Quelle: https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/157055/?q=Sustenpass-Strasse+

Sustenpass-Strasse TEIL 1 20. SEPTEMBER 2017 Der Tanzsaal war beachtlich voll mit internierten Russen

Der Gadmer Fred Jaggi erzählt in einer dreiteiligen Serie von drei verschiedenen Pass-Strassen, die über den Susten führen, vom Bau und der Nutzung und speziellen Geschichten aus vergangenen Zeiten. In der ersten Folge geht es um die bekannteste, die heutige Sustenpass-Strasse. von Zora Herren

«Was für mich das Eindrücklichste war, sie hatten einen Kompressor, Bohrer und Rollwagen, aber sonst arbeiteten sie restlos mit Schaufel, Pickel und Karetten», erzählt Fred Jaggi.Foto: Sammlung Fred Jaggi

Fährt man von Richtung Gadmen, biegt man links in die alte Passstrasse ein und erreicht so den kleinen Wiler Nessental, am Fusse des Sustenpasses. Da lebt Fred Jaggi im Twirgi, mitten in der friedvollen Natur, umgeben von der Bergwelt, gemeinsam mit seiner Frau in dem Haus, wo er auch aufgewachsen ist.

Fred Jaggi (80) erlebte als Junge diesen Strassenbau und amtete bei der 50-Jahr-Feier der neuen Sustenpass- Strasse als Gemeindepräsident.Foto: Zora Herren

Zahlreiche Arbeiter liefen täglich vorbei

Fred Jaggi beginnt zu erzählen: Die weltpolitische Lage in den Dreissigerjahren hat mit dem Réduit- Plan dazu geführt, dass der Bundesrat beschloss, über den Susten eine fahrbare Strasse zu machen. Ich erinnere mich, als sie hier bei uns im Twirgi vorbeikamen. Da hinten (Fred Jaggi zeigt in die Richtung hinter seinem Haus) waren die Baubaracken. Es kam mir vor, wie wenn man heute Bilder von China sieht, wenn die Bauarbeiter am Abend da vorbeiliefen, das war, als würde das Militär einmarschieren. Das war in der Kriegszeit, und die jungen Leute standen weit und breit alle unter der Fahne. Es drängte zeitlich, und so wurden auch viele Soldaten eingesetzt und Zuchthäusler und sehr viele internierte Russen. Ich besinne mich an den Tanzsaal im Nessental, der war voll mit internierten Russen. Die arbeiteten auch an der Strasse.

Die heutige Sustenpass-Strasse wurde 1945 nach achtjähriger knochenharter Bauzeit fertiggestellt.Fotos: Sammlung Fred Jaggi

Der Bau der Strasse, die aus verkehrs- und militärpolitischen Überlegungen erstellt wurde, brachte dem Tal Arbeit und Einkommen. Hier sieht man zwei Arbeiter mit einer Benzinmotorsäge, das war wohl die erste Motorsäge, die im Gadmental im Einsatz war.

«Es drängte zeitlich, und so wurden auch viele Soldaten eingesetzt und Zuchthäusler und sehr viele internierte Russen und Polen», weiss Fred Jaggi.

Auf der 46 Kilometer langen Strecke findet man 26 Brücken und 26 Tunnels mit einer Vielzahl an Kunstbauten – Mischformen von Stützmauern mit viel Liebe zum Detail.

Die Strasse gilt als wichtigste Neuanlage einer Schweizer Alpenstrasse in den 30er-Jahren.

Mit Schaufel und Pickel zum imposanten Alpenpass

In Obermatt ist der «Polencher», diese Strassenkurve haben Internierte aus Polen gemacht. Was für mich das Eindrücklichste war, sie hatten einen Kompressor, Bohrer und Rollwagen, aber sonst arbeiteten sie restlos mit Schaufel, Pickel und Karetten.

Der Polenrank oberhalb von Gadmen.Fotos: Silvio Keller

An der Sustenstrasse befindet sich auch ein Polendenkmal.

Der Bau begann 1938 und dauerte bis 1945, und 1946 war die Eröffnung. Als die 50 Jahre Sustenpassstrasse-Feier war, kamen noch vier aus Polen. Vom Kanton kam kein Regierungsrat und kein Statthalter. Von Uri kamen drei Regierungsräte, und da war ich als Gemeindepräsident mit meinen Ratsmitgliedern, wir hatten mit der Delegation von Uri ein Mordsfest.

Verkehrschaos an der Eröffnung des Susten-Pass, aufgenommen im August 1946.Foto: Keystone, Walter Scheiwiller

Ein Mädchen überreicht Bundesrat Philipp Etter an der Einweihungsfeier der Sustenstrasse auf dem Sustenpass (2224 Meter) am 7. September 1946 einen Blumenkranz.Foto: Keystone, Photopress-Archiv/Mttr Die neue Sustenpass-Strasse war ein grosses Ereignis. Am Eröffnungstag fuhren 15'000 Autos über den Pass – dies entspricht einem Achtel aller damals in der Schweiz gemeldeten Fahrzeuge. Bundesrat Philipp Etter hielt die Eröffnungsansprache. In der nächsten Folge erzählt Fred Jaggi vom allerersten Sustenpass-Pfad und dessen Bedeutung.

Ein Mann und eine Frau geniessen bei der Traverse vor dem Steingletscher vor der Passhöhe die Aussicht, aufgenommen im August 1946. Ein Werbebild für eine, nach den modernsten Anforderungen gebaute Passstrasse, die die Kantone Uri und Bern verbindet.Foto: Keystone, Photopress-Archiv/Std

Quelle : Jungfrauzeitung Ausgabe 27. September 2017 https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/157870/

Sustenpass-Strasse Teil 2 Von lukrativen Pferden, Polenta und Wein

Der Gadmer Fred Jaggi erzählt in einer dreiteiligen Serie von drei verschiedenen Pass-Strassen, die über den Susten führen. In dieser Folge widmet er sich dem allerersten und ältesten Weg. von Zora Herren

Mit Fred Jaggi unterwegs auf der Suche nach Strassenabschnitten der uralten und alten Passstrasse.Fotos: Zora Herren

Es bestand seit dem Mittelalter über den Pass eine Handelsverbindung. Das Wort «Sust» bedeutet soviel wie Lager oder Warenhaus und bildete die Grundlage für die Namensgebung. Fred Jaggi weiss, wo die uralten Pfade durchführten, und kennt Streckenabschnitte, die heute noch ersichtlich sind.

Die erste Strasse ist der Zeit nicht verbürgt, aber man hat römische Münzen gefunden in Hopflauenen, und da ist sehr wohl anzunehmen, dass die Römer die begangen haben. So hatte es eine Querverbindung gegeben vom Hasli ins Urnerland, um danach in die Zentralschweiz zu gelangen anstelle des Brünig. Ich kann mir vorstellen, dass dies ein Weg war, den die Legionäre beschreiten mussten, unter anderen. Fred Jaggi beschreibt die Routenführung der uralten Sustenstrasse und berichtet über das Leben, das sich darauf abspielte.

Gerade dort, wo der Zaun für die Tiere gesteckt wurde, führte der Pfad der uralten Strasse durch.

Dem Wasser nach

Man geht von Innertkirchen Richtung taleinwärts. Da sind die Leute aus dem Tal, mit dem «Huttli» (Rückentragkorb) oder dem «Räf» (hölzerne Rückentrage) losgezogen, wenn sie Lebensmittel oder sonst etwas brauchten. Dazumal gingen alle zu Fuss, und die waren natürlich darauf angewiesen, dass man zwischendurch einen Tropfen Wasser trinken konnte. Da gab es eine Stelle, die in die Geschichte einging, das ist das «Staldetrigli», geht man vom «Schattmig» Wyler hinauf, kommt am Stalden ein gutes Quellwasser.

Hier beim Sagennollen besass das Kloster im 12. Jahrhundert eine Mühle.

Angrenzend war dieses Grundstück mit einer Nagelschmitte, die ebenfalls dem Kloster Engelberg gehörte.

Da haben die Wanderer «ghirmet» (ausgeruht) und einen Schluck Wasser getrunken. Die nächste Gelegenheit, um den Durst zu löschen, war beim Nessellauentrog gewesen. Das ist bei Hopflauenen an der gewesenen Gemeindegrenze, dann kamen sie zu den Marmorsagen, und dort vor der Strasse war eine ziemlich hohe Mauer. Ich kann mich noch daran erinnern, heute ist da alles aufgefüllt. Dort hatte es einen Trog, den Sagenbrunnen, da wurde auch gerne Wasser getrunken.

Fred Jaggi besitzt eine von Hand gezeichnete Karte, auf der die uralte Passstrasse ersichtlich ist.

Im Geissgadekehr stand zu katholischen Zeiten noch eine Kapelle.

Eine Kapelle, ein Schulhaus, doch nur noch in der Erinnerung

Im Geissgadekehr stand zu katholischen Zeiten noch eine Kapelle. Jahrhunderte später ein Schulhaus, dann geht die Strasse weiter von der Schaftelen über die Fuhrenbrücke, da kam man wiederum auf die Sonnseite. Auf die untere Fuhren, mit einer Kurve auf die obere Fuhren und dann hinein nach Gadmen, dann Eyelti, von da geht es weiter nach Wissenmad, durch die alten Kehren und die Miser zum Steingletscher. Von da bis zum Pass hatte der Saumweg ungefähr das gleiche Terrain wie die Nachfolgestrasse, erklärt der Gadmer weiter.

Wer eine Mähre besitzt, konnte heiraten

Die Alten sind auf den Mailänder Markt über den Susten/Gotthard. Die haben dort Käse, Vieh und Pferde verkauft. Die Pferde waren die lukrativsten Exportartikel. Sie waren damals eine hohe Summe wert. Es hiess, wenn jemand eine «Mähre» (Zuchtstute) besitzt, dann dürfe er heiraten, dann bringe er eine Familie durch. Man muss sich vorstellen, ein Pferd trägt 49 Wochen, also beinahe ein Jahr, und wenn das Fohlen auf der Welt und gesund ist, geht das nochmals zwei oder drei Jahre, bis es zum Verkauf steht. Das heisst also, da hat einer alle drei Jahre einen guten Verkauf mit etwas Glück, wenn alles rund läuft. Das ist bekannt hier in unserem Tal, dass sie nach Mailand an den Markt gingen, und auf dem Heimweg haben sie dann Polenta, Reis, Schnaps und Wein zurückgenommen.

Quelle : Jungfrauzeitung Ausgabe 34 Oktober 2017 https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/157870/

Sustenpass-Strasse Teil 3 «Dort, wo heute das Hotel steht, war damals noch Gletscher»

Fred Jaggi erzählt in einer dreiteiligen Serie von drei verschiedenen Passstrassen, die über den Susten führen, vom Bau und der Nutzung und speziellen Geschichten aus vergangenen Zeiten. In der dritten und letzten Folge berichtet der Gadmer vom Fahrweg, dessen Bau 1811 begann. von Zora Herren

Fred Jaggi interessiert sich für die Geschichten rund um sein Haus über Jahrhunderte zurück und hat die Gabe, sie auf faszinierende Art weiterzuvermitteln.Fotos: Zora Herren

Im 18. Jahrhundert, als französische Truppen die Gegend besetzt hielten, folgte der Anstoss zum Ausbau des Säumerweges. Sämtliche Pässe von der Grimsel bis zum Sanetsch waren allesamt Zollpflichtig. Wenn auch das Oberland noch eine Verbindung über den Brünig und die Gotthardstrasse besass, lag es doch im Interesse von Bern, den Handel so viel wie möglich durch das eigene Territorium zu leiten und die Zollstellen so zu umgehen.

Der Bau begann in Fred Jaggi berichtet: 1810 haben die Berner zwei Ingenieure ins Tal geschickt, und die machten einen Plan. Der ist etwa sechs Meter lang, mit Feder und Tinte haben sie jedes Detail haargenau gezeichnet, da könnte heute noch mancher Stratege sich daran verwundern. Den Plan kann man noch im Staatsarchiv anschauen. Interessant ist, die haben in Meiringen mit dem Bauen begonnen, denn über den Kirchet ging nur ein kleiner Fussweg. Die Chronik schreibt, dass man 1813 mit einem Wagen bis ans Eggi fahren konnte, das ist in Innertkirchen ob der Kirche.

Wie das «Schissnolli» zu seinem Namen kam

Die Strasse geht weiter über «Schattmig» Wyler und überquert beim Hinterflühli das Gadmerwasser. Von da bleibt die Strasse auf der Sonnenseite, führt über Nessental zur Marmorsäge, quert das Gadmerwasser, zieht sich dem Triftwasser entlang. Von da an ging es weiter hinauf, und dann kommt ein «gäies» (steiles) Stück Weg von der Hostett auf die Schaftelenweide, das war sehr streng, wenn jemand dazu noch eine «Burdi» trägt. Oberhalb dem Schwendelli beim Nollen, auf gäbiger Höhe, hat es eine Abmauer bei der Bergmauer, da hatten sie die Räf oder ihr Hutti abgestellt. Ein kleiner Weg führte in den Wald hinein. Da musste hin und wieder jemand die Hosen kehren (Jaggi lacht) und darum sagt man dem «Nolli» heute noch «Schissnolli».

Die alte Sustenstrasse beim Sagennollen.

Am «Marfelrein», zwischen den beiden alten Strassen. Hier wurde einst Marmor abgebaut zur Weiterverarbeitung auf der Marmorsage.

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Auf der unteren Fuhren quert sie wiederum das Gadmerwasser, erreicht Fuhren und Gadmen und Obermatt, weiter geht es zum Schwarzenbrunnen, dann kommen die 22 legendären Feldmooskehren. Nach dem Feldmoos ging es ungefähr so, wie die heutige Strasse zum Stein. 1814 stand unter dem Hotel noch eine Sennhütte.

Mit Käsemilch den Strassenbau beeinflusst

Dort, wo heute das Hotel steht, war damals noch Gletscher. Da sind sie hart vor dem Gletscher durch und dann hinten neben der Moräne durch gegen die Stuhlweng, hinauf nach Rinderboden und dann über den Pass. Beim Stein wurde ein Haus gebaut. Das war übrigens 1903, als es Jossi kaufte, noch im ursprünglichen Zustand. Da wuchs der Gletscher, und um 1825 mussten sie die Strasse verlegen, weil der Gletscher über die Strasse kam im Bereich des heutigen Steinhotels. Die Strassenbauer haben mit Hungerlöhnen gearbeitet und sicher zum Teil auch Hunger gehabt.

Dort, wo heute das Hotel steht, war damals noch Gletscher, weiss Fred Jaggi.Foto: Swissheli

Fred Jaggi weiss, dass die Strasse bei einem Vorfahren mitten durch seinen Hostettboden hätte führen sollen: Mein Vorfahre versprach, wenn sie die Strasse rausdrücken an den äusseren Rand, dann gäbe er ihnen jeden Morgen die Käsemilch, und die haben tatsächlich eine lange, aufwendige Mauer talseitig in Kauf genommen und sind mit dieser Strasse rausgerückt, damit sie jeden Morgen diese Käsemilch bekamen. Das zeigt, dass die Arbeiter nicht im Überfluss lebten.

Eine Frau bewundert am 7. September 1946 die Wendenwasserbrücke und die Kurven der Sustenstrasse. In der Bildmitte sieht man vertikal ein Stück Weg der alten Passstrasse.Foto: Keystone, Photopress-Archiv/Mttr

Die beiden Kantonsregierungen von Bern und Uri hatten gemeinsam beschlossen, den Säumerweg auszubauen. Auf der Berner Seite begann man 1811 und konnte den Ausbau um 1817 fertigstellen. Der Gadmer schildert weiter: Als die Strassenbauer von Berner Seite beim Steingletscher ankamen, waren die Urner bei den Guferplatten. Zu dieser Zeit brannte Altdorf ab, und da hatten die Urner kein Geld mehr, um weiter zu «strassen». So blieb vom Steingletscher bis zu den Guferplatten dann mehr ein guter Säumweg und nicht unbedingt eine Fahrstrasse. Dieses Strassenstück bezahlten schlussendlich die Berner.

Viele Wege führen über den Susten, viele Geschichten verbergen sich in den Pfaden, ein paar wenige machte uns Fred Jaggi zugänglich mit seinen Erzählungen.