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Doctoral Thesis

Zur Quartärgeschichte des Seeztals (Kt. St. Gallen, Schweiz)

Author(s): Müller, Benjamin Urs

Publication Date: 1993

Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-000899299

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ETH Library D!ss.ETH CX.fl

DissETH Nr. 10184

ZUR QUARTAERGESCHICHTE

DES SEEZTALS (KT. ST.GALLEN, SCHWEIZ)

ABHANDLUNG zur Erlangung des Titels eines

DOKTORS DER NATURWISSENSCHAFTEN

der

EIDGENOESSISCHEN TECHNISCHEN HOCHSCHULE ZUERICH

vorgelegt von

Benjamin Urs Müller dipl. Geologe, Universität Zürich geboren am 22. April 1963 von Winterthur/ZH

Angenommen auf Antrag von:

Prof. Dr. Conrad M. Schindler, Referent Prof. Dr. Christian Schlüchter, Universität Bern, Korreferent Prof. Dr. James Rose, Royal Holloway, University of London, Korreferent

1993 238

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Die in der Seeztal- /Walenseerinne gefundenen und im Rahmen dieser Arbeit beschriebenen quartären

Lockergesteine decken einen Zeitraum vom oberen (?) Altpleistozän bis heute ab.

Die Höhlenseesedimente des Ofenlochs oberhalb Quinten

1. Das mit paläomagnetischer Datierung der Ofenlochsedimente nachgewiesene altpleistozäne

Karstsystem nördlich des Walensees mit einer Vorflut auf einer Höhe von 650 m ü.M. weist auf

eine "Funktionstüchtigkeit" der Seeztal- /Walenseerinne als lokale Vorflut zu dieser Zeit hin. Das

damit nachgewiesene grosse Alter dieses Talwegs hat eine grosse Bedeutung für das geologische

Geschehen im Vorland während des Quartärs (Deckenschotter).

2. In den Höhlenseesedimenten des Ofenlochs oberhalb Quinten sind die subrezente Dolomitisierung

von Kalzit, die authigene BUdung von Pyrit und weiteren, teils ferrirnagnetischen Sulfiden sowie

die Ausscheidung von Kieselsäurekrusten nachgewiesen worden.

Zur Entstehung des Felsreliefs des Seeztals

3. Eine neue Felsisohypsenkarte des Seeztals ist die Grundlage für die acht geologischen Profilschnitte

durch das Seeztal. Die in den sieben Querprofilen und einem Längsprofil dargesteUte Konfiguration

des Felsuntergrundes ergibt neue Anhaltspunkte für die Entstehung der Seeztslrinne. Zwischen

Mels- und folgt die tiefste Rinne des Seeztaltroges der Ausbissünie der helvetischen

Trias (u.a. Dolomitrauhwacke) zwischen Mürtschen- und Axendecke. Im Flumserbecken schwenkt

die Achse der grössten Eintiefung in den dort anstehenden Dogger der abgetauchten

"Molserbergwaldfalte", bzw. der "Raischiben-Zone" um. Die Aufweitung des Talquerschnitts im

Bereich des Flumserbeckens dürfte durch die Fortsetzung der von "Tobelbach-Chalchtaren" her unter

die Talfüllung abtauchenden helvetischen Trias der Zone von "Seebenalp" bedingt sein.

Hydrogeologische Daten aus dem ganzen Talabschnitt zwischen und Flums unterstützen diese

Befunde.

4. Die Felskulmination zwischen Alpenrheintal und Seeztal bei Mels-Sargans erreicht eine Höhe von

nur ca. 350 m ü.M. und verläuft ca. einen Kilometer nordwestlicher als bisher angenommen.

5. Die Anlage des Seeztals folgt nicht in erster Linie tektonischen Lineamenten, sondern wird primär

durch die unterschiedliche Erosionsresistenz der anstehenden Gesteine gesteuert Die Gestalt und der 239

Tiefgang des Felsreliefs weisen auf eine dominante RoUe der direkten und indirekten Glazialerosion

bei der Bildung des übertieften Seeztaltroges hin.

Die Lockergesteinsfüllung der SeeztaWWalenseerinne

6. Mit Ausnahme der Glazilimnischen Serien des Sarganserbeckens, die zu Anfang des Spätglazials

bei Mels ins östlichste Seeztal geschüttet worden sind (während der kurzfristigen Umleitung der

Seez über "St. Martin" - "Schüngs" - "Plöns"), konnten in der TalfüUung des Seeztals keine

Sedimente des Alpenrheins gefunden werden. Der bereits um 12000 y BP mindestens 30 m über den

Seespiegel (420 m ü.M.) herausragende Seezschuttfächer verhinderte ein Abfliessen des Rheins

durch das Seeztal.

Im zentralen Seeztal steUen die Glazilimnischen Serien das unterste SchichtgUed der TalfüUung dar.

Darüber folgen feinkörnige, nachglaziale Seebeckensedimente von grosser Mächtigkeit, die sich in

den proximalen Bereichen mit den Deltas der Seez und ihrer Nebenbäche verfingem. Oberhalb Kote

420 wurde die Auflandungssequenz der Seez und ihrer Nebenbäche als Uebergangsserie definiert

7. Während und unmittelbar nach dem kollapsartigen Eisrückzug zwischen 15000 und 14000 y BP

wurden die tief (> 200 m bei Mels) ausgeräumten Talquerschnitte innert ca. 2000 Jahren praktisch

vollständig wiederverfüllt Der kurzfristig zusammenhängende "Zürich- /Walen- /Rheintal-

/Bodensee" dürfte bereits im mittleren Spätglazial durch die Schuttfächer von Linth, Seez und JU in

verschiedene Seebecken mit unterschiedlicher Spiegelhöhe unterteilt worden sein. In Bezug auf die

schneUe WiederverfüUung glazial ausgeräumter Talabschnitte Uegen ähnliche Befunde aus den Ost-

und Westalpen vor.

8. Die im Seeztal erbohrten Sedimentserien lassen den Schluss zu, dass grosse Teile der

prähochwürmzeitlichen TalfüUung während des letzten Eisvorstosses ausgeräumt worden sind.

Dieser Mechanismus wird auch für die beiden vorhergehenden Vereisungszyklen im Seeztal

postuliert Nur gerade im morphologischen "Schatten" des "Castels" westlich Mels blieben grössere

TeUe einer präletzteiszeitlichen TalfüUung vor der (Glazial)Erosion verschont Ob in den tiefsten

Trögen des Sarganserbeckens und des Walenseebeckens glazial vorbelastete Sedimentserien erhalten

geblieben sind, kann aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Bohrungen nicht entschieden

werden.

9. Die lithologische Beschreibung der wichtigsten Lockergesteinsprofile an den Talflanken erlaubt

Aussagen über Vorstoss und Rückzug des hochwürmzeitlichen Rheingletschers in der Region. Die

im Seeztal aus der Literatur bekannten spätglazialen Stände des Rheingletschers wie "Weesen", 240

"Ragnatsch" und "Sargans" können, falls sie überhaupt nachweisbar sind, aufgrund der vorliegenden

Sedimentserien sehr kurzfristige Bildungen darstellen, die an einen stagnierenden Eiskörper

geschüttet worden sind.

10. Der Fund eines interglazialen Paläobodens in einem Schuttfächer bei Brüsis auf einer Höhe von

460 - 490 m ü.M. wirft Fragen in Bezug auf die Datierung des Profils Tiefenwinkel bei Murg auf

(SCHINDLER et al., 1985). Dies gilt insbesondere für die Einstufung des "früheemzeitlichen"

Seebodenlehms, der einen Seespiegel von 500 m ü.M. markiert. Da eine gleichzeitige BUdung

dieser beiden Profile nicht möglich ist mussten die Ablagerungen eines früheren Walensees um ein

Interglazial zurückgestuft werden, was aufgrund regionaler Profilvergleiche möglich ist

11. Die Seebodenlehme von Tiefenwinkel, die bekannten Vorkommen vom Walenberg und aus der

Linthebene, sowie ein neues Vorkommen bei Mels (510 m ü.M.) könnten folglich, wie dies

JEANNET (1923) bereits vermutet hat alle in ein und demselben See gebildet worden sein. Nach

den Befunden von WELTEN (1982, 1988) für die Linthebene müsste dieser See ein

frühholsteinzeitliches Alter (Holstein von Meikirch, sensu WELTEN) gehabt haben, was mit den

neuen Befunden aus dem Seeztal übereinstimmen würde.

12. Die heute unterschiedliche Höhenlage der Obergrenze dieser Seebodenablagerangen korreUert mit

den relativen, rezent gemessenen differentiellen Krustenhebungen, die bei Sargans knapp dreimal so

gross sind, wie in der westlichen Linthebene. Der offensichtlich schon im Mittel- und

Jungpleistozän bestehende allgemeine Hebungstrend in dieser Region zeigt sich an den ebenfalls

höher als die aktuelle Talsohle hegenden alten Bachschuttkegelrelikten von "Mels-Gabreiten" und

"Plons-Halden".

13. Sollte diese Hebungstendenz zeitlich rückwärts bis ins Altpleistozän extrapoliert werden dürfen, so

ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die übertieften Talquerschnitte der ganzen Region, die

bei ihrer Bildung zur Zeit der grössten Vereisung möglicherweise noch bedeutend tiefer gewesen

sein müssen. Ueber die Ursachen dieser alten, im Vergleich zu den letzten drei Vereisungen deutlich

tiefer reichenden Glazialerosion kann nur spekuliert werden. 241

English Summary

The quarternary history of Seezvalley (Kt. St. Gallen, Eastern )

The Quartemary Sediments found in the Seez- / Walensee-valley and discussed in this thesis cover an

interval from the upper Older Pleistocene to the present

The cave Sediments of Ofenloch above Quinten

1. An Older Pleistocene karstic System with a main drainage Channel at 130 m above the present

vaUey floor following is indicated by paleomagnetic evidence from cave Sediments. These

demonstrate that the Seez- / Walensee-valley was in existence at least 780*000 years ago.

2. Subrecent dolomitisation of calcite and authigenic growth of pyrite and other partially

ferrimagnetic Sulfides has been proven for the cave-lake Sediments of Ofenloch. Furthermore, there

are hints for precipitation of siUcic seid crusts in the same Sediment series.

The rockhead morphology of Seez valley

3. The Bedrock morphology of the Seez valley is essential for the construetion of the eight

geological cross-sections. The clue for the formation of Seez valley is given by the tectonical

strueture of the Helvetic nappes presented in seven further profiles. From Mels-Sargans to Rums

the deepest part of bedrock valley follows the line of outcrop of dolomitic greywacke of the

Helvetic Trias which is located between Mürtschen- and Axen nappe. At Flums the valley axis

turns into the Jurassic slate of the submerging "Molserbergwaldfalte" and "Raischiben Zone".

4. The rockhead col between the Alpenrhein valley and the Seez valley at Mels-Sargans reaches an

elevation of only 350 m.asl. and is situated at least one km farther to the northwest than suggested

hitherto 242

5. From the evidence of rock geometrics with the valley form and position, it is evident that the

formation of Seez valley is a response to the different erosional resistance of the bedrock

lithologies rather than tectonic factors. These results along with the form of the rockhead

morphology indicate the dominant role of direct glacial and subglacial meltwater erosion during the

development of the overdeepened trough of Seez valley.

Quarternary Sediments

6. Exept for the glacüimnic series of the "Sarganser Becken" near "Mels", no Sediments could

be found in the Seez valley. The formation of the glacilimnic Sediments of the Seez vaUey was due

to a short-term diversion of the Seez via "St. Martin-Schlings-Plons" during the beginning of the

Lateglacial. The alluvial fan of the Seez, which had already risen at least 30 m above the level of

the lake at 12.000 years BP, prevented the Rhine from flowing to lake Zürich through Seez vaUey.

In the central part of the Seez valley the lowest parts of the sedimentary infill consists of a

waterlain-till sequence, overlain by a thick layer of postglacial limnic clays. Above 420 m asl.

the Auflandungssequenz of the Seez river has been defined as an transition sequence.

7. During and immediately after the collapse of the Late Wurmian ice sheet between 15.000 and

14.000 years BP, the deeply eroded troughs (> 200 m at Mels) were fiUed up almost completely

within about 2.000 years. By the middle of the Lateglacial (ca. 12.300 years BP) a connected

"Zürich-/Walen-/Rheintal-/Bodensee" was infilled by the alluvial fans in the region of Linth, Seez

and JU, forming several separate lakes with different water levels. Similar evidence for rapid

infilUng of glacially "cleaned-out" troughs at the end of the last glaciation is provided from the

Eastem as well as from the Western part of the Alps (Van HUSEN, NICOUD et al).

8. Most of the borehole logs recorded from the Seez vaUey are of post-Wurmian age. Therefore we

conclude that the main part of the pre-Wurmian valley infill has been eroded by the Late Wurmian

glaciation. A similar mechanism must have existed during the two preliminary ice advances (

"Rissian", Early Wurmian) through Seez vslley. The only large surviving fragment of pre-

Wurmian sediment sequence is located at "Mels-Gabreiten". This is situated in a special

morphological position near the röche moutonnee of "Castels" and therefore survived the glacial

erosion. On the basis of evidence presenüy available it is not possible to decide whether glaciaUy

overconsoUdated sediment series have been conserved in the deepest parts of the troughs of the

"Walensee" and the "Sarganser Becken". 243

9. Detailed lithological description of the main Quarternary sequences at the flanks of the valley

provide important Information about the advance and the retreat of the Wurmian Ice Sheet in

eastern Switzerland. The Lateglacial readvances of the Rhine glacier between Weesen and Sargans

(HANTKE, 1970) could not be confirmed. All of the sequences observed represent short-term

Sedimentation on the border ofa rapidly downmelting ice body.

10. An "interglacial" palaeosol in a alluvial fan near "Brüsis" at 460 - 490 m a.s.l. introduces

questions conceming the age of the sequence of "Tiefenwinkel bei Murg" described by

SCHINDLER et al., (1985). This palaeosol is critical for the datation of the "Early Eemian"

limnic clay which formed in a lake with a level at 500 m a.s.1. Synchronous formation of the soü

and the lake at this level in this geomorphological position is impossible: the limnic clay of

"Tiefenwinkel" has therefore to be attributed to an earlier interglacial.

11. The limnic clay of "Tiefenwinkel" as weU as the weUknown outcrop of "Walenberg" and the

limnic clays of "Buchberg" and "Eschenbach" (piain of the Linth) may have been deposited at the

same time in one large lake (JEANNET, 1923). In accordance with the palynostratigrafic results of

WELTEN (1982,1988) regarding the Quarternary sequences of the piain of the Linth, this lake is

of an Early Holsteinian age (Holsteinian of Meikirch, sensu WELTEN), and this coincides with

our observations.

12. The present different levels of the top of these limnic clays correlate to the relative amount of the

recent crastal rise observed in this region, indicated by direct observations. The measured uplift at

Walenstadt is twice as great as in the westem part of the piain of the Linth. The occurrence of aU

pre-Wurmian sequences above the recent alluvial plains also suggests that these crastal movements

began in the middle Pleistocene.

13. Should these crastal movements extend back to the Early Pleistocene, there will be important

consequences regarding the age and origin of the overdeepened vaUeys. At the time of their

formation during the so called "Most Extensive Glaciation" (SCHLÜCHTER, 1978) these

glaciaUy formed troughs may have reached much deeper than today. As there is, at present, no

evidence for the reasons for this strong glacial erosion at the end of the Older Pleistocene, the field

is open for speculation.