Geographica Helvetica 1992 - Nr. 2 Rene Hantke

Die Talgabelung von

In memoriam Dr. h. c. Heinrich Seitter

Geologisch-tektonischer Überblick Wohl wird das Abbrechen von Kristallin- und Sediment¬ partien durch Fels- und Bergstürze auch um Sargans im¬ Die Umgebung von Sargans gehört geologisch und mor¬ mer wieder eindrucksvoll vor Augen geführt (Abb. 2). phologisch zu den bedeutsamsten der ganzen Alpen. Doch schon in den nördlichen Kalkalpen ist die Ausräu¬ Durch das axiale Abtauchen der helvetischen unter die mung der Täler durch Gletscher auf die Kaltzeiten be¬ penninischen und ostalpinen Decken treten alle tektoni- schränkt. Erratiker brachen als Sturzblöcke auf Glet¬ schen Haupteinheiten der Alpen auf engstem Raum zu¬ scher und wurden von ihm verfrachtet. Dabei wurden sammen. Ebenso finden sich sub- und ultrahelvetische karbonatische Blöcke aus älteren Kaltzeiten seither weit¬ Elemente (Abb. 1). gehend gelöst. Das Westende der ostalpinen Decken ist ein Erosions¬ Ein Vergleich des Deckenbaus von Wallis und Graubün¬ rand, aber weder die ostalpinen noch die penninischen den, wie ihn r. staub bereits 1917 postuliert und im «Bau Decken bildeten einen kontinuierlichen Deckel über den der Alpen» (1924) seiner Zeit weit voraus dargetan hat. helvetischen. wurde nicht in erster Linie durch die erosive Tätigkeit im Talgabelungen sind ausgesprochen selten. Wo sie auftre¬ zentralen Bereich der Tessiner Kulmination und des ten, lassen sie sich weder fluvial noch glazial erklären; sie Gotthard-Gebietes unterbrochen. Die Decken im Osten sind tektonisch bedingt. Sie existierten bereits vor dem und Westen lagen viel näher beisammen. Sie glitten nicht Eintreffen der Gletscher. nur nach Norden bzw. Nordwesten ab, sondern stets nach dem größten Gefälle. Dies gilt nicht nur großtektonisch für die penninischen und unterostalpinen Decken des m Wallis und von Südbünden, sondern auch für die viel be¬ scheideneren östlichen helvetischen Kalkalpen, wo sich das Ab- und Auseinandergleiten ihrer höheren Stock¬ werke, der Churfirsten-Alvier-Abfolge, von ihrer Verru- cano-Unterlage modellhaft zeigt (a. heim & j. oberhol- ZER 1917K, R. HELBLING 1938, J. OBERHOLZER 1942K, 1984 K). Die höheren Stockwerke glitten in den Churfir¬ sten nach Norden, in der Alvier-Gonzen-Kette nach Nordosten ab. Zwischen der bei Murg stirnenden Verru- cano-Abfolge und der nordwärts gefahrenen Mürtschen- und Churfirsten-Stirn öffnete sich ein Tal, bildete sich ein erster Walensee. Das entwickelte sich durch seit¬ *JD :. liches Abgleiten des bereits primären Faltenstapels des W Jura-Stockwerkes von der Verrucano-(Trias-)Unterlage im Südwesten. Walensee-Talung und Seeztal waren so ä~T 1 1 Nördliche Kalk. Tcitböden iLLU Lechlal-Decke schon tektonisch angelegt; es hatten sich Zerrspalten ge¬ l~\ Autochlhones und ^-H Aroser Schuppenzone Jp par- bildet. Diese wurden wohl durch Frost und kaltzeitliche ^1 ; ! autochlhones Tertiär und aber unbe¬ ^3 SuUfluh-Decke fF~ ~1 Aulochlhones und par- Gletscher überprägt etwas erweitert, nur \SI

I | Ulirahelvetiseher Malm Axen-Gonzen-Decke brechen der Flysch-Unterlage und der darüber gefahre¬ Abgeschertes Lind über- 1 Churfirsten-Alvier-Decke nen starren Verrucano-Platte (Abb. 1). fahrenes 6-Hekeh'kum Haupt Überschiebungen Falten acheen Überschiebungen 2. Ordn.

Abb. 1 Tektonische Übersicht der Talgabelung von Sar¬ Rene Hantke, Prof., Dr., Geologisches Institut der ETH und gans. Universität Zürich, Sonneggstr 5. CH-8092 Zürich

51 Östlich des Rheins erhebt sich - an einem Grenzblatt, ei¬ Morphologische Thesen im Lichte ner Blattverschiebung in der Gonzen-Decke, im Süden neuerer Forschungsergebnisse etwas zurückgeblieben, aber kaum mehr weiter axial ab¬ fallend - der Fläscherberg aus Gesteinen in süd- und Mehrere morphologische Thesen - Übertiefung, Terras¬ ganz im Südosten in ultrahelvetischer Fazies. sen- und Trogtalbildung, rückschreitende Erosion - sind Über der Verbindung von Prättigauer und Vaduzer meist unbesehen von Generation zu Generation über¬ Flysch erhebt sich die Falkniskette. Sie besteht aus einer nommen worden. Viele gehen auf die Frühzeit der Geo¬ in Falten gestauchten mittelpenninischen Jura-Kreide- logie, auf die Zeit vor der Deckentheorie, zurück. Und Abfolge (d. trümpy 1916K). Weiter im Osten und weiter selbst diese ist noch immer im Wandel begriffen: Sie hat im Norden setzt sich über einer schmächtigen tiefmeeri- den Neuerkenntnissen aus Geologie, Geophysik, Pa¬ schen Ophiolith-Radiolarit-Abfolge, der Rätischen Dek- läontologie und Morphogenese stets Rechnung zu tra¬ ke G. steinmanns, die ostalpine Lechtaldecke mit Sche- gen. Leider wird sie noch zu oft als rein statisch betrach¬ saplana und Drei Schwestern ein. tet. In ihren inneren, kleinradigen Ablagerungsgebieten Die Vorstellung, daß die Klippen - Grabser und Zentral¬ waren die Gesteinsserien flächendeckend. Bei ihrer Aus¬ schweizer Klippen, Prealpes Romandes - nur bescheide¬ scherung und beim Vorgleiten über untertauchende Kru¬ ne Reste einer einst über die ganzen Westalpen sich er¬ stenelemente in äußere, großradigere Bereiche brachen streckenden, mehr oder weniger zusammenhängenden sie auseinander. Dadurch bildeten sich bereits primär - Decke erstreckt hätte und dann bis auf diese abgetragen ohne jede erosive Einwirkung - Quertäler und beim Aus¬ worden wäre, bedarf ebenfalls einer Korrektur (hantke einandergleiten der einzelnen Stockwerke Längstäler. 1991). Dies betrifft neben der Klippendecke der Zentralschweiz

Malug

' ¦ ' Schollberg i n 'J Balzers mal Gonzen

Vlld one Cllhcrn

Mels Ma Sargans ^^

vermol Wanq w ii/> *N Iters Fläsch

^^~^s. w --.ao

ä .'1 ujj*

Bad Raga \

lunnen

Erratiker: 'o%°1 Stauschotter von Schuttfächer ° MeUer -Sandstein :'.'.'] Wangs - -Plöns E x Verrucano .V.V.1 5tausohotter von Moränenwäüe V.V/J /^r PuniecjHas -Granit Mels-Sl.Martin-Langwi-sen c Andere kristalline .' Felsstürze £} Rundhöcker Sündner Gesteine Berg-u. 3-IHL Ehemalige ~ Sumpfgebiete Abb. 2 Quartärgeologische Skizze der Talgabelung von Sargans.

52 auch die helvetischen Decken, wo sich neben bedeuten¬ Im oberen Teil taucht die verfaltete Kreideabfolge der den Querstörungen, Grenzblättern (Urner See, Bisistal, Alvierkette unter den Prättigauer. Vaduzer und Voralber- Linthtal), auch decken- und schuppentrennende Läng¬ ger Flysch. Dazwischen bildete sich ein Stück Alpen¬ stäler gebildet hatten. rheintal. Über der mittelpenninischen Falknisdecke folgt die Aroser Zone und dann die in Schollen zerlegte ostal¬ pine Lechtaldecke, welche die Gipfel der Schesaplana Die Anteile von Rhein-Gletscher und Tektonik und der Drei Schwestern aufbaut. Neben dem Abgleiten bei der Talbildung der höheren Stockwerke waren für die Talbildungen Ver- scherungen verantwortlich. Solche manifestieren sich im Daß in Kühl- und Kaltzeiten der bei Sargans sich gabeln¬ Seeztal zwischen den Liasrippen von Gräpplang und St. de Rheingletscher zur letzten Ausgestaltung der Talflan¬ Georgen. Im Seeztal zeichnet sich quer zu den Falten¬ ken und zur Schleifung der Talsohle beigetragen hat, zeigt strukturen ein Grenzblatt ab; die beiden Talseiten wür¬ sich mannigfach. Da Rundhöcker nicht nur aus resisten¬ den sich auch mit ihrer ursprünglichen Gesteinsfüllung ten Gesteinen bestehen, verdanken sie ihre Anlage einer nicht entsprechen. In der Ebene tritt der Hügel des Tier¬ Schertektonik. Zudem sind im Alpenrheintal selbst ihre garten und bei Sargansjener von Castelsaus den Alluvio- jüngsten Kreideschichten im Luv des fließenden Eises nen empor. Auffallend ist sodann der steile Abfall des noch erhalten, so daß dessen Wirkung sorgsam zu über¬ Sarganser Schloßhügels und seiner Fortsetzung seez- prüfen ist. Um Sevelen sind es Wang-Schichten, rheintal- abwärts. der Tschuggenkette. Diese Fakten - zusammen abwärts, wo diese aus faziellen Gründen ausfallen, Am¬ mit den Bohrresultaten - deuten daraufhin, daß talparal¬ dener Schichten und Seewer Kalk, welche die jüngsten lele Klüfte und Scherung am Werk waren und dadurch Schichten bilden. ein Relief mit Rinnen und Tälchen entstand (Abb. 3).

rr777 v ''/ w, Kofis

(y Sichil

(Wer Ötvjc/J/J y V, /"/ \ \ ö£ cav m m m im Ftumserbcrae

Azmoos w V Trübbach

Balzers Ragnah Bonzen ^ M3U tfctugkreu Plöns y Suscha Mels K Sargans

vermo //

_J "- ^v$K\ '% -o. Wongs

Rasch S Js Vilters

Abb. 3 Scherstörungen im Bereich der Talgabelung von Sargans.

53 Zugleich ergaben die Bohrungen für Grundwasser, daß Bei den Inselbergen zeigt sich, daß diese randlich durch an der Basis nicht Grundmoräne, sondern Schotter an¬ Scherstörungen begrenzt werden. Bereits bei der Platz¬ steht. Die Steilabfälle der tiefsten Wände der Alvierkette nahme der Decken wurden diese in Teile auseinanderge¬ mit dem Sarganser Schloßberg setzen sich unter den schert. Das Alpenrheintal ist daher tektonisch angelegt, Schuttfächern und Talalluvionen fort (M. kobel. sehr. nicht als Grabenbruch in ein fertiges Deckengebäude; es Mittl., 1992, G. p. jung. sehr. Mittl., B. Müller 1992). Im existierte schon vor dem Eingleiten, der Platznahme der Gebiet des Stadtgrabens von Sargans zeichnet sich zu¬ Decken und geht damit letztlich bereits auf die früheste dem noch ein weiterer, nicht mehr über die Talalluvionen Molassezeit zurück. Damals wurden in oligo- und miozä- emporragender Rundhöcker ab (Abb. 4). Auch auf der nen Kühlzeiten bei tiefer Waldgrenze mächtige Schuttfä¬ Südwestseite des Seeztales versteilt sich das Gehänge ge¬ cher geschüttet. Diese erfolgten in die orographisch tief¬ gen das Tal; zugleich stellen sich zahlreiche oft talparalle¬ sten Bereiche. Bei der Platznahme der ankommenden le Störungen ein. Diese Fakten wurden stets als glazial helvetischen Decken wurde die zuvor dort lagernde, in übertieft gedeutet, da Talbildungen nach der bisherigen eine ältere Talung geschüttete Molasse längs Gleitflä¬ Lehrmeinung nur durch Eintiefung durch fließendes chen ausgeschert und dachziegelartig übereinanderge- Wasser oder Eis erfolgen konnten. staucht. Ihre frontalste Partie wurde dabei über die gegen Rheintalabwärts, zwischen den Säntisketten, die gegen Süden sich bewegende, flachliegende, schon in einer Osten in Staffelbrüchen zum Rhein abfallen, im Rheintal Frühphase sich aufrichtende und sich verscherende Vor¬ eine Senke nachzeichnen und gegen Osten teils steil - landmolasse geschoben (Toggenburg-Schwägalp-Weiß- etwa in der Hohenemser Falte - in den Vorarlberger bad). Kreideketten aufsteigen, sind stets die tektonisch höch¬ sten Elemente und zudem ihre jüngsten Schichtglieder noch erhalten. Der Ur-Rhein nach dem Anrücken der helvetischen Decken

Während sich der Urrhein als Folge von Muren bis ins jüngste Miozän gegen Nordwesten wandte und dort, vor¬ ab in Kühlphasen bei tieferer Waldgrenze, einen großen, NW Grundwasserspiegel SE aber den hoctv recht flachen Schuttfächer, Hörnlifächer, auf¬ \ >¦ ungespannt MELS \ SARGANS mü-M. tief j baute, wurde ihm mit dem Anrücken der helvetischen

500-, I \ Bhl Mels SBB Stadtergasse Decken dieser Weg versperrt; er mußte sich einen neuen

N3 Austritt durch den veränderten Alpenrand suchen. Ei¬ 490 J f nen solchen fand er durch das mittlere Alpenrheintal.

480 Aufgrund von Tiefbohrungen (Dornbirn 336 m, Hohen- ¦yj ems 592 m) ist dieses recht tief. Früher wurde es als «gla¬ £JZ=», J=> zial ausgeräumt», als «übertieft», betrachtet. Doch wie¬ derum ist es nicht Grundmoräne, welche die tiefste Fül¬ 460 ^M >sr lung bildet. Würmzeitliche Grundmoräne mit gekritzten m mi 3 Geschieben wurde bei Hohenems in einer nur wenige 450 100 m entfernt niedergebrachten Bohrung bereits in 16 m Tiefe Auch das ist 440 angetroffen. Alpenrheintal tektonisch vorgezeichnet. Die Arbeit des Rheingletschers bestand 430 darin, von den Seiten niedergebrochenen Gesteinsschutt und vom Untergrund weggesprengtes Schürfgut weiter- 420 zutransportieren. Daß er dabei den Felsgrund schliff, wird an Geländekanten und Rundhöckern offenkundig. Selbst die Tiefbohrung von Hohenems hat mit 592 m kaum den tiefsten Punkt doch 400- getroffen; zeigten seismi¬ sche Untersuchungen, daß sie recht tief reicht. Nach den jüngsten Ablagerungen, die am Hörnli nach 1 Polymikte Schotler den Floren- und Faunenuntersuchungen von th. J (z.T. Rheinmatenal) bolli- co mit Bachschutt de ger & M. Eberhard (1989) bis ins jüngere Mittelmiozän rechten Tat)lanke Gru asser f ö reichen, schienen in der Nord-Schweiz '¦ jüngstmiozäne Seeablagerungen | i^- '*] durchlassig 5 Z ^ bis ältestpleistozäne Sedimente zu fehlen. Sie wurden Felsschwellen schlecht £ /V \ und bücke) durchlassig ^ c meist als nicht abgelagert oder als abgetragen betrachtet. JI Daß in den steilen Gipfelpartien des Hörnligebietes Be¬ reiche abgetragen worden sind, ist offenkundig. Ob dies aber dort sämtlicheSed\mente seit dem jüngeren Miozän Abb. 4 Scherstörungen und Grenzblätter im Bereich der betrifft, ist recht unwahrscheinlich. Mit der Anlage der Talgabelung von Sargans, nach M. KOBEL, sehr Mitt. neuen Entwässerung an der Mio-/Pliozän-Wende durch

54 das neu entstandene Alpenrheintal sind auch die Sedi¬ reste belegt. Dieser Eisstand zeichnet sich auch bei mente nicht mehr auf den Höhen des Hörnliberglandes Rüfi-St. Martin westlich von Mels und bei Plöns im Seez¬ abgelagert worden - dort wurde effektiv seither abgetra¬ tal ab. Er verrät dort mit einer Abflußrinne ein Zungen¬ gen -, sondern in den tiefsten Bereichen des jungen Al¬ ende unterhalb von Plöns, am Tiergarten und bei Rag- penrheintales. Die basalen Sedimente der Hohenemser natsch.Noch jüngere Stände geben sich durch Stauschot¬ Bohrung über dem Vorarlberger Flysch erweckten denn ter westlich von Wangs. südöstlich von Mels und in Sar¬ auch einen kühlzeitlichen Eindruck. gans zu erkennen (oberholzer 1920K, 1933). Die Churfirsten-Alvier-Kette. in etwas geringerem Maße auch die St. Galler Oberländer Alpen, zeichnen sich Die jüngeren Kaltzeiten um Sargans und Tertiärrelikte durch zahlreiche Tertiärrelikte aus, Pflanzen, die sich in diesen Gebieten über dem Taleis und unter feuchtigkeits- In den größten Kaltzeiten reichte das Eis des an der Dif- spendenden Firnkappen einfanden. In den Interglazial- fluenz von Sargans sich gabelnden Rheingletschers bis zeiten vermochten sie sich über dem jeweils eingewan¬ auf die Höhe des Gonzen. Noch in der Würmeiszeit derten Wald zu behaupten. Neben wenigen Endemiten stand dieser Eckpfeiler aus helvetischen Jurakalken bis sind dies meist krautige Alpenpflanzen, die heute von auf eine Höhe von fast 1700 m unter Eis. 2000 m bis zur Vegetationsgrenze vorkommen. Sie kom¬ f. saxer (1969) postulierte, daß das aus dem Weißtan¬ men mit einer kurzen Vegetationszeit aus und zeichnen nental austretende Seezeis dem Rheineis den Weg durch sich durch Trockenresistenz aus (H. seitter & R. hantke die Seez-/Walenseetalung weitgehend verbarrikadiert 1988). hätte. Nur etwa 2 bis 3% des Rheineises hätten den Weg durch das Seeztal gefunden. Eine Überprüfung ergab al¬ lerdings, daß gut 70% durch das Alpenrheintal, aber im¬ Der Sarganser Raum vom ausgehenden Spätwürm merhin noch knapp 30% durch die Walenseetalung abge¬ bis in die Römerzeit flossen waren (hantke 1970). Aufgrund von Erratikern aus dem Bündner Oberland Die Zuschüttung des Seeztales erfolgte durch Muren, drang das Rheineis in den Hochglazialen von Mels kräf¬ wohl Ausbrüche spätglazialer Moränenseen vor den tig ins Weißtannental ein und drängte das Seezeis bis fast Zungen der Seitengletscher. Dazwischen liegen Seesedi¬ nach Weißtannen zurück. Bereits J. oberholzer (1920 mente: zunächst in der Fortsetzung vom Walensee bis zur K, 1933) fand nördlich der Mühli, 2,5 km vor Weißtan¬ Mündung des Schiistales und in einem weiteren Becken nen, drei Puntegliasgranite und 1,5 bzw. knapp 1 km vor zwischen Schilsfächer, der einen See staute, und Seez- dem Dorf zwei weitere Bündner Oberländer Blöcke. Sie mündung aus dem Weißtannental. In die Seen ergossen bekunden, daß das Seezeis noch in den Maximalständen sich die Schuttfächer von Widen- und Berschner Bach, der Würmeiszeit vom Rheingletscher kräftig zurückge¬ Roll-, Cholschlager- und Ragnatscher Bach. drängt wurde. Das Seezeis konnte damals nurganz an der Als altsteinzeitliche Jagdhöhle diente das Drachenloch linken Talflanke austreten. Für einen Transport über den ob Vättis. In der Jungsteinzeit, um 3000 v. Chr., bauten Kunkelspaß ins untere Calfeisental und über den Heitel- sich Bauern auf den Höhen von Castels oberhalb Mels paß (2388 m) ist dieser selbst in den größten Eisständen und auf Severgal ob Vilters einfache Pfostenhütten. Die um über 200 m zu hoch. Plätze waren bis in die Bronzezeit besiedelt, lieferten Von den Rückschmelz- und Wiedervorstoßlagen des doch beide Orte auch Keramikscherben und Bronzege¬ Spätwürms zeichnet sich nach den Ständen von Schanis/ genstände. Aus der späteren Urnenfelderzeit stammen Weesen, der sich dort in einer randlichen Schotterflur, Funde von Heiligkreuz (b. frei 1966). In der frühen Ei¬ randlichen Moränenresten, der Stirnmoräne von Biäsch senzeit drangen die Räter bis ins vor. und im untersten Walensee durch das bei der Linthkor- Noch in römischer Zeit reichte der Walensee seezauf- rektion abgetragene und angelandete Inselchen von Hüt- wärts bis an den Fuß des St. Georgsberg bei Berschis. Ne¬ tenböschen abzeichnet, das sich noch auf der Schweizer ben den nachrömischen Schiffsstationen Terzen, Quar¬ Karte von j. j. scheuchzer (1712K) findet. An der Mün¬ ten und Quinten, der dritten, vierten und fünften am Wa¬ dung des Weißtannentales haben sich auf der rechten Sei¬ lensee (die beiden ersten dürften in Berschis und Walen¬ te eine Stauterrasse und Wallreste erhalten. Um Sargans stadt gelegen haben), sind es vor allem Wachttürme, wel¬ zeichnen sich diese älteren Stände von Schänis/Weesen che die Verkehrswege von Chur nach Zürich und weiter im vorderen Weißtannental in der Abflußrinne Platt- sicherten: Schänis-Biberlichopf, Betlis-Stralegg, Filz- mol-Chapfensee und in der Stauterrasse von Langwisen bach-Voremwald und . Bei Weesen stand auf ab. Diese wird von kurzen Moränenwällen begleitet, von dem Inselchen Hüttenböschen im untersten Walensee denen jene des Seezgletschers um 890-880 m noch er¬ ein gallo-römischer Tempel. Auf dem Georgsberg liegt halten, während jene des Rheingletschers weitgehend ein spätrömisches Refugium; in Flums fanden sich Ge¬ abgetragen worden sind. Eine tiefere, ebenfalls tekto¬ bäudereste, und von Sargans-Malerva wurden Reste nisch vorgezeichnete Rinne verläuft südwestlich des eines Gutshofes ausgegraben (w. drack & r. fellmann Furtschchopf. Über dem linken Ausgang des Weißtan¬ 1991). Die Sarganser Ebene, die Sarganser. Meiser und nentales, beim Hinteren und Vorderen Schlößli, ist so¬ Vilterser Au lagen mindestens bei Hochwasser des dann ein jüngerer Stand durch tiefere Schotterterrassen¬ Rheins noch unter Wasser (Abb. 2).

55 Der Sarganser Raum im Mittelalter und Neuzeit HANTKE, R. (1970): Die Diffluenz des würmeiszeitlichen Rheingletschers bei Sargans und die spätglazialen Glet¬ in und im Rheintal. Vom Bodensee her drang die Germanisierung nur zö¬ scherstande der Walenseetalung Vjschr. natf. Ges. Zürich 115/1. gernd südwärts vor. Lange Zeit lag die Grenze zum Ro¬ HANTKE, R. Eiszeitalter, Band 2. Thun (Ott). manischen am Montlinger Berg, einem alten Kulturzen¬ (1980): trum über der Rheinebene. Dies belegen Orts- und Flur¬ HANTKE. R. (1987): Zur Tal- und Reliefgeschichte des Chur- St. Helv. namen. Auch das Seeztal und der Walensee waren firsten-Alvier-Gebietes (Kanton Gallen). Geogr. 1987/ 4: 159-168. «welsch». Walenstadt Stätte der Welschen, der Rätoro¬ HANTKE. R. der Schweiz und manen) wird erstmals 831 erwähnt, so daß der See da¬ (1991): Landschaftsgeschichte ihrer Nachbargebiete. Thun (Ott). mals wohl noch bis dorthin reichte - heute endet er mehr HEIERLI, H. Die Ostschweizer und ihr Vorland; als 1 km weiter westlich. Mels und Sargans-Senegaune- (1984): Alpen Santismassiv, Churfirsten, Mattstock, Alviergruppe, Appen¬ traten urkundlich schon 765 auf. Nur wenig früher, 762, zeller Molasse. Samml. geol. Führer 75. Berlin, Stuttgart ist eines der Klöster Präfers, bedeutendsten Rätiens, (Borntraeger). beurkundet. HELBLING.R. (1938): ZurTektonikdes St. Galler Oberlandes Im Verkehrsnetz die schon war Talgabelung von Sargans und der Glarner Alpen. Beitr. geol. Karte Schweiz N. F 76. seit römischer Zeit von Bedeutung. Das Schloß wurde KOBEL, M. (1992): Rhein- und Seeztal. In: Blatt Toggenburg, erst 1282 als Sitz der Grafen von Werdenberg-Sargans er¬ Hydro-geol. Atlas Schweiz. wähnt. Von 1483 bis 1798 war es Amtssitz der Land vögte MÜLLER, B. (1992): Zur Quartärgeschichte des Seeztales der 7-, ab 1717 8örtigen Eidgenossenschaft. (Kt. St. Gallen). - In Vorb. Das ehemalige Zungenbecken war teilweise noch bis tief OBERHOLZER, J. (1933): Geologie der Glarner Alpen. Beitr. ins 20 Jh. von Ried Über dem feinen eingenommen. geol. Karte Schweiz, N. F. 28. Schlick des bei Hochwasser überflutenden Rheins hielt SAXER, F. (1969): Die Differenz des Rheingletschers bei Sar¬ sich die Nässe außerordentlich lange; die Auflage hu- gans. Ecl. geol. Helv. 57/2: 604-607. mussäurereicher Pflanzensubstanz schritt nur langsam SEITTER, K, HANTKE, R.(1988): Mögliche jüngsttertiäre Flo¬ voran. Dies einer kostbaren ermöglichte vielfältigen renrelikte in der Speer-Churfirsten-Alvier-Kette und im Riedflora und ihrer Begleitfauna, lange Zeit zu überdau¬ St. Galler Oberland. Ber. st. gall. natw. Ges. 83: 129-160. ern. Grund ihnen in kaum genug, wenigstens meliorier¬ STAUB, R. (1917): Das Äquivalent der Dentblanchedecke in baren Gebieten ein Überleben zu sichern. Bünden. Vjschr. natf. Ges. Zürich 62/1 -2. Da der Rhein vom Ellhorn direkt Fuß des Scholl¬ zum STAUB, R. (1924): Der Bau der Alpen-Versuch einer Synthe¬ berg floß und dort noch die mündete, war die Stelle se. Beitr. geol. Karte Schweiz, N. F. 192. lange Zeit für den Verkehr unpassierbar. Der alte links- ufrige Rheintalweg führte daher von Sargans über Vild-Matug-Azmoos, rechtsrheinisch von Maienfeld Geologische und alte topographische Karten über die Luziensteig nach Balzers. Erst mit der Verbau¬ A.. J. Karte der ung des Rheins im Bereich der Saar-Mündung konnte die HEIM, OBERHOLZER, (1917K): Geologische 1 Alvier-Gruppe : 25 000. Geol. Spez.-Karte 80. Schweiz geol. Straße am Schollbergfuß entlang nach Trübbach geführt Komm. Basel. werden. JUNG, G R (1981): Sarganserland 1845 und 1978,1 :50 000. Meliorationen - «Verbesserungen» - wurden propagiert, In: Schweizer Weltatlas mit noch unveröffentlichtem Kom¬ die der stark um Ernährungsgrundlage angestiegenen mentar. Zürich (Lehrmittelverlag). Bevölkerung bei sinkendem Streuebedarf sicherzustel¬ OBERHOLZER. J. (1920K): Geologische Karte der Alpen len. Doch wird dadurch das biologische Gleichgewicht zwischen Linthgebiet und Rhein - Flumser Alpen, Graue 1968 gestört. wurden zu leichtfertig die letzten Riedland¬ Hörner, Ringelspitz, Calanda. 1 :50 000. Geol. Spez.-Karte schaften geopfert. 63. Schweiz, geol. Komm. Basel. OBERHOLZER, J., et al. (1942K): Geologische Karte des Kantons Glarus - Geol. Spez.-K. 117. Schweiz, geol. Komm. Basel (Neudr. 1984 K). Literatur SCHEUCHZER. J. J. (1712K): Nova Helveticae Tabula geo¬

1 graphica..., etwa : 238 000, Zürich. BOLLIGER, TH., EBERHARD, M. Neue Faunen- und (1989): SPICHER, A. (1980K): Tektonische Karte der Schweiz. Florenfunde der Oberen Süßwassermolasse des Hörnli- aus Schweiz, geol. Komm. Basel. gebietes (Ostschweiz). Vjschr. natf. Ges. Zürich 134/1. TRÜMPY, D. (1916K): Geologische Karte des Falknis. DRACK, W, FELLMANN, R. (1991): Die Schweiz zur Römer¬ 1:25 000. Geol. Spez.-Karte 79. Schweiz, geol. Komm. Basel. zeit. Zürich und München (Artemis).

FREI, B. (1966): Zeugen der älteren Urnenfelderzeit aus dem Bereich des oberen Alpenrheins. Helv. Antiqua (Festschrift Dank Emil Vogt) 1966. Den Herren Dr. G. Jung, , Dr. M. Kobel, Frei¬ HANTKE, R. (1961): Tektonikder Helvetischen Kalkalpen zwi¬ schen Obwalden und dem St. Galler Rheintal. Vjschr. natf. enbach, und H. Wäspi, Winterthur, sei für die Mithilfe Ges. Zürich 106/2. bestens gedankt.

56