Zur Diffluenz des wurmeiszeitlichen Rheingletschers bei Sargans und die spätglazialen Gletscherstände in der Walensee-Talung und im Rheintal
Herrn Prof. Dr. E. KUHN-SCHNYDER zum 65. Geburtstag
Von
RENE HANTKE, Zürich
Die Anlage der Talgabelung von Sargans
Zu den eindrücklichsten Talbildungen der Ostschweiz gehört die Talgabelung von Sargans. Ihre Anlage ist eiHerseits tektonisch vorgezeichnet, anderseits bedingt durch die unterschiedliche Erosionsresistenz schräggestellter Sedimentgesteine. Während das Sankt Galler Rheintal sich zwischen den flexurartig abtauchenden helvetischeH Decken und dem westlichen Erosionsrand der penninischen und ostalpi- nen Decken ausbildete, entwickelte sich die Seez-Walensee-Talung längs des südwest- lichen und südlichen Erosionsrandes der helvetischeH Jura-Kreide-Teildecken. Diese lösten sich von ihrem Substrat, der VerrucaHo-Kuppel, fuhren als Gleitbretter ab und legten sich dabei in disharmonische Falten. Durch das pliozäne Entwässerungssystem wurdeH die strukturell aHgelegten Tal- furchen bereits unmittelbar nach der mise-en-place der Helvetischen DeckeH weiter ausgeprägt und vertieft. Dabei lag die Wasserscheide zwischen Rheintal und WaleH- see zunächst zwischen Prodchamm und Sichelchamm. Schils, Cholschlagerbach und Seez waren damals noch dem RheiH tributär. Im Laufe des Quartärs wanderte die Wasserscheide sukzessive seezaufwärts. Zu- nächst wurden Schils und Berschnerbach mit ihren Zuflüssen aHgezapft und zu seitli- chen Quellästen der WaleHsee-Talung. Später wurde der Pass zwischeH Guscha uHd Stralegg geschleift, so dass der Röllbach ebenfalls dem WaleHsee zustrebte. Chol- schlag- und WeisstanHental dagegen haben sich Hoch in der letzten ZwischeHeiszeit dem Rhein zugewendet. Die heute praktisch ebensohlige Talgabelung von Sargans mit einer Wasserscheide bei Mels von nur wenigen Metern ist damit erst das Werk des wurmeiszeitlichen Rhein- gletschers. Wahrscheinlich dürfte die Seez im ausgehenden Spätglazial – Hiiüdestens kurzfristig – zum Rhein abgeflossen sein. Erst die Schüttung ihres eigenen Schutt- fächers liess sie schliesslich ihren heutigeH Lauf Hach NW in den Walensee nehmen. 102 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1970
Problemstellung
Während bisher an der wurmeiszeitlichen Talgabelung von Sargans stets mit einem bedeutenden Abfluss von Rhein-Eis durch die Walensee-Talung ins Linth-System gerechnet wurde und dieser Eisabfluss im Zürichsee-Limmattal, besonders jedoch im Glattal und im Pfäffikersee-Kämttal, seit ARN. ESCHER (1852a: 512, 1852 b : 25, 1852 ) und ALB. HEIM (1919: 218) auch durch zahlreiche Erratiker aus dem Einzugsgebiet des Rheingletschers belegt ist, hat F. SAXER (1964) – aufgrund von Verrucano-Erra- tikern auf der N-Seite des Walensees und auf der E-Seite der Linthebene bis auf den Ricken und des dort starken Zurücktretens von Leitgesteinen des Rheingletschers – darzulegen versucht, dass der Abfluss von Rhein-Eis durch die Walensee-Talung nur sehr geriHg war, etwa 2-3%. Ebenso gingen die Auffassungen über die Höhe des Rheingletschers zur Zeit des würmeiszeitlichen Maximalstandes stark auseinander, so dass sich auch in dieser Hin- sicht eine Überprüfung aufdrängte. Ferner galt es dem Mechanismus des spätwiirmeis- zeitlichen Eisabbaues vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken und in beiden Tal- systemen Hach Belegen allfälliger, zeitlich sich entsprechenden EisrandlageH zu su- chen.
Die wurmeiszeitliche Oberfläche des Rheingletschers
Über die Eishöhe des Rheingletschers und seiner Zuflüsse liegen im weiteren Be- reich von Sargans, im Churer und SaHkt Galler RheiHtal sowie in der Walensee-Ta- lung eine Anzahl eindeutiger Anhaltspunkte vor. Aus der Gegend SW voH Chur hatte bereits FRIEDRICH VON SALIS (1875: 462) Granit- uHd «Saussurit» (= Saussurit-Gabbro)-Erratiker auf den Spundisköpfen, auf der Scheider Alp (SW des Dreibündensteins) auf rund 1900 m und auf dem Mali- xerberg – dem Grat W von Malix – gar in 1960 m Höhe beobachtet. Auf Alp da Veulden konnte ein Juliergranit-Block in 1960 m und ein kleiner Chlorit-Graphit- schiefer in 1980 m gefunden werden. Ein Albula- und ein weiterer Juliergranit auf Alp dil Plaun in 1965 m und in 1980 m bekunden, dass noch Rhein-Eis über den Sattel zwischen Tgom Aulta und Dreibtindenstein floss. CHR. TARNUZZER (1898: 16) fand Gneiss-Erratiker auf dem Churerjoch auf 2037 m, während TH. GLASER (1926: 26) eineH Findling auf Alp Scalottas in 2093 m und eineH weiteren auf dem Crap la Pala, beide W der LeHzerheide, in 2150 m Höhe entdeckt hatte. Auf dem N-Grat der Calanda-Kette liegt der höchste kristalline Block neben der Hütte der Alp Maton auf 1757 m (J. OBERHOLZER 1933: 478). Ungefähr 1 km NNE der Alp Salaz W von Landquart zeichHete er (1920 ) einen weiteren Findling bei P. 1816 ein. E. WEBER (in R. HELBLING, 1948 ) gibt beim Älpli «Moräne» auf 1790 m an. Als höchstgelegene Rhein-Erratiker gelten in der Calanda-Kette der Block- schwarm von grobklastischem Ilanzer Verrucano, den OBERHOLZER (1933: 477) vom SW-Ende, vom Taminser Älpli, in einer Höhe von 2050 m erwähnt hatte, sowie der E der CalaHdahütte auf 2020 m gelegene Block (OBERHOLZER, 1920 ). Damit dürfte der wurmeiszeitliche Rheingletscher im Raume voH Chur bis auf 2000 m hinaufge- reicht haben. Jahrgang 115 R. HANTKE. Diffluenz des wurmeiszeitlichen Rheingletschers 103
Im Raum von Sargans reichte der Rheingletscher im Würm-Maximum bis auf 1750 in. Die höchsten Erratiker – Blöcke von Melser-Sandstein – finden sich bei P. 1753.4 SSW von Mels. Der 1829 m hohe Gonzen ragte als Nunatakkr ungefähr 80 m aus dem Eis empor; dagegen wurde der Sattel P.1668 zwischen Gonzen und Tschug- gen noch vom Würm-Eis überflossen, ebenso derjenige NNW des Tschuggen; P.1702.6 ist als Rundhöcker zu interpretieren. Während A. FAVRE (1884 ) die höchsten Erratiker am Gonzen in 1350 m angibt, hätte die würmeiszeitliche Gletscheroberfläche über Sargans nach H. JÄCKLI (1962 ) bis auf über 1900 m h inauf gereicht, wogegen A. PENCK (in PENCK und BRÜCKNER, 1909: 427) mit einer Eishöhe von 1700 m den beobachtbaren GegebeHheiten schon recht nahe kam. Für den Abschnitt Chur–Sargans ergibt sich somit ein mittleres Gefälle des wurm- eiszeitlichen Rheingletschers von 100/00. Im Seeztal reichte das durch die Walensee-Talung abfliessende Rhein-Eis bis auf die Terrasse von Castilun ENE von Flums, wo ARN. HEIM und J. OBERHOLZER (1917 ; HEIM, 1917: 652; OBERHOLZER, 1933: 478) auf 1640 m – neben einem Verru- canoblock – den höchsten kristalliHen Bündnerblock des Seeztales antrafen. Auf der stärker verfirnten Schattenseite liegen die höchsten Kristallinblöcke im Hinter Wald S von Sargans auf 1500 m, ein Nummulitenkalkblock auf 1520 m. Dagegen stellte OBERHOLZER (1933: 478) S von Mels Rheinmoräne bis 1600 m hinauf fest. Auf Klein- bergalp (Wildenberg LK) S von Flums liegt der höchste kristalline Bündnerblock W des Kurhauses auf 1450 m. Am östlichen Ausgang des Murgtales beobachtete W. RYF (1967, mündliche Mitteilung) Rhein-Erratiker bis gegen 1400 m Höhe. In der GegeHd um AindeH hatte bereits ARN. ESCHER (1854: 120a) einen SerHifit und einen Rhein-Erratiker nur 25 m unter der unteren Furggle gegen deH Flibach auf 1330 m entdeckt. ARN. HEIM (1917: 652) fand weitere, so Puntegliasgranite auf dem Gipfelplateau des Kapf E voH Ainden in 1280-1290 m; einen Block vermerkte er auf dem Haselboden, am Weg zum Speer, auf 1230 m. Sie alle belegen nur eine Mindest- Eishöhe und zugleich die Grenze zwischen Lokal- und Rhein-Eis. Wie schon HEIM (1917: 652) dargelegt hat, dokumentieren die höchsten Rhein- Erratiker häufig nicht die oberste Grenze der Eisbedeckung. Durch den Zustrom von Lokaleis wurde sie heruntergedrückt: In der Amdenermulde gehen Moränen mit RheiHgletscher-Geschieben nach oben allmählich in LokalmoräHe über. Am Flibach NE von Weesen liegt noch bei 920 m Speermoräne über Rheinmoräne. An den weni- gen Stellen, wo eine Wallform ausgebildet ist, verläuft deren Scheitel in Richtung, des zufliessenden Lokalgletschers. HEIM (1907 ,1917 ) schied daher vorsichtig nicht «RheiHgletschermoräneH», sondern «Moränen mit Rheingletschergeschieben» aus. Auf den Molasserippen im Taldurchbruch von Ziegelbrücke finden sich die höchsten Spuren – rundhöckerartige EisüberpräguHg und Erratiker von Speer-Nagel- fluh – auf Alp Naten bis 1350 m, N der Alp Schwanten bis 1320 m. Unmittelbar nach dem Taldurchbruch stellt sich die höchste Moräne auf rund 1300 m ein. Umgekehrt ver- lieren sich dort die seitlichen Wallmoränen eines kleinen Kargletschers auf 1330 m. Zwischen Sargans und Ziegelbrücke betrug damit das mittlere Gefälle des Walen- seearmes 13,5°/oo. 104 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1970
Im vorderen Linthtal bezeichnet eine Anzahl Sernifitblöcke oberhalb des Gross- berges E von Netstal auf 1350 m den obersten Rand des Linthgletscher-Schuttes (OBERHOLZER, 1933: 474). Besonders ausgeprägt sind die Spuren der Eisüberprägung auf der Sunnenalp NW von Näfels, wo sie am Gugger bis 1358 m hinaufreichen. Über Glarus ist die Eishöhe in rund 1500 m anzunehmen (OBERHOLZER, 1933: 472). Beim Bodensee-Rheingletscher lag die Eishöhe im Transfluenzbereich ins obere Toggenburg – aufgrund der Schmelzwasserrinne Älpli-Rossboden SSE von Wild- haus und der bis ins Gräppelental verfrachteten Rhein-Erratiker – in 1460-1480 m. Am N-Grat der Drei Schwestern konnten Findlinge bis auf 1500 m festgestellt werden (A. PENCK in PENCK und BRUCKNER, 1909: 427), während A. E. FORSTER (in PENCK und BRUCKNER, 1909: 427) und H. W. SCHAAD (1925: 30) am SW-Ausläufer des Hohen Freschen, am Alpwegkopf, Erratiker noch bis 1300 m, SCHAAD zwi- schen Schutan (=P. 1177 LK) und Rotwaldkopf (=P.1483.2 LK) NE von Rankweil gar bis gegeH 1400 m hinauf beobachtet hatte. Diese Eishöhe stimmt gut mit derjeni- gen überein, die auch auf der Schweizerseite zwischen K am o r und Fäneren be- standen haben musste, gelangten doch noch Rhein-Erratiker über den Sattel von P.1287.2 ins Einzugsgebiet des südöstlichsten Armes des Sittergletschers (H. EUGSTER, 1960: 49; HANTKE, 1965: 880). Als mittleres Gefälle des Rheingletschers zwischen Sargans und Fäneren ergibt sich 140/oo•
Das Eindringen des Rhein-Eises ins Weisstannental
Quartärgeologisch wohl die merkwürdigste Tatsache um Sargans stellt das tiefe Eindringen von Rhein-Eis ins Weisstannental dar. Blöcke von PuntegliasgraHit und anderer kristalliner Bündnergesteine liegen nicht nur auf der Terrasse von Hinterver- mol und bei Müliboden im vorderen Weisstannental, sondern noch bei Schwendi und Müli, 2 km unterhalb Weisstannen l . Mehrere Puntegliasgranite finden sich auf der linken Talflanke bei Oberschwendi auf 1040-1080 m. E des von rechts einmüHden- den Gafarratobels liegt auf der Terrasse von Stein auf 1170 m ein grösserer grüner Serizitgneissblock, eben der «Stein», sowie mehrere kleinere Puntegliasgranite. E. BLUMER (1908: 211) entdeckte bei Gigeren eineH weiteren und J. OBERHOLZER (1933: 479) fand den südlichsten kristallinen Bündnerblock am rechteH Ufer der Seez bei Hütten, kHapp 1,5 km unterhalb von WeisstanneH, 6 km taleinwärts. Das tiefe Eindringen des Rhein-Eises ins Weisstannental kann nur erklärt werden, dass der Seezgletscher durch den Rheingletscher kräftig aufgestaut wurde. Dabei wurde die Gleichgewichtslage zwischen den beideH Eismassen erst tief im Weisstan- nental erreicht. Durch das Eindringen von Rhein-Eis in den südöstlichen und zentra- len Bereich des Seeztal-Querschnittes wurde der abfliessende Seezgletscher auf einen schmalen Streifen des nordwestlichen Bereiches abgedrängt. Da die . Rhein-Erratiker durch ein spätes Vordringen des Seezgletschers nicht
1 F. SAXER (mündliche Mitteilung) konnte einige bisher in Vergessenheit geratene Blöcke wieder auffinden und veranlassen, dass diese bedeutsamen Zeugen unter Naturschutz gestellt wurden. Jahrgang 115 R. HANTKE. Diffluenz des wurmeiszeitlichen Rheingletschers 105 wieder vollständig ausgeräumt worden sind, musste die Eisführung der beiden Glet- scher mit einer bewegungsarmen Grenzzone bis iH die spätglazialen Abschmelzphasen der stets sich berührenden Gletscher bestanden haben. Durch den spätwürmeiszeit- lichen Vorstoss sind die Blöcke teilweise noch etwas verfrachtet, nicht aber weg- geräumt worden, da wohl gar nicht der Talgletscher, soHdern ein rechter Zu fluss aus dem noch vergletscherteH Pizolgebiet nochmals bis gegen den TalausgaHg vorstiess.
Würmeiszeitliche Gletscher-Querschnitte zwischen Sargans und der Linthebene Mutmass liche postglaziale Eis- Eisoberfläche Aufschüttung Querschnitt Gletscher Bereich in m ü.M. in m in km2 Rhein oberhalb Sargans Vilterser Seeli–Guschagrat 1800 –200 10,4=Fl Rhein unterhalb Sargans Gonzen–Würznerhorn 1750 –200 7,5=F2 Walenseearm Garmit–Gonzen 1750 –100 5,0=F3 Walenseearm -} Seez Hüenerchopf–Tschuggen 1720 –100 5,0 Seez Hüenerchopf–Gamidaurspitz 1780 0 l,7 Schils Prodchamm–Guscha 1750 –100 l,l Murg Chüemettlen–Gross Güslen 1560 – 50 0,8 Tal Schwamm–Wissberg 1500 0 0,2 Walenseearm Höch Farlen–Ober Furgglen 1420 – 50 3,4=F4 Linth Fridlispitz–Höch Farlen 1440 –150 3,0=F5 Linth/Rhein Roten Chopf–Federispitz 1300 –100 3,0=F6 Linth/Rhein Hirzegg–Oberhaghöchi 1200 –250 6,4=F7
Mittlere Fliessgeschwindigkeiten des wiirmeiszeitlichen Rhein- und Linthgletschers
Grundsätzlich sind bei Gletschern 2 Bewegungsarten auseiHander zu halten: ein mittleres laminares Fliessen des Eises vL , das den Gesetzen der Dynamik visco- plastischer Massen unterliegt, uHd ein GleiteH auf der Felsunterlage v G , das durch Differentialbewegungen im Eis noch unterstützt wird. Gleiteffekte lassen sich bei vie- len rezenten Gletschern beobachten. Sie treten recht unvermittelt auf und erreichen zuweilen bedeutende Ausmasse. Der Mechanismus des schubweise auftretendeH Glei- tens — surging — liegt jedoch noch im Dunkeln. Dass auch bei eiszeitlichen Glet- schern neben dem laminaren Fliessen mit derartigen zusätzlicheH Gleitbewegungen auf der Sohle gerechnet werden muss, ist naheliegend. Dies geht aus der Differenz zwischen laminarem Abfluss und der aus der Massenhaushaltrechnung sich ergeben- den EisbeweguHg klar hervor. Darnach würde sich die mittlere GletscherbeweguHg v aus dem lamiHaren Fliessen v L uHd eiHem über die Einzelschübe gemittelten Gleiten vG zusammensetzen, also v = vL+vG. Wohl lassen sich über die mittleren laminaren FliessgeschwiHdigkeiten eis- zeitlicher Gletscher keine verlässlichen Werte gewinnen; immerhin ist eine Abschät- zung der Grössenordnung möglich. Die grösste Schwierigkeit bereitet dabei die Unkenntnis des Verlaufes der einstigen Gletschersohle. Nach M. PERUTZ (1950), J. W. GLEN (1952) und J. F. NYE (1952, 1953) lässt sich die laminare Eisdurchflussmenge QL durch einen gegebenen TalquerschHitt berech- 106 Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1970
nen. Für parabolische Querschnitte, die den beobachtbaren und unter den Talalluvio- nen ergänzten Gletscherquerschnitten nahe kommen, ergäbe sich nach NYE (1965):
QL = F v = f A (p g a2 sin a)3,
wobei f ein Querschnittsformfaktor, A eine Materialkonstante des Eises, p dessen Dichte, 0,9 gr cm-3, g die Gravitationskonstante, 981 cm/sec- 2, a die maximale Eis- mächtigkeit und a, bzw. tg a, das Gefälle bedeuten würde. Für A geben L. LLIBOUTRY (1965: 565) 0,164 bar- 3 y-1, NYE 1953: 485) 0,364 1 bar-3 y- an. Daraus resultiert für A p 3 g3 = 1,12 . 10-4 m-3 y-1 (LLIBOUTRY), bzw. 2.5 . 10-4 m-3 y-1 (NYE). Der Formfaktor f lässt sich nach NYE (1965) für paraboli- sche Querschnitte mit dem VerhältHis der jeweiligeH Gletscherbreite b zur doppelten Eismächtigkeit 2a ermitteln. Für die einzelnen Gletscherquerschnitte zwischen Sargans und Ziegelbrücke lassen sich aufgruHd der höchsten Erratiker, der höchsten Stauterrassen, bzw. Wallmoränen- reste für Breite, Mächtigkeit, Gefälle und Querschnittsformfaktor folgende Werte angeben:
Breite b Mächtigkeit a Gefälle Form- Gletscher in km in m tg a faktor f Rheingletscher oberhalb Sargans 11 1500 0,010 0,36 Rheingletscher unterhalb Sargans 7 1500 0,014 0,16 Walenseearm unterhalb Sargans 6,6 1380 0,0135 0,17 Walenseearm oberhalb Ziegelbrücke 6 1200 0,0135 0,185 Linthgletscher oberhalb Ziegelbrücke 5,8 1170 0,017 0,18 Linth/Rheingletscher bei Ziegelbrücke 4,5 1000 0,040 0,15 Linth/Rheingl. unterh. Ziegelbrücke 10 1000 0,012
Daraus errechnen sich die lamiHaren jährlichen Durchflussmengen QL in den ein- zelnen Gletscherquerschnitten (F) sowie die lamiHaren Fliessgeschwindigkeiten vL.
Laminare Durchfluss- Laminare Fliess- menge geschwindigkeit Gefälle in ni3 y-l, nach in my-1, nach Gletscherquerschnitt in 0/00 LLIROUTRY (bzw. NYE) LLIBOUTRY (bzw. NYE) Rheingletscher oberhalb Sargans 10 4,6 (10,4) 108 45 (100) Rheingletscher unterhalb Sargans 14 5,7 (12,6) 108 75 (168) Walenseearm unterhalb Sargans 13,5 3,2 (7,3) 108 65 (145) Walenseearm oberhalb Ziegelbrücke 13,5 l,5 (3,4) 108 46 (100) Linthgletscher oberhalb Ziegelbrücke 17 2,6 (5,8) 108 86 (192) Linth/Rheingl. unterh. Ziegelbrücke 40 10,8 (24,0) 108 357
Da jedoch die jährliche laminare Durchflussmenge des Walenseearmes oberhalb Ziegelbrücke und diejenige des Linthgletschers nur ruHd 40% der DurchflussmeHge nach dem Zusammenfluss der beiden Eisströme betragen würde, muss sich der Eisab- fluss in Wirklichkeit etwas anders vollzogen haben oder aber die Niederschlags- mengen wären währeHd der Eiszeit bedeutend geriHger gewesen als heute. Neben der laminaren Fliessbewegung des Gletschereises lassen sich für die einzel- nen Querschnitte auch Relativwerte für die mittleren Gesamtdurchfluss-
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mengen Q und damit für die mittleren DurchflussgeschwiHdigkeiten v er- mitteln. AbgeseheH vom Zuwachs durch das EinmündeH seitlicher Eis- und Firnmas- sen, vom vorwiegend als SchHee auf den Gletscher gefallenen Niederschlag uHd vom erlittenen Verlust durch Ablation, gilt für das Fliessen eines Gletschers das Kontinui- tätsprinzip. Darnach ist die Gesamtdurchflussmenge Q in einem bestimmten Tal- querschnitt das Produkt von Querschnittsfläche F. mittlere Durchflussgeschwindigkeit v, also Q = Fa vu = Fe ve = konstant,
wobei der Index a die AnfaHgs..., e die End... bedeuten. Da für den zum Bodensee abfliessenden Rheingletscher und für den durch die WaleHsee-Talung vordringenden Gletscherarm ein nahezu gleiches Gefälle ermittelt werden konnte und ein Stau durch den Seezgletscher Hicht ins Gewicht fällt (S. 103 und 104), dürften sich die mittleren FliessgeschwiHdigkeiteH in den beiden Gletscher- armeH kaum unterschieden haben. Aus F1 v1 = F2 v2 4-F3 v3 ergibt sich, wenn 1,2 = v3,
F1 _ 10,4 V2=V3= Vi =083 v1. F2--F3 7,5+5
Gegenüber der Durchflussgeschwindigkeit des Rheingletschers vor der Talgabelung voH Sargans hätte sich diese nach der Diffluenz auf 5/6 verringert. Wäre der mittlere Geschwindigkeitsverlust nach der Talgabelung auf 0,83 vi – zufolge der Trägheit des Hauptarmes – nicht erfolgt, so dass dieser seine Geschwindig- keit beibehalten hätte, also v 2 = vl dann müsste sich allein diejenige des W alensee- armes V3 verlangsamt habeH. (F1-F2) 10,4-7,5 = V3 = = 0,58 vl. F3 V1 5
Dass dabei nur die GeschwiHdigkeit des WaleHseearmes reduziert worden wäre, ist unwahrscheinlich, um so mehr als der im Stromstrich des Hauptarmes gelegeHe Fläscherberg sich bremsend auswirken musste. Bei einer Geschwindigkeitsverminderung im Verhältnis zu den Durchflussquer- schnitten, also wenn V3 F3
V2 F2
F32 2 ergäbe sich: F1 i1 = F2 v2+ FF2 V2.
Daraus folgt für die mittlere Fliessgeschwindigkeit des RheiHgletschers nach der Tal- gabelung: F1 1042 V2 = 32 104 2 Vi =0,96v1. F2+ 7,5+ Fz7 - 55
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Für die mittlere Fliessgeschwindigkeit des Walenseearmes errechHet sich: 5+7 52 V3 F3+1F22 Vl = vl = 0,64 v1 . 1 F3
Anderseits wäre, wenn v2 = v3, der Eisabfluss durch das Rheintal und durch die Walensee-Talung nach dem Verhältnis der Eisquerschnitte aufgeteilt worden; dann wären 40% durch die Walensee-Talung uHd 60% durch das Rheintal abgeflosseH. Selbst wenn dem durch das Rheintal abgeflosseneH Arm – zufolge der grösseren Masse – eine grössere mittlere Fliessgeschwindigkeit zugebilligt uHd für den Walen- seearm – zufolge des Staus durch den Seezgletscher – eine geringere, nur 58%, einge- setzt wird, so hätten immer noch 28% des Rheineises ihren Weg durch die WaleHsee- Talung genommen. Wie bereits dargelegt wurde, erfolgte kaum der gesamte Geschwindigkeitsverlust auf Kosten des WaleHseearmes. Im Verhältnis zu den Durchflussquerschnitten, also wenn V3 F3 = , ergäbe sich: V2 F2 100% 7,5.100% für den Hauptarm Q2 = F2 v2 = F2 F32 52 = 69,2%, I F2 F2 7,5 +7,5 100% 5 100% für den WaleHseearm Q3 = F3 V3 = F3 = = 30,8% . F22 (7,5)2 + F3 +5
Darnach wäreH gut 30% des RheiHeises durch die Walensee-Talung und knapp 70% durch das Rheintal abgeflossen. Ein Stau durch den Linthgletscher fällt kaum iH Betracht, da die höchsten Erratiker in der Walensee-TaluHg ein Gletschergefälle bekunden, das sich mit demjenigen im Rheintal gut vergleicheH lässt. Es dürfte alleHfalls durch eineH geringen Stau des Rhein- gletschers durch den Illgletscher kompensiert wordeH sein. Auch für den Raum um Ziegelbrücke, wo der Walenseearm – durch die Eis- massen aus dem Schilstal, dem Murgtal und von der Talalp unterstützt – sich mit dem Linthgletscher vereinigt hatte, galt das Kontinuitätsprinzip, also :
F4 V4+ F5 V5 = F6 V6,
wobei nun v4 v5 war, da dem Linthgletscher eine höhere FliessgeschwiHdigkeit zu- kam als dem Walenseearm des Rheingletschers. Zwischen Glarus und Ziegelbrücke betrug das mittlere Gefälle des Linthgletschers – über Glarus reichte er bis auf 1500 in (OBERHOLZER, 1933: 472) – mehr als 17 0/00, während sich für den Walenseearm nur ein solches von 13,5 0/0o ermitteln lässt. Da nach J. F. NYE (1965) die GeschwiHdigkeit eines Gletschers mit der 3. Potenz seines Gefälles und mit der 4. Potenz seiner Mächtigkeit ansteigt, dürfte die mittlere 1 3 = Fliessgeschwindigkeit des Linthgletschers v 5 im untersten Linthtal um (17 13,5 2,09 mal grösser gewesen sein als diejenige des Walenseearmes 1,4. Jahrgang 115 R. HANTKE. Diffluenz des würmeiszeltlichen Rheingletschers 109
Daraus errechnet sich — wiederum nach dem Kontinuitätsprinzip — die mittlere Durchflussgeschwindigkeit in der Talenge voH Ziegelbrücke v6: