DAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN OLYMPISCHEN SPORTBUNDES [SPORT] FAKTOR 2 I 2010

SPORTVEREIN – AUSLAUFMODELL ODER SCHRITTMACHER? DER METHUSALEM-MYTHOS

SPASS SOLL SEIN [Olympische Jugendspiele in Singapur ] TABU TRANSSEXUALITÄT [Bekenntnisse des Balian Buschbaum ] HÄPPCHEN-MENTALITÄT [Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview ] Versicherungen Vorsorge Risikomanagement

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Walter Schneeloch, Vizepräsident Breitensport/Sportentwicklung des Deutschen Olympischen Sportbundes

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

auch die zweite Ausgabe unseres Magazins Faktor Sport hat ein Schwerpunktthema: Diesmal drehen sich viele Geschichten, Beispiele und Informationen um den Sportverein. Das hat seinen Grund.

Mit seinem Leistungsspektrum erbringt der organisierte Sport - und damit unsere 91.000 Sportvereine - für die Gesellschaft wertvolle Leistungen. Dabei sind Sportvereine am Gemein- wohl orientiert und bilden den Kitt unserer Gesellschaft. Das wird anerkannt.

Auf dieser positiven Bilanz können wir uns nicht ausruhen. Wollen die Sportvereine für die Zukunft gerüstet sein, müssen sie sich dem gesellschaftlichen Umfeld und seinen neuen Heraus- forderungen stellen und diese aktiv gestalten. Wir kennen die Schlagworte des schnellen Wandels wie Individualisierung, Ganztagsschule und vor allem demographischer Wandel. Der Spagat ist Zwischen Tradition und Unab- für den Sportverein schwierig: Auf der einen Seite Festhalten am selbstorganisierten Sport hängigkeit: Das Feld, auf dem sich in der Gemeinschaft des Sportvereins, auf der anderen Seite weitere gesellschaftliche Öffnung Vereine wie der älteste Kanu-Klub Alster CC (Foto oben aus dem Jahre und Modernisierung mit neuen Kooperationen. 1910) und der Hamburger Sportspaß tummeln, ist weit und verändert Der Sportverein als Organisationsform hat viele Veränderungen überlebt. Seine Strukturen sind seine Grenzen ständig so fest, dass er zum wichtigsten Träger unseres Zusammenlebens geworden ist. In manchen Orten ist er die einzige Organisation, die aktiv das Miteinander gestaltet. Aber nur mit dem Verweis auf die erfolgreiche Vergangenheit kann er die kommenden Aufgaben nicht bewältigen. Dazu braucht es auch Anregungen und Mut.

Deshalb nähert sich „Faktor Sport“ dem Thema von vielen verschiedenen Seiten. Hoffentlich unterhaltend, sicherlich informativ und vielleicht auch hier und da provozierend.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. 04 [ Inhaltsübersicht ] Faktor Sport INHALT

Augenblick, verweile [06][34] Spiegelbild Meter x Sekunde [30] [38] Tribüne

06 Aktiver Widerstand 34 Das Leben als 30 Der Sport in mir 38 Hauptsache fröhlich Die verwehrte Ehre der Anderer Nachwuchsförderung Die Olympischen Jugend- Lotti Beckmann Balian Buschbaum ist die Passion von Basket- spiele sollen Leistungssport treibt die Debatte um ball-Ikone Henning und Spaß miteinander Geschlechteridentität an Harnisch. Ein Gespräch verbinden über Vitrinen, Skat und 26 Im Straßenkampf Vereinsleben moderner 42 Vereinnahmtes Prägung Das erfolgreiche Vermächtnis Jugendprojekt des Boxers Rogges Traum wider die Sebastian Tlatlik 48 College statt Verein patriotischen Bestrebungen Das Amateursystem der 36 Vom Wert der US-Hochschulen als Stütze Diskussion des Profisports DBS-Aktivensprecher Rainer Schmidt zur Frage nach der gerechten Bewertung paralympischer Medaillen Faktor Sport [ Inhaltsübersicht ] 05 10 Flutlicht Getriebener oder Antreiber? Der deutsche Sportverein steckt mit beiden Beinen tief im Strukturwandel. Wir blicken auf eine Institution, deren Zukunftsstrategien oftmals besser sind als ihre öffentliche Wahrnehmung 17 Sterne des Sports | 19 Grünes Band | 20–21 Vier von tausenden: []Kurzporträts | 22 Interview: Silvia Glander, Vorsitzende des TV Ratingen []08I 24 I 62 Bewegungsmelder

Vermittlungskunst[44] [52][ Zeitgeist Wechselspiel [54] 58] Profile

44 Seitentausch 52 Zwischen Pulsuhr 54 Coups der guten 58 Am Riemen gerissen Ulrike Spitz, Jens Todt, und iPod Hoffnung Olympiasieger im Philipp Crone, drei Ex- Trendforscher Matthias Vier olympische Partner Achter und Professor für Philosophie: Hans Sportler und ihr Wechsel Horx über Klassensport und ihre Pläne zur und Körperbilder Fußball-WM in Südafrika Lenk oder die Suche vom Training zur Tastatur nach der Anerkennung 6 [ Augenblick, verweile ] Faktor Sport Faktor Sport [ Augenblick, verweile ] 7 ] treiten. bes eutschland zu eutschland ür ein konspiratives Treffen waren zu viele Treffen ür ein konspiratives Zuschauer dabei. 18.000 versammelten sich am 23. September 1956 im Essener Mathias- Stinnes-Stadion. Und doch dokumentiert AKTIVER WIDERSTAND diese scheinbare Allerweltsszene den Fußball- diese scheinbare an, das Untergrund. Hier schicken sich Frauen für D Länderspiel erste Inoffiziell, denn ein Jahr zuvor hatte der Deut- (DFB) den Frauenfußball sche Fußball-Bund Vielleicht ist deshalb der Name des verboten. leicht verlegenen Schiedsrichters nicht überliefert. Auch die Dame links, Spielführerin der nieder- Auswahl, kennen wir leider nicht. Ihre ländischen dagegen wohl: Lotti deutsche Kontrahentin Beckmann spielte seinerzeit für Gruga Essen und schoss das 1:0 zum späteren 2:1-Sieg. Das erste Inoffi- Länderspieltor für die deutschen Frauen. ziell. Der DFB erkennt diese Ehre Doris Kresimon zu, beim 5:1 über die Schweiz am 10. November 1982. Doch vielleicht hat die Elf mit Lotti Beckmann dass wir im Sommermehr dazu beigetragen, 2011 in Deutschland eine Selbstverständlichkeit erleben: der Frauen. die Fußball-Weltmeisterschaft F 8 [ Bewegungsmelder ] Faktor Sport

INTEGRATION MAL 160

Sie sind die Ersten im doppelten Sinn: Die Gewinner des Pilotprojekts „Jugend Trainiert Für Paralympics“ (JTFP). 160 Mädchen und 2 Jungen aus neun Bundesländern nahmen an m der Initiative Teil, die die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Handicap Fläche bedeckt der Pavillon. 6000 Quadratmeter, auf denen Deutschland 6000 vorantreiben soll. Die besten in vier Sport- bei der Weltausstellung in Shanghai das Konzept einer Stadt im Gleich- arten– Leichtathletik, Schwimmen, Tischten- gewicht vorstellt. „Balancity“ lautet der Name des nationalen Expo-Bei- nis und Rollstuhlbasketball – qualifizierten trags, zu dessen Elementen eine Vereinsstätte moderner Prägung zählt. sich für das Bundesfinale vom 8. bis 10. Juni in Kamen-Kaiserau. Der erste nationale Wettbewerb für körperbehinderte Schülerin- Besucher des deutschen Pavillons bewegen sich durch unterschiedlich inszenierte Stadträume. nen und Schüler ist ein Werk der Deutschen Doch bereits vor dem Betreten begegnen die Gäste dem Sportpark des TV 1861 Rottenburg. Behindertensportjugend und der Deutschen Genauer gesagt, blicken sie auf ihn herab: von einer Rampe aus, die sie über einen leicht Schulsportstiftung, angeschoben mithilfe der ansteigenden Weg erreicht haben – der Sportpark ist ein Motiv des Bereichs „Stadtrand“, Deutschen Bahn. Die Wirkung seines Enga- in dem Luftaufnahmen darstellen, wie Urbanität in Deutschland jenseits der Zentren aus- gements versuchte der Partner des Deutschen sieht. Die Aufnahme vom Rottenburger Bau illustriert, wie Vereine zeitgemäße Stadtstruk- Behindertensportverbandes (DSB) dadurch turen befördern können: Der TV macht im Sportpark nicht nur traditionelle Angebote etwa zu verstärken, dass er zu Spenden für JTFP im Turnen, der Leichtathletik und im Volleyball, sondern hat dort auch Trendsportarten aufrief und sie durch Bahn-Bonuspunkte und eine Bewegungslandschaft für Kinder untergebracht. prämierte.

„Es ist durchaus erstrebens- ENGAGIERTE BEKOMMEN RAT wert in einer Stadt zu leben, wenn sie sich in Balance befindet“, lautet die Botschaft Der Bundesverband Deutscher Stiftungen des deutschen Pavillons. (BDS) hat einen Rechtsratgeber Ehrenamt Sport spielt dabei eine und bürgerschaftliches Engagement heraus- wichtige Rolle. Die Expo in Shanghai ist vom 1. Mai bis gegeben. Dass das „Standardwerk“ (BDS) 31. Oktober 2010 geöffnet womöglich tatsächlich „längst überfällig“ ist, wie die Stiftung behauptet, könnte man aus der Größe der Zielgruppe ableiten: Die durch Tipps, Beispiele und Vorlagen ange- KLETTERN ZU DEN RINGEN MARKETING-SCHUB FÜR MÜNCHEN reicherten Informationen sollen für mehr als ein Drittel der Bundesdeutschen bedeut- Sportklettern wird möglicherweise olym- Die Bewerbungsgesellschaft München 2018 for- sam sein, von nichtangestellten Trainern pisch. Eine Voraussetzung erfüllt die ciert ihr Marketing. Wenige Wochen, bevor das und Übungsleitern bis zum ehrenamtlichen International Federation of Sport Climbing IOC am 22. Juni die Candidate Cities für die Vorstand. Autor Burkhard Küsterma nn (IFSC) seit Vancouver: Bei einer Sitzung übernächsten Winterspiele benennt, stellte die beantwortet unter anderem Fragen zu am Rande der Winterspiele nahm das IOC GmbH Stefan Bruckner (Direktor) sowie Claus Haftungsrisiken, zum Unfall- und Sozial- die IFSC in Form einer „Full recognition“ Gröbner (Cross-Marketing und Kooperationen) versicherungsschutz, zu einkommens- als offizielle Vertretung der Sportart auf. für diesen Geschäftsbereich vor. Zugleich kün- steuerlichen Dingen oder zum Verhältnis Theoretisch könnte die Disziplin schon 2020 digte sie an, die Zusammenarbeit mit der Deut- zwischen Beruf und Freiwilligentätigkeit. zum Programm von Sommerspielen gehören. schen Sport-Marketing (DSM) zu verstärken. Küstermann leitet die Initiative Bürgerstif- Bei einer Hauptversammlung Ende Februar Das passt: Der 48-jährige Bruckner war zuvor tungen im genannten Bundesverband und sprachen sich die IFSC-Mitglieder dafür regelmäßig für die Vermarktungsagentur des ist Lehrbeauftragter „Recht für Nonprofit- aus, 2013 einen entsprechenden Antrag zu DOSB tätig. Gröbner (36) kommt von Eurosport Manager“ an der Berliner Hochschule für stellen. Die Chancen für eine Aufnahme Media. Zusätzlich geht die DSM-Mitarbeiterin Technik und Wirtschaft. Sind Sie interessiert? beim ersten Versuch scheinen allerdings Christiane Krauter (33) nach München, um die Unter www.dosb.de/faktor-sport werden eher gering. Vermarktung für 2018 zu unterstützen. Ratgeber verlost. Für viele Sportler der beste Start vor dem Start.

Fairness und Teamgeist, Erfolg durch höchste Leistungsbereitschaft: Lufthansa und der Sport teilen dieselben Werte. Denn im wirtschaftlichen Wettbewerb ist es kaum anders als im sportlichen Wettkampf. Es zählen unbedingter Einsatz und der Wille, immer noch ein bisschen besser zu werden. Bei so viel Nähe ist es nicht verwunderlich, dass Lufthansa bereits seit vielen Jahren verlässlicher Partner des deutschen Sports ist – und bevorzugte Airline vieler Spitzensportler. Unser breites Engagement hat uns zu etwas ganz Besonderem gemacht: zur Airline des Sports.

www.lufthansa.com 10 [ Flutlicht ] Faktor Sport Faktor Sport [ Flutlicht ] 11

DIE LEGENDE VOM ABGANG

Seit Jahren wird dem Sportverein die große Erosion prophezeit. Vorläufig aber verhält sich die Institution wie ewiges Eis: Sie verändert sich, ohne kleiner zu werden. Die Frage ist, was passiert, wenn die Temperaturen anziehen. Vor allem der demographische Wandel und Personalfragen erhöhen den Handlungsdruck. TEXT: NICOLAS RICHTER 12 [ Flutlicht ] Faktor Sport

an hört und staunt. Und man ahnt: Hier ist er auch nicht, der M Abschwung. „Im Moment stehen wir auf gesun- den Beinen“, hat Hendrik Stiller geantwortet. Die Frage war, in welchem Allgemeinzustand sich der SV Eintracht 09 Salzwedel befinde und wie das sei mit den Faktoren, die deutsche Sportvereine angeblich so bedrängen: Geburtenrückgang und geld- knappe Kommunen. Kommerzielle Kon- kurrenz und Ganztagsschulen. Kindliche Bewegungsscheu und allgemeine Individuali- sierung. Et cetera.

Hendrik Stiller, 36 Jahre, Familienvater und Leiter der örtlichen Sparkasse, sitzt Eintracht Salzwedel seit 2007 vor. Seine spontane Reaktion reiht sich ein in die Echos anderer Vereinschefs, ob in Bad Reichen- hall, in Budenheim bei Mainz, in Essen, in Ratingen. Uns geht’s ganz gut, so klang es auch dort. Trotzdem: Man stutzt. Das hier ist Salzwedel, eine Kleinstadt am nördlichen Rand von Sachsen-Anhalt. Ihr ist neben Baum- kuchen und altmärkischer Hochzeitssuppe eine ausgeprägte Strukturschwäche eigen. Abwanderung vertieft die Folgen sinkender Geburtenraten.

Und im nächsten Satz sagt Stiller: „2007 hatten wir 460 Mitglieder. Jetzt bewegen wir uns auf die 600 zu.“

Was denn nun? Verbreiteten Annahmen zufolge sollten die Mitglieder- bestände gemeinnütziger Sportanbieter abschmelzen wie Gletscher in Zeiten der Klimaerwärmung. Manch Beitrag, manch Prognose jüngerer Vergangenheit lasen sich, als breche dem Vereinswesen die Lebensgrundlage weg wie dem Eisbär das Eis. Natürlich beweisen Stichproben nicht das Gegen- teil. Unterlegt man sie aber statistisch, ergibt sich vielleicht ein Gesamtbild. Faktor Sport [ Flutlicht ] 13

KNAPP10 % DER VEREINSMITGLIEDER HABEN EINEN MIGRATIONSHINTERGRUND,2 ein Drittel sind Frauen. In der Gesamt- bevölkerung liegt der Migrantenanteil bei 19 % (2008), Tendenz steigend

FAST 3,7 MIO. MENSCHEN ÜBER 60 JAHRE ZÄHLTE DER DOSB 2009, rund 42 Prozent mehr als im Jahr 2000. Die Altersgruppe gilt als einzige mit langfristigem Wachstumspotenzial.

CHANCEN SCHWINDEN, tum, sie macht es – vorläufig – nicht rück- 38.300 VEREINE, CHANCEN WACHSEN gängig. Andreas Klages, stellvertretender ENTSPRECHEND 42,3 %, BESASSEN Direktor Sportentwicklung beim DOSB, laut dem letzten Sportentwicklungsbericht1 Statistik also: Im Deutschen Olympischen präzisiert: „Es gibt unterschiedliche Strö- EIGENE ANLAGEN. Knapp jedem Zehnten (8600) gehörte eine Turn- und Sporthalle. Sportbund (DOSB) waren 2009 genau mungen, die sich im Moment gegenseitig 90.897 Vereine registriert, das entspricht ausgleichen.“ dem Niveau der Vorjahre und einem leichten Plus gegenüber 2000. Für die vom DOSB Chancen schwinden und entstehen oft 34 % DER 52.600 VEREINE, gemeldeten Gesamtmitgliederzahlen gilt parallel, das übersehen Untergangspropheten die kommunale Sportstätten nutzen, Ähnliches, und auch wenn die Summe der vielleicht. Zum Beispiel alternde Gesell- MÜSSEN DAFÜR WEDER BEZAHLEN NOCH SONSTIGE Vereinsangehörigen etwas niedriger liegt schaft: Senioren werden mehr, sie werden GEGENLEISTUNGEN ERBRINGEN.2 (manch DOSB-Mitglied ist nicht im Verein, fitter und unter dem Einfluss von Gesund- Die Tendenz ist – wieder – andere gehören zweien an), ändert das nichts heits- und Wellnesstrend sportlicher. Men- leicht steigend. am Trend. schen über 60 treten heute relativ häufiger Vereinen bei als etwa in den 90er Jahren, In Prosa kann man es wohl so übersetzen: Die ebenso wie Kinder und Jugendliche. Ergeb- veränderten Strukturen haben bisher nicht nis: Obwohl der Anteil sportlich organi- 1 Auszug aus dem Sportentwicklungsbericht (SEB) die zersetzende Wirkung auf die deutsche sierter Erwachsener im Alter von 19 bis 60 2007/08 des DOSB, erarbeitet an der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln Vereinslandschaft, die bisweilen behauptet gesunken ist, nimmt dieser Anteil in der 2 Vorauszug aus den Studien für den noch nicht wird. Die äußere Entwicklung bremst Wachs- Gesamtbevölkerung zu. --› erschienenen SEB 2009/10 (Quelle: DSHS) „Die veränderten Strukturen haben bisher nicht die zersetzende Wirkung auf die deutsche Vereinslandschaft, die bisweilen behauptet wird.“ 14 [ Flutlicht ] Faktor Sport „Der Strukturwandel, (…), ist ja nicht von einem Tag auf den anderen erschienen.“

Denn viele Vereine und breiter geworden. Hier der Freizeitan- sind mit den Ansprü- bieter TG Bornheim in Frankfurt, der von chen gewachsen. Der 500 Mitgliedern im Jahr 1981 auf 18000 Strukturwandel, dieses gewachsen ist und 184 Angebote macht, von vielarmige, etwas schlei- Akkordeonspielen bis „Zumba-Fitness“. erhafte Wesen, ist ja nicht Dort der Berliner Verein Frauensport und von einem Tag auf den ande- Kampfkunst, der integriert Karate für Behin- ren erschienen, unangekün- derte und Nichtbehinderte lehrt. Christoph digt wie eine Schlechtwetter- Breuer sagt: „In Deutschland ist heute alles front in vormedialer Zeit. Er möglich.“ Er meint: Jedes Vereinsmodell. bildete sich aus, in einem Detail schneller, im anderen langsamer. DER BEITRAG DER Er stellte Fragen, aber nicht alle WISSENSCHAFTLER gleichzeitig. Und er verlangte nicht sofort umfassende Antworten. Breuer hat den Röntgenblick. Der Inhaber des Lehrstuhls für Sportmanagement an der Nicht wenige Vereine haben sich program- DSHS verfasst die Sportentwicklungsbe- matisch, auch physisch erweitert und verfei- richte des DOSB: zweijährliche Studien, die nert. Sie agieren hier unternehmensähnlich, seit 2005 den Zustand des deutschen Vereins- dort wie eine Feuerwehr der Zivilgesellschaft. wesens in diversen Details beschreiben. Sie ermöglichen Kurse und befristete Mit- Man kann daraus etwa lesen, dass Vereine gliedschaften, sprechen Senioren und Babys mehr Einnahmen haben, für Breuer kein so gezielt an wie Herzkranke und Rollstuhl- gutes Zeichen: „Offenbar erhöhen viele die fahrer, Migranten und Frauen, Extrem- und Mitgliedsbeiträge. Das ist das einfachste – ja, auch das – Nichtsportler. Viele unter- Mittel, um steigende Kosten und sinkende halten Fitnessstudios, manche Schwimmbä- öffentliche Förderung zu kompensieren.“ der und Kindergärten, viele kooperieren mit Vielerorts verteuert sich etwa die Sport- Schulen, manche mit Seniorenheimen und stättennutzung, ob die Immobilie dem Verein Krankenkassen. Einige Vertreter dieser gehört oder der Kommune. Avantgarde erscheinen im Vergleich mit den 80er Jahren, modernisiert wie die Antriebs- Die Arbeit von Breuer und sportsoziologi- konzepte von Autos: Hybrid statt Vergaser. schen Kollegen zeigt: Soziale, wirtschaft- liche, kulturelle Veränderungen werden die Es gibt auch die andere Seite. Vereine ver- Vereinsentwicklung in den kommenden kleinern sich, schließen Abteilungen, grün- Jahren stärker als bisher prägen, voran der den Spielgemeinschaften, ein paar geben auf. Geburtenrückgang (siehe Seite 15). Den Weitere bleiben, wie sie immer waren. In der Schaltstellen des Sports obliegt es, die Summe ist das riesige Sport-Feld noch bunter Erkenntnisse an die Basis zu tragen. --› Faktor Sport [ Flutlicht ] 15 STAGNATION AUF HOHEM NIVEAU DIE ENTWICKLUNG DER VEREINS- UND MITGLIEDERZAHLEN IM DOSB Mitglieder (in Mio.) 27,55 Graphen lügen nicht. Der jahrelange Anstieg Anzahl der Vereine (in tausend) 27,28 27,34 27,44 26,82 der Mitglieder- und Vereinszahlen im natio- nalen Sport hat Stagnation Platz gemacht – die eine komplexe Entwicklung überdacht: 23,78 Der Anteil sportlich organisierter Frauen und Mädchen an der Bevölkerung etwa hat seit 1996 von 20,4 auf 22,6 Prozent zugenommen, bei den Männern fror er praktisch ein (35,3 auf 35,4 Prozent). Und: einem Rückgang der vom Sport mobilisierten jungen Erwachsenen 16,92 (19 bis 26) steht ein dickes Plus bei Kindern (0 bis 14 Jahre) und Menschen jenseits der 60 gegenüber. 90,305 91,091 90,775 90,897 87,052 Insgesamt stieg der Organisationsgrad, ent- 10,12 scheidende Variable in Zeiten schrumpfender 67,984 Bevölkerung, von 27,66 (1996) auf 28,89 Prozent (2009). Diesen Trend müssten die Vereine 5,27 53,451 Richtung 30 Prozent fortsetzen, um ein Mit- gliederbröckeln zu verhindern. Das jedenfalls 39,201 prognostizieren Sportsoziologen mit Blick auf demographische Prozesse. 3,2 29,486 19,874

Quelle: DOSB Basis: addierte Zahlen der LSB plus von diesen 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2004 2007 2008 2009 nicht erfasste Mitglieder der Fachverbände

DRÄNGENDE PERSONALFRAGEN RANGFOLGE DER PROBLEME VON DEUTSCHEN SPORTVEREINEN, NACH DURCHSCHNITTSWERT (5=Sehr großes Problem; 1=kein Problem) Bindung/Gewinnung 3,11 (Veränderungsindex --> 2007 = 0; ehrenamtlicher Funktionsträger (-4,3***) keine Angabe = nicht erfasst 2007/08) Bindung/Gewinnung 3,05 jugendlicher Leistungssportler Während sich die Dachorganisationen Bindung/Gewinnung von 2,89 Perspektivfragen widmen, müssen Vereine Übungsleitern und Trainern den Betrieb steuern. Nichts bewegt sie laut einer für den DOSB-Sportentwicklungs- Bindung/Gewinnung von 2,83 bericht 2009/10 erhobenen Umfrage so wie Kampfrichtern bzw. Schiedsrichtern (n.e.) Personalangelegenheiten. Bindung/Gewinnung von 2,69 Mitgliedern (+2,7**) Jenseits des Dargestellten bewerteten die Anzahl an Gesetzen, 2,63 Vereine unter anderem Sorgen wie die Un- Verordnungen, Vorschriften (+7,3***) klarheit der Vereinsperspektive (Mittelwert 2,63 2,03), die Konkurrenz durch andere Vereine Kosten des Wettkampfbetriebes (1,91) und die durch kommerzielle Anbieter (+10,8***) (1,65). Letztere Sorgen sind im Vergleich zu Demografische Entwicklung 2,48 2007/08 deutlich größer geworden – wie die in der Region (+5,9***) wegen der Betriebskosten. Zeitliche Auswirkungen von Ganztags- 2,36 schulen und G8 auf den Trainingsbetrieb (n.e.)

2,31 Finanzielle Situation

2,18 Zeitliche Verfügbarkeit der Sportstätten (+7,5***)

Erhebungszeitraum: 1.10. – 20.12.2009 2,16 Zustand der genutzten Sportstätten Basis: 19.345 deutsche Sportvereine (+6,3***) Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln / Vorauszug Sportentwicklungsbericht (2010) Größe des Problems --> 1 2 3 4 5 16 [ Flutlicht ] Faktor Sport

„Manchmal schließen die Umstände In der Tat weiten der Ein Sonderbeitrag der Mitglieder und Ein- Dachverband und vor sparungen etwa bei den Fahrtkosten schufen allem die LSB ihre Bera- teilweise Kompensation. Den Rest halfen strategisches tungs- und Förderaktivitä- Freiwillige abzutragen, auf die eine oder ten seit Jahren aus. Überge- andere Art. Stiller: „Es waren wenige, aber ordnetes Ziel ist es, das demo- die haben richtig angepackt.“ Jüngst hat der Handeln aus.“ graphiebedingt schrumpfende gesundete Verein auch noch die Kürzung der Reservoir stärker auszuschöpfen, LSB-Zuschüsse von 8000 auf 4000 Euro um die absoluten Mitgliederzahlen aufgefangen. dauerhaft auf aktuellem Stand zu halten. Klages spricht im Gegensatz Der Mitgliederzuwachs hatte mit Zufall zu zu den mahnenden Soziologen gar von tun: Ein Nachbarverein sah sich ausgeblutet, Ausbau, obwohl sein Eindruck ist: „Es die Eintracht nahm die Tischtennisspieler hat sich einiges bewegt, aber manche auf. Darüber hinaus dehnte sie die stimulie- Vereine unterschätzen noch die Dynamik, rende Wirkung der Fußball- WM 2006 und mit der die Veränderung vonstatten geht. Sie der Handball-WM 2007, indem sie Koope- werden erst auf akuten Problemdruck reagie- rationen mit Schulen einging. Dieser Teil, ren. Es braucht zukünftig noch stärker demo- ja, ist Strategie: „Wir wollen das ausbauen“, graphiesensible und strategiefähige Vereine.“ sagt Stiller, „anders können wir die Folgen der demographischen Entwicklung nicht Manchmal aber schließen die Umstände strategi- kompensieren.“ sches Handeln aus. EINE STRATEGIE DES WEITER SO Hendrik Stiller kennt den Strukturwandel wie aus Nahaufnahmen, auch jenseits des demographischen Lokale Bedingungen ausleuchten, Wünsche Moments: Das Problem mit der Sportstätte, die schwie- der Mitglieder studieren, Netzwerke knüp- rige Akquise Ehrenamtlicher, steigende Kosten. Wunder- fen: Wo sie es nicht getan haben, werden sam freundlich klingt seine Geschichte nur in isolierten Vereinschefs das wohl tun müssen. Erfolg, Auszügen. Um ihr gerecht zu werden, muss man sie ganz sagt Klages, muss keine Frage der Größe anhören. sein. „Erfolgreich ist der Verein, der sich auf sein Umfeld einstellt, Ziele setzt und Stillers Einstieg war hart. Als der Salzwedeler Ex-Kicker 2007 diese erreicht.“ ins Funktionärsamt wechselte, sah er sich durch eine Steuernach- zahlung überrascht, die den finanziellen Druck auf den Verein in Denn verketten sich die äußeren Einflüsse den Grenzbereich steigerte; in den Jahren zuvor hatte die Stadt ihren mancherorts derart, dass sie den Organisa- traditionellen Zuschuss zu den Betriebskosten des Sportplatzes – tionen die Luft abdrücken, kennt man sie heute 15.000 Euro per anno – peu à peu zurückgefahren. „Wir waren anderswo tatsächlich nur aus der Zeitung fast pleite“, sagt Stiller. oder dem Fernsehen. Faktor Sport [ Flutlicht ] 17

Wer „kommt“ wird belohnt: T-Shirts Wenn die Sterne glitzern, können sich engagierte Vereine freuen. Preisverleihung im des LSB Sachsen vergangenen Jahr in Berlin

HILFE VON OBEN ENGAGEMENT TRÄGT STERNE

Das Ziel ist: Den Zulauf zum Vereinssport auf Dauer zu Sie haben den Rhythmus im Blut. Adrian Schmitz und Manuela Feith halten – mindestens. Der DOSB und seine Mitgliedsor- schweben über das Parkett. Dass beide blind sind, lässt sich nur erahnen. ganisationen teilen sich den Job, ein entsprechendes Dass sie sehr gern tanzen, sieht man deutlich. Umfeld zu schaffen. Die Zentrale lenkt die Lobbyarbeit, setzt Rahmenbedingungen, Impulse, Themen: bei Ver- Das Duo nutzt ein Angebot des Polizeisportvereins (PSV) Saar für chronisch anstaltungen, in Form von Projekten zu Themen wie Kranke und Behinderte. Es ist ein besonderes Angebot, bundesweit einma- Klimaschutz, Integration von Migrantinnen et cetera. Er lig. Einige Tänzer würdigen es, indem sie aus dem benachbarten Rheinland- vermittelt zudem zwischen den Mitgliedsverbänden, teilt Pfalz anreisen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die hier mit, was dort gut läuft. Speziell die Landessport- Volks- und Raiffeisenbanken haben den PSV mit einem „Großen Stern des bünde, aber auch Fach- und andere Verbände beraten Sports“ in Gold und, damit verbunden, 10.000 Euro belohnt. und informieren die Vereine durch Programme, Aktio- nen, Veranstaltungen jeder Art. Chronisch krank, aber dennoch Der LSB Sachsen zum Beispiel belohnt Vereinsnovizen sportlich: die mit 50 Euro und einem T-Shirt. Die Kollegen in Nieder- sehbehinderten sachsen bilden seit zwei Jahren Berater aus, die Vereinen Adrian Schmitz (und Fachverbänden) bei Fragen aller Art helfen sollen. (m.) und Manuela Und in Nordrhein-Westfalen hat der mit 20.000 Verei- Veith (r.) vom nen größte LSB im Februar einen ersten Sportkongress ausgezeichneten PSV Saar veranstaltet: „Zukunft.Sport.Verein“.

Budenheim ist ein rheinhessischer Ort zwi- schen Dorf und Kleinstadt. Statt Hochzeits- „Sterne des Sports“ betitelt eine Aktion, an der sich seit 2004 alle den suppe und Baumkuchen gibt’s Obst und Sportbünden angeschlossenen Vereine beteiligen können. Sie zeichnet Blüten, statt Strukturschwäche befruchtende hervorragendes soziales Engagement mit Geld, Ehre und Aufmerksamkeit aus. Bei der Preisverleihung im Februar in Berlin war die Bundeskanzlerin Nähe zu Mainz und Frankfurt, und der zugegen, eine Reihe von TV-Sendern berichtete. demographische Wandel ist ein Fremdling. Hier ist eine Turngemeinde zuhaus. Sie hat Medienkontakte sind wichtig, nicht nur für Veranstalter und Preisträger. 1083 Mitglieder und aktuell keine(n) Vor- Durch sie können sich simple, zukunftsträchtige Ideen verbreiten, wie man sie beim TSV Ellern im Rheinland hatte. Zusammen mit sechs Nachbarver- sitzende(n). einen stellte der von sinkenden Mitgliederzahlen und knappen Kassen ge- plagte TSV ein Breitensportangebot auf die Beine, das Zusammenhalt und Die frühere Amtsträgerin hörte gesund- Knochen stärkt: Jede Gruppe bietet eine Sportart an, die alle Mitglieder der Kooperation kostenlos nutzen können. heitsbedingt im März auf. Wenn Beisitzer Jürgen Mehner die Reaktion des Vorstands Mit dem Projekt setzte sich der Verein gegen mehr als 2500 andere Bewer- erklärt, klingt das wie die Übertragung ber durch. Lohn für den Verein: 7500 Euro. Lohn für den Sport: Das Prinzip professioneller Mechanismen auf Vereins- Kreativität strahlt künftig ein bisschen heller. (kl) strukturen. „Wir haben nach Ankündigung des Rücktritts eine Task Force gegründet. --› 18 [ Flutlicht ] Faktor Sport „Irgendwann muss ich mich entscheiden, ob ich wachsen oder Sie machte Das Mitar- 32,4 % den Vorschlag, beiterthema DER VEREINE BESCHÄFTIGTEN die Aufgaben schlägt die 2007/081 BEZAHLTE MITARBEITER. auf mehrere klein bleiben Brücke: nach Der Anteil festangestellter Führungskräfte erreichte 4,4 Prozent. Schultern zu ver- Sachsen-Anhalt teilen. Jetzt ist jedes und in den Rest Vorstandsmitglied will.“ der Republik. Hen- Ansprechpartner für drik Stiller kann sich 1,85 MIO. FREIWILLIGE einen unserer fünf Aus- nicht vorstellen, wo in ARBEITEN FEST IN VEREINEN.2 schüsse. Als Adresse für ein paar Jahren sein Der Trend scheint auf Vorstandsebene sinkend, bei Trainern, Schiedsrichtern etc. Mitglieder- und Außen- Nachfolger herkommen steigend. Punktuell helfen rund anfragen haben wir außer- soll. „Wir können ja kaum 7 Millionen Personen. dem klarer als bisher die jemanden dazu bewegen, Geschäftsstelle deklariert.“ nach dem Ende des aktiven Sports Übungsleiter zu wer- Strategisches Handeln fällt leich- den.“ Und Silvia Glander sagt 27 % DER VEREINE ter, wenn Raum zur Bewegung im Namen des von ihr geführten KOOPERIEREN MIT SCHULEN,2 besteht. Kämpfe mit der Kommune Großvereins TV Ratingen: „Für allein jeder Fünfte hat eine Grundschule finden in Budenheim nicht statt, schon eine Veranstaltung oder ein Projekt zum Partner. Mit anderen Vereinen arbei- gar nicht wegen der Sporthalle: Sie findet sich immer jemand. Aber wir ten rund 20, mit Kindergärten knapp gehört dem Verein. Ein Umbau des stoßen an Grenzen, wenn es um Ämter 12 Prozent zusammen. Foyers steht an, kein Grund zur Sorge: geht, die Zeit und besonderes Engage- Förderanträge und Spendenaufrufe jüngerer ment erfordern.“ Vergangenheit brachten die erhofften Echos, JEDER 2. VEREIN (50,5 %) und eventuell übernimmt die Gemeinde einen Es liegt nah, auf die Individualisierung zu MACHT NICHTMITGLIEDERN Teil der Kosten. verweisen: Zeit-, Energie- und wohl auch 2 MINDESTENS EIN KURSANGEBOT, Lustbudgets des Einzelnen schrumpfen, das das ist über die Hälfte mehr als 2007. Kurse machen inzwischen über ein Drittel Eingriffe anderer Art sind nicht geplant, sagt Image von Herrn Vereinsmeier tut das Seine. der Sportangebote aus. Mehner. „Wir sehen keinen Zwang, neue Hinzu kommt: Die Einstiegshürde für Neu- Konzepte zu entwickeln. Unser traditionelles linge ist höher als früher, zumal da, wo das Angebot kommt gut an.“ Die Mitgliederzahl Angebot erweitert wurde. ist auch ohne Fußball oder Handball stabil, 2 Vorauszug aus den Studien für den noch nicht vollbesetzte Kindergruppen inklusive. Für Ein vielleicht einmaliges System ächzt. Noch erschienenen SEB 2009/10 (Quelle: DSHS) die Neubesetzung der Spitze ist rechtlich ein geht es dem Sport eher besser als anderen Jahr Zeit, persönliche Gespräche mit Kandi- gemeinnützig organisierten Gesellschafts- daten brachten bisher keinen Erfolg. Ein bereichen. Klages sagt: „Als Verband muss Experte gab zudem den Tipp, die Personal- ich zunächst mal würdigen, dass es über 8 verantwortung künftig klar zuzuteilen. Millionen Ehrenamtliche gibt. Wenn uns Faktor Sport [ Flutlicht ] 19

Durchschlagender Erfolg: Die Cheerleaderinnen des SC DHfK Leipzig freuen sich über das „Grüne Band“ 2009

Delegationen aus Asien besuchen, fragen sie VON BÄNDERN UND SCHNÜREN mich immer, wie wir das machen.“ Neue Trikots, längere Ausflüge, bessere Trainingsbedingungen – und den Motivationsschub gibt’s dazu. Wenn ein Verein mit dem „Grünen Band“ Aber was können betroffene Vereine tun? ausgezeichnet wird, kann Nachwuchsarbeit noch größer geschrieben Königsweg ist nicht, klar. Klages definiert werden. eine „Sollbruchstelle“: mittelgroße Vereine in Ballungsgebieten mit 1000 bis 3000 Mit- Seit 24 Jahren gibt es den mit 5000 Euro dotierten Förderpreis von Deut- schem Olympischen Sportbund (DOSB) und Commerzbank, mit dem bis gliedern, zu groß für rein ehrenamtliche, heute rund 190.000 Kinder und Jugendliche in fast 1500 Sportvereinen mit nicht potent genug für hauptberufliche insgesamt 7,5 Millionen Euro unterstützt wurden. Gelder, die für die Akti- Strukturen. Silvia Glander hält Grundsatz- ven, die in engen Hallen turnen oder an veralteten Geräten üben, oft genug einer greifbaren Veränderung entsprechen. So starteten die jungen Gewicht- debatten ab etwa 2000 Mitgliedern für heber des Sportvereins Germania Obrigheim vor kurzem neu eingekleidet unausweichlich. „Irgendwann muss ich mich zum Trainingslager nach Österreich. „Dinge, die wir uns ohne das Grüne entscheiden, ob ich wachsen oder klein blei- Band nicht ohne weiteres hätten leisten können“, sagt Jugend-Abteilungs- ben will.“ So war das etwa bei MTG Horst leiter Franz Hauß. Essen: Vor einigen Jahren habe der Verein im Die Finanzspritze ermöglicht den Vereinen ein Face-Lifting, aber das allein Zuge einer ABM-Maßnahme einen Mitar- würde ihre Attraktivität nur oberflächlich steigern. Die wichtigste Arbeit beiter angestellt, erzählt Geschäftsführer absolvieren die Preisträger vor der Kür. Systematische Talentförderung, so- Eiko Rümker. „Von da an sind wir stetig ziale und pädagogische Aspekte, Ernährungsberatung und Dopingpräven- tion sind nur einige der Kriterien, auf die die Jury ihre Entscheidung stützt. gewachsen.“ Nicht nur personell, sondern umfassend. (siehe Reportage Seite 26). Aufmerksamkeit hingegen ist eine Folge, keine Voraussetzung der Teilnahme. Das Grüne Band schmückt potenziell auch Abteilungen, die den Nachwuchs für eher unbekannte Sportarten gewinnen. Dem Casting-Team des SC Bo- So weit wird Eintracht Salzwedel nie kommen, russia Friedrichsfelde – Casting ist Zielwerfen mit Angeln – bescherte das sagt Hendrik Stiller. Der Verein verlangt ihm Grüne Band große Öffentlichswirkung und den Kontakt zu einer benach- monatlich 30 bis 40 Stunden ab, in Spitzen barten Schule. mehr. Ohne Toleranz seiner Familie ginge das (kl) nicht. Hauptberufliche Angestellte, selbst auf 400-Euro-Basis? „Bei uns absolut undenkbar.“ So undenkbar wie etwa ein Fitnessstudio zur Querfinanzierung anderer Angebote. Zwei starke Frauen als Hier geht es nicht um Modernisierung, es Botschafterinnen geht um Bestand. „Wir hangeln uns von Tag für den Vereins- wettbewerb: zu Tag und freuen uns über jeden einzelnen, Hochspringerin an dem wir noch am Leben sind“, sagt Stiller. Ariane Friedrich Je länger man der Geschichte seines Vereins (l.) und Fußball- Nationalspielerin lauscht, desto schwermütiger wird sie. Zum Birgit Prinz Glück ist sie nur eine von über 90.000. ] 20 [ Flutlicht ] Faktor Sport

JEDER IST

DER DINO IST GERETTET

Sie hatten das Ende vor Augen. Der Name ANDERS des ältesten Sportklubs der Welt wäre aus GEMÜTLICHE OPTIMISTEN dem Vereinsregister gestrichen worden, hätten nicht 70 Gläubiger im Dezember Die deutsche Vereinslandschaft In Bad Reichenhall meldet die Lokalzeitung, 2008 auf ihre Forderungen in Millionenhöhe ist weit wie die Tundra, wenn ein Fahrrad gestohlen wird. Modernes verzichtet. Das Beinahe-Ende der Hamburger aber viel abwechslungsreicher. brandet hier, am Saum der Alpen, selten Turnerschaft von 1816, genannt HT 16, war zuerst an. Erst seit 2005 hat das bayerische über die Jahre gekommen; Mitgliederzahlen Faktor Sport erzählt vier Staatsbad eine zeitgemäße Therme, und dem sanken, man verhob sich bei Investitionen. Geschichten von tausenden, pro größten örtlichen Sportanbieter namens TSV Bei der HT 16 im Stadtteil Hamm gab es die Himmelsrichtung eine. 1862 fehlte bis vor einem Jahr eine Geschäfts- erste Koronarsportgruppe Deutschlands und

TEXT: NICOLAS RICHTER stelle. Nun schließt sich ans Tennisheim ein das erste Fitness-Studio in Vereinsbesitz, hübscher, flacher Anbau an, in dem die 1800- doch das zählte in der Krise nicht. Mitglieder-Organisation verwaltet wird, vor- erst ehrenamtlich. „Den Bürokram kann man HT 16 lebt. Seit Januar 2009 gibt es eine heute nicht mehr nebenbei erledigen“, sagt neue und professionelle Führung. Dass die der Vereinschef. Sanierung aus dem Klub heraus gelang, HT16 macht Geschäftsführer Andreas Wolff stolz. Josef Dennerl, seit 23 Jahren Vorsitzender, Der Vorsitzende Sven Dahlgaard, Finanz- ist kein Sendbote des Fortschritts, eher ein vorstand Torsten Schulz, Wolff und eine TuS Haltern gemütlich-unverbissener Charakter. Das Anwältin für Insolvenzrecht, zufällig Mitglied SC Hoyerswerda passt hierher. „Wir arbeiten im Moment der Schwimmabteilung, schafften mit viel nicht groß konzeptionell, wir lösen vieles Einsatz und eisernem Sparkurs die Wende. pragmatisch“, sagt der Kommunalbeamte, der mit dem Antrag auf Kostenzuschuss für Wolffs berufliche Vergangenheit in einer Bank den Anbau gewartet hat, bis ihm die Stim- hilft. Zur Ausrichtung des Vereins sagt er: „Es mung im Rathaus danach zu sein schien. bringt nichts, jeden Trend aufzugreifen, wir Zur Nachwuchsfrage sagt er: „Hauptsache, müssen unsere Hausaufgaben machen.“ Die TSV Bad Reichenhall Kinder gehen überhaupt in einen Verein.“ Wettkampfsportarten Schwimmen, Turnen, Für den TSV selbst sei er optimistisch. Judo wurden gestärkt, die Zusammenarbeit mit den umliegenden Schulen intensiviert, das Warum auch nicht? Bad Reichenhall kombi- Vereinsleben durch eine Sportlerwahl aufge- niert ein hohes Durchschnittsalter mit stei- wertet und HT 16 durch Veranstaltungen im genden Geburtenzahlen, und der fürchterli- Hamburger Osten wieder näher an den che Einsturz der Eis- und Schwimmhalle im Stadtteil gerückt: gewiss kein Hexenwerk, Januar 2006 könnte äußerlich bald über- aber genug, um den ältesten Sportverein der wunden sein: Die Schwimmer, größte TSV- Welt aus größter Not zu retten. Abteilung, haben die Zeit in Bädern der Nach- (fei) barorte überbrückt, fast ohne Abgänge. Im Herbst 2011 soll ihr neues Heim stehen. (nic) Faktor Sport [ Flutlicht ] 21

METZE, DER ANSCHIEBER

WIDER DEN LAUSITZER SOG Fußballspiele auszutragen, das fanden die ehrenamtlichen Männer bei TuS Haltern Mit Daniela Fünfstück zu sprechen ist be- am See immer aufregender, als Finanzen zu merkenswert. Die ehemalige Sportakobatin ordnen – bis sie vor zweieinhalb Jahren von und DDR-Vizemeisterin ist Geschäftsführe- einer Forderung des Finanzamtes fast an rin des SC Hoyerswerda. Eine Frau in der die Wand gespielt wurden. hauptamtlichen Leitung eines Sportvereins; da muss man länger suchen in Deutschland. Wie gut, dass ihr prominentester Ex-Jugend- Außerdem kann sie eine tolle Geschichte er- spieler einsprang, um die Lücke zu schließen. zählen: eine vom Wachstum, während um sie Christoph Metzelder, damals Profi bei Real herum alles schrumpft. Madrid, wollte nachhaltig helfen und schob einen dreijährigen Plan zur Strukturreform Die Auswirkungen der Deindustrialisierung („Steine und Trainer“) hinterher. Seither im ehemaligen Lausitzer Kombinat „Schwarze sorgt ein Wirtschaftsjurist mit Erfahrung in Pumpe“ sind extrem. 38.000 Menschen leben der DFB-Nachwuchsarbeit für verbindliche noch in Hoyerswerda, knapp 40 Prozent Strukturen und besser qualifizierte Trainer. weniger als zur Wende. Ein herber Verlust für Und ein Düsseldorfer Sportvermarkter akqui- Stadt und Verein, dem viele ehrenamtliche rierte erfolgreich Werbepartner, während Mitglieder abhanden gekommen sind. Eine eine Hamburger Agentur eine preisgekrönte weitere Reduzierung der Bevölkerung sowie Imagekampagne lostrat: „Tu’s, Haltern!“ deren zunehmende Vergreisung drohen. Ehr- Alle behandelten den Bezirksligisten im geizig wirkte daher der Plan des SC. „Wir haben äußersten Norden des Ruhrgebiets wie eine uns 2005 ein strategisches Ziel gesetzt: Ende 2010 wollen wir 2010 Mitglieder haben“, sagt Fünfstück. Nun ist die Marke in Sicht. Rund 1900 sind erreicht, darunter nicht nur 400 Senio- ren, sondern auch 700 Kinder und Jugendliche.

„Wir könnten mehr Mitglieder gewinnen“, sagt Daniela Fünfstück. An 3000 denkt sie perspektivisch. Allerdings bremsen fehlende kommunale Sporthallen die Expansionspläne. große Nummer, bis ihm der entfachte Wind Doch Masse allein sichert nicht die Zukunft tatsächlich Flügel verlieh. Der Erfolg ist jetzt des SC Hoyerswerda, das weiß die 43-Jährige: greifbar: An der einst maroden Stausee- „Wir wollen qualitative Vereinsarbeit leisten Kampfbahn wurde ein moderner Kunstrasen- und Strukturen schaffen, die funktionieren, platz angelegt, ein Sportartikelgigant und ein wenn mal jemand aus der Vereinsführung regionaler Teamausstatter liefern Equipment – wegbricht.“ Und mit wegbrechenden Struk- und plötzlich boomen die Neuanmeldungen turen kennen sie sich aus in der ehemaligen im Juniorenbereich. Haltern hat’s getan, mit Bergbauregion. etwas Anschub von Freunden ... (mm) (job) 22 [ Flutlicht ] Faktor Sport DIE ZUKUNFT IST HAUPTAMTLICH

Silvia Glander sitzt dem TV Ratingen und dem Freiburger Kreis vor. Im Interview skizziert sie, was Vereinsführung von heute und morgen braucht: Initiative, Geduld und Profis.

INTERVIEW: NICOLAS RICHTER

Der TV Ratingen betreibt zwei keinen Bock auf Bewegung hat. Fitness-Studios, einen Bewe- Aber mit Geduld kommt man gungskindergarten, eine Kinder- voran – wir betreuen zum Beispiel sportschule und über 20 Sportarten. auch sportbetonte Klassen einer Woher nehmen Sie das Geld für so Gesamtschule. ein Konzept? Unsere Fitness-Studios liefen von Anfang an hervorragend. DIE GROSSVEREINS- Neue Arbeitsfelder steigern den Wir haben in diesem Bereich 2000 EXPERTIN Aufwand. Was heißt das personell? Mitglieder! Ohne deren Beiträge könn- Wir haben in Ratingen 24 fest ange- ten wir uns den ideellen Sportbetrieb, SILVIA GLANDER stellte Mitarbeiter. Ohne Kenntnis von insbesondere die Jugendarbeit, nicht in ist doppelte Vorsitzende: Arbeitsrecht und Finanzen könnte ich den Im März 2009 übernahm diesem Umfang leisten. Der Bewegungs- sie die Führung ihres Verein nicht führen. Umso weniger, wenn kindergarten allerdings trägt sich selbst. Heimatvereins TV Ratin- ich nicht mit den Aufgaben gewachsen gen, nach 17 Jahren als wäre. Die Geschäftsführer, die wir jetzt in Stellvertreterin und zuvor Sie sitzen dem Freiburger Kreis vor, einer 10 Jahren an der Spitze den Vereinen haben, sind mit dem Job groß Organisation von Großvereinen, die der Schwimmabteilung. geworden. Die neue Generation findet einen teilweise noch weitergehende Angebote Seit 2003 sitzt die frühere laufenden, sehr komplexen Betrieb vor. Den Stadträtin (stellvertre- machen. Die FT Freiburg betreibt sogar eine tende CDU-Fraktions- in den Griff zu bekommen, geht nur noch Grundschule. Bedeuten solche Projekte nicht chefin)- dem Freiburger hauptberuflich. enorme Risiken? Die Grundschule in Freiburg Kreis vor. Die Arbeitsge- meinschaft von zurzeit läuft bestens, aber in der Tat muss der Verein die 165 größeren deutschen Wenn Großvereine weiter wachsen, drängen ersten drei Jahre selbst finanzieren, bevor es För- Sportvereinen bündelt sie die kleineren an den Rand, oder? Das kommt dermittel des Staates gibt. Solche Entscheidungen insgesamt etwa 700.000 auf die örtliche Konstellation an. In Ratingen gab Mitgliedschaften. trifft man natürlich nur nach reiflicher Überlegung. es einen Fechtclub, dessen Aktive nach Solingen Nehmen Sie die offene Ganztagsschule: Wir schi- und Bonn abgewandert sind. Die letzten 20 cken in Ratingen ganz bewusst unsere qualifizierten Mitglieder haben sich an uns gewandt statt Insol- Übungsleiter in den Unterricht. Die Schulen möch- venz anzumelden, und wir haben die verbliebenen ten sparen, sie wären auch mit unausgebildeten Lehr- Jugendlichen aufgenommen. Diese Entscheidung hat kräften zufrieden. Aber wir wollen Qualität im Unter- dem Vorstand des alten Vereins weh getan und uns richt und die Kinder für uns gewinnen. Dafür richten zunächst Geld gekostet. Aber wir haben eine neue wir Sport-AGs ein und schießen erstmal zu. Wenn sich Abteilung, deren Entwicklung wir uns jetzt anschauen. kein ausreichendes Interesse entwickelt, stellen wir die Im Moment läuft es gut. betreffende AG wieder ein. Man muss sich auch von Angeboten trennen können. Letztlich entsteht so aber eine Konzentration wie in manchen Wirtschaftsbranchen: Hier die Dickschiffe, Die Ganztagsschulen sind Konkurrenten, nicht nur dort starke Spezialisten, dazwischen dünne Luft. Das Kooperationspartner. Was überwiegt? Die Jugendlichen ist doch auch Resultat einer normalen Entwicklung: Wo gehen nachmittags nicht mehr in den Verein, sie sind in schicken Eltern ihr Kind hin? Zu dem Verein, von dem sie der Schule. Wir müssen also dahin kommen, mit der Schule wissen, dass er gute, erfolgreiche Arbeit macht, oder zu dem, eng zusammenzuarbeiten. Dieser Weg ist lang. Es gibt viel der nur noch zwei Mannschaften unterhält? Sehen Sie. Bei Vermittlungsarbeit zu leisten, etwa gegenüber der Kommune sinkendem Gesamtzulauf erhöht das auf Dauer natürlich das und dem Lehrerkollegium. Und wenn ich Schulkindern Spaß am Risiko, dass Vereine sterben. Unbeachtet dessen gibt es auch Sport vermitteln will, kann das hohen Aufwand bedeuten. Vereine mit nur einer Sportart wie Tennis, die nicht groß sind, Gerade heute, wo schon mal einer in der Ecke sitzt, weil er aber sehr gut existieren können. ] Alles läuft rund, wenn die Talentförderung stimmt. Sport fördern heißt Menschen begeistern.

Birgit Prinz Rekord-Fußballnationalspielerin und Botschafterin des „Grünen Bandes“

Als Partner des Deutschen Olympischen Sportbundes unterstützt die Commerzbank mit dem Wett- bewerb „Das Grüne Band für vorbildliche Talentförderung im Verein“ junge Nachwuchsathleten auf ihrem Weg in den Spitzensport. Gemeinsam mit ihnen teilen wir die Begeisterung für den Sport und setzen ein Zeichen dafür, dass Erfolge mit fairen Mitteln möglich sind. www.dasgrueneband.com www.dosb.de

Gemeinsam mehr erreichen

Eine gemeinsame Initiative von: 24 [ Bewegungsmelder ] Faktor Sport

Euro schüttet die Stiftung Deutsche Sporthilfe an die Olympiasieger von

Sportliche Erfolge auf der Zielgeraden des Lebens: 15.000 ^ Vancouver aus. Gewinner einer Goldmedaille bei den Paralympics Alfred Proksch, Jirí Soukup und Gabre Gabric (v.oben) erhalten 4500 Euro. „HERBSTGOLD“ – Diese Differenz findet Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behinderten- WETTLAUF GEGEN DAS ALTER sportverbandes, ungerecht, sie bleibt aber vorerst bestehen. Das ist das Ergebnis eines Gesprächs Beuchers mit der Sporthilfe in Frankfurt/Main. Deren Vorstandsvorsitzender Die Helden sind zwischen 80 und 100 Jahre Michael Ilgner verwies auf das Gesamtkonzept, in dem die Behindertensportler „auf Augen- alt, ihr Lebensmittelpunkt ist der Sport. höhe mit den anderen Sportlern“ gefördert würden. Sie würden beispielsweise in der Para- Sie kommen aus ganz Europa, sie kämpfen lympics-Vorbereitung und bei Materialfragen stärker unterstützt. gegen die Einsamkeit, gegen Krankheiten – und für eine Medaille. „Herbstgold“ heißt Die Debatte um den Wert paralympischer und olympischer Medaillen flammt seit Jahren der Dokumentarfilm von Jan Tenhaven, der anlässlich der Spiele auf. Der Ex-Paralympionike, Theologe und Autor Rainer Schmidt hält am 1. Juli bundesweit in den Kinos startet. sie – ergebnisunabhänging – für unvermeidbar (siehe Gastbeitrag Seite 36). Er beleuchtet lebensbejahend den trotzigen Wettlauf gegen die Zeit, das Altwerden in verschiedenen Ländern. Wie meistern die Alten ihren Alltag? Welche Rolle spielen Liebe und Sexualität? Wie schaut die ARBEITSGRUPPEN Gesellschaft auf sie? Warum ist ihnen der WIDER DEN MISSBRAUCH Sport so wichtig? Wie verkraften sie es, dass ihre Körper zusehends verfallen und Das Problem ist wahrhaft dringlich. Noch die Leistung nachlässt? „Herbstgold“ ist in diesem Jahr soll sich der Runde Tisch eine Geschichte von Rückschlägen und gegen sexuellen Kindesmissbrauch ein kleinen Triumphen, ein Film über das Leben SPIELE FÜR SAMBO UND WUSHU zweites Mal zusammensetzen. Beim ersten und ein wenig über den Tod. Treffen am 23. April versammelten sich 13 olympische und nichtolympische Kampf- in Berlin unter Vorsitz der Bundesminis- sportarten werden bei den ersten „Combat terinnen Kristina Schröder (Familie), Games“ vom 28. August bis 4. September Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Peking präsentiert. „SportAccord“, Dach- (Justiz) und Annette Schavan (Bildung) 63 organisation von 104 internationalen Verbän- Vertreter verschiedener Organisationen, den, organisiert sie. Die Initiative von Hein darunter Ingo Weiss, Vorsitzender der Verbrueggen, SportAccord-Vorsitzender Deutschen Sportjugend. „Dies ist kein und IOC-Ehrenmitglied, ist nicht unum- Tabuthema mehr, sondern wird von allen stritten. Denn die Kampfsport-Spiele, bei Seiten als ernsthaftes Problem wahrge- denen sich 1200 Athleten im Boxen und nommen“, sagte das DOSB-Präsidiums- Taekwondo, in Aikido, Sambo und Wushu mitglied anschließend. Bei dem Treffen messen, sollen nur der Anfang sein. Die ersten wurden drei Arbeitsgruppen eingerichtet: „Mind Games“ mit Schach, Bridge und Dame „Prävention, Intervention, Information“, sind für Herbst 2011 geplant. Diskutiert „Durchsetzung Strafanspruch, Rechtspo- werden zudem „artistische Spiele“ (Tanzen, litische Folgerungen, Anerkennung des Kunstradfahren et cetera) und „Strand- und Leidens der Opfer sexuellen Missbrauchs Meerspiele“ mit Beach-Handball, Kite- jeglicher Hinsicht“ und „Forschung und Surfen und mehr. Lehre“.

26 [ Spiegelbild ] Faktor Sport Faktor Sport [ Spiegelbild ] 27

Eiserne Fäuste, eiserne Prinzipien, einfühlsamer Geist: Ein junger Boxer der Märkischen Turngemeinde Horst hat im halbstarken Teil Essens ein Projekt hochgezogen, in dem schwer erreichbare Jugendliche an Leib und Seele geschult werden. Zugunsten aller Beteiligten. TEXT: BERTRAM JOB

SEBASTIAN KÄMPFT

FÜR SECHZIG --› 28 [ Spiegelbild ] Faktor Sport

ie ersten Wirkungstreffer müssen sit- zen, dann ist das alles halb so schwer. „Am Anfang gibst du besser den Arsch D ab und schmeißt alle raus, die stören wollen“, sagt Sebastian Tlatlik. „So kriegst du den Respekt und kannst mit der Zeit ein bisschen lockerer werden. Andersrum läuft das einfach nicht. Wenn du gleich nett bist, spucken sie dir hier nur auf den Kopf.“ „Ich hab‘ Es gibt noch keine deutschen Meisterschaften in der anspruchsvollen Kunst, Heranwach- sende aus den städtischen Randzonen zum die so Vereinssport abzuholen. Sonst wäre der kleine, drahtige Mann mit der gegelten Kup- fertolle sicher ein Titelanwärter. Tlatlik, 28-jähriger Amateurboxer, der früher Fuß- ausgepowert, ball spielte, fungiert für die Märkische Turn- gemeinde Horst aus Essen in etwa wie ein Rattenfänger: Er sammelt Jugendliche, die dass die sonst nur auf der Straße abhängen, mit breit gefächerten Angeboten für Bewegung und Erlebnis ein. nachher KLEINES GELD, GROSSES TALENT

„United Sports“ heißt die weitgehend autarke keinen Bock Abteilung, die der gebürtige Oberschlesier im Herbst 2008 mit sechs weiteren Migran- tenkindern im halbstarken Südosten der mehr auf Kulturhauptstadt gegründet hat. Sie bietet für „kleines Geld“, wie man hier sagt, ein Kursprogramm von 16 Stunden pro Woche an. Dazu zählen olympisches und Budo- Stress hatten.“ Boxen, Abenteuersport und Freizeitfußball, erweitert um gemeinsame Ausflüge. Mit die- sem unkonventionellen Mix erreicht Tlatlik nach eigenen Worten „eine Klientel, an die zum Kampfsport hat. Vielleicht ein künftiger Tempo verlangt. „Wir verwandeln die Halle man mit Volleyball-Flyern nie rankommt.“ Champion, den sein stolzer Übungsleiter ins Spielparadies“, erklärt Tlatlik. Bei allem auch über das bezahlte Pensum von 30 Spaß herrscht eine eiserne Regel: Wenn in So wie Lewis (17) aus der Siedlung Hörster Unterrichtsstunden hinaus trainiert, denn der Gruppe „Stress“ entsteht, wird zuerst Feld, Sohn kenianischer Eltern. Mit einem „so eine Begabung habe ich noch nie erlebt“. Sebastian gerufen. Der hat eine klare Bot- Ball am Fuß, sagt Tlatlik, ist der noch schnel- schaft für Ego-Shooter aller Herkunft und ler als ohne. Oder der bullige Marlon (12) aus Alle drei sind sie an diesem Donnerstag- Hautfarben: Ihr müsst Euch nicht lieben, dem Stadtteil Eiberg, der sich zwischen all nachmittag in die Turnhalle der Eibergschule aber respektieren. den Sportarten noch nicht entscheiden kann. gekommen, wo der Fun-Kurs „Unique Sports“ Oder der blonde Jann (11) aus Freisenbruch, steigt – eine Kombination verschiedener Insgesamt werden schon 60 Jugendliche der polnische Wurzeln und ein Naturtalent Bewegungssportarten, die Geschick und durch „United Sports“ bewegt, etwa die Faktor Sport [ Spiegelbild ] 29

Hälfte davon hat einen Migrationshinter- nungsbaus aufwachsen? „Was wir hier ma- So ist heute kaum noch auszumachen, wer grund. Auf diese Mischung achten Tlatlik chen, hat ja auch einen ganz großen sozialen hier eigentlich wem hilft oder wen integriert. und seine Kollegen vom Vorstand sehr genau. Aspekt“, sagt Kempkes. Ohne den Verein wäre der Sport- und Fit- „Integration ist für uns nicht, wenn eine nesstrainer Tlatlik vielleicht auch Türsteher Gruppe nur aus Ausländern besteht“, betont Es ist ziemlich grün in dieser Zone, wo Essen oder „Hartzi“ geworden wie so mancher der der Boxer, „sondern wenn Deutsche und an Wattenscheid und Bochum grenzt. Als alten Kumpels. Doch ohne Tlatlik wäre auch Ausländer zusammen Sport treiben.“ Und gute Adresse aber taugt die Gegend lange der 1881 gegründete Verein für Breiten- und noch etwas ist nicht verhandelbar: Wer hier nicht. Vor Jahren fuhr die Polizei in der Wettkampfsport um manche Variante ärmer. den Mund aufmacht, soll das in Deutsch kürzlich aufgebesserten Siedlung Berg- Mit dem klassischen Angebot von Handball bis erledigen. mannsfeld noch regelmäßig Streife, weil es Rhönrad-Turnen ist die Generation Playstati- abends immer „Stress“ gab – vor allem, on jedenfalls kaum einzufangen, wie der Vor- Die drei Euro, die für „United Sports“ nachdem mal eben ein paar tausend russische sitzende Kempkes schon länger weiß - und monatlich fällig sind, reichen natürlich nicht Familien aus Russland angesiedelt worden „der Sebastian hat diesen besonderen Draht mal für Übungsleiter-Vergütungen und waren. Zwei Kilometer weiter, im berüch- zu Jugendlichen, die wir nicht so erreichen.“ Gerätekosten – gar nicht zu reden von der tigten Hörster Feld, herrscht bis heute dreitägigen Fahrt ins Emsland, die man im eine brisante, in Waschbeton gegossene MIT FITNESS UND ESSENS letzten Herbst unternahm. Viel höher kann Tristesse. BESTEM man in diesem Milieu aber nicht einsteigen, meint Tlatlik: „Den meisten Eltern hier ist Die grüne Palme aus Pappmaché zum Bei- In diesen Zeiten, wo die Bevölkerung der völlig egal, ob ihre Kids draußen rumhängen spiel, die eine weitgehend entleerte Laden- Stadt jedes Jahr um ein paar Prozent ab- oder Sport machen, es darf nur nichts kosten. passage aufpeppen soll, kam Sebastian Tlatlik nimmt, sorgt sich auch der größter Essener Und drei Euro ist weniger als ‘ne Schachtel schon immer „wie eine Verarsche“ vor. Der Sportverein (3500 Mitglieder plus 1000 Kippen - so rechnen die.“ pfiffige Zuwanderersohn hat sich früher oft Kursteilnehmer) um seine Zukunft. Noch in diese Gegend gewagt, weil hier wenigstens sind die Zahlen stabil, „aber wir müssten ei- PERSPEKTIVE UNTER gekickt wurde, und weiß bis heute, wie man gentlich ständig versuchen, an neue Leute PAPP-PALMEN ihre Halbwüchsigen ansprechen kann. Vor ranzukommen“, sagt Eiko Rümker, einer von gut acht Jahren hat er begonnen, ihnen in zwei hauptamtlichen Geschäftsführern der Dafür schießt der Dachverein manchen Euro den örtlichen Schulen das Boxen beizubrin- MTG Horst. Auch darum das „multikultu- dazu oder sorgt über seine Kontakte zu loka- gen und damit „bei denen die Aggressivität relle Fitnesstraining für Frauen“, das eine len Unternehmen und der Krupp-Stiftung für rauszunehmen“, wie er sagt: „Ich hab‘ die so Muslima im nicht einsehbaren „Raum Frei- externe Unterstützung. Außerdem ist da noch ausgepowert, dass die nachher keinen Bock senbruch“ leitet. Und das Angebot zum der Landessportbund NRW, der das junge mehr auf Stress hatten.“ Trendsport Le Parcours sowie der 2004 er- Projekt im Rahmen der Initiative „Integration öffnete „Fit-Club“ als echter Wachstums- durch Sport“ fördert. Darum hatte sich gleich Ziemlich bald dann kamen der Lehrer treiber: So günstig und qualifiziert gibt es zu Anfang „der Gerd“ gekümmert, wie Tlatlik Kempkes und die MTG Horst auf ihn zu. Fitnesstraining in keinem kommerziellen den ersten Vorsitzenden der MTG Horst Und plötzlich taten sich nicht nur für die Studio. nennt; der ist in sowas der ungekrönte Kinder aus sozial schwachen Familien, Champion. sondern auch für Tlatlik neue Perspektiven „Sportvereine haben eine Zukunft, wenn auf. Vom ersten Übungsleiter-Schein bis sie Orte der ,sozialen Kultur‘ sind“, steht Gerd Kempkes kennt nach einer erfüllten zur festen Stelle mit integrierter Sportleh- im Eingangsbereich des Fit-Clubs – und Lehrerlaufbahn tatsächlich jeden, der im rer-Ausbildung gab der Verein ihm lücken- Sebastian Tlatlik hat es auf seine Art verin- Essener Osten noch was bewegt. Und er los Gelegenheit, unter seinem breiten Dach nerlicht. Im März bekam er mit dem gesam- weiß, dass auch die Stadt heilfroh über die aufzusteigen. Der Kandidat nutzte sie, ten Vorstand von United Sports den städti- Impulse ist, die seine MTG in dieser Gegend während er parallel in der Box- schen Preis „Essens Beste“ verliehen. Mit aussendet. Wo sonst käme hier, außer einem bestand, und darüber avancierte er zum dem Rückenwind will er nun bald 100 Kids kommunalen Jugendhaus, ein Angebot für all Local Hero – lebendes Beispiel dafür, dass eingesammelt haben. „Und wenn ich mir die Youngster her, die zwischen den hoch man auch im Randgebiet etwas bewegen mal was in den Kopf gesetzt habe, muss ich aufragenden Stalaktiten des sozialen Woh- kann. das auch schaffen.“ ] 30 [ Meter x Sekunde ] Faktor Sport „DER BLICK AUFS GELD VERSTELLT DIE SICHT“ Was für ein Schlacks! Es gibt viele Profisportler, die nach ihrer Karriere in die Breite gehen. Henning Harnisch hat eine andere Richtung genommen. Eigentlich kämpft der Sportdirektor von Alba Berlin an dem Tag des Interviews mit widrigen Umständen. Sein Team ist im Begriff, im Playoff-Viertelfinale gegen die Frankfurt Skyliners auszuscheiden. Als Harnisch die Journalisten begrüßt, ist davon freilich nichts zu spüren. Freundlich und konzentriert wirkt der 42-Jährige. Wir sprechen über sein Lieblingsthema: die Nachwuchsförderung.

INTERVIEW: MARCUS MEYER UND JÖRG STRATMANN

Herr Harnisch, lassen wir den Profisport beiseite und reden der EM-Titel der deutschen Mannschaft 1993 und Themen über den Nachwuchs. Wie sind Sie zu diesem Thema gekom- wie Mode und Lifestyle das Interesse der Jugendlichen auf die men? Als ich 2004 bei Alba eingestiegen bin, war das Jugend- Sportart gelenkt. programm des Vereins aus strategischen Gründen ausgelagert. Da war es naheliegend, über Strukturen in der Nachwuchs- Das bedeutet, die Jugendlichen sind abseits der Vereine förderung nachzudenken und sich zu fragen, wie man es unter sozialisiert worden. Ja, diejenigen, die damals durch diese eigenem Dach tiefer und professioneller organisieren kann. Einflüsse und Erlebnisse in den gekommen sind, haben oftmals keine klassischen Vereinsstrukturen kennen- Wie ging es weiter? Wenn man über Nachwuchs – nicht nur gelernt, weil sie ihren Sport immer anders praktiziert haben; in unserer Sportart – nachdenkt, kommt man schnell auf die auf der Straße, dem Schulhof oder sonst wo. Schulen. Basketballverrückte Lehrer haben zu meiner Zeit unseren Sport an die Kinder gebracht. Das hatte ich vor Au- Das Korbspiel ist heute sehr professionell organisiert und hat gen. Im Zentrum der Stadt, also Prenzlauer Berg, Kreuzberg, eine Menge Anhänger. Ja, aber wie und wo wird über den Berlin-Mitte und Friedrichshain, wo ich lebe, gab es so gut Sport reflektiert, wo wird darüber nachgedacht? wie keine Basketballstrukturen, weder in Vereinen noch in Schulen. In Ostberlin mangelte es an der Tradition für die Nachdenken ist ein gutes Stichwort. Nachdenken, vor Sportart. Orte zum Spielen? Fehlanzeige. Der Zugang zu den allem sorgsames, spielt im Leben von Henning Harnisch Ganztagsschulen war deshalb der Schlüssel. eine große Rolle. Besonders, wenn es sich um seine Leidenschaft dreht, den Sport. Immer wieder taucht Eine kleine Ergänzung an dieser Stelle: Während die Wendung im Gespräch auf. Das begriffliche Pendant viele Menschen, die einmal im Rampenlicht gestanden zum „nachdenken“ ist übrigens „praktizieren“. Was haben, ohne diese Aufmerksamkeit nur schwer leben wenig leidenschaftlich klingt. Aber der Mann räsoniert können, schaltet Henning Harnisch demnächst ge- gründlich und am Ende geht es darum, wie man Sport wissermaßen selber die Scheinwerfer aus. Ab dem künftig praktizieren möchte. Mit Leidenschaft. 1. Juli wird er vom öffentlichkeitswirksamen Posten des Sportdirektors zurücktreten und sich bei Alba Ber- Leistungssport funktioniert nach einem bestimmten Raster, lin ausschließlich um das Thema Nachwuchs kümmern. das viele Menschen ausgrenzt. Jugendliche bekommen über die Selektion einen verstellten Blick auf das, was wichtig ist. Warum haben Sie die fehlenden Strukturen so überrascht? Sie kennen doch die Pyramide: Man hat 1000 Jugendliche, Mir haben sich nicht gleich die Gründe erschlossen. Darauf von denen man bei richtigen Strukturen am Ende zehn heraus- bin ich erst nach und nach gestoßen. Die Geschichte des Bas- filtert, die dann erfolgreich Spitzensport betreiben. Aber ketballs in Deutschland hat in einer bestimmten Phase vor was passiert mit den anderen 990, gibt es für die auch Pro- allem mit dem künstlichen Boom in den 90er Jahren zu tun. gramme? Das ist für mich das Entscheidende: Diesen 990 Sportartikler wie Adidas und die Marketingoffensive des wird vermittelt, ihr habt es nicht geschafft. So entsteht die US-Dreamteams spielten eine große Rolle. Zudem haben Unmöglichkeit, den Sport positiv zu leben. Faktor Sport [ Meter x Sekunde ] 31

Was schwebt Ihnen vor? Ich frage mich etwa, wie man Freiplatz-Basketball zu einer offenen Form des Vereins- lebens moderner Art machen kann. Wie man für Mädchen und Jungen gemeinsame Inhalte schafft? Erstmal schwierig, wenn man die begrenzten Hallenkapazitäten kennt. Aber wenn man die hat, warum nicht täglich ein Camp von 16 bis 22 Uhr veranstalten, statt wochentags klassisch Training stattfinden zu lassen? Lass‘ es 80 Kinder sein und zehn Trai- ner. Am Rande kann man an separierten Plätzen Hausauf ga- ben machen, wie eine Art Jugendclub. Das wäre ein Schritt, mit dem offene Gruppen geschaffen und die Kategorien Leistungs- und Breitensport beiseite gelassen würden.

Sie reden von einer Revolution. Ob die Spieler am Ende erste Liga oder Kreisklasse spielen, ist doch total egal. Wich- tig ist, mit dem Medium Sport den Kindern eine glücklichere Kindheit zu bescheren. Ich behaupte: Wenn man nach die- sem System verfährt, hat man am Ende ebenfalls die zehn Spieler mit dem größten Potenzial herausgefiltert. Es wären aber andere zehn. Sie hätten eine andere Beziehung zu ihrem Sport und zu ihrem Club.

Man darf sich Harnisch nicht als verbissenen Missionar vorstellen, der glaubt, er hätte Lösungen für die vielen Probleme parat. Er wirkt eher wie jemand, der nach knapp 20 Jahren im Orbit des Profibasket- balls auf dem Planeten des organisierten Sports gelandet ist. Alles ist sehr fremd. Und nun lernt er in einem Erfahrungsprozess, dass er nicht nur festen Boden unter den Füßen hat, sondern oftmals gegen starre Strukturen anrennen muss. „Es gibt tolle Leute“, sagt er, „die gegen alle Widerstände das Geschäft am Leben erhalten, aber nicht mehr die Kraft haben, sich aufzulehnen und die entscheidenden Impulse zu geben.“ --› 32 [ Meter x Sekunde ] Faktor Sport

Einen sehr erfolgreichen Weg geht Alba Berlin mit seinem DER NACHWUCHSMANN Nachwuchskonzept. Rund 1000 Jugendliche trainieren Flying Henning, wie Harnisch als und spielen wöchentlich in Basketballprofi genannt wurde, blickt dem Programm „Alba macht auf viele Erfolge zurück: neun Meister- Schule“. 2009 erhielt der schaften sowie fünf Pokalsiege, alle mit Klub vom DOSB dafür das Bayer Leverkusen und Alba Berlin errungen. „Grüne Band für vorbildli- Insgesamt 169 Mal warf er für das National- che Talentförderung“, dieses team auf die Körbe, die Kür war der legendäre Jahr wurde es von der Ini- EM-Titel von 1993. Henning Harnisch gilt als Enfant tiative Land der Ideen zum terrible seiner Zunft, schlug oft andere Wege ein als Gegner, „Ausgezeichneten Ort 2010“ Verband und Öffentlichkeit es von ihm erwartet hätten. Schon mit gekürt 30 Jahren beendete er seine Profikarriere, machte eine Lehre als Buch- händler und studierte Kultur- und Filmwissenschaften. 2004 folgte die Rückkehr zu Alba, für das er seit 2008 als Sportdirektor wirkte. Ab dem 1. Juli wird sich Harnisch auf eigenen Wunsch ausschließlich dem Nachwuchs widmen.

Das setzt optimale Bedingungen und viel Geld voraus. Das Schulbetriebs und für alles verantwortlich sein: Sport-AGs, haben die meisten Vereine nicht. Das stimmt. Mit Alba haben Wandertage, Ausbau des Angebots. Eltern, Schule, Vereine, die wir natürlich bessere Voraussetzungen als ein x-beliebiger Gesellschaft, der deutsche Sport; sie alle würden davon profi- Turnverein. Aber der Blick allein aufs Geld verstellt die Sicht. tieren und könnten zur Finanzierung beitragen.

Es geht um die Herangehensweise? Wir haben den Vorteil, dass Harnisch trägt einen Virus in sich, einen, den er gern wei- wir den Profisport über uns haben. Der Name Alba öffnet Türen, tergeben möchte. Und so wie ein überzeugender Lehrer weil von oben ein Glanz verbreitet wird. Es ist aber nicht so, dass ihm vor rund 25 Jahren die Faszination des die Profiabteilung uns fragt, was braucht ihr denn, um dann die erschlossen hat, so glaubt er, dass es vor allem darauf Schatulle zu öffnen. Bei diesen Überlegungen geht es darum, zu ankommt, dass die Jugendlichen von guten „Typen“ (wie er gucken, wie man Geld hereinholt und sich für Kooperationen öffnet. sie nennt) betreut werden. Trainer, die die Begeisterung für den Sport wecken. Er plädiert dafür, abseits des Leis- Womit wir bei den Schulen wären. Man denkt zu wenig über die tungssports ein Berufsbild des Jugendtrainers dauerhaft Rolle des Sportunterrichts nach. Das Konzept Ganztagsschule ver- zu etablieren. „Gute Typen“, das sind für Harnisch Gegen- ändert das Verhältnis zum Sportverein komplett. In Berlin wird bilder. „Oder“, fragt er, „möchten sie ihr Kind einem 60- zwar drei Stunden pro Woche Sport angeboten, aber 50 Prozent der Jährigen anvertrauen, der schreit, 'ne rote Knolle hat und Lehrer, die den Jugendlichen die Begeisterung für Bewegung näher nach Alkohol riecht?“ bringen sollen, sind fachfremd und im Schnitt überaltert, auch wenn das im Einzelnen ganz ehrenwerte Menschen sein mögen. Ist das Ihre Vorstellung von Verein? Nein, aber der deutsche Sport ist geprägt durch bestimmte Begriffe, etwa Vereinsheim. Das kennt man aus anderen Bundesländern. Im Schnitt sollen Da denke ich zuerst an Vitrine, holzgetäfelt, Skat und Pilsbier. diese Lehrer 25 bis 30 Kinder allein betreuen. Es handelt sich Der Begriff enthält jedoch einen wichtigen Kern: Es ist ein Ort, dabei nicht um Frontalunterricht im Klassenraum, sondern um an dem man Sport leben kann. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass totales Gewusel in der Halle. Wenn man im Mannschaftssport man das Thema nicht mit Aufgaben wie Integration, Gewaltprä- etwas bewegen möchte, dann braucht man bei zehn Kindern vention oder innere Werte überfrachtet, sondern wieder neu auf- mindestens zwei Trainer. lädt. Der Punkt ist: Wie kriegen die Kinder den Sport in sich? Und da sind Trainer entscheidend. Wie soll das aussehen? Die Ganztagsschulen sind der Schlüssel für modernes Vereinsleben. Die Kinder halten sich dort zwischen Welche Rolle spielen die Ehrenamtlichen? Bei der Diskussion 8 Uhr und 16 Uhr sowieso gemeinsam auf. Es wird ihnen nur fast über die Aktivierung des Ehrenamtes ist eine Ideologie drin, die mir kein Sport angeboten. Stattdessen wird vom Mangel an Bewegung nicht passt. Es ist eben nicht mehr 70er Jahre Westdeutschland. Die gesprochen und welche Schuld Computer und Internet daran tra- Biografien sind sehr viel brüchiger. Nicht nur bei Großstadtexis- gen. Und jetzt? Mir geht es nicht darum, die Lehrer anzugreifen. tenzen. Der Druck, sein Einkommen dauerhaft zu sichern, ist ex- Im Gegenteil: Ich will sie stärken. Warum führt man Trainer und trem gestiegen. Wer kann garantieren, dass ich kommende Woche Sportlehrer nicht zusammen und lässt sie gemeinsam praktizieren. Montag um 16 Uhr Training machen kann? Ehrenamtliche sind Der Trainer könnte als Sportkoordinator aktiver Teil des wichtige Stützen, aber man kann das System nicht darauf errichten. ] mit-doping-ist-alles-umsonst.de

       34 [ Spiegelbild ] Faktor Sport WENN ANPASSUNG BEFREIT

s gibt Lebenswege, die zu starken lität keinen allzu großen Rückstand auf sein Worten erziehen. Balian Buschbaums Umfeld. Bekenntnisse wie die von Busch- Ausdruck, so kann es auf den Besucher baum stechen hier wie da in bisher kaum E seiner Homepage wirken, will starkem angekratzte Tabus. Empfinden und drängenden Gedanken Form geben: „Meine Erfolge gehören zwar zu DISKUSSIONSDRUCK WÄCHST meiner Biographie, doch sind sie für mich – zusammen mit meinem falschen Körper – Natürlich muss auch der Sport Verantwor- gestorben“, heißt es da. Über die vielen tung übernehmen, zumal wenn er seinen Pokale in seinem Keller schreibt er: „Ich integrativen Ansprüchen gerecht werden empfinde diese Kelche als überflüssig, aus möchte. Der Handlungsdruck könnte bald einem ganz simplen Grund: Es passt kein wachsen: Helmut Digel, Mitglied im Coun- Gramm Seele in sie hinein!“ cil des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF und Sportwissenschaftler der Uni Tübingen, Auch das Buch, das Balian Buschbaum im verwies jüngst auf Studien, nach denen die März veröffentlicht hat, enthält getragene Zahl der Intersexuellen zunehme. In Elemente und harte Sätze, die sich aus sich Deutschland könnte dieses Merkmal künftig selbst erklären: durch die extremen Erfah- bei einer von 5000 Geburten erkennbar rungen, die sie beschreiben, und das innere werden. Möglicherweise, so Digel, müsse Ungleichgewicht, von dem der Autor erst- der Sport irgendwann eine dritte Kategorie mals im November 2007 erzählt hat. Fragen zur Inter- und Trans- von Athleten einführen. Es brauche eine sexualität hört die Gesellschaft Grundsatzdiskussion durch die Sportorga- Balian Buschbaum ist die frühere Stabhoch- eher ungern, das hat sich im nisationen. springerin Yvonne Buschbaum. Seit Kindes- 21. Jahrhundert nicht geändert. beinen fühlte er sich fremd in seinem Körper, Wie gesagt: Bisher wurde eine Diskussion Auch der Sport tut sich einst- im November 2007 teilte er das der Öffent- nur in Ausnahmen geführt. Und selbst in lichkeit mit, die ihn als Spitzensportlerin weilen schwer im Umgang mit diesen Ausnahmen tendenziell ungelenk und kennengelernt hatte. Er wolle sich nicht mehr diesen Themen. Grundsätzlich oberflächlich statt feinfühlig und grundsätz- verstecken, sagte er damals. hat er durchaus die Mittel, lich. Zum Beispiel im Fall von Caster Semenya. Aufklärung voranzutreiben. Die Südafrikanerin gewann 2009 bei der „Blaue Augen bleiben blau“, heißt Busch- Leichtathletik-WM in Berlin die Goldme- TEXT: CHRISTOPH BERTLING baums Biographie, das ist eine klare Bot- daille über 800 Meter. Bei ihrer Rückkehr schaft. Eine Botschaft, die sich nicht an den in ihre Heimat wurde sie wie eine National- Sport im Speziellen richtet, sondern an die heldin gefeiert. Ihr muskulöser Körper, ihre Gesellschaft im Ganzen. Denn anders als in männlichen Gesichtszüge führten jedoch der – vor allem auf Männerfußball bezoge- zu öffentlich geäußerten Verdächtigungen. nen – Debatte um Homosexualität hat der Schnell stand die Frage im Raum: Ist diese Sport in Fragen von Inter- und Transsexua- Athletin ein Mann? Faktor Sport [ Spiegelbild ] 35

Die IAAF ordnete einen Geschlechtstest an. meintlich liberalen Westeuropa substanziell Er ergab, dass Semenya keine Gebärmutter anders ist. Sicher hat der aus den USA und keine Eierstöcke besitzt und stattdessen „Ich empfinde importierte Gender-Begriff den wissen- einen dreifach erhöhten Testosteronwert und schaftlichen Diskurs entscheidend belebt, innen liegende Hoden. Die Athletin sah sich aber die Masse der Menschen umkurvt ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, fast wie das Thema doch eher. Sie stellt sich höchs- eine Kriminelle. Es dauerte Monate, bis diese Kelche tens die Frage, worin der Unterschied entschieden war, dass sie die Goldmedaille zwischen Inter- und Transsexualität liegen behalten durfte, da sie nicht gegen Regeln könnte; das ist ja mitnichten dasselbe verstoßen hatte. als überflüssig: (siehe Kasten). Der Fall Semenya hat die Debatte um Vor zweieinhalb Jahren noch war Nicole Geschlechteridentität angetrieben, aber Schnaß ein Triathlet. Als sie nach einer das hilft der Betroffenen nicht. Entwürdigend Es passt Geschlechtsanpassung Anfang 2009 bei den war vor allem, dass das Thema so massiv Frauen startete, spürte sie Ablehnung. nach außen getragen wurde. Jeder konnte „Manchmal gehen die Sprüche leider unter mitreden über die Frau und ihren intimsten kein Gramm die Gürtellinie. Da kann es schon passieren, Bereich. Für sie hatte sich das Leben verän- dass ich eine Träne vergieße“, sagte sie dert. Sie zog sich zurück, gab keine Interviews in einem Interview mit Spiegel Online im mehr. Sie sagt: „Es gibt zahlreiche Orte, an Oktober. Das Problem sind weniger Sportle- die ich nicht mehr gehen kann. Die Leute Seele in sie rinnen, die sich ob der männlichen Vergan- starren mich an.“ genheit ihrer Konkurrentin benachteiligt sähen. „Am häufigsten werde ich anonym in Mut kann dem Tabu die Nahrung entziehen. Internetforen beleidigt.“ Ihre Anerkennung Vor allem Mut der Betroffenen. Im vergan- hinein!“ im Sport, fürchtet sie, werde „wohl noch genen Jahr trat die Chilenin Andrea Paredes Jahre dauern“. de Roth als Transsexuelle bei einem Damen- Weltranglistenturnier in Argentinien an. Schnaß geht offen mit dem Thema um: Für die 37-Jährige, die als Ernesto Paredes „Die Verbände sollten jeden Fall mit viel zur Welt kam, ging es vor allem darum, als Fingerspitzengefühl angehen. Die Voraus- Frau starten zu dürfen. „Für mich war damit setzung dafür ist, grundsätzlich zu akzep- bereits ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich tieren, dass es Menschen gibt, die anders war stolz“, sagte sie. sind. Ich glaube, viele Menschen sind da noch nicht so weit“, sagt sie. Prinzipiell, Der Tennissport hätte ein Beispiel geben keine Frage, besitzt der Sport die Mittel können. Doch Presse, Spielerinnen und ZWISCHEN DEN GESCHLECHTERN zu Aufklärung: Er ist im Allgemeinen posi- Turnierleitung gingen hart ins Gericht mit tiv besetzt und seine Vertreter sitzen an der Frau. Man mag die Kritik sportlich TRANSSEXUALITÄT medialen Hebeln, die die Gesellschaft in begründet sehen, aber der Unterton schürte Transsexuell werden im Allgemeinen Menschen Bewegung setzen können. Freilich müssten genannt, die körperlich als männlich bezie- den Verdacht, hier gehe es um mehr. Die hungsweise weiblich erkennbar sind, sich sie diese Hebel behutsam, kontrolliert argentinische Zeitung „Clarín“ schrieb: „Sie jedoch dem anderen Geschlecht zugehörig betätigen. sah aus wie eine Amateurspielerin, die sich empfinden und danach streben, sich diesem Geschlecht auch äußerlich so weit wie möglich samstags mit ihren Freundinnen im Club anzunähern. Ein anderer Begriff für Transse- Ohnedies entfaltet Sport schon jetzt seelen- trifft.“ Die Turnierleitung räumte gegenüber xualität ist Transidentität. heilende Wirkung: auf die inter- und trans- der Zeitung ein: „Wir haben sie aus geschäft- sexuellen Athleten. So einzigartig jede Bio- INTERSEXUALITÄT lichen Gründen eingeladen, sie hat viele graphie, jeder Fall verläuft, eines ist den Als intersexuell bezeichnet man Menschen, Beziehungen in Chile.“ Die Spielerin Natali die anhand ihrer genetischen, anatomischen Betroffenen nach eigenen Aussagen gemein: Coronel sagte: „Man muss bei allem Respekt und hormonellen Geschlechtsmerkmale nicht Der Sport hat ihnen Kraft gegeben, Selbster- doch lachen, wenn man sie spielen sieht.“ eindeutig als weiblich oder männlich einzu- kenntnis forciert, Spannung abgebaut. Caster stufen sind. Semenyas persönliche Heimat zum Beispiel ANONYME BELEIDIGUNGEN TRANSGENDER war immer das Laufen, und die erzwungene Eine Art Oberbegriff ist „Transgender“. Er Veröffentlichung ihrer Intersexualität hat das Man mag das mit moralischer Strenge in bezieht sich in der Regel auf alle Menschen nicht verändert: „Hier bin ich einfach ich und Verhaltensweisen, die auf irgendeine katholisch geprägten Gesellschaften erklä- Weise nicht der klassischen Geschlechter- selbst“, sagt sie. Balian Buschbaum könnte ren. Die Frage ist, ob die Situation im ver- unterteilung zuzuordnen sind. ergänzen: Blaue Augen bleiben blau. ] 36 [ Spiegelbild ] Faktor Sport

GLEICHES GOLD FÜR ALLE? Gold ist Gold und wieder nicht: Paralympische Medaillen besitzen materiell weniger Wert als olympische. Muss sich das ändern oder soll es so bleiben? Für den DBS-Aktivensprecher und Theologen Rainer Schmidt steht vor allem eines fest: Die Diskussion an sich ist unumgänglich.

ancouver 2010: Magdalena Neuner Was aber macht eine Sportart, ein Event, muskulös, ich muskellos. Er fährt mit 120 wird Doppelolympiasiegerin. Deut- eine Leistung, einen Menschen bedeutsam, Stundenkilometern durch die Röhre. Ich sche Athleten erringen 30 Medaillen, was eine Medaille wertvoll? bremse meinen Schlitten bei 6 Stunden- V darunter 10 goldene. Medien berichten kilometern. ausführlich, der Bundespräsident verleiht SCHWIERIGER UMGANG silberne Lorbeerblätter und die Deutsche Bei Paralympischen Athleten ist das kompli- Sporthilfe überweist 15.000 Euro Prämie Unsere Gesellschaft honoriert sportliche zierter. Da sehe ich einen übergewichtigen für eine Goldmedaille. Leistungen. Zuweilen unglaubliche, extreme Curler im Rollstuhl und denke: „Säße ich im Leistungen – die zu nichts nutze sind. Boris Rolli, könnte ich das genauso gut.“ Unter- Drei Wochen später, Vancouver 2010: Becker hat Filzbälle übers Netz geschlagen. schätzung der Behinderung führt dazu, dass Verena Bentele wird fünf Mal Paralympische Er hat kein Brot gebacken und keine Wasser- Leistungen nicht gewürdigt werden. Siegerin. Das deutsche Team erringt 13 Gold- leitung verlegt. Gäbe es niemanden mehr, der medaillen, mehr als jede andere Nation. Filzbälle über Netze schlägt, wäre das kein Es gibt aber auch das Gegenteil. Überschät- Medien berichten – nicht mehr so ausführ- Verlust. Gäbe es niemanden mehr, der Häu- zung der Behinderung veranlasst uns, Para- lich –, der Bundespräsident verleiht silberne ser baut oder Kleidung näht, wäre das fatal. lympioniken zu idealisieren. Menschen stau- Lorbeerblätter und die Deutsche Sporthilfe Würde die Höhe der Medaillenprämie an der nen fassungslos, wie Martin Braxenthaler im überweist 4500 Euro Prämie für eine Gold- Nützlichkeit der Leistung bemessen, bekäme Monoski die Abfahrt runterdonnert. Ich medaille. kein Hochleistungssportler nur einen Cent. selbst werde dafür bewundert, wie ich mit meinen kurzen Armen schreiben kann (Ich Regelmäßig anlässlich Olympischer und Gold ist wertvoll, weil es selten ist. Was für sage dann: „Das habe ich in der ersten Klasse Paralympischer Spiele stellt sich die Frage, ob Dinge gilt, gilt auch für Fähigkeiten. Wir gelernt“). Nicht meine Fähigkeit, schreiben nicht jede Goldmedaille gleich viel wert sein bewundern Artisten, Rechengenies, Leis- zu können, führt zur Bewunderung, sondern müsste. Die Einen beklagen lautstark Un- tungssportler, Computerfreaks. Wir verglei- dass mich mein Gegenüber unterschätzt. gleichbehandlung und Diskriminierung. Das chen ihre Fähigkeiten mit unseren. Das moralische Moment macht es der anderen Außergewöhnliche lässt uns auf den Bild- VERSTELLTER BLICK Seite schwer, Gegenargumente anzuführen. schirm starren. Hier liegt die Stärke der Sie äußert nur hinter vorgehaltener Hand, die olympischen Athletinnen und Athleten. Mit Welche Leistung also ist außergewöhnlicher, Paralympics seien schlicht nicht gleichwertig. André Lange kann ich mich vergleichen: Er die olympische oder die paralympische? Faktor Sport [ Spiegelbild ] 37

schen Spielen zu diskutieren. Das ist wichtig und richtig. Denn was in einer Gesellschaft Eine Leistung für wertvoll erachtet wird, muss immer wieder neu debattiert werden. Für mich ist es aber wird nur nicht zuerst eine Frage des Geldes. Der Bundespräsident verleiht seit Jahren das Silberne Lorbeerblatt beiden deutschen Mannschaften in einer Veranstaltung. Die honoriert, Berichterstattung der Medien über Peking 2008 und Vancouver 2010 hat sich im Ver- gleich zu den Spielen zuvor annähernd wenn sie verzehnfacht. Die finanzielle Unterstützung der Paralympioniken nimmt zu. Und die DSH verweist darauf, dass die Paralympischen Athleten zwar niedrigere Medaillenprämien wahrgenom- erhalten, die durchschnittliche Förderung aller A- und B-Kader aber auf dem Niveau DER WERTEHÜTER der Olympioniken liege.

men wird. Rainer Schmidt aus Bonn-Bad Godesberg ist WERTVOLLER TEAMGEDANKE viermaliger Paralympics-Sieger im Tischtennis und Aktivensprecher des Deutschen Behinder- tensport-Verbandes. Der Theologe arbeitet als Wer Prämien bezahlt, will Leistung hono- Dozent am Bonner Pädagogisch Theologischen rieren. Dabei ist die Leistung des Einzelnen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland. immer ein Produkt vieler Faktoren. Erst wenn der Bobpilot einen Hightechschlitten unter dem Hintern hat, die Biathletin optimal Je größer der Aufwand ist, eine Medaille zu und eine silberne im Einzel gewonnen. Ich vorbereitet ist und sich am entscheidenden erringen, desto größer sollte der Lohn sein. war Gast im „Sportstudio“, die Deutsche Tag keine Erkältung einstellt, kann es Gold Insofern sollten Olympioniken eine höhere Sporthilfe überwies gleich zwei Prämien und geben. Wir jubeln den Athleten zu. Welchen Prämie erhalten. Denn es gibt viel mehr Tisch- der Bundespräsident verlieh mir das Silberne Anteil Trainer, Material und Glück am Erfolg tennisspieler mit zwei Händen und zwei Bei- Lorbeerblatt. Wochenlang schwebte ich auf haben, wissen wir nicht. Höchstleistungen nen als Typen wie mich und meine Konkur- einer Wolke des Glücks. bringen nur kooperierende Menschen. Und renten. Neben der Anzahl der Aktiven könnte das ist nun wirklich eine Stärke der Paralym- die Professionalität als Kriterium dienen. Ein Jahr zuvor in Zagreb war ich zweifacher pischen Heroen. Das Zusammenspiel von Auch hier gibt es Unterschiede. Neuner und Europameister geworden, für mich ein Verena Bentele und Thomas Friedrich ist top. Co üben ihren Sport als Profis aus. Sie können unglaublicher Erfolg. Keine Prämie, kein TV, Da ist blindes Vertrauen. sich optimal auf Wettkämpfe vorbereiten, um kein Bundespräsident. außergewöhnliche Leistungen zu präsentie- Für mich ist die Leistung wertvoll, die uns ren. Allerdings holen Bentele und Co auf. Das HÖHERE AUFMERKSAMKEIT vor Augen führt, dass man nur im Team ans Topteam des Behindertensportverbandes hat Limit gehen kann. Sportliche Wettkämpfe etliche Athleten quasi zu Semiprofis gemacht. Paralympische und Olympische Spiele sind sind wertvoll, wenn sich strahlende Sieger nicht die einzigen Veranstaltungen, die Top- bei den Unterlegenen für deren Fairness Das Grundproblem bleibt: Objektiv ist kaum leistungen hervorbringen. Ihre Bedeutung bedanken. Ich bewundere Menschen, die feststellbar, welche Leistung besonderer ist. liegt darin begründet, dass viele Menschen sich leidenschaftlich ihrem Tun verschreiben. Olympische und Paralympische Athleten ver- sie für einen einmaligen Höhepunkt halten. Das sind Werte des Sports, die wir zu Recht bindet die Hingabe. Das Erleben der eigenen Darüber hinaus gibt es einen Unterschied. honorieren. Auf die Frage nach dem objek- Leidenschaft und des ständigen An-die-Gren- Nach Umfang der Berichterstattung wie nach tiven Wert einer Leistung oder Medaille gibt zen-Gehens gibt Leistungssportlern den Kick, Zuschauerzahlen (was einander bedingt) zu es keine abschließende Antwort. Gleichwohl nicht die Medaillenprämie. Eine Leistung urteilen, halten wir Olympia für wichtiger. müssen wir sie immer wieder stellen. Um uns wird nur honoriert, wenn sie wahrgenommen Das aber kann sich ändern. immer wieder klar darüber zu werden, was wird. Das ist für mich der wichtigste Punkt. wir eigentlich honorieren wollen. ] Regelmäßig ist die Medaillenprämie der 2004 habe ich bei den Paralympischen Spie- Deutschen Sporthilfe (DSH) Anlass, das len in Athen eine Goldmedaille mit dem Team Verhältnis von Paralympischen zu Olympi- 38 [ Tribüne ] Faktor Sport

ZWISCHEN WORKSHOP UND WETTKAMPF Die Olympischen Jugendspiele haben ein hehres Ziel: Sie sollen Leistungs- sport und Spaß miteinander verbinden. Die 3600 jungen Athleten aus 205 Nationen erwartet ein umfangreiches Kultur- und Bildungsprogramm, das das Miteinander in den Vordergrund stellt. TEXT: MAXIMILIAN HAUPT Faktor Sport [ Tribüne ] 39

weifel? Ein Fremdwort für Nikolaus Sie werden sich also treffen. Karolin Weber Bodoczi. Wenn sich der 16 Jahre alte und Nikolaus Bodoczi. Bildung, Kultur und Degenfechter aus Offenbach im August Sport. Miteinander und Gegeneinander. Z auf den Weg nach Singapur macht, um Zusatzprogramm und Trainingsplan. an den ersten Olympischen Jugendspielen teilzunehmen, dann vor allem aus einem DER FAKTOR SPASS Grund: „Ich will dort die Goldmedaille holen.“ Und um seine Absicht zu bekräftigen, Im günstigen Fall arbeiten beide am gleichen fügt er sofort hinzu: „Als Kadettenweltmeister Ziel und der Plan des Internationalen Olympi- kann ich gar kein anderes Ziel haben.“ schen Komitees (IOC) geht auf. Dann ergän- zen sich Wettkampf und CEP, greifen ineinan- Wenn Karolin Weber im Sommer aufbricht, der und lassen die Jugendspiele vom 14. bis um aus Homburg im Saarland die Reise in zum 26. August 2010 zu einem Fest werden, den Stadtstaat südlich von Malaysia anzu- was sich IOC-Präsident Jacques Rogge (68) treten, dann hat auch sie vornehmlich ein wünscht: „Die Athleten in Singapur sind 14 bis Ziel: „Ich will, dass die Sportler mit einem 18 Jahre alt. Das ist das Alter, um zu feiern, und Lachen im Gesicht umherlaufen.“ Mittel zum nicht schon das Alter, nach Erfolg zu eifern. Es Zweck hierbei: Das Culture and Education muss Spaß machen und Spaß sein. Es darf Programme (CEP) der Jugendspiele. In zahl- nicht zu ernsthaft und keine Belastung sein, reichen Workshops, Vorträgen und bei Aus- das kommt noch früh genug. Für mich ist die flügen sollen die jugendlichen Athleten die Fröhlichkeit der Athleten der Gradmesser für olympischen Werte Exzellenz, Freundschaft den Erfolg der Spiele: Wenn die Athleten fröh- und Respekt vermittelt bekommen. Sie sollen lich sind, sind die Spiele ein Erfolg.“ zum Beispiel lernen, sich gesund zu ernähren, im Team Herausforderungen zu meistern und Schwierig dürfte werden, die Sportler davon professionell mit den Medien umzugehen. zu überzeugen, dass diese Jugendspiele ganz unter dem Motto „Dabei sein ist alles“ stehen. Als Juniorbotschafterin wird der 23 Jahre „Das ist für viele die vermutlich einzige alten Medizin-Studentin Weber zusammen Chance ihres Lebens, an einer Veranstaltung mit ihren 29 internationalen Kollegen sowie teilzunehmen, die ‚Olympia‘ im Namen Mehr als nur Wettkämpfe: Schon die Piktogramme der 60 „Volunteers“ aus Singapur die Aufgabe trägt“, sagt Nikolaus Bodoczi. „Dass da Jugendspiele verdeutlichen den Ansatz, Kultur und zuteil, den 3600 jungen Sportlern aus aller jemand ohne den Ehrgeiz zu gewinnen hin- Erziehung miteinander zu verbinden (o.). Die deutsche Botschafterin Karolin Weber (u.) gehört mit ihren Welt die vielen (Bildungs-)Angebote näher fährt, kann ich mir nicht vorstellen. So eine Kolleginnen und Kollegen zu denen, die den Athleten zu bringen. Chance bekommen wir doch nie wieder.“ --› das Erziehungsprogramm näher bringen sollen

„Wenn die Athleten fröhlich sind, sind die Spiele ein Erfolg.“ 40 [ Tribüne ] Faktor Sport

SCHWIERIGE KOORDINATION genannten Olympischen Werten die vier Jugendlichen die Kultur des Gastgeberlandes Kernthemen, mit denen sich das CEP aus- kennen lernen. Bodoczi sieht die Motivation keineswegs einandersetzt. Im März hatte Karolin Weber dadurch geschmälert, dass für viele Sportler die Gelegenheit, in Singapur die einzelnen Die Teilnehmer der Olympischen Jugend- die Spiele in Singapur außerhalb des Wett- Elemente kennenzulernen und auszuprobie- spiele in Singapur kommen aus der ganzen kampfkalenders oder kurz vor einer Junioren- ren. Ihr Fazit: „Ein tolles, umfassendes und Welt. Alle 205 Nationalen Olympischen Weltmeisterschaft liegen (Triathlon), was sehr durchdachtes Programm.“ Natürlich. Komitees (NOK) haben mindestens vier vielfach bemängelt wurde. „Klar: Auf die Sie ist Botschafterin. Startplätze. An der Geburtstagsparty der Kadetten-WM in Baku habe ich mich meh- Nachwuchsspiele, die künftig im Zweijah- rere Monate intensiv vorbereitet, auf die Vor allem Ausflüge wie das „Island Adven- resrhythmus ausgetragen werden (Winter Spiele in Singapur sind es ein paar Wochen – ture“ werden auf große Zustimmung stoßen, 2012/Innsbruck und Sommer 2014/Nan- aber in denen werde ich genauso gewissenhaft ist sich die Juniorbotschafterin sicher. „Die king folgen auf Singapur), sollen möglichst arbeiten wie vor jedem anderen Wettkampf.“ Sportler müssen auf einer Insel vor Singapur viele teilnehmen können. Für die Sportler Sportler, egal wie alt, seien nun mal Sportler, verschiedene Hindernisse überwinden. Ob es und ihre Betreuer übernimmt das IOC die weil sie gewinnen wollten. gilt, ein Floß zu bauen, einen Turm zu be- Kosten, allerdings mit dem unbefriedigen- steigen oder über einen See zu paddeln – sie den Nebeneffekt, dass das Begleitteam des Dem Degenfechter gefällt, dass das IOC in werden es nur im Team schaffen.“ Um diese DOSB für die maximal 70 deutschen Athle- Singapur nicht nur mit dem CEP neue Wege Form der Wertevermittlung gehe es beim tinnen und Athleten in Singapur sehr klein geht, sondern auch bei den Wettkampfformen CEP. „Selbst erleben, durch Erfahrung verin- ausfällt. experimentiert. Etwa beim Fechten, das als nerlichen: Das ist der Gedanke dahinter.“ Nationen- und geschlechterübergreifender Auf der Homepage der Jugendspiele Mannschaftswettbewerb daherkommt oder VORBEREITUNG AUF DEN ERFOLG (www.singapore2010.sg) heißt es, die beim Modernen Fünfkampf, der als Vierkampf Erfahrung einer solchen Veranstaltung solle ohne Reiten ausgetragen wird. „Skills devel- Ganz praktisch werden die Sportler vom die Nachwuchsathleten darin bestärken, den opment“ (Karriereplanung), „well-being and Medientraining profitieren. „Sich und seine eingeschlagenen Weg des Spitzensports wei- healthy lifestyle“ (Gesundheitsmanagement Erfolge in der Öffentlichkeit gut zu präsen- terzugehen. Die jungen Leute sollen sich an im Spitzensport), „social responsibility“ tieren kann vielen dabei helfen, im Verlauf der Schwelle zum Erwachsenwerden weiter (soziale Verantwortung im weitesten Sinne) der Karriere Sponsoren und öffentliche für den Sport entscheiden. Das beste Argu- und „expression“ (Kunst, Kommunikation Anerkennung zu bekommen“, erklärt Weber. ment für Nikolaus Bodoczi wäre sicherlich und digitale Medien) – das sind neben den Dazu kommen Workshops, in denen die eine goldene Medaille. ]

DIE FLAMME KOMMT NACH BERLIN

Am 24. Juli verwandelt sich der Pariser Platz am Brandenburger Tor An diesem Tag wird in Berlin zudem das deutsche Team für Singapur verab- in Berlin in ein Sportfeld für die Jugend. Der Deutsche Olympische schiedet. Bis zu 70 deutsche Nachwuchstalente im Alter von 14 bis 18 Jahren, Sportbund feiert den „Youth Olympic Day“ und die Ankunft der Olym- die sich im Vorfeld sportlich qualifizieren müssen, dürfen zu den ersten pischen Flamme. Berlin ist ihre einzige europäische Station. Es folgen Jugendspielen reisen. Der DOSB nominiert die Mannschaft Ende Juni. Dakar (26. Juli), Mexico City (28. Juli), Auckland (1. August) sowie Insgesamt 3600 junge Athletinnen und Athleten, aus allen 205 Nationalen Seoul (4. August), ehe die ersten Olympischen Jugendspiele am 14. August Olympischen Komitees und in 26 Sportarten, werden bis zum 26. August in Singapur eröffnet werden. um die olympischen Medaillen kämpfen. Dazu zählen auch neuartige Wettbewerbe wie Basketball mit Dreierteams oder gemischte Staffeln. Die Flamme soll um 13.30 Uhr am Brandenburger Tor eintreffen, Die Premiere unterstützen rund 20.000 lokale und internationale Helfer. begleitet von einer Live-Show mit Sport und Musik. Gäste können sich Erwartet werden 500.000 Zuschauer und 1500 Medienvertreter. schon von 11 Uhr an mit Sportstars messen und sich im Hochseilgarten oder am Kletterfelsen versuchen. Die Teilnahme ist kostenfrei, der Weitere Informationen über die Olympischen Jugendspiele gibt es auf Pariser Platz für alle zugänglich. der Website der Organisatoren: www.singapore2010.sg Faktor Sport [ Tribüne ] 41

Freude muss sein, etwa bei den jugendlichen Singapurern über den Zuschlag zu den Youth Olympic Games. Die Stadt bietet den Gästen aus aller Welt Interes- santes, etwa den hinduistischen Sri Mariamman-Tempel

Flaggen und Sieger- ehrung gibt es zwar auch in Singapur, aber IOC-Präsident Jacques Rogge (Bild unten rechts, links) hat für die Jugendspiele andere Ziele im Sinn 42 [ Tribüne ] Faktor Sport

s gibt Schöpfer, und es gibt Geschöpfe. bole werden wir das Interesse der Medien Der olympische Schöpfer heißt Jacques verlieren, das der Regierungen und schließ- Rogge, und sein Geschöpf sind die lich auch das der jungen Athleten.“ E Olympischen Jugendspiele. Doch wie das im wahren Leben ist, wird manches nicht Das IOC-Exekutivkomitee sprach sich danach so, wie der Erzeuger es sich vorgestellt hat. mit einer Stimme Mehrheit für die patriotisch Es kann eine Frühgeburt geben, manchmal geprägte Variante aus. Das Erstaunliche: Die eine Fehlgeburt. Und selbst wenn die Ent- entscheidende Stimme kam vom IOC-Prä- bindung gelingt, ist nicht sicher, was aus dem sidenten. Während viele Olympier den Präsi- neuen Geschöpf einmal werden wird. denten für dessen „Demokratieverständnis“ lobten, weil er einem Mehrheitswillen des 1991 hat Rogge als Vorsitzender der europäi- Parlaments Rechnung getragen habe, warfen schen NOKs die Europäischen Jugendspiele die Befürworter eines neutralen Auftritts dem eingeführt. So bekamen Olympiasiegerinnen Präsidenten „Führungsschwäche“ vor. wie Justine Henin (Tennis), Janica Kostelić Jacques Rogge formulierte es staatsmännisch: und Anja Pärson (beide Ski alpin) schon sehr „Gelegentlich verliert man ein Gefecht. Doch früh eine internationale Bühne. Sechs Jahre, die große Schlacht habe ich gewonnen.“ bis 2007, brauchte der Belgier schließlich, um als IOC-Präsident seinen großen Plan Brauchbare Hinweise auf den weiteren Ver- durchzusetzen: die Erschaffung Olympischer lauf dieser Auseinandersetzung wird erst Sin- Jugendspiele. gapur liefern, weshalb die Veranstaltung wie auf Bewährung wirkt. Gewünscht ist ein Kräfte- Damit Rogge sein Vermächtnis noch während messen heranwachsender Welteliten, die PRESTIGE- der eigenen Amtszeit (bis 2013) erleben „Sieger“ - nicht „Olympiasieger“ - ermitteln; kann, musste die Umsetzung im Galopp ein Spaß-Fest und ein Trainingslager für Fair geschehen: die Suche eines Austragungsortes Play und Erziehung. Nachdem Fahnen und in nur vier Monaten zum Beispiel, oder der Hymnen einer Nationalisierung die Tür geöff- OBJEKT AUF höchst schwierige Prozess der Festlegung net haben, sollen aussagekräftige Medaillen- von Format und Inhalten im Zusammenwir- spiegel zumindest umgangen werden. Zu den ken mit 26 internationalen Verbänden und 201 Wettkämpfen in 26 Sportarten gehören 205 NOKs. Nun soll das Schwesterchen des Mixed-Wettkämpfe, bei denen länderüber- BEWÄHRUNG großen, 116 Jahre alten Bruders Olympische greifende Zweierteams oder Kontinental- Spiele laufen lernen. Doch schon die ersten mannschaften gegeneinander antreten. Ginge es nach Jacques Rogge, Schritte in Singapur werden nicht so sein, stünde bei den Jugendspielen die wie es sich ihr Schöpfer vorgestellt hat. Eher skeptisch blickt Joseph Blatter auf die Jugendspiele. Das IOC-Mitglied aus der verbindende Kraft des Sports Rückblick: Am 10. Juni 2007 sagte Rogge der Schweiz nennt sie eine „Frühgeburt“. Der von im Vordergrund, nicht der nationale französischen Sportzeitung „L’Equipe“: „Es ihm regierte Fußball-Weltverband überraschte Gedanke. Eine Ansicht, die längst wird keine nationalen Flaggen und Hymnen denn auch mit einer bemerkenswerten Aus- nicht alle Mitglieder des IOC mit geben, damit jede Art von Nationalismus wahl für Singapur: Er setzte Turniere für 14- ihrem Präsidenten teilen. Singapur verhindert werden kann. Die einzige Flagge bis 15-jährige Mädchen und Jungen durch und bei der Siegerehrung wird die olympische vergab die Tickets für die jeweils sechs Teams wird zeigen, ob sich die Veranstal- Flagge sein und die einzige Hymne die olym- an Länder wie Vanuatu, Äquatorial-Guinea, tung gegen patriotische Vereinnah- pische Hymne.“ 25 Tage später machte sich Papua-Neuguinea, Trinidad und Tobago, mungen behaupten kann. der Israeli Alex Gilady bei der einmütigen Zimbabwe und Kuba. Diese Auswahl könnte TEXT: GÜNTER DEISTER Inkraftsetzung der Jugendspiele durch die als Wiederbelebung des „Dabeisein ist wich- IOC-Session in Guatemala zum Sprecher tiger als der Sieg“ verstanden werden - oder der großen Mehrheit: „Ohne nationale Sym- als Versuch, die Jugendspiele zu entwerten. ] Deutschlands Sportförderer Nummer 1.

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Sparkassen. Gut für Deutschland. S 44 [ Vermittlungskunst ] Faktor Sport

ie kennen die Vereine oder Verbän- nicht erst, für Spiegel Online über den de, die Trainer, Kollegen und Mas- Fußball zu schreiben: „Ich kannte doch IM WECHSEL seure, die Betreuer und Vorstän- alle, da hätte ich einigen Leuten gegenüber S de. Und sitzen dann plötzlich auf eine Beißhemmung gehabt.“ der anderen Seite, über ihren Tastaturen. Sollen kritisch über die berichten, die bis Philipp Crone kommt als Lokalreporter DER gestern mit ihnen gejubelt und geweint der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) haben, die sie in der Kabine angebrüllt selten mit Hockey in Kontakt, ihn hat es oder mit denen sie sich betrunken haben. nie ins Sportressort gezogen. „Das hat PERSPEKTIVE sich einfach nicht ergeben“, sagt er. Als Ulrike Spitz, Jens Todt und Philipp Crone er während der letzten Hockey-WM in TEXT: FRANK HEIKE haben zu ganz unterschiedlichen Zeiten Indien im Sport aushelfen musste, weil ihres Lebens die Seiten gewechselt. Die die Kollegen nicht zur Verfügung standen, Langläuferin, der Fußballprofi, der Hockey- kam er um die Nestbeschmutzung herum – Jens Todt (Seite 45) 1 spieler. Spitz kämpfte in ihrer Karriere kritische im Sinne von negativer Bericht- 2 Philipp Crone (Seite 46) als vielbeachtete Sportjournalistin bei der erstattung gibt es im erfolgsverwöhnten 3 Ulrike Spitz (Seite 47) „Frankfurter Rundschau“ („FR“) mit dem Hockey ja kaum. Distanz-Nähe-Problem zur nationalen Szene im nordischen Skisport. „Erst mit Drei Geschichten: über die Karriere der Zeit wurde der Abstand automatisch nach der Karriere und die Suche nach größer“, sagt sie. Jens Todt versuchte gar der richtigen Perspektive Faktor Sport [ Vermittlungskunst ] 45 WIDERSTREITENDE LEIDENSCHAFTEN

enn er etwas aus seiner Laufbahn dazwischen. „Ich bin keiner, der das Leben als Fußballprofi mitgenommen acht Jahre im Voraus plant“, sagt Todt. Für habe, sagt Jens Todt, dann die Ei- überraschende Zwischenhalte muss Raum 1 W genart, sich nicht so schnell be- bleiben. Wie 2007, als Todt der Hertha längst eindrucken zu lassen. „Ich habe vor 80.000 den Rücken gekehrt hatte und ein gutes Leuten gespielt und erlebt, wie es ist, wenn Angebot des Hamburger SV bekam. Nach Helmut Kohl in die Kabine kommt. Das hat dem Volontariat bei Spiegel Online als Re- mir geholfen, wenn ich als Journalist mal dakteur im Ressort „Panorama“ eingestellt, einen Staatssekretär anrufen musste.“ Drei- verließ er die beste Adresse im deutschen mal hat der 40 Jahre alte Todt für Deutsch- Web-Journalismus per Kündigung wieder. land gespielt. Er darf sich als Europameister fühlen, auch wenn er 1996 bei der EM in Beim „Spiegel“ hatte Todt bisweilen intensiv England nur nachnominiert wurde. und exklusiv recherchieren dürfen, über Ehrenmorde in einer türkischen Familie Jens Todt glaubt schon, dass die Einstiegs- beispielsweise, ein Thema, das ihn packte. hürden für ihn in der Karriere nach der Kar- Doch ab 2006 erfasste ihn eine andere riere etwas niedriger waren als für andere. Leidenschaft, eine bekannte: „Ich fand die Aber: „Der Journalismus war ja keine fixe Fußball-WM in Deutschland richtig auf- Idee von mir, die über Nacht kam. Ich habe regend und wollte unbedingt zurück in den als Spieler immer Praktika gemacht während Fußball“, sagt Todt. der Sommerpause, wenn die anderen im Urlaub waren.“ 2005 landete er als Volontär Da kam das attraktive Angebot des HSV bei Spiegel Online. zur rechten Zeit: Der Verein wollte ihn als Leiter seines Nachwuchs-Leistungszentrums. Mit Worten umzugehen, hat der geborene Wäre der Sportjournalismus kein Feld gewe- Hamelner schon in der Heimatstadt Nien- sen, um die Begeisterung für den Sport aus- burg gelernt. Ganz klassisch: Schülerzeitung, zuleben? Todt sagt, was auch Ulrike Spitz dann Berichte für den Sportteil der Lokalzei- sagt: „Ich hätte als Ex-Profi bei einigen tung. Später, schon als Profi des SC Frei- Klubs eine Beißhemmung gehabt. So kann burg, schrieb Todt für das gut gemachte man als Journalist nicht arbeiten.“ Seine Fußballmagazin „Hattrick“ Kolumnen, Vermutung: Sowohl ehemalige Vereins- machte Praktika bei „Spiegel“ und „Stern“ vertreter als auch Kollegen auf dem Rasen und zierte seinen Lebenslauf mit ein paar hätten wohlgesonnene Berichte und Porträts Semestern Literaturwissenschaft. erwartet. Ein sich abzeichnender Konflikt, dem er bewusst aus dem Weg ging. Bei Spiegel Als Fußballprofi folgten die Engagements bei Online drängte ihn ohnehin niemand ins Werder Bremen und dem VfB Stuttgart. Trotz Sportressort. Das war gut so. der erfolgreichen Jahre bei den Klubs hat Todt den Journalismus nie aus den Augen Inzwischen hat Todt den HSV wieder verlas- verloren; 2003 nach Ende seiner Zeit hätte sen. Seit Februar arbeitet er in gleicher Posi- er als Profi mit 208 Bundesligaspielen zur tion für den VfL Wolfsburg. Für das Lesen „Stuttgarter Zeitung“ gehen können. Ein seiner Lieblingszeitung, der „New York Angebot als Chefscout von Hertha BSC kam Times“, hat er leider auch dort wenig Zeit. ] 46 [ Vermittlungskunst ] Faktor Sport

KOLUMNIST IN ZWEI 2 WELTEN

an muss München nicht kennen, ich mit vielen verschiedenen Charakteren „SZ“ mit Schwerpunkt Lokalredaktion. „Ich um die kleinen Feuilletons des Ge- auskommen. Es trifft so oft zu, wenn ich bin gern Lokalredakteur“, sagt Philipp Crone. sellschaftsreporters Philipp Crone sage: Das kenne ich vom Sport.“ M zu mögen. In den manchmal nur 40 Jetzt steckt er mittendrin in der Welt des Zeitungszeilen seiner Rubrik „Szenario“ hat Er kennt es vom Hockey, Kolumnist zu sein. Örtlichen mit seinen immer neuen Überra- sich die Ironie häuslich eingerichtet, und kein Aus dem Innenleben der Nationalmann- schungen. Er kennt die peinlichen Momente Star oder Sternchen der Münchner Szene schaft berichtete Crone unter seinem Spitz- des Berufs, wie zuletzt, als er einem bekann- wird ernster genommen, als es unbedingt sein namen in der Internet-Rubrik „Hupes ten Münchner Gastronomenpaar gegenüber muss. Mit Respektlosigkeit hat das nichts zu Welt“. Die Fangemeinde wuchs. „Ich habe saß, ohne sich auf das Gespräch vorbereitet tun. Crone schaut nur genau hin und sieht, wohl den richtigen Ton getroffen“, sagt er, zu haben, und die Minuten zäh dahintropf- dass selbst bei der buntesten Vernissage, dem „mir hat das richtig Spaß gemacht, war ten. Er kennt die erhebenden Momente wie besten Film, das Essen wichtiger ist als die ja mehr Rumgeblödel mit Buchstaben.“ bei der Recherche über einen Kranführer mit Bilder: „Es geht von Anfang an um die Schon im Elternhaus war im Grunde alles für Besuch in der Kuppel. „Man sollte die Ge- Wurst.“ Ein Einstieg aus dem Lehrbuch. später vorhanden, „SZ“, „Zeit“, „Spiegel“ – spräche da führen, wo die Arbeit stattfindet.“ allein: Crone las nicht. „Nur manchmal den Der Kranführer dankte später per E-Mail für Man ist versucht, Crones augenzwinkernden Sportteil oder die Hockeyzeitung.“ Keine den guten Text. Blick und sein Sprachgefühl mit seiner Lauf- Rede also von journalistischer Sozialisation. bahn als Hockeyspieler in Verbindung zu Philipp Crone mag die Aufregung, wenn er bringen. Aber Crone, 33 Jahre alt, war ein Überraschend für ihn selbst bekam der Ho- sein „Szenario“ abends irgendwo aktuell rustikaler Libero, kein filigraner Angreifer. ckeyspieler 2005 einen Platz in der feinen schreiben muss, mit dem drängenden Re- Er schreibt feiner als er spielte, 342 Mal für Münchner Journalistenschule („mein beson- daktionsschluss im Nacken und dem Lärm Deutschland, Rekordnationalspieler des derer Lebenslauf war sicher von Vorteil, ich der feiernden Menschen im Ohr. „Der Sport Deutschen Hockey-Bundes (DHB), Welt- hatte vorher nie ein Praktikum gemacht“); es hat mir beigebracht, Stress zu mögen“, sagt meister, Olympiadritter. Die Verbindung folgten Praktika bei „Geo“ in Hamburg („da Crone, „wir haben mit der Nationalmann- zwischen Sport und Journalismus gibt es für hat das Hockeynetzwerk geholfen“), dem schaft so oft in den letzten Minuten gewon- ihn trotzdem. „Auch in der Redaktion geht es Bayerischen Rundfunk und der „Süddeut- nen. Man spielt anders, wenn man das nur mit Teamarbeit. Als Lokaljournalist muss schen“. 2008 bekam er ein Volontariat bei der kann.“ Vielleicht schreibt man auch besser. ] Faktor Sport [ Vermittlungskunst ] 47

s war ja alles schön und gut und richtig als ehemalige Athletin? „Ich hatte rückbli- mit dem Abstand zu den Verbänden ckend wenige Probleme in der Redaktion. SCHREIBEN und ihren Sportlern, auch und gerade Ich hätte den Job aber auch nie gemacht, E für jemanden, der selbst Nationalka- wenn die Redaktion dagegen gewesen wäre. derathletin war und nun seit Jahren als Jour- Mir war wichtig, die Kollegen ihre Stärken nalistin über Ski nordisch berichtete. Aber ausleben zu lassen.“ AUF als die deutsche Frauenstaffel bei den Olym- pischen Spielen 2002 in Salt Lake City die Nach Stationen bei der „Badischen Zeitung“ Goldmedaille im Langlauf gewann, vergaß in Freiburg, der lokalen Sportredaktion Ulrike Spitz für einen Moment ihren An- Titisee-Neustadt sowie der langen Zeit bei DISTANZ spruch auf Neutralität: „Ich habe mich riesig der „Rundschau“ und 25 Jahren Sportjour- gefreut und war einfach mal Fan.“ nalismus traute sich Ulrike Spitz 2007 einen Seitenwechsel zu: sie wurde Leiterin der Als westdeutsche Spitzenathletin im Skilang- Kommunikation der Nationalen Anti Doping lauf hatte sie in den Siebzigerjahren selbst Agentur (Nada) in Bonn. die Staffelrennen geliebt, wegen des Mann- schaftscharakters und der Kürze der Strecke. Aufklärung war ein wichtiger Teil der Arbeit. Nun sah sie ihre jungen Nachfolgerinnen tri- „Ich habe Workshops angeboten, gerade umphieren. Ein Jahr später, 2003, krönte für lokale und regionale Kollegen, denn 3 Spitz ihre zweite Karriere und wurde bei der wer zu dritt in der Redaktion sitzt, und alles „Frankfurter Rundschau“ Chefin des Sport- abdecken muss, kann im Thema Doping nur ressorts, das sie bis 2007 leitete. scheitern, wenn er nichts weiß.“ Bis Anfang des Jahres verantwortete sie die Außen- War es für Spitz insgesamt leichter, an bri- darstellung der Nada, eine extrem spannen- sante Informationen zu kommen, weil sie die de und lehrreiche Zeit, wie sie sagt – jetzt großen Namen des nordischen Skisports, möchte sie sich einer Aufgabe zuwenden, wie Jochen Behle oder Hermann Weinbuch, die nichts mit dem Sport zu tun hat. noch als Aktive kannte? „Ich glaube schon, dass ich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber In all den Jahren in Führungspositionen den Kollegen hatte“, sagt sie, „aber vor allem hat Ulrike Spitz von ihrer Zeit als Skilang- hatte ich einen anderen Blick auf den Sport“ – läuferin profitiert. „Ich habe im Sport was bisweilen schwierig war: „Ich durfte in gelernt, nicht aufzugeben, mich nicht von meinen Texten ja nicht zu fachlich werden.“ Rückschlägen aus der Bahn werfen zu Und: „Ich hatte eine Beißhemmung, ich lassen. Das hat im Job immer geholfen.“ kannte doch alle, über die ich schrieb.“ Dis- Eine gewisse Neugierde hat sie sich be- tanz hieß daher die Parole. wahrt: gerade im Doping komme man an bestimmten Blogs wie dem von Jens Wein- Mit der Zeit wuchs sie automatisch. Schon reich nicht vorbei, sagt Ulrike Spitz. Und deshalb, weil die Reisen zu den Großereig- dass man neben „Bild“, „FAZ“ oder „SZ“ nissen seltener wurden und der Innendienst und dem „Spiegel“ als gut informierter zunahm, nachdem Spitz das Sportressort der Journalist auch immer mal wieder in die „FR“ übernommen hatte. Und die Akzeptanz „FR“ schauen sollte, findet sie schon. ] 48 [ Meter x Sekunde ] Faktor Sport

DIE SHOW DER AMATEURE Es ist ein System, aus dem seit Jahrzehnten Weltklasseathleten in hoher Dichte wachsen: Der US-amerikanische Collegesport ersetzt ein Vereinswesen. Er bietet Talenten aus aller Welt beste Trainingsbedingungen und Spektakel in der Provinz – sofern sie den strikten Regeln folgen. TEXT: JÜRGEN KALWA

ür das Team BIS Baskets Speyer ging im April ein reizvoller Ausflug zu Ende. Da kehrte der rührige Club F aus der alten Stadt am Rhein nach drei Jahren in der Zweiten Bundesliga in die Regionalliga Südwest zurück. Die Gründe für den Abstieg sind mannigfach, aber einen Faktor ließ man beim Saison- rückblick außer Acht. Im vergangenen Winter fehlte der Mannschaft vor allem ein Spieler: Elias Harris, das größte Basket- balltalent in der Geschichte von Speyer.

Der 20-jährige Sohn eines amerikanischen vorgebracht hat, Mitglied des Dream Teams der Kommerzialisierung auf den ersten Soldaten und einer deutschen Mutter spielt von Barcelona 1992 und jahrelang Profi des Blick fast anachronistisch wirkt. seit Sommer 2009 im Nordwesten der USA: NBA-Clubs Utah Jazz. an der Jesuitenuniversität Gonzaga in Spo- SPORT ALS BILDUNGSAUFTRAG kane, eine Stadt im Staat Washington. Die So funktioniert das in den USA: Wer be- Einrichtung genießt den Ruf einer Basket- sondere Talente im Sport besitzt, geht nicht Wer den Erfolg dieses Systems, seine Faszi- ballhochburg. Stipendiat Harris ist für zu einem bestimmten Verein, sondern auf nation auf das Publikum und seine Beson- Sportmanagement eingeschrieben. Inoffi- eine ausgewählte Universität. Die meisten derheiten verstehen will, muss zu den Anfän- ziell soll er zusammen mit seinen Mann- leistungssportlichen Karrieren wurzeln im gen blenden. Das Rückgrat der amerikani- schaftskollegen den Ruhm der Hochschule Collegesport: in einem strikten System, das schen Sportkultur begann sich im 19. mehren, die Könner wie John Stockton her- wegen seiner Amateurregeln im Zeitalter Jahrhundert zu formen, an den namhaften Faktor Sport [ Meter x Sekunde ] 49

Eiertanz mit Helmpflicht: Football ist ein Publikums- hit im Collegesport. Die Texas Longhorns füllen selbst die 94.000 Plätze des Texas Memorial Stadium

Hochschulen des Landes. Schon bald wurde Seit Jahrzehnten bringt der Collegesport rade im Teamsport kann man die Kraft der Sport in den Bildungsauftrag integriert – als Weltklasseathleten und Rekordler hervor, in Colleges kaum überschätzen. Die National „gutes Trainingsfeld, um in jungen Leuten hoher Dichte und quer durch alle Diszipli- Football League etwa arbeitet ohne Vereine Charakter und Verantwortungsbewusstsein nen. Leichtathletik-Ikonen wie Jesse Owens als Unterbau. Stattdessen siebt sie ihren zu entwickeln”, wie Pfarrer Theodore M. oder Wilma Rudolph waren als Studenten Nachwuchs aus Hochschultalenten. Hesburgh, von 1952 bis 1987 Präsident der stark genug, ihre Konkurrenz abzuhängen, Universität Notre Dame, später in seiner weil sie von hervorragenden Trainern auf AUSVERKAUFTE STADIEN Autobiografie „God, Country, Notre Dame“ ausgezeichneten Anlagen geschult wurden; schrieb. Seine (katholische) Hochschule selbst gegen die staatsgeförderten Sportler Die Bedeutung der Colleges hat nicht ge- wurde zum Inbegriff eines Förderzentrums aus der Sowjetunion und der DDR konnten litten, seitdem sich die Profi-Ligen etabliert für Footballspieler. diese Institutionen mithalten. Auch und ge- haben. Vordergründig mögen sie als --› 50 [ Meter x Sekunde ] Faktor Sport

Vorn in the USA: Der Deutsche Elias Harris (li.) hat ein tolles erstes Jahr an der Uni von Gon- zaga hinter sich, an der einst NBA-Legende John Stockton (o.) groß wurde. So läuft’s nicht immer: Lucca Staiger (u.) blieb die College-Karriere versagt

Im Schutz von „Title IX“: Das Bundesgesetz garantiert Hochschülerinnen Gleichberechtigung beim Sportan- gebot und bei Stipendien. So reift an den Colleges Weltklasse-Nachwuchs etwa im Volley- und Basket- ball heran. Frauen auf Korbjagd sind so populär, dass das Siegerinnenteam der NCAA von Mister President empfangen wird

Konkurrenz ums Publikum wirken. Tatsäch- Der ungebrochene Erfolg hat zwei wichtige seiner Alma Mater, der Universität Oregon, lich schaffen es Footballteams von Universi- Gründe. Erstens: Die besten Collegemann- stolze 100 Millionen Dollar für einen Sport- täten wie Michigan (in Ann Arbor), Tennes- schaften sind meist in der Provinz angesie- Förderfonds. see (Knoxville) oder Texas (Austin), Stadien delt und repräsentieren ganze Landstriche. mit 100.000 Zuschauern zu füllen und Ein- Profi-Clubs hingegen sind in den Metropolen Von solchen Verhältnissen profitieren nicht nahmen von bis zu 80 Millionen Dollar pro zu Hause. Zweitens: Ehemalige Studenten, zuletzt weibliche Studierende. Aufgrund Saison zu erzielen (und ihre Cheftrainer mit auch wenn sie keinen Sport getrieben haben, eines Bundesgesetzes aus den Siebzigerjah- mehr als zwei Millionen Dollar pro Jahr zu bleiben ihren Bildungseinrichtungen loyal ren („Title IX“) müssen US-Schulen und – entlohnen). Und die Basketballer der Univer- verbunden, das zeigt sich auf vielerlei Weise. Hochschulen Mädchen und jungen Frauen sität North Carolina in Chapel Hill verkaufen Zum Beispiel durch Spenden wie der von eine ähnlich große Zahl an Sportmöglichkei- bei jedem Heimspiel alle 21.000 Karten. Phil Knight. 2007 stiftete der Nike-Gründer ten und Stipendien anbieten wie Männern. Faktor Sport [ Meter x Sekunde ] 51 Ikonen auf Asche: Jesse Owens und Wilma Rudolph (mit der Deutschen Jutta Heine) lernten das Sprinten an DER WEG NACH AMERIKA scher Talente den Weg über den Atlantik Colleges. Dort sind die Trainingsmöglichkeiten für gewählt. Während Vertreter der ersten Leichtathleten auch heute erstklassig Das Sportstipendienprogramm amerikani- Generation wie und Uwe scher Colleges umfasst rund 30 Disziplinen. Dazu gehören natürlich Baseball, Basketball Blab den Sprung in die beste Liga der Welt und Football, die olympischen Kernsportar- schafften, kamen Spieler wie Henrik Rödl ten Leichtathletik und Schwimmen, aber und Detlef Musch nach dem Studium in die auch Tennis, Golf, Fechten – und sogar Bundesliga zurück. Cheerleading.

Die Disziplinen sind nach Leistungskatego- Das Beispiel von Elias Harris zeigt, worin rien – „Division“ – aufgeteilt. Auf der obers- jenseits der Faszination der Reiz des Systems ten Stufe kämpfen rund 300 Universitäten um Prestige und einen Anteil an den enormen für junge Korbsportler liegen kann. Der TV-Einnahmen, die das College-System in Speyerer, der bereits zum Kader der Natio- den populären Sportarten erzielt. Ein Stipen- nalmannschaft von Trainer Dirk Bauermann dium bei den teuersten Hochschulen hat gehört und Ende August die WM in der Tür- einen Gegenwert von bis zu 50.000 Dollar im Jahr. kei spielen möchte, sieht Gonzaga nur als Zwischenstation auf dem Weg in die NBA. Jeder Aspirant mit Abitur kann sich direkt bei Im ersten Jahr lief es gut: Er war auffälligster den Athletic Departments der Colleges be- Spieler seiner Mannschaft, zeigte live und werben. Oder er wendet sich an eine Agentur, die bei der Ausarbeitung eines sportlichen landesweit im Fernsehen sein Können, ge- Profils hilft und amerikanische Trainer kon- wann die Aufmerksamkeit vieler Profi- taktiert. In der Regel sind zwei Tests zu ab- Scouts. In Deutschland, wo in den Erstliga- solvieren: der SAT, der sprachliche und mathematische Kenntnisse prüft, und der Clubs die Ausländer dominieren, wäre ihm TOEFL, ein Englischtest. das kaum gelungen.

Es empfiehlt sich, neben Informationen über Auch in Sportarten wie Golf, Leichtathletik Erfolge und Ranglistenplätze, ein zielgerich- tetes Video einzureichen, anhand dessen die und Fußball steigt der Anteil der Einwande- Trainer die technischen Fähigkeiten ermes- rer. Leichthletiktrainer Clyde Hart, der einst sen können. Besonders gute Chancen haben in Baylor 400-Meter-Weltrekordler Michael Europäer mit Oberliganiveau in den Sportar- Johnson betreute, sagt: „Wir können Trai- ten Fußball, Tennis und Golf. ningsmöglichkeiten bieten, die es in anderen Teilen der Welt nicht gibt.” Mit Entwicklungs- hilfe hat das nichts zu tun, das ist Geben und Nehmen. Unvergessen ist der Satz von Harts Ex-Kollegen Ted Banks, der einst den Kenia- ner Julius Kariuki, Olympiasieger über 3000 Meter Hindernis 1988, und den algerischen Top-Mittelstreckler Noureddine Morceli trainierte: „Gewinnen ist das Wichtigste. Wenn du keinen guten Amerikaner bekom- men kannst, hol dir einen guten Ausländer.”

Rote Teppiche sieht das System nicht vor. Wie der Fall von Lucca Staiger zeigt. Der Basketballer brach seinen Aufenthalt an der Das hat sich in Sportarten wie Fußball, Bas- ginn seiner Profikarriere 2004 Student der Iowa State University im Winter ab, nach ketball, Lacrosse, Hockey, Eishockey und Baylor University in Waco/Texas und gewann zweieinhalb von vier Jahren. Zunächst war er Rudern sukzessive ausgewirkt. den Einzel- und den Mannschaftstitel. von den Aufsichtsgremien der National Col- legiate Athletic Association (NCAA) gesperrt Die sportlichen Kapazitäten an den Colleges LOCKRUF AUS ÜBERSEE worden. Begründung: Er habe als Spieler von sind teilweise so groß, dass Sportler aus dem Erdgas Ehingen in der zweiten Bundesliga Ausland importiert werden. So stammen Der Ruf von Basketball made in the USA kein Geld erhalten, Teammitglieder aber sehr heute über 30 Prozent der 7000 Tennisspie- zieht Hoffnungsträger aus aller Welt an. wohl – ein Verstoß gegen das Amateurstatut. ler in der Division I, der Elitekategorie der Nahziel: Schliff der Begabung. Fernziel: Eine Später, als er seine Spielberechtigung erhal- NCAA, aus Europa und Südamerika. Der Profikarriere, am liebsten in der NBA. Seit ten hatte, kam er nicht mit dem Trainer klar. Deutsche Benjamin Becker etwa war vor Be- den Achtzigern hat auch eine Reihe deut- Jetzt spielt Staiger bei ALBA Berlin. ] 52 [ Zeitgeist ] Faktor Sport „OB WIR DAS NOCH VEREIN NENNEN?“

Matthias Horx ist kein Sportexperte. Das sagt er selbst. Doch Sport ist ein wichtiger Teil der Gesellschaft und zu deren Zukunft äußert sich Horx gern und ausgiebig. Deshalb kann der erfolgreiche Autor, Trend- und Zukunftsforscher - nach kurzem Zögern - natürlich eine Menge zu dem Thema sagen. Ein Gespräch, das wie in einem sozialen Netzwerk verläuft: Alles scheint mit allem verbunden. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des klassisch organisierten Sports verschmelzen in den neuen Internetstrukturen miteinander.

INTERVIEW: MARCUS MEYER UND JÖRG STRATMANN

Dürfen wir mit Ihnen über die Strukturen des Sports sprechen? gesagt - Jogger. Noch vor 15 Jahren erschien es absurd, regelmäßig Ich jogge regelmäßig. Aber vom Gefüge des Sports weiß ich wenig. zu laufen. Heute macht es fast jeder. Wir haben einen ungebundene- Ich kann nur versuchen, einige Trend-Erkenntnisse auf dies Genre ren Zugang zum Sport, der nicht mehr in Institutionen, auch nicht in zu übertragen. den klassischen zivilgesellschaftlichen wie dem Turnverein abläuft. Die Menschen laufen mit Pulsuhr und iPod und screenen sich dabei Dann probieren wir es anders. Interessieren Sie sich für seine medial selbst. Sie sind nicht in einem Sportverein, sondern organisieren sich aufbereitete Form? in den neuen Netzwerkkulturen. Das fällt mir zu Sport ein. Ich beobachte eher die Beobachter. Und wie überdreht das System funktioniert, etwa am Beispiel Fussballweltmeisterschaft. Das ge- Die klassische zivilgesellschaftliche Institution Sportverein; welche horcht längst den Regeln der massenmedialen Hysterie, mit Sport hat Assoziationen verbinden Sie damit? es meiner Meinung nach immer weniger zu tun. Der Verein ist etwas, das einen sozial einengt und Disziplin von einem erfordert. Ich glaube, dass Sport künftig weniger hierarchisch funk- Neuer Versuch: Haben Sie ein Ehrenamt? tionieren wird, sondern mehr von unten kommt. Diejenigen, die den Ich bin zum Beispiel in Jurys für Innovationsprojekte tätig, die zwar Sport organisieren, können diese Zugänge oftmals nicht zur Verfü- kein klassisches Ehrenamt sind, aber doch bürgerschaftliches Enga- gung stellen, geschweige denn, dass sie die Sprache oder Kultur ken- gement bedeuten. Damit habe ich mich in mehreren Studien wissen- nen würden. Ich zum Beispiel bin ein multimobiler Mensch. Sport ist schaftlich auseinandergesetzt. Die Stichworte sind Individualisierung für mich nicht an einen Ort oder eine soziale Situation gebunden. und Erlebnisorientierung. Das Ehrenamt geht weg von den klassischen Opferehrenämtern, die man letztendlich auch aus Einsamkeits- Das klingt wenig verheißungsvoll. gründen übernimmt. Ich wage die These, dass das klassische Vereinswesen eher durch Selbstorganisation und Netzwerkstrukturen abgelöst wird, und es Lassen sich diese Erkenntnisse auf den Sport übertragen? künftig im Internet seine Plattform finden und dort die Mitglieder Da muss ich ein bisschen ausholen und auf die Folgen der verän- organisieren wird. derten Beziehung von Sport und Körperkultur in der Gesellschaft zu sprechen kommen. Vor 30, 40 Jahren hieß Sport noch Leibes- Was würde das für das Zusammenleben in den Kommunen ertüchtigung. Seitdem haben sich die Kontexte verändert, in denen bedeuten? Menschen Körper, Bewegung und auch Sport erfahren. Das gilt Das muss nicht das Ende des Sports bewirken, im Gegenteil. In einerseits für den Leistungssport, der eine Entwicklung hin zu Deutschland ist eine Entwicklung zu beobachten, die wie so viele aus Entertainment und riesigen Events genommen hat, und es gilt Amerika kommt: die der „Health City“, also die Gesundheitsstadt. andererseits für die Alltagskultur, in der wir eine Individualisierung Ziel ist, das gesamte Gesundheitsverhalten der Bevölkerung zu erleben. Beides - Entertainment und Individualisierung - hat verbessern - in Bezug auf Ernährung, aber auch auf Bewegung. negative Auswirkungen auf die Bereitschaft zu einem kontinuier- Der demographische Wandel forciert die Frage: Wie können wir lichen und aufwendigen Ehrenamt. die Gesundheitspotenziale in einer alternden Gesellschaft erhöhen?

Wie erleben Sie die Alltagskultur der Bewegung? Diese Fragen sind dem organisierten Sport nicht unbekannt. Trauen Es gibt einen massiven Trend zum Breitensport. Ich selber bin - wie Sie ihm einen Wandel zu? Faktor Sport [ Zeitgeist ] 53 „,snacking and grazing’, das ist ein gesellschaft licher Megatrend, alles zwischen- durch und nebenbei zu tun.“

Prinzipiell schon. Allerdings muss er auf die Individualisierungs- Siedlungsformen in Deutschland. New Neighbourhoods, in denen tendenzen reagieren. Für viele Menschen führt der Weg zum Sport verkehrsberuhigt und grün angehaucht, neue basisorientierte und nicht mehr unbedingt über Vereine - höchstens, wenn sie ganz quervernetzte Organisationsformen entstehen. Der Walking-Philo- konkrete Vorstellungen von Leistungssport haben. Ansonsten gibt sophie-Club. Die Mountain-Bike-Clique. Die Frage ist, ob wir das es Parallelen zum Essverhalten: „snacking and grazing“, das ist ein noch Verein nennen. gesellschaftlicher Megatrend, alles zwischendurch und nebenbei zu tun. Sehen Sie, der Verein kommt aus einer ganz anderen Ecke. Wir müssen also Abschied nehmen von Traditionen? Aus Klassen- und Schichteninteressen heraus, mit lebensanschau- Vielleicht von den klassischen Vorstellungen, nicht vom Sport selbst. lichen Gleichheiten und mit bestimmten Leistungsbildern sowie Es gab noch nie so viele Menschen, die sich über ihre Körperlichkeit Leistungsorganisationsformen. Dennoch: Es gibt mit Sicherheit und ihre Fitness Gedanken machen. Was sich auch auflöst, ist die viele Beispiele für klassische Vereine, die sich quasi völlig neu ver- starke Spezialisierung und Segmentierung im Sinne von einzelnen ändert und erfunden haben. Disziplinen, die vor allem an den Extremen des Leistungssports aus- gerichtet sind. Sie haben mit vielen gesellschaftlichen Gruppen zu tun. Tritt Ihnen der Sport als System entgegen, das gemeinsame Forderungen und Das entspricht nicht unbedingt der öffentlichen Wahrnehmung und Wünsche formuliert? medialen Darstellung des Sports. Dafür müssen wir tiefer über die Kultur des Sports und seine Ur- Der Sport befriedigt das große Bedürfnis des Individuums nach sprünge nachdenken. Vereins- und Sportformen sind lange Teil dem Wir, er eignet sich wunderbar als Massenritual. Menschen einer industriellen Kultur gewesen, eine Gegenwelt zur entfremde- können ihre Emotionen auf Helden projizieren. Ursprünglich ist ten Arbeit mit gleichförmigen Bewegungen am Fließband, in der er eine Erfindung zur Zähmung des Krieges – die Olympischen Fabrik. Das Vereinswesen hat sich aus den Klassen-Solidargemein- Spiele waren quasi ritualisierte Kampfspiele, die einen Bürgerkrieg schaften entwickelt, zum Teil als Gegenschöpfung zur Industriewelt. in der hellenischen Welt verhinderten. Allein: Die Medien haben Fussball war immer auch Klassensport, in seinen Ursprüngen stärkte die Tendenz, dieses archaische, heldenhafte Element zu überdre- er den Proletarier-Stolz. Körperertüchtigung, das diente unter an- hen. So schließt der Sport die Menschen wieder aus, macht sie zu derem der Reproduktion des menschlichen Körpers für die Fabrik- reinen Zuschauern. welt. Damit übertrug man Muster der gleichförmigen Bewegung – etwa das Massenturnen – auf den Sport. Was wir heute erleben, ist Da kann ein bisschen Bodenständigkeit doch ganz gut tun. eine andere Integration des Körperlichen in den Alltag. Die Men- Klar. Der klassische Sportverein lebte aber davon, dass er Hoffnun- schen wollen sich im Sport seelisch erleben, individuelle und spiri- gen auf den Aufstieg befriedigte. Wo es um die Selektion für die tuelle Erfahrungen machen. Dieser persönliche Ansatz steht einem höheren Kader geht, passt die Selbstorganisationsform der Bäuerin geschlossen Auftreten bis zu einem gewissen Grad entgegen. mit dem Nordic Walking unter Umständen nicht mehr hinein. Zudem träumen die Fussball spielenden Kids mit 14 von der Bundesliga. Das Parallelwelten anstelle eines Interessenverbandes? ist das Schwierige: Eine unterhalb der Wahrnehmungsebene der Ich glaube, dass sich die Vereine in die Gesellschaft rückkoppeln und Medien existierende Sportkultur überhaupt aufrechtzuerhalten. neue Weg suchen müssen. Eher im Kontext von Firmenorganisatio- Wenn ich Sportvereinsmanager wäre, empfände ich das als großes nen oder Nachbarschaften. Ich kenne mehrere Beispiele von neuen Problem. Darauf habe ich keine schnellen Antworten. ] 54 [ Wechselspiel ] Faktor Sport RIESEN AUF ZWEI BEINEN

Bei Adidas, Coca Cola und McDonald’s klettert der Puls. Die Fußball-WM 2010 ist für die Partner der FIFA das Event des Jahres. Für den DFB-Förderer Deutsche Telekom gilt das nur bedingt, aber etwas haben alle vier Konzerne gemeinsam: Sie engagieren sich für Olympia. TEXT: NIKOLAUS SEELIG

s sind die vielleicht bekanntesten Be- Partnern des Weltverbandes FIFA, sondern nationalen Organisationskomitees zusam- griffe des Weltsports, mit Sicherheit rangieren als Ausrüster respektive Premium- menarbeitet: in Peking und Vancouver wie aber seine stärksten Veranstaltungen: Partner auch in gehobenen Förderkatego- 2012 in London. National agiert der Aus- E Olympische Spiele und Fußball-Welt- rien des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). rüster als „Olympia Partner“ des DOSB, meisterschaft. Die tausend Bilder, die sie im McDonald’s steht im speziell für die WM die Telekom als „Partner der Olympia- Kopf (fast) jedes Einzelnen aufrufen, und die 2010 akquirierten Sponsorenteam der FIFA mannschaft“. Millionen, ja Milliarden Medienkontakte, die und ist „Partner“ des DFB. Die Deutsche sie bewirken, machen Sie zu Magneten für Telekom fährt, ihrer Positionierung gemäß, Die WM 2010 gibt Anlass, die genannten werbungtreibende Konzerne mit – im weite- keine globale Strategie. Sie tritt als Premi- Konzerne zu befragen: in erster Linie zu ihren ren Sinn – sportinteressierten Zielgruppen. um-Partner der DFB-Teams auf. Strategien in Hinblick auf Südafrika, in zwei- Einige Marken leisten sich Engagements in ter zu den Unterschieden zwischen dem Auf- beiden Umfeldern. Im olympischen Zusammenhang sind tritt am Ball und jenem im Zeichen der Ringe. Coca-Cola und McDonald’s langjährige Konkret sollten sie drei Fragen beantworten: Im Fußball zählen Adidas und Coca-Cola Mitglieder im Sponsorenprogramm des nicht nur zu den eventübergreifenden IOC, während Adidas regelmäßig mit den

1) Welche Maßnahmen haben Sie in Bezug auf den deutschen Markt zur Fußball-Weltmeister- schaft 2010 geplant?

2) Welches sind die vorrangigen Ziele Ihres WM-Auftritts?

3) Wie unterscheidet sich das Fußball-Thema von Ihrem olympischen Engagement, gemessen am Aufwand bei der Umsetzung, aber auch inhaltlich? Faktor Sport [ Wechselspiel ] 55 COCA-COLA DEUTSCHLAND, BERLIN

1) Coca-Cola hat unter dem Motto „Zeig Panini-Zugabeaktion aller Zeiten gestartet. uns deinen Torjubel“ eine WM-Kampagne ge- Insgesamt werden 38 Millionen Bilder über startet. Am 6. April ging der TV-Spot „History Multipacks und Kisten ausgegeben, einzu- of Celebration“ auf allen zielgruppenrelevan- kleben auf der eigens für Coca-Cola angefer- ten Kanälen auf Sendung. Er zeigt den Torjubel tigten Sonderseite im Panini-Sammelheft. von Fußballstars, etwa den Salto von Miroslav Klose, sowie Jubelszenen von Zuschauern. Die 2) Coca-Cola möchte dazu beitragen, dass Musik zum Spot stammt vom somalischen auch die FIFA Fußball-WM 2010 ein „Som- Musiker K’naan und ist ein Remix seines Er- mermärchen“ wird, und afrikanische Lebens- folgshits „Wavin’ Flag“. Im Internet ruft Oliver freude nach Deutschland bringen, zum Pocher auf YouTube dazu auf, selbst Torjubel- Beispiel durch Public-Viewing-Aktivitäten. szenen hochzuladen und so Teil der größten Die hiesigen Verbraucher und Handelspart- Coca-Cola-Jubelkette zu werden. ner sollen teilhaben können an diesem faszi- nierenden Event. Zudem möchte Coca-Cola Darüber hinaus aktivieren wir auf schuelerVZ seinen Verbrauchern die Chance geben, nach das Programm „Coca-Cola Flag Team“: Sechs Südafrika zu reisen, um die deutsche Natio- Gewinner zwischen zwölf und 16 Jahren dür- nalmannschaft vor Ort zu unterstützen. fen beim Vorrundenspiel gegen Australien am 13. Juni in Durban die deutsche Flagge vor 3) Seit vielen Jahrzehnten und weltweit Anpfiff ins Stadion tragen. engagiert sich Coca-Cola für den Fußball wie für die Olympischen Spiele. Inhalt und Um- Wir unterstützen unsere Aktivitäten durch fang der Engagements sind in den verschie- Promotions auf der Plattform cokefridge.de denen Ländern individuell gestaltet. und im Handel. Über drei Monate hinweg werden 100 Tickets inklusive Flug und Über- nachtung für ein Spiel der deutschen Mann- schaft, 100 Sony LCD-Fernseher und 10.000 Klose meets K‘naan oder Pfälzer Torjubel zu somalischer Fußbälle verlost. Zeitgleich ist die größte Popmusik. Coca-Cola macht‘s mit seinem Spot möglich

ADIDAS, HERZOGENAURACH

1) Adidas wird auf allen Kanälen zu sehen sein, verstärkt aber dort, wo wir unsere Kon- sumenten schnell und direkt erreichen: am Point of Sale und über digitale Medien. Start- schuss in Deutschland war im November die Vorstellung der DFB-Kampagne im Rahmen der Präsentation des neuen Nationalmann- Ein Spielball, der schaftstrikots. Nach der Vorstellung des übersetzt „feiern“ oder „zelebrieren“ WM-Spielballs „Jabulani“ folgte kürzlich die bedeutet, ist fast des F50 adiZero. Der mit 165 Gramm leich- ein Versprechen teste Fußballschuh, den Adidas je produziert auf torreiche Spiele. hat, wurde in Zusammenarbeit mit Stars wie Der Jabulani, Lionel Messi, David Villa und Arjen Robben offizieller WM- entwickelt. Ball von Adidas

In Südafrika sind wir bereits seit 2009 mit der Initiative „Unite Mzansi Unite“ unter- richter, Balljungen, Offizielle und alle Helfer 3) Adidas und die Olympischen Spiele sind wegs. Hier geht es uns vor allem darum, die tragen Adidas. Auf diese Weise werden wir seit 80 Jahren eng miteinander verbunden. Kraft des Fußballs und unserer Marke für unsere Führungsposition im Fußball unter- Wir sind die olympische Marke. Während nachhaltige Initiativen wie die Nelson Man- streichen und den Umsatz steigern. sich unser Engagement bei Olympia kaum dela Foundation zu nutzen. auf den Umsatz auswirkt, hat unsere Präsenz Markenübergreifend nutzen wir die WM bei Fußball-Weltmeisterschaften diesbezüg- 2) Die Fußball-WM ist die perfekte globale auch als Lifestyle- und Fashionthema für die lich direkten Einfluss. 2010 werden wir einen Bühne für unser Unternehmen, unsere Marke Produktlinien Originals und Y-3. Um eine Rekordumsatz im Fußball von über 1,3 Milli- und unsere Produkte. Wir sind offizieller nachhaltige Entwicklung in Afrika zu ge- arden Euro erzielen. Fußball ist das Herz und Sponsor, Ausrüster, Lizenznehmer, stellen den währleisten, unterstützen wir langfristig die Seele unseres Unternehmens. offiziellen Spielball, statten zwölf Teams aus - CSR-Projekte wie die erwähnte Nelson Man- doppelt so viele wie 2006 und mehr als jede dela Foundation, FIFA Football for Hope und andere Marke. Mehr als 100 Spieler, Schieds- den Adi Dassler Fund. 56 [ Wechselspiel ] Faktor Sport MCDONALD’S DEUTSCHLAND, MÜNCHEN

1) Zunächst präsentiert McDonald’s zur „BILD“-Zeitung sowie in der Juni- und Juli- FIFA WM 2010 zwei spezielle Angebote: Ein Ausgabe von „11 Freunde" erscheinen wird. „3 Sterne McMenü“ und ein „4 Sterne Fan- paket“. Ersteres wird seit 26. Mai von den 2) McDonald's ist das offizielle WM- „3 Sternen“ Horst Eckel, Paul Breitner und Restaurant und bietet das offizielle Fan Food Andreas Brehme im TV beworben. Zuvor lief während des FIFA World Cups an. Motto: vom 15. bis 26. Mai der Brand World Cup „Fueling the Passion - Feeding the Fans!” Spot: Mit Bildern aus den drei Endrunden mit Die Fans brauchen diese Energie, um besser für Deutschland erfreulichem Ausgang (1954, anfeuern, lauter schreien und länger feiern 1974, 1990) stellt er eine Verbindung zur Fir- zu können. McDonald's macht es möglich mengeschichte von McDonald’s her und und bringt Dich zur WM, das wollen wir schürte die Vorfreude auf die FIFA WM 2010. vermitteln. Du kannst live dabei sein, Deine Zudem hat McDonald's Deutschland im Idole vor Ort anfeuern. Mit Stars an der Rahmen einer Onlinekampagne Glückwün- Hand ins Stadion einlaufen kannst Du nur sche für die Nationalmannschaft gesammelt. mit McDonald's. Diese Glückwünsche werden symbolisch auf einen „4. Stern“ gepackt und nach Südafrika 3) Sowohl die FIFA WM als auch die Olym- geschickt. Kinder zwischen sechs und zehn pischen Spiele sind die sportlichen Top-Events Jahren sprechen wir im Internet mit der auf internationaler Ebene und haben daher McDonald's Fußball-Eskorte an, für die man beide oberste Priorität für uns. McDonald's sich bis Mitte Mai bewerben konnte. Die Ge- hat sich auf die Fahnen geschrieben, den Spirit winner dürfen Hand in Hand mit einem der und die positiven Emotionen beider Events für Stars ins Stadion einlaufen. unsere Gäste erlebbar zu machen.

Außer im TV und online ist McDonald’s unter dem Motto „Leidenschaft braucht Energie“ Andreas Brehme, Horst Eckel, Paul Breitner: Drei mit einer europäischen Print-Kampagne Weltmeister beim 3-Sterne-Menü. Unterstützung präsent, die in Deutschland im Juni in der für den vierten gibt McDonald's

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1) Als offizieller Mobile-Content-Partner Südafrika ist der erste internationale Einsatz zur FIFA WM 2010 in Deutschland bringt die des Videokonferenzsystems. Wir werden dies Telekom alle Spiele live aufs Handy. Seit Mitte für eine direkte Kundenansprache nutzen. Mai bieten wir entsprechende Pakete an, die Generell erhoffen wir uns als Partner der wir über eine integrierte Kommunikation am deutschen Nationalmannschaft einen positi- Point of Sale und klassisch im TV sowie über ven Imagetransfer und Steigerung der Be- Handelskommunikation bewerben. Ferner kanntheits-, Sympathie- und Markenwerte promoten wir das HD-Feature unseres der Deutschen Telekom. IPTV-Angebots Entertain. Über Entertain können unsere Kunden die WM-Spiele über 3) Fußball ist eine reichweitenstarke ARD und ZDF live und in High Definition Sportart mit durchgängiger Medialisierung, verfolgen. Nicht zuletzt unterstützt die Tele- die in Auftritten der Nationalmannschaft bei kom als Partner des DFB das deutsche Team großen Turnieren ihren Höhepunkt erlebt. in Südafrika ganz konkret im Rahmen einer Das garantiert uns eine starke visuelle Prä- Marketingkooperation: Wir statten das senz und bietet uns eine Plattform, auf der Mannschaftsquartier in Pretoria mit dem wir innovative Produkte entwickeln und ver- Videokonferenzsystem Telepresence aus, das markten. Durch unser Engagement beim wir etwa auch in der DFB-Zentrale in Frank- DOSB positionieren wir uns als Förderer des furt am Main, in Berlin, Hamburg und Mün- nationalen Spitzen- und Breitensports und chen und an weiteren Standorten installiert als Unternehmen, das gesellschaftliche Ver- haben. Es wird dem Verband und den Spie- antwortung übernimmt. lern einen unkomplizierten Austausch in höchster Qualität ermöglichen. Live, in voller Länge, auch mit 2) Wir erwarten durch unser Engagement Elfmeterschießen: Die Telekom eine vertriebliche Unterstützung, speziell für bringt zur Fußball-WM alle Spiele unsere Mobile TV- und Entertain-Angebote. aktuell aufs Handy Im Business-to-Business-Rahmen gilt das auch für Telepresence - die Installation in Das ideale Geschenk!AUFREGEND ANDERS!

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„Es ist

olche Tage sind Wasser auf die Mühlen keiner der Zyniker. Fairplay im Sport? Ganze zehn Neugierige sind ins Marienhaus S der Pfarrgemeinde St. Peter in Hep- interessiert penheim gekommen, um einem „Plädoyer für eine neue Ethik“ zu lauschen. Der Vortrag, der letzte in der Reihe „Spiele ohne Gren- zen?“ der Erwachsenenbildung des örtlichen an einer Pfarreienverbundes, hat ernsthafte Konkur- renz. Im Nachbarort lockt ein Volksfest. Da- gegen kommt Fairness nicht an. Und es gibt wirklichen ein weiteres Indiz dafür, dass das Thema dem Zeitgeist nicht mehr viel sagt. Selbst die blut- junge Volontärin, die das Lokalblatt entsandt hat, um den Auftritt des großen alten Philo- Auseinander- sophen Hans Lenk zu beschreiben, kann den Altersdurchschnitt im Saal nicht unter 60 Jahre senken. Dabei hätten sie einen bedeu- setzung.“ tenderen Anwalt für sportlichen Anstand und Mahner vor einem drohenden Artistenpa- noptikum nicht finden können. Die Gastge- berin gibt sich alle Mühe, in ihrer Begrüßung dem 75 Jahre alten Gastredner von der Uni- versität Karlsruhe gerecht zu werden. Das ist nett, wirkt aber in diesem Rahmen wie der Versuch, Olympische Spiele nach Michel- stadt zu vergeben.

Lenk lächelt milde im Licht des Overhead- DER LEVITENLESER Projektors. Dennoch kommt er seiner Aufga- be wie gewohnt nach: wortgewaltig, bildreich Schon immer bewegte sich Hans Lenk zwischen zwei Welten – der des und gespickt mit dem schwarzen Witz seines Sports und der des Wortes. Der einstige Ruderer ist einer der wenigen, Lieblingskarikaturisten Jan Tomaschoff. Zum die Olympiasieger wurden und als Trainer ein Team zum Weltmeister- Beispiel mit diesem: „Endlich mal was Positi- titel führten. Praxisnähe kennzeichnete auch sein Wirken als weltweit ves“, sagt der Athlet zum Trainer: „Meine Dopingprobe.“ Das kommt auch in Heppen- anerkannter Philosoph. Vielleicht deshalb hat der erste Ethikpreisträ- heim an. Selbst wenn die abschließende Dis- ger des DOSB das Gefühl, stets zwischen den Stühlen zu sitzen. kussion nur an der Oberfläche kratzt. TEXT: JÖRG STRATMANN Faktor Sport [ Profile ] 59

In diesem Umfeld geht unter, dass Lenk einst Die Ausnahme erlebt er drei Wochen später. den Begriff des „mündigen Athleten“ prägte. Da hat selbst der Tübinger Sozialethiker Dass er als einer der Ersten forderte, im Professor Dietmar Mieth größte Mühe, das Kampf gegen Doping überraschende Kon- Wirken des berühmten Kollegen angemessen trollen einzuführen. Dass er gegen die Über- einzuordnen. In seiner Laudatio auf Hans betonung des sportlichen Sieges argumen- Lenk, den ersten Ethikpreis-Träger des tiert, gegen den Systemzwang des Hochleis- Deutschen Olympischen Sportbundes, ver- tungssports, die mentale Spaltung. Dass er sucht er es mit einem Bonmot. Jemand zu lo- viele halbherzige Verlautbarungen als bloße ben, der es verdient, sei leicht; jemand zu lo- Imagepflege entlarvt, als „Reaktion des Zau- ben, der mehr Verdienste hat, als man er- berlehrlings angesichts der Ohnmacht beim wähnen könne, sei schwer. „Gar eine Krisenmanagement“. Oder dass er einmal lebende Legende, und das ist Hans Lenk, zu zur Probe aufs Exempel aufrief, um die loben, ist fast unmöglich“, sagt Mieth, ehe er Scheinheiligkeit des Publikums und die seiner Aufgabe doch gerecht wird. Jedenfalls Doppelzüngigkeit vieler Funktionäre zu of- gibt sich Lenk verlegen darüber, dass der fenbaren. Man solle als Experiment zwei Laudator ihn besser verstehe als er selber. Klassen des Hochleistungssports einrichten: „Ich habe einiges gelernt“, sagt der Geehrte. eine, in der die Athleten sich zu freiwilliger Da lachen viele im ausgesucht prominenten regelmäßiger Kontrolle verpflichteten – Publikum dieses Berliner Festaktes. Auch und eine offene Klasse. Nur eine Idee, eine über die wahre Ironie der Worte? Wer die Utopie des fairen Sports verficht, braucht Provokation. „Aber es ist keiner interessiert auch Humor: Professor Hans Lenk bei der Verleihung an einer wirklichen Auseinandersetzung“, Lenk kennt seine Pappenheimer. Der Pro- des ersten DOSB-Ethikpreises sagt Lenk. fessor Dr. Dr. h.c. mult., der einstige Welt- klasseruderer aus dem Olympiagoldachter WARNUNGEN VERHALLEN von 1960, der 25 seiner rund 150 Bücher und zahlreiche Aufsätze im Kanon der mehr als Hier im Marienhaus spricht der nette ältere 2000 Veröffentlichungen seit fünf Jahrzehn- Herr mit silbernem Haarkranz zu netten ten den ethischen Fragen des Sports widme- älteren Herrschaften, die ein wenig über te, hat alle Seiten erlebt. Die „Immobilität Ethik und Moral plaudern wollen. Und so und Sprachlosigkeit“ des Funktionärssports, wirkt dieser Abend noch mehr wie ein Sinn- der nicht zuhörte, wenn der Denker Lenk bild der beruflichen Laufbahn eines sportli- etwas zurückgeben wollte, indem er anregte chen Philosophen: International hochgeehrt und erläuterte und mit Gleichgesinnten über und viel beachtet, hat er in der Heimat stets die „notwendige Utopie“ des Fairnessgedan- das Gefühl, mit seinen Ideen, Schlussfolge- kens diskutierte. „Da war ich ziemlich frus- rungen, Warnungen und Vorschlägen ins triert und verzweifelt“, sagt Lenk. „Weil sie die Leere zu reden. Im Sport ebenso wie unter intellektuelle Potenz, die sie im deutschen Philosophen. Sport haben, nicht wahrnahmen oder nicht --› 60 [ Profile ] Faktor Sport

„Worte sind Wenn das Leisten den Denker fasziniert: der Deutschland-Achter auf dem Weg zum Olympiasieg 1960 auf dem Albaner See mit (von links) Bugmann Hans Lenk, Klaus Bittner, Karl-Heinz Hopp, Moritz von Groddeck, Kraft Schepke, Frank Schepke, Walter Schröder, Schlagmann Manfred Rulffs und Steuermann Willi Padge schön, doch Hühner legen Eier.“ wahrnehmen wollten.“ Aktuelle Einrichtungen bis heute hat es die Heidelberger Akademie Forderungen schließlich so gewinnend, dass wie Ethikkommissionen oder andere Beiräte der Wissenschaften vermieden, ihn als Mit- kein Misston bleibt. Jungenhaft lächelnd reichen ihm nicht. „Pipifax“, sagt der Philosoph. glied aufzunehmen. Im Gegensatz übrigens und scheinbar unbeschwert nimmt er den zu seinem Neffen, einem anerkannten Ägyp- kiloschweren Ethikpreis entgegen, einen BESCHNITTENE BIOGRAPHIE tologen. „Dabei war ich drei Jahre lang Prä- veredelten Steinbrocken aus dem Branden- sident der Weltakademie der Philosophie“, burger Tor. Nur die grellbunte Krawatte mit Doch enttäuscht war Lenk vor allem, wenn sagt Lenk. „Also im höchsten wissenschaftli- allerlei Strichmännchen will nicht so recht in ihm auf der anderen Seite die Wissenschaft chen Amt, das dieses Fach zu vergeben hat.“ den Rahmen passen. So als wollte Lenk da- Anerkennung versagte. Man wolle doch ei- ran erinnern, dass er auch eine Jokologie nen Philosophen – „und keinen Olympioni- So habe er auch lange überlegt, als der Sport verfasst hat, die „Rosenmondtagsphilos- ken“. So wurde der Vorschlag abgelehnt, den ihm nun den Ethikpreis verlieh. „Aber das phie“, eine Philosophie des Scherzes. Oder damaligen Privatdozenten als Professor an kann man wohl nicht ablehnen“, sagt er. Im an das afrikanische Sprichwort, das er auch die Freie Universität Berlin zu berufen. An- Gegenteil: Im festen Willen, dem Sport bei an diesem Tag als „Motto meiner Philoso- dere, die um ihn warben, verschwiegen lieber dieser Gelegenheit noch einmal die Leviten phie“ zitiert: „Worte sind schön, doch Hüh- das Kapitel „Sport“ in seinen Werken. Und zu lesen, umschreibt er seine Gedanken und ner legen Eier.“ ]

62 [ Bewegungsmelder ] Faktor Sport VORSCHAU

SPORT FÜR ALLE beträgt in etwa der Anteil an den Fördergeldern, den DOSB, die Am 14. Juni wird im finnischen Ort 1/3 Jyväskylän, 270 km nördlich der Haupt- Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH) und die Landessportbünde aus stadt Helsinki, der 13. Weltkongress den Einnahmen der Glücksspirale beziehen. „Sport for all“ eröffnet. Bis zum 17. Juni werden Breitensport- und Gesundheits- experten über Entwicklungen und Fragen wie diese diskutieren: Wie kriegen wir das Die feiert heuer ihr 40-jähriges Bestehen und kann auf rund 610 Millionen Euro verweisen, „all“ in den Sport moderner Gesellschaften? die sie durch die Vereinbarung seit 1970 an den organisierten Sport überwiesen hat. Für den DOSB kamen im vergangenen Jahr auf diese Weise 5,9 Millionen Euro zusammen. WIEDERSEHEN Beruhigend also fur den organisierten Sport, dass der Verkauf von Spielscheinen jungst Beim Weltcup vom 18. bis 20. Juni in Mün- zugelegt hat – und logisch, dass die Institutionen am Schutz der Glucksspirale interessiert chen treffen sich die einstigen Ruderrecken Hans Lenk, Klaus Bittner, Moritz von sind. Kurzlich erst haben der federfuhrende DOSB, der Deutsche Fußball-Bund (DFB), Groddeck, Kraft Schepke, Frank Schepke, die Deutsche Fußball Liga (DFL) und die DSH eine gemeinsame Stellungnahme an die Walter Schröder und Steuermann Willi Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) adressiert, in der die Sportvertreter – wie erbeten – Padge, um sich an ihren Olympia-Triumph den Glucksspielstaatsvertrag bewerten. Sie plädieren darin fur den Erhalt des staatlichen vor 50 Jahren zu erinnern. Mit den verstor- Veranstaltermonopols im Bereich der Lotterien und fordern zugleich eine staatlich regulierte benen Karl-Heinz Hopp und Manfred Rulffs waren sie der Goldachter von Rom 1960. kontrollierte Öffnung des Sportwettenmarktes.

Die Stellungnahme ist vor dem Hintergrund einer Diskussion um die Liberalisierung des Mark- ENTSCHEIDUNG tes zu sehen. Der aktuelle Glücksspielstaatsvertrag läuft Ende 2011 aus und wird zurzeit geprüft. Am 22. Juni wird das IOC die Candidate Cities für die Winterspiele 2018 nominieren. Neben München hoffen auch Annecy (Frank- GRÜNE SEITEN DES SPORTS reich) und Pyeongchang (Südkorea), die nächste Runde zu erreichen. Die endgültige Der DOSB zieht andere Seiten auf: Mitte Mai wurde das Internetportal „Umweltschutz im Entscheidung über 2018 fällt das IOC am 6. Juli kommenden Jahres im südafrikani- Sport“ online gestellt. Was sich früher als „Umweltschutz und Sport“ oftmals eher antagonis- schen Durban. tisch gegenüber stand, ist zu einem integrativen Handlungsbestandteil der Organisationen und Verbände geworden, oder wie der DOSB-Präsident Thomas Bach sagt: „Der Sport kann viel für den Klimaschutz in Deutschland tun.“ Die Plattform bietet zweierlei: Sie bildet in den Themen- WEITERE TERMINE bereichen Sportstätten, Mobilität und Sportveranstaltungen das Engagement des Sports für die 14. – 19. JUNI: Umwelt ab und liefert darüber hinaus Informationen für die Praxis. Zugleich können Verbände Special Olympics National Games, Bremen und Vereine die Website nutzen, um eigene grüne Projekte der Öffentlichkeit vorzustellen und gegebenenfalls zur Nachahmung anzuregen. Das Portal wird vom Bundesministerium für 16. – 22. JULI: Europameisterschaft Fechten, Leipzig Umwelt, Natur und Reaktorsicherheit (BMU) unterstützt und ist Teil eines zweieinhalbjährigen Programms zur Förderung von Klimaschutz-Projekten - auch in den DOSB-Mitgliedsorgani- 24. – 31. JULI: sationen. Weitere Informationen finden sich unter www.klimaschutz-im-sport.de American Football-Europameisterschaft, Frankfurt am Main IMPRESSUM 31. JULI – 8. AUGUST: Hockey Champions Trophy Männer, Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund | Generaldirektor Dr. Michael Vesper | Otto-Fleck-Schneise 12 | Mönchengladbach D - 60528 Frankfurt am Main | AG Frankfurt | VR 13581 | Deutsche Sport-Marketing GmbH | Geschäftsführer Axel Achten | Schaumainkai 91 | D – 60596 Frankfurt am Main | AG Frankfurt | HRB 26615 | USt-ID-Nr. DE114139775 | 14. – 26. AUGUST: Redaktionsleitung: Marcus Meyer | E-Mail: [email protected] | Jörg Stratmann | E-Mail: stratmann@ dosb.de | Bildnachweis: Jochen Dick/LSB RLP Games | dpa Picture-Alliance GmbH | Michael Fahrig | Matthias Olympische Jugendspiele, Singapur Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.zukunftsinstitut.de), Foto: Klaus Vyhnalek | Singapore 2010 Youth Olympic | Konzeption, Realisation, Druck, Vermarktung: medienfabrik Gütersloh GmbH | Carl-Bertelsmann-Straße 33 | 5. – 11. SEPTEMBER: 33311 Gütersloh | Telefon: 05241/23480-0 | Telefax: 05241/23480-215 | www.medienfabrik.de | Autoren: Christoph Rollhockey-Europameisterschaft, Wuppertal Bertling | Günter Deister | Maximilian Haupt | Frank Heike (fei) | Bertram Job (job) | Jürgen Kalwa | Katrin Lang (kl) | Marcus Meyer (mm) | Nicolas Richter (nic) | Rainer Schmidt | Nikolaus Seelig | Jörg Stratmann Mit freundlicher Unterstützung der Fotoagentur dpa Picture-Alliance GmbH 79394_FIFA_D_210x297.indd © dpa Picture Alliance Feiern Sie mit – die Sportparty desJahres! Feiern Siemit–dieSportparty Gastfreundschaft unddasunendlichgroße dasSieandenunterschiedlichsten Angebot, Austragungs vorfi orten GenießenSiediebesondereSpannung undEntspannung. Atmosphäredie mitreißende – dieherz Partystimmung, liche die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft undKultur, 2011™inDeutschland.Erneutverbinden sichdannSport JugendundFamilie, FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Südafrika 2010™verfolgen, sindwirschonmitteninden Vorbereitungen undfreuen unsauf Freuen undErlebnislandDeutschland! SiesichaufdasSport- bleibtamBallBegeisterung FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Deutschland2011™ www.germany.travel 1 www.fi fa.com/deutschland2011 Während wirdiesenSommerdiespannendenSpieleder nden werden. 06.05.2010 8:55:20 Uhr Sochi

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