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Vbn 44-1.Pdf

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Herausgeber Niedersächsische Ornithologische Vereinigung e. V. (NOV),

Schriftleitung Peter Südbeck, Gropiusstr. 11, D-26127 Oldenburg, Tel.: 0441-8000613, [email protected] Redaktion Thomas Brandt, Im Ellernbusch 16, D-31718 Pollhagen, [email protected] Hannelore Butz, Lerchenring 22, D-38272 Burgdorf, [email protected] (Übersetzungen) Axel Degen, Elsa-Brandström-Straße 4, D-49076 Osnabrück, [email protected] Dr. Johannes Kamp, Institut für Landschaftsökologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Heisenbergstr. 2, D-48149 Münster, [email protected] Thorsten Krüger, Bei den Erlen 28, D-26125 Oldenburg, [email protected] Jürgen Ludwig, Mühlenstraße 9, D-21755 Hechthausen, [email protected] (DTP/Layout) Stefan Pfützke, Adam-Stegerwald-Straße 6, D-28329 Bremen, [email protected] Gundolf Reichert, Lindenstraße 90, D-26123 Oldenburg, [email protected]

Die Vogelkundlichen Berichte aus Niedersachsen erscheinen etwa halbjährlich. Die Zeitschrift veröffentlicht Origi - nal arbeiten und kurze Mitteilungen aus allen Bereichen der Vogelkunde, vorzugsweise Beiträge zu Biologie, Ökologie, Verbreitung, Populationsbiologie, Wanderungen sowie zum Schutz der Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen. Manuskripte werden auf elektronischem Wege erbeten. Manuskriptrichtlinien s. www.ornithologie-nie der sach sen. de/vbn/vbn.html. Schrift leitung und Redaktion beraten die Autoren auch gern bei der Erstellung ihrer Manuskripte. Autoren erhalten zwei Beleghefte sowie eine digitale Fassung ihrer Arbeit. Sonderdrucke können zusammen mit der Umbruch korrektur gegen Berechnung bestellt werden.

Bezug: Für Mitglieder der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung e. V. ist der Bezug der Vogel kund li chen Be rich te aus Niedersachsen im Mitgliedsbeitrag enthalten. Anträge auf Mitgliedschaft nimmt der Vorstand entgegen. Jährlicher Mitgliedsbeitrag 30,- €; Schüler, Studenten, Auszubildende usw. 10,- €. Bankverbindung: Post giro konto Hannover 42 08-304 (BLZ 250 100 30), IBAN: DE40 2501 0030 0004 2083 04, BIC: PBNKDEFF

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Avifaunistische Kommision für Niedersachsen und Bremen (AKNB) Anschrift: c/o Henning Kunze, OAG/BUND Bremen, Am Dobben 44, D-28203 Bremen, [email protected]; Mitglieder: Axel Degen, Dr. Volker Dierschke, Martin Fichtler, Detlef Gruber, Gerd-Michael Heinze, Henning Kunze (Koordination), Dr. Oliver Nüssen, Dr. Gerd Rotzoll

Foto auf dem Umschlag: Großer Brachvogel Numenius arquata. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de

Druck: druckpartner hemmoor, Stader Straße 53, D-21745 Hemmoor

© Niedersächsische Ornithologische Vereinigung e. V. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 1

Bestand und räumliche Verbreitung ausgewählter Gastvo- gelarten in der Leda-Jümme-Niederung (Landkreis ) im Winter 2013/14

Helmut Kruckenberg

KRUCKENBERG, H. (2014): Bestand und räumliche Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung (Landkreis Leer) im Winter 2013/14. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 1-22.

Das Leda-Jümme-Gebiet bei Leer (Ostfriesland, Niedersachsen) ist Teil eines großen Rast- platzkomplexes für Gastvögel mit dem Dollart als Zentrum. Während des Winterhalbjahres 2013/14 wurden wöchentliche Zählungen durchgeführt, aus denen hier die Bestandsphäno- logie und räumliche Verteilungen ausgewählter, besonders weit räumlich verteilter Zugvo- gelarten vorgestellt werden: Gänse und Schwäne, Kiebitz, Goldregenpfeifer, Kampfläufer, Sturmmöwe und Silberreiher. Weiterhin werden die Maximalbestände der Wasser- und Wat- vögel in den Kontext bislang vorliegender Informationen aus den Vorjahren gestellt. Die Ein- ordnung weist das Gebiet als ein Rastgebiet mit sehr hoher naturschutzfachlicher Bedeutung als Lebensraum für diese Wasser- und Watvögel aus.

H. K., TourNatur Wildlife Research, Am Steigbügel 3, D-27283 Verden (Aller), helmut.kru- [email protected]

Einleitung zur Industrialisierung mehr und mehr zurück. Das Gebiet galt seither als weitgehend von Gastvögeln Im 19. Jahrhundert zeichneten sich die ostfriesischen verwaist (GERDES 2000). Insgesamt liegen nur wenige Niederungen der Unterems und ihrer Nebenflüsse Daten über Gastvögel aus den 1990er Jahren vor, durch einen außerordentlichen Reichtum an Wat- wenngleich das Gebiet aufgrund seiner Wiesen- und Wasservögeln aus (STRAITINGH & VENEMA 1855, vogelvorkommen als Important Bird Area (IBA) MANSHOLT 1865, LEEGE 1905, 1930). Noch bis in die identifiziert wurde (vgl. MELTER & SCHREIBER 2000). 1960er Jahre war das Leda-Jümme-Gebiet ein Erst im Zuge der Einrichtung eines Hochwasser- Feuchtgebiet mit einem reichen Vogelleben, von und Naturschutzpolders bei Holte („Holter Hamm- dem vor allen Dingen die Offiziere der britischen rich/Altes Tief“) wuchs das ornithologische Interesse Besatzungsarmee umfangreich berichten (HARRISSON für die Leda-Jümme-Niederung erneut (WENDEBURG 1952, 1954; ATKINSON-WILLES 1961). Nach dem 2. & REICHERT 2012). Nachdem der Landkreis Leer Weltkrieg reisten auch amerikanische Offiziere in 2012 erstmalig systematische Erfassungen zur Avi- Sonderzügen an, um von und Barge aus zu fauna sowie Auswertungen vorhandener Daten Jagdausflügen aufzubrechen (GERDES 2000). Von des Naturschutzbundes Deutschland e. V. (NABU, großen Zahlen rastender Schwäne und Gänse in Kreisgruppe Leer) aus den 2000er Jahren für einen den 1950er Jahren berichtet auch K. OLTMER (MORITZ Teilbereich der Niederung für die Aufstellung der 1997). Nach dem Ausbleiben der jährlichen Über- 1. Änderung des Regionalen Raumordnungspro- flutung nach Bau des Leda-Sperrwerkes 1954 ver- grammes beauftragt hatte (KRUCKENBERG 2012, schwanden auch die winterlichen Vogelscharen 2013), wurde auf private Initiative im Winter und – wie überall in Norddeutschland – ging der 2013/14 das Gebiet wöchentlich flächendeckend Bestand der Brut- und Gastvögel einhergehend in vergleichbarer Intensität zu den benachbarten mit der landwirtschaftlichen Intensivierung, bis hin Vogelschutzgebieten (vgl. KRUCKENBERG 2014) erfasst. 2 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

Abb. 1: Untersuchungsgebiet mit geografischen und Ortsnamen (fett). – Study area with geographical names (regular) and names of places (bold italic).

Diese Ergebnisse dieses Winters sollen im Folgenden derung“ sowie Teile von „Aper Tief“ (vgl. MELTER & für einige ausgewählte Gastvogelarten vorgestellt SCHREIBER 2000). und in den Kontext bekannter Daten aus den Vor- jahren gesetzt werden. Im Gebiet sind die Bodentypen der Fluss- sowie der Moormarschen auf Niedermoor prägend. Der Untersuchungsgebiet zentrale Bereich des Gebietes, der Jümmiger Hamm- rich, der Nortmoorer Hammrich, der Breinermoorer Die Leda-Jümme-Niederung liegt im östlichen Land- und Schatteburger Hammrich werden noch annä- kreis Leer und ist eine offene, weitläufige Hamm- hernd vollständig als Grünland bewirtschaftet, richlandschaft, die von zahlreichen Gräben und wenngleich auch hier der Maisanbau deutlich fort- Tiefs durchzogen ist. Die Niederung wird durch schreitet. Die Nutzung der Grünlandflächen ist mit den Verlauf der Flüsse Leda und Jümme geprägt bis zu drei Schnitten und einer Nachbeweidung und reicht damit bis in die Landkreise Cloppenburg (Mähweiden) sehr intensiv (AKFW 2005). Acker- und Ammerland hinein. Das Untersuchungsgebiet flächen sind vor allem in den Randbereichen und umfasst nur den Leeraner Teil der Niederung vom im Osten und Südosten des Gebietes anzutreffen, Stadtrand Leers (Bundesstraße B70 Papenburg- wo heute großflächig Maisanbau stattfindet. Das Leer) bis an die Kreisgrenze. Im Norden wird das Gebiet ist dünn besiedelt und größere Ortschaften Gebiet durch den Geestrand Uplengens, im Süden liegen zumeist an den Rändern des Gebiets auf durch die Wallheckenlandschaft Rhauderfehns und der Geest. Es stellt einen ruhigen, verkehrsarmen Ostrhauderfehns begrenzt. Durch das Gebiet verläuft und unzerschnittenen ländlichen Raum dar (REICHERT von Potshausen nach zudem die B72 in 2012) und umfasst eine Gesamtfläche von rund Nord-Süd-Richtung (Abb. 1). Dabei umfasst das 10.500 ha. Untersuchungsgebiet das IBA „Leda-Jümme-Nie- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 3

Material und Methode tenbank genaue Bestandszahlen einzugeben sind, wurden diese gerundet, um einem generellen Zähl- Quantitative Erfassungen von Rastvogelbeständen fehler Rechnung zu tragen und keine Genauigkeit dienen sehr unterschiedlichen Zielsetzungen. Deshalb von Daten zu suggerieren, die methodisch nicht ist es wichtig, dem Zusammenhang von Zählintervall begründbar ist. Dies geschah nicht bei Arten, wenn und Aussagekraft bereits in der Planungsphase diese individuenweise ausgezählt wurden (z. B. eines Projektes Rechnung zu tragen (BIBBY et al. Zwergschwan, Silberreiher; Näheres zur Methodik 1995). von Vogelzählungen vgl. HOWES [1989], BIBBY et al. [1995], GILBERT et al. [1998]). Die Ergebnisse der Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse stellen wöchentlichen Zählungen werden nach den Kriterien wöchentliche Kartierungen zwischen dem von KRÜGER et al. (2013) naturschutzfachlich be- 15.10.2013 und dem 30.04.2014 vor. Bis zum wertet. Dabei wird die Leda-Jümme-Niederung als 30.06.2014 wurden dann weitere Erfassungen ein zusammenhängendes Rastgebiet angesehen, durchgeführt, die vor allem der Erfassung der Rast- was insbesondere für die herbivoren Wasservögel bestände des Regenbrachvogels Numenius phaeopus mit ihrem hohen Raumbedarf angebracht ist, da und des Kampfläufers Philomachus pugnax dienten. diese die Flächen täglich und u. U. nach einem Der wöchentliche Zählturnus wurde als Kompromiss festen Muster wechseln (BORBACH-JAENE & KRUCKEN- zwischen der Notwendigkeit häufiger Erfassungen BERG 2002), so dass selbst die wöchentlichen Erfas- für flächenbezogene Aussagen zur kleinräumigen sungen diese kontinuierlichen Bewegungen in der Raumnutzung der Vögel und eines finanzier- und Landschaft nur unzureichend wiedergeben. machbaren Aufwandes gewählt. Der Tatsache, dass gerade die großen Gänse- und Limikolentrupps Die Witterung im Winter 2013/14 unterschied sich zwischen den einzelnen Erfassungen auch benach- deutlich von der des Winters 2012/13, der ausge- barte Areale nutzen können, wird in den Karten sprochen weit bis in das Frühjahr kalt und ver- durch entsprechend große Rasterfelder Rechnung gleichsweise schneereich gewesen war. Dagegen getragen. Häufigkeit und Erfassungsturnus richteten darf der Winter 2013/14 als mild bezeichnet sich nach der Fragestellung für Aussagen zur na- werden, wenngleich auch kälter als 2011/12 (Aus- turschutzfachlichen Bedeutung einzelner Flächen nahme Dezember). Die durchschnittlichen Tempe- (BERGMANN et al. 2005). Nach SPILLING (1998) haben raturen lagen im Winter 2013/14 nur in den Mo- wöchentliche Erfassungen (für Gänse und Schwäne) naten Dezember und Januar unter 6 °C. Erst ab zumindest eine Aussagekraft auf 1km²-Basis, wes- der Schwelle von 6 °C beginnt nach TISCHLER (1980), halb für die Darstellung der Ergebnisse im Folgenden Gras zu wachsen. Daher darf eine dementsprechend diese Rastergröße gewählt wurde. Gleichzeitig gute Nahrungsversorgung und insbesondere im wird durch wöchentliche Erfassungen die Ver- Frühjahr durchweg nachwachsendes Gras ange- gleichbarkeit der Ergebnisse in der gesamten Ems- nommen werden. Schneelagen gab es im Winter Dollart-Region gewährleistet (vgl. BORBACH-JAENE et 2013/14 im Untersuchungsgebiet an nur sieben al. 2002). Während dieses Zeitraumes wurde das Tagen: 6.12.2013 und 24.-29.01.2014 (eig. Beob.), gesamte Untersuchungsgebiet mit einem PKW flä- wogegen die etwas nördlich gelegene Wetterstation chendeckend nach rastenden Vogeltrupps abge- in Emden keinen Schneetag aufzeigt (www.dwd.de). sucht. Diese wurden vor Ort mittels codierter Grundkarten (Maßstab 1:5.000) auf Basis der Hinsichtlich der Niederschläge ist der Winter 2013/14 Gauß-Krüger-Rasterfelder von 200 x 200 m notiert. als durchschnittlich anzusehen, auch in diesem Diese Daten wurden später in einer Access-Daten- Winterhalbjahr fiel der Großteil des Niederschlags bank gesammelt und verarbeitet. Durch Verarbeitung im Herbst, während das Frühjahr eher trocken der Daten in einem Geographischen Informations- war. Im Gegensatz zum Vorjahr waren auch im system (ArcView 3.3) wurden entsprechende Ana- Frühjahr in Teilbereichen flache, wassergefüllte lysen der Vogeldaten auf Gebiets- oder Rasterebene Blänken feststellbar. durchgeführt.

Alle Vogelarten wurden jeweils getrennt erfasst Ergebnisse und notiert. Da bei einer Verarbeitung in einer Da- Im Winter 2013/14 sowie im Winter zuvor wurden 4 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

als Brutvogel vor (KRÜGER et al. 2014). Aus diesem Grund finden sich auch zu Beginn der Erfassungen Anfang Ok- tober 2013 bereits einige Vö- gel im Gebiet. Ab Mitte No- vember stieg der Rastbestand langsam und erreichte im Ja- nuar mit 65 Ind. einen ersten Höhepunkt (Abb. 3). Auf die schneereichen Wochen zum Monatswechsel Jan./Feb. 2014 (4. und 5. Kalenderwoche; KW) reagierten zahlreiche Vö- gel mit Abzug, doch erholte sich der Rastbestand nach der Abb. 2: Räumliche Verteilung ras tender Zwergschwäne im Winter 2013/14 (Σ Ind. Schneeschmelze (6. KW) pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Bewicks Swans during winter 2013/14. schnell wieder auf 78 Ind. Bis Mitte April sinkt dieser nur systematisch alle Gastvogelarten in der Leda-Jüm- leicht ab, um dann ab Monatsbeginn Mai erneut me-Niederung erfasst. Von diesen sollen hier die- zu steigen. Zu diesem Zeitpunkt sammelten sich jenigen ausführlich vorgestellt werden, für die eine subadulte und vorjährige Schwäne gemeinsam mit weite räumliche Verteilung und hohe Bestände einigen nicht-brütenden Adulten im und um den gefunden wurden. Weitere Arten werden am Ende Holter Hammrich, der später (im Juni-Juli) auch als kurz zusammenfassend dargestellt. Mauserplatz für zahlreiche Schwäne diente (eig. Beob.). Zwergschwan Cygnus bewickii Die räumliche Verteilung der rastenden Höcker- Der Zwergschwan kommt in Ostfriesland haupt- schwäne orientiert sich deutlich an der Lage feuchter sächlich auf dem Frühjahrszug vor (GERDES 2000). bzw. nasser Grünlandparzellen im Gebiet. So liegt Dabei schwanken die Bestände stark in Abhängigkeit ein deutlicher Schwerpunkt im Nahbereich des von der Witterung und dem überregionalen Zug- Holter Hammrichs, doch werden ebenso die Flächen geschehen. Die Leda-Jümme-Niederung stellt bereits des Jümmiger Hammrichs intensiv genutzt wie seit einigen Jahren ein häufig genutztes Zwischen- auch die Flächen im Nortmoorer Hammrich bei Fil- rastgebiet für diese Art dar (KRUCKENBERG 2012). Im

Winter 2013/14 rasteten Zwergschwäne von Mitte 140 Februar bis Mitte März im Gebiet. In diesem 120 Zeitraum wurden maximal 94 Individuen (Ind.) er- fasst. Abb. 2 zeigt die räumliche Verteilung der 100 rastenden Zwergschwäne in der Niederung. Neben 80 den Flächen im Nahbereich des Polders Holter 60 Hammrich wurden Zwergschwäne zudem entlang der Jümme sowie des Nordgeorgsfehnkanals fest- AnzahlVögel 40 gestellt. Der Jümmiger Hammrich, in dem in den 20

Vorjahren große Trupps beobachtet wurden, blieb 0 im Winter 2013/14 weitgehend ungenutzt. 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 Kalenderwochen

Höckerschwan Cygnus olor Abb. 3: Bestandsentwicklung rastender Höckerschwäne in der Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Num- Höckerschwäne kommen in der Leda-Jümme-Nie- bers of staging Mute Swans in the Leda-Jümme-Lowlands derung sowohl als Gast- als auch in geringer Dichte during winter 2013/14. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 5

Abb. 4: Räumliche Verteilung ras- tender Höckerschwäne im Win- ter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Mute Swans during winter 2013/14.

sum. Vereinzelte Beobachtungen gibt es zudem 12.000 am oberen Verlauf von Leda und Jümme sowie im 10.000 Breinermoorer Hammrich im Westen des Untersu- chungsgebietes (Abb. 4). 8.000

6.000 Blessgans Anser albifrons 4.000 Anzahl Vögel

Bereits zu Beginn der Zählungen wurden im Un- 2.000 tersuchungsgebiet rastende Blessgänse festgestellt 0 (5.490 Ind.; Abb. 5). Dies stellt offenbar nur eine 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 erste Durchzugswelle nach Westen dar, denn die Kalenderwochen Rastbestände der nachfolgenden Wochen fallen demgegenüber gering aus (zwischen 14 Ind. und Abb. 5: Bestandsentwicklung rastender Blessgänse in der 2.180 Ind.). Erst Mitte Dezember mit dem einset- Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Numbers of zenden frühen Heimzug der Blessgänse Richtung staging Greater White-fronted Geese in the Leda-Jümme- Osten steigen die Rastbestände erneut an. In der Lowlands during winter 2013/14. 2. KW wurden das erste Mal im Winter 2013/14 über 10.000 Ind. beobachtet. Durch die Schneefälle Ind. ab, um nach deren Schmelze wieder anzustei- sanken diese Zahlen in der 5. KW auf nur 1.170 gen. In der 7. KW wurde das Saisonmaximum von

Abb. 6: Räumliche Verteilung ras- tender Blessgänse im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Greater White-fronted Geese du- ring winter 2013/14. 6 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

10.800 Ind. im Untersuchungsgebiet erreicht. Bis 1.200 zur 12. KW (Ende März) bleiben große Bestände 1.000 im Gebiet, um dann binnen weniger Tage vollständig abzuziehen. In der 14. KW wurden nur noch 47 800

Nachzügler beobachtet, in der 19. KW nurmehr 600 eine Blessgans, die mit Graugänsen Anser anser 400 vergesellschaftet war. AnzahlVögel

200 Die Raumnutzung der Blessgänse konzentriert sich 0 deutlich in der Mitte des Untersuchungsgebietes 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 (Abb. 6), besonders südlich der Leda sowie im Kalenderwochen Jümmiger Hammrich. Weitere Ansammlungen fan- den sich zudem nahe des Stadtgebiets von Leer Abb. 7: Bestandsentwicklung rastender Graugänse in der sowie im Nortmoorer Hammrich. Nur wenige Bless- Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Numbers of gänse wurden dagegen im östlichen Teil des Un- staging Greylag Geese in the Leda-Jümme-Lowlands du- tersuchungsgebietes festgestellt. ring winter 2013/14.

Bemerkenswert sind die Beobachtungen von Schlaf- Graugans Anser anser platzflügen der Blessgänse im Leda-Jümme-Gebiet. So wurde im Winter 2013/14 regelmäßig starker Der Durchzug der skandinavischen Graugänse be- Überflug von Blessgänsen in der Innenstadt von ginnt in Nordwest-Ostfriesland häufig bereits Ende Leer etwa 1,5 Std. nach Sonnenuntergang sowie August (VOSLAMBER et al. 1993). Anfang Oktober morgendlich über dem Stadtgebiet Leers und dem sind daher schon zahlreiche nordische Graugänse nördlichen Teil der Gemeinde auf dem Weg in die Niederlande, bzw. dann weiter beobachtet. Gleichzeitig wurde aber auch häufiger nach Frankreich und Spanien. So fanden sich im abendlicher Überflug von Blessgänsen im Bereich Untersuchungsgebiet schon in der 41. KW (Anfang berichtet (G. KLOPPENBURG, pers. Oktober) über 1.000 Graugänse, was gleichzeitig Mitt., eig. Beob.), wo die Gänse aus dem Leda- das Saisonmaximum darstellte (Abb. 7). Während Jümme-Gebiet kommend offenbar zum Schlafen der Herbstmonate schwankte der Rastbestand sehr in die Esterweger Dose flogen. Nach Ende der stark, was an räumlichen Wechselbewegungen Jagdzeit schliefen Teile der rastenden Blessgänse mit/zu den großen umliegenden Maisackerbereichen auch auf den Gewässern des Polders Holter Hamm- lag, die nicht vollständig erfasst wurden. Mitte rich. Januar erreichten die Graugansbestände ein neu- erliches Hoch mit 880 Ind. Nach diesem Zeitpunkt gingen die Bestandszahlen sukzessive bis Mitte

Abb. 8: Räumliche Verteilung ras- tender Graugänse im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Greylag Geese during winter 2013/14. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 7

April zurück. Ab Mai stiegen die Zahlen im Gebiet 3.000 wieder an, was wahrscheinlich auf die zunehmende 2.500 Zahl sich sammelnder Fehl- und Nichtbrüter aus der Region zurückzuführen ist. Wie die Blessgänse 2.000 auch nutzten die Graugänse vor allen Dingen die 1.500 Mitte des Untersuchungsgebiets (Abb. 8), wobei 1.000 die Schwerpunkte im Polder Altes Tief und im AnzahlVögel

Schatteburger bzw. Breinermoorer Hammrich lagen. 500 Doch auch Jümmiger Hammrich und der Nortmoorer 0 Hammrich wurden genutzt. Nur relativ kleine Be- 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 stände fanden sich im Osten des Gebietes. Obwohl Kalenderwochen im Herbst ebenfalls Maisstoppelschläge aufgesucht werden, bestand auch während dieser Zeit eine Abb. 9: Bestandsentwicklung rastender Pfeifenten in der überwiegende Nutzung von Grünlandparzellen Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Numbers of (Tab. 2). In den Wochen der Maisernte suchen die staging Eurasian Wigeon in the Leda-Jümme-Lowlands Gänse jedoch häufig auch Flächen weit außerhalb during winter 2013/14. der Untersuchungsgebietsgrenzen auf. wässer (vor allem an Leda und Jümme; Abb. 10), Pfeifente Anas penelope die sie als Flucht- und Komfortgewässer nutzten und in deren Randbereichen sie zumeist zur Nah- Im Gegensatz zu den Gänsen und Schwänen zeigte rungssuche umliegende Grünlandgebiete besuchten. die Pfeifente ein deutlich zweigipfeliges Durch- Einen deutlichen Schwerpunkt weist die Art dabei zugsmuster während des Untersuchungszeitraums im Holter Hammrich auf. Diese großen Wasserflä- (Abb. 9). In der 46. und 47. KW (Anfang November) chen dienen zahlreichen Pfeifenten als Ruhe- und sieht man ein deutliches Herbstmaximum mit max. Komfortgewässer. Insbesondere bei der Pfeifente 2.540 Ind. Im Dezember gingen die Zahlen deutlich muss aber beachtet werden, dass die rastenden zurück und stiegen erst ab der 7. KW (Ende Vögel in den Grünlandarealen vermutlich deutlich Februar) erneut wieder an. Das Frühjahrsmaximum unterschätzt wurden, da nicht alle Teile der ausge- wurde mit 2.460 Ind. in der 9. KW festgestellt. dehnten Grabensysteme gleichermaßen einsehbar Mitte April (15. KW) waren die Pfeifenten abgezo- waren. gen, nur einige wenige Einzeltiere verblieben noch bis in den Juni im Gebiet. Goldregenpfeifer Pluvialis apricaria

Die Verteilung der Pfeifenten im Untersuchungs- Goldregenpfeifer kommen in den ostfriesischen gebiet orientiert sich deutlich am Verlauf der Ge- Niederungen regelmäßig als Gastvogel vor. Die Art

Abb. 10: Räumliche Verteilung rastender Pfeifenten im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Eu- rasian Wigeon during winter 2013/14. 8 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

3.500 des Holter Hammrich, doch finden sich die Gold-

3.000 regenpfeifer auch in den Grünlandbereichen des Jümmiger, Nortmoorer und Breinermoorer Hamm- 2.500 richs sowie in geringeren Dichten sogar nördlich 2.000 der Autobahn A 28 bei Hasselt (Abb. 12). 1.500

Anzahl Vögel 1.000 Kiebitz Vanellus vanellus

500 Während des Herbstes sind Kiebitze regelmäßig in 0 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 Rastbeständen von mehr als 2.000 Ind. in der Kalenderwochen Leda-Jümme-Niederung zu beobachten (Abb. 13). Mit Beginn des Winters wird das Auftreten der Art Abb. 11: Bestandsentwicklung rastender Goldregenpfeifer seltener: Wochen vollständig ohne rastende Kiebitze in der Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Num- wechseln mit Wochen, in denen zwischen 160 bers of staging European Golden Plovers in the Leda- und 1.200 Ind. beobachtet wurden. Ab der 6. KW Jümme-lowlands during winter 2013/14. finden sich wieder regelmäßig Kiebitze im Unter- suchungsgebiet, zunächst nur wenige (6. +7. KW), zeigt ein typisch zweigeteiltes Durchzugsmuster dann in großer Zahl (8. KW: 5.110 Ind, 9. KW: mit geringem Vorkommen im Herbst und größeren 5.590 Ind.). Nach diesem Saisonmaximum sinken Zahlen im Frühjahr (Abb. 11). Ab der 44. KW (An- die Zahlen wieder ab. Ab Ende März finden sich fang November) wurden die ersten Goldregenpfeifer nur noch wenige rastende Individuen im Gebiet. im Gebiet beobachtet. Ihr Rastbestand wurde auf dem Wegzug mit max. 560 Ind. festgestellt. Mitte Als typische Limikolenart der Niederungen zeigt Dezember haben die Goldregenpfeifer das Gebiet der Kiebitz die weiteste Raumnutzung unter allen verlassen. Während der Wintermitte (51.-5. KW) untersuchten Vogelarten im Leda-Jümme-Gebiet wurden keine Individuen beobachtet, erst Mitte (Abb. 14). Dabei liegt der Schwerpunkt des Vor- Februar (6. KW) erreichten kleinere Trupps das Ge- kommens in westlichen Bereich des Gebietes, wo biet. Im März hingegen rasteten größere Trupps es noch ausgedehnte reine Grünlandareale gibt. im Gebiet. Das Maximum wurde 2013/14 mit Gemieden werden die Bereiche mit Baumhecken 2.915 Ind. erfasst (Abb. 11). oder Hecken (z. B. Nettelburg, südöstlich von Leer, Barge), auch Mais dominierte Bereiche werden Goldregenpfeifer nutzten die gesamte Niederung ebenfalls gemieden (z. B. südlich und östlich Pots- westlich der Bundesstraße B72, östlich dagegen hausen). Im östlichen Bereich (Detern, Scharrel- wurden sie nur im Ammersumer Hammrich beob- Barge) kommt die Art zwar ebenfalls vor, doch ist achtet. Der Schwerpunkt liegt auch hier in den für ihr Vorkommen von geringerer Intensität. Hier ist Wasser- und Watvögel höchst attraktiven Bereichen der Maisanteil in der Niederung ebenfalls sehr

Abb. 12: Räumliche Verteilung rastender Goldregenpfeifer im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1km²). – Spatial distribution of staging European Golden Plovers during winter 2013/14. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 9

6.000 wurden Rastbestände dort beobachtet, wo nasse

5.000 bzw. feuchte Grünländer mit Blänken attraktive Nahrungsflächen aufwiesen. 4.000

3.000 Kampfläufer Philomachus pugnax

2.000

Anzahl Vögel Kampfläufer wurden während des Untersuchungs-

1.000 zeitraums vor allem auf dem späten Frühjahrszug im April und Mai festgestellt. Einige wenige Indivi- 0 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 duen zogen bereits an März in die Leda-Jümme- Kalenderwochen Niederung, doch größere Bestände bis zu maximal 236 Ind. wurden erst in der 29. KW beobachtet Abb. 13: Bestandsentwicklung rastender Kiebitze in der (Mitte Juli; Abb. 15). Die Raumnutzung der Kampf- Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Numbers of läufer orientiert sich stark an der Lage des Polder staging Northern Lapwings in the Leda-Jümme-Lowlands Holter Hammrich, wo die Vögel übernachten und during winter 2013/14. auch häufig auf den ausgedehnten Schlamm- und flachen Wasser gefüllten Senken Nahrung suchten.

Abb. 14: Räumliche Verteilung rastender Kiebitze im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Northern Lapwings during winter 2013/14.

hoch, es gibt teilweise Baumreihen und nur entlang der Flussläufe ziehen sich noch, z. T. nur schmale, 250 Bänder Grünland. 200 Uferschnepfe Limosa limosa 150 Erst am Ende der Erfassungsperiode kehrten die 100 Uferschnepfen aus den Winterquartieren zurück AnzahlVögel und suchten zunächst in großen Trupps Nahrung, 50 bevor sie sich in die Brutreviere verteilten. Die ersten Uferschnepfen wurden in der 10. KW 0 9101112131415171819202122232425262729 (Anfang März) beobachtet, das Maximum von 451 Kalenderwochen Ind. wurde in der 12. KW erfasst. Danach verteilten sich die Vögel, und es blieb ein Bestand von rund Abb. 15: Bestandsentwicklung rastender Kampfläufer in 50 Ind. übrig, der überwiegend nahrungssuchend der Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Numbers im Polder Holte beobachtet wurde. Auch der of staging Ruffs during the Leda-Jümme-Lowlands during Schwerpunkt der Raumnutzung der Uferschnepfe winter 2013/14. liegt in diesem Gebiet. Zu Beginn des Frühjahrszuges 10 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

Abb. 16: Räumliche Verteilung rastender Kampfläufer im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spa- tial distribution of staging Ruffs during winter 2013/14.

Doch fliegen die Kampfläufer auch häufig von 100 hier aus in die umliegenden Grünlandgebiete, be- sonders wenn sich dort nach starken Regenfällen 80 größere Blänken auf den Flächen gebildet haben. Den Schwerpunkt bildeten hierbei die Flächen im 60 Jümmiger Hammrich (Abb. 16). 40 Anzahl Vögel Silberreiher Casmerodius albus 20

Bereits zu Beginn der Erfassungen wurde ein 0 41 43 45 47 49 51 1 3 5 7 9 11 13 15 17 29 Bestand von 80 Ind. Im Untersuchungsgebiet fest- Kalenderwochen gestellt (Abb. 17). Während des Herbstzeitraums blieben die Zahlen bis in die 46. KW hoch. Hier Abb. 17: Bestandsentwicklung rastender Silberreiher in wurde auch der Maximalbestand von 92 Ind. der Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Numbers erreicht (45. KW). Zur Monatsmitte Dezember san- of staging Great Egrets in the Leda-Jümme-Lowlands du- ken die Bestände deutlich ab, um ab Mitte Dezember ring winter 2013/14 erneut von 38 auf 56 Ind. anzuwachsen. Die kurze Schneephase in der 4. und 5. KW vertrieb die ras- Hammrich beobachtet werden, doch ist dies nicht tenden Silberreiher fast vollständig, doch kehrten der einzige Bereich mit hohen Dichten. Dabei fällt sie kurzfristig nach der Schneeschmelze wieder auf, dass die Silberreiher auch die Mais dominierten zurück. Es zeichnet sich in der 8.-9. KW. ein Früh- Bereiche nordöstlich des Holter Hammrich nutzen, jahrszuggipfel ab. Danach sanken die Bestände, die von den meisten anderen Arten sonst gemieden und Anfang Mai hatten die Silberreiher fast voll- werden. ständig das Gebiet verlassen. Sturmmöwe Larus canus Der Schwerpunkt der räumlichen Nutzung rastender Silberreiher findet sich im zentralen Areal zwischen Zu Beginn der Untersuchungen wurden nur wenige den beiden Flüssen Leda und Jümme. Im Vergleich Sturmmöwen im Untersuchungsgebiet festgestellt zu den zuvor vorgestellten Arten wiesen Silberreiher (Abb. 19). Erst Anfang November stiegen die aber eine fast flächendeckende Nutzung des Un- Zahlen langsam an. Mitte Dezember wurden tersuchungsgebietes auf, wenngleich der Bereich erstmals in diesem Winter mehr als 3.000 Sturm- nördlich der Jümme sowie im Bereich Altes Tief möwen erfasst. Mit 4.010 Ind. wurde in der 2. KW und Schatteburger Hammrich geringere Dichten 2014 das Wintermaximum im Untersuchungsgebiet aufwiesen als im Zentrum des Gebietes (Abb. 18). beobachtet. Auch die Sturmmöwen verließen das Auch konnten die Silberreiher häufig im Holter Gebiet während des kurzen Schneeeinbruchs in Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 11

Abb. 18: Räumliche Verteilung rastender Silberreiher im Winter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spa- tial distribution of staging Great Egrets during winter 2013/14.

der 4. und 5. KW fast vollständig. Langsam stiegen die Bestände dann zum Frühjahr hin wieder an und erreichten ein Maximum auf dem Frühjahrszug 5.000 von 2.580 Ind. in der 9. KW. Bereits Mitte April hatten die Sturmmöwen dann das Untersuchungs- 4.000 gebiet nahezu vollständig verlassen. 3.000 Im Untersuchungsgebiet fanden sich Sturmmöwen 2.000 überwiegend auf den Grünlandparzellen, insbe- Anzahl Vögel sondere zu Zeiten der landwirtschaftlichen Bewirt- 1.000 schaftung (Gülleausbringung, Grüppenfräsen, Pflü- gen u. a.). Dabei fällt die intensive Nutzung des 0 41 43 45 47 50 52 2 4 6 8 10 12 14 Nortmoorer Hammrichs bzw. des Grünlandareals Kalenderwochen nördlich der Jümme zwischen Leer und Stickhausen besonders auf, während der Jümmiger und der Abb. 19: Bestandsentwicklung rastender Sturmmöwen Schatteburger Hammrich nur in relativ geringem in der Leda-Jümme-Niederung Winter 2013/14. – Num- Umfang angeflogen wurden. Ebenso fanden sich bers of staging Mew Gulls in the Leda-Jümme-Lowlands ganz im Westen des Untersuchungsgebietes häufig during winter 2013/14. Sturmmöwen, die von der Mülldeponie Breinermoor

Abb. 20: Räumliche Verteilung rastender Sturmmöwen im Win- ter 2013/14 (Σ Ind. pro 1 km²). – Spatial distribution of staging Common Gulls during winter 2013/14. 12 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

Tab. 1: Maximalbestände ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung und naturschutzfachliche Be- wertung (nach KRÜGER et al. 2013). – Maximum numbers of important migratory birds species in the Leda-Jümme- Lowlands.

Art / species Max. Bewertung Max. Bewertung Max. Saison 2013/14 2012/131 vor 20122 (Beobachter) Anatidae – Gänse- und Schwanenarten / geese and swans Höckerschwan Cygnus olor 122 landesweit 49 regional 51 2004/05 (TM) Singschwan Cygnus cygnus 37 lokal 88 regional 45 2002/03 (HK) Zwergschwan Cygnus bewickii 94 landesweit 119 national 397 2005/06 (TM) Graugans Anser anser 1.040 landesweit 1.830 national 973 2010/11 (TM) Blessgans Anser albifrons 10.800 international 22.010 international 6.990 2009/10 (HK) Zwerggans Anser erythropus 0012005/06 (TM) Tundrasaatgans Anser f. rossicus 1.070 regional 390 lokal 1.662 2009/10 (KG) Kurzschnabelgans Anser brachyrhynchus 2- 24 landesweit 6 2011/12 (TM) Weißwangengans Branta leucopsis 920 lokal 2.600 national 2.450 2011/12 (TM) Kanadagans Branta canadensis 112 48 44 2011/12 (TM) Rothalsgans Branta ruficollis 0 0 1 2011/12 (TM) Nilgans Alopochen aegyptiacus 107 23 57 2007/08 (TM) Rostgans Tadorna ferruginea 24 2 3 2011/12 (TM) Pfeifente Anas penelope 2540 landesweit 3.680 national 1.500 2011/12 (TM) ausgewählte Limikolen / important waders Kiebitz Vanellus vanellus 4.810 landesweit 5.240 landesweit 2.111 2007/08 Goldregenpfeifer Pluvialis apricaria 2.920 national 320 lokal 250 2011/12 (TM) Uferschnepfe Limosa limosa 451 national 364 national Kampfläufer Philomachus pugnax 236 national 292 national 45 2006/07 (TM) Laridae - Möwenarten / gulls Silbermöwe Larus argentatus 730 regional 125 Heringsmöwe Larus fuscus 72 146 Lokal Sturmmöwe Larus canus 3.850 national 1.660 Landesweit Lachmöwe Larus ridibundus 3.430 regional 1.400 Lokal

1 aus: KRUCKENBERG 2013, 2 Daten der NABU Zählergruppe Leer, TM = T. Munk, KG = K. Gerdes, HK = H. Kruckenberg westlich des Untersuchungsgebietes kommend im die Arten ausgewählt, deren Raumnutzung große Grünland rasteten. Auch am Stadtrand von Leer Anteile der Niederung umfassten sowie natur- wurden häufig größere Sturmmöwenansammlungen schutzfachlich bemerkenswerte Bestände aufwiesen, festgestellt (Abb. 20). während die Arten, die (fast) ausschließlich im Holter Hammrich rasteten, zu einem späteren Zeit- Das Vorkommen weiterer Arten punkt gesondert dargestellt werden sollen. Gleiches gilt für Raumnutzung des Weißstorchs Ciconia ci- Insgesamt wurden während des Beobachtungs- conia, der im Gebiet sowohl Gast- als auch Brutvogel zeitraums 47 Wat- und Wasservogelarten im Gebiet ist. Tab. 1 weist die Maximalzahlen der wichtigsten festgestellt. Für diese Auswertung wurden zunächst Gastvogelarten auf, insbesondere die der Gänse- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 13

und Schwanenarten sowie ausgewählter Limikolen auf die Zählergebnisse 2013/2014 stellt sich die und Möwen. Leda-Jümme-Niederung als ein für Gastvögel be- deutsamer Raum heraus: Von den hier vorgestellten Habitatnutzung im Untersuchungsgebiet Arten erreicht die Blessgans das Kriterium für eine internationale Bedeutung (sowohl 2013/14 als Während der Erfassungen wurde jeweils das Habitat auch im Winter 2012/13). Die ermittelten Be- der einzelnen Vogeltrupps notiert. Tab. 2 zeigt die standszahlen der drei Limikolenarten Goldregen- prozentuale Nutzung der Habitate im Untersu- pfeifer, Kampfläufer und Uferschnepfe sowie die chungsgebiet durch die o. g. Arten. Dabei zeigt Sturmmöwe erreichten die Kriterienwerte für eine sich, dass Grünland für die meisten Arten das nationale Bedeutung (Weißwangengans zudem überwiegend genutzte Habitat darstellt. Dies gilt im Winter 2012/13). Höcker- und Zwergschwan, nicht nur für die herbivoren Schwäne und Gänse Graugans, Pfeifente und Kiebitz erreichten jeweils (Zwergschwan 97,1 %, Höckerschwan 92,9 %, eine landesweite Bedeutung, in einigen Vorjahren Blessgans 84,3 %, Graugans 72,8 %), sondern z. T. sogar deutlich höher). Saatgans, Silber- und auch für Goldregenpfeifer (99,9 %), Kiebitz Lachmöwe erreichten eine regionale Bedeutung (91,1 %), Silberreiher (90,9 %) und Sturmmöwe im Winter 2013/14. (92,8 %). Von ebenfalls hoher Bedeutung sind die Gewässer im Gebiet (vor allem der Polder Holte). Hierbei ist zudem zu beachten, dass die Leda-Jüm- Hier fanden sich 21,4 % der Graugänse, 91,4 % me-Niederung von den Gastvögeln als einheitliches der Pfeifenten und 68,1 % der Kampfläufer. Andere Gebiet genutzt wird, was aufgrund von Beobach- Habitattypen, wie etwa Maisstoppel, Grünland- tungen markierter Blessgänse deutlich wird. Darüber neueinsaat oder Ackerflächen, spielten nur eine hinaus bestehen starke Wechselwirkungen in die untergeordnete Rolle (vgl. Tab. 2). gesamte Ems-Dollart-Region hinein. Es ist davon auszugehen, dass dies ebenso für die anderen Naturschutzfachliche Gänsearten sowie für Möwen und Silberreiher gilt. Bewertung Eine Einteilung und Bewertung von Teilräumen unterbleibt daher. Für die naturschutzfachliche Bewertung eines Feuchtgebietes anhand der Größe von Wasservo- gelbeständen gelten internationale Kriterien, die Diskussion dann auf nationale oder regionale Raumbezüge Die Leda-Jümme-Niederung war zumindest bis angepasst werden (für Niedersachsen vgl. aktuell Mitte des 20. Jahrhunderts ein herausragendes KRÜGER et al. 2013). Bei Anwendung dieser Kriterien Rastgebiet für Wasser- und Watvögel (GERDES 2000).

Tab. 2: Nutzung verschiedener verschiedener Flächennutzungstypen durch Wasser- und Watvogelarten in der Leda- Jümme-Niederung. – Percentages of habitat use according to different types of land uses.

Art Grünland Gewässer Mais Neueinsaat Acker Sonstige Σ Ind. Zwergschwan 97,1% 2,9% - - - - 204 Höckerschwan 92,9% 6,8% 0,3% - - - 1.408 Blessgans 84,3% 9,8% 3,2% 2,5% - 1,8% 102.445 Graugans 72,8% 21,4% 5,4% 0,1% - 0,4% 12.288 Pfeifente 8,6% 91,4% - - - - 26.364 Goldregenpfeifer 99,9% - - 0,1% - - 12.345 Kiebitz 91,1% 6,7% 0,3% 0,2% 1,0% - 41.318 Kampfläufer 24,1% 68,1% 7,8% - - - 536 Silberreiher 90,9% 8,6% 0,25% 0,25% - - 1.205 Sturmmöwe 92,8% 7,2% - - - - 28.455 14 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

Damals war die Niederung von der Kreisgrenze bei der Erhöhung und Verstärkung der Deiche wurden Apen bis an das Stadtgebiet von Leer im Winter Überflutungen im Gebiet gebannt und das Gebiet überschwemmt (H. DE RIESE, pers. Mitt.). Auf den so für Gänse unattraktiv (GERDES 2000). Gleichzeitig überfluteten Flächen zwischen Breinermoor und erreichten die Populationen der arktischen Wildgänse der Leda rasteten noch in den 1940er Jahren tau- auf dem atlantischen Zugweg zu dieser Zeit einen sende von Enten und Gänsen (G. PITTS-GRÜNEFELD, historischen Tiefststand, aus dem sie sich erst ab pers. Mitt.). Während diese von deutschen Vogel- Mitte der 1980er Jahre zunehmend erholen konnten kundlern weitgehend außer Acht gelassen wurden, (MADSEN et al. 1999, KRUCKENBERG et al. 2011). Erst war das Gebiet für die Offiziere der englischen Be- seit einigen Jahren stabilisiert sich der Bestand der satzungstruppen ein „Geheimtipp“. So berichteten Blessgans erneut. Der Bestand der (Tundra-)Saatgans J. G. HARRISON (1952, 1954) und G. L. ATKINSON-WIL- sinkt derzeit möglicherweise bereits wieder, während LES (1961) sehr umfassend über die Vogelwelt im die Weißwangen- und Graugansbestände aktuell „Emsland“ (gemeint waren die Niederung von noch zunehmen (FOX et al. 2010). Mit der generellen Ems, Leda und Jümme bei Leer). Der „Ruhm“ des Wiederkehr der Gänse und insbesondere durch Gebietes war derart groß, dass aus dem amerika- die Zunahme der Weißwangengans kam es in der nischen Sektor Sonderzüge zur Gänsejagd einge- Ems-Dollart-Niederung zu einer räumlichen Aus- richtet wurden (vgl. GERDES 2000). Der Bau des weitung der Gänserastplätze in den letzten 15 Leda-Sperrwerks bei Leer im Jahre 1954 unterband Jahren. Während noch in den 1990er Jahren die die jährlichen Überflutungen und legte den Grund- Blessgans in den dollart- und emsnahen Grün- stein für eine nachfolgende landwirtschaftliche In- landbereichen dominierte (BORBACH-JAENE et al. tensivierung mit Flurbereinigung, Tiefumbruch, 2002), ist es heute hier die Weißwangengans (KRU- großflächiger Senkung des Wasserstandes, Bau CKENBERG 2014). Die Blessgänse dagegen haben im von Aussiedlerhöfen, Wechsel von Heu- zu Silage- Zuge dieser zunehmenden Konkurrenzsituation und von Mist- zur Güllewirtschaft mit wenigen (KRUCKENBERG & KOWALLIK 2008) mehr und mehr Hochleistungsgräsern und bis heute andauerndem ihre Nahrungsgebiete in weiter entfernte, binnen- Grünlandumbruch in Maisäcker. Die im Zuge dieser ländische Gebiete verlagert. Dieser Prozess begann Entwicklung einsetzende ökologische Verarmung vermutlich bereits Ende der 1990er Jahre als die trug auch dazu bei, dass die Leda-Jümme-Niederung Blessgänse das nördliche Emsland (2002), die süd- bis vor wenigen Jahren nur wenig Aufmerksamkeit liche Krummhörn (KRUCKENBERG & BORBACH-JAENE von Ornithologen und Avifaunisten erfuhr. Aus 2003) und die Ostfriesischen Binnenmeere (KRU- den 1990er Jahren liegen daher nur wenige Gast- CKENBERG & BORBACH-JAENE 2000) entdeckten, mög- vogeldaten vor, die aber dennoch bereits für diesen licherweise etwas später dann auch die Niederungen Zeitraum Hinweise darauf gaben, dass das Gebiet von Flumm-Fehntjer Tief (KRUCKENBERG in Vorb.) für Kiebitz, Goldregenpfeifer, Regenbrachvogel sowie von Leda und Jümme. Insofern stehen die oder Bekassine bedeutsam war (MELTER & SCHREIBER hier vorgestellten Vorkommen der arktischen und 2000). Aus heutiger Sicht ist diese Nicht-Beachtung nordischen Gänse in der Leda-Jümme-Niederung nicht (mehr) gerechtfertigt, was die vorgelegten im Kontext einer kontinuierlichen Wiederbesiedlung Zahlen rastender Wasser- und Watvögel aus dem verloren gegangener Rastgebiete. Die Schaffung Winter 2013/14 (s.o.) wie auch bereits aus dem attraktiver Wasserflächen als Flucht- und Komfort- Winter zuvor (KRUCKENBERG 2013) zeigen. Für einige gewässer, wie hier das Beispiel des Holter Hamm- Arten bestand aufgrund einiger Zufallsbeobach- richs, beschleunigte möglicherweise einen solchen tungen schon seit einigen Jahren der Verdacht, Prozess, ist aber wohl keine Bedingung, wie die das Gebiet könne eine generell höhere Bedeutung Entwicklung in der südlichen Krummhörn zeigte haben (z. B. Zwergschwan, Wildgänse s.u.; KRU- (KRUCKENBERG & BORBACH-JAENE 2003, KRUCKENBERG CKENBERG 2012), doch erst ab 2012/13 war es mög- 2004), wo entsprechende Strukturen weitgehend lich, systematisch die Niederung auf das Vorkommen fehlen. Bemerkenswert sind diesbezüglich aber die von nordischen Gastvögeln hin zu untersuchen. Beobachtungen von Schlafplatzflügen der rastenden Gänse: neben dem Flug zum Dollart, der traditionell Schwäne und Gänse der zentrale Schlafplatz der Region ist (GERDES 2000), hat ein Teil der Gänse auch die südöstlich Mit Inbetriebnahme des Leda-Sperrwerkes sowie gelegenen renaturierten Moore entdeckt (G. KLOP- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 15

PENBURG, pers. Mitt., eig. Beob). Auch der Holter festgestellt wurde (KRUCKENBERG 2004): Derzeit wird Hammrich wird zeitweilig als Schlafplatz genutzt. das Gebiet überwiegend auf dem Heimzug der Wie bereits auf den Ostfriesischen Meeren beob- Gänse genutzt, zumal zu der Zeit, wenn in den achtet (KRUCKENBERG & BORBACH-JAENE 2000), scheint zentralen Bereichen der Ems-Dollart-Region die ein attraktiver Schlafplatz ein wichtiges Element höchsten Rastzahlen beobachtet werden. Allerdings für eine dauerhafte Etablierung einer Grünlandregion hat sich das Vorkommen in der Niederung bereits als eigenständiges Rastgebiet für Gänse und Schwä- auf dem Heimzug stärker etabliert: die Gänse ne zu sein. blieben bis zum Abzug Ende März im Gebiet präsent. Das Gebiet fungiert also nicht (mehr) nur Für Gänse war das Leda-Jümme-Gebiet historisch als „Überlaufgebiet“ während der Hauptzugzeit. betrachtet immer ein bedeutendes Rastgebiet. AT- KINSON-WILLES (1961) berichtet von 10.-15.000 Gän- Die Graugans hingegen hat in der gesamten Ems- sen, im Osten der Niederung hat K. OLTMER (nach Dollart-Region im Bestand stark zugenommen und GERDES 2000) noch bis 1962 große Scharen beob- gleichzeitig ihre Raumnutzung verändert. Lag noch achtet (März 1955 5.000 Ind. bei Barge, Januar Ende der 1990er Jahre der Schwerpunkt des Vor- 1962 2.750 bei Nortmoor). Von TOLL (1961) berichtet kommens im Herbst und räumlich im Dollartvorland von 2.000 Bless- und Kurzschnabelgänsen Anser mit Wechselwirkungen in die ackerbaulich genutzten brachyrhynchus am Holtlander Ehetief. Danach Polder (BORBACH-JAENE et al. 2001), so wird in den brach die Tradition als Rastgebiet ab (GERDES 2000), 2010er Jahren das Hauptvorkommen der Graugans doch ab 2002 gab es erneut vereinzelte Feststel- auf dem Frühjahrszug entlang der Verläufe der lungen rastender Gänse in der Niederung (eig. Ems und ihrer Nebenflüsse beobachtet (eig. Beob.). Beob.; T. MUNK pers. Mitt.). Ein großer Teil dieser Diese Entwicklung dürfte verschiedenen regionalen, Gänse sollen damals Blessgänse gewesen sein aber auch überregionalen Änderungen geschuldet (95 % der anwesenden Gänse; ATKINSON-WILLES in sein (Bestandswachstum, agrarische Nutzungsän- HARRISON 1954), doch auch die Kurzschnabelgans derung, Emsvertiefungen usw.). Insofern ist auch war damals schon als Durchzugs- und/oder Win- hier das Auftreten der Graugans in diesem regionalen tervogel vertreten. So beobachtete COOKE (nach Zusammenhang zu sehen: ihren räumlichen Schwer- HARRISON 1952) 1951 1.500 Blessgänse bei Stick- punkt weist die Art deutlich am Zusammenfluss hausen. Nach Berichten von ATKINSON-WILLES (in von Leda und Jümme sowie dem neu entstandenen HARRISON 1954) beobachtete er Ende November Feuchtgebiet „Polder Holte“ auf. 1950 den Einflug der Kurzschnabelgänse bei Detern und Ammersum, die aus Nordost kamen – seiner Das Vorkommen von rastenden Schwänen in der Meinung nach vom Jadebusen, möglicherweise Niederung ist ebenfalls bis Mitte des 20. Jahrhunderts aber auch aus dem Spolsener-Stapeler-Moorgebiet. belegt, auch wenn die Arten nicht mehr eindeutig Sicher ist, dass durch die ausbleibenden Überflu- zugeordnet werden können. In den 1940er Jahren tungen die Niederungen von Leda und Jümme für waren rastende Schwäne auf den überschwemmten die Gänse stark an Attraktivität verlor. Gleichzeitig Flächen häufige Gäste, wo sie vom damaligen brachen aber auch die Populationen der Gänse Landrat H. WINDELS und vor allem von englischen stark ein, und nicht zuletzt deshalb reichten Offizieren (die zu Hause keine Schwäne jagen innerhalb der großräumigen Gänseregion Ems- durften) gern gejagt wurden (G. PITTS-GRÜNEFELD, Dollart möglicherweise die dollartnahen Nahrungs- pers. Mitt.). HARRISON (1954) schreibt über das flächen des Rheiderlandes aus, um den gesamten reiche Vorkommen von Zwerg- und Singschwan Rastbestand zu ernähren. Diese Flächen lagen nahe im „Emsland“ (gemeint waren allerdings die weiten am Schlafplatz im Dollart und werden von den Niederungen von Ems, Leda und Jümme; s.o.), Gänsen nach wie vor bevorzugt. Es spricht somit ohne allerdings genaue Orte zu bezeichnen. K. OLT- vieles dafür, dass die Blessgans die Leda-Jümme- MER berichtet von bis zu 900 Zwergschwänen zwi- Niederung erst in den letzten 15 Jahren „wieder- schen Barge und Detern in den 1950er Jahren entdeckt“ hat. Die Blessgans zeigt aktuell in der (MORITZ 1997). Nach dem Bau des Sperrwerks bei Leda-Jümme-Niederung eine vergleichbare Rastphä- Leer traten nur noch vereinzelt Überschwemmungen nologie wie sie anfänglich auch in der südlichen auf, die dann schnell von Wasservögeln entdeckt Krummhörn und den Ostfriesischen Binnenmeeren wurden (VON TOLL 1961, H. DE RIESE, pers. Mitt.). 16 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

Abb. 21: Herbstimpression vom Polder Holte, 10.10.2013. Foto: Helmut Kruckenberg. – Autumn impression of polder Holte.

Ehemals war das Leda-Jümme-Gebiet auch ein bestehen. Erst ab November ist deutlicher Zuzug wichtiger Rastplatz des Zwergschwans. Hier sollen zu erkennen. Während der Winterbestand bei „einige tausend Schwäne“ gerastet haben (KELM etwas unter 80 Ind. blieb, nahm der Bestand dann & BOLL 1985) und allein bei Detern und Barge be- im Mai nochmals deutlich zu. Zu diesem Zeitpunkt obachtete G. THIELKE im Dezember 1952 900 Ind. sind nun alle vorjährigen Vögel von ihren Eltern (nach GERDES 2000). Seit dem Winter 2002/03 aus dem Brutrevier vertrieben worden, die ersten wurden im Gebiet immer wieder größere Zahlen Fehl- und Nichtbrüter sind bereits präsent und rastender Zwergschwäne, oftmals in Gesellschaft sammeln sich gemeinsam an geeigneten Punkten von Höckerschwänen, beobachtet (eig. Beob.; T. (wie hier dem Polder Holte). Dies zeigt sich auch in MUNK, K. GERDES, pers. Mitt.). Die höchsten Zahlen der räumlichen Verteilung: während sich die Schwä- wurden dabei in den Wintern 2004/05 und 2005/06 ne über den Winter vor allem im Jümmiger Hamm- erfasst (max. 397 Ind.). Auch im Winter 2012/13 rich aufhalten, stellt der Polder Holte ein weiteres wurden immerhin 119 Ind. beobachtet (KRUCKENBERG stark genutztes Gebiet dar. 2013). Das Vorkommen lag überwiegend im Jüm- miger Hammrich, doch wurden auch Schwäne im Pfeifente Nortmoorer bzw. Filsumer Hammrich und nördlich von Stickhausen beobachtet. Die Bestandszahlen Die Pfeifente ist wie die Gänse- und Schwanenarten schwanken stark von Jahr zu Jahr, offenkundig in ein rein herbivorer Wasservogel. Sie finden sich im Abhängigkeit von der Witterung. Es scheint aber, Untersuchungsgebiet sowohl an den Vorflutern dass dies – nachdem das Rheiderland seine Be- und Tiefs als auch auf den verschiedenen Seen deutung für den Zwergschwan nach 1994 verloren und den beiden Flüssen bzw. dem Polder Holte. hat – der wichtigste regelmäßige Zwergschwan- Nur wenige der rastenden Pfeifenten wurden nah- rastplatz in Ostfriesland ist. rungssuchend beobachtet. Nach niederländischen Untersuchungen gibt es zwei unterschiedliche Nah- Der Höckerschwan hingegen ist im Gebiet auch rungsstrategien der Pfeifente: während eine Gruppe Brutvogel mit mindestens 4-5 Brutpaaren (eig. sich den Winter über in einem eng begrenzten Be- Beob.). So dürfte der Bestand Anfang Oktober reich aufhält und hier Gräser entlang der Gewäs- weitgehend aus diesen Paaren mit ihrem Nachwuchs serufer frisst, gibt es andere, die den Tag auf Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 17

großen Seen zubringen, um während der Nacht in meiden die Bereiche mit Hecken und Baumreihen. die umliegenden Felder einzufliegen (BOUDEWIJK et Zudem wird auch deutlich, dass Goldregenpfeifer al. 2009). Falls dies auch für Nordwestdeutschland die offenen Wasser- und Schlammflächen des gilt, fliegen die Pfeifenten von den Gewässern des Polders Holte eher meiden. Hier finden sich die Leda-Jümme-Gebietes in die umliegenden Wiesen Vögel im benachbarten Extensivgrünland am Alten und Felder. Bislang wurde die nächtliche Aktivität Tief/Leyßer Hammrich. und die Raumnutzung der Pfeifenten nicht unter- sucht, doch angesichts der Bedeutung der Niederung Der Kiebitz ist ein typischer Wiesenvogel der ost- für die Pfeifente sollte dem in Zukunft mehr Auf- friesischen Niederungen. Während die Art als Brut- merksamkeit geschenkt werden. vogel in Norddeutschland kontinuierlich rückläufig ist, finden sich in den Wintermonaten große Limikolen Scharen durchziehender Kiebitze in der Leda-Jüm- me-Niederung ein (s.o.; KRUCKENBERG 2012, 2013). Norddeutsche Niederungen sind traditionell durch Generell sind Kiebitze in Ostfriesland auch als hohe Grundwasserstände und feuchtes oder nasses Gastvögel zurückgegangen (GERDES 2000). Die Art Grünland geprägt. Dies zeichnet ihre Eignung ins- war früher in allen Niederungen sehr häufig (vgl. besondere als Rastgebiet für arktische und nordische GERDES 2000, GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1999) Limikolenarten aus. In der Leda-Jümme-Niederung und somit ein häufiger Vogel zu den Zugzeiten. So lässt sich eine große Artenvielfalt durchziehender beobachtete K. OLTMER im November 1953 allein Watvögel (REICHERT & KRUCKENBERG i. Vorb.) beob- zwischen Stickhausen und Barge 19.500 Kiebitze achten. Doch war die Niederung schon vor 100 (nach GERDES 2000). Hohe, wenngleich deutlich Jahren als besonderer Ort für Limikolen bekannt. geringere Bestandszahlen als damals, wurden auch So wurde das Vorkommen des Goldregenpfeifers noch in den 1990er Jahren beobachtet: MELTER & in der Ems-Niederung mit ihren Nebenflüssen SCHREIBER (2000) gaben das Maximum mit 11.625 bereits bei HARRISON (1954) als außergewöhnlich Ind. an. Im Gegensatz zum Goldregenpfeifer blieben bezeichnet. Er schätzte einzelne Trupps auf 15.000 die Kiebitze relativ lange im Gebiet, wichen aber - 20.000 Goldregenpfeifer. Aktuell, rund achtzig in den besonders kalten bzw. schneereichen Wochen Jahre später, sind derart große Trupps in der Leda- nach Südwesten aus. Auch der Kiebitz bevorzugt Jümme-Niederung kaum mehr zu beobachten, die grünlanddominierten Bereiche, nutzte aber doch wurden im Winter 2013/14 immerhin fast auch in geringem Maß abgeerntete Maisäcker. 3.000 Goldregenpfeifer gezählt. Ebenso wurden bereits bei herbstlichen Synchronzählungen 2003- Kampfläufer wurden bereits 2013 in bemerkenswert 2007 einige hundert rastende Goldregenpfeifer großer Zahl im Gebiet beobachtet (292 Ind.; KRU- im Gebiet festgestellt (KRÜGER 2004, PENKERT et al. CKENBERG 2013). Dies steht vor allem mit der Ent- 2008) und in den 1990er Jahren wurde ein Maxi- wicklung des Polders Holte in Zusammenhang. In malbestand von 1.587 Ind. ermittelt (MELTER & den beiden untersuchten Perioden bot der Polder SCHREIBER 2000). Das Durchzugsmuster der Goldre- für Limikolen hochattraktive Flachwasserbereiche genpfeifer unterschied sich im Winter 2013/14 mit Schlamminseln. In beiden Jahren flogen sie deutlich von dem im benachbarten Rheiderland: vom Polder aus zur Nahrungssuche in die umlie- während dort ein deutliches Herbstmaximum im genden Grünlandgebiete (Abb. 16 bzw. KRUCKENBERG November sowie starker Durchzug im Frühjahr 2013). Leider sind aus dem Zeitraum 1970 bis festgestellt wurde (KOWALLIK et al. 2010), fehlte 1990 fast keine Bestandszahlen aus der Leda-Jüm- der Herbstzug 2013 in der Leda-Jümme-Niederung me-Niederung bekannt (Ausnahme: 165 Ind. am fast gänzlich. Wie im Rheiderland nutzen die Gold- 05.04.1992; T. MUNK in GERDES [2000]). Gerdes regenpfeifer jedoch auch im Leda-Jümme-Gebiet (2000) berichtet zusätzlich, dass noch in den 1950er (feuchtes) Grünland als Rast- und Nahrungsflächen. bzw. 1960er Jahren Balzplätze des Kampfläufers Dies zeigt auch die räumliche Verteilung (Abb. nachgewiesen wurden und nach VON TOLL (in GLUTZ 12): Gebiete mit Maisnutzung – wo die Entwässe- VON BLOTZHEIM & BAUER 1999) sollen noch Ende der rung auch während der Wintermonate vergleichs- 1960er Jahre 200 Kampfläufer-♀ in der Niederung weise stark ist – werden gemieden. Zudem bevor- allein bei Filsum gebrütet haben. Auch wenn zugen die Goldregenpfeifer offenes Gelände und Kampfläuferbruten heute dort wohl kaum mehr 18 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

vorkommen, wird die Niederung weiterhin von Grünland zu weit über 90% (Blessgans 98 %, durchziehenden Watvögeln regelmäßig und zeit- Graugans 70 % Nonnengans sogar 99 %; BOR- weilig in großer Zahl besucht. Aus diesem Grunde BACH-JAENE et al. 2001). Auch unter Berücksichtigung sollte in den kommenden Jahren insbesondere der unterschiedlichen Anteile verschiedener An- während des späten Limikolendurchzuges im Na- bauformen im Gebiet zeigte sich die herausragende turschutzpolder Holte auf limikolengerechte Was- Bedeutung von Grünland als Nahrungsfläche (BOR- serstände geachtet und der Bestandsentwicklung BACH-JAENE et al. 2001). Auch in der Krummhörn dringend Aufmerksamkeit geschenkt werden. (zwischen Emden und Norddeich) wurde Grünland von den Gänsen eindeutig bevorzugt (BORBACH- Silberreiher JAENE et al. 2001) wie auch an den Ostfriesischen Binnenmeeren (KRUCKENBERG & BORBACH-JAENE 2000). Noch in den 1990er Jahren war der Silberreiher In den ostfriesischen Niederungen findet man auch eine echte Seltenheit in Ostfriesland (GERDES 2000), Zwerg- und Höckerschwäne regelmäßig auf feuchten wie auch in ganz Niedersachsen. Erst Mitte der oder nassen Grünlandstandorten. Wie im Leda- 2000er Jahre trat diese Art dann regelmäßig auch Jümme-Gebiet bevorzugen auch Goldregenpfeifer in der Emsniederung als Gastvogel auf und nimmt im Rheiderland Grünland ganz eindeutig (KOWALLIK seither kontinuierlich im Bestand zu (eig. Beob.). et al. 2010), ostfrieslandweit stellten PENKERT et al. Dies geht einher mit einer deutlichen Zunahme (2008) ebenfalls eine überwiegende Grünlandnut- der Brutbestände in Europa sowie einer Arealaus- zung durch die Goldregenpfeifer fest. Auch wenn breitung der Art. So brüten Silberreiher aktuell die Kampfläufer überwiegend die Schlammflächen nicht nur in den Niederlanden, Polen, Österreich des Polder Holte zur Nahrungssuche und Rast und Frankreich (BAUER et al. 2005), sondern erstmals nutzten, wechselten sie häufig in die benachbarten 2012 auch mit einem Paar in Deutschland (FEIGE & Grünlandgebiete. Hier waren es insbesondere Flä- MÜLLER 2012) sowie in Südengland (KÖNIG et al. chen mit flachen Blänken, die für die Kampfläufer 2012). Die Zunahme des Silberreiherbestandes besonders attraktiv waren. dauert in den Niederlanden bislang noch weiter an, sowohl hinsichtlich der Brutpaare (SOVON 2014) Bemerkenswert ist die hohe Grünlandnutzung vor als auch der winterlichen Gastvögel (KLAASSEN allem beim Silberreiher: Traditionell nutzen diese 2012). In den Niederlanden zeigen die Zählergebnisse Vögel eher flache Gewässer und jagen hier im ebenfalls ein zweigipfliges Auftreten (KLAASSEN Uferbereich und auf überstauten Wiesen nach Fi- 2012), wenngleich das Maximum zumeist im schen, Amphibien und Insekten (BAUER et al. 2005). Februar festgestellt wurde. Anderenorts liegt das So war es auch noch vor 10 Jahren z. B. am Stein- Maximum rastender Silberreiher wie in der Leda- huder Meer (BRANDT 2002). Offenbar haben seither Jümme-Niederung meist im frühen Herbst (TODTE die Silberreiher im Zuge ihrer winterlichen Be- et al. 2010). standszunahme in Norddeutschland ihre Ernäh- rungsweise auf Mäuse umgestellt. Die Herkunft der in Norddeutschland rastenden Silberreiher ist bisher ungeklärt. Wiederfunde be- Betrachtet man den hohen Stellenwert, den Grün- ringter Tiere sowie Erkenntnisse von einem tele- land für die verschiedenen Gastvogelarten der metrierten Reiher deuten an, dass diese aus ganz Leda-Jümme-Niederung darstellt, so muss dem verschiedenen Brutarealen stammen dürften: Polen Schutz von Dauergrünland (denn nur dieses bietet und Ungarn, aber auch Frankreich (TODTE et al. neben Gras auch entsprechendes Bodenleben und 2010), sicherlich auch das Baltikum und die Nie- Kleinsäuger) deutlich mehr Aufmerksamkeit ge- derlande. schenkt werden. Intensive Düngung sowie das Ab- spritzen der Vegetation mit anschließender Neu- Habitatnutzung einsaat von Hochleistungsgräsern waren noch vor 15 Jahren in Ostfriesland nahezu unbekannt. Zudem Wie auch in anderen Rastgebieten Ostfrieslands hat sich der Umbruchturnus in den vergangenen spielt Grünland als Nahrungsfläche für Gänse und 20 Jahren von anfänglich 8-10 Jahre auf heute z. Schwäne, aber auch für Limikolen eine dominierende T. alle 2-4 Jahre dramatisch verkürzt (eig. Beob). In Rolle. Im Rheiderland nutzen die Gänse ebenfalls der Folge tritt eine Verarmung der Vegetationsvielfalt Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 19

mit entsprechend negativen Konsequenzen für die RIESE, pers. Mitt.) sowie 1961, als ein Maschinen- Biozönose des Grünlandes ein (BEINTEMA et al. schaden im Schöpfwerk des Holtlander Ehetiefs zu 1995, KRATOCHWIL 1989, BLUME 1992, SCHACHTSCHABEL großflächigen Überflutungen führte (VON TOLL 1961). et al. 1998). Hier besteht akuter Handlungsbedarf, Im Jahre 1989 wurde mit der Erstellung eines da artenreiches, wertvolles Grünland kurzfristig Landschaftsentwicklungsplanes begonnen, der im nicht wiederherstellbar ist (GEROWITT et al. 2013), Jahr 2000 in die Planung des Baus eines 220 ha selbst eine vom Naturschutz betriebene Renaturie- großen Natur- und Hochwasserschutzpolders bei rung dauert vielmehr Jahrzehnte (BLÜML 2012). Holte („Polder Holte“) mündete. Dieser wurde 2011 fertiggestellt (M. WENDEBURG, pers. Mitt.). Die Bedeutung der Leda-Jümme-Niederung Das Gebiet teilt sich in einen ganzjährig flach über- und des Polders Holte für den Natur- und Vo- schwemmten Teil (Abb. 21) sowie einen grünland- gelschutz wirtschaftlich genutzten Bereich, in dem Zielset- zungen des Wiesenvogelschutzes angestrebt werden Im Jahre 1952 wurde das Leda-Sperrwerk bei Leer (WENDEBURG & REICHERT 2012). Mit diesem Natur- in Betrieb genommen, und im Anschluss blieben schutzpolder hielten in einem Teilbereich der Leda- die winterlichen Überschwemmungen in der Nie- Jümme-Niederung wieder flach überstaute Bereiche derungen aus (GERDES 2000). In der Folgezeit kam Einzug in die Landschaft, und das Gebiet hat sich es allerdings noch zeitweilig zu meist kleinräumigen in den vergangenen Jahren zu einem vor allem für Überschwemmungen, die kurzzeitig zu großen Wasser- und Watvögel außerordentlich arten- und Wasservogelansammlungen führten: einige Male individuenreichen Rastplatz in Ostfriesland mit bis in die 1980er Jahre hinein wurden in den überregionaler entwickelt (WENDEBURG & REICHERT Hammrichen im Herbst kurzzeitig die Sieltore ge- 2012), die zunehmend auch viele Vogelfreunde öffnet, um „Mäuseplagen“ zu bekämpfen (H. DE zum Naturerlebnis vor Ort anregt. Das Projekt zeigt

Abb. 22: Abendlicher Flug der Blessgänse zum Dollart bei Groß Terwisch, Jümmiger Hammrich, 05.02.2013. Foto: Helmut Kruckenberg. – Roosting flight to Dollart area from Leda-Jümme Lowlands. 20 KRUCKENBERG: Bestand und Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung

sehr deutlich, dass es insbesondere der Mangel an sorgung (kalte Winter), bei Zugstau und aufgrund feuchten und nassen Bereichen in den heutigen des fortschreitenden Flächen-(Grünland-)verlustes Niederungen ist, der kausal für den Rückgang von in den traditionell besonders intensiv genutzten Wasser- und Watvögeln dort verantwortlich ist. Arealen gelten. Die Entwicklung der vergangenen Gleichzeitig zeigt sich, dass – da das Leda-Jümme- Jahre zeigt, dass die Funktion des Gänserastplatzes Gebiet durch seine geographische Lage ohnehin in diesen Europäischen Vogelschutzgebieten heute ein hohes Potenzial aufwies – von einem solchen ohne die angrenzenden, bisher nicht gemeldeten Naturschutzpolder eine deutlich positive Wirkung Gebiete undenkbar ist. Insofern sollte im Hinblick auch in die umliegenden Areale ausstrahlen kann. auf diese Niederung in Betracht gezogen werden, Die heutige Bedeutung des Gebietes als wichtiges dass die bestehenden Vogelschutzgebiete in der Rastgebiet für verschiedene Wat- und Wasservögel Region entsprechend dieser ökologischen Erkennt- (KRUCKENBERG et al. 2012, KRUCKENBERG 2013) wird nisse räumlich angepasst werden müssen. durch die hier vorgestellten Zahlen eindrücklich belegt. Gleichzeitig stellt das Gebiet nach wie vor Danksagung ein wichtiges Brut- und Aufzuchtgebiet für Wie- senlimikolen (MELTER et al. 1998, REICHERT et al. Ich danke C. Kowallik, ohne deren tatkräftige Un- 2004, KRUCKENBERG et al. 2012a) und mittlerweile terstützung bei der Lösung grundlegender Daten- sogar für den Weißstorch dar (FITTJE & FINCH 2013, bank- und GIS-Probleme diese Veröffentlichung KRUCKENBERG et al. in Vorb.). nicht möglich gewesen wäre. Dem Landkreis Leer danke ich für die Erlaubnis auch die Daten aus Nach der Einrichtung des Polder Holte hat das dem Kartierauftrag im Winter 2012/13 zu ver- Leda-Jümme-Gebiet auch unter Vogelbeobachtern wenden. A. Book, K. Gerdes und T. Munk danke deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen. Die Da- ich für die Übersendung ihrer Beobachtungen aus tendichte aus diesem Gebiet nimmt daher deutlich den zurückliegenden Jahren, G. Pitts-Grünefeld zu und angesichts der vorliegenden Erkenntnisse und H. de Riese für die Schilderungen aus Kinder- über das Vorkommen von Brut- und Gastvögeln tagen. K. Gerdes, M. Wendeburg, G. Reichert und ist der schutzlose Status eines so wichtigen Vogel- P. Südbeck danke ich für Anregungen und Korrek- lebensraumes unbefriedigend. Das Gebiet erfüllt turen zum Manuskript. nach den hier vorgelegten Daten nicht allein die IBA-Kriterien als besonders wichtiges Brutvogelge- biet, sondern ist auch für verschiedene Gastvogel- Summary – Numbers and Distribution of arten von überregionaler Bedeutung (MELTER & Selected Bird Species Staging in the Leda- SCHREIBER 2000). Jümme-Lowlands (District of Leer) in Win- ter 2013/14 Beobachtungen von markierten Blessgänsen zeigen, The Leda-Jümme-Lowlands east of Leer (, dass die Leda-Jümme-Niederung in einem engen ) are part of a large complex of funktionalen Zusammenhang zu den Nahrungs- staging sites situated around the Dollard bay. gebieten des Ems-Dollart-Gebietes mit den Vogel- During the winter period 2013/14, weekly waterbird schutzgebieten Rheiderland (V06) und Emsmarschen counts were carried out in this area. In this paper zwischen Emden und Leer (V10) steht. Zudem the numbers and distribution of staging bird species nutzt der überwiegende Teil der Gänse die Dollart- with a wide range of spatial distribution in the watten im Nationalpark Niedersächsisches Wat- study area are presented: geese and swans, Northern tenmeer (bzw. auf niederländischer Seite) als Schlaf- Lapwing, European Golden Plover, Ruff, Mew Gull platz. Wie bereits früher gezeigt werden konnte and Great Egret. For 2013/14 and preceding years, (KRUCKENBERG 2004), wird hier deutlich, dass die the maximum numbers of a broad range of water- gesamte Region als ein Rast-Nahrungsplatzkomplex birds show the high conservational value of the aufgefasst werden muss, der funktionell eng ver- Leda-Jümme-Lowlands for several of these spe- woben und vermutlich nur in seiner Komplexität cies. seine Rolle als Trittstein im Netzwerk der Wasser- vogelrastgebiete ausfüllen kann. Dies dürfte ins- besondere in Zeiten suboptimaler Nahrungsver- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 21

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Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen (NLWKN)

Brut der Zitronenstelze Motacilla citreola im nördlichen Niedersachsen 2013

Thorsten Krüger & Ludger Frye

KRÜGER, T., & L. FRYE (2014): Brut der Zitronenstelze Motacilla citreola im nördlichen Nieder- sachsen 2013. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 23-30.

Am 3. Juli 2013 wurde im Polder Glies bei Sellstedt, Landkreis Cuxhaven, Niedersachsen, eine Brut von Zitronenstelzen Motacilla citreola entdeckt. Die Brut fand unter Beteiligung zweier adulter Zitronenstelzen der Nominatform statt und verlief mit dem Flüggewerden von drei Jungvögeln erfolgreich. Der Lebensraum, in dem sich die anfangs gerade flüggen Jung- vögel aufhielten, ist ein wiedervernässter Niedermoorstandort. Er besteht aus weiträumigen offenen Wasserflächen, die mit Bulten und einzelnen Schilfbeständen durchsetzt sind und an eine großflächige Nasswiese mit Seggenbeständen grenzen. Der Bereich ist ferner durch zahlreiche Weidenbüsche sowie etliche abgestorbene Gehölze geprägt. Das Zitronenstelzen- ♂ unternahm regelmäßig Nahrungsflüge von bis zu 300 m Entfernung. Bis zum 6. Juli 2013 konnten der Familienverband noch am Entdeckungsort beobachtet werden. Durch den sich vergrößernden Aktionsbereich der Jungvögel konnten die anfangs sehr stationären Vögel später immer seltener nachgewiesen werden. Bei den Altvögeln handelte es sich zweifelsfrei um ein artreines Paar von Zitronenstelzen, sie wiesen überdies keine intermediären Merkmale von Zitronen- und Wiesenschafstelze M. flava auf, die auf Hybrideinfluss hindeuten würden. Nach einer Brut im Jahr 2005 in einem vom Polder Glies nur 65 km entfernt liegenden, wie- dervernässten Hochmoor (Büschelsmoor, Landkreis Rotenburg, Niedersachsen) stellt diese Feststellung erst den dritten Brutnachweis eines artreinen Zitronenstelzen-Paares und erst den zweiten Nachweis einer erfolgreichen Brut in Deutschland dar.

T. K., Staatliche Vogelschutzwarte im NLWKN, Ratsherr-Schulze-Straße 10, D-26122 Olden- burg, [email protected]; L. F., Ahornstraße 13, D-49393 Lohne, [email protected]

Einleitung sich auch bei dem beobachteten weiblichen Vogel sicher um eine Zitronenstelze handelte und welcher Am 03. Juli 2013 bemerkte L. Frye (LF) in der Unterart die Vögel angehörten. Rückdeichung „Polder Glies“ bei Sellstedt, Landkreis Cuxhaven, von einem Beobachtungsturm aus eine Um diese Aspekte zu klären und den Brutnachweis nur wenige Meter entfernt sitzende Stelze, die er umfassend zu dokumentieren, suchte LF den Be- als Zitronenstelzen-♂ Motacilla citreola bestimmte. obachtungsort am 05. Juli gemeinsam mit T. Krüger Der Vogel warnte intensiv. Dies geschah nicht (TK) erneut auf. Nach einiger Zeit erschien ein ohne Grund, denn kurze Zeit später entdeckte LF Jungvogel der Art, der sich in einer abgestorbenen, noch ein dazugehöriges ♀ und insgesamt drei inmitten eines gefluteten, ehemaligen Grabens Jungvögel der Art, die sich ebenfalls unmittelbar stehenden Weide Salix spec. zeigte und vom ♂ am Beobachtungsturm aufhielten. Leider mussten gefüttert wurde. Kurz darauf wurden zwei weitere die Beobachtungen an jenem Tag kurz darauf ab- Jungvögel in der Umgebung ausfindig gemacht, gebrochen werden, so dass unklar bleiben musste, und auch das ♀ erschien nun regelmäßig mit ob noch weitere Jungvögel zur Brut gehörten, es Futter im Schnabel. 24 KRÜGER & FRYE: Brut der Zitronenstelze in Niedersachsen 2013

Nachdem die Vögel ausführlich studiert und foto- Sees teilweise abgetragen, um den als Grünland grafisch dokumentiert wurden, informierten wir zumeist intensiv genutzten Niedermoorstandort noch aus dem Gebiet heraus einige regional aktive wieder zu vernässen. Deiche und Gräben wurden Vogelkundler und gaben am selben Tag die Beob- im Polder so verlegt, dass die vormals stark ent- achtungen über die internetbasierten Beobach- wässerten Flächen nun einen naturnahen Wasser- tungsplattformen des Club300 (http://www.club300. stand aufweisen, keiner Nutzung mehr unterliegen de) und des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten und auch als Hochwassersammelbecken dienen (http://www.ornitho.de) einer breiteren Öffentlichkeit können. Durch Aufstauung der Gräben entstand bekannt. Letzteres erfolgte erst nach Prüfung der eine Wasserwechselzone von etwa 54 ha inklusive örtlichen Gegebenheiten, wonach Störungen der eines 28 ha großen, dauerhaften Stillgewässers. Zitronenstelzen wie auch anderer im Gebiet vor- Neben Flachwasserzonen mit Röhrichten wird der kommender Vogelarten durch ggf. zahlreich er- Polder von Staudenfluren geprägt, die sich im Über- scheinende Beobachter ausgeschlossen werden gang zu Landröhrichten befinden (zunehmend Pha- konnten. laris arundinacea; BUND 2012a, b , MU NIEDERSACHSEN 2014). Der „Polder Glies“ hat sich seit der Rückdei- chung zu einem Brut- und Gastvogellebensraum Lage und Beschreibung des Brutplatzes nationaler Bedeutung entwickelt (BUND 2012a, b, Das Feuchtgebiet „Polder Glies“ (53° 31' 58"N, H. KUNZE, pers. Mitt.). Er ist im Jahre 2010 in das 8° 42' 59" E) befindet sich in der Nordwestdeutschen Naturschutzgebiet „Sellstedter See und Ochsen- Tiefebene auf dem Gebiet der naturräumlichen triftmoor/Wildes Moor“ integriert worden. Region der Stader Geest (MEYNEN et al. 1953-1962). Es liegt nordöstlich von Sellstedt am Rande des Der Lebensraum am Ort der Entdeckung der Zitro- Sellstedter Sees in der Geesteniederung. Das Gebiet nenstelzen ist durch einen ca. 8 m breiten, ehema- ist ein durch Rückdeichung entstandener, rund ligen Wasserzug geprägt, den Sellstedter Seegraben, 85 ha großer Teilbereich des Polder Glies, der der vom Beobachtungsturm aus in nordöstliche 1959/60 im Zuge umfangreicher Meliorationsmaß- Richtung verläuft. In diesem Gewässer befinden nahmen in der Flussniederung entstanden war. Im sich einzelne abgestorbene Weiden, so eine in ca. Herbst 2006 wurde im Rahmen einer ökologischen 40 m Entfernung vom Beobachtungsturm, und an Kompensationsmaßnahme der Deich des Sellstedter seinem südlichen Rand erstreckt sich ein etwa sieben Meter breiter Schilf- streifen Phragmites australis. Nördlich des Seegrabens liegt ein ausgedehntes Nass- wiesenareal bzw. Seggen- ried Carex spec., welches nach etwa 200 m in den Röhrichtgürtel des Sellsted- ter Sees übergeht. Südlich erstreckt sich eine große Wasserfläche, in der sich in ca. 150 m Entfernung ein junger Weiden-Sumpfwald mit vielen abgestorbenen Bäumen befindet. Überall ragen aus der Wasserfläche einzelne Vegetationsinseln bultartig heraus, südlich grenzen Feuchtwiesen an Abb. 1: Blick vom Beobachtungsturm auf den von den Zitronenstelzen genutzten die Wasserfläche. Lebensraum, Polder Glies, 05. Juli 2013. Foto: Thorsten Krüger. – Breeding site of a pair of Citrine Wagtails at Polder Glies. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 25

Beobachtungen

Am 03. Juli 2013 saß das von LF entdeckte ♂ nur wenige Meter vom Beobachtungsturm entfernt in der Spitze einer Weide. Auch die beobachteten Jungvögel saßen teils in den den Beobachtungsturm umgebenden Gehölzen, steuerten jedoch auch vielfach das abgestor- bene Baumgerippe inmitten des Sellstedter Seegrabens an. Dort hielten sie sich vorwiegend im obe- ren, exponierten Teil des Geästs auf und warteten auf die unregel- mäßig zur Fütterung erscheinenden Altvögel. Die Jungvögel waren be- reits flugfähig, doch wirkten ein- zelne Flüge noch recht unbeholfen und teilweise waren bei ihnen noch Flaumfedern im Nacken vorhanden, so dass sie als „frisch flügge“ ein- zustufen waren.

Am Vormittag des 05. Juli 2013 wurde von den Zitronenstelzen zu- nächst der Bereich nördlich des Turms intensiv frequentiert. Dabei landeten die jungen Stelzen immer wieder auf zwei bis drei einzelnen Zaunpfählen (Abb. 2), auf denen sie dann gefüttert wurden. Auf den Zaunpfählen waren etliche Kot- spritzer jüngeren Datums zu er- kennen, die vermuten ließen, dass Abb. 2: Frisch flügge, juvenile Zitronenstelze, Polder Glies, 05. Juli 2013: sie öfter und bereits über einen Beachte u. a. den weißlichen, vor allem hinter dem Auge breiten Überau- längeren Zeitraum von diesen Vö- genstreif, der sich um die dunkleren Ohrdecken herumzieht und diese klar geln angesteuert wurden. In ge- abgrenzt, die beigen Spitzen der Mittleren und Großen Armdecken, die ringer Entfernung zum Sellstedter zwei breite Flügelbinden bilden, sowie die rein weißen Säume der Hand- Seegraben liegt auf dessen nördli- schwingen bzw. weißlich-beigen Säume der Schirmfedern, die die Art in cher Seite ein weiterer schmaler diesem Kleid von jungen Schafstelzen unterscheiden. Foto: Thorsten Krüger. Graben. Dieser ist zwar nicht ein- – Portrait of a juvenile Citrine Wagtail, fledged shortly before. sehbar, doch wurde er immer wieder von den Jungvögeln, wie auch beiden Altvögeln, Jungvögel waren dabei zwar hoch mobil, doch zu- angeflogen. Vermutlich hielten sich die Zitronen- meist hielten sie sich an denselben Stellen auf, zu stelzen an dessen (ggf. schlammigen) Boden auf, denen auch aus dem Sellstedter Seegraben he- von wo aus sie zumeist erst nach längerer Verweil- rausragende Tothölzer zählten. Regelmäßig waren dauer wieder aufflogen. Im weiteren Verlauf ent- von den Alt- und Jungvögeln die arttypischen Rufe fernten sich die Jungvögel, insgesamt handelte es zu vernehmen, die es oftmals erst ermöglichten, sich sicher um drei verschiedene Individuen, nie einen ansonsten gut im Gelände verborgenen weiter als ca. 50 m vom Beobachtungsturm. Die Jungvogel zu orten. 26 KRÜGER & FRYE: Brut der Zitronenstelze in Niedersachsen 2013

Abb. 3a-f: Dokumentation des Brutnachweises einer Zitronenstelze: 3a) adultes ♂ (oben links), 3b) adultes ♀ (oben rechts), 3c) frisch flügger Jungvögel kurz vor Fütterung durch das ♀, 3d) nach vollzogener Fütterung, 3e) ♂ und Jung- vogel, 3f) Jungvogel-Studie. Polder Glies, 5. Juli 2013. Fotos: Thorsten Krüger. – Documentation of the breeding record: 3a) adult ♂, 3b) adult ♀, 3c) freshly fledged juvenile shortly before fed by the ♀, 3d) shortly after feeding, 3e) ♂ and juvenile, 3f) portrait of a juvenile. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 27

Beide Altvögel beteiligten sich an den Fütterungen STRÖM et al. 2003; s. a. GRANT 1989, FISHER & AHMED der Jungvögel und unternahmen von den Aufent- 2009) und können mit den hier abgedruckten Be- haltsorten der Jungvögel mehr oder weniger weite legfotos (Abb. 3a-f) abgeglichen werden. Nahrungsflüge. Das ♂ steuerte dabei über einen längeren Zeitraum immer wieder die in einer Ent- Diskussion fernung von ca. 300 m liegenden Überschwem- mungsflächen mit abgestorbenen Bäumen und et- Bestimmung, Nachweis einer Brut, Lebens- lichen Bulten im Osten an. Das ♀ konnte mehrere raum Male dabei beobachtet werden, wie es in die nördlich liegenden Nasswiesen flog. Einmal saß es Während Zitronenstelzen-♂ im Prachtkleid als prak- in der Spitze einer am Ufer des Sellstedter Seegra- tisch unverwechselbar gelten (BARTHEL & SCHMIDT bens wachsenden Weide und war von zahlreichen 1990, ALSTRÖM et al. 2003), kann die Bestimmung Insekten umschwärmt (vermutlich Märzfliegen Bibio der ♀ bzw. die Abgrenzung von Wiesenschafstel- marci), die sie in Schnäppermanier erbeutete und zen-♀ M. flava bereits deutlich schwieriger sein, anschließend an die Jungvögel verfütterte. insbesondere dann, wenn sie einzeln auftreten und nur kurz oder unter widrigen Beobachtungsum- Im Verlauf der mehrstündigen intensiven Beob- ständen, z. B. in einer weitläufigen Überschwem- achtung der Vögel manifestierte sich der Eindruck, mungsfläche, gesehen werden. Verwechslungsgefahr dass sich die Zitronenstelzen-Familie dort stationär besteht dabei mit Wiesenschafstelzen-♀ der in Nie- aufhielt, sehr vertraut mit dem dortigen Habitatin- dersachsen vorkommenden Nominatform M. f. ventar war und im unmittelbaren Umfeld ihr Revier flava, vor allem aber mit der Gelbkopf-Schafstelze gehabt haben dürfte. Vom Verhalten der Vögel M. flavissima und der in NW-Kasachstan und SW- her schließen wir auf den Bereich direkt nördlich Sibirien vorkommenden Wolgaschafstelze M. lutea des Sellstedter Seegrabens. Am Nachmittag des (ALSTRÖM et al. 2003). Dies gilt umso mehr für Jung- 05. Juli 2013 wurde die Zitronenstelzen-Familie vögel der Art, die ohne Begleitung eines typisch ge- von einer Beobachtergruppe an dieser Stelle ange- färbten Altvogels im Feld im Allgemeinen und au- troffen (H. KUNZE, pers. Mitt.; s. a. Fotos in der ßerhalb des geschlossenen Brutgebiets der Art im Gallery des Club300). Am Abend des 05. Juli ver- Speziellen wahrscheinlich als juvenile Schafstelzen gesellschafteten sich die Zitronenstelzen mit einer durchgehen würden. Insofern war es ein glücklicher größeren Anzahl von Bachstelzen M. alba (> 50 Umstand, dass die Brut über die Beobachtung des Ind.), die am Beobachtungsturm eine Schlafplatz- ♂ bemerkt und durch dessen Verhalten (intensiv gemeinschaft bildeten. warnend, futtertragend) auch gleich sicher nachge- wiesen werden konnte. Die dann im weiteren Verlauf Mit zunehmender Selbstständigkeit der Jungvögel beobachteten übrigen Vögel der Zitronenstelzen- zogen diese offensichtlich immer weiter in das- Familie konnten detailliert über lange Zeit und z. T. sumpfige Gelände des Polder Glies hinein und aus geringer Distanz studiert und fotografiert werden. waren dann außer Sichtweite. So wurden am 06. Dabei wurde ersichtlich, dass es sich zweifelsfrei Juli 2013 die Zitronenstelzen nur noch am frühen um ein artreines Paar von Zitronenstelzen handelte Morgen sowie nach längerer Abwesenheit erst und auch, dass die Jungvögel alle artdiagnostischen wieder am späten Nachmittag vom Beobachtungs- Kennzeichen der Art zeigten. Zusätzlich stellte sich turm aus registriert (vgl. Fotos in der Gallery des heraus, dass keiner der beobachteten Vögel inter- Club300). In den darauf folgenden Tagen wurden mediäre Merkmale von Zitronen- und Wiesenschaf- sie nicht mehr gesehen. stelze oder z. B. Zitronen- und Maskenschafstelze M. feldegg aufwies (vgl. BARTHEL & SCHMIDT 1990, Auf eine Beschreibung der beobachteten Zitro- SHIRIHAI 1990, LEHTO 1990, MILLINGTON 1991, SHURU- nenstelzen bzw. eine tiefer gehende Analyse aller LINKOV 2012), und es sich somit um keine Brut unter Kennzeichen soll an dieser Stelle verzichtet werden. Beteiligung einer Arthybride handelte. Die arttypischen Feldkennzeichen der Art in ihren verschiedenen Kleidern sind den einschlägigen Hinsichtlich der Bestimmung der Unterart deuten Werken mit Hinweisen zur Zitronenstelzen-Bestim- alle Kennzeichen auf Angehörige der Nominatform mung zu entnehmen (BARTHEL & SCHMIDT 1990, AL- M. citreola citreola hin. Die vom ♂ gezeigten ver- 28 KRÜGER & FRYE: Brut der Zitronenstelze in Niedersachsen 2013

waschenen „Rußflecken“ auf dem Scheitel (Abb. büschen bestandene Seggenwiesen in den Verlan- 3a) gelten nach ALSTRÖM et al. (2003) als innerhalb dungszonen von Flachseen usw.; s. GLUTZVON der Variationsbreite der Nominatform häufig vor- BLOTZHEIM & BAUER 1985). kommend. Dies trifft auch für die übrigen Gefie- derkennzeichen (z. B. die Ausdehnung des Schwar- Einordnung des Vorkommens zes im Nacken) zu, die zudem keinen Hinweis auf ein Vorkommen östlicher Vögel („werae“; S-Russ- In der Westpaläarktis gibt es zwei getrennte Brut- land, Kasachstan, NW-China) geben. Die Bestim- populationen der Zitronenstelze: eine, die in den mung der Vögel als Zitronenstelzen M. c. citreola borealen Zonen des nördlichen Russlands brütet wurde von der Deutschen Avifaunistischen Kom- und eine südlichere, die im südlichen Russland mit mission anerkannt (DAK, pers. Mitt.). westlichen Ausläufern z. B. in die Ukraine und Ru- mänien, in Kasachstan und vom Nordiran ostwärts Die Brut der Zitronenstelzen hat wegen des geringen vorkommt (HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Deutschland Alters der Jungvögel und dem beobachteten Ver- und damit auch Niedersachsen liegt somit außerhalb halten aller Individuen mit Sicherheit im Polder des Verbreitungsgebiets der Art. Allerdings gehört Glies stattgefunden, wahrscheinlich direkt im die Zitronenstelze zu denjenigen Arten, die sich Umfeld des Beobachtungsturmes. Dabei repräsen- rezent westwärts ausbreiten. Im Zuge dieser Areal- tieren die ausgedehnten, nassen Seggenwiesen, expansion der südlichen Brutpopulation fanden die offenen Wasserflächen mit zahlreichen Schlamm- erste Bruten in den 1950erer Jahren in der Umge- flächen, Weiden und Röhrichtstreifen einen Le- bung von Moskau statt, seit 1982 kommt die Art bensraumtyp, der im regulären Verbreitungsgebiet als Brutvogel in Weißrussland vor. In die baltischen der Art zu den bevorzugt besiedelten Bereichen Staaten, nach Polen und nach Finnland wanderte zählt (nasse Habitate wie offene Stellen in Über- die Zitronenstelze in den 1990er Jahren ein (HAMPE schwemmungsgebieten mit einem Mosaik aus ste- et al. 1996, HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Der schnelle hendem Röhricht, abgestorbenem Röhricht und Bestandsanstieg in Polen nach den ersten Bruten flach überfluteten Schlammflächen, mit Weiden- 1994 (MEISSNER & SKAKUJ 1997, SCIBORSKA 2004) hat aber bisher nicht zu einer längerfristigen Ausbreitung der Art nach Deutschland geführt. Auch in der Schweiz (1997) und in Öster- reich (2007) ist es im Verlauf der Arealexpansion zu ersten Ansiedlungen gekommen, die aber jeweils nur für ein Jahr bestanden (GLUTZ VON BLOTZHEIM 1997, RANNER & KHIL 2008). Schließlich wur- de 2011 auch in den Nie- derlanden erstmals eine Mischbrut mit einer Wie- senschafstelze nachgewie- sen (VAN DEN BERG & HAAS 2011, DRAAIJER & SLATERUS 2012) und sogar aus Frank- reich liegt aus demselben Abb. 4: Fotodokument des ersten niedersächsischen Brutnachweises der Zitronen- Jahr ein Brutnachweis vor stelze: Adultes ♂ und flügger Jungvogel, Büschelsmoor bei Scheeßel, Landkreis Ro- (LAUR-FOURNIÉ & PARIS 2011). tenburg (Wümme), Juli 2005. Foto: Gerd Rotzoll. – Photographic documentation of the first breeding record of Citrine Wagtail in Lower Saxony, Büschelsmoor, July In Niedersachsen hat die Zi- 2005. tronenstelze zuvor schon Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 29

einmal gebrütet: am 02. Juli 2005 wurde in ca. bestand Verdacht auf eine Mischbrut mit einer 65 km Entfernung zum Polder Glies in einem wie- Wiesenschafstelze, und 1999 beteiligte sich das dervernässten Teilbereich des Büschelsmoores zwi- Zitronenstelzen-♂ an Fütterungen am Nest einer schen Scheeßel und Lauenbrück, Landkreis Roten- Wiesenschafstelze. Weitere Mischbruten hat es in burg (Wümme), ein artreines Paar mit mindestens Brandenburg in den Jahren 2005 und 2011 gege- zwei flüggen Jungvögeln beobachtet. Die Vögel ben. Letztere verlief unter Beteiligung eines Zitro- hielten sich noch bis Mitte Juli im Gebiet auf und nenstelzen-♂ im zweiten Kalenderjahr und einer konnten von zahlreichen Ornithologen bestätigt weiblichen Wiesenschafstelze mit mindestens einem und dokumentiert werden (Abb. 4; W. u. A. flügge gewordenen Jungvogel erfolgreich (HAUPT HANOLDT, H. GRUBE, G. ROTZOLL in DEUTSCHE SELTENHEI- et al. 2001, DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 2000, TENKOMMISSION 2008). Selbst wenn die Brut nicht 2002, 2005, 2006, DEUTSCHE AVIFAUNISTISCHE KOM- direkt im Büschelsmoor stattgefunden haben sollte, MISSION 2013). muss sie aus der näheren Umgebung stammen, da die Jungvögel bei der ersten Sichtung gerade Der niedersächsische Brutnachweis aus dem Jahr erst flugfähig geworden waren und weitere Strecken 2013 stellt somit erst den dritten Brutnachweis zu diesem Zeitpunkt nicht hätten zurücklegt haben eines artreinen Zitronenstelzen-Paares und erst den können (G. ROTZOLL, pers. Mitt.). Bei dem Fundort zweiten Nachweis einer erfolgreichen Brut in handelt es sich um ein wiedervernässtes Hochmoor Deutschland dar. mit halboffenem Charakter. Dominierende Gehölze im Gebiet sind Moor-Birken Betula pubescens. Die offenen Wasserflächen hatten ein Binsen Juncus Dank spec. bestandenes Ufer, welches damals stellenweise Wir danken H. Kunze für die umsichtige Durchsicht offene Schlammfluren aufwies (KRÜGER et al. 2014). des Manuskripts und die wertvollen Hinweise sowie G. Rotzoll für die Übermittlung des Fotos aus dem Somit wurden die beiden bisherigen niedersächsi- Büschelsmoor. schen Brutvorkommen nicht in der Reviergrün- dungs- oder engeren Brutphase entdeckt, sondern erst in der Phase der Fütterung soeben flügger Summary – Breeding record of a pair of Jungvögel, in der die Art auffälliger und leichter Citrine Wagtails Motacilla citreola in nort- entdeckbar zu sein scheint. Entsprechend der Be- hern Lower Saxony 2013 obachtungen im Büschelsmoor 2005 und im Polder On 3rd July 2013 a brood of Citrine Wagtails Mo- Glies 2013 wären die in SÜDBECK et al. (2005) ge- tacilla citreola was discovered at Polder Glies, mu- machten Empfehlungen zur Erfassung warnender nicipal district of Cuxhaven, Lower Saxony. The und fütternder Altvögel der Art (bis Ende Juni) auf brood was raised by two adult Citrine Wagtails of die Zeit bis Mitte Juli auszuweiten. the nominate race and resulted in three fledged juveniles. The habitat of the breeding site can be In Mecklenburg-Vorpommern war es 1996 im Be- characterized as a former fen, which was cultivated reich der Karrendorfer Wiesen bei Greifswald zu in the 1950ies and was rewetted in 2006 in the einer erfolglosen Brut der Art gekommen, was course of conservation measures. It consists of den ersten Nachweis einer (artreinen) Zitronenstel- wide areas of open water, which are interspersed zenbrut in Deutschland darstellt. Im selben Gebiet by hummocks and reedbeds. Further, there is a hielten sich während des Sommers 1996 zwei wei- large sedge-meadow which merges into the reed tere ♂ auf (HAMPE et al. 1996). In den folgenden belt of the lake „Sellstedter See”. The edge of the Jahren gab es im Nordostdeutschen Tiefland weitere site is fringed by willow communities of floodplains. Bruthinweise. In Vorpommern wurden territoriale Until 6th July 2013, the family of Citrine Wagtails ♂ in den Jahren 1998 und 1999 festgestellt und was recorded at the site, after that day, the juveniles im darauf folgenden Jahr wurden Sommerbeob- disappeared as a result of their growing range of achtungen (25.06.-02.07.2000) eines Jungvogels activity. Both adults, male and female, were clearly gemeldet. Im Havelland besetzte ein ♂ alljährlich pure Citrine Wagtails, which did not show any zwischen 1997 und 2000 ein Revier. 1997 wurde characteristics of hybrid influence. The record con- es Futter tragend beobachtet, ein Jahr später stitutes the third breeding record of pure Citrine 30 KRÜGER & FRYE: Brut der Zitronenstelze in Niedersachsen 2013

Wagtails in Germany and, at the same time, the HAMPE, A., T. HEINICKE & A. J. HELBIG (1996): Erste Brut der second record of successful breeding of the species. Zitronenstelze Motacilla citreola in Deutschland. Limi- The first successful breeding took place only 65 km cola 10: 311-316. away in a rewetted peat bog at Büschelsmoor, HAUPT, H., W. MÄDLOW & U. TAMMLER (2001): Avifaunisti- municipal district of Rotenburg, Lower Saxony, in scher Jahresbericht für Brandenburg und Berlin 1999. 2005. Otis: 1-66. KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- Literatur 2008. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 48: 1-556. ALSTRÖM, P., K. MILD & B. ZETTERSTRÖM (2003): Pipits and LAUR-FOURNIÉ, O., & O. PARIS (2011): Premier cas de nidifi- Wagtails of Europe, Asia and North America. London. cation d'une Bergeronnette citrine Motacilla citreola BARTHEL, P. H., & C. SCHMIDT (1990): Hinweise zur Bestim- en France. Ornithos 18: 136-138. mung der Zitronenstelze Motacilla citreola. Limicola LETHO, H. (1990): Possible hybrid between Yellow and Ci- 4: 149-182. trine Wagtail in Finland. Dutch Bird. 12: 248. BUND (2012a): Feuchtgebiet Polder Glies. BUND Bremen, MEISSNER, W., & M. SKAKUJ (1997): First broods of the Ci- Faltblatt. trine Wagtail Motacilla citreola in Poland and changes BUND (2012b): Ersatzmaßnahme Polder Glies – Monito- in the species breeding range in Europe. Not. Ornithol. ring 2011. Unveröff. Bericht i. A. der Bremerhavener 38: 51-60. Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtent- MEYNEN, E., J. SCHMITHÜSEN, J. GELLERT, E. NEEF, H. MÜLLER- wicklung mbH (BIS). MINY & J. H. SCHULTZE (1953-1962): Handbuch der na- DEUTSCHE AVIFAUNISTISCHE KOMMISSION (Hrsg., 2013): Seltene turräumlichen Gliederung Deutschlands. Bundesan- Vögel in Deutschland 2011/12. Dachverband Deut- stalt für Landeskunde und Raumforschung, Bad scher Avifaunisten, Münster. Godesberg. DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION (2000): Seltene Vogelarten MILLINGTON, R. (1991): Spring Citrine and Yellow Wagtails. in Deutschland 1997. Limicola 14: 273-340. Birding World 4: 205-206. DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION (2002): Seltene Vogelarten MU NIEDERSACHSEN; NIEDERSÄCHSISCHE MINISTERIUM FÜR UMWELT, in Deutschland 1998. Limicola 16: 113-184. ENERGIE UND KLIMASCHUTZ (2014). Natur erleben in Nie- DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION (2005): Seltene Vogelarten dersachsen: Polder Glies. http://www.natur-erleben. in Deutschland 1999. Limicola 19: 1-63. niedersachsen.de/karte/poi-900000002-1195.html, DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION (2006): Seltene Vogelarten aufgerufen am 15.09.2014. in Deutschland 2000. Limicola 20: 281-353. RANNER, A., & L. KHIL (2008): Nachweise seltener und be- DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION (2008): Seltene Vogelarten merkenswerter Vogelarten in Österreich 2001-2006. in Deutschland 2001 bis 2005. Limicola 22: 249-339. Fünfter Bericht der Avifaunistischen Kommission von DRAAIJER, L., & R. SLATERUS (2012): Gemengd broedgeval BirdLife Österreich. Egretta 50: 51-75. van Citroenkwikstaart en Gele Kwikstaart bij Zeewolde SCIBORSKA, M. (2004): Breeding biology of the citrine wag- in 2011. Dutch Bird. 34: 85. tail (Motacilla citreola) in the Gdańsk region (N Poland). FISHER, I., & R. AHMED (2009): Identification of Citrine and J. Ornithol. 145: 41-47. Yellow Wagtails – a possible identification pitfall. Brit. SHIRIHAI, H. (1990): Possible hybrids between Yellow and Birds 102: 34-35. Citrine Wagtails in Israel. Dutch Bird. 12: 18-19. GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N. (1997): Erste Brut der Zitro- SHURULINKOV, P. S. (2012): Presumed hybrid Black-headed nenstelze Motacilla citreola in der Schweiz und aktu- x Black-backed Citrine Wagtail in Bulgaria in April eller Stand der Arealexpansion. Ornithol. Beob. 94: 2011. Dutch Bird. 34: 108. 347-352. SNOW, D., & C. PERRINS (1998): The Birds of the Western GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1985): Hand- Palaearctic. Concise Edition. Vol. 2. Oxford. buch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 10/II Passeriformes SÜDBECK, P., H. ANDRETZKE, S. FISCHER, K. GEDEON, T. SCHIKORE (1. Teil). Wiesbaden. K. SCHRÖDER & C. SUDFELDT (Hrsg., 2005): Methoden- GRANT, P. (1989): Citrine Wagtail identification. Birding standards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands. World 2: 393-395. Radolfzell. HAGEMEIJER, W. J. M., & M. J. BLAIR 1997: The EBCC atlas VAN DEN BERG, A. B., & M. HAAS (2011): WP reports. Dutch of European breeding birds: their distribution and Bird. 33: 254-268. abundance. London. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 31

Zum Vorkommen der Trauerente Melanitta nigra im nördli- chen Harzvorland

Jürgen Heuer

HEUER, J. (2014): Zum Vorkommen der Trauerente Melanitta nigra im nördlichen Harzvorland. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 31-36.

Nachweise der holarktisch verbreiteten Trauerente Melanitta nigra im nördlichen Harzvorland liegen bereits aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Für die Zeitspanne von 1900 bis 2014 wurden anhand des Schrifttums, unveröffentlichter Daten anderer Beobachter sowie eigener Feststellungen 122 Nachweise mit 553 Einzelvögeln ausgewertet. Von 1850 bis1950 konnten nur sehr wenige Vögel registriert werden. Bis dahin war diese Meeresente daher im Untersuchungsgebiet als Irrgast bzw. Ausnahmeerscheinung zu bezeichnen. Danach trat sie bis heute wesentlich häufiger und fast alljährlich auf und ist derzeit als regelmäßiger Durch- zügler und Wintergast einzustufen, wenngleich der Bestand in den letzten Jahren wieder rückläufig ist. Bei der Datenauswertung zeigte sich, dass der Herbstzug wesentlich ausge- prägter als der Frühjahrszug ist. Es wurden nur wenige ausgefärbte männliche Tiere beob- achtet. In der Vielzahl waren es Jungvögel und Weibchen. Die möglichen Ursachen dieses Trauerenten-Vorkommens werden diskutiert. Es werden zusätzliche Angaben zum Rasthabitat, zur Verweildauer sowie zu Nahrung und Verhalten gemacht.

J. H., Am Güdecken 33, D-38667 , juergen-heuer.bh@ t-online .de

Einleitung Die Beobachtung einer Trauerente mit einer extrem Die zu den „Meeresenten“ gehörende Trauerente langen Aufenthaltsdauer und einer vollständigen Melanitta nigra ist Brutvogel in der Nordwestpalä- Überwinterung soll hier zum Anlass genommen arktis, und zwar von Island, dem nördlichen Groß- werden, einige Daten über Phänologie, Vorkommen, britannien/Irland, dem nördlichen Eurasien bis Ost- Rastdauer, Verhalten und Rastgewässer dieser Art sibirien (RUTSCHKE 1989). In Mitteleuropa ist sie ein im nördlichen Harzvorland mitzuteilen. häufiger Durchzügler und Wintergast an den Küsten der Nord- und Ostsee (BAUER et. al. 2005). Mauser- züge mancher Populationen führen von Anfang Beobachtungsgebiet Juli bis Mitte September bis an die Küsten der süd- Das nördliche Harzvorland wird unterschiedlich lichen Nordsee (BAUER & GLUTZ VON BLOTZHEIM 1969). weit gefasst. Für diese Betrachtung werden insbe- Im niedersächsischen Binnenland hingegen ist sie sondere Daten aus dem Raum Braunschweig – ein eher seltener und unregelmäßiger Gast und im Salzgitter – Wolfenbüttel – Goslar herangezogen Vergleich zur Küste auch nur in geringerer Anzahl (vgl. Abb. 1). anzutreffen (HENNEBERG 1985). Dieser Status gilt auch für die küstenfernen niedersächsischen Börden Im 19. Jahrhundert war das Gebiet noch arm an und somit auch für das hier behandelte nördliche großen Stillgewässern, und somit gab es für Mee- Harzvorland (z. B. BLASIUS 1896, LÖBBECKE 1950, resenten, die große Gewässer zur Rast bevorzugen, WASSMANN 1984, BERNDT et. al. 1988). Für das kaum geeignete Rasthabitate. Dennoch sind einige nördliche Harzvorland Sachsen-Anhalts gilt etwa Feststellungen aus diesem Jahrhundert bekannt der gleiche Status. HAENSEL & KÖNIG (1974) be- geworden, insbesondere von den Flüssen (z. B. zeichnen sie als“ Seltener Gast im Vorland (und im Oker und Innerste) und aus Fischteichgebieten Harz)“. (z. B. Riddagshäuser Teiche, Stadt Braunschweig). 32 HEUER: Vorkommen der Trauerente im nördlichen Harzvorland

Der Mangel an großen Gewässern änderte sich erst in den 1950/1960er Jahren. Hier entstanden vor allem in den Flusstälern große Bodenab- baugewässer (Kiesteiche) und In- dustriegewässer (Klärteiche). Die meisten Beobachtungen der Traue- rente stammen vom Klärteich III bei Salzgitter-Heerte, den Riddagshäuser Fischteichen und von zahlreichen weiteren Kiesseen im Gebiet. Diese Gewässer entsprechen bedingt durch ihre Größe und Tiefe sowie dem Nahrungsangebot eher den Lebens- raumansprüchen dieser Meeresente. Mit Ausnahme eines Nachweises auf der Innerstetalsperre wurde die Trauerente auf den Gewässern des Westharzes nicht festgestellt (SKIBA 1971). Es handelt sich hier aus- nahmslos um anthropogene Ge- wässer, die bevorzugt von dieser Art als Rast- oder Überwinterungs- platz genutzt werden.

Material, Danksagung Für diese Auswertung wurde neben eigenen Beobachtungsdaten vor al- lem die vorliegende Literatur, ins- Abb. 1: Lage der Rastgewässer der Trauerente im nördlichen Harzvorland. besondere die regionalen Sammel- – Sites of observations of Common Scoter in the northern Harz foreland. berichte, Rundbriefe etc. ausgewertet (s. Liste am Ende der Arbeit). Eine weitere wichtige Datenquelle ist die sogenannte gung der Grafiken danke ich folgenden Herren „Hügellandkartei“ der DBV/NABU Bezirksgruppe recht herzlich: H. Ehlers, C. Fuchs, W. Heilmann, Braunschweig. Sie enthält Beobachtungsdaten ab N. Krott, P. Kunze, M. Müller, W. Oldekop, W. 1948 aus Braunschweig und Umgebung, diese Wimmer und H. Zang. wurden ebenfalls ausgewertet. Das Datenmaterial stammt aus dem Zeitraum von 1850 bis 2014. Zugphänologie und Vorkommen An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich bei den Der Wegzug findet von Oktober bis Dezember mit 553 beobachteten Trauerenten aus 122 Nachweisen einem Gipfel im November statt (Abb. 2); der in der überwiegenden Zahl der Fälle um Weibchen schwache Heimzug macht sich von März bis Mai bzw. immature Vögel gehandelt hat. Als ausgefärbte bemerkbar. Bei von Januar bis Februar beobachteten Männchen wurden nur wenige Exemplare bestimmt, Trauerenten könnte es sich auch um Wintergäste nämlich 8,8 %. Bei vielen Nachweisen wurden handeln. Auch Juni- und Septemberbeobachtungen Alter und Geschlecht aber nicht festgehalten und sind bekannt (JUNG 1971). sind hier deshalb als „unbestimmt“ zu bezeichnen. BLASIUS (1896) nennt nur zwei Nachweise aus der Für die Überlassung ihrer Beobachtungsdaten, Be- 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, und zwar am schaffung von Literatur und Hilfen bei der Anferti- 19.02.1868 bei Braunschweig sowie am 19.04.1868 Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 33

auf dem „Harze“. Zur da- 120 maligen Zeit war die Art im unbekannt weibchenfarbig Männchen Betrachtungsgebiet eine äu- 100 ßerst seltene Erscheinung. Dieser Status änderte sich auch in der Zeitspanne von 80 1900 bis etwa 1960 nicht. Nur in 8 Jahren gelangen 60 Nachweise mit in der Sum- Anzahl me 16 Exemplaren. Die Art war bis 1960 insofern als 40 Ausnahmeerscheinung bzw. Irrgast einzustufen. Erst in 20 den1960er Jahren änderte sich dieses Muster bis 2014 0 recht auffallend (Abb. 3). 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 In 54 Jahren gab es nur 11 Dekaden Jahre ohne Nachweis von Trauerenten. Auf der einen Abb. 2: Jahreszeitliches Vorkommen der Trauerente im nördlichen Harzvorland (n = Seite gab es insbesondere 553). Dekadensummen 1900 bis 2014. – Phenology of Common Scoter in northern von Mitte der 1960er Jahre Harz foreland. bis Ende der 1970er Jahre immer wieder invasionsar- tige Einflüge der Art, auf der anderen Seite war sie ab den 1990er Jahren ging die Zahl der im nördlichen in einzelnen Jahren dazwischen überhaupt nicht Harzvorland beobachteten Trauerenten wieder zu- festzustellen oder nur in sehr geringer Zahl. Größere rück. Einflüge erfolgten 1972 mit über 50 und 1975 mit 60 Exemplaren. Von da ab wurden bis heute keine Die Gründe für das weitgehende Fehlen der Art größeren Einflüge mehr bemerkt, im Gegenteil, bis 1960 dürften wohl auch darin zu sehen sein, dass das nördliche Harzvor- 70 land zu jener Zeit kaum ge- eignete Großgewässer auf- 60 zuweisen hatte. Die meisten größeren Kiesteiche entstan- 50 den später bzw. erreichten dann erst eine entsprechende 40 Wasserfläche, die für Mee- resenten und oder auch für

Anzahl 30 Seetaucher (Gaviidae) attraktiv war. Das wichtigste Rastge- wässer, der Klärteich III bei 20 Salzgitter-Heerte (220 ha) ent- stand 1951, die Kiesteiche 10 bei Isingerode (85 ha) bereits 1938, der Salzgitter-See (75 0 ha) 1974. Die Kiesteiche im 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Okersteinfeld zwischen Vie- Jahre nenburg und Goslar in den Abb. 3: Trauerentennachweise (Jahresummen) im nördlichen Harzvorland von 1900 1960er Jahren; hier wird heu- bis 2014 (n = 553). – Records (yearly sums) of Common Scoter 1900 to 2014 in te noch Kies abgebaut. Bis northern Harz foreland. auf den Klärteich bei Heerte 34 HEUER: Vorkommen der Trauerente im nördlichen Harzvorland

handelt es sich jeweils um Kiesteiche; es sind tiefe, u. a. durch Ölverschmutzung, Stellnetzfischerei, klare Gewässer, wo eine gute Erreichbarkeit der Nahrungsmangel auch durch Muschelfischerei Nahrung gegeben ist. Der Heerter Klärteich indes sowie Windenergieanlagen gefährdet, so dass wei- entstand als Absatzteich der Eisenerzwäsche, der tere Bestandseinbußen möglich sind. Eventuell Salzgehalt war – bis die Einspülungen 1976 auf- spielen auch klimatische Ereignisse eine Rolle; ins- hörten – vergleichsweise hoch. Je nach Wasserstand besondere die milden Winter könnten Überwinte- umfasst die Wasserfläche heute nur noch ca. 150 rungen in nördlicheren Gebieten ermöglichen. ha, und die maximale Wassertiefe beträgt ca. 2,5 Meter. Verweildauer, Nahrung und Verhalten

Natürlich war in dieser Zeitspanne auch der Kreis Am 30.12.2013 konnte auf dem Kiesteich bei Isin- der Vogelbeobachter eher klein, und die vorhandene gerode (Landkreis Wolfenbüttel) eine weibchen- Bestimmungsliteratur sowie die verfügbare Optik farbene Trauerente festgestellt werden. Dieser war noch längst nicht so qualitätsvoll wie heute. Vogel hielt sich über einen langen Zeitabschnitt Auch die Erreichbarkeit der Beobachtungsgewässer auf diesem Gewässer auf, dabei wurde er fast war zur damaligen Zeit nicht optimal. täglich beobachtet. Letztmalig am 07.04.2014; somit blieb der Vogel über mindestens 99 Tage im Ab Mitte der 1960er Jahre änderte sich diese Si- Gebiet. Damit konnte eine vollständige Überwin- tuation auffällig, und die Trauerente konnte viel terung dieser Art zweifelsfrei dokumentiert werden. häufiger und regelmäßiger im nördlichen Harzvor- Dem äußeren Anschein nach war der Gastvogel land beobachtet werden. Die Ursachen dafür sind von guter Gesundheit und wurde auch mehrfach vielfältig: Vermehrte Rasthabitate, steigende Be- fliegend beobachtet. Dabei zeigte er seine helle obachterzahlen, eine verbesserte Optik und Be- Unterseite, die ihn als Jungvogel auswies. Die bis stimmungsliteratur sind hier zu nennen, andererseits dahin längste bekannt gewordene Verweildauer sind möglicherweise auch biologische, ökologische betrug 31 Tage. Sie gelang auf dem Klärteich bei oder meteorologische Faktoren für das vermehrte SZ-Heerte (JUNG1971). Meist wurden die Vögel nur Auftreten der Art im nördlichen Harzvorland maß- an einem Tag beobachtet. geblich gewesen. Oft wird das Erscheinen von Mee resenten im Binnenland mit Wettereinflüssen Sicherlich begünstigte der sehr milde Winter wie Kältewintern und starken Stürmen in Verbindung 2013/14 diesen langen Aufenthalt, denn in der gebracht. In den hier aufgeführten Nachweisen Regel verlassen die Wintergäste spätestens bei kann dies nicht bestätigt werden, da Trauerenten Vereisung der Gewässer das Rastgebiet gezwun- sowohl in milden als auch in strengen Wintern genermaßen. Auch aus diesem Grunde sind Nach- und bei ruhigen Wetterlagen wie bei starken Wind- weise vollständiger Überwinterungen aus dem verhältnissen beobachtet wurden. nördlichen Harzvorland bislang nicht bekannt. Auch anderswo im Binnenland stellen sie eine Sel- Nach Maxima in den 1970er Jahren und noch tenheit dar. einmal 1988 gingen die Zahlen der durchziehenden Trauerenten wieder stark zurück (Abb. 3). WASSMANN Die Aufenthaltsdauer von 99 Tagen steht sicherlich (2008) nennt z. B für den Klärteich in Heerte von auch mit einer guten nahrungsökologischen Si- 1993 bis 2007 lediglich 6 Nachweise. Größere Ein- tuation im Zusammenhang. Die Trauerente ernährt flüge wurden nicht mehr festgestellt. Die Ursachen sich im Meer hauptsächlich von Muscheln, Schne- sind auch für diese Entwicklung unklar, könnten cken und Krebstieren. Im Süßwasser spielen Mol- aber u. a. mit Rückgängen der Winterbestände in lusken, Insekten und deren Larven eine große der Nordsee und in der südlichen Ostsee zusam- Rolle, zu geringen Anteilen auch Pflanzen (BAUER menhängen. Der Winterbestand der Trauerente ist et. al 2005). Die Ausgrabungsgewässer im Harz- von 1992-1994 im Vergleich zu 2007-2009 in der vorland beherbergen große Bestände der Drei- Ostsee um 47,6% zurückgegangen (KRUCKENBERG kantmuschel Dreissena polymorpha, die nach ei- et al. 2012). Auch in den Niederlanden sind die genen Beobachtungen für einige Anatiden, z. B. Winterbestände seit der Mitte der 1990er Jahre Reiherente Aythya fuligula, Tafelente Aythya ferina deutlich rückläufig (WAHL et al. 2011). Die Art ist und Schellente Bucephala clangula eine gute Nah- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 35

rungsgrundlage bilden, ins- besondere im Winter. Auch Industriegewässer die Trauerente wird diese 33,1 % Bodenabbaugewässer Muschel während ihres lan- gen Aufenthalts auf dem Fischteiche

Kiesteich bei Isingerode als Fließgewässer Nahrung genutzt haben. FLADE & JEBRAM (1995) nen- Talsperren nen Dreissena polymorpha Parkgewässer als Hauptnahrung für die rastenden Trauerenten bei 9,2 % Wolfsburg. 51,3 % Auffällig war gerade in die- Fließgewässer 2,3 % sem Zusammenhang, dass Talsperren die Trauerente sehr oft in Parkgewässer 1,5 % Gesellschaft von tauchenden 2,6 % Schellenten beobachtet wur- de. Möglicherweise ging sie Abb. 4: Habitatwahl (n= 122) der Trauerente im nördlichen Harzvorland – Habitat mit diesen gemeinschaftlich choice of Common Scoter in northern Harz foreland. der Nahrungssuche nach. Später war sie oft mit Bläss- hühnern Fulica atra und Reiherenten beim ge- Summary – Occurrence of the Common meinschaftlichen Tauchen festzustellen. Vielleicht Scoter Melanitta nigra in the Northern fühlte sie sich in einer größeren Gruppe aber auch Harz Foreland. sicherer. The occurrence of holarctic Common Scoter Mela- Als Rastgewässer bevorzugen Trauerenten im nörd- nitta nigra in the northern Harz foreland was lichen Harzvorland die großen Bodenabbaugewässer, already recorded in the second half of the 19th also Kies- und Sandgruben (z. B. Kiesteich Isingerode, century. For the period from 1900 to 2014, 122 Salzgittersee) sowie große Klärteiche (z. B. Klärteich records comprising 553 individual birds have been bei Salzgitter-Heerte; Abb. 4). Dies gilt z. B. auch evaluated for this study on the basis of data in lite- für Südniedersachsen (SCHELPER 1980/81). BRINKMANN rature as well as unpublished data supplied by dif- (1933) nennt aber auch Flüsse, und zwar die ferent observers and the author’s own records. Innerste bei Hildesheim bzw. die Oker südlich von Between 1850 and 1950 only very few birds were Braunschweig als Rastgewässer. In den 1950er bis recorded. In this period, the occurrence of the 1970er Jahren war ebenfalls das Riddagshäuser marine duck in the study area must be considered Teichgebiet ein häufig frequentiertes Rastgebiet. as exceptional. Since then, the species has been Auf den Talsperren des Harzes können Trauerenten recorded more often, nearly annually. At present, ebenfalls auftreten: In der Zeit vom 02. bis the Common Scoter can be classified as a regular 19.11.1972 hielt sich ein Trupp von 17 Trauerenten passage migrant or wintering guest, although auf der Innerstetalsperre zwischen numbers have declined again in the last years. The und Wolfshagen auf (HENNEBERG 1985). Der zah- data reveal that the numbers of autumn migration lenmäßig stärkste Trupp von 37 Exemplaren stammt clearly surpass those of spring migration. Records aus dem Jahre 1988 vom Klärteich Salzgitter- of mature male birds are rare. Most observations Heerte (WASSMANN 2008). concern immature birds or females. Probable causes of the occurrence of the species in the region are Insgesamt wurden Trauerenten im Bearbeitungsgebiet discussed, and additional information on the stop- aber überwiegend als Einzelvögel festgestellt, Trupp- over ecology of the migrants is provided. größen von über 5 Individuen waren insbesondere in den letzten Jahren ausgesprochen selten. 36 HEUER: Vorkommen der Trauerente im nördlichen Harzvorland

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Ansiedlung von Flussseeschwalben Sterna hirundo am Steinhuder Meer

Thomas Brandt

BRANDT, T. (2014): Ansiedlung von Flussseeschwalben Sterna hirundo am Steinhuder Meer. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 37-44.

Auf einem 9.000 m² großen als Naturschutzmaßnahme angelegten Gewässer im NSG Meer- bruchswiesen am Westufer des Steinhuder Meeres, Region Hannover, Landkreis Nienburg brüteten 2014 erstmalig sechs Flussseeschwalbenpaare Sterna hirundo auf einem für diese Art hergerichteten Floß. Es flogen 14 Jungvögel (2,3 Juv./Bp) aus. Es handelte sich um die ersten dokumentierten Bruten am Steinhuder Meer bzw. dessen Umfeld seit mindestens 50 Jahren. Der nicht exakt zu terminierende Legebeginn der meisten Paare fiel in die letzte Mai- dekade. Ein sechstes Paar begann mit der Brut als Nachzügler Mitte Juni. Unter den Altvögeln konnte nur eine beringte Flussseeschwalbe nachgewiesen werden. Nach den Beobachtungen wurden die Jungvögel ausschließlich mit Fischen versorgt, die bis zu 7,2 Kilometern vom Brutplatz entfernt gefangen wurden.

T. B., Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM e.V.), Hagenburger Str. 16, D-31547 Rehburg-Loccum. [email protected]

Einleitung malige Vorkommen nur wenig dokumentiert: LÖNS (1905, zit. in BRINKMANN 1933, WEISSKÖPPEL 1975) Die Flussseeschwalbe Sterna hirundo (Abb.1) brütet nannte die Art bereits 1905 als Brutvogel des innerhalb Deutschlands vor allem an der Nordsee- Steinhuder Meeres. Im Juli 1937 wurde am Bannsee, küste, weniger häufig an der Ostseeküste und - einem kleinen Moorrandgewässer etwa 2 km nörd- erheblich seltener - im Binnenland. Hier war die lich des Steinhuder Meeres, ein Gelege gefunden. Art in den letzten Jahrhunderten vor allem aufgrund Am Nordufer des Steinhuder Meeres beobachtete der starken Veränderungen (Flussregulierungen) man am 20.07.1964 bettelnde Jungvögel beob- an den Fließgewässern stark im Bestand zurück- achtet, die sich aber möglicherweise bereits „auf gegangen. Ehemalige Vorkommen in Mooren und dem Zuge befunden haben“ konnten (WEISSKÖPPEL an den Binnenseen verschwanden zunehmend 1975). Seitdem liegen keine Beobachtungen vor, (GROSSKOPF 1991). Als Gründe hierfür sind vermutlich die auf ein sicheres, wahrscheinliches oder mögliches ebenfalls die Verschlechterung der Lebensbedin- Brutvorkommen schließen lassen. Auch als Durch- gungen, z. B. durch die großflächigen Entwässe- zügler und Nahrungsgast wurden Flussseeschwalben rungen oder Eutrophierung, anzuführen. in den darauf folgenden Jahrzehnten nur selten beobachtet. Während der Wasservogelzählungen, In Niederachsen besiedeln die rund 3000 Flusssee- die – mit Ausnahme des Jahres 2012 – seit 1994 schwalbenpaare fast ausschließlich die naturräum- zweimal je Monat an Zählterminen durchgeführt liche Region Watten- und Marschen, hier vor allem werden, wurden erstmalig am 02.09.1999 Fluss- die Wattenmeerinseln. Im Binnenland brüteten seeschwalben festgestellt (2 Ind.). Im Sommer Flussseeschwalben zwischen 2005 und 2008 da- 1999 klarte der Wasserkörper das Steinhuder Mee- gegen in nur 15 kleineren Kolonien (KRÜGER et al. res, der bis dahin äußerst trüb gewesen war, 2014). erstmals nach Jahrzehnten vorübergehend auf. Danach erfolgten Feststellungen am 14.08. (1 Ind.) Am niedersächsischen Steinhuder Meer sind ehe- sowie am 19.09.2001 (10 Ind.). 38 BRANDT: Ansiedlung von Flussseeschwalben am Steinhuder Meer

wert = 35 Individuen; KRÜGER et al. 2013).

Im März 2013 wurde im Rahmen einer Artenschutz- maßnahme ein Brutfloß für Flussseeschwalben auf ei- nem angelegten Natur- schutzgewässer ausge- bracht, im März 2014 dort ein zweites. Daraufhin sie- delten sich 2014 sechs Brut- paare an. Diese neue Bru- tansiedlung, damit die Wie- derbesiedlung des Steinhu- der Meeres nach Jahrzehn- ten, wird im Folgenden be- schrieben.

Abb. 1: Flussseeschwalben Sterna hirundo sind regelmäßige Nahrungsgäste und Untersuchungsgebiet Durchzügler am Steinhuder Meer und brüteten dort 2014 erstmalig seit Jahrzehnten. Foto: Claus-Dieter Böhm. – Common Terns are frequent foraging guests and passage Das Steinhuder Meer ist mit migrants at the Steinhuder Meer, and in 2014 they bred for the first time after at einer Fläche von etwa 28 least 50 years. km² das größte Binnenge- wässer Niedersachsens und liegt etwa 30 km westlich Eine Beobachtung von zwei Flussseeschwalben am von Hannover im Weser-Aller-Flachland. Das West- 30.06.2003 fällt erstmals in die Brutzeit. Erst ab ufer ist Bestandteil des Naturschutzgebietes (NSG) 2008 nahmen die Beobachtungen von Flusssee- Meerbruch, daran angrenzend liegt das 1.025 ha schwalben in den Sommermonaten deutlich zu, große NSG Meerbruchswiesen mit großen Feucht- vermutlich einhergehend mit der zunehmenden wiesenkomplexen (BRANDT & VOLMER 2011). In dem Besiedlung von Kiesabbaugebieten entlang der NSG Meerbruchswiesen sind im Rahmen von Na- Weser bei Nienburg (Niedersachsen) und Minden turschutzmaßnahmen mehr als 120 unterschiedlich (Nordrhein-Westfalen). So konnten beispielsweise große und tiefe Gewässer zur Förderung verschie- 52 Vögel allein am 07.08.2010, also nach dem dener Zielarten angelegt worden. Rund die Hälfte Flüggewerden der meisten Jungvögel in den Kolonien, und 46 am 24.06.2013, mitten in der Brutzeit ge- zählt werden, ohne dass die Art im Gebiet brütete bzw. aufgrund des Mangels an geeigneten Brutplätzen brü- ten konnte. Das im nieder- sächsischen Tiefland liegen- de und zu diesem Zeitpunkt wieder eingetrübte Stein- huder Meer erreichte somit erstmals 2010 eine landes- Abb. 2: Das Brutgewässer in einem Grünlandbereich westlich des Steinhuder Meer weite Bedeutung als Rast- Ufers. Foto: Thomas Brandt. – Breeding pond situated in wet meadows west of the gebiet für die Art (Kriterien- Steinhuder Meer. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 39

dieser Gewässer dient dem Schutz der Amphibienfauna. Sie trocknen in warmen Sommern aus und sind so- mit frei von Fischen (BRANDT et al. 2009). Zur Förderung seltener und gefährdeter Fischarten wurden tiefere Gewässer angelegt und ver- landete Bachläufe geöffnet. Zehn dieser Gewässer wur- den mit Karauschen Caras- sius carassius, Moderlieschen Leucaspius delineatus und/oder Schlammpeitzgern Misgurnus fossilis besetzt (BRANDT & FINCH 2014). Da- Abb. 3: Die beiden Brutflöße am Steinhuder Meer. Auf dem hinteren Floß brüteten rüber hinaus sind zahlreiche 2014 sechs Flussseeschwalbenpaare. Die Bauweise des vorderen Floßes hat sich Gräben und – meist stark nicht bewährt (Details s. Text). Foto: Eva Lüers. – Breeding rafts at the Steinhuder überformte und regelmäßig Meer. Six pairs of Common Terns bred on the back raft. The raft without fence in unterhaltene – Bäche vor- front was highly frequented by waterfowl and did not stand the test. handen (z. B. FINCH et al. 2010). Diese sind teilweise sehr fischreich. Seiten mit in das Wasser reichenden Seitenteilen aus Holz versehen, um in das Wasser fallenden Für das Artenhilfsprojekt „Flussseeschwalbe“ wurde Küken eine Rückkehr auf das Floß zu ermöglichen. 2013 ein ca. 9.000 m² großes und an den breitesten Es wurde etwa 25 m vom nächsten Ufer entfernt Stellen 130 x 80 m messendes Gewässer ausgewählt, befestigt. welches im Jahr 2009 rund 300 m vom Ufer des Steinhuder Meeres entfernt in einer extensiv ge- Ein zweites, gleich großes und ebenfalls mit einer nutzten Grünlandfläche auf Niedermoorboden an- entsprechenden Kiesschicht bedecktes Floß (Floß 2) gelegt wurde (Abb. 2). Der Abstand zu den nächsten wurde im März 2014 auf demselben Gewässer niedrigen Gehölzen und zu Schilf Phragmites rund 35 m von Floß 1 entfernt aufgebracht (Abb. 3). australis beträgt 20 bzw. 45 m, zu einer höheren Dieses schwimmt zur Verringerung des Tiefgangs Baumkulisse ca. 170 m. Die Ufer des max. 1,0 m auf verschlossenen Kanalgrund-(KG) Rohren und tiefen Gewässers sind sehr flach und gehen ohne wurde mit einer 10-15 cm hohen Bretterumrandung ausgeprägte Röhrichtzone in das Grünland über. und einem 50 cm hohen „Maschendraht“ umzäunt, Das Gewässer wurde 2010 mit Moderlieschen und um das Herunterfallen von Seeschwalbenküken 2011 mit Karauschen besetzt. Darüber hinaus zu verhindern. Zudem sollte die Umzäunung En- leben Neunstachlige Stichlinge Pungitius pungitius tenvögel abhalten, die das Floß „besetzen“ könn- in dem Gewässer. Vorkommen anderer Fischarten ten. sind nicht bekannt, aber nicht auszuschließen. Auf beiden Flößen wurden für die Küken kleine Material und Methode Holzwinkel (3 auf Floß 1, 4 auf Floß 2) mit einer Firsthöhe von ca. 15 cm dachförmig als Schutz vor Im März 2013 wurde als Artenhilfsmaßnahme für Hitze und Regen auf die Kiesschicht gestellt. Flussseeschwalben auf dem o. g. Gewässer ein Floß aufgebracht (Floß 1). Das mit einer etwa 5 cm Während Floß 1 komplett einsehbar ist, ist der hohen Kiesschicht (Körnung 4-10mm) bedeckte Boden auf Floß 2 aufgrund der Bretterumrandung Floß hat eine Größe von 4,4 x 3,5 m (15,4 m²), aus einer Entfernung von ca. 100 m nur unvoll- schwimmt auf Regentonnen und ist an allen vier ständig einsehbar (Abb. 3). 40 BRANDT: Ansiedlung von Flussseeschwalben am Steinhuder Meer

attackiert wurde und die Brut schließlich aufgab.

Die ersten mindestens sechs Jungvögel waren am 03. Juli so groß und mobil, dass sie hinter der Bret- terumrandung mehrfach zu sehen waren. Bei wei- teren Kontrollen am 07. Juli (Abb. 4), nach einer Schlechtwetterphase am 10. Juli sowie am 14. Juli Abb. 4: Die ersten jungen Flussseeschwalben am Stein- konnten 12-13 lebende, darunter am letzten Datum huder Meer seit mindestens 50 Jahren, 07. Juli 2014. mindestens vier bereits auffliegende sowie ein Foto: ÖSSM-Archiv. – The first juvenile Common Terns totes Küken festgestellt werden. Am 13. Juli foto- for at least 50 years at the Steinhuder Meer. grafierten Beobachter auf dem nahen Steinhuder Meer einen diesjährigen Jungvogel, dessen Zuge- hörigkeit zu der Kolonie möglich ist. Ergebnisse Am 18. Juli waren auf Floß 2 elf Jungvögel zu Besiedlung der Flöße sehen, acht davon trugen bereits das komplette Konturgefieder (Jugendkleid), drei weitgehend bis Bereits im Mai 2013 wurde Floß 1 von Flusssee- auf den Kopf. Am 22. Juli waren auf dem Floß vier schwalben regelmäßig angeflogen, und es wurden Jungvögel anwesend, darunter zwei beinah komplett zeitgleich maximal drei Vögel auf dem Floß beob- ins Jugendkleid gemauserte, aber auch zwei maximal achtet. Trotz beobachteter Futterübergaben und 10 Tage alte Jungvögel im Dunenkleid, die zuvor dem Scharren von Nistmulden an mehreren Stellen sicher nicht gesehen wurden, da sehr kleine Küken begannen die Vögel offensichtlich nicht mit der Ei- hinter der Brettereinfassung nicht zu erfassen sind. ablage. Stattdessen nutzten Graugänse Anser Diese waren einem sechsten Paar zuzuordnen. Die anser, Nilgänse Alopochen aegyptiaca, Stockenten anderen Jungvögel waren ausgeflogen, drei saßen Anas platyrhynchos und Schnatterenten Anas stre- auf einem Baumstamm, der in ca. 15 m Entfernung pera das aufgrund der in das Wasser reichenden aus dem Gewässer ragt, weitere kreisten zusammen Seitenbretter gut von ihnen zu besteigende Floß mit Altvögeln über dem Gewässer (insgesamt 17 häufig als Ruheplatz. Eine Vertreibung der See- Vögel). Die Zahl der Jungvögel war nicht genau zu schwalben durch die fast kontinuierlich anwesenden bestimmen. Falls zwischen dem 18. und 22.7. Entenvögel war anzunehmen, so dass in der Kon- keine Jungvögel umgekommen sein sollten, waren sequenz das ein Jahr später eingesetzte Floß 2 bis dahin vermutlich 12 Jungvögel ausgeflogen. anders konstruiert wurde (s. o.). Der das Floß 2 Die beiden letzten Jungvögel hatten spätestens umgrenzende Zaun wurde allerdings nach Einsetzen am 01.08. das Floß verlassen, saßen wenige Meter auf das Gewässer von Gänsen teilweise niederge- daneben auf einem im Wasser liegenden Baum- drückt und das Floß 2 noch im April 2014 von Nil- stamm und flogen zeitweise von dort auf. Weitere gänsen als Brutplatz genutzt. sieben Seeschwalben attackierten über rund 10 min eine diesjährige Großmöwe Larus spec. Insge- Am 03. Mai wurden erstmalig im Jahr 2014 wieder samt flogen wahrscheinlich 14 Küken aus, was ei- drei Flussseeschwalben in Nähe der Flöße beob- nem Bruterfolg von 2,3 Juv./Bp entspräche. achtet, am 11. Juni balzten zwei Vögel auf Floß 1 und mindestens neun Vögel waren auf Floß 2 an- Der Brutbeginn der Flussseeschwalben lässt sich wesend. Die Nilgansküken waren zu dem Zeitpunkt anhand des Flüggewerdens der Jungvögel nur nä- geschlüpft. Die Nilgänse nutzen in den folgenden herungsweise zurückrechnen, da Nistmulden auf Wochen regelmäßig Floß 1 und wurden auf Floß 2 dem Floß aufgrund der Bretterumrandung nicht nicht mehr festgestellt. Bei den folgenden Kontrollen und selbst die brütenden Vögel nur teilweise zu wurden jeweils mehrere Seeschwalbenpaare und sehen waren. Einzelvögel auf dem unvollständig einsehbaren Floß 2 beobachtet, jedoch keine mehr auf Floß 1. Vom Flüggewerden der ersten Jungvögel zwischen Am 26. Juni brütete außerdem ein Lachmöwenpaar dem 18. und 22. Juli lässt sich nach einer rund 7- auf Floß 2, welches bei An- und Abflügen heftig wöchigen Brut- und Aufzuchtszeit auf einen Lege- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 41

beginn in der letzten Mai- dekade schließen. Das sechste Paar dürfte um Mitte Juni mit der Brut begonnen haben. Es ist zu vermuten, dass es sich hierbei um das Paar handelte, welches am 11. Juni noch auf Floß 1 balzte.

Unter den 12 Altvögeln wur- de nur eine beringte Fluss- seeschwalbe (Metallring rechts, unbekannte Num- mer) gesehen. Die Herkunft der Altvögel ist damit nicht zu erschließen. Abb. 5: Die Flussseeschwalben nutzen sowohl das Steinhuder Meer als auch die an- Nahrungssuche und Nah- gelegten Gewässer zur Beutesuche. Foto: Claus-Dieter Böhm. – Common Terns rungswahl forage at lake Steinhuder Meer and also at ponds in the surrounding area. Die Seeschwalben jagten auf dem gesamten Stein- huder Meer, aber auch auf Naturschutzgewässern Weser-Aller-Flachlandes zu sehen, in dessen Zuge im NSG Meerbruchswiesen nach Fischen (Abb. 5). im Jahr 1993 erstmals seit 1959 oder 1964 (mögliche Es wurden Seeschwalben gesehen, die Fische vom Brut am Steinhuder Meer nach P. WEISSKÖPPEL 1975 Ostufer über rund 7,2 km bis zu den Brutflößen im Jahr 1964; s. o.) eine erste Brut auf einem Kies- transportierten. Fütterungen des Partners oder der teich an der Weser bei Nienburg nachgewiesen Jungvögel wurden in rund 20 Fällen dokumentiert. wurde (RÖSLER 1995). Im entlang der Weser strom- Jeweils wurden Fische, davon in mindestens vier aufwärts angrenzenden westfälischen Landkreis Fällen Moderlieschen aus dem Brutgewässer ver- Minden-Lübbecke gelang der erste Brutnachweis füttert. Eine Bestimmung der anderen Beutefische schließlich im Jahr 2000, ebenfalls auf einem Kies- war nicht möglich. Bei fast allen Brutplatzkontrollen teich, wo die Vögel vermutlich bereits schon ein wurden Seeschwalben beobachtet, die am Brut- Jahr zuvor gebrütet hatten (ZIEGLER 2000). Auch in gewässer jagten. 2013 und 2014 wurden Bruten entlang der nur rund 15 km vom Steinhuder Meer entfernten Diskussion Weser nachgewiesen (pers. Mitt. von C. König, M. Leineberger, E. Möller, J. Rösler sowie Daten auf Ansiedlung im Kontext der regionalen Ent- der Beobachtungsplattform ornitho.de) wicklung und Herkunft der Altvögel Die Herkunft der Brutvögel vom Steinhuder Meer Das Artenhilfsprojekt „Flussseeschwalbe“ zeigte lässt sich nicht klären. Da erstbrütende Paare in einen überraschend schnellen Erfolg. Bereits in der der Regel später brüten als alte Paare (CABOT & zweiten Saison nach Einsetzen des ersten und nur NISBET 2013), ist aufgrund des vom Zeitpunkt her wenige Wochen nach Einsetzen des zweiten Floßes durchschnittlichen Brutbeginns bei fünf der sechs brüteten Flussseeschwalben 2014 erfolgreich auf Paare nicht davon auszugehen, dass es sich um dem Floß, dessen Bauweise mit Umzäunung sich Erstbrüter handelte. Stattdessen ist zu vermuten, gegenüber der des ersten und häufig von Enten- dass es Paare waren, deren frühere Brutplätze vögeln frequentierten Floßes bewährte. Die An- nicht nutzbar waren (z. B. aufgrund der im Vergleich siedlung ist sicherlich im Kontext der vorausge- zu den Vorjahren hohen Wasserstände in den Kies- gangenen Wiederbesiedlung des niedersächsischen teichen an der Weser) oder für die aus energetischen 42 BRANDT: Ansiedlung von Flussseeschwalben am Steinhuder Meer

Gründen eine Brutplatzwahl in der Nähe des nah- ist bei Nahrungsknappheit der Kükenverlust durch rungsreichen Steinhuder Meeres und seiner Ne- intraspezifische Aggression, der mit zunehmender bengewässer günstiger war. Insbesondere die letzte Dichte linear auf 60 % der geschlüpften Küken Annahme wird dadurch gestützt, dass in den Vor- anstieg. SUDMANN (1998) empfiehlt deswegen Flöße jahren Flussseeschwalben mit Fischen im Schnabel so zu dimensionieren, dass mindestens 1,25 m² in Richtung Weser flogen, wobei die in diesen Floßfläche pro Brutpaar zur Verfügung stehen Jahren nächst gelegenen, bekannten Brutplätze Diese Dichte war auf dem Brutfloß am Steinhuder 15 (Stolzenau) bzw. 20 km (Windheim) vom Stein- Meer mit 1 Bp/ 2,6 m² (0,39 Bp/m²) unterschritten, huder Meer entfernt liegen. selbst wenn ein Teil des Floßes (1-2 m²) aufgrund des umgestürzten Zaunes nicht nutzbar war. LOOSE Da die Altvögel häufig auf der Umzäunung des (1998) stellte am Breesener See in Mecklenburg- Floßes oder auf den Baumstämmen im Wasser Vorpommern dagegen keinen abnehmenden Brut- saßen und somit gut beobachtbar waren, ist davon erfolg im Zusammenhang mit zunehmender Nest- auszugehen, dass weitere beringte Vögel aufgefallen dichte fest und schlussfolgert ein hohes Nahrungs- wären. angebot in seinem Untersuchungsgebiet im Vergleich zum Niederrhein. In seinem Untersuchungsgebiet Bruterfolg betrug die Nestdichte auf zwei Flößen 4,81 und 2,69 Bp/m², der Bruterfolg wurde durch Eiverluste Die sechs Brutpaare (Bp) zogen wahrscheinlich und durch Kükenverluste reduziert, z. B. durch mindestens 2,3 Juv./Bp auf. Im Vergleich zu anderen Prädation von 50 % der Küken durch einen Habicht Brutkolonien ist dieser Bruterfolgswert hoch. Für Accipiter gentilis in 1996. Kolonien an der Jade gibt BECKER (1998) einen Langzeit-Bruterfolg in 3-5 Kolonien zwischen 1981 Grundsätzlich ist aus Beobachtungen der Kolonien und 1996 mit 0,8 ausgeflogenen Juv./Bp an. Die zu schließen, dass gerade Nahrungsengpässe in hochwassersichere und seit 1982 vor Ratten ge- Kolonien mit hoher Dichte zu einer hohen Küken- schützte Kolonie auf dem Banter See in Wilhelms- mortalität führen, vor allem durch eine dann hohe haven hatte mit im langjährigen Mittel 1,2 Juv./Bp Rate von Kleptoparasitismus (CABOT & NISBET 2013, den höchsten Bruterfolg. Der Bruterfolg der mit LUDWIGS 1998, SUDMANN 1998). Im Untersuchungs- über 300 Paaren größten und darüber hinaus gebiet wurde das Nahrungsangebot auch durch intensiv beobachteten Festlandkolonie lag zwischen eine Ansiedlung geeigneter Nahrungsfische - als 2002 und 2009 jährlich unter 1,0 Juv./Bp Maßnahme des Fischartenschutzes (s. u.) – in zehn (http://www.lotti-web.de/naturschutz/gefahrdung- für den Fischartenschutz angelegten Gewässern und-schutz Download am 26.01.2015) und stieg gestützt. Eine ausreichende Zahl an Nistflößen soll danach erst wieder an. in Zukunft ein Wachstum der Kolonie ermögli- chen. CABOT & NISBET (2013) geben für 23 britische Kolo- nien, die über 25 Jahre beobachtet wurden, einen Nahrungssuche und Nahrungswahl Gesamtbruterfolg von 0,87 Juv./Bp an. Der durch- schnittliche Bruterfolg variiert nach ihren Angaben Die Flussseeschwalben nutzen das gesamte Stein- in Abhängigkeit vom Habitat (z. B. Inland oder huder Meer und einen Teil der Nebengewässer zur Küste) und der jeweiligen Region in England zwi- Nahrungssuche. Einzelne Beobachtungen zeigten schen 0,7 und 1,4 Juv./Bp bei einer Variation von 0 Nahrungstransporte über eine Entfernung von bis 2,8 flüggen Juv./Bp. Die Autoren geben an, 7,2 km. Nahrungstransporte dieser Art sind bei dass kleine Kolonien in der Regel einen höheren der Flussseeschwalbe durchaus üblich. In Ost- Fortpflanzungserfolg haben als große und Binnen- deutschland lagen die meisten Nahrungsgewässer landskolonien einen größeren als Küstenkolonien. innerhalb von 6 km, teilweise noch über 10 km bis zu 18 km entfernt (NEUBAUER 1998). Die weiten Der Bruterfolg sank am Niederrhein in den Jahren Transporte entsprechen den Beobachtungen vom 1991 bis 1997 nach SUDMANN (1998) mit einer hö- Steinhuder Meer, nach denen die Vögel vor Grün- heren Nestdichte bzw. in Kombination mit einer dung der Kolonie offensichtlich Futterfische bis an unzureichenden Nahrungsverfügbarkeit. Ursache die Kolonien an der Weser trugen (s. o.). Energetisch Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 43

günstiger dürften kurze Transportwege von Nah- from the breeding rafts. It is pointed out that re- rungstieren zum Brutplatz sein. leasing fish into ponds just to support terns is ge- nerally prohibited and may be in conflict with Hinweis other conservation targets, while providing bree- ding-rafts is considered to be a reasonable conser- Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es vation measure in most cases. nicht gerechtfertigt und in den meisten Fällen sogar verboten ist, aus Gründen des Vogelschutzes Literatur undifferenziert (Futter-)Fische in Gewässern anzu- siedeln. Auf diese Weise können beispielsweise BECKER, P. (1998): Langzeittrends des Bruterfolgs der Fluß- gefährdete Amphibienbestände vernichtet werden. seeschwalbe Sterna hirundo und seiner Einflußgrößen Im NSG Meerbruchswiesen wurden in Abstimmung im Wattenmeer. Vogelwelt 119: 223-234. mit den zuständigen Naturschutzbehörden nur sel- BRANDT, T., & O.-D. FINCH (2014): Erste Ergebnisse aus ei- tene und gefährdete Fischarten in 10 von mehr als nem Schutzprojekt für die Karausche (Carassius ca- 120 Gewässern eingesetzt. Diese Gewässer wurden rassius) am Steinhuder Meer. Rana 15: 16-24. zuvor im Rahmen eines Fischartenschutzprojektes BRANDT, T., E. LÜERS & A. RUPRECHT (2009): Die Besiedlung eigens für diese Zielarten angelegt. von Kleingewässern durch Fische in den Meerbruchs- wiesen am Steinhuder Meer, Niedersachsen. Rana 10: Danksagung 41-48. BRANDT, T., & B. VOLMER (2011): Das Steinhuder Meer – Ich bedanke mich bei allen Mithelfern, die beim Bilder einer Landschaft. Bremen. Artenschutzprojekt Flussseeschwalbe tatkräftig ge- BRINKMANN, M. (1933): Die Vogelwelt Nordwestdeutsch- holfen haben, vor allem beim „Floßarchitekt und - lands. Hildesheim. bauer“ M. Pollack und weiteren Mitarbeitern der CABOT, D., & I. NISBET (2013): Terns. London. Ökologischen Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM FINCH, O.-D., T. BRANDT & J. SCHNEIDER (2010): Schlamm- e. V.) sowie bei der Firma H. Lehnhoff aus Ströhen. peitzger (Misgurnus fossilis) und Steinbeißer (Cobitis Für die Finanzierung des Projektes sei dem Land taenia) in Fließ- und Kleingewässern der westlichen Niedersachsen und der Niedersächsischen Bingo Steinhuder Meer-Niederung, Niedersachsen. Rana 11: Umweltstiftung gedankt. Wertvolle Ratschläge zum 6-21. Manuskript gaben E. Lüers und P. Südbeck. Ein be- GROSSKOPF, G. (1991): Flußseeschwalbe – Sterna hirundo. sonderer Dank gilt auch den Fotografen, vor allem In: ZANG, H., G. GROSSKOPF & H. HECKENROTH: Die Vögel W. Glawe und C.-D. Böhm, für die Bereitstellung Niedersachsens, Raubmöwen bis Alken. Nat.schutz ihrer Fotos und der umfangreichen Dokumentation Landsch.pfl. Niedersachs. B, H. 2.6. von Vogelvorkommen am Steinhuder Meer. KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- Summary – Breeding of Common Terns 2008. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 48: 1-556. Sterna hirundo at Lake Steinhuder Meer, KRÜGER, T., J. LUDWIG, P. SÜDBECK, J. BLEW & B. OLTMANNS Lower Saxony (2013): Quantitative Kriterien zur Bewertung von Gast- vogellebensräumen in Niedersachsen. Inform.d. Common Terns had not bred at lake Steinhuder Nat.schutz Niedersachs. 33: 70-87. Meer for at least 50 years, when in 2014 a small LÖNS, H. (1905): Vorläufiges Verzeichnis der Wirbeltiere colony of six pairs bred on one of two artificial Hannovers. 50.-54. Jahresber. Nat.hist. Ges. Hannover nesting rafts on a pond (size 9.000 m²; max. depth 50-54: 248-264. 1.00 m) next to the lake. Five pairs started to LOOSE, J. (1998): Ansiedlung von Flußseeschwalben Sterna breed in late May, while a late pair started to hirundo auf Kunstinseln. Vogelwelt 119: 253-258. breed around mid June. A total of 14 young terns LUDWIGS, J.-D. (1998): Kleptoparasitismus bei der Fluß- (2.3 young per breeding pair) fledged during seeschwalbe Sterna hirundo als Anzeiger für Nah- July/August 2014. As just one of the adult terns rungsmangel. Vogelwelt 119: 193-203. was banded (though not identified), the origin of NEUBAUER, W. (1998): Habitatwahl der Flußseeschwalbe the terns is unknown. The observed terns fed only Sterna hirundo in Ostdeutschland. Vogelwelt 119: on fish, caught at a distance of up to 7.2 km away 169-180. 44 BRANDT: Ansiedlung von Flussseeschwalben am Steinhuder Meer

RÖSLER, G. (1995): Brutvorkommen der Flußseeschwalbe (Sterna hirundo) an der Mittelweser bei Nienburg. Vo- gelkdl. Ber. Niedersachs. 27: 41. SUDMANN, S. R. (1998): Wie dicht können Flußseeschwal- ben Sterna hirundo brüten? Extremsituationen auf Brutflößen. Vogelwelt 119: 181-192. WEISSKÖPPEL, P. (1975): Die Vogelwelt am Steinhuder Meer und in seiner weiteren Umgebung. Wunstorf. ZIEGLER, G. (2000): Erneute Brut der Flußseeschwalbe (Sterna hirundo) an der Mittelweser in Nordrhein- Westfalen. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 32: 74. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 45

Wie Kraniche Grus grus auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren

Wilhelm Meier-Peithmann

MEIER-PEITHMANN, W. (2014): Wie Kraniche Grus grus auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 45-55.

Trotz der Zunahme von Windenergieanlagen und auch der durchziehenden Kraniche in Deutschland wurden bis 2014 nur 8 Schlagopfer des Kranichs an diesen Anlagen bekannt. Um das Kollisionsrisiko einzuschätzen, können Feldbeobachtungen von Kranichen im Bereich von Windparks helfen.

Während eines durch Spätwintereinbruch verursachten Zwischenaufenthaltes heimziehender Kraniche passierten in der 3. Märzwoche 2013 auf morgendlichen Nahrungsplatzflügen je- weils etwa 600 Vögel die 15 Turbinen des Windparks Schnega im Wendland, Landkreis Lü- chow-Dannenberg, Niedersachsen. Sie folgten damit einer traditionellen Herbstzugschneise, flogen nun aber deutlich niedriger im Bereich des Rotordurchmessers und direkt darüber.

Die Route von 31,6 % der Kraniche führte weiträumig an der Windenergieanlage vorbei, 25,3 % machten einen einseitigen Umflug und 4,1 % teilten sich auf zu beidseitigen Umflü- gen. Jeweils kleine Verbände änderten schon vorher die Richtung, wendeten nach seitlichem Anflug oder überflogen die Mühlen in großer Höhe.

33,4 % nahmen einen Kurs durch den Windpark hindurch, meistens in kleinen Trupps, davon etwa zwei Drittel nach anfänglichen Irritationen in mehr oder weniger geordneter Form; für 13,7 % der Kraniche verlief der Durchflug ungeordnet, u. a. mit Zersplitterung in Kleingruppen, Flucht hin und her vor den auf- und abschwingenden Rotoren und scheinbar ziellosem Umherirren. Zu Unfällen kam es nicht. Doch führten Erfahrungen offenbar nicht dazu, innerhalb des Beobachtungszeitraumes Gefahren zu meiden.

Das Kollisionsrisiko wird für ziehende Kraniche im Windpark Schnega, insbesondere an Tagen mit guter Sicht, als gering eingeschätzt. Stark gefährdet dürften niedrig fliegende Vögel zu Nahrungs- und Schlafplätzen vor allem bei Nebel und in der Dämmerung sein. Für diese Fälle wird empfohlen, die Turbinen stundenweise abzuschalten.

W. M.-P., Am Taterberg 36, D-29468 Bergen an der Dumme, [email protected]

1 Einleitung (DONAT & PRANGE 2014, LANGGEMACH 2014, VOGEL- Stellen Windkraftanlagen eine nur geringe Gefahr SCHUTZWARTE BRANDENBURG 2014). für Kraniche dar, wie die niedrige Zahl gefundener Schlagopfer vermuten lässt? Von den bis 2014 re- Um das Kollisionsrisiko einzuschätzen, können Be- gistrierten 1.693 getöteten Vögeln gehören lediglich obachtungen von Kranichen im Nahbereich der 8 dieser Art an, obwohl in Deutschland mehr als Windkraftanlagen hilfreich sein. Insbesondere gilt 23.000 Turbinen errichtet worden sind und die es zu ermitteln, welche Umstände jeweils vor Ort Summe der durchziehenden und rastenden Kraniche zusammentreffen, um die Vögel zu gefährden. auf wahrscheinlich 325.000 angewachsen ist. Al- Dazu bot sich mir im Märzwinter 2013 in einem lerdings wird die Gesamtzahl der tatsächlichen Windpark des südwestlichen Wendlandes, Landkreis Anflugopfer auf ein Vielfaches höher veranschlagt Lüchow-Dannenberg, Gelegenheit, als allmorgend- 46 MEIER-PEITHMANN: Wie Kraniche auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren

lich Hunderte Kraniche auf ihrem Flug vom Schlaf- und Bergen an der Dumme (Landkreis Lüchow- platz zu Nahrungsplätzen die Anlage passierten. Dannenberg) auf Grundmoränen zwischen den Ortsteilen Oldendorf, Leisten, Malsleben und Banzau Auf ihren Nahrungsflügen folgten die Kraniche 15 Windmühlen mit einer Leistung von je 800 KW hier einer traditionellen Zugschneise, in die der errichtet (WIKIPEDIA 2014). Der Windpark erstreckt Windpark hinein gebaut wurde. Die vorliegende sich über eine etwa 1,6 km lange und 1,3 km Arbeit dokumentiert nach Beobachtungsprotokollen breite Fläche (Abb. 1, 2). und mit Fotos das Verhalten der Kraniche auf ihrer Route neben, zwischen und über den Windmühlen. Die Grundmoränen werden überwiegend land- In der Diskussion werden Schlussfolgerungen für wirtschaftlich genutzt: Anbau von Getreide, Kar- Kollisionsrisiken im Windpark gezogen und Vor- toffeln, Rüben, Raps, Mais u. a. Kleine und größere schläge für den Betrieb der Anlage zur Vermeidung Feldgehölze umgeben inselförmig das Mühlenfeld, von Opfern gemacht. das von einem weitmaschigen Netz teilweise asphal- tierter Wege durchzogen ist; diese sind – ganz oder abschnittweise – von Büschen und Bäumen 2 Beobachtungsgebiet ein- oder zweiseitig gesäumt. 2.1 Windpark Schnega Die Mühlen stehen mindestens 250 m auseinander, Im Jahre 2010 wurde in den Gemeinden Schnega überwiegend im Abstand von mehr als 450 m. An

10 km

Abb.1: Schema der Kranich-Zugschneise entlang der Osthannoverschen Endmoräne und über die Grundmoränen mit dem Windkraftpark Schnega im Hannoverschen Wendland. – Schematic drawing of Common-Crane flight route through district of Lüchow-Dannenberg, Eastern Lower Saxony. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 47

1 km

Abb. 2: Standorte der Windmühlen im Windkraftpark Schnega. – Location of wind mills in the wind park Schnega. den engsten Stellen ist der Durchflug-Kanal zwischen Den Grundmoränen im Keil zwischen den Tälern den Rotor-Enden ohne Berücksichtigung des Soges der oberen Dumme und dem Schnegaer Mühlen- etwa 200 m breit (eigene Karten-Messungen). bach kommt mehrfache Bedeutung für wegziehende Kraniche im Wendland zu. Die flachwelligen, durch- Die Narbenhöhe der Anlagen beträgt 73 m, die weg kahlen Anhöhen erheben sich unvermittelt Länge der Rotorblätter je 26,5 m, die von den Ro- aus der Dumme-Niederung 60-70 m über NN und toren überstrichene Fläche 2.200 m² und die Dreh- dienen offenbar als Orientierungsmarken. Entlang zahl 12-28,3 U/min (ENERCON 2014). ihrer Ostflanke entstehen Aufwinde, die regelmäßig zum Kreisen genutzt werden; die Hochfläche bietet Systematische Angaben über Kollisionsopfer von weiträumig freie Rundumsicht und Maisnahrung. Vögeln oder Fledermäusen im Windpark Schnega Nahezu alljährlich im Herbst rasteten hier tagelang fehlen. Am 20.04.2011 fand der Autor einen er- mehrere Hundert Kraniche. Nach Aufstellung der schlagenen Rotmilan Milvus milvus. Mühlen blieben die Plätze verwaist (eigene Beob- achtungen). 2.2 Zug- und Rasttradition Der Windpark Schnega wurde errichtet, obwohl Der Wegzug der Kraniche durch das Hannoversche die planenden Einrichtungen und die für die Ge- Wendland bündelt sich gewöhnlich im Südwesten nehmigung zuständigen Behörden über die aus- des Kreises. Sie meiden weitgehend den langge- geprägte Zug- und Rastplatztradition des Kranichs streckten Wall der bewaldeten, bis auf 142 m an- sowie über die vorkommenden Brutvögel (u. a. steigenden Osthannoversche Endmoräne, der den Wiesenweihe Circus pygargus, Rebhuhn Perdix Kreis Lüchow-Dannenberg nach Westen begrenzt, perdix, Feldlerche Alauda arvensis, Wiesenschafstelze und ziehen südlich an diesem Höhenzug vorbei Motacilla flava, Raubwürger Lanius excubitor, Or- (MEIER-PEITHMANN 1969-2002; Abb. 1). Im Laufe tolan Emberiza hortulana) auf den Grundmoränen des zurückliegenden halben Jahrhunderts beob- zwischen den Tälern der oberen Dumme und des achtete der Autor von seinen Wohnorten Schnega Schnegaer Mühlenbachs umfassend unterrichtet und Bergen an der Dumme mehr als 75.000 Kra- worden waren. niche in dieser herbstlichen Zugschneise. 48 MEIER-PEITHMANN: Wie Kraniche auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren

2.3 Nahrungsflüge im Märzwinter 2013

Während heimische Kranichpaare ab der 3. Febru- ar-Dekade 2013 bereits in ihren Brutrevieren standen, überquerten Ende des Monats und an den ersten Märztagen große Heimzug-Verbände das Wendland.

Temperaturen bis -6 °C in der letzten Februar- und ersten Märzwoche und erst recht ein weiterer Tem- peratursturz auf -17 °C am 13. März veranlassten viele Kraniche, den Zug im Kreis Lüchow-Dannen- berg zu unterbrechen. Mehrere Tausend verbrachten die Tage nach dem Spätwintereinbruch im Urstromtal Abb. 3: Kraniche auf einem Nahrungsplatz in Nachbar- der Elbe sowie in den Niederungen der Nebenflüsse schaft eines Viehunterstandes im Dannenberger Elbtal (u. a. eig. Beob.). Um Nahrungsquellen zu er- am 22.03.2013. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – Com- schließen, verringerten sie etwa gegenüber Stra- mon Cranes in a feeding place. ßenverkehr und Weidevieh die Fluchtdistanz er- heblich (Abb. 3, 4).

Viele Hundert Kraniche hielten sich in der südlichen Dumme-Niederung auf, zunächst auf verbundenen Übernachtungs- und Nahrungsplätzen etwa im Raum Nienbergen-Belau-Thune. Offenbar man- gelnde Erreichbarkeit der Nahrung nach Verschär- fung des Spätwinters mit mehr Schnee und Kälte veranlasste die Kraniche zu einem Ortswechsel und zu einer stärkeren räumlichen Trennung von Schlaf und Nahrungsaufnahme.

Nun machten die Kraniche Nahrungsflüge vom neu bezogenen Schlafplatz in der Dumme-Niederung östlich des Forstes Gain über den Windpark zwischen Bergen und Schnega hinweg zu weiter südwestlich Abb. 4: Nahrungsaufnahme auf einem Maisstoppelfeld gelegenen Nahrungsplätzen auf abgeernteten Fel- in den Dannenberger Elbbögen am 22.03.2013. Foto: dern mit nachwachsenden Rohstoffen im Grenz- Wilhelm Meier-Peithmann. – Foraging Common Crane bereich der Landkreise Salzwedel (Land Sachsen- in maize stubble field. Anhalt) sowie Lüchow-Dannenberg und Uelzen (Land Niedersachsen). Nahrungsflächen liegen all- Über mögliche Änderungen des Zugweges ziehender gemein in einem Radius von bis zu 20 Kilometern Kraniche nach Aufstellung der Mühlen sind noch um einen Schlafplatz (PRANGE 1989). keine abschließenden Aussagen möglich. Ich sah sowohl Verbände, die in mehreren Hundert Metern Abb. 5 zeigt die Anzahl der Kraniche, die in der Höhe die Anlagen zielgerichtet überquerten, als Zeit vom 15. bis 24. März jeden Morgen etwa zwi- auch niedriger fliegende Formationen, die nach schen 6:30 und 7 Uhr den Windpark passierten. vorübergehender Unruhe die Richtung änderten Der Überflug dauerte zwischen 6 und 13 Minuten. und mehr oder weniger weiträumig den Park um- Nachdem sich mehrere Tage lang jeweils etwa 600 flogen. Insgesamt scheint sich in den vier Jahren Vögel beteiligt hatten, wurden die Nahrungsplatz- der Anteil der Kraniche vergrößert zu haben, die flüge mit dem Nachlassen der Winterstrenge rasch auf dem Herbstzug vor allem dem Tal der Dumme beendet. aufwärts folgend die Grundmoränen südwestlich von Bergen aussparen. Die Kraniche flogen in Verbänden von je etwa 10 Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 49

800

600 Vorbei-/Umflug (65,1 %)

400 Durchflug (33,4 %)

Anzahl Vögel Anzahl Überflug 200 (1,5 %)

0 15.3. 16.3. 17.3. 18.3. 19.3. 20.3. 21.3. 22.3. 23.3. 24.3.

Abb. 5: Tagessummen der Kraniche auf Nahrungsflügen Abb. 6: Anteile an Um-/Vorbei-, Durch- und Überflügen im Bereich des Windkraftparks Schnega vom 15.- von fliegenden Kranichen an einem Windkraftpark. – 24.03.2013. – Daily sum of Common Crane flights to fo- Proportions of flights around, through and over a wind raging sites in the vicinity of wind park Schnega. park.

bis 300 Vögeln zu den Nahrungsplätzen, überwie- Richtungsänderung gend waren es zwischen 40 und 120. Die Flughöhe Überflug betrug um 50 bis 150 m, war damit deutlich nied- Abwendung riger als gewöhnlich beim Fernzug; sie lag also um geteilter Umflug den oder etwas über dem von den Rotoren durch- ungeordneter Durchflug kreuzten Luftraum. geordneter Durchflug naher Umflug Bei der Rückkehr zum Schlafplatz berührten die weiträumiger Vorbeiflug Kraniche den Windpark in der Regel nicht. 010203040%

3 Methode Abb. 7: Anteile an verschiedenen Passage-Varianten flie- gender Kraniche an einem Windkraftpark. – Proportion Vom 15. bis 24.03.2013 erfasste ich die Nah- of different variants of passages. rungsflüge der Kraniche, die die Grundmoränen zwischen Bergen und Schnega überquerten. Dazu stellte ich mich jeweils nach Dämmerungsbeginn (Abb. 6). Eine Umkehr wurde nicht beobachtet. ab ca. 6 Uhr an wechselnden Plätzen im Gelände des Windkraftparks so auf, dass ich außer allen Abb. 7 gibt Auskunft über die Anteile von acht Windmühlen die Einflugschneise sowie die Flanken Kurs-Varianten. des Parks gut einsehen konnte. Neben Anzahl der Kraniche, geschätzter Flughöhe, Uhrzeit, Lichtver- 4.1 Vorbei- und Umflüge hältnissen und Wetter protokollierte ich ausführlich das Flugverhalten von Verbänden, Kleingruppen Die Um- und Vorbeiflüge unterschieden sich z. T. und Einzelvögeln. Zudem versuchte ich, Kraniche in der Länge des geordneten Anfluges, in der mit treffenden Flugbewegungen im Nahbereich Flugrichtung, im Abstand zu den Außenmühlen, der Turbinen trotz großer Entfernung und man- im Zusammenhalt des Flugverbandes, im Weiterflug gelnden Tageslichtes zu fotografieren. nach dem Passieren u. a. Sie wurden in fünf Formen unterteilt, die auf einer Karte eingezeichnet sind (Abb. 8). 4 Ergebnisse Knapp zwei Drittel der ausgezählten 3.038 Kraniche 4.1.1 Weiträumiger Vorbeiflug flogen an dem Windpark vorbei bzw. um die Anlage herum, mehr als ein Drittel zwischen den Die in Verbänden anfliegenden Kraniche wurden Mühlen hindurch und 1,5 % darüber hinweg meistens 1.000 bis 750 m vor den ersten Mühlen 50 MEIER-PEITHMANN: Wie Kraniche auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren

Abb. 8: Routen-Schema der Vorbei- und Umflüge von Kranichen an einem Windkraftpark: Weiträumiger Vorbeiflug (rot), Abwendung (braun), Geteilter Umflug (blau), Naher Umflug (grün), Richtungsänderung (lila). – Schematic drawing of Common-Crane flocks flying past wind farm: passing at greater distance (red), avoidance (brown), passing and splitting up in smaller groups (blue), passing closely (green), change of flight direction (purple). zunehmend unsicher; sie verlangsamten den Stre- mation, um sich in veränderter Flugrichtung bald ckenflug und gerieten teilweise kurz aus der For- wieder neu zu ordnen und weiträumig dem Wind- park auszuweichen. Dabei wurde etwa der gleiche Ab- stand zur Anlage weiter ein- gehalten. Mit 31,6 % war der weiträumige Vorbeiflug die bevorzugteste Passage- Variante.

4.1.2 Naher Umflug

In Flugverbänden, die sich auf etwa 500 m und weni- ger dem Windkraftfeld ge- nähert hatten, trat merkliche Unruhe ein: Kraniche riefen öfter und lauter, setzten häufiger mit dem Flügel- schlag aus, schlossen zuein - ander auf, ließen sich ganz aus der Linienformation fal- len, teilten sich in Gruppen Abb. 9: Kranich-Durchflug im Windkraftpark am 22.03.2013. Foto: Wilhelm Meier- und änderten schließlich die Peithmann. – Common Crane flock crossing wind park. Richtung, behielten aber in Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 51

der Regel die Flughöhe bei. In meistens ungeordneten Gesellschaften wurde die Anlage im Abstand von we- nigen 100 m umflogen. 25,3 % der Kraniche führ- ten den nahen Umflug aus.

4.1.3 Geteilter Umflug

Mitunter traten in einem anfliegenden Verband meh- rere Hundert Meter vor den ersten Turbinen so starke Richtungsirritationen auf, dass er sich in zwei oder mehr Gruppen aufteilte, die den Windpark beidseitig umflogen. Teilweise verei- nigten sie sich wieder in Sichtweite nach der Passage. Abb. 10: Geordneter Verband des Kranichs zwischen Windenergie-Turbinen am An dem geteilten Umflug 23.03.2013. Foto: Wilhelm Meier-Peithmann. – Orderly flock of Common Crane waren 4,1 % der Vögel be- between wind turbines. teiligt. meistens waren es kleine Verbände von 10 bis 40 4.1.4 Abwendung Vögeln – verlief der Durchflug nach den anfänglichen Irritationen in mehr oder weniger geordneter Form Die Hauptmasse der Kraniche wählte den Anflug (Abb. 9 u. 10). aus der Dumme-Niederung nach Südwesten über Banzau. Zweimal wandten sich seitlich von Norden Bei 13,7 % war der Durchflug ungeordnet, teilweise anfliegende kleine Verbände ca. 200-300 m vor spektakulär. Ein bezeichnendes Beispiel dokumentiert dem Mühlenfeld im Winkel von mehr als 90° ab, das Protokoll vom 23. März 2014: um zunächst in der eingeschlagenen Richtung wei- terzufliegen. 3 % der Kraniche wurden bei diesem Um 6.39 Uhr fliegt ein Verband von 125 Vögeln Abwende-Manöver beobachtet. über Banzau von NE auf den Windpark zu. Nach zunehmenden Unregelmäßigkeiten im Flugrhythmus 4.1.5 Richtungsänderung zerfällt etwa 200 m vor der ersten Mühle die ur- sprüngliche Linienformation. Ein Teil der Kraniche Nur ein kleinerer Verband mit 32 Vögeln (1,1 %) bleibt zurück, andere überholen, doch keiner vollzog schon deutlich vor Erreichen der Banzauer wendet um. Schließlich entsteht ein wilder Pulk, Grundmoräne eine Kurskorrektur mit neuer stabiler der sich mehrfach aufteilt (Abb. 11a). Grundrichtung. Gruppen und Einzelvögel scheren hierhin und 4.2 Durchflug dorthin aus, etliche beginnen zu kreisen (Abb. 11b).

33,4 % der Kraniche passierten den Windpark, in- Ein ungeordneter Trupp mit mehreren Dutzend dem sie zwischen den Windmühlen ganz über- Vögeln bahnt sich einen Weg zwischen den Mühlen wiegend in Höhe der sich drehenden Rotorblätter im südlichen Teil der Anlage, ein anderer wählt hindurch flogen. einen Kurs im nördlichen Abschnitt (Abb. 11c).

Bei fast einem Fünftel aller beobachteten Kraniche – Weitere Gruppen fliehen hin und her vor den auf- 52 MEIER-PEITHMANN: Wie Kraniche auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren

und abschwingenden Mühlenflügeln; die Kraniche auf dem (Herbst-)Zug als auch auf dem Nahrungs- werden ganz aus Richtung und Sozialkontakt ge- flug. worfen (Abb. 11d). Ziehende Kraniche überquerten meistens in großen Kleingruppen und Einzelvögel irren scheinbar Gemeinschaften und offenbar je nach Abflugzeit kopflos durch die freien Partien des Windparks von den mecklenburgisch-pommerschen Rastplätzen (Abb. 11e). in der Regel vom späten Vormittag bis zum frühen Nachmittag den Windpark Schnega. Bei klarer Sie geraten dabei immer wieder offenbar bedrohlich Sicht überflogen sie gewöhnlich in einer Höhe nahe in den Bereich der weit ausholenden Müh- etwa zwischen 300 bis 500 m das Rotoren-Gelände. lenblätter (Abb. 11f). Gelegentlich tiefer fliegende Vögel wichen dem Mühlenfeld rechtzeitig aus. Daher wird das Kollisi- Die Abstände der Vögel zu den Rotoren sind für onsrisiko auf dem Kranichzug als gering einge- den Beobachter aus z. T. großer Entfernung und schätzt. schrägem Blickwinkel kaum einzuschätzen. Oft scheinen die Kraniche geradewegs auf die Müh- Ist Kranichzug ein alljährlich wiederkehrendes Er- lenflügel zuzusteuern und im nächsten Moment eignis, so standen die Nahrungsflüge im Zusam- durch die Luft geschleudert zu werden (Abb. 11g). menhang mit längeren Zwischenaufenthalten, die Doch Zusammenstöße bleiben ebenso aus wie er- wiederum durch bestimmte Wetterereignisse zu- kennbare Sogwirkungen. stande kamen. In der Niederung der oberen Dumme hatte sich in den beiden Jahrzehnten zuvor auf Nach und nach haben alle Vögel des zersprengten dem Heimzug nur ein weiteres Mal ein tagelanger Verbandes den Windpark wohl äußerlich unbe- Zugstau mit Nahrungsflügen gebildet: In der zweiten schadet passiert. Sie behalten weiter die gleiche Märzhälfte 1996 beteiligten sich daran bis zu 730 Flughöhe und -richtung bei. Solange sie mit dem Kraniche. Fernglas zu verfolgen sind, gelingt es ihnen jedoch nicht, sich wieder zu einer Flugformation zusam- Nahrungsflüge wurden gewöhnlich von kleineren menzuschließen (Abb. 11h). Verbänden in den frühen Morgenstunden ausge- führt. Sie fanden unabhängig vom Wetter und 4.3 Überflug meistens in geringer Flughöhe statt. Alle diese Umstände erhöhen das Kollisionsrisiko. Zwei kleine Verbände mit 18 und 25 Kranichen flogen – so wie auf dem Zug – in einer Höhe von Der neu errichtete Windenergiepark beeinflusste mehreren Hundert Metern gezielt und ohne Irrita- die Wahl von Nahrungsplätzen und Flugrouten tionen über den Windpark hinweg. der im März 2013 in der Dumme-Niederung näch- tigenden Kraniche nicht grundsätzlich. Auch ihre Erfahrungen innerhalb des Mühlenfeldes führten 5 Diskussion offenbar nicht dazu, den Windpark allgemein zu Die Kranichflüge im Bereich des Windparks ver- meiden. Sie hielten im Laufe der 10-tägigen Beob- schiedenen Kurs-Varianten zuzuordnen, mag teil- achtungszeit an der Flugrichtung über die Grund- weise willkürlich erscheinen. Doch damit wird eine moränen zwischen Bergen und Schnega mit dem erstaunliche Vielfalt in der Überwindung dieses Hindernis Windpark und an der Flughöhe fest; Hindernisses deutlich sowie eine Abgrenzung der ebenso verringerte sich die Zahl der risikoreichen risikobehafteten von eher ungefährlichen Passagen Durchflüge und nahen, z. T. beidseitigen Umflüge möglich. nicht.

Im Flug orientieren sich Kraniche im Wesentlichen Es ist davon auszugehen, dass Kraniche in ver- an Landmarken (u. a. PRANGE 1989). Als solche gleichbaren Situationen sich ähnlich verhalten und diente den aus der Dumme-Niederung anfliegenden auch bei unzureichenden Sichtverhältnissen – etwa Verbänden der wellige Grundmoränen-Sockel zwi- im Nebel und Sprühregen sowie bei verzögerter schen Bergen an der Dumme und Schnega sowohl Morgenhelligkeit und früh einsetzender Abend- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 53

a b

c d

e f

g h

Abb. 11a-h: Fotoserie fliegender Kraniche im Windkraftpark Schnega vom 21.-23.03.2013 (siehe Text). Fotos: Wilhelm Meier-Peithmann. – Series of pictures of flying Common Crane in wind park Schnega (see text). 54 MEIER-PEITHMANN: Wie Kraniche auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren

dämmerung durch Niederschläge und Sturm – Ge- to their breeding sites to rest near the wind park fahrenbereiche durchfliegen. So berichtet LANGGE- of Schnega in Wendland, district of Lüchow-Dan- MACH (2013) von Kranichen, die bei Nebel zwar nenberg, Lower Saxony. On their flights to the größtenteils um einen Windpark herum flogen, feeding places in the morning, they passed the 15 gelegentlich aber auch eine Lücke zwischen einer turbines of the wind park at an altitude within or Randmühle und den übrigen Turbinen zum Durch- slightly above the range of the rotor blades. flug nutzten. Beispiele für Massenunfälle mit 56 und 18 getöteten Kranichen an Elektroleitungen 31.6 % of the Cranes approaching in flocks flew infolge mangelnder Orientierung im Nebel an der round the wind park at a great distance, 25.3 % deutschen Ostseeküste nennt PRANGE (1989). Weitere flew around on one side, whereas 4.1 % split up Aufsehen erregende Zusammenstöße mit hoch and passed on two sides. Smaller flocks changed aufragenden Hindernissen ereigneten sich im Spät- their route before and turned back after a lateral herbst 2013: In der Nacht vom 15. auf den 16. approach or crossed the turbines at a higher alti- November kam es in Brandenburg durch plötzlichen tude. Nebel zu 55 Kollisionsopfern u. a. an Stromleitungen und Bäumen (LANGGEMACH 2013). Vier Tage später 33.4 % of the Cranes chose a route right through verunglückten in einer starken Nebelfront am the wind park, mostly in small flocks, two thirds of späten Abend 5 Kraniche am Darßer Leuchtturm them in more or less orderly formation after initial in Mecklenburg-Vorpommern (LIEBERS-HELBIG 2014). confusion. 13.7 % passed in great disorder, e.g. splitting up, flying to and fro in front of the Auch wenn es im März 2013 im Windkraftpark revolving rotors, seemingly panic-stricken. There Schnega zu keinem Unfall kam und der überwie- were no accidents during the period of observation, gende Teil der Kraniche bei den normalen Sicht- but experience obviously did not help the Cranes verhältnissen entweder das Mühlenfeld umflog to avoid danger. oder äußerlich unbeschadet durchflog, so gerieten doch insgesamt mehr als 400 Kraniche in erhebliche For migrating Cranes flying at higher altitudes, the Verwirrung und Bedrängnis. risk of collision in the wind park of Schnega is con- sidered to be low, especially on days with good vi- Um auch in Zukunft Schlagopfer zu vermeiden, sibility. On their way to feeding sites and roosts, sollten während Rastaufenthalten in der Niederung however, low flying flocks seem to be particularly der oberen Dumme bzw. an Tagen mit Nahrungs- endangered, especially in foggy conditions and at platz- oder Schlafplatzflügen im Bereich des Wind- dusk. In these cases, it is recommended to switch parks mindestens zur morgendlichen (und abend- off the turbines for some hours. lichen) Flugzeit der Kraniche alle Mühlen abge- schaltet werden. Das gilt ebenso für Zugtage mit Sichteinschränkungen infolge von Wetterereignis- 7 Danksagung sen. P. Bernardy in Hitzacker stellte die Rohkarten des Windparks Schnega zur Verfügung. E. Seebaß in Lüchow danke ich für Literaturhinweise. C. Meier- 6 Summary – How Common Crane Grus Peithmann in Bergen an der Dumme fertigte die grus pass a wind park on their flights to Grafiken an. foraging sites Although the number of wind parks in Germany has increased – as well as the number of Common 8 Literatur Crane passing through – only eight cases of turbine DONAT, R., & H. PRANGE (2014): Die Kranichrast in Deutsch- casualties were reported up to 2014. In order to land im Herbst 2013. Das Kranichjahr 2013/2014. In: assess the risk of collisions, field observations of J. Arb.gem. Kranichschutz Deutschland: 26-33. Crane near wind farms may be helpful. ENERCON (2014): Technische Daten der ENERCON-Wind- energieanlage E-53, http://www.enercon.de/de- In the third week of March 2013, a late cold snap de/59.htm (Zugriff: 10.11.2014). caused about 600 Cranes on their traditional route LANGGEMACH, T. (2013): Ohne Orientierung: Vogeltod im Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 55

Nebel. Falke 60: 59-61. LANGGEMACH, T. (2014): Rotmilane, Windkraft und offene Fragen. Falke 61: 24-25. LIEBERS-HELBIG, D. (2014): Im Nebel gefangen: Kranichtod am Leuchtturm Darßer Ort. Falke 61: 18-19. MEIER-PEITHMANN, W. (Hrsg.; 1969-2002): Lüchow-Dan- nenberger ornithol. Jber. 1-16. PRANGE, H. (1989): Der Graue Kranich. N. Brehm-Bücherei Nr. 229. Wittenberg Lutherstadt. VOGELSCHUTZWARTE BRANDENBURG (2014): Auswirkungen von Windenergieanlagen auf die Vogelwelt und auf Fle- dermäuse, http://www.lugv.brandenburg.de/ cms/de- tail.php./bb1.c.312579.de (Zugriff: 10.11. 2014). WIKIPEDIA (2014): Liste der Windkraftanlagen von ENER- CON, http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Wind- kraftanlagen_von_Enercon (Zugriff: 10.11.2014). 56

Kranich Grus grus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Common Crane. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 57

Aktuelle Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs Upupa epops in Geestlandschaften Nordwest-Niedersachsens

Matthias Bergmann & Thorsten Krüger

BERGMANN, M., & T. KRÜGER (2015): Aktuelle Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs Upupa epops in Geestlandschaften Nordwest-Niedersachsens. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 57-66.

2014, und wohl auch schon 2013, nutzte ein Wiedehopf-♂ Upupa epops die Ortschaft Wie- sens im Naturraum Ostfriesische Geest, Landkreis Aurich, und deren Umgebung als Lebens- raum und hielt sich dort im Jahr 2014 vom 22.04.-26.06. auf (Aufenthaltsdauer 64 d). Der über Wochen singende Vogel blieb jedoch allein und unverpaart. Bereits 2007 hatte sich zwischen dem 25.05. und 05.07. ein Wiedehopf-♂ in der Delmenhorster Geest in der Ort- schaft Großenkneten, Landkreis Oldenburg, aufgehalten (42 d) und dabei über mehrere Wo- chen Revierverhalten gezeigt. Auch dieses Individuum blieb unverpaart, die Vorkommen sind somit als Brutzeitvorkommen zu werten. Noch bis in die 1930er Jahre war der Wiedehopf Brutvogel der Geestlandschaften Nordwesten-Niedersachsens. Die Feststellungen fallen in eine Phase von neuerlichen Brutvorstößen des noch als im Bestand erloschen geltenden Wiedehopfes nach Niedersachsen, in deren Verlauf die Art seit 2011 wieder alljährlich als Brutvogel im Osten des Landes vorkommt. Die hier beschriebenen Nachweise lassen den Schluss zu, dass aktuell zumindest vergleichsweise reich strukturierte Bereiche der Ostfrie- sisch-Oldenburgischen Geestlandschaften in Kombination mit dörflichen Siedlungsstrukturen als Wiedehopf-Lebensraum geeignet sein dürften und zudem ausreichend Nahrung bieten.

M. B., Krummackerweg 16 a, D-26605 Aurich, www.bergmann-landschaftsplanung.de; T. K., Bei den Erlen 28, D-26125 Oldenburg, [email protected]

Einleitung die gemachten Beobachtungen kurz skizziert wer- den. Möglicherweise stehen die neuerlichen Fest- Im Rahmen einer Brutvogelkartierung in der Um- stellungen revieranzeigender Wiedehopfe so weit gebung von Wiesens, Landkreis Aurich, wurde am im Nordwesten in Zusammenhang mit einer langsam 22.04.2014 ein singender Wiedehopf festgestellt. erfolgenden Arealausweitung bzw. Wiederbesied- Wie sich zeigte, war der Vogel auch in den darauf lung Niedersachsens. Die Nachweise sind nicht zu- folgenden Wochen im Gebiet präsent und hielt letzt deswegen von Bedeutung, weil der Wiedehopf ein Singrevier. Eine ähnliche Beobachtung erfolgte noch bis vor ca. 80 Jahren regelmäßiger Brutvogel wenige Jahre zuvor in Großenkneten, Landkreis auch der hier in Rede stehenden Geestbereiche Oldenburg, wo ein Wiedehopf ebenfalls für mehrere war. Wochen ein Singrevier besetzte. Dabei ist von Be- deutung, dass der Wiedehopf mit Stand der Roten Liste der in Niedersachsen und Bremen gefährdeten Lage und Beschreibung der Reviere Brutvögel 2005 als „im Bestand erloschen“ gilt Die Ortschaft Wiesens (N 52° 56' 35" E 8° 15' 5") (KRÜGER & OLTMANNS 2007) und beide Vorkommen liegt in der Nordwestdeutschen Tiefebene im Gebiet deutlich außerhalb der disjunkten Verbreitungsge- der Naturräumlichen Region Ostfriesisch-Olden- biete der Art in Deutschland liegen (Brandenburg- burgische Geest, Naturräumliche Haupteinheit Ost- Sachsen-Sachsen-Anhalt sowie Rheinland-Pfalz-Ba- friesische Geest (MEYNEN et al. 1953-1962). Sie ist den-Württemberg; OEHLSCHLAEGER 2004). In dieser in eine für Ostfriesland typische, halboffene Wall- Arbeit sollen die Lebensräume, die von den beiden heckenlandschaft eingebettet, wobei das Netz an Wiedehopfen genutzt wurden, beschrieben und Wallhecken lokal als noch vergleichsweise dicht 58 BERGMANN & KRÜGER: Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs in Nordwest-Niedersachsen

viridis sind in den Eichen der Wallhecken häufig vor- handen, im Revier des Wie- dehopfs befanden sich auch noch zwei Nisthilfen für den Steinkauz Athene noctua, die allerdings bereits von Staren Sturnus vulgaris be- setzt waren. Unbefestigte Feldwege, Ackerflächen und Pferdekoppeln bieten um Wiesens auch offene Sand- flächen zur Nahrungssuche (Abb. 2).

Die Ortschaft Großenkneten (N 52° 56' 35" E 8° 15' 5") liegt nur wenige Kilometer Abb. 1: Blick auf die Wallhecke mit Höhlen- und Rufbaum des Wiedehopfs. Wiesens, von der Ostfriesisch-Olden- 21.05.2014. Foto: Matthias Bergmann. – This hedgerow was part of the Hoopoe burgischen Geest entfernt habitat at Wiesens. It contained an oak tree with a cavity and a neighboring tree am Nordrand der Ems-Hun- which was intensively used as a song post. te-Geest und Dümmer- Geestniederung, Natur- einzustufen ist. Die Wallhecken sind dabei durch räumliche Haupteinheit Delmenhorster Geest (MEY- Stiel-Eichen Quercus robur-Überhälter und meist NEN et al. 1953-1962). Bei der Ortschaft handelt es lückigen Strauchbewuchs geprägt. Daneben gibt sich um ein altes Bauerndorf, das urkundlich bereits es auch inzwischen gehölzfreie Wälle sowie dichte im 9. Jahrhundert erwähnt wird. Besonders seine Strauch-Baum-Wallhecken, teilweise auch als Dop- alten Ortsteile werden durch Bauernhöfe mit z. T. pelwälle, entlang unbefestigter Feldwege. sehr altem Gehölzbestand (Stiel-Eichen) geprägt.

Das Singrevier des Wiede- hopfs, welches Teile der Ort- schaft und insbesondere des- sen unmittelbare Umgebung umfasste, wird durchschnit- ten vom Ems-Jade-Kanal, der in diesem Abschnitt auf beiden Seiten hohe, bewal- dete Wälle aufweist. Wie- sens selbst ist als kleines Bauerndorf zu charakteri- sieren, das jedoch keinen alten Baumbestand oder (größere) Obstwiesen besitzt. Der Höhlenbaum des Vogels befand sich inmitten einer Wallhecke, an die an beiden Seiten Maisäcker grenzten (Abb. 1). Alte Bruthöhlen Abb. 2: Ausschnitt des Wiedehopf-Lebensraumes bei Wiesens, 26.06.2014. Foto: von Bunt- Dendrocopos ma- Matthias Bergmann. – Part of the Hoopoe habitat at Wiesens with cattle pastures jor und Grünspecht Picus and sandy roadway. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 59

Das Singrevier des Wiede- hopfs befand sich fast voll- ständig innerhalb der Ort- schaft, die abseits reiner Wohnsiedlungen eine lo- ckere Bebauung bzw. Be- siedlungsstruktur aufweist und viele offene Flächen in Form von Hofstellen, Sport- plätzen, Wegrändern etc. vorhält. Dabei ist Großen- kneten unmittelbar von ei- ner halboffenen, vergleichs- weise strukturreichen Agrar- landschaft umgeben. Wie in Wiesens ist auch in Gro- ßenkneten das Angebot an potenziellen Bruthöhlen we- Abb. 3 u. 4: Rufplatz auf einem abgestorbenen Eichenast (links) in unmittelbarer gen des oft hohen Alters Um ge bung des Höhlenbaums (rechts). Wiesens, 21.05. und 07.06.2014. Fotos: der Bäume und des Vor- Matthias Bergmann. – Exposed song-post on a dead oak branch (on the left) closely kommens von Bunt- und situated to a cavity tree (on the right). Grünspecht als gut einzu- schätzen.

Durch eigene Beobachtungen und zahlreiche Hin- Beobachtungen weise aus der Bevölkerung ergibt sich ein relativ Wiesens: Die ersten Balzrufe wurden am 22.04. konkretes Bild von der Ausdehnung des 2014 be- vernommen, letzte Rufe wurden am 24.06. registriert setzten Reviers (Abb. 5). Die meisten Ruforte lagen (Aufenthaltsdauer: 64 Tage). Insbesondere in den in einem Umkreis von ca. einem Kilometer um den frühen Morgenstunden und am Vormittag rief das Ortskern von Wiesens, die weitesten waren gut ♂ regelmäßig. Anfang Mai wurde eine mögliche zwei Kilometer vom Höhlenbaum entfernt. Um- Bruthöhle, eine alte Spechthöhle in ca. 3 m Höhe, schließt man sämtliche Wiedehopf-Nachweisorte in einer Stiel-Eiche auf einer Wallhecke entdeckt, indem man die äußersten Datenpunkte so mitei- die der Wiedehopf regelmäßig aufsuchte. Eine nander verbindet, dass sich ein konvexes Polygon zweite daneben befindliche Eiche mit einigen ab- ergibt (Minimum-Convex-Polygon, MCP; MOHR gestorbenen Ästen nutzte der Vogel oft als Rufplatz 1947), erhält man eine – ungefähre (s. BURGMAN & (Abb. 3). Beobachtungen über mehrere Stunden FOX 2003) – Vorstellung von der Größe des insgesamt ergaben, dass das ♂ alle 30-45 Minuten zu diesem beflogenen Raumes des Vogels, seines Aktions- Baum zurückkehrte und auch wiederholt in „seine“ raumes (home range; BURT 1943). Dieser umfasste Höhle hineinspähte (Abb. 4). Hoffnungen auf eine in Wiesens ca. 279 ha. mögliche Brut erfüllten sich leider nicht, da nie ein zweiter Vogel gesichtet werden konnte. Bei der Nahrungssuche konnte der Wiedehopf nur selten direkt beobachtet werden, häufiger wurde Durch seinen markanten Balzruf war der Wiedehopf er jedoch von Anwohnern bei der Suche nach Re- in der Ortschaft Wiesens schnell weithin bekannt, genwürmern Lumbricus terrestris auf Rasenflächen bzw. etliche Anwohner konnten von seinem Gesang festgestellt. Eine Anwohnerin konnte den Wiedehopf berichten oder Beobachtungen des Vogels schildern. dabei in ihrem Vorgarten filmen. Teilweise konnten Nachfragen ergaben, dass ein Wiedehopf im selben auf den Wallhecken Nester der Roten Waldameise Gebiet bereits im Vorjahr, also 2013, ebenfalls von Formica rufa gefunden werden, so auch in direkter April bis Ende Juni ein Rufrevier besaß (J. SALZWEDEL, Nähe vom Höhlenbaum, ob diese als Nahrungsquelle M. GÖTTSCHE pers. Mitt). genutzt wurden, ist jedoch unklar. 60 BERGMANN & KRÜGER: Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs in Nordwest-Niedersachsen

Abb. 5: Lage des Höhlenbaumes (rote Markierung), regelmäßig aufgesuchte Ruforte (gelb) und zur Nahrungssuche aufgesuchte Orte (grün) eines Wiedehopfs bei Wiesens zur Brutzeit 2014. – Location of the cavity tree (red) and sites which were regularly frequented by the Hoopoe for singing (yellow) and foraging (green) at Wiesens.

Großenkneten: Spätestens um den 25.05.2007 allein, die Naturhöhle wurde mit Sicherheit nicht wurde der Wiedehopf von Anwohnern bemerkt. als Bruthöhle genutzt. Letztmalig wurde der Wie- Der Vogel rief vormittags insbesondere am Morgen dehopf am 05.07. registriert (Aufenthaltsdauer: > recht intensiv und war daher bald auch innerhalb 42 Tage). Der Aktionsraum des Wiedehopfes in Großenknetens gut bekannt. Hierzu trug auch bei, Großenkneten nahm eine Fläche von mind. 45 ha dass er sich ganz überwiegend im Ort selbst aufhielt ein (Abb. 6). und dabei zur Nahrungssuche Hausgärten, ge- pflasterte Auffahrten, einen Kinderspielplatz, Weg- ränder oder auch den örtlichen Fußballplatz auf- suchte, vor allem jedoch exponierte Stellen wie Diskussion Scheunen- und Hausdächer oder das Dach einer Turnhalle als Singwarten nutzte und sich dadurch Brutstatus auffällig verhielt. Daneben saß das Wiedehopf-♂ vielfach in alten Bäumen, zumeist Stiel-Eichen, Bei beiden hier beschriebenen Nachweisen hielten aber z. B. auch Schwarz-Erlen Alnus glutinosa etc.. sich die Wiedehopfe zur Brutzeit über einen längeren Zeitraum an einem Ort auf und zeigten Am 15.06. wurde der Wiedehopf dabei beobachtet, Revierverhalten. Wäre jeweils nur eine begrenzte wie er am Rande der Ortschaft eine Naturhöhle Anzahl von Kontrollen vor Ort erfolgt, wie dies im (Fäulnishöhle) in einer Hofeiche inspizierte und Rahmen von Revierkartierungen oft der Fall ist, diese immer wieder aufsuchte. Die Eiche ist Teil hätte in beiden Fällen der Status „Brutverdacht“ einer Baumreihe, die das Grundstück des Bauernhofs ausgesprochen werden können. Denn für eine von einem Acker abgrenzt. Zum Höhlenbaum be- solche Einstufung ist u. a. eine zweimalige Fest- nachbart stehende Eichen wurden intensiv als Sing- stellung eines rufenden ♂ im Abstand von min- plätze genutzt. Aufgrund der vorliegenden Beob- destens sieben Tagen zu erbringen, wovon eine in achtungen blieb der Vogel jedoch unverpaart und der Zeit von Mitte Mai bis Ende Juni erfolgt sein Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 61

Abb. 6: Lage des Höhlenbaumes (rote Markierung), regelmäßig aufgesuchte Ruforte (gelb) und zur Nahrungssuche aufgesuchte Orte (grün) eines Wiedehopfs in Großenkneten zur Brutzeit 2007. – Location of the cavity tree (red), sites which were regularly frequented by the Hoopoe for singing (yellow) and foraging (green) at Großenkneten.

muss (SÜDBECK et al. 2005). Durch weitere gezielte Lebensräume, Nahrung Kontrollen zeigte sich jedoch, dass die ♂ ihre hohe Rufaktivität beibehielten, sicher jeweils unverpaart Als Bruthabitat bevorzugt der Wiedehopf offene blieben und Bruten mit Sicherheit nicht stattfanden. Landschaften in warm-trockenen Klimaten bzw. Bemerkenswert ist, dass in Wiesens das gleiche entsprechender Exposition, in denen sowohl ge- Revier in zwei aufeinanderfolgenden Jahren von eignete Strukturen für Bruthöhlen sorgen als auch einem Wiedehopf besetzt wurde, wobei es sich eine kurze bzw. schüttere Pflanzendecke eine er- wahrscheinlich um das gleiche ♂ gehandelt hat. folgreiche Bodenjagd gestattet. Ein Offenbodenanteil von 50-90 % erscheint optimal. Weicher, vegetati- Nach SÜDBECK et al. (2005) sind frühe Ankunftszeiten onsarmer Boden wird zur Nahrungssuche bevorzugt, und kurze Rufperioden Indizien für wahrscheinliche er kann jedoch auch durchaus hart und steinig Bruten, da die ♂ nach Brutbeginn ihre Rufaktivität sein, wenn Steinhaufen, Geröll, Bodenspalten, reduzieren, während unverpaarte ♂ kontinuierlich kleine Erdlöcher, Dung von Weidevieh und andere weiterrufen können. Dabei ist im geschlossen be- Kleinstrukturen den Nahrungserwerb sichern (GlutZ siedelten Verbreitungsgebiet ein hoher Anteil un- VON BLOTZHEIM & BAUER 1980, IOSET 2007, MÜHLETALER verpaarter ♂ typisch, in Brandenburg beträgt der & SCHAAD 2010). Die besiedelten Habitattypen rei- Anteil im Mittel 25 %, in manchen Jahren liegt er chen von lockeren, lichtungsreichen Waldflächen erheblich höher (OEHLSCHLAEGER & RYSLAVY 2002, (z. B. trockenen Kiefernwäldern, lichten Auen) bis STANGE & HAVELKA 2003). Insofern sind die hier be- zu baumlosen Steppenlandschaften, in denen Fels- schriebenen Vorkommen als Brutzeitvorkommen und Mauerspalten, Erdlöcher usw. Bruthöhlen oder Brutzeitfestellungen zu werten, die z. B. bei bieten. Typische Brutbiotope sind offene Park- und der naturschutzfachlichen Bewertung der örtlichen Auenlandschaften, aber auch Obst-, Wein- und Brutvogellebensräume außerhalb der Wertung ste- Olivenanlagen, Korkeichenbestände oder Weide-, hen (BEHM & KRÜGER 2014). Garten- und Ackerlandschaften mit nicht allzu in- tensiver Bodennutzung bzw. kurzrasiger Vegetation 62 BERGMANN & KRÜGER: Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs in Nordwest-Niedersachsen

che einzelner Wiedehopfe zur Brutzeit auch heute noch erfüllen, trotz der auch hier stattgefundenen Nutzungs- intensivierung, wie vor allem des vermehrten Maisanbaus. Die parkartige Wallhecken- landschaft um Wiesens bzw. die reich strukturierte und locker bebaute Struktur von Teilen Großenknetens mit altem Baumbestand fügen sich insgesamt gut in die breite Amplitude der Habi- tatstruktur des Wiedehopfes ein und das Bruthöhlenan- gebot dürfte überdies auch dort ausreichend sein. Abb. 7: Rufender Wiedehopf auf dem Dach einer Scheune. Großenkneten, 11.06.2007. Foto: Thorsten Krüger. – Singing Hoopoe on the rooftop of a barn. Hinsichtlich des Nahrungs- spektrums bevorzugt die Art allgemein größere Wir- und ausreichendem Nahrungsangebot. In baum- bellose, mehrheitlich Großinsekten und deren armen Landschaften ist eine Bindung der Brutplätze Larven. Zu den Hauptbeutetieren zählen Adulttiere an menschliche Siedlungen, Viehställe, Scheunen und Larven der Maulwurfsgrille Gryllotalpa gryllo- u. a. häufig (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1980, talpa, Engerlinge von Mai- Melolontha und Juni- MÜHLETALER & SCHAAD 2010). Im trocken-warmen käfern Amphimallon solstitiale, Erdraupen (Eulen- Kaiserstuhlgebiet in Südba- den benötigt ein Wiede- hopfpaar gut 100 ha Jagd- revier (STANGE 2000). Im Mit- telwallis, Schweiz, bean- sprucht ein Brutpaar deutlich kleinere Flächen, im Mittel 64-90 ha pro Brutpaar (AR- LETTAZ 1984). Später ermit- telte IOSET (2007) dort bei zehn radio-telemetrierten Wiedehopf-♂ zur Aufzucht- zeit Nahrungssuchräume von im Mittel 39,6 ha Größe (Spanne: 4,4-72,2 ha).

Augenscheinlich können halboffene, durch Hecken, kleine Gehölze bzw. locke- ren Altholzbestand oder Abb. 8: Wiedehopf beim Inspizieren einer Mauerlücke in einer Scheunenwand, dabei Ortslagen strukturierte mit aufgerichteten Haubenfedern und leicht angehobenen Flügeln einer Amsel dro- Agrarlandschaften der Geest hend (s. a. LIEBL et al. 2010); Großenkneten, 11.06.2007. Foto: Thorsten Krüger. – des nordwestlichen Nieder- Hoopoe inspecting a hole in the wall of a barn, simultaneously showing antagonistic sachsens die Habitatansprü- behavior towards a Blackbird with raised crest and slightly lifted wings. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 63

falter Noctuidae, Schwärmer Sphingidae), Feldgrillen reaktionen des Wiedehopfs zurück, potenzielle Gryllus campestris, Heuschrecken Orthoptera, Käfer Nestprädatoren durch „Stinken“ als Folge der Bür- Coleoptera und deren Larven, Zweiflügler Diptera zeldrüsentätigkeit bei nestjungen Vögeln und durch sowie Schmetterlingshaftlarven Ascalaphidae; hinzu „Spritzen“ von flüssigem Kot aus der Kloake zu kommen Regenwürmer Lumbricidae, Schnecken vertreiben (MÜNCH 1952). Demnach muss es man- Gastropoda, Spinnen Arachnida sowie Eidechsen cherorts Brutvorkommen gegeben haben, die dem Lacertidae und deren Eier (GLUTZ VON BLOTZHEIM & Wiedehopf zu den o. g. niederdeutschen Namen BAUER 1980, STANGE & HAVELKA 1995, 2003). Maul- verholfen haben. Im 19. Jahrhundert war die Art wurfs- und Feldgrillen kommen auf der Geest im Oldenburger Land noch ein verbreiteter und re- Nordwest-Niedersachsens nicht vor (GREIN 2008), gelmäßiger Brutvogel, wobei NEGELEIN (1853) be- dennoch dürften die Wiedehopfe aufgrund des merkte, dass sie nicht mehr so häufig sei wie in recht breiten Nahrungsspektrums der Art in struk- früherer Zeit. WIEPKEN & GREVE (1876) stuften den turreichen Bereichen mit lokal noch vorhandener Wiedehopf für den südlichen Teil des Herzogtums Weidehaltung ausreichend Nahrung finden, zu- Oldenburg von Hatten, Landkreis Oldenburg, an mindest legen das die langen Aufenthalte der als nicht seltenen, für die Umgebung der Stadt Ol- Vögel nahe. Möglicherweise boten auch die nahe denburg hingegen als seltenen Brutvogel ein. Im des Höhlenbaums in Wiesens festgestellten Roten Juni 1903 fand SCHÜTTE das einzige und letzte ihm Waldameisen eine zuverlässige Nahrungsquelle. bekannt gewordene Nest dieser Art in einer hohlen Überdies gingen die Wiedehopfe in beiden hier Walleiche im Barneführer Holz bei Sandhatten, dokumentierten Fällen bis tief in die dörflichen Landkreis Oldenburg (SCHÜTTE 1911, 1913). Es ist Siedlungen hinein, wo sie häufig öffentliche Grün- daher anzunehmen, dass der Wiedehopf bereits flächen, Hausgärten oder auch gepflasterte Auf- um die Jahrhundertwende aus den Geestbereichen fahrten aufsuchten. Bezüglich letzteren stellen Nordwest-Niedersachsens als Brutvogel fast völlig möglicherweise auch kleine Ameisenarten eine verschwunden war, wie es auch im übrigen Nie- Nahrungsquelle dar. dersachsen der Fall war (KACZMARECK 1986).

Einordnung der Vorkommen Als Gründe hierfür sind klimatische Veränderungen, aber im hohen Maße auch Veränderungen der Auffälliger noch als bei anderen thermophilen Vo- Bruthabitate und des Landschaftsbildes durch Ein- gelarten spiegeln sich in der Bestands- und Areal- griffe des Menschen zu nennen (z. B. Aufgabe der entwicklung des Wiedehopfs die Klimaschwan- halbextensiven Hutewaldwirtschaft, Ausräumung kungen in den letzten beiden Jahrhunderten wider. der Landschaft durch Flurbereinigung, Rückgang Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war der Wie- des Wiesenanteils an der landwirtschaftlichen Nutz- dehopf nach allen Quellen in ganz Mitteleuropa fläche, Eutrophierung magerer Standorte mit schüt- verbreiteter und gebietsweise ausgesprochen häu- ter Vegetation etc.; GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER figer Brutvogel (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1980). 1980, KACZMARECK 1986). Doch auch früher schon war der Wiedehopf auf der Geest in Ostfriesland als Brutvogel vermutlich 1922 teilte H. SCHÜTTE mit, dass der Wiedehopf recht weit verbreitet und nicht selten gewesen. So wohl nur noch im Oldenburger Münsterland Brutvogel führte ihn z. B. HENRICUS UBBIUS 1530 unter den sei (ANONYMUS 1922). Aus dieser Gegend führte K. vielen dort für Speisezwecke gefangenen Vogelarten SARTORIUS (1929; briefl. an H. WEIGOLD) einen unbe- auf (RITTER 1913). SANDERS (1993) fand für den stätigten Brutnachweis aus dem Jahr 1927 auf, von Wiedehopf im Ostfriesischen verschiedene, histo- dem er Kenntnis erlangt hatte. BIELEFELD (1924) je- rische plattdeutsche Namen, nämlich „Fuulpuup“, denfalls kannte den Wiedehopf nicht mehr als Brut- „Stinkvogel“ und „Bubbelkopp“, aus dem Olden- vogel der ostfriesischen Geest und auch LEEGE (1930) burgischen waren WIEPKEN & GREVE (1876) „Fulpup“ und MENKEN (1932) führten ihn für das Rheiderland oder „Puphopp“ geläufig. Dass es mehrere histo- bzw. den Landkreis Leer nicht mehr auf. Als letzter rische Namen gab, deutet ebenfalls auf eine früher Brutnachweis in der gesamten Region muss daher weite Verbreitung des Wiedehopfs in Ostfriesland die Angabe von FRANK (1940) gelten, der von einer und Oldenburg hin. Die Mehrzahl dieser alten Be- Brut im Jahr 1931 bei Lohne, Landkreis Vechta, be- zeichnungen gehen auf die Schreck- und Abwehr- richtete (s. a. KRÜGER 1994). 64 BERGMANN & KRÜGER: Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs in Nordwest-Niedersachsen

5 In Niedersachsen gilt das Brutvorkommen des Wie- dehopfs seit 2005 als erlo- 4 schen (KRÜGER & OLTMANNS 2007). Zuvor siedelte die Art zwischen 1980 und 1985 3 nur noch an einigen Stellen im Wendland und an einem Ort in der Lüneburger Heide, 2 und letztmalig hatte es 1994

Anzahl Paare [BN/BV] Paare Anzahl eine Brut auf dem Truppen- übungsplatz Munster, Hei- 1 dekreis gegeben.

Seit einigen Jahren gibt es 0 jedoch wieder einzelne Brut-

1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 vorkommen in Niedersach- sen. 2008 brütete ein Paar Abb. 9: Entwicklung des niedersächsischen Wiedehopf-Bestandes 1990-2014 (Daten: im Wendland südöstlich der Staatl. Vogelschutzwarte). – Population development of Hoopoe in Lower Saxony Stadt Dannenberg, und 1990-2014. 2009 kam es in der Nemit- zer Heide östlich Lüchow Das Erlöschen der ostfriesisch-oldenburgischen Vor- zu einer Brut, zusätzlich bestand dort Brutverdacht kommen fällt zeitlich mit dem Arealschwund in für ein weiteres Paar (jeweils Landkreis Lüchow- ganz Mitteleuropa zusammen. Aus Lauenburg in Dannenberg). Seit 2011 gibt es in Niedersachsen Schleswig-Holstein ist er z. B. um etwa 1910 ver- wieder alljährlich Brutvorkommen, die aus den schwunden. In den benachbarten Niederlanden Gebieten Nemitzer Heide (J. MAIERHOFER, pers. Mitt.), brütete der Wiedehopf um die Mitte des 19. Jahr- Truppenübungsplatz Bergen (B. WASCHKOWSKI, pers. hunderts noch in allen Provinzen, verschwand dann Mitt.) und NSG Lüneburger Heide (S. WORMANNS, aber völlig und trat 1914-1942 nur noch in Limburg pers. Mitt.) gemeldet wurden und 2014 bei zu- brutverdächtig auf. Von 1835 bis 1850 brütete er sammen fünf Brutpaaren lagen (Abb. 9). überdies verbreitet, dann bis 1876 sporadisch auf den dänischen Inseln Seeland, Fünen, Møn, Lolland, Es bleibt abzuwarten, ob diese Vorkommen aus Falster und Ærø, lokal auch im Osten Jütlands. In dem östlichen Niedersachsen den Beginn einer Südschweden galt der Vogel noch um 1870 in stetigen (Wieder-)Besiedlung des Landes markieren. Schonen, Blekinge, Småland, Öland und Gotland Die Brutzeitfeststellungen von Großenkneten und als häufig. Auch diese nördlichen Vorkommen er- Wiesens fallen jedenfalls in diese Phase neuer Brut- loschen zwischen 1899 und 1920 (GLUTZ VON BLOTZ- vorstöße. Zukünftig könnte der Wiedehopf einer HEIM & BAUER 1980). von HUNTLEY et al. (2007) entwickelten Modellierung zu Auswirkungen von Klimaänderungen auf Bru- So tritt die Art in Ostfriesland und im Oldenburger tareale zu Folge wieder zu den regelmäßigen Brut- Land seither nur noch auf dem Zug als unregelmä- vögeln Niedersachsens zählen. ßiger Gastvogel auf, bislang dabei stets einzeln. Die Heimzugfeststellungen verteilten sich im Ol- denburgischen 1948-1994 auf den Zeitraum vom Dank 17.4. bis zum 13.6., jene vom Wegzug vom 19.8. Für die Mitteilung ergänzender Beobachtungsdaten bis zum 21.10. Die längste Verweildauer betrug danken wir R. Baumelt, V. Bohnet, M. Göttsche, drei Tage, während alle anderen Vögel nur an M. Hunger, T. Penkert, J. Salzwedel und M. Säf- einem Tag zu beobachten waren (KRÜGER 1994; ken. aktuelle Nachweise z. B. GERDES 2000, RETTIG 2003, 2005, LIEBL et. al. 2010). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 65

Summary – Current records from the bree- BURT, W. H. (1943): Territoriality and home range concepts ding season of Hoopoe Upupa epops in as applied to mammals. J. Mammal. 24: 346-352. geest landscapes of NW Lower Saxony BIELEFELD, R. (1924): Ostfriesland – eine Heimatkunde. Au- rich. In 2014, and probably in 2013, the small village of FRANK, F. (1940): Neuere avifaunistische Beobachtungen Wiesens on the East Frisian Geest, municipal district aus Oldenburg. Ornithol. Monatsber. 48: 112-114. of Aurich, and its surrounding agricultural landscape GERDES, K. (2000): Die Vogelwelt im Landkreis Leer, im were the habitat of a male Hoopoe Upupa epops. Dollart und auf den Nordseeinseln Borkum und Lütje In 2014, it stayed at least from April 22nd to June Hörn. Leer. 26th (duration: 64 d), singing almost over the GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1980): Hand- whole period. However, the bird remained unpaired. buch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 9 Columbiformes – Already in 2007, a male Hoopoe had had a per- Piciformes. Wiesbaden. manent territory in the village of Großenkneten GREIN, G. (2008): Fauna der Heuschrecken (Ensifera & on the Delmenhorst Geest, municipal district of Caeliefera) in Niedersachsen. Nat.schutz Landsch.pfl. Oldenburg, between May 25th and July 7th (dura- Niedersachs. 46: 1-83. tion: 42 d). This individual, too, remained unpaired HUNTLEY, B., R. E. GREEN, Y. C. COLLINGHAM & S. G. WILLIS and no breeding took place. Therefore the records (2007) A climatic atlas of European breeding birds. should be taken as records of summering non- Barcelona. breeders. IOSET, A. (2007): The importance of bare ground for ter- restrially foraging insectivorous farmland birds: a case Up to the 1930s Hoopoe were regular breeding study of the endangered Hoopoes (Upupa epops). birds in geest landscapes of NW Lower Saxony. Dipl.arb. Univ. Bern. The current records coincide with a period of KACZMARECK, L. (1986): Wiedehopf – Upupa epops. In: recent occurrence of the species as a breeding ZANG. H., & H. HECKENROTH (Hrsg.): Die Vögel Nieder- bird in (eastern) Lower Saxony. From 1994 to sachsens – Tauben bis Spechtvögel. Nat.schutz 2007, no breeding occurred in the whole of Lower Landsch.pfl. Niedersachs. B, H. 2.7. Saxony, but after single broods in 2008 and 2009, KRÜGER, T. (1994): Die Vögel des Oldenburger Landes. and one year without any breeding record, the Eine Artenliste mit Statusangaben und Kommentaren. Hoopoe has been a regular breeding bird in the Jahresber. Ornithol. Arb.gem. Oldenbg. 12: 1-117. federal state since 2011. There is much evidence KRÜGER, T. (2007): Artenliste der Vögel des Oldenburger that the geest landscapes in East Frisia and in the Landes. Jahresber. Ornithol. Arb.gem. Oldenbg. 19: Oldenburg region, in combination with rural sett- 1-24. lement structures, may still be suitable breeding KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas habitat for Hoopoe and may also provide sufficient der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- food resources, when a rich habitat structure com- 2008. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 48: 1-556. prises areas of sparse vegetation and old trees. KRÜGER, T., & B. OLTMANNS (2007): Rote Liste der in Nie- dersachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel. 7. Fassung, Stand 2007. Inf.dienst Nat.schutz Nieder- Literatur sachs. 27: 131-175. ANONYMUS (1922): Aus Oldenburg. Mitt. Vogelwelt. 20: LEEGE, O. (1930): Die Pflanzen- und Tierwelt des Rheider- 129-130. landes. In: SIEBS, B. E. (Hrsg.): Das Rheiderland. Beiträge ARLETTAZ, R. (1984): Ecologie d’une population de Huppes, zur Heimatkunde des Kreises . Kiel. Upupa e. epops, en Valais: répartition spatiale, bioto- LIEBL, E., J. GRÜTZMANN, V. MORITZ & T. KRÜGER (2010): Avi- pes et sites de nidification. Nos Oiseaux 37: 197-222. faunistische Beobachtungen im Oldenburger Land BEHM, K., & T. KRÜGER (2013): Verfahren zur Bewertung 2006-2007. Jahresber. Ornithol. Arb.gem. Oldenbg. von Vogelbrutgebieten in Niedersachsen. Inf.dienst 20: 99-217. Nat.schutz Niedersachs. 33: 55-69. MENKEN, G. (1932): Flora und Fauna im Kreis Leer. In: BURGMAN, M. A., & J. FOX (2003): Bias in species range es- KREIS LEER (Hrsg.): Der Kreis Leer (Ostfriesland). Ein Bei- timates from minimum convex polygons: implications trag zur Heimatkunde. Kiel. for conservation and options for improved planning. MEYNEN, E., J. SCHMITHÜSEN, J. GELLERT, E. NEEF, H. MÜLLER- Anim. Conserv. 6: 19-28. MINY & J. H. SCHULTZE (1953-1962): Handbuch der na- 66 BERGMANN & KRÜGER: Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs in Nordwest-Niedersachsen

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Sumpfohreule Asio flammeus als Brutvogel im Leda-Jümme- Gebiet (Landkreis Leer) im Sommer 2014

Helmut Kruckenberg, Thomas Munk & Marian Max Meyer

KRUCKENBERG, H., T. MUNK & M. M. MEYER (2014): Sumpfohreule Asio flammeus als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet (Landkreis Leer) im Sommer 2014. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 67-77.

Im Frühjahr und Sommer 2014 konnte eine große Anzahl brütender Sumpfohreulen Asio flammeus in der Leda-Jümme-Niederung (Ostfriesland, Niedersachsen) festgestellt werden. Erstmalig wurde die gesamte Niederung intensiv während der beginnenden Brutzeit von Mitte März bis in den Mai hinein kartiert. Obwohl bereits seit Beginn der 1990er Jahre regel- mäßig Bruten der Sumpfohreule im Gebiet beobachtet wurden, war die Zahl von mindestens 8 Brutpaaren im Sommer 2014 überraschend hoch. Damit könnte die Leda-Jümme-Niederung das zweitwichtigste Brutgebiet für diese bedrohte Art in Niedersachsen sein. Wir diskutieren Gefährdungsursachen und Schutzerfordernisse.

H. K., Am Steigbügel 3, D-27283 Verden (Aller), [email protected]; T. M., 3. Südwieke 291, D-26817 , [email protected]; M. M. M., Borgweg 1a, D-26817 Rhauderfehn, [email protected]

Einleitung Innerhalb Europas beherbergen Russland, Weiß- russland, Skandivavien und Großbritannien jeweils Sumpfohreulen Asio flammeus (Abb. 1, 2) brüten mindestens 1.000 Brutpaare (SOVON 2002). In in der Neuen wie in der Alten Welt weit verbreitet Deutschland hat der Bestand der Sumpfohreulen zwischen der hohen Arktis und den gemäßigten stark abgenommen, und die Art hat sich auf kleine Breiten (CRAMP 1985). In Europa besiedelt sie die Teile des ehemaligen Verbreitungsgebietes zurück- nördlichen Bereiche von Island über die britischen gezogen (BOSCHERT 2005). So brüteten Mitte der Inseln und Skandinavien bis nach Nordrussland. In 2000er Jahre nur noch 75-175 bzw. 60-130 Brut- Mitteleuropa findet man sie verstreut in einem paare (BP; MEBS & SCHERZINGER 2008, BOSCHERT Streifen nördlich der Alpen, es gibt spärliche Vor- 2005), von denen mindestens 40-60 BP auf den kommen in Nordspanien und Frankreich (HUNTLEY ostfriesischen Inseln brüteten (DIERSCHKE 2008). et al. 2007). Neben den Tundren und Sumpfgebieten Einzig hier im Nationalpark Niedersächsisches Wat- Osteuropas bevorzugen Sumpfohreulen offene tenmeer, wo die Art mindestens seit der vorletzten Grasslandgebiete, Moorgebiete und Marschen Jahrhundertwende regelmäßig brütet (LEEGE 1909), (CRAMP 1985, BAUER et al. 2005). Für Deutschland hat sich aufgrund der dort vorherrschenden Dü- geben MEBS & SCHERZINGER (2008) bevorzugte Le- nenvegetation, einer maximal extensiven Land- bensräume als offene Landschaften mit niedriger, wirtschaft sowie stabilen Mäusevorkommmen, die aber deckungsreicher Vegetation an (Abb. 3). Nach letzte Hochburg der Eulenart in Deutschland ge- MANNES (1986) sollen auch in Niedersachsen Rest- halten (KNIPPING & BRANDT 2012). hochmoorflächen mit Pfeifengrasbeständen die bevorzugten Brutgebiete gewesen sein, daneben In Norddeutschland brütete sie ursprünglich auch auch Ruderalflächen. In Mittel- und Westeuropa in den ausgedehnten Moorlandschaften sowie seit hat der Bestand durch Lebensraumzerstörung und Mitte des 19. Jahrhunderts dann auf den Ostfriesi- –verschlechterung in den letzten Jahrzehnten stark schen Inseln (DIERSCHKE 2008). Auf dem Festland abgenommen (SOVON 2002). des Landkreises Leer brütet die Art weit verstreut 68 KRUCKENBERG et al.: Sumpfohreule als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet

einige seltene Arten, wie z. B. die Brutvorkommen der Sumpfohreule, die hier vorgestellt werden sollen.

Material und Methoden Die Sumpfohreulen im Leda- Jümme-Gebiet werden durch die lokalen Vogel- kundler bereits seit einigen Jahren intensiv beobachtet, jedoch wurde ergänzend in 2014 eine wöchentliche Er- fassung der Gastvögel im Gesamtgebiet durchgeführt und so auch die Randflä- chen der Niederung relativ intensiv erfasst. Mit dem Abb. 1: Angreifende Sumpfohreule im Holter Hammrich, 29.05.2014, Foto: Marian ersten Auftreten revieran- Max Meyer. – Aggressive Short-eared Owl. Polder Holte. zeigender Eulen im März wurde das Gebiet mehrmals und in Abhängigkeit von Mäusegradationen (GERDES wöchentlich flächendeckend abgesucht. Entspre- 2000). Über die Verbreitung vor den 1960er Jahren chend der Kriterien in SÜDBECK et al. (2005) wurde ist nur wenig bekannt, aber seit 1968 wurden das Verhalten der Reviervögel gewertet, wenn ab immer wieder Bruten nachgewiesen. Seit 1984 Mitte April balzende oder revieranzeigende Vögel brütete die Art häufiger im Fehntjer-Tief-Gebiet, beobachtet wurden (zur Abgrenzung von Brutver- wo sie dann seit 1993 regelmäßig vorkommt dacht zu Brutnachweis vgl. SÜDBECK et al. [2005]). (NLWKN 2007). 1976 wurde eine Brut im Leda- Nur in Ausnahmefällen wurden in Gebieten mit Jümme-Gebiet nachgewiesen, danach dann 1993 brutverdächtigen Vögeln aus Schutzgründen nach und 1996 sowie in den 2000er Jahren (vgl. GERDES Nestern gesucht, festgestellte Nester wurden dann 2000, T. MUNK Beob.).

Mit der Einrichtung des Na- turschutzpolders Holte (WEN- DEBURG & REICHERT 2012) stieg die Aufmerksamkeit der Vo- gelbeobachter für das Leda- Jümme-Gebiet merklich an und es wurde hier in den letzten Jahren sehr konti- nuierlich beobachtet. Aus diesem Grund gibt es heute nicht nur einen guten Über- blick über die Wiesenvogel- vorkommen im Gebiet (AKFW 2005) und die Gast- vögel (KRUCKENBERG 2013, 2014, KRUCKENBERG et al. Abb. 2: Sumpfohreule am Boden im Holter Hammrich, 02.07.2014, Foto: Helmut 2012), sondern auch über Kruckenberg. – Short-eared Owl sitting on the ground. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 69

ausgesteckt und dem Land- bewirtschafter bzw. der Un- teren Naturschutzbehörde mitgeteilt.

Untersuchungsgebiet Die Leda-Jümme-Niederung liegt im östlichen Landkreis Leer und ist eine offene, weitläufige Hammrichland- schaft, die von zahlreichen Gräben und Tiefs durchzo- gen ist. Die Niederung wird durch den Verlauf der Flüsse Leda und Jümme geprägt und reicht bis in die Land- kreise Cloppenburg und Ammerland hinein. Das Un- tersuchungsgebiet umfasst Abb. 3: Nahrungssuchende Sumpfohreule im Holter Hammrich, 10.04.2014, Foto: nur den Leeraner Teil der Thomas Munk. – Foraging Short-eared Owl in Polder Holte.

Abb. 4: Untersuchungsgebiet. – Study area. 70 KRUCKENBERG et al.: Sumpfohreule als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet

Abb. 5: Räumliche Verteilung von Sumpfohreulenbruten in den Leda-Jümme-Niederung im Sommer 2014. – Spatial distribution of breeding Short-eared Owls in the Leda-Jümme-Lowlands during summer 2014.

Niederung von der B70 im Westen bis an die im Osten und Südosten des Gebietes anzutreffen, Kreisgrenze im Osten. Im Norden wird das Gebiet wo heute großflächig Mais angebaut wird. Das durch den Geestrand Uplengens, im Süden durch Gebiet ist dünn besiedelt, und größere Ortschaften die Wallheckenlandschaft Rhauderfehns und liegen zumeist an den Rändern des Gebiets auf Ostrhauderfehns begrenzt. Durch das Gebiet verläuft der Geest. Es stellt einen ruhigen, verkehrsarmen von Potshausen nach Detern die B72 in Nord-Süd- und unzerschnittenen ländlichen Raum dar (REICHERT Richtung (Abb. 4). Dabei umfasst das Untersu- 2012) und umfasst eine Gesamtfläche von rund chungsgebiet das IBA „Leda-Jümme-Niederung“ 10.500 ha (s. dazu KRUCKENBERG in diesem Heft). sowie Teile von „Aper Tief“ (vgl. MELTER & SCHREIBER 2000). Das Gebiet wurde 2014 von BirdLife Inter- national als eines von fünf deutschen Gebieten Ergebnisse auf die Liste „IBA in danger“ gesetzt (KRUCKENBERG Die ersten brutverdächtigen Sumpfohreulen wurden 2015). am 14.03.2014 am Holter Hammrich beobachtet (Verf. M. M.), bereits am 20.03. waren es 4 Ind. an Im Gebiet sind die Bodentypen der Fluss- sowie gleicher Stelle. Anfang der dritten Märzwoche der Moormarschen auf Niedermoor prägend. Der fand D. BUWALDA am Grabenrand einer Grünland- zentrale Bereich des Gebietes, der Jümmiger Hamm- parzelle südlich des Polders Holte ein Gelege mit 8 rich, der Nortmoorer Hammrich, der Breinermoorer Eiern. Zwei Wochen später in ca. 600 m Entfernung und Schatteburger Hammrich werden noch annä- hierzu ein weiteres Gelege mit 5 Eiern. Hier verhielt hernd vollständig als Grünland bewirtschaftet, sich das Männchen ausgesprochen aggressiv. Ein wenngleich auch hier der Maisanbau deutlich fort- drittes Paar hielt sich westlich des Polders Holte schreitet. Die Nutzung der Grünlandflächen ist mit den gesamten Sommer über auf und wurde mehr- bis zu drei Schnitten und einer Nachbeweidung fach beim Futtertragen beobachtet. In diesem Teil- (Mähweiden) sehr intensiv (AKFW 2005). Acker- gebiet rund um den Polder Holte wurden insgesamt flächen sind vor allem in den Randbereichen und drei Brutnachweise und zwei Brutverdachte erbracht. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 71

Von zwei Gelegen ist bekannt, dass sie trotz aus- Limikolendurchzugs Mitte Mai nicht weiter kon- gebrachter Nestmarkierungen offenbar ausgemäht trolliert werden konnten. wurden, während das dritte Paar scheinbar erfolg- reich brütete. Das vierte Paar verschwand vermutlich Abb. 5 zeigt die räumliche Verteilung der Brutpaare schon Anfang Mai. innerhalb der Leda-Jümme-Niederung. Deutlich ist die Bedeutung der Flächen südwestlich des Polders Anfang Juli wurde in diesem Teilbereich eine Person Holte zu erkennen. Ebenso fanden sich auch Reviere beobachtet, die eine junge Eule im Gelände aus- im Osten sowie ein Brutpaar im äußersten Westen setzte. Die junge Eule konnte mit Hilfe eines orts- des Untersuchungsgebietes. Obwohl im Untersu- ansässigen Jägers im Gras gefunden werden und chungsgebiet wöchentlich komplett Gastvögel ge- war flügellahm. Ob der Vogel beim Mähen verletzt zählt wurden und zudem rund um den Polder oder von einem anderen Nestling bzw. einem Prä- Holte eine deutlich höhere Beobachtungsintensität dator verletzt wurde, bleibt unklar. Der Vogel herrschte, können weitere Bruten insbesondere in wurde in die Wildvogelstation nach Rastede ge- den nordwestlichen Bereichen des Untersuchungs- bracht. Es ist unklar, woher dieser Jungvogel ur- gebietes nicht ausgeschlossen werden. Anhalts- sprünglich stammte. punkte liegen dafür aber nicht vor.

Am 25.04. bzw. 30.04. wurden dann drei weitere Bemerkenswert ist die Wahl der Bruthabitate durch brutverdächtige Vögel im östlichen Bereich beob- die Eulen (Tab. 1). So wurden höchst unterschiedliche achtet (Verf. H. K.). Ein Vogel des Revierpaares in Habitate genutzt: von extensiven Grünlandflächen Scharrel stieg am 30.04.2014 gegen 11 Uhr aus bis hin zu krautigen Grabenrändern an sehr intensiv dichtem Gras am Rand einer Fläche steil auf und geführten Grünlandparzellen. attackierte einen überfliegenden Mäusebussard. Nach MEBS & SCHERZINGER (2008) ist dies ein deutliches Diskussion Zeichen, dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits Küken im Nest befanden. Die Nistplätze wurden Sumpfohreulen sind u. a. typische Brutvögel von der Unteren Naturschutzbehörde gemeldet. Über Feuchtgrünländereien, Verlandungszonen und das weitere Schicksal dieser drei Nester ist allerdings Moorrändern und damit traditionell auch der ost- nichts bekannt, da die Bereiche mit Abschluss des friesischen Niederungen. Der Rückgang setzte

Tab. 1: Nistplatzbeschreibungen mit Habitat, Erstbeobachtung und Brutstatus der Sumpfohreulenbruten im Sommer 2014. – Description of nestsites and their habitat, date of first observation and breeding status of Short-eared Owls in summer 2014. Nest/ Erstbeob - Status Habitat Revier achtung 1 14.03.2014 Brutnachweis: Altvögel futtertragend, Atta- Trockene, sandige und extensiv genutzte cken gegen überfliegende Greif- und Raben- Grünlandfläche mit Hügeln vögel 2 20.03.2014 Brutverdacht: Balzflüge Extensiv genutzte Wiese mit randständigen Eichen 3 20.03.2014 Brutverdacht: Balzflüge, Attacken gegen Extensiv genutzte Bereiche mit Baumreihe überfliegende Greif- und Rabenvögel 4 15.04.2014 Brutnachweis: Gelegefund Grabenrand einer intensiv genutzen Grün- landparzelle 5 07.04.2014 Brutnachweis: Gelegefund Grabenrand einer intensiv genutzten Grün- landparzelle 6 25.04.2014 Brutverdacht: Attacken auf überfliegende Grabenrand einer intensiv genutzten Grün- Greif- und Rabenkrähen landparzelle 7 30.04.2014 Brutverdacht: Balzflüge Grabenbereich zwischen extensiv Grünland- parzellen 8 30.04.2014 Brutverdacht: Balzflüge Extensiver Bereich inmitten intensiver Grün- landparzellen 72 KRUCKENBERG et al.: Sumpfohreule als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet

dann nur noch 10-20 Brutpaare, und danach gab es nur mehr unregelmäßige Vorkommen, vor allem in Jahren mit Mäusegradationen. Während in Schleswig-Holstein 2008 10-16 Brutpaare festgestellt wurden (JEROMIN 2010), gilt der Bestand in den Bundesländern Hamburg und Mecklenburg-Vor- pommern als erloschen (MITSCHKE 2007, EICHSTÄDT et al. 2003).

DIERSCHKE (2008) gibt für den Beginn der 2000er Jahre allein auf den ostfriesischen Inseln einen Be- stand von 40-60 Brutpaaren an, wenig später wird der landesweite Bestand der Sumpfohreule auf nur ca. 35-65 Paare geschätzt, wobei der Schwer- punkt der Verbreitung nach wie vor auf den Inseln im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer liegt (KRÜGER et al. 2014). Dies zeigt deutlich den hohen Gefährdungsgrad der Sumpfohreule im nie- dersächsischen Binnenland. So könnte das Leda- Jümme-Gebiet nach derzeitigem Kenntnisstand in einzelnen Jahren das zweitbedeutendste Brutgebiet der Sumpfohreule in Niedersachsen sein (vgl. KRÜGER et al. 2014). Selbst wenn man Kenntnislücken und Erfassungsdefizite bei dieser oft unstet siedelnden Art annimmt, dürfte das Gebiet zu den fünf wich- tigsten Brutgebieten für diese Art in Niedersachsen Abb. 6: Fliegende Sumpfohreule mit Feldmaus im Brut- gehören. Insofern ist es erwähnenswert, dass das revier Holter Hammrich, 20.03.2014, Foto: Marian Max Gebiet derzeit keinem naturschutzfachlichen Schutz- Meyer. – Flying Short-eared Owl in breeding territory regime unterliegt, obwohl das Gebiet durch das carrying vole. bedeutende Brutvorkommen von Wiesenlimikolen von hoher avifaunistischer Bedeutung ist. Aus diesem Grund wurde das Gebiet von Birdlife Inter- bereits im 19. Jahrhundert ein und hält bis heute national 2014 als eines von 356 weltweit „Important an (BAUER et al. 2005). Während ab Beginn des 20. Bird Area in Danger“ klassifiziert (KRUCKENBERG & Jahrhundert die ostfriesischen Inseln nach den SCHULZE-DIEKHOFF i. Dr.). ersten Eindeichungen dort, die ein dauerhaftes Vorkommen von Mäuse-Nahrungspopulationen er- Bereits seit einigen Jahren existiert im Gebiet ein möglichten, besiedelten (LEEGE 1909), setzte wohl regelmäßig frequentierter Winterschlafplatz von wenig später der Rückgang in den Niederungen Sumpfohreulen (Verf. T. M.), an dem bis zu 20 In- z. B. des ostfriesischen Rheiderlandes ein (vgl. LEEGE dividuen festgestellt wurden (17.10.2007). Im 1930). Der Rückgang am Festland war bereits in Winter 2014/15 waren es maximal 6 bzw. 11 Indi- den 1970er Jahren soweit fortgeschritten, dass viduen (Verf. M. M. M.). Ein enger Zusammenhang GERDES (2000) selbst einzelne Bruten für nur wenige zwischen dem Auftreten von Sumpfohreulen im Jahre benennt. Zu Beginn der 1990er Jahren brü- Winter und einem späteren Brüten am selben Ort teten in Ostfriesland nur noch am Großen Meer sowie der Mäusedichte ist gut dokumentiert (MIKKOLA (Landkreis Aurich) regelmäßig (eig. Beob). Ver- 1983, WIEBE 1991, RAU et al. 1992, HOLT 1993). gleichbar zeichnen BAUER et al. (2005) für Nieder- Nach Untersuchungen von BETHGE et al. (1965) sachsen einen dramatischen Bestandsrückgang in sowie BRUNNER (1965 jeweils zit. n. MANNES 1986) den letzten fünfzig Jahren nach: in den 1970er besteht die Nahrung der Sumpfohreulen in Nie- Jahren brüteten noch außerhalb des Wattenmeeres dersachsen zu 98 % aus Feldmäusen Microtus 100 Brutpaare, in den 1990er Jahren waren es arvalis (vgl. Abb. 6). Feldmäuse sind Wühlmäuse Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 73

der offenen Landschaft und bevorzugen Weiden regelmäßig Nachweise brütender Sumpfohreulen und Mähweiden, Dämme und Deiche. Sauergras- in der Leda-Jümme-Niederung gegeben hat (s.o.). flächen werden gemieden, jedoch gedüngte de- generierte Moorflächen gerne besiedelt (SCHRÖPFER Im Leda-Jümme-Gebiet nutzten die Sumpfohreulen et al. 1984). Wie auch bei anderen Beutegreifern im Sommer 2014 bevorzugt extensiv genutzte, der Offenlandschaft, z. B. der Wiesenweihe Circus etwas trockene Strukturen sowie die langgrasigen pygargus (KOKS et al. 2007), ist auch für Sumpf- Grabenrandstrukturen innerhalb intensiv bewirt- ohreulen die Mäusedichte im Brutgebiet entschei- schafteter Grünlandbereiche. Gemieden wurde da- dend für Brutpaarzahl, Größe der Territorien und gegen der neu eingerichtete Polder Holte, wo im Bruterfolg (CLARK 1975, MIKKOLA 1983, VILLAGE Winter hohe Wasserstände eingestellt werden und 1987). Ohne Zweifel war 2014 in Ostfriesland, so vermutlich die Mäusedichte gegenüber dem wie auch in den Niederlanden, ein mäusereicher umliegenden Wirtschaftsgrünland deutlich reduziert Sommer (BIJLSMA 2014). In solchen Jahren brüten war. Allerdings fanden sich die Hälfte der Nester in Sumpfohreulen generell in größerer Zahl, auch unmittelbarer Nähe des Polders, so dass die Eulen wenn solche Bestandsfluktuationen in den letzten durch die dann dort erst verzögert einsetzende Jahrzehnten abgenommen haben (BAUER et al. Vegetationsentwicklung möglicherweise gute Jagd- 2005). Da es besonders auf Weideflächen mit möglichkeiten hatten. Die ersten Sumpfohreulen einer hohen Vegetationsvielfalt zu hohen Feld- könnten bereits im März mit der Brut begonnen mausdichten kommt (SCHRÖPFER et al. 1984), muss haben, wie sich aus der Beobachtung aggressiver angenommen werden, dass die Abnahme dieser Altvögel Ende März ableiten lässt. Dieser frühe Fluktuationen auch einen fortschreitenden allge- Zeitpunkt wird auch bereits von HÖLZINGER et al. meinen Verlust von Artenvielfalt in der Grünland- (1973) benannt und liegt nach MEBS & SCHERZINGER wirtschaft indiziert (GEROWITT et al. 2013), der über (2008) am Beginn der von Mitte März bis Mitte die Strukturvielfalt auf den Grünlandflächen ge- April reichenden Phase der Eiablage. steuert werden könnte. Gehen SCHRÖPFER et al. (1984) noch von Peaks der Mäusepopulationen Bemerkenswert ist die hohe Dichte brütender alle 3-4 Jahre aus, so scheinen sich in den letzten Sumpfohreulen im Südwesten des Polders Holte. Jahrzehnten diese Zyklen aufgelöst, vor allen Dingen Hier lagen die Nester bzw. Reviermittelpunkte z. T. aber deren Amplituden deutlich verringert zu haben nur 300 m auseinander. Bei ausreichender Nah- (BIJLSMA 2014). Die Jahre, in denen Sumpfohreulen auf- grund der sehr guten Nah- rungsbedingungen mit ho- hem Bruterfolg rechnen können, haben sich schein- bar drastisch verringert.

Sumpfohreulen können je- doch auch nomadisch auf- treten (HOLT & LEASURE 1993) und ihre traditionellen Bru- treviere verlassen, wenn sich abzeichnet, dass die Nah- rungsverfügbarkeit im eig- nen Revier unzureichend und andernorts deutlich bes- ser ist (BESKE & CHAMPION 1971, HÖLZINGER et al. 1973, MIKKOLA 1983). Auch daher Abb. 7: Ruhende Sumpfohreule an Stacheldrahtzaun (s. Text). Holter Hammrich, ist es hier bedeutend, wenn 02.07.2014, Foto: Helmut Kruckenberg. – Resting Short-eared Owl on barbed wired es bereits in den Vorjahren fence. 74 KRUCKENBERG et al.: Sumpfohreule als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet

rungsverfügbarkeit nisten Sumpfohreulen häufig den Nahrungsräumen der Sumpfohreulen nicht sehr dicht (BAUER et al. 2005), manchmal nur mit aus Naturschutzsicht als Entzug der Nahrungs- 145 m Nestabstand. In Frankreich wurde das Brüten grundlage und damit als ein Verstoß gegen die Er- von Sumpfeulen sogar in kleinen kolonieartigen haltungsziele für den Schutz der Art und somit Clustern insbesondere in Mäusejahren beobachtet Auswirkungen auf die Umsetzung der EU-Vogel- (ARROYO & BRETAGNOLLE 1999). Möglicherweise lag schutzrichtlinie zu werten sind und nach § 13 die hohe Dichte im hier behandelten Gebiet an (Abs. 1, 2) des Pflanzenschutzgesetzes als unzulässig der hohen Vielfalt unterschiedlicher Bewirtschaf- anzusehen sind. tungsformen. Zur Sicherung der Sumpfohreulenvorkommen im Hinweise für den Schutz der Art Leda-Jümme-Gebiet wie auch der dortigen wert- vollen Wiesenvogelpopulationen sowie der win- Die Sumpfohreule steht in der Rote Liste Deutsch- terlichen Gastvogelbestände erscheint eine hoheit- lands unter Kategorie 1 (vom Aussterben bedroht; liche Schutzgebietsausweisung sowie die Aufnahme Südbeck et al. 2007), ebenfalls in Niedersachsen in das Natura 2000-Netz dringend geboten. Dies (KRÜGER & OLTMANNS 2007). Sie ist im Anhang I der ist nicht zuletzt dadurch gerechtfertigt, dass sich EU Vogelschutzrichtlinie aufgeführt. Daraus ergibt die notwendigen Maßnahmen für einen dauerhaften sich höchster Schutz- und Handlungsbedarf für Erhalt der Brutpopulation kaum allein auf freiwilliger die Sicherung dieser Art vor Ort. Im konkreten Fall Basis umsetzen lassen. Spätestens die Umsetzung des Leda-Jümme-Gebietes geht die Hauptgefähr- der erforderlichen – nicht zuletzt auch vom Land dung der Sumpfohreulen von der intensiven, in- Niedersachsen beschriebenen (NLWKN 2011) – dustriellen Landwirtschaft aus: Häufige und sehr Managementmaßnahmen und Extensivierungs- zeitige Mahd der Grünlandflächen (bereits ab Ende schritte (u. a. Reduzierung der Düngung und Mahd April), mit extrem hoher Geschwindigkeit und i. d. auf ein den Ansprüchen insbesondere der Feldmäuse R. auf den Flächen von außen nach innen durch- adäquates Maß [vgl. SCHRÖPFER et al. 1984]), darunter geführt gefährdet in hohem Maße die Gelege die Anhebung von Wasserständen, ein Verbot von sowie später die in den Grünlandflächen umher- Grünlandumbruch und Nachsaat von Hochleis- wandernden, nicht-flüggen Jungeulen. Solche Ver- tungsgräsern sowie ein großflächiges Verbot von luste könnten unter hohem personellen Aufwand Rodentiziden werden sich nach Beurteilung der durch Gelegeschutzmaßnahmen deutlich reduziert Verf. kaum mit dem heute verbreiteten landwirt- werden. Mittelfristig würde diese Maßnahmen schaftlichen Wirtschaften in Einklang bringen lassen. allein den Eulen aber nicht ausreichend helfen, da Insofern dürften derartige Maßnahmen nur im es derzeit infolge der zunehmenden Industrialisierung Zuge einer Schutzgebietsausweisung bzw. auf lan- der Grünlandwirtschaft zu einer fortschreitenden deseigenen Flächen kurzfristig umsetzbar sein. Uniformität der Vegetation kommt, die sich negativ auf die Mäusevorkommen auswirkt (s. o.). Daher Die frühzeitige Mahd in den heute intensiv genutzten kommt in Zukunft der Sicherung und Wiederher- Grünlandgebieten stellt die größte Gefährdung stellung dauerhaft als Brutgebiet geeigneter Le- für die Eulen dar. Selbst bei der als frühester Termin bensräume in dieser für den Vogelschutz wichtigen genannten Eiablage Mitte März besteht für die Niederung höchste Priorität zu. Ähnlich den hier Jungeulen faktisch keine Chance, vor dem ersten ebenfalls bedeutsamen Wiesenvogelpopulationen Schnitt, i. d. R. spätestens in der ersten Maiwoche, liest sich die Liste der Gefährdungs- und Rück- flügge zu werden, da die Bebrütung 26 Tage gangsgründe für Sumpfohreulen: „(1) dramatischer dauert und die Jungen ca. 36-38 Tage benötigen, Lebensraumverlust durch Melioration, Entwässerung bis sie sicher fliegen können (MEBS & SCHERZINGER und Intensiv von Feuchtgrünland […], (2) Ausbleiben 2008). Es wird deutlich, dass eine Mahd vor dem oder erhebliche Minderung der Mäusegradationen 15. Juni in jedem Fall große Gefahren für die durch Lebensraumverlust, Bodenverdichtung, Über- Sumpfohreulen bietet. Kurzfristig kann zumindest düngung, Mechanisierung der Bewirtschaftung, eine Verzögerung der Mahd bis zum Flüggewerden Wegebau, […] sowie insbesondere den Einsatz der Küken nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz in von Rodentiziden“ (BAUER et al. 2005). Diesbezüglich Verbindung mit Art. 14 Grundgesetz vom Flächen- wäre zu klären, ob der Einsatz von Mäusegiften in eigentümer verlangt werden (vgl. BREUER 2009), Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 75

doch stellt dies sicherlich keine dauerhafte Option W. Breuer (EGE) und P. Südbeck danken wir für dar. Eine weitere starke Gefahr geht für Sumpf- wertvolle Anregungen und Diskussionen zum Ma- ohreulen durch Kollisionen an Stacheldraht aus nuskript. (GERDES 2000, RATZMER & STEINER 2012; vgl. Abb. 7). Auch im Untersuchungsgebiet wurde am 16.10.2007 eine tote Sumpfohreule im Stacheldraht Summary – Short-eared Owl Asio flam- gefunden (Verf. T. M.). Trotz ihrer Seltenheit ist meus as Breeding Bird in the Leda-Jüm- diese Art eine der häufigsten gemeldeten Opfer me-Lowlands (District of Leer) in Sum- (KRUCKENBERG & SCHULZE-DIEKHOFF i. Dr.), so dass re- mer 2014 gional möglicherweise eine signifikant negative During Spring and Summer 2014 we found a Auswirkung auf die Population angenommen wer- large number of Short-eared Owls Asio flammeus den darf. Diese Kollisionen, die meistens tödlich nesting in the Leda-Jümme-Lowlands (East Frisia, enden, stellen eine vermeidbare Gefährdung dar, Lower Saxony). It was the first time that the whole der relativ kurzfristig z. B. durch hohe Wasserstände area was carefully checked during March and April, in den Gräben zur Viehkehrung oder übergangs- when the birds establish their nests. Breeding weise mit weißer Elektrolitze abgeholfen werden short-eared owls have been reported from these könnte. lowlands since the beginning of the 1990s. With a minimum of 8 breeding pairs the Leda-Jümme- Neben der massiven Gefährdung durch die me- Lowlands may be the second most important area chanisierte Landwirtschaft gehen auch Gefahren within Lower Saxony for this rare and threatened für Eier, junge Eulen und sogar Altvögel von großen species. We discuss threats and measures for better Greifvögeln wie dem Uhu Bubo bubo und dem protection of the Short-eared Owl. Wanderfalken Falco peregrinus, aber vor allen Dingen durch Bodensäuger, wie Rotfuchs Vulpes vulpes, verschiedene Marderartige (CADMAN & PAGE Literatur 1994) oder Hauskatzen aus (KNUDSEN 2010). Letztere ARBEITSKREIS FEUCHTWIESENSCHUTZ e.V. (2005): Ermittlung von sind für Ostfriesland sicherlich besonders relevant Zielgebieten für eine Grünlandförderung. Modellstudie und stellen hauptsächlich ein Problem in den in Wiesenvogellebensräumen im Weser-Ems-Raum. extrem entwässerten Marschen und Niederungen Abschlussbericht, Juni 2005. Osnabrück. dar, mit dem auch z. B. die Wiesenvögel erheblich ARROYO, B. E., & V. BRETAGNOLLE (1999) : Breeding biology zu kämpfen haben (vgl. BELLEBAUM 2002). of the short-eared Owl (Asio flammeus) in agricultural habitats of southwestern France. J. Raptor Res. 33: Früher stellte menschliche Verfolgung ebenfalls 287-294. eine starke Gefährdung der Sumpfohreule dar. BAUER, H.-G., E. BEZZEL & W. FIEDLER (2005): Kompendium Dies gilt für Norddeutschland heute sicherlich nur der Vögel Mitteleuropas – Nichtsingvögel. 2. Aufl., noch in sehr geringem (illegalem) Umfang, Zumin- Wiebelsheim. dest in Südeuropa stellt illegale Jagd noch immer BELLEBAUM, J. 2002): Prädation als Gefährdung bodenbrü- eine hohe Gefahr für Eulen dar. So waren von 205 tender Vögel in Deutschland – eine Übersicht. Ber. zwischen 1987-1996 tot aufgefundenen Sumpf- Vogelschutz 39: 95-117. ohreulen in Spanien 70 % illegal geschossen worden BESKE, A., & J. CHAMPION (1971): Prolific nesting of Short- (FAJARDO et al. 1994). eared Owl on Buena Vista marsh. Passenger Pigeon 33: 99-103. BIJLSMA, R. G. (2014): Ornithology from the tree top. Danksagung Ardea 102: 119-120. Wir danken allen Beobachtern, die durch ihre Mit- BOSCHERT, M. (2005): Vorkommen und Bestandsentwick- arbeit bei ornitho.de zur Vervollständigung der lung seltener Brutvogelarten in Deutschland 1997 bis Daten beigetragen haben. Dies waren M. Boekhoff, 2003. Vogelwelt 126: 1-51. K. Gerdes, J.-H. Stuke und A. Book. Besonders BREUER, W. (2009): Die Reichweite der Zugriffsverbote des hervorheben möchten wir dabei D. Buwalda, der Bundesnaturschutzgesetzes am Beispiel des Schutzes sich sehr intensiv vor Ort um die Eulen gekümmert einheimischer Eulen. Pop.-Ökol. Greifvogel-Eulenarten und zur Sicherung einiger Nester beigetragen hat. 6: 371-388. 76 KRUCKENBERG et al.: Sumpfohreule als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet

CADMAN, M. D., & A. M. PAGE (1994): Status report on attractive to Montagu’s Harrier Circus pygargus? Ibis the Short-eared Owl Asio flammeus in Canada. Com- 149: 575-586. mittee on the Status of Endangered Wildlife in Ca- KRUCKENBERG, H. (2013): Vorkommen von Gastvögeln in nada, Ottawa, Ontario, Canada. ausgewählten Gebieten des Landkreis Leer. Unveröff. CRAMP, S. (1985): Handbook of the birds of Europe, the Gutachten i. A. Landkreis Leer. Middle East and North Africa. The birds of the Western KRUCKENBERG, H. (2014): Bestand und räumliche Verbrei- Palearctic, Vol. 4: Terns to Woodpeckers. Oxford. tung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda- CLARK, R. J. (1975): A field study of the short-eared Owl Jümme-Niederung (Landkreis Leer) im Winter Asio flammeus (PONTOPPIDAN), in North America. Wildl. 2013/14. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 1-22. Monogr. 47: 1-67. KRUCKENBERG, H. (2015): Feuchtgebiete in Gefahr. Falke DIERSCHKE, J. (2008): Bestandsentwicklung von Kornweihe 62: 36-41. Circus cyaneus und Sumpfohreule Asio flammeus auf KRUCKENBERG, H., & M. SCHULZE-DIEKHOFF (i. Dr.): Stachel- den Ostfriesischen Inseln. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. draht als Mortalitätsursache von Vogelarten. Corax. 40: 459-465. KRUCKENBERG, H., G. REICHERT & T. PENKERT (2012): Rastbe- EICHSTÄDT, W., D. SELLIN & H. ZIMMERMANN (2003): Rote Liste stände, räumliche Verteilung und Habitatwahl des Re- der Brutvögel MecklenburgVorpommerns. Umwelt- genbrachvogels Numenius phaeopus im Landkreis Leer ministerium Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin. im Frühjahr 2011. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 95- FARJADO, I., V. PIVIDAL & W. CEBALLOS (1994): Causes of 104. mortality of the Short-eared Owl (Asio flammeus) in KRÜGER, T., & B. OLTMANNS (2007). Rote Liste der in Nie- Spain. Ardeola 41: 129-134. dersachsen und Bremen gefährdeten Brutvögel - 7. GERDES, K. (2000): Die Vogelwelt des Landkreis Leer und Fassung, Stand 2007. Inform.d. Nat.schutz Nieder- der Nordseeinsel Borkum. Leer. sachs. 27: 131-175. GEROWITT, B., S. SCHRÖDER, L. DEMPFLE, E.-M. ENGELS, J. EN- KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas GELS, P. H. FEINDT, A. GRANER, U. HAMM, A. HEISSENHUBER, der Brutvögel Niedersachsens und Bremen 2005-2008. H. SCHULTE-COERNE & V. WOLTERS (2013): Biodiversität Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 48, Hannover. im Grünland – unverzichtbar für Landwirtschaft und LEEGE, O. (1909): Die Vögel der ostfriesischen Inseln nebst Gesellschaft. Stellungnahme des Wissenschaftlichen vergleichender Übersicht der im südlichen Nordsee- Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen gebiet vorkommenden Arten. Emden, Borkum. beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- LEEGE, O. (1930): Die Pflanzen- und Tierwelt des Rheider- schaft und Verbraucherschutz, Bonn. landes. – In: SIEBS, B. E. (Hrsg): Das Rheiderland. Beitr. HOLT, D. W., & S. M. LEASURE (1993): Short-eared Owl Heimatkd.Kreis Weener: 17-24. (Asio flammeus). In: POOLE, A., & F. B. GILL (eds.): The MANNES, P. (1986): Sumpfohreule Asio flammeus. In: ZANG, Birds of North America No. 62. Washington. H., & H. HECKENROTH (Hrsg.): Die Vögel Niedersachsens. HÖLZINGER, J., M. MICKLEY & K. SCHILHANSL (1973): Untersu- Nat. schutz Landsch. pfl. Niedersachs. B, H. 2.7: 88- chungen zur Brut- und Ernährungsbiologie der Sumpf- 92. ohreule (Asio flammeus) in einem süddeutschen Brut- MELTER, J., & M. SCHREIBER (2000): Wichtige Brut- und Rast- gebiet mit Bemerkungen zum Auftreten der Art in vogelgebiete in Niedersachsen. Vogelkdl. Ber. Nieder- Mitteleuropa. Anz. ornithol. Ges. Bayern 12: 176- sachs. 32, Sonderheft: 1-319. 197. MIKKOLA, H. (1983): Owls of europe. Calton. HUNTLEY, B., R. E. GREEN, Y. COLLINGHAM & S. G. WILLIS MITSCHKE, A. (2007): Rote Liste der gefährdeten Brutvögel (2007): A climatic atlas of European Breeding Birds. in Hamburg, 3. Fassung 2006. Hambg. avifaunist. Durham, Sandy, Barcelona. Beitr. 34: 183-227. JEROMIN, K. (2010): Brutbestand und Verbreitung der NLWKN (2007): Wieder da: Sumpfohreulen im Fehntjer Sumpfohreule in Schleswig-Holstein. EulenWelt 2010: Tief. http://www.nlwkn.niedersachsen.de/aktuelles/ 29-31. Pressemitteilungen (download v. 12.02.2015). KNUDSEN, N. (2010): Sie Sumpfohreule in Dänemark. Eu- NLWKN (2011): Vollzugshinweise zum Schutz von Brut- lenWelt 2010: 23-26. vogelarten in Niedersachsen. – Sumpfohreule. KNIPPING, N., & T. BRANDT (2012): Sumpfohreulen – Leben http://www.nlwkn.de (download v. 12.02.2015). am Watt. Falke 61, Sonderheft: 32-35. RATZMER, R., & F. STEINER (2012): Sumpfohreule Opfer im KOKS, B. J., C. TRIERWEILER, E. G. VISSER, C. DIJKSTRA & J. Stacheldraht. EulenWelt 2012: 35. KOMDEUR (2007): Do voles make agricultural habitat RAU, J. R., M. C. VILIGRA, M. L. MORA, D. R. MARTINEZ & M. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 77

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Turmfalke Falco tinnunculus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Common Kestrel. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 79

Der Kenntnisstand zum Vorkommen von Lausfliegen auf Vögeln in Niedersachsen und Bremen (Diptera: Hippobosci- dae)

Jens-Hermann Stuke

STUKE, J.-H. (2014): Der Kenntnisstand zum Vorkommen von Lausfliegen auf Vögeln in Nie- dersachsen und Bremen (Diptera: Hippoboscidae). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 45: 79-83.

Meldungen über Lausfliegen (Diptera: Hippoboscidae) aus Niedersachsen und Bremen werden zusammengestellt. 8 Arten sind bislang aus dem Gebiet publiziert, bei einer Art ist die Be- stimmung fraglich. Bei fünf dieser acht Arten handelt es sich um Lausfliegen, die ausschließlich auf Vögeln leben. Nur von zehn Vogelarten sind Lausfliegen aus dem Untersuchungsgebiet gemeldet. Mit diesem fragmentarischen Kenntnisstand bietet sich ein reiches Betätigungsfeld für die Erforschung der niedersächsischen Lausfliegen. Es wird deshalb dazu aufgerufen, in Zukunft bei der Vogelberingung oder bei Nestkontrollen auf Lausfliegen zu achten und diese zur weiteren Bearbeitung zu sammeln.

J.-H. S., Roter Weg 22, D-26789 Leer, [email protected]

Einleitung werden regelmäßig Lausfliegen an ihren Wirten nachgewiesen und können weite Strecken von Lausfliegen (Hippoboscidae) sind eine faszinierende ihnen transportiert werden. Gruppe der calyptraten Dipteren (Fliegen). Weltweit sind etwa 150-200 Arten bekannt (WOOD 2010). Im Rahmen der Bearbeitung der Dipterenfauna 30 Arten werden für Europa aufgelistet (PETERSEN Niedersachsens und Bremens wird versucht, die 2013), von denen bislang 15 Arten aus Deutschland Zweiflügler zu inventarisieren. Das vorrangige Ziel bekannt sind (Tab. 2). Die Imagines leben als blut- ist eine Artenliste zu ermitteln. Darüber hinaus saugende Ektoparasiten an Säugetieren und Vögeln. wird angestrebt, die Verbreitung und die Habitat- Vier der in Deutschland nachgewiesenen Arten ansprüche der niedersächsischen Dipteren zu be- kommen an Großsäugern vor, die übrigen sind auf schreiben. In der Regel geschieht dies durch Auf- Vögel spezialisiert (Tab. 2). Für diese Lebensweise sammlungen und eine kritischen Sichtung der Li- haben die Lausfliegen eine Reihe von Anpassungen teratur. Gerade auf Vögeln lebende Lausfliegen entwickelt (Abb. 1-4), wie einen abgeflachten lassen sich kaum mit den üblichen Methoden zur Körper, kräftige Krallen zum Festhalten am Wirt, Erfassung von Fliegen nachweisen. Am einfachsten Mundwerkzeuge zum Blutsaugen und mehr oder können Lausfliegen erfasst werden, wenn Vögel weniger reduzierte Flügel. Lausfliegen sind vivipar, zur Beringung gefangen oder Nester kontrolliert die Larvenentwicklung findet in der mütterlichen werden. In der vorgelegten Arbeit soll die bisherige Vagina statt. Dort sind „Milchdrüsen“ entwickelt, Kenntnis zur Lausfliegenfauna Niedersachsens zu- und es erfolgt eine einzigartige Sauerstoffversorgung sammengefasst werden und damit ein Aufruf zur für die heranwachsende Larve. Jeweils nur eine Erfassung von Lausfliegen verbunden werden. Larve entwickelt sich gleichzeitig. Das dritte und damit letzte Larvenstadium verlässt das Abdomen der Mutter, um sich unmittelbar am Wirt oder im Material und Methoden Nest zu verpuppen. Die adulten Vogellausfliegen Die Nomenklatur der Lausfliegen und die Zuordnung leben überwiegend während des Heimzuges und der Synonyme folgt BÜTTIKER (1994). Die ornitholo- der Brutzeit der Wirte, aber auch auf dem Herbstzug gische Nomenklatur folgt BARTHEL & HELBIG (2005). 80 STUKE: Vorkommen von Lausfliegen auf Vögeln

Die Basis für die hier vorgestellte Bibliografie ist Ergebnisse die Literatursammlung des Autors zu den Dipteren Niedersachsens und Bremens. Zusätzlich wurden Aus Niedersachsen werden 8 und aus Bremen 6 Standardwerke zu den Hippobosciden Mitteleuropas Lausfliegenarten in insgesamt nur 11 Publikationen durchgesehen. Nicht ausgewertet ist bislang orni- gemeldet (Tab. 1). Die Nachweise von Ornithomyia thologische Literatur aus Niedersachsen, in der chloropus können nicht ohne Überprüfung von weitere Hinweise auf Lausfliegenvorkommen zu Belegen übernommen werden, da diese Art früher vermuten sind. häufiger fehlbestimmt wurde (BÜTTIKER 1994). Ins-

Tab. 1: Nachweise von Lausfliegen aus Niedersachsen und Bremen. – Records of Louse flies from Lower Saxony and Bremen. Art NDS HB Wirt Quelle Crataerina pallida + keine Wirtsangabe WALTER et al. (1990) Crataerina pallida + Turmfalke Falco tinnunculus KRÖBER (1932) Hippobosca equina + Pferd Equus ferus SICKMANN (1885) Hippobosca equina + keine Wirtsangabe HEINEKEN (1837) Hippobosca equina die Wirtsangaben lassen sich keinem KRÖBER (1932) + konkreten Fundort zuordnen Lipoptena cervi die Wirtsangaben lassen sich keinem KRÖBER (1910) + konkreten Fundort zuordnen Lipoptena cervi die Wirtsangaben lassen sich keinem KRÖBER (1932) + + konkreten Fundort zuordnen Melophagus ovinus + Schaf Ovis orientalis SICKMANN (1885) Melophagus ovinus + keine Wirtsangabe HEINEKEN (1837) Melophagus ovinus die Wirtsangaben lassen sich keinem KRÖBER (1932) + konkreten Fundort zuordnen Melophagus ovinus + Schaf Ovis orientalis SCHNEIDER (1898) Ornithomya avicularia + keine Wirtsangabe WALTER et al. (1990) Ornithomya avicularia + Sperber Accipiter nisus WALTER (1989) Ornithomya avicularia + Amsel Turdus merula WALTER (1989) Ornithomya avicularia + Eichelhäher Garrulus glandarius WALTER (1989) Ornithomya avicularia + Mauersegler Apus apus WALTER (1989) Ornithomya avicularia + „An verschiedenen Vögeln“ SICKMANN (1885) Ornithomya avicularia + keine Wirtsangabe HEINEKEN (1837) Ornithomya avicularia die Wirtsangaben lassen sich keinem KRÖBER (1932) + + konkreten Fundort zuordnen Ornithomya avicularia + keine Wirtsangabe SCHNEIDER (1898) Ornithomya avicularia Trauerschnäpper Ficedula hypoleuca ALFKEN (1924) Ornithomya biloba + keine Wirtsangabe WALTER et al. (1990) Ornithomya biloba SICKMANN (1885) + Rauchschwalbe Hirundo rustica (als „tenella“) Ornithomya chloropus + keine Wirtsangabe ALFKEN (1930) Ornithomya chloropus die Wirtsangaben lassen sich keinem KRÖBER (1932) + konkreten Fundort zuordnen Stenepteryx hirundinis + Mehlschwalbe Delichon urbicum SICKMANN (1885) Stenepteryx hirundinis Rauchschwalbe Hirundo rustica, EICHLER (1937) + Mehlschwalbe Delichon urbicum Stenepteryx hirundinis + Uferschwalbe Riparia riparia WALTER et al. (1990) Stenepteryx hirundinis + keine Wirtsangabe HEINEKEN (1837) Stenepteryx hirundinis Mauersegler Apus apus RAPP (1942) Stenepteryx hirundinis Haussperling Passer domesticus, KRÖBER (1932) + Mehlschwalbe Delichon urbicum Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 81

gesamt sind damit sieben Arten für das Untersu- beschränkt) an Felsenschwalben Ptynoprogone ru- chungsgebiet nachgewiesen - alle sieben Arten in pestris, Pseudolynchia canariensis (MACQUART, 1840) Niedersachsen und sechs dieser Arten in Bremen. lebt oligoxen an Tauben (Columbiformes), Pseu- Vier von ihnen leben nur auf Vögeln. Nur in acht dolynchia rufipes MACQUART, 1847 lebt oligoxen Arbeiten werden Wirte erwähnt, erst von zehn an Eulen (Strigiformes) und Schwalmvögeln (Ca- Vogelarten werden Nachweise von Vogellausfliegen primulgiformes), Olfersia fumipennis (SAHLBERG, gemeldet. Bei fast allen publizierten Nachweisen 1886) monoxen am Fischadler Pandion haliaetus. handelt es sich um Zufallsfunde, eine systematische Erfassung der Lausfliegenfauna Niedersachsens und Bremens erfolgte bislang nicht. Aufruf zur Erfassung von Lausfliegen in Niedersachsen Die geeignete Methode um Hippobosciden zu Diskussion sammeln, sind das systematische Absuchen ge- In Deutschland sind nach MÜLLER (1999, 2000), fangener oder toter Vögel sowie Nestuntersuchun- Kock (2000) und SCHMIDT (2001) aktuell 15 Laus- gen. An dieser Stelle möchte ich daher um die Zu- fliegenarten nachgewiesen, 11 dieser Arten sind sendung von Hippobosciden aus Niedersachsen an Vögel gebunden (Tab. 2). Aus Niedersachsen bitten. Die so gewonnenen Daten sollen gesammelt und Bremen sind also erst 53 % der deutschen und später in einer Faunistik zusammengefasst Lausfliegen-Arten gemeldet. Von den aus Deutsch- werden. land nachgewiesenen Lausfliegen sind alle bis auf die nur am Alpensegler lebende Crataerina melbae Zur Bestimmung können die Tiere direkt in kleine in Niedersachsen und Bremen zu erwarten. Au- Gefäße mit mindestens 70 % Alkohol (auch 70 % ßerdem kommen weitere Vogellausfliegen in Mit- vergälltem Brennspiritus) gegeben werden. Zu er- teleuropa vor, die – zumindest in vielen Fällen – gänzen sind das Sammeldatum, der genaue Fundort bei gezielter Nachsuche auch in Niedersachsen (am besten mit Koordinaten), die Wirtsart (am und Bremen noch zu gefunden werden können besten mit Alter und Geschlecht) und der Name und bislang vermutlich übersehen wurden (MÜLLER des Sammlers. Diese Informationen sollten mit 1997): Ornithophila gestroi (RONDANI, 1878) lebt weichem Bleistift auf ein kleines, säurebeständiges oligoxen (auf wenige Wirtsarten beschränkt) an Papier geschrieben werden, das zu der Lausfliege Falken (Falconiformes), Ornithomya rupes HUTSON, in den Alkohol gelegt wird. Wenn mehrere Tiere 1981 lebt monoxen (auf nur eine einzige Wirtsart an einem Vogel gesammelt werden, können diese

Tab. 2: Lausfliegen in Deutschland mit der Angabe der Wirtsspezifität und der Hauptwirte nach BÜTTIKER (1994). – Louse flies in Germany, with information concerning host specificity and the most important hosts.

Art Wirtsspezifität: Hauptwirte Crataerina melbae (RONDANI, 1879) monoxen: Alpensegler Apus melba Crataerina pallida (LATREILLE in OLIVIER, 1812) monoxen: Mauersegler Apus apus Hippobosca equina LINNAEUS, 1758 monoxen: Pferde Equus spp., Rinder Bos spp. Icosta ardeae (MACQUART, 1835) oligoxen: Reiher (Ardeiformes) Lipoptena cervi (LINNAEUS, 1758) oligoxen: Hirsche (Cervidae) Lipoptena fortisetosa MAA, 1965 ?: Biologie unzureichend geklärt, vermutlich ähnlich Lipoptena cervi Melophagus ovinus (LINNAEUS, 1758) monoxen: Schaf Ovis orientalis Melophagus rupicaprinus Rondani, 1879 monoxen: Gämse Rupicapra rupicapra Ornithoica turdi (LATREILLE, 1812) polyxen: kleine Sperlingsvögel (Passeriformes) Ornithomya avicularia (LINNAEUS, 1758) polyxen: diverse Vogeltaxa Ornithomya biloba (DUFOUR, 1827) monoxen: Rauchschwalbe Hirundo rustica Ornithomya chloropus (BERGROTH, 1901) polyxen: Sperlingsvögel (Passeriformes) Ornithomya fringillina (CURTIS, 1836) polyxen: kleine Sperlingsvögel (Passeriformes) Ornithophila metallica (SCHINER, 1864) polyxen: diverse Vogeltaxa Stenepteryx hirundinis (LINNAEUS, 1758) monoxen: Mehlschwalbe Delichon urbicum 82 STUKE: Vorkommen von Lausfliegen auf Vögeln

Abb. 1-4: Stenepteryx hirundinis, ♀, 3. August 1974, Schleswig-Holstein, Sieversdorf/Postsee, 54°14' N, 10°13' E an Mehlschwalben, leg. TSCHIRNHAUS, coll. STUKE. (1) Habitus (dorsal) mit reduzierten sichelförmigen Flügeln; (2) Kopf (dorsal) mit kleinem Kopf und kleinen Augen, sowie den Mundwerkzeugen zur Blutaufnahme vom Wirt; (3) Tarsi (ventral) mit auffälligen Krallen; (4) Abdomenspitze (ventral) mit großer Genitalöffnung für Viviparie. – Stenepteryx hi- rundinis, ♀, 3. August 1974, Schleswig-Holstein, Sieversdorf/Postsee, 54°14' N, 10°13' E at House Martin, leg. TSCHIRN- HAUS, coll. STUKE. (1) Habitus (dorsal) with reduced, sickle-shaped wings; (2) head (dorsal), small and with small eyes, mouthparts for blood sucking on the host; (3) tarsi (ventral) with conspicuous claws; (4) tip of abdomen (ventral) with large genital opening for vivipary.

zusammen in ein Gefäß gelegt werden, ansonsten Bislang ist kein Nachweis von Vogellausfliegen in sollte unbedingt für jede Lausfliege ein anderes der ornithologischen Literatur aus Niedersachsen Gefäß benutzt werden. Bruchsichere, kleine Pro- bekannt geworden, obwohl es sicherlich entspre- benröhrchen aus stabilem Plastik können leicht in chende Schriften gibt. Hinweise zu entsprechenden einer Luftpolstertasche oder einem stabilen Papp- Zitaten sind ebenfalls erwünscht. briefumschlag verschickt werden, ansonsten müssen zerbrechliche Probengefäße in einem kleinen Päck- chen versandt werden. Die Tiere werden hier um- Danksagung gehend bestimmt und die erfassten Daten zurück- Bei der Beschaffung der Literatur halfen M. Jentzsch gemeldet. Auch alle Funde von Lausfliegen, die (Halle), J. Müller (Halle) und G. Walter (Oldenburg). nicht an Vögeln parasitieren, sind sehr willkommen. M. von Tschirnhaus (Bielefeld) stellte die Hippo- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 83

bosciden für die Fotos zur Verfügung. J. Seitz (Bre- tera Brachycera, Braulidae-Larvivoridae. Verh. Ver. men) half bei der Interpretation einer Wirtsangabe. nat.wiss. Heimatforsch. Hamburg 23: 63-113. M. Hauser (Sacramento) und S. Gaimari (Sacramento) MÜLLER, J. (1997): Lausfliegen-Funde von heimischen Vö- korrigierten die englischen Übersetzungen. geln, nebst Bemerkungen zur deutschen Checkliste Diptera: Hippoboscidae. Ornithol. Jahresber. Mus. Hei- neanum 18: 129-138. Summary – The level of knowledge on MÜLLER, J. (2000): Crataerina melbae auf Alpenseglern the occurrence of louse flies on birds in Tachymarptis melba in Freiburg im Breisgau als Er- Lower Saxony and Bremen (Diptera: gänzung zur deutschen Checkliste der Hippoboscidae Hippoboscidae) (Diptera). Studia dipterologica 7: 501-505. Records of louse flies (Diptera: Hippoboscidae) PETERSEN, F. T. (2013): Hippoboscidae. Fauna Europaea. from Lower Saxony and Bremen are summarised. http://www.faunaeur.org/full_results.php?id=16682 Eight species have been reported so far from this (Download am 10.10.2013). area, although the identity of one species remains RAPP, O. (1942): Die Fliegen Thüringens unter besonderer doubtful. Five of these species live exclusively on Berücksichtigung der faunistisch-oekologischen Geo- birds. Only ten bird species have been found to graphie. Erfurt. host louse flies in Lower Saxony and Bremen. Be- SCHMIDT, E. (2001): Nachweis der Reiherlausfliege Icosta cause of the poor knowledge about louse flies, ardeae (MACQUART, 1835) (Diptera, Hippoboscidae) in there is a wide field for research on the louse flies Thüringen. Anz. Ver. Thüring. Ornithol. 4: 233-234. in Lower Saxony and Bremen. The author urges SCHNEIDER, O. (1898): Die Tierwelt der Nordsee-Insel Bor- others to look for louse flies while banding birds kum unter Berücksichtigung der von den übrigen ost- or removing bird nests, and to collect the flies for friesischen Inseln bekannten Arten. Abh. Nat.wiss. further investigation. Ver. Bremen 16: 1-174. SICKMANN, F. (1885): Verzeichnis einiger Dipteren, welche bei Wellingholthausen gesammelt wurden. Jahresber. Literatur Nat.wiss. Ver. Osnabrück 6: 184-190. ALFKEN, J. D. (1924): Die Insekten des Memmert. Zum WALTER, G. (1989): Phoresie und Hyperparasitismus bei Problem der Besiedlung einer neuentstehenden Insel. Orni thomyia (Diptera, Hippoboscidae) in der Bundes- Abh. Nat.wiss. Ver. Bremen 25: 358-481. republik Deutschland. Angew. Parasitologie 30: 43- ALFKEN, J. D. (1930): Die Insektenfauna der Mellum. Noch- 46. mals zum Problem der Besiedlung einer neuentste- WALTER, G., M. KASPAREK, & M. VON TSCHIRNHAUS (1990): henden Insel. Abh. Nat.wiss. Ver. Bremen 28: 31-56. Zur Lausfliegenfauna (Diptera: Hippoboscidae) der Vö- BARTHEL, P., & A. J. HELBIG (2005): Artenliste der Vögel gel in der Bundesrepublik Deutschland. Ökol. Vögel Deutschlands. Limicola 19: 89-111. 12: 73-83. BÜTTIKER, W. (1994): Die Lausfliegen der Schweiz. Docu- WOOD, D. M. (2010): Hippoboscidae. – In: BROWN, B. V., menta Faunistica Helvetiae 15: 1-117. A. BORKENT, J. M. CUMMING, D. M. WOOD, N. E. WOODLEY EICHLER, W. (1937): Wo kommt die Mehlschwalbenlaus- & M. A. ZUMBADO (Hrsg.): Manual of Central American fliege vor? Nebst Bestimmungsübersicht deutscher Diptera. Volume 2. Ottawa. Lausfliegen. Mitt. Ver. Sächs. Ornithol. 5: 126-130. HEINEKEN, P. (1837): Die freie Hansestadt Bremen und ihr Gebiet in topographischer, medizinischer und natur- historischer Hinsicht. Zweiter Band. Bremen. KOCK, D. (2000): Ornithoica turdi (LATREILLE, 1812) neu in der Fauna Deutschlands und ihre Phänologie in der westlichen Paläarktis (Insecta: Diptera: Hippoboscidae). Senckenbergiana biologica 80: 155-158. KRÖBER, O. (1910): Fauna Hamburgensis. Verzeichnis der in der Umgebung von Hamburg gefundenen Dipteren. Verh. Ver. nat.wiss. Unterhaltung Hamburg 14: 3-113. KRÖBER, O. (1932): Dipterenfauna von Schleswig-Holstein und den benachbarten Nordseegebieten. 3. Teil: Dip- 84

Haubentaucher Podiceps cristatus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Great Crested Grebe. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 85

Eine Kolonie offen brütender Haubentaucher Podiceps cri- status 2014 bei Goslar

Herwig Zang

ZANG, H. (2015): Eine Kolonie offen brütender Haubentaucher Podiceps cristatus 2014 bei Goslar. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 85-89.

Auf einem Kiesteich von 16 ha Größe im Steinfeld NE Goslar, nördliches Harzvorland, kam es 2014 zur Bildung einer Brutkolonie von bis zu 14 offen schwimmenden Nestern des Hau- bentauchers. Die Nester wurden auf einer Fläche von 40 x 50 m (0,2 ha) entlang und rund um einen Bereich mit Unterwasserflora von Ähren-Tausendblatt Myriophyllum spicatum an- gelegt. Vermutlich hat der „Unterbau“ der Unterwasserflora die Stabilität der Nester gesichert. Fast alle Bruten waren erfolgreich, es wurden 15-20 Junge flügge.

Schon in den 3 Jahren zuvor hat es an derselben Stelle erste Ansätze zu einer Koloniebildung dicht beieinander und offen stehender Nester von 3-5 Paaren gegeben.

H. Z., Oberer Triftweg 31A, D-38640 Goslar; [email protected]

Einleitung „Steinfeld“ kennzeichnet diesen Lebensraum, Haubentaucher legen ihr Nest in der Regel gedeckt dessen Bedeutung für die Vogelwelt lange bekannt in der Ufervegetation dicht an der offenen Was- war (MENZEL 1917, ZANG 1977). Diese Flächen zwi- serfläche an, insbesondere in Typha- und Phragmi- schen der B 241 von Goslar nach Vienenburg und tes-Beständen, nicht selten auch im herabhängenden der L 518 von Goslar-Oker nach Vienenburg werden Gezweig von am Ufer stehenden Büschen und seit den 1960er Jahren zur Kiesgewinnung genutzt. Bäumen. Bei Mangel an Nistgelegenheiten und Dadurch entstanden nach und nach auf einer gutem Nahrungsangebot nisten sie regelmäßig Fläche von ca. 4 km² 35 Teiche mit 1-20 ha Größe. auch in mehr oder weniger dichten Kolonien. Ins- Diese waren anfangs weitgehend vegetationslos, gesamt sind Haubentaucher bei der Nestanlage die Böschungen und Ränder sind inzwischen infolge sehr flexibel, und so vermögen sie bei Ermangelung der Sukzession vor allem mit Weiden dicht be- anderer Möglichkeiten ihre Nester durchaus auch wachsen (Abb. 1, 2). Die mit dem Kiesabbau ent- weitab von der Ufervegetation im Wasser „offen standenen Wasserflächen wurden ab 1967 vom schwimmend“ anzulegen (BAUER & GLUTZ VON BLOTZ- Haubentaucher besiedelt. Anfangs waren es nur HEIM 1966, MELDE 1973, BRANDT et al. 2001, MARXMEIER wenige, ihre Anzahl ist mit der zunehmenden Zahl et al. 2001). Dass Haubentaucher derartig frei der Teiche ständig und gleichmäßig, wenn auch schwimmende Nester auch kolonieweise errichten, schwankend, auf 23 Brutpaare im Jahr 2014 ge- war mir bislang nicht bekannt. Darum soll hier ein stiegen (Abb. 4; bei linearer Anpassung r = 0,75, solcher Fall beschrieben werden. n = 46, P < 0,1%).

Brutgebiet „Kolonieteich“ Das Okertal zwischen Goslar und Vienenburg Der Teich, in dem die Kolonie frei stehender Nester wurde bis zum Bau der Okertalsperre regelmäßig entstand – im Folgenden kurz „Kolonieteich“ ge- vom Hochwasser der Oker überflutet. Diese Über- nannt – hat eine Größe von ca. 16 ha (Abb. 1, 2). schwemmungsflächen sind reich an bis zu 10 m Er erstreckt sich etwa von NW nach SE zwischen mächtigen Kiesauflagen. Der ursprüngliche Name der Oker und der L 518 mit einer Länge von 600 86 ZANG: Kolonie offen brütender Haubentaucher bei Goslar

Rand eines solchen etwa 40 x 50 m großen Tausend- blatt-Bestandes (0,2 ha) bau- ten Haubentaucher ihre frei- en, offensichtlich auf dem Myriophyllum „aufliegen- den“ Nester. Erkennbar war, dass sie entlang von ca. 1- 2 m breiten „Rinnen“ an- gelegt waren, die weitge- hend frei von Bewuchs zu sein schienen. Hier auf den Abb. 1: „Kolonieteich“ im Steinfeld NE Goslar (Blick SE nach NW). Foto: Herwig „Rinnen“ bewegten sich die Zang. – “Colony pond“. Haubentaucher, um zu ihren Nestern zu gelangen. Den Myriophyllum-Bestand, der m, einer Breite von 270 m bei einer Tiefe von 0,5 ab Mitte der Brutzeit mit Algen überzogen war, bis 2,5 m. Die Kiesgewinnung in diesem Teich ist querten sie in der Regel nicht. seit 3 Jahren abgeschlossen. Der flachere NW-Teil war auf ca. 15 % der gesamten Wasserfläche mit einer bis fast zur Wasseroberfläche reichenden Un- Haubentaucherbestand auf dem terwasserflora, vor allem Ähren-Tausendblatt My- „Kolonieteich“ vor 2014 riophyllum spicatum bewachsen. Diese Flächen Schon vor dem Ende des Kiesabbaus 2010 am dehnten sich mit der Zeit etwas aus und wurden „Kolonieteich“ siedelten sich hier Haubentaucher von einem Algenteppich überzogen (Abb. 3). Am an, doch unterblieben genaue Kontrollen. Erste Hinweise auf das Entstehen einer Kolonie stammen von 2011, als am 20. April 9 Paare anzutreffen waren, die teilweise balzten, 2 bau- ten Freinester. Am 01. Au- gust hielten sich 7 Altvögel auf, die 7 flügge Junge be- treuten. 2012 wurde am 15. Juli erstmals eine kleine Kolonie von 5 Freinestern festgestellt, sie waren wieder an derselben Stelle errichtet wie 2011; die Abstände zwi- schen den Nestern betrugen ca. 8 bis 30 m. 3 Jungvögel von 3 Brutpaaren wurden flügge. 2013 konnten wie- der am gleichen Ort 3 Frei- nester zwischen dem 27. Mai und dem 10. Juni fest- gestellt werden, am 23. Juni waren sie verschwunden, Abb. 2: Kiesteich im Steinfeld NE Goslar mit den ersten drei frei gebauten Hauben- ohne dass es Hinweise zur taucher-Nestern der Kolonie am 12. Mai 2014. Foto: Herwig Zang. – Gravel pit with Ursache des Verschwindens the first three nests of Great Crested Grebe. gab. Die Höchstzahl der in Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 87

den einzelnen Jahren auf dem „Kolonieteich“ gezähl- ten Haubentaucher ist be- ständig gestiegen: 2003 und 2004 je 2 Individuen, 2010 10, 2011 18, 2012 38, 2013 31 und 2014 52 Vögel. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich die Nahrungssituation, ins- besondere an Kleinfischen (Weißfische), offensichtlich sehr positiv entwickelt hat.

Entwicklung der Ko- lonie 2014 Auf dem „Kolonieteich“, der 2014 bis Mitte Februar zugefroren war, trafen Hau- Abb. 3 Unterwasserflora (Ähren-Tausendblatt Myriophyllum spicatum) mit begin- bentaucher ab dem 22. Feb- nendem Algenüberwuchs und Teichfröschen (Rana esculenta) in dem „Kolonieteich“. ruar ein, ihre Zahl stieg bis Foto: Herwig Zang. – Submersed vegetation of Myriophyllum stands in the “colony Ende Mai beständig und er- pond“ with algae beginning to overgrow it. reichte am 21. Mai 38 Indi- viduen. Die anwesenden Vögel balzten (Pinguintanz) Paare zusammen, ihr Aufenthalt konzentrierte sich ab dem 24. März, waren dabei über den gesamten bereits um den späteren Koloniestandort wieder Teich verstreut und zeigten regelmäßig untereinander an der gleichen Stelle wie 2011 bis 2013. Nest- aggressives Verhalten. Am 07. Mai hielten 12-13 bauaktivitäten waren aber noch nicht zu erkennen. Am 12. Mai saßen dann bereits 3 Altvögel auf frei 25 gebauten Nestern, der Ab- y = 0,271x - 0,208 stand zwischen den Nestern R² = 0,560*** lag bei etwa 8 bis 10 m 20 (Abb. 2). Im Umfeld dieser ersten Nester entstanden dann bis zum 18. Juni wei- 15 tere 10 Freinester. Außer- dem führte am 18. Juni (Pentade 33) bereits ein Paar 10 Junge. Insgesamt konnten AnzahlBrutpaare vom 18. Juni bis zum 09. Juli (Pentaden 34-39) 14 5 Paare brütend oder mit Jungvögeln in und um die Kolonie registriert werden 0 (Abb. 5). In dieser Zeit waren 1967 1972 1977 1982 1987 1992 1997 2002 2007 2012 weitere 2-4 Altvögel anwe- Jahre send (Abb. 5), die mögli- Abb. 4: Bestandsentwicklung 1967-2014 des Haubentauchers Podiceps cristatus im cherweise ihr Gelege ver- Steinfeld NE Goslar (4 km²; aus ZANG & KUNZE 2002, ergänzt, 1988 und 1989 keine lassen (zwei Fälle) oder ihre Erfassungen) – Population development of Great Crested Grebes 1967-2014, Stein- Jungen verloren hatten. feld, NE Goslar. Nachgelege sind denkbar, 88 ZANG: Kolonie offen brütender Haubentaucher bei Goslar

40 Der zeitliche Verlauf der Bru- Altvögel ohne Nest/Junge tansiedlungen (Nest, Gelege) Junge führende Vögel in der Kolonie zeigte weder brütende Vögel einen abrupten Start der 30 Brutvögel noch ein abruptes Ende, sondern einen nor- malverteilten Ablauf um die 20 Hauptbrutzeit mit der Mehr-

Anzahl zahl der Brutpaare vom 15. Juni bis 4. Juli (Abb. 5): In der Gründungsphase der 10 Kolonie (Pentade 27-29, 11. - 25. Mai) brütete etwa ein gutes Viertel der Altvögel (23-31 %), in der Haupt- 0 phase (Pentade 34-37, 15. 171319253137434955616773 Juni - 4. Juli) dann 79-81 % Pentaden und in der Auflösungsphase Abb. 5: Anzahl der anwesenden Altvögel, davon ohne Nest/Junge, auf Freinestern (Pentade 40-43, 15. Juli - und Junge führend nach Pentaden 2014 (in den fehlenden Pentaden zwischen 10 03. August) noch 15-20%. und 62 fanden keine Kontrollen statt). – Numbers of adult Great Crested Grebes, without nests or juveniles, on free swimming nests (or leading young birds (blue co- Am 18. Juni (Pentade 33) lumns) in 2014 (no observations in missing pentades). konnte das erste Paar mit Jungen beobachtet werden, die Zahl der führenden oder 40 fütternden Paare ist bis Pen- Altvögel tade 40 (15.-19. Juli) ziem- Jungvögel lich gleichmäßig auf 8 ge- stiegen und dann bis Pen- 30 tade 49 (29. August-02. September) mit 7-8 konstant geblieben (Abb. 5). Die

20 höchste Zahl anwesender Jungvögel wurde mit 19- Anzahl 20 in der Endphase des Brü- tens gezählt, Pentaden 40- 10 42. In diesen Zeitraum fällt auch die Höchstzahl der ins- gesamt auf dem „Kolonie- teich“ anwesenden Hau- 0 bentaucher mit 46-52 Indi- 171319253137434955616773 viduen (adulte und juvenile Pentaden zusammen; Abb. 6). In der Abb. 6: Anwesenheit 2014 von Alt- und Jungvögeln des Haubentauchers auf dem Folgezeit, Pentaden 43-52 „Kolonieteich“ nach Pentaden. – Attendance of Great Crested Grebes (adults – (30. Juli-17. September) wa- brown, juveniles – blue) on the “colony pond“ in 2014. ren es um ein Viertel weni- ger Jungvögel (Prädation?, Abzug?), doch konnten in zumindest bei den 2 aufgegebenen Bruten, ließen den Pentaden 43-52 durchgehend insgesamt knapp sich aber im Vergleich zu den Normalgelegen nicht 15 Junge festgestellt werden. Somit dürften 15- erkennen. 20 Junge flügge geworden sein. Schwankungen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 89 in der Zahl registrierter Jungvögel sind dadurch Literatur bedingt, dass nicht immer alle Jungen tatsächlich gesehen werden, insbesondere wenn sie sich im BAUER, K. M., & U. N. GLUTZ VON BLOTZHEIM (1966): Hand- Rückengefieder eines Altvogels aufhalten. Adulte buch der Vögel Mitteleuropas Bd. 1 Gaviiformes bis Haubentaucher mit ihren Jungen waren jetzt die Phoenicopteriformes. Frankfurt/M. charakteristischen Vögel der offenen Wasserfläche, BRANDT, T., U. MARXMEIER & N. WEBER (2001): Der Hauben- „Nahrungsflüge“ zu benachbarten Teichen (vgl. taucher – Auffälliger Wasservogel mit Nistplatzpro- BRANDT et al 2001) konnten nicht beobachtet blemen. Falke 48: 4-12. werden. Die Familien konzentrierten sich schon in MARXMEIER, U., F. KÖRNER & H. DÜTTMANN (2001): Verände- der Endphase des Brütens nicht mehr um den Ko- rungen in der Nistplatzwahl des Haubentauchers (Po- loniebereich, sondern waren über den gesamten diceps cristatus) am Dümmer. Vogelkdl. Ber. Nieder- Teich verteilt, wechselten aber ihre Standorte sachs. 33:197-204. manchmal von Tag zu Tag. Gleichzeitig beherrschte MELDE, M. (1973): Der Haubentaucher. N. Brehm-Bücherei das intensive Betteln der bis zu 20 Jungvögel den Nr. 461. Wittenberg Lutherstadt. Geräuschpegel über dem „Kolonieteich“, dieses MENZEL, F. (1917): Vogelwelt des Amtsgerichtsbezirkes ebbte erst nach Mitte September ab. Nach dem Harzburg. Ornithol. Jb. 28:61-80. 03. September (Pentade 50) flogen flügge Jungvögel ZANG, H. (1977): Die Vogelwelt der Kiesteiche im Steinfeld mehrfach den „Kolonieteich“ auf und ab, sie lan- NE Goslar. Festschr.125 Jahre Naturwiss. Ver. Goslar: deten in der Regel wieder am Startpunkt. Dieses 135-157. wie „Fliegen Üben“ erscheinende Verhalten ist ein ZANG, H., & P. KUNZE (2002): 4. Bericht zur Vogelwelt der deutlicher Hinweis auf die beginnende Selbstän- „Vienenburger Kiesteiche" NE Goslar. Mitt. Naturwiss. digkeit und den Anfang des Abzuges. Im Oktober Ver. Goslar 7: 309-326. und November waren dann nur noch wenige, zuletzt nur einzelne Vögel auf dem „Kolonieteich“ anwesend (Abb. 6). Es bleibt abzuwarten, ob sich 2015 wieder eine ähnliche Ansiedlung entwickelt und sich hier eine Tradition einer Kolonie offen brütender Haubentaucher entsteht, wie es die Be- obachtungen in den drei vorangehenden Jahre er- warten lassen.

Summary – A colony of free-breeding Great Crested Grebes Podiceps cristatus near Goslar in 2014

Great Crested Grebe formed a colony of up to 14 free swimming nests in a gravel pit NE Goslar in 2014. The nests were built along and around an area with submersed vegetation (Myriophyllum spicatum) and were probably supported by it. Nearly all broods were successful with 15 to 20 fledglings in all. In the preceding three years there had already been attempts by 3 to 5 pairs to form a colony in the same place. 90

Haubentaucher Podiceps cristatus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Great Crested Grebe. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 91

Zwergohreule Otus scops im Landkreis Helmstedt, Südost- Niedersachsen

Karl-Heinz Dorge

Vom 14. Mai bis zum 5. Juni 2012 hielt sich eine Der Fluß nimmt an dieser Stelle einen relativ natür- Zwergohreule Otus scops zwischen den Ortschaften lichen Verlauf in einem weiten Wiesengelände Glentorf im Landkreis Helmstedt und Heiligendorf, (Abb. 1, 2). Dieses ist ein Mosaik von Weidegrünland Stadt Wolfsburg, auf. Wie in jedem Jahr unternahm und extensiv genutzten Wiesen. Viele Gräben und ich im Mai 2012 einige Nacht- und Abendexkur- einige Kleingewässer sind auf den Wiesenflächen sionen, um Wachtelkönige Crex crex zu kartieren. vorhanden. Außerdem ist das Gebiet geprägt durch Am 14. Mai 2012 hörte ich kurzzeitig eine mir un- Solitärbäume, wie Pappel Populus spec., Weide bekannte Rufserie. Anfänglich hielt ich diese Rufe Salix spec. und Feldgehölze mit Ahorn Acer spec., für Signaltöne eines landwirtschaftlichen Fahrzeuges, Birken Betulus spec. und Eichen Quercus robur. doch schloss ich auch ein Vogelrufen nicht aus. An der Nord- und Südgrenze des Beobachtungs- Bei nachfolgenden Kontrollfahrten im Gebiet waren gebietes findet man intensiv genutztes Ackerland. die Rufe erneut nur kurz, z. T. aber auch gar nicht zu hören. Ein Abgleich mit Tonaufnahmen einer Die Zwergohreule konnte von mir im oben ge- Vogelstimmen-CD brachte schließlich Gewissheit: nannten Aufenthaltsgebiet bis zum 5. Juni 2012 am 19. und 20. Mai 2012 konnten dann U. DORGE nachgewiesen werden. Es wurde jeweils nur ein und ich eindeutig die Rufe als Balzrufe einer Zwer- Vogel gehört, so dass es sich wohl um einen Ein- gohreule identifizieren. Um den Nachweis abzusi- zelvogel gehandelt hat. Trotz Nachkontrollen waren chern, wurde für den 23. Mai 2012 eine gemein- spätere Exkursionen ergebnislos. same Nachsuche mit W. KELLERT, Vechelde, H. KIRSCHNER, Bockenem, sowie W. PASZKOWSKI, Meine, or- ganisiert: gemeinsam konn- te die Zwergohreule etwa 40 Minuten lang verhört und sicher identifiziert wer- den.

Das Beobachtungsgebiet liegt im Schuntertal, 25 km östlich von Braunschweig im Übergangsgebiet vom niedersächsischen Flachland zum niedersächsischen Hü- gelland. Die Schunter, ein Nebenfluss der Oker, bildet hier das sogenannte Schun- terknie. Von Südosten kom- mend knickt der Fluss nach Abb. 1: Überblick über den Beobachtungsort der Zwergohreule, Juni 2012. Foto: Westen ab. Karl-Heinz Dorge. 92 DORGE: Sumpfohreule im Landkreis Helmstedt

Abb. 2: Reich strukturierte Landschaft als Aufenthaltsgebiet einer Zwerg ohreule, Juni 2012. Foto: Karl-Heinz Dorge.

Die arttypischen Rufe „djuh djuh djuh …“ wurden lichen Teil des Schuntertals. Hier bevorzugte er im Abstand von zwei bis drei Sekunden als Serie mehrere Singwarten, die 50 bis 300 m voneinander vorgetragen (vgl. BERGMANN et al. 2008). Diese entfernt waren. Rufserie war bei Windstille und Verkehrsruhe bis auf eine Entfernung von 1,3 km zu hören. Unter- Als Beleg für diese Beobachtung wurden von mir schiedliche Lautstärken waren durch Standortwechsel Tonbandaufnahmen des Zwergohreulengesangs des Vogels und Kopfdrehen leicht erklärbar. Nur gemacht. einmal war gegen den Nachthimmel die Zwergohr - eule als schnell fliegendes Objekt auszumachen. Während der Aufenthaltsphase haben weitere Vo- Aus Artenschutzgründen wurde auf eine Nachsuche gelbeobachter die Zwergohreule gehört und die am Tage verzichtet. Bestimmung bestätigt. Die Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK) hat den Nachweis zwischen- Der Balzgesang der Zwergohreule begann gegen zeitlich anerkannt (C. KÖNIG, pers. Mitt.). 22.00 Uhr und endete meist um Mitternacht. An zwei Tagen hielt die Gesangsaktivität bis 1.30 Uhr Diese Veröffentlichung soll eine Anregung sein, in nachts an. Bei Windstille und höheren Abend- den kommenden Jahren verstärkt auf die Vogelart und Nachttemperaturen war die Gesangsaktivität in Niedersachsen zu achten. stärker als bei Wind und Regen. BERGMANN, H.-H., H.-W. HELB & S. BAUMANN (2008): Stim- Die Singwarten, von denen der Balzgesang vorge- men der Vögel Europas. Wiebelsheim. tragen wurde, waren separat stehende Bäume, wie Pappel, Weide, Spitzahorn A. platanoides oder Anschrift: K.-H. Dorge, Westernstraße 12A, D-38154 auch Feldgehölze. Königslutter am Elm, [email protected]

Für einige Tage hielt sich der Vogel in einem Pap- pelwäldchen im nördlichen Teil des Beobachtungs- gebietes auf. Die meiste Zeit rief er jedoch im süd- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 93

Bemerkenswerte Ansammlungen Isländischer Uferschnep- fen Limosa l. islandica auf der Emsinsel Bingumer Sand (Landkreis Leer) im Frühjahr 2014

Helmut Kruckenberg & Klaus Gerdes

Bis in die 1990er Jahre stellten Uferschnepfen Für beide Unterarten der Uferschnepfe stellt die Limosa limosa der isländischen Unterart islandica nördliche Emsniederung heute einen wichtigen eine seltene Erscheinung in den Niederlanden und Teil ihres Lebensraumes dar. Für die Nominatform Norddeutschland dar (GERRITSEN & TIJSEN 2003, ist das Gebiet eines der wenigen noch bedeutsamen KRÜGER 2010). Seit 1990 hat sie in den Niederlanden Brutgebiete (AKFW 2012), für die isländische Un- stark zugenommen (BIJLSMA et al. 2001). Im Rhei- terart der westlichste deutsche Zwischenrastplatz derland hat der Erstautor erstmals am 28.02.1998 (KRÜGER 2010). Flache Kolke im Vorland der Ems, ein Ind. dieser Subspecies nachgewiesen, das am Blänken auf den Wiesen in der gesamten Ems- 15.08.1997 in The Wash (England) markiert worden Niederung und speziell im Holter Hammrich (WEN- war (GERDES 2000). Die globale Erwärmung des DEBURG & REICHERT 2012) sowie das Dollartwatt Klimas hat insbesondere in den nördlichen Breiten bieten beiden Uferschnepfenpopulationen heraus- für stark verbesserte Lebensbedingungen dieser ragende Flächen zum Nahrungserwerb, als Sam- Unterart auf Island und damit einhergehend zu mel- und Schlafplätze. Aus diesem für die beiden einer deutlichen Bestandszunahme geführt, während Unterarten bedeutenden Raum soll aus dem Frühjahr die westeuropäische Nominatform durch die In- 2014 eine Reihe von besonders bemerkenswerten dustrialisierung der (Grün-)Landwirtschaft immer Beobachtungen rastender Uferschnepfen Limosa stärker abnimmt (GILL et al. 2007). l. islandica vorgestellt werden.

Seit Mitte der 1990er Jahre werden auch in Nord- Die Insel Bingumer Sand liegt in der Ems (Vogel- deutschland verstärkt Isländische Uferschnepfen schutzgebiet V10, Emsmarsch zwischen Leer und auf dem Durchzug beobachtet, wobei der Schwer- Emden) räumlich direkt zwischen dem Stadtgebiet punkt der Beobachtungen an den Unterläufen von Ems und Weser sowie im Schles- wig-Holsteinischen Watten- meer liegen (KRÜGER 2010). Der Durchzug der isländi- schen Unterart der Ufer- schnepfe findet i.d.R. von Mitte März bis Ende April statt, wobei das Maximum Mitte April verzeichnet wird (KRÜGER 2010). Damit liegt die Zeit des maximalen Durchzuges deutlich später als der Zeitraum, wenn sich die einheimischen Ufer- schnepfen in die Brutreviere Abb. 1: Rastende isländische Uferschnepfen am frühen Morgen (10.04.2014). Foto: verteilen. Helmut Kruckenberg. – Roosting Icelandic Godwits in early morning of 2014-04-10. 94 KRUCKENBERG & GERDES: Bemerkendwerte Ansammlungen Isländischer Uferschnepfen auf dem Bingumer Sand

Tab. 1: Beobachtungen rastender Isländischer Uferschnepfen auf dem Bin- und Vogelschutzdebatten unbe- gumer Sand, Frühjahr 2014. – Observations of staging Icelandic Godwits on rechtigterweise eine zu geringe Bingumer Sand, spring 2014. Rolle spielen. Dies liegt natürlich einerseits daran, dass die Arten Datum Limosa l. islandica Trupp gesamt Beobachter weiter verbreitet durchziehen und 28.03.2014 4 180 H. KRUCKENBERG daher wichtige Gebiete schwieriger 10.04.2014 460 468 H. KRUCKENBERG zu identifizieren sind, andererseits aber auch daran, dass viele Grün- 12.04.2014 360 372 K. GERDES landbereiche zu späten Durchzugs- 13.04.2014 450 465 K. GERDES zeitraum von vielen Beobachtern 16.04.2014 50 53 K. GERDES (zu Unrecht) oftmals als uninteres- sant betrachtet werden (und die 16.04.2014 81 101 J.-H. STUKE zurückzulegenden Strecken in den 17.04.2014 2 2 J.-H. STUKE Niederungen bisweilen sehr groß sein können). Gleichzeitig sollte verstärkt darauf geachtet werden, von Leer und dem Dorf Bingum. Die Insel im Lan- den Rast- und Sammelplätzen auch der durchzie- deseigentum wird nicht zuletzt wegen der hohen henden Limikolenarten beim Management zumin- Zahl brütender Wiesenlimikolen seit vielen Jahren, dest innerhalb der Schutzgebiete den notwendigen gesteuert über den Niedersächsischen Landesbetrieb Stellenwert einzuräumen. Offenhaltung der flachen für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz Blänken, attraktive Nahrungsbereiche mit ange- (NLWKN), extensiv bewirtschaftet. Die Insel ist passten Wasserständen zur Hauptzugzeit sind dabei durch Sommerdeiche geschützt, das Wasserregime wichtige Faktoren, die das Vorkommen fördern regelbar. In der Mitte der Insel befindet sich ein können. tiefgelegener Bereich, der nahezu das gesamte Jahr hindurch flach überstaut ist. In diesem Bereich wurden von Mitte März bis Mitte April große An- Literatur zahlen rastender Isländischer Uferschnepfen (Tab. 1) ARBEITSKREIS FEUCHTWIESENSCHUTZ WESTNIEDERSACHSEN/AKFW beobachtet. Das Maximum wurde am 10.04.2014 (2012): „Sorgenkind“ Uferschnepfe – Indikator und 7:25 Uhr mit ca. 468 Ind. erfasst (H. KRUCKENBERG; Gradmesser für den Erfolg des Wiesenvogelschutzes. Abb. 1). Dabei war es sehr wahrscheinlich, dass Feuchtwiesen-Info 11: 24-25. diese Vögel den Bingumer Sand zumindest an die- BIJLSMA, R.G., F. HUSTINGS & K. CAMPHUYSEN (2001): Alge- sem Morgen auch als Schlafplatz genutzt hatten. mene en schaarse vogels van Nederland (Avifauna Eine solch hohe Zahl wurde bisher in Deutschland van Nederland 2). Haarlem/Utrecht. noch nicht festgestellt (T. KRÜGER, pers. Mitt.). Zeit- GERDES, K. (2000): Die Vogelwelt im Landkreis Leer, im gleich wurden auch in anderen Rastgebieten weitere Dollart und auf den Nordseeinseln Borkum und Lütje Uferschnepfen der isländischen Unterart beobachtet. Hörn. Leer. Diese besonders bemerkenswerte Feststellung auf GERRITSEN , G. J., & W. TIJSEN (2003): De betekenis van Ne- dem Bingumer Sand betont u. E., dass Vogelbeob- derland als pleisterplaats voor Ijslandse Grutto`s Limosa achter dem binnenländischen Frühjahrsdurchzug limosa islandica tijdens de voorjaarsrtrek in 2001 en nordischer und arktischer Limikolen, der vergleichs- 2002. Limosa 76: 103-108. weise spät im Jahr stattfindet, sowie ihrer Schlaf- GILL, J. A., R. H. W. LANGSTON, J. A. ALVES, P. W. ATKINSON, und Nahrungsflächenwahl eine höhere Priorität P. BOCHER, N. CIDRAES VIEIRA, N. J. CROCKFORD, G. GÉLI- zumessen sollten. Neben der isländischen Ufer- NAUD, N. GROEN, T. G. GUNNARSON, B. HAYHOW, J. HOO- schnepfe gilt dies auch für den Kampfläufer Philo- IJMEIJER & R. KENTIE (2007): Contrasting trends in two machus pugnax (KRUCKENBERG 2013), den Regen- Black-tailed Godwit populations: a review of causes brachvogel Numenius phaeopus (KRUCKENBERG et and recommendations. Wader Study Group Bull. 114: al. 2011) sowie Bruch- und Waldwasserläufer Tringa 43-50. glareola, T. ochropus (WENDEBURG & REICHERT 2012), KRÜGER, T. (2010): Das Vorkommen der „Isländischen Ufer- die häufig in Diskussionen um den Schutz von schnepfe“ Limosa limosa islandica in Deutschland. Li- Rastgebieten, bei Eingriffen oder weiteren Natur- micola 24: 89-116. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 95

KRUCKENBERG, H. (2013): Vorkommen von Gastvögeln in ausgewählten Gebieten des Landkreis Leer. Unveröff. Gutachten Leer. KRUCKENBERG, H., G. REICHERT & T. PENKERT (2011): Rastbe- stände, räumliche Verteilung und Habitatwahl des Re- genbrachvogels Numenius phaeopus im Landkreis Leer im Frühjahr 2011. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 43: 95- 103. WENDEBURG, M., & G. REICHERT (2012): Naturschutz, Land- wirtschaft und Hochwasserschutz im Holter Hamm- rich. Feuchtwiesen-Info 11: 17-21.

Anschriften: H. K., Am Steigbügel 3, D-27283 Verden (Aller), [email protected]; K. G., Mo- zartstraße 20, D-26789 Leer, [email protected] 96

Uferschnepfe Limosa limosa, Jungvogel. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Black-tailed Godwit. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 97

Übernachtungsplätze einer Schneeammer Calcarius nivalis am Steinhuder Meer

Thomas Brandt & Eva Lüers

BRANDT, T. & E. LÜERS (2014): Übernachtungsplätze einer Schneeammer Calcarius nivalis am Steinhuder Meer. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 97-100.

Es wurden im Oktober 2014 zwei Übernachtungsplätze eines diesjährigen Schneeammer- männchens am Steinhuder Meer gefunden. Der Vogel übernachtete jeweils am Spülsaum des Sees im angeschwemmten Treibsel aus Laub und kleinen Zweigen und war hervorragend getarnt. Eine Literaturrecherche ergab nur wenige ältere Hinweise auf die Schlafplatzwahl der Art. Da der Gesetzgeber im § 44 (1), Abs. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes den Schutz von Ruheplätzen besonders geschützter Tierarten ausdrücklich vorsieht, können Hinweise auf die Eigenschaften von Schlafplätzen für den Schutz der Arten durchaus von Relevanz sein.

T. B., E. L., Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM e.V.), Hagenburger Str. 16, D- 31547 Rehburg-Loccum, [email protected]

Einleitung Methode/Beobachtungsgebiet

Am 24. Oktober 2014 sahen D. Towers und der Die Beobachtungen nach der Erstsichtung erfolgten Erstautor gegen 12:30 Uhr auf der Badeinsel im am 24.10. zwischen 18:00 und 18:50 Uhr (MESZ), Steinhuder Meer (Steinhude, Region Hannover) am 25.10. zwischen 17:30 und 18:50 Uhr (MESZ) ein diesjähriges Schneeammermännchen. Dieses sowie am 26.10. zwischen 16:40 und 18:00 Uhr hielt sich am Boden am Rande einer als Badestrand (MEWZ) jeweils mit einem Fernglas Leica Trinovid dienenden rund 6.000 m2 großen Sandfläche unter 10x42 jeweils am Sandstrand der Badeinsel. Der einigen einzelnen Sandbirken Betula pendula auf. Sonnenuntergang wurde für den 25.10. mit 18:07 Der Vogel flog auf und landete in einem geschlos- Uhr angegeben (Rehburg-Loccum). Die Beobach- senen Birkenbestand mit sandigem und schütter tungen wurden jeweils beendet, als die Schnee- bewachsenem Grund an der Ostseite der Insel, lief ammer durch das Fernglas nicht mehr von der nach ein paar Minuten auf die offene Sandfläche Umgebung zu unterscheiden war. zurück und hielt sich nach weiteren ca. 10 min wieder am Rand der Sandfläche nahe der Stelle Die ca. 5 ha große Badeinsel liegt im südöstlichen der ersten Beobachtung auf. Wir fragten uns, wo Bereich des Steinhuder Meeres und ist über eine der Vogel als Bewohner offener Tundralandschaften ca. 60 m lange Brücke erreichbar. Sie besteht aus mit Blockhalden und Felsen (kein Singvogel brütet Zierrasen, angepflanzten Sträuchern, Gebäuden weiter nördlich als die Schneeammer), die in West- und dem Sandstrand und dient ausschließlich der und Mitteleuropa zudem typischerweise in den of- Freizeitnutzung. Der aufgeschüttete, künstliche fenen und vegetationsarmen Dünen- und Strand- Sandstrand grenzt im nördlichen Bereich der Insel landschaften an der Küste überwintert, übernachten auf etwa 60 m Länge an das Seeufer. Die Insel würde. In der Literatur fanden wir nur wenige darf ganzjährig und weitgehend flächendeckend Hinweise zu Schlafplätzen (GLUTZ VON BLOTZHEIM & begangen werden. BAUER 1997). Unsere darauf folgenden Beobach- tungen zur Beantwortung der Frage werden hier geschildert. 98 BRANDT & LUERS: Übernachtungsplätze einer Schneeammer am Steinhuder Meer

Beobachtungen Die beiden Schlafplätze waren weiter als 20 m von Gehölzen entfernt. Am 26.10. wurde der Vogel Noch am 24.10., also wenige Stunden nach der nicht mehr gesichtet. Erstbeobachtung, beobachteten die Verfasser wie sich die zuvor nicht zu sehende Schneeammer gegen 18:35 Uhr dem Spülsaum aus Treibsel, der Diskussion vor allem aus Laub, weniger aus dünnen Zweigen Vermutlich wurde die Schneeammer bereits mit und kurzen Schilfhalmen bestand, näherte und dem aus nordwestlicher Richtung wehenden, sich nur 1-2 Minuten später im Windschatten einer starken Sturmwinden des 21. und 22.10. in das sechs Zentimeter hohen, scharfen Kante aus Treibsel Binnenland getragen. Zu diesem Zeitpunkt lagen setzte. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits sehr bei ornitho.de nur zwei weitere Meldungen von dunkel, die Amselrufe waren etwa 10 min zuvor Schneeammern abseits der Küste vor (Nordrhein- verstummt, Fledermäuse, vermutlich Wasserfleder- Westfalen und Sachsen-Anhalt). Der hier beob- mäuse Myotis daubentonii, flogen bereits nah am achtete Vogel wurde während seiner Anwesenheit Ufer vorbei. auch mehrfach von weiteren Beobachtern gesehen, auch innerhalb des geschlossenen Birkenbestandes Am 25.10. konnte die Schneeammer zwischen (R. MAYEN, pers. Mitt.). Der Vogel hielt sich immer 17:30 Uhr und 18:20 Uhr nicht gefunden werden, am Boden auf und wurde nie auf einem der Sträu- obwohl die Sandfläche der Badeinsel, der Spülsaum cher oder Bäume gesehen. und die angrenzenden Bereiche gründlich abgesucht wurden. Erst als die Wellen eines vorbeifahrenden GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER (1997) zitieren NAUMANN Motorbootes das Ufer erreichten, lief die Schnee- (1824), nach dem Schneeammern im Winterquartier ammer um 18:20 Uhr plötzlich ähnlich wie ein in der freien Feldflur in kleinen Vertiefungen hinter Sanderling Calidris alba am Ufer entlang. Um einer Erdscholle oder einem Feldrain, in einer 18:25 Uhr war der Vogel nicht mehr zu sehen, Ackerfurche oder Radspur, zwischen Steinen oder wurde aber kurz darauf von Passanten aufge- in einer Schneemulde schlafen. Ansonsten fanden scheucht. Der Vogel zeigte dabei eine sehr geringe wir weder bei NLWKN (2011) noch in der gängigen Fluchtdistanz von weniger als 5 Metern und hatte Literatur Angaben zu Schlafplätzen von Schnee- vermutlich bereits seinen Schlafplatz gewählt. Nach ammern (CRAMP & PERRINS 1994, BYERS et al. 1995, dem Aufscheuchen rannte der Vogel nur 2-3 Meter RISING 2011). Das junge Schneeammermännchen weiter und duckte sich mit huderähnlichen Bewe- am Steinhuder Meer wählte abweichend von den gungen in das lockere Laubmaterial des Spülsaums genannten Schlafplatztypen zwei Tage nacheinander nur ca. einen Meter vom Vortagesschlafplatz und den Spülsaum entlang des Badestrandes als Über- etwa 1,2 Meter von der Wasserkante entfernt. nachtungsplatz und war in diesem hervorragend getarnt.

Angaben zu Schlafplätzen vieler Singvogelarten sind in Ermangelung an Beobachtungen selten, was uns ermutigt hat, diese Einzelbeobachtungen zu dokumentieren. Diese Beobachtungen anhand eines einzelnen Vogels über nur zwei Nächte sind allein sicher nicht geeignet, um die Schlafplatzwahl von Schneeammern umfassend zu beantworten, aber sie geben einen Hinweis und motivieren viel- leicht zu umfassenderen Untersuchungen zu dem Thema.

Abb. 1: Schneeammermännchen (erstes Kalenderjahr) Der Schutz der Ruhestätten im Spiegel des Na- auf der Badeinsel im Steinhuder Meer, Steinhude, turschutzes 24.10.2014, Foto: Daniel Towers. – Male Snow Bunting (subadult). Schlafplatzuntersuchungen sind generell für den Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 99

Abb. 2: Die beiden Schlafplätze der Schneeammer auf der Badeinsel im Steinhuder Meer lagen im Spülsaum auf dem Treibsel aus Blättern und kleinen Zweigen etwa in Bildmitte. Foto: Eva Lüers. – Roosting places of Snow Bunting on an island in Steinhuder Meer. The bird had roosted in the middle of the picture in between the fringe of twigs and old foliage.

Naturschutz relevant, weil sich die nächtliche Le- Summary – Roosting places of a Snow bensraumnutzung aufgrund anderer erforderlicher Bunting Calcarius nivalis at Steinhuder Requisiten von der Raumnutzung tagsüber durchaus Meer unterscheiden kann und weil Störwirkungen nachts möglicherweise eine andere und ggf. auch erheb- In October 2014, a subadult Snow Bunting male lichere Wirkung entfalten können. Zudem sieht roosted on the shore of Steinhuder Meer, Lower der Gesetzgeber im § 44 (1), Abs. 3 des Bundes- Saxony. The bird used the drift line of the lake naturschutzgesetzes (BNatSchG) ausdrücklich den consisting of leaves and twigs where it was perfectly Schutz der Ruhestätten wildlebender und besonders camouflaged. Literature did hardly provide any in- geschützter Tierarten vor. Zu diesen gehören fast formation on comparable roosting places of the alle in Deutschland vorkommenden Vogelarten, species. Because protection of roosting places of auch die Schneeammer. Für den Artenschutz ist es protected bird species is provided by law, it is in- daher erforderlich, dass nicht ein Mangel an Kennt- dispensable to have sufficient knowledge of possible nissen dazu führt, dass der Schutz der Vogelarten features of such places. unter den Erforderlichkeiten bliebe und der gesetzlich gegebene Rahmen nicht gefüllt werden könnte. 100 BRANDT & LUERS: Übernachtungsplätze einer Schneeammer am Steinhuder Meer

Literatur

BYERS, C., U. OLSSON & J. CURSON (1995): Buntings and Sparrows – A Guide to the Buntings and North Ame- rican Sparrows. Mountfield. CRAMP, S., & C. M. PERRINS (1994): Handbook of the Birds of Europe, the Middle East and North Africa. The Birds of the Western Palearctic, Vol. IX – Buntings and New World Warblers. Oxford. GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1997): Hand- buch der Vögel Mitteleuropas, Band 14 Passeriformes (5. Teil). Wiesbaden. NLWKN (Hrsg. 2011): Lebensraumansprüche, Verbreitung und Erhaltungsziele ausgewählter Arten in Nieder- sachsen. Teil 2: Gastvögel. Inform.d. Nat.schutz Nie- dersachs. 31: 3-48. RISING, J. D. (2011): Family Emberizidae (Buntings and New World Sparrows). In: DEL HOYO, J., A. ELLIOT & D. A. CHRISTIE (Eds.): Handbook of the Birds of the World, Vol. 16, Tanagers to New World Blackbirds. Barce- lona. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 101

„Nest-Turmbau“ der Wasseramsel Cinclus cinclus unter einer Brücke im Harz (Odertal)

Dirk Gronowski & Herwig Zang

Wasseramseln sind sehr brutortstreu. Sie nutzen günstige Stellen nahe Wasserfällen oder unter Brü- cken, hier auch gern in künstlichen Nisthilfen, über viele Jahre zum Nestbau. Häufig wird das alte Nest im Folgejahr wieder verwendet, indem der äußere Moosbau teilweise erneuert, das Innennest aber stets völlig neu hergestellt wird. Manchmal kann auch ein neues Nest an einer benachbarten Stelle oder je nach Platz auch direkt neben oder über dem alten errichtet werden. Mehr als drei solcher Nester neben- oder übereinander waren uns bisher im Harz nicht begegnet und sind auch sonst in der Literatur nicht erwähnt (GLUTZ VON BLOTZHEIM & Abb. 1: Brücke im Odertal, Nationalpark Harz, mit Was- BAUER 1985, CREUTZ 1986, TYLER & ORMEROD 1994). Deshalb soll hier kurz über einen „Turmbau“ von seramsel-Nistkasten. Foto: Dirk Gronowski. 8 übereinander angelegten Nestern berichtet wer- den.

Ein unter einer Brücke im Odertal nahe der Gaststätte Rinderstall, jetzt im Nationalpark Harz gelegen, in den 1970er Jahren angebrachter Nistkasten (Abb. 1) war seither regelmäßig von Wasseramseln besetzt; gelegentlich brüteten auf dem Dach des Kasten auch Gebirgsstelzen Motacilla cinerea. 1998 wurde der Kasten seines Daches und der beiden Seiten- wände beraubt (Vandalismus), geblieben waren nur die Rückwand und das ca. 45 x 20 cm große Bodenbrett (Abb. 2). Dieses hatte zur Brückendecke einen Abstand von 50 cm. Die Wasseramseln nutz- ten, scheinbar unbeeindruckt, auch diesen Ort weiterhin zum Nisten.

Nach erfolgreicher Brut im Jahre 2003 war das Nest im August durch Verf. entfernt worden: Wie auch in den Vorjahren bauten die Wasseramseln Abb. 2: „Turmbau“ von acht Wasseramselnestern im im Frühjahr 2004 ein neues Nest und zogen darin Odertal, Nationalpark Harz. Foto: Dirk Gronowski. erfolgreich Junge auf. Dieses Nest wurde nicht entfernt, ebenso die in den folgenden Jahren bis 2010 erstellten. Da die Wasseramseln trotzdem samt 8 Nestern, die nach und nach den gesamten weiterhin jedes Jahr ein neues Nest bauten, einmal – Abstand von 50 cm zwischen Bodenplatte und 2007 – sogar ein zweites für ein Nachgelege, ent- Brückendecke auf einer Breite von 45 cm ausgefüllt stand so ein Neben- und Übereinander von insge- haben (Abb. 2, 3). 102 Gronowski & ZANG: „Nest-Turmbau“ der Wasseramsel

Abb. 3: „Turmbau“ von acht Wasseramselnestern im Odertal, Nationalpark Harz (frei aufgestellt mit Maßstab, Blick schräg von links vorn, die Pfeile weisen auf fünf aus dieser Sicht erkennbare Eingänge hin). Foto: Dirk Gro- nowski.

Literatur

CREUTZ, G. (1986): Die Wasseramsel. N. Brehm-Bücherei Nr. 364. 2. Aufl. Wittenberg Lutherstadt. GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1985): Hand- buch der Vögel Mitteleuropas, Bd.10/II Passeriformes (1. Teil). Wiesbaden. TYLER, S., & S. ORMEROD (1994): The Dippers. London.

Anschriften: Dirk Gronowski, Bäckerstr. 7, D-38667 Bad Harzburg; Herwig Zang, Oberer Triftweg 31A, D-38640 Goslar, [email protected] Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 103

Zweitbrut eines Turmfalkenpaares Falco tinnunculus im nördlichen Harzvorland bei

Uwe Beyerbach & Ulrich Ristig

Turmfalken machen in der Regel eine Jahresbrut, Auch wenn die beiden Altvögel nicht beringt waren, Hinweise auf Zweitbruten vor allem bei frühem so lassen die über einen langen Zeitraum vor allem Legebeginn sind vorhanden, es fehlen Nachweise mit Hilfe der Webcam gewonnenen Kenntnisse durch Beringung (GLUTZ VON BLOTZHEIM, BAUER & über die Färbung, den Gefiederzustand und das BEZZEL 1971, PIECHOCKI 1982). Nach MEBS & SCHMIDT Verhalten der Individuen keinen Zweifel aufkommen, (2014) kommen Zweitbruten „ganz ausnahms- dass es sich durchgehend um dieselben Altvögel weise“ vor, sie verweisen auf LANGGEMACH (1998) gehandelt hat. Dafür sprechen auch der zeitliche und SIEGNER (1998). Aus Niedersachsen sind bislang Ablauf der Bruten sowie die Tatsache, dass in der keine entsprechenden Angaben bekannt (ZANG Umgebung des einzeln stehenden Wohnhauses 1989), darum soll der folgende Fall hier kurz be- keine weiteren Turmfalken beobachtet wurden. schrieben werden. Der Legebeginn in Niedersachsen erfolgt in der Im Raum Seesen, Landkreis Goslar, wurden seit Regel von Mitte April bis Mitte Mai (ZANG 1989). den 1970er Jahren 70 Nisthilfen für Schleiereulen Dieses Paar hat somit 2 bis 6 Wochen früher als Tyto alba in Scheunen, Hausgiebeln usw. angebracht. normal mit dem Legen begonnen, begünstigt Sie werden nicht nur von Schleiereulen, sondern durch die milde Frühjahrswitterung 2014. Dadurch gelegentlich auch von Turmfalken genutzt. Dazu hat das Paar überhaupt erst den zeitlichen Rahmen gehörte auch die 2010 im Giebel eines einzeln für die Möglichkeit einer Zweitbrut geschaffen. stehenden Wohnhauses am Steinbrink in Seesen- Bornhausen angebrachte Nisthilfe. Dicht hinter dem Haus schließt sich eine größere Baumgruppe Literatur an. Die Nisthilfe wurde 2014 mit einer Webcam GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., K. M. BAUER & E. BEZZEL (1971): ausgerüstet, und so konnte das Geschehen am Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd.4 Falconifor- Nistplatz ohne jede Störung vom Wohnzimmer mes. Frankfurt/M. aus verfolgt werden. LANGGEMACH, T. (1998): Zweitbrut beim Turmfalken (Falco tinnunculus) im Havelland. Otis 6: 145-147. Der Kasten war erstmals 2013 besetzt, am 27. Juli MEBS, T., & D. SCHMIDT (2014): Die Greifvögel Europas, flogen die 4 Jungen sowie zwei von uns hinzuge- Nordafrikas und Vorderasiens. 2. Aufl., Stuttgart. setzte und adoptierte Jungvögel aus. Auch 2014 PIECHOCKI, R. (1982): Der Turmfalke. N. Brehm-Bücherei wurde der Brutplatz wieder von einem Turmfal- Nr. 116, 6. Aufl., Wittenberg Lutherstadt. kenpaar angenommen. Die 6 Eier des Geleges SIEGNER, J. (1998): Brutbiologie und Ringfunde oberbaye- wurden vom 30. März bis zum 13. April 2014 rischer Turmfalken (Falco tinnunculus). Ornithol. Anz. gelegt; daraus schlüpften 5 Jungvögel vom 07. bis 37: 213-220. zum 11. Mai. Am 08. und 09. Juni flogen die ZANG, H. (1989): Turmfalke – Falco tinnunculus. In: ZANG, Jungvögel aus und wurden dann noch 14 Tage im H., H. HECKENROTH & F. KNOLLE (Hrsg.): Die Vögel Nie- Umfeld des Wohnhauses betreut. dersachsens – Greifvögel. Nat.schutz Landsch.pfl. Nie- dersachs. B, H. 2.3. Am 25. Juni saß das Weibchen bereits wieder auf 2 Eiern, das 4er-Gelege der Zweitbrut wurde vom Anschriften: U. B., Steinweg 11, D-38723 Seesen, Dr.Bey- 23.-29. Juni getätigt. Daraus schlüpften 4 Junge [email protected]; U. R., Am Berge 8, D-38729 Lutter, vom 24.-27. Juli, die am 13. Aug. beringt wurden [email protected] und Ende August ausflogen. Damit hat dieses Paar 2014 neun Junge zum Ausfliegen gebracht. 104

Turmfalke Falco tinnunculus Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Common Kestrel. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 105

Amselweibchen Turdus merula legt sieben Gelege mit 31 Eiern in einer Saison

Gerhard Kooiker

KOOIKER, G. (2014): Amselweibchen Turdus merula legt sieben Gelege mit 31 Eiern in einer Saison. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44: 105-107.

In der Brutsaison 2014 produzierte ein Amselpaar in einem Osnabrücker Garten sieben Gelege. Das Weibchen baute insgesamt neun Nester (zwei rudimentär) und legte in sieben Nester insgesamt 31 Eier. Fünf Bruten wurden von Beutegreifern geplündert und eine ohne erkennbaren Grund verlassen. Nur die letzte Brut war erfolgreich. Das Weibchen legte mehr- heitlich bereits am sechsten Tag nach der Prädation des Geleges das erste Ei in einem neuen Nest ab.

Dr. G. K. Alfred-Delp-Str. 107, D-49080 Osnabrück

Einleitung Garten und verteidigt es auch im Winter gegen benachbarte Amseln. Im Spätsommer nach der Amseln Turdus merula sind neben Buchfinken Fringilla Brut bis in den Oktober/November hinein wird das coelebs sowie Kohl- Parus major und Blaumeisen P. Revier dabei allenfalls schwach verteidigt. Mögli- caeruleus die dominierenden Vogelarten in der Os- cherweise wird es dann auch kurzzeitig aufgegeben, nabrücker Gartenlandschaft (KOOIKER 2005a, 2014). da sich das Männchen auch wegen der Mauser Seit Jahren werden immer wieder im direkten Umfeld nur sporadisch zeigt. Spätestens ab Mitte November des Verf. beträchtliche Verluste an Eiern und Jung- ist das Männchen wieder ständig im Revier und vögeln bei im Garten brütenden Amseln festgestellt. verteidigt es gegen Artgenossen, ab Mitte Februar Daher wurde im Jahre 2012 eine kleine Studie be- intensiv. Nur das eigene Weibchen wird im Revier gonnen, um genaue Daten über die Prädationsraten geduldet. Auch dieses verjagt spätestens ab Mitte zu erhalten. Im Jahre 2014 konnte dabei ein über- November andere Amseln aus diesem Revier. Ver- raschender Befund festgestellt werden, über den mutlich handelt es sich hier um ein langjähriges an dieser Stelle kurz berichtet werden soll. „Paarrevier“.

Partnertreue durch Reviertreue Ergebnisse Die „Gartenamseln“ im Osnabrücker Stadtteil Wegen des sehr milden Winters 2013/14 (s. Dis- Wüste sind Standvögel. Die Revierabgrenzungen kussion) begann die Brutsaison 2014 bei den Os- beginnen oft schon im Herbst, und es bilden sich nabrücker „Gartenamseln“ rund einen Monat Winterreviere, die dann mit Fortschreiten des Früh- früher als nach normalen Wintern und zog sich jahres zu Brutrevieren werden. Dies unterstreicht über ein halbes Jahr hin: Am 25. Februar setzte auch ein individuell markiertes Männchen, welches bei dem beobachteten Amselpaar der Nestbau für am 24.07.2012 im Garten gefangen und beringt die erste Brut ein, das erste Ei wurde am 07. März wurde. Das Männchen fütterte zum damaligen abgelegt, am 24. März schlüpften die Jungen, Zeitpunkt noch Junge im Nest. Sein Weibchen und am 31. März wurde die erste Brut bereits ge- konnte leider noch nicht gefangen werden. plündert. Die letzte Brut begann am 04. Juli mit dem Nestbau, deren erstes Ei wurde am 08. Juli Das markierte Männchen besetzt bis zur Manu- gelegt, die Jungen schlüpften am 23. Juli und ver- skriptabgabe durchgängig sein Revier in meinem ließen das Nest am 05. Aug. (s. die vollständige 106 KOOIKER: Amselweibchen legt sieben Gelege mit 31 Eiern

Chronologie in Tab. 1). Mit dem Brutverlauf kor- obachtungen im Mittel am 24. März (12.03-04.04.) respondierte eine lange Gesangsperiode des Männ- mit dem Nestbau. Die Brutsaison 2014 setzte am chens. Es sang erstmals am 11. März, also erst 25. Februar und damit etwa einen Monat früher nach der Eiablage seines Weibchens, und letztmalig ein (vgl. auch KOOIKER 2005b). Für die sieben Gelege (allerdings nur leise und kurzzeitig) zwischen dem (6 Brutversuche, 1 erfolgreiche Brut) dürfte neben 20. und 25. Juli. der ständigen Prädation somit auch der milde Winter 2013/14 verantwortlich gemacht werden. In dieser langen Brutsaison produzierte das Amsel- Hierbei drängt sich sofort die Frage auf, wie viel paar insgesamt sieben Gelege, dabei baute das reguläre Jahresbruten dieses Paar produziert hätte, Weibchen sogar neun Nester (zwei rudimentär) wären die Nester nicht laufend geplündert wor- und legte in sieben Nestern insgesamt 31 Eier! den. Fünf Bruten wurden von Beutegreifern geplündert und eine ohne erkennbaren Grund verlassen. Nur Es verblüfft immer wieder, wie schnell die Vögel die letzte, siebente Brut war erfolgreich, und die nach einer geplünderten Brut umschalten können Jungen verließen das Nest (s. Details in Tab. 1). Die vom Bebrütungs- bzw. Fütterungsmodus der alten Prädation der Nester erfolgte sechsmal in der Brut zum neuen Brutzyklus, bestehend aus Nestbau, Nacht, so dass über die Prädatoren keine konkrete Kopulation und Produktion von fertigen Eiern, Aussage gemacht werden konnte: als mögliche wobei bekanntlich ein kompliziertes Wechselspiel Prädatoren sind Hauskatze Felis silvestris f. catus, verschiedener Hormone diese Vorgänge steuert. Steinmarder Martes foina, Iltis Mustela putorius So wurde bereits regelmäßig am übernächsten oder Eichhörnchen Sciurus vulgaris anzuführen. Tag nach der Prädation ein neues Nest gebaut und Nur einmal wurde tagsüber eine Elster Pica pica in der Regel am sechsten Tag nach Brutverlust das beim Eierraub beobachtet. erste Ei im neuen Nest abgelegt (s. Tab. 1). Zum „Betrauern“ der verlorenen Brut wird insofern Das Weibchen begann regelmäßig am übernächsten keine Zeit aufgebracht. Trauern ist im Vogelreich Tag nach dem Prädationsereignis, ein neues Nest auch nicht vorgesehen, was evolutionsbiologisch zu bauen, welches in etwa zwei Tagen fertig war. in eine Sackgasse führen würde. Interessant ist Es legte mehrheitlich am sechsten Tag (!) nach der ferner auch, dass eine Kopulation bei diesem Paar Prädation das erste Ei im neuen Nest ab (s. Tab. 1). nie beobachtet werden konnte, obwohl es doch lang anhaltend und intensiv aus kurzer Distanz zu beobachten war. Kopulationen werden generell Diskussion bei Drosseln selten beobachtet und finden wohl in Der Winter 2013/14 war ausgesprochen mild. Alle der Regel versteckt in der Vegetation statt (GLUTZ Monatsmitteltemperaturen lagen deutlich über den VON BLOTZHEIM & BAUER 1988). langjährigen Mittelwerten für Osnabrück (in Klam- mern Mittelwerte für 1981 bis 2010): Dezember Sieben Gelege mit 31 Eiern, wie hier beschrieben, 2013 = 5,3 °C (3,0 °C); Januar 2014 = 3,8 °C konnten für die Amsel in der ornithologischen Li- (2,0 °C); Februar 2014 = 6,0 °C (1,7 °C); März teratur bisher nicht nachgewiesen werden. Nach 2014 = 7,8 °C (5,5 °C). Im Siedlungsraum der MAKATSCH (1976) und BEZZEL (1993) finden bei Großstadt erlosch in diesem Winter der Herbstge- Amseln in der Regel 2 Jahresbruten statt, gelegentlich sang vieler Rotkehlchen nicht und ging direkt in 3 oder 4, diese Bruten können sich zeitlich über- den Frühjahrsgesang über. Um die Weihnachtszeit schneiden, d. h. ineinander geschachtelt sein. 2013 sangen in der Innenstadt von Osnabrück BEZZEL (1993) gibt die höchste Gesamtproduktion beispielsweise Amseln (am 26.12. sogar 3 Männ- eines Weibchens innerhalb einer Saison mit 21-25 chen), Blaumeisen, Kohlmeisen, Ringeltauben Co- Eiern an. Weiter berichtet er von 3 erfolgreichen lumba palumbus und Rotkehlchen Erithacus rubecula Bruten und 2 Brutversuchen (Schweiz, Niederlande), sowie am 31.12.2013 eine Tannen- Parus ater und von 5 (davon 4 erfolgreich), 6 (4 erfolgreich; jeweils eine Sumpfmeise Parus palustris. Niederlande) sowie 7 Brutversuchen (4 erfolgreich) aus Großbritannien. Solche Bruten sind auch nur Zwischen 1981 und 2013 begannen die Osnabrücker ausnahmslos aus Siedlungen bekannt. Zang (2005) Stadtamseln nach eigenen jahrzehntelangen Be- berichtet von 4 Jahresbruten in Salzgitter und Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 107

Tab. 1: Brutchronologie eines Amselpaares Turdus merula in der Saison 2014. – Breeding chronology of a Blackbird Turdus merula pair in the breeding season 2014.

Brut/Nest Eier Junge Ablage Ende Dauer Zeit- Schicksal der Brut [n] [n] des 1. Eies der Brut Brut/Gelege differenz (*) 1. Brut 4 4 07. Mrz 31. Mrz 24 Tage geplündert (juv.) 2. Brut 4 4 06. Apr 25. Apr 19 Tage 6 Tage verlassen (?) 3. Brut 5 5 30. Apr 24. Mai 24 Tage 5 Tage geplündert (juv.) 4. Brut 5 0 29. Mai 02. Jun 5 Tage 5 Tage geplündert (Eier) 5. Brut 5 0 08. Jun 21./22. Jun 13-14 Tage 6 Tage geplündert (Eier) Nestbau (23. Jun) (23. Jun) unvollständig 6. Brut 4 0 27. Jun 02. Jul 5 Tage 6-7 Tage geplündert (Eier) Nestbau (3. Jul) (5. Jul) unvollständig 7. Brut 4 3 08. Jul 05. Aug 27 Tage 6 Tage ausgeflogen (3 juv.)

(*) Dauer zwischen Brutverlust und Ablage des 1. Eies der nachfolgenden Brut

Braunschweig (die letzte im August) sowie von 5 Literatur Gelegen in Hildesheim, von denen nur 2 erfolgreich verliefen. BEZZEL, E. (1993): Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Passeres. Wiesbaden. Auch wenn von diesem Paar nur der männliche GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N., & K. M. BAUER (1988): Hand- Partner individuell markiert war, wird aufgrund buch der Vögel Mitteleuropas. Bd. 11/II Passeriformes der Beobachtungen davon ausgegangen, dass es (2. Teil) Turdidae. Wiesbaden. sich bei allen Brutversuchen um dasselbe Weibchen KOOIKER, G. (2005a): Brutvogelatlas Stadt Osnabrück. Os- gehandelt hat. Es ist ein relativ großes, kräftiges nabrück. Weibchen, welches ich insbesondere am Verhalten, KOOIKER, G. (2005b): Vögel und Klimaerwärmung: 28- da es wenig scheu gewesen ist, von den Nachbar- jährige phänologische Beobachtungen in und um Os- weibchen unterschieden habe. Dass das Männchen nabrück von 1976 bis 2004. Vogelkdl. Ber. Nieder- in der Brutsaison sein Weibchen gewechselt hat, sachs. 37: 99-111. wird daher ausgeschlossen. Dieses deckt sich auch KOOIKER, G. (2014): Die Brutvögel des Osnabrücker Bür- mit BEZZEL (1993), der für Amseln eine monogame gerparks im Zeitraum 1986-2012 sowie ein Vergleich Saisonehe angibt, bei Standvögeln auch als Dauerehe mit 1960-1966. Osnabrücker Naturwiss. Mitt. 39/40: ausgeprägt. 175-189. MAKATSCH, W. (1976): Die Eier der Vögel Europas. Bd. 2. Leipzig-Radebeul. Summary – Female Blackbird Turdus me- ZANG, H. (2005): Amsel – Turdus merula. In ZANG, H., H. rula produces seven clutches with 31 HECKENROTH & P. SÜDBECK (2005): Die Vögel Nieder- eggs in one breeding season sachsens, Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper. In the breeding season 2014, a pair of blackbirds Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. B, H. 2.9. produced seven clutches in a garden in Osnabrück. The female built nine nests in all. As two of them remained rudimentary, 31 eggs were laid in seven nests. Five broods fell victim to predators, and one was given up for no apparent reason. Only the last brood was successful. In most cases, the first egg in a new nest was laid already on the 6th day after predation. 108

Trauerente Melanitta nigra. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Common Scoter. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 109

Schriftenschau

AVES – BRAUNSCHWEIG (2014): Mitteilungen der Avi- schaftlichen Vogelberingung in Deutschland und zum faunistischen Arbeitsgemeinschaft Südostnieder- anderen die Vielfalt der Vogelwanderungen beschrieben. sachsen – AviSON im NABU-Landesverband Nieder- Dabei erhält der Leser in reich bebilderter Form z. B. Aus- sachsen 5. Jahrgang. 60 S. Zahlr. farb. Fotos und Gra- kunft über den Einstieg in die zu Beginn des 20. Jahrhun- phiken. Bezug: Avifaunistische Arbeitsgemeinschaft Süd- derts neue Forschungsmethode „Vogelberingung“, die ostniedersachsen – AviSON. c/o G. Brombach, Heidelbergstr. hohe Bedeutung des Ehrenamtes für alle Beringungspro- 2, D-38112 Braunschweig, E-Mail: guenter.brombach@t- gramme, den internationalen Kontext, in den Vogelbe- online.de. ISSN 2190-3808. 9,00 €. ringung heute eingebunden und länderübergreifend ko- operativ aufgestellt ist, neue Technologien bei der indivi- Auch im 5. Jahrgang erscheint die junge braunschweiger duellen Verfolgung des Vogelzugs oder über die Aussa- Reihe zur Avifaunistik pünktlich und bei weiterhin hoher gekraft von „Ringfunden“, Fundwahrscheinlichkeiten, Qualität der Beiträge unter der Schriftleitung von G. Gefahren und Mortalitätsursachen (stark!) auf dem Zug, BROMBACH. Neben dem avifaunistischen Jahresbericht die Ermittlung von Sterblichkeitsraten anhand der Berin- 2013 von H. SCHMIDT bildet vor allem auch eine Arbeit gungsergebnisse usw. Die Texte sind trotz ihrer Kürze in- über die Lebenserwartung frei lebender Vögel von W. formativ und dabei flüssig und leserlich geschrieben. So OLDEKOP einen Schwerpunkt. Hierin werden die statistischen verhält es sich auch mit dem folgenden, ebenfalls kurzen Berechnungsansätze, die der Autor auch auf der Jahres- Kapitel „Material und Methoden“, in dem die Daten- tagung 2014 der Niedersächsischen Ornithologischen grundlage des Werkes und die Auswertung der Daten Vereinigung beeindruckend präsentiert hat, niedergelegt. beschrieben werden, vor allem jedoch das „Lesen“ der F. PREUSSE dokumentiert die Nicht-Singvögel im Natur- zahlreichen Themen-, Übersichts- und Zugkarten im Buch schutzgebiet Leiferder Viehmoor in Fortsetzung des ersten mit ihren unterschiedlichen Symbolen angeleitet wird. Teils aus dem Jahrgang 2013 der Zeitschrift. Die Ent- Was dann auf den Seiten 45 bis 550 folgt, sind Artkapitel, wicklung der Bruten des Austernfischers in Südostnie- in denen je nach Art unterschiedlich viele Informationen dersachsen skizzieren B. HERMENAU und S. LÜDTKE. Rezen- in Form von Karten und erläuterndem Text geliefert sionen, kleinere Beiträge und Nachrichten komplettieren werden. Dabei reicht die Spanne der kartographischen dieses informative Heft. Darstellungen von nur einer einzigen Karte mit nur einem einzigen Fundpunkt bei z. B. Weißbart-Grasmücke, Peter Südbeck Schneesperling oder Brachpieper bis zu 33 Karten beim Weißstorch, hinter denen sich teilweise eine Stichprobe von 12.713 Funden verbirgt. Das Werk schließt mit einem BAIRLEIN, F., J. DIERSCHKE, V. DIERSCHKE, V. SALEWSKI, O. GEITER, 13seitigen Literaturverzeichnis, einem Index der deutschen K. HÜPPOP, U. KÖPPEN & W. FIEDLER (2014): Atlas des Vo- und wissenschaftlichen Vogelnamen und auf der letzten gelzugs: Ringfunde deutscher Brut- und Gastvögel. Seite sowie der Innenseite des Hardcovers mit vier Bei- Aula-Verlag, Wiebelsheim. 567 S., 71 farb. Abb., 17 spielkarten sowie einer Legende zur in den Karten ver- s/w-Abb., 950 Karten, geb., ISBN 978-3-89104-770-5. wendeten Symbolik. Letzteres ist eine gute Idee, die dem 59,95 €. Leser regelmäßiges Zurückblättern innerhalb des Buches in den Methodenteil erspart, denn die Zahl der verwendeten Ein Atlas ist ein Atlas ist ein Atlas. Und so kommt auch Symbole ist nicht eben klein. dieses Werk großformatig, umfangreich und – in jeder Hinsicht – gewichtig daher. Vor allem jedoch ist der Atlas Für den Atlas wurden grundsätzlich nur Funde berücksichtigt, des Vogelzugs ein Geschenk an alle, die tiefer gehendes wenn Beringung und/oder Wiederfund in Deutschland er- Interesse an in Deutschland vorkommenden Vogelarten folgten. Das Gros der Daten geht dabei auf die klassische haben und sich über ihre Wanderungen von, nach und Vogelberingung mit Metallringen zurück, Wiederfund- durch Deutschland informieren möchten. Doch der Reihe meldungen bzw. Ablesungen aus Farbringprojekten wurden nach: Auf rund 40 einleitenden Seiten werden in jeweils – sofern verfügbar – jedoch ebenfalls in den Datenpool sehr knapper Form nach Kapiteln gegliedert wichtige eingespeist und dargestellt. Die Ergebnisse aus Projekten Vorinformationen geliefert. In zwei übergeordneten The- mit Satellitensendern, GPS-Loggern und Geolokatoren menblöcken wird zum einen die Geschichte der wissen- hingegen wurden nicht in die Karten übernommen, flossen 110 Rezensionen

jedoch – sofern öffentlich zugänglich oder publiziert – in Man darf sich nun fragen, was wir in Deutschland die Artabhandlungen mit ein. Dabei fanden bis zum eigentlich vorher ohne diesen Atlas gemacht haben. Denn 31.12.2012 gewonnene Daten in die Analyse Eingang, im Grunde genommen macht keine Betrachtung einer besonders interessante Funde wurden in Einzelfällen auch Vogelart, sei es aus biologischen/ökologischen Fragestel- aus 2013 mit einbezogen. Insgesamt wurden 1,5 Millionen lungen oder aus Gründen des Artenschutzes heraus, Funde von 975.000 Individuen ausgewertet, bei seit 1901 ohne die Kenntnis bzw. die Einbeziehung ihrer Wande- in Deutschland insgesamt über 20 Mio. beringten Vögeln. rungen und ihrer Aufenthaltsorte/-regionen über den Am Beispiel des Stars sei der Aufbau einer Artabhandlung ganzen Jahreslauf Sinn. Und so schließt der Atlas eine skizziert. Eine Eingangstabelle informiert über die Anzahl bislang schmerzlich klaffende Lücke, die nur über das der Beringungen nach 1945 (221.524), die Funde in einer Her aussuchen von Einzelpublikationen, Ringfundauswer- Entfernung von mehr als 10 km vom Beringungsort nach tungen auf Länderebene (wie in der niedersächsischen 1945 (1.865 Funde/1.859 Individuen), die Wiederfundquote Avifauna-Reihe) oder durch Studium der Atlanten unserer der Fernfunde nach 1945 (0,8 %), die Anzahl der Funde europäischen Nachbarstaaten (wie z. B. dem englischen >10 km seit 1901 (2.090/2.083), die Anzahl der Funde „Migration-Atlas“) zu schließen war. Nun liegt eine um- fremder Beringungszentralen (3.257/3.222), das aus den fassende Ringfundauswertung und kondensierte Beschrei- Daten ermittelte Höchstalter (17 Jahre und 4 Monate) bung der Zugverhältnisse der deutschen Brut- und und die weiteste Entfernung zwischen Beringungsort und Gastvögel vor. In ihrer Gesamtheit und in ihrer Informati- Ort des Wiederfundes (2.917 km). Der Arttext untergliedert onsfülle ist sie monumental, hält dem internationalen sich in die Abschnitte „Verbreitung und Status“ und Vergleich stand und setzt zugleich für manche Vogelart „Wanderungen“, wobei unter letzterem die Ergebnisse neue Maßstäbe. Für uns in Deutschland ist sie ein Meilen- der Ringfundanalysen beschrieben und auch gleich einge- stein. Dabei gefällt mir gut, dass die Wahl des Buchtitels ordnet werden. Visualisiert werden sie durch Karten zu 1) eine Reminiszenz an das gleichlautende, viel schlankere Fundorten im Ausland von in Deutschland beringten Pionierwerk von Ernst SCHÜZ und Hugo WEIGOLD aus dem Staren, 2) Beringungsorten im Ausland von in Deutschland Jahre 1931 ist. gefundenen Staren, 3) vom Zwischenzug (Juni - Juli) von in Deutschland zur Brutzeit oder von Juni bis Juli anwesenden Gibt es auch etwas zu kritisieren? Gut getan hätte eine Staren, 4) vom Herbstzug (September - November) von in Übersichtstabelle am Ende des Buches, in der z. B. alle In- Deutschland zur Brutzeit anwesenden Staren differenziert formationen aus den Eingangstabellen der Artabhandlungen nach sechs Naturräumen, 5) vom Herbstzug (September- übersichtlich gebündelt und damit schnell nachschlagbar November) von in Deutschland von September bis November wären. Diese fehlt richtiggehend, aus ihr wäre wohl auch anwesenden Staren, 6) zu Aufenthaltsorten im Winter die Gesamtzahl der behandelten Arten ablesbar gewesen (Dezember - Januar) von in Deutschland zur Brutzeit an- (± 293). Es wäre ferner aus ästhetischen Gründen und wesenden Staren nach Naturräumen, 7) zu Aufenthaltsorten auch zur Auflockerung des kartendominierten Werkes si- zur Brutzeit von im Winter (Dezember - Januar) in Deutsch- cherlich gut gewesen, wenn zumindest der eine oder land anwesenden Staren nach Naturräumen, 8) vom Früh- andere behandelte Vogel einmal abgebildet worden wäre, jahrszug (März) von in Deutschland zur Brutzeit anwesenden so wie dies in allen vergleichbaren Werken – zumeist in Staren und schließlich 9) vom Frühjahrszug (März) von in Form von Vignetten im Kopf der Artabhandlungen – der Deutschland im März anwesenden Staren. Das ist viel In- Fall ist. An den Verlag: das Atlas-Cover bleibt gestalterisch formation, summa summarum sind es allein beim Star 23 leider hinter dem heute Möglichen zurück, das breite Themenkarten. Buchformat ist zumindest mir etwas zu sperrig.

Die Themenkarten, ob als Übersichts-, Zug- (Herbst/Frühjahr), Das sind jedoch nur Marginalien. Ein bedauerlicher Fehler Winter- oder Sonderkarten (z. B. Übersommerung, Win- hat sich auf S. 39 in der Legende bei der Beschriftung des terflucht, Schleifenzug) sind das Herzstück des Atlas, sie Kreisdiagramms neben der Eingangstabelle (prozentuale sind das Pfund mit dem gewuchert werden kann und zu- Verteilung der Funde auf Entfernungsklassen) eingeschli- recht auch wird, und variieren je nach artspezifischer chen, sie muss für hellgelbe Anteile „>10-100 km“, für Phänologie, Größe des Datenpools und biologischer Re- die hellorangen „>100-1000 km“ und die orangen levanz in ihrer inhaltlichen Ausrichtung. Sie zu „lesen“ „>1000 km“ lauten (J. DIERSCHKE, briefl.). und ihnen die gewonnenen Erkenntnisse zu entnehmen, ist äußerst informativ, spannend, z. T. erstaunlich und In der Gesamtbetrachtung will ich mich wiederholen, manchmal geradezu atemberaubend. den Atlas des Vogelzugs als Geschenk an die Ornithologen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 111

und die Ornithologie im Lande zu bezeichnen. Er ist BLACK, J. M., J. PROP & K. LARSSON (2014): The Barnacle wichtig, er ist Pflichtlektüre (dabei aber kein Lesebuch) Goose. T. & A. Poyser, London. 287 S., zahlr. Abb., geb., und sollte zur Grundausstattung einer jeden ornithologi- ISBN 978-1-4729-1157-5. 59,99 €, auch als ebook er- schen Büchersammlung gehören. Man darf überdies hältlich. hoffen, dass durch den Atlas die wissenschaftliche Vogel- beringung in Deutschland starken Auftrieb erfährt und Mit ihrer umfassenden Weißwangengans-Monografie sich ihre zukünftig enorm hohe Bedeutung (Stichwort: veröffentlichen die drei Autoren eine aktualisierte Version Konnektivität) auch in Kreisen außerhalb von Vogelkunde des 2006 im Eigenverlag erschienenen und mittlerweile und Vogelschutz manifestiert. vergriffenen Buches „Wild goose dilemma“. Das Buch wurde in weiten Teilen überarbeitet und befindet sich Thorsten Krüger vom Wissensstand und den dargestellten Ergebnissen her auf dem aktuellsten Stand. Neben zahlreichen Grafiken und Bildern gewinnt das Buch vor allem auch durch die BERGMANN, H.-H., C. CHAPPUIS & K.-H. DINGLER (2014) : Vo- Federzeichnungen von D. VISSER. gelstimmen im Flug. Musikverlag Edition AMPLE, Ger- mering. MP3-Disc. mit Begleitbuch, 124 S., ISBN 978-3- Weißwangengänse brüten in drei Populationen auf Grön- 938147-50-4. 39,95 €. land, Spitzbergen und in der russischen Arktis. Seit ihrem Bestandstief in den 1960er Jahren hat die Art sich gut „Das muss ne kleine Ammer sein, Spornammer oder so, erholt und weitere Brutgebiete, z. B im Ostseeraum, in aber die Flugrufe kenn´ ich nicht gut genug“. Wem ist es Schleswig-Holstein oder den Niederlanden erobert. Die noch nicht so gegangen? Viele fangen gar nicht erst mit Universitäten von Groningen und Gotland sowie der der Identifikation des nur Überfliegenden an. Zu schnell Wildfowl & Wildlife Trust (WWT) in England haben seit sind die Vögel wieder weg, zu kurz der Eindruck, zu viel Jahrzehnten diese Entwicklung wissenschaftlich begleitet. Wind. Hier setzt diese CD an, die konzentriert die Rufe Sie begann mit M. OWEN (WWT) und R. DRENT (Universität und Gesänge fliegender Vögel auf einen Tonträger Groningen), die systematisch Sozialsystem, Zugverhalten, gebracht hat und so leicht einer direkten Überprüfung Habitatnutzung und vieles mehr in den Brut- und Win- zugänglich macht. tergebieten untersucht haben. Durch die Langzeitforschung an den Weißwangengänsen im Freiland, durch den Herausgekommen ist eine imposante Ton-Sammlung: Einsatz von Labor- und Freilandexperimenten, durch in- insgesamt fast 6 Stunden Aufnahmen stehen auf der CD tensive Farbmarkierung ebenso wie durch den Einsatz zur Verfügung. 350 europäische Vogelarten werden be- modernster Technik konnten die Gänseforscher viele handelt (das ist ein sehr großer Teil, denn nicht alle grundlegende Erkenntnisse gewinnen. Die drei Autoren zeigen überhaupt akustische Signale im Flug), von ihnen fassen die Ergebnisse der beteiligten Forschungsgruppen werden 850 einzelne Aufnahmen gebracht. Dies ist daher zu geschlossenen Themenkreisen zusammen. So entstand nicht nur eine Fundgrube für fast alle Arten, sondern eine Monografie, die spannend und vielseitig über eine auch eine wirksame Hilfe bei der Feldbestimmung. Die Gänseart berichtet, die in den letzten Jahrzehnten viele Aufnahmen sind zudem technisch zumeist hervorragend, Beobachter durch ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit das gilt auch für seltene, besondere Arten! überrascht hat.

Das Begleitheft gibt – in drei Sprachen: deutsch, englisch, Zunächst beginnt das Buch, das in der „weißen Reihe“ französisch – eine knappe allgemeine Einführung und der Poyser Monografien erscheint, mit einer kurzen Vor- listet die Aufnahmen mit kurzer Beschreibung zur Art stellung der Weißwangengans, einer Vorstellung der der Aufnahme, Aufnahmeort und -zeit auf. Auf der dem zwei hauptsächlich untersuchten Weißwangenganspo- Rez. verfügbaren CD waren allerdings nicht alle Aufnah- pulationen (Spitzbergen- und Ostseepopulation) sowie men, die im Begleitheft vermerkt waren, vorhanden. einem Überblick über die Forschungsmethoden. Beginnend von den sozialen Aspekten des Gänselebens (Verpaarung, Diese CD ist ein Novum im weit gefächerten Markt akus- Paarzusammenhalt, Familienleben sowie tiefen Einblicken tischer Hörhilfen. Es behandelt ein Feld mit m. E. großer in die Brutbiologie) geht es über das Nahrungssuchverhalten praktischer Bedeutung und ist daher sehr zu empfehlen. zu Überlebensraten und Reproduktion. Der gerade bei den arktischen Gänsen elementare Zwang, zum best- Peter Südbeck möglichen Zeitpunkt am Brutplatz zu sein, wurde ein- 112 Rezensionen

drücklich bei den Svalbard-Weißwangengänsen gezeigt Brutgebietes in Europa und Afrika nicht auslässt, werden und wird hier ausführlich dargestellt. Grundlage für viele in den angrenzenden Kapiteln viele Informationen zum dieser Untersuchungen war die intensive Farbmarkierung Schwarzstorchschutz, zu den aktuellen Herausforderungen der Vögel, die es zudem ermöglichte, Analysen zur Brut- für den Schwarzstorch in unserer Landschaft, die derzeitige platztreue und tiefgründig in das Zugverhalten dieser Art Situation im Umgang mit dem Wald oder der Gefährdung einzutauchen – bis hin zur Frage des Individuenaustausches der Vögel durch Freileitungen und Windkraftanlagen bei zwischen den einzelnen Teilpopulationen der Nordhalb- der Umsetzung der Energiewende gegeben. kugel. Am Ende des Buches stehen dann Kapitel zur Po- pulationsdynamik der Art sowie derzeit wieder hochaktuell Der Zweitautor ist langjähriger Mitarbeiter der Staatlichen zu den Themenbereichen Gänse und Landwirtschaft Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das sowie Artenschutz. Saarland und hier für den Großvogelschutz im Wald zu- ständig. Diese Nähe zu den aktuellen Vogelschutzfragen Der überwiegende Teil der vorgestellten Themenbereiche spürt man im Text, der dadurch authentischer und infor- wurde durch die Autoren selbst oder in den Arbeitsgruppen mativer wird. erforscht, zu denen sie gehören. So bleiben die Autoren dicht am Geschehen und berichten „aus erster Hand“. Der Schwarzstorch hat in den letzten Jahrzehnten eine Gleichzeitig zeigt sich eindrücklich, dass Langzeitforschung Auf-und-Ab-Geschichte im deutschen und europäischen durch substantiellen Wissenszuwachs belohnt wird. Vogelschutz erlebt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war Schade nur, dass erneut keine deutsche Universität an er fast überall ausgestorben, die Restbestände waren dieser internationalen Zusammenarbeit beteiligt war, ob- sehr klein, isoliert und hingen am Tropf. Im Zuge einer wohl Deutschland mit dem Wattenmeer und den an- beeindruckenden Bestandserholung hat nicht nur der grenzenden Bereichen doch für maßgebliche Teile des Brutbestand auch in Niedersachsen auf wieder etwa 60 Wintergebietes der Weißwangengans verantwortlich ist. Brutpaare, zugenommen, sondern es wurden auch Das Buch ist derzeit die umfassendste und interessanteste ehemals verwaiste Landesteile wiederbesiedelt (Südnie- Monografie über eine der arktischen Gänsearten, die für dersachsen, Osnabrücker Hügelland u. a.). alle Wasservogelfreunde unbedingt lesenswert ist. Das rechtfertigt zwar nicht jeden Preis doch haben sich viele Heute gibt es für den Schwarzstorch neue Probleme, so Vogelfreunde mittlerweile mit den Kosten englischer durch Windkraftanlagen oder den Altholzeinschlag in Bücher arrangiert. Fraglich ist allerdings, warum die Laubwäldern. Mehr denn je braucht der Schwarzstorch ebook-Version nur unmaßgeblich weniger als das hoch- Unterstützer und eine Lobby zu seinem Schutz, denn wertig produzierte Hardcover-Buch kostet. nach wie vor hängt vieles beim Schwarzstorch auch am direkten Vogelschutz, an der richtigen Erstellung und Po- Helmut Kruckenberg sitionierung von Nistplattformen oder der Anlage von Nahrungsgewässern ab. Hierfür gibt es ein dichtes Netz von ehrenamtlichen Schwarzstorchschützern, die die GRÖBEL, B.-T., & M. HORMANN (2015): Geheimnisvoller Wiedererholung des Brutbestandes ganz wesentlich mit- Schwarzstorch. Faszinierende Einblicke in das Leben geschafft haben, so auch und vor allem aus Niedersachsen, eines scheuen Waldvogels. Aula-Verlag, Wiebelsheim. voran durch A. NOTTORF. Dieses Buch hat ein ehrenamtlicher 136 S. 228 Farbfotos, geb., ISBN 978-3-89104-786-6. Schwarzstorchschützer fotografiert und verfasst, dem 24,95 €. man die Liebe zum Objekt anmerkt. Es ist auch eine Hommage an diese vielen engagierten Menschen in Dieser neue, gut und beeindruckend aufgemachte Bildband Deutschland. dokumentiert vor allem das Leben an einem Schwarz- storchnest im Hintertaunus und dessen Bewohner über Peter Südbeck sieben Jahre hinweg. Neben den oft erstklassigen Fotos vermittelt ein lebhaft, leicht und verständlich geschriebener Text einen lebensnahen Einblick in die Biologie der Vögel und seine Ansprüche an den Lebensraum.

Neben dieser Familiengeschichte, die das ganze Schwarz- storchjahr umfasst und auch die Zeiten außerhalb des Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 113

HANDKE, K. & P. HANDKE (2014): Der Hasbruch und seine für die vorhergegangenen Kartierungen im Dunklen. Das Brutvögel. 2., unveränd. Aufl.. Verlag Rieck, Delmenhorst. wird besonders auch beim Mittelspecht deutlich, dessen 128 S., 300 farb. Fotos u. Abb., kart. ISBN 978-3-9207- erfasster Bestand von ca. 77 Revieren im Jahr 2007 auf 9480-8. 14,80 €. über 192 Reviere 2011 in vier Jahren um den Faktor 2,5 wuchs – hier ist eine echte Zunahme nicht von Effekten Jedes Jahr werden in Deutschland hunderte Revierkartie- höheren Beobachtungsaufwandes zu trennen. Allgemein rungen im Rahmen von Fachplanungen, FFH-Monitoring, ist auch die vorliegende Kartierung wieder ein Beispiel für Studien- und Abschlussarbeiten und ehrenamtlicher Ge- den immens hohen personellen und finanziellen Aufwand, bietsbetreuung durchgeführt. Selbst die Ergebnisse der der in Deutschland im internationalen Vergleich durch interessantesten werden meist nicht veröffentlicht, sondern die vollständige Erfassung aller Arten in großen Gebieten landen unerreichbar in der Schublade. betrieben wird. Stärker standardisierte Verfahren wie etwa Punkt-Stopp-Zählungen mit Entfernungsklassen (sog. K. und P. HANDKE haben vorgemacht, wie es auch geht: Distance sampling) würden hier zu einer viel günstigeren Sie präsentieren die Ergebnisse einer Kompletterfassung Kosten-Nutzen-Rechung führen und auch robustere Ver- des historischen Waldgebietes ‚Hasbruch‘ zwischen Ol- gleiche mit Untersuchungen früherer Jahre ermöglichen. denburg und Bremen in Buchform, ansprechend aufge- macht, mit vielen Fotos – daher ganz und gar kein Die Autoren haben eng mit der Forstverwaltung des Ge- trockenes Gutachtenformat. Das Buch erschien bereits bietes zusammengearbeitet. Sie beschränken sich daher 2012 mit einer Auflage von 500 Exemplaren, war aber nicht auf eine Ergebnisdarstellung, sondern entwickeln sofort vergriffen. Jetzt wurden 1000 Exemplare nachge- auch wertvolle Hinweise für den Erhalt des Gebiets. U. a. druckt. Möglich war die ansprechende Gestaltung des sprechen sie sich für die Renaissance der Waldweide aus. Buches und der Nachdruck dank verschiedener Sponsoren, Ein vorgeschlagenes Ende des Holzeinschlags im Frühjahr u. a. eines lokalen mittelständischen Betriebes. sollte dagegen im EU-Vogelschutzgebiet bereits selbst- verständlich sein. Der Hasbruch ist ein ehemaliger Hudewald von 630 ha. Ein großer Teil besteht aus geschlossenen 180 bis über K. und P. HANDKE gelingt mit diesem Buch ein Brückenschlag: 200 Jahre alten Eichenbeständen, die durch ihre ausla- Dank des luftigen, übersichtlichen Layouts und der vielen denden Kronen mit viel Totholz einen urwaldartigen Ein- allgemeinverständlich aufbereiteten Hintergrundinforma- druck vermitteln. Ihre herausragende Bedeutung für tionen hat es bereits weite Verbreitung in der lokalen Be- Vögel, Tagfalter und Pflanzen ist gut bekannt. völkerung gefunden. Aber auch bei Behörden, Planern und an Waldökologie interessierten Avifaunisten sollte es Die Autoren und weitere Mitarbeiter erfassten mittels Re- nicht im Bücherschrank fehlen. vierkartierung (83 Teilflächenbegehungen an 65 Tagen!), Horstsuche und Nachterfassungen insgesamt knapp 6000 Johannes Kamp Reviere von 55 Arten. Die Ergebnisse werden für alle Arten auf Karten dokumentiert. Besonders den Spechten wird größere Aufmerksamkeit gewidmet. Der Mittelspecht HEITKAMP, U. (2013): Die Vögel des Denkershäuser Tei - war mit 192 Revieren vor Buntspecht (171 Reviere) und ches. Avifauna eines eutrophen südniedersächsischen Kleinspecht (immerhin 26 Reviere) der häufigste Specht. Flachsees und seiner Umgebung. 300 S. (mit Anhängen), Seine extrem hohe Siedlungsdichte von 3 Revieren/10 ha 136 Tab., 340 s/w- und Farbabb. Bezug: Planungsbüro (bzw. < 4 Revieren/10 ha älterer Eichenwald) überrascht, Prof. U. Heitkamp, Bergstr. 17, D-37130 Gleichen-Die- scheint aber aufgrund der Habitatstrukturen des Hasbruchs marden. [email protected]. 12,50 €. gut möglich. Längst nicht so bekannt wie die Seeburger See im Interessant ist das Kapitel Veränderungen, in dem die ak- Eichsfeld (Lkr. Göttingen) ist der nur knapp 5 ha große tuelle Erfassung mit früheren Kartierungen verglichen, Denkershäuser Teich nordöstlich von Northeim dennoch Ursachen für Bestandsveränderungen analysiert und die ein floristisches wie avifaunistisches Kleinod. zukünftige Entwicklung prognostiziert wird. Leider wird nicht klar, inwieweit die Erfassungen wirklich vergleichbar 1936 beantragt, aber erst 1948 als NSG ausgewiesen sind, denn der Beobachtungsaufwand (Anzahl Begehungen, hat der Denkershäuser Teich vielfältige Veränderungen Zahl der Mitarbeiter, Klangattrappeneinsatz usw.) bleibt erfahren. Betrug die Wasserfläche in dem fast kreisrunden 114 Rezensionen

Subrosionsbecken anfangs 1 km², so waren es aufgrund HOFFMANN, S. (2014): Die Vogelwelt am Futterplatz. von Verlandungsprozessen Ende des 18. Jh. nur noch 70 Vögel beobachten und erkennen. Musikverlag Edition Hektar, aktuell sind es ca. 5 Hektar. Insbesondere die AMPLE, Germering. DVD. Spieldauer 57 min. ISBN 978- Anlage von Abzugsgräben hat den Teichspiegel abgesenkt. 3-938147474. 12,99 €. Neben den positiven Entwicklungen, die aufgrund der Sanierung ab den 1980er Jahren einsetzten (z. B. Abbau Viele Vogelbeobachter entdeckten ihre Leidenschaft an einer Starkstromleitung, Entschlammung, Flächenankauf einer Vogelfütterung, an dem sich im Winter verschiedene und Feuchtbrache-Pflege) werden aber auch noch vor- Vogelarten oft aus kurzer Distanz beobachten lassen. handene Defizite deutlich genannt: nur teilweise Umset- Ganz zweifellos lassen sich hier spannende Beobachtungen zung der Grünland-Extensivierung, geringe Verbesserung an den oft so tristen und grauen Wintertagen machen der Wasserbilanz und die Reduzierung der Schilfbestände und da ist es auch egal, wie sehr der naturschutzfachliche aufgrund niedriger Wasserstände. Nutzen einer Winterfütterung diskutiert wird.

Seit den 1980er Jahren sind zum Schutz und zur Ent- S. HOFFMANN hat nun eine DVD mit zahlreichen Vogelauf- wicklung des Sees etliche Gutachten erstellt worden, nahmen zusammengestellt, die die Begeisterung für die einige auch vom Autor selbst. So finden sich in der vor- Vögel in unseren Gärten und auch für die Fütterung we- liegenden Avifauna vielfältige Angaben zur Vegetation cken soll – ohne dass das Thema Winterfütterung ideo- und Flora. logisch behandelt wird. Nacheinander werden nach einer Einführung 26 Arten von der Kohlmeise bis zum Seiden- Die avifaunistische Bearbeitung durch den Autor kann schwanz in Kurzfilmen vorgestellt. Auf ihre Erkennungs- auf frühere Untersuchungen zurückgreifen: W. KRUELS merkmale wird hingewiesen, auch auf das Verhalten am Brutvogelbestandsaufnahme von 1930-32, Beobachtungen Futterplatz und auf andere besondere Verhaltensweisen. von B. RIEDEL (1966-78; unvollständig), Brutbestandser- Ein kleiner Patzer: In dem Kurzfilm über die Singdrossel fassungen im Rahmen von Gutachten (1984-87) sowie hüpft zunächst eine Misteldrossel durch den Schnee. 563 eigene Exkursionen zwischen 1999 und 2005. Nach- gewiesen wurden 59 Arten in 270 Brutrevieren. Zu den Die nett gemachte DVD ist für Einsteiger gedacht und fünf häufigsten Brutvogelarten gehören Rohrammer ganz bestimmt geeignet, zukünftige Hobby- und spätere (max. 68 BP), Sumpf- und Teichrohrsänger (max. 34 bzw. Profiornithologen an die Materie heranzuführen. Als 24 BP), Goldammer (max. 21 BP) und Zilpzalp (max. 10 Kind oder Jugendlicher hätte ich mir die DVD sehr ge- BP). Bei etlichen Brutvogelarten ist eine Zunahme der Re- wünscht. viere nach der Entschlammung und Vergrößerung der Wasserfläche festzustellen gewesen. Zu den selteneren Thomas Brandt Brutvögeln zählen Krick- und Reiherente, Haubentaucher, Rohrweihe, Wasserralle und Blaukehlchen. KOMITEEGEGENDEN VOGELMORDE. V., NATURSCHUTZBUND Das Verdienst des Autors ist es, die vorhandenen Daten DEUTSCHLAND (NABU) E. V. & LANDESBUND FÜR VOGELSCHUTZ kritisch ausgewertet und mit eigenen Beobachtungen (LBV) E. V. (2014): Illegale Greifvogelverfolgung. Ein verglichen zu haben. So können die Veränderungen der Leitfaden für Naturfreunde und Behörden. 4. Aufl., letzten 80 Jahre eindrucksvoll nachvollzogen und bewertet brosch., 33 S., zahlr. farbige Fotos. Bezug: www.nabu.de. werden. Außerdem steht mit dieser Avifauna ein ausrei- www.lbv.de, www.komitee.de. chendes Datenmaterial zur Verfügung, um für die Zukunft wichtige und effiziente Maßnahmen anzugehen und Greifvogelverfolgung ist aktueller denn je. Was viele umzusetzen. nicht für möglich gehalten hätten, ist deutschlandweit zur traurigen Gewissheit geworden: nach wie vor oder Frank-Ulrich Schmidt wieder neu werden trotz strengem gesetzlichen Schutz Greifvögel verfolgt, gefangen, getötet. Die vorliegende Broschüre von drei großen deutschen Vogelschutzver- bänden skizziert die aktuelle Problematik, bringt die rechtliche Ausgangssituation näher und umreißt wichtige Gerichtsurteile dazu. Weiter wird beschrieben, welche Arten in besonderer Weise leiden. Dann werden die Ver- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 115

folgungsmethoden, die Fallentypen etc. dargestellt und über die naturräumliche Gliederung, Schutzgebiete, Land- die Symptome der Vögel bei Vergiftungen beschrieben, nutzung und des Klimas. Thematische Karten zeigen um den einzelnen Vogelbeobachter und –schützer kundig Landnutzungsänderungen auf (Grünlandverlust seit 1990, zu machen, illegale Verfolgungsaktionen überhaupt zu Moor- und Heideverlust seit 1800), und stellen phänolo- erkennen und dann zur Anzeige bzw. Ahndung zu gische Daten (Beginn der Apfelblüte) dar. Diese Einführung bringen. Es werden Tipps gegeben, welche Informationen schafft damit die Grundlagen für das Verständnis der in welcher Weise zu dokumentieren sind, damit diese im Areal- und Bestandsentwicklungen der Vogelarten. Zuge der rechtlichen Verfolgung greifen können. Und schließlich werden Argumente gegen die Greifvogelver- Der Methodenteil ist umfangreich ausgefallen und stellt folgung kurz zusammengefasst und die wichtigen Arten gut nachvollziehbar die Organisation der Kartierung, die vorgestellt. verwendeten Kartiermethoden, Plausibilitätskontrollen und die Auswertung dar. Eine lange Mitarbeiterliste und Kurzum: eine informative und wichtige Quelle, damit Danksagung schließen sich an. Wieder einmal ist man jeder einen eigenen Beitrag für den Schutz der Greifvögel erstaunt, dass sich wie bei bereits erschienenen Landes- bei uns leisten zu kann und wir vom Übel der Greifvogel- atlanten fast überall in den beiden Bundesländern aus- verfolgung wieder befreit werden können. reichend ehrenamtliche Beobachter für die Kartierung mobilisieren ließen, nur für kleinere Bereiche mussten Peter Südbeck Daten aus der Literatur recherchiert werden. Über eine im Anhang enthaltene Liste lässt sich zudem erfahren, welche Personen welche Messtischblätter kartiert haben KRÜGER, T., J. LUDWIG, S. PFÜTZKE & H. ZANG (2014): Atlas – für zukünftige Recherchen von Naturschutzverbänden der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005- oder Artexperten auf Datensuche ist dies sicher sehr 2008. Nat.schutz Landsch.pfl. Niedersachs. 48: 1-552 (+ wertvoll. Verbreitungskarten und Themenlayer auf DVD). Zahlr. Farbfotos u. Grafiken, kart. Bezug: NLWKN, Postfach Die Artkapitel des speziellen Teils sind übersichtlich auf- 910713, D-30427 Hannover; naturschutzinformation@ gebaut: Auf je einer Doppelseite pro Art findet sich eine nlwkn-h.niedersachsen.de; webshop: http://webshop.nie- große Karte zur aktuellen Verbreitung und Abundanz dersachsen.de. ISSN 0933-1247. 29.- €. mit farblich abgestuften Symbolen für acht Größenklassen, die gut unterscheidbar sind. Bei den Arten mit kartierter Im Rahmen des ADEBAR-Projektes wurde im Zeitraum (und nicht modellierter, s. u.) Verbreitung wurden zusätzlich 2005–2008 bundesweit die Verbreitung und Häufigkeit kleinere Karten eingefügt, die Neubesiedlungen oder die aller Brutvögel auf der Basis von Messtischblättern (To- Aufgabe von Quadranten im Vergleich zum Stand um pographische Karte 1:25.000) erfasst. In vielen Bundes- 1985 (HECKENROTH & LASKE 1997: Atlas der Vögel Nieder- ländern entschieden sich die ornithologischen Verbände sachsens 1981-1995 und des Landes Bremen. Nat.Schutz und Behörden damals, für landesweite Atlanten auf Landsch.pfl. Niedersachs. 37) zeigen. Die Texte sind TK25-Vierteln zu kartieren, um dadurch die Verbreitung flüssig geschrieben und hervorragend lektoriert. Etwas hoher aufgelöst darstellen zu können. Der vorliegende redundant erscheint mir allerdings die ausführliche verbale Atlas für Niedersachsen und Bremen ist bereits der siebte Beschreibung der Verbreitungsmuster, die ja visuell schnell in dieser Serie von Landesatlanten. auf den Karten zu erfassen sind. Besonders interessant ist hier die zusätzliche Darstellung aller verfügbaren Wie bereits vorherige Landesatlanten (z. B. der hessische) Daten zu Bestandstrends in Niedersachsen und Bremen. ist dieser Atlas wieder mit brillanten Vogelfotos namhafter Bei Arten, die im „Monitoring häufiger Brutvogelarten“ internationaler Vogelfotografen opulent bebildert, zu- abgedeckt werden, werden hierfür modellierte Häufig- sammengestellt von den Autoren T. KRÜGER und S. PFÜTZKE, keitsindizes seit 1989 verwendet, die z. B. die kontinu- die selbst führende Naturfotografen der Region sind. In- ierliche Abnahme der Feldlerche um 50 % eindrucksvoll teressant wäre allerdings auch eine Illustration der sehr belegen. Allerdings wird aus dem Methodenteil nicht vielfältigen niedersächsischen und bremischen Landschaften klar, mit welchen statistischen Verfahren diese Indizes gewesen, damit sich Leser aus anderen Teilen Deutschlands berechnet wurden. Für die mittelhäufigen und seltenen ein Bild der Habitate hätten machen können. Arten werden Bestandsschätzungen im Fünfjahresabstand seit 1980 angeben, für 34 Arten sind sogar jährliche Be- Der allgemeine Teil enthält eine ausführliche Übersicht standsschätzungen seit 1980 verfügbar. Diese Trenddia- 116 Rezensionen

gramme sind eine wahre Fundgrube und informieren derungen nach Habitaten belegten überregionale Trends: auf einen Blick über starke Rückgänge oder Zunahmen. überwiegend Zunahmen und Ausbreitung bei Gewäs- Die Bestände vieler Arten sind in der Vergangenheit of- serarten, überwiegend Abnahmen und Rückzug aus der fenbar stark unterschätzt worden, allerdings ist dies nicht Fläche bei Offenlandarten (Ackerbrüter, Arten der Sand- immer von realen Zu- und Abnahmen zu trennen (z. B. und Heidelebensräume) und vermehrt auch häufigen Wasserralle, Steinkauz). Aufgrund von Einzelstudien be- Arten der Siedlungsbereiche. Hoffen wir, dass die harten kannte ‚reale‘ starke Zunahmen (z. B. Waldwasserläufer, Daten zu den Ursachen für starke Rückgänge einst Mittelspecht) und rapide Abnahmen (z. B. Kiebitz) werden häufiger Arten, die nun verfügbar sind, auch endlich ein aber in den Bestandsschätzungen und veränderten Ras- Umdenken in Landwirtschaft und Politik bewirken. terfrequenz dieses Atlasses eindrucksvoll sichtbar und bei vielen Arten erstmals für ganz Niedersachsen und Die Analyse liefert auch robuste Hinweise darauf, dass Bremen dargestellt. die großflächigen Hochmoorrenaturierungen in Nieder- sachsen für viele Arten neue Lebensräume und Ausbrei- Wie etwa in den Atlanten für Hessen oder Nordrhein- tungsmöglichkeiten geschaffen haben. Dies ist eine Er- Westfalen wird auch im vorliegenden Werk für viele folgsgeschichte, die bisher kaum erforscht und überregional häufige Arten eine modellierte räumliche Abundanz dar- bekannt gemacht wurde. gestellt. Diese wird als hochaufgelöste Karte (25 m Zel- lengröße) präsentiert und zusätzlich aggregiert für alle Bemerkenswert ist schließlich, dass der Druckausgabe TK25-Viertel, um die Karten mit denen der selteneren eine DVD beiliegt, die den kompletten Atlas als pdf-Do- Brutvögel vergleichbar zu machen. Leider sind Präzision kument enthält, in dem schnelle Recherchen nach Schlag- und Fehler der Verbreitungsmodelle (und ihrer kartogra- worten möglich sind. Spannender noch sind die als ‚Geo- phischen Repräsentationen) kaum einzuordnen. Der Me- pdf‘ enthaltenen interaktiven Verbreitungskarten für alle thodenteil enthält keine Angaben, welche Modelle ver- Arten, bei denen die thematischen Kartenlayer aus der wendet wurden (statistische Regressionsmodelle oder Atlaseinleitung „zuschaltbar“ sind. So kann man am modernere „machine-learning“-Verfahren?), und leider Computer in Sekunden die Verbreitungskarte des Grau- finden sich auch an den Karten keine Gütemaße, die spechtes mit einer Karte der Waldverbreitung unterlegen eine Einschätzung der Realitätsnähe der Abundanzmuster oder feststellen, dass die Schwerpunkte vieler Wiesenvo- erlauben würden. Allerdings merken die Autoren selbst gelpopulationen inzwischen überwiegend in EU-Vogel- an, dass die modellierte Verbreitung bei vielen Arten schutzgebieten liegen. Auch lassen sich Verbreitungsmuster wenig plausibel ist (Beispiel Feldlerche, Star). in Abhängigkeit von der Höhenlage oder klimatischen Parametern erkunden. Mit etwas Bastelei sollte sogar ein Die Autoren beschränken sich aber nicht nur auf eine Export als GIS-Layer für die Verwendung in geographischen deskriptive Darstellung von Verbreitung und Beständen. Informationssystemen möglich sein – eine sehr nützliche Der Atlas enthält ein langes Kapitel, das die beobachteten Weiterentwicklung der thematischen ‚Overheadfolien‘, Muster und Veränderungen analysiert und in einen grö- die diese Analysen im ‚alten‘ Niedersachsenatlas bereits ßeren Zusammenhang einordnet. Die artenreichsten Le- manuell ermöglichten. bensräume und Regionen werden aufgrund der Atlasdaten identifiziert, Hotspots der Verbreitung gefährdeter Arten Zusammenfassend haben die Autoren hier ein Werk mit dargestellt und eine Übersicht über ‚Gewinner‘ und ‚Ver- einer unglaublichen Informationsfülle, die aber gut kom- lierer‘ in der Vogelwelt seit 1985 (Atlasvergleich) präsentiert. piliert ist, vorgelegt. Der Kauf (zu einem übrigens sehr Traurig sind hier massive Abnahmen und negative Areal- günstigen Preis) sei nicht nur Avifaunisten, Behörden veränderungen zwischen 80 und fast 100% bei ehemals oder naturinteressierten Bürgern in Niedersachsen und weit verbreiteter Arten, wie etwa Braunkehlchen und Bremen wärmstens ans Herz gelegt, sondern das Buch sämtlichen Wiesenlimikolen, die sehr unter der Um- wird auch eine Fundgrube für Ornithologen aus allen wandlung artenreicher Feuchtwiesen in monotone Gras- anderen deutschen Bundesländern und den angrenzenden und Maisäcker gelitten haben. Interessant auch ein pos- Niederlanden sein. tulierter Rückgang von 50–80% der Misteldrossel, der sich nicht in einer veränderten Rasterfrequenz widerspiegelt: Johannes Kamp ein Beispiel für ein großmaßstäbiges ‚Ausdünnen‘ von Beständen bei gleichbleibender Verbreitung. Eine Quan- tifizierung der Bestandsentwicklungen und Arealverän- Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 117

MAMMEN, K., U. MAMMEN, G. DORNBUSCH & S. FISCHER Unser Nachbarland verfügt wahrlich über wertvolle avi- (2013): Die Europäischen Vogelschutzgebiete des faunistische Schätze! In den Schutzgebieten brüten z. B. Landes Sachsen-Anhalt. Ber. Landesamtes Umw.schutz mind. 26 Brutpaare (BP) Rohrdommeln, 28 BP Zwerg- Sachsen-Anhalt 10: 1-272. Geb. Bezug: Landesamt für dommeln, 16-19 Großtrappen (Vögel), über 180 BP Wach- Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Postfach 200841, D- telkönige, 71 BP Weißbart-Seeschwalben, ca. 900 BP Zie- 06009 Halle (Saale). [email protected]. genmelker, etwa 3.000 BP Neuntöter und mind. 119 BP ISSN 0941-7281. Als pdf-Version verfügbar auf: Brachpieper. Die Brutbestände einzelner Arten sind nahezu www.lau.sachsen-anhalt.de. vollständig durch EU SPA abgedeckt, andere wie z. B. der Ortolan dagegen nur zu sehr kleinen Anteilen. In der Publikationsreihe der „Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt“ werden in einem Die Rastbestände sind nicht weniger beeindruckend: opulenten, großformatigen Buch (Din A4-Format, fester z. B. über 1.000 Singschwäne an der Mittlere Elbe oder Einband) die Europäischen Vogelschutzgebiete unseres in der Aland-Elbe-Niederung. Nachbarbundeslandes vorgestellt. Wie einleitend vom Präsidenten des Landesamtes betont, handelt es sich Bis 2009 wurden in allen EU SPA Ersterfassungen der Vo- dabei um die „Perlen des Vogelschutzes“ in Sachsen- gelbestände durchgeführt; die Grundlage für das weitere Anhalt, was mit dieser Publikation eindrucksvoll doku- Monitoring ist damit gelegt. mentiert wird. Nicht alle Gebiete verfügen bislang über einen landes- Von Sachsen-Anhalt wurden 32 Europäische Vogelschutz- rechtlichen bzw. nationalen Schutzstatus; gänzlich ohne gebiete (EU SPA) mit einer Fläche von ca. 170.600 ha an einen solchen Schutz sind z. B. noch die Landgraben- die EU-Kommission gemeldet, das entspricht etwa 8,3 Dumme-Niederung, die Milde-Niederung oder die Klietzer % der Landesfläche. In kurzen einleitenden Kapiteln und Heide. in prägnanter Form werden auf 10 Seiten Grundlagen und Umsetzung der Gebietsmeldungen, Ersterfassungen Nur für 10 Gebiete liegen Managementpläne vor, für und das Monitoring in den EU-Vogelschutzgebieten be- weitere 12 Gebiete waren diese noch in Bearbeitung. schrieben sowie ein Ausblick gegeben. Dem Landesamt ist zu dieser sehr gelungenen Übersicht Hinsichtlich des Flächenanteiles an EU SPA steht Sach- über die Situation in den EU-Vogelschutzgebieten und sen-Anhalt im bundesweiten Vergleich zwar „nur“ im transparenten Datenaufbereitung rundum zu gratulieren! Mittelfeld. Das der Gebietsmeldung i. W. zu Grunde lie- Die Publikation liefert nicht nur Daten für die Fachöf- gende Konzept, eng angelehnt an das „IBA-Konzept“, fentlichkeit in Verwaltungen und Verbänden, sondern wurde in Sachsen-Anhalt – wie von der EU-Kommission lädt angesichts der ansprechenden Aufmachung und bescheinigt – allerdings fachlich gut umgesetzt. Gestaltung auch zum „Schmökern“ ein und kann somit sicher auch als Werbung für den Vogelschutz in Kreisen Den Schwerpunkt des Buches bilden auf 247 Seiten aus- von Politik und Gesellschaft eingesetzt werden. führliche und gleichzeitig übersichtliche Beschreibungen aller 32 EU SPA. Für jedes Gebiet werden neben allge- Diese Dokumentation setzt Maßstäbe und kann als bei- meinen Angaben (Größe, aktueller Schutzstatus etc.) spielhaft auch für andere Bundesländer gesehen werden. und Gebietsbeschreibungen (u. a. naturräumliche Bedin- Für Niedersachsen würde Rez. sich eine ähnliche Doku- gungen, Biotoptypen, Entwicklungen) umfangreiche mentation wünschen. Daten zur avifaunistischen Bedeutung (getrennt für Brut- /Gastvögel) aufgeführt sowie die Schutz- und Erhaltungs- Wichtige Schritte zur Umsetzung der EU-Vogelschutz- ziele und weitere fachliche Hinweise zur Gebietsent- richtlinie sind in Sachsen-Anhalt also gemacht. Es steht wicklung beschrieben. Jedes Gebiet wird mit Karten und aber auch hier noch reichlich Arbeit an, die angesichts Gebietsfotos vorgestellt, die Bestände in Tabellen doku- des rasanten Wandels der Landnutzung zügig und kon- mentiert und für einzelne Arten die Vorkommen auch sequent angegangen werden sollte. Andernfalls sind gute kartografisch dargestellt. Herauszustellen ist die großzügige Erhaltungszustände der Arten wohl nicht zu garantieren. Illustration der Gebietsbeschreibungen durch sehr schöne Fotos jeweils einiger gebietstypischer Vogelarten. Mit der vorliegenden Publikation ist dazu eine hervorra- 118 Rezensionen

gende Grundlage und ein Gradmesser für den Erfolg der NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND, BEZIRKSGRUPPE OLDENBURGER zukünftigen Schritte geschaffen. LAND (Hrsg.; 2013): Jahresberichte der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Oldenburg (OAO) Band 21. 284 Johannes Melter S., zahlr. farb. Abb. u. Fotos, kart. Bezug: Naturschutzbund Deutschland – Bezirksgruppe Oldenburger Land e. V., Schlosswall 15, D-26122 Oldenburg, mail@nabu-olden- MEBS, T., & D. SCHMIDT (2014): Die Greifvögel Europas, burg.de. ISSN 0948-0846. 15,00 €. Nordafrikas und Vorderasiens. Biologie, Kennzeichen, Bestände. 2. Aufl., Kosmos-Verlag, Stuttgart. 494 S., ca. Trotz einer zunehmenden Zahl von Internetforen, Blogs, 800 Farbfotos, geb. ISBN 978-3-440-14470-1. 69,99 €. Mailinglisten und online-Datenbanken halten sich immer noch eine ganze Reihe von regionalen ornithologischen Nur acht Jahre nach der Erstauflage erscheint dieses volu- Jahresberichten in Deutschland. Das mag zunächst er- minöse Grundlagenwerk über Europas Greifvogelarten in staunen, denn der Formatierungsaufwand ist für die in neuer Auflage. Nicht nur für Greifvogelkenner und –lieb- der Regel ehrenamtlichen Schriftleiter immens und die haber ist dies ein bedeutendes Buch, sondern eigentlich Druckkosten sind hoch. Beim Durchblättern der neuesten für alle Avifaunisten und Vogelschützer, stehen doch die Ausgabe des Jahresberichts der Ornithologischen Ar- Greifvögel immer im Fokus von Vogelschutz, Vogelverfol- beitsgemeinschaft Oldenburg (OAO) wird aber klar, dass gung und Vogelforschung. diese Berichte eine eigene Nische haben und behalten werden: Daten werden nicht nur aufgelistet, sondern Das Buch stellt 45 Greifvogelarten in ausführlicher mono- mit viel Akribie und Wissen analysiert, kommentiert und graphischer Weise vor, garniert mit vielen hervorragenden wertend in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. Fotos und Zeichnungen (von D. ZETTERSTRÖM, W. DAUNICHT Der Bericht der OAO erscheint bereits seit 1977, seit sowie K.-V. DAUNICHT) sowie Verbreitungskarten und ak- einiger Zeit allerdings nur noch alle zwei bis drei Jahre. tuellen Bestandsschätzungen aller Arten in den Ländern Dies ist nicht verwunderlich, denn die zu verarbeitenden Europas sowie den Bundesländern Deutschlands. Datenmengen sind ständig gestiegen (nicht zuletzt noch- mals mit der Einführung von ornitho.de). Die aktuelle Die ausführlichen Beschreibungen gliedern sich in die Ka- Ausgabe ist mit zehn längeren Artikeln, Kurzberichten, pitel: Namen, Kennzeichen, Stimme, Verbreitung, Bestand, Rezensionen und Nachrufen auch gut dreimal so dick Bestandsentwicklung, Lebensraum, Siedlungsdichte, Revier wie die Berichte der 1990er Jahre. und Aktionsraum, Verhalten, Nahrungserwerb und Nah- rung, Fortpflanzung, Ortswechsel und Wanderungen, Ge- Das Kernstück des nun durchgängig farbig gedruckten fährdung, Schutzmassnahmen und offene Fragen. Heftes mit vielen brillianten Fotos bildet der avifaunistische Bericht für den Zeitraum 2008–2010, für den über Dadurch entsteht ein grundlegendes Kompendium über 30.000 Einzeldaten (beigesteuert von mehr aus 200 Be- die faszinierende Vogelgruppe, welches allgemein zu obachtern) ausgewertet wurden. Das Berichtsgebiet, das empfehlen und geeignet ist, die Begeisterung für Greifvögel Oldenburger Land, reicht von der Insel Wangerooge im zu entfachen oder obenauf zu halten. Norden bis zur Diepholzer Moorniederung und dem Dümmer und umfasst fast 6000 km². Bemerkenswert Die zweite Auflage ist mehr als eine reine Aktualisierung. sind Brutnachweise von Pfeifente, Flussuferläufer und Sowohl vollständig aktualisierte Bestandszahlen, die durch Kranich (erstmals seit 100 Jahren!) im Berichtszeitraum, eine intensive Recherche des Erstautors zustande gekommen ein besetztes Revier des Bruchwasserläufers und Einflüge und dadurch sehr aktuell für ein solches Buch sind, sind von Rotfußfalke und Hellbäuchiger Ringelgans. Stark ab- in die Bearbeitung eingeflossen, aber es wurde auch die genommen haben Strandbrüter wie Zwergseeschwalbe neueste Literatur der Greifvogelforschung integriert, so und Seeregenpfeifer (nun ausgestorben), auffallend häu- dass ca. 25 % aller Zitate neu sein dürften. Insofern ist es figer geworden sind Beobachtungen des Seeadlers, auch keine leichte Frage, ob derjenige, der schon die 1. Auflage hier ist eine Brut sicher nur eine Frage der Zeit (und mitt- hat, auch diese braucht: echte Interessierte werden sich lerweile eingetreten – Anm. d. Red.). Während es an den dadurch nicht vom Kauf abhalten lassen. Es sei empfoh- Küsten, in den Wäldern und Mooren des Oldenburger len. Landes überall noch spannende Beobachtungsgebiete gibt, ist es in der freien Landschaft zur Brutzeit still ge- Peter Südbeck worden: Die starke Intensivierung der Landwirtschaft hat Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 119

zu dramatischen Verlusten von Feldvögeln wie der Feld- NIEDERSÄCHSISCHER LANDESBETRIEB FÜR WASSERWIRTSCHAFT, KÜSTEN- lerche geführt, und die ehemals stimmungsprägenden UND NATURSCHUTZ (NLWKN, 2013): Bewertung von Vogel- Wiesenvögel haben wegen großräumiger Habitatverän- lebensräumen in Niedersachsen – Brutvögel, Gastvögel. derungen ganze Landstriche aufgegeben (besonders die Inform.d. Nat. schutz Niedersachs. 33 (2): 55-87. Bezug: Bekassine). Andererseits entstehen dank des zunehmenden Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küs- Maisanbaus und der Renaturierung von großen abgetorften ten- und Naturschutz (NLWKN) – Naturschutzinformation. Hochmoorflächen ergiebige Nahrungsflächen und ruhige Postfach 91 07 13, D-30427 Hannover. naturschutzinfor- Schlafplätze für rastende Großvögel, die von zehntau- [email protected]. ISSN 0934-7135. 4,- €. senden Kranichen, Gänsen und Schwänen genutzt werden: Im Berichtszeitraum wurden Konzentrationen Auf oder wenigstens in unmittelbarer Nähe des Schreibtisches von über 1000 Zwerg- und Singschwänen im Landkreis eines ernst zu nehmenden Naturschützers oder Raumplaners Cloppenburg beobachtet! Eine erstaunlich hohe Zahl gibt es einen Stehordner, einen Stapel oder irgendetwas von entdeckten ‚Seltenheiten‘ (z. B. Schwarzflügel-Brach- Vergleichbares mit der Literatur, die man häufig benötigt. schwalbe, Steppenkiebitz, Dunkellaubsänger oder Gelb- Darunter finden sich in der Regel die Roten Listen aller schnabeltaucher) spricht für die Kompetenz der Olden- möglichen Artengruppen in der jeweils aktuellen Fassung, burger Beobachter und macht den Bericht auch für Unterlagen zur Charakterisierung von Biotoptypen und primär sportlich interessierte Birder interessant. die Vorgaben zur Bewertung von Lebensräumen, auch bei Eingriffen in Natur und Landschaft. Letztere sind wichtig, Neben dem avifaunistischen Bericht enthält der Band um die Bedeutung von Lebensräumen nach einem ver- gut aufbereitete, vergleichende Analysen von Brutvogel- gleichbaren Standard – für Behörden, Nutzer und Andere – kartierungen, z. B. der Klärschlammdeponie Edewecht transparent ermitteln und Eingriffe bewerten und abwägen (Entwicklung der Vogelwelt seit 1998, V. BOHNET und V. zu können. Oder noch besser: um wertvolle Gebiete von MORITZ), der Ausdeichungsmaßnahme Aper Tief (E. LIEBL Beeinträchtigungen frei halten zu können. Mein Stehordner und J. SIEBELDS) und von Kiesgruben im Oldenburger mit wichtigen Unterlagen besteht zu mehr als der Hälfte Münsterland (T. LAUMANN). Eine Analyse der Jagdstrecken aus Heften der Reihe Informationsdienst Naturschutz Nie- des Berichtsgebietes zwischen 1995 und 2012 ergibt dersachsen. Ein Heft aus dem Jahr 1997, und zwar das eine Summe von je fast einer Million geschossener Rin- zur Bewertung von Vogellebensräumen, wurde nun aus- geltauben und Silbermöwen, und auch der starke getauscht gegen die Neuauflage. Diese enthält dem Vor- Rückgang des Rebhuhns lässt sich an den Jagdzahlen gänger entsprechend (der aus den Nachdrucken der in gut ablesen. Faunistische Kurzmitteilungen von eher lo- den Vogelkundlichen Berichten aus Niedersachsen 1997 kalem Interesse runden den Band ab. Etwas zweifelhaft erschienenen Originalarbeiten bestand) einen Beitrag über erscheint die Feststellung von gleich 40 Ortolanen am das „Verfahren zur Bewertung von Vogelbrutgebieten in 01.04.2013 auf Wangerooge, da das Gros der Populationen Niedersachsen“ von K. BEHM & T. KRÜGER sowie über um diese Jahreszeit noch in Afrika weilt (die ersten Vögel „Quantitative Kriterien zur Bewertung von Gastvogelle- erreichten Deutschland 2013 rund drei Wochen später). bensräumen in Niedersachsen“ von T. KRÜGER, J. LUDWIG, In der Abteilung Historische Ornithologie findet sich ein P. SÜDBECK, J. BLEW & B. OLTMANNS. Die Bewertungsverfahren lesenswerter Artikel zur Färbung von Vogelfedern und haben sich im Grundsatz nicht wesentlich geändert, die der Entdeckung ihrer Blaustruktur (von K. HINSCH, Physiker Bezugsgrundlagen, und zwar die Gefährdungseinstufung und Ornithologe) und ein amüsanter Bericht über ein der Brutvögel in der Roten Liste bzw. die Bestandsgrößen „ornithologisches Festessen“ der OAO anno 1883 (J. der Gastvogelarten (Tabelle im Anhang) dagegen schon. GRÜTZMANN). Außerdem haben sich die Autoren die Mühe gemacht, die beiden Bewertungsverfahren ausführlicher darzustellen, Insgesamt legen die Autoren und Schriftleiter hier wieder zu erläutern und zu illustrieren. Auf diese Weise ist ein eine gewohnt umfassende Bestandsaufnahme der Ol- weiteres, sehr nützliches Heft in der Veröffentlichungsreihe denburger Vogelwelt mit hohem Qualitätsanspruch vor, des NLWKN entstanden. Als reger Nutzer wünscht man der man eine weite Verbreitung wünschen kann. sich natürlich, dass weitere so nützliche Hefte erscheinen werden. Noch ein Tipp: Trauen Sie keinem Planungsbüro, Johannes Kamp dass die (in der Mehrzahl) sehr nützlichen Hefte aus dem Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen nicht kennt…

Thomas Brandt 120 Rezensionen

NIEDERSÄCHSISCHER LANDESBETRIEB FÜR WASSERWIRTSCHAFT, KÜS- Einmal im Jahr, meist im Herbst, wird der nächste „Vogel TEN- UND NATURSCHUTZ (NLWKN, 2014): Entwicklung der des Jahres“ der Öffentlichkeit vorgestellt, als NABU-Pres- Landschaftsrahmenplanung in Niedersachsen – Er- sekonferenz mit Übertragung durch „heute“ und „Ta- fahrungsaustausch 2013. Inform.d. Nat.schutz Nieder- gesschau“. Medial ist dies eine überaus langfristige und sachs. 34 (1): 1-68. Bezug: Niedersächsischer Landesbetrieb überaus erfolgreiche Kampagne für mehr Vogelschutz in für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) unserer Gesellschaft. Der „Vogel des Jahres“ gibt dem – Naturschutzinformation. Postfach 91 07 13, D-30427 allgemeinen, normalen (Alltags-)Vogelschutz ein Gesicht Hannover. [email protected] für ein Jahr – oder besser einen Schnabel. Man kann sen.de. ISSN 0934-7135. 4,- €. diese allgemeine Wirkung nicht hoch genug einschätzen: der Vogelschutz in der „Tagesschau“, das ist eine klasse Im Zuge des Regierungswechsels in Niedersachsen hat Leistung! Und es bleibt nicht bei einer reinen Benennung, auch die behördliche Landschaftsrahmenplanung wieder sondern der Wahl folgt eine das ganze Jahr durchlaufende Auftrieb bekommen. Aufgrund neuer flächenhafter Her- Vogelschutzkampagne zu dieser Vogelart, mit fachlichen, ausforderungen, z. B. durch die Ausgestaltung der Ener- medialen und praktischen Aspekten, breit gestreut und giewende mit Förderung der Biomasse-Erzeugung, der aufgestellt und vor allem innerhalb der NABU-Gruppen- Intensivierung der landwirtschaftlichen Bodennutzung, landschaft eine wichtiges Feld, um Aktivitäten zu bündeln aber auch durch völlig neue naturschutzfachliche Zielset- und zu stärken, aber auch den Zusammenhalt unter zungen und Themen, wie die Schaffung eines bundes- einem Thema zu fördern. weiten Biotopverbundes oder einer Bewältigung der möglichen Folgen des Klimawandels, war diese Neube- H. OPITZ, langjähriger Vize-Präsident des Naturschutzbundes wertung auch nötig. NLWKN und die Alfred Töpfer Aka- Deutschland und im Präsidium als Ornithologe (Biologie- demie für Naturschutz haben vor diesem Hintergrund Lehrer) für die Wahl und die Kampagne zum „Vogel des gemeinsam ein Fachseminar zur Thematik durchgeführt, Jahres“ zuständig, legt in diesem Buch eine kleine Geschichte welches in diesem Informationsdienst dokumentiert wird. dieser Vogel-Wahl vor. Alle 44 Art-Kampagnen werden Der inhaltliche Bogen der Arbeiten spannt sich von Über- vorgestellt, die Biologie und Schutzsituation der Art, die sichtsartikeln zur Situation der Landschaftsrahmenplanung Gründe und Ziele für die Auswahl präsentiert. Darüber hi- in Niedersachsen über die Planungen zum Biotopverbund naus, und das ist gut, denn das Buch ist keine reine Lobes- auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen. Auch die Inte- hymne, wird die Kampagne auch im Rückblick bewertet: gration von Klimaschutzzielen in die Landschaftsrahmen- hat es zu einem Mehr an Vogelschutz geführt, hat es der planung wird behandelt. Art geholfen, haben die NABU-Gruppen mitgezogen, haben sich die Auswahlgründe als richtig dargestellt usw. Insgesamt eine inhaltsreiche und gerade für die Pla- Hier ist der Autor durchaus ehrlich, was für eine Weiter- nungsakteure in Verwaltungen und Büros wichtige Über- entwicklung essenziell und auch für das Buch gut ist. sicht. Das Heft wird komplettiert durch eine aktuelle Übersichtsarbeit zur Verbreitung und zum Rückgang der In allgemeinen Kapiteln wird der konzeptionelle Rahmen Flechten-Kiefernwälder in Niedersachsen seit 1990. der Jahresvogelkampagnen und -ideen beschrieben, aber eine umfassende Analyse der Artenwahl oder der Kam- Peter Südbeck pagneninhalte und -erfolge ist dabei eher nicht beabsichtigt. Dies würde sich aber sehr lohnen, denn es ist eindeutig, dass mit den Vögeln des Jahres auch konzeptionell ein OPITZ, H. (2014): Die Vögel des Jahres 1970-2013. Stück Natur- und Vogelschutzgeschichte der letzten 4 Rückblick – Status – Perspektiven. Aula-Verlag, Wie- Jahrzehnte in Deutschland beschrieben worden ist, das belsheim, 176 S., 247 farb. Abb., kart. ISBN 978-3- es sich anzuschauen lohnt. 89104-783-5. 19,95 €. Die Jahresvogelkampagne hat viele Nachahmer gefunden: Der „Vogel des Jahres“ ist eine Institution in Deutschland! mittlerweile füllt die Zeitschrift „Natur und Landschaft“ Wie viele andere gute Ideen im nationalen und sogar in- eine Menge Druckraum, um nur kleine Bilder der einzelnen ternationalen Naturschutz auch kommt diese Institution Pflanzen, Tiere, Biotope des Jahres darzustellen. Dies ist aus dem Vogelschutz. Hier waren und sind die meisten sicher Beleg für den Erfolg dieser Idee – man müsste sie aktiv und kreativ, hier besteht die stärkste Kraft, Kampagnen erneut erfinden. Und daher ist es sehr gut, die hier vor- auch wirklich umzusetzen. gelegte Dokumentation zu haben, sie ist zu empfehlen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 121

für all diejenigen, die Natur- und Vogelschutz betreiben, SCHMIDT, F.-U., T. HELLBERG, R. GRIMM & N. MOLZAHN (2014): um zu lernen und zu sehen, aber auch für all diejenigen, Die Vogelwelt im Heidekreis – eine aktuelle Be- die in all den Jahren immer gewartet haben bis der neue standsaufnahme. Naturkundliche Beiträge Soltau-Fal- „Vogel des Jahres“ gekürt war. Insofern ist es für viele lingbostel Heft 19/20: 1-546. Bezug: F.-U. Schmidt, Zum von uns auch eine kleine Zeitreise der eigenen Vogel- Ahlftener Flatt 42, D-29614 Soltau. ISSN 0946-7858. schutz-Biographie (für Rez. war 1981 der Schwarzspecht 20,00 €. ein Schlüsselerlebnis) und allein deswegen den (geringen) Preis wert. Die regionale Erforschung unserer Vogelwelt schreitet immer schneller voran. Nur 13 Jahre nach Erscheinen der Peter Südbeck ersten Avifauna über den Heidekreis (damals noch Landkreis Soltau-Fallingbostel) lohnte sich die vollständige Neubearbeitung und Aktualisierung der avifaunistischen REDAKTION FALKE (Hrsg.; 2014): Eulen in Deutschland. Kreisbeschreibung. Den Autoren ist dafür größtes Lob zu Verbreitung – Gefährdung - Trends. Falke Sonderheft zollen, und dass das Buch eigentlich ein Jahr früher hätte 2014. Aula-Verlag, Wiebelsheim. 56 S., durchgängig erscheinen sollen, wie im Vorwort vermerkt, ist heute farbig bebildert. ISBN 978-3- 89104-780-4. 6,95 €. schon irrelevant. Die Qualität der Avifaunisten in diesem Landkreis und die Intensität ihrer Arbeit – darauf kommt Unter maßgeblicher Mitgestaltung unseres Redaktions- es ja an – lässt sich am leichtesten ablesen aus der Zahl mitgliedes T. BRANDT setzt die FALKE-Redaktion ihre Son- der ausgewerteten Daten: nicht zuletzt durch die Einfüh- derheft-Reihe vor. Als überaus attraktive Vogelgruppe rung der Beobachtungsplattform ornitho.de steigt das „ziehen“ Eulen besonders viele Menschen in ihren Bann verfügbare Datenmaterial kontinuierlich an: seit dem und lassen höhere Verkaufszahlen erwarten. Angesichts Jahr 2000 haben sich die jährlichen Daten etwa vervier- des sehr günstigen Preises für ein gut gemachtes, reich facht! Ein tolles Ergebnis! bebildertes und vielseitiges Heft ist dies auch gut angelegtes Geld. Herausgekommen ist aus dieser neuen Auswertung ein aktueller Überblick, eine detaillierte Beschreibung der Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit dem Uhu, der einzelnen Vogelarten, die im Heidekreis seit jeher beob- größten heimischen Eulenart, die wieder stark im Kommen achtet und nachgewiesen wurden. Für alle Brutvogelarten und gleichzeitig neuen Gefahren und Gefährdungen wird eine Bestandsschätzung für das Kreisgebiet abge- ausgesetzt ist. Artikel über die Sumpfohreule (mit starker geben, zumeist mit Hinweisen oder einer Darstellung zur Wattenmeerbetonung) und den Steinkauz (die nieder- genauen Bestandsentwicklung bis 2013. Für Gastvögel sächsische Bestandssituation) verdeutlichen einen starken werden bei einigen Arten phänologische Diagramme Niedersachsenbezug, was bei einem Eulenheft nicht dargelegt, Wintermaxima ausgewiesen oder für die sel- gerade zu erwarten war. Beiträge über den Sperlings- tenen Arten Einzelnachweise aufgelistet. und Habichtskauz mit süddeutschem Schwerpunkt, stär- keren ökologischen und/oder Schutzaspekten vervoll- Alle Kapitel werden mit schönen Vogelfotos unterlegt, ständigen das Heft. Hinzukommen Beiträge über aus was das Lesen freundlicher und angenehmer macht. unserer Sicht exotische Arten, den Omanfahlkauz oder den Fischuhu, die aber gerade auch eine interessante Einleitend wird auf rund 40 Seiten ein allgemeiner Teil Weltläufigkeit zum Ausdruck bringen. gegeben, der die Veränderungen im Landkreis in den letzten Jahren oder Jahrzehnten darstellt, und selbst bei Eulen faszinieren uns Menschen tatsächlich, das FALKE- knapper Betrachtung der darin gezeigten Graphiken wird Sonderheft vermag es, diese Besonderheit in Wort und deutlich, warum eine so schnelle Aktualisierung einer Bild darzustellen, scheut dabei aber nicht vor trockener Kreisavifauna erforderlich ist. Hierzu einige Beispiele: und fachlich-anspruchsvoller Materie zurück, etwa über zwischen 1980 und 2010 nahm die Zahl landwirtschaft- das strenge Artenschutzrecht, welches den heimischen licher Betriebe um über 60 % ab, der Anteil der Rapsan- Arten zuteil wird (W. BREUER). baufläche um fast das 100fache zu! Heute stehen im Landkreis 133 Windkraftanlagen und – sage und schreibe Dem Heft ist eine weite Verbreitung zu wünschen. – 74 Biogasanlagen. Allein dies macht deutlich, wie sich in so kurzer Zeit eine ganze Landschaft inklusive ihrer Peter Südbeck Vögel verändern muss. Leider liegen für den Heidekreis 122 Rezensionen

nicht für alle Arte so aussagekräftige Bestandsdaten vor, Gerade auch weil nicht alle vergleichbaren Projekte zu dass man die Konsequenzen auf Artebene immer ab- einem solch bemerkenswerten Abschluss kommen, ist zeichnen kann, so werden etwa für Feldlerche oder der Avifaunistischen Arbeitsgemeinschaft Soltau-Falling- Baumpieper nur Bestandsschätzungen oder Siedlungs- bostel Anerkennung und Dank für diese neue Avifauna dichteangaben, aber keine Trends vorgestellt. Für die zu zollen. auffälligeren Arten ist das Material jedoch sehr umfassend und es lassen sich diese Wirkungen nachzeichnen: so Peter Südbeck wird die Besiedlung des Kranichs im Landkreis in 4 Ver- breitungskarten anschaulich in seiner Expansion dargestellt, mit annähernd 170 Revieren ist dies ein überaus bedeu- SPOHN, M., M. GOLTE-BECHTLE & R. SPOHN (2015): Was tendes Gebiet für diese Art. Andere Arten werden aus blüht denn da? Kosmos-Verlag, Stuttgart. 496 S., 2.065 Teilräumen, so das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide, Farb- u. 112 SW-Abb., Klappenbroschur. ISBN 978-3- beschrieben (z. B. die gegenläufige Entwicklung bei 440-13965-3. 19,99 €. Braun- und Schwarzkehlchen). SPOHN, M. (2015): Was blüht denn da? Der Fotoband. Regionalavifaunen wie diese wecken auch immer das Kosmos-Verlag, Stuttgart. 448 S., 832 Farbfotos, 408 vergleichende Interesse: welche Art kommt wie häufig Farb- u. 109 SW-Abb., Klappenbroschur. ISBN 978-3- vor, was charakterisiert die Vogel-Landschaft dort? Her- 440-14383-4. 14,99 €. vorzuheben ist für den Heidekreis z. B. der Sperlingskauz, dessen Bestand auf 80-160 Reviere geschätzt wird, der Der „Klassiker“ unter den Pflanzenbestimmungsbüchern Waldwasserläufer mit ca. 50 Brutpaaren oder eines der des Kosmos-Verlages wird in diesen Tagen 80 Jahre alt ersten niedersächsischen Brutpaare des Wiedehopfes und erscheint zum Jubiläum in neuer Auflage und in nach vielen Jahren. Eine vergleichende Übersicht und doppelter Form, einmal als an Zeichnungen orientiertes Einordnung der Erkenntnisse aus dem Heidekreis in Bezug Bestimmungsbuch, zum Zweiten als Fotoführer. Der Be- zum Land Niedersachsen fehlt - leider, möchte man hin- stimmungsführer erhält zudem einen Gutschein für die zufügen. E-Book Version für Computer oder Tablet, dann auch im Gelände einsetzbar. Insgesamt liefert dieses neue Buch eine große Fülle an wichtigen und für die Avifaunistik in Niedersachsen un- Klassisch nach Blütenfarben sortiert wird ein Großteil verzichtbaren Informationen in komprimierter Form. Es heimischer Pflanzenarten in diesen Büchern präsentiert, ist eine herausragende Gesamtleistung der Autoren und wobei das Bestimmungsbuch etwa 50 % mehr Arten vieler vieler Mitarbeiter und Beobachterinnen. behandelt. Die Zeichnungen von M. GOLTE-BECHTLE (wie seit über 25 Jahren!) präsentieren die Pflanzenarten in Nur in einem solchen Gesamtansatz ist es dann möglich, der Regel im Ganzen, auf besondere Bestimmungsmerk- Veränderungen datengenau zu dokumentieren, wie wir male wird hingewiesen. Der Text informiert kurz und es z. B. mit Veränderungen im Zuggeschehen durch kli- knapp über Merkmale, Habitat und Verbreitung sowie mabedingte Änderungen erwarten können: 22 Zugvo- Wissenswertes, in diesem Kapitel werden kleine Info-Bits gelarten zeigen eine mehr oder weniger deutliche Ver- zu den einzelnen Arten, zu Besonderheiten ihrer Biologie frühung ihres phänologischen Musters, während nur der oder auch zur Namensgebung gegeben - oft recht inter - Sumpfrohrsänger heute ca. 5 Tage später kommt als essant. noch vor etwa 30 Jahren. Die artspezifischen Unterschiede sind dabei enorm, so kommt die Mönchsgrasmücke Der Fotoführer nimmt den Text zu den einzelnen Arten heute im Heidekreis einen ganzen Monat früher als vor aus dem Bestimmungsbuch weitgehend auf, auf der je 50 Jahren, während der viel längere Strecken ziehende gegenüberliegenden Seite werden bis zu drei Fotos je Art Neuntöter nur wenige Tage eher ankommt (sicher nicht abgedruckt, oft kombiniert mit Fotos von ähnlichen Arten. signifikant). Dies erleichtert die Bestimmung durch den Fotoführer, wenngleich es in der Regel nicht immer möglich ist, Aus der Landesperspektive wäre es hochinteressant, Habitus der Arten und Bestimmungsmerkmale vollständig wenn Daten dieser Qualität aus vielen Regionen vorlägen, fotografisch abzubilden. Insofern sind beide Bücher durch- um sie einer synoptischen Analyse zuführen zu können. aus als gegenseitige Ergänzung zu betrachten. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 123

Insgesamt sind dies erneut „klassische“ Kosmos-Bestim- WILDERMUTH, H., & A. MARTENS (2014): Taschenlexikon mungsbücher in bewährter Qualität bei neuem Erschei- der Libellen Europas. Alle Arten von den Azoren bis nungsbild. Der bisherigen Millionenauflage werden sicher zum Ural im Porträt. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim. weitere hinzukommen. Die Bücher sind es wert! 824 S. Zahlr. Farbabb., geb. ISBN 978-3-494-01558-3. 29,95 €. Peter Südbeck Wie kann man mehr als 800 Seiten über die Libellen Europas füllen? Man kann und das ohne Umschweife WESSEL, A., R. MENZEL & G. TEMBROCK (2013): Quo vadis, und Dopplung, das beweist dieses Buch! Ein Taschenlexikon Behavioural Biology? Past, Present, and Future of an trägt dann auch in veritabler Weise zur Regalfüllung bei, Evolving Science. Nova Acta Leopoldina 111 (No. 380). immerhin ist dieser Band über 4 cm dick. Dtsch. Akad. Nat.Forsch. Leopoldina, Nat. Akad. Wiss., Halle (S.). Wiss. Verlagsges., Stuttgart. 396 S., 139 Abb. In Deutschland gibt es etwa 80 regelmäßig vorkommende ISBN 978-3-8047-2805-9, ISSN 0369-5034. 28,95 €. Libellenarten, in Niedersachsen knapp 70, sie sind be- zaubernde Tiere der Feuchtgebiete, sie sind gute Indika- Die klassische Verhaltensbiologie in Deutschland entfaltete toren für die Qualität heimischer fließender und stehender sich seit ihrer Begründung als Tierpsychologie, die stark Gewässer und spielen in der Naturschutzplanung und im mit dem Namen K. LORENZ verbunden ist, in verschiedene praktischen Naturschutz eine herausgehobene Rolle. Richtungen wie Ethologie, Soziobiologie, Experimentelle Nicht zuletzt deshalb, und natürlich weil das vorliegende Psychologie oder Evolutionäre Psychologie, und viele Buch auch die Libellenarten in ganz Europa bis in den andere entwickelten eigene Zugangsweisen. Im Zentrum Ural sowie im Mittelmeerraum behandelt (insgesamt sind dieser Vorgänge stand in Deutschland zeitweise Berlin es dann 145 Arten), kann ein solches Buch tatsächlich mit der Biologen-Schule von G. TEMBROCK, der 1948 an gut gefüllt werden. der Berliner Universität die erste Institution für Verhal- tensbiologie in Deutschland errichtete. Ihm ist die Zu- In bewährter Weise der Taschenlexika des Verlages werden sammenschau historischer Prozesse, sich wandelnder auch in diesem Band nach einer straffen Einleitung über Fragestellungen und methodischer Entwicklungen ge- die Biologie der Libellen sowie einige praktische, über- widmet, die ein Internationales Symposium in Berlin aus greifende Aspekte wie Beobachtungshinweise, Schutz- dem Jahr 2009 dokumentiert. Der Vergangenheit, Ge- maßmahmen oder Bestimmungshinweise, die Arten genwart und Zukunft eines faszinierenden Problembereichs einzeln beschrieben. der Biowissenschaften widmet sich der Band mit Beiträgen international herausragender älterer Vertreter der Disziplin Die Artkapitel gliedern sich in Unterkapitel zum Namen, zu ihren eigenen das Forschungsfeld prägenden Arbeiten, zu den Kennzeichen, zu Verbreitung, Lebensraum, Le- aber auch mit Referaten jüngerer Wissenschaftler zu ak- bensweise der Alttiere und Larven (getrennt) sowie zu tuellen Themenstellungen des Gebietes. Gefährdung, Schutz- und Förderungsmaßnahmen. Gra- phisch wird die Phänologie dargestellt (Eier, Larven, Insgesamt handelt es sich hier um eine konzeptionell- Schlupf, Imagines) sowie die Gefährdung in Europa und theoretische Zusammenstellung mit aktuellen Bezügen Deutschland aufgezeigt. Eine Infobox gibt wertvolle Hin- und experimentellen Herleitungen. Vögel spielen – auch weise zu den Beobachtungsmöglichkeiten der einzelnen in diesem Zweig der Wissenschaft – eine besondere Arten. Rolle als biologisch Beispiel gebend. So schließt ein Beitrag des berühmten amerikanischen Raben-Forschers, Neben den Libellenarten werden – das erscheint Rez. B. HEINRICH, ab zum Thema: Programmiertes Verhalten, neu – im Lexikon auch die an Libellen vorkommenden Lernen und Wissen: von Raupen bis Raben. parasitär lebenden Arten in ähnlicher Weise behandelt, also Milben, Gnitzen etc. Peter Südbeck Dieses Buch ist kein Bestimmungsschlüssel und enthält auch keinen, und es ist auch kein Fotobuch, welches auf schöne Bilder setzt. Dies ist ein Kompendium zur Biologie und Ökologie aller europäischen Libellenarten und er- schließt damit dem Interessierten die vollständige Libel- 124 Rezensionen

lenwelt unserem Kontinent. Der Zugang zu dieser Gruppe mit allen ihren Arten wird dadurch enorm erleichtert. Rez. hätte sich lediglich Verbreitungskarten gewünscht, da dann schneller klar wäre, welche Art in welchem Teil Europas zu erwarten wäre.

Für Ornithologen sind Libellen – vielleicht wegen ihrer tollen Flugfähigkeiten oder der beeindruckenden Farb- gebung – oft ebenfalls sehr attraktive Geschöpfe. Vielleicht liegt dies aber auch daran, dass in bestimmten Lebens- räumen bei der Vogelbeobachtung Libellen ganz regel- mäßig und fast vertraute Begleiter sind, gerade bei der stillen Beobachtung am Rande eines Feuchtgebietes kann es sein, dass am Ende des Tages die Beobachtungsausbeute an Libellen erheblich ergiebiger war als die der Vögel. Das Taschenlexikon eröffnet auch dann alle Möglichkeiten der Interpretation und Nacharbeit.

Peter Südbeck

Knutt Calidris canutus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Red Knot. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 125

Nachrichten

Besenderte Zwerggänse unterwegs Diese Vögel sind bis zum Januar 2015 alle erfolgreich in Niedersachsen aus Skandinavien nach Westeuropa gezogen. Drei Vögel rasteten in Niedersachsen, einer in Schleswig-Holstein Der Bestand der Zwerggans Anser erythropus ist weltweit und der fünfte Vogel nahm einen Weg quer über die stark bedroht. In den Grenzen der Europäischen Union Nordsee zunächst nach Suffolk/England und erreichte ist der Bestand auf nur noch etwa 40 Individuen gesunken. dann später Belgien. Nachdem eine Bestandsstützung durch Weißwangengänse als Ammenvögel junger Zwerggänse in den 1980er und Für das Projekt ist es sehr wichtig zu erfahren, wie viele 1990er Jahren erfolgreich den Bestand vor dem Aussterben Vögel sich „hinter den Sendervögeln“ verbergen. Alle retten konnte, wurden diese Maßnahmen aber aufgrund Vögel sind mit codierten Fußringen markiert. Es können von Diskussionen um die genetische Herkunft der Zucht- auch unberingte Wildvögel gemeinsam mit diesen Sen- vögel zwischenzeitlich ausgesetzt und eine Zuchtlinie dervögeln ziehen. Informationen über den Aufenthaltsort aus russischen Importvögeln aufgebaut. Seit 2012 ist der besenderten Zwerggänse und das Projekt finden sich dieses soweit fortgeschritten, dass Jungvögel und Subadulte im Internet unter www.blessgans.de/553 zur Bestandsstützung in den lappländischen Brutgebieten freigesetzt werden konnten. Im Sommer 2014 wurden Über Beobachtungen von Zwerggänsen, ganz besonders 55 Ind. ausgesetzt, von denen fünf Vögel in einem ge- den farbmarkierten und besenderten Vögeln freut sich meinsamen Projekt mit dem NABU Landesverband Nie- der NABU Projektleiter Dr. Helmut Kruckenberg (helmut.kru- dersachsen mit Satellitensendern ausgestattet wurden. [email protected]).

Fünf besenderte Zwerggänse sollen gemeinsam mit 50 weiteren Gänsen in Schwedisch-Lappland den europäischen Bestand vor dem Aussterben bewahren. Foto: Gerhard Müskens. 126

Niedersachsen – Wiesenvogelland

Rotschenkel Tringa totanus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Common Redshank. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 44 (2014) 127

Kiebitz Vanellus vanellus. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Northern Lapwing.

Kampfläufer Philomachus pugnax. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Ruff. 128

Uferschnepfe Limosa limosa. Foto: Stefan Pfützke/Green-Lens.de. – Black-Tailed Godwit. Niedersächsische Ornithologische Vereinigung e. V.

Die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung wurde 1972 unter dem Namen „Vereinigung Avifauna Nieder- sachsen“ gegründet, mit dem speziellen Ziel, eine Vogelfauna für das Land Niedersachsen zu erarbeiten. Der heutige Namen „Niedersächsische Ornithologische Vereinigung“ dokumentiert das seit 1987 wesentlich breitere Tätig keits- spektrum. Ziele der Vereinigung sind insbesondere: • die faunistische Arbeit im Land Niedersachsen für Zwecke des Natur- und Artenschutzes durch die Sammlung wis- senschaftlicher Daten zu fördern, • die faunistische Arbeit in der Bundesrepublik Deutsch land zu fördern durch Zusammenarbeit mit den anderen Landesver bänden und dem Dachverband Deutscher Avifaunisten, • die wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Vogel kunde durch Veröffentlichungen, Heraus gabe der Fachzeit schrift „Vogelkundliche Berichte aus Niedersachsen“ und Fachveran staltungen zu fördern.

Aktivitäten Zu den Aktivitäten - u. a. in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsen in Hannover - zäh- len die kontinuierliche Mitwirkung am niedersächsischen Arten-Erfassungsprogramm (Vögel), am langjährigen Brutvogelmonitoring (z. B. bei Weißstorch, Birkhuhn, Saatkrähe) und an der Wasser- und Watvogel zählung. Außerdem werden in einzelnen Jahren aus aktuellen Anlässen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, so unter anderem: • Goldregenpfeifer-Rastplatzzählungen, • Kormoran-Schlafplatzerfassung, • landesweite Brutbestandserfassungen u. a. von Wachtelkönig, Bekassine, Sperlingskauz, Ziegenmelker, Grauspecht, Blaukehlchen, Sperbergrasmücke, • Monitoring häufiger Brutvögel auf repräsentativen Probeflächen in der „Normallandschaft“, • Sammlung, Auswertung und Dokumentation von Beobachtungsdaten seltener Vogelarten durch die Avifaunistische Kommission Niedersachsen und Bremen.

Ergebnisse gemeinsamer Arbeit Die Mitglieder der Niedersächsischen Ornithologischen Vereinigung ermöglichten durch ihre Mitarbeit die Erar beitung von zahlreichen Veröffentlichungen, u. a.:

• Atlas der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005-2008, • Übersicht der Brutbestandsentwicklung ausgewählter Vogelarten 1900-1990 an der niedersächsischen Nordseeküste, • Avifaunistisch wertvolle Bereiche in Niedersach sen - Brutvögel 1986-1992, • Avifaunistisch wertvolle Bereiche in Niedersachsen - Gastvögel 1986-1992, • Weißstorch Ciconia ciconia Brutbestand 1971-1995 in Niedersachsen und Bremen, • Wichtige Brut- und Rastvogelgebiete in Niedersachsen - Eine kommentierte Gebiets- und Artenliste als Grundlage für die Umsetzung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, • Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen: - Bd. 1: Seetaucher - Flamingos (1978), - Bd. 2: Entenvögel (1985), - Bd. 3: Greifvögel (1989), - Bd. 4: Hühner- und Kranichvögel (1985), - Bd. 5: Austernfischer bis Schnepfen (1995), - Bd. 6: Raubmöwen bis Alken (1991), - Bd. 7: Tauben- bis Spechtvögel (1986), - Bd. 8: Lerchen bis Braunellen (2001), - Bd. 9: Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper (2005), - Bd. 10: Bartmeisen bis Würger (1998), - Bd. 11: Rabenvögel bis Ammern (2009), • die Zeitschrift Vogelkund liche Berichte aus Niedersachsen (VBN) mit vielfältigen Beiträgen aus allen Bereichen der Vogelkunde, insbesondere zu Biologie, Ökologie, Verbreitung, Popula tionsbiologie, Wanderun gen und Schutz der Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen.

www.ornithologie-niedersachsen.de Vogelkdl. Ber. Niedersachs. Band 44 | Heft 1 | 2014 ISSN 0340-403 x

Inhalt

KRUCKENBERG, H.: Bestand und räumliche Verbreitung ausgewählter Gastvogelarten in der Leda-Jümme-Niederung (Landkreis Leer) im Winter 2013/14...... 1 KRÜGER, T., & L. FRYE: Brut der Zitronenstelze Motacilla citreola im nördlichen Niedersachsen 2013...... 23 HEUER, J.: Zum Vorkommen der Trauerente Melanitta nigra im nördlichen Harzvorland...... 31 BRANDT, T.: Ansiedlung von Flussseeschwalben Sterna hirundo am Steinhuder Meer...... 37 MEIER-PEITHMANN, W.: Wie Kraniche Grus grus auf Nahrungsflügen einen Windpark passieren...... 45 BERGMANN, M., & T. KRÜGER: Aktuelle Brutzeitvorkommen des Wiedehopfs Upupa epops in Geestlandschaften Nordwest-Niedersachsens...... 57 KRUCKENBERG, H., T. MUNK & M. M. MEYER: Sumpfohreule Asio flammeus als Brutvogel im Leda-Jümme-Gebiet (Landkreis Leer) im Sommer 2014...... 67 STUKE, J.-H.: Der Kenntnisstand zum Vorkommen von Lausfliegen auf Vögeln in Niedersachsen und Bremen (Diptera: Hippoboscidae)...... 79 ZANG, H.: Eine Kolonie offen brütender Haubentaucher Podiceps cristatus 2014 bei Goslar...... 85 DORGE, K.-H.: Zwergohreule Otus scops im Landkreis Helmstedt, Südost-Niedersachsen...... 91 KRUCKENBERG, H., & K. GERDES: Bemerkenswerte Ansammlungen Isländischer Uferschnepfen Limosa l. islandica auf der Emsinsel Bingumer Sand (Landkreis Leer) im Frühjahr 2014...... 93 BRANDT, T., & E. LÜERS: Übernachtungsplätze einer Schneeammer Calcarius nivalis am Steinhuder Meer...... 97 GRONOWSKI, D., & H. ZANG: „Nest-Turmbau“ der Wasseramsel Cinclus cinclus unter einer Brücke im Harz (Odertal)...... 101 BEYERBACH, U., & U. RISTIG: Zweitbrut eines Turmfalkenpaares Falco tinnunculus im nördlichen Harzvorland bei Seesen...... 103 KOOIKER, G.: Amselweibchen Turdus merula legt sieben Gelege mit 31 Eiern in einer Saison...... 105

Schriftenschau ...... 109 Nachrichten ...... 125