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4. Mai 1976: Fraktionssitzung

ACDP, 08-001-1046/1. Überschrift: »Fraktionsprotokoll der Fraktionssitzung vom 4.5.1976«. Zeit:15.04–18.43 Uhr. Vorsitz: Carstens (Fehmarn). Protokollform: Transkription der Tonaufnahme in bearbeiteter Fassung.

Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Bericht des Vorsitzenden Carstens zur Lage (Mitgliedschaft der Bundesrepublik im UNO-Sicherheitsrat; Nationalstiftung; amerikanische Afrikapolitik; italienische Wahlen; Äußerungen des Bundeskanzlers Schmidt zu Italien und Frankreich; Europäische Volkspartei; Druckerstreik; wirtschaftliche Lage; berufliche Bildung; vierte Partei; Konspiration in der SPD). – TOP 4: Bericht des Parlamentarischen Geschäftsführers Jenninger zum Plenum der Woche (§ 218; Haushalt; Vorstandsbeschluss zum Bundestagswahlkampf). B. Aussprache zu den Berichten von Carstens und Jenninger (Rettungsbrücke für Deutsche in Rhodesien; Druckerstreik; Eigentumsbildung; Europäische Volkspartei; berufliche Bildung). C. TOP 4: Aussprache zum Bundesfernstraßengesetz. – TOP 3: Bericht des Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein mit Aussprache (Arzneimittelgesetz). – Fortsetzung der Aussprache zu TOP 4 (Beamtenrechtsrahmengesetz; Lehrerausbildung in Niedersach- sen). D.TOP 5: Berichte aus den Arbeitskreisen. AK I (Besoldung im öffentlichen Dienst; Hea- ring zur Eingliederung von Aussiedlern). – AK II (UNO-Seerechtskonferenz). – AK IV (Rheuma-Kranke). – Personalien.

[A.] Carstens (Fehmarn): Meine Damen und Herren, ich habe die besondere Freude, einen neuen Kollegen in unserer Fraktion, Herrn Kollegen Grass aus Rheinland-Pfalz, zu begrüßen, der in die Stelle unseres Kollegen Wagner [Trier] in den eingetre- ten ist. Seien Sie herzlich willkommen, lieber Kollege Grass! Ich möchte an der Übung festhalten, die Geburtstagsglückwünsche – Oh, mein Gott noch mal! –, ich möchte doch an der Gepflogenheit festhalten, die Geburtstage zu er- wähnen, die inzwischen stattgefunden haben. Der Kollege [Schenk] Graf [zu] Stauffen- berg feiert heute seinen 38. Geburtstag. Ich gratuliere ihm herzlich dazu. Herrn de Terra grüße ich zum 55. Geburtstag und Herrn Kollegen Dr. Früh zum 54. Geburtstag, den Herrn Kollegen v. Weizsäcker zum 56. Geburtstag, Herrn Kollegen Lagershausen zum 52. Geburtstag, Herrn Kollegen Dreyer zum 55. Geburtstag und Herrn Kollegen v. Hassel, der sich z. Z. auf Suaheli mit dem Präsidenten Nyerere von Tansania unter- hält, grüße ich zum 63. Geburtstag, den Kollegen Dr. Artzinger zum 64. Geburtstag und Herrn Kollegen Dr. Waigel zum 37. Frau Verhülsdonk gratuliere ich ebenfalls sehr herzlich zu ihrem Geburtstag, der am 26. April stattgefunden hat, (Lachen.) Herrn Kollegen Schmidt (Wuppertal) zum 47. Geburtstag, Herrn Kollegen Schwörer zum 54., Herrn Kollegen Benz zum 55. Geburtstag. Herrn Kollegen Breidbach zum 38. Geburtstag und Herrn Kollegen Spilker zum 55. Geburtstag. Herzliche Glückwünsche, alles Gute, vor allen Dingen für die kommenden Monate. Kiesinger ist nicht da? Nicht.

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Den hatte ich schon einmal erwähnt. Kiesinger ist – den hatte ich schon mal beglück- wünscht in Abwesenheit. Meine Damen und Herren, soviel zu den Glückwünschen! Nun noch eine Bemerkung, auf Bitten des Herrn Kollegen Reddemann. Soweit Sie das nicht schon wissen, teile ich es vorsorglich noch mal mit. Mit dem Bonner AZ-Studio ist eine Schallplattenaktion entwickelt worden, durch die jeder Kollege zu einem Stückpreis zu 1 Mark mindestens 5 000 Schallplatten erwerben kann, auf deren Vorderseite er selbst zu seinen Wählern spricht. In den Mappen der CDU-Kandidaten, die am 7. April zu dem Gespräch mit dem Parteivorsitzenden kamen, liegen Muster aus. Für die CSU sollte ein anderes Mo- dell vorgelegt werden. Der Kollege Röhner (Beifall.) ist entsprechend informiert worden. Herr Kollege Reddemann hat mich gebeten, dies in der Fraktionssitzung mitzuteilen, was ich hiermit getan habe. Meine Damen und Herren! Nun aber zu dem ernsteren Teil meines Vortrages! Ich möchte – meine Damen und Herren, der Kollege Grass ist heute zum ersten Mal unter uns. Es wäre doch ganz schön, wenn er den Eindruck einer halbwegs geordneten Frak- tionssitzung gewinnen würde. (Gelächter.) Ich darf Sie herzlich bitten, mir Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ich möchte ein paar Bemerkungen zu außenpolitischen Ereignissen und deutschland- politischen Ereignissen machen, die sich in der Zwischenzeit zugetragen haben. Es hat eine Diskussion gegeben über die Frage, ob es wünschenswert ist, daß die Bundesrepu- blik Deutschland dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beitritt. Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht die Problematik, die damit verbunden ist, insbesondere deswegen verbunden ist, weil nach relativ kurzer Zeit – ich glaub’, nach einem Jahr – auch die DDR Mitglied des Sicherheitsrats werden soll. Trotzdem bin ich der Meinung, daß wir bei Abwägung aller Gesichtspunkte diese auf uns zufallende Wahl nicht zu- rückweisen sollten und daß wir das Gremium des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen nun endlich dazu benutzen sollten, das zu tun, was wir seit Jahr und Tag von seiten der CDU/CSU-Fraktion gefordert haben, nämlich die Verletzung der Menschenrechte in Deutschland vor dem Forum der Vereinten Nationen zur Sprache zu bringen. Eine weitere deutschlandpolitische Frage, die uns beschäftigt hat, betraf die Errichtung einer Nationalstiftung oder der geplanten Nationalstiftung. Hier möchte ich sagen, daß nach unser aller Überzeugung als Sitz dieser Nationalstiftung nur Berlin in Frage kommt. (Beifall.) Aber ich möchte Sie darauf hinweisen dürfen, daß in dieser Frage auch mit unsern drei westlichen Verbündeten, den drei Schutzmächten für Berlin noch keine volle Überein- stimmung hergestellt ist, so daß wir, glaube ich, nach dieser Richtung zunächst unsere Anstrengungen lenken müßten und das müßte wohl zunächst überwiegend in vertrauli- chen Gesprächen geschehen. Ein weiteres außenpolitisches Ereignis, was ich erwähnen möchte, ist die abrupte Wen- dung, die sich in der amerikanischen Afrika-Politik zu vollziehen scheint. Das Werben um Schwarzafrika in einer Weise, wie wir das noch nie gekannt haben, verbunden mit einer scharfen Kritik an Rhodesien und an Südafrika. Es ist schwer, diese Wendung zu verstehen und zu motivieren. Mir ist gesagt worden, daß sie durch inneramerikanische Wahlkampfrücksichten mit ausgelöst sei. Wie auch

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immer dies sein mag, es besteht die Gefahr, daß Gewaltanwendung in Afrika zur Durchsetzung politischer Ziele ermutigt wird durch dieses Verhalten der amerikani- schen Politik. Ich komme gerade von einem Essen mit dem tansanischen Staatspräsi- denten Nyerere, der zwar nicht heute in seiner Rede, aber, wie mir berichtet worden ist, gestern in seiner Rede, gestern abend bei einem Essen, das der Bundespräsident für ihn gab, ganz deutlich gesagt hat, wenn es auf andere Weise nicht ginge, dann müßte eben in Rhodesien mit Gewalt die Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht durchgesetzt werden. Dies ist eine sehr folgenschwere und sehr gefährliche Entwick- lung, insbesondere, wenn man an die Verhältnisse in Südafrika selbst denkt. Ich verste- he, daß das Motiv der amerikanischen Politik sei, die Gefahr einer Wiederholung des Angola-Falles zu verhindern – mit andern Worten: den sowjetischen Einfluß zurück- zudrängen in Afrika. Ich neige eher dazu, zu befürchten, daß durch eine solche Politik am Schluß der sowjetische Einfluß größer werden wird, denn die Erwartungen, die hier gesetzt werden, die kann der Westen und kann auch Amerika letzten Endes nicht erfül- len: Waffenlieferungen und alles, was dazugehört. Dann werden sich die Betreffenden doch wieder an ihre östlichen Freunde wenden. Meiner Meinung nach müßte, wenn von Selbstbestimmungsrecht und Rassismus und Menschenrechten in Afrika gesprochen wird – und daß man das tut, ist legitim und entspricht den Grundsätzen, zu denen wir uns alle bekennen –, müßte hinzugefügt werden: Gewalt zur Durchsetzung dieser Ziele darf nicht angewendet werden. Erst dann erhält die Aussage nach meiner Auffassung die Ausgewogenheit, die sie unbedingt braucht. Auch der deutsche Außenminister Genscher hat sich hier in seinen Äußerun- gen voll und in einer mir zu einseitig erscheinenden Weise hinter die Forderungen der schwarzafrikanischen Staaten gestellt. Ich möchte dann eine Bemerkung zur Entwicklung in Italien machen. Wir haben jetzt gehört, daß am 20. Juni dort Wahlen stattfinden. Die Beobachter an Ort und Stelle rechnen mit einem Anwachsen der kommunistischen Stimmen, einem weiteren An- wachsen der kommunistischen Stimmen. Ich möchte mich da in Prognosen etwas zu- rückhalten. Als ich Soldat war, pflegte man von den Italienern zu sagen: Italien hat noch nie einen Krieg auf derselben Seite beendet, auf der es ihn begonnen hat, es sei denn, daß es zweimal die Seiten gewechselt hätte. Das haben wir damals mit einer ge- wissen Geringschätzung gesagt, meine Damen und Herren. Seitdem ich älter geworden bin, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, daß in dieser Haltung Italiens auch eine ganze Portion von Klugheit ihren Ausdruck findet. Jedenfalls vermeiden es die Italiener, in den Kriegen, [die]1 sie führen, zugrunde zu gehen. Und das, finde ich, ist etwas, was man anerkennen sollte. (Lachen.) Und insofern – ja, da steckt doch eine ganze Portion von gesundem Menschenverstand in dieser Haltung drin, und vielleicht bemächtigt sich dieser gesunde Menschenverstand der Italiener auch bei den bevorstehenden Wahlen. Also, ich würde davor warnen, so zu tun, als ob der Sieg oder das weitere Vordringen oder Fortschreiten des Kommu- nismus in Italien bereit jetzt eine feststehende Tatsache sei. Aber wir müssen ganz klar sagen, daß die Beteiligung von Kommunisten an der italienischen Regierung eine schwere Belastung sowohl für die Europäische Gemeinschaft wie für die NATO mit sich bringen würde. Und ich bedauere – wir müssen das sagen, um unsern eigenen Freunden in Italien, der DC2 und den anderen nicht-kommunistischen und nicht-

1 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »in denen«. 2 Democrazia Cristiana.

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sozialistischen Parteien den Rücken zu stärken. Die müssen das als Argument verwen- den können, daß, wenn die Kommunisten in die italienische Regierung hineingenom- men werden, dies große außenpolitische Schwierigkeiten für Italien mit sich bringt. Und deswegen ist es sehr zu bedauern, [was]3 Bundeskanzler Schmidt zu diesem The- ma kürzlich gesagt hat, nämlich, er wünsche das zwar nicht, hat er wohl gesagt, es sei nicht wünschenswert, aber es sei auch keine Katastrophe. In Portugal und Island habe es schließlich auch funktioniert. Das ist, meine Damen und Herren, ein völlig abwegi- ger Vergleich. Außerdem müssen die italienischen Wähler diese Äußerungen Schmidts ja als eine Ermutigung ansehen, die Kommunistische Partei zu wählen. Ich sehe in die- sem Verhalten Schmidts eine Konzession an den linken Flügel seiner eigenen Partei, dem er ja hin und wieder kräftig aufs Maul schlägt, bei dem er aber dann immer wieder um gut Wetter bitten muß durch solche – nach meiner Auffassung – sehr gefährlichen Erklärungen, die sicherlich nicht den deutschen und sicher nicht den europäischen Interessen entsprechen. In dem Zusammenhang ein weiteres Wort über Schmidts Äußerungen zur italienischen und französischen Innenpolitik: Diese Äußerungen waren zunächst falsch insofern, als er die DC in Italien und den Gaullismus in Frankreich für das Anwachsen der Kom- munisten und die daraus resultierenden Schwierigkeiten verantwortlich gemacht hat. Er hat es völlig unterlassen – entsprechend ist darauf hingewiesen worden –, den Anteil hervorzuheben, den die sozialistischen Parteien in Frankreich und in Italien an den Schwierigkeiten haben, die in beiden Ländern jetzt bestehen. Uns ist gesagt worden gestern im Vorstand, als wir die Sache diskutierten, daß diese und ähnliche Äußerungen von Schmidt zur Wiederbelebung antideutscher Empfindungen in Ländern wie Frank- reich und Italien beigetragen haben. Auch das ist etwas, was sehr zu bedauern sein wird, und wir werden ja Gelegenheit haben, darauf in der nächsten Woche bei der Haushaltsdebatte einzugehen. Eine erfreuliche Nachricht: Am 29. April ist die Europäische Volkspartei gegründet worden. Ihr gehören christdemokratische Parteien aus 7 Ländern an. 3 der großen Län- der, Deutschland, Italien und Frankreich – in Frankreich allerdings nur eine kleine Gruppe –, den 3 Benelux-Ländern und Irland. Es ist ein Anfang. Ich hoffe, sagen zu können, ein verheißungsvoller Anfang! Und ich möchte gerne an dieser Stelle dem Kollegen von Hassel sehr herzlich dafür danken in Ihrer aller Namen, wie geduldig und ausdauernd er um das Zustandekommen der Gründung dieser Partei gerungen hat. (Beifall.) Ihm ist ein erheblicher Teil des schließlich erzielten Erfolges zuzuschreiben. Vielleicht einige Worte zur Innenpolitik! Wir haben den Streik der Drucker hoffentlich hinter uns. Mir ist gesagt worden, daß man heute, spätestens morgen mit der Einigung zwischen den Tarifpartnern rechnet. Ich kann mich dafür nicht verbürgen. Ich kann das nur als eine Nachricht wiedergeben, die ich bekommen habe. Mir ist aufgefallen, daß mit diesem Streik der Drucker doch auch eine politische Stoßrichtung verbunden war. Jedenfalls sind der »Vorwärts« und die »Kommunistische Zeitung« nicht bestreikt worden. Das wird damit begründet, daß das nur kleine Zeitungen und Zeitschriften seien, bei denen zu streiken sich nicht richtig gelohnt hätte. Aber das fällt einem schwer, für bare Münze entgegenzunehmen. Innerhalb des DGB ist es offensichtlich zu Spannungen über diesen Streik gekommen. Das ist ganz klar, daß sich die IG Metall düpiert fühlt, wenn sie mit 5,4 % abgeschlos- sen hat und jetzt die Drucker mit großer Härte und Energie auf 9 % zusteuern. Die

3 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »daß«.

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Aussperrung durch die Unternehmer, über deren Berechtigung, glaub’ ich, nicht zu diskutieren ist, hat doch auch einige gewichtige zwiespältige Empfindungen ausgelöst. Einer der Drucker, der großen Drucker, mit dem ich gesprochen habe, hat mir gesagt, er könnte sich nicht beteiligen. Bei ihm seien die Verhältnisse so gelagert, daß dies zu Schwierigkeiten in seinem Betrieb führen würde, die er auf keinen Fall in Kauf nehmen würde. Ich würde uns allen raten, bei der öffentlichen Stellungnahme zu diesen Vorgängen Zurückhaltung zu üben. Ich hab’ darüber lange nachgedacht, ob ich irgend etwas Ein- drucksvolles sagen könnte, das eine positive Wirkung hätte. Ich hab’ etwas Derartiges bisher nicht selbständig zustande gebracht, wäre aber dankbar, wenn vielleicht hier in der Diskussion nachher dazu Anregungen gegeben werden sollten. Dann würde ich gerne darüber diskutieren. Ein Wort zur wirtschaftlichen Lage! Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung hält an, aber es sind doch immer erheblich über 1 Million Arbeitslose, im Mai immer noch erheblich über 1 Million Arbeitslose! Stingl4 wird wohl morgen die Zahlen bekanntge- ben. Der Anteil der Jugendlichen ist hoch. Der Anteil der Dauerarbeitslosen an der Zahl der Arbeitslosen ist ebenfalls hoch, und es wird einem überall gesagt, insbesondere auf den Banken gesagt, daß eine echte Investitionsbereitschaft der Industrie noch nicht zu erkennen sei. Die Kredite, die die Banken zur Verfügung stellen konnten, werden zumindest bis jetzt noch nicht in Anspruch genommen. Wir sollten, wenn wir zu diesem Thema sprechen, die Aufwärtsbewegung, die zu regi- strieren ist, nicht leugnen. Wir sollten auf die andauernden Schäden hinweisen, die die Rezession hervorgerufen hat. 20 000 Unternehmen sind in Konkurs oder Liquidation gegangen. Damit ist eine große Zahl von Arbeitsplätzen endgültig weggefallen, und das Problem der Dauerarbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit wird uns lange be- schäftigen und wir sollten die Verantwortung der Regierung, wie wir es immer wieder getan haben, auch weiterhin herausstellen. Die fundamentalen Fehler sind in den ersten 4 Jahren von ’69 bis ’73 gemacht worden. Nach dem Motto »Lieber Inflation als Ar- beitslosigkeit« hat die Regierung uns in die Arbeitslosigkeit hineingesteuert. Themen, über die wir sicher weiterhin reden werden, sind die hohen Defizite der öf- fentlichen Haushalte und das außerordentliche Anwachsen der Belastung mit Steuern und Abgaben, insbesondere auch bei den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkom- men. Der Baufacharbeiter Paul Riedl, dessen Namen man sich einprägen sollte, hat am 7. April im Fernsehen vorgetragen, daß er eine Lohnerhöhung von 95 Mark erhalten hätte aufgrund dieser 5,4 %igen Lohnerhöhung, und daß davon 87 % für Steuern und Abgaben, 87 % für Steuern und Abgaben weggingen und 13 % ihm verblieben. Das haben wir immer prophezeit, und ich füge hinzu: Es ist eine Auswirkung sozialistischer Politik und hat mit einer sozialen Politik, wie wir sie vertreten, nicht das mindeste zu tun. Ein Wort zu Mehrwertsteuer in diesem Zusammenhang! Wir halten an der klaren Ab- lehnung der Erhöhung der Mehrwertsteuer fest. Dies ist eine zwischen der Fraktion und unsern Ländern völlig übereinstimmend vertretene Meinung. Das Argument, daß hier oft vorgetragen worden ist, das zentrale Argument ist, daß wir auf eine weitere Erhöhung der Staatsquote auf keinen Fall uns einlassen wollen. Und wir müssen be- fürchten, wenn die Mehrwertsteuer erhöht wird, ohne daß Entlastungen in irgendwel- chen andern Bereichen stattfinden, [daß] die weitere Erhöhung der Staatsquote die unausweichliche Folge wäre.

4 Josef Stingl, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit.

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Ein Wort zur beruflichen Bildung! Der Bundesrat, unsere Länder im Bundesrat sind auf Ablehnung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes programmiert, sowohl in den Ausschüssen wie auch in der Plenarsitzung des Bundesrates am 14. Mai, also am Freitag der nächsten Woche. Die Frage, um die man jetzt herumgeht, ist: Wer wird den Vermittlungsausschuß anrufen? Die Regierung scheint gespalten zu sein in der Frage. Die Kräfte in der Regierung – sicherlich Friderichs5 –, die den Vermittlungsausschuß anrufen wollen, weil sie die Möglichkeit zu einem Kompromiß sehen – es gibt eine andere Gruppe in der Regierung, sicherlich Rohde6, möglicherweise der Kanzler, das kann ich nicht mit derselben Sicherheit sagen, die in dem beruflichen Bildungsgesetz die letzte Chance des großen Konfliktes mit der CDU/CSU sehen für den Wahlkampf, und daher eher daran interessiert sind, daß die Sache im Bundesrat scheitert. Dazwi- schen scheint die Auseinandersetzung stattzufinden. In der Finanzfrage hat Friderichs, wenn ich das richtig sehe, bereits in der Debatte im Bundestag eine Lösung skizziert, die unsern Vorstellungen zum mindesten näher kommt als die Rohdeschen Vorstellun- gen. Aber, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, es dreht sich bei dem Gesetz über die berufliche Bildung keineswegs nur um finanzpolitische Fragen, sondern um wichti- ge ordnungspolitische Fragen, in denen erhebliche Meinungsverschiedenheiten fortbe- stehen. Ein Wort zur 4. Partei, meine Damen und Herren! Wir haben Nachrichten erhalten, daß die 4. Partei eine Großaktion, eine Werbegroßaktion jetzt im Mai plant, deren Kosten auf mehrere Millionen Mark geschätzt werden. Das geht also weit über das hinaus, was der Herr Bahner7 aus eigener Kraft auf die Beine stellen kann. Wir müssen weiterhin diese Bemühungen klar verurteilen als einen aussichtslosen Versuch, die linksliberale Koalition abzulösen, weil die Wahrscheinlichkeit, daß diese 4. Partei die 5 %-Hürde erreichen wird, äußerst gering ist. Es gibt da zwar demoskopische Umfra- gen, die anscheinend das Gegenteil zu belegen scheinen, aber bei näherer Prüfung zeigt sich, daß die nicht stichhaltig sind. Ich glaube, man kann mit gutem Gewissen die These vertreten: Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß diese Partei die 5 %-Grenze erreichen wird. Dann fallen die Stimmen weg, darunter sicherlich ein erheblicher Teil von Stim- men, die im andern Falle uns zugeflossen wären. Mit andern Worten, die Leute würden das Gegenteil dessen erreichen, was ihr erklärtes Ziel ist, die liberale, die Linkskoalition abzulösen. Sie würden u. U., wenn es an 2 % hängt, im Gegenteil ihr zu einem weiteren Überdauern verholfen haben. Und der Kollege Strauß und Biedenkopf8 haben sich sehr eindeutig distanziert von diesen Bemühungen der 4. Partei, haben auch auf dieses Ar- gument hingewiesen, was ich gerade vortrage. Ich bin allerdings der Meinung, daß wir vielleicht in der Führungsmannschaft, die in der nächsten Woche zusammentreten will, noch einmal unsern Standpunkt dazu klar herausstellen sollten, denn die 4. Partei tut ja immer so, als wenn sie im Einverständnis oder in stillschweigender Duldung mit uns handle. Nun noch ganz wenige Sätze zur weiteren Arbeit des Bundestages. Wir beraten in der nächsten Woche den Haushalt in der 2. Lesung. Dazu sind 4 Tage vorgesehen – Diens- tag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Herr Kollege Jenninger wird gleich nachher noch ein bißchen näher die Einzelheiten berichten. In der dann folgenden Woche am Donnerstag soll die 3. Lesung stattfinden. Ich stehe in Verbindung mit unsern Freun-

5 , Bundesminister für Wirtschaft (FDP). 6 , MdB (SPD) und Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. 7 Dietrich Bahner, Unternehmer und Bundesvorsitzender der Aktionsgemeinschaft Vierte Partei. 8 , Jurist und CDU-Generalsekretär.

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den Kohl9 und Strauß und einer Reihe anderer Freunde über die Einteilung der Spit- zenredner, die wir nach Möglichkeit natürlich an verschiedenen Tagen auftreten lassen wollen, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen. Ich meine, wir sollten, wo das ohne Zwang möglich ist, die Haushaltsdebatte in den Rahmen der Auseinandersetzung stellen, die wir z. Z. als die zentrale Auseinandersetzung ansehen, nämlich die Ausein- andersetzung mit dem Sozialismus in den einzelnen Bereichen. Und hier bieten sich für die Finanz- und Wirtschaftspolitik zahlreiche Argumente an: Der Versuch, durch die Inflation Vollbeschäftigung zu erreichen, die Erhöhung des Staatsanteils, der Staatsquo- te am Bruttosozialprodukt – typische sozialistische Leitvorstellungen mit den Folgen, die ich vorhin gekennzeichnet habe. In der Innenpolitik ist die Frage der Beschäftigung von Kommunisten im Staatsdienst. In der Gesundheitspolitik – wir werden das in dieser Woche behandeln – der Versuch von sozialistischen Gruppen innerhalb der Regierung, das Arzneimittelwesen unter staatliche Kontrolle zu bringen. In der Bildungspolitik und in vielen andern Bereichen. Und ich meine, daß dies die Gelegenheit sein müßte, um vor der Öffentlichkeit, die an Haushaltsdebatten sicherlich in größerem Umfange teilnehmen wird als an andern Debatten, noch einmal deutlich zu machen, daß ein erheblicher Teil der SPD die Vor- stellung von dem Klassenkampf, der Investitionskontrolle, der Sozialisierung der Pro- duktionsmittel, der Vergesellschaftung der Banken und aller damit zusammenhängen- den Forderungen nicht aufgegeben hat. Ich würde sagen, gegenüber den maßvoller erscheinenden Beschlüssen der letzten SPD-Parteigremien sollte man auf Äußerungen von Bahr10 hinweisen: »Es gibt Wahrheiten, die man vor einer Wahl nicht sagen kann«. Man sollte auf Steffen11 hinweisen, der gesagt hat: »Der politische Führer müßte schwachsinnig sein, der seine letzten Absichten dekuvrierte, in einem Zeitpunkt, wo er sie noch nicht durchsetzen kann«. Und der bremische Hochschulsenator Franke hat vor ein paar Tagen bei einer Veranstaltung der bremischen Universität gesagt, es täte ihm furchtbar leid, er würde ja gerne viel, viel mehr sagen zu den sozialpolitischen Forderungen der Studenten, aber das könnte er mit Rücksicht auf die Wähler nicht. Also, hier ist ohne Zweifel ein konspiratorisches Element von jeher und jetzt wieder besonders stark in der SPD vorhanden. Man hält sich zurück, solange man befürchtet, dadurch Nachteile in der Wahl erleiden zu müssen, aber man hält unentwegt fest an diesen gesellschaftspolitischen sozialistischen Zielen. Die FDP sollten wir so behandeln, wie wir es in der Fraktion durch Jahre hindurch getan haben, nämlich als eine Partei, die mitverantwortlich ist für die Herrschaft der Sozialisten in erheblichen Bereichen der Politik sowohl des Bundes wie der Länder. Es besteht nicht die mindeste Chance, daß die FDP, indem wir jetzt Freundlichkeiten an ihre Adresse richten, auf ihrem Parteitag in diesem Monat oder später noch vor der Wahl eine andere Haltung einnehmen wird als ihre bisherige Haltung. Und die ist ein- deutig, eine Koalition mit der SPD einzugehen. Wir werden dann für die weitere Bundestagsarbeit ein paar Themen ins Auge fassen, über die wir schon diskutiert haben. Unser Antrag über die Chancen der jungen Gene- ration, Jugendarbeitslosigkeit wird eine große, wichtige Debatte vor den Ferien zum Gegenstand haben müssen. Wir planen eine familienpolitische Debatte. Wir planen eine Debatte zum Thema Innere Sicherheit, Radikalengesetz. Und wir werden uns mit der Körperschaftssteuer befassen müssen. Aus dem Vermittlungsausschuß kommt das Bodenrecht und § 218 auf uns zu. Wir haben dann vorgeschlagen im Vorstand, eine der

9 , MdL Rheinland-Pfalz (CDU), Ministerpräsident und Bundesvorsitzender der CDU. 10 , MdB (SPD) und 1974–1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 11 Karl Joachim Jürgen (Jochen) Steffen, MdL Schleswig-Holstein (SPD).

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nächsten Sitzungen dazu zu benutzen, um die beiden Generalsekretäre der CDU und der CSU zu bitten, hier einen Vortrag zu halten über die Wahlkampfplanung der bei- den Parteien. Ich glaube, das wäre für uns alle wertvoll, wenn wir da aus dem berufenen Munde über den neuesten Stand der Überlegungen unterrichtet werden könnten. Soviel möchte ich einleitend vortragen. Wollen Sie mich hinsichtlich der Haushaltsde- batte, Herr Kollege Jenninger, vielleicht gleich ergänzen, und dann können wir darüber diskutieren? Jenninger: Herr Vorsitzender, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zu- nächst zum Plenum der Woche ein paar Bemerkungen! Wir haben am Donnerstag morgens um 9 Uhr Plenum. Da werden zunächst die beiden Gesetzentwürfe zum Kindschaftsrecht beraten, dann anschließend der Bundesfernstraßenbau und dann das Arzneimittelrecht. Nachmittags um 15 Uhr nach der Fragestunde ist eine Abstimmung im Plenum über den Einspruch des Bundesrates gegen das 15. Strafrechtsänderungsge- setz, § 218! Hier haben ja bekanntlich unsere Länder Einspruch erhoben. 15.30 Uhr! Dazu muß die Regierungskoalition die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bun- destags haben, deswegen haben sie das Pairing aufgehoben. Wir sollten zwar auch prä- sent sein, aber auf uns kommt es in diesem Fall bei der Abstimmung nicht an. Es ist keine namentliche Abstimmung, aber es ist angebracht, daß wir auch bei dieser Ab- stimmung, bei der Bedeutung der Materie präsent sind. Ich möchte das nur klarstellen. Das ist also keine namentliche Abstimmung. Dann am Freitag – dann noch einige Punkte am Donnerstag, die Sie aus der Tagesordnung erse- hen. Am Freitag die Debatte über den Bericht der Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik und dann anschließend zu den Raumordnungsberichten ’72 und ’74 und Bundesraumordnungsprogramm. Ich darf zu den weiteren Fragen noch folgendes ausführen. Wir haben, wie der Herr Vorsitzende schon gesagt hat, nun endgültig festgelegt, daß der Haushalt in der Woche vom 11. bis 14. Mai in 2. Lesung beraten wird und am Donnerstag, den 20. Mai, die 3. Lesung stattfindet. Ich bitte Sie sehr dringend, in dieser Haushaltswoche sonst keine Termine außerhalb Bonns anzunehmen, da wir in dieser Haushaltsdebatte präsent sein sollten, nachdem wir verlangt haben, daß dieses Jahr auch mit Rücksicht auf die Wahlen einmal ausführlicher über den Haushalt diskutiert wird. Wir wollen allerdings darauf achten, daß wir nicht zu lang in den Tag hineinmachen. Aber trotzdem bitte ich drin- gend um Ihre Präsenz in diesen Tagen, da u. a. auch einige namentliche Abstimmungen stattfinden werden. Aus der Zeit ergibt sich etwa als grobe Einteilung, daß wir am 1. Tag, am Dienstag, die Einzelpläne des Bundestages, des Bundeskanzleramtes und des Auswärtigen Amtes, wahrscheinlich auch des Innerdeutschen Ministeriums behandeln werden. Der 2. Tag soll mehr den innenpolitischen und den rechtspolitischen Fragen gewidmet sein. Der 3. Tag den finanz- und wirtschaftspolitischen Problemen einschließlich Verkehr und Wohnungsbau und der 4. Tag den sozialpolitischen Problemen. So ist etwa unsere gro- be Einteilung gedacht. Die Obleute, die Vorsitzenden der Arbeitskreise und die Mit- glieder der Haushaltsgruppe werden für morgen nachmittag um 12 Uhr zu einer Be- sprechung eingeladen, um im einzelnen die Reihenfolge, aber auch die Redner in gro- ben Zügen festzulegen. Ich bitte, diesen Termin zu beachten und die Kollegen, die Wünsche haben, dies ihren Obleuten mitzuteilen. Ich darf, Herr Vorsitzender, noch zwei kurze Mitteilungen […]12 anfügen aus dem Vorstand. Der Vorstand hat auf Wunsch des Bundesvorstandes der CDU nach Abspra-

12 Vom Bearbeiter gestrichen: »noch«.

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che mit der Landesleitung der CSU gestern beschlossen, daß er dem Vorstandsbeschluß der CDU beitritt, daß im Bundestagswahlkampf die Bundesredner, die sog. Bundes- redner, das sind alle Mitglieder des Bundesvorstandes der CDU, alle Mitglieder des Vorstandes der CDU-Bundestagsfraktion, die Mitglieder von Landesregierungen, Mit- glieder des Landesvorstandes der CSU, Landtagspräsidenten, Fraktionsvorsitzende in den Landtagen, daß die sich alle verpflichten, keine Direktzusagen an Kollegen oder an Verbände und Vereinigungen oder Wahlkreiskandidaten für den Wahlkampfeinsatz zu geben, daß ihrerseits sie aber auch dann sich verpflichten, auf die Direktansprache von Kollegen zu verzichten. Dafür müssen sie also ihre Termine zur Verfügung stellen. Terminwünsche bzw. Rednerwünsche sollen dann über die Kreisgeschäftsstellen an die Landesgeschäftsstellen ergehen. Dies ist also der Beschluß, den der Vorstand gefaßt hat. (Einiges Geräusch.) Ich darf schließlich – ja nun, also, immer ist der Heilige Geist nicht dabei, Herr Kollege Josten –, ich darf noch auf die Vortragsveranstaltung der beiden Generalsekretäre hin- weisen. Dies wollen wir in der Fraktionssitzung am 18. Mai tun, also möglichst vor den Parteitagen der CDU und CSU, damit die Fraktion auch noch Gelegenheit hat, insbe- sondere zu einigen Überlegungen der Wahlkampfkonzeption noch ihren Beitrag zu leisten. Wenn Sie sich dies schon einmal notieren würden! Soviel, Herr Vorsitzender, meine Bemerkungen. [B.] Carstens (Fehmarn): Ja, ich danke vielmals! Wird das Wort gewünscht? Herr Kollege von Fircks, Herr Kollege Klein, Herr Kollege Blumenfeld. Herr Kollege von Fircks – Herr Kollege Müller-Hermann. von Fircks: Herr Vorsitzender, Sie haben angesprochen die Entwicklung in Rhodesien und in Südafrika. Ich wollte Sie fragen, ob es nicht doch richtig wär’, daß, in welcher Form auch immer, wahrscheinlich in einer vertraulichen Form, von unserer Seite die Bundesregierung angesprochen werden sollte – wenn sie selbst schon, wie Genscher in den letzten Tagen, auch in der Richtung, sehr stark die amerikanische Politik unter- stützt, mit der Reaktion, daß die schwarzafrikanischen Staaten sagen: Gut, wenn nicht jetzt so ein Verhalten an den Tag gelegt wird, wie es auch von Amerika gefordert wird, dann mit Waffen! –, ob wir verpflichtet sind, im Hinblick darauf, daß in diesen Gebie- ten nicht wenige deutsche Menschen wohnen – teils deutsche Staatsgehörige, teils deut- sche Volkszugehörige – und wir in den Gebieten, insbesondere in Rhodesien, keine diplomatische Vertretung haben, in irgendeiner Form etwas zu tun, damit denjenigen Menschen, die Deutschen, die die Politik ihrer Regierung gegenüber der Entwicklung, die auf sie zukommt, nicht so reagieren, daß das Leben der Menschen sichergestellt ist, wir ihnen eine Brücke bauen, daß wir ihnen deutlich machen, daß, wenn sie dann dieser von ihnen nicht zu beeinflussenden Politik ausweichen, daß [sie]13 dann hier nicht mittellos, heimatlos, als Asylbewerber womöglich, stehen. Ich bitte, zu verstehen. Ich habe am eigenen Leibe zweimal miterlebt, wie meine Familie so plötzlich vor solchen Ereignissen stand, und weiß, wie sehr man dann einfach aus der Situation, nirgendwo kann ich ja hin, dableibt, selbst, wenn man eine Entwicklung auf sich zukommen sieht, die man für falsch und für unrichtig oder für unausweichlich hält, weil niemand in der Welt einen abdeckt. Ich weiß nicht, ob das im außenpolitischen Ausschuß, ich weiß nicht, ob das in einem Gespräch zwischen Ihnen und dem Außenminister [angespro- chen wurde], aber hier anheizen und selbst nicht bereit zu sein, etwas zu tun für die eigenen Menschen, halte ich also für unerträglich und unverantwortlich.

13 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »wir«.

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Carstens (Fehmarn): Ich danke Ihnen, Herr von Fircks, für den Hinweis. Ich greif’ den gerne auf. Vielleicht können wir uns noch mal über die Modalitäten unterhalten. Herr Kollege Klein – Klein (Göttingen): Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vielleicht eine kurze Bemerkung zu der Nachstreiksituation. Vielleicht zunächst eine ergänzende Information: Heute sind zwei Zeitungen erschienen mit weißen Flecken, zum einen die »Bild«-Zeitung, soweit sie in Hannover gedruckt wird, zum andern die »Frankfurter Neue Presse«. In beiden Fällen sind Artikel gestrichen worden, die sich kritisch mit dem Druckerstreik auseinandersetzen. Es läge nun nahe, daraus gewisse sich aufdrängende politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Meine Nachforschungen haben allerdings zu dem Hannoveraner Fall ergeben, daß die Drucker, die da verant- wortlich zeichnen für den entsprechenden weißen Fleck in der dortigen »Bild«- Zeitung, sicherlich nicht in die linke Ecke gestellt werden können, sondern daß es sich um gestandene Arbeiter handelt, die meinten, sich durch den entsprechenden Artikel in ihrer Arbeiterehre gekränkt fühlen zu müssen. Ich sage das auch im Hinblick auf die Information, die Sie gegeben hatten, daß noch am Donnerstag vergangener Woche eine Reihe von SPD-nahen oder der SPD gehörenden Zeitungen erschienen ist. Dies ist zwar richtig, nur, es sind auch Zeitungen erschienen, die nicht in diese Richtung eingeordnet werden können, so daß ich auch insoweit davor warnen würde, vorzeitige politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Mir persönlich ist die Motivationslage der IG Druck und Papier im Augenblick noch ein Rätsel. Man kann natürlich verschiedene Motive relativ sich vorstellen, aber tatsächliche Anhalts- punkte für die eine oder andere Deutung besitze ich nicht. Am wahrscheinlichsten will es mir beinahe erscheinen, daß sich [in] dieser Gewerkschaft eine gewisse verständliche Verzweiflung oder Mißstimmung darüber breitgemacht hat, daß ja durch moderne technische Verfahren der Beruf des Druckers in eine bereits heute deutlich erkennbare Existenzgefahr gerät. Der Drucker könnte in absehbarer Zeit in seiner klassischen Form überflüssig werden, so daß die Gewerkschaft also möglicherweise auch aus einer relativ unkontrollierten emotionalen Stimmung heraus diesen an sich ja auf dem Hin- tergrund der Haltung des DGB insgesamt unverständlichen Schritt getan hat. Ich sage dies alles nur, um Ihren Hinweis, Herr Vorsitzender, zu unterstützen, in öf- fentlichen Stellungnahmen bezüglich der Frage vorsichtig und zurückhaltend zu sein. Carstens (Fehmarn): Ja, ich danke Ihnen vielmals, Herr Kollege Klein! Ich habe ja die »UZ«, das ist diese kommunistische Zeitung, vom 3. Mai vor mir und darf daraus zwei Sätze vorlesen. »Auf einer spontanen Streikversammlung der Belegschaft der Firma Plambeck & Co. in Neuss« – das ist wahrscheinlich die Firma, die die druckt – »wies der Bezirks-Vorsitzende der IG Druck und Papier und Streikleiter für den Bezirk Düs- seldorf Fritz Thomas am Freitag Angriffe und Verleumdungen gewerkschaftsfeindli- cher Kräfte gegen die nicht zum Streik aufgerufene Druckerei, in der die ›UZ‹ herge- stellt wird, zurück. Kollege Thomas betonte, daß [für] die Streikleitung bei der Aus- wahl der zu bestreikenden Betriebe kein Grund bestand, gerade die Arbeiterpresse zu bestreiken«. Das ist natürlich eine eindeutige politische Zielrichtung. Ob man das verallgemeinern kann, ist eine andere Frage. Herr Kollege Blumenfeld – Blumenfeld: Herr Vorsitzender, ich befinde mich nicht ganz in Übereinstimmung mit dem, was Sie an Zurückhaltung für uns im Hinblick auf die Motivierung und die öf- fentliche Stellungnahme zum Druckereistreik, der ja noch nicht beendet ist, zum Aus- druck gebracht haben und, was soeben der Kollege Klein unterstützt hat. Ich meine, und ich habe das gestern im Vorstand auch vorgetragen, daß dieser Streik der IG Druck

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und Papier eindeutig politisch motiviert gewesen ist, eindeutig politisch motiviert, und ich glaube, daß wir das auch zu gegebener Zeit begründen können. Ich spreche nicht dafür, daß wir im Augenblick und heute, bevor die Tarifparteien ihre Verhandlungen nicht beendet haben und die Streikgefahr nicht endgültig gebannt ist, uns Carstens (Fehmarn): Meine Damen und Herren, ich bitte doch noch mal um mehr Aufmerksamkeit für die jeweiligen Redner. Bitte schön, Herr Kollege Blumenfeld. Blumenfeld: Danke schön, Herr Vorsitzender! Ich wiederhole, daß ich nicht dafür plädiere, heute oder morgen, vor Beendigung des Streiks, uns als Unionsparteien zu äußern. Ich bin aber der Auffassung, daß die Dokumentation, die in wenigen Tagen uns vollständig vorliegen wird, über die Vorgeschichte und den effektiven Ablauf dieses vom Zaune gebrochenen Streiks seitens der politisch marxistisch eingestellten Führer der IG Druck und Papier uns Gelegenheit geben muß, klarzumachen, daß hier der Versuch gemacht wird seitens der Gewerkschaftsvertreter der IG Druck und Papier – Herrn Mahlein, der bis 1956 KP-Mitglied gewesen ist, dann zur SPD übergetreten ist, […]14 Herrn Hensche, jetzt im Hauptvorstand der IG Druck und Papier, vor 2 Jahren noch im Hauptvorstand des DGB, ein eindeutig radikal marxistischer Mann, der eine Systemzerstörung und Veränderung auf diesem Wege herbeiführen will –, daß es hier um den Anschlag nicht nur auf die Meinungsfreiheit der Presse geht, sondern um einen Anschlag auch auf die freie soziale Unternehmenswirtschaft und im Zusammenhang auch [um]15 den Anschlag auf die mittleren und kleineren Druckereibetriebe. Denn diese sind ja diejenigen, die in die finanziellen Schwierigkeiten geraten bei einem poli- tisch motivierten und etwa langanhaltenderen Streik. Es sind nicht die großen Zei- tungskonzerne und Verlage, die i. ü. durchaus in der Lage gewesen wären, die berühmte »6 vor dem Komma«, wie es so schön heißt, zu bezahlen. Sondern man hat sich hier nach einem Schlichtungsspruch auf der Arbeitgeberseite ja bei den radikalen Vor- standsmitgliedern der IG Druck und Papier darüber hinweggesetzt und 9 % verlangt, was weder in die Politik der Gewerkschaften paßt – und wir wissen, daß darüber große Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaften gewesen sind – und sicherlich auch nicht in die Politik von und seiner Regierung hineinpassen kann, wenn etwa 9 % bei den gewiß nicht zu den schlechtesten Verdienern innerhalb der Arbeiterschaft gehörenden Druckern und Setzern, wenn die 9 % bekämen und die andern haben gerade 5,4 % erstritten. Meine Argumentation für uns – und das ist mein Vorschlag – läuft nicht darauf hinaus, etwa nunmehr die Tarifparteien zu schelten oder insgesamt das Mittel des legitimen Streiks, [das] wie das Mittel der Aussperrung legitim als solches ist – ob es in seiner Handhabung besonders klug gehandhabt worden ist, will ich hier jetzt nicht erörtern –, Herr Vorsitzender, sondern darauf hinzuweisen, daß hier zum ersten Male seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland ein eindeutig politisch motivierter Streik erzeugt worden ist – Beispiele hat es dafür vor einigen Jahren in Frankreich gegeben – und, daß wir die politische Kraft in diesem Lande sind, die ihm entschieden und mit großem Verantwortungsbewußtsein entgegentreten müssen. Ich warne vor den Konse- quenzen, wenn wir etwa in dieser Frage schweigen sollten in der Zukunft, oder es da- mit abtun sollten, zu sagen, na ja, es sei einmal ganz schön, vier Tage ohne Zeitungen gelebt zu haben. Das hat ein neues Lebensgefühl gegeben. Oder darauf hinzuweisen, daß Streiks ja sowieso unpopulär sind in Deutschland, weil sie die Ausnahme sind. Hier geht es darum, den Anfängen zu wehren und ich meine, daß unsere Union dazu aufge- rufen ist, das im richtigen Augenblick in der richtigen Form zu sagen.

14 Vom Bearbeiter gestrichen: »daß«. 15 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »auf«.

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Carstens (Fehmarn): Vielen Dank, Herr Kollege Blumenfeld, Für die ergänzenden und sicherlich sehr bemerkenswerten Ausführungen, die Sie gemacht haben! Bevor ich das Wort weitergebe, meine Damen und Herren, ich sehe unsern Freund und Kollegen in unserer Mitte. Lieber Herr Kiesinger, ich habe Ihnen am 6. April in Ihrer Abwesenheit an Ihrem Geburtstag hier in der Fraktion meine herzlichen Glückwünsche ausgesprochen. Ich möchte das in Ihrer Anwesenheit noch einmal wie- derholen. (Einfallender Beifall.) Alles Gute für die kommenden Jahre! Wollen wir das Thema Druckereistreik jetzt ausdiskutieren? Dafür würde ich gerne plädieren. Herr Kollege Müller-Hermann dazu? Ich bitte die Kollegen, die dazu nicht sprechen wollen, das zu sagen. Ja, ja, ja, die stehen alle auf meiner Liste drauf, aber ich bitte jene, die nicht dazu sprechen wollen, einverstanden zu sein, daß ihre Wortmel- dung augenblicklich zurückgestellt wird. Herr Kollege Müller-Hermann – Müller-Hermann: Ja, meine Damen und Herren! Ich bin nicht ganz der Meinung des Kollegen Blumenfeld. Ich finde, wir liegen richtig, wenn wir uns in die tarifpolitischen Auseinandersetzungen grundsätzlich nicht einmischen. Es kommt jetzt natürlich die Frage des sog. Nachschlages hoch, wenn die Druckereileute sich auf einen höheren 16 Level verständigen als [die] 5,4 [%], und auch hier sollten wir uns, wie ich meine, zurückhaltend äußern. Was herauskommt, wenn wir uns äußern, sehen wir heute in der »Frankfurter Rundschau«, wo genüßlich die Aussagen von Herrn Kohl und von Herrn Biedenkopf als völlig unterschiedlich ausgebreitet werden. Aber, Herr Kollege Blumenfeld, wenn es irgendwo eine politische Motivation gibt, dann in meinen Augen mehr in der ungewöhnlichen Zurückhaltung der Gewerkschaf- ten bei dem Aushandeln des neuen Lohnniveaus, nämlich mit Rücksicht auf die Bun- desregierung, um ihr nicht allzugroße Schwierigkeiten zu machen. Ich höre aus dem Druckerei-Konflikt jedenfalls das Donnergrollen eines neuen Verteilungskampfes auf uns zukommen. Denn, meine Freunde, wenn es dazu kommen sollte, daß die Wirt- schaft sich wieder belebt und die Ertragssituation der Unternehmen sich verbessert; wenn es dazu kommen sollte, werden natürlich die Gewerkschaften, wenn nicht 1976, dann 1977 um so härter ins Geschirr einsteigen, um für die Arbeitnehmer Entsprechen- des herauszuholen. Und auf diese Situation, meine ich, müssen wir uns rechtzeitig politisch einrichten, und aus diesem Grunde meine ich, Herr Vorsitzender, daß wir dem Thema vermögenspoli- tische Elemente verstärkte Aufmerksamkeit zuwenden sollten, zumal jetzt, nachdem sowohl Herr Vetter17 erklärt hat, er lege den Fonds-Gedanken auf Eis, und auch aus dem Unternehmerlager, sprich [von] Herrn Sohl18 und Herrn Schleyer19, doch bemer- kenswert neue Überlegungen in die Diskussion eingebracht worden sind, die ja unsern Vorstellungen sehr nahe kommen. Ich würde daher empfehlen, daß wir in zweierlei Richtungen in dieser gegenwärtigen Situation operieren und dieses Thema uns nicht aus der Hand nehmen lassen. Einmal, die Regierung und die Koalition aufzufordern, end- lich grünes Licht zu geben für unsern Antrag, daß die steuerlichen Hemmnisse gegen die freiwillige Vermögensbeteiligung endlich aufgehoben werden, und daß wir unserer-

16 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »den«. 17 Heinz Oskar Vetter, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. 18 Hans-Günther Sohl, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). 19 Hanns Martin Schleyer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

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seits immer wieder an die Tarifvertragsparteien appellieren, bei den künftigen Lohn- runden vermögenspolitische Elemente in neue Tarifabschlüsse einzubauen. Ich glaube, da liegen wir richtig. Was darüber hinausgeht, müßte sehr sorgfältig über- legt werden, damit wir nicht allzuviel unterschiedliche Meinungen in unsere Diskussion bringen. Herr Vorsitzender, darf ich noch eine Anmerkung hinzufügen zur wirtschaftspoliti- schen Situation, und zwar auch gerade im Zusammenhang mit dem, was ich hier eben gesagt habe bei dem Thema Vermögenspolitik? Die Bundesregierung versucht im Au- genblick, so etwas wie konjunkturpolitische Siegesmeldungen zu verbreiten. Die glei- che Regierung, die immer gesagt hat, als alles schief lief, das wäre alles nur ursächlich bedingt durch die Weltrezession, die sagt jetzt nach der Anzeige von Herrn Schmidt im »Stern«, daß es wieder aufwärts geht, ist das ausschließliche Verdienst der Regierung. Also, das ist eine sehr umwerfende Logik, die wir sehr leicht ausmanövrieren können. Aber, was mir noch viel wichtiger ist, meine Damen und Herren, selbst wenn es jetzt zu einer vorsichtigen Belebung kommen sollte, so ist die in erster Linie getragen von der Konsumnachfrage aus dem Ausland und auch aus dem Inland. Die Sparneigung hat abgenommen und es wird wieder mehr gekauft an langlebigen Wirtschaftsgütern. Aber das ist noch keine Dauerhaftigkeit des Aufschwungs. Das setzt voraus, daß die Investi- tionsgüterindustrie wiederbelebt wird. Und ich würde auch meinen, es ist kein Anlaß für irgendwelche Siegesmeldungen, wenn wir weiter mit einer durchschnittlichen Ar- beitslosigkeit von 1 Million rechnen müssen, mit wenig Chancen für unsere Jugendli- chen, die in das Erwerbsleben eintreten, mit echten Einbußen für das Realeinkommen der Arbeitnehmer, mit Unsicherheit bei unsern sozialen Einrichtungen und den öffent- lichen Haushalten und schließlich auch mit einer nachlassenden internationalen Wett- bewerbsfähigkeit angesichts unserer ungewöhnlich hohen Kosten. Wir werden daher, wie ich meine, nur weiter auf der Linie operieren müssen, wie wir es auch in den letzten Monaten getan haben. Die Wirtschaft muß wieder in Gang kommen. Sie muß ermutigt werden durch ein neues Vertrauensklima, sich wieder mittel- und langfristig zu enga- gieren, und sie bedarf dazu steuerlicher Impulse. Und, wer von Ihnen in den Betrieben sich unterhalten hat mit Betriebsräten, die über die Lage der Unternehmen ja viel besser Bescheid wissen als irgendwelche hohen Ge- werkschaftsbosse, die werden überall Ihnen bestätigen, daß das Sichern von Arbeits- plätzen und das Schaffen von neuen Arbeitsplätzen zunächst einmal davon abhängt, daß die Unternehmen wieder ein gesundes Fundament unter die Füße bekommen. Aber, wenn wir auf dieser Linie fahren – das halte ich für richtig, Herr Vorsitzender –, dann müssen wir eben auch, um den sozialen Ausgleich sicherstellen zu können, auf dem Gebiete der Vermögenspolitik aktiv werden. Das war der große Zusammenhang, den ich Ihnen noch einmal darstellen wollte. Wir müssen uns diesem Thema stellen, auch wenn es schwierig ist, über das hinauszugehen, was wir bisher zu den beiden Punkten gesagt haben. Das Thema müssen wir besetzen. Das scheint mir im Hinblick auf den Wahlkampf in den nächsten Monaten unbedingt notwendig. (Beifall.) Carstens (Fehmarn): Ich danke Ihnen sehr für Ihre Ausführungen, Herr Müller- Hermann. Wir haben gestern schon im Vorstand ins Auge gefaßt – das hätte ich vorhin vortragen sollen in meinem Bericht zur Lage –, daß im Rahmen der Haushaltsdebatte ein Schwerpunkt dem Thema Vermögensbildung, und zwar in dem Rahmen, in dem wir einen Beschluß gefaßt haben in der Fraktion, gewidmet werden soll, und der Herr Kollege Pieroth wird dazu sprechen.

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Meine Damen und Herren, um die Debatte etwas in den Griff zu bekommen: Ich darf mal vorlesen die Kollegen, die sich gemeldet haben. Herr Kollege Mick, wie ich anneh- me, zu dem Druckerstreik? Becker ebenfalls, Breidbach ebenfalls. Herr Kollege Breid- bach, zum Druckerstreikthema? Der Kollege Dregger ebenfalls. Herr Kollege von Hassel zu einem andern Thema, das darf ich einen Moment zurückstellen. Kollege Klein noch mal zu diesem Thema, Blüm zu diesem Thema. Herr Narjes, auch zu diesem Thema? Und Herr Pieroth zu einem andern Thema? Gut! Dann würde ich sehr gerne hiermit die Rednerliste zum Thema Druckereistreik beenden. Wenn ich keinen Wider- spruch höre, stelle ich fest, daß die Fraktion damit einverstanden ist. Herr Kollege Mick – Mick: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Als gelernter Buchdrucker wollte ich zunächst zu dem Streik nichts sagen. Ich stimme dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Klein, vollinhaltlich zu und auch [dem], was der Kollege Müller-Hermann sagte. Ich warne [davor], Redewendungen, die der Herr Kollege Blumenfeld hier ge- braucht hat, von uns zu übernehmen. Das würde zur Folge haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Solidarisierung nicht nur der Buchdrucker gegen uns, sondern weiter anderer Kreise gegen uns, die gegen den Verdacht, Kommunisten oder auch nur Marxisten oder Sozialisten zu sein, sehr erhaben sind. Ich warne. Aber, Herr Vorsitzender, jetzt die eine Frage, die ich an Sie stellen wollte. Sie sprachen von horrenden Millionenbeträgen, die die 4. Partei zur Verfügung habe. Haben Sie Anhaltspunkte oder hat die Parteiführung Anhaltspunkte, woher diese Mittel fließen? Wenn Sie keine Antwort geben können, dann sagen Sie zumindest, daß Sie etwas wis- sen, um solche namhaften Beträge hier einer staunenden Öffentlichkeit bekanntgeben zu können. Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Mick, ich muß Sie da leider enttäuschen. Ich würde ja gerne sagen, ich wüßte etwas. Aber ich tu das ungern, wenn es nicht wirklich der Fall ist. Ich habe mitgeteilt, daß eine große Anzeigenaktion geplant ist für diesen Monat, und da gibt’s ja Experten, die können ausrechnen, wieviel das kostet, nicht? Die An- noncen in den Zeitungen, das Plakatieren an den Litfaßsäulen. Und die Experten haben ausgerechnet, daß das mehrere Millionen Mark kostet. Also, daraus muß man schlie- ßen, daß hier Finanzquellen im Hintergrund erschlossen worden sind, aber ich kann Ihnen mit dem besten Willen nicht sagen, woher. Herr Kollege Becker – Becker: Herr Vorsitzender, ich möchte noch ein Wort zu dem Streik sagen. Es ist hier gesprochen worden davon, daß die Gewerkschaften 9 % verlangen. Das stimmt ja nicht! Die Gewerkschaften verlangen 12 %. Es ist davon gesprochen worden, daß der Schiedsspruch auf 5,4 ging. Das stimmt nicht, der Schiedsspruch ging auf 7,2. Das heißt, die Unternehmen sind sehr weitgehend mittelständische Betriebe, die in einer Krise sind und 7 % weniger umgesetzt haben als im Vorjahr. Die Unternehmer haben ange- nommen einen Schiedsspruch mit 7,2 %. Das war eigentlich schon zuviel. Die Gewerk- schaften verlangen 10,2 + 1,8 – das sind Nebenleistungen –, die verlangen 12 %. So ist die Auseinandersetzung. Und ich meine, meine lieben Kollegen, daß wir in der Auseinandersetzung, die wir ja täglich draußen haben, weder Angst haben [sollen]20 vor dem Wort »Streik« noch Angst haben sollen vor dem Wort »Aussperrung«. Ich möchte doch bitten, daß die Tatsache, daß die Unternehmer ausgesperrt haben – durch den Streik waren 80 % der Zeitungen stillgelegt, durch die Aussperrungen 20 –, daß diese Tatsache der Aussper- rung von uns nicht an sich negativ beurteilt wird. Das ist ein klares Recht, sowohl

20 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »wollen«.

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Streik wie Aussperrung. Daß wir also nicht draußen in den Diskussionen sagen: Um Gottes willen, die haben da ausgesperrt. Das ist eine legitime Angelegenheit. Ich will nur sagen, im Grundsatz. Ich weiß nicht, ob das ein kommunistischer Streik ist. Ich bin nicht darüber orientiert. Ich möchte sagen, daß wir als Demokraten voll die Rechte der Gewerkschaft mit dem Streik und die Rechte der Unternehmer mit der Aussperrung anerkennen und nicht dieses schwierige Problem dieser Auseinandersetzung dadurch negativ beurteilen, daß wir sagen: Um Gottes willen, die Unternehmer haben ausge- sperrt, was sind das für üble Leute. Sondern wir sollten beides anerkennen und dann sehen, da wollen wir uns nicht einmischen, daß die Sozialpartner zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Carstens (Fehmarn): Danke vielmals, Herr Kollege Becker! Ich stimme Ihnen voll- kommen zu, an der Berechtigung der Aussperrung ist überhaupt gar kein Zweifel mög- lich. Ich habe vorhin Bezug genommen auf ein Gespräch, was ich zufällig in diesen Tagen mit einem sehr großen Drucker gehabt habe. Der hat mir gesagt, er hält’s für falsch. Also, daraus können Sie entnehmen, daß über die Opportunität dieser Entschei- dung verschiedene Meinungen vertreten worden sind. Das wird wahrscheinlich überall so sein. Herr Kollege Breidbach – Breidbach: Herr Vorsitzender, ich hätte mich auch nicht zum Wort gemeldet, obwohl ich Mitglied der Gewerkschaft Druck und Papier bin, aber ich bitte den Herrn Kolle- gen Blumenfeld, bei seiner Argumentation doch einmal folgendes zu bedenken. Ein Streik dieser Größenordnung wird nicht von einem Vorstand, auch nicht von einem Linksradikalen in einem Vorstand durchgehalten und auch zur Disposition gestellt, sondern da geht eine Abstimmung aller Mitglieder voraus. Zu glauben, daß der Mit- gliederwille mit vielleicht dem einen oder anderen Linksradikalen in einer solchen Füh- rung eine totale Identität hat, würde ich eigentlich zurückweisen, weil ich weiß, daß die Buchdrucker nicht Linksradikale sind in aller Regel, sondern diejenigen, [die] in den Verlagen an den Schreibtischen sitzen. Wenn die hätten abstimmen müssen, wäre ich vielleicht im einen oder anderen Fall Ihrer Argumentation etwas nähergetreten. Zum zweiten, Herr Vorsitzender, was zum Streik geführt hat, ist relativ einfach. Eine Gewerkschaftsführung, ob linksradikal oder rechtsradikal, muß natürlich immer be- fürchten, daß sie im Laufe einer Tarifentwicklung ihr Gesicht ganz verliert, wenn sie mit 5,4 % abschließt und am Ende des Jahres ist all das nicht eingetreten, was man den Mitgliedern bei Abschluß gesagt hat im Hinblick auch auf negative Entwicklung. Denn, wenn man allgemein von Aufschwung redet heute, dann kann man eben eine solche Gewerkschaft nicht mehr mit dem gleichen Prozentsatz abspeisen wie zu einem Zeit- punkt, in dem alle noch von Rezession gesprochen haben. Das kriegt keine Gewerk- schaftsführung durch, ganz gleich, wo ihr politischer Standort ist. Ich glaub’, das muß man einfach wissen. Der Anschlag auf Druckereibetriebe, Herr Kollege Blumenfeld, Herr Becker, Sie haben darauf hingewiesen: Die Gewerkschaft hatte nur einen Punktstreik vor, und dies bei den großen und starken Zeitungsverlagen. Und dann ist eine Flächenaussperrung ge- folgt, die dann in der Tat die kleinen und die wirtschaftlich Schwachen betroffen hat. Der Streik hat die wirtschaftlich Schwachen bei weitem nicht so treffen können wie nachher die Flächenaussperrung, die ja entstand auch aufgrund einer legitimen und freiheitlichen Entscheidung […]21 im einzelnen geführt hat. Wenn also einer dem Mit- telstand geschadet hat in diesem Gewerbe, dann waren es nach meiner Meinung dieje- nigen, die eine Flächenaussperrung beschlossen haben, und das waren dann wahr-

21 Vermutlich Auslassung in der Vorlage.

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scheinlich auch in aller Regel, wie man die Verbände auch im Druckereigewerbe ken- nen muß, diejenigen, die wirtschaftlich so stark waren, daß sie nicht nur 7 % tragen könnten, sondern auch über längere Zeit eine Aussperrung durchhalten könnten. Ich glaube, hier sollte man mit ganz offenen Karten spielen.

Und, was die Prozentdiskussion angeht, Herr Kollege Becker, wie Sie an die 12 % kommen, weiß ich nicht. Nur, wenn die 12 % richtig sind, dann kann der Gewerk- schaftsvorsitzende und die Gewerkschaft Druck und Papier auf keinen Fall nur mit einem Prozentsatz von etwa 6 % abschließen. Das wissen Sie als jemand, der auch schon Tarifverträge abgeschlossen hat, genauso wie ich. Dann würde die Gewerkschaft ihr Gesicht total verlieren. Darum halte ich Ihre 12 % einmal für illusorisch. Faktisch läuft es auf 9 % hinaus. Und, wenn die Herren sich auf 6 % einigen, kann man nachher noch fragen: Hat sich der Streik gelohnt? Aber irgendwo in dieser Richtung wird’s enden. Ich bedanke mich bei der Fraktionsführung, daß sie sich in der Frage klug ver- halten hat. Herr Mick hat auf den negativen Solidarisierungseffekt hingewiesen, wenn wir uns hier einschalten. Ich glaube, das sollte eine Haltung sein, die wir auch in den nächsten Wochen und Monaten durchhalten müssen. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr Kollege Breidbach! Herr Kollege Dregger – Dregger: Meine Damen und Herren, wir sollten uns zu Streik und Aussperrung dann nicht äußern, wenn im Rahmen der Verfassung und des Tarifrechts sie stattfinden. Wenn aber das Streikrecht mißbraucht wird, um Zensur über die freie Presse auszu- üben, dann geht es nicht mehr um eine tarifliche Frage, sondern um eine Verfassungs- frage, um eine politische Frage, und dazu sollten wir uns äußern. Der Kollege Klein hat die »Frankfurter Neue Presse« genannt, die heute statt eines Leitartikels mit einem großen weißen Fleck erscheint. Die Alternative, die hier gestellt wurde, war folgende: Entweder der Chefredakteur zieht seinen Leitartikel zurück oder sowohl die »Frankfurter Neue Presse«, wie auch die anderen Zeitungen, die in ihrem Verlag erscheinen, darunter die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, werden nicht ge- druckt und nicht ausgeliefert. Ich bin der Meinung, daß das ein Skandal ist, und ich habe diesen Skandal bereits in der mir eigenen Klarheit und Präzision sehr deutlich gerügt und ich hoffe, damit in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. (Beifall und zustimmendes Gelächter.) Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr Kollege Dregger! Herr Kollege Klein noch mal, bitte schön. Klein (Göttingen): Nur einige ganz abschließende Bemerkungen! Das letztere ist also sicherlich auch in meinem Sinne. Ich war nur über die Einzelheiten noch nicht so weit- gehend orientiert wie offensichtlich Herr Kollege Dregger. Ich meine auch nicht, daß es zwischen uns, Herr Blumenfeld, wesentliche Meinungsverschiedenheiten gibt, denn wir waren einig, daß wir uns im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht äußern. Die Deutung des Streiks, die Sie gegeben haben, wird unter diejenigen fallen, die ich vorhin als spekulativ bezeichnet habe. Jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt liegen uns, von diesem Aus- nahmefall abgesehen, der aber ja nach Abschluß des Streiks sich ereignete, keine Belege vor. Wenn die Belege aufgrund einer von Ihnen angekündigten Dokumentation vorlie- gen werden, und die belegen Ihre These, dann würde ich der letzte sein, der sich scheut, sich in diesem Sinne öffentlich zu äußern. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr Kollege Klein! Herr Kollege Blüm – Blüm: Herr Vorsitzender, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte sehr eindringlich die Linie unterstützen, die Sie hier vorgetragen haben, denn ich bin der Meinung, daß in einer freien Gesellschaft der Preis dieser Freiheit auch der Störfaktor

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Streik ist. Ich weiß, daß dies keine angenehme Geschichte ist und daß es Schöneres gibt und Bequemeres als Streik. Aber die Freiheit hat eben auch unbequeme Zumutungen. Deshalb rate ich uns allen zu großer Gelassenheit in dieser Frage, zumal – dies sollte ja niemand in diesem Raum aus dem Gedächtnis verlieren –, was Streik anbelangt, wir ja in europäischen Maßstäben bei Gott keinen Grund zur Klage haben. Wir sind in dem freien Teil Europas – und nur dort kann gestreikt werden – das Land mit den wenigsten Streiktagen. Deshalb warne ich uns vor emotionalen Reaktionen. Allerdings glaube ich schon, daß diese Situation uns auch Möglichkeit gibt, zur Ein- kommenspolitik generell Stellung zu nehmen. Denn die Einkommenspolitik, darauf hat ja auch Kollege Häfele schon mehrfach hingewiesen, die wird ja deshalb für die Arbeit- nehmer so kritisch, weil ein Großteil ihres – meinetwegen sogar mit Streik – eroberten, erkämpften Lohnzuwachses wieder weggenommen wird durch Steuer und höhere Sozialabgaben. Das ist sozusagen die oppositionelle Pointe, die jetzt ins Spiel gebracht werden muß, daß von 1 Mark, die mehr verdient wird, womöglich gar erkämpft wird, eventuell der größere Teil, über 50 Pfennig, wieder weggesteuert werden, bevor es der Arbeitnehmer überhaupt in der Tasche hat. Und da steht natürlich auch die Gewerk- schaft unter Druck und alle Gewerkschaften haben noch als Schock in Erinnerung die Einkommensentwicklung aus dem Jahre 1967, wo tarifpolitische Zurückhaltung schließlich im Herbst, als der Aufstieg kam, zu wilden Streiks geführt hat. Diese Situa- tion vor Augen, müssen wir auch an die Verantwortung der Gewerkschaftsführer den- ken, und wir können nicht daran interessiert sein, daß sozusagen die Gewerkschafts- führung nun einen Vertrauensverlust in der Tarifpolitik erleidet, zumal ja auch in der Tarifpolitik, auch im Druckgewerbe Tarifverträge vorliegen mit großer Laufzeit. Ob hier nicht tarifpolitische Fehlentwicklungen korrigiert werden müssen, ob nicht sehr viel mehr Phantasie in die Tarifpolitik kommen muß – Öffnungsklausel –, und die Unternehmen machen es den Gewerkschaften nicht leicht, die anschließend nach Tarif- abschlüssen entweder noch mal 20 % im Betrieb drauflegen oder, wie es jetzt geschehen ist – und dieses kritische Wort, Herr Vorsitzender, muß in dieser Situation, damit wir das so rundum sehen, ja auch noch gesagt werden –, kaum hatten Metall- und andere Gewerkschaften eine höchst verantwortliche Tarifpolitik betrieben, verantwortungs- volle Tarifabschlüsse, die ja nicht mal den Lebensstandard gesichert haben, kaum war dies geschehen, da hat die Automobilindustrie und jetzt die Mineralwirtschaft Preiser- höhungen durchgeführt. Da kann ich nur sagen, da haben manche Unternehmerver- bände das einkommenspolitische Taktgefühl eines Elefanten bewiesen. Carstens (Fehmarn): Meine Damen und Herren! Hören Sie doch, bitte, dem Kollegen Blüm zu. Er spricht so blumig. Er verdient es, daß man ihm zuhört. (Lachen.) Blüm: Und noch richtig, Herr Vorsitzender, wie Sie noch hinzuzufügen vergaßen. (Erneutes Lachen.) Ich finde, daß diese Art von Antwort auf die Tarifabschlüsse die folgenden Tarifver- handlungen, auch die in der Druckindustrie, nicht erleichtert haben. Mit anderen Wor- ten, ich glaube, daß wir einerseits jetzt auf die Steuerseite hinweisen sollten und wir andererseits auch das Thema Eigentumspolitik fortführen sollen, denn investiert muß werden. Wir möchten nur, daß mehr an den Investitionen beteiligt sind. Dies wäre auch ein Beitrag zur einkommenspolitischen Entkrampfung. Carstens (Fehmarn): Danke vielmals, Herr Kollege Blüm! Herr Kollege Narjes. Meine Damen und Herren, es ist eine unbeschreibliche und schwer erklärliche Unruhe im Saal. Könnten nicht die Damen und Herren vielleicht mal den Versuch machen, von

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jetzt ab dem jeweiligen Redner uneingeschränkt zuzuhören? Ich würde das dankbar begrüßen. Herr Kollege Narjes – Narjes: Herr Vorsitzender! Ich möchte anknüpfend an die letzte Intervention des Kol- legen Blüm doch sehr deutlich zwei Dinge getrennt wissen. Das eine ist die Tarifausein- andersetzung mit Streik und Aussperrung und das andere ist die Zensur von heute morgen. Der Streik ist eine unbequeme Folge der Freiheit. Von der Zensur kann man das nicht sagen. Es ist ein Skandal und mit nichts zu rechtfertigen. Deshalb bin ich der Ansicht, daß dieser Zensurversuch, der ja mehr ist als ein Ausrutscher und der auch nicht nach der subjektiven Lage derjenigen, die ihn ausgeübt haben, differenziert wer- den kann, prinzipiell Verurteilung verdient, auch von der Fraktion. Es ist nicht das erste Mal. Wir haben ja schon die Bestreikung von Feddersen vor zwei Jahren gehabt und wir haben jeden Anlaß, Zensurversuche durch Drucker zu unterbinden. Hier wird der Anfang einer Entwicklung gesetzt. Das zweite, Herr Vorsitzender, ist, der Streik in seinem Ablauf gibt Grund genug, sich darüber zu unterhalten, welche Motive er gehabt hat. Nur ist das ja noch nicht automa- tisch ein zwingender Anlaß, dieses Unterhaltungsergebnis auch öffentlich festzulegen und eine öffentliche Erklärung abzugeben. Aber, daß hier ein Streik mit politischen Gründen vorgelegen hat, kann gar nicht bestritten werden. Der Kollege Blumenfeld hat völlig recht. Aber es ist eine andere Frage, ob wir diese Erklärungen zum Gegenstand einer öffentlichen Aussage machen. Dazu können wir Dokumentationen von anderen abwarten. Deshalb, zur Zensur sofort harte Ablehnung. Zum Streikmotiv, darüber [wird] die Diskussion nach Veröffentlichung der Dokumentation mehr Nahrung haben als im Augenblick. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr Kollege Narjes! Ich glaube, das war eine hilf- reiche Unterscheidung, die der Kollege Narjes hier eben gemacht hat, der ich mich anschließen möchte. Zum Streik und zu Aussperrung würde ich mich weiterhin nicht gerne kritisch äußern wollen. Das schließt nicht aus, daß einige Begleiterscheinungen, auch diese Äußerung von dem Herrn Thomas, die ich vorhin vorgelesen habe, durchaus kritisch beleuchtet werden können. Darf ich dann damit diesen Teil der Diskussion beenden und nunmehr Herrn Kollegen von Hassel das Wort geben zur Europäischen Volkspartei? von Hassel: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar Be- merkungen machen zu dem, was in der letzten Woche in Brüssel geschehen ist. Dort ist nämlich nach langen Vorbereitungen die Europäische Volkspartei gegründet worden, zu der sich sämtliche christlichen Parteien aus der Gemeinschaft der Neun zusammen- geschlossen haben, einschließlich Irland, aber ohne Großbritannien und Dänemark, weil sowohl in Großbritannien als auch in Dänemark eine Mitgründungspartei auf dem christdemokratischen Sektor nicht vorhanden ist. Eine Christliche Volkspartei in Dä- nemark hat […]22 es bisher abgelehnt, der Europäischen Union Christlicher Demokra- ten anzugehören, aus Gründen, die hier im Augenblick keine Rolle spielen. Alle Versu- che, mit den Dänen zu Rande zu kommen, sind gescheitert, und möglicherweise wird die Europäische Volkspartei in Dänemark andere Partner suchen. Wer draußen die Landschaft der Europäischen und Demokratischen Parteien und ihrer Gliederung kennt, der weiß, daß es ungemein schwierig ist, etwa die Holländer und die Italiener auf einen Nenner zu bringen. Wir haben in Holland drei christliche Parteien, die miteinan- der bisher [in Hinblick auf] den Gedanken einer Union fast nicht von der Stelle beka-

22 Vom Bearbeiter gestrichen: »hat«.

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men. Der Ansatz im vergangenen Jahr ist noch nicht zu einer wirklichen abgeschlosse- nen Gemeinschaft, einer Art Union wie bei uns, gekommen. Die Italiener haben ihre internen Schwierigkeiten, die hier bekannt sind, wobei ich mir einen Hinweis erlauben möchte. Die Italiener sind ungemein empfindlich, und, wenn wir jetzt aus deutscher Sicht in Versammlungen, die dann nachher publik werden in Italien, die Italiener kritisieren wegen ihrer angeblichen Neigung, mit den Kommuni- sten zusammenzugehen, dann reagieren die auf eine solche Kritik außerordentlich emp- findlich. Sie sind sehr ansprechbar auf Loblieder, und diese Loblieder preisen sie dann selber noch zusätzlich und verbreiten das in breiter Form. Sie sind höchst empfindlich, wenn man ihnen unterstellt, sie wollten im Grunde genommen den Historischen Kom- promiß. Herr Vorsitzender, die Zeit reicht hier nicht aus, jetzt etwa Ihnen ein Bild zu geben vom Parteitag der italienischen DC, [bei] dem immerhin 10 000 Parteitagsmitglieder anwesend waren, von denen zwar nur ungefähr 800 stimmberechtigt waren, aber das gesamte Bild der 10 000 war in hohem Maße eindrucksvoll. Für uns etwas völlig Fremdartiges. Alle haben aber großen Beifall gespendet, wenn ein Redner über den Historischen Kompromiß in harter negativer Form gesprochen hat, und der Parteiaus- schuß – etwa wie unser Bundesparteiausschuß –, der neu gewählt worden ist, hat ein- stimmig – bei seinen 150 Mitgliedern ist das mit 7, 8 oder 9 Currentis schon eine große Leistung – den Historischen Kompromiß abgelehnt. Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß hinter der Szene gewisse Kontakte vorhanden sind. Z. Z. aber wäre es einfach falsch, den italienischen Christlichen Demokraten zu unterstellen, daß sie eine solche Neigung etwa hätten – im Gegenteil, man muß ihnen immer wieder eine Stärkung ge- ben, daß davon kein Gedanke mehr sein darf. Die Schwierigkeiten aber, die wir gehabt haben, sind folgende. Es gibt natürlich in dieser gesamten Parteienlandschaft von Italien bis hinüber nach Irland eine Fülle unter- schiedlicher Generallinien beispielsweise für die Frage, ob nach einer europäischen Direktwahl nachher eine Koalition mit den europäischen Sozialisten möglich wäre. Die Mühe, die wir uns gegeben haben, federführend die deutsche Seite aus CDU und CSU, ist immer gewesen, a) im Statut den Namen so festzulegen, daß eine Öffnung auch über eventuell auch nicht christlich-demokratische Parteien möglich bleibt und damit b) diese Offenhaltung z. B. dazu führen könnte, daß auch etwa in Frankreich sich neue Überlegungen abzeichnen, ob man dieser Europäischen Volkspartei beitreten sollte oder nicht. Wir haben erreicht, daß der Name gewählt wurde »Europäische Volkspartei – Födera- tion der christlich-demokratischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft«. Der zweite Teil des Titels ist so umfangreich geraten, daß er im allgemeinen Gebrauch prak- tisch unterdrückt werden wird und es bleibt bei diesem Begriff »Europäische Volkspar- tei«. Das zweite. Über diese Gruppe in den 9 Ländern für die erste Direktwahl zum Euro- päischen Parlament bleibt bestehen die Europäische Christlich-Demokratische gesamte Europäische Union, an der 11 Länder mit 20 Parteien beteiligt sind. Aber es wird drit- tens eine Entwicklung einsetzen, die vielleicht von heute an in 2 Jahren zu einem Erfol- ge führen wird, mit der man nun über die 9 hinausgeht, sowohl Skandinavien mit ein- bezieht als auch Österreich, die Schweiz oder etwa die Iberische Halbinsel plus Grie- chenland oder die Türkei. Das heißt, man sprengt die Grenzen der Europäischen Ge- meinschaft und schlägt die Brücke zu den anderen freien europäischen Staaten und man

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sprengt den engeren Rahmen der christlich orientierten Parteien, um solche, die bereit sind, zu einer Partei der Mitte mit hinzuzutreten, sich bekennen zu einem Programm einer politischen Mitte in Europa, [einzuschließen]. Das aber ist ein zweiter Schritt, den man nicht forcieren kann, bevor der andere wirk- lich gelungen ist. Meine Freunde, ich glaube, daß das im Grunde eine gute Entwicklung bringt. Die internationale Bedeutung dieses Schrittes ist aus zahlreichen Kommentaren sichtbar. Es gibt dann noch einen Punkt, das darf ich im Augenblick miterwähnen, das ist dieser. Die Finanzierung einer politischen Partei in nationaler Ebene ist schwierig. Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Sie ist international noch sehr viel schwieriger. Der Deutsche Bundestag hat auch einen Betrag bereitgestellt für diese internationale Arbeit in Höhe von 1 Million [D-Mark] vor 2 Jahren und hat damals zum Ausdruck gebracht, daß das für den Anfang [ist] und im weiteren Fortschreiten der Entwicklung der europäischen Direktwahl – nicht für die eigentliche Wahl, sondern für die Organi- sationen, die dazu zu schaffen sind – der Betrag aufzustocken wäre von 1 Mio. auf 2½ Millionen. Interessant ist, daß hier beschwört [wird], man wolle die Direktwahl. So- wohl Sozialdemokraten als [auch] Liberale betreiben die europäischen Parteigruppie- rungen, wobei ich hinzufüge, meine Freunde, die Bedeutung wird dadurch noch be- sonders sichtbar, daß wir bisher in den 9 Ländern an die 50 verschiedene Parteien hat- ten. Und mit 50 verschiedenen Parteien kann man kein großes Europäisches Parlament bestücken, in dem große europäische Politik überhaupt möglich wird. Daher also z. B. auch die Zusammenfassung auf der sozialdemokratisch-sozialistischen Seite, im libera- len Bereich – es gibt sehr viel Schwierigkeiten dort –, bei uns im christlichen Bereich mit noch größeren Schwierigkeiten oder mindestens gleichgroßen Schwierigkeiten, die wir überwunden haben, mit der Chance, daß man andere hinzufügt. Da muß man aber wissen, daß das irgendwie zu finanzieren ist. Ich meine, ein Land wie Luxemburg oder wie die Belgier, wie die Holländer können das einfach nicht. Die einzigen, die das also wirklich tun können, sind zunächst einmal wir Deutschen. Daher ist Übereinstimmung dahin, daß wir im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen der 2. und der 3. Le- sung einen Antrag einbringen, diese 1 Million auf 2 Millionen aufzustocken. Das schei- 23 terte bislang an den Freien Demokraten. Kirst z. B, der nun noch besonders sauer ist über sein eigenes Schicksal – was ich verstehe –, hat das also abgelehnt und Mischnick24 hat erklärt: »Wir wollen die europäische Wahl, aber möglicherweise wird sie verscho- ben und deshalb brauchen wir es noch nicht heute«. Meine Freunde, wenn wir warten wollen mit den Strukturen für dieses europäische Geschehen, bis wirklich der Termin der Wahl heranrückt, ist es zu spät. Deshalb müs- sen wir heute diese Fragen nach meinem Dafürhalten entscheiden. (Beifall.) Und meine Bitte geht dahin, daß, wo immer Sie Möglichkeiten haben, in der Richtung auf andere einzuwirken, daß Sie uns darin unterstützen. Ich glaube, daß in diesem Krei- se keine Schwierigkeiten bestehen. Letztes Wort. Zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei ist von mir in Abstim- mung mit unserer Seite vorgeschlagen worden Leo Tindemans, der belgische Premier- minister. Und wer ihn kennt und wer die wirkliche unermüdliche Arbeit bewerten kann, wird darüber, glaub’ ich, sehr froh sein, daß sich Tindemans zu diesem Zwecke

23 Victor Kirst, MdB (FDP) und stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. 24 Wolfgang Mischnick, MdB (FDP) und Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion.

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wirklich zur Verfügung stellt. Die belgische Seite ist [gegenwärtig]25 eine besonders erfreuliche im europäischen Geschehen und Sie sollten bei Ihren Veranstaltungen drau- ßen den Versuch unternehmen, dieses europäische Thema, auch vor diesem Hinter- grund, daß die einzigen, die wirklich dieses Europa betreiben, wir Christlichen Demo- kraten sind, mit zum [zu] Ausdruck bringen. Und darum finde ich, daß wir mit der Lösung Leo Tindemans einen guten Griff getan haben. Ich danke Ihnen für die Auf- merksamkeit. (Starker Beifall.) Carstens (Fehmarn): Vielen Dank, lieber von Hassel! Ich habe vorhin schon in Ihrer Abwesenheit, und möchte das gern in Ihrer Anwesenheit wiederholen, Ihnen sehr herzlich gedankt in unser aller Namen für die Mühen, die Sie sich gemacht haben um das Zustandekommen dieser Europäischen Volkspartei. Ich bin davon überzeugt, daß das zu einem ganz wesentlichen Teil Ihrer Ausdauer und Ihrem unentwegten Bemühen zu danken ist, und ich glaube, wir alle sollten Ihnen dafür noch mal unsern herzlichen Dank aussprechen. (Beifall.) Im übrigen möchte ich alles das, was Herr von Hassel hier vorgetragen hat, auch zu den finanziellen Problemen vorgetragen hat, wärmstens unterstützen. Ich hab’ jetzt noch 4 Wortmeldungen zur allgemeinen Diskussion. Meine Damen und Herren, ich würde dankbar sein, wenn wir damit die allgemeine Diskussion beenden könnten, weil wir ein paar auch wichtige Punkte zu besprechen im Zuge der Tagesord- nung dieser Woche haben. Herr Kollege Pieroth – Pieroth: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Kollege Müller-Hermann sprach von bemerkenswerten neuen Gedankengängen, die die Herren Schleyer und Vetter zur Vermögensbildung geäußert haben. Ich möchte das Neue daran etwas präzi- sieren. Neu ist, daß Herr Vetter, der ja schließlich auch SPD-Mitglied ist, erkannt hat und das zum Ausdruck bringt, daß die überbetrieblichen Vermögensbildungspläne der SPD mit all ihren Gefährlichkeiten in diesen Fonds und mit diesen Fonds nicht mach- bar sind. Und neu ist, daß Herr Vetter zugibt, daß unser Weg der richtige ist, nämlich den mündigen Arbeitnehmer direkt am Kapital der Wirtschaft zu beteiligen, ohne all diese Konstruktionen, direkt als Person, möglichst an seinem arbeitgebenden Unter- nehmen oder durch Kauf an Aktien an fremden Unternehmen. Was jetzt diskutiert wird – und deshalb hab’ ich mich noch mal gemeldet –, sind unsere Vorschläge und nichts anderes, und das sollten wir nicht vergessen, auch wenn die Bauindustrie sich dazu äußert, auch wenn der Sachverständigenrat auf dieser Linie sich bewegt, auch wenn die FDP versucht, hier einiges gutzumachen. Und diese unsere Vorschläge liegen jetzt richtig. Deshalb haben wir sie auch im März in 1. Lesung im Plenum behandelt. Sie liegen jetzt richtig aus konjunkturellen Gründen, weil nur so eine direkte Teilnahme der Arbeitnehmer an einem möglichen wirtschaftlichen Auf- schwung möglich ist, dann, wenn er kommen wird. Und die Vorschläge sind wach- stumspolitisch richtig, weil nur so der Arbeitnehmer seinen Beitrag zur Finanzierung der Zukunftsinvestition bringen kann und damit zur Sicherheit seiner Arbeitsplätze mit tätig werden kann. Ich brauche nicht zu sagen, daß es 5 Monate vor der Wahl eine recht günstige Gelegen- heit ist, daß die Union zusätzliche Gesprächsmöglichkeiten mit zumindest einigen Gewerkschaftsführern durch dieses Feld der Vermögensbildung bekommt.

25 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »gegenseitig«.

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Letzter Gedanke: Unser Antrag genügt, der Antrag, den wir im Sommer letzten Jahres hier behandelt und im März im Bundestag gelesen haben, unser Antrag genügt, weil es zunächst nur darauf ankommt, die steuerlichen Barrieren, die der Beteiligung der Ar- beitnehmer entgegenstehen, zu beseitigen, die Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung am Unternehmen nach dem 624-Mark-Gesetz zu fördern, was bisher noch nicht mög- lich ist, und weil es genügt, gewisse Mindestvorschriften für diese Arbeitnehmerbeteili- gung zu erlassen. Der gesamte Rest ist Sache entweder der Unternehmer und Betriebs- räte, wenn sie eine solche Betriebsvereinbarung treffen, oder der Tarifpartner, wenn sie einen Tarifvertrag abschließen. Es ist nicht Sache der Politik, alles durch Gesetz regeln zu wollen. Weil unser Antrag genügt, müßte es also möglich sein, aufzuzeigen, was die Regierung nicht tut. Die Regierung muß aber diese Sperren beseitigen, um die Tarifpartner in die Pflicht zu nehmen, weil nur dann, wenn die Tarifpartner versagt haben, auf diesem Gebiet weitergehende Maßnahmen unsererseits erwogen werden. Und, wenn wir das nächste Woche in der Haushaltsdebatte so angehen beim Schwerpunkt im Bereich der Finanz- und Wirtschaftspolitik, dann müßte es auch möglich sein, abschließend zu verhindern, daß Friderichs auf diesen Zug aufspringen kann, was er nur zu gern tun würde. Carstens (Fehmarn): Danke vielmals, Herr Kollege Pieroth! Herr Kollege von Bis- marck, dann Herr Kollege Pfeifer, dann Herr Kollege Jäger. von Bismarck: Ich möchte ein paar Sätze zur 4. Partei sagen. Es ist gar kein Zweifel, daß diese großen Geldmittel auch, z. T. jedenfalls, aus großen Quellen kommen, und der Wirtschaftsrat hat sehr früh über diese Sache beraten und Beschluß gefaßt. Wir haben daraufhin einen Weg gewählt, um das deutlich zu machen, indem der Vorsitzen- de in dem Editorial der Zeitschrift »Bunte Illustrierte« dazu 4 Spalten geschrieben hat, die wir überall verbreitet haben. Wir haben 2. denjenigen, von denen wir erfahren ha- ben, daß sie Mitglied des Wirtschaftsrats sind und sich an einer Aktion für die 4. Partei beteiligen, mitgeteilt, daß diese Aktion mit der Mitgliedschaft im Wirtschaftrat unver- einbar ist, und wir werden das auch in Zukunft in jedem Falle tun. Ich halte es für nö- tig, daß Sie das wissen, damit der Eindruck nicht entsteht, als sei dies eine besonders schlaue Haltung besonders kluger Unternehmer. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr v. Bismarck, für diese Mitteilung, die Sie uns gemacht haben. Herr Kollege Pfeifer – Pfeifer: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Ich möchte zu Ihren Bemer- kungen zum Berufsbildungsgesetz gerne etwas sagen, weil ja darüber heute morgen im Arbeitskreis wir gesprochen haben. Ich möchte dazu allerdings keine Debatte eröffnen, sondern nur eine Bitte äußern. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß die, Carstens (Fehmarn): Meine Damen und Herren, hören Sie bitte dem Kollegen Pfeifer zu. Pfeifer: daß die Frage offen steht, wie das nun in den Vermittlungsausschuß geht. Das mag für viele eine verfahrensrechtliche Frage sein. Hinter der Frage verbirgt sich aber in Wahrheit etwas mehr, denn hinter der Frage verbirgt sich, was bei den Beratungen des Vermittlungsausschusses Beratungsgrundlage wird. Und ich möchte herzlich darum bitten, alles zu vermeiden, was dazu beitragen kann, daß Beratungsgrundlage im Ver- mittlungsausschuß plötzlich die Fassung des Bundestages, so, wie es in der 3. Lesung verabschiedet wurde, daß dies zur Grundlage der Beratungen im Vermittlungsausschuß wird. Wenn dies eintreten würde, dann wären wir im Grunde genommen schon in einem ganz entscheidenden Punkt von unserer Linie abgewichen, nämlich, daß diese

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Fassung der Bundestagsmehrheit für uns keine Basis für den gesetzgeberischen Fort- schritt sein kann. Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz dezidiert etwas zur Finanzierungsregelung sagen. Ich unterstreiche alles, was Sie gesagt haben in bezug auf Friderichs und in bezug auf – was Sie gesagt haben in bezug auf die Äußerungen, die von Herrn Friderichs in der Presse erschienen sind. Aber ich bitte, doch auch nicht zu übersehen, daß sich die Bundesregierung derzeit in dieser Frage außerordentlich schwertut. Die Friderichs- Vorschläge sind in die Öffentlichkeit gekommen warum? Doch zunächst nur deswe- gen, weil wir nie den geringsten Zweifel daran gelassen haben, daß dieses Gesetz von uns keine Zustimmung bekommt. Wenn hier irgendwo Zweifel aufgekommen wären, dann wäre nach meiner Auffassung Friderichs überhaupt nicht mit dieser Sache gestar- tet. Dies ist Nr. 1. Nr. 2, Herr Friderichs konnte diese Vorschläge bisher immer nur in einer sehr verschwommenen Form in die Öffentlichkeit bringen, weil er sich offiziell an die Kabinettslinie halten muß, die da lautet: Das ganze Kabinett kämpft im Bundesrat ge- schlossen für die Verwirklichung der Regierungsvorlage. Und nun ist doch eines inter- essant. Heute [verhandeln]26 Herr Rohde und Herr Schmidt27 mit dem DGB. Heute hat Herr Rohde eine Presseerklärung zusammen mit den Jungsozialisten veröffentlicht, die ich also doch für sehr interessant halte. Da heißt es: »Die Jungsozialisten sind mit dem Minister einig, daß nur eine Berufsbildungsabgabe der Unternehmer ein breites betriebliches Berufsbildungsangebot sichern kann. In dieser Frage darf es nach Auf- fassung der Jungsozialisten und des Bildungsministers keine faulen Kompromisse auf Kosten der Interessen der jungen Auszubildenden geben.« Das heißt, hier ist doch innerhalb der SPD ein ganz massives Bemühen im Gange, im Hinblick auf den 14. Mai Friderichs und die FDP zu disziplinieren. In dem Augenblick, in dem jetzt aber von uns sichtbar werden sollte, irgendwo, daß man im Vermittlungs- ausschuß möglicherweise auch über die Fassungsbrücke Lesung Bundestag als Bera- tungsgrundlage sprechen könnte, wird doch damit Herr Rohde in die Lage versetzt, weiterhin von der Bundesregierung zu verlangen, daß die ganze Regierung für die Re- gierungsvorlage eintritt und daß, was der Friderichs an sich möchte, nämlich daß nach der Ablehnung des Berufsbildungsgesetzes am 14. Mai im Bundesrat für ihn eine Lage entsteht, in der er seine neuen Vorschläge auch ganz breit in der Öffentlichkeit präsen- tieren kann, dem wäre damit der Weg verbaut. Warum sag’ ich das? Ich sage dies, um eine Bitte und vor allem an Sie, Herr Fraktions- vorsitzender, zu richten. Wir wollen nicht das Scheitern dieses Gesetzes, das haben wir immer erklärt, sondern wir wollen einen gesetzgeberischen Fortschritt, der vor allem den Betrieben hilft. Das gilt auch für eine Finanzierungsregelung auf der Grundlage, wie Sie es eben dargestellt haben, Friderichs bzw. nach unsern Anträgen, die wir gestellt haben. Aber wir müssen uns über eines im klaren sein: Wer in dieser Lage bei dieser Koalition etwas erreichen will – und das haben die Erfahrungen beim Rahmengesetz und anderen Gesetzen bewiesen –, der muß zunächst einmal auf der eigenen Position beharren und bestehen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, um bei dieser Regierung vorwärts zu kommen. Und der darf vor allem auch keinen Zweifel daran lassen, das ist für die interessierten Kreise sehr wichtig, daß nicht nur ein Finanzierungsproblem exi- stiert, sondern daß hier auch ordnungspolitische Vorstellungen zur Diskussion stehen, zu denen sich bisher die FDP nicht geäußert hat und zu denen sie sich eben auch noch

26 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »behandelt«. 27 Helmut Schmidt, MdB (SPD) und Bundeskanzler.

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äußern muß, wenn [hier]28 dieser gesetzgeberische Fortschritt zustande kommen soll. Und deswegen meine Bitte, daß […]29 bei den Beratungen, die jetzt mit den Ländern stattfinden – und ich sage das auch für die Kollegen des Arbeitskreises VI –, doch alles unternommen wird, jetzt nicht sozusagen zum unglücklichsten Zeitpunkt plötzlich die Linie [zu verlassen], die wir seit dem 1. Durchgang im Bundesrat bis zur 3. Lesung im Bundestag vertreten haben, nämlich uns nicht auf die Basis dieser Rohde-Vorlage zu begeben. Wenn wir diese Linie jetzt nicht verlassen, wird es dann konkret nur heißen, am 14.Mai muß dieses Gesetz im Bundesrat abgelehnt werden, denn dann muß die Regierung, wenn sie glaubwürdig werden will, hier das Äußerste zu tun für die jungen Menschen und für ihre Ausbildungschancen, von sich aus den Vermittlungsausschuß anrufen. Daran, an dieser Linie darf jetzt in den nächsten Tagen kein Zweifel entstehen, wenn […]30 nicht alles das, was wir in den letzten Wochen mühsam aufgebaut haben, plötzlich wieder ins Rutschen kommen soll. Dies wollte ich hier doch zum Ausdruck bringen. Carstens (Fehmarn): Ich danke Ihnen sehr, Herr Kollege Pfeifer. Ich stimme Ihnen auch zu. Formell liegt die Entscheidung bei den Ländern im Bundesrat. Wir müssen also sicherstellen, daß Sie und ich an den entscheidenden Beratungen der Ländermi- nisterpräsidenten teilnehmen. Ich werde veranlassen, daß wir informiert werden, wann dies stattfindet, und dann sollten wir zu dritt da hingehen. Ich glaub’, das ist der einzige passable Weg, den wir einschlagen können. Herr Kollege Jäger (Wangen), bitte schön. Jäger: Herr Vorsitzender, ich möchte mich auf einen einzigen Punkt beschränken, und zwar auf Ihre Äußerung in den einleitenden Bemerkungen, die Sie machten zu unserer Einlassung im Themenbereich Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Sicher- heitsrat der Vereinten Nationen. Was Sie hier gesagt haben, war mir, Herr Vorsitzen- der, ein klein wenig zu apodiktisch. Ich gebe ganz offen zu, daß es sicherlich gewichtige Argumente gibt, die uns eine Schlußfolgerung nahelegen, wie Sie sie gezogen haben, aber ich glaube, niemand wird verkennen, daß es auch ganz erhebliche und gewichtige Bedenken gibt, die gegen ein solches Zustimmen sprechen. Und vor allen Dingen scheint es nicht so, daß ein ganz erheblicher Unterschied ist, welche Bundesregierung die Bundesrepublik Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertritt. Bei der jetzigen Bundesregierung ist überhaupt nur eine einzige Sicherheit im Sicherheits- rat, nämlich die, daß dies zu einer Propagandaveranstaltung zur Verdeutlichung des Kurses des Herrn Schmidt und des Herrn Genscher31 würde. Aber ich möchte die dringende Bitte an der Stelle an Sie richten, Herr Vorsitzender, daß, ehe die Fraktion hier in irgendeiner Weise abschließend Stellung nimmt, diese Frage gründlich im zu- ständigen Arbeitskreis V erörtert wird, wozu wir bisher noch keine Gelegenheit hatten, und ich würde darum bitten, daß wir hier vorher keine Festlegung treffen. Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Jäger, ich hatte keineswegs eine Festlegung der Fraktion bezweckt, aber Sie kennen mein Bestreben, doch der Fraktion in einem jeweils möglichst frühzeitigen Zeitpunkt mitzuteilen, wie meine eigene Einschätzung einer bestimmten Situation ist. Ich bin für Argumente offen. Ich sehe natürlich auch die Be- denken und die Schwierigkeiten, die sich ergeben, komme allerdings unterm [Strich]32 zu dem Ergebnis, das ich Ihnen vorhin vorgetragen habe. Aber wir haben – Herr Kol-

28 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »ihr«. 29 Vom Bearbeiter gestrichen: »wir«. 30 Vom Bearbeiter gestrichen: »wir«. 31 Hans-Dietrich Genscher, MdB (FDP), Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler sowie FDP-Bundesvorsitzender. 32 Korrigiert aus »Strick«.

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lege Becker, wir haben die allgemeine Diskussion beendet –, es [be]steht ausreichend Gelegenheit, [diese Frage] erst im Arbeitskreis und dann gegebenenfalls auch noch in der Fraktion zu erörtern. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Lemmrich ist der Berichterstatter für den Punkt 4c, Bundesfernstraßengesetz. Er muß uns in Kürze verlassen und hat gebeten, diesen Punkt jetzt aufzurufen, damit festgestellt werden kann, ob irgendwelche Beden- ken aus der Mitte der Fraktion gegen die Vorlage erhoben werden. Ist Herr Kollege Lemmrich noch da? Wollen Sie vortragen, Herr Kollege Lemmrich, oder genügt es, wenn ich diese Frage stelle? [C.] Lemmrich: Ich meine, es genügt, wenn Sie fragen, denn wir haben ja im Ausschuß bereits zugestimmt. Carstens (Fehmarn): Meine Damen und Herren, wir haben im Ausschuß zugestimmt. Ich selbst bin mit einem oder zwei Problemen befaßt worden und habe dann auch mei- nerseits die Zustimmung gegeben. Ich möchte aber ausdrücklich sagen, daß es Kollegen gibt, die Bedenken haben. Bitte schön, Herr Kollege Stark. Stark: Herr Vorsitzender, ich muß also hier vorsorglich einen Einwand machen. Es läßt sich noch nicht genau feststellen, ob es der Abschnitt ist, über den wir streiten. Wenn es der Abschnitt wäre bei der B 81, der im Gespräch ist, so ist das ein Abschnitt, der mitten im Bau ist, wo die Brücken und alles erstellt sind und wo bereits Erdbewe- gungen vorgenommen werden, der ist heruntergestuft worden auf 1b, und ein anderer, noch nicht begonnener Bauabschnitt – allerdings in meinem Heimatkreis, das ist die Schwierigkeit –, der ist dafür eingesetzt worden. Wenn es der Abschnitt ist, über den wir uns noch unterhalten, dann muß ich hier als Vertreter des Wahlkreises Böblingen- Nürtingen Protest dagegen einlegen, weil ich es für einen Schildbürgerstreich halte, eine Strecke, die grad im Bau ist, wieder auszusetzen und eine andere neu zu beginnen. Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Lemmrich, ich schlage vor, daß ich Ihnen am Schluß das Wort gebe. Es sind noch eine Reihe anderer Wortmeldungen. Dann sollten Sie sich insgesamt äußern. Ich gebe Herrn Kollegen Leicht das Wort und benutze diese Gele- genheit, um Sie, Herr Kollege Leicht, herzlich zu begrüßen, nach langer Abwesenheit sind Sie offensichtlich gesund und frisch wieder in unserer Mitte und darüber freuen wir uns alle sehr. Bitte schön, Herr Kollege Leicht. Leicht: Meine Damen und Herren, ich bin mir klar darüber, daß es schlecht wär’, im Plenum des Deutschen Bundestages über Einzelabschnitte von Straßen zu sprechen, weil die Interessen natürlich dann untereinander von uns selbst gegenteilig gelagert wären. Aber ich würde Wert darauf legen, daß dieser 5-Jahres-Plan, der praktisch im Vergleich zu dem anderen 5-Jahres-Plan, den wir schon einmal hatten, in seinen Lei- stungen enorm zurückgegangen ist, daß also kritisiert wird, daß für diese wichtige Aus- gabe infolge der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung diese Regierung weniger tut. Und dann kann man auch natürlich generell sagen, daß, wenn man insgesamt die Dinge sieht, noch sehr viele Ungereimtheiten in diesem Plan, der schließlich verabschiedet werden muß, enthalten sind. Carstens (Fehmarn): Danke vielmals, Herr Kollege Leicht! Liegen weitere Wortmel- dungen vor? Herr Kollege Burger – Burger: Herr Kollege Lemmrich! Im Bericht ist auch das Problem der Ortsumgehun- gen angesprochen worden. Es wird dabei zum Ausdruck gebracht, daß u. U. in gewis- sen dringenden Fällen Ortsumgehungen vorgezogen werden können. Können Sie dazu noch einige Sätze sagen?

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Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Lemmrich, die Frage des Kollegen Burger geht dahin, ob Sie zum Thema Ortsumgehungen etwas sagen können, insbesondere zu der Möglichkeit – wenn ich richtig verstanden habe –, einzelne Ortsumgehungen zeitlich vorzuziehen. Weitere Wortmeldungen? Herr Kollege Köhler – Köhler (Wolfsburg): Herr Vorsitzender, vielleicht könnte der Kollege Lemmrich bei der Gelegenheit gleich noch eins deutlich machen. Ich schätze die Situation nämlich genauso ein wie Herr Leicht, daß diese Gesetzgebung eine Gesetzgebung minus, und zwar mit drastischen Abstrichen gegenüber früheren Planungen ist. Das ist der Öffent- lichkeit bisher durchaus nicht in dem Maße bewußt, daß wir es für wünschenswert halten sollten. Ich würde gerne wissen, welches die Hauptmotivation für uns zu einer Zustimmung wäre. Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Lemmrich, sind Sie mit der Frage des Kollegen Köhler – ich nehme an, Herr Lemmrich muß jetzt sämtliche Straßenbauwünsche aus dem ganzen Bundesgebiet noch befriedigen –, haben Sie verfolgen können, was Kollege Köhler gesagt hat? Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann bitte ich, Herr Kol- lege Lemmrich. Lemmrich: Meine Damen und Herren! Zunächst die Frage vom Herrn Stark. Der Vorschlag der Abstufung der Maßnahme des Kollegen Stark ist von dem Land Baden- Württemberg im Ausschuß selbst gemacht worden. Wir hatten andere Vorschläge ge- habt, und die haben gesagt, das ginge und das sei das Zweckmäßige. Mehr kann ich dazu nicht sagen, als daß die Landesregierung ihren zuständigen Ministerialdirektor Herrn Dr. Hofstädter selbst in die Ausschußsitzung geschickt hat. Mehr können wir nicht. Aus Baden-Württemberg ist in dieser Hinsicht vielleicht das eine oder andere etwas schwieriger. Die Frage von Ortsumgehungen. Es können punktuelle Maßnahmen, wenn sie aus der Situation heraus unabweisbar sind, nach dem Paragraph des Ausbauplangesetzes durchgeführt werden, wenn das Land es innerhalb seiner Quote abfinanziert. Wir ha- ben natürlich Probleme gehabt. Wir waren uns einig darüber, weil’s anders gar nicht ging, daß, wenn jemand Aufstufungen wünscht, er Abstufungsvorschläge machen muß. Wir konnten z. B. natürlich den Wunsch, die Autobahn von Karlsruhe nach Pirmasens, die 1,5 Mrd. [D-Mark] kostet, aufzustufen […]33. Aber jetzt, warum wir zustimmen. Es sind drei Gründe. Wesentliche Forderungen, die wir im Jahr ’71 erhoben haben, daß nämlich die Dringlichkeiten mit den finanziellen Möglichkeiten abzustimmen sind, sind diesmal realisiert worden. Zweitens, die raumpolitische Komponente, daß der Straßen- bau eine beträchtliche Erschließungsfunktion hat, ist berücksichtigt worden, indem die raumpolitischen Aspekte die doppelt so starke Wertung erhielten als die verkehrlichen Aspekte. Drittens, diese Dringlichkeiten sind mit den Bundesländern weitgehend abge- stimmt worden, und zwar durch einen vorgegebenen Finanzrahmen. Wir haben – bei der Beseitigung der Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Bundesfernstraßenbau ist unsere Fraktion mit auf die Barrikaden gegangen. Bei den Haushaltsberatungen sind die Dinge sehr leise behandelt worden. Wir haben bei dem zweiten entscheidenden Verkehrsfinanzprojekt zugestimmt, nämlich der 10 %igen Kürzung der für das Ge- meindeverkehrsfinanzierungsgesetz zweckgebundenen 6 Pfennig Mineralölsteuer. Wir können also kaum heute oder morgen auf die Tribüne des Bundestages gehen und sa- gen, »aber das Geld dafür reicht einfach nicht aus«. Da wir’s nicht aufhängen können, können wir’s nicht aufhängen – aus unserer bisherigen Linie. Nachdem alte Forderun- gen von uns erfüllt worden sind, sehe ich auch keine Möglichkeit, eine Begründung

33 Vermutlich Auslassung in der Vorlage.

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anzuführen, warum wir dagegen sein sollten. Und nur mit dem Argument, daß wir generell gegen alles sind, glaube ich, tun wir uns in dieser Sache nichts Gutes, weil uns nämlich vorgehalten wird, daß wir ja generell dann gegen den Straßenbau seien. Das geht mir so in meinem Wahlkreis wie vielen andern auch. Also, die sachlichen Überle- gungen lassen es geboten erscheinen, hier zuzustimmen, weil das mir kein Schlachtfeld erscheint, auf dem wir besonders große Siege und Lorbeeren erringen könnten, und [weil], wie gesagt, von [uns] massiv vertretene Forderungen, die die Koalition noch ’71 ablehnte, jetzt von ihr übernommen worden sind. Das wäre die Begründung, die das Ja unserer Fraktion nach meiner Meinung rechtfer- tigt. Natürlich gibt es einzelne Probleme lokaler Art, mit denen jeder sich rumzuschla- gen hat. Das verstehe ich durchaus. Aber, da würde ich doch empfehlen, vielleicht auch mal die Gesetzesvorlage wie den Bericht etwas durchzulesen. Dort sind Kriterien und, wie das gemacht worden ist, dargelegt. Ich habe auch schon vor längerer Zeit allen Kollegen ein Papier zukommen lassen, wo ich in allgemeinverständlicher Form diese Problematik dargelegt habe, im Blick auch eben auf diese Beratung dieses Gesetzent- wurfs. Herr Vorsitzender, das hätte ich zu sagen. Carstens (Fehmarn): Ja, meine verehrten Damen und Herren! Jetzt entnehme ich aus der Debatte und jetzt wird mir das eigentlich erst richtig klar, daß die Interessenlage unterschiedlich sein dürfte zwischen unionsregierten Ländern und SPD-regierten Län- dern. Also ich muß für mich und meine schleswig-holsteinischen Kollegen sagen, daß wir in Übereinstimmung mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung mit äußer- ster Mühe hier bestimmte Dinge durchgesetzt haben, die wir uns natürlich furchtbar gerne auch alle jetzt an den Hut stecken wollen bei der bevorstehenden Auseinander- setzung im Wahlkampf. Und ich meine – wenn ich mal von meiner rein persönlichen Situation sprechen darf –, wenn ich jetzt dieses Gesetz ablehne, dann geht mein sozial- demokratischer Gegner hin und sagt: »Der verrät die heiligsten Interessen unseres Be- reichs, indem er diese wichtige Straße, die nach dem Gesetz gebaut werden soll, jetzt ablehnt«. Das ist ganz aus meiner Sicht und das gilt, glaub’ ich, für zahlreiche Kollegen in unionsregierten Ländern. Ich kann nicht anders sagen als: Das ist zwar alles nicht genug und hätte alles viel besser sein müssen und infolge der schlechten Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung sind wir hier an einem Punkte angelangt, der in gar keiner Weise mehr befriedigend ist, aber das, was hier vorgeschlagen wird, das unter- stütze ich und da könnte ich gar nicht anders als zustimmen. Das wird einer Reihe von Kollegen auch so gehen. Ich frage deshalb die Kollegen, die Bedenken haben, so schwerwiegende Bedenken haben, daß sie deswegen dagegen stimmen müßten – viel- leicht, man kann eventuell die Abstimmung freigeben. So furchtbar gern würde ich das nicht ins Auge fassen. Jetzt haben sich Herr Picard und Herr Dregger noch gemeldet. Ja, bitte schön – Herr Picard. Eijeijei! Jetzt haben wir ‘ne volle Breitseite – Herr Dreg- ger verzichtet. Herr Picard, Herr Josten und Herr Vehar. Picard: Herr Vorsitzender, ich will keine lange Diskussion beginnen, und wenn die sich entwickelt, dann liegt das an diesem Gesetz und nicht an mir. Das Gesetz hat die glei- che Qualifikation verdient wie sein Vorgänger. Das ist doch nichts anderes als Augen- auswischerei. Ich will es am Beispiel des vorherigen Gesetzes, das jetzt novelliert wird, klarzumachen versuchen. Da haben wir, wohlwissend, daß die Finanzen für das Gesetz gar nicht ausreichen, damals ein Gesetz beschlossen, dessen erste Ausbaustufe jetzt – in der zweiten und in der dritten kommt dort überhaupt nichts. Und ich fürchte, nein, ich bin sicher, daß wir genau das gleiche wieder tun. Das heißt mit andern Worten: Wenn wir schon dem Ge-

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setz zustimmen – ich persönlich werde nicht zustimmen aus genau den gleichen Grün- den, aus denen [manch anderer] glaubt, zustimmen zu müssen, weil das nämlich in meinem Wahlkreis ‘ne Katastrophe ist. Da wird alles das, was wir ’66, ’67 schon ange- fangen haben, [was,] als Leber Verkehrsminister wurde, versprochen worden ist, jetzt endgültig in den Mond geschrieben. Ich glaube nicht, daß ich dazu beitragen kann, meinen Wählern zu sagen in meinem Wahlkreis: Ja, das ist richtig, ich trage dazu bei. Ich würde also dringend bitten, wenn schon die Mehrheitsmeinung der Fraktion die sein sollte, zustimmen zu müssen, daß man aber auf die Unsolidität des seitherigen Gesetzes und auch die Fragwürdigkeit dieses Gesetzes hinweist, und daß man dann höchstens sagen kann: Das ist ein Gesetz, das vielleicht in der Hand einer CDU- Regierung was wird, aber nicht in der Hand einer SPD-Regierung. Carstens (Fehmarn): Also das soll und kann auf alle Fälle geschehen, Herr Kollege Picard, aber jetzt haben sich noch gemeldet der Kolle[ge] Jobst und dann Herr Kollege Vehar. Jobst: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, meine lieben Kollegen! Es gäbe Gründe, dieses Gesetz abzulehnen, und zwar, wenn man es in den Gesamtzusammen- hang der Verkehrspolitik stellen würde. Wenn man damit sagen würde, wir würden die Verkehrspolitik der Bundesregierung billigen. Der Straßenbau ist rückläufig. Darauf hat Herr Leicht bereits hingewiesen. Die Investitionsmittel sind erheblich gekürzt wor- den. Die Zweckbindung der Mineralölsteuer ist aufgehoben worden und die großspuri- gen Pläne aus Lebers Zeiten haben sich als Seifenblasen erwiesen. Es ist an sich ein Of- fenbarungseid, was heute die Regierung vorlegt. Das sollen wir alles in der Debatte einführen. Aber ich meine, es geht hier in erster Linie um einen technischen Komplex dergestalt, wie aufgrund der derzeitigen Finanzsituation das Beste im Straßenbau ge- macht werden kann, und hier haben wir in Abstimmung mit den Ländern doch erhebli- che Fortschritte erreicht. Unsere großen Forderungen von ehedem, daß die Verkehrser- schließung in strukturschwachen Ländern besser berücksichtigt werden soll, denen ist stattgegeben worden. Unsere Vorschläge, die Erschließungsfunktion besser zu berück- sichtigen, sind auch erfüllt worden. Und aus diesem Grunde meinen wir, sollten wir den technischen Aspekt hier in den Vordergrund rücken, dem zustimmen, aber dabei an der Gesamtverkehrspolitik der Bundesregierung kräftig Kritik üben. Und ich glau- be, es würde zu nichts führen, wenn wir jetzt einzelne Maßnahmen herausgreifen, die gegeneinander abwiegen. Das führt zu nichts. Wir haben im Verkehrsausschuß in meh- reren Sitzungen umgestuft, aufgestuft, abgestuft in Abstimmung mit den Landesgrup- pen, und da haben wir eine Übereinstimmung erzielt. Und ich glaube, es wäre jetzt nicht gut, wenn wir diesen technischen Komplex ablehnen würden. Carstens (Fehmarn): Kollege Lemmrich, soweit ich sehe, können Sie dem allen Rech- nung tragen, was hier gewünscht wird. Sie können doch Kritik an der Verkehrspolitik insgesamt üben. Daran hindert Sie doch nichts, auch wenn wir am Schluß der Sache zustimmen. Jetzt Kollege Vehar. Vehar: Ich möchte mich kurzfassen und den Vorschlag von Herrn Lemmrich mit eini- gen Argumenten noch unterstreichen. Die wesentlichen Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage sind doch praktisch zurückzuführen auf Vorschläge der CDU/CSU-regierten Länder. Da ist z. B. die wesentliche Änderung auf Wunsch der bayrischen Regierung gemacht worden, daß hier die Autobahn Würzburg–Ulm mit in die wichtige Dringlichkeitsstufe übernommen wurde. Das hat wesentliche Auseinan- dersetzungen mit der SPD bedeutet. Und als zweite Änderung ist die von Herrn Lemmrich schon erwähnte Änderung im Raume Baden-Württembergs genommen. Die CDU-Regierung von Baden-Württemberg hat eigens zu diesem Zweck einen Vertreter

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des Kabinetts in die Verkehrsausschußsitzung gesandt, was eigentlich etwas sehr Selte- nes ist. Das, was darauf geändert worden ist, ist also ein Erfolg der baden- württembergischen Regierung. Und als dritten Schwerpunkt möchte ich nennen, im Land Nordrhein-Westfalen hatten wir die umstrittene A 31, gegen die ja eine ganze Menge von Umwelt-Bürgerinitiativen sich gewehrt haben, abgestuft. Das ergab eine Freiwerdung von etwa 320 Mio. D-Mark, die dafür verwandt wurden, daß jetzt – und zwar auf Wunsch unserer Freunde – die Eifel-Autobahn ausgebaut werden kann, daß zwei Autobahnen in Richtung Holland, die alle von unsern Freunden gewünscht wur- den, vierspurig ausgebaut werden anstatt zweispurig, wie es ursprünglich geplant war, und daß viertens – möchte ich noch hinzufügen, Herr Prof. Carstens –, Herr Sick sich sehr nachdrücklich für einen Wunsch der schleswig-holsteinischen Regierung einge- setzt hat, und das – das möchte ich sagen –, das ist ganz schwer gewesen, diesen Wunsch von Herrn Sick und der Regierung von Schleswig-Holstein gegenüber den FDP-Kollegen im Verkehrsausschuß durchzubringen. Im ganzen gesehen haben wir den Eindruck gehabt, als wir einheitlich einmütig dann dieses Gesetz verabschiedet hatten, daß die Wünsche der CDU/CSU fast hundertprozentig erfüllt worden waren und die SPD, FDP eigentlich sehr unzufrieden waren. Wir haben aber das Ganze natür- lich geschluckt, weil wir ja wissen und wußten, daß die Zustimmung der CDU/CSU erkauft werden mußte durch entsprechendes Nachgeben für das, was wir an Kritik am Bundesfernstraßenplan von Herrn […]34 Dr. Jobst und von den andern Kollegen zu sagen haben. Es bleibt selbstverständlich – darüber haben wir in der Vorbesprechung […]35 auch sehr nachdrücklich gesprochen –, [daß]36 der Kollege Lemmrich in seiner Art – Sie kennen ihn ja alle – schon eine sehr deftige Kritik an der gesamten Bundes- fernstraßenpolitik der Bundesregierung üben wird. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr Kollege Vehar! Jetzt Herr Kollege Dregger zum Abschluß! Dregger: Es wurde hier gesagt, daß wir die Abstimmung freigeben. Nein ist immer eine gute Position für die Opposition, denn ja bedeutet Mitverantwortung, und warum sollten wir eigentlich Mitverantwortung übernehmen? Selbstverständlich für die Kolle- gen, die etwas durchgesetzt haben und das nehmen wollen, das sollen sie tun. Aber es gibt sicherlich viele Wahlkreise, in denen Kritik bleibt, und die wollen wir uns nicht dadurch unmöglich machen, daß sie hier ja gesagt haben. Ich bitte um Freigabe der Abstimmung. Carstens (Fehmarn): Ja, meine – ich habe ja sehr viel Verständnis für das, was der Kol- lege Dregger sagte –, aber ich bitte doch noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen zu dürfen. Jede Straße, deren Bau jetzt noch begonnen wird oder geplant wird, wird sich die Bundesregierung als ihr großartiges Werk an den Hut stecken. Und ich würde ganz gerne sagen können, das sei nur möglich gewesen, weil wir zugestimmt haben. Also ich neige unabhängig von den Interessen des Landes Schleswig-Holstein, zu denen Herr Vehar Stellung genommen hat, dazu, Zustimmung zu empfehlen, aber ich sehe ohne weiteres ein, daß es eine Reihe von Kollegen gibt, die ganz unglücklich sind über den Ausgang dieser Diskussion und dieser Verhandlung, und niemand sollte sie hindern, dagegen zu stimmen. Ich möchte aber, wenn Sie einverstanden sind, doch, damit wir einen ungefähren Überblick haben, doch jetzt einmal feststellen, wer bereit ist – bitte schön, Herr Lemmrich.

34 Vom Bearbeiter gestrichen: »Herrn«. 35 Vom Bearbeiter gestrichen: »und«. 36 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »das wird«.

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Lemmrich: Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich darf vielleicht ganz kurz noch Stel- lung nehmen. Zum Kollegen Picard! Darf ich vielleicht hinweisen, daß der Haushalts- ausschuß sein Votum auch einstimmig gefaßt hatte? Ich mußte ja dort die Kollegen auf die finanziellen Möglichkeiten hinweisen. Denn, was dort, meine verehrten Kollegen, geschah, das war kein Ruhmesblatt für die Kollegen des Haushaltsausschusses, die uns bei jeder passenden Gelegenheit an die finanziellen Grenzen erinnerten. Ich darf das schon mal hier sagen und aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Nun zum Kollegen Dr. Dregger! Herr Kollege Dr. Dregger, das ist prima, nein zu sagen. Sie sagen, wenn wir drankommen, werden wir das machen. Hoffentlich nehmen nicht viele Kollegen den Mund zu voll, denn wenn wir hinkommen, werden wir es mit Sicherheit auch nicht machen können. Auch daran sollen wir denken, nicht wahr? Das Allerschlimmste, was wir verlieren können, ist unsere Glaubwürdigkeit – auch die ist ein Stück unseres politischen Kapitals, wenn wir jetzt schon einmal freimütig hier mit- einander reden wollen –, so daß ich also sagen muß: Was steht denn hier zur Debatte? Kollege Dr. Jobst und Kollege Vehar haben das dargelegt. Alle 5 Jahre werden die Dringlichkeiten überprüft. In dem Ausbauplangesetz stand drin, daß dies durch eine Verordnung der Bundesregierung geschehen würde, ohne Zustimmung des Bundesrats. Durch uns ist die Sache dann so gemacht worden, Carstens (Fehmarn): Das Wort hat der Kollege Lemmrich. Lemmrich: durch uns ist es dann so gemacht worden, daß der Bundestag darüber ent- scheidet, und darum geht es jetzt. Carstens (Fehmarn): Meine Damen und Herren, ich hab’ die Debatte schon dreimal beendet. Lieber Herr Kollege Althammer, nehmen Sie es mir bitte nicht übel. Ich wür- de gerne jetzt mal eine Probeabstimmung veranstalten wollen und bitte diejenigen Kol- legen, die bereit sind, diesem Gesetz ihre Zustimmung zu geben, um ein Handzeichen. – Ich bitte um die Gegenprobe. Ja, das erstere war die Mehrheit, aber wir bleiben bei dem, was wir gesagt haben: Wenn einzelne Kollegen unbefriedigt sind, werden sie nicht gehindert, mit nein zu stimmen. Gut! Herr Kollege Lemmrich, das ist länger gewesen, als ich gehofft und erwartet hatte, aber es war ja trotzdem wichtig. Wir kommen nun- mehr zu Punkt 3 der Tagesordnung, zum Arzneimittelgesetz – Prinz Botho zu Sayn- Wittgenstein-[Hohenstein], bitte schön. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Herr Vorsitzender, meine Damen und Her- ren! Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, daß der Punkt 3 noch heute dran- kommt. Carstens (Fehmarn): So schnell sollten Sie die Hoffnung nicht aufgeben, Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein]. Da haben wir schon anderes erlebt. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Der Bundestag, Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, Carstens (Fehmarn): Wir haben ein ganz wichtiges Thema, ich bin an dem Thema interessiert, was jetzt drankommt. Hören Sie bitte zu! Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: muß in dieser Woche über ein Gesetz ent- scheiden, welches in der Öffentlichkeit, insbesondere bei zahlreichen Bürgerinitiativen großes Interesse erregt hat. Alleine in meinem Büro sind mehr als 6 000 Briefe zu die- sem Gesetz eingereicht worden und allein vor dem baden-württembergischen Wahl- kampf habe ich mehr als 3 000 Briefe aus Baden-Württemberg zu diesem Problembe- reich beantworten können. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat bei ihrem Regierungsentwurf erhebliche Abstriche machen müssen, und wir können für uns in Anspruch nehmen,

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daß in den wesentlichen Bereichen, in denen wir schon in der 1. Lesung unseren Stand- punkt klargemacht hatten, aber auch in den zahlreichen Diskussionen, insbesondere im baden-württembergischen Wahlkampf, daß wir diese Überlegungen voll und ganz im Gesetz durchsetzen konnten. Es handelt sich insbesondere um die Fragen 1. Wahl des Patienten auf Freiheit der Heilmethode und die Therapiefreiheit des Arztes, es handelt sich 2. darum, daß wir durchsetzen konnten eine pauschale Zulassung aller Arzneimit- tel, die bereits auf dem Markt sind, weil auch mit einer noch so perfektionistischen Überprüfung von Arzneimitteln, die z. T. seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten auf dem Markt sind, mehr Sicherheit für den Verbraucher nicht hätte erreicht werden können. Es wären lediglich mehr Kosten verursacht worden. 3. haben wir auch ein nach unserer Auffassung praktikableres Zulassungsverfahren erreichen können, hier vor allem auch die Anbindung externen Sachverstandes in die Überprüfung eines neuen Arzneimittels miteinfließen lassen können, so daß die Bundesoberbehörde, die [über] die Zulassung entscheidet, nicht in dem Umfang ausgebaut werden muß, wie es ursprünglich die Re- gierung einmal vorgesehen hatte. Ich möchte einmal in diesem Zusammenhang auf das amerikanische FDA37 hinweisen, das z. Z. über 7 000 Mitarbeiter verfügt. Schließlich haben wir mit unsern Vorschlägen auch Beiträge zu Kosteneinsparungen erreichen können. Insbesondere hatte die Regie- rung sich zunächst angemaßt, über Fragen der Wirksamkeit eines Arzneimittels und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis eine sehr eigene und enge Auslegung des- sen vorzunehmen, […]38 ebenfalls beeinflussen können. Auch hier haben wir der Wis- senschaftspluralität und der Pluralität der verschiedenen Meinungen Bahn brechen können, so daß jetzt auch hier eine liberalere Gestaltung des Gesetzes erreicht werden konnte. Vier Problembereiche sind offengeblieben, zu denen wir auch vorschlagen, Änderungs- anträge vorzunehmen. Wir sind der Auffassung, daß trotz zahlreicher Erleichterungen für die Naturheilmittel es der Hersteller eines Naturheilmittels selbst entscheiden soll, ob er sein Arzneimittel zulassen oder registrieren läßt. Ich muß hier noch einmal darauf hinweisen, daß bisher lediglich ein Arzneimittel, was neu auf den Markt kam, registriert wurde. Es wurde lediglich formell eine Formprüfung vorgenommen, aber keine materi- elle Prüfung. In Zukunft soll ein Arzneimittel nun auch materiell untersucht werden, d. h. auf Unbedenklichkeit, Schädlichkeit und Wirksamkeit und Qualität, und ein Zu- lassungsverfahren ist dem angeschlossen. Für die Naturheilmittel ist eine Sonderrege- lung vorgesehen, weil zahlreiche Naturheilmittel das Zulassungsverfahren mit seinen Kriterien sonst nicht in vollem Umfang bestehen können. Es gibt aber zahlreiche Na- turheilmittel, die jetzt oder in absehbarer Zukunft auch solche Beweise antreten kön- nen, so daß wir der Meinung sind, daß wir hier dem Hersteller eines solchen Mittels die Auswahl lassen sollten, ob er einmal ein Zulassungsverfahren oder ein Registrierungs- verfahren wählen will. Das bedeutet aber bei der Natur der homöopathischen Arznei- mittel, daß sie, wenn sie sich für die Zulassung entscheiden, auch die Anwendungsge- biete nennen müssen. Das steht aber im Gegensatz zu der Philosophie der homöopathi- schen Arzneimittel – wenn ich das einmal so verkürzt darstellen möchte. Das ist also der eine Antrag, den der Kollege Hammans vortragen wird und damit gleich die Position der CDU/CSU schlechthin oder insgesamt für die Naturheilmittel darstellt. Ich darf vielleicht den Verlauf der Debatte dabei miterwähnen.

37 U. S. Food and Drug Administration. 38 Vermutlich Auslassung in der Vorlage.

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Der zweite Punkt, an dem wir uns nicht einigen konnten, ist der sog. § 34 Abs. 4. Im § 34 sind die Ausnahmen vorgesehen, bei denen die Regierung ermächtigt ist, Ausnah- men von dem generellen Zulassungsverfahren vorzusehen. Hier sind wir der Meinung, daß diese Ausnahmebestimmungen viel zu extensiv sind, daß die Regierung sich hier viel zu viele Rechte einräumen läßt, daß wir aus zwingenden gesundheitspolitischen, aber auch wirtschaftspolitischen Überlegungen diese Ermächtigung nicht mittragen können, sondern nur eine Einengung dieser Ermächtigung auf die nicht verschrei- bungspflichtigen Arzneimittel beschränken wollen. Hierzu wird es einen Antrag geben. Ich möchte noch hinzufügen, daß eine Abwendung gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf schon durchgesetzt werden konnte, die uns aber nicht ausgedehnt genug erscheint. Der dritte Problembereich, und der ist auch noch in der Fraktion umstritten, ist der Entschädigungsfonds. Die Regierung hatte ursprünglich vorgesehen, daß auch für den Fall, daß ein Arzneimittel ohne Verschulden des Herstellers Schädigungen bei dem Verbraucher auslöst, ein Ersatzanspruch begründet wird und auch entsprechende Zah- lungen geleistet werden. Hierfür war ein staatlicher Fonds mit einem Umlageverfahren vorgesehen. Die Regierung hat sehr bald erkannt, daß […]39 diese Regelung, daß der Staat dafür zuständig sein soll, auch nur in der Abwicklung dieses Fonds, nicht der richtige Weg ist. Diesen Freiraum haben dann zwei Vorschläge besetzt, einmal ein Vor- schlag der Versicherungswirtschaft, die Frage versicherungsrechtlich zu lösen, und zum andern ein Vorschlag des Pharma-Verbandes, dies in einem Entschädigungsverein auf Gegenseitigkeit durch ein Umlageverfahren zu regeln. Ich habe schon in der 1. Lesung zu erkennen gegeben, daß wir trotz grundsätzlicher Bedenken gegen die [Produzentenhaftung]40 für einen einzigen Sachteilbereich aus sozialen und gesundheitspolitischen Gründen eine solche Entschädigungsregelung durchaus mittragen würden. Der Arbeitskreis IV und auch die bisherigen Gespräche in der Arbeitsgruppe haben eine eindeutige Bevorzugung eines Entschädigungsfonds in Form eines Entschädigungsvereins auf Gegenseitigkeit ergeben, und wir wollen Ihnen vorschlagen, einen modifizierten Vorschlag als Fraktionsantrag morgen oder am Don- nerstag einzureichen. Diesen Antrag soll der Kollege Zeyer begründen, während die Stellungnahme zum § 34,4 Frau Kollegin Neumeister vortragen wird. Ich würde bitten, daß im Hinblick auf die Wichtigkeit der Entscheidung über den Ent- schädigungsfonds hier noch der Kollege Zeyer vorträgt, weil es einmal in erster Linie eine wirtschaftspolitische sowie eine rechts- und ordnungspolitische Frage ist und nicht die Sache oder die Grundentscheidung des Gesundheitspolitikers zunächst. Wir schla- gen Ihnen trotz dieser Bedenken in diesen drei wesentlichen Punkten vor, daß wir die- sem Arzneimittelgesetz zustimmen, denn in erster Linie geht es um die Arzneimittelsi- cherheit, die wir in einem eigenen Gesetzentwurf im Jahre 1973 schon gefordert hatten, und ich hielte es für bedenklich, ein Arzneimittel-Sicherheitsgesetz aus wirtschaftspoli- tischen oder ordnungspolitischen Gründen scheitern zu lassen, weil u. U. dann bei einer Diskussion, spätestens bei einer nächsten Arzneimittelkatastrophe, der CDU/CSU- Fraktion der Vorwurf angelastet würde, durch unser Verhalten in Bundestag und Bun- desrat hätten [wir] u. U. ein Gesetz zu Fall gebracht. Darf ich abschließend, Herr Vorsitzender, darauf hinweisen, daß unsere Überlegungen weitestgehend mit den CDU/CSU-regierten Bundesländern abgestimmt worden sind, daß die Bundesländer unsere Auffassung teilen und praktisch auch unsere Anträge

39 Vom Bearbeiter gestrichen: »sie«. 40 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »Produktenhaftungsproblemes«.

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weitgehend mittragen und ebenfalls auch wahrscheinlich aus den von mir genannten Gründen dem Gesetz letztlich ihre Zustimmung erteilen werden. Carstens (Fehmarn): Danke schön! Danke vielmals, Prinz Botho [zu Sayn- Wittgenstein-Hohenstein]! Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um Ihnen und den andern Kollegen der Arbeitsgruppe sehr herzlich zu danken für die erfolgreiche Durch- setzung des weitaus größten Teils unserer Wünsche und Forderungen. Das war ein sehr harter Kampf. Ich hab’ das aus nächster Nähe verfolgen können, habe auch an mehre- ren Besprechungen selbst teilgenommen. Und, meine Damen und Herren, wahlpoli- tisch hat das eine sehr erhebliche Bedeutung. Hier sind wir, wie ich glauben möchte, zum ersten Mal die Vorkämpfer solcher Gruppen wie der Anhänger von Naturheilver- fahren, Homöopathie und Anthroposophie. Ich selbst habe einige gute Freunde, die Anthroposophen sind und die also doch bis vor kurzem die CDU ganz und gar gemie- den haben, weil Brandt41 und solche Menschen ihr Idol erblickten. Die sind gründlich kuriert und haben mir ganz aufrichtig und herzlich gedankt dafür, daß die Fraktion sich in dieser Frage durchgesetzt hat. Also, da ist auch wahlpolitisch allerhand Kapital raus- zuschlagen aus dieser Sache. Jetzt bitte ich um Wortmeldungen – Herr Kollege. Ja, ich habe die Frage, ob das kon- trovers ist, der Antrag, den Sie einbringen sollen, oder ist der einstimmig beschlossen worden? Vielleicht, Herr Kollege Zeyer, tragen Sie es noch mal eben vor, damit wir, damit – nun einstimmig? Na gut, vielleicht kann’s doch noch mal vorgetragen werden. Ja, ich würde doch dankbar sein, denn die Sache ist, glaube ich, von sehr großer Bedeu- tung. Deswegen wäre ich auch dankbar, Herr Kollege Zeyer, wenn Sie zunächst mal darlegen würden, was der Inhalt unseres Antrags Ihrer Meinung nach sein würde. Zeyer: Meine Damen und Herren! Ich muß leider etwas weiter ausholen, um einmal die verschiedenen Modelle deutlich zu machen und die Vor- und Nachteile der einzelnen Modelle aufzuzeigen. Zunächst muß ich vorab bemerken, daß hier – und dies ist das Bedeutendste – für einen Bereich der deutschen Wirtschaft, für einen Sektor der deut- schen Wirtschaft eine verschuldensunabhängige Produzentenhaftung eingeführt wird. Eine solche Haftung kennt unser Recht bisher nicht. Die Einführung geschieht zu einer Zeit, in der sowohl im Europarat als auch in der Europäischen Kommission an Richtli- nien gearbeitet wird, um später eine allgemeine Produzentenhaftung, und zwar ohne Verschulden, in den Ländern der Gemeinschaft einzuführen. Carstens (Fehmarn): Nur für diesen Bereich oder allgemein? Zeyer: Schlechthin, für alle Bereiche der Wirtschaft. Das hat natürlich erhebliche Kon- sequenzen bei all diesen Überlegungen, die wir anstellen müssen. Denn wir wissen, daß wir gehalten sein werden, in absehbarer Zeit eine vorgezogene Regelung anzupassen an die Richtlinie der Europäischen Kommission, die ja verbindlich sein wird, und wir müssen alles vermeiden, was eine allzugroße Präjudizwirkung haben könnte, einmal im Hinblick auf die Modalitäten einer verschuldensunabhängigen Produzentenhaftung als auch hinsichtlich der Höhe des Haftungsrahmens oder des wirklichen Haftungspoten- tials. Ich sage dies nicht ohne Grund, denn der Bundeswirtschaftsminister hat in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses selbst erklärt, daß der im Entwurf vorgesehene Haftungsrahmen von 200 Mio. D-Mark seinem Hause zu hoch erschienen sei, weil damit eine gefährliche Präjudizwirkung für die spätere einheitliche Regelung der Euro- päischen Gemeinschaft eintreten könnte. Von daher ist auch, das darf ich vorab sagen, und dies wird vorbehaltlos eingeräumt, das besondere Interesse der Versicherungswirtschaft an der sog. versicherungsrechtli-

41 , MdB (SPD) und SPD-Bundesvorsitzender.

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chen Lösung. Ich glaube, daß man nach der Diskussion in unserm Kreis davon ausge- hen muß, daß das Ob einer verschuldensunabhängigen Produzentenhaftung im Phar- ma-Bereich entschieden ist und es eigentlich nur noch darum gehen kann und gehen wird, wie diese Haftung gestaltet werden soll. Es stehen – Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein] hat darauf hingewiesen – im Augenblick zwei Lösungsvorschläge zur Diskussion, nachdem man in den Schluß- beratungen in den Ausschüssen bereits von dem Vorschlag des Regierungsentwurfs, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts einzurichten, abgerückt ist. Beide Vorschlä- ge, die jetzt zur Diskussion stehen, sind privatwirtschaftliche Lösungsvorschläge. Wir haben uns heute morgen im Arbeitskreis einmütig ausgesprochen für die sog. Pharma- Lösung. Die Pharma-Lösung sieht vor die Errichtung eines Arzneimittel- Entschädigungsvereins auf der Basis eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit – wenn Sie so wollen eine Selbsthilfeeinrichtung der pharmazeutischen Unternehmer. Ich halte auch im Hinblick darauf, die Präjudizwirkung wirklich gering zu halten, diese Lösung für die empfehlenswertere. Nun, nach der Pharma-Lösung soll der Arzneimittel-Entschädigungsverein die bei Entschädigungsleistungen anfallenden Mittel aufbringen durch eine Umlage. Das ist schon der entscheidende Unterschied zu der Versicherungs-Lösung, wo die Mittel aufgebracht werden müssen für jährlich zu entrichtende Prämien. Das bedeutet auch, daß die Pharma-Lösung kostengünstiger ist, denn sie arbeitet nach dem Deckungsprin- zip. Es werden Umlagen nur dann erhoben, wenn sie notwendig sind, um Schäden zu regulieren. Ansonsten bleibt das Geld, bleiben die Mittel in den Unternehmen und es werden auch nur Mittel in der Höhe durch die Umlage aufgebracht, die benötigt wer- den zur Regulierung der anfallenden Schäden. Ich muß dazu sagen, daß bei beiden Lösungsvorschlägen eine Limitierung der Haftung vorgesehen ist, einmal in der Weise, daß das gesamte Haftungspotential 200 Mio. D- Mark im Schadensfall ausmachen wird und zum andern dadurch limitiert ist, daß Ren- tenleistungen im Jahr nicht mehr als 12 Mio. D-Mark betragen werden. Wenn die pharmazeutische Industrie eine Umlage von 0,5 % des inländischen Pharma-Umsatzes – und dies ist der Höchstbetrag – erhebt, bedeutet dies, ausgehend von dem Pharma- Umsatz auf der Herstellerebene im vergangenen Jahr, daß ein Betrag von 40 Mio. D- Mark zusammenkommt. Ich sage dies, um deutlich zu machen, daß dieser Betrag auch ausreicht, um bei Großschäden die notwendigen Mittel zur Verfügung zu haben, die zur Schadensregulierung benötigt werden. Erfahrungsgemäß – und dies hat vor allem der schlimme Contergan-Fall gezeigt – er- streckt sich die Schadensregulierung auf mehrere Jahre. Es kommt hinzu, daß der Con- tergan-Fall auch gezeigt hat, daß die große Mehrzahl der Anspruchsberechtigten die Rente gewählt hat und keine Kapitalisierung der Rentenansprüche gewünscht hat. Nur 8 % der Eltern der geschädigten Kinder haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Rente kapitalisieren zu lassen. Im Augenblick betragen die Rentenleistungen auf- grund des Contergan-Falls in der Bundesrepublik jährlich rund 12 Mio. D-Mark. Die Limitierung der Rentenleistung auf 12 Mio., die schon im Regierungsentwurf vorgese- hen war, ist wohl angelehnt an diese Beträge. Nun sieht die Versicherungs-Lösung vor einmal eine Basisdeckung, die jeder einzelne pharmazeutische Unternehmer abschließen muß, und zwar bis zu einer Höhe von 10 Mio. D-Mark mit einer Haftung für verschuldete und unverschuldete Arzneimittel- schäden. Wir hoffen, daß etwa 90 % der pharmazeutischen Unternehmer derzeit eine Basisdeckung haben, die unter 10 Mio. D-Mark liegt. Der Bundesfachverband der Heilmittelindustrie hat uns mitgeteilt, daß 60 % seiner Unternehmen nur einen Jahres-

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umsatz bis 2 Mio. D-Mark haben, und diese Regelung, die jetzt vorgesehen ist, vor allem in Form von Anschlußversicherung in einer Größenordnung von weiteren 190 Mio. DM, um den Haftungsrahmen von 200 Mio. auszufüllen, ist ein Haftungsgewand – ich will’s mal so ausdrücken –, das für die Klein- und mittelständischen Betriebe viel zu groß geschneidert ist. Ich muß sagen, dies haben Vertreter der Versicherungswirt- schaft, mit denen wir gestern abend noch ein mehrstündiges Gespräch geführt haben, ebenfalls uneingeschränkt eingeräumt. Und wie soll diese Versicherungs-Lösung finanziert werden? Es wird zunächst jeder einzelne pharmazeutische Unternehmer zahlen müssen die Basisdeckung für 10 Millio- nen. Wir haben uns Wochen und Monate bemüht, von der Versicherungswirtschaft hier eine verläßliche Zahlenangabe zu erhalten. Dies war nicht möglich. Uns ist heute aufgrund des Gesprächs von gestern abend noch ein kurzes Papier nachgereicht wor- den, das sehr unvollständig und lückenhaft ist, aus dem aber hervorgeht, daß für die Basisdeckung bis zu 10 Millionen etwa bezahlt werden müssen, im Schnitt 1,28 Promil- le. Die Versicherungswirtschaft berechnet dann – für die bestehenden Versicherungen, die z. Z. bestehen, werden im Schnitt 1,88 Promille bezahlt. Für Aufstockung, und über 90 % der Unternehmer müssen aufstocken auf 10 Millionen, werden berechnet von der Versicherungswirtschaft noch einmal 0,1 % des inländischen Pharma-Umsatzes und zur Abdeckung der Anschlußversicherung von 190 Millionen weitere 0,4 %, so daß nach den Angaben der Versicherungswirtschaft jedenfalls gerechnet werden muß mit einer Belastung gerechnet auf den inländischen Pharma-Umsatz von 5,5 bis 6 %. Nicht einge- rechnet die Mehrbelastung, die dann eintritt, wenn die sog. Subsidiaritätsklausel ent- fällt, und der federführende Ausschuß hat sich für den Wegfall der Subsidiaritätsklausel entschieden. Ich werde darauf eingehen. Wir haben das schnell einmal durchgerechnet. Das bedeutet, daß durch die Versiche- rungsprämien die Hersteller belastet werden im Jahr zusätzlich mit etwa 44 bis 50 Mil- lionen DM. Nun muß ich dazu bemerken, daß der Herstellerabgabepreis nur 47 % des Abgabepreises in den Apotheken ausmacht, weil darauf die Großhandelsspanne kommt, die Apothekenspanne, die Mehrwertsteuer. Das bedeutet im Prinzip, daß die Belastung beim Endverbraucher in doppelter Höhe ankommt, so daß eine Verteuerung der Arzneimittelpreise insgesamt um gut 100 Millionen erwartet werden muß. Ich darf noch einmal hinzufügen: dies nach Angaben der Versicherer selbst. Uns liegen Zahlen vor der pharmazeutischen Industrie, die gehen in andere Größenordnungen noch und vor allem auch Zahlen des Bundesverbandes der Heilmittelindustrie. Die deutschen Versicherer müssen für diese Versicherungsleistungen eine Rückversi- cherung abschließen, und zwar in einer Größenordnung von 130 Millionen, wahr- scheinlich sogar 150 Millionen. Auch dies ist gestern abend bestätigt worden, über einen ausländischen Versicherungspool. Nach unsern Informationen liegt den deut- schen Versicherern überhaupt nur ein derartiges Angebot vor, das aus London kom- men soll. Ich habe die Versicherer gefragt, ob dies richtig sei. Man hat darauf keine Antwort gegeben. Man hat aber ausdrücklich erklärt, daß man in einer Größenordnung von 130 bis 150 Millionen im Ausland werde rückversichern müssen. Und hier, glaube ich, liegen die größten Bedenken, denn die ausländischen Versicherer unterliegen nicht der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes fürs Versicherungswesen und kartellrechtlich haben die Versicherungsgesellschaften eh eine Sonderstellung, weil die § 1 und 15 unseres Kartellgesetzes auf sie keine Anwendung finden. Aber sicherlich kann das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen im Inland auf die Prämienge- staltung einwirken, aber nicht bei einem ausländischen Rückversicherungspool. Die Versicherer erklären auch, daß sie nicht in der Lage sind, eine Prämiengarantie zu bie-

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ten, beispielsweise, daß eine bestimmte Prämienhöhe für einen bestimmten Zeitraum eingehalten wird. Wir haben gestern insistiert und die haben dann gesagt, als äußerstes [geben sie] vielleicht eine solche Zusage für 2 Jahre. Das bedeutet natürlich nicht viel. Es ist zu besorgen, daß diese Prämien dann eine steigende Tendenz haben würden. Ich muß dazu sagen, daß die Versicherungs-Lösung abdeckt Schäden, die von einem pharmazeutischen Unternehmen verursacht werden entweder durch Verschulden oder ohne Verschulden. Die Versicherung wird dann nicht mehr prüfen, sondern würde zahlen. Allerdings, nun kommt das Entscheidende, die Versicherungs-Lösung ist viel weniger verbraucherfreundlich als die sog. Pharma-Lösung. Ich darf es an folgendem Beispiel verdeutlichen. Es kommt häufig vor, daß ein Patient während einer Behand- lung mehrere Medikamente verschiedener Hersteller einnimmt – lassen Sie mich ein Beispiel bilden. Er nimmt ein Medikament des Herstellers a, des Herstellers b und des Herstellers c ein und es tritt ein Arzneimittelschaden ein, er kann aber die Kausalität weder gegen den Hersteller a noch gegen den Hersteller b nachweisen. Er kann dann keinen Ersatz verlangen. Und, Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, hier ist in den Ausschüssen deutlich geworden, selbst im Rechtsausschuß – und ich bitte die Kol- legen aus dem Rechtsausschuß, die anwesend sind, sich vielleicht dazu zu äußern –, [es ist] eine völlig falsche Darstellung gegeben worden. Sie findet sich auch wieder in dem Ausschußbericht. Es heißt nämlich, daß in einem solchen Falle dann die verschiedenen Hersteller als Gesamtschuldner zu haften hätten. Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Zeyer, ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar für diese wichtige, detaillierte Information, die Sie uns geben. Nach meiner Beobachtung zeich- net sich hier eine Einigung in der Fraktion ab, so daß Sie vielleicht Ihren Vortrag etwas abkürzen können. Zeyer: Vielleicht darf ich das gerade noch ausführen, denn das ist mit ein Argument, weshalb wir uns für dieses Modell entschieden haben? Carstens (Fehmarn): Für welches Modell? Zeyer: Für das Pharma-Modell. Das Pharma-Modell ist wesentlich verbraucherfreund- licher als das Versicherungs-Modell. Bei dem von mir gewählten Beispiel muß nämlich der Geschädigte im Einzelfall nachweisen, welches Medikament ursächlich für den Schaden war. Kann er diesen Nachweis nicht führen, erhält er auch keinen Ersatz. Das haben die Versicherer übrigens auch gestern abend eingeräumt. Bei dem Pharma- Modell ist es anders. Dort ist lediglich nachzuweisen, daß ein Arzneimittelschaden eingetreten ist. Wenn der Geschädigte nicht dartun kann, [auf] welches Medikament der Schaden zurückzuführen ist, muß der Arzneimittelentschädigungsverein leisten und es ist dann Sache des Vereins, intern festzustellen, welcher Hersteller den Schaden verursacht hat, um Regreß nehmen zu können. Bei verschuldeter Haftung kann der Verein in voller Höhe Regreß nehmen, bei unverschuldeten Schäden nur bis zu einem Betrag von 5 Mio. DM. So ist es im Augenblick vorgesehen. Nachdem Sie mir freundlicherweise gesagt haben, daß sich eine Einigung abzeichnet, will ich zum Schluß kommen. Ich darf Sie nur bitten, eine Korrektur vorzunehmen, und zwar an den Änderungsanträgen, wie sie vorliegen vom Haftungsrecht auf Seite 3 im § 80 Abs. 4, letzte Zeile. Es soll dort heißen, »nicht innerhalb einer angemessenen Frist Ersatz leistet«. Dies ist nicht nur eine redaktionelle Änderung, sondern dies ist rechtlich insofern von Bedeutung, als hier deutlich gemacht wird, daß bei Dauerschuld- verhältnissen, und Rentenansprüche sind ja solche, eine Insolvenzsicherung eintritt. Wenn nämlich der Pharma-Unternehmer in Konkurs geht, dann muß dieser Verein die Rentenbeträge fortzahlen.

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Das ist das eine. Das zweite, wir machen damit auch noch deutlich, daß die Stellung des Geschädigten gestärkt ist, denn wenn nicht innerhalb angemessener Frist geleistet wird, dann kann er sich sofort an den Verein wenden und die Ansprüche gegen den Verein geltend machen. Ich bedanke mich. Ich stehe gerne zu Detailauskünften noch zur Verfügung. Carstens (Fehmarn): Ich danke Ihnen vielmals, Herr Kollege Zeyer! Ich muß sagen, ich finde das Plädoyer des Kollegen Zeyer für die von ihm als Pharma-Lösung bezeichnete Lösung sehr eindrucksvoll und sehr überzeugend und Kollege Stücklen hat mir eben gesagt, daß auch er und Mitglieder der CSU-Landesgruppe sich dieser Lösung an- schließen wollen, so daß ich annehmen möchte, daß wir eine breite Basis für diese Ent- scheidung treffen werden. Ich würde dankbar sein, wenn sich vielleicht jetzt nur noch diejenigen zu Worte melden wollen, die gegen die Lösung plädieren wollen, die Kollege Zeyer vorgetragen hat. Frau Kollegin Wex – Wex: Herr Vorsitzender, Sie haben ja schon, glaub’ ich, in aller Namen dafür gedankt, was hier erreicht worden ist, auch in Bezug auf das, was wir für die Freiheit des einzel- nen in der gesamten Politik vertreten. Das war am Anfang gar nicht zu erwarten und das geht ja nun schon jahrelang. Die Tatsache, daß hier jetzt eine so große Aufmerk- samkeit erreicht worden ist, ist sicher auch ein Verdienst der Gesundheitspolitiker, die unter dieser ordnungspolitischen Frage auch die Arzneimittelfrage behandelt [haben]42. Aber ich habe folgende Fragen vor der Abstimmung. Erstens, Herr Kollege Zeyer hat die ganze Problematik aufgewiesen. Ich glaube, daß das hier eine so neue Form auch rechtlicher Fragen ist, die es ja bisher überhaupt in dieser Ausführlichkeit und in dieser Konsequenz noch nirgends in einem Gesetzgebungsverfahren gegeben hat. Deswegen frage ich, habe ich 3 Fragen. Die Regierung will sicher versuchen, sich diese Sache an den Hut zu stecken. Wir haben noch nicht genug Propaganda gemacht für das, was wir erreicht haben. Aber wenn wir zustimmen, und deswegen hab’ ich 3 Fragen, ist ja nicht zu verkennen, daß auch in der ganzen Diskussion immer versucht worden ist, vorder- gründig zuzustimmen unsern Argumenten, auf irgendeinem Hinterwege aber doch die alte Konzeption noch durchzukriegen. Deswegen frage ich 1., ist die Pharma-Lösung auch für die nicht groß finanziell ausgestatteten pharmazeutischen, homöopathischen und Naturheilunternehmen akzeptabel? Sie haben es wohl gestreift, aber dieses nicht gesagt. Denn sonst würde ja genau die Übermacht der großen Unternehmen gerade die kleineren Unternehmen wieder schädigen. Die 2. Frage ist die an Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein]. Sie haben ge- sagt, der Hersteller soll wählen können, ob er prüfen lassen will oder nicht. Ich habe die Frage – registrieren oder zulassen. Aber wir haben ja die Entwicklung, Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein], daß auch ein Teil der homöopathischen Unternehmen und der Naturheilunternehmen unter dem Druck der jetzigen Lage und Argumentation einen Teil ihrer Herstellungsarten mit den Potenzen verändert hat, um einem eventuel- len Zulassungsverfahren zu entsprechen. Ich möchte wissen, ob hier auf dem Hinter- weg der Wahlmöglichkeit nicht eine andere Form von Druck und Manipulation gerade für diese Kleinunternehmen gegeben ist oder die Gefahr vorhanden ist? Dann das 3. Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein], Sie haben den Katalog angesprochen, den die Regierung jetzt ausweiten will wegen dieser einzelnen hergestell- ten Produkte. Ist das auch eine – ist das ausgestanden, daß durch diesen Katalog even- tuell die Formregistrierung und damit die Nachweisform, die die Regierung einmal angestrebt hat, nicht hier auf dem Hinterweg wieder eingeführt wird?

42 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »worden ist«.

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Diese 3 Fragen hätte ich, damit wir unsere Zustimmung nicht noch hier, so positiv sie sein könnte, in den Einzelheiten gerade ins Gegenteil verkehren – Carstens (Fehmarn): Frau Kollegin Schleicher – Schleicher: Wir sind in einer etwas schwierigen Lage, weil ich einfach keine Fachperson in rechts- und wirtschaftspolitischen Fragen bin, trotzdem aber sehe, daß hier natürlich mit der Pharma-Lösung wir in eine Richtung gehen, die natürlich nicht unsern ord- nungspolitischen Vorstellungen entspricht und wir uns das sehr wohl überlegen sollen. Ich sehe auch die Möglichkeit, daß, wenn wir hier einen Vorschlag einbringen von der Fraktion, hier der Regierung etwas entgegengesetzt wird, aber ich meine, ich würde deshalb gerne noch mal die wirtschaftspolitischen und die rechtspolitischen Fachleute fragen, ob sie das wirklich sehr genau überlegt hätten. Denn es wird uns dann nachher auch vorgehalten werden, wir weichen hier in einem Maß ab, wie uns vorgehalten wor- den ist vorher, als die Bundesregierung abgewichen ist in ihrem Vorschlag, was die staatspolitische Lösung gewesen sein sollte. Und in diesem Punkt kommen wir auf die gleiche Kollektiv-Vorstellung, die die Bundesregierung vorgebracht hatte. Es gab dann innerhalb der Fraktionen von SPD und FDP auch unterschiedliche Vor- stellungen zwischen Wirtschaftsminister und dem Justizminister. Jetzt im Moment wird die versicherungsrechtliche Lösung vorgebracht. Es gibt aber dort auch noch unterschiedliche Vorstellungen. Ich sehe nicht ganz, wo wir als Opposition uns Ver- dienste holen, wenn wir jetzt die Pharma-Lösung bringen. Wir isolieren uns natürlich in dem Moment auch von der versicherungsrechtlichen Lösung. Ich wollte dies nur als Bedenken einbringen, ich kann aber aus sachpolitischen Gründen es nicht anders vor- bringen, als daß ich auch ordnungspolitische Vorstellungen hier durchbrochen sehe. Carstens (Fehmarn): Vielen Dank, Frau Kollegin Schleicher! Die Kollegen, die sich mit den juristischen und den ordnungspolitischen Fragen befassen, haben sich alle zu Wort gemeldet, die werden gleich sprechen. Ich möchte nur sagen, daß nach meinem Ein- druck der Kollege Zeyer sehr überzeugend dargelegt hat, daß die Pharma-Lösung die bei weitem billigere Lösung ist, und daß wir nun der pharmazeutischen Industrie eine Lösung aufzwingen sollen, die sie um ein Vielfaches höher belastet, das, muß ich Ihnen offen sagen, ist etwas, was ich nur sehr schwer übers Herz bringen kann – um so mehr, als die Hintergründe auf der Seite der Versicherungen, die ausländische Deckung und alles, was da vorgeführt wurde, auch noch weitgehend ungeklärt zu sein scheinen. Herr Kollege Erhard – Erhard (Bad Schwalbach): Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Wir haben uns jetzt nur zu beschäftigen, aus meiner Sicht wenigstens, mit der Frage, wie wird das Risiko, das über das Verschulden und die Verschuldenshaftung hinausgeht, nämlich die Produkthaftung, wirtschaftlich abgedeckt. Das ist das Problem. Die Regierung hat die Fonds-Lösung vorgeschlagen. Wir haben uns in den Beratungen mit allem Nachdruck – ich möchte sagen, wir wären alleine gar nicht stark genug gewesen, wenn wir nicht einen stillen Partner gehabt hätten. Ich brauche den nicht namentlich zu nennen, aber jeder, der hier das Haus kennt, wird’s ja sehr schnell wissen. Die Regierung konnte also ihre Konzeption in der eigenen Konzeption nicht durchset- zen, und wir haben uns überlegt: Was ist ordnungspolitisch bei einem völligen Neuland im Haftungsbereich, also im Produkthaftungsbereich jetzt möglich, wenn wir nicht auf der europäischen Ebene schon eine Lösung in Aussicht haben? Wir haben uns gegen jede Fonds-Lösung ausgesprochen aus rechtspolitischen Gründen. Die rechtspoliti- schen [Gründe] sind die, die zunächst außerordentlich eingehend erscheinen, die der Kollege Zeyer vorgetragen hat, nämlich eine sog. Pharma-Lösung zu bringen, die aber dasjenige, was erreicht werden soll, nämlich die Sicherung des Geschädigten im Scha-

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densfall, mit Fragezeichen versieht. Alles beides kostet Geld. Die Anwartskosten, das heißt die Aufbringung des Haftungskapitals, ist zunächst das Problem. Das kostet zu- nächst Geld. Wenn keine Haftungsfälle eintreten, ist sowohl die eine wie die andere Lösung sehr schnell gleich teuer. Dann kostet’s eben nur die Verwaltungskosten. Im einen Fall vielleicht bei den Versicherungsunternehmen, im andern bei den Pharmaun- ternehmen. Aber es ist keine Versicherung auf Gegenseitigkeit, sondern es ist eine Solidarhaftung der Hersteller, eben gerade keine auf Gegenseitigkeit, wo nämlich die Geschädigten eventuell Beiträge bezahlen müssen. Hier wird nur dadurch wirtschaftlich die Versiche- rung auf Gegenseitigkeit in jedem Falle erreicht, daß nämlich über den Preis im Pro- dukt eine bestimmte größere Haftung abgegolten werden muß. So rum wie auch so rum – wo die höheren Preise liegen werden, wird von den unterschiedlichen Interessen unterschiedlich stark behauptet. Exaktes läßt sich darüber bis zur Stunde leider nicht feststellen. Bei solcher Lage waren und sind wir im Rechtsbereich der Auffassung ge- wesen, nicht hier einen Weg zu gehen, der dem Geschädigten auf dem Papier, aber möglicherweise in der Wirklichkeit keinen Ersatz bietet, weil nämlich erst durch Umla- gen die entsprechenden Mittel aufgebracht werden müssen, während bei der Versiche- rung sofort jemand da ist, der zahlen muß und auch zahlen kann. Ich habe noch heute ein Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesaufsichtsamtes ge- führt. Ohne Details aus diesem Gespräch mitteilen zu brauchen und zu müssen, vermag ich aber immerhin soviel zu sagen, daß er der Auffassung ist, eine solche Konstruktion könne versicherungsaufsichtsrechtlich – Pharma-Lösung – nicht genehmigt werden, weil es am Präsenzhaftungskapital fehle. (Zwischenruf Prinz Bothos [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein].) Verehrter Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein], ich kann ja bloß nur sagen, was er mir heute mittag gesagt hat. Ja, ja, ja, ja, ja, man versucht natürlich in den Äm- tern, möglichst dem Gesetzgeber, den man so oder so einschätzt, Rechnung zu tragen. Ich kann Ihnen nur sagen, so sieht’s konkret aus und so sieht’s auch an den Versiche- rungsaufsichtsbestimmungen, wie sie bis jetzt bestehen, zwingend aus. Ich meine, wir sollten hier nicht vorprellen, ohne deswegen unter uns Streit zu kriegen. Wir sollten versuchen, eine Lösung jetzt – sagen wir – passieren zu lassen, mit der jedenfalls für die Gesamtproblematik des [Produzentenhaftungsproblems]43 keine Präjudizien geschaf- fen werden, denn wir werden sonst in allen Erzeugungsbereichen jeweils solche Arten von genossenschaftlichen Zusammenschließungen haben, die im Schadensfall, wenn er nur hinreichend breit entsteht, nicht zahlen können, und dann kommt der Ruf nach dem Staat. Und was ist dann die notwendige Folge? In dem Moment, wo diese Situation eintreten sollte, die ja gerade bei der Pharmazie viel eher breit gestreift entsteht wie bei fast allen andern Produkten, wird dann der Ruf nach dem staatlichen Fonds entstehen, wo der Staat mit einzahlen muß. Und das ist etwas, was wir rechtspolitisch und auch gesellschaftspolitisch überhaupt nicht in die Möglich- keit rücken sollten, verwirklicht zu werden. Wir meinen also, wir wären besser beraten, wenn wir bei der Versicherungs-Lösung blieben, die wir mit großer Mühe in den Ausschußberatungen erreicht haben. Carstens (Fehmarn): Ja, vielen Dank, Herr Kollege Erhard! Herr Kollege Narjes – Narjes: Herr Vorsitzender, im Gegensatz zu der gesundheitspolitischen Seite des Ge- setzentwurfes, die sehr gründlich beraten worden ist und bei der auch viele Erfolge

43 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »Produktenhaftung«.

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erzielt worden sind, ist die ordnungs-, ökonomische und rechtspolitische Beratung immer notleidend gewesen, unter Zeitdruck durchgeführt und im Grunde nicht abge- schlossen. Wir stehen angesichts der Tragweite für weitere Fälle von Produkthaftung – und ich darf darauf hinweisen, daß dieser Regelung hier […]44 bald eine Produkthaf- tung für den gesamten Bereich der Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion, Kin- derspielzeug u. ä. folgen wird –, stehen wir hier vor Grundsatzfragen, die weit über Arzneimittel hinausgehen, und wir müssen uns sehr genau überlegen, in welchen, mit welchen Rechtskategorien und mit welchen anderen ordnungspolitischen Kategorien wir an dies Problem herangehen. Zwote Vorbemerkung: Herr Vorsitzender, ich habe alles gebilligt, was Kollege Zeyer vorgetragen hat. Er sprach genau [von] dem Stand der Beratungen, so wie uns Fride- richs, persönlich unentschlossen, die eine und die andere Seite dieser Medaille darge- stellt hat und dann nach Plausibilität gemeint hat: Na ja, vielleicht ist die Pharma- Lösung billiger. Nur können wir es damit nicht bewenden lassen. Zunächst, keine der Zahlen stimmt in dem Sinne, daß sie verbindlich ist. Auch eine Umlage-Lösung kann über 5 und müßte fast über 0,5 % hinausgehen, wenn mehr umlagepflichtige Tatbestän- de da sind. Sonst wäre sie ja witzlos. Ihre Begrenzung nach oben würde den Zweck verfehlen, wenn sie als absolute Grenze aufgefaßt würde. Zwei Contergan-Fälle in einem Jahr wollen wir uns nicht wünschen, aber würden alle diese Tatbestände auslösen und wir kämen in eine schwierige Lage. Zweitens, die Pharma-Lösung kennt keine befriedigende Regelung für den Außensei- ter, für den, der dem Verbande der darin Organisierten nicht beigetreten ist oder aus irgendeinem anderen Grunde nicht beitreten kann. Auch das ist nicht befriedigend geregelt. Der Außenseiter ist nicht einmal hinreichend klar in Position. Auf der andern Seite ist völlig recht, im Augenblick hat die Versicherungsgesellschaft Zahlen angeboten, die untragbar sind. Die sind zu teuer. Aber ich muß noch hinzufü- gen, die Tatsache der Interclearing-Versicherung ist überhaupt kein Argument. Es gibt keinen größeren Versicherungsschadenstatbestand, der nicht weltweit abgesichert ist, und diese weltweiten Rückversicherungsverträge sind ihrer Art nach nicht so, daß die irgendeine Prämiengestaltung in irgendeiner Form beeinflussen oder beeinträchtigen können. Da können die Verträge so gemacht werden – das sind ja meistens Pools mit 10, 12 Nationen drin –, daß solche Rückwirkungen nicht eintreten. Dieses Argument würde ich nicht nach vorne spielen. Aber, was ich meine, wir sollten – und das knüpft sich etwas an das an, was der Kollege Erhard gesagt hat –, wir sollten im Augenblick nichts präjudizieren und könnten das z. B. in der Form verhindern, daß wir generell sagen, die und die Haftungsmassen müß- ten unter den und den Bedingungen bereitgestellt werden und den Wettbewerb spielen lassen, ein Wahlrecht eröffnen. Entweder machen die Industrien eine Solidarhaftung oder sie gehen zur Versicherungswirtschaft. Dann ist, wenn die Kriterien erfüllt sind, es dem Markt überlassen, das eine oder das andere zu wählen. Nun bin ich mir drüber klar, daß wir relativ spät in die Beratung hineingekommen sind und nicht mehr viel unbedingt ändern können. Wir können aber, da der Bundesrat die Dinge noch in keiner Weise ausdiskutiert hat – das sind zunächst die Länderreferenten unter Vorbehalt ihrer Ministerzustimmung –, wir können aber in unserer Darstellung unserer Haltung klar zu erkennen geben, daß wir diese Lösung, Pharma-Lösung, wie immer wir sie nennen, unter den gegebenen provisorischen Bedingungen als die wohl billigste [ansehen], aber über andere Regelungen zu reden bereit gewesen wären, wenn

44 Vom Bearbeiter gestrichen: »sich«.

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sie ihrerseits ihren Zweck erfüllt hätten, so daß von dieser relativ neutralen Position aus, wenn man etwas Besseres findet in der Bundesratsberatung, man einsteigen kann und dann dort eine optimalere Lösung findet. Denn, Herr Vorsitzender – das soll der Schluß zu diesem Teil sein – ich bitte sehr ernst zu nehmen, was der Kollege Erhard zum Schluß ausgeführt hat. Kommen wir in die Situation einer staatlichen Ersatzhaf- tung bei Produkten und nehmen wir mal Landwirtschaft oder ähnliches, dann ist der Schritt von der staatlichen Mitbestimmung bei der Erzeugung, d. h. bei der Investitions- lenkung für das, was erzeugt wird, so klein, daß er nicht mehr verhindert werden kann, und das ist ordnungspolitisch hiermit der Ansatz gegen jede Form, die notfalls in Rich- tung Staatshaftung drängt, weil die Solidargemeinschaften entweder versicherungstech- nisch oder von der Aufbringungsseite her nicht funktionieren. Deshalb zu diesem Thema größte Vorsicht! Das geht weit über Arznei hinaus – völliges Neuland – und wir sollten uns da nichts verbauen. Eine letzte Bemerkung und auch zur Ordnungspolitik, die nichts mit den Preisen zu tun hat, die ich aber auch deutlicher machen möchte. Die Art und Weise, wie im § 34, also in einem anderen, hier den forschenden Unternehmen die Renta[bi]lität der For- schung beeinträchtigt wird, hat langfristig wahrscheinlich einen erheblich negativen Einfluß auf die Qualität und den Umfang der deutschen Pharmaforschung und damit auf den Umfang neu angebotener Mittel auf den Märkten. Hier liegen Bremsen drin, die insbesondere den kleinen Unternehmen aufgrund einer verringerten Differential- rentenerwartung es unmöglich machen, in aufwendige Forschungsprojekte einzustei- gen, mit der Konsequenz, daß das Gesamtangebot an neuen Arzneimitteln zurückge- hen könnte. Und das ist ein ernsthafter Einwand, der auch so dargestellt werden sollte in der Debatte, damit wir schon aufgrund unserer Darstellung die Gewißheit vermit- teln, da sind wir in guten Händen, und jederzeit den Einstieg haben, hier etwas zu än- dern, wenn sich diese Befürchtung bewahrheiten sollte. Carstens (Fehmarn): Vielen Dank, Herr Kollege Narjes! Herr Kollege Zeitel – Zeitel: Nach den Einlassungen von Herrn Erhard und Herrn Narjes kann ich mich relativ kurz fassen. Ich persönlich werde dem Gesetz nicht zustimmen, sondern mich enthalten. Es häufen sich in einer erschreckenden Weise in Grundsatzfragen, die eine Tragweite haben, die weit über den jeweiligen Gesetzgebungsgang hinausgehen, Ent- scheidungen, [bei denen]45 wir unter einem unzumutbaren Zeitdruck stehen. Ich kann nur bestätigen, daß, was ich gestern abend durch Zufall – weil ich mit dem Gesetz erst seit ein paar Tagen beschäftigt bin – aus einer Besprechung mit der Versicherungswirt- schaft herausgehört habe, daß fast alle Zahlen nicht auf den Tisch gelegt sind, die eine wirklich solide und substantiierte Stellungnahme erlauben – von beiden Seiten. Mich interessiert nicht der gesundheitspolitische Fall, dazu kann ich eh nichts sagen. Ich nehme aber an, daß der außerhalb der Debatte ist. Es geht um die ordnungspolitischen Konsequenzen, die in der Gefährdungshaftung in der Marktregulierung ungewöhnlich weit sind, und hier liegen die Dinge nicht so einfach, glaub’ ich, wie sie dargestellt wer- den. Der einfache Unterschied zwischen einem Versicherungsprinzip und dem Umla- geprinzip besteht immer darin, daß die Umlage erst dann fällig wird, wenn der Schaden da ist, und da wissen wir nicht, ob er ausreicht und mit welchen Konsequenzen. Alle Versicherung beruht darauf, daß im Grunde genommen nach einem Wahrscheinlich- keitskalkül, das in diesem Bereich ungewöhnlich schwer zu greifen ist, weil keine Er- fahrungen vorliegen, Vorsorge getroffen wird für diesen Notfall. Was besser ist oder schlechter ist, läßt sich ohne hinreichend substantiierte Zahlen ohne weiteres überhaupt nicht sagen. Ich muß ehrlich gestehen, ich sehe mich zu einer Schlußfolgerung, welche

45 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »die«.

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Lösung ist die bessere, nicht imstande. Es ist auch nicht so, daß man sagen könnte, die Fonds-Lösung wäre ordnungspolitisch bedenklich, denn das ist ein privatrechtlicher Verein. Dennoch bleibt ein gravierender Unterschied, daß der Zugriff im Ernstfall durch den Staat auf ein solches Fonds-System sehr viel leichter und wahrscheinlicher ist als auf dem Wege der Versicherungs-Lösung, und infolgedessen wird es schwierig, ein Urteil zu finden. Auch bei der Fonds-Lösung hängt es davon ab, wie die internen Rückwirkungen beurteilt werden. Lassen Sie mich den Fall konstruieren. Es ist ein Großunternehmen dabei mit einem riesigen Schaden, der dann mitfinanziert wird durch 70, 80 % der kleinen Betriebe. Wie die Schadenslage bei kleinen und großen Betrieben ist, spielt ja auch eine Rolle. Die Frage, ob nicht die Versicherungswirtschaft, um den eigentlichen Streitpunkt auszu- räumen – der besteht ja immer darin, ich will es mal so nennen, daß die Pharmaindu- strie sagt, im Zweifel zahlen wir dann, wenn ein Notfall da ist und vorher zahlen wir nicht, dann haben wir Reserven, und die Versicherung sagt, wir bilden die Reserven und machen dafür [unsererseits]46 das Geschäft. Das ist der große Unterschied. Das könnte man im Prinzip versuchen, auszuräumen, indem man eine Gewinnbeteili- gung vorsieht. Bei der Unkalkulierbarkeit des Risikos würde sich für die Versiche- rungswirtschaft nach meinem Dafürhalten ohne weiteres anbieten, daß eine übertriebe- ne Reservebildung vermieden wird oder Gewinnerzielung, was die möglicherweise vorhaben, indem eben Formen der Rückerstattung gewährt werden, die das ausräumen. Und wenn die Gewinnerzielung ausgeschlossen wird, dann kämen im Endeffekt beide Lösungen nur darauf hinaus, daß im einen Fall vorgesorgt wird und im anderen Fall die Liquidität dann aufgestellt wird, wenn sie benötigt wird. Dann sind das keine Abgrün- de mehr. Im allgemeinen wird man einem versicherungsrechtlichen Vorsorgeprinzip gewisse Vorteile einräumen – natürlich zugunsten der Versicherungswirtschaft und zu Lasten der pharmazeutischen Industrie, die im umgekehrten Falle natürlich liquidi- tätsmäßig besser dasteht. Ich will damit nur deutlich machen, daß mit den Problemen eine Reihe von weitrei- chenden Konsequenzen verbunden sind, von denen nach den mir bekannten Zahlen nun weiß Gott nicht gesagt werden kann, das ist alles klar und so müssen und können wir uns endgültig entscheiden und das ist auch die billigere Lösung. Auch da, würde ich meinen, müßten wir ein bißchen substantiierter argumentieren, wenn wir Zahlen, die einigermaßen stichhaltig sind, auf dem Tisch haben. Insofern sehe ich mich außerstan- de, bei der Tragweite dieses Gesetzes im Hoppla-Hopp-Verfahren im ordnungspoliti- schen Teil meine Zustimmung zu geben. Carstens (Fehmarn): Ja, vielen Dank, Herr Kollege Zeitel! Das sind alles sehr ernstzu- nehmende Erwägungen – auch, die Kollege Narjes und Herr Kollege Erhard angestellt haben. Ich finde, Herr Kollege Zeyer hat uns ein sehr eindrucksvolles Zahlenbild vor Augen geführt. Natürlich kann ich nicht beurteilen, ob die Zahlen richtig sind oder nicht, aber ich vertraue auf die Urteilsfähigkeit des Herrn Kollegen Zeyer eine ganze Portion. Sie, Herr Kollege Zeitel, haben den kritischen Punkt berührt. Kein Mensch kann Erfahrungs- oder Schätzwerte ermitteln, die eine Grundlage für eine adäquate Versicherungsprämie [sind]47, denn soweit ich weiß, ist in der Geschichte der Medizin dieser Contergan-Fall einzigartig. Nun wollen wir außerdem noch durch verschärfte Bestimmungen über die Zulassung neuer Arzneien alles in unsern Kräften stehende tun, um die Wiederholung eines solchen Falles zu verhindern. Aber natürlich, ausschließen

46 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »ihrerseits«. 47 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »ist«.

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kann man ihn nicht, und es liegt klar, daß die Versicherungen sagen werden: Da das Risiko […]48 im Grunde unkalkulierbar ist, müssen wir die und die Prämien haben. Und dann kommt man an die Zahlen, wie Herr Kollege Zeyer sie nennt. Kollege Zeitel hat nun davon gesprochen, daß man eventuell eine Versicherung mit Gewinnbeteiligung schließen könnte. Das kommt dann schon der Pharma-Lösung näher. Herr Kollege Narjes hat zur Diskussion gestellt die Frage, ob wir einen Antrag dahingehend stellen sollten, es müsse eine Haftungssumme in der und der Größenord- nung bereitgestellt werden und die Ausfüllung dieser Forderung [würde man] dann der privaten Initiative der Betroffenen überlassen können. Ich wäre sehr dankbar, [zu er- fahren], ob die Kollegen, die sich nun für den federführenden Ausschuß […]49 mit dieser Frage befaßt haben, darin einen Ausweg sehen. Ich gebe zu, insofern ist das be- achtlich, was vorgetragen worden ist, daß wir gezwungen sein werden, sehr kurzfristig eine Frage mit sehr großer Tragweite zu entscheiden. Wer von den Herren Kollegen – Der Kollege Zeyer vielleicht? – könnte sich dazu noch einmal äußern? Zeyer: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung vorab: Ich stimme all denen bei, die heute sagen, daß wir unter größtem Zeitdruck die Beratungen führen mußten. Das ist sicherlich zu einem Gutteil zu Lasten einer ordentlichen, ge- nauen, exakten Beratung gegangen. Wir haben es am stärksten im Wirtschaftsausschuß erlebt. Wir haben es zum Schluß einfach abgelehnt, noch weiter an den Beratungen teilzunehmen, weil das unerträglich war, dabeizusitzen und zu erleben, daß die Koaliti- on ihre Mehrheit dazu benutzt hat, den Ausschuß zu einer Abstimmungsmaschine zu machen. Wir wollten auch heute – dies gilt für meine Kollegen von der Arbeitsgruppe Wirtschaft – die Diskussion nicht führen. Wir hätten es lieber gesehen, wir hätten in einer späteren Woche die 2. und 3. Lesung durchführen können. Ich habe selbst mit Herrn Kollegen Dr. Jenninger gesprochen. Er hat mir erklärt, die Koalition geht nicht davon ab und für den Fall, daß wir nicht zustimmen, wird sie es mit einer Geschäfts- ordnungsdebatte in jedem Fall erzwingen, so daß wir einfach gezwungen sind, in dieser Woche unsere Stellungnahme abzugeben. Bei allen Überlegungen haben uns eigentlich drei Gesichtspunkte geleitet. Der erste Gesichtspunkt, kein Präjudiz zu schaffen, auf das man sich berufen könnte, wenn es nachher zu einer Erweiterung der verschuldensunabhängigen Haftung in anderen Be- reichen unserer Wirtschaft kommt. Dies gilt einmal für die Modalitäten, dies gilt aber auch für den Haftungsrahmen. Hinsichtlich des Haftungsrahmens ist im Bereich der Europäischen Gemeinschaft bislang – so die Auskunft der Regierungsvertreter – nur von einem Haftungspotential von 50 Millionen [D-Mark] gesprochen worden. Der Bundeswirtschaftsminister hat im Wirtschaftsausschuß selbst erklärt, daß seinen Fach- leuten im Hause dieser Rahmen als zu hoch erscheine und daß man darin ein gefährli- ches Präjudiz sehe. Und Herr Lambsdorff50 hat ungeniert im Ausschuß gesagt, natür- lich müsse man einräumen, daß dies eine Präjudizwirkung für die Versicherungswirt- schaft habe. Ich sage dies, damit Sie ungefähr sich eine Vorstellung davon machen kön- nen, wie diese Diskussion auch von den Fachausschüssen, die beteiligt waren, geführt worden ist. Nun darf ich antworten zunächst auf die Frage, die Frau Kollegin Dr. Wex gestellt hat. Frau Kollegin Dr. Wex, ich darf mich jetzt beziehen auf den Herrn Bundeswirtschafts- minister und ich zitiere jetzt wörtlich aus dem Protokoll des Wirtschaftsausschusses in

48 Vom Bearbeiter gestrichen: »ist«. 49 Vom Bearbeiter gestrichen: »sich«. 50 , MdB (FDP).

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seiner Sitzung vom März dieses Jahres. Es heißt da – so erklärte wörtlich Bundeswirt- schaftsminister Friderichs –, die Abteilung IV habe sich für die Pharma-Lösung ausge- sprochen, weil nach dieser Lösung die mittleren und kleineren Unternehmen tatsäch- lich geringer belastet würden. Der Vorsitzende, der Geschäftsführer des Bundesfach- verbandes der Arzneimittel-Industrie, Herr Dr. Rieser, hat mich Anfang dieser Woche noch einmal davon verständigt, daß sein Vorstand einstimmig sich für die Pharma- Lösung ausgesprochen habe, und er hat in Schreiben uns gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß über die Versicherungs-Lösung eine Marktbereinigung in der Weise durchgeführt werden sollte, daß die Kleineren vom Markt verdrängt würden. Ich kann also uneingeschränkt sagen, daß gerade die kleineren Unternehmen diese Lösung wün- schen, wobei ich hinzufügen muß: Die Diskussion ging nur um die Regreßmöglichkeit bis 5 Mio. oder bis 3 Mio. [D-Mark]. Aber da ist auch niemand von uns festgelegt – um dies ganz deutlich zu sagen. Die zweite Frage geht in den Bereich der Ordnungspolitik, ob die Fonds-Lösung unse- ren marktwirtschaftlichen Vorstellungen widerspricht. Ich bin Herrn Kollegen Prof. Zeitel dankbar, er hat schon darauf hingewiesen, daß natürlich auch eine solche Lösung in der Privatwirtschaft möglich ist und marktwirtschaftlich vertretbar ist. Lassen Sie mich hinzufügen, es ist eine privatwirtschaftliche Lösung. Es handelt sich um privates Vermögen, nicht um öffentlich-rechtliches Vermögen, das den Grundrechtsschutz beanspruchen kann, d. h., es steht unter dem Schutz des Art. 14 GG. Es kommt hinzu, daß es doch eigentlich ein fundamentales Prinzip – und jetzt sprech’ [ich] die Kollegen des Rechtsausschusses an – unseres Rechts ist, daß auch derjenige, der einen Schaden verursacht, für den Schaden einstehen soll. Er soll dadurch ja angehalten werden, alle Vorsorge zu treffen, um einen solchen Schaden zu vermeiden. Ich würde sagen, dies ist ein Steuerungs- oder Präventivprinzip. Bei der Pharma-Lösung bleibt dies eigentlich fast in vollem Umfange erhalten, in vollem Umfange bei verschuldeten Schäden, denn in diesem Falle kann der Verein in voller Höhe Regreß nehmen. Bei den unverschulde- ten Schäden ist die Regreßmöglichkeit immer noch bis zu einer Summe von 5 Millionen gegeben. Und nur, was darüber hinausgeht, immer nur bei unverschuldeten Schäden wird der Solidargemeinschaft angelastet. Bei der Versicherungs-Lösung ist es anders. Bei der Versicherungs-Lösung zahlt die Versicherung, wenn der Pharmaschaden nachgewiesen wird, unabhängig davon, ob Verschulden oder kein Verschulden vorliegt. Dies wird nicht einmal mehr geprüft. Dies kann dann leicht dazu führen, daß Unternehmer nicht die Sorgfalt bei der Herstellung oder beim Inverkehrbringen anwenden, die man von ihnen verlangen müßte, weil sie sagen können, ein möglicher Schaden ist eh durch eine Versicherung gedeckt. Und wenn ich hinzufüge, daß der Haftungsrahmen mit 200 Mio. für den Markt und für den kleinen mittelständischen Betrieb viel zu groß geschneidert ist, könnte dies sogar gera- dezu fahrlässiges Verhalten herausfordern. Ich bin also der Meinung, daß diese Lösung auch [den]51 ordnungspolitischen Prinzipien, die wir vertreten, entspricht. Nun zur Frage 3, die hier gestellt worden war von Herrn Kollegen Erhard! Kollege Erhard, ich darf hier hinweisen auf ein Schreiben des Bundesaufsichtsamts für das Ver- sicherungswesen vom 22. 4. ’76, das hier in Photokopie vorliegt. Das Schreiben wird gerichtet an den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. In diesem Schreiben werden keine versicherungsaufsichtsrechtlichen Bedenken gegen diese Lösung vorge- bracht. Im übrigen hat – das darf ich hinzufügen – der Pharma-Verband zu dieser Frage ein Gutachten des Professors Reichert-Facilides52 aus Innsbruck vom März dieses Jah-

51 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »in«. 52 Fritz Reichert-Facilides, österreichischer Jurist und Hochschullehrer.

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res eingeholt, und Herr Professor Reichert-Facilides kommt uneingeschränkt zu dem Ergebnis, daß die Lösung möglich ist. Und, um die rechtliche Seite gleich abzuschlie- ßen, in einem Gutachten vom April dieses Jahres erklärt Prof. Budinger aus Freiburg eindeutig, daß sogar eine Zwangsmitgliedschaft in diesem Verein möglich wäre. Unsere Vorschläge sehen keine Zwangsmitgliedschaft vor, sondern nur die Entrichtung von Zwangsbeiträgen an diesen Verein zur Schadensregulierung. Dies entspricht den übli- chen Regelungen, wie sie vorgesehen sind bei der Insolvenzsicherung des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom Dezember 1974. Carstens (Fehmarn): Entschuldigen Sie, Herr Kollege Zeyer, daß ich Sie nochmals unterbreche. Es ist äußerst interessant und äußerst wichtig, was Sie vortragen, aber wir haben noch eine lange Tagesordnung vor uns und irgendwie müssen wir zu Ende kommen. Mir würde daran liegen, daß Sie zu der Anregung des Kollegen Narjes Stel- lung nehmen, der gesagt hat, ob man nicht einen dahingehenden Antrag stellen könne, der nur vorschreibt, welche Haftungssumme zur Verfügung gestellt werden muß, und es dann den Beteiligten überläßt, wie sie diesen Rahmen ausfüllen wollen. Das ist ein Alternativvorschlag, der hier gemacht worden ist und mit dem wir uns in jedem Fall auseinandersetzen müßten. Zeyer: Herr Vorsitzender, die nächste Frage, die auf meinem Zettel steht, wäre die Carstens (Fehmarn): Empfinden Sie das, bitte, nicht als Kritik, Herr Kollege Zeyer, ich finde es äußerst wichtig, was Sie sagen, aber ich hab’ die unglückliche Verantwortung, die gesamte Tagesordnung muß ja irgendwie auch mit der Zeit disponieren. Zeyer: Herr Vorsitzender, wir haben dies natürlich auch überlegt und der vom feder- führenden Ausschuß beschlossene Entwurf sieht ja nur vor, daß ein Deckungsnachweis erbracht werden muß von den einzelnen pharmazeutischen Unternehmen bis maximal 200 Millionen im Schadensfalle und einem Rentenbetrag von 12 Millionen [D-Mark] im Jahr. Man läßt offen, auf welche Weise die Deckungsmöglichkeit erbracht wird. Man schlägt zwei Möglichkeiten vor, einmal durch den Abschluß einer entsprechenden Versicherung oder durch die Vorlage einer entsprechenden Bankbürgschaft. Ich habe mir von Beteiligten sagen lassen, daß der letztere Fall vom Faktischen her nichts wird. Aus meiner früheren Tätigkeit hab’ ich eine gewisse Kenntnis dieser Dinge und würde also dies auch ausschließen. Das mag im einen oder andern Falle möglich sein, aber das wäre dann sicherlich die Ausnahme. Wir haben oft diskutiert, ob man dazu nehmen sollte dann diesen Arzneimittelentschä- digungsverein. Das führt natürlich dann zu einer größeren Kostenbelastung, weil so- wohl die Prämiengestaltung der Versicherungswirtschaft bestimmt wird von der gro- ßen Zahl als natürlich auch die Umlage des Vereins wesentlich bestimmt wird von der Zahl der Teilnehmer. Carstens (Fehmarn): Darf ich annehmen, daß die pharmazeutische Industrie sich einig ist in dieser Sache? Es wurde doch von einem einstimmigen Beschluß vorhin gespro- chen. Zeyer: Der Bundesvorstand des Bundesfachverbands der Pharmazeutischen Industrie hat sich einstimmig dazu entschlossen. Carstens (Fehmarn): Ja, gut. Zeyer: Und, das darf ich hinzufügen, der Bundesfachverband der Heilmittelindustrie hat sich also ebenfalls dazu bekannt. Ich will dies nur sagen. Wenn Sie das auseinander- nehmen, dann stimmen die Zahlen, wie sie die Versicherungswirtschaft nennt für die Prämiengestaltung, nicht mehr, können nicht mehr stimmen, weil sie [es] dann mit einer völlig veränderten Ausgangslage zu tun hat. Dasselbe gilt natürlich auch für die-

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sen Verein, so daß wir dies zwar für theoretisch denkbar gehalten haben, aber praktisch nicht [für] durchführbar halten, es sei denn, man nimmt zusätzliche Kosten in Kauf, und die wollen wir gerade vermeiden. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Kollege Zeyer! Aber, wenn es nun so ist, daß der Gesetzgeber alternativ beide Möglichkeiten anbietet, sich die Industrie aber – wie es sich doch abzuzeichnen scheint – einmütig entscheidet für das, was Sie die Pharma- Lösung genannt haben, dann entfällt doch das Argument der Verteuerung. Denn dann kommen eben die Versicherungen nicht zum Zuge, die Pharma-Lösung wird akzep- tiert, aber wir vermeiden das, was die Kollegen Narjes und Zeitel und Erhard besorgt macht, eine Präjudizierung durch den Gesetzgeber. Wir können dann bei späteren Plänen sagen: Bitte, wir haben das offengelassen und sind in dieser Frage noch frei. Das beeindruckt mich schon, daß wir hier – Sie sagen, wir präjudizieren nicht, aber ich finde, Herr Kollege, wir präjudizieren doch, wenn wir diese Sache als die einzige Alter- native vorsehen. Zeyer: Herr Vorsitzender, Wir haben natürlich mit den zuständigen Vertretern beider Verbände die Frage erörtert, und die haben darauf hingewiesen, daß da Beschlüsse ihrer Vorstände vorliegen, daß natürlich nicht gesagt werden könne, wenn wahlweise diese Möglichkeit nicht angeboten werde, wie sich dann die einzelnen Unternehmen verhal- ten würden, weil dies bislang nicht Gegenstand der Beratungen in den Verbänden ge- wesen ist. Ich muß sagen, ich habe in der vergangenen Woche die Frage mit den Vertre- tern des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie diskutiert, weil mir die glei- che Vorstellung vorschwebte. Mir ist aber deutlich geworden, daß dies einfach nicht in der Kürze der Zeit durchzuführen ist, denn dies würde eine völlig neue Diskussion sowohl im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie erfordern als auch im Bun- desfachvorstand der Heilmittelindustrie. Carstens (Fehmarn): Ja, nun kommt noch hinzu, daß wir in der 2. und 3. Lesung im Bundestag sind, daß wir mit unsern eigenen Anträgen in jedem Fall niedergestimmt werden, soweit ich das sehe, und daß die Entscheidung im Bundesrat und letztens dann wohl im Vermittlungsausschuß fallen wird. Spricht nicht manches dafür, für diese Ent- scheidung im Vermittlungsausschuß die beiden Alternativen offenzulassen? Ich neige Ihrer Argumentation zu, Herr Kollege Zeyer. Ich hab’ das anfänglich gesagt und möch- te es an dieser Stelle wiederholen. Aber ich kann natürlich doch nicht einfach mit einer Handbewegung dies alles wegwischen, was hier von den Kollegen Erhard und Zeitel und Narjes vorgetragen worden ist. Deswegen frage ich noch mal, meine Damen und Herren, können wir uns denn nicht so verständigen, daß wir für die 2. und 3. Lesung diese Alternative vorschlagen und es dem weiteren Gesetzgebungsverfahren überlassen, was sie daraus machen? Geht nicht? Ich sehe, das geht nicht. Na gut, wenn es nicht geht – meine Herren. Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein] – Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Herr Vorsitzender, meine Damen und Her- ren, ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Gesetz seit dem 15. Januar 1975 in Bera- tung ist, daß der Fraktionsvorstand im Gegensatz zu vielen anderen Gesetzen bereits schon vor einem halben Jahr einmal sich mit diesem Gesetz beschäftigt hat und gestern abend sogar einstimmig beschlossen hat, daß ich sogar den Vorbehalt in der Lesung morgen vortragen soll, daß, unabhängig wie auch der Bundestag immer entscheidet, in jedem Fall die CDU, falls sie die Mehrheit hat, das Pharma-Modell durchsetzen wird, eventuell spätestens nach dem 3. Oktober. Carstens (Fehmarn): Aber da waren wir allerdings noch nicht im Besitz der erleuch- tenden Erkenntnisse, die uns heute gegeben worden sind.

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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Das ist ja genau die Kritik, die ich hiermit anmelde, daß es natürlich außerordentlich schwierig ist, in dem Stadium nun alles, auch, was die Diskussion im Fachausschuß anbetrifft und unseren Änderungsantrag, den wir dort ja gestellt haben, der praktisch identisch ist mit dem, der heute hier zur Diskussion ansteht, nun zu sagen, »April, April, wir haben uns geirrt«, und eine Woche später haben wir eine völlig andere Meinung. Ich respektiere durchaus, was hier vorgetragen wird. Ich muß aber ganz klar und eindeutig hier sagen, sollte die Fraktion in dieser doch [für] einen sehr gewichtigen Teil des Arzneimittelgesetzes entscheidenden Frage hier zu keinem eindeutigen Votum kommen, sehe ich mich außerstande, übermorgen überhaupt im Rahmen des Arzneimittelgesetzes für die Fraktion zu sprechen. Denn man kann, trotz aller rechtlichen und ordnungspolitischen Bedenken, die ich sehr ernst nehme, auch den gesundheitspolitischen Aspekt in diesem Bereich nicht unterschätzen, und es würde einmal mehr in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, daß unter dem Hinblick, daß hier unterschiedliche Interessen wirtschaftspolitischer, ordnungspoliti- scher Natur vorhanden sind, Verbraucherschutz bei der CDU klein geschrieben wird und hintangestellt wird. Man wird uns diesen Gewissenskampf nicht abnehmen, daß hier die Dinge noch nicht ausgegoren sind, und von daher gesehen, Herr Vorsitzender, sehe ich die Probleme. Darf ich aber auch gleichzeitig die Frage von Frau Wex – ist sie noch da? Dann hat sie sich ja wohl erledigt. Carstens (Fehmarn): Dann hat sie sich erledigt. Herr Kollege Prinz Botho [zu Sayn- Wittgenstein-Hohenstein], erlauben Sie mir, zu sagen, Sie haben einen sehr schweren Mörser hier eben abgefeuert, aber, wie ich finde, doch nicht ganz in die richtige Rich- tung. Niemand von uns will ja die Teile des Gesetzes angreifen, in denen wir uns nahe- zu hundertprozentig durchgesetzt haben. Die Frage ist doch, soweit ich sehe, jetzt nur noch: Wie regeln wir die Haftung, die Haftung, die anscheinend alle für notwendig halten, die teuer ist, die mit Ungewißheiten belastet ist. Ich meine, wenn der Kompro- miß Narjes nicht akzeptabel ist, dann würde ich mich für den Vorschlag Zeyer ausspre- chen. Ich will mich aber ganz deutlich ausdrücken, mir wär’s sympathischer, wenn wir diese Frage in der Formulierung unseres Antrages offenhalten könnten und die weite- ren Wochen, die uns noch zur Verfügung stehen, bis es im Bundesrat im Vermittlungs- ausschuß schließlich zur Entscheidung kommt, dazu benutzen, die Sicherheit, die wir im Moment noch nicht haben, zu gewinnen. Ich finde, damit vergeben wir uns nichts. Bitte, Herr Kollege Vogel. Vogel: Herr Vorsitzender, ich gehe davon aus, daß dieser Antrag ohnehin abgelehnt wird. Dies ist ein Vorschlag, den wir jedenfalls in die Diskussion gebracht haben, der uns ja auch gar nicht bindet für etwaige Beratungen im Vermittlungsausschuß. Ich würde sehr empfehlen, wenn wir hier nicht in große Schwierigkeiten beim derzeitigen Stand der Beratung kommen wollen, daß wir diesem Antrag zustimmen in der sicheren Erwartung, er wird abgelehnt. Ich möchte das noch mal sagen: Wir sind ja völlig frei hinterher im Vermittlungsausschuß, neuen Erkenntnissen, besseren Erkenntnissen zugänglich zu sein. Carstens (Fehmarn): Und, Herr Kollege Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein- Hohenstein], es dürfte auf keinen Fall gesagt werden, daß wir diese Sache auf jeden Fall machen würden, wenn wir die nächste Wahl gewinnen. Ja, natürlich, aber Sie sehen, daß die Erkenntnis des Menschen fortschreitet. Das geht nicht nur durch die Jahrhun- derte, wie wir alle wissen, sondern manchmal geht das auch vom einen Tag zum an- dern. Da läßt sich nichts dran ändern. Was wollen Sie machen, Herr Narjes? Davon wußte ich gestern nichts. Da kann ich auch nichts dran ändern. Na gut, Kollege Kreile.

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Kreile: Also, ich frage mich ja nur eines: Wenn ein solches Gesetz wie das jetzt hier vorgelegte Gesetz zur Abstimmung kommt und wir einen Antrag stellen, von dem wir wissen, daß er abgelehnt wird, dann – Bitte? –, von dem wir wissen, daß er abgelehnt wird, dann müssen wir doch wenigstens den Antrag in der Überzeugung stellen, daß wir damit einen ungeheuren politischen Effekt erreichen. Denn das ist doch das einzige, was uns bleibt. Wir müssen, wenn wir nicht materiell zum Ergebnis kommen – und das kommen wir nicht –, doch wenigstens politisch ein Zeichen gesetzt haben. Wo geht das Zeichen hin? Das heißt, wir wollen eine Fonds-Lösung haben, eine Pharma-Lösung haben, während die andern – horribile dictu – sozusagen eine ganz böse Lösung wollen, nämlich eine Versicherungs-Lösung. Jetzt frag’ ich mich, wo steckt denn also nun wirk- lich die politische Brisanz unseres Antrags? Und wir sollten nur Anträge stellen, die also nun politisch von Bedeutung sind, daß wir sagen, die Versicherungs-Lösung ist von Übel und wir wollen die Pharma-Lösung. Das ist doch kein Punkt, wo wir jetzt kurz vor der Bundestagswahl also wirklich uns in eine solche Sache hineinbegeben sollen. Wir können sagen, die Versicherungs-Lösung, die jetzt vorgeschlagen ist, die könnte auch durch eine Pharma-Lösung ersetzt werden, aber auch da gibt es unter- schiedliche Auffassungen. Aber die Versicherungs-Lösung, so wie sie in dem Gesetz ist, die muß also verbessert werden, verfeinert werden. Dazu kann es im Vermittlungsaus- schuß sicherlich noch einige Regelungen geben, aber ich darf’s noch mal ganz klar sa- gen: Ich sehe überhaupt den politischen Grund und den Kern eines solchen Antrags, wie er hier vorgeschlagen worden ist, nicht ein. Carstens (Fehmarn): Herr Kollege Kreile, Sie haben den wesentlichen Teil der Diskus- sion nicht mitbekommen, sonst würden Sie jetzt nicht ganz so sprechen, wie Sie ge- sprochen haben. Hier ist mit sehr eindrucksvollen Zahlen belegt worden, daß die Pharma-Lösung die bei weitem billigere Lösung ist. Gut, da kann man sagen, die Zah- len, die mögen noch einer Überprüfung unterzogen werden – dürfen Sie sehr gerne, Herr Leicht. Leicht: {(Ist nicht zu verstehen, da ohne Mikrofon.)}53 Carstens (Fehmarn): Na also, verehrter Herr Kollege Kreile, also, ich bin zwar kein Versicherungsfachmann, aber soviel Lebenserfahrung besitze ich auch, daß ich mir sage: Wenn man so eine Sache versichert, die noch nie in der Geschichte der Versicherungen versichert worden ist, dann werden die Versicherungsgesellschaften aufpassen, daß sie nicht zu kurz kommen dabei. Nicht wahr, soweit reicht die normale Lebenserfahrung, um das vorauszusehen. Aber die Einwendungen sind ja ganz anderer Art. Die Einwen- dungen waren ja nicht dagegen, daß das eine billiger und das andere teurer sei, sondern die Einwendungen waren ordnungspolitischer Art und die nehme ich nicht leicht. Aber was soll ich machen, meine Damen und Herren, wir müssen eine Entscheidung treffen und ich schlage vor, daß wir abstimmen, sonst sitzen wir heute nacht hier noch. Ich stelle den Vorschlag Zeyer zur Abstimmung und bitte diejenigen, die ihn unterstützen wollen, um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? Die Ja-Stimmen haben die Mehrheit bei wenigen Nein-Stimmen und einer größeren Zahl von Enthal- tungen. Herr Kollege Zeitel – Zeitel: {(Ist nicht genau zu verstehen, ist aber ein entschiedener Protest gegen den Zwang, in einem völlig ungeregelten Verfahren unter massivem Zeitdruck Entschei- dungen zu treffen für die überhaupt keine Erfahrungen in der Geschichte vorliegen.

53 Technischer Hinweis in der Vorlage betr. die Aufnahme der Sitzung auf Tonband.

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Verlangt, daß diese unverantwortliche Art von Schludrigkeit in den Einlassungen im Plenum mit aller Schärfe gekennzeichnet werde!)}54 Carstens (Fehmarn): Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein], dazu? Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Herr Vorsitzender, es ist hier nicht die Schätzung der Verbände, die für uns ausschlaggebend war, sondern die sehr genaue und sorgfältige Untersuchung der Abteilung IV des Wirtschaftsministeriums, die uns eben- falls veranlaßt hat, diese Überlegung zu übernehmen. Carstens (Fehmarn): Vielen Dank, Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein]! Wir schließen damit die Diskussion über diesen Punkt. Ist eine Berichterstattung zu den übrigen Punkten der Tagesordnung von Donnerstag und Freitag erforderlich, Herr Kollege Jenninger? Jenninger: Soweit ich übersehe, sind die Punkte, glaub’ ich, nicht strittig. Aber die Redner müßten noch bekanntgegeben werden. Zu Punkt a) und b). Carstens (Fehmarn): a) Kollege Stark, b) Kollege Schröder, c) Lemmrich – soweit ich sehe. Jenninger: c) erledigt! d) auch klar. Carstens (Fehmarn): e) Frau Walz? Sehe ich das richtig? Bitte schön, Herr Pfeifer. Pfeifer: Herr Vorsitzender, bei e) wollen wir in der 2. Beratung einen Änderungsantrag stellen, auf den unsere Länder großen Wert gelegt haben. Die Änderungsanträge sollen begründet werden von Herrn Schmidt (Wuppertal) und in der 3. Lesung soll Frau Walz sprechen. Gegebenenfalls behalten wir uns allerdings vor, dem Herrn Rohde nochmals gesondert etwas zu sagen. Das hängt von der Debatte ab. Carstens (Fehmarn): Sehr gut. Ich glaube, die Fraktion ist damit einverstanden. Ich bitte doch wenigstens einige Kollegen, noch hier zu bleiben, meine Damen und Herren. Ich kann die Beschlüsse der Fraktion notfalls auch in eigener Person allein fassen, aber das tue ich nicht so furchtbar gerne. Jetzt geht es weiter mit dem Beamtenrechtsrah- mengesetz, Punkt f) – wer spricht dazu? Wer spricht zu Punkt f)? Vogel: Dafür muß ich noch zwei Sätze sagen, Herr Vorsitzender. Carstens (Fehmarn): Dann sagen Sie das in zwei Sätzen. Vogel: Das ist eine Besonderheit des Landes Niedersachsen, die noch aus der vorigen Regierung stammt, von der jetzigen Regierung aufrechterhalten wird. Wir sind den- noch der Auffassung, daß wir dagegen stimmen müssen. Dafür spricht Kollege Berger. Carstens (Fehmarn): Ach du großer Gott! Jetzt stimmen wir gegen die eigene Landes- regierung, unsere neue Albrechtsche55 Regierung? Vogel: Ich weiß, das ist wahnsinnig unangenehm. Das können wir nicht machen. Carstens (Fehmarn): Nein, zunächst der Kollege Hornhues, dann Herr Kollege v. Fircks. Hornhues: Herr Vorsitzender, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich zu dieser Stunde und zu dieser Zeit zu diesem Punkt noch einige Sätze sage. Die Frage, um die es hier geht, ist die Einbeziehung eines einphasigen Lehrerausbildungsganges ins Beamten- rechtsrahmengesetz und die damit entsprechende Absicherung für den höheren Dienst. Dies ist sicherlich eine Frage, die in der Grundsatzfrage, ob sowas sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, ein politischer Streitpunkt ist. Nur, die alte Landesregierung hat dies in Szene gesetzt. Die neue Landesregierung kann gar nicht anders, aufgrund der normati-

54 Technischer Hinweis in der Vorlage betr. die Aufnahme der Sitzung auf Tonband. 55 Ernst Albrecht, MdL Niedersachsen (CDU) und Ministerpräsident.

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ven Kraft des Faktischen, als da weitermachen. Denn – und deswegen möchte ich dafür plädieren, hier nicht abzulehnen –, es sind davon rund 2 000 Studenten betroffen, Herr Vorsitzender, die in eine Geschichte reingegangen sind, von der sie auch nicht gewußt haben, was ihnen blüht; die reingelaufen sind, weil sie zwangsweise durch die Zentral- stelle, die Dortmunder Zentralstelle dort hingeschickt worden sind, und für die es be- deuten würde, wenn wir im Ernst ablehnen würden und dies Gesetzeskraft bekommen würde, also das Gesetz nicht entstehen würde, den Verlust einer Studienzeit von durch- schnittlich eineinhalb Jahren. Die Leute stehen z. T. im 5. Semester, 1. bis 5. Semester, anderthalb Jahre durchschnittlicher Verlust an Studienzeit würde dies für diese bedeu- ten. Dies ist auch die Begründung, warum die niedersächsische Landesregierung nicht da- von abgehen kann im Augenblick, weil dies gegenüber den Betroffenen nicht zu ver- antworten wäre. Deshalb möchte ich für mich erklären, daß ich der Auffassung bin, wir sollten diesem Gesetzentwurf trotz vieler Bedenken zustimmen. Diese Bedenken kann man nachdrücklich artikulieren. Für den Fall, daß die Fraktion sich nicht dazu ent- scheiden kann, möchte ich allerdings für mich persönlich in Anspruch nehmen, ent- sprechend zu votieren, und vielleicht für einige Kollegen aus Niedersachsen mit. Carstens (Fehmarn): Danke schön! Herr Kollege Vogel – Vogel: Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt die Debatte hier nicht in die Länge ziehen. Ich darf nur sagen, daß es grundsätzliche Bedenken gibt, die quer durch die Länder geteilt werden, mit Ausnahme Niedersachsens, gegen die Ermöglichung der einphasigen Lehrerausbildung. Herr Hornhues, wir schließen nicht aus, daß [es] auf dem Weg über Bundesrat und Vermittlungsausschuß es zu einer Lex Niedersachsen kommen kann, was aber sicherlich jetzt im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist. Wir meinen, daß wir bei dem Votum bleiben sollten, daß der Arbeitskreis empfiehlt. Carstens (Fehmarn): Aber, wenn ich höre, daß soundso viele Studenten betroffen sind, da kann ich nur sagen: Es ist verheerend, was wir machen! Wir können a sagen oder wir können b sagen, mit jeder Lösung werden sich die Studenten irgendwie abfinden, aber wenn man den Studenten während des Studiums plötzlich eine andere Regelung vor- schreibt als die, bei der sie ihr Studium begonnen haben, dann werden die wild. Und ich möchte Ihnen offen sagen, ich würde da auch wild werden! Soviel muß man von dem Gesetzgeber verlangen, daß er eine einmal begonnene Richtung zumindest solange durchhält, wie es Leute gibt, die sich darauf verlassen haben. Herr Kollege Pfeifer – Pfeifer: Ja, Herr Vorsitzender, ich möchte also dann doch etwas in der Sache sagen, auch wenn ich um Verständnis bitte, daß es noch zwei oder drei Minuten dauert. Ich habe [über] diese Sache mit dem niedersächsischen Kultusminister, dem neuen, Herrn Remmers, vor etwa drei Wochen ein Gespräch geführt, am Rande der Kultusminister- konferenz in München. Herr Prof. Klein hat mich darum gebeten. Es war völliges Ein- vernehmen darin, daß wir diese einphasige Lehrerausbildung nicht wollen, daß dagegen grundsätzliche Bedenken bestehen, auch nach den schlechten Erfahrungen, die wir mit der einphasigen Juristenausbildung beispielsweise in Bremen gemacht haben, und es ist auch die Absicht, daß diese einphasige Lehrerausbildung in Oldenburg und Osnabrück nicht von dieser neuen Landesregierung so unbesehen weitergemacht wird, wie das im Augenblick der Fall ist. Das Problem ist nur, und das hat Herr Remmers eben dargestellt, daß die vorige Lan- desregierung diese Sache angefangen hat und den Studenten eine Zusage gegeben hat, daß das Beamtenrechtsrahmengesetz in diesem Punkt zu ihren Gunsten in Ordnung

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kommt, und Herr Grolle56 konnte eine solche Erklärung den Studenten auch abgeben, weil er sich nämlich vorher vergewissert hat, daß er eine Mehrheit im Bundesrat erhält und auch weiterhin erhält. Herr Vogel57 hat nochmals ausdrücklich bestätigt, daß das Land Rheinland-Pfalz dieser Fassung der Mehrheit des Bundestages im Bundesrat zu- stimmen wird und die Geschichte eben nicht in den Vermittlungsausschuß geht, son- dern über die Bühne läuft. Insofern kann man natürlich sagen, wir können im Bundestag dagegen stimmen. Die Sache wird im Bundesrat dennoch so, wie es jetzt in 2. und 3. Lesung im Bundestag vorbeigeht. Aber jetzt die Frage, die Herr Hornhues aufgeworfen hat. Möglich wäre ja, und das ist heute morgen im Arbeitskreis I diskutiert, im Arbeitskreis VI sogar akzep- tiert worden, möglich wäre ja, daß wir in der 2. Lesung einen Änderungsantrag stellen mit dem Ziel, diesen Gesetzentwurf lediglich für die beiden Hochschulen Oldenburg und Osnabrück vorzusehen und ihn zeitlich zu begrenzen bis zum Jahre 1980, so daß nur diejenigen in den Genuß des Gesetzentwurfes kommen, die derzeit ein solches Studium absolvieren. Wenn wir einen solchen Antrag stellen in der 2. Lesung, und der wird abgelehnt, dann haben wir natürlich auch jede Berechtigung, in der 3. Lesung gegen das Gesetz zu stimmen, aber umgekehrt natürlich besteht auch für das Land Rheinland-Pfalz eine Möglichkeit, im Bundesrat dann die Nichtanrufung des Vermitt- lungsausschusses zu beschließen. Ich weiß nicht, warum der Arbeitskreis I heute morgen von dieser Sache dann abge- rückt ist. Ich meine, ich hätte auch die Ablehnung mitgetragen, aber wenn es hier Schwierigkeiten gibt, dann bin ich doch der Meinung, daß wir diesen Änderungsantrag uns überlegen und dann in der 3. Lesung ablehnen. Auch für Herrn Hornhues müßte das dann möglich sein. Carstens (Fehmarn): Danke schön, Herr Kollege Pfeifer! Herr Kollege Vogel – Vogel: Ich war heute leider selbst in der Sitzung des Arbeitskreises nicht da und bin auch überrascht, daß der Arbeitskreis diesen Änderungsantrag abgelehnt hat und emp- fiehlt, ihn nicht zu stellen. Ich würde es auf meine Verantwortung nehmen, daß wir diesen Antrag stellen und würde dann im Arbeitskreis entsprechend berichten. Carstens (Fehmarn): Also, das scheint mir die Lösung zu sein. Herr v. Fircks, sind Sie auch einverstanden? Darf ich vorschlagen, daß die Fraktion so beschließt? Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch dieser Punkt erledigt. Dann 2. Beratung Gewerbeordnung. (Unverständliche Zwischenreden.)

Na gut, dann wird abgelehnt. Jetzt kommt § 218, da stimmen wir ([Zwischenruf] Jenninger: Mit Nein.) Frau Kollegin Neumeister, wir haben gerade den Punkt abgesetzt, weil Sie auf seine weitere Verfolgung keinen Wert legen. Das ist nur ein Teil der Wahrheit? Neumeister: Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um einen Gesetzentwurf, der schon aus der letzten Legislaturperiode rübergerettet wurde, damals nicht zum Zuge kam, und wir haben aus lauter Pietät ihn auch noch ausgedruckt. Der ist aber dann auch von den eigenen Fraktionskollegen dann nicht unterstützt worden. Zwar wurden die Gesundheitsaspekte vom Gesundheitsausschuß von allen Fraktionen ein- stimmig unterstützt, nur der Wirtschaftsausschuß hat sich nicht bereit gefunden, die Einschränkung der Gewerbefreiheit zugunsten der Gesundheit vorzunehmen, und in

56 Joist Grolle, 1974–1976 Minister für Wissenschaft und Kunst des Landes Niedersachsen (SPD). 57 Bernhard Vogel, MdL Rheinland-Pfalz (CDU) und Kultusminister.

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diesem Falle wurde also durch den Wirtschaftsausschuß dieser Gesetzentwurf zu Fall gebracht. Es kam dann noch mal ein interfraktioneller Ausschuß zustande unter Lei- tung von Herrn Scheu58 von der SPD, der sich auch sehr dafür eingesetzt hatte. Auch dieser Ausschuß hatte einstimmig diesen Gesetzentwurf befürwortet und dann wurde er wieder im Wirtschaftsausschuß abgelehnt. Ich habe das Gefühl, es lohnt sich nicht mehr, auch noch ein Wort darüber zu verlieren. Wir können ihn einfach so fallenlassen. Carstens (Fehmarn): Danke schön! Dann sehen wir klar in diesem Punkt – Absetzen von der Tagesordnung. Dann Einspruch des Bundesrates gegen diese Regelung zu § 218, und wir stimmen natürlich – wie müssen wir stimmen? Ja, es ist immer schwer, ob man mit Ja oder Nein stimmen muß bei diesen verflixten Bundesratsvorlagen.

Vogel: Das ist ein Einspruch, der abgelehnt werden muß, d. h. von der Mehrheit des Bundestages, der das Gesetz beschlossen hat, abgelehnt werden [muß]. Wir stimmen dafür. Carstens (Fehmarn): Es ist doch ganz gut, daß ich die Frage gestellt habe – also wir stimmen dann mit Ja. Da haben wir schon die Sache! Ich hab’ da schon die schönsten Reinfälle erlebt in meiner langen Praxis. Dann kommen wir zu Freitag, den 7. Mai, da gibt’s einen Bericht – ich bitte um Entschuldigung. Erhard (Bad Schwalbach): Ich bin der Auffassung, wir müssen mit Nein stimmen. Dadurch, daß der Bundesrat Einspruch eingelegt hatte, den der Bundestag mit seiner Mehrheit zurückweisen muß, wird wohl beantragt werden, den Einspruch des Bundes- rates zurückzuweisen. Dann werden diejenigen, die das Gesetz wollen, ja sagen, die das Gesetz nicht wollen, nein. Wir wollen es natürlich nicht haben. Carstens (Fehmarn): Ich stelle fest, daß hier zwischen den Auguren keine völlige Ei- nigkeit besteht. Aber vielleicht – na, da wurde uns gerade empfohlen, mit Ja zu stim- men. Also, das ist doch ein kleiner Unterschied, aber das kann ja bis zum Tage geklärt werden, an dem die Sitzung stattfindet. Dann haben wir also Freitag, den 7., Enquete-Kommission – also, was wir wollen, ist ja klar. Nur die Frage, wie [die]59 Abstimmungsfrage lautet. (Gelächter.) Ich könnte aber verkehrt stimmen, wenn ich muß – da wird jemand berichten, wie ich annehme. Herr Schulze Vorberg, wie ich annehme? Schulze-Vorberg: {(Redet fern vom Mikrophon.)}60 Herr Köhler (Wolfsburg). Carstens (Fehmarn): Sie sprechen zur Debatte, ja? Na gut, dann sind wir uns da einig. Dann kommt hier Städtebau und das Bauwesen und Raumordnung, Raumordnungsbe- richt. Da brauchen nur die Redner bestimmt werden. Jenninger: Herr Jahn und wer noch? [D.] Carstens (Fehmarn): Dann kommen die Berichte aus den Arbeitskreisen – wenn Sie sich auf jeweils einen Satz beschränken könnten, Herr Kollege Vogel, wären Ihnen die noch anwesenden Mitglieder der Fraktion zu tausendfachem Dank verpflichtet. Vogel: Die Kleine Anfrage, die hier vorgesehen ist, einzubringen, möchte ich vorschla- gen.

58 Adolf Scheu, MdB (SPD). 59 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »wir«. 60 Technischer Hinweis in der Vorlage betr. die Aufnahme der Sitzung auf Tonband.

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Carstens (Fehmarn): Erhebt sich dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, daß die Fraktion einverstanden ist. Da sind zwei Punkte, verehrter Herr Kollege Vogel. Herr Kollege von Fircks – von Fircks: Dieses ist, glaub’ ich, auch nur ein Satz, damit er nur im Protokoll enthal- ten ist, das beabsichtigt ist. Das wurde gestern kurz im Vorstand erläutert. Der Vor- stand hat zugestimmt. Wir führen das Hearing am 17. Mai montags [um] 11.30 Uhr durch. Ich wäre dankbar, wenn aus allen beteiligten Arbeitskreisen auch eine Beteili- gung stattfinden würde, damit wir deutlich machen, daß wir nicht nur vor der Abstim- mung der Polenverträge, sondern auch hinterher an der Eingliederung der Menschen wirklich interessiert sind. Carstens (Fehmarn): Ich unterstütze das, was Herr v. Fircks gesagt hat. Erhebt sich dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall, dann ist so beschlossen. Herr Kollege Müller-Hermann, können Sie sich auch kurzfassen? Müller-Hermann: Arbeitskreis II – es liegt den Kollegen eine Große Anfrage nicht vor, für die Sie jetzt eine Zustimmung geben sollen. Das ist eine Große Anfrage zur Seerechtskonferenz. Heute nachmittag haben sich die Arbeitskreise II und V über Herrn Kollegen Mertes verständigt. Das Thema ist wichtig. Ich möchte es jetzt nicht vertiefen. Ich bitte, darauf Vertrauen zu haben, daß jetzt die Große Anfrage formuliert wird. Carstens (Fehmarn): Wir haben darüber schon einmal beraten, wenn ich das richtig weiß, und haben Pleinpouvoir an die beteiligten Arbeitskreise gegeben, und Sie teilen uns mit, daß die Beteiligten nunmehr einig sind. Ich glaube, wir können davon Kennt- nis nehmen und zustimmen, daß es als Große Anfrage eingebracht wird. AK III, noch jemand? Keine Mitteilung. AK IV – können Sie sich auch auf einen Satz beschränken, Herr Kollege Hammans? Hammans: Die Änderungsanträge zum Arzneimittelgesetz wurden durch die Debatte erledigt. Der Entschließungsantrag bezüglich Rheuma-Erkrankungen wird in der näch- sten Woche innerhalb der Haushaltsdebatte erledigt. Carstens (Fehmarn): Ich habe zu diesem Antrag eine sehr herzliche Bitte, daß er in allgemeinverständliches Deutsch umformuliert wird. ([Zwischenruf] Hammans: Ist bereits geschehen.) (Zwischengerufe.) Das weigere ich mich, zu akzeptieren. Man kann jeden Gedanken in der deutschen Sprache mit Wörtern der deutschen Sprache ausdrücken. Das ist noch eine Prämisse, von der ich mich unter gar keinen Umständen abbringen lasse. Goethe61 hat das ge- schafft und das sollten wir auch schaffen, nicht? Wer immer strebend sich bemüht, Prinz Botho [zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein], hat Goethe gesagt, den können wir erlösen! Jetzt kommt AK V – keine Mitteilung – und AK VI auch keine Bemerkung. Personalie. Jenninger: Personalien! Wir müssen ein Mitglied für [die]62 Jugendstrafvollzugkom- mission vorschlagen. Der Vorstand schlägt hier den Kollegen Eyrich vor. Carstens (Fehmarn): Ist die Fraktion einverstanden? Ich sehe und höre keinen Wider- spruch. Dann ist so beschlossen!

61 Johann Wolfgang von Goethe († 1832), Dramatiker und Lyriker. 62 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »den«.

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Wird zum Punkt Verschiedenes das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Sitzung. Ich danke Ihnen vielmals.

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