Plenarprotokoll 16/89

Deutscher

Stenografischer Bericht

89. Sitzung

Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 22: Abgeordneten Dr. , , (Müns- a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: ter), weiterer Abgeordneter und der Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/ Fraktion der FDP sowie der Abgeord- AIDS-Bekämpfungsstrategie der Bun- neten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Renate desregierung Künast, und der Fraktion (Drucksache 16/4650) ...... 9011 A des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 – Ausschusses für Gesundheit Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreichen – zu dem Antrag der Abgeordneten , Annette Widmann-Mauz, Peter – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Albach, weiterer Abgeordneter und der Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und geordneten Peter Friedrich, Elke der Fraktion der FDP: Missfallen an Ferner, Dr. Carola Reimann, weiterer der südafrikanischen Aids-Politik Abgeordneter und der Fraktion der betonen und weitere deutsche Ent- SPD: Maßnahmen zur Bekämpfung wicklungszusammenarbeit an Be- von HIV/AIDS in Deutschland dingungen knüpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten (Drucksachen 16/3610, 16/3097, 16/4315) 9011 B (Köln), , Heidemarie Wieczorek-Zeul, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Bundesministerin BMZ ...... 9011 D Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ge- Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 9013 C meinsam gegen AIDS – Verantwor- Jens Spahn (CDU/CSU) ...... 9014 C tung und Solidarität stärken Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 9016 A (Drucksachen 16/3615, 16/3616, 16/4111) 9011 B Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ c) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN) ...... 9017 C Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung Jens Spahn (CDU/CSU) ...... 9018 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. (SPD) ...... 9018 C Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Detlef Parr (FDP) ...... 9019 C Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 9020 B Abgeordneten Christel Riemann- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Hanewinckel, Dr. Wolfgang Wodarg, DIE GRÜNEN) ...... 9021 C Dr. , weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD, der Peter Friedrich (SPD) ...... 9022 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. , Freitag, den 23. März 2007

Tagesordnungspunkt 23: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9040 D a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (CDU/CSU) ...... 9041 D eines Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit bör- Miriam Gruß (FDP) ...... 9044 A sennotierten Anteilen Sönke Rix (SPD) ...... 9045 B (Drucksachen 16/4026, 16/4036, 16/4779, 16/4781) ...... 9024 A Diana Golze (DIE LINKE) ...... 9046 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Jürgen Kucharczyk (SPD) ...... 9047 C nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten , Dr. Barbara Höll, Dr. , weiterer Abgeord- Tagesordnungspunkt 25: neter und der Fraktion der LINKEN: Neue Antrag der Abgeordneten , Steuervergünstigungen und Gewinnver- , Patrick Meinhardt, weiterer Ab- lagerungen in das Ausland verhindern – geordneter und der Fraktion der FDP: Fusi- REITs in Deutschland nicht einführen onsforschung zielgerichtet weiterführen – (Drucksachen 16/4046, 16/4779) ...... 9024 B Deutschen Beitrag sichern c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- (Drucksache 16/3650) ...... 9048 C nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Carl-Ludwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. , weite- Tagesordnungspunkt 26: rer Abgeordneter und der Fraktion der Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, FDP: REITs – Real Estate Investment Dr. , , weiterer Trusts in Deutschland einführen Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: (Drucksachen 16/1896, 16/3356) ...... 9024 C Verzicht der Bundesregierung auf Einnah- Peer Steinbrück, Bundesminister men aus Sponsoring BMF ...... 9024 D (Drucksache 16/4488) ...... 9048 C Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 9026 D Nächste Sitzung ...... 9048 D (CDU/CSU) ...... 9028 C Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 9030 B Anlage 1 Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9032 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9049 A (SPD) ...... 9033 C Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 9034 A Anlage 2 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 9035 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) zur namentli- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ chen Abstimmung über den Entwurf eines DIE GRÜNEN) ...... 9036 B Gesetzes zur Anpassung der Regelalters- (CDU/CSU) ...... 9036 D grenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundla- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 9038 C gen der gesetzlichen Rentenversicherung Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 9039 A (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) (86. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 20 c) ...... 9050 A Ernst Kranz (SPD) ...... 9039 B

Anlage 3 Tagesordnungspunkt 24: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fusionsforschung zielgerichtet Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, weiterführen – Deutschen Beitrag sichern Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abge- (Tagesordnungspunkt 25) ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Partizipation von Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Kindern und Jugendlichen stärken – mehr (CDU/CSU) ...... 9050 D Kinder- und Jugendfreundlichkeit durch Dieter Grasedieck (SPD) ...... 9052 B eine neue Beteiligungskultur (Drucksache 16/3543) ...... 9040 C Cornelia Pieper (FDP) ...... 9053 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 III

Dr. (DIE LINKE) ...... 9053 D Dr. Claudia Winterstein (FDP) ...... 9058 A Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 9058 D DIE GRÜNEN) ...... 9054 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9059 B Anlage 4 Dr. , Parl. Staatssekretär zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des BMI ...... 9060 A Antrags: Verzicht der Bundesregierung auf Einnahmen aus Sponsoring (Tagesordnungs- punkt 26) Anlage 5 Petra Merkel (Berlin) (SPD) ...... 9056 A Amtliche Mitteilungen ...... 9061 A

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(A) (C) Redetext

89. Sitzung

Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin : weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU, der Abgeordneten Christel Sitzung ist eröffnet. Riemann-Hanewinckel, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf: der Fraktion der SPD, der Abgeordneten a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel gierung Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Ute Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS- Koczy, Thilo Hoppe, Renate Künast, Fritz Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung Kuhn und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ – Drucksache 16/4650 – DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 – Die be- Ausschuss für Gesundheit (f) (B) sondere Verantwortung für Entwicklungs- (D) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und länder unterstreichen Entwicklung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Addicks, Hellmut Königshaus, Detlef Parr, schuss) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Annette Widmann-Mauz, , weite- Missfallen an der südafrikanischen Aids- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Politik betonen und weitere deutsche Ent- CSU sowie der Abgeordneten Peter Friedrich, wicklungszusammenarbeit an Bedingungen Elke Ferner, Dr. Carola Reimann, weiterer Ab- knüpfen geordneter und der Fraktion der SPD – Drucksachen 16/3610, 16/3097, 16/4315 – Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/ Berichterstattung: AIDS in Deutschland Abgeordnete Sibylle Pfeiffer – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck Christel Riemann-Hanewinckel (Köln), Birgitt Bender, Irmingard Schewe- Dr. Karl Addicks Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Frak- Hüseyin-Kenan Aydin tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ute Koczy Gemeinsam gegen AIDS – Verantwortung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die und Solidarität stärken Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Drucksachen 16/3615, 16/3616, 16/4111 – Berichterstattung: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- Abgeordneter Peter Friedrich ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Zu Beginn der Debatte möchte ich meine Kollegin Ulla Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Schmidt entschuldigen. Sie ist erkrankt und kann des- 9012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) halb nicht teilnehmen. Ich werde also auch ihren Part stützen, fördern wir Entwicklungsländer beim Ausbau (C) hier mit vertreten. ihrer Gesundheitssysteme und bei der Bereitstellung von preisgünstigen Medikamenten. Zusammen mit den Ver- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir wünschen ihr einten Nationen fördern wir in den ärmsten afrikani- gute Besserung!) schen Entwicklungsländern auch die Produktion und da- Ich denke, wir alle wünschen ihr alles Gute. mit auch die Möglichkeit des kostengünstigen Einsatzes von Generika. Das ist wichtig, damit auch die armen (Beifall) Menschen Zugang zu diesen Medikamenten erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, weltweit leben rund (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. Jährlich infi- der CDU/CSU – Beifall beim BÜNDNIS 90/ zieren sich über 4 Millionen Menschen neu. Betroffen ist DIE GRÜNEN) Afrika, vor allem südlich der Sahara, und UNICEF sagt, dass es in drei Jahren über 25 Millionen Aidswaise ge- Der dritte Punkt ist der Respekt vor den Menschen- ben wird, weit mehr, als in Deutschland Kinder leben. rechten der von HIV/Aids Betroffenen. Wir müssen im- Auch vor unserer Haustür, in den Staaten Osteuropas mer wieder und überall der Stigmatisierung und dem und Zentralasiens, steigen die Zahlen der Neuinfektio- Abdrängen dieser Menschen an die Seitenränder der Ge- nen. Leider haben sich auch in Deutschland im letzten sellschaft entgegentreten. Jahr wieder mehr Menschen angesteckt: rund 2 700. Viertens: Kooperation auf internationaler Ebene – Wir stehen alle in der Verantwortung, gegen Aids zu mit anderen Staaten, mit UNAIDS, aber auch mit den mobilisieren. Das ist die Botschaft unseres Aktionsplans. Nichtregierungsorganisationen. Ich möchte an dieser Die Staaten und Gesellschaften müssen und wollen den Stelle – ich glaube, auch in Ihrer aller Namen – den en- Trend gemeinsam stoppen und umkehren. Die interna- gagierten Nichtregierungsorganisationen danken, die tionale Gemeinschaft hat sich dies in ihren Millenniums- Aufklärungsarbeit vor Ort leisten. Wir danken aber auch zielen bis 2015 zur Aufgabe gemacht. Deutschland fühlt den Nichtregierungsorganisationen in unserem Land: der sich diesen Zielen verpflichtet und löst seinen Teil ent- Deutschen AIDS-Stiftung und der Deutschen AIDS- schlossen ein, um die vereinbarten Millenniumsziele zu Hilfe, die wunderbare Arbeit leisten und auch an dieser erreichen. Diese Verpflichtung müssen wir alle auch Stelle ein Dankeschön und Unterstützung verdienen. über die Jahre hinweg immer wieder erfüllen. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der fünfte Punkt ist die Verstärkung der Forschung der CDU/CSU) und die Evaluierung und Sicherung der Qualität. Was die (B) Eines ist klar: HIV/Aids ist ein internationales, ein Forschung angeht, ist es sehr wichtig, dass zum Beispiel (D) politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Pro- über Mikrobizide geforscht wird – auch wenn es Rück- blem. Wird es nicht auf allen Ebenen mit großer Ent- schläge gibt –, damit die Voraussetzungen geschaffen schlossenheit angegangen, bedroht diese Pandemie die werden, dass sich Frauen selbst vor der HIV-Ansteckung Stabilität ganzer Regionen. Mit dem Aktionsplan zur schützen können, zumal in Entwicklungsländern, wo sie Umsetzung der HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie der weniger Rechte haben und sich schlechter durchsetzen Bundesregierung stellen wir uns diesen Herausforderun- können. Mikrobizide sind wichtig. Deshalb sollten wir gen. die internationalen Mittel auf ihre Erforschung konzen- trieren. Wir jedenfalls unterstützen diese Forschung, Unser Konzept ist in der ersten Stufe auf das weil wir sie für extrem wichtig halten. Jahr 2010 ausgerichtet und nutzt die Möglichkeiten, über die geforderten Zielvorgaben hinauszugehen. Dabei set- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zen wir sowohl global als auch national auf die folgen- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE den fünf Elemente, die zusammenwirken und zusammen GRÜNEN) angepackt werden müssen: Für die globalen Maßnahmen haben wir im Haushalt Der erste Punkt ist die umfassende Prävention und des Entwicklungsministeriums 2007 die Mittel auf Aufklärung. Es liegt in der Verantwortung der jeweili- 400 Millionen Euro erhöht. Prävention ist und bleibt das gen Regierungen, den Menschen die Wahrheit zu sagen wichtigste Instrument. Das müssen wir immer wieder und offen darüber zu sprechen, wie sie sich schützen klarmachen. Auf der Bremer Konferenz ist deutlich ge- können und welche Prävention sie betreiben müssen. worden, dass die Prävention für jede neue Generation eine Aufgabe ist. Denn auch in unserem Land lassen die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Aufmerksamkeit und das Bewusstsein, wie wichtig es und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist, sich zu schützen, nach. Das ist insbesondere in Bezug auf das eine oder andere Über die bisherigen Zielgruppen hinaus müssen wir Land im südlichen Afrika geboten, wobei ich froh bin, aber verstärkt sozial benachteiligte Jugendliche in unse- dass die südafrikanische Regierung mittlerweile ihre Po- rem Land und speziell Menschen aus Migrantenfamilien sition geändert hat. Das ist auch unserem Einfluss und ansprechen. Wir werden Forschung für Medikamente, der internationalen Gemeinschaft zu verdanken. Impfstoffe und neue Präventionsansätze fördern. Der zweite Punkt ist der universelle Zugang zu Dia- In unserer Entwicklungszusammenarbeit arbeiten wir gnose und Therapie. Um infizierte Menschen zu unter- in all diesen Fragen mit rund 50 Entwicklungsländern Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9013

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) zusammen. Bei allen Aktivitäten setzen wir uns beson- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (C) ders für den Schutz von Frauen und Mädchen ein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Denn weltweit ist die Infektionsrate von Frauen drama- LINKEN) tisch gestiegen. Im südlichen Afrika machen sie 60 bis 70 Prozent aller Infizierten aus. Die Abhängigkeit von Männern macht es den Frauen unmöglich, sich vor HIV/ Vizepräsidentin Petra Pau: Aids zu schützen. Frauen den Zugang zu Bildung und Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu bieten, ist Teil un- FDP-Fraktion. serer HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie. Frauen stark zu (Beifall bei der FDP) machen heißt, die Pandemie zu schwächen. Deshalb ist es wichtig, die Mittel verstärkt in diesem Bereich einzu- setzen. Dr. Karl Addicks (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall im ganzen Hause) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aktions- Ich habe vorhin die Konferenz in Bremen erwähnt, plan, den die Bundesregierung vorgelegt hat, ist natür- eine gemeinsame Konferenz des Gesundheitsministeri- lich zu begrüßen. Aber die Opposition findet leider im- ums, des Bildungsministeriums und meines Ministeri- mer wieder ein Haar in der Suppe. ums. Wir haben dort unter dem Titel „Verantwortung (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sehr treffend be- und Partnerschaft – gemeinsam gegen HIV/Aids“ große schrieben!) Fortschritte erreicht. Mit den Kolleginnen und Kollegen aus der EU und den osteuropäischen Nachbarstaaten ha- Ich musste auch nicht lange danach suchen. In der Aids- ben wir gemeinsames Handeln vereinbart und politische bekämpfung gilt: Was du heute kannst besorgen, das ver- Führerschaft als wesentliche Voraussetzung zur Über- schiebe nicht auf morgen. Denn mit jedem Euro, den wir windung der Epidemie benannt. Es ist die Entscheidung erst morgen einsetzen, erreichen wir nur die Hälfte von der Bundesregierung – ich bin dankbar, dass die Bundes- dem, was wir heute damit hätten erreichen können. Aids kanzlerin das zu ihrem Thema gemacht hat –, dass die ist nun einmal eine sich explosionsartig ausbreitende In- Aidsbekämpfung, zumal bei Frauen, sowohl auf dem fektionskrankheit. Sie wartet nicht auf die deutsche EU- EU-Gipfel als auch auf dem G-8-Gipfel in Heiligen- Ratspräsidentschaft und G-8-Präsidentschaft, so schön damm im Mittelpunkt der Diskussionen sowie hoffent- es auch ist, dass zu diesem erfreulichen Ereignis neue lich praktikabler Beschlüsse und finanzieller Konse- Mittel bereitgestellt werden. Es wäre nach unserer Auf- quenzen stehen wird. fassung aber besser gewesen, wenn die Aufstockung der Mittel – so wie wir das in den Haushaltsberatungen (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ gefordert hatten – früher gekommen wäre. Aids wartet (D) CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- leider nicht auf uns. NEN) (Beifall bei der FDP) Die Bremer Abschlusserklärung markiert einen Meilen- stein in der Aidsbekämpfung in Europa. Ein großer Er- Grundsätzlich freuen wir uns über den vorliegenden folg dieser Konferenz ist die erklärte Bereitschaft der Aktionsplan. Es gibt indessen weitere Punkte, in denen Pharmaunternehmen, in ärmeren Ländern zu besseren wir mit Ihnen nicht ganz konform gehen. Sie legen den Bedingungen mit antiretroviralen Medikamenten zu hel- Schwerpunkt auf die Prävention. Aber so richtig das ist: fen. Voraussetzung ist die Infrastruktur im Gesundheits- Wir dürfen die Behandlung nicht ganz links liegen las- wesen und sind sichere Vertriebswege. sen. Wenn weltweit rund 40 Millionen Menschen infi- ziert sind, davon 30 Millionen allein in Afrika, dann Wir sind entschlossen, während unserer EU-Präsi- kommt auch in Afrika der Behandlung eine zunehmend dentschaft einen Verhaltenskodex zu schaffen, der alle größere Bedeutung zu. EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, niemanden aus dem Gesundheitssektor – keinen Arzt, keine Krankenschwes- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Monika ter – in den Entwicklungsländern und insbesondere in Knoche [DIE LINKE]) den afrikanischen Staaten abzuwerben. Sie werden dort Frau Ministerin, Sie sagen, ein Viertel der Infizierten in für den Kampf gegen HIV/Aids gebraucht. Afrika habe Zugang zu Behandlung, und sprechen in diesem Zusammenhang von 800 000 Menschen. Das (Beifall im ganzen Hause) sind nach meiner Rechnung 3 Prozent der Infizierten Lassen Sie uns mit dem Aktionsplan im Rahmen un- und nicht 25 Prozent der Infizierten. Ich will damit die serer Präsidentschaften ein unübersehbares Zeichen für Erfolge, die wir im Kampf gegen Aids haben, nicht globale Humanität setzen! Wir wollen im Rahmen unse- kleinreden. Wir haben diese Erfolge, aber wir dürfen rer Präsidentschaften insbesondere den globalen Fonds auch nicht in Euphorie verfallen. Wichtig ist: Eine aus- zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Mala- reichende Behandlung senkt die Viruslast, und die Trä- ria finanziell unterstützen. Dieser Fonds leistet hervorra- ger des Virus werden damit weniger infektiös. Ich weiß gende Arbeit. Er hat seit seinem Bestehen 2002 auch, dass man mit solchen Aussagen vorsichtig umge- 1,5 Millionen Menschenleben gerettet – und jeden Mo- hen muss; denn wir wollen die Leute nicht dazu verlei- nat weitere 100 000 Menschen. Was gibt es Wichtigeres, ten, etwa auf ihren persönlichen Schutz zu verzichten. als dazu beizutragen, dass Menschen nicht sterben müs- Aber gerade in Ländern mit großer Promiskuität ist es sen? besonders wichtig, mehr auf die Behandlung zu setzen. 9014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Dr. Karl Addicks (A) Behandlung und Prävention sind komplementäre Maß- trag gegenstandslos. Mich würde es freuen, wenn dem (C) nahmen. Sie schließen einander nicht aus. wirklich so wäre; denn mir geht es nicht um unseren An- trag, sondern um die Menschen in Südafrika. Die haben (Beifall bei der FDP) das Recht, von einer kompetenten Regierung die Wahr- Ich möchte an dieser Stelle auf den Loyalitätskonflikt heit über Aids zu erfahren. hinweisen, in dem sich viele kirchliche Mitarbeiter be- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD finden, wenn sie sich nicht an die Anordnung aus Rom sowie bei Abgeordneten der LINKEN) halten und gegen diese Anordnung Kondome verteilen. Diesen mutigen Mitarbeitern möchte ich an dieser Stelle Wenn die Bundesregierung dann noch den interfrak- ausdrücklich danken und sagen: Machen Sie weiter so! tionellen Antrag, den wir heute verabschieden wollen, in ihren Aktionsplan integriert, dann sind wir im Kampf (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gegen Aids ein ganz gutes Stück weitergekommen. der LINKEN) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wiederhole an dieser Stelle auch meinen Aufruf an Rom: Geben Sie endlich den Kondomen Ihren Segen! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kondome sind ein wichtiges Mittel in der Prävention. Wir leben im Jahre 2007. Es kann nicht sein, dass wegen Vizepräsidentin Petra Pau: dieser Anordnung Kondome nicht so benutzt werden, Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Jens wie sie benutzt werden könnten. Das gilt übrigens für Spahn das Wort. alle religiösen Autoritäten in dieser Welt. Wir müssen das mit deutlicher Stimme in diese Richtung sagen. Jens Spahn (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Herr Kollege Addicks, wenn wir bei diesem Thema bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht so viele Gemeinsamkeiten hätten, wäre man fast versucht, zu sagen: Es ist Ihr Problem, dass Sie fortwäh- Ich komme nun zu unserem Südafrikaantrag. Frau rend bei allen möglichen Dingen, die wir als Koalition Ministerin, Sie schreiben in Ihrem Aktionsplan – ich zi- tun, das Haar in der Suppe suchen. – Aber das wollen tiere –: wir angesichts der großen Einigkeit, die wir bei diesem Das Engagement der politischen Führung eines Ko- Thema zumindest im Grundsatz haben, lassen. operationslandes ist dabei ein Schlüsselkriterium (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für den Erfolg oder Misserfolg einer Strategie. (B) NEN]: Dann müsst ihr Suppe ohne Haare ko- (D) Sie haben das hier gerade noch einmal gesagt. Da kön- chen!) nen wir Ihnen wirklich nur recht geben. Wir haben mit Ich jedenfalls bin der Bundesregierung sehr dankbar dem hier vorliegenden Antrag sehr frühzeitig und sehr dafür, dass sie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft deutlich die südafrikanische Regierung kritisiert, weil in und der G-8-Präsidentschaft dieses Thema an prominen- Südafrika eben nicht mit den gebotenen Maßnahmen ter Stelle – mit einer Konferenz in Bremen und im Rah- Aids bekämpft wird. Stattdessen setzte man dort auf Mi- men der Tagesordnung in Heiligendamm – behandelt neralstoffe und Vitamine. Wir hören aus Südafrika, dass und deutliche Zeichen setzt, dass nicht nur wir hier im immer noch nur 25 Prozent der 15- bis 24-Jährigen wis- Deutschen Bundestag uns mit diesem Thema beschäfti- sen, wie man sich gegen Aids schützt. Das ist für mich gen, sondern auch die Staats- und Regierungschef so- ein Versagen der Aufklärungs- und Präventionskampa- wohl der G 8 als auch der Europäischen Union. gne. Diese niedrige Aufklärungsrate kann überhaupt nicht verwundern, wenn selbst Minister glauben, dass Ich möchte jetzt vor allem auf die Situation hier in man sich mit Duschen nach dem Sex gegen Aids schüt- Deutschland und in Europa eingehen, während die Kolle- zen kann. Dazu fällt mir nichts mehr ein. gin Pfeiffer gleich insbesondere Entwicklungshilfefragen in den Blickpunkt rücken wird. Die Frage der Präven- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tion ist einer der wichtigen Punkte in dem Aktionsplan. der SPD) Wir können konstatieren, dass Deutschland eines der er- Da sind Sie als Bundesregierung gefordert, in sehr folgreichsten Länder auf der Welt gewesen ist, was Prä- deutlichen Worten, wie wir das in unserem Antrag gefor- vention angeht. Der Grund dafür ist, dass wir sehr früh dert haben, dieses Verhalten zu kritisieren. Eine Gele- – die entsprechende Debatte in den 80er-Jahren war genheit dazu ergibt sich jetzt unmittelbar. Wir hören, durchaus umstritten; ich selbst habe sie nur als Kind mit- dass der gambische Präsident glaubt, durch Handaufle- bekommen – öffentlich einen breiten Präventionsansatz gen Aids heilen zu können. Sie sollten in diese Richtung verfolgt haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche deutlich kritische Worte sagen. Aufklärung nimmt die Gesamtbevölkerung in den Blick, während sich die Deutsche AIDS-Hilfe und die Deutsche (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten AIDS-Stiftung insbesondere um die Risikogruppen küm- der CDU/CSU – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: mern. Wir fahren hin und erzählen ihm, wie es ist!) Trotz der erfolgreichen Arbeit in den vergangenen Es wird offenbar in Zukunft in Südafrika vernünftige Jahrzehnten müssen wir konstatieren, dass wir es auch in Politik betrieben werden. Damit wäre unser heutiger An- Deutschland mit neuen Phänomenen zu tun haben. Die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9015

Jens Spahn (A) Infektionszahlen sind zwar auf niedrigem Niveau; den- sieren; vielmehr geht es darum, die kommerziellen (C) noch steigen sie dramatisch: Sie steigen von Jahr zu Jahr Anbieter zu erreichen. zum Teil um 20 bis 30 Prozent. Im Jahr 2006 gab es nach offiziellen Angaben etwa 2 500 Neuinfektionen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Generation – ich habe gerade schon auf mein Ein noch wichtigerer Punkt ist die Forschung; denn Alter hingewiesen – konnte die Debatten der 80er-Jahre es geht darum, dieses Problem an der Wurzel zu packen. gar nicht bewusst wahrnehmen. Miterleben konnte sie Auch auf diesem Gebiet haben wir in den letzten dadurch auch nicht das große Sterben, das stattgefunden 20 Jahren eine ganze Menge erreicht. Ich wäre manch- hat, weil es keine medizinische Behandlung gab. Die mal froh, wenn diejenigen, die die Pharmaindustrie sonst Präventionsarbeit wird daher versuchen müssen, fort- gerne einmal schelten, anerkennen würden, was man mit während neu – wie es für Präventionsarbeit schlechthin vernünftiger Forschung in marktwirtschaftlichen Berei- typisch ist – anzusetzen, um neue Gruppen zu erreichen chen alles erreichen kann. Das gilt im Übrigen nicht nur und der jungen Generation Risikoverhalten klarzuma- für die Behandlung von HIV/Aids; im Rahmen der For- chen. schung sind auch ganz viele „Nebenprodukte“, was Vak- zine, Diagnostik und vieles andere angeht, entwickelt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und worden. Nichtsdestotrotz ist bei HIV/Aids bis heute nur der SPD) Linderung, nicht Heilung möglich. Für uns in Deutschland ist es eine neue Situation, dass Wir haben in Deutschland das Kompetenzzentrum die Zahl der infizierten Migrantinnen und Migranten HIV/Aids – darauf weist die Bundesregierung in ihrem steigt. Insbesondere die Frauen, die zu uns nach Deutsch- Aktionsplan hin; darauf weisen auch die Ministerien in land gekommen sind, erfahren oftmals erst hier von ihrer ihren Stellungnahmen hin –, das allerdings nur als Pro- Infektion. Diese Frauen kommen oftmals aus einem Kul- jekt gefördert wird. Dabei wird eine Kohorte, etwa turkreis, in dem das Thema „Sexualität“ und insbeson- 14 000 Patienten, über Jahre begleitet, und man schaut, dere das Thema „Infektionskrankheit“ tabuisiert werden. welche Entwicklungen es dort gibt. Frau Bundesministe- Unsere Präventionsarbeit muss auch diese Gruppen er- rin Schavan, ich wäre sehr dankbar, wenn es angesichts reichen. Der Aktionsplan enthält einen Ansatz, der da- der offensichtlichen Anerkennung im Aktionsplan für rauf abzielt, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bun- die erfolgreiche Arbeit dieses Kompetenzzentrums ge- deswehr auf unseren Auftrag hin zunehmend in Gebieten lingen könnte, diese wichtige Forschungs- und Grundla- zum Einsatz kommen, in denen sie mit dem Thema genarbeit auch im europäischen Rahmen fortzusetzen. „HIV/Aids“ konfrontiert sind. Wir wollen entsprechende Zudem möchte ich noch kurz den Blick nach Ost- Präventionsansätze unterstützen. (B) europa und auf das richten, was jenseits unserer östli- (D) Eine Selbstverpflichtung von Anbietern „anonymer chen Grenze passiert. Wir haben dort, wenn auch zum sexueller Kontakte“ – so heißt das offiziell –, ein in die- Teil auf niedrigem Niveau, aber doch in der Tendenz, sem Parlament durchaus strittiges Thema, sieht vor, Zahlen, wie wir sie aus den frühen Jahren im südlichen Kondome, Informationen und Gleitgel auszulegen. Ein Afrika kennen. Wie sich das weiterentwickeln wird – das Problem ist, dass solche Vorgaben oftmals nicht umge- gilt im Übrigen auch für andere übertragbare Krankhei- setzt werden. Im Zusammenhang mit dem Nichtraucher- ten, etwa Tuberkulose –, insbesondere in Russland, schutz debattieren wir darüber, ob es sinnvoll ist, dem wenn wir unsere Freunde und Partner dort nicht unter- Nichteinhalten von Selbstverpflichtungen gegebenen- stützen, etwa mit unseren Erfahrungen aus den 80er-Jah- falls gesetzliche Regelungen folgen zu lassen. Analog ren, was Präventionsarbeit angeht, können wir mit Blick dazu wollen wir, die Große Koalition, schauen, inwie- auf das südliche Afrika erahnen. Das ist für uns in der weit die angesprochene Selbstverpflichtung umgesetzt Europäischen Union nicht nur ein Stück weit Entwick- wird, insbesondere in den großen deutschen Städten, wo lungshilfepolitik – die ist auch wichtig –, sondern ein die Infektionszahlen stark steigen. Falls sie nicht umge- Stück weit auch Innenpolitik, weil es direkt unsere Gren- setzt wird, müssen wir über gesetzliche Regelungen zen und die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen nachdenken. Union betrifft. Das Gleiche gilt für die Ausrichter von Partys und die Mindestens genauso wichtig ist es – die Bundesminis- Betreiber von kostenpflichtigen Internetportalen, die ge- terin hat darauf hingewiesen –, mit unseren Freunden in zielt sexuelle Kontakte zwischen HIV-Positiven und der Europäischen Union das Thema tabufrei und offen -Negativen ermöglichen. Auch da muss man schauen, anzusprechen. Ich kann mich an Diskussionen mit ka- was durch eigenes Engagement in den entsprechenden tholischen Bischöfen in Polen erinnern, in denen wir als Bereichen möglich ist. Wenn dort aber nichts passiert, Mitglieder des Bundestages, als Vertreter der Bundesre- dann bin zumindest ich nicht bereit, dauerhaft zu akzep- publik Deutschland deutlich machen konnten: Man kann tieren, dass damit auch noch Geld verdient wird. dies tabufrei und offen diskutieren, man muss es sogar offen diskutieren; ansonsten kann man sowohl bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Prävention wie auch bei den weiteren Maßnahmen die der SPD) Probleme nicht bei der Wurzel packen. Dabei geht es nicht darum – ich sage das, bevor der Kol- Insofern bin ich froh darüber, dass wir heute hier dis- lege Beck und der Kollege Parr in ihren Reden entspre- kutieren. Das setzt ein deutliches Zeichen. Ich finde es chende Andeutungen machen –, Einzelne zu kriminali- richtig, dass die Große Koalition mit dem Aktionsplan, 9016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Jens Spahn (A) aber auch mit unserem Antrag diese Schritte geht, und Aids ist in der Realität keineswegs überwunden. Es ist (C) würde mich über Unterstützung durch die Opposition eine immer noch bestehende Gefahr, die wir deutlich be- freuen. nennen müssen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Dies gilt gerade im Zusammenhang mit der Zwangs- Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die prostitution. Hiervor sind wir in Deutschland nicht ge- Fraktion Die Linke. schützt. Von ihr sind häufig osteuropäische Frauen be- troffen, die darüber hinaus noch von Drogen abhängig (Beifall bei der LINKEN) gemacht wurden. Auch Sextourismus spielt eine ganz große Rolle. Es wird also weiterhin nötig sein, die gängi- Monika Knoche (DIE LINKE): gen und allzu wohlfeilen Tabus in Deutschland zu bre- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Da- chen und Beschwichtigungsversuchen wie, wir hätten men! Trotz aller Erfolge, die wir vorweisen können: mit der Entwicklung nichts zu tun oder seien aufgrund HIV/Aids ist nachgerade die größte humanitäre Heraus- der medizinischen Erfolge auf der sicheren Seite, entge- forderung unserer Zeit. Sie ist es geblieben, obwohl wir genzuwirken. in Westeuropa und in Nordamerika deutliche Erfolge er- zielen konnten. Gerade in Afrika und in den asiatischen Europa ist größer geworden. In Osteuropa gibt es Staaten wächst die Zahl der Neuinfektionen. Wir müssen viel weniger Möglichkeiten zur Behandlung dieser Er- auf Afrika schauen. Es gibt insgesamt 40 Millionen krankungen. Vor allen Dingen ist dort eine ganz andere Menschen, die mit HIV/Aids leben, und schon 25 Millio- Einstellung vorhanden: Denken wir nur an die HIV-infi- nen Aidswaisen. Von daher wissen wir, dass die Auswir- zierten Menschen, die dort in Haftanstalten sitzen. Auch kungen in den Familien und in den Gesellschaften oft aus der Rolle, die die Ukraine im Zusammenhang mit dramatischer sind als die von Kriegen; denn es werden Drogenabhängigkeit und Prostitution in den skandinavi- ganze Generationen ausgelöscht. Die Gesellschaften ver- schen Ländern spielt, wird deutlich: Die Tore sind nicht lieren Zukunftsperspektiven und wirtschaftliche Grund- zu. Die Situation ist nämlich wesentlich anders als vor lagen zu ihrer Entwicklung. 20 Jahren, als wir uns nur hier in Deutschland mit ihr zu beschäftigen hatten. Nun sind die Grenzen in zusam- Deshalb ist es in einem ganz umfassenden Sinne menwachsenden Europa durchlässiger geworden. Das wichtig, dass wir als Politiker und Politikerinnen hier im gilt insbesondere für diese hochgefährliche Infektions- (B) Hause, ob in der Entwicklungs-, Gesundheits-, Außen- krankheit. Wir können uns also nicht ausruhen. (D) oder Wirtschaftspolitik, den Faktor HIV-Prävention und -Behandlung in den Fokus all unserer Politiken nehmen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und uns klarmachen, wie zentral es ist, diesen Ländern neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ zu helfen, aus dieser ganz großen Notlage herauszukom- DIE GRÜNEN) men. Ich möchte an dieser Stelle Frau Dr. Rita Süssmuth (Beifall bei der LINKEN) erwähnen, die zusammen mit den Selbsthilfeorganisatio- nen, den Schwulenverbänden und mutigen Politikerin- Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan vorge- nen und Politikern in den Kommunen erreicht hat, in legt. Dazu kann ich nur sagen: Anerkennung, wem Aner- Deutschland ein Klima zu schaffen, das der Aufklärung kennung gebührt. Er hat eine sehr schöne Sprache. Er den Vorrang gibt und geholfen hat, die Stigmatisierung bringt deutlich zum Ausdruck, dass es gelungen ist, in zu überwinden. Tun wir nicht so, als seien wir schon im- Deutschland einen kulturintegrierten, antidiskriminie- mer so aufgeklärt gewesen. Es war in Deutschland auch renden Zugang zur Arbeit mit HIV/Aids zu finden. Er schon einmal ganz anders. Die Lage würde ganz anders nennt alle riskanten Verhaltensweisen und Lebensum- aussehen, wenn sich damals die bayerische Seite durch- stände, die dazu führen, dass sich HIV/Aids verbreitet. gesetzt hätte, die die Separierung und Isolierung von In- Er benennt die sexuelle Selbstbestimmung der Frau als fizierten verlangt hatte. Tun wir also nicht so, als seien einen der wichtigsten Faktoren, nicht nur in Deutsch- wir schon immer Vorreiter des Humanitären in dieser land, sondern ganz besonders in Afrika, um die Ausbrei- Frage gewesen. tung dieser Krankheit zu verhindern. Er spricht über Sa- fer-Sex-Methoden, darüber, dass sie angewandt werden Ich möchte nun noch einmal den Fokus darauf richten müssen und dass auch die jungen schwulen Männer in – das halte ich für ganz wichtig –, was in diesem ansons- Deutschland wieder Zugang zu der Notwendigkeit von ten sehr guten Bericht der Regierung fehlt. Auch in Safer-Sex-Praktiken finden, weil durch die Tatsache, Deutschland nimmt die Zahl sogenannter illegalisierter dass wir durch innovative Medikamente gute Behand- Migrantinnen und Migranten zu. Etwa 17 Prozent von lungserfolge haben, offenkundig das Bewusstsein dafür diesen kommen aus Hochprävalenzstaaten, also aus verloren gegangen ist, dass es sich noch immer um eine Staaten, in denen man mit einer hohen Zahl an HIV-In- tödlich verlaufende Krankheit handelt. Bei Beschreibun- fektionen rechnen muss. Sie haben aufgrund ihres Status gen der Risiken dürfen wir nicht in Hysterie verfallen, keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und sind aber wir müssen unserer eigenen Gesellschaft und insbe- nicht für Primär- und Sekundärprävention ansprechbar. sondere der Jugend gegenüber deutlich machen: HIV/ Ihnen muss meines Erachtens die Bundesregierung deut- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9017

Monika Knoche (A) lich sagen: Ihr alle bekommt einen freien, anonymen Zu- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) gang zur medizinischen Versorgung in Deutschland. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Motto der Weltaidstage in den Jahren 2005 und 2006 (Beifall bei der LINKEN) hieß: „Gemeinsam gegen Aids: Wir übernehmen Verant- Dieses Angebot müssen wir machen, denn diese Men- wortung für uns selbst und für andere“. Anknüpfend an schen brauchen unsere Hilfe. Es nutzt letztlich auch der dieses Motto möchte ich heute hier festhalten, dass es Gesamtgesellschaft, wenn wir diese nichtintegrierten bei dem Thema Prävention von HIV/Aids viele Ge- Menschen in unser Gesundheitsversorgungsprogramm meinsamkeiten im Parlament gibt. Der Vortrag von Frau aufnehmen. Süssmuth auf der Bremer Konferenz hat – das wurde schon angesprochen – deutlich gemacht, wie wir am An- Ein Weiteres ist mir noch ganz wichtig. Ich weiß, dass fang, vor mehr als zwei Jahrzehnten, in der Bundesrepu- man die Rolle der Pharmaindustrie bei Forschungsin- blik über das Thema diskutiert haben. Vor diesem Hin- novationen nicht unterschätzen sollte. Sie hat da Großar- tergrund muss man ausdrücklich würdigen, dass wir tiges geleistet. Aber ihre großartigen Forschungserfolge gemeinsam zu den Grundüberzeugungen gekommen belegt sie zugleich mit Patenten gemäß einem Patentrecht, sind, dass es um Information, Aufklärung, Freiwilligkeit, das nicht nur in Deutschland und Westeuropa die Behand- Vertrauen in verantwortliches Handeln der Betroffenen, lungskosten in die Höhe treibt. Wenn in Osteuropa das Zusammenspiel von bundesweiten Kampagnen und 1 Prozent der HIV-Infizierten behandelt würde, wären zielgruppenspezifischen Angeboten sowie die aktive Be- schon 10 Prozent des Gesamtbudgets des Gesundheits- teiligung von Gruppen mit besonderen Risiken wie etwa wesens der betroffenen Länder aufgefressen. Das zeigt, Schwule, Bisexuelle oder Migranten und Migrantinnen wie schnell die Patentfrage bei diesen antiretroviralen geht. Es geht darum, zielgruppenorientiert über Schutz- Medikamenten zu einer sozialen Frage und zu einer Ge- verhalten bei Sexualpraktiken, die nicht als allgemein rechtigkeitsfrage wird. Das wird sich noch viel dramati- üblich angesehen werden, aufzuklären. scher in asiatischen Staaten, wie zum Beispiel Indien Trotzdem hat – auch das wurde hier schon deutlich – oder Thailand, auswirken. Dort muss man heute mit das Thema Aids weder international noch national an ganz abstrusen Situationen leben: Das TRIPS-Abkom- Bedeutung verloren. Steigende Neuinfektionsraten men verlangt nämlich, auch in diesen Staaten dem auch in Deutschland machen den Handlungsbedarf deut- Patentrecht Geltung zu verschaffen. Selbst Entwick- lich. Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich, lungsländer müssen binnen der nächsten Dekade das dass die Mittel für die Aidsprävention ab diesem Jahr TRIPS-Abkommen umsetzen. Das heißt, die Patente der deutlich erhöht werden. Ich füge hinzu: Daran sollten Pharmaindustrie würden dann weltweit gelten. Das be- sich auch Länder und Kommunen ein Beispiel nehmen (B) schränkt den Zugang zu hochinnovativen Medikamenten und die Prävention stärken, statt in diesem Bereich zu (D) und damit die Behandlungsmöglichkeiten. Das kann es kürzen. nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deshalb liegt die Bundeskanzlerin – ich muss das sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. zum Schluss sagen – völlig daneben, wenn sie als G-8- Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]) Ratspräsidentin den Schutz des geistigen Eigentums als vorrangiges Ziel beschreibt, weil sie nicht realisiert, dass Aber – das kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kol- das in eklatantem Widerspruch zu den Zielen steht, die lege Spahn – neben den Gemeinsamkeiten gibt es auch in der Bremer Erklärung vereinbart worden sind. Wenn Trennendes. Dazu gehört Ihr Griff in die Mottenkiste der man weltweit den Kampf gegen HIV/Aids auch mit Me- Repression mit Ihrem Vorschlag, man möge den dikamenten führen will, dann muss man das Patentrecht Straftatbestand der fahrlässigen Gefährdung durch die überwinden und sich den Ideen des Nobelpreisträgers Verbreitung einer sexuell übertragbaren Krankheit schaf- Stigler anschließen: nicht Patente auf Innovationen, son- fen. dern Preisgelder. Denn dieses Wissen, dieses Know-how muss der ganzen Menschheit zur Verfügung stehen, da- Natürlich gibt es in diesem Bereich einiges zu tun. mit niemand von einer bestmöglichen Behandlung aus- Wir wissen, dass Menschen, die andere in Kenntnis ihrer geschlossen wird. Infektion infizieren, sich strafbar machen. Das ist also nicht das Problem. Wenn Sie es ernst damit meinen, dass Danke schön. es Ihnen letztlich um das Ziel geht, Infektionen zu ver- meiden, dann schauen Sie einmal auf die Länder, die da (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller bereits tätig geworden sind, nämlich die Schweiz und [CDU/CSU]: Nach Ihrer Methode wäre das Österreich. In Deutschland wurden im Jahr 2005, in Medikament überhaupt nie entdeckt worden! – Zahlen ausgedrückt, 32 Neuinfektionen auf 1 Million Gegenruf des Abg. Dr. Karl Addicks [FDP]: Einwohner und Einwohnerinnen gemeldet. Wir sind uns Genau! Es hätte niemand Forschung ge- darüber einig, dass jede dieser Infektionen eine zu viel macht!) ist. Aber in der Schweiz sind es nicht 32, sondern 95, und in Österreich sind es 55. Jetzt sagen Sie mir einmal, Vizepräsidentin Petra Pau: warum wir uns an diesen Ländern ein Beispiel nehmen sollten! Dafür gibt es keinen Grund. Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin Birgitt Bender das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 9018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): (C) Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- des Kollegen Spahn? ben hier erst am 1. Dezember eine Debatte zu HIV/Aids geführt, haben viele Aspekte angesprochen und uns viel Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vorgenommen. Ich bin sehr froh, dass es nicht nur bei Ja. Worten geblieben ist, sondern dass die Bundesregierung inzwischen auch gehandelt hat. Wir haben gesehen, dass es sowohl in Deutschland als auch in der Welt mehr Geld Jens Spahn (CDU/CSU): für die Bekämpfung von HIV/Aids und neue Programme Frau Kollegin Bender, sind Sie bereit, anzuerkennen, gibt. dass ich gerade, wie auch bei der letzten Debatte, wieder sehr deutlich gesagt habe, dass es nicht darum geht, im Am 12. und 13. dieses Monats bin ich in Bremen ge- Strafgesetzbuch den Einzelnen zu kriminalisieren, son- wesen und habe erleben dürfen, wie die europäischen dern um Repressionen gegen kommerzielle Anbieter, die Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister in damit Geld verdienen, dass sie Angebote machen, durch einer von mir bisher nie gesehenen Zahl versammelt wa- die Positive und Negative bewusst miteinander in sexu- ren und dieses Thema durch ihre persönliche Präsenz ellen Kontakt gebracht werden? Sind Sie auch bereit, an- und ihr persönliches Engagement zu ihrer gemeinsamen zuerkennen, dass selbst die Aidshilfe in Österreich sagt: Sache in Europa gemacht haben. Das war beeindru- „Das ist ein Mittel, das uns darin unterstützt, gegen sol- ckend. che Anbieter entsprechend vorgehen zu können“? Auch der Generalsekretär von UNAIDS, Peter Piot, hat dies anerkannt. Er hat ein wenig ironisch gesagt: Es Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist schön, dass, nachdem die afrikanischen Staaten, die Ich fordere Sie auf, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ös- Afrikanische Union, die asiatischen Staaten und Ame- terreich in der Vermeidung von Neuinfektionen bisher rika jeweils ein gemeinsames Konzept haben, auch die leider weniger erfolgreich ist. Staaten in Europa nicht nebeneinander arbeiten, sondern eine gemeinsame, koordinierte Vorgehensweise entwi- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist ja auch nicht ckeln und hierdurch Synergieeffekte beleben und nutzen das einzige Mittel, um das es geht!) wollen. – Das alles ist sehr positiv, und damit ist unter Das heißt, diese Vorgehensweise hat nicht wirklich ge- deutscher Ratspräsidentschaft begonnen worden. Dafür holfen. Es geht doch letztlich darum – denn es gehören danke ich der Bundesregierung. mehrere dazu –, welche Menschen sich diesen Praktiken (B) ohne Schutz aussetzen. Bisher haben wir auf die Selbst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) verantwortung der Betroffenen gesetzt. Das sollten wir der CDU/CSU) auch weiter tun; sonst werden wir uns unglaubwürdig Besonders eindrucksvoll war, dass sehr viele Reprä- machen. sentanten der Gesundheitssysteme aus Osteuropa anwe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) send waren, sie einbezogen wurden und hier einmal wie- der ein Problem ganz offen angesprochen wurde. Das Der Aktionsplan enthält positive Elemente. Zum hat auch Rita Süssmuth in Bremen sehr schön darge- Beispiel ist es richtig, dass jetzt auch Migranten und Mi- stellt, als sie über die 80er-Jahre sprach. Damals wurde grantinnen als Betroffenengruppe in den Aktionsplan zugegeben: Ja, HIV/Aids ist ein Problem in unserem aufgenommen werden. Aber er hat natürlich auch Leer- Land. Das war damals in Deutschland der erste und stellen. Zum Beispiel drückt man sich darum herum, für wichtigste Schritt. Genauso ist es in der Ukraine, in drogenkonsumierende Menschen eine heroingestützte Russland, im Kaukasus und in Zentralasien. Überall Behandlung vorzusehen. Eine solche ist in der Fach- dort, wo die Regierungen dieses Problem zu ihrer Sache szene absolut unumstritten. Ich weiß, es ist schwierig, machen, sind wir ein großes Stück weiter. Dort kann eine dies in der Union umzusetzen. Aber dazu kann ich nur vernünftige Strategie umgesetzt werden, die nicht zu ei- sagen: Sie werden sich da bewegen müssen. Alles an- nem Nebeneinander, sondern dazu führt, dass man ge- dere ist nicht verantwortlich. meinsam hinschaut, wo Aids bzw. HIV seinen Nährbo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den findet. Insofern hoffe ich, dass wir es doch noch schaffen, bei Ich habe gestern eine weitere Veranstaltung besucht. der Aidsprävention insgesamt wieder zu Gemeinsamkeit Diese Veranstaltung fand einige 100 Meter entfernt von zu kommen und an ausstehenden Verbesserungen zu ar- hier in dem Gebäude statt, in dem Robert Koch vor ge- beiten. nau 125 Jahren die Entdeckung des Tuberkuloseerregers bekannt gegeben hat. Die Tuberkulose ist eine der wich- Danke schön. tigsten Todesursachen. Am HIV-Virus stirbt man nicht direkt. Er baut sich in das Erbgut ein; damit kann man le- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben. Viele Menschen leben damit und sind jahrzehnte- lang nie krank gewesen. Sie sterben an Infektionskrank- Vizepräsidentin Petra Pau: heiten. Sie sterben an Hunger. Sie sterben immer dann, Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg für die wenn sie dadurch geschwächt werden, dass weitere Fak- SPD-Fraktion. toren hinzukommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9019

Dr. Wolfgang Wodarg (A) Wenn wir die Aidstoten zählen, dann zählen wir Vizepräsidentin Petra Pau: (C) gleichzeitig die Verhungerten, dann zählen wir gleich- Das Wort hat der Kollege Detlef Parr für die FDP- zeitig die an Tuberkulose Gestorbenen, und dann zählen Fraktion. wir gleichzeitig all die, die an vielen Infektionskrankhei- ten gestorben sind, gegen die wir nichts tun. Detlef Parr (FDP): Es war beschämend, gestern zu hören, dass es seit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, dass HIV/Aids in Deutsch- 40 Jahren gegen die Armutskrankheit Tuberkulose keine land vor dem Hintergrund der Neuinfektionen ein neuen Medikamente gibt. Wo ist da die Pharmaindus- Thema bleiben muss. Überreaktionen sind aber fehl am trie? Wo ist da die Forschung? Wo ist das Engagement Platze. Eine solche wäre die Verschärfung des Straf- für diese Erkrankung, die jeden Tag circa 4 500 Tote for- rechts zum Beispiel gegenüber kommerziellen Einrich- dert? tungen für sexuelle Begegnungen; die Barebacking-Par- Wir haben immer noch diese lächerlich wenigen Me- tys wurden als Beispiel genannt. dikamente, die zum Glück schon ein wenig helfen, ge- Die Bundesregierung setzt zu Recht auf eine Beteili- gen die es aber immer mehr Resistenzen gibt. Da gilt es, gung an der Präventionsarbeit anstelle von Sanktionen. etwas zu tun. Von der Industrie wurde gesagt, es seien Eine Intensivierung der Aufklärungsarbeit tut not. HIV/ 27 neue Medikamente in der Pipeline. Das ist das, was Aids bleibt eine lebensbedrohende Krankheit. Deshalb man sagt, wenn man möchte, dass die Aktienkurse stei- begrüßen wir die Absichtserklärung im Aktionsplan, die gen. Das werden alles Medikamente sein, die patentge- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das schützt sind und die sich keiner leisten kann in den ar- Robert-Koch-Institut personell und finanziell zu stärken. men Ländern, dort, wo die Tuberkulose zuhause ist. Wann und in welcher Höhe das geschieht, wäre span- nend zu wissen. Viel Zeit dürfen wir dabei nicht verstrei- Wir haben eine große Verantwortung aufgrund der chen lassen. Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Deshalb ist es wichtig, dass wir in Genf, wo jetzt der Konflikt (Beifall bei der FDP) zwischen öffentlichem Gesundheitssystem einerseits Von der Aufstockung der Mittel auf 400 Millionen und geistigem Eigentum und den Rechten der Erfinder Euro im Jahr 2007, die lobenswert ist, müssen auch natio- andererseits verhandelt wird, einen Weg finden. Es kann nale Initiativen profitieren; denn viele kommunale und nicht sein, dass, weil die Aktienkurse steigen sollen, mit lokale Projekte zeigen hervorragende Ergebnisse. Was Patenten spekuliert und Wissen zurückgehalten wird, um die biomedizinische und sozialwissenschaftliche For- ein Monopol aufrechtzuerhalten, Tausende von Men- schung angeht, begrüßen wir die Ankündigung des Kol- (B) schen sterben. Das geht nicht. legen Spahn, das Kompetenznetz aus der Projektförde- (D) rung herauszunehmen und künftig institutionell zu (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem fördern. Ich hoffe sehr, dass sich das positiv im Haus- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haltsplan niederschlägt. Allerdings spricht die geplante Wir werden einen Weg finden müssen. Ich fordere, Absenkung der Fördermittel von 3 Millionen Euro auf dass immer dann, wenn es um neue Impfstoffe oder Me- 1 Million Euro ab Ende 2007 leider eher dagegen. dikamente gegen gefährliche Seuchen wie Aids, Tuber- Einem Bereich widmen wir meines Erachtens zu we- kulose, Virusgrippe oder Malaria geht, ein offenes, ko- nig Aufmerksamkeit: den Gefährdungen in Haftanstal- operatives weltweites Netz alle Informationen, die die ten. Da gibt es erhebliche Defizite, zum Beispiel bei der Forschung aufbereitet hat – ähnlich wie beim Human Substitutionsbehandlung. Oft führt eine Inhaftierung Genome Project –, zur Verfügung haben muss, damit zum Abbruch, und die Häftlinge erhalten keine kontinu- ganz schnell möglichst viele mitdenken und helfen kön- ierliche Behandlung mehr. So weist diese Gruppe nen und die Medikamente sofort ohne finanzielle Barrie- 48 Stunden nach der Entlassung zurück in die Szene die ren den Menschen zur Verfügung gestellt werden kön- höchste Todesrate auf. Das ist eine alarmierende Zahl. nen. Das ist fahrlässig, meine Damen und Herren. Da dürfen wir nicht länger tatenlos zusehen. Das geht nur, wenn die Forschung öffentlich gefördert wird. Da müssen wir uns sehr anstrengen. Das muss so- (Beifall bei der FDP und der LINKEN) fort ins Netz, das muss sofort genutzt werden können. Schade ist auch, dass die kontrollierte Heroinver- Diese Forschung muss öffentlich gefördert und bezahlt gabe an Schwerstabhängige nach den Ergebnissen der werden, damit auch bei den Erkrankungen etwas ge- Modellversuche von der Bundesregierung nicht erwähnt schieht, mit denen man kein Geld verdienen kann. wird. Wir wollen diesen kleinen Personenkreis nicht im Stich lassen Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sie uns in Genf und anderswo in diesem Sinne vertritt. (Zuruf von der SPD: Wir auch nicht!) Vielen Dank. und haben deshalb einen fraktionsübergreifenden Ge- setzentwurf zur Übernahme in die Regelversorgung ein- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie gebracht. Ich möchte an dieser Stelle die Kolleginnen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE und Kollegen von der SPD bitten, im Interesse dieser GRÜNEN) Menschen den fast gleichlautenden Antrag fallen zu las- 9020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Detlef Parr (A) sen und dem Gruppenantrag beizutreten. Letzteres gilt (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (C) natürlich auch für die Union. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Prävention bedeutet vor allem auch Aufklärung. Aber bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE genau hier stoßen wir ganz schnell an Grenzen. Es fehlt GRÜNEN) gerade in den Entwicklungsländern an Infrastruktur, und Uns in Deutschland muss auch die wachsende HIV- es fehlt an Kommunikationsmitteln. Prävention bedeutet Problematik in Grenzregionen durch Prostitution, Dro- Verhalten ändern. Prävention bedeutet Traditionen auf- gen- und Menschenhandel berühren. Das EU-Projekt brechen. Prävention bedeutet auch Zugang zu Kondo- „Bordernet“ ist ein gutes Beispiel für grenzüberschrei- men. Diese – das wissen wir – stehen nicht in ausrei- tende Präventionsdiagnostik und Therapiemaßnahmen. chender Anzahl zur Verfügung. Sechs Kondome pro Die Bundesregierung tut gut daran, diese Erfahrungen Mann und Jahr in Afrika sind schlechthin zu wenig. Das aufzunehmen und weiterzuverbreiten. Schlimmste an dem Ganzen für mich persönlich ist, dass die Nutzung des Kondomes allein der Mann bestimmt. Meine Damen und Herren, wir sind uns bei der Be- Ich finde es wichtig, dass wir Verhütungsmethoden ha- kämpfung von HIV/Aids sowie anderer Infektionskrank- ben, die von Frauen selbstbestimmt genutzt werden kön- heiten wie Hepatitis C, Tuberkulose und Malaria in vie- nen, wie zum Beispiel Femidome oder Mikrobizide. lem einig. Eine rechtliche Besserstellung HIV/Aids- Kranker im Sozialgesetzbuch gegenüber anderen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Schwerkranken sowie Sonderregelungen beim Aufent- der SPD) haltsrecht, wie die Grünen sie fordern, lehnen wir Libe- Hinzu kommt, dass wir in diesem Bereich wirklich ralen allerdings ab. über Intimitäten sprechen, die weitestgehend tabuisiert (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sind. Deshalb brauchen wir in diesem Zusammenhang der CDU/CSU) eine ausgeprägte Sensibilität bei der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Folgerichtig ist es normal, Jetzt geht es in die weitere Beratung des Aktions- dass wir mit den Partnerländern direkt zusammenarbei- plans. Gut, dass wir intensiv am Thema arbeiten. Wir ten und dass wir die Programme, die sie zusammen mit müssen mehr tun, als am Weltaidstag Symbolpolitik zu den Nichtregierungsorganisationen erstellen, unterstüt- betreiben. zen. Nur so können wir einen den Kulturen angemesse- (Beifall bei der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: nen Kampf aufnehmen. Wir können mit ihnen zielad- Deswegen machen wir ja heute weiter!) äquat zusammenarbeiten, nämlich zielgenau Mädchen und Frauen ansprechen. (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Ministerin, Sie haben es hier eben noch einmal Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die betont: Danke dafür, dass Sie weiterhin an der Mikrobi- Unionsfraktion. zidforschung festhalten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir trotz der Rückschritte genau dies tun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): neten der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als Zweites die Bildung nennen. Bil- Aids hält die Welt im Würgegriff. Die Entwicklungslän- dung ist erwiesenermaßen ein wirksamer sozialer Impf- der leiden ganz besonders darunter. Aids ist wie ein stoff gegen HIV/Aids. Bildung und Schulen legen den weltweites Puzzle. Ursache, Wirkung und Bekämpfung Grundstock für die Gleichberechtigung von Mann und sind sehr facettenreich und müssen gesamt betrachtet Frau. Kinder und Jugendliche lernen, mit HIV/Aids um- werden. Man könnte meinen, nach fast einer Stunde De- zugehen. Sie lernen aber auch, dass sie in einer ganz batte sei schon alles gesagt. Ich erlaube mir als Entwick- schwierigen Situation sind. Denn sie erleben jetzt, dass lungspolitikerin trotzdem, fünf Schwerpunkte in der Ent- die mittlere Generation ihrer Gesellschaft ausstirbt. Ich wicklungszusammenarbeit hervorzuheben, weil ich denke an die 15 Millionen Aidswaisen, die jetzt in den glaube, dass es wichtig ist, sie besonders zu betonen. Entwicklungsländern aufwachsen. Da befindet sich viel Der Aktionsplan nimmt auf all diese Aspekte Rück- sozialer und wirtschaftlicher Sprengstoff, der kaum in sicht. Ich glaube, es ist wichtig, dass der Aktionsplan so, den Griff zu bekommen ist. wie er gestaltet ist, von allen beteiligten Ministerien zusammen gestaltet worden ist, Frau Wieczorek-Zeul: Lassen Sie mich als drittes Thema die Frauen nen- vom Entwicklungsministerium, vom Gesundheitsminis- nen. HIV/Aids hat ein weibliches Gesicht. Armut hat ein terium und vom Forschungsministerium. Ich glaube, da- weibliches Gesicht. Gesellschaftliche Benachteiligung mit haben wir ein Zeichen gesetzt. Das ist gut so. hat ein weibliches Gesicht. Frauen sind die Stütze der Gesellschaft, auch in den Entwicklungsländern. Und Lassen Sie mich als Erstes die Prävention nennen. Frauen sind die Verliererinnen. Ich denke an Genitalver- Sie spielt eine ganz zentrale Rolle bei der Bekämpfung stümmelung, ich denke an Fistula, ich denke an Brustbü- von Aids, und das gerade in den Entwicklungsländern; geln, ich denke an Gesichtsverätzungen von Frauen und denn, liebe Freunde, Vorbeugen ist immer besser als ich denke an Zwangsabtreibungen. Man kann diese Liste Heilen. noch lange fortsetzen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9021

Sibylle Pfeiffer (A) Frauen haben einen niedrigen sozialen Status. Ihre Ausdruck gebracht hat. Es ist richtig, dass die Bekämp- (C) ökonomische Abhängigkeit ist vor allen Dingen eine se- fung von HIV/Aids auf allerhöchster Ebene angesiedelt xuelle Abhängigkeit. Frauenrechte sind Menschen- ist. rechte. Die Stärkung der Frauenrechte ist eng mit der Frage der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Der Aktionsplan ist für meine Begriffe auch ein Aus- Rechte zusammenzusehen. Frauen sollen selber ent- druck unserer Solidarität mit den betroffenen Ländern scheiden, von wem, wann und wie oft sie schwanger und mit den betroffenen Menschen. Ich glaube, es ist werden wollen. Auch hierzu gibt es Passagen im Ak- notwendig und richtig – zumindest bei uns ist das so –, tionsplan. dass wir gemeinsam daran arbeiten. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf etwas hinwei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sen: Im Zuge der G-8-Präsidentschaft veranstalten wir in neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Berlin am 30. und 31. Mai zusammen mit dem EPF, der GRÜNEN) DSW und unserem Parlamentarischen Beirat der DSW Lassen Sie mich noch auf das Thema sexuelle und ein Parlamentariertreffen. Sie alle sind herzlich dazu reproduktive Gesundheit eingehen. Die Verknüpfung eingeladen. Wir werden Gäste aus insgesamt 120 Län- dieses Themas mit Maßnahmen zur HIV/Aids-Bekämp- dern haben, und wir werden, wie ich denke, genauso fung ist richtig. Es freut mich, dass gerade dieser Punkt viele Besucher haben. Das ist eine große Aufgabe für im Aktionsplan genannt wird. Denn es stellt sich die uns alle, die es zu bewältigen gilt. Es ist unser aller Auf- Frage: Verhindert ein Kondom eine Schwangerschaft, gabe, uns dieses Themas anzunehmen. oder schützt es vor Infektionen? Ich finde, das alles ge- Vielen Dank. hört zusammen. Deshalb muss das Thema reproduktive und sexuelle Gesundheit und Rechte mit der Bekämp- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fung von HIV/Aids und den entsprechenden Program- men direkt verbunden sein. Vizepräsidentin Petra Pau: Noch ein Punkt, der mich sehr bewegt, weil ich Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Frak- glaube, dass wir noch gar nicht wissen, was da alles auf tion Bündnis 90/Die Grünen. uns zukommt. Es geht um das Abwandern von Fach- kräften; Frau Ministerin hat es schon erwähnt. Die Fol- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen dieser Migration werden absolut unterschätzt. Die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine besteingerichteten Krankenhäuser und Gesundheitssta- zentrale Schwierigkeit der Aidspolitik ist, dass Politiker tionen vor Ort in den Entwicklungsländern nützen über- in diesem Politikfeld über Sexualpraktiken und über Re- (B) haupt nichts, wenn Krankenschwestern, Hebammen, alitäten von Drogengebrauch in einer Form sprechen (D) Ärzte und Ärztinnen fehlen. In Manchester arbeiten zur- müssen, die sich nicht für Sonntagsreden eignet. Das zeit mehr malawische Ärzte als in ganz Malawi. Das merkt man an der innenpolitischen Debatte. In Deutsch- muss man sich einmal vorstellen. Daher muss ein Zei- land hat man das in den 80er-Jahren sehr deutlich ge- chen gesetzt werden, und wir müssen entsprechend han- merkt. Ich finde, man merkt es auch an der aktuellen De- deln. Frau Ministerin hat es angekündigt. Auf der Ebene batte über strafrechtliche Forderungen und an dem der G 8 und der EU wird gehandelt. Ich glaube, das ist Umgang von Politikern in Entwicklungsländern mit dem richtig und gut. Thema Aids. Die Politiker in diesen Ländern agieren zum Teil völlig irrational und zum Schaden ihres Landes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und ihrer Bevölkerung. neten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Problem ist nicht allein in Deutschland zu lösen. Natürlich müssen wir Ansätze bieten, aber es ist vor al- Lassen Sie mich kurz etwas Weiteres zur Innenpolitik len Dingen auf europäischer Ebene in den Griff zu be- sagen. Ich finde, wir sollten die Debatte über das Straf- kommen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon recht liegen lassen und uns überlegen, wie wir Umge- aus, dass allein in Afrika 4 Millionen Fachkräfte künftig bungen für Sexualkontakte schaffen können, wo Men- fehlen. Wir profitieren davon, dass diese Fachkräfte bei schen Präventionsmaterialien zur Verfügung gestellt uns sind. Das ist nicht stimmig. Deshalb, glaube ich, ist bekommen und wo sie vor allen Dingen realistische es wichtig, dass wir über genau diesen Verhaltenskodex Analysen ihrer Gefährdungssituation erhalten. Da, wo reden und wissen, was wir in diesem Zusammenhang heute mehr Infektionen als früher stattfinden, ist das der tun. Fall, weil die Menschen glauben, dass sie sicher sind, obwohl sie sich in einer Situation befinden, in der sie Deutschland engagiert sich weltweit in rund 50 Ent- sich mit HIV infizieren können. Darauf müssen wir sie wicklungsländern bei der Bekämpfung von HIV/Aids, hinweisen. aber auch Tuberkulose und Malaria. Für diese Aufgabe sind 400 Millionen Euro angesetzt; es gibt entspre- Hier dürfen wir keine Tabus aufbauen. chende Erhöhungen. Wir machen HIV/Aids zu einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zentralen Thema – das finde ich wichtig – bei der EU- sowie des Abg. Detlef Parr [FDP]) Ratspräsidentschaft und beim G-8-Vorsitz. Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie in Bremen un- Daher darf Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, dem missverständlich die hohe Priorität von HIV/Aids zum Gesundheitsministerium und der BZgA nicht vorschrei- 9022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Volker Beck (Köln) (A) ben, dass bestimmte sexuelle Aufklärungsmaterialien im sexualität auch ein gesundheitspolitisches Problem für (C) Internet nicht frei verfügbar gemacht werden. Wenn wir ihre Länder darstellt. bei der Prävention ein Blatt vor den Mund nehmen und nicht über alle Praktiken so informieren, dass die Men- Vizepräsidentin Petra Pau: schen wissen, wie sie sich in welcher Situation, bei der Kollege Beck, das ist ein sehr wichtiges Thema; aber Leidenschaft, die ihnen nun einmal zu eigen ist, schützen Sie müssen jetzt trotzdem zum Schluss kommen, bitte. können, dann haben wir den Kampf um die Reduzierung der Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland schon ver- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): loren. Ich möchte dafür werben, dass Sie mit uns zusammen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer anderen Strategie kommen. sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist ganz zentral, dass wir merken, dass im Zeitalter sowie bei Abgeordneten der SPD) der Internetkommunikation vieles im Internet stattfin- det, was in den 80er-Jahren in Darkrooms und Lokalen stattgefunden hat. Das muss man einfach zur Kenntnis Vizepräsidentin Petra Pau: nehmen. Das Wort hat der Kollege Peter Friedrich für die SPD- Fraktion. Nun zum Thema Entwicklungspolitik. Die Erfolge der Entwicklungspolitik der europäischen Länder und Peter Friedrich (SPD): der USA in der Dritten Welt werden vorwiegend durch Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen zwei Faktoren gefährdet, nämlich einerseits durch ein und Kollegen! Bei der Bekämpfung von HIV/Aids auf unkontrolliertes Bevölkerungswachstum und anderer- der nationalen Ebene sind wir außerordentlich erfolg- seits durch die Aidskrise. Wenn wir dagegensteuern wol- reich: Deutschland ist eines der Länder mit den niedrigs- len, wenn wir den Sachverstand und die finanziellen ten Neuinfektionsraten. Mittel, die wir in diesen Ländern investieren, wirklich gewinnbringend einsetzen wollen, müssen wir all unsere Das liegt vor allem an der guten und intensiven Zu- Entwicklungspolitiken mit der Aidsprävention vernet- sammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und Zivil- zen. gesellschaft. Die in Deutschland praktizierte Arbeitstei- lung, dass die Informations- und Präventionskampagnen Aids ist in Afrika nicht wie in Europa vordringlich ein in der Hand der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- (B) Problem von bestimmten Risikogruppen wie Drogenge- klärung liegen, die Aufklärung der Angehörigen der Ri- (D) brauchern oder Homosexuellen. In Afrika ist Aids aber sikogruppen dagegen von den Selbsthilfegruppen bzw. auch ein Problem von schwulen Männern. In diesem Zu- ihren Spitzenverbänden verantwortet wird, hat sich als sammenhang möchte ich auf ein Defizit des interfraktio- erfolgreicher Weg herausgestellt. Es war und ist richtig, nellen Antrags hinweisen. In mehr als der Hälfte der den Gedanken der Selbsthilfe ins Zentrum unserer Be- Länder Afrikas ist Homosexualität strafbar. Das hat zur mühungen zu stellen. Unser Konzept der engen Zusam- Konsequenz, dass HIV-infizierte homosexuelle Männer menarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Organi- keinen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung haben, sationen bei Aufklärung und Prävention gilt inzwischen weil sie dann nämlich angeben müssten, wer ihr Sexual- international als vorbildlich. Mein persönlicher Dank partner ist und damit unmittelbar ein Strafverfahren aus- geht an dieser Stelle an die Bundesministerinnen Ulla lösen würden. Die Höchststrafen liegen zwischen Schmidt und Heidemarie Wieczorek-Zeul, deren dauer- 14 Jahren und, in den Ländern, in denen die Scharia gilt, haftem hohem persönlichen Einsatz es zu verdanken ist, der Todesstrafe. Das sind Aspekte, die wir in unseren dass dieses Thema so starke Beachtung findet. Mithin ist entwicklungspolitischen Programmen berücksichtigen diese Debatte auch dafür ein Zeichen. müssen. (Beifall bei der SPD) Ich war in Montreal vor den Outgames auf einer Men- schenrechtskonferenz, auf der viele schwarzafrikani- Die Bremer Konferenz hat verdeutlicht, dass es in sche Homosexuellen- und Aidshilfeorganisationen wa- diesem Themenbereich eine klare und starke politische ren. Die haben gesagt: In unserem Land gibt es Führerschaft braucht. Es ist ein Zeichen – wie mein Kol- wasserlösliche Gleitmittel und Kondome, die für den lege Wodarg es schon ausgedrückt hat –, dass es gelun- Analverkehr geeignet sind, überhaupt nicht zu kaufen; gen ist, dieses Thema erstmals auf dieser Ebene so pro- mal ganz abgesehen davon, dass sich ein gewöhnlicher minent zu behandeln. Ich bin sicher, auf dem G-8-Gipfel Afrikaner diese zu Marktpreisen überhaupt nicht leisten in Heiligendamm wird uns Ähnliches gelingen. kann. Mein Dank gilt in gleichem Maße den Selbsthilfe- gruppen und ihrem nationalen Dachverband, der Deut- Das sind Punkte, an denen unsere Entwicklungspolitik schen AIDS-Hilfe, die ebenfalls großen Anteil an diesen auch nicht länger wegschauen darf. Sie sind zwar nicht Präventionserfolgen hat. das Hauptproblem; aber für diese Gruppe von Menschen ist das schon ein Problem. Wir müssen deshalb mit den (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jens afrikanischen Staaten in einen Dialog darüber eintreten, Spahn [CDU/CSU] – Beifall bei Abgeordne- dass ihre menschenrechtswidrige Verfolgung der Homo- ten der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9023

Peter Friedrich (A) Denn nur durch die Selbsthilfegruppen erreichen wir, (Beifall bei der SPD, der FDP und dem (C) was dort, wo nur auf staatliche Instrumente gesetzt wird, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- nicht erreicht wird: dass wir in unmittelbaren Kontakt zu geordneten der LINKEN) den Bevölkerungsgruppen mit hohem Infektionsrisiko Mit unserem Modellprojekt erreichen wir Schwerstab- kommen. Nur durch diese Selbsthilfegruppen konnte hängige, die durch ihre Konsumgewohnheiten und bzw. kann es gelingen, die Risikogruppen aus der gesell- Lebensbedingungen und durch den mangelnden Erfolg schaftlichen Isolation zu holen, in der sie oftmals gefan- anderer Behandlungsmaßnahmen tagtäglich von der HIV- gen waren bzw. gefangen sind. Infektion bedroht sind. Der Aspekt der HIV-Prävention Doch auch wenn die Rate der Neuinfektionen in ist ein weiterer Grund, der für die dauerhafte Anerken- Deutschland sehr niedrig ist, kann es keine Entwarnung nung von Heroin als Medikament für eine klar abge- geben. Die Zahl der Neuinfektionen – das wurde schon grenzte Gruppe von Schwerstabhängigen spricht. angesprochen – steigt. Das ist wohl auch ein Ausdruck (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, dessen, dass das Risikobewusstsein gesunken ist. Des- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ halb müssen wir immer wieder deutlich machen – ich DIE GRÜNEN) bin froh, dass das hier im Hause von allen Seiten ange- sprochen worden ist –, dass Aids nach wie vor nicht heil- Ich hoffe sehr, dass wir uns hier auf eine gemeinsame bar ist. Es ist allenfalls möglich, die Auswirkungen der Lösung verständigen können. Krankheit zu lindern. Gegen dieses Missverständnis, das (Jens Spahn [CDU/CSU]: Haben wir doch offensichtlich bei Teilen der Jüngeren vorherrscht, müs- schon! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner sen wir angehen. Aids ist keine chronische Erkrankung, [SPD]: Nein! Haben wir nicht!) es ist eine tödliche Erkrankung. An dieser Stelle würde es sich übrigens lohnen, auf die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Kommunen zu hören. FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt Deswegen begrüße ich sehr, dass wir gerade die Mittel stelle ich fest: Wir sind auf einem guten Weg. Wir sind für Aufklärungsmaßnahmen deutlich erhöht haben und international eine treibende Kraft, was dieses Thema an- auch in der mittelfristigen Finanzplanung weitere Erhö- geht. Ich halte den Aktionsplan für den richtigen Schritt. hungen vorgesehen sind. Wir sollten ihn in seiner Gänze würdigen und umsetzen. Herzlichen Dank. Eine erfolgreiche HIV/Aids-Präventionspolitik ist im- (B) mer auch Gesellschaftspolitik: Es geht darum, das Ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) halten des Einzelnen, aber auch die Verhältnisse der Ge- der CDU/CSU und der LINKEN) sellschaft insgesamt zu thematisieren. Gleichzeitig sind die Aufklärungskampagnen auf die Unterstützung nicht Vizepräsidentin Petra Pau: nur der Politik, sondern auch der gesamten Gesellschaft Ich schließe die Aussprache. angewiesen. Wir haben gute, erfolgreiche Ansätze. Aber – damit möchte ich aufgreifen, was die Kollegin Bender Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf angesprochen hat – es passt zu den Anstrengungen, die Drucksache 16/4650 an die in der Tagesordnung aufge- wir auf der nationalen Ebene und international machen, führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- überhaupt nicht, wenn in den Ländern und in den Kom- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung munen die Axt an das gelegt wird, was den Erfolg der so beschlossen. deutschen Arbeit ausmacht. Wenn die schulische Auf- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- klärung, wenn Fahrdienste, wenn Mietkostenzuschüsse schusses für Gesundheit auf Drucksache 16/4111. Der in den Kommunen zusammengestrichen werden, dann Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp- wird damit die Basis unseres Erfolges unterminiert. Des- fehlung auf Drucksache 16/4111 die Annahme des An- wegen ist mein Appell an die Kommunen und an die trags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Länder, bei diesen Mitteln nicht zu streichen. Denken Drucksache 16/3615 mit dem Titel „Maßnahmen zur Be- Sie daran: Prävention ist immer günstiger als die Be- kämpfung von HIV/AIDS in Deutschland“. Wer stimmt handlung der Krankheit. Es wäre fatal, wenn man sich für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – vor Ort aus der Verantwortung nehmen würde, weil der Stimmenthaltungen? – Dann ist diese Beschlussempfeh- Bund die Mittel erhöht. lung gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen und bei Enthaltung der FDP und der Frak- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tion Die Linke angenommen. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/4111 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung Der Aktionsplan, den wir heute debattieren, sieht des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auch den Ausbau der Substitutionsbehandlung vor. auf Drucksache 16/3616 mit dem Titel „Gemeinsam ge- Dazu gehört für die SPD-Fraktion unzweifelhaft die he- gen AIDS – Verantwortung und Solidarität stärken“. Wer roingestützte Behandlung, auch wenn wir uns in der Ko- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt alition in dieser Frage derzeit nicht einig sind. dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der 9024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abge- (C) Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ordneter und der Fraktion der LINKEN und der Fraktion Die Linke angenommen. Neue Steuervergünstigungen und Gewinnver- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- lagerungen in das Ausland verhindern – schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- REITs in Deutschland nicht einführen wicklung auf Drucksache 16/4315. Der Ausschuss emp- – Drucksachen 16/4046, 16/4779 – fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4315 die Annahme des Antrags der Frak- Berichterstattung: tionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Abgeordnete. Leo Dautzenberg Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3610 mit Florian Pronold dem Titel „Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 – Die be- Carl-Ludwig Thiele sondere Verantwortung für Entwicklungsländer unter- Dr. Gerhard Schick streichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Be- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu schlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktion dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Die Linke angenommen. Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/4315 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung REITs – Real Estate Investment Trusts in des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3097 Deutschland einführen mit dem Titel „Missfallen an der südafrikanischen Aids- Politik betonen und weitere deutsche Entwicklungszu- – Drucksachen 16/1896, 16/3356 – sammenarbeit an Bedingungen knüpfen“. Wer stimmt Berichterstattung: für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Abgeordnete Leo Dautzenberg Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist Carl-Ludwig Thiele diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c auf: nen vor. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (B) gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei- (D) zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktien- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gesellschaften mit börsennotierten Anteilen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- minister der Finanzen, Peer Steinbrück. – Drucksachen 16/4026, 16/4036 – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- CDU/CSU) ausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 16/4779 – Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Berichterstattung: Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Abgeordnete Leo Dautzenberg Große Koalition misst dem Finanzmarkt hinsichtlich Florian Pronold Wachstum und Beschäftigung in Deutschland eine sehr Carl-Ludwig Thiele große Bedeutung zu. Dies ist richtig und notwendig. Dr. Gerhard Schick Die wenigsten Menschen wissen, dass in Deutschland – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- in diesem Bereich inzwischen ungefähr 1,2 Millionen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Menschen beschäftigt sind und dass der Finanzmarkt ei- nen Anteil von mindestens 4 Prozent, Tendenz auf – Drucksache 16/4781 – 5 Prozent steigend, an unserem Bruttosozialprodukt hat. Die Bedeutung dieses Marktes vielen Menschen zu er- Berichterstattung: klären, ist nicht ganz leicht, weil der Finanzmarkt als et- Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme was sehr Anonymes und etwas sehr Komplexes wahrge- (Erfurt) nommen wird. Das erschreckt manche Menschen regelrecht. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Dr. Gesine Lötzsch dieser Markt ein entscheidender Faktor für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland ist. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu [CDU/CSU]: Weil die meisten dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Menschen davon profitieren!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9025

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Entsprechend der Bedeutung des Finanzmarktes Ich gebe zu, dass dies das erfolgreiche Ende eines län- (C) wurde im Koalitionsvertrag im November 2005 etwas geren Beratungsprozesses ist Neues auf den Weg gebracht. Dort wurde nämlich zum ersten Mal ein eigenes Kapitel zur Finanzmarktpolitik in (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist nett ge- Deutschland verankert. Unter anderem heißt es in die- sagt!) sem Kapitel, dass wir sogenannte Real Estate Investment und dass diesem Prozess nicht ganz einfache politische Trusts einführen wollen „unter der Bedingung, dass die Diskussionen vorangingen. verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt wird und positive Wirkungen auf Immobilienmarkt und (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) Standortbedingungen zu erwarten sind“. Dies in Abrede zu stellen, wäre eine Beleidigung Ihrer Nach einem Jahr ziemlich harter Arbeit – viele wer- Urteilsfähigkeit und Ihrer Wahrnehmung. den sich daran erinnern – bin ich sehr froh, dass ich Insbesondere die Einbeziehung von Wohnimmo- heute die Verabschiedung des entsprechenden Gesetz- bilien ist auf unterschiedliche Auffassungen gestoßen. entwurfs begleiten darf. Wenn auch der Bundesrat dem Die Märkte haben eine solche Einbeziehung der inzwischen geänderten Gesetzentwurf zustimmt – mei- Wohnimmobilien erwartet und haben auch darauf ge- ner Meinung nach gibt es daran wenig Zweifel –, wird drängt. Deutschland rückwirkend zum 1. Januar 2007 ein bör- sennotiertes Immobilienanlageprodukt erhalten. Dies (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Der Finanzminis- ist wichtig. ter auch!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auf der anderen Seite gab es nicht nur in meiner Partei, sondern auch darüber hinaus, wie ich finde, nachvoll- Ich darf daran erinnern, dass damit die Bundesrepu- ziehbare und ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Ge- blik Deutschland als letztes Land der G-7-Gruppe, also währleistung des Mieterschutzes und hinsichtlich einer als letztes Land der weltwirtschaftlich bedeutendsten nachhaltigen Stadtentwicklung, die nicht aus Kapital- Länder, den Einstieg in den internationalen REITs-Markt marktinteressen unterwandert werden sollte. Wir haben schafft und damit mit Blick auf die wichtige Schnittstelle diese Einwände ernst genommen. zwischen Immobilienmarkt auf der einen Seite und Finanzmarkt auf der anderen Seite zu anderen Staaten (Beifall bei der SPD) wie den USA, Frankreich und Großbritannien auf- Man musste – wie immer bei solchen Dingen – abwä- schließt. Mehr ist es nicht. Wir erreichen den Standard, gen. den diese Länder längst haben. (B) Ich glaube, dass wir mit der Herausnahme der inländi- (D) REITs haben sich als internationales Finanzmarktpro- schen Mietimmobilien zum 31. Dezember 2006 aus dem dukt inzwischen in über 20 Ländern der Welt etabliert. Anwendungsbereich des Gesetzes einen vernünftigen Mit der rückwirkenden Einführung verhindern wir, dass Kompromiss gefunden haben. Denjenigen, die heute in Deutschland international den Anschluss verliert. Dieje- den Wirtschaftsteilen der einschlägigen Zeitungen so nigen, die diesem Finanzmarktprodukt skeptisch gegen- tun, als sei dieses Finanzmarktprodukt nun völlig gegen- überstehen, müssen die Frage beantworten, ob denn standslos geworden, kann ich nur entgegenhalten: Über- Nichtstun eine bessere Alternative wäre. treiben Sie nicht! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Politische Verantwortung wahrzunehmen, heißt nicht, der CDU/CSU) durch Nichtstun Fehler zu vermeiden. Denn man kann Schon in den Anhörungen, die in den Ausschüssen auch durch Unterlassungen Folgen auslösen, die sich des Deutschen Bundestages durchgeführt wurden, wurde zum Nachteil Deutschlands auswirken. ziemlich deutlich – das ergibt sich auch aus einem Ver- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!) gleich mit US-amerikanischen REITs –: In den Portfo- lios dieser REITs sind zu 85 Prozent, wenn nicht sogar Meine Antwort auf entsprechende Einwände lautet: zu 90 Prozent Gewerbeimmobilien enthalten und nur Wenn wir alles so belassen hätten, wie es ist, dann wären zu einem sehr geringen Prozentsatz Wohnimmobilien. allein ausländische REITs auf dem deutschen Immobili- Insofern glaube ich, dass dieses Finanzmarktprodukt in enmarkt tätig. Deutschland würde zu einem reinen Dis- Deutschland von seiner Attraktivität durchaus nichts tributionsstandort „verkommen“ verliert, wenn wir diesen Wohnungsbestand zum (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Genau so ist 31. Dezember 2006 herausnehmen. es!) Der deutsche Immobilienmarkt ist auch weltweit ei- und würde die entsprechende Wertschöpfung, übrigens ner der attraktivsten. Deshalb bin ich überzeugt, dass auch die Perspektive für hochqualifizierte Beschäfti- sich diese Konstruktion des REIT, die Sie nach Lage der gung, verlieren. Das ist der entscheidende Punkt. Dinge verabschieden werden, in Deutschland etablieren wird. Ich bin mit diesem gefundenen Kompromiss des- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall halb sehr zufrieden. Das Gesamtpaket ist attraktiv und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der wird, wie ich glaube, seine positiven Wirkungen entfal- FDP) ten. 9026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Diese gefundene Ausgestaltung des deutschen REIT Das heißt: Es führt dazu, dass die Bilanzstruktur und (C) stellt insbesondere auch eine verlässliche Besteuerung damit auch die Refinanzierungsmöglichkeiten dieser beim inländischen und ausländischen Anleger sicher. Ich deutschen Unternehmen auf den Kapitalmärkten verbes- war dort auch Haushaltspolitiker, um eine solche Kon- sert werden, wenn man ihnen mit einem solchen Instru- struktion zu finden, mit der wir die damit verbundene ment die Möglichkeit gibt, etwas, was im Augenblick Steuerbasis nicht plötzlich erodieren. Das bedeutet, dass nur daliegt – tot, nackt, kalt –, fungibel zu machen, an ei- der Fiskus auch profitieren wird. Insbesondere wird er nen Markt zu bringen – zum Beispiel an ein börsenno- durch das Instrument der sogenannten Exit-Tax profitie- tiertes Immobilienunternehmen zu verkaufen – und da- ren. mit, wenn Sie so wollen, liquidieren zu können. Das klingt zunächst paradox, weil eine solche Exit- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Tax eine Steuervergünstigung dahin gehend darstellt, dass in dem Augenblick, in dem die entsprechenden Ei- Dies ist von entscheidenden Bedeutung. gentümer solcher Gewerbeimmobilien diese an den Ich bin mir sicher, dass sich der deutsche REIT in die- Markt bringen, sie nur die Hälfte der Steuern zu bezah- ser konkreten Ausgestaltung im internationalen Wettbe- len haben. Das klingt nach einer Steuervergünstigung. werb behaupten kann. Ich glaube, dass auch der Arbeits- Der Punkt ist aber: Wenn wir das nicht einräumen wür- markt positive Effekte davon hat. Ich rede jetzt gar den, würden sie diese Immobilien erst gar nicht an den nicht mit Blick auf die Finanzdienstleister, die in Frank- Markt bringen. furt oder weiß der Teufel wo davon betroffen sind, über (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den Arbeitsmarkt, sondern ich bin mir ziemlich sicher, neten der FDP) dass über die Hebung und Mobilisierung dieser Immobi- lien eine ganze Reihe von Hausverwalterjobs wichtig ge- Darüber würden also gar keine stillen Reserven gehoben nug sein werden und dass dies darüber hinaus der deut- werden. Wenn keine stillen Reserven darüber gehoben schen Bauwirtschaft und auch dem deutschen Handwerk werden, dann würden wir darüber auch keine Steuerein- Impulse geben wird; nahmen erzielen. Das ist der Mechanismus, weshalb ich glaube, dass das richtig ist. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Hälfte von X ist mehr als nix!) denn in dem Augenblick, in dem diese Immobilien nutz- bar gemacht werden – buchstäblich also mobilisiert wer- – Ja, so ähnlich lautet mein Satz auch bezogen auf etwas den –, wird es um eine Reihe von Leistungen gehen, anderes: Es ist besser, 25 Prozent auf X, statt 42 Prozent durch die nicht dem Finanzdienstleistungssektor, son- (B) auf gar nix zu haben. Herr Dautzenberg, Sie hören mir dern der gesamten Bandbreite der Unternehmen, die als (D) erfreulicherweise zu. Das freut mich. Dienstleister oder Handwerker mit Immobilien zu tun (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Minister- haben, ein richtiger Schub gegeben wird. worte wirken!) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Wie ich glaube, haben die Koalitionsfraktionen etwas Deshalb glaube ich: Für den Fall, dass Sie heute zu ei- sehr Richtiges getan. Sie haben sich nämlich darauf ge- nem positiven Votum kommen, wird dies nicht nur für einigt, dass von der Exit-Tax nur die Eigentümer solcher den Finanzplatz Deutschland, sondern auch darüber hi- Grundstücke profitieren sollen, die seit fünf Jahren zum naus ein wichtiger Schritt nach vorne sein. Anlagevermögen des Verkäufers gehören. Dies halte ich für richtig. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich will an dieser Stelle und abschließend auch noch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) einmal darauf hinweisen, dass dies nicht nur aus Sicht des Fiskus ein Vorteil ist. Es ist sehr schwer, den kom- Vizepräsidentin Petra Pau: plexen Zusammenhang zu vermitteln, dass zum Beispiel Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die große deutsche Unternehmen – auch Industrieunterneh- FDP-Fraktion. men – im Vergleich zu ihren Konkurrenten im europäi- schen Ausland einen zu großen Immobilienbestand in (Beifall bei der FDP) ihren Bilanzen haben. Carl-Ludwig Thiele (FDP): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten wie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister Der große Immobilienbestand dieser deutschen Unter- Steinbrück, gerade Ihre Ausführungen zur Exit-Tax nehmen – wenn Sie so wollen, ist das umgangssprach- können wir als FDP inhaltlich voll unterstreichen. An lich formuliert totes Kapital – verschlechtert ihre Bilan- dieser Stelle war aber schon spürbar, dass Union und zen im Verhältnis zu den Bilanzen ihrer Konkurrenten FDP Ihren Grundgedanken folgten, es allerdings fast im Ausland und verschlechtert auch ihre Refinanzie- keinen – oder nur vereinzelten – Beifall von Ihren Ge- rungsmöglichkeiten gegenüber ihren Konkurrenten in nossen gab. Großbritannien. Ich glaube, das ist auch bei diesem Gesetz ein Teil des (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) Problems; denn selten ist bei der Einführung eines neuen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9027

Carl-Ludwig Thiele (A) Finanzmarktproduktes so ideologisch gefochten worden (Beifall bei der FDP) (C) wie bei der Einführung der REITs und insbesondere der Sehr geehrter Herr Minister, wenn Ihre eigene Lan- Wohnimmobilien in REITs. desvorsitzende in Nordrhein-Westfalen Ihren politischen Insofern tobte innerhalb der SPD-Fraktion über Mo- Kurs offen kritisiert, dann stellt sich nicht nur mir die nate ein Streit zwischen Minister Steinbrück und den lin- Frage, wie weit Ihr Gestaltungswille durch die Linken ken Genossen. Es ist schon bemerkenswert, wenn sich innerhalb der SPD eingeschränkt wird. Wenn die eigene die Linken innerhalb der SPD mit einer Mehrheit gegen- Partei und die Mehrheit Ihrer eigenen Fraktion nicht über dem SPD-Finanzminister durchsetzen. mehr hinter Ihrer Politik stehen, dann haben Sie keine Unterstützung mehr für Ihre Politik. Aus meiner Sicht Wir erleben derzeit einen schleichenden Autoritäts- ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann Sie sich selbst verfall des Finanzministers. die Frage nach Ihrem Selbstwertgefühl als Finanzminis- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das werden wir ter stellen müssen. zu verhindern wissen!) (Beifall bei der FDP – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wir erleben die schleichende Aufkündigung des Spar- Da machen Sie sich keine Sorgen!) kurses, und wir erleben den schleichenden Machtverlust Ich möchte noch einmal auf die Weigerung, des Finanzministers. Wohnimmobilien in REITs einzubeziehen, eingehen. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nein! Das ma- Die Argumente hierfür sind absolut vordergründig und chen wir nicht mit! Der Minister hat die Unter- reine Panikmache. Mieter sollen verunsichert werden. stützung der CDU/CSU-Fraktion!) Mit dem Schüren von Ängsten hofft man, Wählerstim- men zu gewinnen. Dabei darf man aber nicht vergessen, – Ich werde das noch ausführen. – Denn noch in der Ko- dass gerade in den sieben Jahren rot-grüner Bundesre- alitionsvereinbarung hatte der Finanzminister durchge- gierung über 200 000 Wohnungen in öffentlicher Hand setzt – das wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 von SPD-geführten Ministerien an Finanzinvestoren ver- auch beschlossen –, dass der Zuschuss in die gesetzliche äußert wurden. Jetzt wird mit dem Gesetzentwurf ein Krankenversicherung im Jahr 2008 auf Null zurückge- ideologischer Popanz losgetreten, der sachlich nicht ge- fahren wird. Ohne jegliche Deckungsvorschläge wurde rechtfertigt ist. dieser Zuschuss in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Euro erhöht; ab dem Jahr 2009 fließen zusätzliche Zuschüsse (Beifall bei der FDP) in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich in die gesetzli- Erstens gilt im deutschen Recht nach wie vor, dass che Krankenversicherung, bis im Jahr 2016 der jährliche Kauf nicht Miete bricht. Mieter bleiben also in ihren ver- Zuschuss 14 Milliarden Euro betragen wird. (B) traglichen Rechten geschützt. (D) (Beifall bei der FDP) Zweitens wird im Entwurf des REIT-Gesetzes die Dies ist kein Sparkurs, sondern die Kapitulation vor Fremdfinanzierung auf 60 Prozent des Vermögens be- einem Sparkurs. Diese Kapitulation hat der Finanzminis- grenzt. Durch diesen hohen Eigenkapitalanteil kann im ter mitzuverantworten. REIT eher in den Bestand und in das Umfeld von Wohnimmobilien investiert werden. Hierdurch kann (Beifall bei der FDP) langfristig die Situation des Umfeldes und der Wohnun- In dem heutigen Haushaltsgipfel über die Vorberei- gen verbessert werden. Ein REIT ist darauf angelegt, tung des Haushalts 2008 werden wir die weitere schlei- von vornherein eine nachhaltig hohe Ausschüttung zu chende Aufkündigung des Sparkurses erleben. erwirtschaften; denn 90 Prozent der Gewinne müssen ausgeschüttet werden. Deshalb besteht gerade beim (Georg Fahrenschon [CDU/CSU]: Abwarten! – REIT ein hohes Interesse daran, die Ertragsfähigkeit der Eduard Oswald [CDU/CSU]: Warten wir es Immobilie zu erhalten und sogar zu steigern. Dies geht ab! Entscheidend ist, was hinten heraus- nur mit zufriedenen Mietern. Deshalb dienen REITs dem kommt!) Interesse der Mieter stärker als die Veräußerung an Fi- Wir erleben nämlich heute ein politisches Lehrstück. nanzinvestoren. Steuermehreinnahmen sind gut für die öffentliche Hand, (Beifall bei der FDP) aber gefährlich für einen Finanzminister, der sparen möchte. Drittens – das wissen Sie alle – verfügen viele Kom- munen weiter über hohe Wohnimmobilienbestände. An- Parallel zu dieser Diskussion wird der Finanzminister gesichts des Investitionsstaus in den Gesellschaften und mit seinem politischen Ziel, eine Unternehmensteuerre- der Situation der kommunalen Haushalte ist davon aus- form in unserem Land durchzusetzen, von der eigenen zugehen, dass weiter über die Veräußerung dieser Immo- Partei und den eigenen Parteifreunden bekämpft. bilienbestände diskutiert wird. Mit dem Gesetzentwurf (Florian Pronold [SPD]: Lassen Sie sich von wird verhindert, dass sie in REITs veräußert werden Ihrem Büro Ihre Rede bringen!) können, aber es wird weiter der Weg offengehalten, dass sie an Finanzinvestoren veräußert werden können. Das Genau dieselben Linken innerhalb der SPD, die gegen ist absolut unschlüssig. den Willen des Finanzministers die Einbeziehung der Wohnimmobilien in REITs verhindert haben, betreiben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten weiter die Demontage ihres eigenen Finanzministers. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 9028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Carl-Ludwig Thiele (A) Viertens würden gerade REITs die Einflussmöglich- (Beifall bei der FDP) (C) keiten der Kommunen erheblich erhöhen. Abschließend: Wir haben einen Änderungsantrag zur (Florian Pronold [SPD]: 10 Prozent Mitbeteili- EK-02-Problematik der ehemals gemeinnützigen Woh- gung! Das sind doch Grundrechenarten! nungsbaugesellschaften vorgelegt. Wir bedauern, dass er Volksschule!) in diesem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurde. Wir werden weiterhin darauf dringen, dass man sich mit Der öffentliche Träger kann bisher meistens seine ge- ihm befasst und dass er möglicherweise in einem zu- samten Wohnimmobilien nur zu rund 100 Prozent an ei- künftigen Gesetz berücksichtigt wird; denn es ist im In- nen Finanzinvestor verkaufen und verliert dadurch den teresse der Mieter, wenn dieses steuerliche Problem ge- kompletten Einfluss auf die Wohnimmobilien. Dies wäre löst wird. Wenn es gelöst wird, erhält der Fiskus bei REITs anders. Hier kann die Kommune weiter Mitei- Steuereinnahmen, die er bei Beibehaltung der derzeiti- gentümer sein. Deshalb möchte ich für die FDP klarstel- gen Regelung nicht erhielte. len, dass die Ausklammerung von Wohnimmobilien ein Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. schwerer Geburtsfehler dieses Gesetzes ist, der mög- lichst schnell korrigiert werden muss. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt anspre- Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die chen, den der Finanzminister schon erwähnt hat: die so- Unionsfraktion. genannte Exit-Tax. Viele deutsche Unternehmen haben – darauf haben Sie zu Recht hingewiesen, Herr Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU) minister – zum großen Teil selbstgenutzte Immobilien- vermögen in ihren Beständen. Hohe Werte sind darauf Leo Dautzenberg (CDU/CSU): abgeschrieben worden. Die Veräußerung der Immobili- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die enbestände würde zu einer hohen Steuerlast führen. Das Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von har- ist der Grund, warum sie nicht veräußert werden. Paral- ten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ lel müssen wir aber feststellen: Da die Firmen mehr Der heute zur Verabschiedung anstehende Entwurf eines Eigenkapital brauchen, wäre es sinnvoll, wenn sie veräu- REIT-Gesetzes ist ein Paradebeispiel für diese These ßern könnten. Deshalb hat schon die rot-grüne Bundes- von Max Weber. Bereits vor gut zwei Jahren hat meine regierung im Jahr 2005 beschlossen, eine allgemeine Fraktion in einem Antrag die Einführung von sogenann- Exit-Tax für betrieblich gebundenes Vermögen einzu- ten Real Estate Investment Trusts, kurz REITs, oder Im- (B) führen. Zu einem entsprechenden Gesetz ist es damals mobilienaktiengesellschaften mit börsennotierten Antei- (D) allerdings nicht gekommen, weil der Jobgipfel an dem len in Deutschland gefordert. Ich darf aus unserem Tag, als über einen entsprechenden Gesetzentwurf disku- damaligen Antrag kurz zitieren: tiert wurde, mühelos von der ehemaligen schleswig-hol- Deutschland benötigt zur weiteren Fortentwicklung steinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis getoppt des Finanzplatzes sowie zur Stärkung des deut- wurde, der auch im vierten Wahlgang im Schleswig-Hol- schen Immobilienmarktes ein international wettbe- steinischen Landtag die Mehrheit ihrer sozialdemokrati- werbsfähiges Kapitalanlageprodukt, das internatio- schen Freunde fehlte. Das bestimmte damals die Öffent- nal anerkannt und vergleichbar ist. lichkeit und nicht die Exit-Tax. Diese Einschätzung, die wir auch in den Koalitionsver- Wir, die FDP, halten eine Exit-Tax nach wie vor für trag übernommen haben, teile ich heute, zwei Jahre spä- richtig; denn wir haben im Hinblick auf den deutschen ter, noch voll und ganz. Standort und deutsche Arbeitsplätze ein Interesse daran, Wir setzen mit dem REIT-Gesetz den Auftrag aus dass die Firmen ihre Eigenkapitalbasis erhöhen. dem Koalitionsvertrag um und schaffen endlich die Herr Finanzminister, in diesem Zusammenhang darf Grundlage dafür, dass sich ein derartig international an- ich noch auf einen Nebenaspekt hinweisen, auf den Sie erkanntes und wettbewerbsfähiges Produkt in Deutsch- vielleicht in den weiteren Beratungen zurückkommen land etablieren kann. Der Minister hat mit Recht darauf werden. Angesichts der hohen Neuverschuldung der öf- hingewiesen, dass es darauf ankommt, Produktionsstätte fentlichen Hand brächte eine allgemeine Exit-Tax aus- zu werden, nicht nur Verteilungsstätte und Platzierungs- weislich der Berechnungen des schon seinerzeit SPD-ge- stätte. führten Finanzministeriums Steuermehreinnahmen in Einige Kritiker aus der Finanz- und Immobilienbran- Höhe von 720 Millionen Euro pro Jahr. Hierauf wird che haben uns vorgeworfen, die Verabschiedung des aber verzichtet; das ist mir unbegreiflich. Stattdessen REIT-Gesetzes lasse zu lange auf sich warten. Diesen wird eine Krücke eingeführt. Wir wollen Anlagefreiheit. Kritikern möchte ich in Erinnerung rufen: Es waren Der Anleger soll entscheiden, welches Produkt er in die- nicht nur politische Debatten, die Zeit gebraucht haben, sem Bereich bevorzugt. Steuerliche Privilegien sollen auch die zum Teil komplizierten steuerrechtlichen und nicht nur gewährt werden, wenn man in REITs inves- steuertechnischen Fragen der REITs mussten sorgfältig tiert. Das halten wir unter ordnungspolitischen Gesichts- geklärt werden, damit Webfehler, wie sie in Frankreich punkten für komplett verfehlt. Nach unserer Auffassung entstanden sind, nicht auch hier entstehen. ist diese Regelung in rechtlicher und fiskalischer Hin- sicht nicht haltbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9029

Leo Dautzenberg (A) Sie wissen, dass das Bundesministerium der Finanzen und Vermögens- und Ertragsrelationen des REIT erfül- (C) dazu – vom Vermögenstrustmodell bis zum jetzt gewähl- len muss. Diese Übergangsfrist ist notwendig, damit der ten Dividendenmodell mit Streubesitz – verschiedene Vor-REIT sein Portfolio bereinigen kann, weil nämlich Varianten intensiv geprüft und sich letztlich richtiger- auch die Wohnimmobilien aus seinem Bestand zu veräu- weise für die praktikabelste und EU-tauglichste Variante ßern sind und er Gewerbeimmobilien erwerben muss, entschieden hat. Auch wenn der REIT-Markt internatio- um die Immobilienquote erfüllen zu können. nal betrachtet tatsächlich bereits jahrelang etabliert ist, Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, der ziel- bin ich überzeugt davon, dass wir in Europa mit dem genauen Ausrichtung der Exit-Tax auf den deutschen deutschen REIT-Gesetz noch rechtzeitig kommen. Auch REIT. Die Exit-Tax, die als Konversionsinstrument steu- die Engländer sind erst zum 1. Januar dieses Jahres mit erbegünstigt ist, ist als Instrument bereits aus dem Jobgip- ihrem Produkt auf den Markt gegangen. fel 2005 bekannt. Beim Jobgipfel hatte man sich darauf Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden REIT- verständigt, die hälftige Besteuerung bei der Veräußerung Gesetz bieten wir dem deutschen Finanz- und Immobili- betrieblicher Grundstücke und Gebäude unabhängig da- enmarkt ein attraktives Produkt an. Das sage ich – und von zu gewähren, an wen veräußert wird. Die damit ver- ich möchte hier eine Debatte vorwegnehmen, die sicher- bundene Zielsetzung lautete: Mobilisierung von bisher lich noch bevorsteht, zum Teil auch schon geführt wor- volkswirtschaftlich nicht optimal genutztem Kapital. den ist –, obwohl die deutschen Bestandsimmobilien Diese Zielsetzung spielt auch heute beim REIT-Gesetz nicht in das REIT-Gesetz integriert wurden. Sie wissen, eine wichtige Rolle, aber sie ist nicht primär. Primär ist dass sich meine Fraktion bis zuletzt für die Integration das volkswirtschaftliche Ziel, dem deutschen REIT einen der Wohnimmobilien stark gemacht hat. Anschub zu geben, damit er sich als neues Kapitalmarkt- produkt im internationalen und im europäischen Wettbe- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) werb schnell und attraktiv aufstellen kann. Um in Max Webers Bild zu bleiben: Wir haben bei unse- Diese Zielsetzung hat uns, die Große Koalition, dazu rem Koalitionspartner leidenschaftlich gebohrt, aber veranlasst, die Exit-Tax allein auf den REIT und den letztendlich im Sinne des Gesamtprojekts eben auch mit Vor-REIT zu konzentrieren und nicht, wie noch im Ge- Augenmaß. setzentwurf vorgesehen, auch die offenen Immobilien- (Beifall des Abg. Dr. [CDU/ fonds in den Begünstigtenkreis einzubeziehen. CSU]) Bestärkt in dieser Entscheidung hat uns auch die An- Dieses Augenmaß hat sich gelohnt. Das zeigen die hörung der Sachverständigen am 28. Februar. Hier verschiedenen Verbesserungen am Gesetzentwurf, die wurde deutlich, dass neben volkswirtschaftlichen auch (B) wir in der Großen Koalition in dieser Woche gemeinsam verfassungsrechtliche Argumente für die Konzentration (D) auf den Weg bringen konnten. Es freut mich, dass auch auf den REIT sprechen. Zwar ist es richtig, dass der of- die FDP nahezu allen diesen Änderungen beigetreten ist. fene Immobilienfonds von seiner Fungibilität her mit Daher war es offensichtlich, dass Sie sich, Herr Thiele, dem REIT vergleichbar ist; ein wichtiger Unterschied nur auf einen Punkt bei Ihrer REIT-Kritik konzentriert besteht aber in der Streuung. Der REIT muss klare Streu- haben und sonst Themen gewidmet haben, die an sich besitzvorschriften einhalten, sodass gewährleistet ist, mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf dass die einzelnen Beteiligungen nicht höher als 10 Pro- nichts zu tun haben. zent sind. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Oh nein!) Neben dem Begünstigtenkreis der Exit-Tax haben wir uns in der Großen Koalition auch intensiv mit den Be- Die Verbesserungen am REIT-Gesetz lassen sich unter dingungen beschäftigt, die gelten sollen, damit ein Ver- drei großen Überschriften subsumieren: erstens Abbau äußerer von Immobilien in den Genuss der Exit-Tax von unverhältnismäßigen Regulierungen und Beschrän- kommen kann. Hier haben wir wichtige Anpassungen an kungen des REIT; zweitens zielgenaue Ausrichtung der die Marktrealitäten vorgenommen. Im Gesetzentwurf Exit-Tax auf den deutschen REIT; drittens Klarstellun- war vorgesehen, dass die Mindesthaltedauer zehn Jahre gen bei der Kontrolle und Sanktionierung des REIT. beträgt. Wir haben dafür gesorgt, dass diese Dauer auf Zunächst haben wir beim Unternehmensgegenstand fünf Jahre reduziert wird. Damit wird den tatsächlichen unnötige Beschränkungen dahin gehend beseitigt, dass Gegebenheiten der gewerblichen Immobilie stärker der REIT nicht mehr nur Eigentum an unbeweglichem Rechnung getragen. Der Haltezyklus bei gewerblichen Vermögen halten darf, sondern auch Beteiligungen an Immobilien hat sich in den letzten Jahren – das zeigt die Immobilienpersonengesellschaften, Auslandsobjektge- Praxis – in Richtung fünf Jahre bewegt. Diesen Marktre- sellschaften, REIT-Dienstleistungsgesellschaften und an alitäten haben wir die Exit-Tax nun angepasst. für die eigene Bewirtschaftung erforderlichen Gegen- Die Vorbesitzzeit von fünf Jahren gilt allerdings nicht ständen. Damit ermöglichen wir eine breite und diversi- bei reinen Formwechseln von einer bereits bestehenden fizierte Aufstellung des REIT sowie eine marktgerechte Immobilien-AG in eine REIT-AG. Wir haben uns für Strukturierung der Immobilienbestände. eine Frist von zwei Jahren entschieden, um gewisse Um- Auch im Stadium des sogenannten Vor-REIT sind gehungstatbestände bei der Konversion zu vermeiden. uns Erleichterungen gelungen. Wir räumen der Vor- Die Verkürzung der Vorbesitzzeit ist auch deshalb richtig REIT-Gesellschaft jetzt einen Zeitraum von bis zu zwei und wichtig, weil gerade junge Immobilien bzw. eine Jahren ein, bis sie sämtliche Strukturvoraussetzungen Durchmischung von jüngeren und älteren Immobilien 9030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Leo Dautzenberg (A) den REIT stabiler und renditestärker machen. Die Vor- aber auch der FDP und der Grünen, die sich bemühen, (C) besitzzeit von fünf Jahren gilt allerdings nicht bei den mitzuspielen, bereits erwähnten Formwechseln. Hier haben wir uns für (Georg Fahrenschon [CDU/CSU]: Die Linken eine Frist von zwei Jahren entschieden. sind halt Spielverderber!) Ein weiterer Punkt, bei dem wir Verbesserungen am spielt willfährig auf der Schalmei der Gesetzgebung. Gesetzentwurf erreichen konnten, betrifft die Frage der Heraus kommt das Gesetz, das Sie uns vorgelegt haben: Kontrolle und Sanktionierung des REIT-Status. Hier Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktienge- hat vor allem der Bundesrat um Klarstellungen gebeten. sellschaften mit börsennotierten Anteilen, kurz REITs. Diese Konkretisierungen haben wir in Abstimmung mit den Bundesländern erreicht. Das wird die Zustimmung Haben wir wirklich eine Lücke bei den Finanzie- des Bundesrates in der nächsten Woche wahrscheinlich rungsinstrumenten? Brauchen wir REITs? Die Bundes- erleichtern. Vielleicht sind die Arbeiten an diesem Ge- regierung sagt Ja. Herr Steinbrück hat es eben noch ein- setzentwurf damit vor Ende dieses Quartals abgeschlos- mal betont: Alle anderen haben das, wir sind die Letzten, sen. Wir haben den Umfang der Prüfungs- und Feststel- also brauchen wir es auch. lungspflichten der Abschlussprüfer jetzt so konkretisiert, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Völker, hört dass sich die von der Finanzverwaltung zu überprüfen- die Signale!) den Vorgaben nunmehr eindeutig aus dem besonderen Vermerk des Wirtschaftsprüfers ergeben. Für uns als Linke ist als Maßstab entscheidend: Ist es volkswirtschaftlich, ist es sozial notwendig, ja oder Bevor ich zum Schluss meiner Rede komme, muss nein? Herr Dr. Hirschel vom DGB hat dazu in der Anhö- ich noch folgenden Punkt ansprechen – das gehört zur rung recht eindeutig gesagt: Vollständigkeit –: Wir konnten die Problematik der Dop- pelbesteuerung in diesem REIT-Gesetz nicht lösen. Die (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das war wohl das Große Koalition und der Ausschuss erteilen der Bundes- Allerletzte, was er von sich gegeben hat!) regierung klar den Auftrag, diesbezüglich noch in die- sem Jahr zu einem Abschluss zu kommen. Mittelfristig wird Ihr REITs-Gesetz zu Einnahmeverlus- ten führen. Es entsteht ein neues Steuerprivileg für den Lassen Sie mich abschließend auf Max Weber zu- Finanzstandort Deutschland. Für den Wohnimmobilien- rückkommen: Das REIT-Gesetz war tatsächlich ein markt kommt es zu Umstrukturierungen. – Die lehnen „hartes Brett“. Aber gerade mit Blick auf die intensiven auch wir ab. Arbeiten der vergangenen beiden Wochen darf ich für die Koalitionsfraktionen und das Bundesfinanzministe- (Beifall bei der LINKEN) (B) rium – es hat uns jederzeit unterstützt, zum Beispiel da- Ich zitiere Herrn Dr. Hirschel: (D) durch, dass es uns Formulierungshilfen gegeben hat – sagen: Wir haben gemeinsam mit großer Leidenschaft Wenn wir zu der Ansicht kommen, dass bestimmte und gleichzeitig mit Augenmaß gearbeitet und damit ein gesetzliche Maßnahmen keinen ökonomischen Nut- gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Nun ist es an den zen für dieses Land bringen und auch sozial nicht Marktteilnehmern, auf dieser Grundlage dem deutschen erwünscht sind, dann ist es aus meiner Sicht eine REIT zum Durchbruch zu verhelfen. politische Kapitulationserklärung, wenn man mit Blick auf das Ausland nur das nachvollzieht, was Vielen Dank. dort ebenfalls ökonomisch und sozial nicht sinnvoll (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ist. (Beifall bei der LINKEN – Jan Mücke [FDP]: Vizepräsidentin Petra Pau: Nachdem die Gewerkschaften ihre Wohnun- Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die gen selber verkauft haben! – Leo Dautzenberg Fraktion Die Linke. [CDU/CSU]: Wie war das mit dem DGB?) (Beifall bei der LINKEN) Diese Kapitulationserklärung unterschreiben Sie heute. Es geht erstens um Steuergeschenke. Es geht um die Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Hebung stiller Reserven. Bitte erklären Sie das doch Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einmal einem Hausbesitzer! Da hat jemand sein Haus Ich fühlte mich an ein Volkslied erinnert: „Es tönen die vielleicht sechs Jahre bewohnt, möchte es verkaufen, Lieder, der Frühling kehrt wieder, es spielet der Hirte auf weil er woanders eine gute Arbeit gefunden hat und dort seiner Schalmei.“ ein neues Haus kaufen möchte. Er unterliegt dem vollen Steuersatz. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ein schönes Lied! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was die Schal- (Florian Pronold [SPD]: Nein, Unsinn!) mei anbelangt: Das ist Vergangenheit!) Wenn ein Unternehmen das nach fünf Jahren macht, Es tönen die Lieder der Stärkung des Finanz- und Wirt- dann kommt es mit dem halben Steuersatz davon. Ich schaftsstandorts Deutschland, der notwendigen Wettbe- finde das Argument von Herrn Steinbrück, hier solle nur werbsgleichheit, der Globalisierungszwänge. Finanz- hälftig besteuert werden, um die stillen Reserven über- und Kapitalinteressen kehren wieder, und der Hirte Bun- haupt zu heben, sehr fadenscheinig. Die Exit-Tax ist of- desregierung in Begleitung der Koalitionsfraktionen, fensichtlich ein Fall von Subventionierung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9031

Dr. Barbara Höll (A) Zweitens geht es natürlich um Steuergeschenke für (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (C) die Anteilseigner. Irgendwo haben auch Sie das Pro- blem erkannt. Herr Dautzenberg, Sie haben eben auf die Sie öffnen die Tür also weit. Kontrollmechanismen hingewiesen. Sie haben von der Welche Folgen wird das haben? Wir kommen zu einer Deutschen Steuer-Gewerkschaft aber gehört: Die Umorientierung in einem Wohnungsmarkt, der funktio- Finanzämter können und wollen nicht zu einer Wirt- niert und um den wir wahrscheinlich weltweit beneidet schaftskontrollbehörde werden. Was Sie hier vorsehen, werden, in dem es bisher keine große soziale Abgren- ist überhaupt nicht praktikabel. zung gibt, in dem es noch keine Gettoisierung – hier arm, da reich – gibt. Insoweit haben wir noch funktionie- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Abstimmung rende Städte. Aber der Druck, kurzfristig Rendite zu mit den Ländern ist doch jetzt geklärt!) erzielen, wird natürlich dazu führen, dass es zu Mieter- Ein Problem ist schon, dass der Anteilseigner von sich höhungen kommt und dass die Instandhaltung vernach- aus seine Dividenden angeben muss. Wenn er das nicht lässigt wird. Fehlende Sanierungen werden auf der Ta- tut, dann tut er das nicht. Wer das alles kontrollieren soll, gesordnung stehen. ist völlig ungeklärt. In einer Situation, in der sich die Städte gerade in ei- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wir haben nem Umbruchprozess befinden – der demografische eine andere Auffassung von Kontrolle als Sie! Wandel ist ja nicht zu leugnen – und wir ganz anders an Das ist richtig!) die Entwicklung unserer Städte herangehen müssen, öff- nen Sie auf diese Art und Weise die Türen für kurzfris- Was die Anteilseigner angeht, so wird es auf alle Fälle tige private Finanzinteressen. Das kann nicht sein. Herr zu Steuereinnahmeverlusten kommen. Rips vom Mieterbund hat das wunderbar formuliert, als er sagte: Wir wünschen uns Wohnungsunternehmen, die Drittens ist es eine direkte Einladung zum Aufbau sich als Farmer auf dem Wohnungsmarkt betätigen, nicht von neuen Steuerumgehungen. In der Anhörung ist ein- als Jäger und Sammler. Sie aber haben sich für die Jäger deutig gesagt worden: Wer will denn beurteilen, wenn es und Sammler entschieden. zu überteuerten Verkäufen kommt mit der Aussicht da- rauf, das weiter zu nutzen, indem man es zurückmietet? (Beifall bei der LINKEN) Sie laden hier zu Sale-and-lease-back-Geschäften ein, Einwände, die in der Anhörung vonseiten der Wissen- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein, eben schaftler und der Vertreter der Verbände kamen, haben nicht!) Sie einfach zur Seite gewischt. Sie waren Ihnen nichts wert. Zwar versuchte die SPD-Linke, ein klein wenig zu die ebenfalls zu Steuermindereinnahmen führen werden. (B) kämpfen, aber das Gegenteil trat ein: Die Exit-Tax (D) Mir ist neu, dass Sie mit dem Geld herumwerfen können, wurde verändert, die Haltefrist von zehn auf fünf Jahre allerdings nicht neu, wenn es um Kapital- und Finanz- gesenkt, die ausländischen Bestandsimmobilien wurden interessen geht. Neu wäre das nur, wenn es um die Inte- einbezogen. Hier kann man also ein Einknicken auf gan- ressen der arbeitenden Bevölkerung geht. zer Linie verzeichnen. (Beifall bei der LINKEN) Zusammenfassend kann man sagen: Alle in der Gro- Weder in den Beratungen im Finanzausschuss noch in ßen Koalition wollen auf der Schalmei spielen, wenn es den Beratungen hier noch in der Anhörung konnten Sie darum geht, Finanzanlegern neue Spielräume zu eröff- nachweisen, dass es tatsächlich eine Notwendigkeit für nen und Konzernen steuerbegünstigt und subventioniert REITs gibt. Nach meiner Überzeugung geht es zumin- die Möglichkeit zur Umstrukturierung zu eröffnen, wie dest im Bereich der Wohnimmobilien um etwas ganz es ja jetzt auch die Allianz plant. Das machen Sie in ei- anderes. Es geht tatsächlich um eine Umstrukturierung ner Situation, in der, angefangen vom Bereich Rente des Wohnimmobilienmarkts. Sie öffnen da eine Tür. Sie über den Bereich Gesundheit bis hin zum Bereich Hartz IV, der Mehrheit der Bevölkerung ständig in die haben die ganze Zeit behauptet, das sei eine ideologische Tasche gegriffen wird. Diskussion, Herr Thiele; Wohnimmobilien müssten ein- bezogen werden. (Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und Sie versprechen etwas, was (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt nicht zu erfüllen ist!) doch!) Ich sage Ihnen: Der wirkliche Frühling kommt unab- Sie sind einbezogen. Wohnimmobilien können von hängig davon, wie Sie sich hier verhalten. Die Politik hat REITs erworben werden, wenn es Neubauten sind. Sie es nicht nötig, auf der Schalmei das Lied der Einzelinte- sind einbezogen bei Mischobjekten. Ich nenne einmal ressen zu spielen. Deshalb fordere ich Sie auf: Hören Sie eine Zahl. 2005 gab es 778 754 Wohnungen in Mischob- auf, dieses Lied zu spielen! Schließen Sie sich dem An- jekten, in denen der Wohnanteil unter 50 Prozent lag. trag der Linken an! Verzichten Sie auf die Einführung Das waren damals nur 2 Prozent des Wohnungsmarktes. von REITs! Damit würden Sie den Frühling wirklich Aber das ist ein Einfallstor, welches Sie hier aufmachen: standesgemäß begrüßen. für den Frühling der Kapital- und Finanzinteressen. Ich danke Ihnen. Sie haben noch nachgebessert. Sie haben die Bestandswohnimmobilien bei Auslandsobjektgesell- (Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg schaften aufgenommen. [CDU/CSU]: Völker, hört die Signale!) 9032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: beschäftigen wird. Das ist meine Prognose. Wir können (C) Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die uns ja in den nächsten Jahren einmal darüber unterhal- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ten, ob sie so eintrifft. Ich möchte zum ersten Punkt kommen, zum Woh- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nungsmarkt. Man muss sich einmal die Argumentation NEN): genau anschauen. Wenn es richtig ist, aus Gründen des Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Mieterschutzes inländische REITs daran zu hindern, möchte als Erstes kurz auf die Frühlingslieder von Frau Wohnimmobilien in Deutschland zu kaufen, dann muss Höll eingehen. es doch auch richtig sein, die Mieter vor ausländischen (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bei Frau Höll REITs und anderen Finanzinvestoren zu schützen. waren es Schalmeienklänge!) (Patrick Döring [FDP]: Sind sie aber nicht!) Wir alle warten auf den Frühling, und auch ich singe Sonst wird doch das Ziel nicht erreicht. sehr gerne; aber zum Frühling gehört auch der Frühjahrs- putz. Wenn der auch Ihre Augen und Ohren betroffen Wir teilen die Anliegen des Mieterschutzes und die hätte, dann hätten Sie vielleicht auch mitbekommen, Auffassung, dass man bei der Stadtentwicklung genau dass die Grünen diesem Gesetz nicht zustimmen. In die- hinschauen muss. Aber dafür brauchen wir Regelungen, sem Punkt hätten Sie vielleicht präziser sein sollen. eine Lösung für das generelle Problem; denn sonst steht man da wie ein Klempner, der sich mit Stolz und Akribie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – am tropfenden Wasserhahn versucht, aber den Rohr- Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie begrüßen bruch völlig unbearbeitet lässt. die Einführung von REITs in Ihrem Entschlie- ßungsantrag! Eindeutig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Aber es kommt darauf an, wie man es tut. Notwendig ist, dass wir uns – ich erwarte, dass wir da (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ja, aber Sie in den nächsten Monaten weiterkommen – mit der zu- begrüßen es trotzdem!) grunde liegenden Problematik befassen, die darin be- steht, dass die Kommunen häufig überschuldet sind und – Darauf komme ich nachher noch einmal zurück. keine andere Alternative haben, als ihre Bestände zu ver- Normalerweise diskutieren wir ja über Finanz- kaufen, und dass sie beim Verkauf häufig keine andere marktthemen sehr konsensorientiert. Alternative sehen, als die Bestände an einen Finanz- investor en bloc zu verkaufen. (B) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Normalerweise geht es dabei auch um die Umsetzung europäischer Richtlinien. Die letzten diesbezüglichen Ich komme zum zweiten Teil unserer Kritik; er be- Gesetze haben wir mit großem Konsens verabschieden trifft das Steuerrecht. In dem Zusammenhang möchte können. Hier liegt nun – man muss schon fast sagen: ich einmal auf das Thema Ideologie eingehen, Herr ausnahmsweise – ein Gesetz vor, das originär von deut- Thiele; auch Herr Dautzenberg hat davon gesprochen. scher Seite eingebracht wurde und nicht eine europäi- Ich finde, der Ideologievorwurf gilt nicht nur für die sche Richtlinie behandelt, bei der wir nur noch an ein Leute, die den Mieterschutz über alles stellen, sondern paar Schrauben drehen können. Trotzdem geht es auch mindestens ebenso für die Leute, die bei einer Finanz- bei diesem Gesetz im Kern darum, sich internationalen marktförderung alle steuerlichen Fragen einfach unter Entwicklungen anzupassen. Insofern hat Herr Steinbrück den Tisch fallen lassen. Dass viele Leute aus der FDP völlig recht: Wir reagieren auf internationale Entwick- mit Steuerprivilegien keine Probleme haben, wundert lungen und schließen uns diesen an. Genau in derselben mich nicht. Aber unsachlich wird die Auseinanderset- Weise wie bei europäischen Vorgaben stehen wir auch zung auch dann, wenn man dieses Thema missachtet, hier vor der Schwierigkeit, diese in unser Rechts- und wie sehr lange geschehen. Wirtschaftssystem einzubetten. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Versuchen Sie Unser zentraler Kritikpunkt lautet nun, dass dies mit doch mal, das zu erklären!) dem vorliegenden REITs-Gesetzentwurf nicht gelingt. – Ja, das erkläre ich sehr gerne. Ich finde es richtig, Fi- Wir sehen dabei in zwei Bereichen Probleme: beim nanzmarktförderung zu betreiben und den Finanzplatz Wohnungsmarkt und im Steuerrecht. Ich bin sehr sicher, Deutschland zu stärken. Die Frage ist aber, ob man den dass uns das, was heute verabschiedet werden wird, in Anlegern deutsche Wohnungen auf dem Silbertablett beiden Bereichen in den nächsten Jahren noch beschäfti- präsentieren und den Kauf steuerlich privilegieren und gen wird. Zum einen wird das Thema Wohnimmobilien begünstigen muss; denn hier findet eine steuerliche Pri- von der Immobilienbranche noch einmal auf die Tages- vilegierung statt. Das ist Industriepolitik. Deswegen ist ordnung gesetzt werden. Ich bin sicher, dass es dazu in das – darauf haben einige Experten in der Anhörung hin- den nächsten Jahren entsprechende Anträge geben wird. gewiesen – beihilferechtlich hochproblematisch. Das Zum anderen bin ich sicher, dass uns auch das Thema muss man einfach sehen. Steuern aufgrund der verschiedenen Fragen, die jetzt noch offen sind und Korrekturen in den nächsten Jahres- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: 2005 wollten die steuergesetzen verlangen werden, noch einmal intensiv Grünen das noch!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9033

Dr. Gerhard Schick (A) – Die Fraktion der Grünen hat dem 2005 nicht zuge- wiederholen, was in der Anhörung gesagt worden ist, (C) stimmt; das wissen Sie genauso gut wie ich. sondern nur die klare Linie meiner Fraktion zusammen- fassen: REITs ist ein anständiges, gutes und sinnvolles (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sie haben es nicht Kapitalmarktprodukt. Aber auch ein gutes Kapitalmarkt- eingebracht; aber das Kabinett hat das doch produkt rechtfertigt nicht neues Chaos im Steuerrecht mit Ihren Ministern beschlossen! Da waren ein und neue Steuerprivilegien. Herr Fischer, ein Herr Trittin, eine Frau Künast; die waren doch alle dabei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Sie hatten vorhin Gelegenheit, zu reden. Die Fraktion der Grünen hat dem so nicht zugestimmt. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Florin Pronold für die SPD- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Warum distanzie- Fraktion. ren Sie sich von Frau Künast? Das verstehe ich nicht!) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Jetzt kommt Pronold gegen Steinbrück! – Weiterer Zuruf Außerdem hatten wir damals eine andere konjunkturelle von der FDP: Jetzt kommt das linke Bayern!) Situation. Darüber hinaus ging es um eine allgemeine Regelung, nicht produktspezifisch auf das einzelne Fi- nanzinstrument bezogen. Deswegen wäre das damals Florian Pronold (SPD): beihilferechtlich nicht problematisch gewesen, während Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und es heute beihilferechtlich problematisch ist. Kollegen! Herr Thiele, Sie kritisieren ideologische Aus- einandersetzungen. Dabei gilt der alte Spruch aus der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bibel, dass man zwar den Splitter im fremden Auge, Ich möchte aber auch noch auf die anderen Fragen im aber nicht den Balken im eigenen sieht. Sie vor allem be- Zusammenhang mit der laufenden Besteuerung einge- treiben hier eine ideologische Auseinandersetzung. Mit hen. Kollege Pronold hat bei unserer letzten Debatte, wie einer gewissen Blindheit glauben Sie, alles den Kräften ich finde, die richtige Frage gestellt, nämlich was denn des Marktes ausliefern zu können, und widersprechen passiert, wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass sich dann. es eine Gleichbehandlung von ausländischen und in- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang ländischen REITs geben muss. Damit haben wir – ich Thierse) zitiere – „die letzte Möglichkeit für eine nationale Be- steuerung von Grundstücken aufgegeben. Solange diese Auf der einen Seite fordert die FDP, dass es ja keine Steuermehreinnahmen gibt. (B) Problematik nicht gelöst ist …, will ich REITs nicht.“ (D) Ich kann dem nichts hinzufügen; denn das ist richtig. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Bitte? Keine Diese Frage ist bis heute nicht gelöst. Steuererhöhungen! – [FDP]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das begreifen Sie ja gar nicht!) Das hat nichts damit zu tun, dass wir nichts tun wol- – Ihr Vorsitzender Westerwelle hat jüngst gefordert, len, sondern es geht darum, wie wir es tun und dass wir Steuermehreinnahmen an die Bürger zurückzugeben. es steuerrechtlich sauber tun. Bei dem Thema Doppelbe- Jetzt kommen Sie und sagen: Mit der Exit-Tax kann man steuerung und vorbelastete Dividenden ist nicht sauber zusätzlich 700 Millionen Euro einnehmen. gearbeitet worden. Wir haben da noch eine offene (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das sagt auch das Flanke. So etwas sollte nicht passieren. Finanzministerium!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich kenne genügend Debatten, in denen Sie am Anfang Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das habe ich Ihrer Rede dagegen wettern, dass man steuerliche Mehr- aber zugegeben, Herr Kollege! Warum soll ich einnahmen erzielt, und nachher das Verschuldungsver- nicht einräumen, was noch nicht geklärt ist? Es bot fordern. wird in diesem Jahr geklärt!) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein!) – Es wird in diesem Jahr geklärt. Aber ich möchte wis- sen, was Sie gesagt hätten, wenn wir als rot-grüne Regie- Sie schaffen es wirklich, sich innerhalb einer Rede zu rung einen Gesetzentwurf vorgelegt hätten, bei dessen drehen. Wenn man aus der FDP-Bundestagsfraktion Verabschiedung eine zentrale steuerliche Frage noch Windräder machen könnte, dann wären, so schnell, wie nicht geklärt gewesen wäre. Sie sich drehen können, alle Energieprobleme in Deutschland gelöst. (Georg Fahrenschon [CDU/CSU]: Das war bei Ihnen ja an der Tagesordnung!) (Beifall bei der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Das war jetzt aber lustig!) Das ist handwerklich nicht sauber. Das geben Sie zu, aber damit ist es noch nicht gut. Dasselbe geschieht bei der Exit-Tax. Sie sagen, Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stimmten unserem Finanzminister in allen Punkten zu, und nachher kritisieren Sie die Form der Ausgestaltung Man könnte jetzt noch verschiedene steuerliche Pro- der Exit-Tax, wie sie der Finanzminister hier richtig be- bleme im Einzelnen ansprechen. Ich will aber nicht alles gründet hat. Dann behaupten Sie, da bestehe zwischen 9034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Florian Pronold (A) uns beiden ein Widerspruch, auch wenn wir in der Frage komme ich zur Frage der Gleichbehandlung, die Sie (C) der Exit-Tax genau die gleiche Linie vertreten. angesprochen haben. Dazu, dass wir Immobilien gleich- behandeln wollen, sagt das Bundesverfassungsgericht: (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Natürlich wollte Gleiches ist gleich und Ungleiches ist ungleich zu be- die SPD die allgemeine!) handeln. Jetzt gibt es die eine Möglichkeit, das Gesetz Sie sollten mir einmal erklären, wie Sie das hinbekom- auf alle Formen von Immobilienanlagen auszudehnen, men. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wie Rot-Grün und wir das sagten!) Vizepräsident Dr. h. c. : mit der Problematik, dass wir uns dann im Gesetz wider- Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen sprechen würden. Denn für bestimmte andere Immobi- Thiele? lienanlagen gelten dann die Restriktionen, die wir in die- sem Gesetz vorsehen, nicht, weil wir Sale-and-lease- Florian Pronold (SPD): back-Konstruktionen entsprechend ausweiten würden. Immer. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Eben!) Wir würden damit Steuermehreinnahmen, die Sie so Carl-Ludwig Thiele (FDP): munter verteilen wollten, von Anfang an verhindern. Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, ich habe darauf hingewiesen, dass noch 2005 unter einem SPD-geführ- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sie waren vom ten Finanzministerium – die Staatssekretärin war sogar Finanzministerium errechnet!) personenidentisch – vorgeschlagen wurde, eine allge- Deswegen haben wir diese Frage in der Anhörung meine Exit-Tax einzuführen. In diesem Zusammenhang ausführlich debattiert. Die Mehrheit der Sachverständi- war im Finanztableau ein steuerliches Mehraufkommen gen hat sehr wohl und zu Recht darauf hingewiesen, dass von 720 Millionen Euro enthalten, von dem alleine es mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, dass wir, 415 Millionen auf zusätzliche Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer zurückzuführen sind. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der REIT ist ja eingegrenzt!) Ich habe erklärt, dass das ein Weg war, den wir da- mals für richtig hielten und heute für richtig halten. Er wenn wir ein neues Produkt einführen, das in Konkur- bringt die Immobilien in Bewegung und stärkt die Ei- renz zu etablierten Produkten steht, speziell dieses neue genkapitalbasis der Firmen. Nur, der Weg, der dann nach Produkt fördern. Das stimmt mit dem Gleichheitssatz einer Mehrheitsentscheidung innerhalb der Koalition ge- viel mehr überein, als wenn man willkürliche Abgren- (B) (D) funden wurde, nämlich dies auf eine einzige Anlage- zungen trifft. form, auf REIT und Vor-REIT, zu begrenzen, ist unsys- Wir haben eine Abgrenzung getroffen. Aber es ist tematisch. Das war der Punkt, den ich angesprochen eine richtige, weil sie zielgenau dem dient, was wir mit habe. Das widerspricht an dieser Stelle sämtlichen dem Gesetz erreichen wollen, und nicht mit der Gieß- Gleichheitsgrundsätzen. kanne über die Lande zieht, ohne zu wissen, wo Unkraut Dabei kommt erschwerend hinzu, dass Sie zunächst wuchert und wo die Blumen blühen. auch die offenen Immobilienfonds privilegieren wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Da kann man fragen: Warum denn diese? Warum nicht die geschlossenen? Warum nicht andere? Sie haben eine Frau Höll, ich finde es doch schön, wie die PDS nun Unmenge an Abgrenzungsproblemen. Ich frage Sie, versucht, die Frage der Wohnungen in eine völlig andere wie Sie begründen können, dass dieser Weg die beste- Richtung zu ziehen, als es in dem Gesetz der Fall ist. Sie henden Abgrenzungsprobleme löst. Er ist gegen die sprechen von über 700 000 Wohnungen in Mischob- Freiheit der Kapitalanlageprodukte gerichtet; denn es jekten. Ich kenne diese Zahl nicht; ich höre das zum ers- können zukünftig nur diejenigen Unternehmen ihre Im- ten Mal. Wir haben uns sehr bemüht, bestimmte Dinge mobilien veräußern, die als Erwerber einen REIT vorfin- auch herauszufinden. Sie wissen, dass wir das in dem den. Das ist gegen die Wahlfreiheit der Kapitalanleger REITs-Gesetz objektbezogen gestaltet haben. und gegen die Interessen der Firmen gerichtet. Deshalb (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Jedes ein- frage ich Sie, wie Sie die Begrenzung auf die Exit-Tax zelne!) sachlich begründen können. Das bedeutet, das muss in dem konkreten Objekt ent- sprechend so sein. Uns ging es darum, zu verhindern, Florian Pronold (SPD): dass man in ein Haus, das bisher nur Mietwohnungen Diese Antwort gebe ich Ihnen gerne. Erster Punkt. hatte, unten einen Frisörladen einbaut und das Ganze so Beim Jobgipfel ging es darum, betrieblich nicht genutzte in einen REIT überführen kann. Grundstücke zu mobilisieren. Zweiter Punkt. In einer an- deren konjunkturellen Lage wollten wir damals der Kon- Das haben wir mit einer Abgrenzung hinbekommen, junktur einen zusätzlichen Anschub geben. die wir übrigens auch mit dem von Ihnen zitierten Deut- schen Mieterbund abgestimmt haben. Der lobt uns übri- Jetzt haben wir uns in der Anhörung sehr ausführlich gens – anders als Sie das darstellen – gerade für die mit der Frage beschäftigt, wie man Immobilien für gefundene Regelung zur Herausnahme der Bestands- REITs oder für andere Produkte mobilisiert. Damit wohnimmobilien. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9035

Florian Pronold (A) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Eine neue Alli- Florian Pronold (SPD): (C) anz!) Ich nehme das zur Kenntnis und würde auch gern ant- worten. Auf der einen Seite stellt sich noch einmal die Herr Schick, dann kann man die spannende und rich- Frage nach den Zahlen. Sind es 700 000 Objekte oder tige Frage ansprechen, wie es nun mit ausländischen Wohnungen, die REIT-fähig sind? Das haben Sie mit Ih- und inländischen Wohnungen ist. Wir sagen: Ja, es rer Antwort auf meine Frage überhaupt nicht beantwor- können heute ausländische REITs in Deutschland Woh- tet. Ich habe großen Zweifel daran, dass es so ist. Aber nungen kaufen. Das hat etwas mit der Freiheit der ich glaube, das werden wir in dieser Debatte nicht klä- Märkte zu tun und damit, dass wir niemandem grund- ren. Das machen wir bei Gelegenheit, weil es mich inte- sätzlich verbieten können, hier irgendetwas zu kaufen. ressiert, wie das in diesem Zusammenhang tatsächlich Sie unterliegen aber – das ist der Unterschied – hier der ist. Denn wir haben uns bemüht, vernünftige Abgren- Besteuerung. Auch ein ausländischer REIT, der in zungskriterien zu finden. Ich bin mir ziemlich sicher, Deutschland investiert, unterliegt hier der Besteuerung. dass wir das hinbekommen haben. Das ist ein entscheidender Unterschied. In Bezug auf das, was Herr Rips zu den Jägern und Zweitens wollten wir genau das, was wir hier feststel- Sammlern gesagt hat, würde ich ihm zustimmen. Deswe- len, für ausländische Wohnimmobilien verhindern. Wir gen haben wir auch versucht, bei den REITs bestimmte haben nämlich gesagt, dass, wenn das Heimatland aus Grenzen einzuziehen. Auch das haben wir zum ersten genau denselben Gründen wie wir – nämlich Stadtent- Mal. Hier geht es um die Frage, mit welcher Fremdfi- wicklung und Mieterschutz – sagt, dass solche Bestands- nanzierung REITs unterwegs sein können. Gemessen an wohnimmobilien nicht in REITs überführt werden dür- dem, womit Private-Equity-Gesellschaften und andere fen, die das für den deutschen REIT genauso wenig unterwegs sind – Herr Dautzenberg hat es angesprochen –, regeln könnten wie wir für den ausländischen. Wir haben ist eine Eigenkapitalquote von 60 Prozent eine ganze Vorsorge getroffen, dass, wenn es dort solche Regelun- Menge. gen gibt, die auch von deutschen REITs zu beachten Noch zu Ihrer Frage, Herr Thiele: Dass das Mietrecht sind. Das ist schon ein wichtiger und entscheidender Un- ein guter Schutz ist, stimmt derzeit. Sie wissen aber terschied. auch, dass zum Beispiel das Bundesland Baden- Württemberg – unter Beteiligung der FDP – eine Initia- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tive in den Bundesrat eingebracht hat, mit der das Miet- recht verschlechtert würde. Es ist ein bisschen schwierig, Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der hier so zu tun, als sei das Mietrecht das große Schutz- Kollegin Höll? schild, wenn man selber an anderer Stelle daran arbeitet, (B) (D) dieses Schutzschild kaputt zu hauen. Florian Pronold (SPD): (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die Miete wird Gerne. nicht angetastet!) Das ist zumindest keine ehrliche Argumentation. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Kollege Pronold, da Sie mich gefragt haben, wo- DIE GRÜNEN) her ich die Zahl habe, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu neh- men, dass diese Zahl vom Gesamtverband der Deut- Sie sagen, der Einfluss der Kommunen würde mit schen Wohnungswirtschaft ist. Ich bitte Sie auch, zur dem REIT erhalten bleiben. Wir haben uns für eine Kenntnis zu nehmen, dass es natürlich klar ist, dass das Streubesitzklausel entschieden; das bedeutet, eine Kom- Wohnungen in Hotels sind, also Gebäuden, die über mune kann maximal 10 Prozent halten. Zu denken, mit 50 Prozent gewerblich genutzt werden. Es gibt also sol- 10 Prozent könne eine Kommune tatsächlich einen Ein- che Gebäude, in denen auch Wohnungen sind. Das sind fluss darauf haben, wie von einem Unternehmen Stadt- 775 000 Wohnungen. entwicklung betrieben wird, ist Illusion. Wenn wir uns hier über die Einschätzung von Sach- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Mit 0 Prozent ist verständigen austauschen, so sollten wir doch zur Kennt- es schwerer!) nis nehmen, dass der Mieterbund Sie zwar einerseits ge- Ich freue mich, Herr Schick, dass die Grünen wieder lobt hat, dass er sich andererseits aber die Farmer auf auf den rechten Weg zurückgefunden haben und jetzt dem Wohnungsmarkt wünscht und nicht die Jäger und auch wieder für die Herausnahme der Wohnimmobilien Sammler. Ich zitiere noch einmal Herrn Rips: sind. In den Debatten der Vergangenheit und auch in Freiburg klang das alles ein bisschen anders. Ich glaube ziemlich sicher, dass REITs-Unterneh- men eher in die zweite Gruppe gehören. Ich will noch einmal auf die Frage der Exit-Tax ein- gehen. Es wurde schon angesprochen: Hier haben wir Es geht also nicht um die Vereinnahmung von Sachver- eine Begrenzung auf den REIT selber vorgenommen. ständigen, sondern um eine konkrete Bewertung dessen, Zweitens geht es hierbei um die Frage der Fristen. Auch was sie uns während der Anhörung ins Stammbuch ge- dabei haben wir überlegt, was denn Ziel sein soll. Ziel schrieben haben. Da war der Mieterbund trotz allem äu- der großen Koalition war es, die Leute nicht dazu zu er- ßerst kritisch. mutigen, im Hinblick auf mögliche Exit-Tax- und REIT- 9036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Florian Pronold (A) Entscheidungen schon spekulative Käufe zu tätigen. Florian Pronold (SPD): (C) Deswegen haben wir uns auf einen Geltungsbereich von Die Bundesregierung hat in dieser Frage mit der EU- fünf Jahren vor Inkrafttreten des Gesetzes geeinigt. Das Kommission gesprochen und hat sich kundig gemacht, ist im Vergleich zu dem, was vorher galt – man hätte drei wie das von der EU-Kommission rechtlich eingeschätzt Jahre Zeit gehabt, die Grundstücke in einen REIT einzu- wird. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass die Un- bringen –, de facto eine Verkürzung der Frist von sieben terschiede zwischen einem ausländischen und einem in- Jahre auf fünf Jahre. Ich denke, das ist hinnehmbar; denn ländischen REIT gerade auch in der Frage des Besteue- wir sind damit deutlich vor dem Zeitpunkt des Beginns rungsregimes von solchem Gewicht sind, dass insofern der Diskussion und tragen somit Spekulationsabsichten eine Ungleichbehandlung möglich ist. Dies kann zur keine Rechnung. Folge haben, dass für einen ausländischen REIT hier Steuern erhoben werden im Vergleich zu einem inländi- Wir haben – auch darauf haben Sie hingewiesen – schen REIT, für den keine Steuern erhoben werden. auch eine Begrenzung eingezogen, wenn es einen kom- pletten Formwechsel einer Immobilien-AG in einen Das ist wie alle europarechtlichen Fragen mit einem REIT gibt. Wir haben uns auch darum gekümmert, dass Restfragezeichen versehen. Wir werden ohne eine Ent- es nicht möglich ist, dass Konzernstrukturen über ver- scheidung des EuGH nicht weiterkommen; wir kennen schiedene Töchter per Sale-and-lease-back einen REIT ja nun viele, von denen manche überraschend waren, halten. Das war einer der wichtigsten Punkte, die wir manche nicht. – vom Bundesrat angeregt – in der Anhörung aufgegrif- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE fen haben. GRÜNEN]: Und was kostet das?) Herr Dautzenberg, ich darf mich für die gute Zusam- Restzweifel werden immer bleiben, solange es keine Ge- menarbeit bedanken, möchte aber noch etwas in Bezug richtsentscheidung gibt. Aber wir haben uns im Vorfeld auf das Bohren dicker Bretter sagen: Man kann auch an bemüht, diese Zweifel so gering wie möglich zu halten. der falschen Stelle bohren. Ich denke, dass durch die Auskunft, die hier gegeben worden ist, und die Abstimmungen auf europäischer (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Der Bohrer Ebene eine weitestgehende Sicherheit gegeben ist, die steckt an der richtigen Stelle!) hoffentlich hält. Wenn man an der falschen Stelle bohrt, dann sollte man (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der aufhören. Deswegen ist es gut, dass Sie aufgehört haben CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜND- zu bohren, und dass wir uns einig sind, dass Wohnimmo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!) bilien ein anderes Gut sind, dass sie ein Rechtsgut sind, (B) das sehr viel mit Sozialstaat zu tun hat, und dass wir – Ja, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes (D) eben nicht wollen, dass der Renditedruck zulasten von Hand, heißt es. Das gilt auch für den EuGH. Mietern und Investitionen in die Substanz um sich greift. Ich denke, wir bringen einen vernünftigen Kompro- Wir wollen auch nicht, dass die Kommunen die Mög- miss auf den Weg. Da zeigt das Struck’sche Gesetz seine lichkeiten, die sie in der Stadtentwicklung jetzt noch ha- Geltung. Außerdem zeigt sich, dass erst durch eine par- ben, preisgeben müssen. lamentarische Beratung die entscheidenden Fragen ge- stellt werden. Das braucht Zeit. Ich erinnere daran, wie Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: anfangs diskutiert worden ist, wie wenig Probleme es Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des gab und wie Frankreich auf die Nase gefallen ist, weil Kollegen Schick? dort eben nicht gründlich darüber diskutiert wurde. Da- her ist es gut, dass wir uns ein bisschen mehr Zeit ge- nommen haben, um jetzt ein vernünftiges und gutes Pro- Florian Pronold (SPD): dukt auf den Markt zu bringen, das sowohl den sozialen Gerne, weil es meine Redezeit noch einmal verlän- Interessen der Mieterinnen und Mieter sowie der Städte gert. Rechnung trägt als auch den Interessen des Finanzmark- tes. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Der bekommt ja eine Stunde Redezeit, wenn es so weitergeht!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU) NEN): Herr Kollege, ich will nur die Frage zu der Debatte Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: vom 29. Juni aufgreifen, wie das denn europarechtlich Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon, aussieht; ich hatte diese Frage schon einmal gestellt und CDU/CSU-Fraktion. habe noch keine Antwort erhalten. Damals haben Sie er- hebliche Zweifel in dem Sinne geäußert, dass es, wenn (Beifall bei der CDU/CSU) wir einen German REIT einführen, praktisch zu einer völligen Nichtbesteuerung kommen kann. Sie sagten: Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Solange diese Problematik nicht gelöst ist, will ich den Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- REIT nicht. ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, bei al- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9037

Georg Fahrenschon (A) ler Wertschätzung für die Details müssen wir noch ein- Wer mit vordergründigen Argumenten die Einführung (C) mal einordnen, mit welchem Thema wir uns heute von REITs in Deutschland nicht zulässt, liebe Frau Höll, Vormittag befassen. Im Zentrum der Debatte stehen ei- der muss sich darüber im Klaren sein, dass er den Fi- nerseits die Interessen einer wichtigen Impulsgebung für nanzplatz Deutschland nachhaltig schädigt. Das ist in die Immobilienwirtschaft in Deutschland und anderer- dieser Debatte unser Vorwurf an Sie. seits die Fragen eines ausdifferenzierten, in vielen Pro- dukten zum Angebot führenden modernen Finanzplat- (Beifall bei der CDU/CSU) zes Deutschland. Liebe Kollegin, wenn Sie für Ihre rückwärtsgewandte Bezogen auf die Bedeutung der Immobilien für eine Argumentation dann noch den DGB ins Feld führen, Volkswirtschaft und für die deutsche Volkswirtschaft im dann wird der Hund in der Pfanne verrückt. Liebe Frau Speziellen muss man deutlich unterstreichen, wie wich- Höll, der DGB hat in der Anhörung zugeben müssen, tig dieser Sektor ist. dass er sich zwar ausführlich mit dem Thema REITs aus- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) einandergesetzt hat, seine eigenen Bestände aber, weil es zum Beispiel keine aktiennotierte Immobiliengesell- Über vier Fünftel des gesamten deutschen Nettoanlage- schaft gibt, vor kurzer Zeit an Private-Equity-Fonds, an vermögens entfallen auf Immobilien. Das sind Finanzinvestoren verkauft hat. Hier wird wirklich der 3 Billionen Euro; das ist eine imposante Zahl. Bock zum Gärtner gemacht. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Immobilien weisen natürlich spezielle Charakteristika Dr. h. c. [CDU/CSU]: Hört! auf, die bei anderen Gütern nicht anzutreffen sind. Im- Hört! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau so mobilien sind standort- und funktionsgebunden. Immo- ist es! – Zuruf von der CDU/CSU: Im Zweifel bilien weisen eine lange Lebensdauer auf. Sie prägen die ist das PDS-Vermögen auch schon längst bei Umwelt und somit die damit verbundenen Lebensbedin- den REITs! – Heiterkeit bei der CDU/CSU gungen nachhaltig. Die Nutzungsphase und die damit und der FDP) einhergehende Wertschöpfungskette von Immobilien dauern beachtliche 50 Jahre. Sie haben neben ihrer Pri- Für den Anleger ist die Einführung von REITs im Üb- märfunktion Zusatzfunktionen: Ich nenne die Stich- rigen mit einem entscheidenden Vorteil verbunden: Er worte: Altersvorsorge, Sicherung von Krediten und kann seinen Anteil am REIT jederzeit an der Börse ver- – nicht zu vergessen – Denkmalschutz. kaufen, was bei einer Direktinvestition in eine Immo- bilie nicht möglich ist. Das heißt, wir schaffen über die Gleichzeitig wachsen insbesondere neben den Anfor- (B) aktiennotierte Immobiliengesellschaft eine „mobile“ (D) derungen eines guten, starken und stabilen Immobilien- Möglichkeit, am Kapitalmarkt in die „feste“ Immobilie sektors die Kapitalmärkte immer enger und schneller zu investieren. mit den Immobilienmärkten zusammen, und das welt- weit. Immobilien sind mittlerweile eine eigene Anlage- Einen zweiten Vorteil muss man ins Feld führen: Wir klasse, die gleichbedeutend neben den Aktien, neben den alle wissen, dass die Immobilienwirtschaft immer wie- Renten und neben dem Bargeld steht. In diesem Sinne der mit dem Vorwurf der Intransparenz konfrontiert muss uns klar sein, dass die größte Volkswirtschaft in wird. An dieser Stelle hilft uns die Börse mit ihrer ak- Europa, dass ein moderner, schlagkräftiger Finanzmarkt tienrechtlichen Fundierung; denn die deutschen REITs Instrumente braucht, um mit Immobilien handeln zu müssen nach den IFRS, nach den internationalen Regeln können, um in Immobilien wirtschaftlich tätig zu sein. für das Reporting, bilanzieren. Sie müssen eine Bilanz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- aufstellen, sie müssen eine Gewinn-und-Verlust-Rech- neten der FDP) nung machen, sie müssen eine Kapitalflussrechnung und eine Segmentberichterstattung vorlegen. Darüber hinaus Das Ziel des Ihnen heute vorliegenden Gesetzent- gibt es einen speziellen Rechnungslegungsstandard, den wurfs ist, die illiquide Immobilienanlage letztendlich IAS 40, den wir zwingend vorschreiben. Er regelt die schneller und einfacher handelbar und handhabbar zu Bilanzierung von Immobilien, die als Finanzinvestition machen. Vor diesem Hintergrund spielt der Finanz- gehalten werden. markt eine zentrale Rolle. Denn durch die Einführung von REITs erweitert sich endlich das Spektrum der Mög- Frei übersetzt heißt das: Über das Instrument der lichkeiten, indirekt in Immobilien zu investieren. REITs ist es in Zukunft nicht mehr möglich, dass ein Buchhaltungskünstler ein Einfamilienhaus zum Ver- In diesem Zusammenhang muss man schlicht und kehrswert des Trump Towers bilanziert. Dass wir im Be- einfach festhalten, dass die REITs als Produkt internatio- reich der deutschen Immobilienwirtschaft Transparenz nal eingeführt sind. In den 60er-Jahren haben wir uns in möglich machen, ist ein wesentlicher Fortschritt. Das Deutschland mit der Entwicklung von offenen und ge- muss an dieser Stelle gesagt werden. schlossenen Immobilienfonds beschäftigt. Andere Fi- nanzmärkte haben die aktiennotierte Immobiliengesell- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schaft gewählt. Wir müssen heute feststellen, dass in neten der SPD) über 20 Ländern über das Instrument der REITs gehan- delt wird und sich die Immobilienfonds trotz all ihrer Der Anleger weiß immer ganz genau, was in einem Stärken international nicht so durchgesetzt haben. REIT wirklich steckt. 9038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Georg Fahrenschon (A) Der Kollege Schick kam mit dem Vorwurf „Chaos in (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) (C) der Steuerpolitik“. In diesem Zusammenhang gibt es drei Punkte, über die wir uns unterhalten müssen: muss uns allen klar sein, wir sind hier nicht am Ende der Debatte, Erstens. Bezogen auf die Steuerbefreiung unterlie- gen Sie, sehr geehrter Herr Kollege, einem Denkfehler; (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau so ist es!) denn angesichts der Steuerbefreiung für die deutsche sondern wir werden, insbesondere im europäischen Um- REIT-AG und des Fehlens einer Steuerbefreiung für aus- feld, natürlich weiter über das neue Finanzprodukt der ländische REITs dürfen Sie nicht allein die Ebene der börsennotierten Immobiliengesellschaft reden. Wir sind Gesellschaft betrachten, sondern müssen endlich akzep- als Bundesrepublik Deutschland jetzt in der guten Lage, tieren, dass wir an dieser Stelle die Besteuerung beim dass wir uns positiv in eine europäische Regulierung ein- Anleger brauchen. bringen können. Vor diesem Hintergrund ist heute ein (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ guter Tag für die Immobilienwirtschaft, ist heute ein gu- CSU]) ter Tag für den Finanzplatz Deutschland. Wir geben heute grünes Licht für neue Investitionen, für neue Kon- Die garantieren wir auf diesem Weg. Vor diesem Hinter- zepte, für neue Arbeitsplätze und für positives Wachs- grund ist der Vergleich der Gesellschaften nicht zweck- tum. dienlich, sogar falsch. Sie müssen auf die Anleger schauen. Da ist die Besteuerung gesichert. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Zweitens: Exit-Tax als mögliche Beihilfe für Inlän- der. In diesem Zusammenhang muss man zum einen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: noch einmal das Argument ins Feld führen, das schon der Bundesfinanzminister vorgebracht hat: Jeder Eigen- Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der tümer eines entsprechenden Grundstücks kann bei Ver- Kollegin Höll. äußerung die Vergünstigung der Exit-Tax in Anspruch nehmen. Da ist keinerlei Ungleichbehandlung festzustel- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): len. Zum anderen ist die Einstellung des halben Veräuße- Sehr geehrter Herr Kollege, ich will Ihnen gerne be- rungsgewinns in eine Rücklage, die wir in diesem Ge- scheinigen, dass der DGB auch meines Erachtens setz definieren, hinsichtlich des Umfangs und der Frist manchmal durchaus widersprüchlich handelt. Aber es ist zur Wiederanlage letztendlich restriktiver als die bisher (B) noch nicht so – und wird sicher auch nicht so kommen –, (D) unbeanstandet gebliebene Regelung zu § 6 b Einkom- dass die Linke und der DGB in ihrem Agieren völlige mensteuergesetz. Man kann hier also nicht von einer Abstimmung hätten. Ich kann Ihnen versichern, dass Beihilfe ausgehen; vor diesem Hintergrund gehen Ihre auch meine Unterschrift unter der Protestresolution ge- Vorwürfe da ins Leere. gen den Verkauf des Gewerkschaftshauses in Leipzig, eines sehr traditionsreichen Hauses, stand. Das ändert (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ aber nichts daran, dass die Einschätzung des DGB-Ver- CSU]) treters in der Anhörung Hand und Fuß hatte, dass er Bezogen auf den offenen Punkt, die Vorbelastung, recht hatte. will ich deutlich machen, worin wir uns von der Vorgän- gerregierung unterscheiden: Wir gehen das Problem (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) transparent an. Wir haben klipp und klar gesagt, dass wir Zweitens möchte ich Ihnen sagen: Sie haben gelobt, hier noch nacharbeiten müssen, dass wir für den offenen heute sei ein guter Tag für die Immobilienwirtschaft in Punkt noch Zeit brauchen. Das sagen wir auch gleich; Deutschland. Wir als Linke lehnen die Einführung der wir beschließen nicht und bessern dann hinterher nach. REITs in Deutschland ab. Ich muss sagen, es entbehrt (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht einer gewissen Pikanterie, dass in der Fachpresse NEN]: Das werden Sie auch noch tun!) weitgehend einmütig festgestellt wird – eigentlich sollte mich das beruhigen –, dass die deutschen REITs ein Flop Wir werden für die Vorbelastung im Laufe des Jahres seien und zur Verbesserung des Finanzstandortes eine Regelung finden und damit die REITs auch steuer- Deutschland nicht viel beitragen werden, lich auf eine fundierte und absehbar belastbare Basis stellen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Komisch, wo- her Sie das alles wissen!) (Beifall bei der CDU/CSU) weil deutsche Anleger weiterhin vor allem im Ausland Ich will in diesem Zusammenhang noch einen Gedan- investieren werden und ausländische Anleger in deut- kengang aufnehmen, der, lieber Herr Kollege Pronold, sche REITs. Da werden wir jeweils noch höhere Steuer- auch nicht außer Acht gelassen werden darf: Angesichts ausfälle bekommen. Die Einschätzung ihrer REITs der Tatsache, dass wir nun einen deutschen REIT haben, durch die Finanzmärkte ist alles andere als positiv. Es dass es in Frankreich und in Großbritannien einen gibt gibt Risiken: Sie haben sich in der gesamten Debatte und dass es absehbar auch in Italien und in anderen Län- nicht geäußert, wie das mit Immobilienblasen wie der in dern einen geben wird, den USA ist, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9039

Dr. Barbara Höll (A) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die hat doch einbezogen wurden. Ich glaube, es ist ein guter Stil, (C) nichts mit unseren REITs zu tun!) wenn man nicht nur Ressortdenken an den Tag legt, son- dern auch berücksichtigt, welche Auswirkungen die Ent- wo derzeit große Prozesse laufen, wo derzeit REITs von scheidungen auf andere Ressorts haben, um auch so- Private-Equity-Fonds aufgekauft werden, wodurch die ziale, wohnungspolitische und städtebauliche Aspekte Vorteile, die mit REITs verbunden sind – eine gewisse bei der Gesetzgebung beachten zu können. Das ist ein Transparenz an der Börse –, wieder verloren gehen. Sie gutes Beispiel für Nachhaltigkeit. haben sich auch nicht zu den Unstimmigkeiten mit den europäischen Richtlinien geäußert. In Ihrer Gesetzge- Wir haben in Deutschland eine besondere Situation. bung sind so viele Fragen offen, dass man die Einfüh- Denn 57 Prozent der Wohnungen in Deutschland sind rung der REITs, selbst wenn man wohlwollend wäre vermietet. Die Eigentumsquote ist bei uns geringer als in – was ich nicht bin –, ablehnen müsste. anderen Ländern. Die Geschichte der deutschen Woh- nungswirtschaft ist dadurch geprägt, dass substanziell Danke. hochwertige Wohnungen zur Verfügung stehen. Die hie- (Beifall bei der LINKEN) sigen Wohnungsunternehmen haben stets Wert darauf gelegt, in die Substanz zu investieren. Hinzu kommt, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dass das Mietpreisniveau in Deutschland niedriger als in Irgendwie wird es üblich, dass die Redner, die schon unseren westlichen Nachbarländern ist. Das ist eine gute geredet haben, immer noch der Redezeit bedürfen. Des- Ausgangssituation für all die, die darauf warten, dass wegen erteile ich auch noch dem Kollegen Thiele das REITs eingeführt werden. Wort zu einer Kurzintervention. Wohnungen haben in Deutschland einen Doppelcha- rakter: als Wirtschaftsgut und als Sozialgut. Der Cha- Carl-Ludwig Thiele (FDP): rakter als Sozialgut ist abgeleitet aus dem Sozialstaatsge- Herzlichen Dank, Herr Präsident. Das ist mitunter die bot „Eigentum verpflichtet“ und der Tatsache, dass die Form einer Debatte, die nicht nur in Talkshows geführt Wohnung einer der wichtigsten Lebensorte ist. Woh- werden darf, sondern auch im Deutschen Bundestag, ins- nungspolitik ist ein Instrument, das gezielt einzusetzen besondere über solche Themen. ist, um Folgekosten gering zu halten. Denn wer zahlt das Wohngeld, wenn die Mieten steigen? Wer hilft sozial Herr Kollege Fahrenschon, Sie haben zutreffender- Schwachen, wenn die Nachbarschaftshilfe ausbleibt? weise darauf hingewiesen, dass der DGB seine Woh- Wer hilft denen, die sich nicht mehr selber helfen kön- nungsbestände verkauft hat. Dass jedoch auch die PDS- nen? geführte Stadtregierung in Dresden die Wohnungsbe- (B) stände veräußert hat Man kann auch von einer Sozial- und Stadtrendite (D) sprechen. Das ist jene Rendite, die aus einem vorsorgli- (Dr. [DIE LINKE]: Was? chen und nachhaltigen Wohnungsmanagement hervor- „-geführt“ stimmt nicht! Das ist falsch!) geht. Ein Ziel hierbei ist zum Beispiel die Vermeidung und ebenso die Regierung in Berlin, zeigt: Wenn man von Kriminalität und Verwahrlosung. Das hat auch Aus- eine politische Monstranz durchs Land tragen kann, wirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Aber das dann hält man sie hoch – was momentan geschieht –, merkt man meist erst dann, wenn Kosten entstehen, und doch wenn es konkret wird, dann handeln Politiker in nicht, wenn Kosten vermieden werden. der Praxis ganz anders, als sie es in der Öffentlichkeit Es ist aber festzustellen, dass ein Wandel stattfindet. darstellen. Wer sich in der Vergangenheit auf dem Wohnungsmarkt (Beifall bei der FDP – Leo Dautzenberg betätigt hat, hat immer auch die soziale Orientierung im [CDU/CSU]: Wobei „Monstranz“ bei der PDS Blick gehabt und die Notwendigkeit einer umsichtigen übertrieben ist!) Stadtentwicklung akzeptiert. Daher ist vor der Entschei- dung über Verkäufe oder Teilverkäufe von kommunalen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wohnungen an Private eine umfassende Folgenabschät- Kollege Fahrenschon verzichtet. Dann kann jetzt Kol- zung notwendig. lege Ernst Kranz die Debatte zu diesem Tagesordnungs- Während sich Private auf die „gute“ Mieterschaft punkt beenden. konzentrieren, haben kommunale Unternehmen und vor allem die Kommunen selber ein gutes Quartiersmanage- Ernst Kranz (SPD): ment im Auge und eine ausgewogene Mieterschaft zum Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle- Ziel. Kommunale Wohnungsunternehmen sind häufig gen! Meine Vorredner sind schon ausführlich auf die Be- die einzigen Akteure bei Bundesprogrammen wie „So- deutung der Branche und auf die Ziele, die mit der Ein- ziale Stadt“ oder „Stadtumbau Ost“. Verkaufen Kommu- führung von REITs verfolgt werden, eingegangen. Ich nen ihre Wohnungen, fehlt ihnen ein wichtiges Instru- werde mich deshalb auf den wohnungspolitischen As- ment der Stadtentwicklung. pekt dieses neuen Anlageinstruments konzentrieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Modell Ich möchte besonders meiner Fraktion und der Unter- der Wohnungswirtschaft bietet hohe Wohnqualität zu be- arbeitsgruppe, die gebildet wurde, dafür danken, dass zahlbaren Mieten. Es ermöglicht eine ausgewogene wir Wohnungspolitiker von Anfang an in die Diskussion Stadtentwicklung ebenso wie ein gutes Quartiersmanage- 9040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Ernst Kranz (A) ment. Deshalb war und ist es wichtig, die Wohnungen im FDP-Fraktion und einzelner Stimmen aus der Fraktion (C) Bestand aus den REITs herauszuhalten. Wir müssen auf- des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. passen, dass der Sozialgutcharakter nicht abhanden- kommt und Wohnungen nur noch als Handelsgut betrach- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, tet werden. kommen wir noch zu einer nachträglichen Ausschuss- überweisung. Es ist gebeten worden, den Antrag der Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3354 mit dem Titel „Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mer Mobilfunkgeräte“ nachträglich auch an den Aus- der CDU/CSU) schuss für Gesundheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: sung so beschlossen. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 24 auf: Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer mit börsennotierten Anteilen. Der Finanzausschuss emp- Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- SES 90/DIE GRÜNEN sache 16/4779, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf Drucksachen 16/4026 und 16/4036 in der Ausschuss- stärken – mehr Kinder- und Jugendfreundlich- fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- keit durch eine neue Beteiligungskultur setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Drucksache 16/3543 – tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- Überweisungsvorschlag: tung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ab- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) lehnung von Linksfraktion und Grünen und bei Innenausschuss Enthaltung der FDP angenommen. Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dritte Beratung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Haushaltsausschuss Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- (B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (D) entwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die zuvor angenommen. Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten Abstimmung über den Entschließungsantrag der erhalten soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- so beschlossen. sache 16/4780. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Kai Gehring, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses das Wort. gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen abgelehnt. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Neue Junge Menschen sind Bürgerinnen und Bürger mit eige- Steuervergünstigungen und Gewinnverlagerungen in das nen demokratischen Rechten. Es ist unsere Aufgabe, Ausland verhindern – REITs in Deutschland nicht ein- diese Rechte zu achten und Beteiligungsmöglichkeiten führen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- auszubauen. Echte Beteiligung motiviert zum Mitma- schlussempfehlung auf Drucksache 16/4779, den Antrag chen und ist damit ein gutes Mittel gegen Politikverdros- der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4046 abzu- senheit. Deshalb müssen wir auf allen politischen Ebe- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – nen nicht nur mehr Demokratie wagen, sondern wir Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- müssen vor allen Dingen früher Demokratie wagen. empfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Linksfraktion angenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. [CDU/CSU]) Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „REITs – Ob Klimaschutz, Bildungspolitik oder Staatsverschul- Real Estate Investment Trusts in Deutschland einfüh- dung: Was wir heute entscheiden, wirkt sich besonders ren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- stark auf Kinder, Jugendliche und künftige Generationen fehlung auf Drucksache 16/3356, den Antrag der Frak- aus. Junge Menschen müssen mitentscheiden, damit ihre tion der FDP auf Drucksache 16/1896 abzulehnen. Wer Zukunft nicht auf der Strecke bleibt. Deshalb ist es ein stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt völlig falsches Signal, dass der Bundesinnenminister die dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Absenkung des Wahlalters nach österreichischem Vor- ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der bild ablehnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9041

Kai Gehring (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – brauchen eine neue Beteiligungskultur, mit der schon (C) [CDU/CSU]: Das ist in den Kindertagesstätten und Schulen begonnen wird. sinnvoll!) Kinder und Jugendliche sollen ihr Lebensumfeld aktiv mitgestalten können, zum Beispiel Spielplätze, Schul- Die Jugendministerin meldete sich in der Wahlalter- höfe und auch Verkehrswege. Sie sind Expertinnen und debatte bedauerlicherweise, aber auch erwartungsge- Experten in eigener Sache. Altersgerechte Beteiligungs- mäß erst gar nicht zu Wort. Beteiligung ist aber ein zen- projekte und Verfahren fördern Selbstwirksamkeit, traler Baustein für eine kinder- und jugendfreundliche Selbstbewusstsein, Persönlichkeitsentwicklung und Ver- Gesellschaft. antwortung. Ihre Ergebnisse sollen ungefiltert in politi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sche Entscheidungen einfließen. Dies gilt umso mehr, wenn wir die demografische Die Programme der Bundesregierung haben hier De- Entwicklung betrachten. Jugendliche werden in unserer fizite. Bei der Entwicklung, Durchführung und Evalua- Gesellschaft immer mehr zur Minderheit. Bereits 2010 tion müssen Kinder und Jugendliche mitwirken. Ge- werden weniger Jugendliche als Menschen über 65 Jahre meinsam mit Nichtregierungsorganisationen müssen in Deutschland leben. Im Jahr 2050 wird die Zahl der äl- hierzu verbindliche Qualitätsstandards entwickelt wer- teren Menschen fast doppelt so hoch sein wie die der den. Gerade im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft jüngeren. Mehr Mitsprache für Kinder und Jugendliche brauchen wir auch einen intensiven Austausch über gute ist in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft Beispiele von qualitativ hochwertiger Kinder- und Ju- daher ein Gebot von Generationengerechtigkeit und fai- gendbeteiligung in den europäischen Ländern. rem Miteinander sowie unerlässlich für einen Generatio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nendialog auf Augenhöhe. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alle Kinder und Jugendliche müssen über ihre Wir müssen verhindern, dass noch mehr Lasten in die Rechte informiert werden. Mir ist es wichtig, dass unser Zukunft verschoben werden. Wir Grüne wollen daher Haus hier mit gutem Beispiel vorangeht. Wir wollen da- die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre. her, dass die Anhörungsrechte für Kinder und Jugendli- Dann würde es schwerer, die Stimmen junger Menschen che beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zu überhören. im Rahmen einer breit angelegten Kampagne in dieser Zielgruppe überhaupt erst einmal bekannt gemacht wer- Das von einigen geforderte Elternwahlrecht ist da- den. Ich finde es wichtig, hier mit gutem Beispiel voran- gegen aus unserer Sicht keine Lösung; denn das persön- zugehen. liche Wahlrecht kann und soll nicht delegiert werden. (B) (D) Uns Grünen ist besonders wichtig, dass unterreprä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sentierte und benachteiligte junge Menschen stärker be- Mit einem Stellvertreterwahlrecht begäben wir uns auf rücksichtigt werden, um durch Beteiligungsangebote ih- einen verfassungspolitischen Holzweg, weil die Grund- rer Ausgrenzung entgegenzuwirken und Teilhabe zu sätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl ge- ermöglichen. Politische Bildung und demokratische Be- nauso verletzt würden wie das Prinzip der Höchstpersön- teiligung von Kindern und Jugendlichen müssen zu ei- lichkeit. Ich will, dass Jugendliche selbst wählen und nem festen Bestandteil unserer politischen Kultur wer- nicht die Eltern je nach Kinderzahl. den. Sparmaßnahmen bei der politischen Bildung, wie in manchen Ländern geplant, sind daher genau der falsche (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Weg. DIE GRÜNEN]: Die Familienministerin hätte dann acht Stimmen für die CDU!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es könnte auch nicht richtig sein, wenn Ministerin von Generationengerechte und nachhaltige Lösungen kön- der Leyen stellvertretend für ihre Kinder sieben Mal das nen nur gefunden werden, wenn junge Menschen ihre Kreuzchen bei der CDU machen könnte. Sichtweisen auch wirklich wirkungsvoll einbringen kön- nen. Eine neue Beteiligungskultur und die Absenkung (Michaela Noll [CDU/CSU]: Ist doch nicht des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre können einen wichti- verkehrt! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das gen Beitrag dazu leisten. Früher Demokratie wagen – das wäre gut!) muss für uns alle ein wichtiger Leitgedanke werden. Kinder und Jugendliche dürfen auf keinen Fall unter- Vielen Dank. schätzt werden. Sie sind reif und kompetent genug, und sie brauchen Unterstützung durch politische Bildung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele junge Menschen engagieren sich in Initiativen und Verbänden. Sie zeigen Verantwortungsbewusstsein und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gestalten die Zukunft gerne mit. Echte Mitwirkung moti- Ich erteile Kollegen Paul Lehrieder, CDU/CSU-Frak- viert und fördert die Demokratie, Pseudobeteiligung tion, das Wort. schreckt dagegen ab. Wir haben in unserem Antrag ein Bündel an Maßnah- Paul Lehrieder (CDU/CSU): men dafür vorgeschlagen, wie die Kinder- und Jugend- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! beteiligung in Deutschland besser gelingen kann. Wir Liebe Kollegen! Werte Zuschauer draußen an den Gerä- 9042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Paul Lehrieder (A) ten! Liebe Zuschauer hier auf der Tribüne! Insbesondere Dies gilt für den Alltag in der Familie, die Gestaltung (C) begrüße ich auch die Mitglieder der Blaskapelle Feld- des Wohnumfelds, im Kindergarten und in der Schule. moching hier oben auf der Tribüne herzlich, weiß ich Aber auch in der gesellschaftlichen Debatte um die doch sehr wohl, welch tolle Jugendarbeit in unseren Zukunft unseres Gemeinwesens braucht die Stimme von Blaskapellen genauso wie in den Sportvereinen und in Kindern und Jugendlichen einen festen Platz. Denn Kin- anderen kulturschaffenden Vereinen geleistet wird, dass der und Jugendliche, die sich selbst aktiv gestaltend er- die Blaskapellen in Bayern im Bayerischen Jugendring fahren, werden sich auch als Erwachsene eher an der Ge- als Bläserjugend aufgenommen wurden und dass für staltung des Gemeinwesens beteiligen. viele Jugendliche und Heranwachsende in den Jugend- abteilungen der Vereine erste Schritte des demokrati- Die Forderung nach mehr Kinderbeteiligung ist daher schen Verhaltens, der Partizipation und der Beteiligung für mich keinesfalls eine Modeerscheinung. Dennoch, am politischen Willensbildungsprozess eingeübt werden. meine Damen und Herren von den Grünen, werden wir Deshalb herzlichen Dank an die Blaskapellen. Ihren Antrag nicht unterstützen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?) – Sie hätten ruhig auch ein bisschen klatschen können, Herr Rix. – ja, Frau Schewe-Gerigk, das ist nun einmal so –, da die Bundesregierung längst die Bedeutung dieses Themas Wir debattieren heute über mehr Kinder- und Jugend- für ein kinderfreundliches Deutschland erkannt hat. Die beteiligung. bessere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: längst eine Zielsetzung der Großen Koalition und als Ge- Kommen Sie zum Thema!) staltungsauftrag bereits im Koalitionsvertrag verankert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kai – Ich war schon beim Thema, Herr Gehring. Haben Sie Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht aufgepasst? Ich habe doch über Jugendbeteiligung Dann können Sie dem Antrag ja zustimmen!) in den Vereinen und über Partizipation gesprochen. Sie müssen mir schon zuhören. Im Haushalt sind dafür 5 Millionen Euro eingestellt. Denn uns ist klar: Demokratie braucht engagierte und in- (Zuruf von der LINKEN: Das haben wir doch teressierte junge Menschen. auch verstanden!) Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Um sich in die Lage von Kindern und Jugendlichen Frauen und Jugend hat daher gemeinsam mit der Bun- (B) zu versetzen, muss man sich als Erwachsener nur plas- deszentrale für politische Bildung und dem Deutschen (D) tisch vorstellen, wie ein Kind die Welt sieht. Aus einer Bundesjugendring das „Aktionsprogramm für mehr Höhe von 1,10 Meter sieht die Welt ganz anders aus als Jugendbeteiligung“ ins Leben gerufen. Im Ausschuss aus der Perspektive eines Erwachsenen. Da werden dicht besteht darüber im Übrigen Konsens, und zwar auch mit an dicht parkende Autos am Straßenrand zum fast un- den Oppositionsparteien. Herzlichen Dank für die Unter- überwindbaren Hindernis, weil der Blick auf den Ver- stützung dieses Programms. kehr versperrt ist. Das haben Sie, meine Freunde von den Grünen, auch erkannt. Auf Seite 2 Ihres Antrages stellen (Beifall der Abg. [SPD]) Sie fest, dass Beteiligung und Mitgestaltung auf glei- Das Aktionsprogramm richtet sich an verbandlich cher Augenhöhe mit den Kindern und Jugendlichen er- und nichtverbandlich organisierte Kinder und Jugendli- folgen müssen. che der Altersgruppe zwischen circa 6 bis 24 Jahren. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da Schwerpunkte dieses Programms sind zum Beispiel: müssen Sie mal in die Knie gehen!) „Der Wert der jungen Generationen in der Gesellschaft“, „Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien“, – Frau Deligöz, ich glaube, Sie haben später Gelegen- „Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“, heit, zu dem Thema zu reden. „Demografischer Wandel“ und „Mehrgenerationenaus- gleich“. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Mit diesem Gedankenspiel wird schnell klar, dass soll einerseits in bestehenden Jugendprojekten gestärkt Kinder nicht nur einen anderen Blick auf die Welt haben, werden; andererseits sollen auch neue Projekte initiiert sondern auch über eine besondere Kompetenz verfügen. werden, in denen neue Formen und Möglichkeiten der Sie sind sozusagen Experten in eigener Sache. Teilnahme entwickelt, erprobt und etabliert werden. Ich (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!) möchte in diesem Zusammenhang insbesondere auf das sehr engagierte Wirken der Kinderkommission hinwei- Niemand stellt heute noch ernsthaft infrage, dass die Be- sen. teiligung von Kindern Sinn macht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit ha- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der ben, ihre Wünsche, Hoffnungen und Ängste überall dort LINKEN) einzubringen, wo es um ihre Belange geht. Unter dem Motto „Nur wer was macht, kann auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verändern“ beinhaltet das Aktionsprogramm die Förde- neten der SPD) rung vielfältiger Einzelmodule wie die bereits erprobte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9043

Paul Lehrieder (A) und erfolgreiche Projektreihe des Deutschen Bundesju- trags stellen Sie als Begründung für die geringe Wahlbe- (C) gendrings „Come in Contract“. Dabei lernen Jugendli- teiligung der Jugendlichen fest, dass die Jugendlichen in che, Verträge auszuhandeln und ihre Vereinbarungen an- aller Regel wichtige Entscheidungen, zum Beispiel die schließend umzusetzen. Berufswahl, vorzubereiten haben. Das heißt, viele Ju- gendliche nehmen sich gar nicht die Zeit, beispielsweise Im Rahmen von Medienworkshops bekommen Ju- sozialpolitische Entscheidungen so zu hinterfragen, wie gendliche von Medienprofis Tipps zur Umsetzung von es im Hinblick auf ein aktives Wahlrecht sinnvoll wäre. eigenen Projektideen. Die Teilnehmenden sollen dazu Lassen Sie deshalb die Jugendlichen in Ruhe und sorgen animiert werden, die eigene Meinung und ihre Interessen Sie dafür, dass sie sich vernünftig entwickeln! Belassen in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen und umzuset- wir das Wahlalter bei 18 Jahren! zen. Jugendliche sind in ihrem Entwicklungsprozess leich- Einer der Höhepunkte des Aktionsprogramms für ter von extremer politischer Seite, von rechts oder von mehr Jugendbeteiligung wird ein Festival bzw. Sommer- links, zu beeinflussen. camp 2008 sein. Hierzu werden etwa 10 000 teilneh- mende Kinder und Jugendliche erwartet. (Jörg Tauss [SPD]: Das habe ich auch schon bei alten Rentnern erlebt!) Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist zudem eine Reihe von Veranstaltungen zu diesem Be- – Herr Tauss, aber Sie werden mir recht geben, dass die reich geplant. Darüber hinaus werden Aktionen zur Eu- jungen Leute – prozentual – leichter zu beeinflussen ropawahl 2009 stattfinden. Hierbei sollen Ideen zur sind, während ältere Menschen schon in vielen Berei- Wahlmotivation von Jugendlichen gesammelt und ent- chen aktiv waren. wickelt werden. Jugendbeteiligung hat also für uns auch eine europäische Dimension. Außerdem lassen sich die Vorstellungen und Wün- sche von Kindern und Jugendlichen bei ernsthaftem Be- Wie Sie sehen, meine Damen und Herren von den mühen auf örtlicher Ebene auch ohne Wahlberechti- Grünen, ist die Bundesregierung in Sachen mehr Kinder- gung hervorragend berücksichtigen. Das wurde in und Jugendbeteiligung bereits sehr aktiv. Mit Ihrem An- meinem Wahlkreis Würzburg schon längst erprobt. Ich trag kommen Sie somit in vielen Punkten viel zu spät. darf Ihnen aufgrund eigener 16-jähriger Tätigkeit als Mit der in Ihrem Antrag geforderten Herabsetzung des Bürgermeister mitteilen: Die Jugendlichen mischen sich Wahlalters auf 16 Jahre gehen Sie allerdings etwas zu ein. Wenn Sie ein Jugendzentrum sich demokratisch weit. Herr Gehring, Sie sind ein netter Kerl selbst verwalten lassen und sagen: „Wählt mir jeman- den, der den Schlüssel bekommt, und wählt mir jeman- (Jörg Tauss [SPD]: Nicht immer, aber manch- (B) den, der den Kopf hinhält, wenn die Sperrzeiten nicht (D) mal schon!) eingehalten werden“, dann werden Sie erleben, dass sich – Herr Tauss, das stimmt schon –, aber da lobe ich mir in die Jugend ein Stück weit selber organisiert. In den Be- Ihrer Fraktion den Kollegen . Er hat vor reichen, in denen es um ihre konkreten, gruppenspezifi- wenigen Wochen auf einer Veranstaltung in der bayeri- schen Belange geht, kann man die Jugend vollumfäng- schen Vertretung ausgeführt: Wenn man über eine He- lich ernst nehmen und ihr entsprechend gewichtete rabsetzung des Wahlalters von Jugendlichen nachdenkt, Einflussmöglichkeiten geben. Das wird von allen ver- darf man nicht die Verantwortlichkeit der Jugend in nünftigen Bürgermeistern gemacht. Ob es sich nun um strafrechtlicher und zivilrechtlicher Hinsicht außer Acht freie oder um kirchlich gebundene Jugendarbeit in der lassen. Man kann nicht sagen: „Jawohl, ich bin Jugendli- KJB oder der Evangelischen Landjugend handelt, über- cher oder Heranwachsender im Sinne des Strafrechts“, all ist die Jugend daran interessiert, sich ein Stück weit und dann volle Mitwirkungsrechte reklamieren. Wenn selber zu verwalten. In diesen Bereichen funktioniert es. man A sagt, muss man auch B sagen. Man muss darüber (Jörg Tauss [SPD]: Beim Wahlalter 21 haben nachdenken, ob die Jugendlichen heutzutage schon so wir das schon ähnlich diskutiert!) reif sind, dass sie bereits mit 16 Jahren erwachsen sind; das ziehe ich in vielen Bereichen in Zweifel. Wenn man – Das hat der Kollege Montag schon gesagt; das war das aber bejaht, kann man über eine Herabsetzung des knapp vor meiner Zeit. Wahlalters und über die Pflichten von Jugendlichen nachdenken. Aber einseitig Rechte einzuräumen und Aus meinem Wahlkreis weiß ich: Junge Menschen nicht Verpflichtungen gegenüber dem Staat, der Gesell- wollen sich beteiligen. Dazu gäbe es sicherlich noch ei- schaft und dem eigenen Verhalten zu reklamieren, geht niges zu sagen. Im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit an der Sache vorbei. und auf einen mir im Rücken sitzenden Präsidenten werde ich allmählich zum Ende kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte Ihnen, den Grünen, noch ein Kompliment Herr Gehring, in einigen Bundesländern wurde be- machen. Zumindest haben Sie erkannt, dass ein Eltern- reits das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt. Auf Bun- wahlrecht auch keine probate Lösung ist. Weil der eine desebene halte ich eine solche Forderung für weit über- oder andere Vater – zum Glück – CDU/CSU wählen zogen. In meinen Augen ist die Jugendphase durch ein würde, während die heranwachsenden Kinder vielleicht Abgrenzen vom Elternhaus, die Suche nach dem Wohin zu den Grünen tendierten, lehnen Sie wohl das Eltern- sowie dem Ausprobieren und Austesten von Grenzen ge- wahlrecht ab. Aus Sicht der Union könnten wir damit le- kennzeichnet. Im zweiten Absatz auf Seite 3 Ihres An- ben. Ich wünsche mir, dass sich alle über 18-jährige Mit- 9044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Paul Lehrieder (A) bürger an den nächsten Wahlen – der Kommunalwahl hält und der aus Desinteresse und Desillusionierung (C) am 2. März 2008 und der Landtagswahl im September rührt. 2008 in Bayern sowie der Bundestagswahl im Septem- ber 2009 – möglichst vollzählig beteiligen. Dann hätten Wie schaffen wir es nun, dass Jugendliche vernünftig wir viel erreicht. mit ihrer Stimme umgehen und sie weder missbrauchen noch verfallen lassen? Indem sie etwas davon abbekom- Herzlichen Dank. men, was andere haben, nämlich etwas von Wissen und Erfahrung. In dieser Hinsicht hat der Duden recht. Wis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sensvermittlung geschieht in erster Linie über Bildung, neten der SPD) im Kindesalter spielerisch, später in der Schule und in der Ausbildung durch Theorie und Praxis. Gerade die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Praxis ist besonders wichtig. Erfolgserlebnisse zu haben, Ich erteile das Wort Kollegin Miriam Gruß, FDP- ist der beste Motivationsschub. Fraktion. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) In Kinder- und Jugendforen, Versammlungen von Ju- Miriam Gruß (FDP): gendlichen oder auch in Schülervertretungen kann der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Erfolg und der Umgang mit Niederlagen ganz konkret Damen und Herren! Partizipieren heißt laut Duden, von geprobt werden. Ich möchte dazu ein kurzes Beispiel ge- dem, was ein anderer hat, etwas zu bekommen. Diese ben. Ich habe hier in diesem Haus bei der Veranstaltung Definition ist für mich leider genauso vage und pauschal „Jugend und Parlament“ einen Jugendlichen kennen- wie Ihr Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren gelernt. Dieser hatte mich eingeladen, in seiner Schule in von den Bündnisgrünen. seinen Unterricht zu kommen, um die Arbeitsweise des Bundestages und mich als junge Bundestagsabgeordnete Die stärkere Partizipation von Kindern und Jugendli- vorzustellen. Ich hätte dies gerne gemacht, aber der So- chen muss ein Schwerpunkt in der Kinder- und Jugend- zialkundelehrer lehnte dies ab. Politiker gehören an- politik werden. Darin stimmen wir alle im Hause über- scheinend nicht in den Lehrplan. ein. Schade finde ich allerdings, dass Sie in Ihrem Antrag mit keinem Wort erwähnen, wie Sie Ihr ehren- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ wertes Engagement finanzieren wollen. DIE GRÜNEN]: Das ist in Nordrhein-Westfa- len ganz anders!) (Beifall bei der FDP – Kai Gehring [BÜND- Was mich vor allem gestört hat, ist, dass das Engage- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Partizipation muss (D) nicht immer was kosten!) ment eines jungen Menschen abgewiegelt wurde. Das ist meiner Meinung nach ein falsches Signal an die Jugend. Wir hätten insgesamt gern an vielen Stellen in Ihrem An- trag gewusst, was Sie meinen und wie Sie sich das näher (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie vorstellen. bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fange einmal mit dem Konkretesten an, was ich in Ihrem Papier gefunden habe: die Herabsetzung des Wenn Bemühungen nicht belohnt werden, brauchen wir Wahlalters auf 16 Jahre bei Kommunal-, Landtags-, uns über mangelnden Einsatz nicht zu wundern. Bundestags- und Europawahlen. Darüber kann man re- Um Erfahrungen zu sammeln, bewährt sich immer den, aber dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die noch das Sprichwort: learning by doing. Jugendparla- Kinder und Jugendlichen wissen, worüber sie abstim- mente oder Jugendorganisationen sind die richtigen Fo- men sollen. Da müssen wir uns auch einmal an die ei- ren, um erlerntes Wissen anzuwenden und sich neue Er- gene Nase fassen und uns fragen, wie wir eigentlich über kenntnisse zu verschaffen. Wir Liberale schlagen Politik sprechen. Gerade eben hatten wir eine schöne beispielsweise Jugendwahlen vor, die parallel zu den Plenardebatte über REITs. Ich bezweifle, dass die Ju- richtigen Wahlen entweder von der Stadt oder von den gendlichen verstehen würden, um was es dabei über- Schulen organisiert werden. Dadurch können junge haupt geht. Es gibt aber noch andere Beispiele wie Ka- Menschen Demokratie lernen und erfahren, wie sie pitaldeckungsverfahren, Umlageverfahren usw. Deshalb selbst daran teilhaben können. habe ich unserer Bundespartei vorgeschlagen – wir wer- den das auch machen –, als erste Partei in Deutschland (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: eine Kinderseite einzurichten, um Jugendlichen und Warum sind Sie dann gegen ein Wahlalter von Kindern kindgerecht Politik zu vermitteln, sowohl aktu- 16?) ell als auch grundsätzlich. Mir schweben zudem konkrete Projekte wie der Quali- (Beifall bei der FDP – Sönke Rix [SPD]: Die pass aus Baden-Württemberg vor. Bundesregierung hat das schon!) (Ernst Burgbacher [FDP]: Baden-Württem- – Ich rede von den Parteien. berg ist immer gut!) Ein ernster Punkt ist – darüber haben wir gestern im Der Qualipass richtet sich an Jugendliche zwischen Plenum debattiert – der Rassismus, der zunehmend in zwölf und 25 Jahren und dokumentiert Praxiserfahrun- Deutschland auch in der Mitte der Gesellschaft Einzug gen und Kompetenzgewinne, die Jugendliche durch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9045

Miriam Gruß (A) Praktika, Vereinsmitarbeit, Arbeit in Schülerinitiativen, Viertens. Diese Einbindung stärkt die Akzeptanz von (C) Auslandsaufenthalte, Nachbarschaftshilfe oder ver- politischen Gestaltungsprozessen. Auch falsche und un- gleichbare Tätigkeiten erworben haben. Sie bekommen beliebte Entscheidungen bleiben für Jugendliche greif- damit ein Zeugnis über ihr Engagement. bar. „Transparenz durch Beteiligung“ lautet das Motto. Für die FDP ist die aktive Einbeziehung und politi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ein Leitziel, das nur erreicht werden kann, wenn drei Bedin- Die SPD-Fraktion hat schon in der letzten Legislatur- gungen erfüllt sind: Erstens. Jugendliche müssen da ab- periode – übrigens gemeinsam mit den Grünen – wich- geholt werden, wo sie stehen, sie müssen ernst genom- tige Schritte in Richtung einer besseren Beteiligung von men werden und echte Gestaltungs- und Kindern und Jugendlichen unternommen. Ein Kern- Mitentscheidungschancen erhalten. stück ist der Nationale Aktionsplan „Für ein kinderge- rechtes Deutschland 2005–2010“. Dieser Aktionsplan (Beifall bei der FDP) befasst sich nicht nur inhaltlich mit einer stärkeren Be- Zweitens. Ihr Engagement darf sich nicht in einmaligen teiligung von Kindern und Jugendlichen, sondern er ist Aktionen erschöpfen, sondern muss kontinuierlich ge- auch mit ihrer Hilfe erarbeitet worden. Das war eine fördert werden. Drittens. Es darf nicht zu Scheinpartizi- richtige Entscheidung und keine pure Symbolpolitik. pationen kommen; denn die demotivieren nur. Hier geht es um die Lebenswelt der Kinder. Wir sind auf ihre Kompetenzen angewiesen. (Beifall bei der FDP – Ina Lenke [FDP]: Das ist wahr!) Wir werden an den Forderungen des Aktionsplans Jeder von uns hier im Plenum kann selbst überprüfen, ob festhalten und sie gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen er in seinem Wahlkreis oder in seiner täglichen Arbeit und ihren Verbänden umsetzen. Einen Zwischenbericht mit Kindern und Jugendlichen diese drei Grundvoraus- zu den Umsetzungen hat das Bundesjugendministerium setzungen erfüllt. Wenn dem so ist, sind wir auf dem noch für dieses Jahr angekündigt. Außerdem wird eben- richtigen Weg; denn Kinder und Jugendliche haben nicht falls in diesem Jahr ein Kongress stattfinden, der über erst mit 18 Jahren ein Recht darauf, diese Gesellschaft die Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugend- mitzugestalten und sich zu beteiligen. lichen informieren soll. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Seit Anfang dieses Jahres gibt es ein neues Programm Lehrieder [CDU/CSU]) für mehr Jugendbeteiligung. Das Motto lautet: „Nur wer was macht, kann auch verändern.“ Im Rahmen dieses Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Programms werden unterschiedliche Hilfen angeboten: (B) Ich erteile das Wort Kollegen Sönke Rix, SPD-Frak- Zum Beispiel bekommen Jugendliche in Workshops von (D) tion. Medienprofis Tipps zur Umsetzung von eigenen Projek- ten. Hier lernen sie, ihre Meinungen und Interessen öf- fentlich bekannt zu machen. Sönke Rix (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ein besonders erfolgreiches Angebot, das schon im Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an politi- Rahmen des Projekts P gefördert wurde, ist „Come in schen Entscheidungen ist richtig und wichtig. Dafür gibt Contract“, zu Deutsch: Schließt einen Vertrag. Kinder es vier Gründe, die ich hier kurz nennen will: und Jugendliche schließen mit politisch Verantwortli- Erstens. Kinder und Jugendliche müssen mit den Ent- chen auf unterschiedlichen Ebenen einen Vertrag. Das ist scheidungen, die wir heute treffen, später leben. Das ist eine Idee, die viele Kolleginnen und Kollegen von uns in schon in den beiden vorigen Reden deutlich geworden. ihren Wahlkreisen mit Kindern und Jugendlichen unbe- dingt einmal ausprobieren sollten. Vor allen Dingen soll- Zweitens. Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche ten sie sich dann auch an die Vertragsinhalte gebunden Demokratie positiv erleben, fühlen. „Come in Contract“ ist ein voller Erfolg. Darum (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des wird diese Aktion weitergeführt. Ich appelliere noch ein- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mal: Machen Sie ruhig mit! dass sie sehen, dass es etwas bringt, Interessen zu formu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lieren. So kann die Demokratiefähigkeit von Kindern Wenn wir über die politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gefördert werden. und Jugendlichen reden, reicht es nicht, allein Projekte Drittens. Wir brauchen den Sachverstand von Kindern zu initiieren, sich dann zurückzuziehen und lediglich ir- und Jugendlichen. Sie sind Expertinnen und Experten in gendwelche Projektangebote zu machen. Jugendbeteili- ihren Belangen. Zu vielen Themen haben wir doch gar gung findet auch in einer anderen Form statt, beispiels- keinen Bezug mehr, auch wenn wir nur 1,50 Meter groß weise in den Jugendverbänden. Diese Arbeit müssen wir sind. auch weiterhin intensiv unterstützen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Außerdem müssen wir eines immer wieder in den Es kommt auf die Jugendlichen und die Kinder an; sie Vordergrund rücken: Kinder und Jugendliche wollen und kennen ihre Belange. müssen ernst genommen werden. Sobald sie das Gefühl haben, sie seien nur schmückendes Beiwerk – so nach (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dem Motto: Wir machen mal eine Jugendwahl, und ihr 9046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Sönke Rix (A) könnt ein bisschen Parlament spielen –, haben wir sie Das ist ein Satz aus dem heute zu debattierenden Antrag, (C) spätestens dann, wenn sie merken, dass ihr Tun keinerlei der – so sollte man denken – in einer demokratischen Konsequenzen hat, als Partner verloren. Das darf nicht Gesellschaft selbstverständlich ist. passieren. Einerseits wird also die Partizipation, die Teilhabe, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ junger Bürgerinnen und Bürger hochgehalten. Anderer- CSU, der LINKEN und des BÜNDNIS- seits ist es dann aber leider zu oft so, dass vorhandene SES 90/DIE GRÜNEN) Instrumente sogar geschwächt werden. Es gibt viele verschiedene Beispiele. Ich will einmal (Beifall bei der LINKEN) ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Eckernförde in Schleswig-Holstein benennen. Dort gibt es das in Einige Beispiele dafür, wie die elementarsten Rechte Schleswig-Holstein am längsten selbstverwaltete Ju- von Jugendlichen beschnitten werden, findet man ohne gendzentrum. Es wird seit den wilden Zeiten von damals große Mühe. Es ist ein Jahr her – daran muss hier erin- autonom verwaltet. Bis heute ist es eines der Vorzeige- nert werden –, dass dieses Parlament erwerbslosen Ju- projekte. Dort können Kinder und Jugendliche nicht nur gendlichen zwischen 18 und 25 Jahren eines der zentra- lernen, wie man mit dem Etat selbstständig umgeht, son- len Selbstbestimmungsrechte genommen hat: die freie dern sie können auch aktiv Einfluss auf die Programma- Wahl der Wohnung. tik und die Inhalte der Angebote dieses Jugendzentrums (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das sind schon nehmen. Heranwachsende, Frau Kollegin!) (Ina Lenke [FDP]: Das kann man doch auch in Seitdem müssen diese Jugendlichen bis zum 25. Geburts- Niedersachsen!) tag als Teil der Bedarfsgemeinschaft im „Hotel Mama“ – Ja, das kann man bestimmt auch in Niedersachsen ma- bleiben. Es muss doch selbst Ihnen auffallen, wie lächer- chen. Ich wollte nur einmal ein schönes Beispiel nennen; lich es diese Jugendlichen finden, wenn man ihnen erst schließlich gibt es bestimmt noch Gegenden – das gilt das Recht auf eine eigene Wohnung nimmt und ihnen mit Sicherheit nicht für Ihren Wahlkreis –, in denen so dann mehr Partizipation verspricht. tolle Projekte noch nicht stattfinden. Wir sind aufgefor- (Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: dert, Programme dieser Art mit zu initiieren. Quatsch! So einen Unsinn habe ich lange nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gehört!) „Schön, dass wir mal darüber geredet haben“, das – Ich glaube schon, dass Ihnen das nicht gefällt; es muss reicht natürlich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. aber trotzdem gesagt werden. (B) Das möchten wir verhindern. Wir müssen den Weg wei- Weiter im Geschäftsbereich des Arbeitsministeriums. (D) tergehen, den wir unter der rot-grünen Bundesregierung Dort sitzt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe an der Mo- eingeschlagen haben. Das führen wir nun mit einem an- dernisierung und Weiterentwicklung des Jugendarbeits- deren Koalitionspartner fort. schutzgesetzes. Je mehr von den Plänen nach außen Wir werden auch weiterhin konkrete Ziele wie die dringt, desto mehr wird deutlich: Diskutiert wird über Herabsetzung des Wahlalters diskutieren. Wenn wir Kin- eine Schleifung der Schutzrechte. Auch hier frage ich der und Jugendliche für Politik begeistern, haben wir üb- mich, was Jugendliche von Politikern denken, die erst rigens auch eine Chance, gegen die grassierende Politik- dafür sorgen, dass sie vermehrt nachts und am Wochen- verdrossenheit anzugehen. Kinder und Jugendliche an ende arbeiten müssen, politischen Entscheidungen zu beteiligen, das schafft ein (Ina Lenke [FDP]: Mehr arbeiten sowieso neues Bewusstsein für Politik. Dazu sollten wir alle uns nicht!) aufgefordert fühlen. und ihnen dann von mehr Partizipation erzählen. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Wechseln wir ins Bildungsministerium! Dort liegt seit DIE GRÜNEN) Jahren der Entwurf für eine Verordnung auf Halde, die die Mitbestimmungsmöglichkeiten für Jugendliche in außer- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: betrieblichen Ausbildungseinrichtungen regeln soll. Das betrifft nicht wenige. Das erkennen wir, wenn wir uns vor Das hat Wort nun Kollegin Diana Golze, Fraktion Die Augen halten, dass im Osten der Republik auf jeden be- Linke. trieblichen Ausbildungsplatz drei Bewerber kommen. (Beifall bei der LINKEN) Apropos Ausbildung: Auch die Umlagefinanzierung liegt auf Eis, und Jahr für Jahr schauen Sie zu, wie Zehn- Diana Golze (DIE LINKE): tausende Jugendliche zu Beginn ihres Arbeitslebens aufs Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Abstellgleis geschoben werden. Liebe Kolleginnen und nen und Kollegen! Kollegen der Grünen, auch Sie haben in dieser Frage versagt; da nützen alle schönen Worte über mehr Partizi- Politik für Kinder und Jugendliche kann nur wirk- pation nichts. sam und glaubhaft sein, wenn sie eine Politik mit ihnen ist. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9047

Diana Golze (A) Ihr Antrag geht am Kern des Problems vorbei. Allein Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) schon die Tatsache, dass Sie der Kinder- und Jugend- Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Kucharczyk, hilfe nur eine marginale Rolle einräumen, verrät, dass es SPD-Fraktion. sich um eine Sonntagsrede in Drucksachenform handelt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Iris (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleicke [SPD]: Jetzt kommt wieder Qualität in Das kann man zu Ihrem ja auch sagen!) die Debatte!) Gerade die Jugendhilfe – das ist einer der wichtigsten Bausteine zur Realisierung von realer Kinder- und Ju- Jürgen Kucharczyk (SPD): gendpartizipation – wurde mit der Föderalismusreform Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! erheblich geschwächt. Die Linke sieht in einer offensi- Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her- ven Förderung und sinnvollen Weiterentwicklung der ren! Mein Kollege Sönke Rix hat vorhin klargestellt: Der bewährten Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe eine von SPD-Fraktion und Bundesregierung eingeschlagene wirkliche Chance, die Mitsprache- und Entscheidungs- Weg ist richtig. Das kann ich nur unterstreichen. Der möglichkeiten entscheidend zu stärken. Wenn Sie die vorliegende Antrag der Opposition beschreibt unsere be- Shell-Studie schon zur Grundlage machen, dann sollten reits in der vergangenen Legislaturperiode zustande ge- Sie sie auch ernst nehmen und daraus die richtigen kommenen Erfolge; hierbei verweise ich auf unser Schlussfolgerungen ziehen. Projekt P und die Projektreihe „Come in Contract“. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Des Weiteren und für mich unverständlich fordert die Welche ziehen Sie daraus?) Fraktion der Grünen eine generelle Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Diese Form der Partizipation Stattdessen wirkt Ihr Antrag wie ein buntgemischter bindet junge Menschen nicht in die aktive Mitgestaltung Strauß kaum konkret unterlegter Maßnahmen. Statt die unserer Gesellschaft ein und lindert erst recht nicht die vorhandenen Partizipationselemente – Vertretungen der Politikverdrossenheit eines großen Teils der Bevölke- Schülerinnen und Schüler, Jugend- und Auszubildenden- rung über die Kommunalwahlen hinaus. Die Zahlen aus vertretungen, Jugendgemeinderäte und Jugendparla- den Bundesländern sprechen eine deutliche Sprache: Der mente – zu stärken, Anteil 16- bis 18-Jähriger, die von einer Absenkung di- rekt betroffen wären, liegt zwischen 2 und 4 Prozent. Ich (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lehne eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre über Steht drin!) die Kommunalwahl hinaus – also auch bei Landtags-, statt hier endlich Vorschläge für bundesweit einheitliche Bundestags- und Europawahlen, wie die Bündnisgrünen Regelungen zu machen, schmieden Sie neue, unausge- es fordern – ab. (B) (D) gorene Pläne. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ Zum Beispiel?) DIE GRÜNEN]: Warum? Haben Sie Erfah- rungen?) In Ihrem Konzept spielt die Frage nach der Existenz- sicherung von Kindern und Jugendlichen überhaupt Kinderrechte in die Verfassung zu schreiben, ist sicher- keine Rolle. Das setzt Ihre Beteiligung an einer Hartz- lich der konsequentere und richtigere Weg. IV-Politik fort, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehört beides zusammen!) Wir schreiben nicht in jeden Antrag was zur Die politische Partizipation von Jugendlichen können Arbeitsmarktreform!) und müssen wir auf vielfachen Wegen fördern, insbeson- die die Kinder- und Jugendarmut massiv verschärft hat. dere durch die Motivation zu aktiver Mitarbeit in unse- ren Kommunen. Mit Jugendstadträten, deren Stellung in (Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: den städtischen Hauptsatzungen verankert wird, konnten Es lebe die Vereinfachung! – Sönke Rix positive Erfahrungen gemacht werden, wie ich aus mei- [SPD]: Eben waren sich noch fast alle Fraktio- ner Heimatstadt Remscheid weiß. Ich unterstütze aus- nen in vielen Fragen einig! – Zuruf von der drücklich die bereits bestehenden Projekte unter der CDU/CSU: Jetzt vergleichen Sie Äpfel mit Schirmherrschaft des Familienministeriums, die sich im Birnen!) Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung bündeln. Es ist wichtig und richtig, dass bewährte Projekte weiter Nur wenn sich die Forderungen junger Menschen gefördert und neue initiiert werden. Denn es leuchtet ein, konkret und wiedererkennbar in der Politik widerspie- den Bereich der Kinder- und Jugendbeteiligung innova- geln, wird der Satz endlich mehr sein als nur eine hohle tiv und flexibel zu gestalten. Phrase: Mit dem Europäischen Pakt für die Jugend stellen wir Politik für Kinder und Jugendliche kann nur wirk- uns den Herausforderungen, die einer stärkeren Beteili- sam und glaubhaft sein, wenn sie eine Politik mit gung der Jugendlichen unter anderem entgegenstehen. ihnen ist. Aktives Staatsbürgertum und die soziale Entwicklung Vielen Dank. junger Menschen in den Mitgliedstaaten unterstützen wir durch gezielte Projekte: von kommunalen Jugendparla- (Beifall bei der LINKEN) menten bis zum Europäischen Jugendforum, dem Dach- 9048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

Jürgen Kucharczyk (A) verband europäischer Jugendorganisationen. Damit in- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: (C) vestieren wir nicht nur in die individuelle berufliche und Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia gesellschaftliche Zukunft der Jugend, sondern letztlich Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer in die Zukunft der gesamten europäischen Gemein- Abgeordneter und der Fraktion der FDP schaft. Fusionsforschung zielgerichtet weiterführen – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können es uns Deutschen Beitrag sichern nicht leisten, dass Jugendliche beruflich oder sozial auf der Strecke bleiben. Wir müssen die jungen Menschen – Drucksache 16/3650 – ernst nehmen, integrieren und ihnen Hilfestellung für ein Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und selbstständiges Leben geben. Dazu möchte ich ein er- Technikfolgenabschätzung (f) folgreiches Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen: Die Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Jugendhilfewerkstatt Solingen hat in den letzten 20 Jah- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ren über 500 Jugendlichen unterschiedlichster Nationali- Haushaltsausschuss tät, die aus sozial benachteiligten Familien stammen, Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll eine berufliche und soziale Perspektive gegeben. gegeben: (Karlsruhe-Land), Dieter Grasedieck, Cornelia Pieper, Petra Sitte, Hans-Josef (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fell.1) der CDU/CSU) Ich kann damit die Aussprache schließen. Zwei Drittel dieser jungen Frauen und Männer haben mittlerweile ihr Leben selbst und eigenverantwortlich in Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf die Hand genommen. Einen ihrer größten Erfolge er- Drucksache 16/3650 an die in der Tagesordnung aufge- zielte die Jugendhilfewerkstatt 1994. Sie entwickelte das führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Solinger Mahnmal gegen Rechtsradikalismus und Aus- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung länderfeindlichkeit, das weltweit Bedeutung erlangt hat. so beschlossen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 26 auf: der CDU/CSU) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion unterstützen das politische und soziale Engagement von der LINKEN Kindern und Jugendlichen und wollen, dass sie die ak- (B) tive Beteiligung an der Demokratie und am Gemeinwe- Verzicht der Bundesregierung auf Einnahmen (D) sen ernst nehmen. Soziale Verantwortung und Solidarität aus Sponsoring mit Schwächeren entsteht durch Teilhabe und Bildung. – Drucksache 16/4488 – Wir müssen garantieren, dass alle Schüler einen Zugang Überweisungsvorschlag: zu der Förderung bekommen, die sie benötigen, um sich Haushaltsausschuss (f) selbst aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Dazu gehö- Innenausschuss ren auch die genaue Betrachtung der Kritik des UN-Ge- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sandten Muñoz an unserem Bildungssystem und daraus Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll ge- resultierend die Neugestaltung unseres bislang dreiglied- geben: Christoph Bergner, Petra Merkel (Berlin), rigen Schulsystems. Claudia Winterstein, Gesine Lötzsch, Anja Hajduk.2) Den letzten Satz meiner Ausführungen möchte ich Damit kann ich auch diese Aussprache schließen. insbesondere an unsere jungen Mitbürger richten: Nur wer sich heute engagiert und für Freiheit, Solidarität und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Gerechtigkeit einsteht, ist morgen imstande, eine Stütze Drucksache 16/4488 an die in der Tagesordnung aufge- der Gesellschaft zu sein und in einer solidarischen Ge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- sellschaft zu leben. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: destages auf Mittwoch, den 28. März 2007, 13 Uhr, ein. Ich schließe die Aussprache. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3543 an die in der Tagesordnung aufge- (Schluss: 12.16 Uhr) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung 1) Anlage 3 so beschlossen. 2) Anlage 4 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9049

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Ahrendt, Christian FDP 23.03.2007 Korte, Jan DIE LINKE 23.03.2007

Altmaier, Peter CDU/CSU 23.03.2007 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 23.03.2007

Barth, Uwe FDP 23.03.2007 Kröning, Volker SPD 23.03.2007

Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 23.03.2007 Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 23.03.2007 Marieluise DIE GRÜNEN Lehn, Waltraud SPD 23.03.2007 Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 23.03.2007 Lopez, Helga SPD 23.03.2007 von Bismarck, Carl- CDU/CSU 23.03.2007 Eduard Maurer, Ulrich DIE LINKE 23.03.2007

Blumentritt, Volker SPD 23.03.2007 Merten, Ulrike SPD 23.03.2007

Dreibus, Werner DIE LINKE 23.03.2007 Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 23.03.2007

Eichel, Hans SPD 23.03.2007 Rachel, Thomas CDU/CSU 23.03.2007 (B) (D) Ernst, Klaus DIE LINKE 23.03.2007 Dr. Reimann, Carola SPD 23.03.2007

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 23.03.2007 Runde, Ortwin SPD 23.03.2007

Friedhoff, Paul K. FDP 23.03.2007 Schäfer (Bochum), SPD 23.03.2007 Axel Gloser, Günter SPD 23.03.2007 Schäffler, Frank FDP 23.03.2007 Heilmann, Lutz DIE LINKE 23.03.2007 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 23.03.2007 Hilsberg, Stephan SPD 23.03.2007 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 23.03.2007 Hinz (Essen), Petra SPD 23.03.2007 Schulte-Drüggelte, CDU/CSU 23.03.2007 Bernhard Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 23.03.2007 DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 23.03.2007 Reinhard Hoff, Elke FDP 23.03.2007 Spieth, Frank DIE LINKE 23.03.2007 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ 23.03.2007 DIE GRÜNEN Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/ 23.03.2007 DIE GRÜNEN Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 23.03.2007 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 23.03.2007 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 23.03.2007 DIE GRÜNEN

Klöckner, Julia CDU/CSU 23.03.2007 Thönnes, Franz SPD 23.03.2007 9050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) mente entwickelt werden, damit die flexiblen Möglich- (C) entschuldigt bis keiten der Altersteilzeit sowie der gleitende Einstieg Abgeordnete(r) einschließlich Jüngerer stärker als bisher genutzt werden. Die Alters- teilzeit muss zu einer Altersgleitzeit werden. Dr. Troost, Axel DIE LINKE 23.03.2007 Die Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversiche- Ulrich, Alexander DIE LINKE 23.03.2007 rung bei gleitenden Altersübergangsmodellen muss at- traktiver gestaltet werden. Dazu zählen außerdem ver- besserte Zuverdienstmöglichkeiten, ein Teilrentenbezug Wissmann, Matthias CDU/CSU 23.03.2007 bereits ab dem 60. Lebensjahr sowie erweiterte Möglich- keiten zur Aufstockung des Rentenversicherungsbeitra- Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 23.03.2007 ges. Margareta DIE GRÜNEN Gerade in Branchen mit körperlich oder psychisch stark belastenden Tätigkeiten sollte die Möglichkeit von Anlage 2 Zusatzbeiträgen zur Rentenversicherung geschaffen werden. Diese können dann von den Tarifpartnern aus- Erklärung nach § 31 GO gestaltet werden. Dazu gehört aber auch, dass ältere Ar- des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) beitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit gesundheitli- zur namentlichen Abstimmung über den Ent- chen Einschränkungen die Möglichkeit erhalten, den wurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelal- Umfang ihrer Erwerbstätigkeit ihrem gesundheitlichen tersgrenze an die demografische Entwicklung Leistungsvermögen anzupassen. und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen Nicht zuletzt gehören zu einer altersgerechten Ar- der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Al- beitswelt und zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit tersgrenzenanpassungsgesetz) (86. Sitzung, Ta- älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue For- gesordnungspunkt 20 c) men der Qualifizierung und Weiterbildung, der Arbeits- Ich stimme dem oben genannten Gesetzentwurf zu. gestaltung und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes die Humanisierung der Arbeitswelt. Ich tue dies, um die gesetzliche Rentenversicherung langfristig zu stabilisieren und auf eine solide Finanz- Ich bin der festen Überzeugung, dass der oben ge- grundlage zu stellen. Angesichts der steigenden Lebens- nannte Gesetzentwurf nur in Verbindung mit diesen un- erwartung und der gesunkenen Geburtenrate ist dieser terstützenden Maßnahmen eine angemessene Antwort (B) Schritt notwendig, damit die gesetzliche Rentenversi- auf die Herausforderungen des demografischen Wandels (D) cherung auch künftig als wichtigste Säule der Altersver- darstellt. sorgung durch die Beitragszahler finanzierbar bleibt. Ich stimme diesem Gesetzentwurf zu, um mit dieser langfristig angelegten strukturellen Reform einen Bei- Anlage 3 trag zur gerechten Verteilung der Lasten zwischen den Generationen zu leisten. Zu Protokoll gegebene Reden Ich tue dies aber auch, weil die Potenziale älterer zur Beratung des Antrags: Fusionsforschung Menschen im Arbeitsleben besser als bisher genutzt wer- zielgerichtet weiterführen – Deutschen Beitrag den müssen. Der Alterungsprozess in unserem Land ist sichern (Tagesordnungspunkt 25) langfristig unumkehrbar. Deshalb brauchen wir in Poli- tik, Gesellschaft und Wirtschaft ein Umdenken zuguns- Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Als ten älterer Menschen, Denn die Anpassung der Alters- ich den Antrag der FDP gelesen habe, den wir heute de- grenzen ist nur dann sinnvoll, wenn es gleichzeitig zu battieren, da habe ich zunächst gedacht: Das ist ein toller einer echten Verbesserung der Arbeitsmarktsituation für Antrag, dem kann ich zustimmen. Fusionsforschung ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt. zielgerichtet weiterführen – das ist auch mein Ziel. Das Viel zu oft sind Ältere gegen ihren Willen von der Ar- ist auch das Ziel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das beitswelt ausgeschlossen und ihre Fähigkeiten und Er- ist auch das Ziel der Koalition. Den Deutschen Beitrag fahrungen bleiben ungenutzt. an der Erstellung des ITER sichern – das ist selbstver- Ich verbinde meine Zustimmung mit der Erwartung, ständlich, dem widmen wir uns, dem widmet sich auch dass noch in diesem Jahr flankierende Regelungsvor- die Bundesregierung wieder. „Wieder“ muss man sagen, schläge in den Deutschen Bundestag eingebracht wer- denn die Zeiten von rot-grüner Verhinderungspolitik den. sind vorbei. Dazu zählt insbesondere, dass auch künftig ab dem Rot-Grün ist vorbei. Vorbei ist der große Einfluss vie- 55. Lebensjahr gleitende Übergänge in den Ruhestand ler lautstarker grüner Solisten in der Bundesregierung. möglich sein müssen. Gerade die Altersteilzeit hat sich Vorbei ist die Zeit, in der sie in Regierungsverantwor- als erfolgreiches und attraktives arbeitsmarktpolitisches tung Deutschland mit Unterstützung ihres antiatomaren Instrument erwiesen, um Älteren eine flexible Arbeits- Panikorchesters aus dem Orchestergraben der internatio- zeitreduzierung zu ermöglichen. Hier müssen Instru- nalen Kernforschung fast herausgeblasen haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9051

(A) Zwischenspiel: Ja, Herr Fell, ich erinnere mich noch der. Die Risiken regionaler Konflikte für die Welt wer- (C) an Ihre Aktivitäten in den letzten Jahren. Ich erinnere den so wirksam begrenzt. Hochwertige Energie kann mich an die Klagen der Wissenschaftler über willkürli- ohne großen Landschaftsverbrauch, ohne größere Ein- che Schikane. Ich erinnere mich noch gut daran, was Sie griffe in die Umwelt und ohne Emissionen von Kohlen- in Ihrer Regierungszeit alles angestellt haben, um die dioxid bzw. von umweltschädigenden Schadstoffen be- Kernforschung in Deutschland möglichst zu beenden reitgestellt werden. Günstige Energie steht praktisch und die deutschen Forscher bei ihrer Arbeit zu behin- unbegrenzt zur Verfügung. Die globale Reichweite heute dern. genutzter Energieträger könnte um Größenordnungen in die Zukunft ausgedehnt werden. Deutsche Kernforschung am Aufholen. Ich bin jeden- falls froh, dass nicht das Schlimmste eingetreten ist. Die Diese Vorteile zeigen die enormen Potenziale, die in deutsche Kernforschung existiert noch. Sie ist auch in- der friedlichen Nutzung der Kernenergie für zukünftige ternational gut aufgestellt. Zum Glück. Und wenn ich die Generationen liegen. Die Überwindung der weltweiten Zeitung diese Woche richtig gelesen habe, dann gilt das Energieknappheit eröffnet Räume für neue Produkte und nicht nur für die Kernfusionsforschung, sondern auch für Produktionen, für mehr Wohlstand und weniger Kriege. die Kernspaltung. Gerade auch die Transmutation sollte man weiter verfolgen. Sie eröffnet vielversprechende Gleiches Ziel – anderer Weg. Und genau hierauf zielt Perspektiven, um das Atommüllproblem zu lösen. Sol- der Antrag der FDP. In diesem Ziel stimmen wir auch che Chancen dürfen wir uns als verantwortliche Politiker überein – aber nicht, was den Weg dahin betrifft. Beim nicht entgehen lassen. Antrag der FDP habe ich mich schon gewundert. Ich kenne Sie – und die Liberalen gelten ja auch allgemein – Kernforschung auf internationalem Niveau fällt aber als beflissene und engagierte Kontrolleure der Bundesre- nicht vom Himmel. Dieser Stand ist auch das Resultat gierung. Sie legen normalerweise Wert auf einen verant- der intensiven Aktivitäten der Bundesregierung seit dem wortungsvollen Umgang mit öffentlichen Mitteln. Wenn Herbst 2005, seit Frau Bundesministerin Dr. Schavan es darum geht, Geld mit der Gießkanne zu verteilen, das Forschungsministerium leitet. Seither werden die denke ich zunächst an andere politische Gruppierungen Prioritäten wieder zukunftsorientiert gesetzt. Die Ver- hier in diesem Haus. Deshalb kann ich mir überhaupt säumnisse von Rot-Grün werden beseitigt, und von grü- nicht erklären, dass Sie in Ihrem Antrag fordern, Steuer- nen Bremsklötzen befreit geht es voran. – Voran in der gelder einfach so freihändig zu verteilen. Derzeit häufen Kernforschung und in Deutschland. Der Kollege sich ja – wie wir alle wissen – beim Finanzminister Krummacher hat sich ja zu Recht immer wieder über die 15 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen an. Es wäre Verhinderungspolitik der Grünen beschwert. aber fatal, wenn angesichts des vielen Geldes nicht nur (B) Die Chancen der Kernfusion für eine nachhaltige die üblichen Verdächtigen sinnlich werden, sondern (D) Energieversorgung. Das ist wichtig. Die aktuelle Ener- auch die Kollegen von der FDP die Spendierhosen an- gie- und Klimadebatte zeigt uns doch eines überdeutlich: ziehen wollten. Denn auch wenn es dem Bund finanziell Wir müssen dringend die bestehenden Chancen zur Si- etwas besser geht, dürfen wir forschungspolitisch nicht cherung einer nachhaltigen und preiswerten Energiever- gleich die Bodenhaftung verlieren. sorgung für Deutschland in Europa ergreifen. Und so Planung statt Schnellschuss. Es besteht überhaupt viele langfristig erfolgversprechende Möglichkeiten ha- keine Notwendigkeit, die Deckelung auf den 115 Millio- ben wir nicht. Auch unseren Partnern in Europa, Japan, nen Euro institutioneller Mittel jetzt aufzuheben. Diese Russland, den USA, China, Indien und Südkorea ist klar: Mittel sind ohnehin gebunden. Für die weitere Beteili- Die konsequente weitere Förderung der Fusionsfor- gung am ITER sind hingegen 11 Millionen zusätzliche schung und der zügige Bau des ITER-Fusionsreaktors Projektmittel im Haushalt eingestellt. Und wenn wir der sind wichtige Schritte für eine nachhaltige Energiever- Meinung sind – und das sind wir von der Regierungsko- sorgung der Zukunft. alition jedenfalls –, dass die Bundesregierung erst ein Nachdem die physikalischen Fragen zur Strompro- nachvollziehbares und fundiertes Programm zur Gestal- duktion in einem Fusionsreaktor geklärt sind, müssen tung der zusätzlichen Aufgaben der Fusionsforschung wir jetzt die technischen Herausforderungen möglichst vorlegen soll, bevor die Projektmittel in vollem Umfang schnell lösen. Bei entsprechendem politischen Willen abfließen werden, dann ist das doch keine Willkür. Im kann die Kernfusion 2050 oder sogar früher ihren Bei- Gegenteil: Eine fundierte Planung der technischen Um- trag für eine umweltfreundliche und kostengünstige setzung ist doch Voraussetzung dafür, dass die wichtige Energieversorgung der Zukunft leisten. Künftigen Gene- Fusionsforschung in Deutschland in geeigneter Weise rationen würde sich eine weitere Option für die dauer- vorangebracht wird. Mit einer guten Koordination und haft tragfähige Sicherung ihrer Energieversorgung eröff- mit guten Resultaten werden wir in internationaler Zu- nen. sammenarbeit diese Energietechnologie zügig und ohne lange Umwege zur Anwendungsreife im ITER voran- Günstige hochwertige Energie für mehr Wohlstand. bringen. Dafür sind die Projektmittel vorgesehen und Zu den wesentlichen Vorteilen der Kernfusion zählt, werden, wenn notwendig, auch abgerufen werden kön- dass die dazu benötigten Rohstoffe weltweit gleichmä- nen. ßig verteilt sind. Die Energieversorgung kann damit praktisch überall unabhängig von Energieimporten mit Ich bin überzeugt davon: Schnellschüsse bringen uns heimischen Ressourcen erfolgen. Die Unabhängigkeit hier nicht weiter. Wir müssen im Gegenteil unseren Part- von Energieimporten stärkt vor allem rohstoffarme Län- nern deutlich machen, dass unser Land die notwendigen 9052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) Vorarbeiten für den Bau der großen Komponenten des stets mit Augenmaß. Nach diesem Grundsatz haben alle (C) ITER leisten kann. Bundesregierungen gehandelt. Deutschlands ITER-Beitrag. Deutschland bringt Seit 1956 wird im Forschungszentrum Jülich auf dem diverse Schlüsseltechnologien in das ITER-Projekt ein: Gebiet der Plasma- und Fusionsforschung gearbeitet. Im Supraleitende Magnete und Stromkabel sowie Systeme Forschungszentrum Karlsruhe wurde Grundlagenfor- zur Aufrechterhaltung des Brennstoffkreislaufes und der schung für die technologische Entwicklung für den Plasmaheizung werden vor allem an den deutschen ITER betrieben. Am 28. Juni 2005 – also zur Zeit der Helmholtz-Zentren erarbeitet. Zur Entwicklung und zum SPD-Grünen-Koalition – einigten sich sieben Industrie- Prototypenbau für die internationale Materialfor- staaten auf den Bau des ITER in Frankreich. Die sieben schungsanlage für Fusionswerkstoffe werden technisch Industriestaaten waren die EU, China, Russland, Japan, sehr anspruchsvolle Bestrahlungskammern zur Prüfung USA, Indien und Südkorea. von Werkstoffen benötigt. Daneben forschen wir an Durch die internationale Kooperation wird das nötige neuartigen kältetechnischen Anlagen und an Prüfinstru- Wissen gebündelt. Die großen Staaten dieser Welt versu- menten zur Beurteilung und Verbesserung der Energie- chen das wichtigste Zukunftsproblem gemeinsam zu lö- gewinnung des ITER. Die Forschungs- und Entwick- sen und das Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen. lungsleistungen sollen unsere Position über die Nach Vertragsabschluss sagte im Jahr 2005 die Ministe- bisherigen Programme hinaus weiter bei der Beteiligung rin : Der europäische Standort des an ITER stärken. ITER bietet Deutschland optimale Möglichkeiten für ITER und Mittelstand. Es versteht sich für mich von Forschung und Industrie. Die Chance für lukrative In- selbst, dass davon nicht nur unsere Forscher, sondern dustrieaufträge ist da. auch unsere Unternehmen profitieren sollen und werden. Das siebte Rahmenprogramm Euratom fördert die Fu- Als Beschäftigungsmotor in vielen Regionen – ich denke sionsforschung von 2007 bis 2011 mit 2,8 Milliarden. hier besonders auch an die Technologieregion Karlsruhe, Die SPD und unsere Ministerin unterstützten diese Ent- aus der ich komme – können wir die Bedeutung des Mit- scheidung. Nur, bei aller ITER-Begeisterung brauchen telstandes für Wohlstand und Entwicklung gar nicht groß wir stets eine Förderung mit Augenmaß. Seit 50 Jahren genug einschätzen. Wenn unsere Fusionsforscher in forschen wir in Jülich und Karlsruhe; weitere 50 Jahre Karlsruhe, Julich und München gute Vorarbeiten leisten, wird es dauern, bis wir in Fusionskraftwerken wirt- dann werden wir auch eine nennenswerte Beteiligung schaftliche Energie produzieren können. Das Risiko ei- deutscher Unternehmen am ITER-Projekt erreichen kön- ner Fehlinvestition ist groß, da die Entwicklung nen. Dann werden auch zukunftssichere produktive Ar- 100 Jahre benötigt. Dadurch wird der Mut zur Geduld (B) beitsplätze mit hoher Wertschöpfung in Deutschland ent- stark strapaziert. Auch die Forschung braucht mittelfris- (D) stehen. tige Erfolgsaussichten. Seit 2005 tut die Bundesregierung nun alles, um auch Da müssen Fragen erlaubt sein. Die FDP hat auf viele den deutschen Beitrag an ITER zu sichern. Das reicht Fragen schnelle Antworten, aber nur selten Lösungen. von der Einbindung der Industrie bis hin zur Vergabe der So fordert die FDP mehr Geld für die Fusionsforschung. zusätzlichen Projektmittel. Die bisherigen Erfolge im Sie fordern weiter. Dies darf nicht zulasten der For- Bereich der Kernfusion machen deutlich, dass es in der schung für erneuerbare Energie gehen. Zu welchen Las- Kernfusionsforschung vorangeht. An der CDU/CSU- ten soll es gehen? Sie fordern keine Haushaltssperre für Fraktion im Deutschen Bundestag wird die deutsche Be- den ITER 2007 ohne Vorbedingungen. Alles das sind teiligung am ITER sicherlich nicht scheitern. Forderungen ohne Lösungen. Ich bin davon überzeugt, die Bundesregierung wird Institute und Wissenschaftler sagen, dass die Vor- noch vor der Sommerpause ein überzeugendes Pro- kommnisse von Uran, Gas und Erdöl in gut 35 bis 50 Jah- gramm zur Ausrichtung der Kernfusionsforschung vor- ren langsam auslaufen: Uran in 35 Jahren, Erdöl in legen. Mit diesem Programm werden wir dann die Vo- 40 Jahren und Erdgas in 50 Jahren. – Im FDP-Antrag raussetzungen haben, dass wir die Haushaltssperre schreiben Sie, 2060 könnte ein Fusionskraftwerk Strom aufheben können und die notwendigen Mittel an die Pro- liefern. Wie wollen Sie die Energielücke schließen? jektnehmer abfließen können. Mit unserer Beteiligung an ITER stärken wir Deutschland als Forschungs- und Nein, auch in der Energieforschung müssen wir mit- Technologiestandort, und wir gestalten einen wichtigen telfristige Lösungen stärker fördern. Deshalb fördern wir Schritt in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung. weiterhin eine noch intensivere Forschung der Produk- tion von Bioenergie und von Windenergie. Die CO2-Ab- scheidung bei Kohlekraftwerken und die Wasserstoff- Dieter Grasedieck (SPD): Für die wichtigste Zu- technologie müssen weiter gefördert werden. Hier sind kunftsfrage „Energieproduktion und Versorgungssicher- wir in der Produktion an der Weltspitze. Unsere Kraft- heit“ brauchen wir heute und morgen eine Lösung. Wir werktechnologie ist ein Exportschlager und wird sich brauchen mittelfristige Forschungsergebnisse. Deshalb durch unsere Forschung mit noch besseren Wirkungs- fördert die Große Koalition verstärkt erneuerbare Ener- graden mittelfristig auf dem Weltmarkt noch besser be- gien, das CO -freie Kraftwerk, die Kraft-Wärme-Kopp- 2 haupten. lung und die Wasserstofftechnologie. Hier schaffen wir neue Arbeitsplätze in hochqualifizierten Berufen. Die Abschließend stelle ich fest: Die SPD fördert den Große Koalition fördert die Forschung optimal, aber ITER über Euratom und die EU-Verträge. Mittelfristige Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9053

(A) Erfolgsaussichten sind uns aber wichtig. Deshalb fördert Baukosten von ITER beitragen wird. Eine erstrangige (C) die Große Koalition – und natürlich die SPD – die erneu- Herausforderung für die Bundesregierung wird es sein, erbare Energie, CO2-Abscheidungen und die Wasser- jetzt Aufträge für die Bauteilfertigung sowie die dafür stofftechnologie. Hier sind wir in der Großen Koalition erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben auf dem richtigen Weg. für die deutsche Industrie und die deutsche Fusionsfor- schung zu sichern. Cornelia Pieper (FDP): Die sieben ITER-Partner Das Institut für Plasmaphysik in Garching, eines der Europa, Japan, Russland, die USA, China, Indien und größten Fusionsforschungszentren in Europa, arbeitet Südkorea haben am 21. November vergangenen Jahres mit seinem Experiment ASDEX Upgrade seit Jahren an in Paris den Vertrag zur Gründung der ITER-Organisa- ITER-relevanten Fragen. Nicht zuletzt hat das IPP die tion nach langem Ringen unterzeichnet. ITER wurde seit physikalischen Grundlagen für den Testreaktor ent- 1988 in weltweiter Zusammenarbeit von europäischen, wickelt. Auch in Zukunft muss Deutschland, vertreten japanischen, russischen und bis 1997 auch US-amerika- durch die Max-Planck-Gesellschaft und die Helmholtz- nischen Fusionsforschern vorbereitet. 2003 schlössen Forschungszentren Karlsruhe und Jülich, eine wichtige sich dem Projekt China und Südkorea an. Auch die USA Rolle spielen, so zum Beispiel bei der Suche nach opti- erkannten die Bedeutung und kehrten in die ITER-Ge- mierten Betriebsweisen für den Testreaktor, der Ent- meinde zurück. 2005 kam als siebter Partner Indien wicklung der Plasmaheizung von ITER und Analysever- hinzu. fahren für das Plasma und natürlich nicht zuletzt auch Im Rahmen des Festaktes im Pariser Elysée-Palast nach geeigneten Werkstoffen für die Brennkammer. brachten durch ihre Anwesenheit der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der EU-Kommis- ITER bedeutet für mich auf keinen Fall, das nationale sionspräsident José Manuel Barroso ihre feste Überzeu- Projekt „WENDELSTEIN 7 X“ in Greifswald aufzuge- gung zum Ausdruck, dass es sich lohnt, in eine Zukunfts- ben. Dieses Leuchtturmprojekt mit seinem Alleinstel- energie heute zu investieren, die keine das Klima lungsmerkmal ist für die Plasma-Physik ein außerordent- schädigenden Emissionen, keine Endlagerprobleme und lich wichtiges Instrument und hat auch international eine keine Proliferationsprobleme mit sich bringt. Ich kann hohe Strahlkraft. nur sagen: Das ist ein wichtiger Meilenstein auf der Meine Damen und Herren von der Koalition, ich Schlussetappe zu einem Fusionskraftwerk, das auf appelliere an Sie, beenden Sie die Politik der „kleinen Dauer den Energiehunger der Welt stillen hilft und einen Messerstiche“ gegen die Fusionsforschung und lassen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten wird. Sie diesen Bereich auch wieder am Mittelaufwuchs für (B) ITER soll bis 2030 zeigen, dass ein Energie lieferndes die Energieforschungseinrichtungen teilhaben. (D) Fusionsfeuer unter kraftwerksähnlichen Bedingungen möglich ist. ITER soll die Grundlagen für den Bau eines Frau Bundeskanzlerin, setzen Sie Ihr Versprechen, die wirklichen Demo-Kraftwerks, das alle Funktionen eines aus rot-grüner Regierungszeit bestehenden Deckelung Kraftwerks erfüllt, schaffen, damit – und das muss jetzt der Haushaltsmittel auf 115 Millionen Euro für die Fu- auch das Ziel sein – die Energieversorger nach 2050 mit sionsforschung aufzuheben, in die Tat um! der Option „Kernfusion für Stromerzeugung“ rechnen können. Kein geringerer als Janez Potocnik, der EU- Petra Sitte (DIE LINKE): Der Antrag der FDP „Fu- Kommissar für Wissenschaft und Forschung, leitete die sionsforschung zielgerichtet weiterführen – Deutschen erste Sitzung des vorläufigen ITER-Rates und gab so Beitrag sichern“ soll ein Thema parlamentarisch beglei- auch den Startschuss für die Vorbereitungsarbeiten für ten, das im Wesentlichen vorbei an nationalen Parlamen- den Experimentalreaktor ITER (lat.: der Weg), der in ten wie auch der EU vorangetrieben wurde. Bezogen auf Cadarache in Südfrankreich entstehen soll. den hier angesprochenen Internationalen Thermonuklea- Eine Hürde ist noch zu nehmen. Der Vertrag muss, ren Testreaktor, kurz: ITER, wurden im August 2006 bevor er endgültig in Kraft tritt, durch die Bundesregie- – wie man so schön sagt – eigentlich alle Messen gesun- rung ratifiziert werden. Frau Bundesministerin Schavan, gen. Damals einigten sich EU, Japan, China, Russland, jetzt sind Sie am Zug. Ich weiss, dass Sie und auch die USA, Indien und Südkorea auf Vertrag und Ort dieses CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Sache aufgeschlos- Testreaktors. Die Gesamtkosten werden sich bis 2041 sen gegenüberstehen. Doch Sie müssen mit Ihrer Unter- auf rund 16 Milliarden Euro belaufen. Die EU soll fast schrift jetzt umgehend grünes Licht für den Bau und Be- 5 Milliarden Euro aufbringen. Dazu kommen noch extra trieb des internationalen Fusionstestreaktors ITER Beiträge, die durch die Mitgliedstaaten – darunter auch geben. Sie müssen Verantwortung übernehmen und der Deutschland – aufzubringen sind. deutschen Forschung den Weg frei machen für eine ITER ist jedoch nur ein Projekt, welches im Rahmen wirkliche bahnbrechende Forschungs- und Entwick- lungsarbeit für die nächsten fünfunddreißig Jahre. der Erneuerung nuklearer Energietechnologien verfolgt wird. Nukleartechnologien haben zu Recht ein Akzep- Doch Sie müssen der „ITER-Braut“ auch etwas in die tanzproblem, welches auf die damit verbundenen Risiken Aussteuertruhe legen! Wir gehen davon aus, dass die wie Proliferations- oder Betriebsgefahren oder ungelöste Bundesregierung – ihrem Anteil am EU-Haushalt ent- Endlagerfragen zurückgeht. Deshalb werden neben Fu- sprechend – in den nächsten zehn Jahren über den EU- sionsreaktorsystemen wie ITER auch weitere nukleare Haushalt mit etwa 500 bis 600 Millionen Euro zu den Energietechnologien durch Forscherinnen und Forscher 9054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) untersucht. Dazu gehört beispielsweise auch die Ent- infrage stellen! Meine Damen und Herrn von der FDP, (C) wicklung neuer Kernkraftwerke der Generation IV. Sie werden nicht bestreiten können, dass das kein über- zeugendes inhaltliches Argument für die unreflektierte Diese Forschungen sind extrem zeitintensiv und teuer. Fortsetzung dieser Politik sein kann. Aus diesem Grund sind auch weltweite Formen der Zu- sammenarbeit von Wirtschaft und Staaten eingegangen Natürlich muss man sich differenziert mit den Chan- worden. Innerhalb dieser Projekte und Mittel werden cen und Grenzen jeder einzelnen Technologie auseinan- schon heute exorbitante Summen aufgebracht, die über- dersetzen. Für Formen der erneuerbaren Energien wird wiegend öffentliche Mittel waren und sind. Die gesell- es doch auch eingefordert! Da können ja wohl keine un- schaftliche Öffentlichkeit hat Ziele, Umfang, Umsetzung terschiedlichen Maßstäbe angelegt werden. ITER bzw. und Nutzen neuer Nukleartechnologien jedoch nie ernst- die Kernfusion sind zweifelsohne eine interessante haft breit diskutiert bzw. diskutieren können. Fachkreise Option, vor allem deutlich risikoärmer als Kernspaltung dagegen schon. Dort ist man sich sehr wohl der Kon- im Hinblick auf die Umwelteigenschaften und das Proli- fliktstoffe dieser Forschung, ihrer offenen Perspektiven ferationsrisiko. Aber würde man heute auf der Straße im Hinblick auf die Realisierung neuer Kernkraftwerke, Passanten die Frage stellen, ob sie sich etwas unter er- der kommerziellen Aneignung künftiger Forschungser- neuerbarer und Fusionsenergie vorstellen könnten, dann gebnisse, der Akzeptanz sowie der Wirkung auf andere wären Kenntnisse ganz sicher sehr einseitig vorhanden. Strategien von Energiegewinnung bewusst. Deshalb ist es notwendig, bei so zukunftsträchtigen Fra- gen wie Energieressourcen durch öffentliche Debatten Nur ein Beispiel dafür: Nukleare Energietechnologien auch Kompetenz zu bilden, um Transparenz herzustellen sind mit ihrer hohen Kapitalintensität hauptsächlich für und Mitentscheidung zu ermöglichen. eine zentralisierte Stromerzeugung geeignet. Innerhalb der aktuellen Klimadebatte aber wird maßgeblich der Auch gehört zu einer vernünftigen Risikoabwägung Kapazitätsausbau von kleineren Energiegewinnungsein- neben den finanziellen Argumenten, die derzeit gegen heiten nahe bei Verbraucherinnen und Verbrauchern the- eine Fusionsforschung sprechen, die Frage nach Wirt- matisiert. Dieser Trend der Dezentralisierung trifft auf schaftlichkeit, Effizienz und nach der Zeitschiene. So erhebliche Akzeptanz in der Bevölkerung. Insbesondere kann erst in 30 Jahren beantwortet werden, ob die Ener- Technologien zur Gewinnung emeuerbarer Energien ent- giegewinnung mittels Fusionsreaktoren regulär möglich sprechen dem Bedürfnis, sich eben nicht den Global- sein wird. Auch benötigen die Forschungen einen hohen playern der Energieerzeugung und ihren Preisdiktaten Energiebedarf. Dass ITER irgendwann einmal zehn Mal auszuliefern. Und im Bereich nuklearer Energietechno- mehr Energie liefert, als er zum Betrieb braucht, ist der- logien werden nur diese das notwendige Kapital be- zeit noch nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund muss schaffen können. (B) man sich fragen, ob dann nicht besser die Priorität auf (D) Zwangsläufig ergeben sich daraus Fragen wie: Stehen ökologisch und ökonomisch sinnvollere Technologien die beiden Strategien zur Energiegewinnung nicht in gesetzt werden sollte, die eine schnellere CO2-Reduktion völlig ungleicher Konkurrenz zueinander? Wird es dann ermöglichen, wie beispielsweise die Investition in die nicht zu einer Verdrängung erneuerbarer Formen der Erforschung von Biomasse-Technologien. Energiegewinnung kommen? Wenn denn in einigen Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie Jahrzehnten solch ein Projekt wie ITER tatsächlich über selbst haben hier in dem Hohen Hause einen Antrag zur zu bauende Kraftwerke Schritt für Schritt in die Energie- Einrichtung eines Biomasse-Forschungszentrums einge- versorgung Einzug hielte, wer hätte Verfügungsgewalt? bracht. Sie machen dieses sinnvolle Anliegen zum Fei- Welche Möglichkeiten der Kontrolle müssten der Ge- genblatt, wenn Sie nun die Priorität auf die teure Fu- sellschaft erhalten bleiben, um die Ausgabe von zig Mil- sionsforschung setzen. Ich finde, Milliarden Euro liarden öffentlicher Gelder respektive Steuergelder zu öffentlicher Gelder auszugeben, ohne über gesellschaft- rechtfertigen? liche Perspektiven der verfolgten Projekte Rechenschaft Nun mögen ja die FDP als Antragstellerin und andere abzulegen, ist undemokratisch, weil künftige Verbrau- für neue nukleare Energietechnologien Engagierte be- cherinnen und Verbraucher außen vor bleiben. Verbrau- haupten: Um Himmels willen, so weit sei man ja noch cherinnen und Verbraucher sind aber nicht auf ihren lange nicht. Denen halte ich entgegen: Doch, wir sind so Konsumentenstatus einzunisten. Vielmehr müssen sie weit. Immerhin wurden bei Euratom durch Kommissions- auch die Konsequenzen für Mensch und Natur zutragen. beschluss für die nukleare Forschungsförderung entschei- Vor diesem Hintegrund und angesichts internationali- dende Weichenstellungen vorgenommen. So werden im sierter Forschung ist es daher notwendig, eine unabhän- 7. Forschungsrahmenprogramm bis zum Jahr 2011 rund gige und vorausschauende Technologiefolgeabschätzung 2,8 Milliarden Euro für die Nuklearforschung ausgege- im Bereich der nuklearen Enengietechnologien zu si- ben, davon über 1,9 Milliarden für die Fusionsfor- chern. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim schung. Deutschen Bundestag hat mit seinem Sachstandsbericht Die daraus entspringende Eigendynamik wird kaum von 2002 ein solches Beispiel und gute Grundlage gelie- kritisch reflektiert und ist schon gar nicht Gegenstand fert! von Interventionen seitens Parlamenten und Regierun- gen. So durchzieht auch den FDP-Antrag die Grundstim- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mung, es seien doch schon so viel Mittel investiert wor- Der Vorsitzende der Jungliberalen hat recht: Die FDP hat den, da könne man doch nicht mehr das Gesamtprojekt sich vom Klimaschutz verabschiedet. Alle Welt spricht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9055

(A) darüber, dass in den nächsten 15 Jahren die Weichen da- mitteln mästet? So soll in Euratom in den nächsten Jah- (C) für gestellt werden müssen, den Klimawandel aufzuhal- ren jährlich 550 Millionen Euro fließen, der Löwenanteil ten. Und was mach die FDP? Sie stellt einen Antrag, die dafür für Kernfusion und hier insbesondere in den von knappen Forschungsmittel auf eine Technologie zu kon- der FDP geliebten ITER. Für alle sonstigen Energietech- zentrieren, die frühestens in 50 Jahren zur Verfügung nologien inklusive der Energiespartechnologien sollen stehen wird – falls überhaupt. jährlich gerade einmal 330 Millionen Euro ausgegeben werden, davon wiederum weit weniger als die Hälfte auf Der Kernfusionsantrag der FDP ist eine Bankrott- die erneuerbaren Energien. Das verbleibende Kuchen- erklärung einer Partei, der früher einmal Wirtschaftskom- stückchen dürfen sich die erneuerbaren Energien unter petenz zugesprochen wurde. Die FDP setzt sich für eine Technologie ein, die unvergleichlich erfolglos ist. Seit sich aufteilen, sodass für jede einzelne nur noch Krümel fast 50 Jahren wird uns versprochen, dass sie in spätes- übrig bleiben. tens 50 Jahren funktioniere. Und auch heute spricht man Allein der Bau von ITER wird circa 5 Milliarden Euro noch von 50 Jahren. Der indische Physiker Baba hat üb- kosten. Dabei wird der ITER nicht einmal die Lösung des rigens bereits 1955 auf der Weltenergiekonferenz gesagt, Hauptproblems der Kernfusion angehen: die Entwick- in 20 Jahren werde der erste Reaktor am Netz sein. lung von Materialien für die erste Wand, die immensen Auch die jüngste Geschichte zeigt, wie wenig von Temperaturen und Bestrahlungen ausgesetzt sein wird. zeitlichen Prognosen zu halten ist: Schon nach wenigen Dies verschweigt die FDP. Und was sagt sie dazu, dass Jahren Bauzeit ist das Fusionsexperiment Wendelstein die Entwicklung der Kernfusion global 70 bis 80 Milliar- 7-X in Greifswald um Jahre in Verzug. Das Einzige, was den Euro kosten soll? bei der Kernfusion herauskam, ist ein Anstieg der Kos- ten und die Verlängerung der Erwartungszeiträume. Angesprochen wird von der FDP zwar das deutsche Fusionsexperiment Wendelstein 7-X. Aber die FDP ver- Hinzu kommt, dass die von den Anhängern der Fu- schweigt auch hier, dass die Kosten aus dem Ruder lau- sionsenergie erwarteten Stromerzeugungskosten so hoch fen. Mittlerweile kostet der Bau viele Millionen mehr, sein werden, dass diese Technologie niemals wettbe- als anfangs geplant, und der Zeitplan läuft völlig aus werbsfähig wäre. Erneuerbare Energien sind bereits dem Ruder. Dies alles sind wichtige Forschungsgelder, heute günstiger oder werden es in 50 Jahren sicher sein. die an anderer Stelle im Forschungshaushalt fehlen, wo Ich frage mich im Übrigen auch, wie die FDP diesen sie dringend benötigt würden. Anstatt die Missstände in Antrag dem Mittelstand erklären will. Der Mittelstand Greifswald anzusprechen, plädiert die FDP dafür, die braucht dringend Geld für technologische Innovationen, Forschungsmittel für die Kernfusion zu erhöhen. Zahlen soll der Steuerzahler. (B) und die FDP setzt auf eine Technologie, von der der Mit- (D) telstand nichts hat. Es ist mehr als schade um jeden Euro, der für die Die FDP ignoriert die Weltmarktführerschaft Deutsch- Kernfusionsforschung verschwendet wird. Das Geld lands bei erneuerbaren Energien. Sie sieht nicht die vor- wäre bei den erneuerbaren Energien viel besser aufgeho- handenen und zukünftigen Märkte dieser Technologien, ben. Diese decken trotz marginaler Forschungsmittel und sie missachtet die Wettbewerbssituation, in der sich global schon über 12 Prozent des Weltenergiebedarfs. die Unternehmen der Erneuerbare-Energien-Technolo- Bis zur Mitte des Jahrhunderts wäre eine vollständige gien befinden. All diese Technologien finden sich im For- Deckung möglich und die Kernfusion mit ihren Radio- derungsteil des Antrages mit keinem Wort wieder. aktivitätsproblemen vollkommen überflüssig. Doch wur- den OECD-weit in den letzten 50 Jahren die falschen Leider hat die FDP ihren wirtschaftspolitischen Sach- Schwerpunkte gesetzt. 70 bis 80 Prozent der Energiefor- verstand in der Zwischenzeit einer nuklearen Utopie ge- schungsmittel flössen in die Kernfusion und Spaltung. opfert. Ich fordere die Wirtschaftspolitiker der FDP, ins- Die Ergebnisse lauten: 2,5 Prozent Anteil der Atomspal- besondere die Mittelständler auf, sich näher anzusehen, tung und null Prozent Anteil der Kernfusion an der De- welche Anträge von den eigenen Forschungspolitikern ckung des Weltenergiebedarfs. vorgelegt werden. Doch die FDP gibt nicht nur eine wirtschaftspoliti- Es gibt wohl keinen Forschungsbereich, in den so sche Bankrotterklärung ab. Mehr noch: Sie zeigt, dass viele Mittel investiert wurden und der Erfolg so gering sie in keiner Weise den energie- und umweltpolitischen war wie bei der nuklearen Energieversorgung. Die Kern- Herausforderungen gewachsen ist, die sie selbst be- fusionsforschung war der größte Forschungsflop der nennt! Die FDP will das Problem der Versorgungssicher- Welt des 20. Jahrhunderts. Wir sollten dafür sorgen, dass heit erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts angehen, es der Fusionsforschung nicht gelingt, diesen Titel mit dann, wenn die Förderpeaks beim Erdöl und Erdgas seit Erfolg zu verteidigen. Wir sollten unsere knappen Steu- Jahrzehnten zurückliegen. Die Konzentration der FDP ermittel dort einsetzen, wo sie gebraucht werden und wo auf eine Zukunftsutopie trägt zur Lösung der Versor- mit ihnen Probleme gelöst werden können. gungsprobleme nichts bei. Bis in großer Zahl Fusions- Die einseitige Festlegung in Ihrem Antrag auf die Fu- kraftwerke gebaut werden könnten, müssen diese Pro- sion zeigt auf, dass Sie es mit Ihren Zielen nicht ernst bleme längst gelöst sein. meinen. Würden Sie Ihren eigenen genannten Zielen fol- Wieso verschweigt die FDP in ihrem Antrag, dass die gen, müssten Sie für den Ausstieg aus der Fusionsfor- Europäische Union die Kernfusion geradezu mit Förder- schung eintreten. 9056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) Anlage 4 aber auch niemanden daran hindere, Finanzmittel bereit- (C) zustellen. Zu Protokoll gegebene Reden Im Juli 2003 wurde daraufhin die Allgemeine Verwal- zur Beratung des Antrags: Verzicht der Bun- tungsvorschrift zur Förderung von Tätigkeiten des Bun- desregierung auf Einnahmen aus Sponsoring des durch Leistungen Privater (Sponsoring, Spenden und (Tagesordnungspunkt 26) sonstige Schenkungen) erlassen, eine Vorschrift, die ge- nau regelt, welche Grundsätze beim Einsatz von Sponso- Petra Merkel (Berlin) (SPD): In dem Antrag der Lin- ring zu beachten sind. Eine Maßnahme, die diese Ver- ken heißt es: waltungsvorschrift vorsieht, ist ein zweijährlicher Bericht des Bundesministeriums des Innern, in dem die Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- Geld-, Sach- und Dienstleistungen aus Sponsoring of- rung auf, für die obersten Bundesbehörden und die fengelegt werden. Bundeswehr auf Einnahmen aus Sponsoring zu ver- zichten. Im Rechnungsprüfungsausschuss untersuchten wir diesen Sponsoringbericht. In diesem Bericht ist aufge- Vorab möchte ich einiges klären: Sponsoring – das führt, was wie gefördert und was bezahlt wird und vor klingt wirklich harmlos nach Unterstützung beim Sport, allem, von wem. In diesem Bericht wird die Finanzie- so zum Beispiel kommt mir direkt Trikotwerbung der rung von Aufgaben des Bundes durch „Private“, Spon- Fußballvereine in den Sinn. Sponsoring in der Bundesre- soren, veröffentlicht. Gemeint sind neben Sponsoring gierung? Wir sollten nicht so weit gehen, wie zum Bei- auch alle anderen unentgeltlichen Zuwendungen Priva- spiel unserem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ter, insbesondere Spenden und sonstige Schenkungen. vorzuschlagen, die Kabinettsmitglieder zur weiteren Sanierung des Bundeshaushalts mit Sponsorentrikots Sie von der Linken berufen sich auf Zeitungsartikel, auszustatten. Wir sollten auch den Präsidenten des in denen Beträge genannt werden und der Verdacht ge- Deutschen Bundestags daran hindern, die Bundestagsde- nährt wird, dass Firmen aufgrund ihres Sponsoringver- batten zukünftig nach dem Motto „Diese Rede wird Ih- haltens staatliche Aufträge erhalten. Es war ein Anliegen nen präsentiert von ...“ sponsern zu lassen. Nein, ernst- der Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses, ge- haft – ich glaube, Sie meinen mit Ihrem Antrag etwas nau eine solche Kopplung oder auch Begünstigung aus- anderes. zuschließen. Die Zahlen, die Sie in Ihrem Antrag nen- nen, können Sie überhaupt erst nur nennen, weil sie in Was bedeutet Sponsoring denn überhaupt? Definition dem Sponsoringbericht offengelegt wurden. Genauso der Verwaltungsvorschrift – Allgemeine Verwaltungs- wie die Presse sie nur deshalb nennen kann. Der Sponso- (B) vorschrift zur Förderung von Tätigkeiten des Bundes ringbericht, der alle zwei Jahre von der Bundesregierung (D) durch Leistungen Privater (Sponsoring, Spenden und veröffentlich wird – das wurde vom Parlament initiiert –, sonstige Schenkungen) –: wird durch unsere Initiative nun auch in Zukunft die Na- men der Sponsoren nennen, um die nötige und gebotene … Zuwendung von Geld-, Sach- oder Dienstleis- Transparenz zu schaffen. tungen durch Private (Sponsoren) an eine oder mehrere Dienststellen des Bundes (Gesponserte), Wir haben diese Kritik des Rechungshofes am ersten mit der der Sponsor eine Tätigkeit der Verwaltung Sponsoringbericht berücksichtigt. Diese Kritik wurde in mit dem Ziel fördert, dadurch einen werblichen den Zeitungsartikeln des „Stern“ und der „Berliner Zei- oder sonst öffentlichkeitswirksamen Vorteil zu er- tung“ zitiert. Wir haben diesen Monat im Rechnungsprü- reichen (Sponsoring). fungsausschuss den Beschluss gefasst, dass ab dem kommenden – dem zweiten – Sponsoringbericht die Na- Wir beraten hier ein heiles Thema, das uns übrigens men der Sponsoren ab einer Wertgrenze von 5 000 Euro über mehrere Jahre im Rechungsprüfungsausschuss be- genannt werden. Wir haben diese Wertgrenze zur Ver- schäftigt, ein Thema, das sehr sensibel ist. Der Staat und meidung von Bürokratie eingeführt. Für das Technische seine Behörden, allen voran auch wir Abgeordnete, ha- Hilfswerk haben wir eine gesonderte Regelung einge- ben selbstverständlich eine Vorbildfunktion und müssen führt: Hier werden dem Innenministerium vom THW die alles tun, um die Möglichkeiten von Einflussnahme oder Mittel unter 5 000 Euro gemeldet. Das ist eine gute Lö- Begünstigung oder auch nur den Verdacht in dieser sung. Richtung zu verhindern. Aber: Ist die notwendige Kon- sequenz aus unserer Verantwortung gar kein Sponso- Einen völligen Rückzug – keinerlei Sponsoring zuzu- ring? Ist dies die Lösung? Sicherlich die einfachste – lassen – das ist Ihr Vorschlag, der Vorschlag der Kolle- aber, wie ich finde, die falsche. ginnen und Kollegen der Linken. Ihr Antrag tut ja gerade so, als sei jegliches Sponsoring von Übel und gehöre Wir haben uns im Parlament und bei den intensiven verboten. Ich möchte hier auf die vielen Projekte gerade Beratungen im Haushaltsausschuss und im Rechnungs- im Kunst- und Kulturbereich hinweisen, die auch von prüfungsausschuss für einen anderen Weg entschieden: Firmen und Unternehmen unterstützt und gefördert wer- Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages den und die vielfach ohne dieses Engagement der Privat- wurde 2002 beschlossen, „dass für das Sponsoring der wirtschaft gar nicht erst möglich wären. Bundesverwaltung ein Rahmen gefunden werden solle, der sowohl das Budgetrecht des Parlaments als auch die Im Bereich des Mäzenatentums hält der Beauftragte Transparenz des Prozesses gewährleiste, gleichzeitig der Bundesregierung für Kultur und Medien eine Aus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9057

(A) nahme für erforderlich; hier müssen wir jedoch genau zung in manchen Bereichen nicht zu verzichten. Ich (C) schauen, wie wir etwas abgrenzen können. Deshalb ha- möchte hier gerne verdeutlichen, worüber wir hier über- ben wir das Bundesministerium des Innern gebeten, eine haupt reden. Sponsoringeinnahmen, das klingt nach tragfähige Regelung zu erarbeiten, die wir im Rech- „schwarzen Köfferchen“ und „verschlossenen Umschlä- nungsprüfungsausschuss dann beraten werden. Darüber gen“, die zugesteckt werden. Ich möchte Ihnen ein kon- hinaus werden die Hinweise des Bundesrechnungshofes kretes Beispiel dafür geben, was Sponsoring bedeutet. aufgegriffen und beim zukünftigen Einsatz privater Mit- Um welche Art von Sponsoring handelt es sich denn tel berücksichtigt werden. Hierzu soll erforderlichenfalls überhaupt bei den von Ihnen genannten Beispielen und die Verwaltungsvorschrift Sponsoring überarbeitet wer- Zahlen? Dann sollten Sie mir erklären, warum Sie auf den. eine solche Unterstützung verzichten möchten – ich zitiere –: Schon jetzt ist in der Verwaltungsvorschrift geregelt, dass Sponsoring nur unterstützend genutzt werden kann. Für die AIDS-Aufklärung der Bundeszentrale für Selbstverständlich muss schon jeder Anschein fremder gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wurden kos- Einflussnahme vermieden werden, um die Integrität und tenlose Werbeflächen für Großflächenplakate und Neutralität des Staates zu wahren. In der Eingriffsver- Sendezeiten für Audio- und Videowerbespots be- waltung ist Sponsoring grundsätzlich nicht zulässig, so reitgestellt. Der Fachverband Außenwerbung e. V. zum Beispiel bei einer unmittelbaren oder mittelbaren unterstützte die Arbeit der Bundeszentrale für die Unterstützung in den hoheitlichen Aufgabenbereichen AIDS-Prävention, indem sie bundesweit Plakatflä- der Polizei, der Finanzen, des Zolls. Außerhalb der Ein- chen für die Großplakate (etwa „Gib AIDS keine griffsverwaltung ist Sponsoring zum Beispiel bei Kultur, Chance“) kostenlos zur Verfügung stellte. Barmittel Sport, Gesundheit, Umweltschutz, Bildung und Wissen- hat die Bundeszentrale nicht erhalten. Diese Kam- schaft zulässig. Die schriftliche Einwilligung der obers- pagne wurde auch von einer Vielzahl meist regional ten Dienstbehörde ist notwendig bei der Annahme von ausstrahlender Hörfunksendern sowie einigen TV- angebotenen oder eingeworbenen Sponsoringleistun- Sendern unterstützt, indem diese kostenlos Sende- gen. Ausgeschlossen sind auch Vereinbarungen zur indi- zeiten für die Fernseh- und Hörfunkspots zur Verfü- rekten Koppelung von Leistung und Gegenleistung. gung stellten. Auch hier hat die Bundeszentrale Ich finde, wir haben damit klare, eindeutige und prak- keine Barmittel erhalten. Die im Auftrag des BMG tikable Regelungen. Selbstverständlich bleiben wir am in Arbeitsteilung durchgeführte AIDS-Prävention Ball und haben im Rechnungsprüfungsausschuss den der BZgA und der Deutschen AIDS-Hilfe ist in Bundesrechnungshof gebeten, auch den zweiten Sponso- Deutschland nachweisbar erfolgreich. Nur durch ringbericht zu prüfen und uns über das Ergebnis der Prü- beträchtliche Unterstützung durch Kooperations- (D) (B) fung zu berichten. und Sponsor-Partner kann das AIDS-Kampagnen- konzept aufrechterhalten werden. Allein mit den für Ich teile in einem Punkt die Meinung der Linken und die AIDS-Aufklärung im Bundeshaushalt zur Ver- zitiere aus der Antragsbegründung: fügung gestellten Mitteln wäre eine ebenso wir- Sponsoren dürfen Regierungshandeln nicht beein- kungsvolle Präventionskampagne nicht zu erzie- flussen und damit über die Politik in unserem len. Gegenwert für die Bereitstellung der Lande entscheiden. Werbeflächen ca. 16,7 Millionen Euro. Gegenwert für die Ausstrahlung der Spots ca. 24 Millionen Natürlich dürfen sie dies nicht, und sie tun es ja auch Euro. nicht. Ich glaube nicht – mit dieser Einschätzung bin ich auch nicht alleine – dass der Rüstungskonzern EADS Das heißt, diese Kampagne wurde mit über 40 Millio- mit 87 000 Euro seit 2003 das Verteidigungsministerium nen Euro unterstützt. Und das wollen Sie nun nicht mehr „kaufen“ konnte. zulassen? Wir sind uns doch sicherlich einig, dass nie- mand etwas gegen groß angelegte Kampagnen zur Aidsauf- Es gibt zwei Möglichkeiten, um zu vermeiden, dass klärung haben kann. Die Bedeutung dieses Themas ist bei den Bürgerinnen und Bürgern dieser – wohlgemerkt – uns allen bewusst. Diese Kampagne ist deshalb sehr falsche Eindruck entstehen könnte: Eine Möglichkeit ist wichtig. Deshalb auch ganz klar mein Dank an dieser die in Ihrem Antrag vorgeschlagene, nämlich jegliche Stelle an den Fachverband Außenwerbung e. V. Form von Sponsoring und sonstige Unterstützung durch Unternehmen im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu Folgten wir jetzt Ihrem Antrag, so würde das Folgen- verbieten – ich zitiere –: des bedeuten: Die Mittel für eine solchen Kampagne sollte dann Ihrer Meinung nach komplett vom Bund be- Die Bundesregierung … muss ganz auf das Sponso- stritten werden. Hier muss ich aber – leider – anmerken, ring in der Bundesverwaltung verzichten. dass wir diese nicht mit Haushaltsmittel alleine bestrei- Die andere Möglichkeit ist, Sponsoring transparent zu ten können. Und auch das wissen Sie, Frau Dr. Lötzsch! machen, „Ross und Reiter“ zu benennen: es nicht zu ver- Wenn Sie mich vor die Wahl stellen, auf jegliche fi- teufeln, sondern es zuzulassen, aber es öffentlich zu ma- nanzielle Hilfe der „Privatwirtschaft“ zu verzichten oder chen. Wir haben selbstverständlich eine Vorbildfunktion die Spender und Sponsoren zu nennen, um so beispiels- und gehen sehr verantwortungsvoll mit dem Thema um. weise Kampagnen wie die von mir genannte durchfüh- Wir haben uns im Haushaltsausschuss für die zweite ren zu können, fällt meine Entscheidung, wie Sie sich si- Variante entschieden, nämlich auf finanzielle Unterstüt- cherlich nach meinen Ausführungen denken können, so 9058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) aus: Ich bin dafür, dass weiterhin Sponsoring unter- ler. Transparenz ist das wirksamste Mittel, damit gar (C) schiedlichster Art nach den klaren Regeln der Verwal- nicht erst der Verdacht von Korruption oder Interessenü- tungsvorschrift Sponsoring auch von Bundesministerien berschneidungen aufkommen kann. in Anspruch genommen werden kann. Eine weitere Vo- raussetzung ist dafür die öffentliche Berichterstattung Hier hat die Bundesregierung in der Vergangenheit und große Transparenz auch durch Namensnennung im Fehler begangen. Durch die fehlende Namensnennung Sponsoringbericht. im ersten Sponsoringbericht konnte der Eindruck entste- hen: Der Bund hat etwas zu verbergen. Der Bundes- rechnungshof hat dies zu Recht kritisiert. Wir haben im Dr. Claudia Winterstein (FDP): Die Linksfraktion Rechnungsprüfungsausschuss den Ball aufgenommen. fordert in ihrem Antrag, die Bundesregierung solle auf Die Argumente einiger Ministerien, die Namensnennung Einnahmen durch privates Sponsoring verzichten. Wir sei zu aufwendig, kann ich nicht gelten lassen. Das In- erleben einen seltenen Moment in diesem Haus; denn in nenministerium hat die Forderung nach mehr Transpa- dieser Frage springe ich als Oppositionsrednerin der Re- renz jetzt endlich angenommen. Für den nächsten Spon- gierung zur Seite. soringbericht erwarten wir klare Angaben. Ich halte die Bedenken der Linksfraktion für übertrie- Regeln für das Sponsoring sind wichtig, sie dürfen ben. Sie sagen: Das Ansehen des Staates steht auf dem aber nicht dazu führen, dass sich potenzielle Spender ab- Spiel. Kollegin Lötzsch spricht in einer Pressemitteilung geschreckt fühlen und vom Sponsoring zurückziehen. sogar von „der gekauften Republik“. Da sollte man doch Dies gilt vor allem für den Kunst- und Kulturbereich. Es die Kirche im Dorf lassen. Sie unterstellen, dass Unter- ist nicht ungewöhnlich, dass Kunstmäzene ihre Unter- nehmen sich Vorteile verschafft hätten, ohne diese Vor- stützung nur anonym leisten wollen. Dieser Wunsch ist würfe belegen zu können. An dieser Stelle sollten Sie absolut respektabel. Eine zwingende Nennung der Na- vorsichtiger argumentieren. men von Kunstmäzenen würde deren Spendenbereit- 55 Millionen Euro in Geld- und Sachspenden haben schaft bremsen und negative Auswirkungen auf den Kul- Ministerien und Behörden des Bundes in den Jahren turbereich haben. Das Ministerium hat angekündigt, hier 2003 und 2004 von privater Seite erhalten, Geld, mit eine Formulierung zu finden, die dieser Ausnahmesitua- dem überwiegend Projekte finanziert wurden, für die an- tion Rechung trägt. Ich bin optimistisch, dass wir für den sonsten keine Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Es Kulturbereich zu einer praktikablen Lösung kommen wäre äußerst bedauerlich, wenn der Staat auf diese Mit- werden. tel verzichten müsste. Das Sponsoring braucht klare Regeln und Transpa- (B) Der mit Abstand größte Teil der Sponsorengelder ist renz. Der Staat muss aber die Chance haben, privates (D) in die Aidsaufklärung geflossen. Über 40 Millionen Engagement für sinnvolle Dinge zu nutzen. Euro. Wir sind uns doch wohl hier alle einig, wie wichtig dieses Thema ist, insbesondere vor dem Hintergrund Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Linke for- steigender Infektionszahlen in Deutschland. Ich kann dert mit dem vorliegenden Antrag die Bundesregierung beim besten Willen nicht erkennen, was falsch daran auf, für die obersten Bundesbehörden und die Bundes- sein soll, wenn der Staat die Unterstützung privater Ge- wehr auf Einnahmen aus Sponsoring zu verzichten. ber in Anspruch nimmt, um gute, sinnvolle Projekte durchzuführen. Wollen Sie wirklich ohne Not eine gute Was ist Sponsoring? „Beim Sponsoring wird eine Sache beenden? Partnerschaft eingegangen, bei der beide Parteien beab- sichtigen, auf dem Prinzip von Leistungen des Sponsors Ganz im Gegenteil: Die Mentalität des Spendens ver- und Gegenleistungen des Gesponserten Vorteile für die dient unsere volle Unterstützung. Immer weniger Bürger eigenen Interessen zu erzielen.“ – So steht es in der ent- identifizieren sich mit dem Staat. Eine Kultur des Spen- sprechenden Verwaltungsvorschrift. dens fördert den Austausch zwischen Bürger und Staat. Wer spendet, setzt sich aktiv für die Gesellschaft ein! Zu den größten Sponsoren der Bundesregierung gehört Wir brauchen mehr privates Engagement und nicht we- der Rüstungskonzern EADS. Seit 2003 bezuschussten niger! EADS und die Tochterfirmen des Konzerns insgesamt 20 Empfänge, Bälle und Essen für das Verteidigungs- Selbstverständlich brauchen wir klare Regeln für das ministerium, die Bundeswehr und ihre Gäste. Insgesamt Sponsoring. Das heißt: Offenlegen, was gesponsert, wie subventionierten EADS und die Tochterunternehmen das viel gesponsert wurde und vor allem, von wem gespon- Wehrressort seit 2003 mit Geld und Sachleistungen im sert wurde. Der gesponserte Zweck muss eine eindeutige Wert von rund 87 000 Euro. Außenwirkung haben. Es kann zum Beispiel nicht ange- hen, dass sich Ministerien interne Betriebsfeiern bezah- Andere Bundesbehörden ließen sich von Firmen wie len lassen. Firmen dürfen sich nicht zu Dauersponsoren Siemens, BMW, Daimler-Chrysler, VW, Eon, Deutsche einer bestimmten Behörde entwickeln; das gefährdet die Telekom sowie Vattenfall, Shell, Glaxo-Smith-Kline und Chancen- und Wettbewerbsgleichheit unter den poten- General Electric sponsern. Die Gesamtsumme der von ziellen Sponsoren. Und das Wichtigste: Wir brauchen der Bundesregierung von August 2003 bis Ende 2004 Transparenz. Dazu gehört die Veröffentlichung der eingeworbenen Leistungen betrug mehr als 55 Millionen Sponsorennamen im Interesse der Bürger und Steuerzah- Euro. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9059

(A) Da Sponsoring immer auf Leistung und Gegenleis- fähr 55 Millionen Euro erfasst. Das entspricht gerade (C) tung beruht, frage ich mich: Was hat zum Beispiel der einmal 0,02 Prozent der jährlichen Gesamtausgaben des Rüstungskonzern EADS als Gegenleistung bekommen? Bundes. Sponsoring der Bundesverwaltung ist also in der Gesamtsumme annähernd zu vernachlässigen. Im Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie viel Geld Einzelfall kann es aber durchaus von Bedeutung sein: In in der Zeit von 1999 bis 2007 für Rüstungsaufträge an finanzieller, wie aber auch in ideeller Hinsicht. Um es EADS geflossen ist? Es sind 10,5 Milliarden Euro. Das also vorwegzunehmen: Deswegen lehne ich den von der sind 17,8 Prozent aller vergebenen Rüstungsaufträge! Da fragt sich doch jede Bürgerin und jeder Bürger, ob es Fraktion die Linke vorgelegten Antrag auf einen voll- vielleicht einen Zusammenhang zwischen der Ausrich- ständigen Verzicht von Sponsorleistungen in der Bun- tung von Empfängen des Bundesverteidigungsministe- desverwaltung ab. riums durch EADS und der Zahlung von 10,5 Milliarden Man könnte die Debatte deswegen zügig beenden, Euro gibt. wenn stets gewährleistet gewesen wäre, dass das gezielte Oder denken wir an Siemens. Siemens befindet sich Sponsoring einzelner Institutionen und Projekte unter gerade in einer schweren Korruptionskrise. Der Konzern Beachtung größtmöglichster Transparenz geschehen versucht gerade seine Bestechungsgeschichte aufzuar- wäre. Dies war leider nicht immer der Fall. Wir haben beiten. Siemens sponsert auch die Bundesregierung. Wo- uns im Rechnungsprüfungsausschuss mehrmals mit der rin besteht die Gegenleistung? Ich weiß es nicht. Ich Thematik beschäftigt und glücklicherweise über die Mo- weiß nur, dass Siemens zusammen mit IBM einen Auf- nate hinweg beim zuständigen Bundesinnenministerium trag bekommen hat, der ein Volumen von 7,3 Milliarden einen Sinneswandel bewirken können. Die fehlende na- Euro umfasst. Der Rechnungshof hat festgestellt, dass mentliche Nennung der Sponsoren im Sponsoringbericht dieses Projekt eine Milliarde Euro günstiger gewesen wurde anfangs mit abwechselnd skurrilen Begründungen sein könnte, wenn die Bundesregierung das Projekt in ei- erklärt. In einem Ablehnungsbescheid auf Einsicht in die gener Regie geführt hätte. Doch die Bundesregierung Namensliste erklärte das Bundesinnenministerium in ei- war sehr großzügig und gab das Projekt komplett in die nem Schreiben beispielsweise einem Antragsteller: Auf Hände von Siemens und IBM. die Namensnennung werde auch deshalb verzichtet, „da- mit Sponsoren oder Spender durch die Veröffentlichung Es riecht förmlich nach Korruption und Bestechung. Um diesen Geruch aus der Nase zu bekommen, ist es nicht befürchten müssen, künftig auch von anderer Seite einfach eine Frage der politischen Hygiene, dass die gebeten zu werden, Maßnahmen, Projekte, etc. zu unter- Bundesregierung komplett auf Sponsoring im Kern- stützen.“ Diese Begründung ist nicht nur völlig abwegig, bereich der Bundesverwaltung verzichtet. sondern lässt erst recht Vermutungen ins Kraut schießen, (B) dass es hier wohl etwas zu verheimlichen gibt. Denn (D) Die Bundesregierung darf nicht leichtfertig das Anse- zwischen den Sponsoren und den Institutionen bestehen hen des Staates aufs Spiel setzen. Sponsoren dürfen oftmals vertragliche Verbindungen. Der Verdacht von nicht weiter Regierungshandeln beeinflussen und damit Parteilichkeit und Beeinflussung ist dann nicht von der über die Politik in unserem Lande entscheiden. Hand zu weisen. Jeder weiß, dass der Druck der Lobbyisten von Tag zu Gerade deswegen ist es ungemein wichtig, dass für Tag größer wird. Es wird immer offensichtlicher, dass die Öffentlichkeit in diesem sensiblen Bereich Transpa- die Bundesregierung immer häufiger diesem Druck renz hergestellt wird. Ein Vertuschen und Tuscheln be- nachgibt. schädigt dagegen die eigentlich gute Idee, dass die Bun- Denken wir nur an die Debatte um den Kohlendioxid- desverwaltung einzelne Projekte durch eigens bei ausstoß deutscher Autos oder um den Schutz von Nicht- Unternehmen und Verbänden akquirierte Mittel mitfi- rauchern – immer hatten starke Lobbygruppen ihre Fin- nanziert. Dadurch wird der Bundesverwaltung die Mög- ger im Spiel, um ihre Partikularinteressen mithilfe der lichkeit eröffnet, neben den regulären Budgetmitteln Bundesregierung gegen die Mehrheit im Land durchzu- durch eigene Anstrengungen zusätzliche Maßnahmen setzen. durchführen zu können. Dies stärkt meiner Meinung nach im ausgesprochen positiven Sinne die Eigenverant- Die Bürgerinnen und Bürger haben nicht mehr den wortung und den Gestaltungsspielraum der Verwaltung. Eindruck, dass ihre Volksvertreter ihre Interessen vertre- ten, sondern die Interessen von EADS und Siemens. Das Das Bundesinnenministerium hat letztlich unsere Kri- führt zu der viel beschriebenen Politikverdrossenheit. tik aus dem Rechnungsprüfungsausschuss aufgenom- Der Verzicht auf das Sponsoring in Kernbereichen der men. Als schmaler Grat zwischen der Gefahr von über- Bundesregierung könnte ein klares Zeichen an die Bür- bordender Bürokratie auf der einen Seite und möglichst gerinnen und Bürger seien. Deshalb bitte ich Sie, unse- großer Transparenz auf der anderen Seite soll in Zukunft rem Antrag zuzustimmen. eine Namensnennung ab einer Wertgrenze von 5 000 Euro vorgesehen werden. Diese Wertgrenze ist ein Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spon- Kompromiss. Die Mehrzahl der Sponsorleistungen liegt soring in der Bundesverwaltung ist weniger in quantitati- nämlich unterhalb dieser Grenze. Es muss in Zukunft ver, sondern vielmehr in qualitativer Hinsicht von Be- überprüft werden, ob sich diese Grenze als praktikabel deutung. Der erste Sponsoringbericht hat für einen erweist. Im Zweifelsfall muss sie dementsprechend an- Zeitraum von 17 Monaten Sponsorleistungen von unge- gepasst werden. 9060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) Der schmale Grat besteht aber auch darin, dass mit ei- Gegenleistungen der Behörde, die Pflicht zum Nachweis (C) ner neuen Transparenzregelung nicht das Mäzenatentum der angenommenen Leistungen durch Sponsoringverein- in der Kulturförderung behindert werden soll. Deswegen barungen bzw. Aktenvermerke und das einzuhaltende braucht es eine scharfe begriffliche Differenzierung zwi- Genehmigungsverfahren. schen Sponsoring, Spende und sonstiger Schenkung. Beim privaten Mäzenatentum sollte dem Wunsch nach Die Vorschrift verpflichtet die Bundesverwaltung, die Anonymität Rechnung getragen werden können, gerade eingeworbenen Leistungen zu dokumentieren und durch weil hier im Gegensatz zum Sponsoring eben beispiels- Veröffentlichung eines Zweijahresberichts auch gegen- weise keine Gegenleistung in Form von Werbung erwar- über der Öffentlichkeit transparent und damit nachvoll- tet wird. Die Kulturförderung zeigt exemplarisch, wie ziehbar zu machen. kontraproduktiv ein völliger Verzicht auf Sponsoring, In der Eingriffsverwaltung – zum Beispiel in den ho- Spenden und Schenkungen wäre. heitlichen Aufgabenbereichen der Polizei, der Finanzen Wir brauchen vielmehr eine Regelung die den schma- und des Zolls des Bundes – verbietet die Richtlinie jegli- len Grat meistert. Dies bedeutet: Sponsoring braucht ches Sponsoring. Lediglich bei präventiven Maßnahmen größtmögliche Transparenz. Eine entsprechende Rege- ist hier Sponsoring ausnahmsweise zulässig. Die Aus- lung haben wir im Rechnungsprüfungsausschuss auf den rüstung der Bundespolizei wäre – anders als eine Unter- Weg gebracht. stützung ihrer Öffentlichkeitsarbeit – unzulässiges Spon- soring. Außerhalb der Eingriffsverwaltung ist Sponsoring zulässig, etwa in den Bereichen Kultur, Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Sport, Gesundheit, Umweltschutz, Bildung und Wissen- Bundesminister des Innern: Sponsoring durch private schaft und bei der politischen Öffentlichkeitsarbeit im Finanzierungsquellen hat für die öffentliche Verwaltung In- und Ausland und bei repräsentativen Veranstaltungen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewon- der Bundesregierung. nen. Zum Sponsoring in der Bundesverwaltung zählen nicht nur die Geld-, Sach- oder Dienstleistung eines Un- Der Anteil der Sponsorleistungen an der Finanzierung ternehmens, das als Gegenleistung hierfür zum Beispiel der Verwaltungstätigkeit kann zwar für eine einzelne namentlich im Rahmen einer Veranstaltung erwähnt Maßnahme von großer Bedeutung sein. Im Verhältnis zu wird. Hierzu zählen auch das Mäzenatentum sowie die den Gesamtausgaben ist er jedoch sehr gering. In der Spenden und Schenkungen insbesondere von Privaten, Zeit von August 2003 bis Dezember 2004 wurden insge- die Aktivitäten der Verwaltung unterstützen und fördern samt Sponsoringleistungen in Höhe von lediglich wollen. Eine solche Förderung unterstützt das konkrete 55 Millionen Euro angenommen. Allein 41 Millionen Vorhaben. Sie ist aber häufig auch Ausdruck bürger- Euro hiervon entfallen auf eine Gesundheitskampagne (B) schaftlichen Engagements, wenn Sie zum Beispiel an die zur Aidsaufklärung. Hier ist aber kein Geld gegeben (D) vielen Spenden und Schenkungen der Bürger an das worden. Es wurden vielmehr bundesweit Plakatflächen THW denken, ohne die viele Einsätze des THW nur für Großplakate bereitgestellt und Fernseh- und Hör- schwer möglich wären. funkspots kostenlos ausgestrahlt. Dies machte den Wert der genannten 41 Millionen Euro aus. Nur mit den für Natürlich darf die Objektivität von Entscheidungen die Aidsaufklärung im Bundeshaushalt zur Verfügung der Verwaltung nicht durch Leistungen von Sponsoren, gestellten Mitteln wäre eine ebenso wirkungsvolle Prä- Spendern oder Mäzenen beeinflusst werden. Deshalb ventionskampagne nicht möglich gewesen. Anmerken müssen die Namen der Sponsoren genannt, ihre Leistun- möchte ich, dass auch die restlichen 14 Millionen Euro gen und der Zweck ihrer Leistung offengelegt und die überwiegend Sach- und keine Geldleistungen waren. ordnungsgemäße Mittelverwendung gesichert werden. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Einflussnahme Das Beispiel der Aidskampagne belegt, wie sinnvoll auf staatliche Handlungen ausgeschlossen werden. Sponsoring sein kann. Umso unverständlicher ist es, dass gerade diese Leistungen für die Aidsaufklärung in Wie der Bundesrechnungshof in einer Prüfung im einem im „Stern“ erschienenen Artikel in ein falsches Jahr 2000 feststellte, war die notwendige Transparenz in Licht gerückt wurden. der Vergangenheit nicht immer gegeben. Daraufhin wurde die Richtlinie für das Sponsoring – die Verwal- Die bisherige Auswertung des Sponsoraufkommens tungsvorschrift Sponsoring – geschaffen. Mit dieser Ver- der Jahre 2005 und 2006 hat ebenfalls deutlich gemacht, waltungsvorschrift steht seit 2003 ein Instrument zur dass die Geld-, Sach- und Dienstleistungen aus Sponso- Verfügung, das Transparenz herstellt und bei konsequen- ring erneut Projekten zugutegekommen sind, die ohne ter Anwendung die Einflussnahme auf Verwaltungshan- die Leistungen Dritter nicht oder nur in geringerem Um- deln durch Sponsoring nicht zulässt. fang hätten verwirklicht werden können. Die Verwaltungsvorschrift Sponsoring regelt die bei Der Bundesrechnungshof hat auf Wunsch des Rech- der Einwerbung und Annahme von Sponsoringleistun- nungsprüfungsausschusses im Jahr 2006 die Erfahrun- gen im Interesse der Integrität und Neutralität des Staa- gen mit der Verwaltungsvorschrift und den Ersten Spon- tes zu beachtenden Grundsätze wie die Wahrung der soringbericht für 2003/2004 überprüft. Nach dem Wettbewerbs- und Chancengleichheit, den grundsätzlich Ergebnis dieser Prüfung sind die Verwaltungsvorschrift nur ergänzenden Einsatz von Sponsoringleistungen, die Sponsoring und der Erste Sponsoringbericht grundsätz- Vermeidung des Anscheins einer Beeinflussung der Be- lich geeignet, die Transparenz über die von Privaten hörde durch die Annahme der Leistungen, die zulässigen empfangenen Leistungen herzustellen und damit die In- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9061

(A) tegrität und Neutralität des Staates zu wahren. In einigen ter vom 21. Mai 2003 sowie zur Durchführung der (C) Punkten sollen die Regelungen weiter verbessert und Verordnung (EG) Nr. 166/2006 klarstellende Hinweise zur praktischen Anwendung ge- geben werden. – Fünftes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli- cher Vorschriften Die Bundesregierung setzt die Empfehlungen des Bundesrechnungshofs um. Die Regelungen für die Un- – Gesetz zu der Vereinbarung vom 11. April 2006 terstützung und Förderung der Tätigkeit der Verwaltung zwischen der Regierung der Bundesrepublik durch Sponsoring werden ständig überprüft und verbes- Deutschland und der Regierung der Republik Po- sert. Die Namen der Sponsoren werden jedenfalls für len über die Durchführung des Übereinkommens Leistungen ab 5 000 Euro vollständig offengelegt. Die vom 25. Februar 1991 über die Umweltverträg- Sponsoringleistungen werden transparent, nachvollzieh- lichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rah- bar und überprüfbar. Unter diesen Umständen gibt es men (Vertragsgesetz zur Deutsch-Polnischen keinen Grund, auf sinnvolle Unterstützung von Verwal- UVP-Vereinbarung) tungsleistungen durch Dritte – also das Sponsoring – zu – Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Überein- verzichten. kommens vom 14. November 1970 über Maßnah- Der Antrag der Fraktion Die Linke auf Verzicht der men zum Verbot und zur Verhütung der rechts- Bundesregierung auf Einnahmen aus Sponsoring ist widrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von nicht begründet und daher abzulehnen. Kulturgut (Ausführungsgesetz zum Kulturgut- übereinkommen – KGÜAG)

Anlage 5 Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- Amtliche Mitteilungen ßung gefasst: Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Bundesregierung wird gebeten, nach Ablauf von hat mit Schreiben vom 21. März 2007 mitgeteilt, dass sie drei Jahren nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur Ausfüh- den Antrag Börsengang der Ruhrkohle AG mit Aus- rung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November stieg aus den Kohlesubventionen 2012 verbinden auf 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der Drucksache 16/3701 zurückzieht. rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (Ausführungsgesetz zum Kulturgutüberein- Der Bundesrat hat in seiner 831. Sitzung am 9. März kommen – KGÜAG)“ einen Bericht über die Auswirkun- 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- gen des Gesetzes vorzulegen. (B) stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des (D) Grundgesetzes nicht zu stellen: – Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungs- gesetzes – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 14. Novem- ber 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- und Übereignung von Kulturgut ßung gefasst: – Zweites Gesetz über die Bereinigung von Bundes- Der Bundesrat begrüßt die mit dem Gesetz erfolgte recht im Zuständigkeitsbereich des Bundesminis- Umsetzung der Richtlinie zur grenzüberschreitenden teriums für Wirtschaft und Technologie und des Verschmelzung sowie die sonstigen Änderungen im in- Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nerstaatlichen Umwandlungsrecht als in großen Teilen – Achtes Gesetz zur Änderung des Versicherungs- praxisgerecht und sinnvoll. aufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Er weist jedoch darauf hin, dass er der gesetzlichen Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes und ande- Festlegung von Regelentscheidungsfristen, wie sie in rer Vorschriften Artikel 1 Nr. 3 Buchstabe a und Artikel 3 Nr. 5 Buch- – Viertes Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- stabe a des Gesetzes vorgesehen sind, kritisch gegen- steuergesetzes übersteht. Dies wurde bereits in der Stellungnahme des Bundesrates vom 22. September 2006 – Bundesrats- – Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfah- drucksache 549/06 (Beschluss) – zum Gesetzentwurf rens zum Ausdruck gebracht. – Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wie bereits bei der Vorläuferregelung des § 246 a Wasch- und Reinigungsmitteln (Wasch- und Rei- Abs. 3 Satz 5 AktG ist auch hier die Vorgabe einer Ent- nigungsmittelgesetz – WRMG) scheidungsfrist abzulehnen. In der Entwurfsbegründung – Gesetz zu dem Protokoll vom 21. Mai 2003 über zur Änderung des § 246 a AktG wurde die Fristsetzung Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregis- damit begründet, dass die Festlegung einer dreimonati- ter gen Sollfrist für die gerichtliche Entscheidung den Cha- rakter des Freigabeverfahrens als Eilverfahren unter- – Gesetz zur Ausführung des Protokolls über streichen und ein „Leitbild“ für das Gericht aufstellen Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregis- solle. 9062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007

(A) Einen solchen Hinweis an den Richter, dass er es mit Debatte der Erweiterten Parlamentarischen Versamm- (C) einem Eilverfahren zu tun habe, hält der Bundesrat für lung über die Aktivitäten der OECD am 4. Oktober überflüssig, da sich dies offensichtlich aus dem Verfah- 2006 rensgegenstand ergibt. Es ist nicht ersichtlich, dass es in – Drucksachen 16/3941, 16/4101 Nr. 5 – der gerichtlichen Praxis bei der Entscheidung von Frei- gabeverfahren zu nicht gerechtfertigten Verzögerungen Ausschuss für Arbeit und Soziales kommt. Es besteht daher kein Anlass für eine gesetzliche Regelung. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Si- Sollte sich die Tendenz fortsetzen, den Gerichten cherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Fristen für ihre Entscheidung vorgeben zu wollen, würde Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bun- zukünftig nicht mehr der Richter im Einzelfall, sondern desrepublik Deutschland im Jahre 2005 der Gesetzgeber auf Grund einer schematischen Vorgabe – Drucksachen 16/3915, 16/4101 Nr. 4 – darüber entscheiden, welche Verfahren in welcher Rei- henfolge zu bearbeiten sind und welcher Aufwand für – Unterrichtung durch die Bundesregierung die Feststellung der entscheidungserheblichen Umstände Erster Bericht der Bundesregierung an die gesetzgeben- den Körperschaften des Bundes über die Erfahrungen erforderlich ist. Dies liegt nach Ansicht des Bundesrates mit den Regelungen des § 28e Abs. 3a bis 3e Viertes weder im Interesse des rechtsuchenden Bürgers noch Buch Sozialgesetzbuch (Generalunternehmerhaftung entspricht es der im Grundgesetz festgelegten Stellung für Sozialversicherungsbeiträge im Baugewerbe) der Justiz als dritter Staatsgewalt. Die erforderliche Ab- – Drucksachen 15/4599, 16/820 Nr. 36 – wägung kann allein der Richter auf Grund einer Würdi- gung aller Umstände des Einzelfalles vornehmen. Wird dagegen für einzelne Verfahrensarten ein Entscheidungs- Ausschuss für Gesundheit zeitraum festgelegt, so werden hierdurch Beteiligte in – Unterrichtung durch die Bundesregierung anderen Verfahren strukturell benachteiligt. Eine Abwä- Berichte der Bundesregierung zu Erfahrungen mit der gung, welches Verfahren konkret besonders eilbedürftig Anwendung der neuen Aut-idem-Regelung und vorrangig zu fördern ist, fände dann nicht mehr statt. – Drucksachen 15/2283, 16/480 Nr. 1.2 –

Daneben ist der praktische Nutzen der angestrebten – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzung zu bezweifeln. Liegt eine Fallgestaltung vor, Bericht der Spitzenverbände der Krankenkassen zu welche die vom Gericht vorzunehmende Abwägung be- den Erfahrungen mit dem durch das 11. SGB V-Ände- sonders zeitaufwändig macht, stellt sich die dann erfor- rungsgesetz bewirkten Rechtsänderungen (B) derliche Zwischenbescheidungspflicht als hinderlich für – Drucksachen 16/1150, 16/1476 Nr. 1.4 – (D) das Verfahren dar. Es muss unnötiger Zeitaufwand in die Begründung der Verzögerung statt in die Begründung – Unterrichtung durch die Bundesregierung der eigentlichen Freigabeentscheidung investiert wer- Bericht der Spitzenverbände der Krankenkassen über den. die Praxis der Vorabzuzahlungsbefreiungen durch die Krankenkassen Solche Vorschriften dienen daher gerade nicht der – Drucksachen 16/2549, 16/2813 Nr. 1.3 – Verfahrensbeschleunigung. Sie vergrößern vielmehr nur den vom Gericht zu leistenden bürokratischen Aufwand, ohne dass hiermit ein greifbarer Vorteil für die Antrag- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben steller verbunden wäre. mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben tung abgesehen hat. mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Innenausschuss nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 16/4105 Nr. 2.52 Drucksache 16/4105 Nr. 2.53 Drucksache 16/4105 Nr. 2.85 Auswärtiger Ausschuss

– Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Finanzausschuss Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Drucksache 16/4105 Nr. 2.1 Drucksache 16/4105 Nr. 2.19 Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Euro- Drucksache 16/4105 Nr. 2.26 parates vom 26. bis. 30. Juni 2006 in Straßburg Drucksache 16/4105 Nr. 2.40 – Drucksachen 16/3400, 16/4101 Nr. 1 – Drucksache 16/4105 Nr. 2.41 Drucksache 16/4105 Nr. 2.45 Drucksache 16/4105 Nr. 2.54 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Drucksache 16/4105 Nr. 2.57 Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Drucksache 16/4105 Nr. 2.59 Europarates Drucksache 16/4105 Nr. 2.69 Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Euro- Drucksache 16/4105 Nr. 2.70 parates vom 2. bis. 6. Oktober 2006 in Straßburg und Drucksache 16/4105 Nr. 2.71 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2007 9063

(A) Drucksache 16/4105 Nr. 2.72 Ausschuss für Gesundheit (C) Drucksache 16/4105 Nr. 2.73 Drucksache 16/3382 Nr. 2.31 Drucksache 16/4258 Nr. 2.6 Drucksache 16/4105 Nr. 1.1 Drucksache 16/4258 Nr. 2.7 Drucksache 16/4105 Nr. 1.5 Drucksache 16/4258 Nr. 2.15 Drucksache 16/4105 Nr. 2.17 Drucksache 16/4258 Nr. 2.17 Drucksache 16/4258 Nr. 2.25 Drucksache 16/4258 Nr. 2.30 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 16/4258 Nr. 2.31 Drucksache 16/4258 Nr. 2.3 Drucksache 16/4258 Nr. 2.32 Drucksache 16/4258 Nr. 2.4 Drucksache 16/4258 Nr. 2.33 Drucksache 16/4258 Nr. 2.5 Drucksache 16/4258 Nr. 2.34 Drucksache 16/4258 Nr. 2.14 Drucksache 16/4258 Nr. 2.35 Drucksache 16/4258 Nr. 2.18 Drucksache 16/4258 Nr. 2.36 Drucksache 16/4258 Nr. 2.20 Drucksache 16/4258 Nr. 2.37 Drucksache 16/4258 Nr. 2.59 Drucksache 16/4258 Nr. 2.38 Drucksache 16/4258 Nr. 2.39 Drucksache 16/4258 Nr. 2.40 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz Drucksache 16/4258 Nr. 2.41 und Reaktorsicherheit Drucksache 16/4258 Nr. 2.42 Drucksache 16/3573 Nr. 2.2 Drucksache 16/3713 Nr. 1.18 Drucksache 16/4105 Nr. 1.9 Haushaltsausschuss Drucksache 16/4105 Nr. 2.90 Drucksache 16/4105 Nr. 2.65 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft Drucksache 16/4105 Nr. 1.10 und Verbraucherschutz Drucksache 16/4105 Nr. 1.11 Drucksache 16/4105 Nr. 2.55 Drucksache 16/4105 Nr. 2.3 Drucksache 16/4105 Nr. 2.67 Drucksache 16/4105 Nr. 2.77 Drucksache 16/4105 Nr. 2.93 Ausschuss für die Angelegenheiten Drucksache 16/4258 Nr. 1.1 der Europäischen Union Drucksache 16/4258 Nr. 2.12 Drucksache 16/1942 Nr. 1.6 Drucksache 16/4258 Nr. 2.19 Drucksache 16/2555 Nr. 1.10 Drucksache 16/4258 Nr. 2.27 Drucksache 16/2555 Nr. 1.30 (B) Drucksache 16/4258 Nr. 2.29 Drucksache 16/2555 Nr. 2.10 (D) Drucksache 16/4258 Nr. 2.51 Drucksache 16/2555 Nr. 2.85 Drucksache 16/4258 Nr. 2.60 Drucksache 16/2695 Nr. 1.18 Drucksache 16/3196 Nr. 1.5 Drucksache 16/3382 Nr. 2.7 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 16/3382 Nr. 2.27 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 16/4105 Nr. 2.62 Drucksache 16/3573 Nr. 2.3 Drucksache 16/4105 Nr. 2.83 Drucksache 16/3897 Nr. 1.13

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