Gerechte unter den Völkern

Judenretter in Österreich zur Zeit des Nationalsozialismus

Diplomarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Denise BLÜMEL

am Institut für Geschichte

Begutachter: Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Gerald Lamprecht

Graz, 2019

Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre hiermit eidesstattlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst , andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den benutzten Quellen wörtlich und inhaltlich entnommen Stellen als solche gekennzeichnet habe. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, April 2019 Denise Blümel

I

Grazie tanto… …an meinen Betreuer Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Lamprecht, der mich im Laufe meines Arbeitsprozesses mit wertvollen Literaturhinweisen unterstützt hat und mir beim Verfassen der Diplomarbeit somit eine große Hilfe war.

…an meine liebevollen Eltern Andrea und Heinzi, die mir das Studium nicht nur ermöglicht und finanziert haben, sondern auch für all die Jahre, angefangen von meiner unbeschwerten Kindheit bis heute. Auch als Oma und Opa seid ihr einzigartig. Danke für die unbezahlbare Betreuung meiner Kinder, ohne die ich nicht da stehen würde, wo ich heute stehen darf. Ihr seid die Besten und einfach spitze!

…an meine bewundernswerten Großeltern Greti und Heri, sowie meiner Scheerli Oma, die mir während meines ganzen Lebensweges immer schon zur Seite standen und keine Mühe je zu groß war. Auch als Urgroßeltern seid ihr unschlagbar. Danke für alles!

…an meine fantastischen Geschwister Patrick und Selina, mit denen ich bereits mein ganzes Leben durch dick und dünn gehe. Euch als Geschwister zu haben ist nicht nur eine große Ehre, sondern ein wahres Vergnügen. Danken möchte ich auch der Frau meines Bruders, Stefanie sowie meiner Nichte Greta und meinem Neffen Johannes. Dass unsere Kinder wie „Zwillinge“ gemeinsam aufwachsen dürfen, erfüllt mich mit Stolz und Freude.

Danken möchte ich auch meinen fabelhaften Schwiegereltern Maria und Peter, die mich vor allem an den Wochenenden mit der liebevollen Betreuung meiner Kinder unterstützt haben.

Außerordentlicher Dank geht vor allem an meinen einzigartigen Mann Michael, der nicht nur die Gefühlsschwankungen meiner beiden Schwangerschaften sondern auch die Launen während meines Studiums immer mit Humor genommen hat. Du und unsere beiden Kinder, Jana und Maximilian, seid stets mein Fels in der Brandung. Ich liebe euch!

II

Inhalt Eidesstattliche Erklärung ...... I

Grazie tanto… ...... II

Einleitung ...... 1

1 Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Österreich ...... 6

1.1 Der „Anschluss“ ...... 6

1.1.1 Der „Anschluss“ von unten ...... 6

1.1.2 Der „Anschluss“ von oben ...... 8

2 Staatliche Maßnahmen der Verfolgung: Antisemitismus wird zum Gesetz ...... 12

2.1 Die „Nürnberger Rassengesetze“ ...... 16

2.2 Die „Arisierung“ ...... 19

2.3 Die Pogromnacht vom 9./10. November 1938 ...... 24

2.4 Emigration ...... 30

2.5 Deportation ...... 33

2.6 Jüdische U-Boote ...... 38

3 Humanität als Widerstand: Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer...... 44

3.1 Zum Begriff Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer ...... 44

3.2 Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer und ihre Hilfeleistung ...... 50

3.3 Gefahren, Schwierigkeiten und Beweggründe ...... 57

4 Gerechte unter den Völkern ...... 62

4.1 Zum Begriff „Gerechte unter den Völkern“ ...... 62

4.2 Wie wird man zum Gerechten? ...... 64

4.3 Gruppen von Gerechten ...... 67

4.4 Fallbeispiele: Erste Gruppe ...... 74

4.4.1 Bouska Oswald ...... 74

4.4.2 Madritsch Julius ...... 83

III

4.4.3 Schmid Anton ...... 93

4.5 Fallbeispiele: Zweite Gruppe ...... 109

4.5.1 Lingens Ella und Kurt ...... 109

4.5.2 Kuttelwascher Otto und Hermine ...... 123

4.5.3 Die Schwestern Posiles Edeltrud und Becher Charlotte ...... 132

4.6 Fallbeispiele: Dritte Gruppe ...... 145

4.6.1 Edelmann Friedrich ...... 145

4.6.2 Posch Josefa ...... 148

4.6.3 Grausenburger Maria ...... 156

5 Resümee ...... 164

6 Bibliographie ...... 167

6.1 Archiv ...... 167

6.2 Sekundärliteratur ...... 167

7 Stichwortverzeichnis ...... 177

IV

Einleitung Am 12. März 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein. Dieser sogenannte „Anschluss“ sollte das Leben der jüdischen Bevölkerung für immer verändern. Bereits in den Tagen darauf standen Diskriminierungen und Gewaltausschreitungen gegenüber Jüdinnen und Juden an der Tagesordnung. Im Zuge der „Arisierung“, welche unterschiedliche Phasen aufweist, wurden die Jüdinnen und Juden nicht nur ihrer sozialen sondern auch ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt. Die Pogromnacht, welche vom 9. auf den 10. November stattfand, bildete den Höhepunkt der Gräueltaten, die seit März 1938 täglich stattfanden. Nachdem ein großer Teil der österreichischen Jüdinnen und Juden keine Existenzgrundlage mehr aufzuweisen hatte, war der nächste Schritt deren Auswanderung vorzubereiten. Angesichts der Tatsache, dass sich das Leben der jüdischen Bevölkerung in Österreich von Tag zu Tag verschlechterte, versuchten viele auszuwandern, was sich als nicht so leicht herausstellen sollte.1

In jener Zeit, in der die Jüdinnen und Juden sukzessive aus der österreichischen Gesellschaft ausgegliedert, ja praktisch aus dem Land vertrieben wurden, gab es auch Menschen, die den Verfolgten ihre Hilfe anboten.

Die vorliegende Diplomarbeit mit dem Thema „Gerechte unter den Völkern. Judenretter in Österreich zur Zeit des Nationalsozialismus“, beschäftigt sich mit jenen Menschen, die ihre Augen vor den Gewalttaten nicht einfach verschließen konnten. In einer Zeit in der die jüdische Bevölkerung in Österreich zum „Freiwild“ erklärt wurde und diese durch zahlreiche Gesetze keine Chance mehr hatte ein freies Leben zu führen, gab es Menschen, die sich für Jüdinnen und Juden einsetzten und ihre Hilfe anboten.

Fragestellung und Ziele der Arbeit Die Arbeit gliedert sich folglich in drei Themenbereiche. Im ersten Teil der Arbeit soll der Alltagsantisemitismus, dem Jüdinnen und Juden ausgesetzt waren, veranschaulicht werden. Dieser Teil der Arbeit ist deshalb relevant, da die brutalen Übergriffe nicht immer behördlich angeordnet waren, sondern auch von den Menschen ausgingen. Übergriffe gegenüber Jüdinnen

1 vgl. BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 34- 36. 1

und Juden, die von der Bevölkerung ausgingen, wurden von Nationalsozialisten mit dem sogenannten „Volkszorn“ gerechtfertigt. Hierbei handelt es sich um einen propagandistischen Begriff. Demnach hätte die gesamte österreichische Bevölkerung einen Groll gegenüber den Jüdinnen und Juden gehegt, was aber nicht der Wahrheit entspricht. Der Nationalsozialismus war dafür verantwortlich, dass Jüdinnen und Juden das Lebensrecht abgesprochen wurde. Es wurde ein Vernichtungssystem erfunden, dass diese Menschen auslöschen sollte. Die „Gerechten“ haben „nein“ zu diesem Terrorsystem gesagt und in vielen Fällen hatte dieses „nein“ zu ihrem eigenen Tod geführt. 2

Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit jenen Einzelpersonen, Familien und auch Gruppen, welche zur Rettung zahlreicher Jüdinnen und Juden beigetragen haben und Rettungswiderstand leisteten. Vorab muss jedoch geklärt werden, was man unter diesen „Widerstandskämpferinnen“ und „Widerstandskämpfern“ versteht und was deren Beweggründe für diese heldenhaften Taten waren. Im dritten Teil der Arbeit geht es darum, wer diese „Gerechten unter den Völkern“ waren. Hierzu sollen einige Fallbeispiele, also Biographien bzw. Einzelschicksale von diesen Rettern, erzählt werden. Die damaligen Retter wurden mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“, der auch offiziell von im Auftrag des Staates Israel verliehen wird, für ihre Taten zu Zeit des Holocaust ausgezeichnet.3

Der Vorsitzende von Yad Vashem, Avner Shalev, hält fest:

„Die 'Gerechten' symbolisieren die Humanität der Menschen - die Essenz der Vorstellung, dass jeder Mensch die freie Wahl hat, sich im Angesicht des Bösen für das Gute zu entscheiden und nicht gleichgültig, bleiben darf. Diese Menschen, die aus allen Ländern Europas stammen, verdienen es, als Beispiel angesehen zu werden - ein Vorbild, mit dem man sich identifizieren kann und das als erzieherisches Modell dient.“4

2 vgl. LICHTBLAU Albert, Zivilcourage anstelle von Unmenschlichkeit. Die wenigen Gerechten Österreichs, in: Österreichische Freunde von Yad Vashem (Hg.), Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung, Ausstellung im Volksmuseum Wien 2018, S. 25. 3 https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 29.10.2018]. 4 SHALEV, Vorwort, 2005, S. 8. 2

Diesem Zitat folgend, sollen in dieser Diplomarbeit die österreichischen „Gerechten unter den Völkern“ dargestellt werden. Die bewundernswerte Lebenseinstellung dieser vergleichsweise wenigen Menschen soll zeigen, dass Hilfe immer möglich ist, man muss nur den nötigen Mut dafür aufbringen. Mutig waren sie alle. In einer Zeit, die von der nationalsozialistischen Ideologie geprägt war, wurde jedes unerwünschte Verhalten mit schlimmen Konsequenzen bestraft. Die Gerechten haben bedrohte Jüdinnen und Juden versteckt, Papiere gefälscht und sich um Fluchthilfe gekümmert.5 Die ausgewählten Fallbeispiele spiegeln die unterschiedlichsten Formen des Rettungswiderstandes wider. Zum einen ist die Einteilung der unterschiedlichen Helfer in Gruppen sehr hilfreich und zum anderen sind die Rettungsgeschichten immer wieder anders. Sei es, dass eine Familie eine einzige jüdische Person oder mehrere Personen versteckt hielt, oder ihnen bei der Ausreise half oder ob Menschen außerhalb Österreichs jüdischen Menschen halfen, indem sie ihre Position bei der Wehrmacht nutzten oder aber einen Betrieb führten, in dem sie Jüdinnen und Juden beschäftigten und somit Leben retten konnten. Die Geschichten, die im letzten Teil der Arbeit angeführt werden, wurden so ausgewählt, um möglichst viele Situationen der Hilfestellung einfließen zu lassen.

Überblick über den Forschungsstand

Seit den 1960er Jahren ehrt Yad Vashem die „Gerechten unter den Völkern“. Dieser Begriff, bezeichnet jene Menschen, die im Zweiten Weltkrieg Widerstand gegen das NS-Regime leisteten und jüdische Mitbürger versteckten oder in irgendeiner Art und Weise für das Überleben von Jüdinnen und Juden verantwortlich waren.6 An dieser Stelle ist auch Jakob Borut zu erwähnen, der die „österreichischen Gerechten“ in dem Werk „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“ bis zum Jahr 2005 anführt.7 Auch Erika Weinzierl beschäftigte sich in ihrem Buch „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945“ mit dem Thema der Judenretter.8 Bereits 1969 hat Weinzierl in ihrem Buch die „österreichischen Gerechten“ vorgestellt die als Judenretter fungierten, wobei zu diesem Zeitpunkt nur acht bekannt waren.

5 vgl. LICHTBLAU Albert, Zivilcourage anstelle von Unmenschlichkeit. Die wenigen Gerechten Österreichs, in: Österreichische Freunde von Yad Vashem (Hg.), Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung, Ausstellung im Volksmuseum Wien 2018, S. 25. 6 SHALEV, Vorwort, 2005, S. 8.. 7 BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005. 8 WEINZIERL Erika, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945, 3. Auflage, Graz/Wien/Köln 1986. 3

Das Buch wurde aber immer wieder neu aufgelegt, sodass immer mehr Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens, Jüdinnen und Juden retteten, gefunden und angeführt werden konnten.9 Engelbert Kremshofer schreibt, dass es neben den Gerechten die in Yad Vashem ausgezeichnet wurden auch andere Männer und Frauen gab, die den durchziehenden Jüdinnen und Juden ihre Hilfe anboten. Diese Hilfe reichte vom Aushändigen von Lebensmitteln bis hin zum Verstecken bis Kriegsende. Die Erfassung dieser Menschen ist jedoch sehr schwierig, da nur sehr wenige dieser Taten verschriftlicht worden sind und lediglich auf Erzählungen der damals Beteiligten beruhen.10 Für die namenlos gebliebenen Helferinnen und Helfer wurde in Yad Vashem das Mahnmal des anonymen Helfers errichtet. Bis Ende 2007 konnten weltweit insgesamt 22.000 Menschen mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet werden. Bis zum Jahre 2005 durften in Österreich 85 Personen diesen Titel tragen, wobei die erste Ehrung 1963 und die letzte 2005 stattfand. Nach Christine Kanzler und Karin Nusko, die sich mit den österreichischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer beschäftigten, verteilten sich die Zahlen wie folgt: „In den sechziger Jahren gab es 15 Auszeichnungen, in den siebziger Jahren 23, in den achtziger Jahren 30, in den neunziger Jahren 15 und seit 2000 lediglich zwei.“11 Hervorzuheben ist, dass mehr als die Hälfte dieser Ausgezeichneten weibliche Personen sind.12 Die Zahl der Gerechten steigt jedoch von Jahr zu Jahr. Den aktuellen Stand kann man jederzeit an der Homepage der Gedenkstätte von Yad Vashem abrufen. Demnach konnten bis zum 1. Januar 2016 weitere 24 Personen gefunden werden, sodass insgesamt 109 Personen aus Österreich mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet wurden.13

Wenngleich die Widerstandsforschung anfangs ihren Fokus auf den politischen Widerstand richtete, so kam dem Rettungswiderstand in Österreich seit den späten sechziger Jahren immer größere Bedeutung zu. Seit den achtziger Jahren beschäftigt sich die Wiener Historikerin Brigitta Ungar-Klein mit dem Thema „U-Boote und ihre Helfer“. Österreichweit konnte sie

9 vgl. KREMSHOFER Engelbert, „Gerechte unter den Völkern“. Lebensretter aus der Steiermark, in: Heimo HALBRAINER/ Victoria KUMAR (Hg.), Kriegsende 1945 in der Steiermark. Terror, Kapitulation, Besatzung, Neubeginn, Graz 2015, S. 145. 10 vgl. KREMSHOFER Engelbert, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 145. 11 KANZLER Christine/ NUSKO Karin, Humanität als Widerstand. Hilfeleistung von Frauen für rassistisch Verfolgte während des NS-Regimes, in: „Die Zivilisation ist nur eine ganz dünne Decke...“. Ella Lingens (1908- 2002) Ärztin-Widerstandskämpferin-Zeugin der Anklage, Wien 2011, S. 63. 12 vgl. KANZLER/NUSKO, Humanität als Widerstand, 2011, S. 63. 13 vgl. https://www.yadvashem.org/yv/en/righteous-linked/statistics/austria.pdf [Abruf am 22.10.2018]. 4

anhand „umfangreicher Quellenauswertungen, persönlicher Hinweise und Zeitzeugeninterviews“14 3.400 Helfer und 1.000 überlebende U-Boote15 ermitteln.16

Quellen und Methoden

Um die Fragestellung dieser Diplomarbeit beantworten zu können, wurde zum größten Teil Sekundärliteratur herangezogen. Der erste und zweite Teil der Diplomarbeit stützt sich auf Sekundärliteratur. Im letzten Teil der Arbeit wurden neben der Sekundärliteratur auch Archivunterlagen zur Fragestellung herangezogen. Die Archivunterlagen entstammen einerseits der Bibliothek der Bundespolizeidirektion Wien und andererseits direkt dem Archiv in Yad Vashem. Die Unterlagen, sogenannte Dossiers, aus Yad Vashem beinhalten teilweise Originalberichte der Retter als auch der Geretteten, was eine Nacherzählung der Ereignisse vereinfacht. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Dossiers unterschiedlich viel Quellen beinhalten, was zu Schwierigkeiten bei der Darstellung der Ereignisse führte.

14 KANZLER/NUSKO, Humanität als Widerstand, 2011, S. 64. 15 Als „U-Boote“ werden Menschen bezeichnet die während des Zweiten Weltkrieges im Untergrund lebten, ihre wahren Identitäten verschleierten und mit viel Glück so überleben konnten. vgl. UNGAR-KLEIN Brigitte, Überleben im Versteck. Das Schicksal jüdischer U-Boote und deren Helferinnen und Helfer, in: Christine KANZLER/ Ilse KOROTIN/ Karin NUSKO (Hg.), ...“ den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben...“ Österreichische Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Wien 2015, S. 297. 16 vgl. KANZLER/NUSKO, Humanität als Widerstand, 2011, S. 64. 5

1 Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Österreich In dieser Diplomarbeit soll zu Beginn sukzessive der Ausschluss der Juden aus der österreichischen Gesellschaft dargelegt werden. Im ersten Kapitel soll somit veranschaulicht werden, dass Jüdinnen und Juden in Österreich bereits vor dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich mit Diskriminierungen und Antisemitismus zu kämpfen hatten. Es kann jedoch gesagt werden, dass sich der Großteil der jüdischen Bevölkerung als integraler Teil der österreichischen Bevölkerung sah. Umso überraschender waren somit die Folgen des „Anschlusses“, die eine wesentliche Veränderung der Lebensweise der Jüdinnen und Juden in Österreich implizierte.

1.1 Der „Anschluss“ Mit dem „Anschluss“ Österreichs am 12. März begann für die jüdische Bevölkerung Österreichs ein neues Kapitel. Diskriminierungen, Ausgrenzungen und Enteignungen standen an der Tagesordnung. Ohne das Ergebnis der Volksabstimmung, die am 10. April 1938 durchgeführt wurde, abzuwarten, begannen viele Bürger Österreichs mit der Unterdrückung der Jüdinnen und Juden. Bereits am 15. März, begann man damit Jüdinnen und Juden aus dem Staatsdienst, aus kulturellen Einrichtungen wie zum Beispiel Theatern und Bibliotheken zu entlassen. Vorsitzende der jüdischen Gemeinde wurden verhaftet, jüdische Einrichtungen wurden geschlossen und es wurden Einstellungsverbote für weitere Berufszweige verhängt.17

1.1.1 Der „Anschluss“ von unten Spricht man vom „Anschluss“ so muss vorab festgehalten werden, dass es einen „Anschluss“ von außen, von oben und von unten gegeben hat. Laut Gerhard Botz war er nicht nur eine „okkupationsartige Machtübernahme von außen, sondern auch eine Machtübernahme der österreichischen Nationalsozialisten von innen her und ein Aufstand von unten.“18 Spricht vom „Anschluss“ von unten, so hält Ernst Hanisch fest, dass sich zwischen dem 12. Februar und dem 11. März 1938 in Österreich eine Doppelherrschaft etablierte. Zum einen war da die Regierung unter Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und zum anderen die Nationalsozialisten.

17 vgl. BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 34- 35. 18 BOTZ Gerhard, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. Das Ende des Wiener Judentums unter der NS-Herrschaft (1938-1945), in: Gerhard BOTZ/ Ivar OXAAL/ Michael POLLAK (Hgg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert, Buchloe 1990, S. 289. 6

Die Frage die sich nun stellte war, wer hatte die Mehrheit des Volkes hinter sich?19 Um Klarheit zu schaffen; kündigte Kurt Schuschnigg am 4. März 1938 an, dass er eine Volksbefragung abhalten wolle, die am 13. März 1938 durchgeführt werden sollte. Über diese wurde zu Beginn nur wenige Personen, darunter der Generalsekretär der Vaterländischen Front Guido Zernatto, der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz, Unterrichtsminister Dr. Hans Pernter und der ehemalige Handelsminister Friedrich Stockinger, informiert. Um propagandistische Maßnahmen treffen zu können wurden erst am 6. März die höchsten Beamten der Vaterländischen Front über die Volksbefragung eingeweiht. Um Hindernisse zu umgehen, entschied Schuschnigg diese Aktion nicht als Volksabstimmung zu benennen, diese musste nämlich von der Bundesregierung beschlossen und vom Bundespräsidenten als solche ausgeschrieben werden, sondern als Volksbefragung. Die Verfassung von 1934 sah vor, dass der Bundeskanzler das Volk über seine Politik befragen durfte. Eine Zustimmung des Bundespräsidenten und des Innenministers, Seyss-Inquart, war somit nicht erforderlich. Am 9. März 1938 verkündete Schuschnigg in Innsbruck, dass er sich entschlossen habe, das Volk über Österreichs Schicksal zu befragen.20

Trotz strenger Geheimhaltung kam es, dass die Landesleitung der österreichischen NSDAP vom Plan Schuschniggs kurz erfuhr. Um eine ordentliche Abstimmung durchzuführen, schrieb Seyss-Inquart an den Bundeskanzler einen Brief, in welchem er eine Verschiebung der Volksbefragung forderte. Hielt Schuschnigg noch zu Beginn an seinem Plan einer Volksbefragung fest, so musste dieser sich am 11. März schließlich, auf Druck Hitlers, geschlagen geben und zurücktreten. 21 Bereits wenige Stunden, nachdem Schuschnigg zurückgetreten war, trafen die Gestapo22 und der Sicherheitsdienst (SD) in Wien ein, was das Leben der jüdischen Bevölkerung in Österreich weiter verschlechterte.23

19 HANISCH Ernst, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (=Österreichische Geschichte 1890-1990), Wien 1994,S. 339-339. 20 vgl. SCHMIDL A. Erwin, Der „Anschluss“ Österreichs. Der Deutsche Einmarsch im März 1938, Bonn 1994, S. 93-94. 21 vgl. SCHMIDL, Der „Anschluss“ Österreichs, 1994, S. 96-102. 22 Als wird die Polizei zum Schutz von Volk und Staat bezeichnet. Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 20. Februar 1933 „zum Schutz von Volk und Vaterland“ ermächtigte diesen zusätzlich Ankläger, Richter und Vollstrecker zu sein. Ohne Gerichtsbeschluss waren Hausdurchsuchungen und Verhaftungen möglich. Eigentum durfte beschlagnahmt werden. Egal was die Beamten unternahmen, kein Gericht war befugt darüber zu urteilen. Jochen v. LANG, Die Gestapo. Instrument des Terrors, Hamburg 1990, S. 84-85. 23 vgl. MOSER Jonny, Die Verfolgung der Juden, in: NEUGEBAUER Wolfgang (Bearb.), Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945, Bd. 3, 2. Auflage, Wien 1984, S.194. 7

1.1.2 Der „Anschluss“ von oben Schon vor dem 11. März belegten die Nationalsozialisten zahlreiche Machtpositionen, darunter Seyss-Inquart als Chef des Innen- und Sicherheitsressorts sowie Volkspolitische Referenten in der Vaterländischen Front. Auch in der Wirtschaft, Bürokratie, Polizei und in der Armee setze man getarnte Nationalsozialisten ein.24 Ernst Hanisch hält fest: „Diese Machtpositionen dienten als Hebel, das alte Regime auszuheben.“25 Der am 11. März neu ernannte Bundeskanzler Seyss- Inquart enthob ständestaatliche Funktionäre von ihren Funktionen und ernannte im Zuge dessen die neuen NS-Landeshauptleute.26 Auch außenpolitisch kam es zu keinem großen Widerstand. Zwar protestierten Länder wie England und Frankreich gegen die deutschen Ultimaten in , letzten Endes akzeptierte die Völkergemeinschaft aber den „Anschluss“. Natürlich war auch außenpolitisch alles propagandistisch geplant. Ernst Hanisch greift die Frage auf, weshalb „der Westen einen Krieg hätte riskieren sollen, wenn die Bilder doch zeigten, wie sehr ein großer Teil der Bevölkerung zum ‚Anschluss‘ drängte.“27 Eine Mehrheit der Bevölkerung sah mit dem „Anschluss“ eine Chance auf ein besseres Leben. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Zustimmung zum „Anschluss“ nicht mit der Zustimmung zum Nationalsozialismus verwechselt werden darf.28 Am 13. März wurde vom österreichischen Ministerrat das Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich schlussendlich beschlossen. 29

Am selben Tag hatte Adolf Hitler Josef Bürckel, Gauleiter des Saarlandes, damit beauftragt, die bevorstehende Volksabstimmung, welche am 10. April durchgeführt werden sollte, einzuleiten. Darüber hinaus hatte dieser die Aufgabe die NSDAP in Österreich aufzubauen.30

Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, traf am 12. März in Wien ein. Am 18. März legte eine Verordnung fest, dass „Himmler auch außerhalb der Gesetze notwendige Maßnahmen treffen konnte.“31 Darüber hinaus solle er den Einzug Hitlers in Wien sichern und die Verhaftung prominenter politischer Gegner, also Feinde des Regimes, vorbereiten.32 Die Verhaftungen erfolgten durch die Gestapo während sich der

24 Vgl .HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 344. 25 HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 344. 26 Ebda. S. 344. 27 Ebda. S. 343. 28 Ebda. S. 346. 29 Ebda. S. 345. 30 vgl. SCHMIDL, Der „Anschluss“ Österreichs, 1994, S. 222. 31 Ebda. S. 344. 32vgl. MOSER, Jonny, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft, in: Ernst HANISCH/ Wolfgang NEUGEBAUER/ Emmerich TALOS (Hgg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 1988, S.187. 8

Sicherheitsdienst eher auf jüdische Organisationen, Vereine und Klubs konzentrierte.33 Mit dieser Ermächtigung Himmlers setzte eine große Verhaftungswelle in Österreich ein, bei der neben politischen Gegnern auch prominente jüdische Kaufleute, sowie Vertreter des österreichischen Judentums am 1. April 1938 verhaftet und aus Österreich in das Konzentrationslager Dachau transportiert wurden.34

Nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen in Österreich war für die jüdische Bevölkerung nichts mehr wie vorher. Herbert Rosenkranz beschrieb die Ereignisse der Märztage wie folgt:

„Am Sonntag, dem 13. März, wurden 150 jüdische Bank- und Geschäftsleute von der SS mit Dolch und Gummiknüppel ausgehoben, die Büros des Zionistischen Landesverbandes für Österreich, der zionistischen Nationalfonds Keren (zum Landerwerb in Palästina) und Keren Hajessod (zur Landbebauung), des Palästinaamtes, der Redaktion der zionistischen 'Stimme', zerstört, geschlossen und versiegelt. [...] Am 15. März 1938 [...] meldete die ‚Kleine Volkszeitung‘ eine Verfügung des Ministers für Justiz, dass alle Richter und Staatsanwälte, die Juden oder Halbjuden waren, ihres Amtes zu entheben waren, bei gleichzeitiger Sperre der Aufnahme für Juden und Halbjuden in der Rechtsanwaltschaft oder im Notariat.“35

Neben den gesetzlichen Bestimmungen, die zum Ausschluss der Jüdinnen und Juden aus der österreichischen Gesellschaft führten, gab es auch die physische Gewalt. Die jüdische Bevölkerung wurde gezielt diskriminiert und unterdrückt. Es kam immer öfters vor, dass man Jüdinnen und Juden auf den Straßen zusammentrieb und sie zwang die Straßen oder Hauswände zu reinigen.36 Eine andere Art der „Belustigung“ war es, Jüdinnen und Juden mit einem Farbtopf und Pinsel auszustatten, diese durch die Straßen zu treiben und sie zu zwingen jüdische Lokale und Betriebe mit dem Judenstern oder mit der Aufschrift „Jude“ zu bemalen.37

33 vgl. MOSER; Die Verfolgung der Juden, 1984, S. 194-195. 34 Ebda. S. 187-188. 35 ROSENKRANZ Herbert, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945, Wien/München 1978, S. 31. 36 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 35. 37 vgl. MOSER, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft, 1988, S. 187. 9

Im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung setzten die Nationalsozialisten alle Medien ein, die es zur damaligen Zeig gab. Man bediente sich des ganzen Repertoires moderner Propagandamittel wie Plakate, Zeitungen, Filme, Musik und Bilder.38 In Wien wurden um die 20.000 Hitlerbilder angebracht und mit Glocken und Höhenfeuer wurde im ganzen Land der neue „Aufbruch“ bekanntgegeben. Auch mit Flugzeugen wurde intensive Werbung gemacht, indem das „Ja“ in den Himmel geschrieben wurde.39

Die Wochen zwischen dem 15. März und dem 10. April 1938 waren also ein Massenspektakel, das in Österreich zuvor noch nie gesehen wurde. Ernst Hanisch beschrieb die große „Begeisterung“ wie folgt:

„Was sich in den Wochen zwischen dem 15. März und dem 10. April abspielte, war bislang in Österreich weder gesehen noch gehört worden. Stadt und Land wurden zur Bühne, wo ein riesiges Volksfest als Gesamtkunstwerk ablief, ein Mysterienspiel, bei dem die Mächte des Bösen (die Volksverräter und Neinsager) von den Mächten des Guten (den ehrlich schaffenden Volksgenossen und Jasagern) besiegt werden müssen.“40

Bei der Volksabstimmung entschieden sich schließlich 99,7% der Wähler für einen „Anschluss“ an das Deutsche Reich. Von rein freier Entscheidung kann allerdings nicht gesprochen werden, da die Volksabstimmung im Voraus mit gezielter Propaganda und Terrorisierung aller oppositionellen Kräfte gesteuert wurde.41 Unter den oppositionellen Kräften sind all jene gemeint, die den Nationalsozialismus nicht befürworteten, die sogenannten „Neinsager“ und „Volksverräter“. Dennoch gab es Menschen die aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der damit verbundenen Unzufriedenheit dem „Anschluss“, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, zustimmten. 42

38 vgl. VASS Josef, März 1938, Ursachen und Folgen (Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien), Wien 1988, S.15. 39 vgl. HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 1994, S.346. 40 HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 346. 41 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S.35. 42 vgl. HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 346. 10

Nach der Volksabstimmung wurde Josef Bürckel am 23. April 1938 zum Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich ernannt. Mit Josef Bürckel folgte für die jüdische Bevölkerung Österreichs eine weitere Welle der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgliederung. Man ging gegen jüdische Körperschaften und Einrichtungen vor.43

Mit dem Inkrafttreten der „Nürnberger Rassengesetze“ am 20. Mai 1938 wurden die österreichischen Jüdinnen und Juden offiziell zu Bürgern zweiter Klasse abgestuft.44 Die Ausgliederung aus der Gesellschaft, sowie weitere Diskriminierungen und Alltagsantisemitismus standen somit an der Tagesordnung.

43 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S.35. 44 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S.34-35. 11

2 Staatliche Maßnahmen der Verfolgung: Antisemitismus wird zum Gesetz Für die in Österreich lebenden Jüdinnen und Juden kam es mit dem „Anschluss“ zu einer großen Umstellung. Antisemitismus war, so Moser, „ein eigenartiges, ein österreichisches Phänomen, mit dem man lebte, gegen das man ankämpfte und das, wenn man hier leben wollte, hinzunehmen hatte.“45 Trotzdem konnte man als Jüdin und als Jude ein normales Leben führen. Dies bedeutete, dass man seinen Beruf ausüben konnte, Kinder konnten gemeinsam mit katholischen Kindern die Schule besuchen und man pflegte Freundschaften zu seinen nicht- jüdischen Nachbarn. Für viele spielte die Religion eine untergeordnete Rolle. Nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen und den neuen gesetzlichen Verordnungen kam es allerdings zu massiven Veränderungen, die zu Ausschreitungen in den Märztagen von 1938 führten. Diese wurden von den Nazis als „Umbruch“ bezeichnet. Daraus folgte eine Massenhysterie und die Verwaltung des Staates mündete in einem großen Chaos.46

Die Massenhysterie war ein Phänomen, das von vielen Menschen so noch nie erlebt wurde. Auf den Straßen sah man jubelnde und kreischende Menschen, die mit voller Zuversicht in die Zukunft blickten. Sie erhofften sich ein besseres Leben. Die aufgestaute Frustration durch die Weltwirtschaftskrise wandelte sich in einen Hoffnungsausbruch um. Schuld an der sozialen Unzufriedenheit und an der wirtschaftlichen Lage waren laut der österreichischen Bevölkerung natürlich die Jüdinnen und Juden. Demzufolge richtete sich die ganze Wut gegen sie.47 Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Meinung der österreichischen Bevölkerung von den Nationalsozialisten manipuliert wurde. Durch den von den Nationalsozialisten inszenierten „Volkszorn“, kam es zu brutalen öffentlichen Übergriffen gegenüber der jüdischen Bevölkerung, die von Mitgliedern der HJ oder SA-Leuten durchgeführt wurden. Man trieb Jüdinnen und Juden zusammen und diese mussten die Straßen reinigen oder jüdische Geschäfte mit nazistischen Parolen beschmieren. Andere Nationalsozialisten wiederum nützten diese Gelegenheit zugunsten ihrer eigenen Bereicherung aus. So kam es zu Hausdurchsuchungen und in Folge dessen zur Beschlagnahmung aller Güter, die einen Wert besaßen.48

Den Nationalsozialisten ging es vor allem darum den Weizen von der Spreu zu trennen, was so viel bedeutet wie die nichtjüdische von der jüdischen Bevölkerung zu trennen. Um den

45 MOSER, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft, 1988, S. 185. 46 MOSER, Die Verfolgung der Juden; 1984, S. 194. 47 vgl. HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 1994, S. 341-342. 48 vgl. MOSER, Die Verfolgung der Juden, 1984, S. 194. 12

Menschen soziale Geborgenheit, Zugehörigkeit und Sicherheit zu geben wurde die „Volksgemeinschaft“ inszeniert.49 War jemand also Teil der „Volksgemeinschaft“ so war dieser ein „Volksgenosse“. Der Begriff „Volksgenosse“, der bei Anreden und Ansprachen verwendet wurde, suggerierte als gebräuchliche Propagandaformel, die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“.50 Im NSDAP - Parteiprogramm von 1920 wurde bereits festgelegt wer nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören konnte. „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer dt. Blutes ist. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“51

Es sollte eine Einheit geschaffen werden, in der sich die Menschen wohl und verstanden fühlten. Eine Gemeinschaft zu der man dazugehören wollte. Das Konzept der „Volksgemeinschaft“ war von den Nationalsozialisten genauestens durchdacht. Durch Ritualisierung von Festen und Jahrestagen, Eintopfsonntagen sowie Straßensammlungen, wurde die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“, durch öffentliche Stimulation, gestärkt.52

Diese Masseninszenierungen von Gemeinschaft sowie das Versprechen von Brot und Arbeit, waren nichts anderes als gezielte Propaganda der Nationalsozialisten.53 Der Gemeinschaftsgedanke sollte das „hässliche Gesicht der Diktatur verdecken.“54 Für die „Volksgenossen“ standen die eigenen Erwartungen und Mobilitätshoffnungen im Mittelpunkt. Sie waren an diesem Mobilitäts- und Modernitätsappeal, so Thamer, interessiert, nicht aber an den vernichtungspolitischen Seiten der nationalsozialistischen Weltanschauung. Für Hitler war „Volksgemeinschaft“ demnach eine permanente Aufgabe, in der es, neben dem Gemeinschaftsgefühl, um Erziehung aber vor allem um Umerziehung ging.55

49 vgl. THAMER Hans-Ulrich, Nation als Volksgemeinschaft. Völkische Vorstellungen, Nationalsozialismus und Gemeinschaftsideologie, in: Jörg-Dieter GAUGER/ Klaus WEIGELT (Hg.), Soziales Denken in Deutschland zwischen Tradition und Innovation, Bonn 1990, S.113. 50 vgl. HENSLE Michael, Volksgenosse, in: Wolfgang BENZ / Hermann GRAML (Hgg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 1997, 786. 51 HENSLE, Volksgenosse, 1997, 786 52 vgl. HAIBL, Volksgemeinschaft, 1997, S. 786. 53 vgl. LAMPRECHT Gerald, NS-Herrschaft als soziale Praxis am Beispiel des Schicksals von Familie Neufeld aus Strassgang, in: Petra Ernst-KÜHR/ Dieter J. HECHT/ Louise HECHT/ Gerald LAMPRECHT (Hgg.), Geschichte erben, Judentum reformieren. Beiträge zur modernen jüdischen Geschichte in Mitteleuropa, Wien 2016, S. 172-173. 54 THAMER, Nation als Volksgemeinschaft, 1990, S. 113. 55 Ebda. S. 126. 13

„Die Integration der Volksgemeinschaft sollte auf der Basis der nationalsozialistischen Weltanschauung, was immer darunter im Einzelnen zu verstehen war, erfolgen und dazu bedurfte es der permanenten Erziehung.“56

Die Volksgemeinschaft sollte ein Gefühl von Stärke, Einheit und Gleichheit („Ein Volk, ein Reich, ein Führer“) erzeugen und Bedenklichkeit gegenüber dem Ausschluss und alles Volks- und Gemeinschaftsfremden. Dies bedeutete, dass die Nationalsozialsten, die Menschen, insbesondere die Mitglieder der „Volksgemeinschaft“, so manipulierten, dass „der Jude“ als Feind in den Köpfen verankert wurde. Die Judenverfolgung stand im Mittelpunkt der Inszenierungen der „Volksgemeinschaft“.57

Festzuhalten ist, dass die „Volksgemeinschaft“ nur durch die Beteiligung und Mithilfe der Bevölkerung funktionierte. Der Aspekt der „Selbstermächtigung“, welchen Michael Wildt anführt, ist somit von zentraler Bedeutung.58 Übergriffe gegenüber Jüdinnen und Juden passierten demnach nicht immer durch Befehle, sondern durch eigenständiges Handeln der Bevölkerung, was sich vor allem im Zuge der „Arisierung“ erkennen ließ.59 Michael Wildt beschrieb auch die unterschiedlichen Machtverhältnisse, also die freigesetzte Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden. Dies bedeutet, dass die Täter, bereits vor der Ausführung wussten, dass sich ihre Opfer nicht zur Wehr setzen würden. Die Täter waren sich ihrer Überlegenheit bewusst, was ihnen wiederum ein Gefühl von Macht verlieh, körperliche Macht über einen anderen Menschen. Die Demütigungen waren öffentlich, denn die Erniedrigungen der Opfer und die Macht der Täter sollten öffentlich zur Schau gestellt werden.60 Wildt erklärt, dass Gewalt auch Gemeinschaft stiftet, was auch das Ziel der „Volksgemeinschaft“ sein sollte. „Das NS-Regime vergemeinschaftete die Gewalt und ließ die ‚Volksgenossen‘ an ihr partizipieren.“61 Michael Wildt versuchte den Begriff „Gewalt“ zu erklären, um zu verstehen, welche Unterschiede es hinsichtlich dieses Ausdruckes gab. Zum einen meinte Wildt, dass Gewalt „Stärke, Macht, Kraft, Herrschaft, Obrigkeit, Amtsgewalt“62 ausdrücken kann oder aber

56 Ebda. S. 126. 57 vgl. LAMPRECHT, NS-Herrschaft als soziale Praxis ; 2016, S. 173-174. 58 vgl. WILDT, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung; 2007, S. 374. 59 vgl. LAMPRECHT, NS-Herrschaft als soziale Praxis, 2016, S. 175-176. 60 vgl. WILDT, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, 2007, S. 370-371. 61 Ebda. S. 373. 62 WILDT Michael, Volksgemeinschaft. Eine Gewaltkonstruktion des Volkes, in: Ulrich BIELFELD/ Heinz BUDE/ Bernd GREINER (Hgg.), Gesellschaft-Gewalt-Vertrauen. Jan Philipp Reemtsma zum 60. Geburtstag, Hamburg 2012, S. 438. 14

„körperliche, Schmerz oder Tod zufügende Gewalt“63. Möchte man diese zwei Wortbedeutungen analysieren so kommt man zu dem Entschluss, dass es einmal um „das Haben von Gewalt, im Sinne von Amtsgewalt, Herrschaftsgewalt“64 ging und andererseits um gewaltsame Handlungen, also jemanden Gewalt zufügen. Wildt erklärt weiter, dass beide Wortbedeutungen in dem Verfassungsbegriff der Volksgewalt enthalten sind, nämlich „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“65, wie es laut Artikel 20, Absatz 2 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt.

Greift man nun die Geschehnisse auf, welche unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen in Österreich passierten - also die Gewaltausschreitungen gegenüber Jüdinnen und Juden - so lässt sich feststellen, dass beide Kategorien , also Amtsgewalt als auch physische Gewalt, von den Nationalsozialisten aber auch vom Volk praktiziert wurden.

Die täglichen Demütigungen, Beschimpfungen, Misshandlungen führten sukzessive zur Identitätszerstörung der Jüdinnen und Juden.66 Dazu kamen noch die Verhaftungen durch die Gestapo, sowie diskriminierende Erlässe der Seyss-Inquart Regierung die zu tragischen Selbstmorden führten.67 Jonny Moser führte an, dass es im März 1938 im Raum Wien zu 79 und im April zu 62 Selbstmorden kam. Waren es im Jänner 1938 fünf und im Februar 1938 vier, so kann man einen deutlichen Anstieg der Selbstmorde nach dem „Anschluss“ wahrnehmen.68 Gerhard Botz führte an, dass es in Wien in den letzten zwei Märzwochen zu 220 Selbstmorden kam. Menschen sahen keinen anderen Ausweg dem Nationalsozialismus zu entkommen. Seit dem Einmarsch der Deutschen Truppen standen neben der physischen Gewalt auch Plünderungen an der Tagesordnung. An diesen Plünderungen waren nicht immer Mitglieder der NSDAP beteiligt, sondern ebenso Mitläufer, die sich wenig Gedanken über den Nationalsozialismus machten. Jüdische Geschäfte sowie Privatwohnungen waren von diesen Aktionen betroffen. Es wurde kein Unterschied gemacht, ob es sich um Großkaufhäuser oder um kleine Läden handelte. Alles

63 WILDT, Volksgemeinschaft. Eine Gewaltkonstruktion des Volkes, 2012, S.438. 64 WILDT, Volksgemeinschaft. Eine Gewaltkonstruktion des Volkes, 2012, S. 438. 65 Deutscher Bundestag (Hg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2007, S: 23, In: https://www.uni- augsburg.de/einrichtungen/gleichstellungsbeauftragte/downloads/grundgesetz.pdf [Abruf am 18.02.2019]. 66 vgl. BOTZ Gerhard, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. Das Ende des Wiener Judentums unter der NS-Herrschaft (1938-1943), in: Gerhard BOTZ/ Ivar OXAAL/ Michael POLLAK (Hgg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert, Buchloe 1990, S. 289. 67 vgl. MOSER, Die Verfolgung der Juden, 1984, S. 195. 68 Ebda. S. 195. 15

was einen Wert besaß, wie Schmuck, Pelze, Kunstwerke und Geld, wurde weggeschafft.69 Diese Phase wird als „wilde Arisierung“ bezeichnet, auf die im Verlauf der Arbeit noch näher eingegangen wird. Neben den Enteignungen, die bis dahin noch nicht gesetzlich verankert waren, wurden immer mehr Gesetze und legistische Maßnahmen gegen Jüdinnen und Juden in Wien sukzessive umgesetzt, was ein Leben in Österreich immer unerträglicher machte.

2.1 Die „Nürnberger Rassengesetze“ Bei den Nürnberger Gesetzen handelte es sich um das Reichbürgergesetz (RGB I, S.1146) und um das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (RGB I, S. 1146), sowie um das Reichsflaggengesetz (RGB I, S. 1145) die im Deutschen Reich am 15. September 1935 eingeführt wurden. 70 In Österreich traten diese Gesetze mit dem 20. Mai 1938 in Kraft. Das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre definierte klar und deutlich, wer ein Jude war.71

Das Reichsbürgergesetz beinhaltete Verordnungen in denen Jüdinnen und Juden aus der deutschen Gemeinschaft ausgeschlossen wurden.72 Laut diesem Gesetz wurde „der Arier“ zum Reichsbürger erhoben während die Jüdinnen und Juden als Staatsangehörige gekennzeichnet wurden. 73 Außerdem war laut §2 Abs. 3., nur „der Reichsbürger Träger der vollen politischen Rechte nach Maßgabe des Gesetzes.“74 Es wurde also festgelegt, welche Rechte der Reichsbürger besitzt. War man aber kein Reichsbürger sondern Jude, so traten die Gesetze vom 14. November 1935 in Kraft, in denen es, unter anderem hieß, dass nur der Reichsbürger ein öffentliches Amt bekleiden konnte. „Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein, Ihm steht kein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten zu, er kann kein öffentliches Amt bekleiden.“75

69 vgl. BOTZ Gerhard, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. Das Ende des Wiener Judentums unter der NS-Herrschaft (1938-1943), in: Gerhard BOTZ/ Ivar OXAAL/ Michael POLLAK (Hgg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Wien seit dem 19. Jahrhundert, Buchloe 1990,S. 290. 70 Ebda. S. 196. 71 BOTZ, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S.291. 72 vgl. KOOP Volker, Wer Jude ist, bestimme ich. Ehrenarier im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 37. 73 vgl. KAPLAN Marion, Der Mut zum Überleben. Jüdische Frauen und ihre Familien in Nazideutschland, A. Auflage, Berlin 2001, S. 116. 74 LÖSENER /KNOST, Die Nürnberger Gesetze, 1941, S. 28. 75 LÖSENER/KNOST, Die Nürnberger Gesetze, 1941, S. 29. 16

Die Grundlage für die Verdrängung der Jüdinnen und Juden aus der Arbeitswelt war somit geschaffen. Eine weitere Anordnung war es, dass es ab Herbst lediglich 1 Prozent Hochschüler jüdischer Herkunft geben durfte. Im November kam es schließlich zu einem endgültigen Verbot, das Jüdinnen und Juden vom Hochschulstudium ausschloss. Alle Jüdinnen und Juden und auch „Mischlinge“ aus den freien Berufen wie Presse, Literatur, Theater, Film, Musik, bildende Kunst sowie aus der Berufsgruppe der Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Notare, wurden zur Gänze entfernt.76

Einen Schritt weiter geht das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Die Vorstellung der Nationalsozialisten bestand darin, dass „die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des Deutschen Volkes ist.“77 „Mischehen und sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Ariern wurden verboten.“78 Demnach wurden laut §1 Abs.1, „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes verboten.“79 Wurde eine Ehe trotzdem geschlossen so wurde diese, gleich wie eine Ehe die im Ausland geschlossen wurde, als nichtig erklärt. 80 Außerdem wurde der „außereheliche Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes verboten.“81

„Mischehen“, wurden von den Nationalsozialisten nicht toleriert, da es zu einer Vermischung und Verunreinigung deutschen Blutes kam. Kinder, die in diesen Ehen entstanden, wurden als „Halbjuden“ bezeichnet. Am 14.11.1935 wurde festgelegt, dass Personen mit einem jüdischen und nichtjüdischen Elternteil, als „Mischling 1. Grades“ oder als „Geltungsjuden“ galten. Unter den Begriff „Geltungsjude“ vielen jene, die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, trotz ihrer „halbjüdischen“ Herkunft. Dies bedeutete, dass jene Menschen den gleichen Diskriminierungen ausgesetzt waren, mit welchen die jüdische Bevölkerung zu kämpfen hatte. Menschen, die einen jüdischen Großelternteil hatten, wurden hingegen als „Mischlinge 2. Grades“ bezeichnet. Diese waren nicht denselben Verfolgungen ausgesetzt wie die „Mischlinge 1. Grades“ bzw. die „Geltungsjuden.“ 82

76 vgl. BOTZ, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S. 291-292. 77 LÖSENER /KNOST, Die Nürnberger Gesetze, 1941, S. 30. 78 KAPLAN, Der Mut zum Überleben, 2001, S.112. 79 Ebda. S. 30. 80 Ebda. S.30. 81 Ebda. S.30. 82 vgl. RAGGAM-BLESCH Michaela, Zwischen Solidarität und Distanz. Die jüdische Gemeinde und „Mischehefamilien“ im NS-Regime, in: Petra Ernst-KÜHR/ Dieter J. HECHT/ Louise HECHT/ Gerald 17

Festzuhalten ist, dass mit der Einführung der Nürnberger Gesetze ein weiterer Schritt in Richtung Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung getan wurde.83 Das Ziel war es, Jüdinnen und Juden bis zum Jahre 1942 vollkommen aus Wien zu vertreiben. Um dies umzusetzen wurden, zahlreiche Maßnahmen der Enteignung und Entrechtung vorgenommen, die Schlag auf Schlag von statten gingen. Bereits Anfang April 1938 durften jüdische Anwälte ihr Amt nicht mehr ausüben. Im gesamten April erfolgte auch die Ausschulung der jüdischen Schülerinnen und Schüler aus den öffentlichen Schulen. Ab dem 8. Dezember 1938 wurden die Universitäten für alle Jüdinnen und Juden gesperrt. Am 26. April trat eine neue Verordnung in Kraft nämlich die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden. Dies bedeutet, dass alle Jüdinnen und Juden, die ein Vermögen mehr als 5.000 Reichsmark, kurz RM, besaßen, dieses bis zum 30. Juni anmelden mussten. Am 25. Juli wurde verkündet, dass die Zulassung jüdischer Ärzte mit dem 30. September verboten wird. Zukünftig konnten sie also nur mehr Familienmitglieder sowie Jüdinnen und Juden behandeln. Am 23. Juli wurde die „Kennkarte“ für Jüdinnen und Juden eingeführt. Diese war auf der Vorderseite mit einem großen „J“ versehen. In den Wiener Spitälern wurde mit Mitte September verordnet, dass jüdische Patienten von den deutschen Staatsbürgern gesondert behandelt werden mussten, da es „arischen“ Pflegerinnen nicht abzuverlangen sei, sich um jüdischen Patienten zu kümmern. Ab dem 5. Oktober waren die deutschen Pässe der Jüdinnen und Juden ungültig. Wurde der Pass aber geändert, sodass ersichtlich war, dass der Besitzer Jude war, so hatte dieser seine Gültigkeit zurückerlangt.84 Im August 1938 erfolgte eine weitere diskriminierende Maßnahme. Dieser Verordnung zu Folge mussten Jüdinnen und Juden Vornamen wie „Israel“ oder „Sarah“ annehmen.85 Botz merkte an, dass die gesetzlichen Bestimmungen „Voraussetzung für eine Art ‚legalen‘ Antisemitismus, der sich im Schulwesen, im Berufs- und Wirtschaftsleben abzeichnete“86 ,war.

Bis zum Kriegsausbruch wurden an die 250 antijüdische Gesetze erlassen und auch nach Kriegsbeginn nahmen die Verbote für Jüdinnen und Juden kein Ende.87

LAMPRECHT (Hgg.), Geschichte erben, Judentum reformieren. Beiträge zur modernen jüdischen Geschichte in Mitteleuropa, Wien 2016, S.196-199. 83 vgl. BOTZ, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S. 292. 84 vgl. WEINZIERL Erika, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945, Graz/Wien/Köln 1986, S. 31-35. 85 vgl. BOTZ, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S. 291. 86 BOTZ, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S. 291. 87 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 31-35. 18

2.2 Die „Arisierung“ Der von den Nationalsozialisten erfundene Begriff der „Arisierung“ bezieht sich, so Gerhard Botz, „auf die ganze Bandbreite der in Österreich seit dem 12. März 1938 erfolgenden Formen der Enteignung von materiellen und geistigem Eigentum und des Entzugs von Nutzungsrechten.“88

„Die ‚Arisierung‘ bedeutet im weitesten Sinn die mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Mitteln herbeigeführte Enteignung und Beraubung von Juden ihrer wirtschaftlichen und sonstigen materiellen Güter und ihre Verdrängung und Vertreibung aus bestimmten Berufen und gesellschaftlichen und kulturellen Positionen durch Nichtjuden und öffentlichen Stellen.“89

Auch Mirjam Triendl und Niko Wahl beschäftigten sich mit der „Arisierung“. Für sie ist „Arisierung“, gleich wie für Botz, als Teil eines Prozesses anzusehen, der zum Ausschluss und zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung führte.90 Grundsätzlich kann man unterschiedliche Stufen der „Arisierung“ anführen, welche sukzessive zu diesem Ausschluss führten. Gerhard Botz teilte diese unterschiedlichen Phasen wie folgt ein:

 „eine Phase der ,wilden Arisierung‘, der selbsternannten ,Kommissare‘ und der Plünderungen (Frühjahr 1938), das sogenannte Anschluss-Pogrom,  eine Phase der durchorganisierten „legalen“ Arisierung unter Druck bzw. der Geschäftsliquidierungen und Abtretung von Nutzungsrechten meist von Wohnungen (Mai bis Herbst 1938),

88 BOTZ Gerhard, Arisierung in Österreich 1938-1940, in: Dieter STIEFEL (Hg.), Die politische Ökonomie des Holocaust zur wirtschaftlichen Logik von Verfolgung und Wiedergutmachung, München 2001, S. 29. 89 BOTZ, Arisierung in Österreich 1938-1940, 2001, S. 29. 90 vgl. TRIENDL Mirjam/ WAHL Niko, Spuren des Verlustes. Über die Arisierung des Alltags, in: „Arisierung“ von Mobilen (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich ,15), Wien/München 2004, S. 253. 19

 die Vertreibung (Zwangsemigration) vor allem 1938/39 (praktisch bis Kriegsbeginn) und  den Novemberpogrom 1938 (Reichskristallnacht),  eine Phase der verschärften Zwangsarisierungen und der Komplettierung der Arisierungsvorgänge ab November 1938, die anders als im „Altreich“, in der ,Ostmark‘ in vielen Bereichen keine wesentliche Verschärfung mehr brachte,  verstärkte Wohnungsarisierungen und tendenzielle ,Ghettobildung‘,  die Schlussphase der Einziehung, Konfiskation und „Verwertung“ des restlichen Hab und Guts der Deportierten durch die Gestapo (ab 1941).“91

Unter genauerer Betrachtung dieser unterschiedlichen Stufen lässt sich feststellen, dass der Prozess zwar stufenweise erfolgte, aber der Abstand zwischen diesen Phasen ein sehr geringer war. Daher wurde die „Entjudung“ in Österreich nicht langsam, sondern, wie Triendl und Wahl feststellten, plötzlich und unerwartet vollzogen.92

Die erste Phase, die sogenannte „wilde Arisierung“ setzte unmittelbar nach dem „Anschluss“ ein.93 Seyss-Inquart, der Reichsstatthalter, hatte am 13. April 1938 ein Gesetz „zur Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen“94 erlassen. Botz schrieb hierzu: „‚Kommissar‘ wurde zum Wort der Stunde. Kommissarische Leiter übernahmen Ämter, Vereine und jüdische Geschäfte [...].“95 Die Aufgabe dieser bestand in der Ausplünderung jüdischer Betriebe.96 Das Ausnutzen der Machtposition der Kommissare brachte die öffentliche Wirtschaft ins Wanken, da diese selbsternannten Kommissare jüdisches Eigentum einfach an sich nahmen.97

91 BOTZ, Arisierung in Österreich, 2001, S. 31. 92 vgl. TRIENDL / WAHL, Spuren des Verlustes; 2004, S. 256. 93 vgl. BOTZ, Arisierung in Österreich, 2001, S.32. 94 ROSENKRANZ Herbert, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945, Wien/München 1978, S. 60. 95 BOTZ; Arisierung in Österreich, 2001, S. 33. 96 vgl. KLAMPER Elisabeth, Der schlechte Ort zu Wien. Zur Situation der Wiener Juden vom „Anschluss“ bis zum Novemberpogrom 1938, in: 116. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S. 40. 97 vgl. HALBRAINER Heimo/ LAMPRECHT Gerald/ MINDLER Ursula (Hgg.), Unsichtbar. Ns-Herrschaft: Widerstand und Verfolgung in der Steiermark, Graz 2008, S. 148. 20

Nicht nur die Nationalsozialisten gingen aufs übelste gegen die Jüdinnen und Juden vor, sondern auch die Bevölkerung.98 Innerhalb der Gesellschaft kam es zu einer Explosion, die ihren ganzen Zorn häufig gegen die jüdische Bevölkerung richtete.99 Den Nationalsozialisten zufolge waren die Jüdinnen und Juden an der schlechten wirtschaftlichen Lage schuld. Diese Überzeugung wurde dem österreichischen Volk sprichwörtlich eingetrichtert. Vor allem Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ wurden so manipuliert, dass der Jude als Feind in den Köpfen verankert wurde. 100

Jüdinnen und Juden waren zwar in angesehenen Berufen vertreten, es darf aber nicht vergessen werden, dass die jüdische Bevölkerung nur einen kleinen Teil der österreichischen Gesellschaft bildete. Botz merkte an dieser Stelle an, dass bei der Volkszählung in Österreich von 1934 191.481 Angehörige der jüdischen Konfession, also 2,8 Prozent der Gesamtbevölkerung, gezählt wurden. Berücksichtigt man zudem noch diejenigen, die nach den „Nürnberger Rassegesetzen“ als Juden galten, so ergeben sich mehr als 200.000 Jüdinnen und Juden. Zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ lebten in Wien etwa 92,1 Prozent der österreichischen Juden. Verglichen mit der übrigen Bevölkerung machte der jüdische Anteil über neun Prozent aus. 101 Diesen Zahlen zufolge, war der jüdische Anteil, verglichen mit der übrigen österreichischen Gesellschaft sehr gering. Dass die Jüdinnen und Juden an der schlechten wirtschaftlichen Lage schuld seien, ergab somit überhaupt keinen Sinn. Durch die gezielte Propaganda kam es dennoch zu brutalen Gewaltausschreitungen.

In Wien waren die Ausschreitungen besonders schlimm. Tausende Österreicher konnten es kaum erwarten dem Juden seine Rechte zu entziehen, seinen Besitz sich zu eignen zu machen und ihn schließlich völlig aus der Gesellschaft zu entfernen.102 Bukey schreibt: „In Österreich müsse ein Judenboykott nicht erst organisiert werden - die Leute hätten ihn von sich aus begonnen.“103 Über Wochen hinweg zogen Nationalsozialisten als auch gewöhnliche Bürger durch die Straßen und entzogen den Juden ihr Eigentum. Doch nicht nur Plünderungen standen an der Tagesordnung sondern auch physische Gewalt. Bukey schrieb hierzu:

98 vgl. KLAMPER, Der schlechte Ort zu Wien, S. 32. 99 vgl. BOTZ, Arisierung in Österreich, 2001, S. 32. 100 vgl. LAMPRECHT, NS-Herrschaft als soziale Praxis, 2016, S.173-174. 101 vgl. BOTZ, Arisierung in Österreich, 2001, S. S. 31. 102 vgl. BUKEY, Hitlers Österreich, 2000, S. 189. 103 BUKEY, Hitlers Österreich, 2000, S. 193. 21

„Die Nazis stahlen Bargeld, Schmuck, Pelze, Kleidung und Möbel; sie zerrissen Thorarollen aus Synagogen und Bethäusern; sie zwangen jüdische Rabbiner mit umgelegten Gebetsriemen Klosettschüsseln zu schrubben; sie schnitten orthodoxen Juden mit Scheren und rostigen Messern den Bart ab. An den Wochenenden schleppten SA-Sturmtruppen Hunderte von Juden in den Prater, den Park südöstlich der Leopoldstadt, entlang des Donaukanals. Im Schatten des Wiener Riesenrades schlugen sie ältere Juden und zwangen sie zu endlosen gymnastischen Übungen, viele mussten sogar Gras essen.“104

Am 26. April 1938 trat die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden105 in Kraft. Diese Verordnung brachte nicht nur eine Kontrolle über das jüdische Vermögen sondern diente auch dazu, dass der Vermögensentzug unter behördliche Kontrolle gestellt wurde. 106 Diese Verordnung diente als Unterlage für die spätere „legale“ „Arisierung“ der jüdischen Betriebe.107 Kommissarische Verwalter mussten von nun an ihre Tätigkeiten der Vermögensverkehrsstelle melden.108 Die Vermögensverkehrsstelle (VVSt) wurde vom Reichsstatthalter Seyss-Inquart eingerichtet. Als Leiter wurde Walter Rafelsberger, der kommissarische Gauwirtschaftsberater von Wien,109 eingesetzt.

Die VVSt war für die Entgegennahme und die Bearbeitung der Vermögensanmeldung zuständig. Außerdem war sie für

[...]“die Planung der Stilllegung oder ,Arisierung‘ jüdischer Betriebe, die Anwendung des ‚Gesetzes über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen‘, die Verwaltung der ‚Arisierungserlöse‘ sowie die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach dem am 14. April 1938 erlassenen ‚Gesetz zum Schutz der österreichischen Wirtschaft‘ zuständig.“110

104 Ebda. S. 193. 105 LÖSENER/KNOST, Die Nürnberger Gesetze; 1941, S. 192. 106 vgl. LAMPRECHT; Arisierung als soziale Praxis, 2014, S. 102. 107 vgl. KLAMPER, Der schlechte Ort zu Wien, 1988, S. 40. 108 vgl. LAMPRECHT; Arisierung als soziale Praxis, 2014, S. 102. 109 vgl. KLAMPER, Der schlechte Ort zu Wien, 1988, S. 40. 110 LAMPRECHT, Arisierung als soziale Praxis, 2014, S. 104-105. 22

Juden mussten ihr Vermögen111 bis 30. Juni 1938 bei der jeweiligen Verwaltungsbehörde anmelden. In Österreich war dies der Reichsstatthalter Seyss-Inquart. Botz gab an, dass der Vermögensbegriff so weit gefasst wurde, dass auch „Häuser, Schmuck, Kunstgegenstände, Autorenrechte, Versicherungen, Versorgungsansprüche und Renten“112, davon betroffen waren. Der nächste Schritt war die genaue Darlegung für welche jüdischen Betriebe die Anmeldepflicht galt. Demnach wurde ein Betrieb als jüdisch angesehen, wenn ein einziger Jude in der Geschäftsführung saß, oder aber ein Viertel des Kapitals Juden gehörte.113 Botz zufolge, war mit diesen Verordnungen „der legistische Grundstock für die spätere Zwangsarisierung gelegt“114, welche mit der Reichpogromnacht und den späteren Verordnungen einsetzte.115

Zu Beginn der „Arisierungs“-Phase kam es zu öffentlichen Übergriffen sowie Wohnungsplünderungen, so stand „diese unkoordinierte und unkontrollierte Inbesitznahme jüdischen Eigentums im Gegensatz zur politischen Absicht, die ‚Arisierung‘ in die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik einzubeziehen.“116

Die Zwangs-„Arisierung“ ging also einen Schritt weiter. Den Jüdinnen und Juden wurden nun auch die wirtschaftliche Existenz und damit ihre Lebensgrundlage geraubt. Bis Ende November 1938 wurden Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschaftsleben restlos ausgeschlossen. Ziel war es, dass die Wirtschaft zum Wohle der „Volksgemeinschaft“ staatlich gelenkt werden sollte.117 Hans Witek schrieb hierzu:

„Alle Einzelfirmen, Personen- und Kapitalgesellschaften der gewerblichen Wirtschaft, deren Eigentümer oder Anteilseigner Juden waren, wurden ‚zwangsarisiert‘ oder liquidiert. Den betroffenen Industriellen, Unternehmen, Kaufleuten und Handwerkern raubten diese Zwangsverkäufe und -liquidierungen ihre Unternehmen. Die damit

111 Das gesamte in- und ausländische Vermögen im Wert von über 5.000 RM musste von den Juden angemeldet werden. vgl. LAMPRECHT Gerald, Arisierung als soziale Praxis, 2014, S. 104 Vgl. auch „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938“, RGBI 1938, 414-415. 112 BOTZ, Arisierung in Österreich, 2001, S. 37. 113 Ebda., 2001, S. 38. 114 BOTZ, Arisierung in Österreich, 2001, S. 38. 115 vgl. LAMPRECHT, „Arisierung“ als soziale Praxis und gesellschaftlicher Prozess am Beispiel der Stadt Graz und der Steiermark, in: Christiane FRITSCHE/ Johannes PAULMANN (Hg.), „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in deutschen Städten ,Köln/Weimar/Wien 2014, S.98. 116 LAMPRECHT, Arisierung als soziale Praxis, 2014, S. 100. 117 vgl. LAMPRECHT, „Arisierung“ als soziale Praxis , 2014, S. 89. 23

verbundene finanzielle Ausplünderung entzog ihnen die wirtschaftliche und soziale Basis und zwang viele - meist unter totalem Vermögensverlust - zur Auswanderung.“118

Doch auch die Auswanderung, die in einem eigenen Punkt behandelt wurde, sollte sich als nicht einfach herausstellen. Jüdische Geschäftsbesitzer mussten dem „Ariseur“ ihren Betrieb weit unter dem Realwert überlassen und durften über den Verkaufserlös nicht frei verfügen. Der Verkaufserlös wurde nämlich auf ein Sperrkonto gelegt und die Finanzverwaltung zog die „Reichsfluchtsteuer“ und die „Judenvermögensabgabe“ auch gleich ab, sodass bei der erzwungenen Auswanderung kein Geld mehr übrig war.119

Der Unterpunkt „Arisierung“ ist ein weiteres wichtiges Kriterium für diese Arbeit, da die unmenschlichen Verhältnisse, sowie der Raub der wirtschaftlichen und sozialen Existenz, dargelegt wurden. Von Wichtigkeit ist dieser Punkt deshalb, da sukzessive veranschaulicht werden soll, wie der Alltagsantisemitismus Schritt für Schritt zum Gesetz wurde. Juden wurden zum öffentlichen „Freiwild“ erklärt, was sich vor allem im nachstehenden Unterpunkt, der sogenannten „Reichskristallnacht“, erkennen lässt. Spätestens nach dem Pogrom vom 9. auf den 10. November war der jüdischen Bevölkerung in Österreich klar, dass sie sich in Todesgefahr befand und ein Weiterleben in diesem Land nicht mehr möglich war.120

2.3 Die Pogromnacht vom 9./10. November 1938 Die Pogromnacht, auch bekannt unter „Reichskristallnacht“, fand in der Nacht vom 9. auf den 10. November statt. 121 Auslöser für diesen von oben angeordneten Pogrom, war das Attentat Herschel Grynszpans, auf den jungen deutschen Legationssekretär Ernst von Rath, in der deutschen Botschaft in Paris. 122

118 WITEK Hans, Arisierung in Wien. Aspekte nationalsozialistischer Enteignungspolitik 1938-1940, in:, Ernst HANISCH, Wolfgang NEUGEBAUER/ Emmerich TALOS (Hgg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 1988, S. 199. 119 vgl. KLAMPER, Der schlechte Ort zu Wien, 1988, S. 40. 120 vgl. BUKEY; Hilters Österreich, 2000, S. 206. 121 Ebda. S. 206. 122 MOSER Jonny, Die „Reichskristallnacht“ in Wien, in: 116. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S. 59. 24

Das Attentat bot den Nationalsozialisten den Vorwand für längst geplante Maßnahmen. „Maßnahmen, die auf die völlige Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus dem Wirtschaftsleben abzielen und zur Verschärfung des Terrors führen, der schließlich in der ‚Endlösung der Judenfrage‘ kulminiert“123, so Klamper.

Bereits vor der Pogromnacht kam es immer wieder zu zahlreichen Übergriffen. Bukey schrieb, dass es in der Woche zwischen dem 14. und 21. Oktober 1938 immer wieder zu Gewalttaten kam. So drangen Mitglieder der SA sowie der Hitlerjugend in Wohnungen ein, verwüsteten jüdische Geschäfte und verprügelten Hunderte von Juden. 2.000 Personen wurden bis zum Ende des Monats misshandelt oder verhaftet. Dessen ungeachtet bekamen die Jüdinnen und Juden erst in der Nacht zum 10. November 1938 die Brutalität des NS-Regimes richtig zu spüren.124

Die Gräueltaten, welche in jener Nacht von statten gingen waren im Vergleich zu den zuvor erwähnten Übergriffen nicht spontan, sondern vorsätzlich. In Wien waren die Ausschreitungen besonders schlimm. SS-Mitglieder steckten Synagogen in Brand, SA-Truppen zertrümmerten Schaufenster und plünderten die Regale und Gestapo-Mitarbeiter zerrten unzählige Juden aus ihren Wohnungen und prügelten diese bis zur Besinnungslosigkeit.125 Trotzdem waren diese Übergriffe für die Allgemeinheit kein einmaliges Erlebnis. Bukey schrieb hierzu, dass „das Novemberpogrom eine konsequente Fortsetzung der vorangegangenen Entwicklungen“126 bildete. In Wien kam es auch schon im Oktober zu solchen „pogromartigen Ausschreitungen gegen Juden“127, so Botz.

Doch nicht nur in Wien, auch in anderen Orten wurden die antisemitischen Gräueltaten begrüßt. Bukey verwies hier auf die Berichte aus den Städten Steyr, Kirchdorf und Hinterstoder. Aus Steyr wurde zum Beispiel gemeldet, dass die gesamte Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung, welche sich gegen das Judentum richteten akzeptiert hatten. Auch in Hinterstoder vertrat die Bevölkerung dieselbe Einstellung und in Kirchdorf hieß es, dass die Allgemeinheit die Regierungsmaßnahmen sogar begrüßte.128

123 KLAMPER Elisabeth, die „Affaire Herschel Grynszpan“. Das Attentat in der Rue de Lille 78, in: 116. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S. 55. 124 vgl. BUKEY, Hitlers Österreich, 2000, S. 206. 125 Ebda. S. 206-207. 126 BUKEY, Hitlers Österreich, 2000, S. 207. 127 BOTZ, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S. 297. 128 vgl. BUKEY, Hitlers Österreich, S. 211. 25

Auch in der Steiermark waren die Übergriffe gegenüber Jüdinnen und Juden grausam. Ludwig Birò, der zwar kein unmittelbarer Augenzeuge war, da er im November 1938 mit seiner Familie bereits nach Marburg flüchtete, erzählte anhand von Berichten seiner Freunde über die Ereignisse dieser Nacht.

„Inzwischen hörten wir immer grauenhafte Details über die ,Nacht der Messer‘ vom 9. auf den 10. November. Mitten in der Nacht drangen bewaffnete SS- und SA-Horden in die Wohnungen und holten die Juden an Hand von sorgfältig zusammengestellten Listen aus den Betten. In vielen Fällen wurden die Männer geschlagen und gelegentlich so schwer verletzt, dass sie ins Spital geschafft werden mussten. Das hatte aber seine Schwierigkeit, denn die öffentlichen Spitäler weigerten sich, Juden aufzunehmen, und in der Regel konnten keine Ärzte aufgetrieben werden. Der Möbelhändler Pichler beispielsweise - der führende Mann in seiner Branche und ein Dorn im Auge seiner Konkurrenz - wurde derart geschlagen, dass er blutüberströmt zusammenfiel; das eine Auge hing heraus, sein Gesicht war eine einzige blutige Masse. Schließlich nahm ihn das Spital der Elisabethinnen auf. Die katholischen Spitäler und Organisationen waren überhaupt die einzigen, die in diesen Tagen den Mut und die Menschlichkeit aufbrachten, den Juden zu helfen. Versucht wurde es auch sehr oft von arischen Freunden und Nachbarn, aber diese mussten solche Versuche sehr bald aufgeben, wenn ihnen ihr eigenes Leben lieb war!“129

Die schrecklichen Gräueltaten wurden zwar von der NSDAP geplant und ausgeführt, die Mehrheit der Bevölkerung stand dem Pogrom aber mit großer Zustimmung gegenüber. Bukey erläuterte: „Die Mehrzahl der erhaltenen Quellen lässt auf eine große Zufriedenheit über die ‚Reichskristallnacht‘ schließen, sie wurde nicht nur von der gesamten Bevölkerung und der SS gebilligt, sondern fantastisch begrüßt.“130 Bukey131 verwies auch auf Erika Weinzierl. Diese schrieb wie folgt:

129 HALBRAINER Heimo/ LAMPRECHT Gerald/ MINDLER Ursula (Hgg.), Unsichtbar. Ns-Herrschaft: Widerstand und Verfolgung in der Steiermark, Graz 2008, S. 140-141. 130 BUKEY; Hilters Österreich, 2000, S. 208. 131 vgl. BUKEY, Hitlers Österreich,2000, S. 208. 26

„Bei den Ein- und Ablieferungen konnte man die Bevölkerung schwer von Misshandlungen der Juden zurückhalten. Öfters durchbrachen viele, darunter meistens Arbeiter, die Absperrungen und verprügelten die Juden. Man hörte dabei vielfach die Rufe wie ‚Schlagt sie tot, die Hunde, lernt ihnen in Dachau die Arbeit!‘ und anderes mehr.“132

Am 10. November wurde ein Fernschreiben aus München von Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei, an alle Staatspolizeistellen und SD-Abschnitte übermittelt. Dieses Schreiben war der Anstoß für die Massenverhaftungen während und nach dem Pogrom. In diesem wurde angeordnet, „so viele Juden – insbesondere wohlhabende- festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können.“133 Bereits am frühen Morgen des 10. November wurden jüdische Männer als auch Frauen aus ihren Wohnungen abgeführt. Teilweise trugen diese Menschen noch ihren Schlafanzug oder nur ein Hemd mit Unterhose. Die Verhaftungen durch die NS-Organisationen gingen sehr unterschiedlich von statten. Manchmal wurden die verhafteten Jüdinnen und Juden relativ höflich behandelt. Obst berichtete von einer Familie aus Schleswig-Holstein, der es noch gestattet war zu frühstücken und den Hund in die Obhut der Nachbarn zu geben. Ein weiteres Beispiel ist jenes, wo die SA-Männer einen Juden abholten, der im Ersten Weltkrieg durch seine Frontkämpfertätigkeiten ausgezeichnet wurde. Auf Grund dessen wurde er „würdevoll“ abgeführt, indem dieser auf der linken Gehsteigseite und die SA-Männer auf der rechten Seite gingen, dass es nicht so offensichtlich war, dass er gerade abgeführt wird. Obst hielt aber fest, dass diese Beispiele relativ positive Ausnahmen waren. In den meisten Fällen gingen die Verhaftungen eher hektisch und brutal zu, sodass die überraschten Juden meist keine Gelegenheit hatten, sich noch was überzuziehen. Manchmal gelang es einer Ehefrau und Mutter, ihren Söhnen und ihrem Ehemann noch schnell eine Jacke oder Mantel zu reichen. Die Mitnahme eines Mantels wurde den Opfern hin und wieder aber sogar verboten.134 Bei den Abführungen kam es teilweise zu grotesken Szenen. Mit Prügel und

132 vgl. WEINZIERL Erika, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945, 3. Auflage, Graz/Wien/Köln 1986, S.66. 133 OBST, „Reichskristallnacht“, 1991, S.279-280. 134 vgl. OBST, „Reichskristallnacht“, 1991, S. 280-282. 27

Tritten wurden diese öffentlich abgeführt und war dies nicht schon genug, dachten sich SA- Männer weiterer Demütigungen und Verhönungen aus.135

Erika Weinzierl hielt fest, dass in Wien 7.800 Juden verhaftet und in sogenannten „Sammelstellen“ in Schulen und in anderen Notgefängnissen untergebracht wurden. Fanden die Verhaftungen schon unter unmenschlichen Gewalttaten statt, so war auch der Aufenthalt an diesen Orten von unzähligen Quälereien geprägt. Alleine 27 Juden wurden in der ehemaligen Klosterschule in der Kenyongasse getötet, 88 wurden schwer verletzt. Die Zahl der Selbstmorde stieg in diesen Tagen drastisch an, sodass sich am 10. und am 11. November insgesamt 680 Juden das Leben nahmen. Von den 7.800 verhafteten Juden wurden am 16. November 4.600 in das KZ Dachau deportiert. Von allen verhafteten Juden wurden jene, die nach Dachau verschickt wurden, am ärgsten misshandelt. 1.865 wurden vorläufig zurückgeschickt und 982 wurden schließlich entlassen. Von jenen die zurückgeschickt wurden, befanden sich zu Weihnachten immer noch 35 im Polizeigefangenenhaus. Die Anzahl derer die noch in das KZ gebracht oder freigelassen wurden, ist aus den Gestapo oder Polizeiberichten nicht herauszulesen. Nach den Aufzeichnungen von Weinzierl kann aber gesagt werden, dass von den Dachau Häftlingen 4.000 im ersten Halbjahr 1939 wieder entlassen wurden. Die Voraussetzung war allerdings, dass diese innerhalb von zwei Wochen das Land verlassen mussten. 136

Im gesamten Deutschen Reich wurden in der „Reichskristallnacht“ über 26.000 Juden verhaftet. Von diesen wurden „10.911 in das KZ Dachau, 9845 nach Buchenwald und der Rest nach Sachsenhausen gebracht.“137 Insgesamt starben einige hundert Menschen in den Konzentrationslagern infolge der schweren Misshandlungen.138

Doch diese ersten Verhaftungen waren erst der Anfang vom Ende. Fand die Verhaftungswelle mit November 1938 ihren Höhenpunkt, so kam es bereits vor der Pogromnacht zu Deportationen. Man erinnere sich an den 1. April 1938, den ersten Dachau Transport in welchen 60 Juden abgeführt wurden.139

Am 10. November wurde Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan, von Hitler angewiesen, die „Judenfrage“ endgültig zu klären. Göring berief am 12. November 1938 eine

135 Ebda. S. 284. 136 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 62. 137 WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 62. 138 Ebda. S. 62. 139 Ebda. S. 29. 28

Sitzung ein, in der die „Lösung der Judenfrage“ zu Ende gebracht werden sollte.140 In dieser Sitzung wurde folgendes beschlossen:

„1. Die deutschen Juden müssen die durch den Pogrom entstandenen Schäden begleichen und die von den Versicherungen gezahlten Entschädigungen dem Reich zurückerstatten.

2. Als Sühne für den Tod Ernst vom Rath ist ihnen eine Bußzahlung im Betrag von 1 Milliarde Reichsmark auferlegt.

3. Alle jüdischen Unternehmen, Geschäfte und Handwerksbetriebe werden zwangsarisiert. Der Erlös aus dem Verkauf dieser Betriebe muss auf ein Sperrkonto eingezahlt werden.“141

Dies bedeutete, dass die Jüdinnen und Juden nach dieser grauenvollen Nacht die Verantwortung für alle entstandenen Schäden übernehmen mussten und darüber hinaus wurde diesen per Ende des Jahres 1938 der Betrieb von Geschäften untersagt. Mit dem 10. November 1938 wurde den Jüdinnen und Juden jegliche selbstständige Tätigkeit genommen. Ab diesem Zeitpunkt wurden sie von ihren christlichen Mitmenschen ignoriert und in weiterer Folge von allem ausgeschlossen.142 Aufgrund dieser drastischen Veränderungen gab es zwei Möglichkeiten. Entweder die Flucht oder sie beugten sich den nationalsozialistischen Anordnungen. Jene die sich dazu entschlossen haben in Österreich zu bleiben, wurden in den folgenden Jahren „registriert, dirigiert und schließlich in die Vernichtungslager deportiert.“143 Durch die extreme Angst und Ausweglosigkeit versuchten aber viele österreichische Jüdinnen und Juden das Land zu verlassen um dem NS-Terror zu entkommen.144

140 vgl. MOSER, „Die Reichskristallnacht“, 1988, S. 61-62. 141 WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 63. 142 vgl. MOSER, „Die Reichskristallnacht“, 1988, S. 63. 143 MOSER, „Die Reichskristallnacht“, 1988, S. 63. 144 vgl. FREUND Florian/ SAFRIAN Hans, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945. Vertreibung und Deportation, in: Ernst HANISCH/ Wolfgang NEUGEBAUER/ Reinhard SIEDER/ Emmerich Talos (Hgg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, S. 768. 29

2.4 Emigration Bereits nach dem „Anschluss“ haben verängstigte Juden den Weg in die Emigration gewählt. Von einer Auswanderung zu sprechen wäre allerdings falsch, so Freund und Safrian. Auf legalem Weg war es den Jüdinnen und Juden meistens nicht möglich das Land zu verlassen bzw. ihren Besitz mitzunehmen.145 Die Auswanderung war folglich nicht so einfach, da jene die in die östlichen und nördlichen Nachbarländer Österreichs flüchten wollten, bereits an den Grenzen von der Polizei zurückgehalten wurden. Der Großteil des Mittelstandes entschied sich zu Beginn, die Entwicklungen noch abzuwarten und nicht gleich auszuwandern. Diese Mehrheit hoffte, dass selbst unter der nationalsozialistischen Herrschaft ein Leben in Österreich möglich sei. 146

Die schnelle und gewaltmäßige Verletzung ihrer Grundrechte sowie die Ausschaltung aus dem Berufsleben zwang immer mehr Jüdinnen und Juden das Land zu verlassen. Im Mai 1938, also nach der zweiten großen Verhaftungswelle die 2.000 Juden betraf, stieg die Zahl der Auswanderungen drastisch an.147 Um die 50.000 Menschen flohen im Sommer 1938 aus Österreich und bis zum Mai 1939 waren es weitere 50.000 Menschen die im Ausland Zuflucht suchten. Die enormen Reisekosten, Einwanderungsquoten sowie Einwanderungsgebühren und begrenzte Unterkunftschancen in den jeweiligen Aufnahmeländern waren eine große Hürde.148 Die Hauptlast der Organisations- und Vermittlungsarbeit „trugen die im Mai wiedereröffnete Kultusgemeinde sowie das Palästina-Amt und die Zionistische Vereinigung und zionistische Jugendbewegung.“149 Das Palästina-Amt hatte die Aufgabe den Kontakt mit dem damals noch unter britischem Mandat stehenden Palästina aufrechtzuerhalten, sowie die Verteilung ausgestellter Zertifikate und Einreisebewilligungen für in erster Linie junge und kapitalkräftige Emigranten. Die legalen Einreisebewilligungen wurden von der britischen Mandatsverwaltung nur beschränkt verteilt. Die illegale Einreise war wiederum Devisen- und auch anderen Schwierigkeiten ausgesetzt, dass nicht einmal zehn Prozent der 1938-1941 emigrierten österreichischen Jüdinnen und Juden in Palästina eintrafen. Das Palästina-Amt bot aber noch andere Unterstützung wie Ausbildungskurse für Emigrantinnen und Emigranten, um in Palästina in der Landwirtschaft und bestimmten Handwerkszweigen arbeiten zu können. Auch die Kultusgemeinde organisierte Sprach- und Umschulungskurse. Diese Kurse waren deshalb

145 vgl. FREUND/SAFRIAN, Die Verfolgung der österreichischen Juden, 2000, S. 768-769. 146 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S.44. 147 Ebda. S. 44. 148 vgl. BOTZ Gerhard, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft, 1990, S.295-296. 149 WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 44. 30

so wichtig, da sie für tausende von Emigrantinnen und Emigranten die einzige Lebensgrundlage für den Aufbau einer neuen Existenz in einem fremden Land darstellten. An dieser Stelle ist auch Adolf Eichmann zu erwähnen. Jener Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte die „Endlösung der Judenfrage“ voranzutreiben. Für ihn bestand die Lösung darin, dass so viele Jüdinnen und Juden wie möglich ausreisen und dem Reich zugleich eine erhebliche Summe zahlen sollten. Mit der Mithilfe seiner Verhandlungspartner Dr. Perl und Galili (Krivos) war es möglich, dass das „Reichsfinanzministerium in Berlin die Wiener Nationalbank anwies, ihnen für 2.000 Juden je 20 Pfund zum offiziellen Kurs von 12 Mark per Pfund zur Verfügung zu stellen.“150 Am 9. Juni 1938 verließ der erste Transport dieser Art den Südbahnhof, bei deren Abreise sogar Eichmann anwesend war. Insgesamt waren 386 Emigrantinnen und Emigranten bei diesem Transport untergebracht. Weinzierl hielt fest, dass das größte organisatorische Problem Eichmanns und dessen Mithelfer darin bestand, Devisen für diese illegalen Transporte zu erhalten, die von den jüdischen Organisationen Westeuropas jedoch nicht ausgestellt wurden. Die wiedereröffnete Israelitische Kultusgemeinde in Wien, unter der Leitung von Dr. Josef Löwenherz, half im Gegensatz zu anderen Organisationen, welche keine Unterstützung anboten, wo sie nur konnte. Als Beispiel hierfür nannte Weinzierl die Hilfe für die burgenländischen Jüdinnen und Juden. Die ausgewiesenen, zumeist sehr armen Menschen, wurde die Aufnahme in einen Transport aufgrund der Spende von 200.000 Reichsmark durch die Israelitische Kultusgemeinde ermöglicht.151 Am 2. Juni 1938 befahl Eichmann Dr. Löwenherz und Dr. Rothenberg, Leiter des Palästina- Amtes, eine Beratungsstelle für Devisen- und Emigrationsfragen einzurichten. Den Jüdinnen und Juden wurden von den deutschen Behörden nämlich keine Devisen zur Verfügung gestellt, was bedeutete, dass diese aus dem Ausland beschafft werden mussten.

Ein Viertel ihres Vermögens wurde den Emigrantinnen und Emigranten als „Reichsfluchtsteuer“ abgenommen. Sie durften nur 10 Mark Bargeld und 20 Mark in ausländischer Währung bei sich haben. Des Weiteren war es ihnen nicht gestattet ihre Aktien auszuführen. Durch einen Sachverständigen wurde das Umzugsgut geschätzt. 100 Prozent Steuer war für neu erworbenes Eigentum zusätzlich zu entrichten.152 Die Ausreise in Länder wie der Tschechoslowakei und Ungarn war nicht möglich, da diese Besitzer eines österreichischen Passes nicht ins Land ließen. Wenngleich es bis März 1938 noch möglich war

150 WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 46. 151 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 46. 152 Ebda. S. 47. 31

legal in die Schweiz einzureisen, so war dies ab April 1938 nicht mehr möglich bzw. benötigte man hierfür ein Visum. Viele verzweifelte und verängstigte Juden versuchten aus diesem Grund illegal in die besagten Länder zu kommen. Wurden sie beim illegalen überqueren der Grenzen erwischt, wurden sie wieder zurückgebracht,153 und an die Gestapo ausgeliefert.154

Der im August 1938 von Adolf Eichmann eingerichteten Zentralstelle für jüdische Auswanderung kam eine doppelte Bedeutung zu. Zum einem sollte sie die Auswanderung der Juden beschleunigen und zum anderen sollte sie auf staatlich legale Weise die jüdischen Emigrantinnen und Emigranten ihres Vermögens berauben.155 Um die Emigrantinnen und Emigranten aber um ihren letzten Groschen zu bringen hat diese Zentralstelle, die die Ausreise eigentlich beschleunigen sollte, die Auswanderung um Monate verzögert. 156 Neben dem Vermögensraub waren die jüdischen Emigrantinnen und Emigranten enormen Schikanen ausgesetzt. Die Kennzeichnung ihres Reisepasses mit einem „J“, war wohl der Höhepunkt. 157 Die Pässe waren für das Ausland nicht zugelassen, da diese ihre Gültigkeit verloren hatten. Erst mit der Markierung eines „J“, damit der Jude bei der Einreise in ein neues Land sofort als solcher erkannt wird, erhielt der Reisepass seine Gültigkeit zurück. Im §1 Abs. 3 über die Verordnung über Reisepässe von Juden vom 5. Oktober 1938 hieß es:

„Die mit Geltung für das Ausland ausgestellten Reisepässe werden wieder gültig, wenn die von der Passbehörde mit einem vom Reichsminister der Innern bestimmten Merkmal versehen werden, das den Inhaber als Juden kennzeichnet.“158

Neben diesen bürokratischen Hindernissen war es aber auch schwierig für Emigrantinnen und Emigranten ein geeignetes Aufnahmeland zu finden, das mittellosen Flüchtlingen die Einreise nicht verwehrte. Wie bereits erwähnt, wurde Jüdinnen und Juden bei der Ausreise ihr gesamtes Hab und Gut abgenommen, was dazu führte, dass sie in einem neuen Land keinerlei Chancen hatten sich eine neue Existenz aufzubauen. Demzufolge lehnten potenzielle Aufnahmeländer

153 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 47. 154 Vgl. SCHWARZ Peter, Flucht und Vertreibung, Emigration und Exil 1934-1945, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Katalog zur permanenten Ausstellung, Wien 2006, S. 58 155 Vgl. SCHWARZ Peter, Flucht und Vertreibung, 2006, S. 59. 156 Vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 47. 157 Vgl. SCHWARZ Peter, Flucht und Vertreibung, 2006, S. 59. 158 LÖSENER /KNOST, Die Nürnberger Gesetze, 1941, S. 214. 32

die jüdischen Flüchtlinge ab, weil sie befürchteten, dass sie dem Staat nur zur Last fallen würden.159

Nach dem Überfall Hitler auf Polen war es nicht mehr möglich in Länder einzuwandern, die sich ab September 1939 im Krieg befanden. 160 Verbunden mit dem Kriegsausbruch wurde die Auswanderung grundsätzlich stark eingeschränkt.161

Wenngleich die erzwungene Emigration aus dem „Dritten Reich“ anfangs vom NS-Regime begrüßt wurde, da man so viele Juden als möglich aus dem Land haben wollte, änderte sich dies mit Oktober 1941 insofern, als dass die Ausreise verboten wurde. Die Nationalsozialisten gingen ihrer Forderung, das Land „judenrein“ zu machen nach und konzentrierten sich nun auf die zwangsweise Aussiedlung der Jüdinnen und Juden.162 Demnach sollte die „Endlösung der Judenfrage“ zu Ende gebracht werden. Ab dem Jahr 1941 änderten die Nationalsozialisten ihre „Judenpolitik“ insofern, dass an die Stelle der Vertreibung und der Beraubung die systematische Ermordung trat.163

2.5 Deportation Mit dem Kriegsausbruch am 1. September 1939 änderte sich das Leben der noch im „Dritten Reich“ verbliebenen Jüdinnen und Juden schlagartig.164 Deportationen aus Wien nach Osteuropa, also jenen Gebieten, die bereits von den Deutschen besetzt waren, fanden viel früher statt als im restlichen Reichsgebiet. Im Oktober 1939 wurden erste Deportationen von Männern im arbeitsfähigen Alter von der SS organisiert. Adolf Eichmann, Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, plante „die Schaffung eines ‚Judenreservates‘ im Gebiet östlich von Nisko am Fluss San an der Grenze des ‚Generalgouvernements‘.“165 Obwohl dieser Plan nicht

159 Vgl. ANDERL Gabriele, Die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, in: Rudolf G. ARDELT/ Christian GERBEL (Hg.), Österreichischer Zeitgeschichtetag 1995. Österreich - 50 Jahre Zweite Republik, Innsbruck/Wien 1997, S. 204-205. 160 WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 51. 161 vgl. MOSER, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft, 1988, S. 193. 162 SCHWARZ, Flucht und Vertreibung,2006, S. 59. 163 vgl. HALBRAINER Heimo/ LAMPRECHT Gerald/ MINDLER Ursula (Hgg.), Unsichtbar. Ns-Herrschaft: Widerstand und Verfolgung in der Steiermark, Graz 2008, S. 130. 164 DÖW, Die ersten Deportation nach Polen 1939 (Nisko-Aktion), http://ausstellung.de.doew.at/m17sm145.html [Abruf am 20.08.2018]. 165 DÖW, Die ersten Deportation nach Polen 1939 (Nisko-Aktion), http://ausstellung.de.doew.at/m17sm145.html [Abruf am 21.08.2018]. 33

umgesetzt werden konnte, beauftragte Reinhard Heydrich166, Reichsführer SS Heinrich Himmler167 damit, Deportationstransporte aus Wien und Moravska Ostrava/Mährisch Ostrau nach Nisko zusammenzustellen. Am 20. Oktober 1939 verließ der erste Transport mit 912 Männern168 den Wiener Aspangbahnhof.169 Am 27. Oktober 1939 folgte der zweite Transport mit 672 Männern. Zu diesem Zeitpunkt wurde die israelitische Kultusgemeinde noch mit der Erstellung einer Liste von 1.000 - 2.000 Auswanderern beauftragt.170 Des Weiteren musste die IKG den betroffenen jüdischen Personen einen Handlungsspielraum zum Aufbau einer neuen Existenz zu sichern, wobei sich bei der Ankunft herausstellte, dass es eine offensichtliche Täuschung war.171 Seitens der IKG hieß es, dass sich die Jüdinnen und Juden in diesem bestimmten Gebiet in Polen frei ansiedeln und sich eine Existenz aufbauen durften. Darüber hinaus wird für die vorläufige Unterbringung und Versorgung Sorge getragen und ankommenden Juden werden Vertreter jüdischer Organisationen für etwaige Fragen zur Verfügung stehen. Es wurde auch höflich darauf hingewiesen, dass ein Nichterscheinen mit schweren Unannehmlichkeiten verbunden wäre. Polizeiorgane holten die besagten jüdischen Männer aus ihren Wohnungen.172 Wenngleich diesen deportierten Männern ein angenehmer Aufenthalt zugesichert wurde, so sah die Realität in Nisko etwas anders aus. Nur wenige dieser Deportierten, es waren rund 200 Männer, kamen auch wirklich in das Lager. Die anderen wurden, begleitend durch Schüsse die zur Abschreckung dienen sollten, über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie gejagt. Viele bemühten sich in weiterer Folge um Rückkehrmöglichkeiten. Die stalinistische Geheimpolizei, kurz NKWD, stufte diese aber als „politisch unzuverlässig“ ein und aus diesem Grund wurden sie in Zwangsarbeiterlager gebracht. Bis 1957 kehrten ca. 100 Männer zurück nach Wien. 198 Männer die in Zarzecze bei Nisko als Personal arbeiten mussten, kamen im April 1940 wieder nach Wien zurück. Von diesen Männern wurden fast alle mit späteren Transporten wieder deportiert. 173

166 Chef des Reichssicherheitshauptamts, kurz RSHA. vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 77. 167 Himmler wurde die Organisation der Zwangsumsiedlung der Juden übertragen. vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen, 2006, S. 77. 168 vgl. DÖW, Die ersten Deportationen nach Polen. (Nisko-Aktion), http://ausstellung.de.doew.at/m17sm145.html [Abruf am 20.08.2018]. 169 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 69. 170 vgl. FREUND Florian/ SAFRIAN Hans, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, 2000, S. 770. 171 vgl. DÖW, Die ersten Deportationen nach Polen. (Nisko-Aktion), http://ausstellung.de.doew.at/m17sm145.html [Abruf am 20.08.2018]. 172 vgl. ROSENKRANZ Herbert, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945, Wien/München 1978, S. 217. 173 vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 77. 34

Vom 20. Oktober 1939 sahen Eichmann und seine Mitarbeiter für jeden Dienstag und Donnerstag Transporte von je 1.000 Jüdinnen und Juden vor. Vom vierten Transport an sollten auch ganze Familien deportiert werden. Die Aktion wurde aber nach dem zweiten Transport eingestellt. Weinzierl verwies an dieser Stelle auf Moser Jonny, der sich mit der Geschichte der Judendeportationen aus Österreich beschäftigt hat. Moser meinte, dass durch die Vorbereitung des deutschen Westangriffs zu wenige Transportzüge zur Verfügung standen. Außerdem sei es zu Konflikten mit der UdSSR wegen des Abschubs von Juden auf russisches Grenzgebiet gekommen.174 Die Vorbereitungen für die Transporte von 1941 reichten bis 1940 zurück.175 1940 wurde Baldur von Schirach zum Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien ernannt. Dieser wollte die Deportationen der Juden deshalb vorantreiben, um den Wunsch der NSDAP nachzukommen, um jüdische Wohnungen für „arische“ Bürger frei zu machen. Aus diesem Grund fanden im Oktober 1941 bereits Deportationen statt. Nach den Nisko-Transporten kam es Anfang 1941 mit 5.000 Opfern zu den ersten Massentransporten, die auf die Kleinstädte Opole, Kielce, Modliborzyce, Lagów und Opatów im „Generalgouvernement“ verteilt wurden. In Ghettos, in denen die Versorgung mit Lebensmitteln nicht ausreichte, wurden diese Menschen eingewiesen. Aufgrund der schlechten Versorgung und der schlechten Unterbringung starben immer mehr, vor allem alte und kranke Menschen, infolge dieser Verhältnisse. In Opole starben 30 Menschen, die zwei Monate vorher erst aus Wien deportiert wurden. Im Frühjahr und Sommer 1942 fielen die meisten dieser deportierten Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, der sogenannten „Auskämmaktion“ zum Opfer, bei der sie, zusammen mit polnischen Jüdinnen und Juden aus den verschiedenen Orten in Vernichtungslagern unter der „Aktion Reinhard“176 getötet wurden. Von den 5.000 Menschen die aus Wien deportiert wurden sind lediglich 70 Überlebende bekannt.177

Die Transporte die ab Oktober und November 1941 Wien verließen führten bereits in den sicheren Tod. Die Nationalsozialsten änderten im Laufe des Krieges gegen die Sowjetunion ihre Maßnahmen insofern, als dass sie von der Vertreibungs- zur Vernichtungspolitik übergegangen sind. Gründe dafür waren auch die verheerenden Umstände in den Ghettos des

174 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S. 70-71. 175 vgl. WEINZIERL, Zu wenig Gerechte, 1986, S.71. 176 Diese Aktion wurde deshalb so genannt, da sie an Reinhard Heydrich, den Leiter des Reichssicherheitshauptamts, erinnern sollte. Dieser wurde von tschechischen Widerstandskämpfern im Mai 1942 getötet. vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S.81. 177 vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 78. 35

„Generalgouvernements“ die durch Überbevölkerung und Seuchengefahr gekennzeichnet waren. Die nationalsozialistischen Machthaber griffen daher zu radikalen Maßnahmen um die „Endlösung der Judenfrage“178 voranzutreiben.179

Im Herbst 1941 kam es zu Massendeportationen, die vom Reichssicherheitshauptamt angeordnet wurden. 20.000 jüdische Männer, Frauen und auch Kinder aus dem „Altreich, der Ostmark, dem Protektorat Böhmen und Mähren und Luxenburg und 5000 Sinti und Roma“180, wurden aus Österreich abtransportiert. 5.000 Jüdinnen und Juden wurden in das Ghetto in Lodz gebracht. Weil sie das tägliche Überleben nur schwer organisieren konnten, wurden viele bald als „arbeitsunfähig“ erklärt und ab Jänner 1942 nach Chelmno/Kulmhof gebracht. Dort, in diesen mobilen Tötungseinrichtungen, wurden sie in Gaswägen ermordet. „Bis zum Beginn des Sommer 1942 ermordete die SS ungefähr die Hälfte aller Personen, die im Oktober/November 1941 aus Deutschland, Österreich, Böhmen und Mähren nach Lodz deportiert worden waren.“181 300 bis 400 Wiener Jüdinnen und Juden waren nach der Auflösung des Ghettos im August 1944 nur mehr am Leben. Mit den restlichen Ghettoinsassen wurden auch sie nach Auschwitz transportiert von denen nur 34, der von Lodz deportierten Menschen, überlebten.

In Ghettos und Vernichtungslagern im „Reichskommissariat Ostland“ kamen die meisten österreichischen Opfer im Zuge der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten ums Leben. 15.000 österreichische Juden wurden 1941 und 1942 „nach Kaunas (heute Lettland), Riga (heute Litauen), Minsk und Maly Trostinec bei Minsk (heute Weißrussland) deportiert.“182 Fast alle dieser deportierten Menschen kamen ums Leben. Am 23. November 1941 sollten 1.000 Jüdinnen und Juden von Wien nach Riga transportiert werden. Dieser Transport wurde nach Kaunas umgeleitet.183 In Kaunas wurden die deportierten jüdischen Männer, Frauen und Kinder sofort nach ihrer Ankunft von SS Einheiten und litauischen „Helfern“ erschossen.184 Vom 3. Dezember 1941 bis zum 6. Februar 1942 wurden ca. 4.000 Menschen nach Riga transportiert, von denen 100 Überlebende bekannt sind. Ins Ghetto Minsk wurden aus Wien im November 1941 1.000 Juden deportiert. Von diesen 1.000 Menschen haben drei überlebt.

178 Hinter der Bezeichnung „Endlösung der Judenfrage“ verbirgt sich der Massenmord an den europäischen Juden. Heute werden hierfür die Begriffe Holocaust oder Shoa verwendet. vgl. DÖW, , Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 78. 179 vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 78. 180 vgl. FREUND/SAFRIAN, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, 2000, S. 774. 181 FREUND/SAFRIAN Hans, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, 2000, S. 774. 182 DÖW, , Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 80. 183 Ebda. S. 80. 184 vgl. FREUND/SAFRIAN, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, 2000, S. 775. 36

15.000 Menschen, die aus Wien, Königsberg, Theresienstadt und Köln waren, trafen zwischen Mai und Oktober 1942 in Minks ein. Diese Opfer wurden unter Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei und Reinhard Heydrich, unmittelbar nach ihrer Ankunft getötet. Von jenen Jüdinnen und Juden, um die 9.000, die nach Maly Trostinec deportiert wurden haben nur 17 überlebt.

Im Frühjahr 1942 wurden die Ghettos und Vernichtungslager im „Reichskommissariat Ostland“ aufgelöst. Die übrig gebliebenen Insassen wurden weiter transportiert nach Kaiserwald und Stutthof, den dortigen Konzentrationslagern. Als nicht arbeitsfähig gekennzeichnete sowie ältere Menschen, Kranke und Kinder wurden hingegen nicht deportiert, sondern gleich ermordet.185

Zwischen Juni und Oktober 1942 wurden aus Österreich in dreizehn Transporten um die 15.000 Juden nach Theresienstadt deportiert.186 In der kleinen Festung wurde ein Gestapogefängnis eingerichtet, das den Charakter eines Konzentrationslagers hatte. In der großen Festung befand sich das Ghetto, das für 140.000 Personen ausgerichtet war. Die Menschen in diesen Ghettos lebten in ständiger Angst weitergeschickt zu werden.187

Dieses Lager war ein „Durchgangslager“ für die weitere Deportierung188 in andere Konzentrationslager wie Treblinka, Auschwitz und Maly Trostinec. 7.300 Wiener Jüdinnen und Juden wurden durch so einen Weitertransport in Vernichtungslagern getötet. Neben der Ermordung in den Konzentrationslagern starben in dem Ghetto eine Vielzahl an Menschen aufgrund der fehlenden sanitären Einrichtungen, Hunger und Krankheiten. In Theresienstadt starben über 6.000 Wiener Jüdinnen und Juden aufgrund der unmenschlichen Verhältnisse.189 Im Frühjahr 1940 begann man mit dem Aufbau des Konzentrationslagers Auschwitz. Im Ort Birkenau, ein benachbartes Gebiet, begann man ab Herbst 1941 das zweite Lager, Auschwitz II bzw. Auschwitz-Birkenau, zu errichten. Später kam dann auch noch das dritte Lager Auschwitz III oder Lager Monowitz und 45 Nebenlager hinzu. Wie viele österreichische Jüdinnen und Juden in Auschwitz ums Leben kamen geht aus den Quellen nicht hervor, da man nicht weiß, wie viele österreichische Jüdinnen und Juden aus anderen Ländern in dieses Lager

185 vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 80. 186 vgl. FREUND/SAFRIAN, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, 2000, S. 781-782. 187 vgl. DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 81. 188 vgl. FREUND/SAFRIAN, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, 2000, S. 782. 189 vgl. DÖW; Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006; S. 81-82. 37

gebracht wurden. Aufzeichnungen gibt es nur von Theresienstadt, ca. 5.000 Jüdinnen und Juden aus Österreich, Frankreich mit ca. 2.700 Jüdinnen und Juden, und Italien mit etwa 300 Jüdinnen und Juden die aus Österreich stammten und im KZ Auschwitz ermordet wurden.

8.000 von mehr als 200.000 Österreicherinnen und Österreicher die nach den „Nürnberger Rassegensetzen“ als Jüdinnen und Juden galten, lebten nach den zahlreichen Deportationen ab Oktober 1942 noch in Wien. Diese übrig gebliebenen Jüdinnen und Juden lebten meist in einer „privilegierten Mischehe“190 oder waren Geltungsjuden191 und wurden somit von Deportationen ausgenommen. Von diesen 8.000 Menschen wurden zwischen März 1943 und Februar 1945 ungefähr 350 direkt nach Auschwitz und 1.400 nach Theresienstadt deportiert.192 Weitere 1.645 Menschen wurden aus Wien deportiert. Dadurch verringerte sich die Zahl der Jüdinnen und Juden in Wien bis Ende 1944 um nochmals ein Viertel, sodass weniger als 5.700 Wiener Jüdinnen und Juden das „Dritte Reich“ überlebten. Botz verwies auf Erika Weinzierl, die festhielt, dass etwas mehr als 200 Jüdinnen und Juden von ihren nicht-jüdischen Mitmenschen versteckt gehalten wurden und nur so überleben konnten. Nachfolgend werden diese sogenannten jüdischen „U-Boot“ näher erläutert.

2.6 Jüdische U-Boote Die Historikerin Brigitte Ungar-Klein beschäftigte sich mit dem Thema „U-Boote und deren Helferinnen und Helfer“. Wie bereits erwähnt, fand diese Thematik erst spät Eingang in die Geschichtsforschung. In den 60er Jahren wuchs, dank der Forschungsarbeiten Erika Weinzierls, daraus das Interesse an den Schicksalen der jüdischen U-Boote. Ungar-Klein nennt einige wenige Kriterien die der Bezeichnung U-Boot zuzuschreiben sind:193

„Um der sogenannten ,Umsiedlung‘ in den Osten zu entgehen, sich vor der NS- Verfolgung zu schützen, zu verbergen - ein Leben wählen im Untergrund, in der

190 Eine „privilegierte Mischehe“ war, wenn der Mann Nicht-Jude und die Frau jüdisch und die Kinder Mischlinge 1. Grades waren. Des Weiteren gab es noch „nicht-privilegierte Mischehen“. Hierbei war die Gattin nicht-jüdisch, der Gatte Jude und die Eheleute hatten keine Kinder. Viele von diesen waren von Deportationen ebenfalls ausgenommen vgl. DÖW; Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006, S.83. 191 „zwei jüdische Großeltern, Mitglied der jüdischen Religionsgemeinschaft am 15.9.1935, dem Datum der Erlassung der 'Nürnberger Gesetze'„. vgl. DÖW; Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006, S.83. 192 vgl. DÖW; Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen; 2006, S.83. 193 vgl. UNGAR-KLIEN, Überleben im Versteck, 2015, S. 296-297. 38

Illegalität - an einem Wohnort oder an mehreren Wohnorten ohne polizeiliche Anmeldung wohnen - die wahre Identität verschleiern - falsche Papiere verwenden oder die eigenen Personaldokumente derart manipulieren, dass sie wenigstens einen geringen Schutz gewähren. Nirgends registriert sein, keine Bezugsmarken erhalten. Auf die Hilfe anderer angewiesen sein.“194

Laut Ungar-Klein sind diese genannten Beispiele, aber nur einige wenige Kriterien die jüdische U-Boote kennzeichnen. Die Bezeichnung U-Boot wurde von den betroffenen Personen selbst gewählt.

Ungar-Klein griff die Frage auf, woher die Informationen zu dieser Thematik stammen? Demnach umfassen die Quellen, die den Historikerinnen und Historikern zur Verfügung stehen, eine Zeitspanne von ungefähr sechs Jahrzehnten. Die Quellen weisen jedoch Unterschiede hinsichtlich ihrer Quantität und Qualität auf und „bedürfen daher auch einer entsprechenden historischen Kritik.“195 Die Quellen konnten aus Tagesberichten der Gestapo entnommen werden. Aus diesen Berichten kann man genauestens die Festnahmen und Abtransporte von Juden nachverfolgen, da diese Berichte mit großer Sorgfalt niedergeschrieben worden sind. Ein Nachteil ist jedoch, dass die Berichte nicht immer vollständig erhalten werden konnten und sich somit Lücken gebildet haben. Dennoch geben die Tagesberichte Auskunft über die zahlreichen Versuche, als U-Boot zu überleben. Ungar-Klein merkte an, „dass auf jedes überlebende U- Boot ein weiteres zu zählen ist, das letztlich aufgegriffen und ermordet worden ist.“196 Weitere Quellen sind „Formblätter der Zentralregistrierung der Opfer des Nazi Terrors.“197 „Unterlagen des KZ-Verbandes und anderer Opferverbände.“198Des Weiteren existiert eine „Kartei des sogenannten U-Boot-Verbandes“.199 Diese Kartei beinhaltet jedoch nur Daten über die Betroffenen. Aufschlussreicher sind die Unterlagen der Opferfürsorge, die im DÖW aufliegen. „Ansuchen um Entschädigungen mussten zumeist ausführliche Sachverhaltsdarstellungen beinhalten und durch Zeugenaussagen ergänzt werden. Gerade diese Quellen zeigen das Verhalten des Nachkriegsösterreichs sehr deutlich.“200 Die

194 UNGAR-KLIEN, Überleben im Versteck, 2015, S. 297 195 Ebda. S. 297. 196 UNGAR-KLIEN, Überleben im Versteck, 2015, S. 298. 197 Ebda. 298. 198 Ebda. 298. 199 Ebda. 298. 200 Ebda. 298-299. 39

schriftlichen Quellen, die erhalten geblieben sind, sind eine Form der zur Verfügung stehenden Quellenlage. Eine weitere Form ist das Interview. Mit den Betroffenen Menschen, den Helferinnen und Helfern und den U-Booten, wurden Gespräche geführt. Insgesamt wurden mehr als 50 Interviews durchgeführt. Ungar-Klein merkte an dieser Stelle an, dass es für die Betroffenen keineswegs einfach war über das Geschehene zu sprechen. Nach dem Gespräch, so Ungar-Klein, „kann oft eine gewisse Erleichterung festgestellt werden.“201 Laut dem Forschungsstand von 2015 konnten bis dato 1.500 Menschen registriert werden, die zwischen März 1938 und Kriegsende im Versteck lebten. Ein Drittel scheiterte jedoch beim Versuch unterzutauchen, um sich vor der Deportation zu retten. Bei dieser Zahl handelt es sich um klare Belege, die nachgewiesen werden konnten. Historikerinnen und Historiker gehen jedoch davon aus, dass es weitaus mehr Personen gegeben hat, deren Versuch sich zu verstecken scheiterte und in Konzentrationslager gebracht wurden. Aufgrund der mangelnden Hinweise und fehlenden Quellen können somit nur Schätzungen unternommen werden.202

Laut Ungar-Klein konnten um die „1.000 Personen länger als ein Jahr als U-Boot bis Kriegsende“203 überleben. „Knapp 60 Kinder bis zum 14. Lebensjahr haben im Versteck gelebt, 20 davon wurden erst nach dem „Anschluss“ geboren, davon einige als U-Boot“.204

Dadurch, dass das Thema „U-Boote und ihre Helferinnen und Helfer“ immer mehr Eingang in die Forschung fand, konnten von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen ausfindig gemacht werden. Dies lässt sich dadurch erkennen, dass das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) im Jahre 1992 600205 überlebende U-Boote österreichweit aufgelistet hat und sich diese Zahl bis zum Jahr 2015 mit 1.500 Überlebenden, erheblich erhöht hat.206

Wenngleich man liebevolle Menschen gefunden hatte, die das Risiko auf sich nahmen, waren es dennoch Höllenqualen denen jüdische U-Boote ausgesetzt waren. Die Furcht entdeckt zu werden war nur ein Teil der zahlreichen Todesängste die diese Menschen Tag für Tag erleben mussten. Ungar Klein sagte, dass man die einzelnen Schicksale nur schwer miteinander vergleichen konnte, da die einzelnen Geschichten zu unterschiedlich waren. Dennoch weist sie

201 Ebda. S.299. 202 Ebda. S.299. 203 Ebda. S.299. 204 Ebda. S.299. 205 vgl. DÖW; Jüdische Schicksale, 1992, S.604. 206 vgl. UNGAR-KLIEN, Überleben im Versteck, 2015, S.299. 40

darauf hin, dass es ähnliche Probleme im alltäglichen Leben gegeben hat und man meist ganz spontan eine Lösung finden musste. Eine der größten Schwierigkeiten war es, eine geeignete Unterkunft zu finden. Nur selten waren U-Boote an der gleichen Adresse versteckt. In den meisten Fällen war es so, dass sie zwei bis dreimal wöchentlich ihr Quartier wechseln mussten. Auf die Straße zu gehen war wiederum gefährlich, da man bei einer behördlichen Anhaltung entdeckt werden konnte. Man musste sich einen Berechtigungsnachweis besorgen um zu mindestens kurzfristig eine Überprüfung zu bestehen. Die Ausstellung eines Postausweises war die einfachste Variante. Frauen hatten es in dieser Hinsicht leichter als Männer, da diese zusätzlich eine Militärbefreiung, einen Urlaubs- oder Krankenschein besorgen mussten. Die Ausweise liefen nicht immer auf den richtigen Namen und so trainierten oft die Helferinnen und Helfer die Betroffenen, dass diese auf den falschen Namen auch reagierten. Hatte man einen gefälschten Ausweis, so war dennoch das Aussehen ein Problem. Besonders dunkles oder rötliches Haar galt als „rassisch bedenkliches“ Merkmal. Um nicht aufzufallen und die Überlebenschancen zu steigern färbte man die Haare. 207

Ein besonders großes Hindernis war es, wenn ein U-Boot erkrankte. Berichte über ärztliche Betreuung oder Krankenhausaufenthalte sind nicht viele bekannt. Die Gefahr entdeckt zu werden war zu groß. Ungar-Klein nannte als positiv geglücktes Beispiel das U-Boot von Dorothea Neff, Lilli Wolff. Als Wolff schwer erkrankte und kein anderer Ausweg bestand als ins Krankenhaus zu gehen, stellte die Schauspielerin Neff ihre Freundin als Bekannte aus Köln vor. Als Namen gab sie Antonie Schmid an, wobei es sich hierbei um den zweiten Vornamen Dorotheas sowie um den Namen ihres verstorbenen Mannes handelte. Aufgrund des großen Interesses an der Schauspielerin, war die mitgebrachte Patientin, die nach der Operation wieder entlassen werden konnte, nebensächlich. Dennoch wurde Neff unter der Angabe des falschen Namens erst bewusst, welches Risiko sie da einging. Als missglückten Hilfeversuch nannte Ungar-Klein jenen von der Wiener Gärtnerin Rosa Pscherer. Pscherer versteckte einen alten jüdischen Anwalt und dessen Frau. Als beide innerhalb kürzester Zeit verstarben, begrub Pscherer diese heimlich in der Nacht in ihrem Garten. 208

Wie bedrückend die Situation, im Verborgenen zu leben, gewesen sein muss, ist schwer vorstellbar. „das Ausharren in zum Teil abgedunkelten Räumen, die Unfähigkeit, völlig normale Dinge des Lebens miterleben, mitfühlen zu können, waren kaum nachvollziehbare

207 vgl. UNGAR-KLEIN, „Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin“, 1995, S. 89-90. 208 vgl. UNGAR-KLEIN, „Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin“, 1995, S. 90. 41

psychische Belastungen.“209 Ungar-Klein verwies auf Dorothea Neff, die diese Situation als „nervliches Massaker“ beschrieb. Vera Heilpern beschrieb ihre Situation als U-Boot wie folgt:

„Wir haben natürlich immer gefürchtet, dass mich jemand suchen kommt. [...] Es war eine Glückssache, es wär gar nicht so schwer g'wesen, mich zu finden. Für mich wär' das natürlich furchtbar g'wesen, nicht nur, dass sie mich wahrscheinlich erschossen hätten, noja gut, wär' ich eben drangekommen, aber das Bewusstsein, dass meine Pflegeeltern und Geschwister auch noch hätten mitgehen müssen, das wär' die größte Belastung in meinen letzten Lebensminuten g'wesen. Die Angst, man hat ja unter ständiger Angst gelebt. Ich bin oft in der Nacht wach geworden, in Schweiß gebadet, da hat mir geträumt, ich höre Militärstiefel [...]. Man hat ja nicht gewusst, wie es ausgehen wird. Was hätt' ich gemacht, wenn die Nationalsozialisten gesiegt hätten, ich hätt' ja überhaupt keine Lebensmöglichkeit g'habt. Ich hab' g'sagt, der Tag, an dem die siegen, das wär' der Tag g'wesen, wo ich mich umbringen hätt' müssen. Weil dann wär's aus g'wesen. Dann hätt' ich ja keine Hoffnung g'habt. Das Verstecken geschah nur aus dem Glauben, es wird bald vorbei sein. Wenn die wirklich gesiegt hätten, wär's aus g'wesen, ich hätt' ja nicht ewig versteckt sein können.“210

Jüdische U-Boote waren ungeheuren psychischen Belastungen ausgesetzt. Um zu überleben haben sie Dinge gemacht, die man sich nur schwer vorstellen kann. Monika Herlitschker- Taylor, 1918 in Wien geboren, hätte 1943 deportiert werden sollen. Ihr inneres Gefühl sagte ihr, dass die SS jeden Moment da sein wird. Zu diesem Zeitpunkt hielt sie sich im Garten auf. Die Mutter ihres Freundes sowie eine Freundin von Monika hielten sie für paranoid. Sie lief ein paar Schritte nach vorne und sah die SS-Männer kommen. Herlitschker-Taylor lief um ihr Leben.

„Dann schreit schon meine Freundin: „Renn Moni, Um Gottes Willen renn', renn'„. Ja renn'. Wohin rennen? Unser Haus war ein Doppelhaus, also bin ich durch den Garten

209 Ebda. S. 91. 210 UNGAR-KLEIN, „Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin“, 1995, S. 91. 42

und ins andere Haus hinein beim Haustor, das war offen. Ich hab' probiert, in den Lichthof zu kommen und durch die Tür zur Hausbesorgerin. [...] Ich hab gepumbert, aber sie hat mich nicht gehört oder nicht hören wollen, ich weiß es nicht. Jetzt bin ich zurück in den Keller, da waren lauter Kellertüren mit Schlössern davor. Überall hab ich gerüttelt, aber es war alles versperrt. Zum Schluss blieb nur noch die Waschküche. [...] Dort bin ich unter den Waschtrog geschlüpft, der schräg angelehnt gestanden ist. Ich glaub', ich hab' noch eine Hand vorne gehabt, wie ich schon die Stiefel durch das Waschküchenfenster gesehen hab. Ich hab' nicht gewusst, haben sie mich noch gesehen oder nicht. Dann bin ich drunter gehockt und hab' auf jedes Geräusch gehorcht. Die sind rauf in die Wohnung gestürmt und haben alles durchsucht. [...]Ich weiß nicht wie lange es gedauert hat, bis sie endlich weggefahren sind. Meine Leute haben mich mehr tot als lebendig unter dem Waschtrog hervorgeholt. Meine Gliedmaßen haben sie einzeln auseinanderziehen müssen, weil alles verkrampft und steif war. Ich konnte überhaupt nicht stehen, ich konnte meine Finger nicht lösen, ich war vollkommen starr.“211

Personen die als jüdische U-Boote leben mussten, hatten nach der Befreiung mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie waren anderen Menschen gegenüber sehr misstrauisch und unsicher. Außerdem hatten sie ständig Angst und waren voll von paranoider Reaktionsbereitschaft.212 Alltägliche Dinge verursachten Hemmungen. Auch Kinder, die sich als U-Boote verstecken mussten, hatten oft verlernt laut zu sprechen oder normal zu gehen. Geräusche, wie zum Beispiel ein unerwartetes Klopfen an der Türe, führten oft zu einem Panikausbruch. Auch die Behördenwege waren mühsam. Neue Papiere mussten beschafft und eine offizielle Unterkunft gefunden werden. Kinder und Jugendliche, die noch schulpflichtig waren, mussten den Lehrstoff nachholen, den sie versäumt hatten um altersgerecht eingeschult werden zu können. Zusätzlich musste für Kinder, die als U-Boote geboren wurden, richtige Geburtsurkunden ausgestellt werden. Kinder und Jugendliche mussten auch erst den Umgang mit anderen Menschen sowie Gleichaltrigen lernen, da sie im Versteck keine Gelegenheit hatten dies zu lernen.213

211 DÖW; Jüdische Schicksale, 1992, S. 659. 212 vgl. DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S. 658. 213 vgl. UNGAR-KLEIN, „Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin“, 1995, S. 93. 43

3 Humanität als Widerstand: Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer Als die Nationalsozialisten in Österreich die Herrschaft übernahmen, änderte sich das Leben der jüdischen Bevölkerung von einem Tag auf den anderen. Von nun an reichte die Einstellung gegenüber Jüdinnen und Juden von Gleichgültigkeit bis zu Feindseligkeit. Der Großteil der österreichischen Bevölkerung sah zu, wie ehemalige Nachbarn und Freunde zusammengetrieben und getötet wurden. Manche beteiligten sich an solchen Aktionen, viele sahen einen Profit in der Enteignung der Juden. In dieser Zeit des totalen moralischen Zusammenbruchs gab es Menschen, die außergewöhnlichen Mut an den Tag legten. Diese Menschen „stehen in krassem Gegensatz zu der Gleichgültigkeit und Feindseligkeit der während des Holocaust vorherrschenden Massen.“214 Von Yad Vashem mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ geehrt, bezeichnet man diese Minderheit als Widerstandskämpfer und Judenretter.

Historiker wie Wolfgang Benz, Wolfgang Neugebauer, Engelbert Kremshofer, Erika Weinzierl als auch Christine Kanzler und Karin Nusko beschäftigten sich mit dem Thema Rettungswiderstand. Doch was heißt überhaupt Widerstand leisten? Welchen Gefahren waren nichtjüdische Menschen ausgesetzt, wenn sie versuchten Jüdinnen und Juden zu beschützen? Und was waren deren Beweggründe? Diese Fragen sollen im nächsten Kapitel näher erläutert werden.

3.1 Zum Begriff Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer Nach 1945 wurde das politisch-gesellschaftliche Leben von den ehemaligen Kriegsteilnehmern und ehemaligen Nationalsozialsten dominiert und nicht von den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer oder Opfern des Nationalsozialismus. Da die Anhänger des Nationalsozialismus aber kein Verständnis für den Widerstand aufbringen konnten und diese lediglich als Verräter oder Kameradenmörder sahen, fand dieses Thema bis Ende der 1950er Jahre keinen Eingang in österreichische Publikationen. Neugebauer merkte an, dass der

214 vgl. Yad Vashem, Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Über die Gerechten, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/about-the-righteous.html [Abruf am 29.10.2018]. 44

Widerstand ein Tabuthema war, aber nicht nur diesen Bereich betraf sondern im Allgemeinen für die gesamte Zeitgeschichte galt.215

Erst in den 1960er Jahren kam es zu einer Aufarbeitung dieses Themas. 1963 wurde das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes gegründet. Mit der zusätzlichen Schaffung universitärer Zeitgeschichteinstitute konnte ab 1965 die Widerstandsforschung in Österreich viel umfangreicher und systematischer betrieben werden.216 Neugebauer verwies auf Karl Stadler der widerständisches Verhalten wie folgt formuliert:217

„Angesichts des totalen Gehorsamkeitsanspruches der Machthaber und der auf seine Verletzung drohenden Sanktionen muss jegliche Opposition im Dritten Reich als Widerstandshandlung gewertet werden - auch wenn es sich nur um einen vereinzelten Versuch handelt, anständig zu bleiben.“218

Mit den verschiedenen Formulierungen, was man unter einer Widerstandskämpferin und einem Widerstandskämpfer versteht, kann man sich schrittweise ein eigenes Bild zurechtlegen. Hilfreich für die Bearbeitung dieses Themas war die Dissertation von Helmut Kalss219, der sich unter anderem mit dem Begriff des Widerstandes beschäftigt hat. Kalss führt in seiner Dissertation einige Zitate von Historikern an, die sich ebenfalls mit dem Widerstandsbegriff auseinandergesetzt haben. Einen wichtigen Beitrag lieferte die Historikern Helga Thoma:

„Bei den Reichstagswahlen von 1932 hatten gerade 38 Prozent der Deutschen Hitler und seine NSDAP gewählt. [...] Es gab aber da offenbar noch genug Leute in Deutschland, die keine oder noch keine Nationalsozialisten waren. [...] Viele - selbst

215 vgl. NEUGEBAUER Wolfgang, Zur Geschichte der Widerstandsforschung, in Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus..50 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 2013, S. 212. 216 vgl. NEUGEBAUER, Zur Geschichte der Widerstandsforschung, 2013, S. 215. 217 vgl. NEUGEBAUER Wolfgang, Zur Geschichte der Widerstandsforschung, 2013, S. 216. 218 STADLER Karl R., Österreich 1938-1945 im Spiegel der NS-Akten, Wien 1966, S.12. 219 Die folgenden Zitate entsprechen jenen, die auch Kalss in seiner Dissertation verwendete. Die Reihenfolge und Auswahl der Zitate entspricht also der Arbeit von Kalss. Bei den wörtlichen Zitaten wird aber auf die Historiker und deren Werk verwiesen, da sich hier nun mal die Originalaussagen finden lassen. vgl. trotzdem KALSS Helmut, Widerstand im Salzkammergut. Neue Aspekte. Diss., Graz 2013. 45

anfängliche Nazi-Skeptiker - verschlossen damals die Augen und schwammen mit dem Strom, aus Angst oder einfach aus Bequemlichkeit. Das galt für die Deutschen wie - nach dem Anschluss von 1938 - auch für einen Großteil der Österreicher. Und die, die sich weiterhin mit dem neuen Regime nicht arrangieren konnten oder wollten, sahen zunächst keine andere Möglichkeit, als ihre Ablehnung für sich zu behalten, zu schweigen und zu hoffen, dass der Spuk bald vorüber sein würde. Das war verständlich, denn Widerstand, selbst passiver, wurde im Dritten Reich zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit. Dennoch gab es immer wieder Menschen, die bereit waren, dieses ‚tödliche Risiko‘ auf sich zu nehmen, weil sie nicht zusehen wollten, nicht konnten, wie Unrecht zum Staatsprinzip erhoben, Bürger- und Menschenrechte mit Füßen getreten und Andersdenkende verfolgt wurden. Aus eigenem Antrieb fanden sie den Mut zum Widerstand gegen ein übermächtiges und gnadenloses Regime und folgten, allen Gefahren zum Trotz, ihrem Gewissen, ihrer Überzeugung oder schlicht und einfach ihrer Menschlichkeit.“220

Das Zitat, das auch Kalss in seiner Dissertation zum genaueren Verständnis von Widerstand anführt, beleuchtet genau jenen Widerstand der in dieser Arbeit erläutert werden soll, nämlich den sogenannten Rettungswiderstand. Es gab unterschiedliche Motive, warum Menschen dem Regime entgegentraten. Widerstand wurde von unterschiedlichen Menschen geleistet, von Männern, von Frauen oder von Gruppen. Auch hier liefert Kalss Zitate die zum besseren Verständnis des Widerstandsbegriffs Abhilfe leisten sollen.221 Zum einen führt er eine Erklärung an, die man auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums findet:

„Der Widerstand gegen das NS-Regime war breit gefächert. Er reichte von passiver Resistenz und non-konformen Verhalten bis zu Emigration und dem ,generalstabsmäßig‘ geplanten Attentats- und Umsturzversuch vom 20. Juli 1944. Getragen wurde der Widerstand von Männern und Frauen aus allen sozialen Schichten und politischen Lagern. Oppositionskreise in der Wehrmacht zählten ebenso dazu wie

220 THOMA Helga, Gegen den Strom. Zivilcourage und Widerstand im Dritten Reich, Wien 2002, S. 7-8. 221 vgl. KALSS, Widerstand im Salzkammergut, 2013, S. 52. 46

die Mitglieder der ‚Weißen Rose‘222, des ‚Kreisauer Kreises‘223 oder der ‚Roten Kapelle‘.224 Daneben gab es die vielen ‚unbesungenen Helden‘, die Verfolgten Unterschlupf gewährten oder sie mit Lebensmitteln versorgten.“225

Wolfgang Neugebauer beschäftigte sich mit dem österreichischen Widerstand zwischen 1938 und 1945. In dem Buch „Der österreichische Widerstand 1938-1945“, herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, listet Neugebauer die unterschiedlichen Widerstandsformen auf. Neben politisch organisiertem Widerstand wie dem kommunistischen als auch sozialistischen Widerstand, hebt Neugebauer den Widerstand von Einzelnen hervor. Dieser Bereich der Widerstandsforschung fand erst sehr spät Eingang in die Geschichtsforschung, obwohl dieser genauso wie der politisch organisierte Widerstand polizeilich als auch gerichtlich verfolgt wurde. Unter diese Kategorie fällt neben dem abweichenden Verhalten von Vorgaben des NS-Regimes in Kleidung, Haarschnitt, Musik sowie Delikte nach dem Heimtückengesetz, „das waren defätistische Äußerungen, Verbreiten von Gerüchten, Witze über führende NS-Funktionäre, [...] Singen verbotener Lieder, Verweigerung von Spenden oder des ‚Deutschen Gusses‘“226, auch die Hilfe für rassistisch Verfolgte, insbesondere für Jüdinnen und Juden. Von den Formen des „kleinen Widerstandes“, hebt sich der Rettungswiderstand insofern ab, als dass dieser von zutiefst humanen Motiven getragen wurde. Neugebauer formuliert den Rettungswiderstand wie folgt:

222 „Weiße Rose“ war der Name einer Münchner Gruppe die in den Jahren 1942/43 insgesamt 6 Flugblätter gegen das NS-Regime verbreiteten. Die Gruppe unternahm ab Februar 1943 sogar nächtliche Aktionen und beschrifteten Gebäude mit den Wörtern „Nieder mit Hitler“ oder „Hitler Massenmörder“. Hans und Sophie Scholl, die den Kern der Gruppe bildeten sowie Christoph Probst wurden am 22. Februar vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag hingerichtet. vgl. STRUCK Bernhard, Die „Weiße Rose“, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/die-weisse-rose.html [Abruf am 31.08.2018]. 223 Die Bezeichnung „Kreisauer Kreis“ wurde von der Gestapo gewählt. Auf dem Gut Kreisau fanden ab 1940 Treffen dieser Gruppe statt. Der „Kreisauer Kreis“ war das Zentrum des bürgerlich zivilen Widerstandes, war aber keine politische Vereinigung. vgl. PRINK Claudia, Der „Kreisauer Kreis“, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/kreisauer-kreis.html [Abruf am 31.08.2018]. 224 Die Bezeichnung „Rote Kapelle“ ist ein Begriff den die Gestapo für mehrere Widerstandsgruppen, die sich gegen das Regime richteten, verwendete. vgl. PRINZ Claudia, Die „Rote Kapelle“, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/rote-kapelle.html [Abruf am 31.08.2018]. 225 ASMUSS Burkhard/ SCRIBA Arnulf, Widerstand im Zweiten Weltkrieg, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/zweiter-weltkrieg/widerstand [Abruf am 31.08.2018]. 226 NEUGEBAUER, Zur Geschichte der Widerstandsforschung, 2013, S.268-269. 47

„Von diesen Formen des 'kleinen Widerstandes' und des abweichenden Verhaltens von NS-Normen hebt sich die von einzelnen Personen geleistete Hilfe für rassistisch Verfolgte, insbesondere für jüdische Menschen, qualitativ ab, weil sie von zutiefst humanen Motiven getragen war und eine dem zentralen politisch-ideologischen Anliegen des Nationalsozialismus entgegenwirkende, das Regime herausfordernde und daher risikoreiche Handlung war“.227

Wie bereits erwähnt, wurde Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, die Menschen jüdischer Herkunft halfen und nachgewiesenen Rettungswiederstand leisteten, der Titel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen. Die Homepage der Yad Vashemer Gedenkstätte schrieb über die Judenretter folgendes:

„In einer Welt totalen moralischen Zusammenbruchs gab es eine kleine Minderheit, die außergewöhnlichen Mut an den Tag legte, um menschliche Werte hochzuhalten. Dies waren die Gerechten unter den Völkern. Sie stehen in krassem Gegensatz zu der Gleichgültigkeit und Feindseligkeit der während des Holocaust vorherrschenden Massen. Entgegen der allgemeinen Tendenz betrachteten diese Retter die Juden als Mitmenschen, für die sie sich grundsätzlich verantwortlich fühlten. [...] Konfrontiert mit Juden, die an ihre Tür klopften, sahen sich jene, die bis zu diesem Zeitpunkt nur unbeteiligte Zuschauer gewesen waren, gezwungen, sofort eine Entscheidung zu fällen. Dies war in der Regel eine spontane, instinktive menschliche Geste, der eine moralische Entscheidung erst folgte. [...] Die Bereitschaft, während einer Razzia oder einer Massenfestnahme jemanden zu verstecken und für einen oder zwei Tage bei sich aufzunehmen, bis etwas anderes gefunden werden konnte, entwickelte sich mitunter zu einer Rettungsaktion, die Monate und Jahre andauerte.“228

227 NEUGEBAUER Wolfgang, Der österreichische Widerstand 1938-1945, Wien 2008, S. 220. 228 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Über die Gerechten, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/about-the-righteous.html [Abruf am 29.10.2018]. 48

Eine einheitliche Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime hat es nicht gegeben. Die Gründe, weshalb Menschen sich gegen den Nationalsozialismus richteten hatten unterschiedliche Motive. Kalss bezog sich hier auf Dieter Wunderlich der schrieb:229

„Während die einen verbotenen ausländischen Sender abhörten und ihre Vorbehalte verheimlichten (innere Emigration), halfen andere den Verfolgten oder kämpften aktiv gegen das Regime und riskierten dabei ihr Leben. Da der SS-Staat jede unbedachte kritische Äußerung gnadenlos verfolgte und jeder jedem misstraute, war es äußerst gefährlich, Verschwörergruppen zu bilden.“230

Ein weiterer Historiker, der sich mit dem Rettungswiderstand beschäftigt, ist Wolfram Wette. Wette schrieb:

„Rettungswiderstand leisteten in der NS-Zeit jene Frauen und Männer, die verfolgten Juden halfen, um ihnen ein Überleben zu ermöglichen.[…] Das Regime erwartete von den deutschen Volksgenossen, dass sie die judenfeindliche Politik unterstützen. Wer sich dieser Politik verweigerte und Juden versteckte, sie damit dem Zugriff der geheimen Staatspolizei entzog und ihr Leben im Untergrund mit eigenen Hilfeleistungen unterstütze, der leistete Widerstand gegen das NS-Regime.“231

Bei diesem Zitat fällt auf, das Wette nicht von einem persönlichen Widerstand oder der Unzufriedenheit mit dem nationalsozialistischen System spricht, sondern die Hilfeleistungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung direkt mit dem Etikett „Rettungswiderstand“ versieht. Der Begriff „Rettungswiderstand“ wurde von Arno Lustiger geprägt. 2001 hatte Lustiger, im Umfeld der Historischen Friedensforschung, „die Eingebung, die Solidarität mit verfolgten

229 vgl. KALSS, Widertand im Salzkammergut, 2013, S. 52-53. vgl. WUNDERLICH Dieter, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, © Dieter Wunderlich 2008, In: https://dieterwunderlich.de/widerstand_nationalsozialismus.htm [Abruf am 31.08.2018]. 230 WUNDERLICH Dieter, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, © Dieter Wunderlich 2008, In: https://dieterwunderlich.de/widerstand_nationalsozialismus.htm [Abruf am 31.08.2018]. 231 WETTE Wolfram, Vorwort, in: Arno LUSTIGER, Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, 2. Auflage, Göttingen 2011, S. 12. 49

Juden als ‚Rettungswiderstand‘ zu bezeichnen.“232 Für Lustiger zählt „die Bereitschaft der Retter, ihre und ihrer Angehörigen Freiheit, Gesundheit und Leben einzusetzen, um den ihnen manchmal unbekannten Menschen beizustehen, und sie zu retten.“233 Auf der Homepage „gerechte.at“ findet man eine Formulierung, in der die Bereitschaft nochmals unterstrichen werden soll:

„Sie erkannten die Notlage bedrohter Juden und handelten, indem sie entweder Zuflucht gewährten, im großen Stil Fluchthilfe leisteten oder gar die Behörden an der Nase herumführten. Allen war bewusst, dass sie ihr Leben damit aufs Spiel setzten und dennoch halfen sie. Sie halfen, ohne auch nur irgendeine Gegenleistung anzunehmen. Und einige bezahlten tatsächlich mit ihrem Leben dafür, dass sie Menschlichkeit gezeigt hatten.“234

3.2 Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer und ihre Hilfeleistung Wie im Einführungskapitel erläutert, wurde „Ariern“ der Umgang mit Menschen jüdischer Herkunft verboten. Zusätzlich kam hinzu, dass überall Anschläge ausgehängt wurden, „die die Bevölkerung davor warnten, den Juden zu helfen.“235 Es sollte sich die Furcht verbreiten, dass man beim Versuch einer Jüdin oder einem Juden zu helfen, schwer dafür bestraft wird.

„Wer sich entschloss, Juden zu beschützen, musste sein normales Leben aufgeben und eine geheime Existenz aufbauen – oft entgegen den akzeptierten Normen der Gesellschaft, in der er lebte, in ständiger Angst vor Nachbarn und Freunden – und sich mit einem Leben abfinden, das von der Furcht vor Denunziation und Gefangennahme bestimmt war.“236

232 WETTE, Vorwort, 2011, S. 13. 233 Ebda. S. 13. 234 Österreichische Freunde von Yad Vashem, Rettungsgeschichten, In: http://gerechte.at/rettungsgeschichten/ [Abruf am 19.11.2018]. 235 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Über die Gerechten, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/about-the-righteous.html [Abruf am 29.10.2018]. 236 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Über die Gerechten, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/about-the-righteous.html [Abruf am 29.10.2018]. 50

Die Strafe für das Verstecken eines Juden oder Versorgung eines Juden mittels Lebensmittelweitergabe wurde mit Gestapo- oder KZ-Haft bestraft. Neugebauer nannte an dieser Stelle Ella Lingens. Lingens kam, wie schon erwähnt, aufgrund ihrer Hilfe für jüdische Flüchtlinge ins KZ Auschwitz.237 Ihrer großen Menschlichkeit und der Ablehnung und Widersetzung der NS-Politik kommt große Bedeutung zu. In einem Interview mit Brigitte Ungar-Klein sagte Lingens einen Satz der ihre Einsatzbereitschaft widerspiegelte: „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen. Darauf haben wir uns die Hand gegeben.“238 Weiter nannte er Josef Gurtner. Gurtner (geb. 12.2.1883) versteckte seine Schwägerin Camilla Zwerger, weil dieser die Deportation drohte. Am 29.4.1943 wurde er wegen „judenfreundlichen Verhaltens“ in das KZ Dachau deportiert.239 Während er überlebte wurde seine Frau Gisela Gurtner und seine Schwägerin Camilla im KZ Auschwitz ermordet.240 Josef Kriz (geb. 15.2.1889), vom Beruf Altwarenhändler, versteckte mit seiner Frau auch deren Schwägerin. Auch ihr drohte die Deportation. Am 2.10.1942 wurde er festgenommen und von November 1942 bis 1.12.1943 war Kriz in Auschwitz inhaftiert.241 Auch Kriz überlebte das KZ.242 Seine Frau Anna kam in Auschwitz um. Emil Bruck (geb. 3.8.1886) versteckte ab März 1942 eine jüdische Freundin in seiner Wohnung. Auch dies blieb nicht unbemerkt, denn am 9.2.1943 wurde er festgenommen und am 14.9.1943 wurde er wegen Verbrechens gegen das Gesetz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Zum Notdienst (Schanzarbeiten in der Obersteiermark) wurde er am 16.2.1945 eingezogen. Bruck konnte jedoch flüchten und hielt sich bis Kriegsende im Verborgenen auf. Anton Friedrich Matejka (geb. 21.1.1903) versteckte für 6 Monate Leopold Blechner, der als U-Boot in Wien untergetaucht war. Am 20.4.1943 wurde Matejka festgenommen und in das KZ Flossenbürg überstellt wo er sich bis zum 27.2.1944 in Haft befand. Karl Wewerka (geb. 21.10.1894) beherbergte gemeinsam mit seiner Frau Riza Wewerka Juden um sie vor Deportationen zu bewahren. Am 21.1.1943 wurde Wewerka wegen „judenfreundlichen Verhaltens“ von der Gestapo erfasst und Schutzhaft wurde beantragt. Seine Frau Riza kam in Auschwitz um.243

237 vgl. NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008 S. 220. 238 UNGAR-KLEIN Brigitte, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen. Darauf haben wir uns die Hand gegeben...“ 2011, S. 113. 239 vgl NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 220. 240 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Shoah Opfer Datenbank, Gutner Gisela, In: https://www.doew.at/result [Abruf am 5.9.2018]. 241 vgl. NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 220. 242 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Shoah Opfer Datenbank, Kriz Josef, In: https://www.doew.at/result [Abruf am 5.9.2018]. 243 vgl. NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 220-221. 51

Leonore Rollig, deren weiteres Schicksal unbekannt geblieben ist244, wurde am 19.11.1942 wegen „judenfreundlichen Verhaltens“ verhaftet und am 20.2.1943 in das KZ Ravensbrück deportiert. Neugebauer verweist auf den Tagesbericht der Gestapo vom 17.-19.11.1942. In diesem Bericht wird über die Aktivitäten Rolligs berichtet. Demnach soll Rollig einer Jüdin mehrere Tage Unterschlupf gewährt haben obwohl sie am 14.2.1942 bereits eine staatspolizeiliche Warnung wegen dem Umgang mit Juden erhalten habe. Außerdem soll Rollig mit Juden in Verbindung gestanden haben, die aus dem Sammellager in Wien in die Nähe von Warschau flüchteten. Rollig soll diese mit Leibwäsche versorgt haben.245

Neben der Beherbergung und Versorgung von Jüdinnen und Juden gab es aber noch andere „wichtige Unterstützungen, wie die Beschaffung von (gefälschten) Dokumenten, insbesondere solche die eine „arische“ Abstammung beurkundeten“.246 Der am 27.5.1905 geborene Josef Boes wurde am 28.6.1943 von der Gestapo erkennungsdienstlich erfasst. Er wurde verdächtigt, Dokumente gefälscht zu haben. „Er hatte zwei Juden bei der versuchten Nachmachung von Abstammungsurkunden Hilfe geleistet und sich hierbei als Beamter der Geheimen Staatspolizei ausgegeben.“247 Am 10.11.1943 zum Tode verurteilt wurde er am 9.2.1943 im Landesgericht Wien hingerichtet. Auch Curt Meisel (geb. 13.2.1901), bis 1943 NSDAP Mitglied, besorgte für seine Frau gefälschte Abstammungspapiere. Im April 1942 brachte er seine Familie in die Schweiz und bereitete seine eigene Flucht vor. Am 26.10.1942 wurde Meisel jedoch in Berlin verhaftet und in weiterer Folge zur Gestapo Wien überstellt wo er am 24.4.1943 ins KZ Dachau inhaftiert wurde. Bis zur Befreiung des KZ war Meisel in Haft.248

Eine weitere Unterstützung und lebensrettende Handlung im Sinne des Widerstandes war die Hilfe zur illegalen Auswanderung. Auch hier führte Neugebauer wichtige Retter an wie beispielsweise Theresia Lichtblau. Lichtblau die am 27.9.1896 geboren wurde, wurde am 9.12.1942 wegen „Beihilfe zur illegalen Auswanderung von Juden“ verhaftet und im Februar 1943 in das KZ Ravensbrück überstellt. Lichtblau blieb bis zum 25.2.1944 in Haft. Deren Kinder Gisela, Kurt und Harry Lichtblau wurden auch festgenommen und als sogenannte „Geltungsjuden“ nach Auschwitz überstellt, wo sie alle umkamen.

244 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Shoah Opfer Datenbank, Rollig Leonore, In: https://www.doew.at/result [Abruf am 5.9.2018]. 245 vgl. NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 221. 246 NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 221. 247 Ebda. S. 221. 248 Ebda. S.221- 222. 52

Johanne Frühwirth (geb. 16.4.1889) wurde wegen „Judenschmuggels“ am 21.8.1943 erkennungsdienstlich erfasst. Am 7.12.1943 kam sie in Auschwitz um.249

Für die Jüdinnen und Juden die sich im Verborgenen oder auf der Flucht befanden war die Unterstützung mit Geld, Kleidung und Lebensmitteln ein weiterer wichtiger Faktor. Doch auch diese Hilfeleistung wurde mit KZ-Einweisung bestraft. Rosa Franziska Jung (geb. 7.6.1908) wurde am 7.8.1942 ins KZ Ravensbrück deportiert. Der Grund dafür lautete „unbefugte Zuwendung von Lebensmitteln an Arbeitserziehungshäftlinge“ und „vertraulicher Umgang mit Juden.“250 Ihr weiteres Schicksal blieb unbekannt. 251Otto Baier (geb. 30.4.1884) versorgte eine in das „Generalgouvernement“ überstelle Jüdin mit Geld und Kleidung. Wegen „judenfreundlichen Verhaltens“ wurde auch Baier am 7.8.1942 verhaftet. Gegen ihn wurde Schutzhaft und Einweisung in ein KZ beantragt.252 Auch sein Schicksal blieb unbekannt.253

Jegliche dieser genannten Hilfeleistungen waren für das Überleben jüdischer Menschen ausschlaggebend. Wie man anhand der von Wolfgang Neugebauer ausgewählten Rettern sehen konnte, wurde die Unterstützung eines Juden, sei es durch verstecken, Versorgung mit Lebensmitteln, Hilfe bei der Auswanderung oder der Besorgung gefälschter Dokumente, meistens mit dem KZ oder Tod bestraft - wenngleich bei diesen genannten Beispielen meistens die Ehefrauen im KZ umkamen und deren Männer überlebten. Manchen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern gelang es aber unentdeckt zu bleiben und dadurch mehreren Jüdinnen und Juden das Leben zu retten wie beispielsweise dem Bürgermeister von Thondorf, Friedrich Edelmann.254 Edelmann, auf den im letzten Kapitel dieser Diplomarbeit gesondert eingegangen wird, versteckte acht verfolgte Juden auf seinem Dachboden und versorgte sie, zusammen mit seiner Frau, mit Brot, Milch und Kartoffeln. Nach Kriegsende stellte der Bürgermeister Reisedokumente für diese aus, um ihnen ein sicheres Weiterkommen zu gewährleisten. Auch Josefa Posch, eine Lebensretterin aus der Steiermark, versteckte mit ihrem Vater Rupert Posch fünf Juden, denen der sichere Tod drohte. Sie versorgte sie mit Lebensmitteln und obwohl die Wehrmacht nur wenige hundert Meter vom

249 vgl. NEUGEBAUER; Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 222: 250 Ebda. S. 222. 251 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Shoah Opfer Datenbank, Jung Rosa Franziska, In: https://www.doew.at/result [Abruf am 5.9.2018]. 252 vgl. NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 222-223. 253 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Shoah Opfer Datenbank, Baier Otto, In: https://www.doew.at/result [Abruf am 5.9.2018]. 254 vgl. BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten, in: Daniel FRAENKEL/ Jakob BORUT (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern. Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 307. 53

Haus entfernt, im Schloss Uhlheim, einquartiert war, bemerkte niemand diese Juden. Auch Posch wurde am 10. November 2011, gemeinsam mit ihrem Vater, der Titel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen.255

„Aber Widerstand liegt eben nicht nur vor, wenn derjenige, der ihn geleistet hat, zu Schaden gekommen ist und deshalb die Krone des Märtyrers aufgesetzt oder, wie ich, einen Opferausweis bekommen hat. Widerstand - deswegen ist er so schwer zu quantifizieren - musste geheim, so unauffällig wie irgend möglich, mit so wenig Mitwissern wie möglich, geleistet werden, wenn er nicht mit dem Leben bezahlt werden sollte.“256

Mit diesem Zitat von Ella Lingens, wird die Schwere des Widerstandleistens treffend beschrieben. Widerstand musste geheim erfolgen. Doch leider blieb er nicht immer unentdeckt und Menschen mussten mit ihrem Leben bezahlen. Jene, die erwischt und in einem KZ ermordet wurden, gelten als große Helden. Doch leider gab es noch viel mehr Menschen, die ihr Leben riskierten und von deren Geschichten man nie etwas erfahren wird, weil die erforderliche Quellenlage nicht vorhanden ist. Viele Menschen wagten es auch nach Kriegsende nicht ihre heldenhaften Taten jemanden anzuvertrauen, da in vielen Gebieten Österreichs der Antisemitismus trotzdem noch immer verbreitet war.257

Im Allgemeinen waren mehr Frauen an Rettungsaktionen beteiligt als Männer bzw. leisteten mehr Frauen Rettungswiderstand als Männer. Dies ist jedoch darauf zurückzuführen, dass die Männer zu dieser Zeit zum Wehrdienst eingezogen wurden und nur selten zuhause waren.258 Frauen haben im Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Österreich eine wichtige Rolle gespielt. Genaue Zahlen können nicht genannt werden, da die Zahlen vom jeweiligen Widerstandsbegriff abhängig waren.

255 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015,S.147-151. 256 LINGES Ella, Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Peter Michael Lingens, Wien/Frankfurt Main 2003, S. 57. 257 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 148. 258 vgl. UNGAR-KLEIN Brigitte, Überleben im Versteck. Das Schicksal jüdischer U-Boote und deren Helferinnen und Helfer, in: Christine KANZLER/ Ilse KOROTIN/ Karin NUSKO (Hg.), „...den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben...“, Österreichische Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Wien 2015, S. 300. (im Folgenden zitiert als: UNGAR-KLEIN, Überleben im Versteckt, 2015, S.xy). 54

Ein Großteil der Quellen, die den Historikern zur Verfügung stehen sind Gestapoberichte oder Gerichtsakten und betreffen jene Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, die den Nationalsozialisten in die Hände gelaufen sind.259 Frauen die Widerstand leisteten, fanden im Allgemeinen erst spät Eingang in die zeithistorische Forschung. Laut Kanzler und Nusko, ist dies auf die männlich dominierte Geschichtsforschung zurückzuführen. Der Widerstand wurde nur anerkannt, wenn er politisch oder militärisch ausgerichtet war. Kanzler und Nusko hielten fest: „Innerhalb einer solchen hierarchischen Sichtweise mussten viele weniger spektakuläre Formen des Widerstandes zwangsläufig minder bewertet werden und wurden von vornherein aus der Forschung ausgeklammert.“260 Hiermit sind Widerstandshandlungen gemeint die aus rein persönlichen Gründen erfolgten. Die Historikern Andrea Strutz verwies auf das Opferfürsorgegesetz261 vom 4.Juli 1947, in dem festgelegt wurde, dass nur politischer Widerstand anerkannt wird.262

„Als Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen anzusehen, die um ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich, insbesondere gegen Ideen und Ziele des Nationalsozialismus mit der Waffe in der Hand gekämpft oder sich rückhaltlos in Wort und Tat eingesetzt haben und hierfür in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai1945 [...] e) nachweisbar aus politischen Gründen mindestens ein Jahr, sofern die Haft mit besonders schweren körperlichen oder seelischen Leiden verbunden war, mindestens sechs Monate, in Haft war“.263

Als Opfer kann also nur eine Person gewertet werden, die mit der „Waffe in der Hand“ gegen die Ziele des Nationalsozialismus gekämpft hat und dafür hart bestraft wurde. Wie aber Ella

259 vgl. KANZLER/NUSKO, Humanität als Widerstand, 2011, S. 53. 260 KANZLER/NUSKO, Humanität als Widerstand, 2011, S. 54. 261 Das OFG (Opferfürsorgegesetz) war dafür zuständig Opfern des NS-Regimes Fürsorgemaßnahmen, wie Vergünstigungen bzw. Renten als Entschädigung zukommen zu lassen. 262 STRUTZ Andrea, Steirische Widerstandskämpferinnen und ihre Erfahrungen in der Opferfürsorge, in: Christine KANZLER/ Ilse KOROTIN/ Karin NUSKO(Hg.), „...den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben...“ Österreichische Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Wien 2015, S. 279. Im Folgenden zitiert als: STRUTZ, Steirische Widerstandskämpferinnen, 2015. 263 Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung (Opferfürsorgegesetz), BGBI 183/1947, 4.7. 1947. In: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1947_183_0/1947_183_0.pdf [Abruf am 18.02.2019]. 55

Lingens bereits erklärte, war es nicht nur Widerstand, wenn jemand der ihn gleistet hat auch wirklich „zu Schaden gekommen ist“. Im Opferfürsorgegesetzt wurde aber gerade dies festgesetzt. Andere Widerstandsformen gegen den Nationalsozialismus wurden kaum bis gar nicht als Widerstandshandlung gewertet, obwohl diese ebenso hart bestraft wurden.264 Die oben genannten Beispiele zeigen, dass ein Widerstand aus „rein persönlichen“ Gründen ebenfalls mit Haft, KZ oder mit dem Tod bestraft wurde. Trotzdem musste ein politisches Motiv vorliegen. Strutz erwähnt auch den Opferfürsorgeerlass von 1948 in dem darauf verwiesen wird, dass „einer anspruchsbegründeten Tat auch ein glaubwürdiges ‚politisches Motiv‘ zugrunde liegen müsse.“265 Hilfeleistungen für Juden, die aus „Gründen freundschaftlicher oder verwandtschaftlicher Verbundenheit“266 erfolgten, wurden bis zur Mitte der 1960er Jahre meistens abgelehnt. Abgelehnt wurden sie auch dann, wenn diese Form der Unterstützung eine Verurteilung oder Verfolgung durch die NS-Behörden bewirkte.267

„In der Beurteilung der Anträge auf Anerkennung durch die Opferfürsorgebehörden wog demnach die Motivation, die zu Widerstandshandlungen bzw. oppositionellen Verhalten führte, wesentlich schwerer als das Faktum, Widerstand geleistet zu haben bzw. als die Folgen der Verfolgung durch das NS-Regime (z.B. Inhaftierung, Verurteilung etc.)“268

Das OFG wurde im Laufe der Jahre mehrmals überarbeitet. Durch die zahlreichen Novellen wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert. In der 7. Novelle von 1952 wurde neben der Fürsorge auch eine Haftentschädigung pro Monat gewährt und in der 12. Novelle kam es zu einer Erweiterung anspruchsberechtigter Personen.269 Die erzwungene Emigration aus Österreich wurde erst 1969 als anspruchsbegründete Schädigung anerkannt und für die sogenannten U-Boote gab es erst 1972 Entschädigungen.270

264 vgl. STRUTZ, Steirische Widerstandskämpferinnen, 2015, S. 279. 265 STRUTZ, Steierische Widerstandskämpferinnen, 2015, S. 279. 266 Ebda. S.279. 267 Ebda. S. 279-280. 268 Ebda. S. 280. 269 Demokratiezentrum Wien, Opferfürsorgegesetz (OFG), In: http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=1101 [Abruf am 19.09.2018]. 270 vgl. STRUTZ, Steirische Widerstandskämpferinnen, 2015,S. 280. 56

Wenngleich zu Beginn der Widerstandsforschung nur jenen Menschen anspruchsbegründete Entschädigung sowie Anerkennung zugesprochen wurde, die Widerstand mit einem politischen Motiv bzw. mit der Waffe in der Hand leisteten, so kam im Laufe der Jahre auch dem Rettungswiderstand immer mehr Bedeutung zu. Der Begriff „Rettungswiderstand“ wurde von dem Historiker und Schriftsteller Arno Lustiger geprägt. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat eine Einteilung hinsichtlich der unterschiedlichen Widerstandsbereiche vorgenommen und so wurde der Terminus „Rettungswiderstand“ in die Kategorie „Individueller Widerstand“ bzw. „Widerstand von Einzelnen“ eingegliedert. Dieser Begriff distanziert sich vom politischen Widerstand, weil er aus rein persönlichen Gründen hervorging und eben nicht politische organisiert war. Obwohl diese Art der Widerstandshaltung von vielen Einzelpersonen ausging, so waren trotzdem mehrere Personen, meist Familienmitglieder, in die Geheimhaltung involviert. Das zeigt sich zum Beispiel beim Verstecken sogenannter U-Boote. Bei der Unterbringung und Versorgung dieser Menschen, die in den Untergrund abtauchten, waren meist mehrere Personen beteiligt.271

Die Helferinnen und Helfer waren aus fast allen sozialen Schichten vertreten, wobei die meisten Personen aus der nicht privilegierten Gesellschaftsschicht waren. Die unterschiedlichen Unterstützungen reichten, wie schon genannt, von Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung über Gewährung von Unterschlupf bis hin zur Besorgung von gefälschten Dokumenten sowie Fluchthilfe.272 Eine Frage die sich immer wieder aufdrängt ist, wieso Menschen, die wussten, dass sie mit ihrem Leben bezahlen könnten, trotzdem Rettungswiderstand leisteten? Was waren deren Beweggründe? Im nachfolgenden Kapitel werden diese Gründe und Schwierigkeiten näher beschrieben.

3.3 Gefahren, Schwierigkeiten und Beweggründe Rettungswiderstand für rassistisch Verfolgte wurde von Land zu Land unterschiedlich bestraft. Jakob Borut beschäftigte sich, neben den österreichischen Gerechten unter den Völkern, auch mit den Gefahren und Schwierigkeiten denen Helferinnen und Helfer ausgesetzt waren. In Polen sah die Strafe für das Verstecken eines Juden beispielsweise anders aus wie in Österreich. Wurde man in Polen beim Versuch einen Juden zu verstecken erwischt, wurde die gesamte Familie hingerichtet. Borut verwies an dieser Stelle an die beiden Österreicher Oswald Bosko,

271 vgl. KANZLER/NUSKO, Humanität als Widertand, 2011, S. 56. 272 Ebda. S. 56. 57

ein Polizist der in Krakau seinen Dienst verrichtete und , ein Soldat der in Wilna eingesetzt war.273 Bosko war für seine faire Behandlung von Juden bekannt. Er ließ sogar die Flucht von Juden zu. Ein Freund von Bosko war der Leiter einer Textilfabrik in der Nähe des Ghettos, Julius Madritsch. Die Arbeiter wurden nach jedem Schichtwechsel gezählt. Bosko und auch andere Wiener Polizisten, ignorierten aber die Tatsache, dass Arbeiter fehlten, was bedeutete, dass diese flüchten konnten. Ein weiterer großer Rettungsakt war es, als Madritsch erfuhr, dass alle Kinder des Ghettos deportiert werden sollten. Gemeinsam mit Bosko beschloss er die Kinder zu retten, indem er sie, gemeinsam mit ihren Müttern, in der Nacht durch Löcher im Ghettozaun in Madritschs Fabrik schmuggelte. Die kleinsten Kinder bekamen sogar Schlafmittel, damit sie in Säcken transportiert werden konnten um nicht entdeckt zu werden. Die Familien konnten später nach Tarnow weiterfliehen. Jene Kinder die nicht aus dem Ghetto gebracht werden konnten, wurden zwei Tage nach dieser Aktion entweder nach Auschwitz deportiert oder gleich erschossen. 274 Auch Anton Schmid half den Juden im Wilnaer Ghetto, indem er in seinem Büro Juden mit gefälschten Papieren einstellte. Außerdem erlaubte er ihnen Lebensmittel ins Ghetto zu schmuggeln. Damit die Lebensmittel nicht von den Wachen konfisziert werden konnten, begleitete er die Juden sogar bis in Ghetto. Ein weiterer Rettungsakt war die Hilfe die er Juden anbot aus Wilna in andere polnische Städte zu fliehen. Schmid selbst benutze Militärlastwägen um Juden an sichere Orte, wie Bialystok und Woronowo, zu bringen. Dort gab es viele Fabriken wo Juden Arbeit finden konnten. Zu Beginn wurden nur fünf oder sechs Juden pro Lastwagen verschickt. Später erhöhte sich diese Zahl auf zwanzig bis dreißig. Schmid ging sogar selbst ins Ghetto und holte Juden heraus denen, die Deportation drohte. Im Januar 1942 wurde Schmid gefasst und am 13. April 1942 erschossen.275

Es muss erwähnt werden, dass es österreichische Staatsangehörige gab, die an anderen Orten in Osteuropa Rettungswiderstand leisteten, indem sie Jüdinnen und Juden halfen, und dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten. Borut nannte als Beispiel die Wienerin Marianne Golz- Goldlust.276 Golz-Goldlust, eine Schauspielerin und Opernsängerin, übersiedelte von Wien nach Berlin, wo sie ihren Mann, einen jüdischen Journalisten und Literaturredakteur, kennenlernte.

273 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005,43. 274 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 302. 275 Ebda. S.356-358. 276 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 43. 58

Nach der Machtergreifung der Nazis zog das Paar von Berlin nach Prag. Dort lernte sie Ottokar Zapotecky kennen, der ein Fluchthilfenetz für Prager Juden leitete. Golz-Goldlust engagierte sich und verhalf ihrem jüdischen Freund, dem gebürtigen Wiener Viktor Kühnel, zur Flucht. Als im November 1942 der Ring Zapotecky aufflog, wurden alle Beteiligten, darunter auch Marianne Golz-Goldlust, verhaftet und zehn von ihnen zum Tode verurteilt. Golz-Goldlust wurde am 8. Oktober 1943 im Gefängnis hingerichtet. 277

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Strafe für das Verstecken von Jüdinnen und Juden nicht gesetzlich geregelt, was bedeutete, dass die Bestrafung ein unterschiedliches Ausmaß annahm. Das Ärztepaar Kurt und Ella Lingens wurde erwischt Juden zu retten, indem sie diese zur Flucht von Österreich nach Ungarn halfen. Während Kurt Lingens mit einer Strafeinheit an die russische Front geschickt wurde, kam seine Gattin Ella nach Auschwitz, wo sie überlebte. Im Falle Österreichs und Westeuropa hat Borut die Formulierung verwendet, „dass die Judenretter sich gefährdeten, weil sie ein Verbrechen begingen, dass Deportation in ein Konzentrationslager und sogar den Tod hätte zur Folge haben können“278 Für Osteuropa schrieb er hingegen, „dass sie ihr Leben riskierten, weil sie eine Tat begingen, auf die die Todesstrafe stand.“279

Obwohl die Konsequenzen für das „Helfen eines Juden“ nicht im Gesetzt wörtlich verankert wurden, wusste man, dass Beziehungen zu Juden sehr gefährlich waren. Die Mehrheit der in Österreich lebenden Jüdinnen und Juden wurde von ihren Mitmenschen ignoriert, weil sie Angst vor den Folgen hatten die das NS-Regime für sogenannte „Judenfreunde“ vorsah. Aus diesem Grund wurde von vielen der Kontakt zu ihren jüdischen Mitmenschen, die vorher als Freunde galten, eingestellt. Diejenigen die dennoch im Verborgenen halfen wussten, dass dies äußerst gefährlich war. Borut nannte Edeltrud Becher (später Posiles) als Beispiel, die immer eine Giftkapsel mit sich trug. Neben dem Risiko, dass die Behörden auf einem Aufmerksam werden, hatten die Judenretter aber noch mit anderen Schwierigkeiten und Gefahren zu kämpfen. Trotz des hohen Risikos weigerten sich diese Menschen aber ihre jüdischen Mitmenschen im Stich zu lassen. Auch während der Luftangriffe im Jahr 1944 auf Wien, nahmen sie die Jüdinnen und Juden mit in die Luftschutzkeller, was eine ungeheure Gefahr mit sich brachte. Die Retter haben, um jeden Verdacht entgegenzuhalten, Geschichten erfunden, um die wahren Identitäten zu vertuschen. Bei einem Luftangriff auf die Straße zu gehen war

277 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 312-314. 278 BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 43. 279 Ebda. S. 43. 59

dennoch ein gewagtes Unterfangen, was sich am Beispiel Maria Fasching erkennen lässt, die kurz vor der Befreiung auf der Straße umkam.280 Eine andere Dame, mit dem gleichen Namen, versteckte gemeinsam mit ihren Kindern, Fitz und Mitzi, eine Gruppe von Kundschaftern der Roten Armee, die per Fallschirm am 23. März 1945 auf österreichischem Boden abgesetzt wurden. Die jüdische Nachrichten-Offizierin Maria Sabeschinsky war eine von diesen. Sabeschinsky verletzte sich jedoch bei der Landung ihr Bein, was bedeutete, dass die Gruppe nur sehr langsam vorankam. Durch die Entdeckungsgefahr konnten sie auch nie ein Feuer anzünden. Am 17. April erreichte die Gruppe ein Dorf namens Lahnsattel. Sabeschinsky konnte Deutsch sprechen und aus diesem Grund wurde sie ausgewählt um in einem der Häuser, die sich am Dorfrand befanden, um Hilfe zu suchen. Das Haus an das Sabeschinsky klopfe war jenes von Maria Fasching. Fasching nahm die russische Gruppe auf, versteckte sie auf ihrem Dachboden und gab ihnen etwas zu essen. Bereits am nächsten Tag kam Fasching durch einen Nachbarn die Information zu, dass demnächst SS-Truppen in das Dorf kommen um nach russischen Spionen zu suchen. Während sich die anderen Mitglieder der russischen Gruppe sofort auf den Weg machten, blieb Sabeschinsky, aufgrund ihres gebrochenen Beines, weiterhin bei Maria Fasching. Fasching wusste über die jüdische Abstammung Bescheid und dennoch versorgte sie Sabeschinskys Bein, gab ihr Essen und warme Kleidung. Es dauerte nicht lange und die SS- Einheiten klopften auch an Maria Faschings Tür. Zum guten Glück wurde das Haus aber nicht durchsucht und so gelang es Maria Sabeschinsky bis zum 8. Mai 1945 in ihrem Versteck zu überleben.281

Aufgrund der genannten Geschichten, kann man die Beweggründe und Motivation der Menschen besser verstehen. Meistens war es ein Angehöriger, den man vor dem Tod retten wollte. Aber auch völlig fremden Menschen wurde geholfen, da man das Leid nicht mit ansehen konnte. Es war eine Entscheidung die aus dem „Bauch“ heraus getroffen wurde. Eine Entscheidung bei der man nicht die Vor- und Nachteile abwog. Die Menschlichkeit stand im Vordergrund. Selbst nach dem Krieg schwiegen sehr viele über ihre Taten. Sie sahen sich nicht als Helden, sondern „als ganz normale Menschen, die aus der Vorstellung heraus handelten, etwas Selbstverständliches und moralisch Gebotenes zu tun.“282 Für Arno Lustiger sind es

280Ebda. S. 43-44. 281 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.310-311. 282 vgl. WETTE, Vorwort, 2011, S.16. 60

trotzdem Helden. Er nennt sie „Helden des Rettungswiderstandes“283. Die Definition „Held“, die schon seit mehreren hundert Jahren existiert, bestätigt die Richtigkeit dieses Ausdrucks mit dem die Judenretter bezeichnet werden.284

„Seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden, wird als Held bezeichnet, wer sich unter Einsatz des eigenen Lebens oder der eigenen Unversehrtheit für den Schutz von bedrohten Mitmenschen einsetzt. Genau das taten die Helfer und Retter von Juden und anderen Verfolgten in der NS-Zeit. Nicht als Träger einer staatlichen verordneten Rolle, sondern als eigenständige, selbstverantwortliche Individuen entschieden sie sich in der Stunde der Herausforderung mutig und ihrem Gewissen folgend zur solidarischen Hilfeleistung.“285

Im nachfolgenden Kapitel werden die Helden der damaligen Zeit mit dem Begriff „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Es folgt die Beschreibung des Begriffes „Gerechte unter den Völkern“, eine Einteilung in Gruppen sowie eine Auflistung von ausgewählten Fallbeispielen.

283 WETTE, Vorwort, 2011, S. 16. 284 Ebda. S. 16. 285 WETTE, Vorwort, 2011, S. 16. 61

4 Gerechte unter den Völkern 4.1 Zum Begriff „Gerechte unter den Völkern“ „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt“.286 Ein Sprichwort, aus dem alten hebräischen, befindet sich auf der Medaille mit der Yad Vashem Menschen ehrt, die zur Zeit des Nationalsozialismus, unter Einsatz ihres eigenen Lebens, Jüdinnen und Juden halfen und ihnen somit das Leben rettete. Diese Retter werden mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.287 Doch was bedeutet es genau, ein „Gerechter unter dem Volk“ zu sein? Wie bereits in der Einleitung erwähnt, versteht man unter diesem Begriff folgendes:

„Gerechter unter den Völkern ist ein offizieller Titel, den Yad Vashem im Auftrag des Staates Israel und des jüdischen Volkes an Nichtjuden verleiht, die während des Holocaust ihr Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten. Der Titel wird von einer Sonderkommission unter Leitung eines Richters am Obersten Gerichtshof gemäß einer Reihe von klar definierten Kriterien und Regeln vergeben.“288

Des Weiteren lässt sich auf der Homepage von Yad Vashem eine genauere Begriffsdefinition finden, woher sich der Titel „Gerechte unter den Völkern“ ableiten lässt bzw. was er genau bedeutet:

„Der Begriff ‚Gerechte unter den Völkern‘ (Chassidei Umot HaOlam) stammt aus der jüdischen Tradition, aus den Schriften der Weisen. Es gibt eine Reihe von Definitionen für den Begriff, wie z.B. ,Nichtjuden‘, die Juden in Zeiten der Gefahr zur Seite standen. Anderswo wird er benutzt, um Nichtjuden zu beschreiben, welche die 7 Noachidischen Gebote einhalten, einschließlich des Verbots des Blutvergießens. Die Gesetzgeber nahmen den bestehenden Begriff und gaben ihm eine neue Bedeutung. Das Yad Vashem-Gesetz geht so weit, unter Gerechten unter den Völkern diejenigen Menschen

286 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 145. 287 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 145. 288 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 18.02.2019]. 62

zu verstehen, die nicht nur Juden retteten, sondern ihr Leben aufs Spiel setzten, um es zu tun. Dies wurde zum grundlegenden Kriterium für die Verleihung des Titels.“289

Männer und Frauen, die mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet wurden, erhielten neben der Medaille auch eine Ehrenurkunde. Auf der Medaille als auch auf der Urkunde befand sich der Name des jeweiligen Judenretters.290 Zu Beginn der Ehrungen, haben die „Gerechten“ bei ihrem Aufenthalt in Israel in der Allee der „Gerechten unter den Völkern“ Bäume gepflanzt. Im Laufe der Zeit wurden zu Ehren der Gerechten weitere tausende Bäume gepflanzt. Nachdem der Gedenkhügel (Har HaZikaron) bereits vollständig bepflanzt war, beschloss man einen Garten auf dem Gelände von Yad Vashem zu gestalten. „In einer hier errichteten Mauer werden Ehrentafeln eingelassen, auf denen die Namen aller Retter nach Ländern geordnet verzeichnet sind.“291 Durch das Yad Vashem Gesetz wird Yad Vashem die Befugnis gegeben, „den Gerechten unter den Völkern im Gedenken an ihre Taten die Ehrenbürgerschaft des Staates Israel zu verleihen.“292 Dass die Namen der Judenretter verewigt werden ist kein Zufall. Yad Vashem ist ein Wort, das aus dem Buch Jesaja (Jes 56,5) stammt. Übersetzt bedeutet es: ein Denkmal und ein Name.293 Die Gedenkstätte Yad Vashem, die im Westteil der Stadt errichtet wurde, ist aber noch viel mehr.294 Es ist „eine Erinnerungs- und Lehrstätte für eine immerwährende Menschenpflicht im Umgang zwischen Völkern und Generationen.“295 Der Vorsitzende des Yad Vashem Vorstandes, Avner Shalev, schreibt, dass den nachfolgenden Generationen vermittelt werden soll, „dass Menschen trotz Brutalität und Mord, Kollaboration, Schweigen und Gleichgültigkeit anders handeln konnten und es tatsächlich auch getan haben, wenngleich es letztlich nur wenige waren.“296 Zahlenmäßig waren es nur wenige Menschen die Rettungswiderstand leisteten, so verdienen es diese Menschen, dass ihre Geschichten

289 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 13.11.2018]. 290 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 13.11.2018]. 291 BEIN Johann/ Bender Sara (Herausgeberausschuss), Zur Einführung, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 17. 292 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 13.11.2018]. 293 KEIM Anton Maria, Yad Vashem. Die Judenretter aus Deutschland, München 1983, S. 7. 294 KEIN, Vad Vashem, 1983, S. 8. 295 KEIM, Yad Vashem, 1983, S. 7. 296 SHALEV Avner, Vorwort, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 8. 63

weitergegeben werden. Die Einstellung das richtige zu tun, „kann als nachahmungswürdiges Modell dienen, das jungen Menschen hilft, eine Gesellschaft auf der Grundlage humaner Werte und eines Strebens nach dem Guten aufzubauen.“297 Der Herausgeberausschuss des Buches „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“ vermerkt zudem noch folgendes:

„Die Rettungsaktionen stellen ein wichtiges Kapitel der kollektiven Erinnerung an jene schreckliche Zeit dar, als die europäische Zivilisation in einer beispiellosen Finsternis versank. Sie sind Symbole und verkörpern zugleich wichtige Lehren für die Zukunft. Mit ihren Bemühungen halfen die Retter, die noblen Ziele des Kampfes gegen Nazi- Deutschland umzusetzen. Ihnen gebührt unsere unendliche Dankbarkeit und Anerkennung.“298

Wie viele Menschen wirklich an Rettungsaktionen beteiligt waren wird wohl nie in Erfahrung gebracht werden. Nach dem Krieg verstreuten sich die überlebenden Jüdinnen und Juden in alle Welt. Vielen Jüdinnen und Juden, denen geholfen wurde, verstarben noch während des Krieges, sodass niemand über die Geschichten der Rettungsaktionen berichten konnte. Andere wiederum haben Yad Vashem nie kontaktiert. Aufgrund der mangelnden Informationen konnten auch die Retter nicht geehrt werden.299

Den Titel „Gerechte unter den Völkern“ zu erhalten ist an bestimmte Kriterien gebunden, was eine Vergabe nicht so einfach macht.

4.2 Wie wird man zum Gerechten? Entscheidend für die Auszeichnung ist, dass die Rettung unter Einsatz des eigenen Lebens stattgefunden hat. Neben den von Yad Vashem im Auftrag vom Staat Israel geehrten Männern und Frauen, gab es noch andere Menschen die Jüdinnen und Juden halfen. Diese Hilfe reichte, sowie bei den anerkannten Rettern, von Ausgaben von Lebensmitteln bis hin zum Verstecken

297 SHALEV, Vorwort, 2005, S. 8. 298BEIN Johann/ BENDER Sara (Herausgeberausschuss), Zur Einführung, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 15. 299 vgl. BEIN/BENDER, Zur Einführung, 2005, S. 17. 64

jüdischer U-Boote. Verschriftlicht wurden die Taten nicht. Die Zeugnisse sind meist durch Erzählungen oder durch Briefe der damals Beteiligten dokumentiert.300 Hatte man keinen Beweis, dass man Jüdinnen und Juden vor dem Tod gerettet hat, so wurde und wird man auch nicht mit dem Titel ausgezeichnet. Yad Vashem stellt grundlegende Bedingungen für die Zuerkennung des Titels „Gerechte unter den Völkern“. Diese lauten:

1. „Aktive Beteiligung des Retters an der Rettung von einem oder mehreren Juden vor der Bedrohung durch Tod oder Deportation in Todeslager. 2. Ein Risiko für das Leben, die Freiheit oder die Stellung des Retters. 3. Die Motivation muss die Absicht gewesen sein, verfolgten Juden zu helfen, ohne Bezahlung oder eine andere Gegenleistung, wie z.B. die Konversion der geretteten Person, die Adoption eines Kindes u. dgl. 4. Das Vorhandensein von Zeugenaussagen derer, denen geholfen wurde, oder zumindest zweifelsfreie Dokumentation, die die Art der Rettung und ihre Begleitumstände nachweist.“301

Yad Vashem unterstreicht klar und deutlich, dass die Auszeichnung nur dann erfolgen kann, wenn jemand aktiv sein Leben riskierte um Juden vor der Ermordung zu bewahren. Es gibt einen weiteren Kreis von Menschen, die Jüdinnen und Juden unterstützten und „den Verfolgten in den dunkelsten Stunden der jüdischen Geschichte beistanden, deren Hilfe jedoch mit keinem Risiko verbunden war.“302 Obwohl die Hilfe dieser Menschen verantwortlich für das Überleben der betroffenen Jüdinnen und Juden war, kann durch das fehlende Risiko keine Auszeichnung erfolgen. Die Geschichten werden zwar dokumentiert, der Titel „Gerechter unter den Völkern“ kann allerdings nicht vergeben werden. Auch andere Kriterien sind ausschlaggebend für die Nichtvergabe des Titels. Yad Vashem nennt folgende Punkte:

300 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 145. 301 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 19.11.2018]. 302 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 19.11.2018]. 65

„Der Titel wird nicht verliehen, wenn die Motivation eine andere war als die Rettung von Juden. Solche andere Motivationen können sein: [...] 2) der Wunsch, die Geretteten zu bekehren, oder das Beschützen konvertierter Juden, weil sie als Christen betrachtet und in den Augen der Retter nicht als Juden behandelt werden sollten, 3) der Wunsch, ein jüdisches Kind zum Zweck der Adoption aufzunehmen, 4) Rettung als Resultat von Aktivität im Widerstand, deren Ziel nicht die Rettung von Juden war.“ Ein weiterer Grund, den Titel nicht zu verleihen besteht, wenn die Person die einen oder mehrere Juden gerettet hat, selbst an Mord oder Kriegsverbrechen beteiligt war oder anderen Schaden verursacht hat.“303

Ein weiterer Grund warum nicht so viele Retter bekannt sind, ist das von den Überlebenden kein Antrag gestellt wurde, da über die schmerzlichen Erinnerungen nicht gesprochen werden kann. Andere wiederum wussten nichts von dem Programm in Yad Vashem um ihre Retter ehren zu lassen.304

„Manche Retter werden für immer anonym bleiben, weil ihr Rettungsversuch entdeckt wurde, Retter wie Schützlinge ermordet wurden und niemand übrig blieb, der das Geschehene bezeugen konnte. Im Wissen darum, dass manche Fälle niemals ans Licht kommen werden, errichtete Yad Vashem auf der Allee der Gerechten ein Denkmal für alle unbekannten Retter.“305

Zu Beginn der 1960er Jahre wurde von Yad Vashem „ein unabhängiges öffentliches Komitee gegründet, das sich aus 35 Mitgliedern zusammensetzt und über die Vergabe des Titels ‚Gerechte unter den Völkern‘ entscheidet.“306 Die Mitglieder des Komitees sind oft selbst Holocaust Überlebende oder Juristen, Historiker sowie Personen des öffentlichen Lebens.

303 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 20.11.2018]. 304 Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 20.11.2018]. 305 https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 20.11.2018]. 306 BEIN/BENDER, Zur Einführung, 2005, S. 16. 66

Diesem Komitee „steht ein pensionierter Richter des Obersten Gerichtshof vor“.307 Seit 1995 übt dieses Amt Richter Jakov Maltz ehrenamtlich aus. Dem Komitee, das als übergeordnete Instanz agiert, unterstehen noch drei Unterkomitees. Die Unterkomitees werden entweder von einem Historiker oder Juristen geleitet.308

Die Zuerkennung des Titels „Gerechter unter den Völkern“, durchläuft komplexe Entscheidungsprozesse über mehrere Phasen. Wird ein Antrag gestellt, so trägt die Yad Vashem-Abteilung für „Gerechte unter den Völkern“, zunächst erste Informationen zusammen. Für jeden Antragssteller wird eine Akte angelegt und ein zuständiger Sachbearbeiter wird hinzugezogen. Dieser ist mit dem Material als auch mit der relevanten Sprache vertraut. Auch die Zeugenaussagen der Überlebenden werden vom Sachbearbeiter aufgenommen. Nachdem Informationen gesammelt wurden, entscheidet der Sachbearbeiter ob ausreichend glaubwürdige Informationen vorliegen. Wenn dies der Fall sein sollte, „so wird die Dokumentation einem der Unterkomitees vorgelegt, das auf der Grundlage der vor Jahren erarbeiteten Kriterien und juristischen Interpretationen über die Vergabe der Auszeichnung entscheidet.“309 Im Falle von Julius Madritsch, konnten überlebende Jüdinnen und Juden das Wirken von Madritsch bestätigen. Anhand von zahlreichen Briefwechseln, die im Fallbeispiel Madritsch angeführt werden, zwischen den Geretteten und der Yad Vashem Gedenkstätte hat das Komitee über die Vergabe des Titels entschieden. Madritsch wiederum konnte zusammen mit dem Krakauer Apotheker die Einsatzbereitschaft des Wiener Polizisten Oswald Bouska bezeugen. Oswald Bouska war einer dieser „Gerechten“ der in die erste Gruppe zugeordnet wurde. Die Einteilung der Gruppen stammt von Jakob Borut und wird im nachfolgenden Kapitel 4.3 erläutert.

4.3 Gruppen von Gerechten Jakob Borut unternimmt eine Gliederung indem er drei Gruppen von Gerechten definiert. Zur ersten Gruppen gehören demnach Menschen, „die in oder in der Nähe von Ghettos außerhalb Österreichs, in Arbeits- und Konzentrationslager tätig wurden.“310 Hierbei handelt es sich um Menschen, die ihre Position oder ihr Amt ausnutzten um Juden zu helfen. Unter diese Kategorie

307 Ebda. S.16. 308 Ebda. S.16. 309 Ebda. S. 16. 310 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 38. 67

fallen unter anderem Oswald Bosko, Julius Madritsch und Anton Schmid. Die erste Gruppe wird in zwei kleinere Gruppen unterteilt. Die Einteilung in Gruppen erfolgte demnach ob sie „in der Nähe von Ghettos oder Arbeitslagern als Experten oder Leiter von Fabriken tätig waren, die den jüdischen Eigentümern abgenommen worden waren“311 - Für diese Untergruppe wurde Julius Madritsch bereits als Bespiel genannt - oder ob es sich um „Inhaber offizieller Ämter (der Polizist Oswald Bosko und der Wehrmachtsangehörige Anton Schmid) und österreichische politische Häftlinge in Konzentrationslagern“312 gehandelt hat. Trotz der unterschiedlichen Stellung bestehen, laut Borut, „Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Gruppen, die es rechtfertigen, sie in der gleichen Kategorie aufzuzählen.“313 Wenngleich die Retter ihre Ämter und die dementsprechenden Positionen ausnutzten um Juden zu helfen, so war es dennoch illegal und ein echtes Risiko. Bei diesen Männern handelte es sich um Menschen, die weit weg von zuhause - deren Familien waren in der Heimat geblieben - fremden Personen halfen und ihnen so das Leben retteten.314

Die zweite Gruppe umfasste jene Personen, die vor allem in den Städten tätig waren und Juden bei sich versteckten.315 Borut nennt als klassisches Modell für diese Gruppe ein Wiener Ehepaar oder eine Frau, die Juden, meist aus dem Bekanntenkreis, bei sich versteckten, weil diese einen Befehl zur Deportation erhalten hatten. Vor allem im Jahr 1942, als die meisten Wiener Juden aus Österreich deportiert wurden, begann dieser Akt der Rettung.316 Als Beispiel für diese Gruppe wurden Ella und ihr Mann Kurt Lingens angeführt. Menschen, die der zweiten Gruppe angehörten, hatten mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie gingen meist das Risiko ein, dass einer der Nachbarn den versteckten Juden in ihren Häusern oder Wohnungen entdeckte. In Wien gab es in jedem Häuserblock einen Blockleiter, dessen Aufgabe es war verdächtige Personen zu melden. Ein weiteres Problem war die Enge in den Wohnungen. Viele Wohnungen waren sehr klein und die Helferinnen und Helfer mussten meist auf ein eigenes Zimmer verzichten. Neben dem Platzproblem gab es dann auch noch die Not der Lebensmittelrationierung. Es wurden Lebensmittelkarten ausgegeben und mehr gab es nicht. Auf dem Schwarzmarkt konnte man, wenn man es sich leisten konnte, zusätzlich Lebensmittel kaufen, die aber sehr teuer waren. Oft war es aber so, dass die Retter auf einen Teil ihres Essens,

311 BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 38. 312 Ebda. S. 38. 313 Ebda. S. 38. 314 Ebda. S. 38. 315 Ebda. S. 39, S. 44. 316 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 38. 68

das ohnehin nicht ausreichte, verzichten mussten.317 Typisch für diese Gruppe war auch, dass im Umkreis dieser Retter weitere Personen beteiligt waren. Diese halfen bei der Beschaffung von Nahrung, von Dokumenten und von Verstecken.318 Edeltrud Posiles versteckte beispielsweise Walter Posiles, ihren späteren Ehemann den sie zu diesem Zeitpunkt aufgrund der „Nürnberger Rassegesetze“ nicht heiraten durfte319 und seine beiden Brüder. Um Posiles bildete sich ein Netz von insgesamt sieben Personen, die ebenfalls als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet wurden. Borut verweist an dieser Stelle auf den enormen Unterschied zur ersten Gruppe, wo nur ein Mensch für die Rettung mehrerer Juden verantwortlich war. Um auf die Beweggründe einzugehen, so ist anzumerken, dass in diese Kategorie jene Menschen fielen, die meist ein persönliches Verhältnis zu ihren jüdischen Mitmenschen hatten und diese Beziehung eng genug war um ein so gefährliches Risiko auf sich zu nehmen. Viele dieser Geretteten hatten überhaupt keinen Bezug zum Judentum, hatten Nichtjuden geheiratet und führten ein Leben außerhalb der jüdischen Welt. Trotzdem wurden sie durch die „Nürnberger Rassegesetze“ plötzlich als Juden definiert.320

Die dritte Gruppe hatte es etwas leichter, da deren Häuser relativ groß waren. Dadurch, dass es sich hierbei um Menschen handelte die auf dem Land oder in Kleinstädten wohnten, war meist auch ein Schuppen, ein Kuhstall oder aber eine Scheune vorhanden, in der man Juden etwas leichter verstecken konnte als in einer winzig kleinen Wohnung. Gefahren gab es aber dennoch. Der Nachteil bestand wiederum darin, dass die Front immer näher rückte und aus diesem Grund dementsprechend viel Militär an den Wohnorten der Retter eingesetzt wurde. Eine weitere Gefahr waren die einheimischen Nazis und die Angehörigen der Hitlerjugend, die bei den Todesmärschen die Juden bewachen mussten. Auch in einem Dorf war es nicht leicht Juden zu verstecken, da auch hier jedes noch so kleine ungewöhnliche Verhalten sofort auffiel.321

Borut beschrieb zwei Berührungspunkte die zwischen Juden und der österreichischen Bevölkerung stattgefunden haben. Zum einen gab es die Zwangsarbeiter, die in Kleinstädten eingesetzt wurden und minimale Nahrungsmittelrationen erhielten. Weil die Lebensmittel nicht ausreichten wandten sich die Arbeiter an Passanten und somit kam es zum Kontakt zwischen Juden und jenen Österreichern die diese mit Essen versorgten. Als den betroffenen Juden die

317 Ebda. S. 44. 318 Ebda. S. 38. 319 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.348. 320 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 38-39. 321 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, 2005, S. 44. 69

Deportation drohte, waren viele dieser Helfer auch bereit diese bei sich aufzunehmen und zu verstecken.322

Zum anderen ergab sich ein Berührungspunkt bei den Todesmärschen. Diese fanden meist nach der Räumung der Arbeitslager statt. Hier gelang es Juden zu fliehen und Zuflucht bei Einwohnern zu finden die bereit waren sie zu verstecken. Zu diesen Rettern zählten meist Einwohner von Kleinstädten und Dörfern, also jenen Gegenden, durch die die Todesmärsche führten. Auch hier verwies Borut wieder auf den Unterschied zwischen Gruppe zwei und Gruppe drei. Kannten die Retter der zweiten Gruppe die Juden von früher oder handelte es sich sogar um Familienmitglieder, so waren den Rettern aus der dritten Gruppe die Juden, die sie bei sich aufnahmen, völlig unbekannt.323

Eine genaue Definition über die Beweggründe ist schwer zu formulieren. Anhand der zahlreichen Beispiele und der von Borut vorgenommenen Gliederung in drei unterschiedliche Gruppen kann man sich allerdings ein eigenes Bild zurechtrücken. Ein Motiv lässt sich bei allen Gruppen immer wieder finden, nämlich die „reine Herzensgüte“. Bei diesen genannten Beispielen steht nichts anderes im Vordergrund, als den jüdischen Menschen zu helfen bzw. diese zu retten. Sei es als jemand der sich in einer dementsprechenden Position befand und somit die „Gelegenheit“ hatte Juden zu helfen, oder als jemand der mit den Opfern eng befreundet war, ein Verwandtschaftsverhältnis vorlag. Die dritte Möglichkeit war jemand der mit den hilfesuchenden Juden vorher überhaupt keinen Kontakt hatte und diese gar nicht kannte. Die Historikerin Brigitte Ungar-Klein hält fest, dass sich die Retter im Augenblick der Entscheidung gar nicht über die Konsequenzen bewusst waren. Es war eine eher impulsive Entscheidung. Erst später musste man sich einen Plan für das Überleben zurechtlegen. Ungar- Klein sprach auch den Optimismus an, den die Retter nie aufgeben wollten. Dieser Optimismus war demnach die Triebfeder, die für das Überleben von zentraler Bedeutung war.324 Für viele war es schwer zu verstehen, vor allem bei denen ein Verwandtschaftsverhältnis vorlag, warum der Mensch, an dem sich nichts verändert hat, plötzlich nicht mehr als Mensch, sondern als

322 Ebda. S. 39. 323 Ebda. S.39. 324 vgl. UNGAR-KLEIN Brigitte, Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin. Das Schicksal jüdischer „U-Boote“ und ihre HelferInnen, in: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien, 205. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. 21.September - 19. November 1995, Wien 1995, S.88.

70

Ausgestoßener behandelt und verfolgt wurde. Ungar-Klein nannte als Beispiel Charlotte Becher,325 die den Geliebten ihrer Schwester, Walter und dessen Brüder, in der Atelierwohnung ihres Bräutigams, der eingerückt war, versteckt hielt. Für Becher war es kein Thema Hilfe zu leisten.

„Es ging mir nicht um den politischen Hintergrund, sondern um das rein Menschliche. Es ging mir nicht in meinen Kopf hinein, warum Walter, nur weil er eine andere Religion hatte - oder besser einer Religionsgemeinschaft zugeordnet wurde, plötzlich nicht mehr als Mensch gelten sollte. Das war es in der Hauptsache, was mich gestört hat, einfach das Wort Rasse, als ob Walter ein Hund oder eine Katze wäre.“326

Charlotte Becher, die nach der Kategorisierung von Borut der zweiten Gruppe zuzuordnen war, hat aus Liebe zu ihrer Schwester drei Männern das Leben gerettet - Walter, der Geliebte ihrer Schwester und zwei seiner Brüder. Alle drei Männer wurden in der Atelierwohnung ihres Bräutigams, nachdem sie von Ungarn nach Wien geholt wurden, versteckt gehalten und konnten so überleben. Für Becher war diese Tat eine Selbstverständlichkeit, jedoch erwähnte sie schon das große Risiko erwischt zu werden. Alles war streng geheim, nicht einmal ihr Mann wusste über die „versteckten Juden“ bescheid. Selbst als er eines Tages für einen Besuch nach Hause kam und zu seiner Atelierwohnung wollte, gelang es Becher vor ihm dort zu sein und alle im Zimmer ihrer Schwester, dass sie offiziell von ihrem Schwager gemietet hatte, zu verstecken. 327

„Welcher Mensch hat schon die Chance, anderen das Leben zu retten? Ich habe das Glück und die Möglichkeit gehabt. [...] Es war nicht die Zeit zum Fürchten, man musste immer handeln. [...] Man hat mich später öfter gefragt, ob ich auch so geholfen hätte, wenn ich die eventuellen Folgen - also das Risiko - genau gewusst hätte! Und ich kann nur Ja sagen. Vielleicht wäre ich vorsichtiger gewesen, wenn das möglich

325 vgl. DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S.642. 326 UNGAR-KLEIN, Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin, 1995, S. 88. 327 vgl. DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S. 642-644. 71

gewesen wäre. Allerdings ist es auch eine Sache des eigenen Mutes oder der sogenannten Zivilcourage. Zusätzlich der echten Hilfsbereitschaft.“328

Angesichts der Aussagen Bechers, die man diesem Zitat entnehmen kann, steht die große Menschlichkeit im Vordergrund. Wie konnte man zulassen, dass ein geliebter Mensch, oder der Geliebte eines Familienmitgliedes getötet werden sollte? In diesem Fall, dachten die Retter nicht über die Folgen nach sondern handelten.

Eine ähnliche Geschichte erzählte auch das Ehepaar Otto und Hermine Kuttelwascher, die gemeinsam mit ihren drei Kindern eine Jüdin namens Erna Kohn versteckt hielten. Als diese sich bei der Gestapo am Morzinplatz melden sollte, traf sie vorerst die Entscheidung die Familie Kuttelwascher aufzusuchen.329 Für Otto Kuttelwascher stand von Anfang an fest, dass er Erna nicht ihrem Schicksal überlassen konnte.

„Du gehst nicht dorthin, du bleibst bei uns. Das war eine Entscheidung, und das war kein Heldentum, und das war auch keine Unvernunft, weil vernünftig kann man in so einem Fall gar nicht denken. Vieleicht weiß man das im Unterbewusstsein, dass es gutgehen wird, einfach weil's gutgehen muss. Es muss!“330

Anhand dieser Erzählung Otto Kuttelwaschers kann man wieder das impulsive Verhalten erkennen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere muss man eine Lebensnotwendige Entscheidung treffen. Es ist eine Entscheidung, die das ganze Leben verändern kann. Hinsichtlich der Kuttelwaschers, die drei kleine Kinder hatten, sollte man meinen, dass die Entscheidung eventuell überdacht worden wäre, eventuelle Risiken abgewogen oder andere Überlegungen angestellt worden sind. Nein. Für die Kuttelwaschers war es eine impulsive Entscheidung, eine Entscheidung in der ein hilfesuchender Mensch an erster Stelle stand. Selbst als eine Nachbarin des Wohnhauses aufmerksam auf die versteckte Jüdin wurde und diese aus dem Haus haben wollte - „Frau Kuttelwascher, Sie können ihre Kinder nicht gerne haben,

328 DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S.644. 329 vgl. DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S. 635-637. 330 DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S.637. 72

wenn Sie so etwas tun. Denken Sie an ihre Kinder. Die Jüdin muss raus!“331 - gab die Familie nicht auf und hoffte weiterhin, dass alles gut gehen würde. Einen Tag später trafen sie die Nachbarin erneut an. Diesmal hat sie darum gebeten, dass sie die Jüdin behalten sollen - Die Nachbarin hat einen Tag zuvor einen Judentransport miterlebt und gesehen wie grauenvoll die Leute behandelt wurden, Kinder und alte Leute.

„Wenn man heute sagt, es wurde zu wenig getan, es gab zu wenig Gerechte, die für Juden etwas getan haben, so muss man sich vorstellen, was an so einer Entscheidung drangehängt ist. Nachdenken hätte man nicht dürfen.“332

Und das taten die meisten Judenretter auch nicht. Was soll man machen, wenn ein geliebter Mensch weggebracht werden sollte? Was sollte man machen, wenn man weiß, dass der nächste Abtransport aus dem Ghetto in den sicheren Tod führt? Was sollte man machen, wenn ein rassisch verfolgter Mensch auf der Suche nach einem Versteck und Nahrung war? Für die Retter gab es nur eine Antwort - Handeln.

Um also auf die Frage zurückzukommen, was die Beweggründe und Schwierigkeiten waren, Menschen mit jüdischer Abstammung zu helfen, so konnte ich für mich, anhand der erzählten Geschichten, welche das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zur Verfügung gestellt hatte, nur ein Motiv feststellen. In jedem der einzelnen Schicksale stand die Barmherzigkeit an erster Stelle. Helfen war für die, die es getan haben selbstverständlich.

Zu erwähnen ist dennoch, dass es auch Menschen gegeben hat die gegen Bezahlung halfen. In diesem Fall stand also nicht die große Sorge um die jüdische Person im Mittelpunkt, sondern der Profit den man aus dieser Situation herausholen konnte. Egal welche Absichten man hatte, die Strafe war für alle gleich.333 Es sind aber nur sehr wenige Fälle aktenkundig, in denen die Gewährung einer Unterkunft an eine finanzielle Bedingung gebunden war.334

Betreffend der Schwierigkeiten, so gab es einige Hindernisse die zu bewältigen waren. Versteckte man Juden bei sich, so mussten zusätzliche Lebensmittel besorgt werden. Es musste

331 Ebda. S.637. 332 Ebda. S. 638. 333 vgl. NEUGEBAUER, Der österreichische Widerstand 1938-1945, 2008, S. 223. 334 DÖW, Jüdische Schicksale, 1992, S.607. 73

Platz gemacht werden, um eine Schlafmöglichkeit zu bieten. Wenn der Jude oder die Jüdin erkrankte musste man Medikamente beschaffen oder sogar einen Arzt aufsuchen. Zusätzlich mussten noch Dokumente für die versteckten Juden gefälscht werden. Bei jedem dieser genannten Hindernisse stand, wenn man erwischt wurde, KZ oder Tod als Strafe fest - was in den meisten Fällen auf das gleiche hinauslief.

Nachdem einige Situationen sowie Emotionen von Judenrettern veranschaulicht wurden, soll im nachfolgenden Teil der Arbeit auch auf die Alltagsproblematik, welcher jüdische „U-Boote“ ausgesetzt waren genauer eingegangen werden.

4.4 Fallbeispiele: Erste Gruppe 4.4.1 Bouska Oswald Oswald Bouska wurde am 23. Februar 1907 in Wien geboren.335 Anfangs herrschte aufgrund mangelnder Informationen auch lange Uneinigkeit über die richtige Schreibweise seines Namens. Als bekannt wurde, dass ein Personalakt über Bouska bei der Wiener Polizei auflag, konnte die Richtigkeit seines Namens bestätigt werden. In der Literatur findet man häufig anstatt des Namens Bouska, Bosko. Dies resultierte daraus, dass die Zeugnisse über Bouskas Taten auf den Apotheker des Krakauer Ghettos Tadeusz Pankiewicz und Julius Madritsch zurückzuführen waren. Beide hatten den Namen immer nur akustisch wahrgenommen. Dies führte dazu dass eine phonetisch falsche Schreibweise entstand. Die Variante Bosko bzw. Bouska hat sich durchgesetzt und lässt sich in der Literatur als auch in den Dokumenten von Yad Vashem wiederfinden.336 Die Aufzeichnungen von Madritsch und Pankiewicz sind von großer Bedeutung, da ohne diese keine Beweise über Bouskas Taten vorliegen würden.

Dadurch, dass kein Dokument der deutschen Besatzungsverwaltung in Krakau erhalten geblieben ist, lassen sich auch keine Aufzeichnungen über Bouska finden. Pankiewicz's Buch, „Apteka w getcie krakowskim“ (Die Apotheke im Krakauer Ghetto), wurde 1987 ins Englische

335 vgl. Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska. 336 vgl. SELEROWICZ Andrzej/ GARSCHA Winfried R., Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau. Franz Grün, „rechte Hand“ des Massenmörders Amon Göth, und Oswald Bouska, ein „Gerechter unter den Völkern“, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Täter. Österreichische Akteure im Nationalsozialismus, Wien 2014, S. 44. 74

und 1995 ins Deutsche übersetzt. Ohne diese Erzählungen wäre über Bouskas Menschlichkeit wohl nie etwas ans Tageslicht gekommen.337

Bouskas Vater, Julius338, stammte aus der heutigen Tschechischen Republik, was Oswald Bouska erlaubte neben Deutsch auch ein bisschen tschechisch zu sprechen.339 Bouska besuchte 5 Jahre Volksschule danach die Unterstufe eines Gymnasiums und anschließend zwei Jahrgänge Handelsakademie. Im Alter von 24 Jahren, am 8. Februar 1931 heiratete Bouska seine Gattin Hedwig Wolf. Die Ehe dauerte nicht lange und wurde am 3. März 1934 wieder geschieden340. Aus der Ehe ging die gemeinsame Tochter namens Elfriede341 hervor. Laut Angaben der Gedenkstätte Groß-Rosen vom 2.7.2013 haben die Bouskas in der Sobieskigasse 33 gewohnt. Die letzte bekannte Adresse Bouskas befand sich in der Mariannengasse 15/10 im 9. Wiener Bezirk.342

Dem Personalakt ist zu entnehmen, dass Bouska am 1. Februar 1927 den Dienst bei der Polizei antrat.343 Am 1. April 1931 trat er der NSDAP bei. Seine Mitgliedsnummer lautete 283.737. Seit dem 1. November 1937 war er Angehöriger der SS mit der Nummer 323.141.344

Pankiewicz hielt in seinen Erinnerungen, Geschichten über Bouskas Leben fest. Nach den Erzählungen von Pankiewicz galt Bouska als glühender Nationalsozialist der Hitler wie einen Gott verehrt hat.345 „1940 meldet er sich zum Dienst in das von der deutschen Wehrmacht besetze Polen.“346 Im selben Jahr wird er nach Krakau abkommandiert. Bouska verpflichtete sich im Generalgouvernement zu einer Mindestdienstzeit von insgesamt drei Jahren. Als SS- Untersturmführer arbeitete er als stellvertretender Polizeichef im Stadtbezirk Podgórze.347 In diesem heruntergekommenen Stadtteil befand sich das Ghetto, dass von einer Mauer umgeben war. Das Ghetto wurde von den NS-Behörden als „jüdische Wohnsiedlung“ bezeichnet. 348 Bouskas Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, Dokumente der Passanten und Passantinnen am Ghetto-Tor Nr.1 am Zgody-Platz zu kontrollieren. Schräg gegenüber befand sich die

337 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S.62. 338 vgl. Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska. 339 vgl. KRIST Martin/ LICHTBLAU Albert, Nationalsozialismus in Wien. Opfer, Täter, Gegner, Innsbruck/Wien/Bozen 2017, S. 322. 340 vgl. Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska. 341 vgl. Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska. 342 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA , Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau, 2014, S. 61. 343 vgl. Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska. 344 vgl. Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska. 345 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S.61. 346 KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S.322. 347 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S. 61-62. 348 vgl. KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 75

Apotheke von Tadeusz Pankiewicz, die er unter dem Namen „Pod Orlem“ zu Deutsch „Zum Adler“, führte. Nach Abschließung des Ghettos durfte Pankiewicz, als Nicht-Jude, die Apotheke weiterhin betreiben.349 Bouska, der zu Beginn noch als fanatischer Nationalsozialist galt, änderte seine Einstellung hinsichtlich der jüdischen Bevölkerung nach und nach. Der genaue Grund für Bouskas Sinneswandel ist nicht bekannt. Pankiewicz erzählte, dass Bouska zunächst durch „kleine Akte der Menschlichkeit“350 half, indem er den Jüdinnen und Juden Brot und fettreiche Nahrungsmittel besorgte und diese persönlich überbrachte.351 Damit seine Kollegen keinen Verdacht schöpften, schrie er Jüdinnen und Juden an. „Mein Schreien ist die beste Maskerade“352 Die Juden im Ghetto wussten, dass das grobe Verhalten von Bouska nur gespielt war, weshalb sie ihm auch ihr Vertrauen schenkten. Oftmals kam es vor, dass Bouska Jüdinnen und Juden wie Gefangene abführte. Auch dies diente nur der Tarnung, denn in Wirklichkeit verhalf er den abgeführten Menschen das Ghetto zu verlassen.353

Oswald Bouska freundete sich mit dem Wiener Julis Madritsch an. Madritsch betrieb außerhalb des Ghettos eine Textilfabrik. In Podgórze beschäftigte er Schneiderinnen und Schneider aus dem Ghetto. In Wahrheit verstanden diese Menschen nicht viel von der Schneiderei, da sie fachfremde Berufe hatten.354 Madritsch verhalf mit Hilfe Bouskas vielen Arbeitern zur Flucht, die sich bei Einheimischen versteckten. Bouska, der für die Zählung der Arbeiter verantwortlich war, ignorierte die Tatsache, dass nicht alle ins Ghetto zurückkehrten.355

„Am 13. und 14. März 1943 führt die SS die Auflösung des Ghettos durch“.356 Diejenigen die sich noch im Ghetto befanden, wurden ins KZ Plaszów in Krakau oder ins KZ Auschwitz deportiert. 357 „Oswald Bouska und Julius Madritsch beschlossen eine Rettungsaktion für die Kleinkinder der ArbeiterInnen aus Madritschs Fabrik.“358 Selerowicz und Garscha359 verwiesen auf die Erinnerungen von Julius Madritsch der das Ereignis wie folgt beschrieb:

349 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S.62. 350 KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 351 vgl. PANKIEWICZ Tadeus, Die Apotheke im Krakauer Ghetto, Essen/München/Bartenstein 1995, S. 113. 352 PANKIEWICZ, Die Apotheke im Krakauer Ghetto, 1995, S. 113. 353 vgl. PANKIEWICZ, Die Apotheke im Krakauer Ghetto, 1995, S. 113. 354 vgl. KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 355 vgl. BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 302. 356 KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 357 Ebda. S.323. 358 Ebda. S323. 359 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S.79-80. 76

„Eines Nachts, wir arbeiteten gerade an der Ausstellung von Ausweisen, die vom SS- Führer für jeden einzelnen Arbeiter vorgesehen waren und die jeder bis zum nächsten Morgen in Händen haben musste. Inmitten dieser Arbeit erreichte mich die Hiobsbotschaft: ‚Alle Kinder der Juden werden ausgesiedelt‘! Wie konnte ich wenigstens die Kinder meiner Leute retten?? Hier war es der Wiener Polizist Oswald Bosko, der als Polizeiorgan im Ghetto eingesetzt, uns schon so oft als Helfer in die Bresche gesprungen war! Er führte Männer und Frauen mit Kindern aus dem mit Stacheldraht und vielen SS-Posten abgesperrten Ghetto in meinen in nächster Nähe gelegenen Betrieb! Kleinkinder wurden dabei – um die Gefahr eines Verrates durch Schreien auszuschließen – betäubt und in Rucksäcke verborgen, herausgetragen.“360

Bouska fand Polen die bereit waren, die Kinder für kurze Zeit bei sich aufzunehmen. Später wurden sie von Deutschen Soldaten nach Tarnow in Sicherheit gebracht.361 Die Kinder die im Ghetto zurückblieben, wurden zwei Tage später entweder nach Auschwitz deportiert oder erschossen. Nachdem das Ghetto am 13. März 1943 aufgelöst wurde „blieben hunderte von jüdischen Familien in ihren Verstecken in den Kellern und Bunkern des Ghettos.“362 Auch hier spielte Bouska seine Karten als leitendes Mitglied der Polizeieinheit aus und brachte einige jüdische Männer, Frauen und Kinder in die Fabrik von Madritsch. Auch bei dieser Aktion wurden die Kinder betäubt und in Säcken transportiert. Insgesamt dauerte die „Umsiedlung“ zehn Tage. Auch diese Familien wurden später nach Tarnow gebracht, wo Madritsch noch eine Fabrik besaß.363 .

Bei der Liquidierung des jüdischen Kinderheimes wurde ebenfalls der Versuch unternommen, Kinder zu betäuben und diese in Säcken zu verstecken. Das zurückgelassene Gepäck wurde von SS Männern kontrolliert. Bevor die Gepäcksstücke auf die Wägen aufgeladen wurden, stachen sie mit einem Bajonette durch das Gepäck hindurch woraufhin Blut ausfloss. Dadurch dass Bouska den Abtransport rechtzeitig organisierte, blieb den in Rucksäcken versteckten Kindern dieses Schicksal erspart.364

360 MADRITSCH Julius, Menschen in Not, Wien 1962, S.16. 361 vgl. MOSCHE MEISELS, Die Gerechten Österreichs. Eine Dokumentation der Menschlichkeit, Tel Aviv 1996, S. 12. 362 BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 302. 363 Ebda. S.302. 364 vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S. 67. 77

Als Bouska eine Einberufung an die Front drohte, tat er alles um nicht versetzt zu werden. Hier verwiesen Selerowicz und Garscha365 auf Pankiewicz der schrieb:

„Im Juli 1944, als die Deutschen sich im Osten schnell zurückzogen, drohte Bouska eine Einberufung an die Front. Um dem zu entgehen, spritze er sich intramuskulär Propidon und rief auf diese Weise künstlich große Furunkel hervor. Dann bekam er Fieber, und die Ärztekommission schickte ihn ins Krankenhaus. Dort verbrachte er viele Wochen. Als ihm klar wurde, dass er dieses Spiel nicht zu weit treiben konnte, machte er sich aus dem Staub.“366

Als Bouska aus dem Genesungsurlaub nicht zurückkehrte367, ordnete der Chef der deutschen Polizei in Podgórze an, ihn ausfindig zu machen. Bouska wusste, dass zu dieser Zeit oft Polizisten von polnischen Partisanen als Geiseln genommen wurden und somit verschwanden. Deshalb schrieb er einen Brief an seinen Kommandanten, in dem er vorgibt von Partisanen entführt worden zu sein.368 Am 21. August 1944 wurde bekannt, dass Bouska in Zivilkleidung in Krakau gesichtet wurde. Er soll bei seiner Freundin, Luzia Pawlak, im etwa 35 Kilometer entfernten Radziszow gewohnt haben. Daraufhin wurde der Rev. Obltn. der Schutzpolizei Akramink, mit einem Kommando nach Radziszow geschickt, wo man Bouska auch vorfand. Auf dem Boden des Hauses, dessen Fenster mit Brettern verschlagen waren, fand man drei Koffer. Darin befand sich, neben seiner gesamten Habe, eine Anzahl gefälschter Kennkarten für Polen sowie zwei Pistolen und eine Handgranate.369 In Briefen an seine Geliebte brachte Bouska zum Ausdruck, dass er mit den Deutschen und ihren Zielen nichts gemeinsam habe. In einem Brief schrieb er:

„…gerade diese Deutschen sind es, die nicht nur über andere Staaten und Völker, sondern in erste Linie speziell auch über uns Österreicher und vor allem uns Wiener sehr schweres und bittere Leid gebracht haben.“ Und „ … aber in dieser Hinsicht kann

365vgl. SELEROWICZ / GARSCHA, Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau 2014, S. 67-68. 366 PANKIEWICZ, Die Apotheke im Krakauer Ghetto, 1995, S. 113-114. 367 vgl. KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 368 vgl. PANKIEWICZ, Die Apotheke im Krakauer Ghetto, 1995, S. 114. 369 Yad Vashem, Bouska Oswald, Dossier Nr. M31/23. S. 17-18. 78

ich Dir derzeit nur das Eine sagen, dass ich das Bestreben des polnischen Volkes, wieder ein selbstständiges und freies Volk zu sein, nicht nur vollkommen verstehe und für recht halte, sondern dass auch ich dieses Bestreben, soweit es mir eben möglich ist, unterstütze und für dieses Bestreben auch ein wenig mithelfe.“370

In der Anklage rechtfertigte Bouska diese Äußerungen damit, dass er in seiner Verliebtheit seine Freundin überzeugen wollte. Die Äußerungen entsprächen aber nicht seiner Vorstellung. In Konfrontation mit den gefälschten Kennkarten gab er an, er habe diese bei der Räumung des Ghettos gefunden und wollte sie als Erinnerungsstücke behalten. Dem Angeklagten Bouska wurde allerdings kein Glaube geschenkt. Alleine durch die Briefe an seine Freundin, wurde er zum Kriegsverräter erklärt. Im Schuldschreiben hieß es:

„Schon die gesamte Einstellung des Angeklagten, wie sie besonders in seinen Briefen an die Polin Pawlak zum Ausdruck kommt, kennzeichnet ihn als Kriegsverräter. Er verleugnet nicht nur sein deutsches Volk, sondern bekennt offen, dass er das polnische Volk in seinem Bestreben zur Selbstständigkeit nach Möglichkeit unterstützen werde. Schon hieraus ergab sich fast mit Sicherheit, dass der Angeklagte in seiner Amtstätigkeit zu Gunsten des Polentums u. damit zum Nachteil des Reiches gearbeitet hat […].“371

Am 26. August 1944 wird Oswald Bouska „wegen Kriegsverrates in Tateinheit mit Fahnenflucht im Felde und versuchter Urkundenfälschung, sowie wegen militärischem Ungehorsams zum Tode verurteilt“.372 Bouska wurde ins KZ Groß-Rosen überstellt. 373Das Urteil wurde am 18. September 1944 vollstreckt. Julius Madritsch sprach in seinen Erinnerungen an die Zeit zwischen 1940 und 1944 tiefe Dankbarkeit gegenüber „Bosko“, wie er ihn nannte aus. Seine Worte lauteten:

370 Yad Vashem, Bouska Oswald, Dossier Nr.M31/23, S. 18. 371 Yad Vashem, Bouska Oswald, Dossier Nr.M31/ 23, S. 19. 372 Yad Vashem, Bouska Oswald, Dossier Nr. M/3123, S. 16. 373vgl.. KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 79

„Einem meiner Getreuen war es leider nicht gegönnt, die Genugtuung zu ernten, die uns Überlebenden die Stunde der Befreiung geschenkt hat. Polizei-Wachtmeister Oswald Bosko wurde als Verräter unter Anklage gestellt, zum Tode verurteilt und am 18. September 1944 von Gestaposchergen ermordet. Aber, auch er hat nicht umsonst gelebt, denn Ungezählte verdanken ihm ihr Leben. Ehre seinem Andenken!“ 374

Am 18. Februar 1964375 wurde Oswald Bouska mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ von der Gedenkstätte in Yad Vashem ausgezeichnet.376

374 MADRITSCH Julius, Menschen in Not, Wien 1962, S.6. 375 vgl. BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 302. 376 vgl. KRIST/LICHTBLAU, Nationalsozialismus in Wien, 2017, S. 323. 80

Personalbogen Oswald Bouska bei der Wiener Polizei (Quelle: Amtsbibliothek/Polizeidirektion Wien)

81

Vermerk über Strafe des SS des und Polizei Gerichtes. (Quelle: Amtsbibliothek/Polizeidirektion Wien)

Todesurteil Bouska Oswald (Quelle: Yad Vashem, Bouska Oswald, Dossier Nr. M31/23, S. 16)

82

4.4.2 Madritsch Julius

Anfang März 1940 wurde Julius Madritsch zur Wehrmacht einberufen. Da er den Nationalsozialismus und dessen Anhänger zutiefst verabscheute, bemühte er sich dem Militärdienst zu entgehen. Ende 1940 kam er als Textilfachmann zur Textilhandels GesmbH nach Krakau und Mitte Dezember wurde er zum treuhändigen Verwalter von zwei Konfektionsbetrieben mit dem Namen Fa. Straßberg & Co und Fa. Hogo. In diesen Betrieben arbeiteten Polen als auch Juden.377 Madritsch hatte gute Beziehungen zur Textilhandelsgesellschaft weshalb er auch größere Aufträge erhielt. Als die Krakauer Kultusgemeinde von dem guten Umgang der Arbeiter erfuhr, trat diese mit Madritsch in Verbindung, um einigen Mitgliedern die „lebensrettende Arbeitsbescheinigung“ zu besorgen. Zusätzlich organisierte Madritsch mit dem Judenrat jüdische Arbeitsgemeinschaften, deren Angestellte für „kriegswichtig“ erklärt wurden,378 um vorerst von weiteren Verfolgungen verschont zu bleiben.379 Für jeden jüdischen Arbeiter musste Madritsch eine Zustimmung vom Krakauer Arbeitsamt einholen. Seine Bemühungen eine Arbeitserlaubnis für Jüdinnen und Juden in seinem Betrieb zu erhalten schilderte Madritsch wie folgt:

„Wesentlich hartnäckiger waren jedoch die Kämpfe, die ich beim Arbeitsamt in Krakau auszufechten hatte, dessen Zustimmung ich immer bei Aufnahme von jüdischen Arbeitern einholen musste. Die Polen unterlagen zu dieser Zeit noch keinen Zwangsmaßnahmen und ich erkämpfte mir deshalb buchstäblich jeden jüdischen Arbeiter. Man verwies mich immer wieder darauf zurück, ich solle dich arische Arbeiter – Polen – und nicht Juden einstellen. Aber allen Zurechtweisungen, Verwarnungen und schließlich Drohungen – ‚ich sei Saboteur der Judenaussiedelei und werde Schwierigkeiten mit der Gestapo haben‘ – trotzdem gelang es mir, immer weitere Juden als Arbeiter in meine ‚kriegswichtigen‘ Betriebe hereinzubekommen“.380

377 vgl. MADRITSCH Julius, Menschen in Not, Wien 1962, S. 6. 378 vgl. KÖNIGSEDER Angelika, Österreich - ein Land der Täter, in: Wolfgang BENZ/ Juliane WETZEL (Hg.), Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien 2, Ukraine, Frankreich, Böhmen und Mähren, Österreich, Lettland, Litauen, Estland, Berlin 1998, S. 220. 379 vgl. MADRITSCH Julius, Menschen in Not, Wien 1962, S. 8. 380 MADRITSCH Julius, Menschen in Not, Wien 1962, S. 8-9. 83

Ein neues Gesetz besagte, dass „die Führung von Treuhandfirmen an Kriegsversehrte übertragen und die bisher enthobenen Kräfte der Wehrmacht zur Einberufung freigegeben werden musste“.381 Madritsch bemühte sich um einen Gewerbeschein, um seinen eigenen Betrieb eröffnen zu können. Trotz allen Bemühungen wurde er dennoch Ende April 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Mit starker Überzeugung nicht für dieses System zu kämpfen, verrichtete Madritsch Arbeiten im Kanzleidienst.382

Der Nachfolger von Madritsch war der Wiener Heinz Bayer. Auch er handelte im Interesse von Madritsch und als Bayer Madritsch in Wien einen Besuch abstattete, beschlossen sie eine eigene Firma zu gründen. Dies sollte mit Hilfe eines Gewerbescheins erfolgen, den Madritsch bereits organisiert hatte. Heinz Bayer übernahm die Leitung des Betriebes, der für Hemden-Produktion zuständig war.383 Als Bayer erkrankte, drohte alles zu scheitern. Wenn es Madritsch nicht gelungen wäre vier aufeinanderfolgende Arbeitsurlaube von je drei bis vier Wochen von seiner Dienstelle zu erhalten, so wäre alles gescheitert.384 Im August 1942 konnte Madritsch seinen Betrieb wieder selbst leiten und im November 1942 wurde er schließlich von der Wehrmacht freigestellt. Die Leitung der Produktion in den Nähwerkstätten übernahm Raimund Titsch. Die Aufgabe von Titsch bestand darin, sich um die Alltagsprobleme der Arbeiter zu kümmern und den Kontakt zwischen den jüdischen Gefangenen und der Außenwelt aufrecht zu erhalten. Die Aufgabe von Madritsch war es die Firma nach außen hin zu vertreten und Kontakte zu den deutschen Behörden zu pflegen.385 Die Zustände in Krakau schilderte Madritsch mit Hilfe der tagebuchartigen Aufzeichnungen von Titsch wie folgt:

„Anfang Juli setzte die große Aussiedlung aus dem Ghetto ein. Dies wurde von Brigadeführer Scherner und Hauptsturmführer Fellenz geleitet und hatte folgenden Grund: Um Wohnungen im Stadtinneren Krakaus für Deutsche freizubekommen, mussten drei Fünftel der geschlossenen jüdischen Wohnsiedlungen freigemacht werden, um dort die aus ihren Wohnungen hinausgeworfenen Polen unterbringen zu können. Aber was geschah mit den Juden? Diese wurden auf dem Platz Skoda

381 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 8. 382 Ebda. S. 9. 383 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 220-221. 384 vgl. MADRTISCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 10. 385 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 221.

84

zusammengetrieben und dort wie auf einem Viehmarkt aussortiert. Alles, was nicht älter als 60 Jahre und körperlich stark genug war, um als Facharbeiter verwendet werden zu können, durfte bleiben. Was nicht bleiben durfte, wurde zum Bahnhof Plaszow getrieben, in Waggons gepfercht und…? Viele Hunderte kamen aber nicht bis dahin, sie waren schon vorher erschossen worden, selbst auf dem Wege zum Bahnhof Plaszow gab es noch solche Morde. Zwei Wagen fuhren hinter den Menschenkolonnen, um darauf die Toten zu laden, ein Wagen führte Sand, mit dem die Blutspuren verdeckt wurden. Mein engster Mitarbeiter, Herr Nafali Hudes, verlor damals seine Frau und seine zwei Kinder, Frau Schorr ihren Gatten, ebenso erging es vielen anderen.“386

Als eine Verordnung herauskam, dass jüdische Arbeiter nur mehr in „Rüstungsbetrieben“ arbeiten durften, setze Madritsch alle Hebel in Bewegung um als solcher Betrieb eingestuft zu werden. Gemeinsam mit dem Judenrat wurde in einer geheimen Besprechung beschlossen, so viele Nähmaschinen als möglich herbeizuschaffen, „denn jede zusätzliche Maschine ließ papiermäßig das Erfordernis von weiteren zwei bis drei Menschen für die Rüstung rechtfertigen.“387 So kam es, dass er jeweils 800 Arbeiter an 300 Nähmaschinen in Krakau- Podgorze und in Tarnów beschäftigte.388 Königseder erzählte aus den Erinnerungen von Madritsch:

„Ein Glück nur war es, dass der Zustand der herbeigeschafften Maschinen nie von Amts wegen überprüft wurde. Es waren durchwegs ältere Modelle mit Fußantrieb und es bedurfte erst mühevoller und kostspieliger Instandsetzung, um auf ihnen die ständig geforderte Qualitäts- und Quantitätsarbeit herausholen zu können. Hauptsache war, sie bewegten sich und ratterten brav drauf los, wenn eine fachmännische Begehung der Betriebe durch die SS usw. stattfand und die Herren daran ihre Freude finden konnten, wenn sie sahen, wie Männer, Frauen und halbe Kinder mit vor Angst in Schweiß gebadeten Stirnen höchste Arbeitsleistung vorzuzaubern verstanden.“389

386 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 10-11. 387 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 12. 388 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 221 389 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 12. 85

Madritsch versorgte in den Ghettos von Bochina und Tarnów die Werkstätten mit Lohnaufträgen390 und konnte somit weitere 1000-2000 Menschen unter den Schutz der Rüstung stellen.391 Dennoch stand Madritsch immer neuen Hürden gegenüber. Kaum zur Ruhe gekommen, stürmten neue Hilferufe auf uns ein. Dadurch, dass Madritsch bei den verschiedenen Dienststellen seine Mitteilungsmänner hatte, konnte er meist früh genug von neuen Plänen und Vorkehrungen, seinen Arbeitern betreffend, in Erfahrung bringen. „Es war ein die Nerven ständig in höchster Spannung haltender Alarmzustand, denn wir wussten, was wieder bevorstand, harrten nur auf das ‚Wann?‘ und bangten vor dem ‚Wie?‘“392

Dass die Aufrechterhaltung der Betriebe nicht ganz einfach war resultierte daraus, dass 60 Prozent der Mitarbeiter, wie Eingangs schon erwähnt, fachfremden Berufen entsprangen und zur Produktion nur wenig beitragen konnten. Sie waren Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure oder Kaufleute. Neben dem Nachweis für die erforderliche Anzahl an jüdischen Facharbeitern mussten die übrigen 40 Prozent auch die Mittel verdienen, „die für die Bezahlung der Arbeitskräfte an die SS, den Unterhalt der Werkstätten und ihrer Arbeiter, aber auch für die Bestechung der verantwortlichen SS notwendig waren.“393

Als seitens der SS die Absicht bestand, die jüdischen Arbeiter aus der Fabrik von Madritsch herauszuholen, um sie für sich zu beschäftigen, tat er wieder alles um dies zu verhindern. „Es war ein zähes Ringen, bei dem es mir nicht um die Arbeitskraft ging, denn es wäre kein Problem gewesen, diese durch Polen zu ersetzen.“394 Weiter schrieb er: „Mir ging es um das Schicksal meiner Leute, die ich auf keinen Fall der SS als Freiwild überlassen durfte.“395

Madritsch konnte seine Arbeiter bis zur Räumung des Ghettos am 13. März 1943 vor der Evakuierung in dem neu errichteten Lager in Plaszów bewahren. Bevor das Ghetto aufgelöst wurde kam Oswald Bouska mit der Hiobsbotschaft an, dass alle Kleinkinder ausgesiedelt werden würden.396 Wie im Fallbeispiel Bouska bereits erläutert, konnten Madritsch und Bouska die Kinder seiner Mitarbeiter retten, indem sie sie aus dem Ghetto, teils unter Betäubung in Rucksäcken gesteckt, hinausschmuggelten.

390 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 221. 391 vgl. MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 13. 392 Ebda. S.13. 393 KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 221. 394 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 15-16. 395 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 16. 396 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 221-222. 86

Den Arbeitern von Madritsch war bekannt, dass das Leben in Tarnów viel besser war als in Plaszów. In Plaszów mussten die Menschen vom Lager eine dreiviertel Stunde bis nach Podgórze zurücklegen. Außerdem hatte man im Ghetto in Tarnów eine eigene Wohnung und damit auch ein eigenes Bett zur Verfügung. Madritsch gelang es eine Genehmigung zu erhalten in der 300 jüdische Arbeiter seines Krakauer Betriebs „unter dem Vorwand ‚Beschleunigung eines dringenden Rüstungsauftrages‘„397 nach Tarnów zu bringen. Dass er diesen Auftrag ebenso in Krakau hätte ausführen können verschwieg er. Am 25. und 26. März 1943 brachte er gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Titsch und Dr. Lenhardt, 232 Männer, Frauen und Kinder mit dem Zug nach Tarnów.398 „Es war dies keine gefahrlose Angelegenheit, aber achteten wir überhaupt auf Gefahren?“399

Julius Madritsch erzählte von einigen Aktionen, in denen Arbeiter und Arbeiterinnen aus seinem Betrieb verschwanden. Wie beispielsweise die Angestellte Frau Zimmet mit ihrem Kind und einem unbekannten Mann, die Madritsch gemeinsam mit Dr. Lenhart in den Wagen von Madritsch durch einen 90 Kilometer entfernten Tunnel führte, von wo aus sie ungehindert den Schnellzug nach Warschau besteigen und untertauchen konnten. Oder die Facharbeiterin Jula Hoffmann, die in Krakau untertauchte und von Madritsch weiter unterstützt wurde und so überleben konnte.400

Auch an dieser Stelle spricht Madritsch seinen Dank an die Wiener Polizisten Bosko sowie an Schubert und Grill aus. Ohne sie, die beim Schichtwechsel nicht „richtig“ nachgezählt haben, wäre ein Untertauchen oder Verschwinden nicht möglich gewesen.

Nach einer kurzen Zeit der Ruhe folgt die nächste Aufregung. Am 1. September 1943 wurde Madritsch und Titsch vom Lagerkommandanten Göth zum Nachtmahl bei sich eingeladen. Gleich zu Beginn offenbarte Göth, „dass heute Nacht die Umsiedlung aller Juden des Distrikts Krakau zur Durchführung gelange und wir bis Morgen bei ihm zu Gast bleiben müssten.“401 Bevor sie darauf reagieren konnten, stellte Göth zwei weitere Gesellschafter vor, die SS- Offiziere waren. Madritsch schreibt von den Qualen die sie durchlitten: „wir durften nicht

397 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 17. 398 Ebda. S. 17. 399 Ebda, S. 17. 400 Ebda S. 18. 401 Ebda. S. 20. 87

zeigen, wie es in uns aussah, noch weniger von dem sprechen, was uns mit so viel Bangen erfüllte.“402 Am nächsten Morgen um 5 Uhr brachen sie auf. Madritsch fuhr nach Tarnów und Titsch nach Krakau. Im Ghetto angekommen konnte Madritsch die Zusicherung von Göth erhalten, dass seinen Arbeitern nichts passieren würde. In den Waggons verladen, wurden sie nach Plaszów gebracht.403 Madritsch versorgte auch das Lager Trzebnia mit Lohnaufträgen, um durch die Beschäftigung weitere Menschen am Leben zu erhalten. Bei der Abholung von Restwarenbeständen, sollten aus dem Lager Jüdinnen und Juden unter den Waren versteckt, und so herausgeschmuggelt werden. Dr. Lennhard war an dieser Aktion beteiligt die allerdings scheiterte. Eine zweite Chance war nicht gegeben.404

Als im September 1943 die „Tore von Plaszów“ geschlossen wurden, durften die Jüdinnen und Juden das Lager nicht mehr verlassen und konnten somit nicht weiter in Madritschs Fabrik arbeiten.405Auch hierfür hatte Madritsch eine Lösung gefunden. Als einziger Privatunternehmer des Distrikts Krakau, bekam Madritsch im Konzentrationslager Plaszów Baracken zugesprochen. In diesen Baracken richtete er Werkstätten ein und konnte somit 2000 Jüdinnen und Juden406 auf dem Lagergelände beschäftigen.407 Am 14. September 1943 konnte Madritsch einen „bis zum Kriegsende gültigen“ Vertrag mit dem SS- und Polizeiführer abschießen, so Königseder. 408 „Das Leben meiner Leute war wieder einmal gerettet, aber nun ging es darum ihre weitere Lebensberechtigung unter Beweis zu stellen.“409 Madritsch hatte viele Probleme zu bewältigen. Königseder schrieb:

„Nachdem die harten Verhandlungen mit der SS Erfolg gezeigt hatten, musste er trotz hoher Materialverluste bei der Umsiedlung von Tarnów nach Plaszów den Betrieb in Gang bringen. Um die Verpflegung aufzubessern, erhielt er von der SS die Erlaubnis, seinen Arbeitern Leistungsprämien in Form von Lebensmitteln auszuzahlen. Unter

402 Ebda. S.20. 403 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 222. 404 vgl. MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 21-22. 405 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 335. 406 vgl. MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 22. 407 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 335. 408 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 222. 409MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 23. 88

diesem Vorwand lieferte er wöchentlich etwa 6000 Laib Brot, Marmelade und sogar Zigaretten ins Lager. Mit dem Rückzug der deutschen Wehrmacht stand jedoch im Frühjahr 1944 die Räumung des Lagers Plaszów vor der Tür.“410

Gemeinsam mit Raimund Titsch versuchte er wieder alle Hebel in Bewegung zu setzen, um seinen Betrieb nach Österreich zu verlegen411 und seine Arbeiter vor der Deportation zu retten.412 Madritsch schrieb in seinen Erinnerungen: „jüdische Arbeitskräfte dürfen nur mehr der Munitionsfertigung zur Verfügung gestellt werden! Als dann am 6. August der Räumungsbefehl für das ganze KZ Plaszów einlangte, musste ich mich endgültig geschlagen geben.“413

Insgesamt 10.000 Menschen, davon 1.000 Arbeiter von Madritsch, kamen nach Auschwitz und Mauthausen. Die übrigen 500 Arbeiter konnte Madritsch noch bis zum 5. Oktober 1944 weiterbeschäftigen indem er sie für „Aufräumarbeiten“ einsetzte. „Die 200 Männer wurden nach Groß –Rosen und die 300 Frauen nach Auschwitz deportiert.“414 Madritsch gelang es dennoch um die 100 Arbeiter aus Groß-Rosen in den Betrieb von Oskar Schindler415, der eine Munitionsfabrik leitete,416 zu retten. Am 3. November 1944 wurde Madritsch vom SD in Krakau verhaftet und nach drei Tagen in das Reichssicherheitshauptamt nach Berlin überstellt. Der Name Madritsch tauchte auf einer Liste der Widerstandsbewegung auf. Madritsch soll auch Gräuelnachrichten über Plaszów verbreitet haben.417 „Dass ich aus dieser Schlinge herauskam, dies scheint mir heute noch ein Wunder.“418 Nach 12 Tagen Einzelhaft, wurde er unter der Bedingung entlassen, über Vorgänge und seine Verhaftung mit niemanden zu sprechen.419 Am 18. Februar 1964 wurde Julius Madritsch von Yad Vashem geehrt. Er erhielt den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“.420

410 KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 222. 411 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 223. 412 BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 336. 413 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 26. 414 KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 223. 415 Vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 223. 416 Vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 336. 417 Vgl. MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 28. 418 MADRITSCH, Menschen in Not, Wien 1962, S. 28.

419 Ebda. S.28. 420 BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 336. 89

Brief an die Jüdische Gemeinde. Gerettete Juden wollen ihren Dank an Julius Madritsch, Raimund Titsch, Heinz Bayer und der Frau von Oswald Bouska aussprechen. (Quelle: Yad Vahsem , Madritsch Julius, Dossier Nr. M31/21, S. 11)

90

Dankesbrief von Isaak Grünberg an Julius Madritsch vom 24. Juni 1946. (Quelle: Yad Vashem, Madritsch Julius, Dossier Nr. M31/21. S, 9)

Brief von Henryk Shop an Yad Vashem am 18. April 1963 über die Ehrung seiner Retter aus Wien. (Quelle: Yad Vashem, Madritsch Julius, Dossier Nr.M31/21 S. 37-38)

91

Schreiben an Julius Madritsch über die Bestätigung der Auszeichnung in Yad Vashem. (Quelle: Yad Vashem, Madritsch Julius, Dossier Nr. M31/21, S.50)

92

4.4.3 Schmid Anton Anton Schmid, geboren am 9. Januar 1900 in Wien, war der Sohn von Johann Schmid und Anna Schmid (geborene Thomas). Am 2. Juli 1918 wurde Schmid, mit 18 Jahren, „zum Militärdienst der zweiten Ersatzkompanie des k.k. Schützenregiments Nr. 1 einberufen und macht schwere Kämpfe und schließlich den Rückzug an der italienischen Front mit.“421 Schmid war mit Stefanie Anna Hlouschek verheiratet.422

1928 eröffnete Schmid ein Elektrowarengeschäft in dem er elektrische Kleinteile wie Radios und Fotoapparate verkaufte. Ende der dreißiger Jahre arbeiteten für Schmid drei Mitarbeiter wovon zwei Juden waren. Wette schrieb in seinem Werk, dass die Schriftsteller Manfred Wieninger und Christiane M. Papst biographische Studien über Schmid unternahmen. Sie stießen auf einen alten Mann, dessen Name nicht genannt wurde, der sich aber auf Anton Schmid erinnerte:423

„Auf alle Fälle war der Herr Schmid ein herzensguter Kerl, und er war auch ein herzensguter Kerl während der Hitler-Zeit. […] Auf der Ecke Pappenheimgasse/Klosterneuburger Straße war eine Bäckerei einer Jüdin, einer gewissen Tobor. Wie der Hitler da war, ist einer zu der Bäckerei hingegangen, so ein Nazi-Bua, und hat die Auslage eingehaut, und der Schmid ist dazugekommen und hat das gesehen und hat ihm ein paar Watschen runtergehaut […]“424

Infolgedessen wurde Schmid von einem Wachmann auf das Kommissariat Pappenheimgasse gebracht. Auch seine Witwe Stefanie Schmid erzählte in einem Gespräch, dass ihr Mann vor 1939 sehr viele Freunde hatte, darunter auch viele Juden. Sie erzählte eine kleine Episode in der Nähe ihres Hauses, dass an Samstagen und auch an Feiertagen jüdische Gottesdienste stattfanden. Ein Gottesdienst wurde aber nur dann abgehalten wenn zehn Männer anwesend waren. Wenn also der zehnte Mann fehlte, wurde des Öfteren Schmid gebeten am Gottesdienst teilzunehmen, weil man ihn für einen Juden hielt. Diese Geschichte bestätigte auch der von Schmid gerettete Schriftsteller Hermann Adler. Adler erzählte, dass Schmid diese Geschichte

421 WETTE Wolfram, Feldwebel Anton Schmid. Ein Held der Humanität, Frankfurt am Main 2013, S. 23. 422 Yad Vashem Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 4. 423 WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S.24-25. 424 Ebda. S.25. 93

oft in Wilna erzählt hat und es lustig fand, denn ein Christ zählte eigentlich nicht als zehnter Mann.425 Diese Episoden über Schmids Leben in Wien belegen, dass er gegenüber der jüdischen Bevölkerung sehr freundlich und er hinsichtlich der Religion keine menschlichen Unterschiede machte. Als es im Jahre 1938 zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich kam und die Verfolgung der Juden praktisch gleich einsetzte, war es für Schmid selbstverständlich zu helfen. Schmid half vielen Jüdinnen und Juden aus seiner Nachbarschaft die tschechische Grenze zu überqueren. Im Jahre 1938 wäre Schmid für die Fluchthilfe zwar noch nicht juristisch bestraft worden, aber Hilfe oder menschlicher Umgang mit Jüdinnen und Juden wurde dennoch nicht toleriert. Man erinnere sich, dass zu dieser Zeit so viele Jüdinnen und Juden als möglich aus dem Land gebracht wurden und man sie zur Emigration zwang.426

Schmid begriff sehr schnell, dass die Nationalsozialisten in Deutschland als auch in Österreich eine Lebensgefahr für die Juden darstellten. Wette hielt fest:

„In dieser Situation signalisierte ihm sein Gewissen, dass er nicht tatenlos bleiben durfte, sondern zumindest jenen Juden, mit denen er seit Jahren in gutem Einvernehmen zusammengelebt hatte, helfen musste, in Sicherheit zu gelangen. Das war, betrachtet man das Wegschauen und Nicht-Wissen-Wollen der meisten Deutschen und Österreicher, eine bemerkenswerte, eine ungewöhnliche Verhaltensweise dieses Wiener Elektrohandwerkers.“427

Im Rahmen seines Militärdienstes wurde Schmid 1941 in Wilna, im besetzen Litauen, eingesetzt.428 Schmid war Feldwebel und übernahm die Versprengten-Sammelstelle der Feldkommandantur (FK) 814. Diese Sammelstelle hatte die Aufgabe, deutsche Soldaten,429 die ihre ursprüngliche Einheit verloren hatten,430 zu verhören und sie so schnell wie möglich wieder an die Front zu schicken.431 Die Versprengten-Sammelstelle war in einem Gebäude untergebracht, das sich in der Nähe des Bahnhofes befand. Angrenzend befanden sich mehrere

425 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.25-26. 426 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.26-27. 427 Ebda. S.27. 428 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.356. 429 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S. 31-32. 430 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.356. 431 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S. 32. 94

Werkstätten, in denen Zwangsarbeiter ihre Arbeit verrichteten.432 Als Schmid in Wilna eintraf, war er sofort mit grauenhaften Szenen konfrontiert. In einem Brief vom 9. April 1942, also 4 Tage vor seiner Hinrichtung, schrieb er an seine Frau:433

„Ich will Dir noch mitteilen, wie das ganze kam: hier waren sehr viele Juden, die vom litauischen Militär zusammengetrieben und auf einer Wiese außerhalb der Stadt erschossen wurden, immer so 2000-3000 Menschen. Die Kinder haben sie auf dem Wege gleich an die Bäume angeschlagen – kannst du dir das vorstellen?“434

Diese Worte Schmids an seine Frau wurden auch im April 1972 in der Zeitung „Der neue Mahnruf“ abgedruckt und veröffentlicht.435

Schmid hatte die Aktion, dass man die Köpfe der Kinder am Baum anschlug, zwar nicht selbst miterlebt, aber der Tatbestand war allgemein bekannt. Dass es zu Massenerschießungen kam, konnte Schmid durch Gespräche mit Wehrmachtssoldaten herausfinden. Dazu kommt noch, dass Schmid vom Fenster der Versprengten-Sammelstelle aus zum Bahnhof nach Wilna sehen konnte. Dort fanden die Verladeaktionen, deren Transport mit der Erschießung in Ponary endete, statt.436

Max Salinger war der erste Jude, den Schmid rettete. Salinger stammte aus Bielsko-Biala in Polen. Wie die beiden in Kontakt traten ist unbekannt. Es wird aber vermutet, dass Salinger Schmid angesprochen und um Hilfe gebeten hatte. Laut Ermittlungen der Forschung über die Retter geht die Frage auf Hilfeleistung immer vom Verfolgten aus. Dies bedeutet, dass der oder die Verfolgte aufgrund der Notlage eine vertrauenswürdige Person ansprach und um Hilfe bat.437 Im Brief vom 9. April bestätigt sich dieser Sachverhalt. Schmid schrieb:

432 Ebda. S.77. 433 Ebda. S. 46. 434 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.46. 435 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 120. 436 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.46. 437 Ebda. S.63-64. 95

„[…]Ich musste was ich nicht wollte, die Versprengtenstelle übernehmen, wo 140 Juden arbeiteten. Die baten mich, ich soll sie von hier wegbringen…Da ließ ich mich überreden […]438

Schmid besorgte Salinger das Soldbuch des gefallenen Soldaten Max Huppert. Damit konnte der Verfolgte eine neue Identität annehmen. Schmid besorgte „Huppert“ eine Wehrmachtsuniform und ließ ihn als Schreibstubensoldaten in seiner Versprengten- Sammelstelle arbeiten. Max Salinger alias „Huppert“ besuchte nach dem Krieg Schmids Frau Stefanie. Diese konnte die Geschichte an Hermann Adler, ebenfalls von Schmid gerettet, weitererzählen.439 Adler hielt fest:

„Schmid hatte ihn gerettet ‚arisiert‘, in eine deutsche Uniform gesteckt, als einen ‚Versprengten‘ gemeldet, mit einem richtigen Soldbuch versehen und für allerlei in der Versprengten – Sammelstelle ‚notwendige‘ Arbeiten dienstlich angefordert. Er arbeitete sogar noch nach Schmids Hinrichtung in der Versprengten–Sammelstelle Wilna.“440

Die zweite Rettung betraf die Jüdin Luisa Emaitisaite aus Wilna. Auch hier ist es Hermann Adler, der durch Gespräche mit Schmid und Emaitisaite, die Rettungsaktion berichtete. In Kontakt traten sie, als die Verfolgte Schmid persönlich ansprach. Sie hatte die Sperrstunde des Ghettos verpasst und stand nun vor geschlossenen Türen. Aus Angst, fasste sie den Entschluss einen uniformierten Deutschen anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Zu ihrem Glück geriet sie an Anton Schmid. Schmid nahm die Frau mit in seine Wohnung und versteckte sie dort. Von der Frau erfuhr er, dass sie bereits ihre Angehörigen verloren hatte. Sie wurden „hinausgebracht“ nach Ponary, wo, wie Schmid wusste, die Erschießungen stattfanden. Emaitisaite blieb eine Woche lang in ihrem Versteck, bis Schmid den nächsten Plan hatte. Schmid schlug ihr vor sie zu schützen, indem er sie mit neuen Papieren ausstattete und sie

438 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 120. 439 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S.64. 440 Ebda. S. 64. 96

„arisierte“. Dadurch konnte sie offiziell in seiner Dienstelle arbeiten.441 Dass die Verfolgte Jüdin mehr als qualifiziert für diese Arbeit war, war sehr positiv. „Sie sprach jiddisch, litauisch, deutsch, polnisch und russisch und sie konnte Schreibmaschine schreiben und stenographieren.“442 Schmid nahm viel auf sich um Emaitisaite als Zivilangestellte der Wehrmacht in seiner Dienststelle unterzubringen. Bei fünf verschiedenen Ämtern musste Schmid vorsprechen. Als ein Beamter sehr misstrauisch und zögerlich reagierte, holte Schmid seine Pistole heraus und legte sie vor dem Büroschalter ab. Er bedrohte den Beamten damit zwar nicht, aber die Aktion war effektiv genug um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.443 Danach baten sie beim „Quartiersamt für Offiziere und Zivilangestellte der Deutschen Wehrmacht“444 um die Zuteilung eines privaten Einzelzimmers, was auch gelang. „Nächste Station der ‚Arisierung‘ war die ‚Ausgabestelle für Kennkarten‘„445 Ohne weiteres erhielt Emaitisaite mit höflicher Bedienung ihre Kennkarte. Letze Hürde war „das für Zivilisten zuständige polizeiliche Meldeamt.“446 Auch hier war Schmid stets anwesend. Die polizeiliche Anmeldung ihrer neuen Wohnung erfolgte und alle Hindernisse waren überwunden.447 Wette hielt fest:

„Mit ihren neuen, legalen Papieren hatte Luisa Emaitisaite keinen polizeilichen Zugriff mehr zu befürchten; sie war – zumindest vorläufig – gerettet und konnte sich in der Stadt frei bewegen. Fortan arbeitete sie für Schmid in der Versprengten-Sammelstelle und wusste sich auch später, nach Schmids Verhaftung, durch ihre neue Identität zu schützen. Sie hat den Krieg und die Judenmorde überlebt.“448

Schmid rettete auch Hermann und Anita Adler. Zwischen ihnen entstand eine tiefe Freundschaft. Ohne die Berichte von Schriftsteller Adler, wäre eine Anton-Schmid-Biographie kaum möglich gewesen, so Wette.

441 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.64-66. 442 Ebda. S.66. 443 Ebda. S.67. 444 Ebda. S.67. 445 Ebda. S.67. 446 Ebda. S.68. 447 Ebda. S.68. 448 Ebda. S. 68. 97

„Adlers Dichtungen über die Zeit in Wilna, seine Briefe aus der Nachkriegszeit, seine Texte für Hörfunksendungen über Feldwebel Schmid und schließlich sein Drehbuch für den ZDF-Film aus dem Jahre 1968 enthalten unschätzbar wichtige und zugleich genaue Informationen […]“449

Adler stammte aus der slowakischen Stadt Pressburg. 1938 musste er als Jude aus seiner Heimat fliehen und kam schließlich nach Wilna. Bald darauf lernte er Anita Distler450, eine österreichische Opernsängerin451, kennen. Bald darauf heirateten die beiden. Ihr Plan war es nach Palästina auszuwandern. Aufgrund der politischen und militärischen Lage war dies aber nicht mehr möglich. Am 6. September 1941 kamen sie schließlich ins Ghetto. Sie schlossen sich dem „jüdischen Hilfskomitee und der zionistischen, sozialdemokratisch orientierten Bewegung Dror“452 an.

Einer von Adlers Freunden war der katholische Pfarrer Andres Gdowski. Adler gelang es, „arische“ Papiere von verstorbenen Menschen zu bekommen. Dies war mit Hilfe der Kirchenbehörden möglich. Mit diesen Papieren konnten einige Juden aus dem Ghetto flüchten. Von der Widerstandsbewegung wurde ein Fluchtweg nach Bialystock und Warschau gesucht. Im Ghetto fanden zu diesem Zeitpunkt noch keine Aussiedlungen in die Ghettos Bialystock oder Warschau statt. Adlers Freund, Gdowski, riet ihm, sich mit Anton Schmid in Verbindung zu setzen. Gdowski war der Meinung, dass Schmid als Helfer und Judenretter in Frage käme. Hermann und Anita Adler erfuhren, dass Schmid ein jüdisches Mädchen, Luisa Emaitisaite, in seiner Dienstelle eingestellt hatte. Des Weiteren haben sie in Erfahrung gebracht, dass der Gefreite „Huppert“ ein Jude war und eigentlich Salinger hieß. Das Wissen über Schmid reichte aus und somit beschloss das Ehepaar Adler in Kontakt mit Schmid zu treten. Nachdem Schmid ihnen sein Vertrauen schenkte, erzählten sie ihm von ihrem Plan. Vorsichtig informierten sie ihn darüber, eine Judenrettung aus dem Ghetto durchführen zu wollen. Schmid, der die Zustände im Ghetto kannte, war mit der Rettungsaktion einverstanden. 453 Die Juden sollten vom Wilnaer Ghetto nach Bialystock gebracht werden. Schmid erinnert sich an seinen Freund, einen Wiener Unteroffizier, der in Bialystock tätig war. Er meinte, dass dieser Juden anfordern

449 WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.73. 450 Ebda. S. 73. 451 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.356. 452 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.74. 453 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 80-81. 98

konnte. Bevor die Adlers sein Zimmer verließen, gab er ihnen noch zu essen. Das nächste Zusammentreffen fand Ende Oktober oder am 10. November statt. Wette merkte an, dass die Angaben hinsichtlich des Datums nicht übereinstimmten. Anton Schmid nahm die Alders mit in seine Dienstwohnung, wo er ihnen ein Zimmer zur Verfügung stellte.454 „Damit brachte er die beiden Verfolgten in Sicherheit, was in diesem Falle sogar eine Rettung auf Dauer bedeutete.“455 Ab diesem Zeitpunkt bis hin zu Schmids Verhaftung 1942, also drei Monate, lebten die Adlers mit Feldwebel Anton Schmid unter einem Dach.456

Die Adlers brachten Schmid mit ihren Freunden der chaluzischen Bewegung Dror und der Widerstandsbewegung im Ghetto zusammen. Zu diesen zählten Mordechai Tennenbaum, Tamar Schneidermann und Lonka Kotzebrozka. In ihren Gesprächen versuchten sie Pläne zu schmieden, wie man die von der Aussiedlung bedrohten Juden aus dem Ghetto retten konnte. Eine weitere Schwierigkeit war es, wie man mit Untergrundbewegungen in Bialystock und Warschau Kontakt aufnehmen konnte. Das Leben im Ghetto wurde immer dramatischer. Immer mehr Aktionen, Selektionen und Aussiedlungen wurden von den Deutschen vorgenommen. Die Juden die ausgesiedelt wurden, kamen in das Lokischki Gefängnis in Wilna und in das Ponary-Lager. Dort fanden die Massenerschießungen statt.457 Im Zeitraum, in dem Schmid die Versprengten-Sammelstelle leitete arbeiteten 150 Juden als Schuster, Schneider und Polsterer mit gelben Scheinen.458 Im Oktober 1941 wurde beschlossen, Identitätsausweise zu verteilen. Die Ghettobewohner wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Jene die weiße Arbeitsscheine erhielten, kamen ins Todeslager von Ponary. Diejenigen mit den gelben Arbeitsscheinen, wurden vorerst von der Aussiedlung verschont. Schmid machte es sich also zur Aufgabe, für möglichst viele Bewohner des Ghettos gelbe Arbeitsscheine zu besorgen, um sie in seinen Werkstätten zu beschäftigen. Auch denjenigen die nicht arbeiteten, konnte er gelbe Ausweise besorgen und infolgedessen auch ihre Familienmitglieder vor der Aussiedelung verschonen. Viele, die einen gelben Arbeitsschein besaßen, konnte er mit Hilfe der Widerstandsbewegung und des Hilfskomitees mit seinem Lastkraftwagen, auf dem er

454 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 75. 455 WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013,S.75. 456 Ebda. S. 75. 457 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 81-82. 458 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 79. 99

Brennholz führte, in die Stadt Lida bringen. Lida gehörte zum Bezirk Weißrussland und hatte zu dieser Zeit noch kein Ghetto.459

Wette stützt sich auf Berichte von Hermann Adler, der erzählte, wie Schmid sogar verhaftete Jüdinnen und Juden, die trotz ihrer Arbeitsbescheinigung ins Gefängnis Lukischki gebracht wurden, herausholte. Schmid kam persönlich ins Gefängnis und schaffte es seine Arbeiter freizubekommen und hat sie so vor dem sicheren Tod gerettet. 460 Interessant ist auch die Tatsache, dass für Schmid 150 Menschen arbeiteten, es tatsächlich aber nur für 50 Arbeit gegeben hat. Diejenigen die nichts zu tun hatten, mussten irgendeine Beschäftigung vortäuschen. Schmid beschäftige so viele Menschen als möglich, um sie vor der Aussiedlung zu bewahren. 461 Viele von diesen Zwangsarbeitern versteckte er in der Versprengten- Sammelstelle, indem er drei Zimmer von den restlichen absperrte. Des Weiteren besorgte er ihnen ausreichend Lebensmittel. Um auch den Hunger der übrigen Bewohner im Ghetto zu stillen, gab er seinen Arbeitern den Auftrag, Lebensmittel ins Ghetto zu bringen. Dies musste äußert geheim erfolgen. Damit die Aktion nicht auffiel, begleitet Schmid seine Arbeiter des Öfteren bis zum Eingang des Ghettos, um eine Abnahme der versteckten Lebensmittel zu vermeiden.462

Die „Aktion der gelben Scheine“ kostete jedoch unzähligen Jüdinnen und Juden das Leben. Angefangen im Oktober 1941 wurden von den deutschen und litauischen Polizisten Razzien gegen jene durchgeführt, die keine gelben Scheine hatten. Zwischen dem 3. und 5. November wurde diese Aktion wiederholt. Alle Verhafteten wurden nach Ponary gebracht und fanden durch Erschießung den Tod. Bei der „Aktion der gelben Scheine“ wurden 6.600 Wilnaer Jüdinnen und Juden getötet.463

Im Dezember 1941wurde von der Widerstandsbewegung beschlossen, mit einigen Mitgliedern nach Warschau zu fahren, um einen gemeinsamen Ghettoaufstand zu organisieren. Auch hier war es Anton Schmid, der die Aufgabe auf sich nahm und mit seinem Lastkraftwagen nach Warschau fuhr. Jene, die mitkamen, tarnte er als polnische Christen und so gelang es ihnen an den deutschen Kontrollen vorbeizukommen. In Warschau trafen sich die verschiedenen Vertreter des Ghettos, die der chaluzischen Untergrundbewegung angehörten. Die Vertreter aus

459 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 83. 460 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 79-80. 461 Ebda. S. 79. 462 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 82. 463 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 80-81. 100

Wilna berichteten von den schlimmen Zuständen in ihrem Ghetto, von den Massenerschießungen und dem Todeslager in Ponary. Die Vertreter der verschiedenen Ghettos planten einen allgemeinen Aufstand. Angeführt wurde der Aufstand von den jeweiligen Führern des Ghettos.464

Als sich die Situation im Ghetto immer mehr verschlechterte „beschloss das Hilfskomitee einen bewaffneten jüdischen Widerstand in Bialystock und Warhschau vorzuschlagen und zu organiseren.“465 Führer der Widerstandsbewegung hatten sich aus diesem Grund am 31. Dezember 1941 in Anton Schmids Haus versammelt. Anwesend an dieser Sitzung waren die bereits genannten Herren der Widerstandsbewegung Mordechai Tennenbaum, Tamar Schneidermann, Lonka Kotzebrozka und Hermann Adler. Auch Anita Adler und die von Schmid gerettete Jüdin Emaitisaite sowie ein im Ghetto lebender Wiener namens Fuchs, waren beim Treffen anwesend.466 Hermann Adler bestätigte in einem späteren Schreiben vom 26. Dezember 1966, dass an den Botschaftssekretär Katz der Israelischen Botschaft, gerichtet war, die Richtigkeit dieses Treffens.467

Bis heute herrscht keine Klarheit darüber, wie die Deutschen auf Schmids Spur kamen. Die Rettungsaktionen von Anton Schmid wurden äußerst geheim gehalten, jedoch verbreiteten sich immer mehr Gerüchte über einen deutschen Wehrmachtssoldaten, der solche Aktionen durchführte. Vermutlich wurde Schmid denunziert. Mosche Meisel folgend existierte auch ein Bericht, laut dem die Deutschen sämtliche Bewohner des Ghettos in Lida befragten. Sie wurden befragt, wie sie nach Lida kamen. In diesen Gesprächen konnte herausgefunden werden, dass es Anton Schmid war, der ihnen zur Flucht verhalf.468 Von einem lockeren Gespräch kann man allerdings nicht ausgehen. Wette schreibt, dass Gestapo-Beamten des Ghettos in Lida auffiel, dass dort sehr viele Juden aus Wilna lebten. Deshalb wurden einige von ihnen verhaftet und unter Folter gestanden sie, dass Anton Schmid sie nach Lida brachte.469

Im Februar 1942, als Schmid bereits geahnt hat, dass die Deutschen ihn in Verdacht hatten, verschwand er aus seinem Haus. Die deutsche Feldgendarmarie führte eine Hausdurchsuchung durch und fand einige gefälschte „arische“ Papiere. Nach ein paar Tagen wurde Schmid

464 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 84. 465 Ebda. S. 85. 466 Ebda. S.85. 467 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 89. 468 Ebda. 85-86. 469 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 118. 101

aufgegriffen und ins Lokischki Gefängnis, in dem er selbst unzählige Male war und Jüdinnen und Juden wieder herausholte, gebracht. Während die deutsche Feldgendarmarie das Haus von Schmid durchsuchte, befand sich das Ehepaar Adler in seinem Keller versteckt. Schmids Angestellter „Huppert“ informierte sie über dessen Verhaftung. Durch einen geheimen Ausgang flüchtet das Ehepaar ins Ghetto zurück worauf sie zwei Wochen später mit „arischen“ Papieren, die sie von der Untergrundbewegung zur Verfügung gestellt bekamen, nach Bialystock kamen. Von dort aus konnten sie weiter nach Warschau flüchten.470

Anton Schmid wurde Ende Januar 1942 in Lida verhaftet.471 Einige Wochen später „kam es zu seiner Verhandlung vor dem Kriegsgericht der Feld-Kommandatur (V) 814/Wilna. Am 25. Februar 1942 wurde er zum Tode verurteilt.“472 Dadurch, dass keine Akten der Gerichtsverhandlung auflagen, weiß man bis heute nicht wie die Verhandlung ablief bzw. mit welcher Begründung Schmid zum Tode verurteilt wurde.473

Schmid schrieb seiner Ehefrau am 9.April und am 13. April 1942 Briefe. Im Brief vom 9. April, erklärt er ihr den Grund für seine Verurteilung und wies darauf hin, dass er nur als Mensch gehandelt hatte. Im Zeitungsartikel „Der neue Mahnruf“ aus dem Jahre 1972, ließen sich diese Worte wiederfinden:

„Du weißt ja, wie mir ist mit meinem weichen Herzen. Ich konnte nicht denken, ich half ihnen…ich habe nur als Mensch gehandelt und wollte ja niemanden wehtun. Wenn Ihr, meine Lieben, das Schreiben in Euren Händen habt, dann bin ich nicht mehr auf Erden. Werde Euch auch nicht mehr schreiben können, aber seid sicher, dass wir uns wiedersehen in einer besseren Welt, bei unserem lieben Gott.“ 474

Der Abschiedsbrief vom 13. April 1942 wurde am Samstag, dem 25. Februar 1967, im „Kurier- Magazin“ mit der Überschrift „Das Drama Anton Schmid“, veröffentlicht. Die letzten Zeilen an seine Frau lauteten:

470 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 86. 471 WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 117. 472 Ebda. S. 119. 473 Ebda. 119. 474 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S.120. 102

„Meine liebe Steffi! Deiner denkend in Freud und Leid, teile ich Dir, mein alles, mit, dass heute mein Urteil geflossen ist und ich von dieser Welt scheiden muss, bin zum Tode verurteilt worden. Bitte Dich, bleibe stark und traue auf Gott, unseren lieben, der jedem sein Schicksal bestimmt. Ich konnte nichts mehr ändern, sonst hätte ich Dir und Greta alles erspart. Darum bitte verzeihe mir, ich wollte Euch bestimmt nicht diese Schmerzen bereiten, aber leider geht es anders nicht mehr. Ich bin bereit zu sterben, da Gott es so will, und sein Wille geschehe. Damit müsst ihr Euch abfinden. Bitte noch einmal, vergesst den Schmerz, den ich Euch meine Lieben, bereite, und schweigt darüber. Ich hab ja nur Menschen, obwohl Juden, gerettet von dem, was mich ereilte, und das war mein Tod. So wie ich im Leben immer alles für andere tat, so habe ich auch mein alles für andere geopfert. Alles andere wirst Du ja noch erfahren, weil dich ein Kamerad besuchen wird, der ja erzählen wird, wie das Gericht urteilte. Bitte Dich, auch noch die Schreiben, die Du ja erhalten wirst, 1 bis 4, zu lesen, du wirst daraus ersehen, dass ich es anders wollte, aber auf Euch, meine Lieben, Rücksicht nahm. Meine Lieben, bitte Euch noch einmal, vergesst mich, es wollte ebenso sein, das Schicksal hat es so gewollt. Nun schließe ich meine Zeilen, die ich Euch noch schreibe und Grüße und küsse ich Euch und Dich, mein alles, auf dieser und der anderen Welt, wo ich bald in Gottes Hand bin, noch vielmals, Dein Euch ewig liebender Toni.“475

475 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S.103. 103

Zeitungsartikel „Kurier-Magazin“. Zeitungsartikel aus „ Der neue Mahnruf“ Abschiedsbrief von Anton Schmid an seine 1972. (Quelle: Yad Vashem, Schmid Anton, Frau Stephanie. Dossier Nr. M31/55, S. 120) (Quelle: Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 103.)

Wie viele Jüdinnen und Juden Anton Schmid ihr Leben verdankten ist nicht genau belegbar. Man geht allerdings davon aus, dass er zwischen 300 bis 400 Menschen das Leben gerettet hat. 476 Wette verweist an dieser Stelle auf Hermann Adler, der angibt, dass Schmid etwa 300-350 Jüdinnen und Juden gerettet haben soll. Die Zahl von Hermann Adler hat auch Eingang in die Literatur gefunden.477

476 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S.86. 477 vgl. WETTE, Feldwebel Anton Schmid, 2013, S. 89. 104

Anton Schmid wurde am 22.Dezember 1966 mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.478

Zu ehren Anton Schmids wurde eine Wiener Wohnanlage nach ihm benannt. „Am 1.12. 1990 wurde in einem Gedenkakt die Städtische Wohnhausanlage Wien 1200, Pappenheimgasse 31, nach dem Angehörigen der Deutschen Wehrmacht, Anton Schmid […] benannt.“479

In einem Zeitungsartikel vom Kurier, am 8. Mai 2000, wird die Umbenennung einer Kaserne in Rendsburg (Schleswig-Holstein) bekanntgegeben:

„Dem Wehrmachts-Unteroffizier aus Wien-Brigittenau wird heute, Montag in Deutschland eine späte Ehrung zuteil: Auf Erlass von Verteidigungsminister Rudolf Scharping wird die nach dem Nazi-General Günter Rüdel benannte Kaserne in Rendsburg (Schleswig-Holstein) in ‚Anton-Schmid-Kaserne‘ unbenannt.“480 Am 10. September 2002 wurde ein Fußweg, in Wien 20, nach Anton Schmid benannt.481

Hausbenennung nach Anton Schmid. (Quelle: Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 182)

478 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.358. 479 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 182. 480 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 192. 481 Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 290. 105

Schreiben vom 14.9.1965 Frau Schmid und ihrer Tochter wird die Reise nach Wilna, um das Grab ihres Mannes zu besuchen, bezahlt. (Quelle: Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 28)

106

Sterbeurkunde von Anton Schmid (Quelle. Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55, S. 4)

107

Urkunde aus Yad Vashem: Anton Schmid. (Quelle: Yad Vashem, Dossier Nr. M31/55, S. 73)

108

4.5 Fallbeispiele: Zweite Gruppe 4.5.1 Lingens Ella und Kurt Ella Lingens, geboren 1908 in Wien,482 stammte aus einer Familie die dem gehobenen Mittelstand angehörte.483 Ihre Mutter, Elsa Thommen, war die Tochter von Achilles Thommen. Dieser kam von der Schweiz nach Österreich und war Bahnbauingenieur. Achilles hinterließ seiner Tochter Elsa ein großes Vermögen, was ihr ermöglichte unabhängig zu sein. Sie heiratete einen Angestellten ihres Vaters namens Friedrich Reiner. Als dieser nicht mehr für den Schwiegervater arbeitete baute er sich in Jugoslawien ein Standbein auf. Er brachte die Sojabohne aus den USA nach Europa und baute sie auf seinen Äckern an. Zusammen mit einem Chemiker gründete er die Edelsoja-Werke. Dadurch, dass sich seine Äcker in Jugoslawien befanden und Reiner dort arbeitete, wurde auch Ella Lingens für längere Zeit Jugoslawin. Ihre Mutter Elsa hatte Lingens für die Dauer eines Jahres nicht in Österreich angemeldet, obwohl sie nie wo anders lebte. Dies führte in späterer Folge dazu, dass Lingens den Richterberuf nicht ausüben durfte, da sie die Voraussetzungen für die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erfüllte.484

Ella Lingens, damals noch Ella Reiner, war Mitte der 1920er Jahre Mitglied einer Mädchengruppe, die Heimabende und Wanderungen organisierte. Die Gruppe namens „Wandervögel“ wurde von einem Mädchen aus Ellas Schule gegründet. Es sollten auf Wunsch ihrer „Anführerin“ immer mehr Mädchen in die Gruppe aufgenommen werden. Ella kannte ein Mädchen namens Trudi. Da sie ein sehr nettes und liebes Mädchen war, beschloss Ella sie den übrigen Gruppenmitgliedern, es waren vier oder fünf Mädchen, vorzustellen. Im Falle, dass jemand das neue Mitglied nicht mochte, musste man keine Begründung abgeben. Voraussetzung war allerdings, dass alle mit der Aufnahme einverstanden waren. Als Ella das neue Mädchen Trudi mitnahm, waren alle begeistert. Sie haben gemeinsam gesungen, Gedichte vorgelesen und alle waren mit der Aufnahme Trudis einverstanden. Zwei Wochen später kam es allerdings zu einem komischen Vorfall. Die Anführerin der Gruppe erzählt Ella, dass für den kommenden Sonntag ein Ausflug geplant war. Trudi sollte davon aber nichts erfahren. Auf die Frage, „warum?“ antwortet ihr die Anführerin, dass ihr zu Ohren gekommen sei, dass Trudi nicht rein „arisch“ sei. In weiterer Folge erfuhr Ella, dass in der Gruppe, in der sie ebenfalls

482 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 56. 483 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 113. 484 vgl. LINGENS, Gefangene der Angst, 2003,S. 21-22. 109

Mitglied war, nur „Arier“ aufgenommen wurden. Ella wurde, wie sie es selbst im Interview mit Ungar-Klein berichtet, sehr verärgert und konnte nicht verstehen, weshalb Trudi verstoßen wurde. Sie wurde doch von allen akzeptiert und als bekannt wurde, dass sie keine „Arierin“ war, wurde sie ausgegrenzt. Daraufhin beschloss Ella den Sozialistischen Mittelschülern beizutreten. 1926 machte sie dann ihre Matura und trat im Herbst des gleichen Jahres der Sozialdemokratischen Partei bei. Mit dem Beitritt dieser Partei, kam Ella in sozialistische Kreise, wo sehr viele Jüdinnen und Juden und auch gemischte Paare Mitglied waren.485

Im Jahre 1931 hatte Ella ihr Jus Studium mit dem Doktorrat abgeschlossen. 1932 lernte sie ihren späteren Ehemann, Kurt Lingens kennen.486 Kurt wurde 1912 in Düsseldorf geboren.487 Er wollte ursprünglich ein Studium der Medizin beginnen, weil aber sein älterer Bruder Medizin studierte, drängte ihn sein Vater zu einem Studium der Architektur. Auf Wunsch des Vaters, begann er in Stuttgart zu studieren. Dort trat er einer roten Studentengruppe bei. Im Herbst 1932 kam Kurt nach Wien, um sich dort das Studentenmilieu anzusehen. Zuvor lernte er in Stuttgart Franz Adler, einen Wiener, kennen. Adler wollte in Wien eine Freundin, Ella Reiner, besuchen. Bei der Weihnachtsparty lernten sich die beiden schließlich besser kennen und freundeten sich an. Kurt, der eigentlich ein Studium der Architektur machen sollte, nahm einen Studienwechsel vor. Ella und Kurt beschlossen ein Medizinstudium anzutreten.488

Als in Deutschland die Nationalsozialisten bereits an der Macht waren und Kurt Lingens von den Judenboykotts erfahren hatte, beschlossen die beiden zu helfen. Eine Freundin aus Berlin schrieb Kurt einen Brief, in dem sie um seine Hilfe bat und so kam es, dass er nach Berlin aufbrach. Schlussendlich kam sie von Berlin nach Wien und lebte dann einige Wochen bei Ella und Kurt. Als sie nach einiger Zeit ihr Visum erhielt, wanderte sie nach Palästina aus. In der Atelierwohnung, in der Ella zusammen mit ihrem Bruder und Kurt wohnte, konnten sie Gäste bei sich aufnehmen und den Verfolgten aus Deutschland somit Hilfe leisten.489 Alex Kesten, ein Freund aus Stuttgart, fand in der Atelierwohnung ebenfalls Schutz. Eine andere Freundin, namens Elli Herzfeld, studierte in Berlin Psychologie. Als sie verhaftet wurde, informierte eine Freundin Ella über die Tragödie. Diese machte sich sofort auf den Weg nach

485 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 115-117. 486 Ebda. S. 114-115. 487 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 332. 488 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S.114-115. 489 Ebda. S. 115-117. 110

Berlin. In Berlin traf sie auf ihren späteren Schwager, der Mitglied der SS war. Sie hoffte auf dessen Hilfe, es war jedoch vergeblich.490 Kurz vor dem „Anschluss“, am 7. März 1938491, heirateten Kurt und Ella. Die Annexion konnten sie nur schwer ertragen. Kurt Lingens, wollte auswandern. Seine Frau Ella war jedoch dagegen. Gemeinsam beschlossen sie, Personen die vom NS-Regime verfolgt wurden ihre Hilfe anzubieten und keinesfalls Nein zu sagen.492 Im Jahre 1939 lernen sie Baron Karl Motesiczky kennen, der ebenfalls Medizin studierte. Motesiczky, der mütterlicherseits jüdisch war, freundete sich mit dem Ehepaar Lingens an.493 Anfangs, haben die Lingens Menschen bei der Ausreise geholfen, wie zum Beispiel Annie Federn und dessen Mann Franz Urbach. Urbach war Physiker und durfte aufgrund seiner Erfindung auf dem Gebiet der Infrarotphotographie nicht auswandern.494 Durch Motesiczky, hat das Ehepaar erfahren, das man über Umwege bei der Kanzlei Alberti um mehrere Tausend Mark gefälschte Pässe und Dokumente kaufen konnte.495 Die Lingens waren bereit die Summe, die der Partner von der Kanzlei Alberti namens König verlangte, zu bezahlen. Mit den falschen Pässen konnten Federn und Urbach auswandern.496

Im November 1938 kam es zur Reichspogromnacht. Bernhard Wiesenfeld, ein Freund des Ehepaares, kam am Tag, als er vom Tod Grynszpans erfahren hatte, in dessen Wohnung. Wiesenfeld hatte bereits geahnt, was die jüdische Bevölkerung zu erwarten hatte. Mit einem Pyjama bekleidet und einer Zahnbürste in der Hand, stand er vor der Tür. Die Lingens nahmen ihn selbstverständlich auf. Wiesenfeld lebte drei Wochen bei Ella und Kurt. Immer mehr Jüdinnen und Juden klopften an ihre Türe und so kam es, dass Ella und Kurt ins Hotel zogen, da die Wohnung so belegt war. Die Wohnung der Lingens befand sich im 8. Bezirk, wo es keine Synagoge oder jüdische Geschäfte gab. Ella Lingens sagte, dass sie von der „Kristallnacht“ nichts mitbekommen hätte, wenn nicht die verzweifelten Verfolgten bei ihnen Zuflucht gesucht hätten.497

490 UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S.117-118. 491 vgl. KOROTIN Ilse (Hg.), biografia. Lexikon österreichischer Frauen, Band 2 I-O, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 1993. 492 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 118. 493 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 332. 494 UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 118. 495 Ebda. S. 118-119. 496 Ebda. S.119. 497 Ebda. S.119. 111

Die Lingens verbrachten viel Zeit bei ihrem Freund Motesiczky, der ein Anwesen in Hinterbühl bei Wien besaß. Auch Juden kamen am Wochenende des Öfteren vorbei, da sie nicht in Parks gehen konnten. Eines Tages kamen ein Jude, der im Ersten Weltkrieg Offizier war, und dessen Frau vorbei. Seine Frau war Ungarin und keine Jüdin. Auch sie freundeten sich mit dem Ehepaar an und auch deren Sohn, Peter Michael498, hatte sie sehr gerne. Die neuen Freunde konfrontierten die Lingens mit der Frage, ob sie nicht eine junge Jüdin, namens Erika Felden, bei sich aufnehmen konnten. Auch ihr öffneten sie bereitwillig die Tür und nahmen sie auf. Lingens Ella erinnerte sich nicht mehr genau, wann Felden zu ihnen kam. Entweder war es im Herbst 1941 oder aber Anfang 1942. 499 Das Ehepaar Lingens wurde im Rahmen ihrer Widerstandsaktivitäten auch von Freunden unterstützt. Da gab es zum Beispiel ein Ehepaar, das für die Verteilung von Lebensmittelkarten verantwortlich war. Das Ehepaar, namens Hilde und Robert Lammer500, legte Lebensmittelkarten für Erika Felden auf die Seite, damit die Lingens sie mit Essen versorgen konnten. In dieser Zeit in der Sie bei den Lingens wohnte erkrankte Felden an einer Darminfektion. Auch hier konnte durch geschickte Zusammenarbeit das Leben von Felden, durch eine Operation, gerettet werden. Die Haushaltsgehilfin stellte ihren Personalausweis zur Verfügung, sodass ein Arzt aufgesucht und unter falschen Namen die Operation durchgeführt werden konnte.501

Einmal in der Woche konnte Felden nach draußen gehen. Um Regelmäßigkeiten zu vermeiden, war es nicht immer der gleiche Wochentag, an dem sie die Wohnung verlassen durfte. Einmal in der Woche schlief sie dann bei der Schwester von Ellas Haushaltsgehilfin. Am nächsten Tag konnte sie sich wieder frei bewegen und am Abend traf sie in der Wohnung von Ella und Kurt ein. Damit konnte sich Felden zwei Tag im Freien bewegen und fünf Tage befand sie sich ausschließlich in der Wohnung der Lingens.502

Für Felden war es nicht so einfach, fünf Tage nur in der Wohnung zu sitzen und das auch noch im Sommer. Eines Tages hatte sie die Idee, sich auf das Atelierfenster zu legen, dass einen breiten Vorsprung hatte, um sich zu sonnen. Gegenüber der Wohnung befanden sich das Piaristengymnasium und ein Studentenwohnheim. Die Schule war weiter unten, aber das

498 Peter Michael wurde am 3. August 1939 geboren. Vgl. Korotin, biografiA, 2016, S. 1993. 499 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S.121. 500 LINGENS, Gefangene der Angst, 2003, S. 58. 501 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 332-333. 502 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S.120-121. 112

Studentenwohnheim nicht. Die Studenten riefen die Polizei, da sie annahmen es handle sich um eine Selbstmörderin. Die Polizisten kamen und klopften an die Tür, die sie nicht öffnete. Danach riefen sie beim Telefon an, bei dem sie nicht abnahm. Der Bruder von Kurt, wohnte gegenüber des Ganges, in einem kleinen Zimmer. Seine Freundin war zufällig zu Besuch gekommen und hatte auch den Schlüssel zur Lingens Wohnung503. „In der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Anläuten der Polizei haben die beiden Frauen Platz getauscht.“504 Die Polizei kam nicht dahinter. Kurt Lingens war allerdings sehr verärgert über den Vorfall und wollte, dass sie sich ein anderes Versteck suchte. So kam es, dass Felden in der Hinterbühl untertauchte. Trotzdem besuchte sie das Ehepaar Lingens weiterhin, weil sie sich mit Ellas Haushaltsgehilfin gut verstand. Als die Lingens verhaftet wurden, konnte sie diese noch schnell bitten, Erika Felden zu warnen. Erika Felden hat den Krieg überlebt.505

Als im Sommer 1942 die Deportationen aus Wien begannen, haben viele Juden bei den Lingens um Hilfe gebeten, womit die Wohnung der Lingens ein Zufluchtsort blieb.506 Viele von ihnen baten darum ihre Wertsachen aufzubewahren, damit sie ihnen nicht weggenommen wurden. Andere wiederum baten, sie bei der Flucht zu unterstützen, indem sie ihre Beziehungen nutzten. Eine dieser Beziehungen war der ehemalige jüdische Schauspieler namens Rudolf Klinger.507 Klinger war Informant bei der Jupo, der Judenpolizei. Er hatte die Aufgabe, die Menschen für die Transporte zusammenzustellen. Klinger war aber auch bereit Hilfe zur Flucht gegen Geld anzubieten. Durch eine Rettungsaktion konnte Klinger das Vertrauen der Lingens gewinnen.508

Alexander Weißberg, war ein Freund des Ehepaares Lingens und lebte in Charkow. Bei der großen stalinistischen Verfolgung wurde er verhaftet. 1940 sollte er ausgetauscht werden.509 Bei diesem Transport war auch Grete Buber-Neumann, eine deutsche Kommunistin, dabei.510 Weißberg wurde nach Polen überstellt und konnte der Gestapo entkommen.511

503 Ebda. S.121-122. 504 Ebda. S. 122. 505 Ebda. S.122. 506 vgl. MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 56. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.333. 507 Ebda. S. 333. 508 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011,S. 124. 509 „Im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes tauschte Stalin Weißberg und 19 weitere Gefangene gegen russische Gefangene Hitlers aus, weil er dachte, dem Führer in Gestalt eines Juden minderwertiges Tauschmaterial zu liefern.“ LINGENS Ella, Gefangene der Angst. Ein Zeichen im Leben des Widerstandes, 2003, S. 48. 510 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 123. 511 vgl. LINGENS, Gefangene der Angst, 2003, S. 48. 113

Er bat Ella Lingens, sich um seinen Vater zu kümmern, der in der unteren Augartenstraße wohnte. Dies tat sie auch. Weißberg informierte die Lingens, dass er einen Mann der polnischen Widerstandsbewegung zu ihnen schicken würde, der einen Weg finden sollte, dass er auswandern konnte.512 Als sich Ella mit dem Polen und Klinger in einem Kaffeehaus traf, bat sie Klinger eine Möglichkeit zu finden, Weißberg zu helfen. Dieser stimmte zu. Der Pole, der der Widerstandsbewegung angehörte, kam später mit der Nachricht, dass man Rudolf Klinger nicht trauen konnte.513 Ein anderer Herr namens Lieben Heini, baute auch auf die Hilfe Klingers. 514 Heini Lieben, war ein alter Freund von Ella und Kurt Lingens. Als er verhaftet wurde, gelang es ihm sich freizukaufen. Der Herr, der ihm das ermöglichte war Rudolf Klinger. Als Klinger, Lieben Heini schließlich nach Ungarn brachte und dieser in Sicherheit war, schenkten die Lingens Klinger ihr Vertrauen.515

Im Jahr 1942 sollte auch Alexander Weißberg, der der polnischen Untergrundbewegung angehörte, gemeinsam mit einigen seiner Freunde aus Polen, nach Ungarn gebracht werden. Im August schickt Weißberg zwei jüdische Ehepaare nach Wien. 516 „Anfang 1942 ließ er (Weißberg) uns wissen, dass Hitler in Polen alle Juden umbrächte und dass er uns deshalb bäte, zwei jüdischen Ehepaaren und danach auch ihm zur Flucht zu verhelfen.“517 Es handelte sich dabei um die Brüder Bernhard und Jakob Goldstein und deren Ehefrauen Helene und Pepi. Dadurch, dass die Lingens Klinger vollstes Vertrauen schenkten, baten sie ihn, die Ehepaare über die Grenze zu bringen. „Klinger brachte sie bis zur Grenze, lieferte sie jedoch in letzter Minute an die Deutschen aus und verriet auch die Menschen, die bei der Planung der Flucht geholfen haben.“518 Im Interview mit Ungar-Klein sagt Ella Lingens: „In Wirklichkeit hat er den einen hinübergelassen, um uns in Sicherheit zu wiegen und die ganze Gruppe zu fangen. Ja, er war ein echter Jupo-Mann, ein echter Gestapo Spitzel.“519

512 Ebda. S, 123-124. 513 UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 124. 514 Ebda,S. 124. 515 LINGENS, Gefangene der Angst, 2003, S. 60. 516 vgl. BORUT; Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 333. 517 LINGENS, Gefangene der Angst, 2003, S. 48. 518 vgl. BORUT; Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 333. 519 UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 125. Rudolf Klinger kam 1943 nach Auschwitz und wurde dort ermordet. Vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 125. 114

Am 13. Oktober 1942 wurden die Lingens sowie Motesiczky wegen „finanzieller Hilfe an Mitglieder der polnischen Widerstandsbewegung und der Austeilung gefälschter Ausreise verhaftet.“520 Ella Lingens wurde von der Gestapo, ihr Mann, der sich zu dieser Zeit im Lazarett befand, vom Militär verhaftet. Ella kam am 20. Februar 1943, nach etwa drei bis vier Tagen Transport, in Auschwitz an. Kurt Lingens, der beim Militär war, wurde zu vier Monaten Militärarrest verurteilt eher er an die Front geschickt wurde. Der gemeinsame Sohn, Peter Michael, kam zuerst bei Ellas Schwester, die im 4. Bezirk wohnte unter. Später, als es zu Bombenangriffen auf Wien kam, brachte Kurt den Sohn, gemeinsam mit einer Frau, die er aufgenommen hatte nach Kärnten. Dort, im Lesachtal, hatte Peter Michael vom Krieg nichts mitbekommen, so Lingens.521 Mit einer Strafeinheit, kam Kurt Lingens an die russische Front. 522 Nach einem Lungendurchschuss kam er wieder zurück, wurde aber nach einem Jahr wieder an die Front geschickt, was er allerdings zu verhindern wusste.523

In Auschwitz hatte Ella Lingens einen privilegierten Status. Sie war keine Jüdin, sie war Deutsche und zudem war sie auch noch Ärztin. Zu diesem Zeitpunkt fehlte Ella zwar noch eine Prüfung zu ihrem Doktortitel, aber trotzdem durfte sie als Ärztin agieren. 524 Sie arbeitete im Krankenrevier, wo sie Josef Mengele, dem SS-Arzt, unterstellt war.525 Mengele war kein guter Mensch. Irmtrud Wojak, verweist auf Lingens Autobiographie von 1947 in der sie schrieb: „Mengele war der Teufel.“526

„Er ließ die Häftlingsärzte Patientenlisten mit voraussichtlichen Entlassungsterminen anfertigen, deren einziger Zweck es war, alle in den Tod zu schicken. Wer erst in drei oder vier Wochen zu Entlassung bereit sein sollte, wurde sofort ermordet; wurde eine kürzere Frist vermerkt, ließ Mengele die Patientin rufen und erklärte, dass man diese

520 MOSCHE, Die Gerechten Österreichs, 1996, S. 57. 521 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 125. 522 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 333. 523 vgl. UNGAR-KLEIN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 125. 524 Ebda. S. 125-126. 525 vgl. KOROTIN, biografiA, 2016, S. 1994. 526 vgl. WOJAK Irmtrud, „Mengele war der Teufel“, Ella Lingens als Zeugin der Anklage im Auschwitz-Prozess, in: Ilse KOROTIN (Hg.), „Die Zivilisation ist nur eine ganz dünne Decke…“, Ella Lingens (1908-2002) Ärztin, Widerstandskämpferin, Zeugin der Anklage, Wien 2011, S. 69. Lingens schrieb ihre Erinnerung 1947 nieder. Ihr Sohn, Peter Michael, überarbeitet und ergänzt diese und veröffentlicht sie im Jahr 2003. Vgl. WOJAK, „Mengele war der Teufel“, 2011, S. 69. 115

Halbtoten doch nicht zur Arbeit schicken könne, was de facto ihren Tod bedeutete. Ebenso wie die frühzeitige Entlassung Schwerkranker ins Lager.“527

Mengele war es, der einen ganzen Block mit 600 Frauen vergasen lies. Die Frauen waren an Fleckenfieber erkrankt und um den Block zu säubern, lies er sie alle töten. Dies hatte zur Folge, dass die Häftlingsärztinnen Fleckenfieber verheimlichten und stattdessen eine einfache Grippeerkrankung diagnostizierten.528

Lingens tat alles um zu helfen. Doch es wurden immer wieder Mittel und Wege gefunden, die eine Rettung aussichtslos machten. Wojak schrieb:

„Sie (Lingens) erinnert sich auch an die fieberhaften Versuche, bei Selektionen im Häftlingskrankenbau – bei denen erkrankte jüdische Häftlinge wiederum in besonderen Maße der Todesgefahr ausgesetzt waren – die Frauen durch das Ausspielen des im Lager herrschenden Protektionssystem oder durch Bestechung der SS-Ärzte vor der Vergasung zu retten. […] SS-Arzt Heinz Thilo hatte sogar einmal eine ‚umgekehrte Selektion gemacht‘ und erklärt, dass alle ‚Nummern‘ – das heißt Menschen – die aufgeschrieben worden waren, bleiben dürften: Dadurch waren alle die, die man versteckt hatte, automatisch zu der Gruppe gekommen, die zur Vergasung bestimmt waren.“529

Lingens schrieb: „Meist konnte man dem Morden, wenn man nicht eine andere Frau auf die Todesliste bringen wollte, nur tatenlos zusehen […].“530 Einmal hatte sie aber eine Chance gesehen und diese auch wahrgenommen. Es handelte sich um Frau Lejmann aus Frankfurt am Main. Unterscharführer Draser bat Lingens, sich um die Frau, die an Fleckenfieber erkrankte, zu kümmern. Das tat sie auch. Einige Tage später erfuhr Lingens von der nächsten Selektion

527 WOJAK, „Mengele war der Teufel“, 2011, S. 68. 528 Ebda. S, 75. 529 Ebda. S. 77. 530 LINGENS, Gefangene der Angst, 2003, S. 176. 116

und ihr war klar, dass auch Lejmann davon betroffen war. „Die junge Frau zitterte vor Angst und Verzweiflung und klammerte sich flehend an mich. ‚Helfen Sie mir!‘“531

Obwohl ihr der Lagerarzt sagte, dass sie nicht unliebsam auffallen solle, da in den nächsten Monaten ihre Entlassung vorgesehen sei, entschied sie sich zu helfen. In Gedanken war sie immer bei ihrem kleinen Sohn, den sie zurücklassen musste. Lingens schrieb in ihren Erinnerungen:

„Kind, vielleicht musst du noch länger auf deine Mama warten, aber wenn sie dann zu dir zurückkommt, dann soll sie dir in die Augen sehen können, dann wirst du dich nicht schämen müssen, dass deine Muttersprache Deutsch ist.“532

Lingens meldete sich beim diensthabenden Unterscharführer und brachte vor, dass Unterscharführer Draser Wert auf die Genesung der Frau legte und ein Abtransport gegen den Wunsch Drasers wäre. Sie erhielt dankend die Antwort, dass die Frau bleiben durfte, jedoch an ihrer Stelle eine andere Frau gehen musste. Obwohl sich Lingens über den Erfolg freute, schmetterten sie die Worte des Unterscharführers nieder: „Dann muss eben eine andere Frau für sie gehen.“533 Dies bedeutete, dass Lingens Lejmann rettete, aber eine andere unschuldige Frau ins Verderben gestürzt wurde.534

Das schlechte Gewissen quälte Lingens. So war es auch bei Gretl Stutz, die als Pflegerin im Lager arbeitete. Als sie an Fleckentypus erkrankte, kümmerte sich Lingens anfangs um sie. Doch die zahlreiche Arbeit machte es ihr schwer sie jeden Tag zu besuchen. Als Stutz in den Infektionsblock transportiert wurde, wo es keine deutschen Gefangenen gab, beeilte sich Lingens so schnell wie möglich dort einzutreffen, vergeblich. Als sie dort ankam, war Stutz schon tot535. „Ich weiß das Gretl auf mich gewartet und auf mich gezählt hat. Und ich bin nicht gekommen.“536

531 Ebda. S.176. 532 LINGENS, Gefangene der Angst, 2003, S. 176-178. 533 Ebda. S. 179. 534 Ebda. S. 179. 535 Ebda. S. 181-182. 536 Ebda. S.182. 117

Anfang Dezember 1944 kam Lingens nach Dachau, wo sie als Ärztin in einem Frauen – Außenkommando in München arbeitete. 537 Es gelang ihr, viele Frauen vor der Fabrikarbeit zu bewahren, indem sie sie krankschrieb. So konnte sie diese, zumindest zeitweise, von den schweren Arbeiten bewahren.538

In Auschwitz hatte man die Möglichkeit einmal im Monat nach Hause zu schreiben. In Dachau war dies nicht mehr möglich. Lingens konnte, aufgrund des dort herrschenden Chaos, keine Postnummer erhalten, und so riss der Kontakt ab. In der Heimat wurde angenommen, dass Ella Lingens tot sei.539 „Am 29. April 1945 erlebte sie die Befreiung des Lagers durch die Amerikaner“540 Nach Kriegsende fuhr sie zu ihrem Sohn, der sich noch immer in Kärnten befand. Dort arbeitete sie als Ärztin und holte die letzte Prüfung ihres Medizinstudiums nach. Da Kurt Lingens von seiner Frau keine Briefe erhalten hatte, ging er davon aus, dass sie nicht überlebt hatte. Er fand eine neue Frau und als Ella zurückkam, entschied sich Kurt dennoch für die neue Frau.541

„Am 3. Januar 1980 wurde Kurt Lingens, seiner Frau Ella Lingens-Reiner und Baron Karl von Motesiczky von Yad Vashem die Auszeichnung ‚Gerechte unter den Völkern‘ verliehen.“542

Wenige Monate vor dem Tod von Ella Lingens, wurde in Wien im 21. Bezirk ein Gymnasium eröffnet. Die Lehrerinnen und Lehrer begannen nach einem geeigneten Schulnamen zu suchen. Im Juni 2006 wurde verkündet das Gymnasium, Ella Lingens Gymnasium zu benennen. Auf der Homepage fand man über Ella Lingens folgende Worte: „Ella Lingens ist uns als hoch gebildete und kritisch denkende Frau mit großer Zivilcourage Vorbild und Identifikationsfigur.“543

537 KOROTIN Ilse (Hg.), biografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Band 2 I-O, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 1994. 538 Ebda. S.1994. 539 vgl. UNGAR-KLIEN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 127. 540 KOROTIN, biografiA, 2016, S. 1994. 541 vgl. UNGAR-KLIEN, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen“, 2011, S. 127. 542 BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 333. 543 Ella Lingens Gymnasium, DDr. Ella Lingens-Reiner, In: https://www.elgym.at/index.php/elgym/ella-lingens [Abruf am 22.01.2019]. 118

Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Wien Tagesbericht Nr. 5 vom 13-15.10. 1942

(Quelle: Yad Vashem Lingens Ella, Dossier Nr. M31/1730, S. 8 und 9)

119

Botschaft des Staates Israel: Presse Information vom 27. November 1980 (Quelle: Yad Vashem, Lingens Ella, Dossier Nr. M31/1730, S. 82)

120

Urkunde aus Yad Vashem: Ella Lingens-Reiner. (Quelle: Yad Vasehm, Lingens Ella, Dossier Nr. M31/1730, S. 75)

121

Urkunde aus Yad Vashem: Kurt Lingens. (Quelle: Yad Vasehm, Lingens Ella, Dossier Nr. M31/1730, S. 76)

122

4.5.2 Kuttelwascher Otto und Hermine Der Installateur Gehilfe Otto und seine Frau Hermine, Mina, Kuttelwascher lebten in Wien. Zusammen mit dem ersten Kind lebten sie in einem möblierten Kabinett. Als das zweite Kind geboren wurde und die Unterkunft zu klein wurde zogen sie nach Kagran in eine Untermietwohnung.544 Als das dritte Kind kam, bewarb sich Otto Kuttelwascher beim Wohnungsamt in Wien um eine größere Wohnung.545 Zur damaligen Zeit war es nicht so einfach eine geeignete Wohnung zu finden. Als man aber damit begann jüdische Menschen aus ihren Wohnungen zu vertreiben, besserte sich diese Situation. Otto Kuttelwascher bekam von Zeit zu Zeit immer wieder eine Zuschrift, in der stand, dass er sich diese und jene Wohnung anschauen solle. Jedes Mal, wenn Kuttelwascher die Wohnung besichtigte, handelte es sich um Wohnungen von Jüdinnen und Juden. Aus Naivität lehnte er jede Wohnung ab, um den jüdischen Menschen nicht ihre Wohnung wegzunehmen. Dass dies allerdings wenig Wirkung hatte, wurde ihm erst später bewusst. Wenn nicht er bereit war die Wohnung zu nehmen, so bekam diese schlicht und einfach eine andere „arische“ Familie. Als sich Otto Kuttelwascher in der Körnergasse eine Wohnung im vierten Stock ansehen sollte, versicherte er dem älteren jüdischen Ehepaar, die bis dorthin noch in der Wohnung lebten, dass er die Wohnung zugewiesen bekommen hatte, er sie allerdings nicht so dringend brauchte. Nach ein oder zwei Monaten, bekam Otto dann die Nachricht, dass die Wohnung leer sei und er mit seiner Familie einziehen konnte.546 „Na, das war die allgemeine Aussiedlung jüdischer Menschen.“547

Als die Familie Kuttelwascher in ihre neue Wohnung zog, fand Otto an der Eingangstür eine Rolle, die angenagelt wurde. Es handelte sich dabei um eine Mesusa.548 Die Mesusa wird von Jüdinnen und Juden an Türpfosten ihrer Wohnungen und Häuser befestigt, damit Gott über das Haus wacht und dieses auch beschützt.549 Otto war konfessionslos, aber dennoch ein religiöser Mensch. Er beschloss, die Rolle nicht herunterzunehmen, da er der Meinung war, dass religiöse Verrichtungen ihren Sinn haben. Alle Häuser in der Umgebung waren bereits beschädigt. Nur dem Haus, in dem die Familie Kuttelwascher einzog, war nichts geschehen. Dass sich Otto und Hermine wenig aus der Abstammung ihrer Mitmenschen machten, beweist die Freundschaft zu

544 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, S. 635. 545 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S. 195. 546 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, S.635-636. 547 Ebda. S. 635 548 Ebda. S. 636. 549 HINRICHSEN Matthias, Mesusa, In: https://www.israelmagazin.de/israel-juedisch/mesusa-mezuza-mezuzah [Abruf am 30.01.2019]. 123

Familie Pollak. Als Otto und Hermine noch in Kagran lebten, lernten sie 1934 die Pollaks kennen. Pollaks Vater war Jude. Die Familien freundeten sich an und verbrachten fast täglich Zeit miteinander.550 „Wenn wir eine Familie kennengelernt haben, hat uns das überhaupt nicht interessiert, ob es Juden war’n oder nicht.“551 So war es auch bei Familie Kohn. Da sich die neue Wohnung im vierten Stock befand und die Familie drei kleine Kinder hatte, beschloss Otto, Gitter für die Fenster zu besorgen. Zu dieser Zeit befanden sich an vielen jüdischen Wohnungen und Häusern Zettel, auf denen Dinge standen, die von den Familien verkauft wurden. Auf einem dieser Zettel fand er in der Hofenedergasse die Aufschrift „Fenstergitter zu verkaufen“. Dieser Zettel führte ihn zur Familie Kohn. Familie Kohn war Otto auf Anhieb sympathisch und er kam mit ihnen ins Gespräch. In seinen Aufzeichnungen hielt er fest, als ihn eine der Töchter, namens Käthe anbot ihn zur Station zu begleiten, hatte die Freundschaft begonnen.552 Dass war im Jahre 1939.553 Käthe hat auch eine jüngere Schwester namens Erna. Erna Kohn wurde am 12. März 1908 geboren und war zum damaligen Zeitpunkt ca. 30 Jahre alt. Erna und Käthe besuchten die Kuttelwaschers regelmäßig. Eines Tages, als Otto von der Kaserne nach Hause kam, fand er seine Frau und seine Kinder mit verweinten Gesichtern vor.554 Es war im Juni 1942 als Otto und Hermine eine Abschiedspostkarte von Käthe erhielten, in der sie mitteilte, dass sie abgeholt worden waren.555 Die Kuttelwaschers wollten Käthe und ihre Mutter Sofie retten. Vor der bevorstehenden Deportation bat Otto Sofie Kohn, christliche Papiere seiner zuvor verstorbenen Mutter an. „Leider hat meine Mutter und Schwester dieses menschliche Angebot nicht angenommen.“556

Der Abtransport erfolgte Anfang Mai 1942. Sofie kam nach Theresienstadt, Käthe nach Majdanek. Keiner von ihnen hat überlebt.557 Auch Erna sollte deportiert werden. Sie arbeitete von 1940 bis 1942 im Zwangsarbeitslager in Magdeburg. Sie wurde von der Gestapo Anfang Mai 1942 nach Wien zurückgeschickt.558 Dort sollte sie sich am Morzinplatz melden. Erna ging zuerst zu ihrem Elternhaus in die Hofenedergasse559, das sie versperrt vorfand. Der gesamte Wohnblock wurde bereits, einschließlich ihrer Mutter und Schwester, ausgehoben. Sie

550 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, S. 635. 551 Ebda. S. 635. 552 Ebda. 636. 553 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 9. 554 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, 636. 555 vgl. KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S.195. 556 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 9. 557 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 9. 558 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 9. 559 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8. 124

beschloss bei den Kuttelwaschers, deren Wohnung nur eine Gasse weiter lag560, Hilfe zu suchen.561 Königseder schilderte die Situation von Otto und Hermine Kuttelwascher wie folgt:

„‘Meine Frau und ich blickten einander an‘, erinnert sich Otto Kuttelwascher ‚Das Leben eines Menschen - oder das von uns allen – lag in der Entscheidung dieses Augenblicks. Wir wissen es nun nicht mehr, wer es von uns beiden zuerst aussprach: Erna, du bleibst bei uns!‘ Es war ein Wagnis, schon wegen der drei Kleinkinder, von denen eines nach dem andern nun zur Schule kam.“562

Für die Kuttelwaschers war es eine klare Entscheidung. Niemals hätten sie verantworten können, Erna abholen zu lassen. Auch Erna selbst war die gefährliche Situation, in die sich die Kuttelwaschers brachten sofort bewusst. In einem Schreiben vom 27. November 1978 an Yad Vashem, in dem sie darum bat ihren Freunden die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ teil werden zu lassen, wies sie auf die große Gefahr hin, in die sich Otto und Hermine mit ihren Kindern brachte. „Diese Familie hatte zu dieser Zeit drei kleine Kinder im Alter von 8,5+2 Jahren und der Mann war bei der Luftwaffe eingerückt. Brauche wohl nicht erst zu erwähnen welcher Gefahren sich diese Familie ausgesetzt hat.“563 Die Gefahr bestand darin, dass sich eines der Kinder verplappert. Otto und Hermine mussten den Kindern bewusst machen, dass sie niemals darüber reden durften, dass jemand bei ihnen wohnt. „Wenn ihr nur ein Wort sagt, dass wir die Tante Erna da haben, ist das unser aller Leben.“564 Obwohl die Kinder zu diesem Zeitpunkt noch sehr klein waren, haben sie die drohende Gefahr erkannt.565 Es kam hinzu, dass Erna im Viertel keine Unbekannte war. Nur eine Gasse trennte die Wohnung der Kuttelwaschers von der der Kohns.566 Im Haus, in dem sich die Wohnung der Kuttelwaschers befand, waren viele ältere Leute. Nur zwei Nachbarn waren für sie gefährlich. Bei den einen Leuten, handelte es sich um „Supernazis“. Der Mann war allerdings eingerückt und seine Frau war meist in Deutschland bei Verwandten zu Besuch. Die andere gefährliche Nachbarin war Frau R. Sie hat Erna Kohn

560 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8. 561 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, 637. 562 KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S.196. 563 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8. 564 .Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, 637. 565 Ebda. S.636. 566 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8. 125

durch die Fensterscheibe im Lichthof erblickt.567 Sie stellte Hermine Kuttelwascher schließlich zur Rede und merkte an, dass sie wüsste, dass sie jemanden in der Wohnung habe, „aber wenn man läutet, wird nicht aufg’macht.“568 Hermine schilderte der Nachbarin die Situation. Frau R. konnte damit aber nur wenig anfangen. „Frau Kuttelwascher, Sie können ihre Kinder nicht gerne haben, wenn Sie so etwas tun. Denken Sie an ihre Kinder. Die Jüdin muss raus!“569 Verzweifelt grübelten Otto und Hermine darüber nach, ob Erna jemand anders Unterschlupf gewähren könnte. Am nächsten Tag entschärfte sich die Situation allerdings, als Frau R. die Familie Kuttelwascher darum bat, Erna doch weiterhin zu verstecken. Frau R. hatte einen Judentransport mit angesehen und ihre Meinung schlagartig geändert.570 Gefahr drohte dennoch jeden Tag. Wenn jemand an der Tür läutete, musste Erna sofort in einen Kasten. Meistens wussten Otto und Hermine wenn jemand zu Besuch kam. Der Hausherr konnte aber zu jeder Zeit vorbeikommen. Wenn sich die Familie in der Küche befand und es läutete, so sprang Erna in die Kohlekiste, die sich in diesem Raum befand. Hermine war froh, dass die Leute nie lange geblieben sind, ansonsten hätten sie Angst haben müssen, dass Erna in der Kohlenkiste oder im Kasten zu wenig Luft bekam. Als eines Tages die Hausbesorgerin vor der Tür stand, war es ihr Sohn Loisi, der die gefährliche Situation erkannte und richtig reagierte. Hermine hatte vergessen den Bodenschlüssel abzugeben, woraufhin die Hausbesorgerin vor der Türe stand. Hermine war allerdings nicht zu Hause und so öffnete Loisi die Tür. Als die Hausbesorgerin die Wohnung betreten wollte, drängte sie Loisi wieder hinaus, mit der Begründung „Nein, die Mama ist nicht da, da können Sie nicht hinein.“571 Er gab ihr den Schlüssel und schickte sie wieder fort.572 Bei Fliegeralarm musste Erna immer in der Wohnung bleiben. Das Risiko, sie in den Luftschutzkeller mitzunehmen, war viel zu groß. Zum guten Glück war dem Haus nie etwas passiert, in dem die Kuttelwaschers lebten. Otto war immer der Meinung, dass sie in einem „geschützten“ Haus wohnten.573 1948 schrieb Otto Kuttelwascher ein Gedicht mit dem Titel „und nur deshalb, weil sie Juden sind“, in dem er seine Erinnerungen an diese schreckliche Zeit festhielt.574

567 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale,1992, S. 637. 568 Ebda. S.637. 569 Ebda. S.637. 570 Ebda. S.637. 571 Ebda. S.638. 572 Ebda. S.638. 573 Ebda. S.638. 574 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 5-6. 126

Erna Kohn konnte dank Familie Kuttelwascher den Krieg überleben und wanderte später in die USA aus.575 Erna blieb mit Otto und Hermine immer verbunden und sie hielten den Kontakt aufrecht. 1975 besuchten die Kuttelwaschers Erna Kohn, später verheiratete Katzenell, für 14 Tage in New York. Am 27. November 1978 schrieb Erna einen Brief nach Yad Vashem, in dem sie darum bat, ihre Lebensretter aus Wien mit der Ehrenmedaille auszuzeichnen und einen Baum in der Straße der Gerechten zu pflanzen. Außerdem erzählte sie in dem Brief ihre Rettungsgeschichte.576 Am 28. September 1980 erhielt sie die Bestätigung, dass die Kommission am 18. September 1980 der Auszeichnung von Hermine und Otto Kuttelwascher zugestimmt hatte.577 Als der Gatte von Erna Katzenell 1982 stirbt, fliegen Otto und Hermine für drei Wochen nach Miami, dem neuen Wohnort von Erna, um ihr Beistand zu leisten.578

Otto und Mina Kuttelwascher brachten sich und ihre drei gemeinsamen Kinder in Lebensgefahr, da sie eine jüdische Freundin bei sich beherbergten. Die Strafe für diese Tat wäre Konzentrationslager oder Tod gewesen. Des Weiteren erhöhte sich das Risiko, da Erna Kohn in der Nachbarschaft keine Unbekannte war. Ohne irgendeiner Form von Bezahlung, versteckten sie ihre Freundin und konnten sie so vor dem Tode bewahren.579 Aus guten Grund dürfen sich Mina und Otto so in der Reihe der „Gerechten unter den Völkern“ einreihen.

575 KÖNIGSEDER, Österreich - ein Land der Täter, 1998, S.196. 576 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8-9. 577 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 14. 578 Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 32. 579 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 324. 127

Urkunde aus Yad Vashem: Otto und Mina Kuttelwascher. (Quelle: Yad Vasehm, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 23)

128

Brief vom 27. November 1978 an Yad Vashem. – Seite 1 (Quelle: Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8-9.)

129

Brief vom 27. November 1978 an Yad Vashem. – Seite 2 (Quelle: Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 8-9.)

130

Brief vom 28. September 1980. Bestätigung der Auszeichnung von Otto und Mina Kuttelwascher. (Quelle: Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 14)

131

Brief vom 19. Mai 1982. Erna über Aufenthalt der Kuttelwaschers in Miami. (Quelle: Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31, S. 32-33)

4.5.3 Die Schwestern Posiles Edeltrud und Becher Charlotte Edeltrud Becher, wurde am 4. Juni 1916580 in Wien geboren. 1937 lernte sie ihren späteren Ehemann Walter Posiles, geboren am 6. März 1897,581 kennen.582 Walter war tschechischer Staatsbürger und nach den „Nürnberger Rassengesetzen“ Jude. Als die beiden 1938 heiraten wollten, war dies aufgrund der neuen Gesetzeslage, die eine Eheschließung zwischen „Ariern“ und Juden verbot, nicht mehr möglich gewesen. Walter verließ Österreich und floh zuerst nach Bratislava und später nach Prag. Dennoch hielten die beiden Kontakt und hin und wieder schafften sie es einander zu sehen.583

580 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 26. 581 Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424, S. 5. 582 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, 639. 583 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 348. 132

Charlotte Becher, später Fritz, war die kleine Schwester von Edeltrud.584 Charlotte wurde am 19.7.1918 geboren.585 Im Herbst 1939 erhielt die Gestapo einen anonymen Hinweis, dass Edeltrud Becher „Rassenschande“ betreiben würde.586 Zwei Zivilbeamte, die zur Gestapo gehörten, fuhren schließlich zur Wohnung der Bechers, die sich in der Rögergasse 24-26 im 9.Bezirk befand,587 um Edeltrud zur Rede zu stellen. Charlotte öffnete die Tür und behauptete, dass ihre Schwester auf Erholung bei Bekannten sei. Da es ihr keine Ruhe ließ, wer ihre Schwester verpetzt haben könnte, ging sie in die Boltzmanngasse zur Polizei, um weiter nachzufragen. Charlotte wurde eine normale Postkarte gezeigt auf der stand: „Die Edeltrud Becher treibt Rassenschande mit einem Juden.“588 Charlotte warnte ihre Schwester Edeltrud, die in Folge dessen nach Ungarn, zu Grete, der Schwester von Walter Posiles, und deren Mann Dr. Janós Héjja589 floh und sich dort versteckt hielt. Charlotte ging nach einigen Wochen wieder zur Polizei um sich über die Sachlage ihrer Schwester zu erkundigen. Sie erhielt die Antwort, dass kein Akt über Edeltrud mehr aufliegt. Aus diesem Grund konnte Edeltrud wieder nach Österreich zurückkehren.590 Es war Buchegger Friederike zu verdanken, dass der Akt über Edeltrud verschwinden konnte. Friederike war zu dieser Zeit mit Walter Posiles befreundet. Als sie erfuhr, dass seine Geliebte in Schwierigkeiten steckte, beschloss sie ihre Beziehungen spielen zu lassen und zu helfen. Sie kannte eine Freundin, die wiederum einen Freund, der im Büro der Wiener Gestapo arbeitete. In diesem Büro wurde auch der Fall Becher Edeltrud bearbeitet. Friederike bat diesen Freund um Vernichtung der aufliegenden Akte sowie der Anzeige. Auch sie verständigte Edeltrud über die Vernichtung des Akts.591 Während dieser Zeit gelang es Walter zweimal die tschechische Grenze zu überqueren um Edeltrud wiederzusehen. Da die beiden einen geschützten Ort in Wien brauchten stellten Edeltruds Tanten, Lydia Matouschek und Olga Holstein592, den beiden ein Zimmer für je acht Tage zur Verfügung.593

584 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, 642. 585 Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424, S. 4. 586 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 348. 587 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 5. 588 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, 642. 589 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 5. 590 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 639, 642. 591 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 302-303. Buchegger hilft auch weiterhin. Sie überredet die Hausbesorgerin ihres Wohnblocks, Ludwig Posiles zu verstecken. Des Weitern versorgt sie die Brüder mit Nahrungsmitteln indem sie Lebensmittelkarten sammelt und das Essen an Edeltrud weitergibt, die es den Brüdern Posiles ins Versteckt bringt. Vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 303. vgl. Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S.6. 592 Lydia heiratet Josef Matouschek. Olga heiratet Emanuel Holstein. Nach ein paar Jahren wurden beide Ehen geschieden, worauf hin die Schwestern in die Wohnung ihrer Eltern in die Gymnasiumstraße 56 zurückkehren. Gemeinsam mit ihrem Bruder Georg wohnen sie dort. Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr, M31/1423, S. 27. 593 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 336-337. 133

Die Wohnung war zwar groß, aber auch ihr Bruder Georg wohnte dort. Georg war ein Nazi und durfte nicht Wind von der Sache bekommen.594 Die Wohnung befand sich in der Gymnasiumstraße 56 im 19. Bezirk.595

Walter Posiles hatte zwei Brüder, Hans und Ludwig. Aus Furcht vor dem Konzentrationslager hatte die Ehefrau von Hans, mehrmals versucht Selbstmord zu begehen. Einmal konnte Edeltrud ihr das Leben retten, indem sie sie aus der Badewanne zog. Schlussendlich hat sie es dennoch geschafft sich das Leben zu nehmen, worüber Hans Posiles sehr unglücklich war. Als die Brüder Posiles im Sommer 1942 den Einweisungsbefehl für das KZ bekamen, standen sie wieder vor neuen Herausforderungen.596 Hier war es Edeltruds Schwester Charlotte zu verdanken die sofort handelte. Es war unmöglich Walter bei sich in der Wohnung aufzunehmen. Es wäre viel zu gefährlich gewesen. So beschloss Charlotte Walter in der Atelierwohnung ihres Verlobten Friedrich Kuntz unterzubringen. Kuntz war eingerückt und von daher selten zuhause.597 Charlotte bearbeitete Kuntz, ihrer Schwester Edeltrud ein Zimmer zu vermieten, was er schlussendlich auch tat. In diesem Zimmer, in der Neustiftgasse 33 im 7. Bezirk, soll Walter Posiles versteckt werden.598

Charlotte gelang es, falsche Papiere zu besorgen bzw. wurden ihr diese geborgt. „Das war ein großartiger Mann, welcher sie mir einfach gab, lediglich mit der Bitte, sie zu retournieren.“599 Als alle Vorbereitungen getroffen waren schickten sie ein Telegramm an Walter mit dem Inhalt „Sommeraufenthalt gefunden“. Die Antwort auf dieses Schreiben, brachte weitere Hindernisse mit sich, denn Walter schrieb: „Kann nicht ohne Buben“. Hier meinte Walter seine zwei Brüder, Hans und Ludwig. Nach kurzer Verzweiflung und Überlegung bestätigten Charlotte und Edeltrud, „Landaufenthalt für Buben gefunden.“ Da die Zeit sehr knapp war, konnten für Hans und Ludwig nicht so schnell Reisepapiere besorgt werden. Lediglich Walter konnte mit diesen zuvor ausgestattet werden. Aus diesem Grund entfernten sie das „J“ aus den Reisepässen.600 Walter, Hans und Ludwig schrieben einen Abschiedsbrief, indem sie ihren Selbstmord ankündigten.601

594 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S.27. 595 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 5. 596 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 639. 597 Ebda. S. 642. 598 Ebda. S.639. 599 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 642. 600 Ebda. S. 642-643. 601 Ebda. S. 639. 134

Über Umwegen kamen sie von Prag nach Wien, wo sie in der Atelierwohnung von Charlottes Verlobten Unterschlupf fanden. Aus einem U-Boot wurden drei U-Boote. Einen erwachsenen Mann zu verstecken wäre noch „einfach“ gewesen, aber drei ausgewachsene Männer zu verstecken und zu versorgen, war ein ungeheures Problem. Bei Bombenangriffen mussten sie sich in Sicherheit bringen. Alle drei konnten aber nicht gleichzeitig in den Keller laufen und so mussten sie horchen, ob sich jemand auf der Stiege oder in den Gängen befand und abwechselnd vom 5. Stock hinunter und dann wieder hinauf laufen.602

Charlotte Becher schilderte eine Situation, in der die Beherbergung der Brüder Posiles fast aufgeflogen wäre. Becher hatte in der Zwischenzeit Kuntz geheiratet. Die Ehe wurde am 7.12.1943 vollzogen.603 Eines Tages kam ein Anruf ihres Mannes, in dem er ihr erzählte, dass er auf den Weg in sein Atelier war. Charlotte reagierte sofort und lief vom 9. Bezirk in die Atelierwohnung, die sich im 7. Bezirk befand und schaffte es rechtzeitig, also vor ihrem Ehemann anzukommen. Schnell wurde alles eingepackt und die Brüder im angemieteten Zimmer ihrer Schwester versteckt.604 Friedrich Kuntz hatte von dem ganzen Vorfall nichts mitbekommen. In eine andere brenzlige Situation begab sich Ludwig, als er Friederike Buchegger am Abend des Hitlerattentats nach Hause begleitete. Vor dem Rothschildspital wurden sie für eine Perlustrierung angehalten. Ludwig hatte nur ein Dokument bei sich, aus dem Edeltrud das „J“ entfernt hatte. Die Kontrolle war zum guten Glück gut ausgegangen.605

Drei Brüder in einer Wohnung den ganzen Krieg über zu verstecken wäre nicht möglich gewesen. Vor allem nicht, wenn Friedrich Kuntz auf Urlaub kam. Im Laufe der Zeit mussten andere Unterkünfte gefunden werden. Frau Rehak, die im 18. Bezirk wohnt, stellte Ludwig für ein paar Tage eine Schlafmöglichkeit zur Verfügung. Am Tag durfte er sich allerdings nicht bei ihr aufhalten. Ludwig fährt mit der Tramway von einer Endstation bis zur anderen. Später konnte er bei anderen Bekannten Schutz finden. Hierbei handelte es sich um Alois und Josephine Kreiner.606 Alois war der beste Freund von Walter Posiles. Die Kreines erklärten sich bereit, Ludwig vorerst für kürzere Zeiträume, später aber länger bei sich aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war der Sohn der Kreiners namens Otto, dreizehn Jahre alt und in das Familiengeheimnis eingeweiht. Dieses Geheimnis musste von Juni 1942 bis Kriegsende, als

602 Ebda. S.642-643. 603 Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424, S. 4. 604 Ebda. S. 644. 605 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S.6-7. 606 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 639-640. 135

Walter aus seinem Versteck kam, bewahrt werden.607 Ludwig konnte in der Weinhandlung der Kreiners tagsüber arbeiten. In der Nacht schlief er in der Dachkammer. Die Kundschaft der Kreiners hielt Ludwig für einen Verwandten, da Alois ihnen das erzählt hat. Es bestand dennoch die Gefahr, dass einer dieser Kunden Verdacht schöpfte und sie bei der Gestapo anzeigte. Die Kreiners haben für die Posiles alles getan. Sie beherbergten Ludwig und bezahlten ihn für seine Arbeit in der Weinhandlung. Darüber hinaus, versorgten sie Ludwigs Brüder ebenfalls mit Lebensmitteln.608

Während Walter im angemieteten Zimmer von Edeltrud bleiben konnte, musste auch Hans ein anderes Versteck finden. Er lebte von Juni 1942 bis Kriegsende bei Maria Fasching in Baden.609 Dort sabotierte Hans, der einst Major der tschechischen Armee war, die Funkverbindungen der Wehrmacht.610 „Hans, der Major bei der tschechischen Armee war, natürlich wurde er, als die Nazis auch dort einmarschierten entlassen, schnitt in Baden und Umgebung der Wehrmacht die Telefonleitungen durch.“611

Maria Fasching und Hans Posiles kamen kurz vor Kriegsende, am 2. April 1945,612 bei einem Luftangriff ums Leben. Sie befanden sich auf der Straße als die Bomben fielen. Beide wurden getroffen. Hans war sofort tot während Maria ins Krankenhaus gebracht wurde und dort starb.613

Die Becher Schwestern hatten jeden Tag mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Allein die Versorgung von drei Männern mit Lebensmitteln war zu dieser Zeit eine schwere Aufgabe. Edeltrud erinnerte sich, dass sie mit dem Tintentod die „Ungültig-Stempel“ der Lebensmittelkarten gelöscht und danach mit etwas Farbe nachgefärbt hatte. So war es möglich, mehr Lebensmittelrationen zu erhalten.614 Dank der Hilfe ihrer Freunde, die den Brüdern Unterschlupf gewährten, sie mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgten, war es Charlotte und Edeltrud möglich, die Männer durchzubringen.615 Als ein Bekannter von Matouschek bei einem Unfall ums Leben gekommen war, nahm sie dessen Personalausweis und übergab ihn

607 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 322-323. 608 Österreichische Freunde von Yad Vashem, Rassenschande, In: http://gerechte.at/rettungsgeschichten/rassenschande/ [Abruf am 06.02.2019]. 609 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 349. 610 Ebda. S.309. 611 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 7. 612 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 29. 613 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 309. 614 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 640. 615 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 349. 136

Walter Posiles. Damit hatte Posiles die Möglichkeit sich frei zu bewegen. Ohne Angst vor einer Verhaftung, konnte er sich auf die Straße begeben und darüber hinaus Pakete nach Theresienstadt senden, wo sich seine erste Ehefrau und ihr gemeinsamer Sohn befanden.616

Als Edeltrud im September 1942617 an Scharlach erkrankte, musste Charlotte die ganze Last alleine tragen. Es stand so schlimm um ihre Schwester, dass die Rettung sie nicht einmal mitnehmen wollte. Charlotte trug ihre Schwester, die kaum Gewicht hatte, die fünf Stockwerke nach unten. Edeltruds Krankheit war auch für die Brüder Posiles eine große Gefahr. Schlimm wären die Folgen einer Ansteckung gewesen.618

Als Walter an einer Lungen- und Rippenfellentzündung erkrankte619, war es Olga Holstein die einen Arzt kannte, der Juden im Versteck behandelte.620 Dr. Ernst Pick621 war zur Behandlung von Juden zugelassen. Darüber hinaus behandelte Dr. Pick jüdische U-Boote. Dass es ein Risiko war, zu dieser Zeit jüdischen U-Booten zu helfen, war Dr. Pick durchaus bewusst, trotzdem entschied er sich zu helfen. Im Fall von Walter Posiles, war es ein ungeheures Glück, dass Dr. Pick ihn behandelte. Die Genesungszeit hat sehr lange gedauert, aber er wurde schlussendlich wieder ganz gesund.622 „Er kam mehrmals im Tag zu uns herauf (183 Stufen, ohne Lift) punktierte, verabreichte Injektionen und Medikamente und rettete Walter das Leben.“623

In den letzten Kriegstagen befand sich Ludwig bei den Kreines. Walter Posiles und Edeltrud Becher in Perchtoldsdorf. Dort waren alle Fenster der Villa herausgeschossen. „Wir saßen indessen im Keller wie in einer Mausefalle, verbarrikadierten die Fenster mit Wachssäcken, in denen tak, tak, die Flintenkugeln steckenblieben.“624 Als sich Walter aus dem Keller herauswagte, nahmen die Russen Walter seine zwei Uhren ab. Edeltrud blieb noch im Keller.

616 Walter Posiles war geschieden. Aus dieser Ehe geht ein gemeinsamer Sohn, Erich, hervor. Als Walter nach Wien kommt, will er den Sohn mitnehmen. Dieser wollte sich aber nicht von seiner Mutter trennen bzw. nicht ohne seine Mutter gehen. Walter hat sich dennoch nie verziehen, dass er seinen Sohn nicht retten konnte. vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S.643. vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 337. 617 Österreichische Freunde von Yad Vashem, Rassenschande, In: http://gerechte.at/rettungsgeschichten/rassenschande/ [Abruf am 06.02.2019]. 618 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 644. 619 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 641. 620 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 337. 621 Später erfuhr Edeltrud, dass Pick selbst jüdischer Abstammung war. Er war von Geburt an getauft und hatte eine arische Frau und ein Kind, weshalb er vermutlich verschont wurde. Durch die jüdische Abstammung, war es nicht möglich, dass auch Dr. Pick die Auszeichnung von Yad Vashem erhält. Vgl. Yad Vashem Dossier Nr. M31/1423, S. 2,7. 622 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 641. 623 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 6. 624 Yad Vasehm, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 7. 137

Später gingen sie zu Fuß nach Wien. Vor der Philadelphiabrücke wurden sie wieder von Russen angehalten. Walter musste Eisenbahnschwellen tragen. Erst in der Abenddämmerung ließen sie ihn weiter gehen. Bei den Kreiners in der Viktoriagasse fand dann schließlich die Zusammenkunft mit allen statt.625

„Becher gefährdete ihr Leben, indem sie Juden versteckte – was Konzentrationslagerhaft und möglicherweise den Tod zur Folge hätte haben können – ohne irgendeine Bezahlung zu erhalten.“626 Auch ihrer Schwester Edeltrud, die nach dem Krieg Walter Posiles heiratete, war die Strafe bewusst. Sie gefährdete sich, indem sie eine Liebesbeziehung zu einem jüdischen Flüchtling aufrechterhielt und dessen Brüder Unterschlupf gewährte. Im Jahr 1962 ließen sich Walter und Edeltrud scheiden.627 Am 26. Oktober 1978 wurden Edeltrud Posiles und Charlotte Becher als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.628

Lydia Matouschek und Olga Holstein (Mädchenname der beiden war Kopal) halfen, indem sie Walter Posiles und ihrer Nichte Edeltrud Becher eine Unterkunft zur Verfügung stellten. Sie gefährdeten sich dadurch, dass sie einen Juden in ihre Wohnung ließen und sich durch das Verstecken eines Juden schuldig machten. Des Weiteren handelte es sich um einen Juden, der illegal nach Österreich gekommen war. Die beiden förderten eine Beziehung zwischen einer „Arierin“ und einem Juden. Matouschek besorgte dem Verlobten ihrer Nichte einen Personalausweis. Außerdem gab Holstein dem Paar den Hinweis auf den Arzt Dr. Pick, falls sie ärztliche Hilfe brauchten. Zudem versteckten die zwei Schwestern eine weitere Jüdin namens Carola Fischmann (oder Stern). Am 26. Oktober 1978 wurden Lydia Matouschek und Olga Holstein als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.629

Alois und Josephine Kreiner gefährdeten ihr Leben und das ihres Sohnes, indem sie Ludwig Posiles, einen jüdischen Flüchtling, bei sich aufnahmen. Zudem sammelten die Kreiners regelmäßig Lebensmittelkarten für alle drei Brüder. „Die Kreiners leisteten einen wesentlichen Beitrag zum Überleben der Brüder im Versteck während einer Zeit der strengen Lebensmittelrationierung.“630

625 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S. 7. 626 BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.299. 627 Ebda. S. 350. 628 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.299,349. 629 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 336-337. 630 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 323. 138

Friederike Buchegger half, indem sie durch Beziehungen zur Wiener Gestapo, den Akt über Edeltrud Becher verschwinden ließ. Zudem nahm sie für kurze Zeit Ludwig Posiles bei sich auf.631 Sie versorgte die Posiles mit Brotmarken und Pferdefett.632

Maria Fasching nahm in ihrer Wohnung in Baden, Hans Posiles auf. Sie gefährdete sich, indem sie einen Juden bei sich versteckte, der zudem aktiv die deutschen Funkverbindungen der Wehrmacht sabotierte.633 Alois und Josephine Kreiner, Friederike Buchegger und Maria Fasching wurde ebenfalls am 26. Oktober 1978 die Auszeichnung „ Gerechte unter den Völkern“ verliehen. 634 In einem Brief an Yad Vashem hielt Edeltrud Posiles die Rettungsgeschichte der Brüder Posiles und die daran beteiligten Personen fest:

„Ich habe diesen ganzen Bericht geschrieben um Menschen, die diese Zeit nicht erlebten, zu sagen wie es damals war. […] Nicht selbstverständlich hingegen ist, dass uns so viele Menschen geholfen haben ohne dazu auch nur im geringsten verpflichtet gewesen zu sein und das ist in erster Linie meine Schwester Frau Charlotte Fritz 1090 Wien, Rögergasse 24-26, Frau Friederike Buchegger, Gmunden, 0.8., Lenauweg 2a, Herr und Frau Alois und Josephine Kreiner die beide nicht mehr leben, Herr und Frau Dr. Hejja. Frau Grete Hejja ist gestorben, hingegen Herr Dr. Janos Hejja und sein Sohn Peter leben in Budapest, Bocskai utca 12, Herr Primarius Dr. Ernst Pick, der nicht mehr lebt, aber seine Frau Emmy Pick, die um unser U-Boot-Dasein wusste und gemeinsam mit ihrem Mann das Risiko trug, 2391 Kaltenleutgeben, Promenadegasse. Frau Lydia Matouschek und Frau Olga Holstein, die beide nicht mehr leben.“635

631 Ebda. S. 303. 632 vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), 1992, S. 640. 633 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 309. 634 Ebda. S. 303,309,323. 635 Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S.8. 139

Bericht Edeltrud Posiles. Erwähnung all jener Personen, die an der Rettungsgeschichte beteiligt waren. (Quelle: Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S.8)

In einem weiteren Brief, vom 10. März 1978, bat sie um Rücksichtnahme. Yad Vashem hätte gerne einen Bericht über die Rettungsgeschichten der Brüder Posiles. Da Walter im Alter von 81 Jahren an Krebs erkrankte und unter Einfluss starker Medikamente stand, war ein Bericht Seitens Walter Posiles nicht mehr möglich. Auch sein Bruder Ludwig, der im selben Haus wie Walter wohnte, konnte keinen Bericht über diese Zeit verfassen. Die Erinnerung an die NS- Zeit, hat ihre Spuren hinterlassen. Ein heraufbeschwören der Erinnerungen würde zu großen Erschütterungen führen. Ludwig bestätigte in Wien vor dem Konsul mit seiner Unterschrift die Richtigkeit der Angaben von Edeltrud Posiles.636

636 Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424, S. 5. 140

141

Brief an Yad Vashem vom 10. März 1978. (Quelle: Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424, S.4-5)

142

Urkunde aus Yad Vashem. Edeltrud Posiles. Quelle: Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423, S.28)

143

Urkunde aus Yad Vashem. Charlotte Fritz. (Quelle: Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424, S.27)

144

4.6 Fallbeispiele: Dritte Gruppe 4.6.1 Edelmann Friedrich Friedrich, Fritz, Edelmann, geboren am 10. Jänner 1900, „war von1927 bis 1942 Bürgermeister von Thondorf, von 1942 bis 1945 und 1950 bis 1972 Bürgermeister von Gössendorf.“637

Adolf Eichmann, Leiter des Sondereinsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD Ungarn, ordnete die Deportation ungarischer Jüdinnen und Juden von Budapest nach Nickelsdorf an. Dies geschah im Zeitraum 20. Oktober bis 1. Dezember 1944. Diese ungarischen Juden wurden in weitere Folge in Konzentrations- und Arbeitslager weitertransportiert, die sich entlang der Grenze in Niederdonau und der Steiermark befanden.638 Im Frühjahr 1945 mussten 250 dieser ungarischen Jüdinnen und Juden nach Graz kommen um Aufräumarbeiten zu verrichten.639 Auf dem Weg nach Graz mussten sie in Thondorf Station machen. Hermann Marcovici, ein orthodoxer Bäckermeister aus Nagybanya und Paul Endre, waren sich ihres Schicksals bereits bewusst. Sie beschlossen, während der Arbeit beim Kartoffelschälen, zu fliehen. Aus dem Befehlslager flohen sie nach Thondorf, um den dortigen Bürgermeister um Hilfe zu bitten. Die zwei Männer erzählten dem Bürgermeister, Fritz Edelmann, von der hoffnungslosen Lage und baten ihn um Ausweise um flüchten zu können. Fritz Edelmann empfahl den Männern, den Abend abzuwarten und erst am nächsten wiederzukommen.640 In der Dunkelheit kamen die zwei Männer mit weiteren sechs Männern, darunter Julius Frühzeitig, Heinrich Pollak und Martin Herskovits641, zu Edelmann.642 Die Männer konnten zwar flüchten und sich im Wald verstecken, aber sich ohne Hilfe das Überleben zu sichern war aufgrund der Lebensmittelknappheit nicht möglich.643

Da Edelmann ohnehin der Meinung war, dass der Krieg nicht mehr lange andauern würde, beschloss er, gemeinsam mit seiner Frau diese acht Männer aufzunehmen. Auf dem Dachboden des Edelmann-Hofes wurden die Männer hinter einem Wall von Heu und Stroh für sechs

637 ULRICH Johannes, Familie Edelmann – Gerechte unter den Völkern, In: http://julrich.at/familie-edelmann- gerechte-unter-den-voelkern/ [Abruf am 12.02.2019]. 638 vgl. HALBRAINER/ LAMPRECHT/ MINDLER (Hgg.), Unsichtbar, 2008, S. 175. 639ULRICH Johannes, Familie Edelmann – Gerechte unter den Völkern, In: http://julrich.at/familie-edelmann- gerechte-unter-den-voelkern/ [Abruf am 12.02.2019]. 640 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 150-151 641 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 307. 642 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 150-151. 643 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 307. 145

Wochen beherbergt644 und von Frau Brigitte und Tochter Brigitta645 mit Brot, Milch und Kartoffeln versorgt.646

Obwohl der Aufenthalt bei den Edelmanns nicht allzu lange dauerte, brachte jeder einzelne Tag Gefahren mit sich. Da Fritz Bürgermeister war, kamen immer wieder Offiziere der Wehrmacht vorbei und besuchten dessen Hof. Zum guten Glück konnte Edelmann die jüdischen Flüchtlinge jedes Mal warnen, sodass die ganze Sache nicht aufflog und alle acht Männer den Krieg überleben konnten. Mit Kriegsende stellte Fritz Edelmann den Männern Reisedokumente aus.647 Martin Herskovits kehrte nach dem Krieg zuerst nach Satu Mare, einer Stadt die sich im Norden Transsilvaniens befand und damals noch zu Ungarn gehörte eher es 1946 an Rumänien kam, zurück. Später emigriert er nach Israel.648

Fritz Edelmann begab sich mit seiner Frau und seiner Tochter in große Gefahr, weil er Juden bei sich aufnahm, sie versteckte und sie mit Lebensmittel versorgte. Hinzu kam, dass Edelmann diese Männer nicht kannte. Es handelte sich nicht um verzweifelte Freunde oder Bekannte aus der Ortschaft die um Hilfe baten. Es waren acht verfolgte Männer, die am Hof der Edelmanns Zuflucht fanden. Diese gesetzeswidrige Handlung hätte für die Edelmanns Konzentrationslager oder Tod zur Folge haben können. Zusätzlich war es als Bürgermeister insofern schwierig jüdische Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, da Edelmann des Öfteren von einheimischen Amtsinhabern sowie von Offizieren der Wehrmacht besucht wurde.649

Nach dem Krieg hielt Edelmann mit seinen beherbergten Männern den Kontakt aufrecht. Er schrieb jedem einen Brief, wobei nur einer erhalten blieb. Es handelte sich um das Schreiben, von Edelmann an Martin Herskovits. In diesem Brief grüßte er die Familie Herskovits und wies darauf hin, dass es immer wichtig sei ein Mensch zu bleiben und auch als solcher zu handeln.650

Friedrich Edelmann wurde gemeinsam mit seiner Frau Brigitte und seiner Tochter Brigitta am 27. Januar 1993 die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ verliehen.651

644vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 151. 645 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 307. 646 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 151. 647 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 151. 648 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S. 307. 649 Ebda. S.307. 650 Yad Vashem, Edelmann Friedrich, Dossier Nr. M31/5626, S. 2-3. 651 vgl. BORUT, Die österreichischen Gerechten, 2005, S.307. 146

Brief vom 23.Jänner 1947 - Teil 1 (Quelle: Yad Vashem, Edelmann Friedrich, Dossier Nr. M31/5626, S. 2-3)

147

Brief vom 23.Jänner 1947 – Teil 2 (Quelle: Yad Vashem, Edelmann Friedrich, Dossier Nr. M31/5626, S. 2-3)

4.6.2 Posch Josefa Als die deutsche Wehrmacht im März 1944 in Ungarn einmarschierte, lebten zu diesem Zeitpunkt etwa 795.000 Jüdinnen und Juden dort. Unter Anordnung von Adolf Eichmann wurden zwischen dem 14. Mai und dem 9. Juli 1944 mehr als 430.000 ungarische Jüdinnen und Juden nach Auschwitz deportiert. Reichsverweser Miklós Horthy verbot am 7. Juli 1944 weitere Deportationen und konnte somit 200.000 Jüdinnen und Juden aus Budapest vor weiteren Deportationen nach Auschwitz bewahren. Horthy verkündete am 15. Oktober 1944 den Waffenstillstand mit der Sowjetunion, was den Austritt Ungarns aus dem Krieg zufolge hatte. Pfeilkreuzler Ferenc Szàlasi nutzte die Gunst der Stunde und riss die Macht an sich. Szalasi war damit einverstanden, dem Deutschen Reich jüdische Arbeitskräfte bis Kriegsenden zu „leihen“. 76.209 Jüdinnen und Juden wurden bis zum 1. Dezember 1944 in Fußmärschen von Budapest zur Grenze getrieben und dort der SS übergeben. Über tausende Zwangsarbeiter liegen keine genauen Angaben vor. Man weiß nicht, so Lappin, wie viele dieser Männer und Frauen sofort

148

in Konzentrationslagern weitergeschickt wurden652 „und wie viele entlang der österreichisch- ungarischen Grenze bei Schanzarbeiten am Südostwall653, einem System von Panzergräben und Schutzstellungen, […] eingesetzt wurden.“654

Im März 1945 ging der Befehl ein, dass durch das Herannahen der Roten Armee, die ungarischen Zwangsarbeiter nach Mauthausen gebracht werden sollten. Die völlig erschöpften Menschen wurden teils mittels Bahn und teils mittels Fußmarsch655 unter anderem auch durch die Steiermark getrieben.

Josefa Posch wurde zur Lebensretterin als zwei jüdisch-ungarische Männer an ihre Tür klopften. 656 Anton Posch, damals 9 Jahre alt, erinnerte sich an die damalige Situation. Kremshofer schrieb:

„Zwei Juden, die sich vom langen Zug durch die Oststeiermark abgesondert hatten, fragten seine Mutter, Josefa Posch, ob sie sich in ihrem kleinen Bauernhof verstecken dürften, weil sie sonst aus Erschöpfung und Hunger oder durch willkürliche Erschießung ums Leben kommen würden.“657

Die alleinerziehende658 Posch wohnte, gemeinsam mit ihrem Vater Rupert und ihrem Sohn Anton, auf einem Bauernhof im Bezirk Weiz, Gschmaier Nr.6, Gemeinde Gersdorf. Die damals 34-jährige Josefa ging zu ihrem Vater Rupert und schilderte ihm die Situation. 659 „Wenn sie meinen, dass sie bei uns das (Über-) Leben haben, dann sollen sie sich im Heuboden

652 LAPPIN Eleonore, Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich im Frühjahr 1945, In: http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/seminarbibliotheken-zentrale-seminare/8- zentrales- seminar/Lappin%2C%20Die%20Todesmarsche%20ungarischer%20Juden%20durch%20Osterreich%20im%20F ruhjahr%201945.pdf [Abruf am 14.02.2019], S.1. 653 „Der Südostwall war ein Stellungs- und Befestigungssystem, das als letztes Bollwerk den Vormarsch der Roten Armee stoppen sollte, sich aber, wie sich später zeigte, als völlig wirkungslos erwies.“ LEITNER Alois, Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Triebener Tauern im April 1945, In: http://www.ennstalwiki.at/wiki/images/1/18/Der_Tauern_Nr.60_-_Der_Todesmarsch_ungarischer_Juden.pdf [Abruf am 14.02.2019]. 654 vgl. LAPPIN Eleonore, Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich im Frühjahr 1945, S.1. 655 vgl. LAPPIN Eleonore, Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich im Frühjahr 1945, S. 2. 656 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 146. 657 Ebda. S. 146. 658 Josefas Mann kam an der russischen Front ums Leben. vgl. Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 18. 659 Yad Vashem, Dossier Nr. M31/12090, S. 26-27. 149

verstecken“660, so Rupert Posch. Bereits am nächsten Tag wurden aus zwei Männern fünf Männer. Joseph Schneider, Martin Lampert, Abe Spiegel, Zulman Glantz und Yanosh Wayda waren die Glücklichen denen es gelang Unterschlupf am Bauernhof Posch zu finden.661 Obwohl der Posch-Hof sehr abgelegen lag, befand sich nur einen Kilometer entfernt das Schloss Uhlheim in dem der Stab des deutschen Militärs einquartiert war. Auch der Nachbar, Anton Winkler, beherbergte nur einen Kilometer entfernt die SS bei sich zuhause. Einerseits war die unmittelbare Nähe der Wehrmacht gefährlich, andererseits hatte es auch etwas Gutes. Josefa musste die Soldaten bekochen, was bedeutete, dass sie die Möglichkeit hatte Essen für ihre fünf Flüchtlinge abzuzweigen. So war beispielsweise genug Mehl und Zucker vorhanden. Einmal wurde sogar ein Reh geschossen. Bevor sie die fertigen Speisen zu den Soldaten brachte, versorgte sie ihre fünf versteckten Männer. Auf dem Dachboden des Hauses musste man nur ein Brett der hölzernen Trennwand beiseiteschieben, um den Männern das Essen zum Heuboden zu reichen.662

Als eines Tages die SS vor ihrer Tür stand und sie dazu befragte, ob sie geflohene Juden gesehen hätte, lügte diese gekonnt. Josefa musste auch sicher sein, dass ihr Sohn Anton nichts über den illegalen Aufenthalt der Männer weitererzählte. In der Nacht schlichen sich die Männer in die Wohnküche der Poschs, um Informationen über die neuen politischen Ereignisse zu erhalten.663

Im Jahr 2010 erzählte Joseph Schneider seinen drei Töchtern die Erlebnisse vom Bau des Südostwalls und dem Gewaltmarsch durch die steierischen Straßen. Eine Schilderung der Ereignisse zu einem früheren Zeitpunkt kam für ihn nicht in Frage, da er wollte, dass seine Kinder ohne Trauer und Verbitterung aufwachsen konnten. Joseph Schneider informierte erst im Jahr 2010 die Gedenkstätte in Yad Vashem über seine Rettungsgeschichte. Das lange Schweigen der Opfer führte dazu, dass die Taten der Lebensretter lange nicht ans Licht kamen. Aber auch die Lebensretter der Gegend Ilz schwiegen. Selbst nach dem Krieg, war Ilz für seinen Antisemitismus bekannt, was vermutlich der Grund für das Schweigen der Judenretter war.664 Joseph Schneider schrieb die Erlebnisse seiner Kindheit bis hin zu seinen Erlebnissen des Zweiten Weltkrieges nieder. Im ersten Kapitel schrieb er über seine glückliche Kindheit in der Tschechoslowakei mit seinen sechs Geschwistern, seinen Eltern und seinen Großeltern.

660 KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 147. 661 Ebda. S. 147. 662 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 27. 663 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 147. 664 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 147-148 150

Schneider, Chayim Yosef, erzählte von dem freundlichen Miteinander der Juden und Nichtjuden. Im zweiten Kapitel „The First Winds of the Storm“ schrieb er über die Deutschen, den Beginn des Zweiten Weltkrieges und die Degradierung der jüdischen Bevölkerung. „They considered themselves to be the Master Race, and the rest of the world were either a secondary race, or if you were Jewish, sub-human.“665 Im dritten Kapitel „What happened to Me?“ erzählte er ausführlich über seine Erlebnisse in den Jahren 1941-1945. Im Alter von 20 Jahren kam er im Jahr 1941 in ein Arbeitslager. Schneider musste bei der Errichtung eines Flugplatzes mithelfen, der im Frühjahr 1944 fertiggesellt wurde. In der Zwischenzeit erfuhr Schneider vom Tod seiner Eltern, seines Großvaters, sowie von seinen zwei kleinen Brüdern. Alle wurden am 20. Mai 1944 in Auschwitz vergast. Seine Großmutter wurde von diesem schrecklichen Tod verschont, da sie bereits einige Jahre zuvor verstarb. Schneiders Schwestern Etye, Laye und Chana, die zu diesem Zeitpunkt die Namen Etta, Elaine und Helen bekamen, überlebten den Krieg.

Nachdem die Flugstrecke fertig gebaut wurde, kam Schneider nach Sopron in ein Militärcamp. Die Gräueltaten, die er durch die SS miterlebte waren schrecklich. Er hatte vier Freunde, die das gleiche Schicksal mit ihm teilten. Martin Lampert, Abe Spiegel, Zalmie Glantz und Yanosh Wayda. Von Sopron wurden sie weitergeschickt in die österreichischen Berge. Eines Tages nutzten sie die Gunst der Stunde. Die Männer konnten sich von der übrigen Gruppe entfernen und flüchteten in den Wald. 666 Schneider schrieb:

„When the right moment came, we slipped away a few hundred meters to the right. I was so scared, my heart was pounding. We ran forward until we did no see or hear anybody from the group. […] We were exhausted and we stopped and looked around cautiously, and sat down to rest among the trees, in the thickest part oft he forest.“667

Die Männer befreiten sich von allem, was jüdisch aussah, wie ihrem Gebetsbuch. Als sie eine Flotte von Panzern ausfindig machten, schafften sie es, sich von diesen transportieren zu lassen. Als sie das Licht eines Hauses wahrnahmen stiegen sie vom Panzer, in der Hoffnung Unterschlupf bei diesen Menschen zu finden. Die Männer hatten Glück, denn es handelte sich

665 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr.M31/12090, S. 11. 666 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr.M31/12090, S. 13-18. 667 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr.M31/12090, S. 18. 151

um Josefa Posch. Martin Lampert, sprach fließend Deutsch, da er in seinem Heimatland in einer deutschen Gemeinde aufgewachsen war. Josefa Posch nahm die fünf Männer im November 1944 bei sich auf und versorgte diese bis Kriegsende.668 Am 5. Mai 1945 konnten die Männer, aufgrund der Befreiung der Russen, aus ihrem Versteck kommen. Wegen ihrer Unterernährung wurden sie am Morgen darauf in ein Militärkrankenhaus gebracht. Die Männer sagten Lebe wohl zu Familie Posch. Joseph Schneider schrieb:

„We said goodby to Mrs. Posch and her father and son. We promised to remember her always; that she was our second mother and we would take care of her for saving our lives. We made good on our promise. We did take care of her for a long time. Martin Lampert wrote to her from America and we sent her food packages and money until the day she died.“669

Nach dem Krieg kehrten Wayda und Glantz nach Budapest zurück. Lampert, Spiegel und Schneider entschieden, zuerst in ihre Heimat zurückzukehren um nach überlebenden Familienmitgliedern zu suchen. Nach einiger Zeit erfuhr Spiegel, dass seine Schwestern am Leben waren. Auch Schneiders drei Schwestern hatten den Krieg überlebt. Später wanderten sie gemeinsam in die USA aus. 670

Auch Martin Lampert emigrierte in die USA. In New York führte er das Hotel Hunter. Über das Rote Kreuz informierte er sich über die genaue Adresse der Familie Posch. Als der Bürgermeister von Gschmaier, Josef Wilfing, die Beschreibung des Hauses las, fragte er zuerst bei den Poschs nach, ehe er diesen die richtige Adresse zukommen ließ. Dem Neffen von Josefa, Otto Posch, sendete er ein Paket aus den USA mit einem neuen Anzug. Er lud Josefa und ihren Sohn Anton in die USA ein, die aber dankend ablehnten, da sie ihren alten Vater nicht alleine lassen wollten. 671 Die Postkarte die er an Josefa Posch aus den USA schrieb ist erhalten geblieben.672

668 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr.M31/12090, S. 18-19. 669 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr.M31/12090, S. 20. 670 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr.M31/12090, S. 21-23. 671 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 28. 672 Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 2. 152

Josefa und ihr Vater Rupert Posch wurden am 10. November 2011 mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Die Verleihung erfolgte posthum.673 Als bekannt wurde, dass der Wissenschaftler Fritz Knoll Nationalsozialist war, entschied man sich die Straße umzubenennen und einem Menschen zu widmen, dessen Handeln von Zivilcourage, Mut und Nächstenliebe geprägt war. Am 15. März 2014 wurde vom Gleisdorfer Gemeinderat die Umbenennung der Fritz-Knoll-Straße in Josefa-Posch-Straße bekanntgegeben.674

, Brief von Martin Lampert an Josefa Posch. (Quelle: Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 2)

673 vgl. KREMSHOFER, „Gerechte unter den Völkern“, 2015, S. 148. 674 Stadtgemeinde Gleisdorf, Eine Straße für Josefa Posch, In: https://www.gleisdorf.at/eine-strasse-fuer-josefa- posch_2652_188.htm [Abruf am 15.02.2019]. 153

Brief vom 9. Juni 2011. Bestätigung der Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“. (Quelle: Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 81)

154

Urkunde aus Yad Vashem: Josefa und Rupert Posch. (Quelle: Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090, S. 82)

155

4.6.3 Grausenburger Maria

Maria Grausenburger, geboren 1901,675 wurde im Februar 1945 zur Lebensretterin, als sie eine Frau mit ihren drei Kindern aufnahm. Es handelte sich um Familie Weiss, deren Leidensweg bereits zwei Jahre zuvor begann. Die Familie stammte aus Debrecen in Ungarn. Als das Deutsche Reich Ungarn einnahm und man mit Deportationen nach Auschwitz begann, befand sich auf Familie Weiss unter den deportierten Menschen. Tibor Weiss, der seinen Namen später in Aryeh umänderte, konnte sich nicht erklären, weshalb der Zug in dem er sich gemeinsam mit seiner Familie befand, nicht direkt nach Auschwitz fuhr, sondern nach Wien umgeleitet wurde. Im Keller einer Schule in der Mengergasse in Floridsdorf wurden alle Insassen untergebracht. Nach Bombenangriffen auf die Stadt, mussten die Gefangenen bei Schuttwegräumarbeiten bis Jänner 1945 helfen. Im Jänner 1945 wurde der Vater, Kalman Weiss, von seiner Familie getrennt und nach Bergen-Belsen ins Vernichtungslager gebracht und kehrte daraus nicht mehr zurück. Die Sterbeurkunde vom 4. Dezember 1956 bestätigte den Tod des Vaters. Im selben Monat wurde das Lager in Floridsdorf aufgelöst und die Gefangenen zu Fuß in Richtung Westen geführt. Im Jänner war es bitterkalt und wer nicht weitergehen konnte, wurde erschossen. Als Familie Weiss durch Grafenwörth zog, nahm die Mutter, namens Elena676, ihren ganzen Mut zusammen und floh mit ihren Kindern aus der Kolone. Bei einem Bauern konnte die Familie für eine Nacht unterkommen. Am nächsten Tag musste die Familie weiterziehen, da der Bauer viel zu große Angst vor den Folgen hatte, falls er erwischt werden würde. Auch hier hatte Familie Weiss wieder Glück, denn ein paar Häuser weiter, in der Kremserstraße 7677, wohnte Maria Grausenburger, die die Familie im Keller versteckte. Im Volksblatt vom 27. Juli 1972 stand:

„Da stand im Februar 1945 Frau Weiss mit ihren drei Kindern, der 12jährigen Magda, dem 14jährigen Tibor und dem 16 jährigen Ernst, plötzlich vor ihrem Haus. ‚Wir können nicht mehr weiter, haben sie Erbarmen, liebe Frau, bitte helfen sie uns‘, sagte die Frau. Und Maria Grausenburger half.“678

675 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 45. 676 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 45. 677 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 7. 678 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 156

Ihre Tat blieb aber nicht lange unentdeckt. Dorfbewohner kamen zu Maria und forderten sie auf die Familie wegzuschicken. „Schick sie weg, die Juden, du wirst erschossen, wenn man dir draufkommt.“679

Sie erklärte den Leuten, dass sie die Familie nicht ihrem Schicksal überlassen konnte. Sie hatte bereits ihren Mann im Krieg verloren und ihr Sohn befand sich auch noch an der Front und sie wünschte sich, dass er wieder heil zurückkehrte.680 Diese starken Muttergefühle waren es wohl auch, warum sie so viel Mitgefühl für Familie Weiss hatte.

Maria Grausenburger gelang es, falsche Papiere für ihre jüdischen Gäste zu besorgen, indem sie diese als ausländische Flüchtlinge vor der russischen Armee ausgab. Der Bürgermeister händigte ihr hierfür eine Bestätigung aus,681 die in späterer Folge vermutlich zur Lebensrettung der Familie beitrug. Des Weiteren forderte der Bürgermeister, Arbeit für die beiden Söhne zu finden. Auch das schaffte Maria. Bei Familie Hummer und beim Kuchlbauer konnte sie Ernst und Tibor unterbringen.682

Eines Tages, als die SS ins Dorf kam, musste Familie Weiss wieder in den Keller verschwinden. Ein SS Offizier, vermutlich wurde ihm ein Tipp gegeben, klopfte an die Tür von Maria Grausenburger und stellte ihr die Frage: „Sie verstecken doch jemanden Frau Grausenburger?“683 Maria bestätigte den Verdacht des Offiziers. Plötzlich geschah das Unfassbare, mit dem sie nicht gerechnet hätte. Der SS Offizier forderte sie auf, die Familie aus dem Keller zu holen, da sie sich ansonsten verdächtig gemacht hätten. Die Situation war schlussendlich gut ausgegangen. An einem anderen Tag, kam ein SA Mann namens Bonze bei der Familie vorbei und forderte Maria auf, die Juden zu entfernen. Als sich Maria weigerte, holte er sein Bajonett heraus und führte Familie Weiss ab. Herbert Berger hielt im Volksblatt fest:684

„Da nützte kein Bitten und Flehen der beiden Frauen, der Mann blieb hart. Wie herzzerreißend der Abschied war, lässt sich aus dem Gesicht von Frau Grausenburger

679 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 680 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 681 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 45. 682 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 683 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 684 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 157

auch jetzt ablesen, wenn sie davon erzählt. Genau hat sie die Worte von Frau Weiss behalten, mit denen sich diese verabschiedete: ‘Gott soll ihnen all das Gute lohnen, dass sie an mir und meinen Kindern getan haben‘.“685

Von Bonze, der sich zum selbsternannten „Judenjäger“ erklärt haben soll, wurde die Familie einige Kilometer entfernt einem Kriegsgefangenentransport übergeben. Der Kommandant dieses Transports war weniger engagiert. Bei Gneixendorf wurde ein Lager aufgeschlagen. Ernst, der später, gleich wie sein Bruder Tibor, Kunstmaler wurde, malte ein Porträt des Kommandanten und schenkte es ihm. Darauf hin, beschloss er Ernst einen Wunsch zu erfüllen. Dieser wünschte sich die Freiheit für sich und seine Familie. Die Bestätigung, die Maria vom Grafenwörther Bürgermeister erhalten hat, war in dieser Situation entscheidend. Die Bestätigung erleichterte dem Kommandanten die Entscheidung und so kehrte Familie Weiss, nach zwei Wochen, wieder zu Maria Grausenburger zurück und blieb bis Kriegsende bei ihr. „Gar nicht glauben hab‘ ichs können, ich hab‘ glaubt, ich seh‘ die nie wieder.“686

Nach dem Krieg kehrte Elena zuerst nach Rumänien, danach nach Ungarn zurück um ihren Ehemann zu suchen. Erst da erfuhr sie, dass dieser im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben gekommen war. Von Wien aus emigrierte die Familie nach Palästina, wo Elenas ältester Sohn lebte. Zuvor lebte die Familie für ein Jahr in Italien, um Geld für die Weiterreise zu sparen. Danach lebten sie für ein Jahr in Zypern. Im Jahr 1948 emigrierten sie schließlich nach Israel.687

Am 14. Oktober 1979 setzte der Künstler Degaspari in Eggenburg ein Denkmal für Maria Grausenburger. Dabei handelte es sich um Sgraffito. Geweiht wurde dieses unter dem Titel „Stärker als der Tod“ und wurde allen Menschen gewidmet, die zur Zeit des Nationalsozialismus Verfolgten Menschen das Leben gerettet haben.688

Der österreichische Künstler, Prof. Ernst Degasperi, kam 2009 mit dem Anliegen, Maria Grausenburger ein Denkmal zu setzen, zu Pater Severin. 689 Daraufhin begannen die

685 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. 686 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 2. OBERNDORFER Ingrid, Denkmal für Grausenburger Maria (20.4.1901-22.12. 1973), In: 687http://davidkultur.at/artikel/denkmal-fur-maria-grausenburger-20-4-1901-8211-22-12-1973 [Abruf am 15.02.2019]. 688 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 25. 689Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 45. 158

Vorbereitungen für eine angemessene Ehrung. Heinz Fischer, ehemaliger Bundespräsident von Österreich, hielt am 7. Dezember fest:

„Ich bewundere immer wieder die Courage und die Solidarität, mit der einzelne Personen während der Nazi-Zeit Verfolgten geholfen haben und dabei selbst ein sehr großes persönliches Risiko eingegangen ist. Aus diesem Grund möchte ich Sie darin bestärken, in der Gemeinde von Maria Grausenburger, in Grafenwörth, ein Denkmal zu initiieren, das die Erinnerung an diese bemerkenswerte Frau wach hält.“690

Präsentiert wurde das Kunstwerk am 25. Juni 2010. „Der Stein, so der Bildhauer Sebastian- Jan Bunia aus Krems, symbolisiert Maria Grausenburger, die schützend ihre Hände über vier Menschen hält.“691 Yaffa Kremer (zuvor Magda Weiss) und der Enkel von Maria Grausenburger, Amir Roggel-Weiss, kamen nach Grafenwörth um die Tochter von Maria, Elfriede, verheiratete Elfriede Lindner, zu sehen. Des Weiteren wurde ein Baum von Schülern des Bundesrealgymnasiums Krems, für die Grafenwörther „Gerechte unter den Völkern“, Maria Grausenburger gepflanzt.692

Maria Grausenburger verstarb im Jahre 1973. 1978 wird ihr posthum die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ verliehen.693 Am 19. Mai 1983 pflanzte Aryeh Weiss, stellvertretend für Elfriede Lindner, einen Baum für Maria Grausenburger in der „Allee der Gerechten“ in Yad Vashem.694

690 OBERNDORFER Ingrid, Denkmal für Grausenburger Maria (20.4.1901-22.12. 1973), In: http://davidkultur.at/artikel/denkmal-fur-maria-grausenburger-20-4-1901-8211-22-12-1973 [Abruf am 15.02.2019]. 691 Ebda.[Abruf am 15.02.2019]. 692 Ebda.[Abruf am 15.02.2019]. 693 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S.45. 694 Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 28. 159

Urkunde aus Yad Vashem: Grausenburger Maria. (Quelle: Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 20)

160

7. Oktober 1980: Vollmacht für Aryeh Weiss für die Pflanzung des Baumes in Israel. (Quelle: Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S. 27)

161

14.10.1979, Sgraffito von Ernst Degasperi. (Quelle: Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S.22) 162

Haus von Maria Grausenburger. Kremserstraße 7. (Quelle: Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332, S.7)

163

5 Resümee Wie im ersten Kapitel der Diplomarbeit ersichtlich wurde, hatte die jüdische Bevölkerung in Österreich, seit dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich kein „normales“ Leben mehr zu erwarten. Als am 20. Mai 1938 die „Nürnberger Rassengesetze“ in Kraft traten, wurden Jüdinnen und Juden zu Menschen „zweiter Klasse“ degradiert. Mit der „Arisierung“ wurde den Menschen schließlich auch die wirtschaftliche und soziale Existenz geraubt. Den Höhepunkt des Antisemitismus bildete die Reichspogromnacht. In der Nacht vom 9. auf den 10. November, wurden Jüdinnen und Juden auf die Straßen gezerrt. Sie wurden geschlagen, getreten, manche von ihnen sogar ermordet. Jüdische Wohnungen und Geschäfte wurden verwüstet und geplündert. Durch die schnelle und gewaltmäßige Verletzung der Grundrechte der jüdischen Bevölkerung sahen viele einen Ausweg, indem sie Österreich verließen. Ab Oktober 1941 wurde die Ausreise aus Österreich verboten und die Deportationen, die in den sicheren Tod führten, setzten ein.

Im zweiten Teil der Arbeit wurde auf die Humanität von Menschen verwiesen, die das NS- Terrorsystem keineswegs tolerierten und jüdischen Menschen beiseite standen. In diesem Teil der Arbeit ging es vor allem darum, das individuelle Widerstandsverhalten der Menschen zu unterstreichen. Der Begriff Rettungswiderstand wurde erst im Jahr 2001 vom Historiker Arno Lustiger geprägt. Lustiger unterstrich mit diesem Begriff die Menschlichkeit jener Personen, die ihre Freiheit und ihr Leben aufs Spiel setzten, um Freunde, Bekannte aber auch unbekannte Menschen zu retten. Aufgrund der kurz dargestellten Geschichten wurde ein Überblick über die unterschiedlichen Hilfeleistungen gegeben. Das Hauptziel der Arbeit war es herauszufinden, wer wie geholfen hat und was die Beweggründe hinter diesen heldenhaften Taten waren. Dieses „wie“ und auch das „warum“ war nämlich immer ein anderes gewesen. Dennoch konnte ein gemeinsamer Nenner gefunden werden, nämlich Liebe und Barmherzigkeit. Aufgrund von neun ausgewählten Fallbeispielen wurden die unterschiedlichen Rettungsgeschichten im letzten Kapitel der Arbeit dargestellt.

Es wurden die Geschichten von jenen Menschen erzählt, die von Yad Vashem im Auftrag vom Staat Israel als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet wurden. Die Verleihung dieses Ehrentitels gebührte, wie in der Arbeit ersichtlich wurde, nur denjenigen, die unter Einsatz ihres Lebens als Nicht-Juden, Jüdinnen und Juden halfen. Mit dieser Festsetzung für den Erhalt der Auszeichnung, konnte der U-Boot Arzt Dr. Pick, der Walter Posiles pflegte und ihm sein Leben zu verdanken hatte, aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht geehrt werden. Dank und Anerkennung wurden von Yad Vashem im Auftrag des Staates Israel allen Helfern und Rettern 164

zugesprochen. Die Unterteilung der Gerechten erfolgte, Jakob Borut folgend, in drei Gruppen. In der ersten Gruppe wurden Bouska Oswald, Madritsch Julius und Schmid Anton dargestellt. Diese mutigen Männer, nutzten ihre unterschiedlichen Positionen teils bei der Wehrmacht, teils als Unternehmer, um jüdischen Menschen das Leben zu retten. Die Heldentaten fanden außerhalb Österreichs statt. In der zweiten Gruppe wurden die Geschichten von Lingens Ella und Kurt, Kuttelwascher Mina und Otto und der Schwestern Becher Edeltrud und Charlotte geschildert. Die zweite Gruppe unterscheidet sich von der ersten Gruppe insofern, als dass den Geretteten ihre Retter bekannt waren. Wie in den Fallbeispielen der zweiten Gruppe ersichtlich wurde, kannten die jüdischen Flüchtlinge ihre Lebensretter. Im Falle Mina und Otto Kuttelwascher war es ihre Freundin Erna Kohn, die sie bei sich aufnahmen. Im Falle Charlotte und Edeltrud Becher, war es Edeltruds Verlobter mit seinen Brüdern die Unterschlupf finden konnten. Nur Kurt und Ella Lingens, waren die Menschen, denen sie halfen, nicht immer vorher bekannt gewesen. Jedoch kannte sie meist ein anderer ihrer „Hilfsorganisation“. Aufgrund der erzählten Geschichten konnte man weitere Unterschiede herausfiltern. So beherbergten die Kuttelwaschers nur eine Frau wo hingegen die Bechers drei erwachsene Männer versorgen mussten. Auch Familie Lingens gewährte einer Jüdin über längeren Zeitraum hinweg Unterschlupf. Die restlichen hielten sich immer nur kurz in der Wohnung Lingens auf.

Die Fallbeispiele der dritten und letzten Gruppe grenzen sich auch wieder von den ersten beiden Gruppen ab, da hier die Judenretter ihre Schützlinge überhaupt nicht kannten und von heute auf morgen damit konfrontiert wurden, fremde Menschen bei sich aufzunehmen und zu verstecken. Neben den zahlreichen, die ebenfalls mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet wurden, wurden in dieser Diplomarbeit die Geschichten von Friedrich Edelmann, Josefa Posch und Maria Grausenburger erzählt. Im Vergleich zur zweiten Gruppe wurde auch jener Unterschied ersichtlich, dass es nicht dasselbe war, ob man in der Stadt oder am Land lebte. Demnach war es am Land „leichter“ mehr Menschen bei sich aufzunehmen, als vergleichsweise in der Stadt. Friedrich Edelmann gewährte acht erwachsenen Männern, Josefa Posch, fünf Männern, Unterschlupf. Maria Grausenburger nahm eine Mutter mit ihren drei Kindern, nachdem ein Nachbar diese weggeschickt hatte, bei sich auf und versorgte sie bis Kriegsende. Hinzu kam, dass Grausenburger Maria als auch Posch Josefa Kriegerwitwen waren und selbst Kinder zu versorgen hatten.

Insgesamt konnten in Österreich, mit Stand 2016, 109 Personen geehrt werden. Österreich reiht sich weltweit auf Platz 18 ein. Spitzenreiter ist und bleibt bis derweilen Polen mit 6.863 Gerechten. Wie hoch die Dunkelziffern über jene Menschen ist, die geholfen haben, deren

165

Geretteten aber bereits verstorben sind und somit keine Bestätigung vorliegt, oder umgekehrt, die Geretteten deren Retter ihre Erzählungen nicht bezeugen konnten, bleibt ungewiss. Anzunehmen ist aber, dass viel mehr geholfen wurde, als durch Zahlen bis dato belegt werden konnte.

166

6 Bibliographie 6.1 Archiv Bundespolizeidirektion Wien, Amtsbibliothek/Polizeiarchiv, Personalakt Oswald Bouska.

Yad Vashem, Bouska Oswald, Dossier Nr. M31/23.

Yad Vashem, Becher Charlotte, Dossier Nr. M31/1424.

Yad Vashem, Edelmann Friedrich, Dossier Nr.M31/5626.

Yad Vashem, Grausenburger Maria, Dossier Nr. M31/1332.

Yad Vashem, Kuttelwascher Otto, Dossier Nr. M31.

Yad Vashem, Lingens Ella, Dossier Nr. M31/1730.

Yad Vashem, Lingens Ella, Dossier Nr. M31/1730a.

Yad Vashem, Madritsch Julius, Dossier Nr. M31/21.

Yad Vashem, Posch Josefa, Dossier Nr. M31/12090.

Yad Vashem, Posiles Edeltrud, Dossier Nr. M31/1423.

Yad Vashem, Schmid Anton, Dossier Nr. M31/55.

6.2 Sekundärliteratur BEIN Johann/ BENDER Sara (Herausgeberausschuss), Zur Einführung, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S.9-19.

BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten unter den Völkern, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 33-49.

BORUT Jakob, Die österreichischen Gerechten, in: Daniel FRAENKEL/ Jakob BORUT (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern. Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 297-370.

167

BOTZ Gerhard, Die Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. Das Ende des Wiener Judentums unter der NS-Herrschaft (1938-1943), in: Gerhard BOTZ/ Ivar OXAAL/ Michael POLLAK (Hgg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Wien seit dem 19. Jahrhundert, Buchloe 1990, S. 285-312.

BOTZ Gerhard, Arisierung in Österreich 1938-1940, in: Dieter STIEFEL (Hg.), Die politische Ökonomie des Holocaust zur wirtschaftlichen Logik von Verfolgung und Wiedergutmachung, München 2001, S. 29-53.

BUKEY Evan Burr, Hitlers Österreich. Eine Bewegung und ein Volk, Hamburg/Wien 2000.

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jüdische Schicksale. Berichte von Verfolgten, (= Erzählte Geschichten 3), Wien 1992.

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Österreicher im Exil. USA 1938-1945, Eine Dokumentation Bd. 1, Wien 1995.

DÖW, Deportation der österreichischen Juden und Jüdinnen, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Katalog zur permanenten Ausstellung, Wien 2006, S. 76- 85.

FEINERMANN Emmanuel/ THALMANN Rita, Die Kristallnacht, Frankfurt am Main 1988, S. 79.

FREUND Florian/ SAFRIAN Hans, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945. Vertreibung und Deportation, in: Ernst HANISCH/ Wolfgang NEUGEBAUER/ Reinhard SIEDER/ Emmerich Talos (Hgg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, S. 767-794.

FRIEDLÄNDER Saul, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939. München 2000.

HAIBL Michaela, Volksgemeinschaft, in: Wolfgang BENZ / Hermann GRAML (Hgg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997.S. 786.

HALBRAINER Heimo/ LAMPRECHT Gerald/ MINDLER Ursula (Hgg.), Unsichtbar. Ns- Herrschaft: Widerstand und Verfolgung in der Steiermark, Graz 2008.

HANISCH Ernst, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (=Österreichische Geschichte 1890-1990), Wien 1994.

168

HENSLE Michael, Volksgenosse, in: Wolfgang Benz / Hermann Graml (Hgg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997, S. 786.

KALSS Helmut, Widerstand im Salzkammergut. Neue Aspekte. Diss., Graz 2013.

KANZLER Christine/ NUSKO Karin, Humanität als Widerstand. Hilfeleistung von Frauen für rassistisch Verfolgte während des NS-Regimes, in: Ilse KOROTIN (Hg.), „Die Zivilisation ist nur eine ganz dünne Decke...“. Ella Lingens (1908-2002) Ärztin-Widerstandskämpferin- Zeugin der Anklage, Wien 2011, S. 53-66.

KAPLAN Marion, Der Mut zum Überleben. Jüdische Frauen und ihre Familien in Nazideutschland, A. Auflage, Berlin 2001.

KEIM Anton Maria, Yad Vashem. Die Judenretter aus Deutschland, München 1983.

KLAMPER Elisabeth, Der schlechte Ort zu Wien. Zur Situation der Wiener Juden vom „Anschluss“ bis zum Novemberpogrom 1938, in: 116. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S.33-42.

KLAMPER Elisabeth, die „Affaire Herschel Grynszpan“. Das Attentat in der Rue de Lille 78, in: 116. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, S. 53-58.

KOOP Volker, Wer Jude ist, bestimme ich. Ehrenarier im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2014.

KOROTIN Ilse (Hg.), biografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Band 2 I-O, Wien/Köln/Weimar 2016.

KÖNIGSEDER Angelika, Österreich - ein Land der Täter, in: Wolfgang BENZ/ Juliane WETZEL (Hg.), Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien 2, Urkaine, Frankreich, Böhmen und Mähren, Österreich, Lettland, Litauen, Estland, Berlin 1998, S. 173-230.

KREMSHOFER Engelbert, „Gerechte unter den Völkern“. Lebensretter aus der Steiermark, in: Heimo HALBRAINER/ Victoria KUMAR (Hg.), Kriegsende 1945 in der Steiermark. Terror, Kapitulation, Besatzung, Neubeginn, Graz 2015, S. 145-162.

KRIST Martin/ LICHTBLAU Albert, Nationalsozialismus in Wien. Opfer, Täter, Gegner, Innsbruck/Wien/Bozen 2017.

LAMPRECHT Gerald, NS-Herrschaft als soziale Praxis am Beispiel des Schicksals von Familie Neufeld aus Strassgang, in: Petra ERNST-KÜHR/ Dieter J. HECHT/ Louise HECHT/ Gerald LAMPRECHT (Hgg.), Geschichte erben, Judentum reformieren. Beiträge zur modernen jüdischen Geschichte in Mitteleuropa, Wien 2016, S. 164-195. 169

LANG Jochen, Die Gestapo. Instrument des Terrors, Hamburg 1990.

LEVI Primo, Die Untergegangenen und die Geretteten, München/Wien 2000.

LICHTBLAU Albert, Zivilcourage anstelle von Unmenschlichkeit. Die wenigen Gerechten Österreichs, in: Österreichische Freunde von Yad Vashem (Hg.), Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung, Ausstellung im Volksmuseum Wien 2018, S. 24-25.

LINGES Ella, Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Peter Michael Lingens, Wien/Frankfurt Main 2003.

LÖSENER Bernhard/KNOST Friedrich (Hgg.), Die Nürnberger Gesetze mit dem Durchführungsverordnungen und den sonstigen einschlägigen Vorschriften. 4. Auflage, Berlin 1941.

MOMMSEN Hans, Die Funktion des Antisemitismus im „Dritten Reich“. Das Beispiel des Novemberpogroms, in: Günter BRAKELMANN/ Martin ROSOWSKI (Hg.), Antisemitismus. Von religiöser Judenfeindschaft zur Rassenideologie, Göttingen 1989, S. 179-192.

MOSCHE MEISELS, Die Gerechten Österreichs. Eine Dokumentation der Menschlichkeit, Tel Aviv 1996.

MOSER Jonny, Die Judenverfolgung in Österreich 1938-1945. Wien 1966.

MOSER Jonny, Die Verfolgung der Juden, in: Wolfgang NEUGEBAUER (Bearb.), Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945, Bd.3, 2. Auflage, Wien 1984, 194-325.

MOSER Jonny, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft, in: Ernst HANISCH/ Wolfgang NEUGEBAUER/ Emmerich TALOS (Hgg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 1988, 185-198.

MOSER Jonny, Die „Reichskristallnacht“ in Wien, in: 116. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1988, 59-63.

NEUGEBAUER Wolfgang, Der österreichische Widerstand 1938-1945, Wien 2008.

NEUGEBAUER Wolfgang, Zur Geschichte der Widerstandsforschung, in Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus..50 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 2013, S. 211-232.

170

OBST Dieter, „Reichskristallnacht“. Ursachen und Verlauf des antisemitischen Pogroms vom November 1938, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1991.

RAGGAM-BLESCH Michaela, Zwischen Solidarität und Distanz. Die jüdische Gemeinde und „Mischehefamilien“ im NS-Regime, in: Dieter J. HECHT/ Louise HECHT/ Gerald LAMPRECHT (Hgg.), Geschichte erben, Judentum reformieren. Beiträge zur modernen jüdischen Geschichte in Mitteleuropa, Wien 2016, S.196-214.

PANKIEWICZ Tadeus, Die Apotheke im Krakauer Ghetto, Essen/München/Bartenstein 1995.

POLLAK Michael, Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von KZ-Überlebenden als Augenzeugenberichte und Identitätsarbeit, Frankfurt am Main/New York 1988.

ROSENKRANZ Herbert, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938- 1945, Wien/München 1978.

SAFRIAN Hans/ WITEK Hans (Hg.), Und keiner war dabei. Dokumente des alltäglichen Antisemitismus in Wien 1938, Wien 2008.

SCHMIDL Erwin A., Der „Anschluss“ Österreichs. Der deutsche Einmarsch im März 1938, Bonn 1994.

SCHWARZ Peter, Flucht und Vertreibung, Emigration und Exil 1934-1945, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Katalog zur permanenten Ausstellung, Wien 2006, S. 59-74.

SELEROWICZ Andrzej/ GARSCHA Winfired R., Zwei Wiener Männer SS-Männer in Krakau. Franz Grün,“rechte Hand“ des Massenmörders Amon Göth, und Oswald Bouska, ein „Gerechter unter den Völkern“, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Täter. Österreichische Akteure im Nationalsozialismus, Wien 2014, S. 41-77.

SHALEV Avner, Vorwort, in: Jakob BORUT/ Daniel FRAENKEL (Hg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern, Deutsche und Österreicher, 2. Auflage, Göttingen 2005.

STADLER Karl, Österreich 1938-1945. Im Spiegel der NS-Akten, Wien/München 1966.

STRUTZ Andrea, Steirische Widerstandskämpferinnen und ihre Erfahrungen in der Opferfürsorge, in: Christine KANZLER/ Ilse KOROTIN/ Karin Nusko(Hg.), „...den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben...“ Österreichische Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Wien 2015, S. 276-295. 171

THAMER Hans-Ulrich, Nation als Volksgemeinschaft. Völkische Vorstellungen, Nationalsozialismus und Gemeinschaftsideologie, in: Jörg-Dieter GAUGER/Klaus WEIGELT (Hg.), Soziales Denken in Deutschland zwischen Tradition und Innovation, Bonn 1990, S. 112- 128.

THOMA Helga, Gegen den Strom. Zivilcourage und Widerstand im Dritten Reich, Wien 2002.

TRIENDL Mirjam/ WAHL Niko, Spuren des Verlustes. Über die Arisierung des Alltags, in: „Arisierung“ von Mobilen (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich ,15), Wien/München 2004, S. 251-428.

UNGAR-KLEIN Brigitte, Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin. Das Schicksal jüdischer „U- Boote“ und ihre HelferInnen, in: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien, 205. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. 21.September - 19. November 1995, Wien 1995, S. 85-98.

UNGAR-KLEIN Brigitte, „Wenn jemand Hilfe braucht, dann werden wir nie Nein sagen. Darauf haben wir uns die Hand gegeben...“. DDr. Ella Lingens im Gespräch mit Brigitte Ungar- Klein, in: Ilse KOROTIN(Hg.), „Die Zivilisation ist nur eine ganz Dünne Decke...“, Ella Lingens (1908-2002) Ärztin-Widerstandskämpferin-Zeugin der Anklage, Wien 2011, S. 113- 127.

UNGAR-KLEIN Brigitte, Überleben im Versteck. Das Schicksal jüdischer U-Boote und deren Helferinnen und Helfer, in: Christine KANZLER/ Ilse KOROTIN/ Karin NUSKO (Hg.), „...den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben...“, Österreichische Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Wien 2015, S. 296-309.

VASS Josef, März 1938, Ursachen und Folgen,(Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien), Wien 1988.

WECKERT Ingrid, Feuerzeichen. Die Reichskristallnacht. Anstifter und Brandstifter - Opfer und Nutznießer, Tübingen 1981.

WEINZIERL Erika, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945, 3. Auflage, Graz/Wien/Köln 1986.

WETTE Wolfram, Vorwort, in: Arno LUSTIGER, Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, 2. Auflage, Göttingen 2011, S. 12-16. 172

WETTE Wolfram, Feldwebel Anton Schmid. Ein Held der Humanität, Frankfurt am Main 2013.

WILDT Michael, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007.

WILDT Michael, Die Ungleichheit des Volkes. Volksgemeinschaft in der politischen Kommunikation der Weimarer Republik, in: Frank BAJOHR/ Michael WILDT (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2009, S. 24-40.

WILDT Michael, Volksgemeinschaft. Eine Gewaltkonstruktion des Volkes, in: Ulrich BIELEFELD/ Heinz BUDE/ Bernd GREINER (Hgg.), Gesellschaft - Gewalt - Vertrauen. Jan Philipp Reemtsma zum 60. Geburtstag, Hamburg 2012, S. 438-457.

WOJAK Irmtrud, „Mengele war der Teufel“, Ella Lingens als Zeugin der Anklage im Auschwitz-Prozess, in: Ilse KOROTIN (Hg.), „Die Zivilisation ist nur eine ganz dünne Decke…“, Ella Lingens (1908-2002) Ärztin, Widerstandskämpferin, Zeugin der Anklage, Wien 2011, S. 67-90.

Internetquellen

ASMUSS Burkhard/ SCRIBA Arnulf, Widerstand im Zweiten Weltkrieg, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/zweiter-weltkrieg/widerstand [Abruf am 31.08.2018].

Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung (Opferfürsorgegesetz), BGBI 183/1947, 4.7. 1947. In: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/

BgblPdf/1947_183_0/1947_183_0.pdf [Abruf am 18.02.2019].

Demokratiezentrum Wien, Opferfürsorgegesetz (OFG), In: http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=1101 [Abruf am 19.09.2018]

Deutscher Bundestag (Hg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2007, S: 23, In: https://www.uni- augsburg.de/einrichtungen/gleichstellungsbeauftragte/downloads/grundgesetz.pdf [Abruf am 18.02.2019]. 173

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Shoah Opfer Datenbank, In: https://www.doew.at/result [Abruf am 5.9.2018].

Ella Lingens Gymnasium, DDr. Ella Lingens-Reiner, In: https://www.elgym.at/index.php/elgym/ella-lingens [Abruf am 22.01.2019].

HINRICHSEN Matthias, Mesusa, In: https://www.israelmagazin.de/israel-juedisch/mesusa- mezuza-mezuzah [Abruf am 30.01.2019].

LAPPIN Eleonore, Die Todesmärsche ungarischer Juden durch Österreich im Frühjahr 1945, In: http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/seminarbibliotheken- zentrale-seminare/8-zentrales- seminar/Lappin%2C%20Die%20Todesmarsche%20ungarischer%20Juden%20durch%20Oste rreich%20im%20Fruhjahr%201945.pdf [Abruf am 14.02.2019].

LEITNER Alois, Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Triebener Tauern im April 1945, In: http://www.ennstalwiki.at/wiki/images/1/18/Der_Tauern_Nr.60_- _Der_Todesmarsch_ungarischer_Juden.pdf [Abruf am 14.02.2019].

OBERNDORFER Ingrid, Denkmal für Grausenburger Maria (20.4.1901-22.12. 1973), In: http://davidkultur.at/artikel/denkmal-fur-maria-grausenburger-20-4-1901-8211-22-12-1973 [Abruf am 15.02.2019].

Österreichische Freunde von Yad Vashem, Rettungsgeschichten, In: http://gerechte.at/rettungsgeschichten/ [Abruf am 19.11.2018].

Österreichische Freunde von Yad Vashem, Rassenschande, In: http://gerechte.at/rettungsgeschichten/rassenschande/ [Abruf am 06.02.2019].

PRINZ Claudia, Der „Kreisauer Kreis“, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der- zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/kreisauer-kreis.html [Abruf am 31.08.2018].

PRINZ Claudia, Die „Rote Kapelle“, 2015, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite- weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/rote-kapelle.html [Abruf am 31.08.2018]. 174

Republik Österreich, Parlamentsdirektion, Dr. Eduard Ludwig, In: https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_00921/index.shtml [Abruf am 23.01.2018].

SCHMID Thomas/ HEIM Susanne, Wir sind kein Einwanderungsland, https://www.zeit.de/1998/28/Wir_sind_kein_Einwanderungsland [Abruf am 20.08.2018].

Stadtgemeinde Gleisdorf, Eine Straße für Josefa Posch, In: https://www.gleisdorf.at/eine- strasse-fuer-josefa-posch_2652_188.htm [Abruf am 15.02.2019].

STRUCK Bernhard, Die „Weiße Rose“, 2013, In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der- zweite-weltkrieg/widerstand-im-zweiten-weltkrieg/die-weisse-rose.html [Abruf am 31.08.2018].

ULRICH Johannes, Familie Edelmann – Gerechte unter den Völkern, In: http://julrich.at/familie-edelmann-gerechte-unter-den-voelkern/ [Abruf am 12.02.2019].

Website des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, DÖW, Frankreich, In: http://ausstellung.de.doew.at/b214.html [Abruf am 20.08.2018].

Website des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, DÖW, Die ersten Deportation nach Polen 1939 (Nisko-Aktion), In: http://ausstellung.de.doew.at/m17sm145.html [Abruf am 20.08.2018].

WUNDERLICH Dieter, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, © Dieter Wunderlich 2008, In: https://dieterwunderlich.de/widerstand_nationalsozialismus.htm [Abruf am 31.08.2018].

Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Häufig gestellte Fragen, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/faq.html [Abruf am 18.02.2019].

Yad Vasehm, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, The Righteous the Nations Department, In: https://www.yadvashem.org/yv/en/righteous- linked/statistics/austria.pdf [Abruf am 22.10.2018].

175

Yad Vashem, The Holocaust Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, Über die Gerechten, In: https://www.yadvashem.org/de/righteous/about-the-righteous.html [Abruf am 29.10.2018].

176

7 Stichwortverzeichnis DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes

Gestapo Geheime Staatspolizei

IKG Israelitische Kultusgemeinde Wien

JUPO Judenpolizei

NS Nationalsozialismus

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

OFG Opferfürsorgegesetz

RM Reichsmark

VVSt Vermögensverkehrsstelle

177