Die Originalbriefe Und -Bilder Stellte Ronnie Golz Zur Verfügung
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RONNIE GOLZ Ich war glücklich bis zur letzten Stunde... DAS LEBEN UND DER TOD VON MARIANNE GOLZ- GOLDLUST 23. Januar 1895 - 8. Oktober 1943 Ronnie Golz Ich war glücklich bis zur letzten Stunde... Das Leben und der Tod von Marianne Golz-Goldlust 23. Januar 1895 - 8. Oktober 1943 Berlin, April 2013 Aktualisiert im April 2016 Dieses Buch entspricht vom Text her weitgehend dem mittlerweile vergriffenen Buch „Ich war glücklich bis zur letzten Stunde …“, herausgegeben von Ronnie Golz, das 2004 im Berliner Taschenbuch-Verlag erschienen ist. Es wurde zur Ausstellung im Österreichischen Kulturforum „Marianne Golz-Goldlust – Gerechte unter den Völkern“, die vom 3.11.2014 bis 9.1.2015 in Prag stattfand, aktualisiert und ins Tschechische übersetzt; die deutsche Fassung liegt hiermit vor. Es dient als Ausstellungskatalog im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DOEW) zur Ausstellung „Marianne Golz-Goldlust – Gerechte unter den Völkern: ‚Ich war glücklich bis zur letzten Stunde …´“ in Wien, die vom 27. April 2016 bis zum 27. Juli 2016 stattfindet. Wir danken der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, die die Ausstellung über Marianne Golz-Goldlust für ihre Gedenkstätte in Berlin vorbereitet und dann nach 2014/15 Prag nun auch nach Wien ausgeliehen hat. Herr Ronnie Golz dankt dem GDW und dem DOEW für die Möglichkeit, die Ausstellung in Wien zu zeigen, und stimmt gerne einem Neudruck dieses aktualisierten Textes zu. Ronnie Golz, Stephan Heidenhain, Christine Schindler Berlin / Prag / Wien, im April 2016 2 INHALTSVERZEICHNIS: Seite Auf der Suche nach Marianne (Ronnie Golz) 4 Der Grosse Tag (Vera Gaserow) 15 Die Briefe und Kassiber 33 Erika Haala erinnert sich 102 Erna Steiner erinnert sich 109 Steffi Piacekova an Rosi Haala 113 Dr. Friedrich Seidl erinnert sich 113 Zur Person: Richard Macha 114 Anhang 122 3 Auf der Suche nach Marianne von Ronnie Golz In Februar 1960 erfuhr mein Vater, dass die Bundesrepublik Deutschland ihn mit DM 1.500,- für den von seiner Ehefrau Marianne erlittenen "Freiheitsentzug" im Gefängnis Prag-Pankraz zwischen dem 19. November 1942 und dem 8. Oktober 1943, 16.43 Uhr entschädigen wird.1 Für das, was dann um 16.44 Uhr geschah, wurde bis heute keine Entschädigung bezahlt. Dafür erhielt ein Herr Alois Weiss am 31. Oktober 1943 eine Entschädigung in Höhe von Reichsmark 30,-- vom Oberstaatsanwalt beim Deutschen Landgericht in Prag. 2 Abgegolten war damit seine Tätigkeit im Prager Gefängnis Pankraz. Im Gefängnisbuch steht unter dem Eintrag 219 folgendes zu lesen: Golzova, Marianne geb. 30.1.1895 Wien 8 Kls 90/43 25.5.43 8.10.43 16.44 Uhr Um 16.44 Uhr hat der Scharfrichter Alois Weiss den Justizfall Aktenzeichen 8 Kls 90 / 43 beim Sondergericht am Deutschen Landgericht in Prag zum Abschluss gebracht. 3 Die Suche nach Marianne beginnt Ich bin 1947 in London geboren. Meine Mutter, Ida Reiss, jüdischer Flüchtling aus Straznice in Mähren, hatte meinen Vater 1940 in London kennen gelernt. Meine Eltern wollten mich so erziehen, dass ich weder Deutscher noch Jude sein sollte. Als meine Eltern 1960 mit mir nach Westdeutschland zurückkehrten, holte mich das Schicksal unserer Familie Schritt für Schritt ein. Die Suche nach der eigenen Identität dauerte lange. Das Gefühl Jude zu sein, wurde immer stärker, während mein Wissen über das Schicksal unserer Familie relativ gering war. 1985 las ich das Buch "Wir wissen nicht was morgen wird, wir wissen wohl was gestern war" von Peter Sichrovsky. In der Widmung steht folgender Satz. "Für meine Großeltern, die ich nie vergessen werde, ohne sie gekannt zu haben." 4 1 Mitteilung des Entschädigungsamtes Berlin (West) vom 12. Februar 1960. 2 Auszug aus einer Akte des Oberstaatsanwalts beim Deutschen Landgericht in Prag vom 31. Oktober 1943 über den Forderungsnachweis des Scharfrichters Alois Weiss über Sondervergütungen, Fahrkosten und sonstige Auslagen im Monat Oktober 1943 aus Anlass der Vollstreckung von Todesurteilen. Eintrag 31: Golz-Goldlust, Marianne. 3 Im heutigen Gefängnis Prag-Pankraz ist der von den Nazis als Hinrichtungsstätte benutzte Zellenblock eine Gedenkstätte. Dort ist neben den Todeszellen und dem Hinrichtungszimmer mit Fallbeil, das Gefängnisbuch mit den Eintragungen über die Vollstreckungen aufbewahrt. 4 Peter Sichrovsky, "Wir wissen nicht was morgen wird, wir wissen wohl was gestern war. Junge Juden in Deutschland und Österreich" Kiepenheuer & Witsch, Köln 1985. 4 Das Buch beschreibt die schwierige Identitätssuche von fünfzehn Berliner und Wiener Juden, die nach 1945 geboren wurden. In einigen Fällen waren die Eltern schon tot und standen somit für Fragen nicht mehr zur Verfügung. Hier erkannte ich meine Lage wieder: mein Vater war 1969 und meine Mutter 1976 verstorben. Könnte es vielleicht eine andere Möglichkeit geben, die vielen Fragen, die sich mir nach und nach stellten, beantwortet zu bekommen? Ich kam auf die Idee, Antworten in den Entschädigungsakten meines Vaters zu suchen. Beim Entschädigungsamt Berlin wurde ich fündig. So saß ich eines morgens in Berlin-Schöneberg in einem Amtszimmer und hatte vor mir eine vergilbte große Aktenmappe. Ich begann mit der Lektüre. Mein Vater hatte nach seiner Rückkehr aus England einen Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland geführt, weil die Behörden sich weigerten, bestimmte Krankheiten, die er als 'verfolgungsbedingt' ansah, anzuerkennen. Im Zusammenhang mit dem Prozess musste mein Vater sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen. In der Akte befand sich nun das umfangreiche Gutachten des staatlich beauftragten Psychiaters, im Grunde ein kommentierter Lebenslauf meines Vaters. Der folgende Absatz führte zu meiner Suche nach Marianne: "Meine Frau Marianne wollte (im Sommer 1939) zunächst nach England nachkommen. Als aber dann der Krieg ausbrach, war diese Möglichkeit vorbei. Sie hat nie Angst gehabt. Sie hat sofort damit begonnen, Tschechen und Juden die Flucht über Wien nach Italien zu ermöglichen. Sie hat Verbindungen zur Gestapo aufgenommen und wusste, wen sie bestechen konnte, damit die Leute falsche Papiere bekamen. Tschechen, Volksdeutsche und Juden trafen sich einmal in der Woche in ihrer Wohnung. Sie wurde angezeigt und einmal, als alle bei ihr in der Wohnung waren, wurden sie verhaftet. Die Juden wurden einfach ins KZ gesteckt, und den Tschechen und meiner Frau wurde der Prozess gemacht. 1942 wurde meine Frau zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Sie saß wochenlang in der Todeszelle und wurde erst Ende 1943 hingerichtet. Das Schicksal meiner Frau ist in einem Buch geschildert, das ein Tscheche, der von den Deutschen als Fotograf im Gefängnis beschäftigt wurde, nach dem Krieg herausgegeben hatte. Das Buch heißt 'Ich klage an'. Dieser Mann hat die Geschichte meiner Frau geschrieben, und in dem Buch ist auch ein Gefängnisbild meiner Frau abgebildet. Auch Briefe meiner Frau, die sie als Kassiber an ihre Schwester hinausgeschmuggelt hat, sind in diesem Buch veröffentlicht." 5 Ich erinnerte mich plötzlich, dass mein Vater mir irgendwann erzählt hatte, dass er schon einmal verheiratet gewesen sei, dass er diese Frau sehr geliebt habe, und sie von den Nazis ermordet worden sei. Nun wollte ich unbedingt das erwähnte Foto dieser Frau sehen. 5 Auszug aus dem psychiatrischen Gutachten in der Akte des Entschädigungsamts Berlin (West) 5 Einige Wochen später hielt ich das tschechische Buch in Händen und sah das Foto von Marianne. Mehr als 20 Seiten des Buches befassten sich mit ihr. Die Übersetzung der betreffenden Seiten löste sehr viel in mir aus. "Marianne Golz war Wienerin. Eine sehr intelligente Frau. 48 Jahre alt, graue Haare. Nicht einmal in diesem schmutzigen Loch hat Marianne die Größe ihrer Persönlichkeit verloren. Falls man über jemanden sagen kann, dass sie in diesen armseligen und schmachvollen Verhältnissen eine 'Edelfrau des Geistes' war, so konnte es nur sie sein. Sie war die Dolmetscherin zwischen den Wachtmeistern und den Gefangenen. Sie wurde von allen sehr gerne gehabt und war sehr beliebt wegen ihrer positiven Gedanken und ihrer politischen Weitsicht. Marianne wusste ein paar Tage vorher, dass sie hingerichtet werden würde. Deshalb besorgte sie sich Gift und nahm es in der Todeszelle zu sich. Die Wachtmeister fanden sie in einem tiefen tödlichen Koma und bekamen Angst vor Untersuchungen. Deshalb schleppten sie Marianne Golz vor den Staatsanwalt, und so wurde sie in 'ohnmächtigem' Zustand hingerichtet." 6 Das Leben der Marianne Maria Agnes Belokostolska wurde am 23. Januar 18957 in Wien-Hernals geboren. Sie entstammte einer katholischen Familie. Der Vater war Pole, die Mutter Tschechin. Nach der Matura in Wien machte sie eine Ausbildung als Tänzerin und Sängerin und nahm den Bühnennamen Marianne Tolska an. Die erste Erwähnung als Opernsängerin stammt vom Juli 1921, wo sie als Mitglied des Ensembles des Wiener Raimund Theaters bei einem Gastspiel in Linz auftrat. Marianne schreibt über sich selber im Jahr 1921: "Ich erinnere mich an mich selber, als ich 26 Jahre alt war. Ich kam mir gar nicht so jung vor, und kindlich war ich überhaupt nicht. Ich lehnte alle 'jungen' Rollen im Theater ab. Ich wollte gar nicht jung sein. Übrigens war ich es auch nie. Ich war viel reifer, habe sehr jung geheiratet, und dann war ich außerdem viel mit älteren Frauen zusammen. Mit 26 war ich selbständig und eine wohlhabende Frau."8 Am 12. Juli 1922 trat sie in Stuttgart in der Operette 'Wiener Blut' auf. "Es ist erfreulich, dass das Schauspielhaus diese reizende Operette in einer so befriedigenden Aufführung herauszubringen vermag. Als Tänzerin Cagliari sieht Marianne Tolska nicht nur sehr 6 "Žaluji!"