Die Großmuscheln (Bivalvia: Uninidae)

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Die Großmuscheln (Bivalvia: Uninidae) Braunschweiger Naturkundliche Schriften • 6 (1): 39-55 • Braunschweig, Oktober 2000 Die Großmuscheln (Bivalvia: Unionidae) in den Fließgewässern der Stadt Braunschweig — heute und vor einhundert Jahren Unionidae (Mollusca: Bivalvia) in running waters of Braunschweig (Germany) — today and a hundred years ago Von KARSTEN GRABOW, ANDREAS MARTENS, THOMAS OLS EGGERS und WALTER WIMMER Summary The distribution and population structure of unionid mussels in the running waters of Braunschweig, Germany, were recorded in autumn 1998. The data were compared to old publications and museum collections. At the end of the 19th century the unionid fauna of Braunschweig consisted of 6 species, only 3 of these were recorded now. Today, Anodonta anatina which inhabits banks of mud is most widespread in the rivers Oker and Schunter. In both rivers Unio pictorum, which prefers sandy banks, is restricted to stretches north of the City and downstream of Wenden, respectively. In the brooks Wabe and Mittelriede there is a stock of Anodonta cygnea which probably origins from the population in the pond area of the Riddagshäuser Teiche and single individuals of A. anatina. Pseudanodonta complanata and Uni° tumidus were recorded only as shells, Unio crassus only as subfossil shells. Based on the presence of mussels there is proposed a cautioned river management and restoration for the mnning waters of Braunschweig. 1. Einleitung Großmuscheln sind auf stabile Gewässerbedingungen angewiesen. Sie sind relativ langlebig und erreichen ihre Geschlechtsreife erst nach mehreren Jahren. Ihre Mobi- lität als erwachsenes Tier ist gering. Nur das Larvenstadium, das an Fischen parasitiert, dient der Ausbreitung über größere Strecken — macht sie aber von dem Vorkommen bestimmter Fischarten abhängig. In Deutschland sind 7 Großmuschelarten heimisch (GLöER & MEIER-BROOK 1998). Die Bestandssituation dieser als Najaden bezeichneten Formen wird allgemein als bedroht angesehen. Alle Arten stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten Deutschlands (JUNGBLUTH & V. KNORRE 1998). Für Braunschweig und Umgebung bietet v. KOCH (1897) die erste Verbreitungsüber- sicht der vorkommenden Großmuscheln. Weitere Angaben, die ebenfalls auf v. Kocu 39 zurückgehen, finden sich bei GOLDFUSS (1900). Sie nennen 6 Arten für Oker, Schunter, Wabe und einige Stillgewässer. Ihre Berichte beschränken sich gemäß der damaligen Zeit auf allgemeine, großräumige Angaben. Belegmaterial — mit z.T. detaillierteren Fundangaben — befindet sich heute in der Sammlung des Staatlichen Naturhistorischen Museums in Braunschweig. Diese Daten ermöglichen einen Vergleich mit der aktu- ellen Situation. Die Großmuscheln sind somit besonders geeignet, Aussagen über langfristige Veränderungen der Fließgewässer zu treffen. Die Fließgewässer Braunschweigs waren z.T. bereits vor der Jahrhundertwende ex- trem belastet, besonders durch das Aufkommen der Zuckerindustrie kam es zur Ver- ödung großer Strecken (RAABE 1884, DENKLER 1992). Die Schunter war zusätzlich durch hohe Salzfrachten infolge des Kalibergbaues bei Beienrode/Dorm belastet (v. ALTEN 1914) sowie von einer frühzeitigen Kanalisierung auf großen Strecken be- troffen, der sog. „Schunterkorrektion" 1816-1823 (MüLLEB 1961). Erste Bestands- einbußen bei den Muscheln wurden daher bereits von V. KOCH (1897) beklagt. Über die Bestandsentwicklung seitdem wissen wir wenig. Der Zustand der Schunter muss sich aber mit dem erneuten Ausbau der unteren Schunter unterhalb Thune 1956-1959, bei dem der Wasserlauf ein gänzlich neues Bett bekam (v. BIEMA & KOSSEL 1965), nochmals verschlechtert haben. Für die Oker gibt REICHENBACH-KLINKE (1959) im Stadtgebiet von Braunschweig 2 Arten, Anodonta anatina und Uni° pictorum, an. FAASCH (1993, 1999, briefl. Mitteilung) berichtet vom Vorkommen von A. anatina in Oker und Schunter sowie von U. pictorum in der Schunter. Im Folgenden werden die Ergebnisse einer systematischen Erfassung der Groß- muscheln der Fließgewässer im Braunschweiger Stadtgebiet vorgestellt. Aus der weiteren Umgebung gibt es kaum aktuelle Vergleichsdaten. PUDWILL (1997) beschreibt die Muschelbestände der Sandbänke der mittleren Aller bei Gifhorn. FAASCH (1999) führt weitere Vorkommen in der Region Braunschweig an. Eine landesweite Über- sicht der Großmuscheln für Niedersachsen existiert bisher nicht. In der vorliegenden Untersuchung wurden neben der Verbreitung der einzelnen Ar- ten auch der Aufbau und die Größe der Populationen erfasst. Abschließend werden Vorschläge zur Pflege und Entwicklung der Fließgewässer erarbeitet. Eine wesentliche Grundlage dieser Publikation bildete ein Gutachten im Auftrag der Stadt Braun- schweig (GRABow et al. 1998). Für die Freigabe der Daten danken wir Dr. Bernd Hoppe-Dominik, Umweltamt der Stadt Braunschweig. Ergänzende Mitteilungen erhielten wir von Dr. Helga Faasch, NLWK Süd. Dr. Jürgen Hevers, Staatliches Naturhistorisches Museum in Braunschweig, ermöglichte uns die Einsicht in die Sammlung. 2. Methoden Die Kartierung der Großmuschelbestände erfolgte im September 1998. Aufgrund der meist großen Gewässertiefe geschah dies im wesentlichen durch Dredgen. Zum Einsatz kamen dabei 2 verschiedene Geräte: eine schwere Dredge (50 cm Rahmenbreite, 21 cm Rahmenhöhe, 8 mm Maschenweite, ca. 10 kg Gewicht) sowie eine leichte Dredge (30 cm Rahmenbreite, 13 cm Rahmenhöhe, 6 mm Maschen- weite, ca. 2,5 kg Gewicht). Letztere konnte ausgeworfen werden, während die schwere Dredge am gegenüberliegenden Ufer oder von Brücken aus versenkt werden musste. Beide Geräte wurden 3-15 m über den Gewässergrund gezogen. Pro Abschnitt wurden 4-12 Dredge-Proben genommen, die 40 Tab. 1: Anzahl der im September 1998 untersuchten Probestellen je Gewässer und die jeweils ange- wandten Methoden. Probestellen Dredge und Gewässer nur Dredge Handauflese gesamt Kescher Oker 41 21 20 Schunter 14 5 9 Wabe / Mittethede 1 4 Sandbach 2 2 Fricken- / mühte / I 4 - - ,/ I Rothemühle / . , • /- / . 0 • / - - 0 / 0 ••••• , \ - • Mühle S Bienrode ʻ Kanaldüker N e 1) , j (51perWehr b e . - t e - , e 1 Petriwehr 4- e s, Neustadtmühle 'Oz > . Wehr Eisenbütteler Straße Wehr Rüningen r \ ' e l 2 4 > ' 7 4 • Probenstelle 1 / 4 4 km • • • • Abb. 1: Karte der 5 untersuchten Fließgewässer der Stadt Braunschweig mit Probenstellen und Querbau- • werken. Grafik: Inge Haselhuhn. • • • 41 / - noch direkt im Wasser ausgespült wurden. Im Untersuchungszeitraum war infolge starker, andauern- der Niederschläge die Wassertrübung so stark, dass auf eine Sichtung der Gewässersohle vom Boot aus verzichtet werden musste. In die Untersuchung gingen jedoch wichtige Erfahrungen aus vorausgegan- genen Befahmngen ein. In flachen Fließstrecken wurde zudem mit langstieligen Keschern der Gewässer- grund abgesucht. Im Rückstaubereich der Braunschweiger Innenstadtwehre Wendenwehr und Petriwehr war im Septem- ber 1998 der Wasserspiegel für Bauarbeiten an der Okerbrücke Pockelsstraße um 1 m gesenkt worden. So fielen viele Uferbereiche bis aufwärts zum Wehr Eisenbütteler Straße frei und waren direkt zugäng- lich. Dieses wurde genutzt, um die Schlammbänke nach lebenden Muscheln, Muschelschalen und Muschelspuren abzusuchen. Die so erzielten Daten erlauben die eindeutigsten Angaben zur Dichte der Muschelbestände. Um Aufschlüsse über die Populationsstruktur zu erhalten, wurde bei allen lebend gefundenen Exemplaren die Schalenlänge gemessen, anschließend wurden die Tiere zurückgesetzt. Leerschalen wurden als Beleg gesammelt und sind im Staatlichen Naturhistorischen Museum in Braun- schweig hinterlegt. Die Determination erfolgte nach GLDER & MEIER-BROOK (1998). Es wurden insgesamt 63 Probestellen untersucht (Abb. 1). Der Zeitaufwand je Probestelle betrug im Regelfall bei Einsatz der Dredge bzw. von Dredge und Kescher je 30-60 min für mindestens 2 Perso- nen. Die Probenstrecken betrugen an der Schunter 200 in und an der Oker 100 m. Es wurden gezielt unterschiedliche Sohlensubstrate abgesucht. Besonders wichtig waren Bereiche mit aerobem Schlamm für Anodonta, solche mit Feinsand auch für Uni°. Daneben wurden die Bereiche der Wehre gezielt aufgesucht. An der Schunter wurde ferner der Bereich direkt unterhalb des Mittel- landkanal-Dükers beprobt. Die historische Verbreitung wurde rekonstruiert nach V. KOCH (1897) und GOLDFUSS (1900). Ergän- zend wurden die in der Sammlung des Staatlichen Naturhistorischen Museums in Braunschweig befindlichen Exemplare von Großmuscheln aus dem Untersuchungsgebiet ausgewertet. 3. Ergebnisse 3.1. Heutige Verbreitung Im September 1998 wurden im Stadtgebiet die 3 Großmuschelarten Anodonta anatina (L.), Anodonta cygnea (L.) und Uni° pictorum (L.) lebend nachgewiesen (Tab. 2). Am weitesten verbreitet war A. anatina. Sie besiedelte große Strecken in Oker und Schunter (Abb. 2). U. pictorum kam ebenfalls in beiden Flüssen vor, war jedoch auf die unteren Gewässerabschnitte im Norden Braunschweigs beschränkt (Abb. 3). Von A. cygnea gab es nur einen Bestand i n der Wabe beim Grünen Jäger und einen Einzelfund in der Mittelriede kurz vor der Mündung in die Schunter. Von den 3 weiteren Arten Pseudanodonta complanata (ROSSMAESSLER, 1835), Unio tumidus PHILIPSSON, 1788 und Unio crassus PHILIPSSON, 1788 konnte kein Lebend- nachweis erbracht werden. Schalen von U. tumidus (19 Exemplare) und P complanata (2) wurden nur in der Schunter bei Frickenmühle gefunden. Leerschalen von U. pictorum waren in der Schunter weitaus seltener als solche von U. tumidus. Von U. crassus wurden am Ufer der Wabe beim Grünen Jäger entlang des Tafelmakerweges subfossile Schalenreste gefunden (Tab. 2). Anodonta anatina - Flache Teichmuschel Die
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