen zu einer gemeinsamen Strategie bei ei- atives and overarching working groups from suppor- The Children, Young People and Families department is ration and integration issues. In particular, the broad ner Großstadt wie Braunschweig eher auf Stadtteil- ting bodies have been founded, searching for solutions also involved in diverse projects on integration and pre- range of cultural provision, from actions designed for ebene erreicht werden kann als auf der Ebene des to encourage neighbourly relations in residential areas. vention. In this context, two projects are especially worth specific city districts to international established art gesamten Stadtgebietes. Hier gilt es, den beschrit- mentioning: firstly, “PRINT – Prevention and Integration” projects, has proved to be a sustainable and effective In particular, an integrative and pro-active development tenen Weg fortzusetzen. running in two secondary modern schools in Braunschweig motor driving integration forward. The migrants’ own strategy for urban districts is firmly anchored in the Bei allen Fortschritten und Erfolgen in der Migrati- “Social State”, Lower Saxony’s largest policy area. and, secondly, the “Lebensweltbezogene Mädchenarbeit active involvement and participation has always been ons- und Integrationspolitik der Stadt in den ver- Migrant projects and events receive diverse financial, mit Aussiedlerinnen, Migrantinnen und benachteiligten fundamental to these projects - an approach that has organisational and material support from the various Mädchen” project. The “Selam” youth centre is also espe- shown itself to be a main factor in their success. gangenen Jahrzehnten: noch immer sind diese Inte- local authority departments, depending on the precise cially interesting, established in cooperation with the But the city has also grasped that, especially in pur- grationsaufgaben nicht im Rahmen eines gesamt- nature of each project. “Nachbarschaftsladen” facility, providing a model concept suing an active and integrative policy at the city-dis- städtischen Leitbildes verbindlich verankert und als These widely varied forms of local authority support for integrative meeting spaces for Turkish children, young trict level, in dealing with the problems encountered entscheidender Gestaltungsansatz für die Stadt de- people and their families. by the residents– both German and foreign nationals for migrant self-organisations have created a lively finiert bzw. in den verschiedenen Fachbereichen ge- In further moves, city schools are taking part in the “Braun- – we have to aim at, in the sense of a more effective mixture of social and cultural associations, generating, zielt gesteuert. in many areas, spaces for cultural encounter and a range schweig Model”, probably the largest anti-violence sche- integration, improved interlinking of individual In der Gestaltung dieser „Integrativen Stadtteilent- of intercultural initiatives. Their diverse activities and me in Germany, set up by a training body and integrated measures into a joint strategy which, in a major city events provide a key foundation in mutual and reci- into the Braunschweig “Peace to the City” grouping. like Braunschweig, is sooner to be achieved on the wicklungspolitik“ liegen die Aufgaben für die kom- procal understanding. At the same time, the around 70 urban district level than on the meta-urban level – munale Politik im Hinblick auf die Integrationspoli- international associations, societies und intercultural European Capital of Culture 2010 Application and here, the aim must be to continue down the road tik in den kommenden Jahren. Das Potential, diese initiatives provide the potential to, and form a crucial Braunschweig understands its bid to become the Euro- we have already started down. Aufgaben zu lösen, hat die Stadt Braunschweig. Die pean Cultural Capital as an additional chance to pre- Yet, despite all the advances and successes in the city’s link in, realising the social, cultural and political par- Kulturhauptstadtbewerbung kann hier zu einem Mei- ticipation of foreign nationals in Braunschweig. sent itself as an internationally active municipal body migration and integration policy over the last decades, in an international context. But the city is not only in- the integration tasks have not been bindingly ancho- lenstein in der Realisierung werden. 2. Networking ternational where the structure of is population is con- red as a part of the meta-urban leitbild, defined as an Within the framework of the city’s projects and events cerned, as indicated above, but also in terms of partner essential part of overarching policymaking, steering the Der Verfasser ist Kulturdezernent and other measures for integration, efforts are directed contacts worldwide. various departments towards a common aim. der Stadt Braunschweig towards creating a network with international organi- Braunschweig’s history of migration has culminated In the context of integration policy, it is here, in shaping sations, institutions and associations – making actions in eight twinned towns, more than 60 twinned schools, this integrative urban district development policy, that taken in the policy and administrative sectors transpa- and numerous instances of cooperation at institutio- the tasks for local authority politics lie in the coming rent, close-to-the-citizen and sustainable. For many ye- nal level. Apart from the existing twinned towns, ef- years. Braunschweig has the potential to fulfil these tasks forts are also being made to initiate a further twin- – and its bid as European Capital of Culture can become ars, the “Büro für Migrationsfragen” (Migration Issues STATISTISCHE INFORMATIONEN: Office”) has served as a central contact point, respon- ned town scheme with a city in Latvia – a cultural a milestone on the road to its realisation. sible for the fundamental questions on how to direct opening up to eastern Europe in the spirit of eastern EU expansion. But the eastern European dialogue is The author is Head of the Culture Department in and shape work in the migration and integration areas. Bei einer Gesamtbevölkerung von derzeit rund not only present on the official level, it is already ta- the Braunschweig City Authority 239.500 Einwohnern leben in Braunschweig 18.500 king place in a variety of ways on the local level, as 3. Participation ausländische Einwohner/innen. Unter ihnen befin- part of the integrating multi-ethnic society in Braun- STATISTICAL DETAILS To ensure the immigrants can voice their concerns in den sich rund 5.000 Bürger/innen aus den Mitglied- schweig. This lively inter-communal exchange, in par- Braunschweig’s total population is presently around our society, Braunschweig has been calling from the staaten der Europäischen Union. Ferner leben au- ticular, has proven a main impetus in shaping the idea 239,500, of which 18,500 residents are foreign nati- 1970s for local-level political participation. The first ßerhalb der ZASt in Braunschweig noch rund 1.000 for the “Europe 2010 – Partnership and Competition onals, with around 5,000 of them citizens of Euro- Braunschweig Local Council Committee on the Affairs Flüchtlinge aus unterschiedlichen Ländern, die in Culture, Politics and Business”, set to take place in pean Union Member States. In addition, around 1000 of Foreign Nationals was formed in 1988, building on Mehrzahl von ihnen mit Bleiberecht. Die größte May 2005 as a joint project run by Braunschweig with refugees from a variety of countries are still living in the previous 1971 “Working Group on the Problems of Gruppe unter ihnen sind die Kurden aus dem Irak, regional partners. The project intends to evolve visi- the city, outside the ZASt, most of them with the right Foreign Workers” and the 1973 “Sub-Committee of the die durch den Nachzug ihrer Familienangehörigen ons for strategies capable of encouraging communal of abode. The largest group here is formed by Kurds Social Policy Committee on the Concerns of Foreign auf eine größere Anzahl angewachsen ist. Aus dem and regional contacts on the partnership level, espe- from Iraq, whose numbers have grown as family mem- Workers”. Foreign national members, elected by the fo- ehemaligen Jugoslawien leben 250 Flüchtlinge in cially for the eastern European area. These moves too bers have come to join them. Braunschweig is still reign national population or proposed by associations Braunschweig, deren Rückführung bisher nicht mög- will help shape a further building block in migration home to 250 refugees from the former Yugoslavia, as and nominated by the groups represented in the local lich war. Unter den Zuwanderern stellen die türki- and integration policy. a return to their country of origin has not yet proved council, have, via their mandate as a civic member, the schen Staatsangehörigen mit 32,4% die größte It goes without saying that the diverse projects in all arts possible. The largest immigrant group is made up of chance to help shape migration policy in the municipal Gruppe (rund 6.000), gefolgt von Polen mit 7,7% areas concern themselves with the city’s inter- and mul- Turkish nationals, at 32.4% of the total (around 6,000), council’s policy body. Braunschweig chose to employ a (rund 1.400) und Italienern mit 6,6% (rund 1.200). ticultural potential – and they have been able to build on followed by Polish citizens, 7.7% (around 1,400), and policy body form of a committee as the most effective Mit insgesamt ca. 7,7% liegt die ausländische Wohn- the foundation of the (inter)cultural discourse’s integral Italian nationals, 6,6% (around 1,200). Around 7.7% and as offering, until now, the broadest possibility in bevölkerung in Braunschweig leicht über dem nie- approach fostered over many years, especially as contem- of the total population in Braunschweig is made up representing interests and advising on topics relevant dersächsischen Durchschnitt. Dieser Anteil wird sich porary art competitions. Here, focussing on art in public of foreign nationals, slightly over the average in Lo- to integration issues. During the present term, other in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter er- space, international artists are invited to reflect on the wer Saxony. Given the growth development in the local authorities in Lower Saxony have since followed höhen, was sich aus der Entwicklung seit 1990 mit city of Braunschweig, its appearance, and its people. The foreign nationals’ population since 1990 and the more this example. einer steigenden ausländischen Bevölkerung bei cultural approaches in the diverse artistic mediative forms pronounced parallel decline in the German populati- In addition, Braunschweig was a founding member of the gleichzeitigem viel stärkeren Rückgang der deut- have shown themselves to be an outstanding medium for on, this figure may well continue to rise in future. In “Working Party of Local Authority Aliens Representative schen Bevölkerung ableiten lässt. In statistischer integration, similarly evident in the numerous cultural pro- statistical terms, this development is “ameliorated” Offices in Lower Saxony“ (AG KAN), initiated in 1984 on Hinsicht „abgemildert“ wurde diese Entwicklung jects initiated and implemented by the city of Braun- by steadily increasing numbers adopting German na- the Land level, which, since 2001, has continued its work durch die steigenden Einbürgerungszahlen, schweig on a variety of diverse levels and addressing a tionality, particularly in the wake of the new citizen- as the “Lower Saxony Integration Committee” (NIR). insbesondere nach Inkrafttreten des neuen Staats- broad public. Beyond age, national or ethnic origins, bey- ship law coming into force. bürgerschaftsrechts. ond language barriers, shared art projects or jointly evol- Ethnic Germans exercising their right of abode in Ger- 4. Model projects Eine statistisch schwer zu erfassende demographi- ved plays, actively developed by German and foreign nati- many, either prior to or after the fall of the Berlin Wall, The city has constantly initiated innovative projects to sche Gruppe stellen Aussiedler bzw. Spätaussiedler onals, sustainably facilitate communication and approa- form one demographic group difficult to measure sta- optimise its integration policy. Its “Integration program- dar. Seit vielen Jahren bilden sie aber die größte Zu- ches in a reciprocal understanding far beyond any of the tistically. For many years, they constituted the largest me for migrant ethnic Germans” pilot project in 2000 wanderergruppe in Braunschweig. Bis Ende der 80er effects possible in passively experienced events. group of migrants in Braunschweig. Until the end of opened up new perspectives in integration for this part Jahre kamen sie vornehmlich aus Polen. Seitdem In this way, Braunschweig’s bid to become the Euro- the 1980s, ethnic Germans immigrants mainly came of the community. This model of controlled integration, stellen die sog. „Russland-Deutschen“ aus den Nach- pean Capital of Culture 2010, with its main focus on from Poland; since then, they have primarily come from tried for the first time here, proved so effective it was folgestaaten der Sowjetunion mit ca. 95% aller “Braunschweig – an intercultural city”, underlines once Soviet Union successor states, with all ethnic Germans transferred in 2003, working with the Flüchtlingshilfe e. Spätaussiedler den größten Anteil der Neuzuwan- again how the city perceives cultures living together making up around 95%, the largest proportion, of the V., to migrant refugees. At present, steps have been ta- derer (rd. 24.000 Personen seit 1952 im Rahmen des and sees the chances and potential this embodies as a new immigrants to the city (under the allocation pro- ken to examine how far this process can be transferred Zuweisungsverfahrens). to the job market, with the building blocks of this model cultural challenge. cedure, around 24,000 people since 1952). Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite VI Kommen und Gehen – Bremens Einwanderer Von Lutz Liffers Welterfahrung hinterm Deich

Wenn Willy Schwarz am 22. April auf der Bühne des eleganten Bremer Konzerthauses Glocke erstmals das Bremer Stadtimmigranten Orchester präsen- tiert, hat er nicht nur musikalisch ein herausragen- des Projekt der Bremer Bewerbung zur Kulturhaupt- stadt Europas erfolgreich auf den Weg gebracht. Der Wahlbremer mit dem U.S.-Pass hat sich dann auch viele Monate mit den politischen und sozialen Unwägbarkeiten eines von Migranten getragenen Orchesters herumgeschlagen: Da mussten schon mal Briefe an Behörden geschrieben werden, um die Aufenthaltsdauer für einen Musiker zu verlängern, Proben umkoordiniert werden, weil ein anderer Musiker sich um ein erkranktes Familienmitglied im östlichen Afrika kümmern musste oder auch mal ein wenig in Englisch oder Spanisch geprobt wer- den, weil das Deutsche als lingua franca dann doch nicht immer ausreichte.

Das Bremer Stadtimmigrantenorchester demonstriert besonders nachdrücklich, wie allgegenwärtig das The- ma Migration in der Bewerbung Bremens zur Kultur- hauptstadt Europas ist. Eine Auswahl der besten Mu- siker der Migranten der Stadt probte ein halbes Jahr für den ersten öffentlichen Auftritt. Neben den ganz praktischen Problemen, die sich einem Ensemble aus Migranten stellen, war es der ambitionierte musikali- Fatih Moschee: Symbolische Bedeutung hat der Bau der repräsentativen Fatih-Moschee Faith-Mosque with its representative dome and minaret in the working-class quarter sche Anspruch, der das Projekt zu etwas Besonderem mit Kuppel und Minarett im ehemaligen Arbeiterquartier Gröpelingen. of Gröpelingen. machte: Keinesfalls wollten die Musiker sich als Folk- loreensemble verstehen oder in einer modischen Mix- dieses Themas annahm, die grausamen Details des turinitiativen, christlichen Kirchen und der Landesre- Geschichte Bremens als Auswandererstadt an und tur „Weltmusik“ präsentieren. Ihre musikalische Ar- Zwangsarbeitersystems ausleuchteten. gierung mit den Moscheen in der Stadt eine konstruk- versteht sich als entsprechendes Dokumentationszen- beit verstanden sie vielmehr als einen Forschungspro- Heute leben im Land Bremen1 ca. 135.000 Migranten, tive Rolle. Die aus diesem Arbeitszusammenhang ent- trum. Aber es will auch ein europäisches Zentrum für zess, der das Gemeinsame und Trennende ihrer kultu- davon sind 25% Aussiedler, 12% eingebürgerte Aus- standene regelmäßige Islamwoche ist einzigartig in das Thema Migration im 21. Jahrhundert sein. Die kul- rellen Wurzeln erkundet und der zu einer Musik führt, länder und 63% Ausländer. Bei einer Gesamtbevölke- Deutschland, auch die Kontakte zwischen jüdischer turellen, sozialen und politischen Gründe globaler Mi- die die hybriden Identitäten in einer heterogenen rung von ca. 660.000 ist damit jeder vierte Bremer Gemeinde und muslimischen Gemeinden ist hervor- grationsbewegungen werden ebenso gezeigt, wie ak- Stadtgesellschaft nicht homogenisiert, sondern Am- ein Migrant. Zählt man die in Bremen geborenen Kin- zuheben. Insgesamt kann von einem zivilgesellschaft- tuelle Daten über Einwandererbestimmungen gesam- bivalenz und Vielschichtigkeit zum Prinzip der Kom- der und Enkel von Migranten hinzu, wird deutlich, wie lichen Diskurs gesprochen werden, der die Konflikte melt. So wird das „Deutsche Auswanderer Haus“ euro- position macht. grundlegend die Migration das gesamte gesellschaft- konstruktiv thematisiert und gleichzeitig den Musli- paweite Anlaufstelle für Forscher, Fachleute und Aus- Das Stadtimmigranten Orchester ist ein Projekt des liche Leben Bremens prägt. men in der Stadt Respekt entgegenbringt. reisewillige. Gleichzeitig unterstützt das Haus mit sei- Bremer Weltspiels, einem wichtigen Element der Be- Entsprechend vital und vielseitig zeigt sich das kultu- nem umfangreichen historischen Archiv angloameri- werbung der Hansestadt. Mit dem Bremer Weltspiel - relle und soziale Leben der Einwandererstadt Bremen. Bremen ist, will und tut kanische Nachfahren der Europamüden des 19. Jh. bei eine aus privaten Stiftergeldern finanzierte Experimen- Nicht nur die über 120 in Bremen vertretenen Natio- der Recherche ihrer individuellen Familiengeschichte. tierbühne Kultur - sind die Bürger der Stadt aufgefor- nalitäten selbst haben sich in unzähligen Vereinen und Bremens Bewerbung ging von einer gründlichen Ana- In der Bewerbung Bremens zur Kulturhauptstadt Eu- dert, innovative Projekte aus der Welt in Bremen aus- Institutionen organisiert, auch in der Bremer Kultur lyse der Geschichte und Gegenwart der Stadt aus. So ropas 2010 ist der Kultur auch ein utopischer Gehalt zuprobieren. In der Ausschreibung für diesen Wettbe- spielt Migration eine zentrale Rolle, wenn auch „Mul- lag es auf der Hand, dass die Frage der Migration we- eingeschrieben, nicht im Sinne einer Homogenisierung werb um neue künstlerische Ansätze und kulturpoliti- tikulturalität“ nicht mehr wie noch vor einem Jahr- sentlich für die Bewerbung war. Weder ließe sich der gesellschaftlicher Disparitäten oder dem Angebot von sche Kontexte waren ausdrücklich auch die Migranten zehnt im modischen Trend liegt. Stattdessen ist die kulturelle Beitrag der Migranten zu zahllosen Kultur- Heimaten für die unterschiedlichen Gruppen der Stadt- der Stadt angesprochen, ihr kulturelles Potential ein- Frage der Interkulturalität mehr und mehr zu einer projekten herausdividieren, noch wäre der Prozess der gesellschaft – eher im Sinne eines ästhetischen La- zubringen. Unterstützt vom Funkhaus Europa hat das Herausforderung geworden, die in Schulen, in sozial Bewerbung denkbar, ohne die ständige kritische Re- bors, in dem den wesentlichen Fragen moderner städ- Bremer Weltspiel nach vier Monaten Laufzeit in der benachteiliegenden Quartieren und im Innenstadt/ flexion der vielschichtigen, von Migration geprägten tischer Gesellschaften nachgegangen wird. Stadt ein eindrucksvolles Echo hervorgerufen und zahl- Peripherie-Verhältnis existentiell ist. Identitäten in Bremen. Mit der Bewerbung ist aber reiche Projektvorschläge eingebracht, die sich oft über- Unter den Arbeitsmigranten stellt die Gruppe türki- auch ein kulturpolitischer Prozess in Gang gesetzt Der Verfasser ist im Projektbüro Bremen2010 tätig raschend undogmatisch dem Thema Migration nähern. schen Einwanderer mit ca. 60% den größten Anteil. worden, der eingeübte Rituale der kulturellen Bewäl- Entsprechend elementar sind die gesellschaftlichen tigung in Frage stellt und neue Wege einfordert. Dies Informationen: Reiche Erfahrungen – Neue Fragen Auseinandersetzungen mit und um diese Gruppe, hier gilt insbesondere auch für das Selbstverständnis Bre- www.bremerweltspiel.de liegt der Fokus in den letzten Jahren auf soziale Kon- mens als Einwandererstadt. www.bremen2010.de In einer Stadt wie Bremen kann das Bewerberteam flikte um die in Bremen geborenen Enkel der Einwan- Ein Beispiel für eine aktuelle Ausleuchtung histori- www.dah-bremerhaven.de um den Intendanten Martin Heller dabei auf reich- derer. Seit dem „11. September“ wird darüber hinaus scher Wurzeln ist das Deutsche Auswanderer Haus in haltige Erfahrungen zurückgreifen, ist Bremen doch die Rolle des Islam kontrovers diskutiert. Dabei spie- Bremerhaven, dass im Rahmen der Bewerbung im 1 Das Bundesland Bremen besteht aus den Städten Bre- nicht erst seit Beginn der Arbeiteranwerbung in Sü- len die traditionell intensiven Kontakte zwischen Kul- Sommer 2005 eröffnet wird. Das Haus knüpft an die men und Bremerhaven deuropa eine wesentlich von Migration geprägte Stadt. Schon in den Jahrhunderten vor den „goldenen Jah- ren“ (Hobsbawm) wäre die Entwicklung Bremens wie beispielsweise ab 1870 beim Bau der neuen stadtbre- A Constant Coming and Going – Bremen and its Immigrants mischen Häfen und dem Aufbau einer heimischen In- By Lutz Liffers dustrie nicht ohne die Anwerbung von Arbeitsmig- ranten denkbar gewesen. Damals waren es polnische- Worldly Wise in the Shadow of the Dike men World Games] - an important element of the Han- Bremerhaven became the most important ports of the katholische Arbeiter, die die neu entstehenden Arbei- Once Willy Schwarz on April 22 has presented the „Bre- seatic city’s bid. Bremer Weltspiel – an experimental stage continent for emigration to North and South America. terquartiere im protestantischen Bremen prägten. mer Stadtimmigranten Orchestra“ at the distinguished that is financed by private trustees – calls on the citi- Exemplary visa conditions and state of the art logistics Bremen concert hall Glocke for the first time he will not zens of Bremen to try innovative projects from all over for emigrants earned Bremen and its other port Bremer- Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Flüchtlinge aus only have exceeded in the production of an exclusive the world. The submission procedure for new artistic haven the formidable reputation of being a “New York den östlichen Teilen des niedergerungenen Deutschen piece of musical art. He then will have successfully laun- approaches and socio-cultural contexts included the City suburb”. Reiches, die in Bremen neu anfingen. Und nach 1960 ched Bremen’s application to become European Capital explicit call on the city’s migrants to contribute their The Nazi-Regime brought other tens of thousands, this waren es katholische Portugiesen, orthodoxe Griechen of Europe. And this after months in which the US Ameri- cultural potential. In collaboration with and by support time involuntary, migrants to the city. These men and und muslimische Türken, die Bremens ökonomische can Schwarz who has adopted Bremen as his home has from the Funkhaus Europa [WDR and RadioBremen] the women were forced to toil under dismal conditions in Entwicklung ermöglichten. struggled with all the social and political uncertainties Bremer Weltspiel, after only four months of campaig- the local industry and the removal of air-raid debris. These Nicht nur die Arbeitsmigranten haben die Geschichte that an orchestra consisting of migrants brings along: ning in the city, has generated an impressive response: “migrants” have also left a deep mark on the identity of Petitions to write to prolong a musician’s permit of resi- The majority of the submitted project suggestions were the people of Bremen. Incidentally, and 20 years before der Stadt geprägt. Hervorzuheben ist auch die euro- dence, rescheduling rehearsals because a member of the astonishingly undogmatic in their approach towards the German historians acknowledged this as part of their päische Auswanderung nach Nord- und Südamerika ensemble had to look after an member of his family who issue of migration. research, amateur historians investigated the inhuman im 18. und 19. Jahrhundert. Beispielhafte Schutzbe- was taken ill in East-Africa and the language barrier – details. stimmungen, eine weitgehend faire Behandlung der German is no lingua franca. Rehearsals were often held Rich Experience – New Questions Bremen and Bremenhaven have a population of about Auswanderer und moderne Unterbringungs- und Rei- in English or in Spanish. The Bremen team and its director Martin Heller could 660.000. Of those, 135.000 account as migrants: 25% sesysteme verhalfen Bremen zu einer enormen Repu- The Bremer Stadtimmigranten Orchestra emphasises the resort to the city’s rich experience as a city of migrants are Russian-Germans or other ethnic Germans from the tation, so dass die Stadt an der Weser bald der wich- omnipresent issue of migration in Bremen’s bid. Some of long before the recruitment of migrant workers from the former communist east, 12% are naturalised Germans the best migrant musicians available in Bremen rehear- South of Europe began to coin it as a city of migrants. It and the remaining 63% are foreigners. Every forth inha- tigste Auswandererhafen des europäischen Festlan- sed six months for their first public concert. It was the was centuries before the “Golden Years” (Eric Hobsbawm) bitant of Bremen is from outside. Adding the migrants’ des wurde und Bremerhaven zum „Vorort New Yorks“ orchestra’s musical ambition that, apart from certain that migrant workers enabled Bremen’s development as children and grandchildren born in Bremen, one realises avancierte. practical problems a migrant orchestra might face, made an important seaport (such as the construction of the the fundamental importance of migration to Bremen’s Im Nationalsozialismus kamen erneut Zehntausende the project into something special: The musicians never modern municipal port and the establishment of local socio-economic function. von Fremden in die Stadt. Es waren nach Bremen ver- wanted to see themselves as a multicultural folk en- industries after 1870). Catholic workers from Poland were Accordingly, Bremen’s cultural and social life is full of vi- schleppte Zwangsarbeiter, die in der Industrie und bei semble and on no account did they want to display a the first to populate the emerging working-class quar- tality and diversity. More than 120 nationalities live in der Trümmerbeseitigung unter qualvollen Umständen kind of en vogue mixture of “worldmusic”. They under- ters of the Protestant dominated Bremen. After WW II Bremen, and most of them are organised in clubs and as- stood their creative work as a research process that ex- refugees from the lost Eastern provinces of Germany sociations. Bremen has realised the central role of migra- beschäftigt waren. Auch diese Migranten haben tiefe amined the mutuality and diversity of their cultural roots. began a new life in Bremen. After 1960 Catholic Por- tion in cultural policy, and that in times when “multicul- Spuren im Selbstverständnis der Bremer hinterlassen. And this led to a music that does not homogenise the tuguese, Orthodox Greek and Muslim Turks provided the turaliy” is not the most imminent factor to support as it Übrigens waren es Bremer „Barfußhistoriker“, die hybrid identities within a heterogeneous urban society workforce for Bremen’s economic rise. was the case a decade ago. But then, “interculturality” schon lange bevor sich die offizielle deutsche Ge- but that reflects the compositional principle of ambiva- Not only migrant workers have put a stamp on the his- has become a growing challenge to schools and borderli- schichtswissenschaft vor zwei Jahrzehnten langsam lence and complexity. The Stadtimmigranten Orchestra tory of the city. It must be pointed out that in the 18th ne quarters, either within the city centre or the outskirts. is a project embedded in the „Bremer Weltspiel“ [Bre- and 19th centuries the ports of Bremen and its exclave Continued on page VII Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite VII

Continued from page VI All in all one can observe a discourse in civil society has triggered a socio-cultural process that challenges become a Europe-wide contact point for scientists, ex- The Turkish community has the biggest share among the that constructively addresses conflicts and than at the well-known rituals coping with cultural diversity, simul- perts and people wishing to emigrate. The houses’ ex- migrant workers: 60%. This has led to the elementary same time pays respect to the Muslim community in taneously calling for breaking new grounds. This applies tensive archive enables Anglo-Americans to investigate social conflict that involves the question about the grand- the city. to Bremen as a migrants’ city in particular. their own family’s history of ancestors weary of the Old children of the first generation of Turkish migrants. Sin- The „Deutsche Auswanderer Haus“ in Bremerhaven, that Continent. ce “September 11” the role of Islam is being controversi- Bremen lives, plans and acts will open to the public in the Summer of 2005, illustra- Bremen’s application to become the European Capital of ally discussed. Yet the traditionally close contacts Bremen’s application is based on a thorough analysis of tes the history of emigration and at the same time will Culture 2010 contains a certain utopian character – not between cultural initiatives, the Christian Churches and its history and present. Thus it became obvious to focus function as a Documentary Centre of Emigration. It aims in the sense of homogenising social disparities or to save- the State Government of Bremen with Bremen’s Mos- on migration as a centre piece of the application. Neither at becoming a European Centre for 21st Century Migra- harbouring of different groups of civil society – but rat- ques are of a most constructive fashion. The weekly could one deny the migrants’ contributions to our city’s tion. The exhibition will depict cultural, social and poli- her in addressing modern urban people. “Islamwoche”, unique in Germany, has evolved from this manifold cultural activities, nor could one do without tical reasons for global migration. It also aims at collec- context, and to stress this fact, contacts between the the constant critical reflection of the multilayered iden- ting all relevant data about immigration regulations. The author works for the Project on Bremen’s applica- Jewish and the Muslim Community were established. tities embossed on Bremen by its migrants. Bremen’s bid Therefore the “Deutsche Auswanderer Haus” is going to tion Capital of Culture 2010 Mechanismus von Arbeit und Integration Von Dieter Nellen und Nadja Grizzo

20. Februar 2005: Die mit der Auswahl der natio- derung ihrer Vorfahren nur noch eine familienge- nalen Bewerber beauftragte Jury bereist das Ruhr- schichtliche Reminiszenz. gebiet und prüft an ausgewählten Orten dessen Das Ruhrgebiet rühmt sich gern seiner Integrations- Eignung als „Kulturhauptstadt Europas 2010“. Am leistung und seiner konstitutiven Toleranz. Aber Tole- Schacht XII auf Zollverein in Essen begegnen die ranz darf nicht zu Desinteresse und gesellschaftlicher verantwortlichen Mitglieder der Jury der Videoin- Bequemlichkeit verleiten. Denn heute verstärken sich stallation „Autoporträt“ der bosnischen Künstle- jenseits der wohlmeinenden Anmutungen über Auf- rin Danica Dakic. In einer überlebensgroßen Auf- nahme und Attraktivität des „Fremden“ bei Sprache, nahme erscheint das Porträt einer Frau, deren Au- Gebräuchen und Essgewohnheiten immer mehr die gen durch einen zweiten Mund ersetzt sind. Aus drängenden Probleme in Schule, Beruf und Gesellschaft den beiden Mündern dieser Frau dringen langsam – gerade bei Migranten im Ruhrgebiet. und eindringlich zwei verschiedene Sprachen: Die Bedingungen und Folgen von Einwanderung un- Deutsch und Bosnisch. Die dargestellte Person ver- terliegen auch im Ruhrgebiet einem rasanten Wandel. bindet nicht nur unterschiedliche Sprachen, son- Mit zahlreichen Konzepten und Projekten an Schulen, dern auch verschiedene Identitäten. Ausbildungsstätten und in sozialen Initiativen versucht man Lösungen zu finden. Grundsätzlich gilt weiter die Mit diesem visuellen Erlebnis ist die Jury nicht nur positive Migrationserfahrung der Region als viel be- geographisch, sondern auch historisch und perspek- schworener „Schmelztiegel“ im historischen Format. tivisch im Kern des Ruhrgebietes angelangt. Wie kei- Auch die in den neunziger Jahren propagierte „multi- ne andere verdankt diese Region ihren Aufstieg zur kulturelle Gesellschaft“ ist im Revier nicht von vorne- Metropolregion der raumgreifenden Industrialisierung, herein obsolet geworden. Aber immer dringender wird der nachziehenden Migration aus ganz Europa und angesichts der Existenz von „Parallelgesellschaften“ die der Sozialisation durch Lohn bringende Arbeit. Heute Frage, „in welchem Maße Demokratien ethnischen Min- sagt man salopp: Im Ruhrgebiet ist Europa immer derheiten Autonomie einräumen sollen, welche Anfor- gleich um die Ecke. derungen die Gesellschaft an Immigranten legitimer- Der Kontext ist hinlänglich bekannt: Die erste Einwan- weise stellen darf und muss und welches die Rahmen- derungswelle am Ende des 19.Jahrhunderts brachte bedingungen für die Integration von Immigranten sein Arbeitswillige aus dem Osten Deutschlands und Eu- können“. Bisher hat man sich im Ruhrgebiet wie ropas, vornehmlich aus Schlesien, Ostpreußen, Polen andernorts vor dieser Frage gedrückt. und Tschechien, an Ruhr und Emscher. Aber auch vom Für die Vergangenheit galt: Die Einwanderer wurden D. Dakic, Autoportrait, Videostill 1999, C D. Dakic, Autoportrait, Videostill 1999, C Westen des Kontinents, aus Belgien, Großbritannien, im Ruhrgebiet durch Arbeit und Lohn sozialisiert. Erst VG Bild-Kunst, Bonn 2004 VG Bild-Kunst, Bonn 2004 Irland und Nordfrankreich kamen qualifizierte Berg- kam die Arbeit, dann die Nationalität. So entstand – leute. Ein weiterer großer Einwanderungsschub erfolg- wohlmeinend formuliert – ein integratives Klima, das tität und Andersartigkeit für eine moderne Gesell- die Teilhabe der türkischen Migranten am kulturel- te in der Zeit des Wirtschaftswunders mit der Anwer- aber gleichzeitig die Neugierde auf andere Kulturen in schaft zu erfahren. Noch stehen wir am Anfang mit len Leben im Ruhrgebiet stärken und auf der ande- bung von „Gastarbeitern“ aus Südeuropa, die teils blie- Grenzen hielt. unseren Fragen. ren Seite das Interesse an türkischer Kultur wecken. ben und teils nach einiger Zeit zurück gingen. Danach In der Gegenwart und noch mehr in der Zukunft wer- Praktische Ansätze zeichnen sich allerdings schon Hier zeichnet sich bereits eine mögliche Funktion zum folgten türkische Zuwanderer (vornehmlich aus der den wir uns eine solche kulturelle Indifferenz aus un- jetzt ab. Das Thema „Interkulturalität“ ist ein Schwer- Thema Migration der Kulturhauptstadt im Ruhrge- ländlichen Bevölkerung Anatoliens) – mit inzwischen terschiedlichen Gründen nicht mehr leisten können. Die punkt der Bewerbung. In loser Zusammenarbeit mit biet ab: Ein Forum zu bieten, unter dessen Dach sich sehr unterschiedlichen Arbeits- und Sozialbiografien. Bedingungen heutiger Einwanderung gestalten sich dem Bewerbungsbüro haben sich Kulturschaffende eine Reihe von Aktivitäten entwickeln könnten, die Aktuell leben mehr als 580.000 Menschen ausländi- ungleich schwieriger. Der einfache Mechanismus von der freien Szene verschiedener Ruhrgebietsstädte, das bisher nicht den passenden, offenen Rahmen gefun- scher Herkunft aus 140 Nationen im Ruhrgebiet. Das Arbeit und Integration, von Leistung und Aufstieg funk- Land NRW und die Stadt Dortmund zusammen ge- den haben. Generell könnte für die Kulturhauptstadt entspricht einem Bevölkerungsanteil von 11%, von tioniert längst nicht mehr. Gesellschaftliche und kul- schlossen, um neben vielen weiteren Ansätzen in die- im Ruhrgebiet gelten: Ein Forum zu schaffen, wo denen wiederum die türkische Volksgruppe mit 43,1% turelle Verantwortung ist deshalb wesentlich stärker ser Richtung das Festival MELEZ (türkisch: Mischung) Migration und Interkulturalität diskutiert und hin- fast die Hälfte stellt. Die Nachkommen der ersten Ein- gefordert. Deswegen nutzen wir das Projekt „Kultur- zu planen, das ab 2005 jährlich stattfinden soll. Das terfragt werden. wanderergeneration des 19. Jahrhunderts sind längst hauptstadt Europas 2010“, um in einer sehr grund- umfassende Festivalprogramm mit Fokus auf die Kulturen haben keine klaren Grenzen, keine homo- Einheimische geworden. Ihnen bedeutet die Zuwan- sätzlichen Weise die Dialektik von kultureller Iden- deutsch-türkischen Kulturaktivitäten soll vor allem gene Gestalt. Sie sind vielmehr – wie das Ruhrgebiet selbst – charakterisiert durch Verflechtungen, Durch- mischungen und Fusionen. Die Gratwanderung von Einheit und Vielfalt wird den Mikrokosmos Ruhrge- biet in Zukunft ebenso begleiten wie den Makrokos- The Ruhr Area: The Mechanism between Employment and Integration mos Europa. By Dieter Nellen and Nadja Grizzo Dieter Nellen ist Leiter des Fachbereiches Öffent- February 20, 2005: The jury that has been appointed to long ago become locals. Their ancestors’ immigration to the since ceased to function. Therefore it is necessary to call lichkeitsarbeit vom Regionalverband Ruhrgebiet. survey the national candidates bidding for title of “Euro- Ruhr Area has faded into a mere reminiscence in family for more social and cultural responsibility. This is why we pean Capital of Culture 2010” travels the Ruhr Area. Near history. utilise the project “European Capital of Culture 2010” in Nadja Grizzo ist freie Mitarbeiterin beim Regio- Schacht XII of the Zollverein mine in Essen the members The Ruhr Area likes to pride itself for its achievements in order to experience the dialectics of cultural identity and nalverband Ruhrgebiet. of the jury encounter the video-installation “Autoport- integration policy and its constitutive tolerance. But tole- differentness in modern society in a fundamental fashion. rait” by the Bosnian artist Danica Dakic. A portrait larger rance must not induce indifference and social lethargy. All We are yet at the beginning of our quest. But there are than life depicts the face of a female whose eyes have well-meant impressions about the “strangers’” languages, already noticeable practical approaches. “Interculturali- been replaced by a second mouth. Both mouths slowly customs and food cannot belie the increasing problems at ty” is one of the core issues of our application. The agency Görlitz and insistently speak two languages: German and Bosni- school, at work and in society – especially amongst the in charge of the application has loosely grouped with fre- an. The portrayed person does not only link different lan- migrants of the Ruhr Area. elance artists from various cities from the region, with the Von Ulf Großmann guages but different identities, too. Even in the Ruhr Area the conditions and consequences of State of North Rhine-Westphalia and the City of Dort- This visual experience has made the jury not only to geo- immigration are subject to a rapid change. Numerous con- mund to organise, apart from other projects, the MELEZ Der Ausländeranteil in der Stadt Görlitz beträgt ca. graphically but also historically and perspectively arrive cepts and projects in educational institutions and social festival [Turkish for intermixture] that is planned to be an 2,4 Prozent. Die meisten ausländischen Mitbürger at the very heart of the Ruhr Area. Like no other region initiatives try to find solutions. But basically one still holds annual event from 2005 onwards. The festival’s extensive kommen aus Polen. Deren Zahl nimmt jährlich zu, was the Ruhr Area owns its rise to an important metropolitan fast to the positive experience with migration to the much programme focuses on German-Turkish cultural activities auf Grund der unmittelbaren Grenzlage nachvollzieh- region to the former extensive industrialisation, the mig- praised “melting pot” that has historically grown. In the and aims on the one hand at strengthening the share of bar ist und anhalten wird. Migration ist kein primä- ration from all over Europe and the socialisation through same way it can be said that the idea of a “multicultural Turkish migrants in the cultural life of the Ruhr Area, and res Thema in der Stadt Görlitz. Eine Wanderungsbe- paid work as a consequence thereof. Today one casually society”, as propagated in the 1990s, has not yet become on the other hand at arousing interest in Turkish culture. says: In the Ruhr Area Europe is always just around the obsolete in the region. But in view of the existence of “pa- Already a possible function of the issue of migration in wegung in Größenordnungen ist auch nicht abzuse- corner. rallel societies” one question is becoming increasingly ur- the Ruhr Area’s bid for the Capital of Culture becomes hen. The context is a well-known fact: At the end of the 19th gent: “To what degree must democracies grant autonomy apparent: A forum that offers the umbrella under which a Kulturdezernat Görlitz century a first wave of migrants brought workers mainly to ethnic minorities, and what are the legitimate demands number of activities can evolve that until now did not from the Eastern parts of Germany, such as East-Prussia, that society may and also has to ask of immigrants concer- have the suitable open space in which to develop. Gene- Silesia, but also from Bohemia and Poland. Qualified mi- ning the general conditions of their integration”. Until now rally speaking, the Capital of Culture in the Ruhr Area would ners from Northern France, Belgium, Britain and Ireland the Ruhr Area has, as other places elsewhere, got around offer a forum where migration and interculturality could Görlitz were also attracted to the Ruhr. A second big influx of this question. For the past it can be stated that work and be discussed and scrutinised. Cultures are not defined by migrant workers, this time mainly from Southern Europe, pay socialised the immigrants in the Ruhr Area. First came distinct borderlines, and they have no homogenous shape. By Ulf Großmann was triggered by the so-called “Wirtschaftswunder” in the the job and then one’s own nationality. This view encoura- Like the Ruhr Area itself, they are characterised by com- 1950s and 1960s. Later Turkish nationals, mostly from ged – phrased in a friendly way – an integrative climate, plexity and intermixture. The narrow path between entity The proportion of foreigners in Görlitz is at about 2.4 rural Anatolia, followed – by now these people all have but at the same time it limited the interest in other cultu- and diversity will always be part of the microcosm Ruhr percent, and most of them come from Poland. Their num- very different working-life and social biographies. res. On various grounds we will not be able to afford such Area as well as the macrocosm Europe. ber is going to rise annually, not to surprisingly due to Today some 580.000 people from 140 different countries cultural indifferences any longer – not at present nor in the the fact of being right on the German-Polish border. live in the Ruhr Area. That is 11% of the total population. future. The pattern of today’s immigration has taken dras- Dieter Neller is Head of Public Relations of the Ruhr Migration in itself is not a primary factor in the City of The Turkish community is by far the largest individual tic turn. The once simple mechanism of employment and Area Regional Authority. Nadia Grizzo is a freelancer Görlitz; and migration in huge proportions is not fore- group: 43.1%. The descendants of the first migrants have integration, job performance and advancement has long with the same authority. seeable in the near future. Kulturdezernat Görlitz Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite VIII Stadtumbau in seiner interkulturellen Dimension Von Günter Kowa

Stetig und unaufhaltsam verläuft die Abwärtskurve Vorerst allerdings spielt sich die Herausforderung anderem die Frage, wie mit den zu erwartenden deutsch, russisch, kurdisch - spiegelt die Verhältnis- der Einwohnerzahl Halles im Verlauf der Jahre seit immer noch vorrangig auf der sozialen Ebene ab. Eine Brachflächen umgegangen werden könnte. Aus ei- se in Halle-Neustadt. Dazu kommen fünf „Baumpa- der Wende: Der Rückgang um mehr als 100.000 auf Einrichtung wie das „Eine-Welt-Haus“ zum Beispiel nem Workshop mit dem Titel „Neustadt Gärten“ ging tenschaften“, um Neuanpflanzungen über die Som- derzeit 237.000 Personen entspricht dem Ausster- beschäftigt derzeit 20 Mitarbeiter, viele davon auf eine gleichnamige Initiative hervor. Orientiert an mermonate zu versorgen. Die Vorstellungen der In- ben einer mittelgroßen Stadt und er ist typisch für Ein-Euro-Basis, um einem nicht abreißenden Strom Vorbildern einiger anderer Städte sowie verschie- teressenten reichen von der Anlage eines Gemüse- die Situation fast überall in Osteuropa. Halle ist ein von Migranten und Flüchtlingen Rat und Beistand denen Projekten des „Urban farming“ sollte Neu- oder Blumengartens über Spielflächen für Kinder bis Beispielfall unter vielen für das Phänomen der in Notlagen zu gewähren und bei Behördengängen städtern aus der Nachbarschaft der Abrissflächen hin zu einem Zen-Garten. „Schrumpfenden Städte“. zu begleiten. Das kann auch der Weg zum Frauen- die Möglichkeit gegeben werden, nach eigenem Wo jetzt über multikulturelle Gärten diskutiert wird haus sein, wenn Frauen und Kinder von gewalttäti- Gutdünken Gärten anzulegen. Der Grundstücksei- an einer Stelle, die einst nur in Beton gegossene Mo- Es gibt aber eine ganz andere Kurve, die der hier be- gen Lebenspartnern und Vätern bedroht werden. Über gentümer - eine Wohnungsgenossenschaft - wil- nostruktur zuließ, kursieren plötzlich völlig unerwar- schriebenen genau entgegengesetzt verläuft. Halles derlei akute Situationen hinaus will jedoch das Eine- ligte ein. Die Stadt unterstützte das Projekt mit pla- tete Ideen. So machte eine zeitlang das Gerücht die Einwohnerzahl wächst rasant, wenn man die aus- Welt-Haus vor allem durch Bildungsarbeit, aber auch nerischen Leistungen. Runde, es sei eine Moschee geplant. Die selbstver- ländischen Bürger in den Blick nimmt. Innerhalb von durch regelmäßige gesellige Themenabende unter Da den Bürgern das Vorhaben bewusst und durchaus walteten Gärten von Halle-Neustadt versinnbildli- zehn Jahren - zwischen 1993 und 2003 - stieg de- dem Begriff „Cabana“ (etwa: Schutzhütte) dazu bei- provokant in mehreren Sprachen bekannt gemacht chen einen Stadtumbau, der sein Ergebnis in die ren Zahl von 6.122 auf 9.169, ein Zuwachs von fast tragen, dass sich Ausländer „mit der Gesellschaft wurde, war deutlich, dass keine neue Kleingartens- Hände der verbleibenden Bürger legt und so in sei- 50 Prozent. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung vertraut machen“, wie es die Geschäftsführerin Chris- parte, sondern eine kulturelle Begegnung der flora- nem Ergebnis kaum vorhergesagt werden kann. beträgt mittlerweile fast vier Prozent, doppelt so viel ta Delle-Buchmann formuliert. Sie verweist darauf, len Art gemeint war. Auf 15 beläuft sich derzeit die wie zehn Jahre zuvor. dass in dem weiterhin bestehenden „Klima der Ab- Zahl der Familien, die auf dem Areal Gärten anlegen Der Verfasser ist Journalist bei der Mitteldeutschen Das ist zwar immer noch eine überschaubare Größe weisung“ diese Grundlagen immer noch zu legen sind. wollen, und die Mischung der Nationalitäten - Zeitung. verglichen mit vielen westdeutschen Großstädten, die Politisch institutionalisiert ist das auch durch den seit langem zu Zentren der Zuwanderung geworden gewählten Ausländerbeirat, der die Oberbürgermeis- sind. Aber die Tendenz ist deutlich. Sie wird zuneh- terin berät, allerdings auch die großen kulturellen mend zu einem Faktor in der Entwicklungspolitik der Unterschiede der Ausländer untereinander mitunter City reorganisation and its intercultural dimension Stadt. deutlich widerspiegelt. by Günter Kowa Das ist auch Elisabeth Merk bewusst. Die Leiterin des Ausländer-Integration und Stadtplanung ist im Ge- halleschen Stadtplanungsamtes erntet bei Zuhörern gensatz dazu ein noch relativ unerprobtes Feld. Es There has been a constant and unstoppable down- ons still have to be laid. On a political level this has stets ein erstauntes und amüsiertes Raunen, wenn lässt neuartige Ansätze zu und lenkt die interkul- wards trend in the number of inhabitants in Halle in also been institutionalised through the elected adviso- sie in ihrem Vortrag über den „Kolorado“-Plan für turelle Diskussion in Bahnen, in denen die rein so- the years since the German reunification: the drop ry commitee for foreign immigrants, that advises the Halle-Neustadt eine Fotomontage des derzeit in gro- ziale Problematik für neue Alltagserfahrungen nutz- by 100.000 to 237.000 inhabitants at present is the mayor but that often also reflects the great cultural equivalent to the extiction of a middle-sized city and differences among the foreigners themselves. ßen Teilen leerstehenden Einkaufszentrums „Neu- bar gemacht werden kann. Seit dem Sommer 2003 is typical für the situation almost everywhere in eas- The integration of foreigners and city planing on the städter Passage“ als „Chinatown“ präsentiert. Sie gibt es in Halle-Neustadt ein Projekt, das den Stadt- tern Europe. Halle is one example among many for other hand is a fairly new field. It makes new approa- bringt damit auf den Punkt, nicht nur wie Halles umbau unter entsprechende Vorzeichen setzt. Der the phenomenon of “shrinking cities”. ches possible and channels the inter-cultural discus- vormals eigenständiger Plattenbau-Satellit der 60er noch junge Verein „Kultur/Block“ machte mit Aus- sion into areas, in which the purely social difficulties Jahre zum Experimentierfeld für „undenkbare“ Ideen stellungsaktionen in elfgeschossigen Wohnhäusern But there is also a different curve, that runs exactly can be used to create new every-day experiences. In taugt, sondern auch, wie Halle den wachsenden Aus- auf sich aufmerksam, die zum Abriss leergeräumt opposite to the one described above. The population of the summer of 2003 a project was started in Halle- länderanteil als kulturelle Herausforderung begreift. und entkernt waren. „Kultur/Block“ stellte unter Halle is growing rapidly, when you focus on the foreign Neustadt, that sets these standards for city reorgani- citizens. In ten years – between 1993 and 2003 – their sation. The young organisation “Kultur/Block” (culture/ number climbed from 6.122 to 9.169, an increase of block) has drawn attention with exhibitions in eleven- almost 50%. Their share of the total population has storeyed appartement houses, that were to be torn reached nearly four percent, double the count of ten down and had been vacated and stripped for this pur- yars ago. pose. “Kultur/Block” posed the question, of how the This is still a managable number compared to many large fallow area should be used. A workshop with the title cities in western Germany, that have long become cen- “Neustadt Gärten” (Neustadt gardens) created an ini- ters of immigration. But the tendency is clear. It will tiative by the same name. Modelled on the example of increasingly become an important factor in the deve- several cities as well as on different projects on “urban lopement policy of the city. farming”, the inhabitants of the neighbouring areas Elisabeth Merk is concious of this. The head of the de- should be given the possibility of creating gardens of partment of city planing of Halle always gets suprised their own design on the land where the buildings had and amused reactions from her listeners when, as part been torn down. The owner of the plot – a housing co- of her presentations on the “Kolorado”- plan for Halle- operative – consented. The city has supported the pro- Neustadt, she shows a photomontage of the now mostly ject with planing expertise. empty shopping centre “Neustädter Passage” as “Chin- Since the plan was made public to the inhabitants and, atown”. By doing this, she is not only pointing out how provocatively, issued in several languages, it was clear Halles formerly independent satellite city of the sixties that the aim was not to create a new an area of small can nowadays become an experimental field for “un- garden plots but to enable cultural communication on thinkable” ideas, but also that Halle understands the a “floral” level. Up until now, fifteen families want to growing foreign population as a cultural challenge. start a garden on the plot and the mixture of nationa- As for the moment this challenge is mainly taking place lities – german, russian, kurdish – reflects the situation on the social level. An institution like the “Eine-Welt- in Halle-Neustadt. In addition five “tree-sponsorships” Haus” (the one-world house) for example is employing have been created, to care for the newly planted trees a staff of twenty people, mostly on a One-Euro basis, during the summer months. The plans of the applicants to give the the unending stream of immigrants and re- reach from vergetable and flower gardens to a play- fugees counseling and help in crisis situations and to area for children or a zen-garden. accompany them on their visits to the authorities. This That multi-cultural gardens are being discussed in an can also entail visits to the womens refuge , if women area that before only consisted of cement mono-struc- and children are being threatened by violent partners tures, gives rise to comletely unexpected ideas. For some or husbands. Inspite of dealing with these pressing si- time the rumor circulated that the construction of a tuations on hand, the Eine-Welt-Haus wants to reach mosque was being planed.The self-manged gardens of out through educational programms but also through Halle-Neustadt symbolize a city reorganisation, that regular social gatherings under the motto “Cabana” lays the results into the hands of the citizens and there- (safe-house), that are supposed to enable foreigners to fore can not be foretold in its final outcome. “familiarize with German society” as Christa Delle- Buchmann, the manager, puts it. She points out that in The author is a journalist for the Mitteldeutsche Moritzburg in Halle Foto: Thomas Ziegler Moritzburg in Halle Photo: Thomas Ziegler the still existing “climate of rejection” these foundati- Zeitung Migration ein Teil der Stadtgeschichte Von Ullrich Eidenmüller

Am Anfang steht der Privilegienbrief bildeten schon 2000 Immigranten die Bevölkerung wurde zur „Wiege der deutschen Demokratie“. Die For- pfalz, MI für Mittlerer Oberrhein und NA für Nord Als- Eine große, europäische Idee steht schon an der Wie- Karlsruhes. Verbrieft wurden erstmals in einer Resi- derungen nach mehr politischer Mitsprache, Presse- ace) und die damit geschaffene Verwaltungsstruktur ge unserer Stadt. Es ist 1715, als Karl-Wilhelm, denzstadt die Freiheit zur Ausübung aller im Reich freiheit, Trennung von Justiz und Verwaltung, Öffent- gelten heute als Vorbild und Modell auch für die ost- Markgraf von Baden-Durlach, sich entschließt, die tolerierten Religionen, darüber hinaus Freiheit von lichkeit und Mündlichkeit von Justizverfahren sowie europäischen Grenzregionen. Die bereits 1955 begrün- mittelalterliche Enge seiner damaligen Residenz ge- Leibeigenschaft und Frondiensten, ein Bauplatz nebst der Aufhebung von Fronen und Zehnten wurden hier dete Partnerschaft mit Nancy nimmt eine Vorreiter- gen den Bau einer neuen, in Anlage und Geist offe- Baumaterial, Steuerfreiheiten, eine bürgerliche Ge- drängender gestellt, leidenschaftlicher diskutiert und rolle in der deutsch-französischen und europäischen nen Stadt einzutauschen. Seine Vorstellung einer richtsbarkeit sowie ein Anhörungs- und Vorschlags- unbeugsamer vertreten als sonst in Deutschland. Zu Völkerverständigung ein. Seit 1987 übernimmt Karls- Modellstadt der Zukunft fasst er in einem histori- recht für alle Bürger. Die Neubürger kamen denn auch den viel beachteten Diskussionen zählten auch jene ruhe diese Verantwortung erneut mit einer Partner- schen Dokument von weitreichender Bedeutung, dem zu 50 Prozent aus Orten mit mehr als 100 km Entfer- zur erstmals gestellten sozialen Frage, zur Juden- schaft zum ostdeutschen Halle und seit 1992 zu Te- Privilegienbrief zusammen. Der Brief trägt bereits nung, 18 Prozent stammten von außerhalb des Rei- emanzipation und nicht zuletzt zur deutschen Ein- meswar in Rumänien und Kransnodar in Russland. viele Zeichen eines hochmodernen Staats- und Men- ches, vor allem aus Frankreich, der Schweiz, aber auch heit. schenbildes. In den “Privilegien“ scheint vieles auf, aus Italien und Polen und den vielen Ländern des zer- „Mit Recht. Karlsruhe“- Bewerbung zur Europäischen was sich die europäischen Völker in den Revolutio- splitterten Deutschlands zusammen. Vorreiterrolle der europäischen Völkerverständigung Kulturhauptstadt 2010 nen der Folgezeit, bis ins 20. Jahrhundert hinein, Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg begannen Fran- Von Anfang an haben wir unsere Bewerbung nicht als gutes Recht eines jeden Menschen erkämpfen Wiege der deutschen Demokratie zosen und Deutsche mit dem Bau eines neuen Euro- nur auf das vorhandene Kunst- und Kulturangebot werden: Persönliche Freiheit, Gleichheit vor dem Als 1818 nicht die erste, aber die fortschrittlichste von pa in Frieden. Besonders tief waren die Wunden am der Stadt und der Region beschränkt. „Mit Recht“ Recht und politische Mitsprache. Karl Friedrich Nebenius erarbeitete Verfassung der Zeit Oberrhein, in Baden und dem Elsass. Bis heute sind wurde dabei nicht nur als Werbeslogan gewählt, son- für Baden erlassen wurde, bezog das Parlament 1822 deshalb die Bestrebungen, Brücken zwischen den dern dieser Slogan ist gleichzeitig Programm unse- 1719 – Ausländeranteil 18 Prozent den ersten eigenständigen Parlamentsbau Deutsch- Menschen zu bauen und Grenzen zu überwinden, bei rer Bewerbung mit den vier Leitprojekten Dank großzügiger Aufnahmebedingungen für Neubür- lands, das Ständehaus in Karlsruhe. Dem Parlament uns besonders lebendig. Der 2002 gegründete Zweck- · Haus der Grundrechte, ger wuchs die Stadt zunächst zufriedenstellend. 1719 wuchs stilbildende Kraft für ganz Deutschland zu, es verband REGIO PAMINA (PA steht für Palatinat/Süd- Weiter auf Seite IX Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite IX

Fortsetzung von Seite VIII ten Stadtteilentwicklung reagiert. Eine Stärkung der Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf wird · Platz der Gerechtigkeit, durch interkulturelle Stadtteilentwicklungsprogramme · Kreativpark Ostaue und gezielt betrieben. Neben Maßnahmen des Spracher- · Europäischer Stadtbrief werbs und der Berufsqualifizierung wird Orientierungs- Es war auch von vornherein unser erklärter Wille, kursen zum Erwerb von kulturellen und gesellschaftli- Karlsruhe als die „Planstadt“, an deren Beginn die chen Kenntnissen immer mehr Bedeutung zukommen. Proklamation von Bürgerrechten und die Gemeinsam- keit unterschiedlicher Völker und Religionen stand, Migranten Teil der Kulturhauptstadtbewegung in den Dienst der erweiterten Europäischen Union Nach dem Bekanntwerden der Karlsruhe Bewerbung stellen. Das Projekt Europäischer Stadtbrief beschäf- hat sich ein knappes Dutzend Migrantengruppen und tigt sich zum Beispiel nicht nur in Workshops im In- deutsch-ausländische Gesellschaften sowie Privat- und Ausland mit den Voraussetzungen für das Zu- personen aus mehr als zehn Ländern zum „Mittel- sammenleben in einer europäischen Stadt des 21. meerkreis“ zusammengeschlossen. Dieser Kreis, dem Jahrhunderts. Auch Persönlichkeiten wie Felicia Lan- übrigens auch die Jüdische Gemeinde ebenso wie die ger, Prof. Dr. Ernst Benda, Klaus Benneter, Friedrich Palästinensische Gemeinde angehören, will den Auf- Merz oder Rezzo Schlauch haben bereits ihre Vor- ruf des Markgrafen aus dem Jahre 1715 aufgreifen, stellungen dazu zu Papier gebracht. der Menschen aus verschiedenen Ländern aufrief, mit Karlsuhe als weltoffene Stadt war zu allen Zeiten ihm eine neue Stadt zu bauen. Nach der erfolgrei- ein beliebter Zuwanderungsort. In der rund 272 000 chen Auftaktveranstaltung „Rund um den Oliven- Einwohner zählenden Stadt (Angaben Statistisches baum“ will der Kreis sich vorwiegend um die Förde- Jahrbuch der Stadt 2004) leben derzeit über 38 000 rung des Dialogs und der Zusammenarbeit der Kultu- ausländische Mitbürger. Bis 2015 wird ein Anstieg ren kümmern. Neben dem Stadtmarketing, den Archi- auf 44 700 erwartet, zumal in der attraktiven Tech- tekten und Juristen sowie der Initiative „Karlsruhe im nologieregion Karlsruhe entgegen der bundesweiten Kopf“ ist die jüngste Initiative der fünfte Unterstütz- Entwicklung mit einer Bevölkerungszunahme von 15 erkreis für die Kulturhauptstadt-Bewerbung. Prozent bis zum Jahr 2020 gerechnet wird. Karlsruhe hat auf die zu erwartenden Auswirkungen Der Verfasser ist Bürgermeister der Stadt Karlsru- Erweiterter Campus: Der Karlsruher Schlossgarten ist auch Expanding campus: The palace gardens of Karlsruhe are a des Soziodemographischen Wandels frühzeitig mit he und Projektleiter der Bewerbung Karlsruhes als bei Studenten ein beliebter Treffpunkt. popular chatting point for many students einer gezielten städtebaulich- und sozialorientier- Kulturhauptstadt Europas 2010 Foto: Bildstelle der Stadt Karlsruhe Photo: City of Karlsruhe

Migration: An Integral Part of Karlsruhe’s History By Ullrich Eidenmüller

In the beginning was the Charter of Special Rights Cradle of German democracy been evident, first in becoming twinned with Halle in Karlsruhe has already initiated an early response to the In 1715, when the city of Karlsruhe was first created, In 1818, Karl Friedrich Nebenius’ draft constitution for eastern Germany and, since 1992, twinned with Temes- anticipated effects of socio-demographic change, with a major, European idea was already present at its birth. Baden – not the first, but the most progressive of its war in Rumania and Kransnodar in Russia. strategic socially-oriented urban development targe- Karl-Wilhelm, Margrave of Baden-Durlach, had deci- day – was adopted, and in 1822 the Baden Parliament ting various districts, and providing those areas requi- ded to radically change the medieval confines of his moved into the first specifically created parliamenta- “Mit Recht. Karlsruhe”- European Capital of Culture 2010 ring specific support with a selective intercultural ur- then court residence by building a new city, marked ry building in Germany, the Ständehaus in Karlsruhe. application ban development programme where, in addition to lan- by intellectual and spatial openness, and set down The forces generated by this parliament set standards From the very start, we did not restrict our bid merely to guage acquisition schemes and vocational training, an his idea of the model city of the future in a Charter of for Germany as a whole, with this Baden Parliament the cultural and art sector services already present in increasing emphasis is placed on orientation courses Special Rights – an historical document of far-rea- becoming the „cradle of German democracy“. Here, the our city and region. Our slogan of “Mit Recht“ (“Justly helping participants acquire social and cultural know- ching significance. Traces of many modern notions of demands for greater political participation, press free- so”) was not only chosen as effective in media terms, ledge and skills. urban and human nature can already be found in the dom, separation of judiciary and administrative po- but also as succinctly summarising Karlsruhe’s four key 1715 Charter, while the “Special Rights” list a consi- wers, transparency and orality in legal processes, and application projects: Migrants part of the European City of Culture bid derable number of those privileges the peoples of the abolition of soccage and tithes, were voiced more · Haus der Grundrechte (House of Basic Rights), After Karlsruhe’s bid became known, nearly a dozen Europe struggled to attain in subsequent revolutions, urgently, debated more passionately and defended · Platz der Gerechtigkeit (Justice Square), migrant groups, German-foreign societies and priva- even into the 20th century, and fought to establish more vigorously than anywhere else in Germany. The- · Kreativpark Ostaue (Creative Park Ostaue) and te individuals from more than ten countries joined as every person’s inalienable right - individual free- se debates were widely reported and raised many so- · European Local Letter forces to form the “Mediterranean Circle“. This group dom, equality before the law, and political participa- cial issues never before discussed, including the eman- It was also our declared intention, from the outset, to – which, by the way, includes both the Jewish and tion. cipation of the Jews and, not least, the question of allow Karlsruhe’s status as a “model city”, the cradle of Palestinian communities – intends to take up the German unity. a proclamation on basic civil rights and the commona- Margrave’s 1715 call to people from many different 1719 – 18 per cent foreign residents lity of diverse peoples and religions, play its part in an countries to join him in building a new city. After its Initial urban growth proved satisfactory thanks to the A pioneering role in developing European understanding expanded European Union. For example, the European successful first meeting, run under the motto of generous conditions for new residents and, by 1719, Directly after the Second World War, the French and Local Letter project is not only involved in trying to “Around the Olive Tree”, this circle now intends to Karlsruhe’s population already included 2000 immig- German governments initiated efforts to build a new, establish, in a series of Workshops both in Germany and focus primarily on promoting dialogue and cultural rants. For the first time in Germany, the seat of a court peaceful Europe. The scars were especially deep in the abroad, the basis needed for living together in a Euro- cooperation. This is the fifth circle supporting vested by charter the freedom to exercise any religi- Upper Rhine, Baden and Alsace. For this reason, espe- pean city in the 21st century, but has also encouraged Karlsruhe’s bid, alongside circles in city marketing, on tolerated within the Holy Roman Empire of the cially vigorous efforts were made – and continue to be well-known figures like Felicia Langer, Professor Ernst architecture, law, and the Karlsruhe im Kopf (Karlsru- German Nation and, moreover, guaranteed freedom made - to build bridges between people and transcend Benda, Klaus Benneter, and Rezzo he in Mind) initiative. from serfdom, soccage, and taxes, provided for buil- these borders. The REGIO PAMINA (PA for Palatinate/ Schlauch to present their ideas on this theme in a writ- ding plots and materials, and ensured a civil jurisdic- southern Pfalz, MI for the mid-Upper Rhine region and ten form. The author is the Mayor of Karlsruhe and Head of tion, with all citizens granted the right of proposal NA for north Alsace), a special-purpose association foun- As a city open to cosmopolitan influences, Karlsruhe has the Project on Karlsruhe’s application to be Euro- and a legal hearing. Around 50 per cent of the new ded in 2002, and the administrative structures it gene- always been attractive to immigrants. The present po- pean Capital of Culture 2010 residents of the city came from towns and villages rated are regarded today as a paradigm and model for pulation of roughly 272,000 (according to the Karlsruhe from over 100 km away, with 18 per cent coming from eastern European border regions. The partnership with Statistical Yearbook 2004) includes more than 38,000 outside Germany’s borders, primarily from France and Nancy, established in 1955, in the very early phases of foreign nationals – a figure expected to rise to 44,700 Switzerland, but also from Italy and Poland, and the twin-towns, has played a pioneering role in German- by 2015 since, in contrast to the general trend in Ger- multiplicity of states comprising the Germany of that French and European understanding. Since 1987, many, Karlsruhe’s appeal as a technological centre looks time. Karlsruhe’s feeling of responsibility in this area has again set to ensure 15 per cent population growth by 2020.

Europa gemeinsam leben in Kassel Von Michael Kelbling

Kulturhauptstadt Europas zu werden heißt, selbst- fruchtbarer Boden, um neue Formen des Zusammenle- der Stadt sind sie „Kasseler“ – Zugezogene, die sich von Frage ob, sondern eher wie sich der Zusammenhalt in bewusst und zugleich gastfreundlich zu sein, offen für bens modellhaft zu entwickeln. den „Kasselanern“ (deren Eltern in der Stadt geboren wur- unserer pluralistischen Gesellschaft befördern lässt - und Menschen aus anderen Kulturen. Ein bedeutender Pfei- Eine Ausstellungsreihe zeigt das erfolgreiche Zusammen- den) und den „Kasselänern“ (die „Eingeborenen“) unter- schließlich auch wie Ausgrenzung und Selbstisolierung ler der Kasseler Bewerbung als Kulturhauptstadt 2010 leben von Menschen verschiedener Nationen unter ei- scheiden. Die Neuankömmlinge haben den Alteingeses- langfristig entgegen gewirkt werden kann. ist daher auch der kreative Umgang mit den Auswir- nem Dach in Kassel – getreu dem Motto des europäi- senen etwas mitzuteilen – aber auch umgekehrt. Bei den In Kassel leben derzeit Menschen aus 143 Ländern. Die- kungen der Migration. schen Verfassungskonventes „Einheit in der Vielfalt“ – „Stadtentdeckungen“ soll der Blick nicht so sehr von der se Vielfalt Kassels, seiner Menschen und Sprachen, sol- und visualisiert damit auch die reichhaltige Geschichte Kultur als Privileg einer gebildeten Schicht und vom Bil- len auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas sichtbar Kassel war im Laufe seiner Geschichte immer wieder mit und Gegenwart Kassels. Das Stadtmuseum und das Stadt- dungsstand abhängig gemacht werden, sondern vor al- gemacht werden. Daher hat die Stadt Sprachbotschaf- – zunächst fremden – Kulturen konfrontiert. Hugenot- archiv arbeiten dabei mit anderen Museen, dem Staats- lem auf die Alltagskultur gerichtet werden, die von pro- terinnen und Sprachbotschafter ernannt, die in ihrer ten und Waldenser wurden durch den Landgrafen Karl archiv Marburg, der Universität Kassel und Organisatio- fessionellen Bezügen und beruflichen Prägungen be- Muttersprache aktiv an der Präsentation der Bewerbung Ende des 17. Jahrhunderts in Kassel und der Region an- nen ausländischer Mitbürger in Kassel und der Region stimmt wird. Kassel kann Persönlichkeiten zu seinen Bür- mitwirken. Als Sprachbotschafterin oder Sprachbotschaf- gesiedelt. Sie haben die kulturelle, architektonische, tech- zusammen. gern zählen, die in hervorragender öffentlicher berufli- ter sollen sie Menschen ihrer Sprach- und Kulturgrup- nische und wissenschaftliche Entwicklung stark geprägt. In dem Projekt „Stadtentdeckungen“ geben Neubürger cher Stellung oder durch Engagement in kulturellen Spar- pen in Kassel und über die Stadtgrenzen hinaus über die Zu den schmerzlichen Erfahrungen zählt der Umgang durch ihren subjektiven Blick Impulse für die Stadtent- ten bekannt sind. Das sind zum Beispiel Professoren an Bewerbung informieren. Zu den Aufgaben der Sprach- mit den Zwangsarbeitern, die im 2. Weltkrieg auch nach wicklung. Kassel öffnet sich deren Erfahrungen und Sicht- der Universität und der Kunsthochschule, Mediziner am botschafterinnen und Sprachbotschaftern gehören Über- Kassel verschleppt wurden und dort unter menschen- weisen und will sie für die Neu-Entdeckung der kultu- Städtischen Klinikum sowie Musiker, bildende Künstler setzungen von Informationen über den Bewerbungspro- verachtenden Bedingungen arbeiten mussten. rellen Reichtümer der Stadt gewinnen. Dabei sollen die und Schauspieler. Solche Personen sollen zum Beispiel zesses in die jeweilige Muttersprache, die Mitwirkung Die Stadt stellt sich den Brüchen in ihrer Geschichte, sie „Neubürger“ aus einer (noch) fremden Perspektive den Stadtführungen für kleinere Gruppen leiten und dabei an Präsentationen im Rahmen des Bewerbungsprozes- verharrt jedoch nicht im bloßen Erinnern, sondern rich- Kasseler Bürgern helfen, die kulturellen Stärken und durch ihren ganz subjektiven Blick buchstäblich neue ses, die Förderung der Kommunikation über die Aktivitä- tet den Blick in die Zukunft. Die Integration der so ge- Schätze neu zu entdecken – zum Beispiel bei Stadtfüh- Einblicke ermöglichen. Sie könnten an Veröffentlichun- ten im Rahmen der Bewerbung in den jeweiligen ethni- nannten Gastarbeiter dauert nach Jahrzehnten immer rungen. Menschen kommen aus ganz verschiedenen gen über die Stadt mitwirken oder als Schirmherren für schen Herkunftsgruppen und die Aktivierung der zuge- noch an. Ständig bekommt Kassel weitere „Neubürger“ Motiven in die Stadt. Ganz gleich, ob aus beruflichen, Veranstaltungen gewonnen werden. wanderten Bevölkerungsgruppen. Ein wichtiger Aspekt aus aller Welt, z. B. in der Wirtschaft und auch durch die familiären, persönlichen, wirtschaftlichen oder politi- Die aktuelle Debatte um Zuwanderung und Integration, ist auch die bewusste Pflege einer „Kultur der Gast- Universität. Damit gewinnt die Stadt einen reichen Schatz schen Gründen – sie sind neue Bürger, als Gäste oder als um Öffnung und Abgrenzung wird natürlich auch in freundschaft“, der freundlichen Aufnahme von Besu- an Erfahrungen und neuen Perspektiven. Sie sind ein Migranten gleichermaßen willkommen. Im Verständnis Kassel geführt. Dabei geht es allerdings weniger um die Weiter auf Seite X Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite X

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chern und zum Beispiel der Bekanntmachung von Ver- anstaltungen und wichtigen Informationen durch mul- timediale Mittel in mehreren Sprachen. Menschen, mit denen Gäste zuerst in Kontakt kommen, werden gezielt über die Bewerbung informiert, um sie als freundliche Gastgeber und Botschafter zu gewinnen. Dies sind Ta- xifahrer, Beschäftigte im Hotel, das Personal der Busse und Straßenbahnen und die Beschäftigten der Deut- schen Bahn. Die besonderen Kommunikationspotenzi- ale der Stadt – Universität und viele qualifizierte Men- schen und Unternehmen der Kulturwirtschaft und der Kommunikationswirtschaft – sind eine gute Vorausset- zung, um die sich immer weiter entwickelnden Mög- lichkeiten der elektronischen Medien für die Informa- tionen von Menschen in Europa und der Welt zu nut- zen. Zweifellos spielt das kulturelle Leben bei der Inte- gration von Migranten eine Schlüsselrolle. So wichtig es ist, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen ihre eigene Kultur pflegen können, so bedeutsam ist es aber auch, dass es attraktive Orte und Anlässe gibt, die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen führen und ihnen ermöglichen, gemeinsame Erfahrun- gen zu machen und sich aufeinander zu beziehen.

Der Verfasser ist Mitarbeiter des Kulturamtes der Kasseler Moschee: Vor dem Gottesdienst Mosque of Kassel: before the prayers Stadt Kassel

Experiencing Europe Together in Kassel By Michael Kelbling

Becoming the cultural capital of Europe means being both different countries can live together successfully under one factors. Kassel can count among its citizens people who various ethnic groups, and helping to get the various immi- self-confident and hospitable, open to people from other roof in Kassel—true to the motto of the European constitu- have won renown through their exceptional standing in grant groups involved in the process. cultures. Thus one important pillar of Kassel’s application tional convention: ”Unity in Diversity“. In these exhibitions, their professions or their activities in cultural spheres, such An important aspect of this project is the self-conscious to become Europe’s Cultural Capital for 2010 is the creati- the city museum and archive are collaborating with other as professors at the university or academy of arts, physici- cultivation of a ”culture of hospitality“—the friendly recep- vity with which the city has managed the effects of migra- museums, the city archive in Marburg, the University of ans at the city clinic, or musicians, visual artists, and actors. tion of visitors, for example, and promoting events and per- tion. Kassel, and foreign citizens’ organizations in Kassel and the Indeed, these are some of the people who will lead tours of tinent information through multimedia in many langua- In the course of its history, Kassel has come into contact surrounding region. the city for small groups and promote new views of Kassel ges. Thus, people who typically come into immediate con- with numerous cultures that were—at least at first—foreign. As part of the project ”Discover the City,“ new citi- from their own personal perspective. These individuals will tact with visitors are being targeted with information about At the end of the seventeenth century, for example, Hu- zens give fresh impetus to Kassel’s development by contri- also take part by helping publish material on the city or the city’s candidacy in order to win them over as friendly guenots and Waldenses settled in and around Kassel at the buting their own personal views of the city. Kassel is open acting as the patrons of various events. hosts and ambassadors. These include taxi drivers, hotel invitation of Landgrave Karl. These newcomers exercised a to their experiences and perspectives, and will build upon The current debate about immigration and integration in employees, public transportation staff, and employees of profound influence on the city’s cultural, architectural, tech- these to help visitors and locals alike discover anew the Germany, about openness and exclusion are of course also the German Rail Services. Kassel has a wealth of communi- nical and scientific development. Among the more painful city’s cultural riches. With their (still) foreign perspective, taking place in Kassel. But here people are not asking whe- cations resources, including the university and many quali- experiences in the city’s history was the treatment of forced these new citizens can help the people of Kassel see their ther solidarity can be promoted in a pluralistic society, but fied individuals and firms in the cultural and communicati- laborers who were brought to Kassel during the Second home town in an entirely new light—for example, by provi- how this can be achieved—and how the exclusion of immi- ons sectors. These factors make it possible to take advan- World War and compelled to work in inhumane conditions. ding their own special city tours.People come to Kassel for grants can be counteracted in the long run. tage of the expanding possibilities of electronic media to The city strives never to forget the darker moments in its entirely different reasons. Whether these be of a professio- Today’s Kassel has citizens from 143 countries. This diversi- inform the people of Europe and the world about all that history, but endeavors to go beyond mere remembrance and nal, familial, personal, economic, or political nature, the ty in Kassel’s people and languages should be showcased as the city has to offer. build a better future. The integration of the so-called guest newcomers are considered to be new citizens, welcome the city makes its way to become the cultural capital of There is no doubt that cultural life plays a key role in the workers is still in progress decades later. At present, ”new either as guests or immigrants. In the city’s view they are Europe. To help achieve this goal, the city has named lingu- integration of immigrants. As important as it is to help va- citizens“ from all over the world arrive in Kassel every day, ”Kasseler“—immigrants, distinguished from ”Kasselaner“ istic ambassadors who will take an active part in presen- rious ethnic groups foster their own cultures, however, it is whether they be businesspeople or academics studying or (whose parents were born in the city) and ”Kasseläner“ (who ting Kassel’s candidacy in their own native languages. As just as important to provide attractive venues and oppor- working at the university. In this way the city gains a wealth were born here). The new arrivals have something to tell linguistic ambassadors they will inform people in their lin- tunities for people from different cultures to come toge- of experiences and new perspectives. Indeed, these new those who have been here for longer—and vice versa. In guistic and cultural groups about the candidacy, both within ther, to have common experiences, and to relate to one citizens provide fertile soil for producing original and ex- these ”discoveries of the city,“ culture is seen not so much and beyond the city’s borders. Among their tasks are trans- another. emplary ways of living together in today’s world. as a privilege of those belonging to a certain class or with a lating information materials about the application process, In addition to exploring the rich history of the city to the particular educational background, but as everyday culture taking part in presentations about the city’s candidacy, The author works for the Department of Culture in present day, a series of exhibitions shows how people from as determined by professional contacts and occupational spreading the word about related activities within their Kassel. Migration und die Lübecker Bewerbung Von Holger Walter

Im September 2003 fasste die Bürgerschaft werbung berührt aber nicht nur die Neuordnung des (Stadtvertretung) der Hansestadt Lübeck folgenden Be- Ostseeraums, sondern wendet sich auch der größten Aus- schluss (Auszüge): länderformation in der Stadt zu, den türkischen Mitbür- gerinnen und Mitbürgern. „Die Hansestadt Lübeck ist eine weltoffene Stadt. Damit Als Botschafterin für die Lübecker Bewerbung konnte diese Situation erhalten bleibt, müssen die unterschied- die 22jährige TV-Moderatorin Gülcan Karahanci aus Lü- lichen Kulturen und Lebensweisen der hier lebenden beck-Travemünde gewonnen werden. Gülcan ist Türkin Menschen anerkannt sein. Deshalb wird das Vorhaben und hat für das Jahr 2010 Wünsche formuliert: „Eine des Landes Schleswig-Holstein begrüßt, landesweit ein Kulturhauptstadt muss Vorbild sein für das Zusammen- Integrationskonzept zu installieren und die Auffassung leben von Menschen, denn Kultur ist zunächst der Um- geteilt, dass Integration als Ziel die Kultur des gegensei- gang der Menschen miteinander. Deshalb soll Lübeck tigen Respekts und des gleichberechtigten Miteinanders 2010 Kulturhauptstadt und wieder zu einer Königin Eu- unterschiedlicher Menschen einfordert. Die Hansestadt ropas werden. Es sollte ein großes türkisch-deutsches Lübeck sieht in der Integration der Lübecker Bürgerinnen Fest gefeiert werden, das ich gerne moderieren würde. und Bürger mit Migrationshintergrund eine kulturelle und Junge zugewanderte Migranten und junge Deutsche sol- wirtschaftliche Bereicherung für die Stadt.“ len ohne Vorurteile und Schranken miteinander leben Zusammen mit betroffenen Einrichtungen und Trägern und den „Alten“ zeigen, wie es geht. Die Türkei soll bis werden Integrationskonzepte mit besonderen Schwer- 2010 in die EU aufgenommen werden. Dass die Türkei punkten entwickelt: Interkulturelle Erziehung und 2010 Fußball-Weltmeister wird und Deutsche und Tür- Sprachförderung, Jugend und Ausbildung, Gesundheit ken das in Lübeck gemeinsam feiern. Dass eine deutsch- und SeniorInnen, Wohnen, Umfeld und Partizipation, türkische Pop-Band den Echo gewinnt und dass ich selbst Öffnung der Verwaltung der sozialen Dienste, die Ein- für andere Jugendliche mit Migrationshintergrund ein richtung eines ehrenamtlich geführten ‚Forums für Mi- wenig Vorbild geworden bin für das Gelingen von Inte- gration Lübeck’. Die Umsetzung dieser Konzepte wird in- gration.“ nerhalb der Stadtverwaltung als Querschnittsaufgabe Der Begriff Kultur ist an sich zuerst einmal neutral. wahrgenommen.“ Er sagt nicht aus über die Möglichkeiten des Zusam- Eine der Lübecker Bewerbungsstrategien ist der Hinweis menfindens oder des Trennenden. Wenn wir über die auf die geografische Lage der alten Hanse- und Han- Kultur lernen wollen, andere zu verstehen, müssen delsstadt im Norden Deutschlands und damit die Schlüs- wir zunächst unsere eigene Kultur begreifen und uns selposition Lübecks zwischen Kontinent und mare balti- dann den Kriterien der unbekannten Kulturen nä- cum. Lübeck als Bühne der Kulturen der Menschen der hern: durch Toleranz, Liebe, Verständnis und Dialog- Ostseeregion und damit als Präsentationszentrum der bereitschaft. Dadurch kann ein Weltbild erschlossen nicht immer angemessen beachteten, aber doch reichen werden, dass wertvoller und kompatibler ist, als eine Das Holstentor im Winter: Schlittschuhläufer vor dem The wintery Holstentor: Skaters in front of the city’s Kultur Nordeuropas. Dieses Vorhaben hat starken Inte- dominant erworbene Grundhaltung. Wir Lübecker Lübecker Wahrzeichen Foto: Stadt Lübeck symbol Photo: City of Lübeck grationscharakter für die Menschen an der Ostsee, die wollen diesen Weg gehen. Nicht ausgelöst durch eine noch vor wenigen Jahren in politisch und wirtschaftlich Kulturhauptstadtbewerbung, sondern aus unserem in einer weltoffenen Hafen- und Handelsstadt wird Der Verfasser ist Projektleiter der Lübecker sehr unterschiedlichen Staaten leben mussten. Die Be- Selbstverständnis heraus. Bedingt durch das Leben dieser Weg gangbar sein. Kulturhauptstadt-Bewerbung Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite XI

Migration and the application of Lübeck as Cultural Capital of Europe By Holger Walter

In september of 2003 the municipal representatives guage-promotion, youth and education, health and senior but also adresses the largest foreign population of the for other young people with a migration-backround (Bürgerschaft) of the hanseatic town of Lübeck passed citizens, housing, environment and participation, opening city, the turkish citizens. Gülcan Karahanci, a 22-year-old and an example for successful integration.” the following resolution (excerpts): of the administration of the social services, the creation of TV-presenter from Lübeck-Travemünde could be won as The term culture is, at first look, neutral. It does not tell us a “Forum for migration Lübeck” that ist managed in a ho- an ambassador for the application of Lübeck. Gülcan is anything about the possibilities of coming together or of „The hanseatic town of Lübeck is a cosmopolitan city. norary capacity. The realization of these concepts is re- Turkish and has formulated wishes for the year 2010: “A what seperates us. If we want to learn about culture, learn To maintain this situation, the different cultures and garded as a cross-sectional task inside the administration. cultural capital has to set an example for the coexistence to understand others, we must first understand our own lifestyles of the people living here must be recognized. One of the strategies for the application of Lübeck is to of people, because culture is first and foremost dealings culture and then turn to the criteria of unknown cultures: Therefore, the plan of the State of Schleswig-Holstein point out the geographical setting of the old hanseatic of people with each other. This is why Lübeck should be through tolerance, love, understanding and a willingness to install a state wide integration-concept, is welco- trade post in northern Germany and therefore its key- the cultural capital in 2010 and once again become one for dialogue. This way a conception of the world can be med and the opinion is shared, that the goal of inte- position between the continent and the Baltic sea. Lü- of the queens of Europe. We should have a big turkish- opened up, that is richer and more compatible than the gration requires a culture of mutual respekt and the beck as a stage for the cultures of the people of the german celebration, that I would like to present. Young dominantly aquired attitude. We in Lübeck want to go equal cooperation of different people. The hanseatic Baltic and therefore a center for the presentation of the, migrants and young germans should live together wit- this way. Not only because of the application as Cultural town of Lübeck regards the integration of the citizens not always adequately noticed but nonetheless rich, cul- hout prejudices and boundaries, and show the “oldies” how Capital of Europe, but because of our understanding of of Lübeck with a migration-background as a cultural ture of northern Europe. This plan has a strong integra- to do it. Turkey should be a member of the EU in 2010. I who we are. Living in a cosmopolitan port and trade-city and economic enrichment for the city.“ tory character for the people of the Baltic, who had to wish for Turkey to become the soccer world-champion in will make this way possible. Special integration concepts with special emphasis are live in politically and economically very different coun- 2010 and Germans and Turks to celebrate this together in being developed, together with the concerned instituti- tries not to long ago. The application, however, does not Lübeck. That a german-turkish pop-band wins the Echo (a The author is the project-manager for the applicati- ons and representatives: intercultural education and lan- only concern the restructurisation of the Baltic region, music award) and that I may have become an example on of Lübeck as Cultural Capital of Europe Potsdam 2010: Verständnis und Verstehen Von Miriam Weber

Migration ist als Bestandteil der Menschheitsge- ring ist, gibt es seit Beginn der neunziger Jahre zahl- schichte nicht wegzudenken, sei es aus wirtschaft- reiche Aktivitäten, diese in das gesellschaftliche und licher Not, oder im weiteren Sinne Migration bzw. kulturelle Leben einzubinden. Das gerade in Ost- Flucht aus politischen, religiösen oder ethnischen deutschland sensible Thema spielt in allen Bereichen Gründen. Migration ist insofern auch ein unum- eine wichtige Rolle – von Religion, über Musik, Sport, kehrbarer Bestandteil der europäischen Nachkriegs- bis hin zu Schulen und Universitäten. Ein intensiver geschichte und hat alle Länder mehr oder weniger und offener Dialog wird mit großem Erfolg gefördert. stark geprägt. Durch Flucht und Vertreibung wur- Neben den städtischen Institutionen wie Ausländer- den in beiden Teilen Deutschlands ganze Gesellschaf- beauftragte, Ausländerbeirat und Fachgesprächskreis ten ausgetauscht, in der DDR zum Teil darüber hin- für Migration und Integration wurde z.B. 2001 im aus politisch motiviert umgesiedelt. Während die Auftrag des Jugendamtes ein „Lokaler Aktionsplan“ Arbeitsmigration, und damit der Kontakt mit Frem- erstellt. Dieser setzt sich aus verschiedenen Arbeits- den, in der Bundesrepublik bereits Anfang der fünf- feldern zusammen und soll in der Stadt eine Öffent- ziger Jahre ihre Ursprünge hat und einen Höhepunkt lichkeit für offenen Umgang mit unterschiedlichen in den siebziger Jahre erreichte, schloss die DDR erst Sicht- und Lebensweisen schaffen, Vorurteile sollen Mitte der siebziger Jahren Abkommen, um Arbeits- abgebaut werden. Ein gelungenes Beispiel ist das Gar- kräfte aus dem Ausland anzuwerben, vor allem aus tenprojekt des Brandenburgischen Kulturbundes. Der Algerien, Kuba, Mosambik, Angola und China, Viet- „Integrationsgarten“ wurde vor fünf Jahren als ge- nam, sowie Polen und Ungarn. Die Lage der Ver- meinsames Projekt von Potsdamern und Spätaussied- tragsarbeiter war nicht einfach und ist für das Ver- lern in einem Neubaugebiet angelegt, und bietet die ständnis der gegenwärtigen Situation von großer Möglichkeit, sich zu Gartenarbeit, zu Lesungen, zum Bedeutung. Migranten in der DDR lebten meist iso- Lernen und Feiern zu treffen. liert und hatten zeitlich begrenzte Arbeitsverträ- Darüber hinaus gibt es in der Landeshauptstadt über ge, Familiennachzug war nicht gestattet. Insofern 30 ehrenamtliche Träger, Vereine und Initiativen, die gibt es aus der DDR-Zeit kaum Erfahrungen im spezielle Beratungs- und Betreuungsangebote für Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Zuwanderer und andere ausländische Mitbürger ini- tiieren. Im November 2000 führte die Stadt in Koope- Mit dem Ende der DDR änderte sich die Situation voll- ration mit dem Stadtsportbund im Rahmen einer öf- ständig und während die Bevölkerung in der Bundes- fentlichen Präsentation diese verschiedenen Vereine republik sich über Jahrzehnte an den Umgang mit und Institutionen unter der Überschrift „Potsdam be- „Fremden“ gewöhnte, kam für die DDR-Bevölkerung kennt Farbe – gemeinsam für Toleranz, Gewaltfreiheit die Konfrontation unvermittelt. So sind zum Beispiel und ein friedliches Miteinander“ zusammen. Seitdem erst seit 1991 auch die neuen Bundesländer verpflich- gibt es unzählige Aktionen wie Rockkonzerte gegen tet, Asylbewerber aufzunehmen. Sammelunterkünf- Rechts, Ausstellungen, Sportveranstaltungen und Wett- te, Versorgungspflicht durch heimeigene Verkaufsein- bewerbe. Eine erste Bewährungsprobe hatte das Bünd- richtungen und später durch das Wertgutscheinsys- nis im Januar 2001, als auf die Trauerstätte der jüdi- tem belasteten die Kommunen. Die ökonomische Lage schen Gemeinde in Potsdam ein Brandanschlag verübt in den neuen Bundesländern erschweren die Aufnah- wurde. Es gab u.a. einen von Schülern organisierten Stets im Halbschatten der Vergangenheit: Friedrich ist heute Always in the shadows of the past: Today Frederic is a mebereitschaft in der Bevölkerung. Schweigemarsch und mehrwöchige Mahnwachen. ein begehrtes Souvenir Foto: Andreas Süß popular souvenir Photo: Andreas Süß Heute leben im gesamten Land Brandenburg knapp Ein Schwerpunkt der politischen Zielsetzung liegt im 50.000 Ausländer, das entspricht in etwa 2 % der Be- Aufbau des jüdischen Lebens und der Unterstützung sind offen für Zugewanderte und pflegen ein friedli- Entwicklung des Handwerks, der Wissenschaft, Kunst völkerung. In Potsdam liegt der Anteil mit 5,5 % et- der neu gegründeten jüdischen Gemeinde. In Potsdam ches Miteinander. und Kultur und brachten Kapital nach Potsdam. Auch was höher, aber dennoch deutlich unter dem bundes- konstituierte sich – nach 1939 – 1992 die erste jüdi- Das „Edikt von Potsdam“ aus dem Jahre 1685 des Gro- wenn der Gedanke der Toleranz in den verschiedenen deutschen Durchschnitt von 9 %. Die Zuwanderer in sche Gemeinde des Landes Brandenburg. Seit 1990 ßen Kurfürsten ging als bedeutender Meilenstein für Epochen der Politik der jeweils Herrschenden unter- Brandenburg und Potsdam sind Aussiedler, Asylsu- haben 1700 jüdische Zuwanderer aus Osteuropa in Fortsetzung von Seite XI worfen war, so blieb er doch ein Symbol für die Stadt chende, Flüchtlinge, Wissenschaftler, Studierende, EU- Potsdam Aufnahme gefunden. Weitere Religionen und die Entwicklung der Toleranz und guten Nachbarschaft und insofern auch für die Bewerbung als Kulturhaupt- Gewerbetreibende und jüdische Migranten, die vor Weltanschauungen sind Bestandteil der Kommune. Der zwischen Menschen verschiedener Nationen in die stadt Europas 2010. allem aus Polen, Vietnam, der Russischen Föderation, Verein der Muslime, die Russisch-Orthodoxe Kirche, Geschichte ein. Die Einwanderer der Jahrhunderte – der Ukraine und der Türkei kommen. Obschon der pro- die Baha„i-Gemeinde, die Buddhisten, katholische und französische Hugenotten, Niederländer, Schweizer, Die Verfasserin ist Projektkoordinatorin der Kultur- zentuale Anteil von Ausländern in Potsdam sehr ge- evangelische Gemeinden, der Humanistische Verband österreichische Juden, Böhmen, Russen – belebten die hauptstadt 2010 Potsdam GmbH

Potsdam 2010: Understanding By Miriam Weber

Migration is an inevitable part of human history, whe- their temporary home. As a result, very few people in the denburg and Potsdam include repatriated ethnic Germ- to provide a place for public communication among peo- ther it is a result of economic necessity or political, reli- GDR had any experience dealing with individuals from ans, applicants for asylum, refugees, scientists and aca- ple of different backgrounds, where prejudices can be gious, or ethnic persecution. Migration was an unavoi- other cultures. demics, students, businesspeople from the EU and Je- overcome. One successful example is the Brandenburg dable factor in the history of postwar Europe and has With the end of the GDR the situation changed comple- wish immigrants, and come predominantly from Poland, Cultural Society’s garden project. The “Garden of Inte- influenced every country to a greater or lesser degree. tely. Whereas the population of the Federal Republic had Vietnam, the Russian Federation, the Ukraine, and Tur- gration” was started five years ago as a joint project of Indeed, in both parts of Germany whole populations were learned to interact with “foreigners” over the space of key. Potsdam residents and recent immigrants. Located in a forced to flee or were expelled, and in the German De- several decades, for the people of the GDR the confron- Although the percentage of foreigners in Potsdam’s po- neighborhood of postwar prefabricated buildings, it pro- mocratic Republic some groups were resettled for poli- tation was abrupt. In 1991 the new federal states of eas- pulation is quite low, a variety of activities have been vides residents with the opportunity to meet each other tical reasons. However, whereas contact with migrant tern Germany were required to take in their share of in- designed since the early 1990s to integrate them into in the context of garden work, readings, educational ac- workers in the Federal Republic began as early as the dividuals seeking political asylum. Local communities had the city’s social and cultural life. This topic, particularly tivities, and celebrations. 1950s and reached a high point in the 1970s, it was not to deal with the additional burdens of collective hou- sensitive in eastern Germany, plays an important role in Furthermore, in the state capital there are over thirty until the middle of the 1960s that the GDR signed agree- sing and the duty to care for these individuals based on all areas of culture, ranging from religion, music and sport honorary sponsors, clubs and initiatives that have initia- ments to recruit workers from other countries, in parti- a variety of unfamiliar regulations. The precarious eco- to schools and universities. These activities have had ted special counseling and social offerings for immig- cular from Algeria, Cuba, Mozambique, Angola, China, nomic situation in the former GDR made the local popu- considerable success in fostering an intense and open rants and other foreign citizens. In November 2000, both Vietnam, Poland and Hungary. Understanding the diffi- lation even less willing to accept the newcomers. dialogue on the subject. the city and the municipal sport council brought toge- cult circumstances faced by these contract workers pro- Today only 50,000 foreigners reside in the entire state of Together with professional councils on immigration and ther these various clubs and institutions under the rub- vides the key for approaching the situation in Germany Brandenburg, which amounts to about 2% of the popu- integration and various civic institutions serving the ric “Potsdam is true to its colors: together for tolerance, today. Migrants in the GDR were kept isolated from the lation. In Potsdam the ratio is somewhat higher at 5.5%, needs of foreigners the Youth Ministry developed a “lo- anti-violence and peaceful coexistence.” Since then there general population and had short-term employment con- but still far less than the overall average of 9% in the cal plan of action” in 2001. This initiative brings toge- have been countless events, such as rock concerts against tracts; their families were not allowed to join them in Federal Republic as a whole. The immigrants in Bran- ther individuals from a variety of fields and is designed Continued on page XII Europa Kultur Stadt politik und kultur • März – April 2005 • Seite XII

Continued from page XI One focus is to foster Jewish life and culture in the city Catholic, and Protestant congregations, and the Hu- as well as the cultural and economic life of the city. and support the newly re-established Jewish congre- manist Council are accepting of immigrants and coe- Although the idea of tolerance was always subject to right wing activities, exhibitions, sporting events and gation. In 1992 the first Jewish congregation in the xist peacefully. those in power during various periods in the city’s his- competitions. The organization faced its first test of re- state of Brandenburg since 1939 was founded in Pots- The Great Elector’s Edict of Potsdam in 1685 was an tory, it remained an important symbol, and is a touchs- solve in January 2001, when there was an arson attack dam. Since 1990 a total of 1,700 Jewish immigrants important landmark in the history of tolerance and tone of Potsdam’s application as Cultural Capital of on the memorial area of the Jewish congregation in Pots- from Eastern Europe have been welcomed to the city. peaceful coexistence between people of different na- Europe for 2010. dam. In response, schoolchildren organized a silent march The municipality is also enriched by a variety of other tions. The immigrants of many centuries—French Hu- and city residents demonstrated in protest of the crime religions and cultures. The Muslim Council, the Russian guenots, Dutch, Swiss, Austrian Jews, Bohemians, Rus- The author is the project coordinator for Kulturhaupt- for several weeks. Orthodox church, the Baha’i congregation, the Buddhist, sians—helped to invigorate the crafts, science, and art stadt 2010 Potsdam GmbH Mit der Seele atmen... in Regensburg Von Walter Koschmal

Das „Prüler Steinbuch“ (12. Jh.) ist ein frühes Bei- der weiß um solche Fremdheit. Doch nicht um diese spiel deutscher Prosa aus dem Regensburger Kloster geht es, sondern um das Fremde im Eigenen, um das Prüll, das sich auch die Beherbergung von Fremden, verdeckte, das verdrängte Fremde. Das sieht man un- von „Migranten“ zur Aufgabe gemacht hat. Das Buch gleich schwerer. Die Kultur der Migranten wird in Re- erzählt von der heilkräftigen, magischen Wirkung gensburg als fester Bestandteil der eigenen Kultur spür- von Steinen. Einer in Wehen liegenden Frau bindet bar gemacht. Die so zahlreichen täglichen Bemühun- man einen Edelstein, einen Jaspis auf den Nabel, gen so vieler Menschen und Einrichtungen um Inte- um die Geburt zu erleichtern. gration erhalten damit ein breiteres geistiges Funda- ment und eine Vision zugleich. Jahrzehnte später strömen seit 1070 irische Pilger nach In der heutigen „Schottenkirche“ wird durch gälische Regensburg. Sie opfern die Geborgenheit ihrer Heimat Musik das Fremde der Vergangenheit ebenso wieder und tun damit ein Leben lang Buße. In der „Regensbur- hörbar wie in der Gegenwart die fremden Sprachen in ger Schottenlegende“ (um 1250) wird zuerst die Heimat den Straßen der Stadt. Die mittelalterlichen Geschlech- dieser Iren beschrieben, die man „Scotia“ (Schottland) tertürme der Stadt werden von ihren italienischen Pro- nannte. Am Ende der Legende werden die im Stadtbild totypen, abgebildet auf großen Stoffbahnen, überdeckt. auffälligen Quadersteine der Römerbauten von Regens- Fremde Kultur, die über Jahrhunderte nur als eigene burg angesprochen. Noch heute steht in Regensburg die gesehen, gehört wurde, wird so in ihren ursprünglich „Schottenkirche“: Das Bildprogramm ihres Portals ist fremden Elementen wieder erfahrbar. Durch Verfrem- auch heute noch nicht enträtselt. Auch diese fremden dung das Fremdsein spürbar machen! So erkennt man Steine strahlen eine magische Wirkung aus. es als gewachsenen Teil der eigenen Identität. Die Mi- Steine waren und sind für diese Stadt wesentlich. Doch grationen der Gegenwart werden als Bereicherung er- nicht auf diese alten Steine der Kirchen und Klöster lebt. Integration muss nicht erst eingefordert werden. baut die Stadt. Denn sie war - so ein Mönch des Klos- Nationen schaffen sich ihre, sie gegen andere abgren- ters St. Emmeram um 1080 - immer „alt und neu zenden Symbole der Erinnerung. In Regensburgs Wal- zugleich“. Dieser nur scheinbare Widerspruch wird im halla, einem großen Nationaldenkmal, verbindet sich Bildmotto der Bewerbung um die Kulturhauptstadt aber der nordische Name mit der - fremden - Form des Europas 2010 aufgegriffen, in „Steine im Strom“, in südlichen Athener Tempels. Die Stadt identifiziert sich „Steine im Fluss“. Das meint nicht nur die Widerspiege- mit ihren großen Söhnen, Johannes Kepler, Albertus Ma- lung des gotischen Doms im Wasser der Donau, nicht gnus, mit Jehudah dem Frommen (he-Chassid), dem Au- nur die Steine im Strombett. Daraus leitet sich viel- tor des jüdischen „Buchs der Frommen“ (12. Jh.). Sie mehr ein ganzes Kulturkonzept ab. alle waren Migranten mit einem je eigenen europäi- Kultur wird hier als lebendiger Prozess, als Fließen be- schen Netzwerk von Kontakten. Mit diesem haben sie Regensburg: 179 n. Chr. Als römisches Militärlager gegrün- Founded as a Roman fortress 179 a.D., Regensburg nowa- det, heute die am besten erhaltene mittelalterliche Groß- days is one of the best-kept medieval cities in Germany griffen, nicht als festgefügte Kathedrale. Regensburg die Stadt erneuert, altem Denken neue Anstöße gege- stadt in Deutschland Foto: Kulturamt Regensburg Photo: Kulturamt Regensburg war immer schon Kreuzung vielfältiger Bewegungen: ben, die Steine in Fluss gebracht. Migranten tun dies in Fernstraßen Europas stießen hier aufeinander, Königs- Vergangenheit wie Gegenwart. ist - wie Steine im Fluss - niemals endgültig. In einer Europas sollte aber für ein neues Denken stehen, gera- , Heeres- und Handelsstraßen - eine davon war die Das gilt es zu erinnern und erfahrbar zu machen: Nicht Zeit wachsender Internationalisierung und Migration de zur Migration, Modell sein für ein neues Europa, ein Donau. Hier war und ist alles im Fluss, heute vor allem national ausgrenzende Erinnerung prägt dieses Kultur- wird ein Modell für die Akzeptanz des Fremden erprobt: Europa im Fluss. zwischen Ost und West. Doch erst durch das Gemisch konzept; Gegenwart und Zukunft brauchen vor allem vom Kulturvergleich über den Kulturkontakt zum Kul- der Kulturen wurde Regensburg alt und neu zugleich, in der Stadt eine Kultur des gemeinsamen Erinnerns, turaustausch. Kultur, das ist der „Weg der Seele zu Der Verfasser ist Professor der Literaturwissenschaft gestern wie heute. auch an gemeinsame Kultur. Das Judenghetto unter der sich selbst“ (G. Simmel), Kulturaustausch aber ist der im Bereich der Slawistik; Lehrstuhl für slawische Phi- Träger der Kultur sind deshalb immer schon auch Mig- Erde wird vom israelischen Bildhauer Dani Karavan in „Atem der Seele“ (S. Vincenz). Migration ist immer lologie und Leiter des Europaeum; Ost-West-Zen- ranten, irische Mönche, Regensburger Kaufleute im mit- seinen Umrissen auf die Oberfläche projiziert: Die Mi- schon Teil der eigenen Kultur, ihrer Seele. So lässt sich trum der Universität Regensburg telalterlichen Kiew, katholische Wanderbischöfe, Juden, schung der Kulturen wird so heute wieder sichtbar, das das Fremde als Teil unserer selbst begreifen. Fremde die man zwang, aus Regensburg zu emigrieren, Sude- im Dunkel Verschwundene, das Vergessene ins Bewusst- von außen werden dann bereitwilliger aufgenommen. tendeutsche, die heutigen Kontingentflüchtlinge und sein gehoben. Es geht um „nachhaltige“, um tiefgrei- Der Wunsch zusammen zu leben wird gestärkt, nicht viele andere. Kultur und Migration sind nicht vonein- fende, auf Dauer angelegte Projekte, nicht um „events“, die Trennung in Parallelgesellschaften. Das Eigene und ander zu trennen. Ein „holländisches Viertel“ in einer um integrative Symbole der Erinnerung. Innovative Tra- das Fremde werden zu „Steinen im Fluss“. Natürlich Impressum Stadt lässt sich unschwer als fremd identifizieren. Je- ditionsbildung, auch durch integratives Erinnern, das führt ein langer Weg dorthin. Eine Kulturhauptstadt Europa Kultur Stadt Eine Beilage des Deutschen Kulturrates und der Kulturstiftung des Bundes Drawing a soulful breath ... in Regensburg in politik und kultur By Walter Koschmal Herausgeber Deutscher Kulturrat e.V. The 12th-century “Prüll Book of Stones” is an early yet, at the same time, new – both in the past and the pre- networks, they renewed the city, gave new impulses to Kulturstiftung des Bundes example of German prose from Regensburg’s Prüll Abbey, sent. old ideas, made stones flow – something migrants do just a place that also took upon itself the task of providing For this reason, migrants have always been bearers of cul- as much now as in the past. Deutscher Kulturrat accommodation to strangers, to “migrants”. The Book of ture too - Irish monks, Regensburg traders in medieval Kiev, It is this which has to be recalled and transformed into Chausseestraße 103, 10115 Berlin Stones recounts the healing, magical effect of stones, for Catholic itinerant bishops, Jews forced to emigrate from lived experience. This concept of culture is not coined by Tel.: 030/ 24 72 80 14 example, how tying a jasper, a gemstone, around the na- Regensburg, Sudeten Germans, or the present quota of re- a national marginalizing memory; especially in the city, vel of a woman in the throes of labour will ease the birth. fugees, and many others. Migration and culture are indis- the present and the future need a culture of shared me- $ax: 030/ 24 72 12 45 For many decades from 1070 on, Regensburg became a solubly linked. mory, and a memory of shared culture. Israeli sculptor Dani Internet: www.kulturrat.de main destination for Irish pilgrims. In sacrificing the com- A “Dutch quarter” in a city is not hard to identify as foreign. Karavan has projected back onto the surface the outlines E-Mail: [email protected] fort of home, they performed life-long penitence. The “Re- Everyone knows about such foreignness - but this is not of the Jewish Ghetto, long buried under ground, making gensburg Scottish Legend” (recorded around 1250) opens the issue. Instead, our concern is the foreign in what is ours, the blending of cultures visible again today, raising into Kulturstiftung des Bundes with a description of the home of these Irish, a land called a hidden, repressed foreignness, something considerably consciousness the forgotten, long vanished into the dark. $ranckeplatz 1 “Scotia” (Scotland). The legend closes by discussing the harder to find. In Regensburg, the culture of migrants has This is not about “events”, but about “sustainable” pro- 06110 Halle an der Saale cut stones of Roman buildings, a conspicuous feature in become tangible as a fixed part of our own culture. In this jects, permanent and profound, integrative symbols of Tel.: 030/ 24 72 80 14 the city. The “Scots Church” still stands, with the narrati- way, the numerous daily attempts at integration by so many memory. The innovative creation of traditions, and use of $ax: 030/ 24 72 12 45 ve images around its portal still not yet decoded. Foreign people and institutions rest on a broad intellectual founda- integrative memory too, never has an ultimate form – Internet: www.kulturstiftung-bund.de stones too radiate a magical aura. tion and, simultaneously, on a vision. just like stones in flux. E-Mail: [email protected] Stones were and are essential for this city. But the city did In the “Scots Church” today, Gallic music recreates the fo- In an age of increasing internationalisation and migrati- not build on these old church and abbey stones, since it reignness of the past as an audible experience, just as – in on, a paradigm for accepting the foreign is being tested – Redaktion was always – as a monk in the Abbey of St Emmeram the present - foreign languages do on the streets of the from cultural comparison via cultural contact to cultural Olaf Zimmermann (verantwortlich) noted around 1080 – “old and yet, at the same time, new”. city. Medieval patrician towers are covered by their Italian exchange. Culture is, as Simmel remarked, the route the $riederike Tappe-Hornbostel, This only seeming contradiction is taken up in the images prototypes, depicted on large rolls of material. In this way, “soul takes to itself”, but equally, cultural exchange is the Theo Geißler, Gabriele Schulz, used to support Regensburg’s bid to become European foreign cultures, only seen or heard as one’s own for centu- “breath of the soul” (S. Vincenz). Migration is always a Andreas Kolb Capital of Culture 2010: “Stones in Flux” and “Stones in ries, can be re-grasped in their originally foreign elements. part of one’s own culture, and its soul. It is the way we are Flow” do not merely reference the Gothic Cathedral mir- Alienation making the alien evident! Allowing it to be re- able to grasp the foreign as a part of ourselves. Then, fo- Produktion und Layout: rored in the waters of the Danube, nor the stones on the cognised as an inherent part of one’s own identity; experi- reigners from outside will be welcomed more readily; re- ConBrio Verlagsgesellschaft river bed. Instead, from the image they create there flows encing contemporary migration as an enrichment; and in- inforcing the desire to life together and not the wish to Brunnstraße 23, 93053 Regensburg a complete concept of culture. tegration not as a process first needing to be triggered in split apart into parallel societies. The own and the foreign Tel: 0941/ 945 93 0 Culture understood as a living process, a flux, and not, some way. Nations create their own symbols of memory, become “Stones in Flux”. Of course, the road is a long one. $ax: 0941/ 945 93 50 like a cathedral, set in stone. Regensburg was always an establishing them against other neighbouring ones. In But a European Capital of Culture ought to represent a Internet: www.conbrio.de interface where diverse European streams met, an inter- Regensburg’s Walhalla, a main German monument, a Nor- new approach, a new idea, and especially on migration, E-Mail: [email protected] section for main European routes, roads conveying royal dic name is linked with the – foreign – form of a southern provide a model for a new Europe, a Europe in flux. processions, marching armies and the spread of commer- Athenian temple. The city identifies itself with the great Übersetzungen: ce. And one route was the River Danube - a place where sons it has produced: Johannes Kepler, Albertus Magnus, The author is Professor for Slavic Literature; Andrew Boreham, Elizabeth Boshold, everything was and is in flux, today, first and foremost, as Jehudah the Pious (he-Chassid), author of the 12th-centu- Chair of Slavic Philology and Director of the Horst-Dieter Christopeit, Alison Gallup, a gateway between East and West. But the meeting and ry Jewish work “The Book of the Pious”: all migrants, each Europaeum; East-West Centre at the University Steven Lindberg blending of cultures was what made Regensburg old and with their own European network of contacts. Using these of Regensburg