HERBERT LIEDEL Nürnberger Frankenstadion: Beispiellos treue, bodenlos anspruchsvolle Fangemeinde

FUSSBALL Eiche unter Krüppelkiefern ist mit sieben Meistertiteln der erfolgreichste deutsche Vereinsspieler. Nun erwartet ihn die zurück – als Trainer des 1. FC Nürnberg. Beim skandalerprobten Traditionsclub setzt er auf Bodenhaftung und Stil. Von Walter Mayr

lopp. Plopp. Plopp. Passen, stoppen, „Auge“ ist, an gewonnenen Titeln ge- ern 14 Titel eingefahren – und der Club passen. Ein hoch aufgeschossener, fins- messen, erfolgreicher als Franz Becken- keinen. Pter blickender Mann in kurzen Hosen bauer, Uwe Seeler, , Fritz Sze- Wie die Eiche einen Wald von Krüppel- übt Halbdistanz-Pässe. Er war Weltmeister. pan, Heiner Stuhlfauth. Er war Weltmeister kiefern überragt der Weltmeister Augen- Supercup-Sieger. Deut- 1990 und hat mit dem thaler das Nürnberger Fußball-Biotop. Er scher Meister. Pokalsieger. FC Bayern siebenmal die ist, was der Club einmal war und gern wie- Jetzt ist er 43, steht auf Meisterschaft errungen – der wäre: sieggewohnt, fußballverrückt, einem Trainingsplatz in als Spieler; dazu holte er bodenständig. Er versucht – in der ganzen Nürnberg und hält drauf, zwei Titel als Co-Trainer. Stadt umzingelt von den Toto-Lotto-Läden als ginge es bei jedem Macht insgesamt neun. ehemaliger fränkischer Meisterspieler –, Spannstoß um seine Ehre. Der 1. FC Nürnberg, dem Verein wieder ein Gesicht zu geben. Klaus Augenthaler ist mit dem Augenthaler, seit Er trifft dabei auf eine beispiellos treue, ein ernst zu nehmen- März 2000 im Amt, in die bodenlos anspruchsvolle Fangemeinde, der der Fußball-Lehrer. Beim Bundesliga zurückstrebt, der Meisterspieler Carl Riegel aus dem Stoppen klebt ihm der war auch Deutscher Meis- Herzen gesprochen hat: „Was heißt Taktik! Ball am Innenrist wie ter. Auch neunmal. Auf Unser Club hatte in seinen größten Tagen Kleister am Tapetenrü- der ewigen Bestenliste des nicht einmal einen Trainer.“ cken. Verspringt die Ku- deutschen Fußballs be- Augenthaler hat erst einmal ein paar gel, ausnahmsweise, ver- deutet das Rang zwei hin- Kleinigkeiten verändert – Viererkette ein- dreht er die Augen zum ter dem FC Bayern. Aber geführt, Spielsituationen einstudiert, einen Himmel. Entgeistert wie der „Club“, der so heißt, Motivationspsychologen hinzugezogen, damals, im Europacup- weil er einst als Inbe- Fußpflege verordnet: „Die haben zwei Halbfinale gegen Roter griff eines Fußballvereins Zentimeter Hornhaut auf den Zehen und

Stern Belgrad, als er mit / SAMPICS MATZKE STEFAN galt, zehrt von früher. In wundern sich, dass sie nix spüren.“ einem Eigentor den Weg Trainer Augenthaler den letzten drei Jahr- Vor Heimspielen geht’s ins Trainingsla- ins Finale verbaut hat. „Kleine Sumpfgebiete“ zehnten hat der FC Bay- ger, der Coach will die Verfassung der ein-

210 der spiegel 19/2001 Sport zelnen Spieler „spüren“. Und er hat ver- entgegen: „Wo bleibt eure Ehre?“ Es nütz- lautbart, dass er Profis, die sich drei Tage Chronik des „Clubs“ te nichts. Die Clubberer hörten kein Radio. vor einem Spiel nach elf Uhr abends in Daten zur Geschichte An allen Ecken des Vereinsgeländes am Lokalen sehen lassen, nicht für Profis hält. des 1.FC Nürnberg Valznerweiher stößt Augenthaler heute Schon wer zu spät zum Training erscheint, noch auf Zeugen bitterer zahlt pro Minute zehn Mark, im Wieder- Zweit- oder Drittliga-Zei- holungsfall das Doppelte. Gelbe Kar- 1920 ten und legendärer Club- ten kosten 500 Mark, umgerechnet eine neunmal Deutscher Meister Skandale. Assistenztrai- Alufelge. 1920, 1921, 1924, ner Thomas Brunner et- Wie die Spieler auf so etwas reagieren? 1925, 1927, 1936, wa hat 1984 die Spieler- „Das ist mir egal“, sagt Augenthaler. 1948, 1961, 1968 revolte gegen Trainer Für Größenwahn gebe es im Franken- dreimal Deutscher Pokalsieger Heinz Höher und die fol- land „keinen Anlass“, das will er, im Ver- 1935, 1939, 1962 gende Kündigung der Rä- eins-Bistro hinter Weißbierglas und Marl- zum ersten Mal Deutscher Meister delsführer nur deshalb boro-Schachtel verschanzt, ein für allemal Plätze im Frankenstadion folgenlos überstanden, festgehalten wissen: „1968 war der ‚Club‘, für 44500 Zuschauer weil irgendeiner in letzter Sekunde be- glaub ich, zum letzten Zuschauerschnitt Bundesliga 1998/99 merkte, dass der hoch verschuldete Verein Mal Meister.“ Perspek- 1968 35700 Zuschauer Brunner bereits im Wert von 800000 Mark tivisch sei „der Uefa- Zuschauerschnitt 2.Liga 2000/01* der Hausbank überschrieben, also unkünd- Cup, ja auch die Cham- 20500 Zuschauer bar gemacht hatte. pions League“ denkbar; *Stand 3.Mai 2001 Auch der damals gerettete und erst spä- aber auf dem Weg dort- ter gefeuerte Coach Höher, Geburtshelfer hin müssten noch Pfer- Vereinspräsidenten seit 1990 der Erfolgsmannschaft mit den Jungstars de gewechselt werden: Gerd Schmelzer 12/1983 bis 01/1991 Dorfner, Eckstein, Schwabl und Reuter, ist „Ich kann nicht aus Haf- Sven Oberhof 01/1991 bis 07/1992 knapp zwei Jahrzehnte später wieder da. lingern Araberhengste zum neunten Mal Deutscher Meister Gerhard Voack 07/1992 bis 01/1994 Er trainiert jetzt die Frauenmannschaft machen.“ Georg Haas 01/1994 bis 03/1995 des „Clubs“. Dieter Nüssing schließlich, Die „Haflinger“ hören das nicht. Sie tra- Michael A. Roth seit 9. März 1995 Idol der trostlosen Epoche nach 1969, als ben draußen, angeführt von Alt-National- Cheftrainer seit 1990 der FCN neun Jahre lang zweitklas- spieler Andreas Köpke, in Richtung Trai- sig spielte, tritt auf als Coach der Club- ningsplatz. Europameister Köpke, raunzen Juli1990 bis Juni 1991 Amateure. die Kiebitze am Spielfeldrand, sei noch un- Juli 1991 bis November 1993 Augenthaler kennt Licht- und Schatten- ter dem letzten Trainer mit November 1993 bis Dezember 1993 seiten der Club-Geschichte. Wissenswer- Handy am Ohr auf dem Übungsgelände zu Dezember 1993 bis Dezember 1994 tes über den notorisch intrigenverseuch- Günter Sebert Dezember 1994 bis Juni 1995 bestaunen gewesen – sichtbar sein eigener ten FCN lässt er sich von Kompagnon Juli 1995 bis Mai 1996 Herr: „Wenn die andern vom Waldlauf Brunner erzählen – es muss ja nicht sein, Willi Entenmann Mai 1996 bis September 1997 kumma san, war der scho duschd.“ Unter sagt er, „dass ich selbst diese kleinen September 1997 bis Juli 1998 Augenthaler habe sich das geändert. Sumpfgebiete erforsche“. Juli 1998 bis Dezember 1998 Dem Ernst der Lage war das angemes- Thomas Brunner Dezember 1998 Mit solch rhetorischem Feinschliff ver- sen. Nach einer furiosen Hinrunde und 14 Friedel Rausch Dezember 1998 bis Februar 2000 blüfft Augenthaler alle, die ihn gern der Spielen ohne Niederlage ist der FCN vor- Gattung niederbayerischer Klaus Augenthaler übergehend schwer ins Schlingern geraten. seit März 2000 Mantafahrer und Kampftrin- Zuletzt taumelte die Mannschaft ersatzge- 1996 ker zuordnen würden. Seine schwächt dem Ziel entgegen – der Ersten Spieler beeindruckt er eher, Bundesliga, jener Spielklasse, die nach Auf- 7 wie der Stürmer Louis Go- fassung fränkischer Fußballfreunde der ein- mis sagt, „mit 50-Meter-Päs- zig natürliche Lebensraum für den Club sen aus dem Fußgelenk“. ist. Beziehungsweise: wäre. Und den geltungsbedürftigen Denn fünfmal ist der Traditionsverein Präsidenten Michael A. Roth aus der Bratwurst-Metropole bereits aus 13 Abstieg in die Regionalliga hält er mit der Autorität dem Oberhaus abgestiegen, zumeist unter 15 seiner Titelsammlung in rekordverdächtigen Begleitumständen – 16 16 Schach, was Vereinskenner als die alles in 1969 als amtierender Deutscher Meister; Bundesliga allem größte Leistung bezeichnen. 1984 ohne einen einzigen Auswärtspunkt; Der Fußballer Augenthaler sei „erfolg- 1994 als Folge von Thomas Helmers „Phan- reicher als “, sagt Roth 2. Liga 3 tomtor“ in München, einem Bayern-Tref- 4 beinahe ehrfürchtig in seiner Teppichbo- fer, der keiner war; 1999 trotz eines Vor- Sportliche den-Zentrale am Nürnberger Schleifweg: sprungs von fünf Zählern zwei Spieltage „Wenn der ,schwarz‘ sagt, dann ist’s vor Schluss. Bilanz schwarz und nicht grau.“ „In der Pause schlürfte man Sekt, und Tabellenplatz Roth, der vor gut einem Jahr noch den man offerierte Eisbombe. Hat man keine am Saisonende ehemaligen Bochumer und Bielefelder Ahnung, dass der ‚Club‘ möglicherweise Zuchtmeister verpflich- wieder in den Abgrund stürzt?“, so schil- ten wollte und dabei erst am Widerstand derte damals, am letzten Spieltag, mit apo- 15 der Fans scheiterte, darf sich nun ungeniert kalyptisch anschwellendem Bariton der im Glanz Augenthalers sonnen – denn ohne Rundfunk-Reporter Günther Koch den 17 ihn, Michael A. Roth, gäbe es ziemlich si- schwarzen Samstag im Frankenstadion und cher überhaupt keinen Club mehr. Roths Regionalliga 1 schleuderte am Ende in seiner Verzweif- Geldspritzen haben in den Neunzigern den lung dem, wie er sagte, „FC Wackelknie“, 1990 91 92 93 94 95 96 97 9899 2000 Schuldentod des FCN verhindert. Wann

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zudrehen. Hobsch ziert heute die Reser- vebank. Geenens Problem ist das Mundwerk. „Ich hasse Greuther Fürth“, hat er über den Lokalrivalen gesagt; auch von einer „besoffenen Thekenmannschaft“ soll er nach einer Niederlage geredet haben – und von „Spielern, die sich wie Schwule be- grüßen“, nur weil sie mal Mannschaftska- meraden waren. Journalistenlatein, sagt Geenen. Er werde ständig falsch zitiert. Am liebsten spricht der Manager über den Markenartikel 1. FC Nürnberg, über das nötige „branding“, und davon, dass beim Club moderne Zeiten anbrechen müssten: „Die leben hier alle noch in der Vergangenheit.“ Geenens Geschäftspart- ner beurteilen das genauso – die flotten Jungs vom Vermarkter Ufa, die aussehen, als ob sie auch Staubsaugerbeutel verkau- fen könnten. Sie sagen, sie wollten „die lahmen Franken“ auf Trab bringen. Bis 2012 hat sich der Club an die Ufa ge- bunden. 25 Prozent der Werbeerträge muss er ihr überlassen. Das Geld, das die Ufa dafür spendiert hat, der „signing bonus“ in

HANS RAUCHENSTEINER Höhe von insgesamt 20 Millionen, ist be- Bayern-Profi Augenthaler (r.)*: „Erfolgreicher als Beckenbauer“ reits in die vergangenen Etats eingerechnet und vollständig verbraucht worden. Die immer Augenthaler in Roths Firma zum Augenthaler nun mit Edgar Geenen als kommenden elf Jahre muss der Club für Rapport einpendelt, zwischen karamell- Manager zu tun. Über Geenen, der wegen die Ufa bluten. farbenen Sitzgruppen und rehbraunen seiner öffentlich gewordenen Beziehung Der Chef legt das dem Ex-Präsidenten Schrankwänden im DDR-Geschmack, kann zu Thomas Häßlers Ehefrau Angela den Gerd Schmelzer zur Last. Unter Schmelzer er sich davon überzeugen, dass der Club TSV 1860 München verlassen musste, sagt sei mit dem neuen Vereinsgelände „ein unverändert wie ein mittelständisches Fa- der Diplomat Augenthaler: „Wir haben uns Anzug geschneidert worden, der drei milienunternehmen daherkommt. Der Vi- nicht gesucht, aber gefunden.“ Nummern zu groß war“, sagt Michael A. zepräsident und der Schatzmeister sind An- Geenen ist, seinem Präsidenten darin Roth. Als er, nach Roths erster Amtszeit, gestellte in Roths Firma. Die Bilanzen des nicht unähnlich, von kleiner Statur und übernommen habe, kontert Schmelzer, Vereins laufen quasi parallel zu jenen von großem Mitteilungsbedürfnis. An Gee- habe er „die Ratten aus der Umkleideka- 125 Teppichboden-Filialen. nen schätzt Roth unter anderem, dass der bine vertreiben müssen, und die Vereins- Mit dem Ruf, er reiße als Präsident am es damals, noch im Dienst von 1860, ge- gaststätte war wegen Kakerlaken ge- liebsten auch noch jeden Parkzettel beim schafft hat, ihm den alternden Sachsen schlossen“. Roth hat inzwischen von ei- Club persönlich ab, könne er leben, sagt Bernd Hobsch für 1,8 Millionen Mark nem befreundeten Steinmetz Schmelzers Roth. Zu Auswärtsspielen reisen Vereins- statt der vorgesehenen 500000 Mark an- Namen aus der Gedenktafel am Vereins- funktionäre auf eigene Kosten, nicht selten gelände fräsen lassen. zu viert in einem Auto, bis ins Ruhrgebiet, Klaus Augenthaler wird sich bescheiden wie der ehemalige Vereins-Vize und Meis- müssen. Mit Andreas Köpke geht der Letz- terspieler Tasso Wild süffisant anmerkt. te aus alten Club-Zeiten. Zwei Millionen Das Führungspersonal solle so verstehen Gehalt brutto hatte er. Augenthaler sagt, lernen, dass es noch immer eine Ehre sei, dass es finanzielle Drahtseilakte und Ex- den Club zu repräsentieren. trawürste alten Stils mit ihm nicht mehr Nur einmal, Mitte der Neunziger, hat geben werde. Dem Leverkusener Jörg Roth versucht, mit der Verpflichtung von Reeb etwa seien 1,8 Millionen Mark Gehalt Dieter Hoeneß als Manager den Weg in jährlich geboten worden. Für 2,8 Millionen die Moderne zu pflastern. Das Präsidium habe er dann in Köln unterschrieben. lehnte ab – zu teuer. Sollten sie den ver- Ob die neue Bescheidenheit anhalten grätzten Hoeneß doch noch umstimmen wird? Nürnberg, die Stadt, in der die Na- wollen, müssten sie sich beeilen, hat Roth zis ein Stadion für 400000 Menschen bau- damals gewettert: „Nemmt’s an Blumma- en wollten und nach dem Krieg die Kohle- strauß und a Kistla Lebkoung, fahrt’s nach wannen von Hitlers Aufmarschgelände zu Stuttgart und entschuldigt’s euch.“ Schuld- Kinderplanschbecken im Stadionbad um- bewusst schwirrten die Funktionäre aus. funktioniert wurden, die Stadt, in der neun Doch es war zu spät. Deutsche Meisterschaften als Basis und Statt mit Dieter Hoeneß, dem alten weitere Titel als Pflicht gelten, ist ein Kampfgefährten aus Bayern-Tagen, hat es schwieriger Fall für den erfolgreichsten deutschen Fußballer aller Zeiten. * Oben: mit den Teamkameraden Wolfgang Dremmler WOLFGANG MARIA WEBER MARIA WOLFGANG Augenthaler sagt, der Club sei ein schla- und Dieter Hoeneß bei der Münchner Meisterfeier 1985; unten: in seiner Teppich-Firmenzentrale mit FCN- Präsident Roth* fender Riese. Und er lässt keinen Zweifel Teppich und eigenem Porträt. Geldspritzen gegen den Schuldentod daran, dass er ihn wecken will. ™

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