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Konrad Adenauer Für Freiheit, und die deutsche Menschenrechte Entwicklungspolitik und Demokratie

Peter Molt

Vor fünfzig Jahren, im Jahr 1962, begann Als Folge der expansionistischen Politik die internationale Arbeit der Konrad- Chruschtschows nahmen die Spannun- Adenauer-Stiftung. Sie begründete da- gen um den Status von Berlin zu, die im mit in diesem Arbeitsbereich zusammen Mauerbau am 13. August 1961 und in der mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Konfrontation russischer und amerika- Friedrich-Naumann-Stiftung das System nischer Panzer am 17. Oktober 1961 am der politischen Stiftungen, eine „deutsche Checkpoint Charlie gipfelten. Die USA Eigenheit, die auf der ganzen Welt ihres- sahen ihre Sicherheit durch die Stationie- gleichen sucht“ (Rudolf Schloz, Deutsche rung russischer Raketen in dem unter Entwicklungspolitik, München 1979, Seite Fidel Castro kommunistisch gewordenen 107). Dieses war wiederum Teil der Insti- Kuba ernsthaft bedroht. Dazu kam die tutionalisierung der Entwicklungspolitik Schwäche Europas wegen der innenpoli- als neuer Politikbereich. Wie stand der tischen Krise Frankreichs als Folge des Namensgeber der Stiftung, Konrad Ade- Algerienkriegs und der daraus resul- nauer, in dessen letzten Regierungsjahren tierenden Schwierigkeiten der weiteren die Entscheidung für ein eigenständi- europäischen Integration. Die Auflösung ges Ministerium für Entwicklungszusam- der europäischen Kolonialreiche barg zu- menarbeit und für die pluralistische dem die Gefahr des Abdriftens der neuen Struktur ihrer Umsetzung getroffen wur- Staaten in das kommunistische Fahr- de, dazu? wasser. Die Welt stand – so sahen es Die wissenschaftliche Literatur klam- Adenauer und andere von den histori- mert bisher die Rolle Konrad Adenauers, schen Erfahrungen der beiden Weltkriege die dieser als Bundeskanzler in den ers- geprägte Politiker – vor dem Abgrund ten Jahren der deutschen Entwicklungs- eines globalen Krieges zwischen den bei- politik spielte, weitgehend aus, allen- den Supermächten. falls wird ihm mangelndes Verständnis der neuen weltpolitischen Entwicklun- Ein zweites Kuba verhindern gen zugeschrieben. Neu veröffentlichte Der damalige Boom der Entwicklungs- oder zugängliche Quellen, insbeson- politik, der in der von den Vereinten dere die vom Bundesarchiv veröffent- Nationen 1960 ausgerufenen „Ersten Ent- lichten Kabinettsprotokolle, die Akten wicklungsdekade“ zum Ausdruck kam, des Auswärtigen Amtes und Bestände war das Ergebnis der dramatischen Zu- des Archivs für Christlich-Demokrati- spitzung des Ost-West-Konfliktes. Die sche Politik der Konrad-Adenauer-Stif- westlichen Großmächte suchten die Aus- tung, führen jedoch zu einer anderen Be- weitung des Einflusses der UdSSR auf die wertung. Entwicklungsländer zu begrenzen und Die frühen 1960er-Jahre waren geprägt einen weiteren Fall Kuba zu verhindern. von dem verschärften Ost-West-Konflikt. Zweifellos waren – wider alle Entwick-

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lungsrhetorik – damit auch wirtschaft- lebenswichtig, ihre traditionellen außer- liche Interessen verbunden, letztlich ging europäischen Absatzmärkte wiederzu- es aber dabei um die Sicherheit der west- gewinnen und neue zu erschließen. Die lichen Staatengemeinschaft. USA unterstützen komplementär zum traute Frankreich Marshallplan die deutsche Exportwirt- und Großbritannien zu, den Prozess der schaft, indem sie deutsche Firmen am Konsolidierung der neuen, aus ihrem Bau von Militärbasen vor allem in Kolonialreich entstandenen Staaten ohne Griechenland und der Türkei beteiligten Abstriche an ihrer europäischen Sicher- oder sich für Aufträge aus bi- und multi- heitspolitik zu bewältigen. Lateinamerika lateralen Hilfsprogrammen einsetzten. dagegen sah er als eine Region, die Gefördert wurden die außenwirtschaft- durch die Proliferation des „Fidelismus“ lichen Anstrengungen durch entspre- und den damals vehementen Antiame- chende Handelsverträge, durch Bundes- rikanismus in eine unmittelbar die Si- bürgschaften und -garantien und durch cherheitsinteressen der USA tangierende Mittel des aus dem Marshallplan ent- Krise geraten war. Er war zutiefst besorgt, standenen ERP-Sondervermögens. Diese dass der neue US-Präsident John F. Ken- Politik hatte Erfolg, bereits 1952 ging ein nedy und sein Außenminister Dean Rusk Drittel aller westdeutschen Exporte in dem russischen Druck zum Nachteil des Entwicklungsländer. Status von Berlin und Deutschlands nach- geben und grundsätzliche Positionen auf- Neues Mittel der Außenpolitik geben könnten. Für die Bundesrepublik Außenpolitische Interessen gewannen Deutschland hatte deshalb der Umbruch dagegen erst nach und nach an Gewicht. in den Entwicklungsländern eine er- Zunächst ging es der Regierung Ade- hebliche Bedeutung für ihre Sicherheit nauer nur darum, Deutschland wieder und nationalen Interessen. Es waren die- in die internationale Staatengemeinschaft se außenpolitischen Entwicklungen, die einzugliedern. Da die Bundesrepublik zu einer organisatorischen Neuordnung kein Mitglied der Vereinten Nationen und Verstärkung des deutschen Beitrags war, lag das Schwergewicht bei finan- zur internationalen Entwicklungshilfe ziellen Beiträgen zu UN-Organisationen führten. und -Programmen und zur Weltbank. Es hatte zwar schon zuvor deut- Mit der Gründung der EWG wurde sche Entwicklungshilfeleistungen gege- die Bundesrepublik unmittelbar mit der ben, aber sie folgten keiner einheitlichen Frage der Entkolonialisierung konfron- Zielsetzung und litten unter dem Gegen- tiert. Vor allem Frankreich und Belgien satz außen- und wirtschaftspolitischer forderten einen besonderen Entwick- Motive. Für das wirtschaftliche Engage- lungsfonds für ihre Kolonien. Als die Ver- ment in den Entwicklungsländern in den handlungen zur EWG wegen dieser Frage 1950er-Jahren gab es gewichtige Gründe. ins Stocken gerieten, setzte Konrad Ade- In der Phase des raschen wirtschaftli- nauer im Bundeskabinett gegen die Be- chen Wiederaufbaus, der Implementie- denken des Bundeswirtschaftsministers rung der Sozialen Marktwirtschaft, der die deutsche Beteiligung aufgrund der Marshallplan-Hilfe und des Beginns der übergeordneten europapolitischen Ziel- Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft setzungen durch. (EWG) war es für die deutsche Industrie Nach dieser Entscheidung ließ sich – nach dem Verlust ihrer ausländischen allerdings die Zurückhaltung der Bun- Niederlassungen und Investitionen im desregierung gegenüber bilateralen Ent- und nach dem Zweiten Weltkrieg – wicklungsvorhaben nicht mehr aufrecht-

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erhalten, weil die zuständigen Ministe- der internationalen Entwicklungszusam- rien und der Bundestag als Ausgleich menarbeit drängten, zufriedenzustellen. zur multilateralen Hilfe auf ein sichtbares nationales Engagement drängten. So ent- Bonn in der Pflicht sprachen die großen staatlich garantier- Dem russischen Expansionsdrang konnte ten Kredite für Industrie- und Infrastruk- nur durch eine massive Entwicklungs- turvorhaben in Indien und Ägypten hilfe, wie im Point-Four-Programm Prä- zwar den Interessen der daran beteiligten sident Trumans 1949 versprochen, be- deutschen Firmen, sie waren aber maß- gegnet werden. Für die USA und Groß- geblich davon motiviert, die beiden Staa- britannien, die damals unter erheblichen ten von einer Annäherung an die UdSSR Zahlungsbilanzdefiziten litten, bedeutete und von der Anerkennung der DDR dies immer größere finanzielle Lasten. abzuhalten. Deshalb suchten sie nach Entlastung. In Dazu kam 1956 auf Beschluss des Bun- der Diskussion waren damals vor allem destags die Einstellung von Mitteln für ein großer zentraler Fonds bei den Ver- technische Entwicklungshilfe in den or- einten Nationen, aus dem die technische dentlichen Haushalt des Auswärtigen Hilfe finanziert werden sollte, und eine Amtes. Dieser Vorgang wird in der Lite- Bereitstellung von verbilligten Krediten ratur oft als Beginn der deutschen Ent- über die Weltbank, für die dann später – wicklungspolitik interpretiert. Das Parla- 1960 – die International Development Asso- ment habe zur Korrektur der passiven ciation (IDA) gegründet wurde. Von der Haltung der Bundesregierung die Ini- wirtschaftlich erstarkten Bundesrepublik tiative ergriffen. Tatsächlich war der An- wurde dazu ein erheblicher Beitrag er- trag einer parteiübergreifenden Gruppe wartet. Dieser müsse wegen der „inter- von Abgeordneten mit dem Auswärtigen dependence“ der westlichen Welt und als Amt abgestimmt, das vorausschauend Kompensation für die frühere Marshall- die wachsende Bedeutung der Entwick- plan-Hilfe und für die Kosten der Trup- lungshilfe erkannte und sich dafür – penstationierung erbracht werden, ver- entsprechend dem Muster der anderen lautbarten der amerikanische Außenmi- großen Industrieländer – seine Zustän- nister John Foster Dulles und sein briti- digkeit sichern wollte. scher Kollege Selwyn Lloyd im Oktober Es begründete diesen Anspruch da- 1957. mit, dass man für die Durchsetzung der Adenauer sah sich deshalb auf der 1956 verkündeten „Hallsteindoktrin“ ei- NATO-Tagung im Dezember 1957 in nen Hebel für eine systematische und Paris zu einer grundsätzlichen Zusage für präventive Deutschlandpolitik benötige größere Hilfen der Bundesrepublik ver- (Bastian Hein, Die Westdeutschen und die anlasst. Damit stellte er das Bundeskabi- Dritte Welt 2006, Seite 29–31). Die Regie- nett, in dem die Frage vorher nicht be- rungen der jungen Staaten könnten nur sprochen worden war, vor vollendete durch die Zusage von Entwicklungshilfe Tatsachen. Diese Zusage war der ent- von der Aufnahme diplomatischer Bezie- scheidende Schritt zur Begründung eines hungen zur DDR abgehalten werden. Der substanziellen deutschen Beitrags zur bescheidene Betrag von fünfzig Millionen internationalen Kapitalhilfe über die IDA D-Mark pro Jahr entsprach allerdings und national über die Kreditanstalt für kaum dieser Zielsetzung und war auch Wiederaufbau (KfW). Insgesamt wurden nicht ausreichend, um die USA und Groß- drei Milliarden DM für die kommenden britannien, die zunehmend auf eine stär- Jahre zugesagt. Außerdem trat die Bun- kere Beteiligung der Bundesrepublik an desrepublik der auf US-amerikanische

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Eröffnung der Politischen Akademie Eichholz am 12. April 1957: , Konrad Adenauer, Kai-Uwe von Hassel, , , Franz Meyers, , Hans Globke (von links nach rechts). Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung/Archiv für Christlich-Demokratische Politik

Initiative aus der Marshallplan-Orga- lich eine Budgetierung der Zusagen im nisation OEEC entstandenen OECD und ordentlichen Bundeshaushalt. Die Bemü- ihrem Entwicklungsausschuss bei, der hungen der Bundesregierung, ihre Ent- die Leistungen der Geberländer koordi- wicklungszusammenarbeit durch eine nieren und kontrollieren sollte. Bundesanleihe, eine Beteiligung der Län- Die Einlösung dieser Zusagen ließ je- der und die Erlöse der Privatisierung des doch erneut auf sich warten, sie wurde Volkswagenwerks zu finanzieren und weiterhin durch grundlegende Mei- steuerliche Anreize für private Investitio- nungsverschiedenheiten zwischen dem nen in den Entwicklungsländern zu ge- Bundeswirtschaftsministerium, dem Aus- ben, wurden von den USA als unzurei- wärtigen Amt und dem Bundesfinanz- chend kritisiert. ministerium blockiert. Präsident Kennedy bezeichnete auf ei- Die eingangs erwähnte Verschärfung ner Pressekonferenz am 8. Februar 1961 des Kalten Kriegs zu Beginn der 1960er- sowohl die Frage der Kosten für die Trup- Jahre und seine Auswirkungen auf die penstationierung als auch die eines sub- nationale Sicherheit und Interessen der stanziellen deutschen Beitrags zur Ent- Bundesrepublik ließen schließlich einen wicklungshilfe als langfristig zu lösende weiteren Aufschub nicht mehr zu. Schon Aufgaben. Am 17. Februar 1961 musste die Regierung Eisenhower, vor allem aber Außenminister die Regierung des neu gewählten Prä- Kennedy zusagen, für beide Bereiche sidenten Kennedy verlangte nachdrück- kontinuierliche Leistungen zu erbringen.

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Adenauer sprach sich daraufhin im druck zu Ende gebracht werden muss- Bundeskabinett nachdrücklich dafür aus, ten, die Gründung eines eigenständigen endlich den Wünschen der USA nach Entwicklungshilfeministeriums, das von mehr und effizienterer Entwicklungshilfe dem FDP-Bundestagsabgeordneten Wal- zu entsprechen. Um die deutsche Bereit- ter Scheel geleitet werden sollte, durch. schaft sichtbar zu machen und das Kom- Für das neue Ministerium war in erster petenzgerangel der Ministerien zu be- Linie eine koordinierende Funktion vor- enden, wurde im Bundeskanzleramt im gesehen. Der trotz der schwierigen Haus- Frühjahr 1961 geplant, nach den Bundes- haltslage beträchtlich aufgestockte Titel tagswahlen 1961 im Auswärtigen Amt für technische Hilfe wurde dem Bun- einen „Beauftragten für die Koordination desministerium für wirtschaftliche Zu- der Entwicklungshilfe“ im Rang eines sammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Staatssekretärs einzusetzen. übertragen, unterlag aber weiterhin dem Votum des interministeriellen Lenkungs- Gründung des BMZ ausschusses. Das BMZ erhielt aber die Die Koalitionsverhandlungen mit der Zuständigkeit für alle neu auftretenden FDP nach der Bundestagswahl im Sep- Aufgaben der Entwicklungszusammen- tember 1961, bei der die CDU/CSU die arbeit. Die bewusste Unschärfe des ent- absolute Mehrheit verloren hatte, eröff- sprechenden Passus im Organisations- neten Bundeskanzler Adenauer die Mög- erlass nutzte der bisher für die Entwick- lichkeit, das Problem in seinem Sinne zu lungszusammenarbeit im Bundeskanz- lösen. Obwohl er in den Koalitionsver- leramt zuständige Abteilungsleiter Fried- handlungen zunächst der FDP ein Euro- rich Vialon, der Scheel von Bundeskanz- paministerium anbot, dürfte er in der ler Konrad Adenauer als Staatssekretär Gründung eines Entwicklungsministeri- vorgeschlagen worden war, zu einer sys- ums von vornherein eine bessere Option tematischen Strategie der Kompetenzan- gesehen haben. Die Gründung eines eige- eignung. Zu den „neu auftretenden“ Auf- nen Ministeriums hatte den Vorteil, den gaben in der Kompetenz des BMZ gehör- Einfluss des Bundeskanzleramtes auf den ten auch zwei Bereiche, die auf persön- neuen Politikbereich, den Adenauer für liche Initiativen Konrad Adenauers zu- zunehmend wichtig hielt, zu stärken. Ge- rückgingen: die finanzielle Unterstüt- gen eine Konzentration der Zuständig- zung der kirchlichen Entwicklungsarbeit keiten im Wirtschaftsministerium sprach, und das Programm der gesellschafts- dass dieses zu sehr nur die wirtschaft- politischen Bildung durch die politischen lichen Fragen in den Blick nahm, gegen Stiftungen. die Übertragung an das Auswärtige Amt, dass dieses die ihm zur Verfügung ge- Die Kirchen als Partner stellten Mittel zur technischen Hilfe nicht Den Vorschlag, die Kirchen als Partner effizient eingesetzt hatte und in seinen der staatlichen Entwicklungshilfe zu ge- Entscheidungen durch völkerrechtliche winnen und entsprechend zu fördern, Gesichtspunkte und die Hallsteindoktrin machte Adenauer bereits im Mai 1960 im begrenzt war. Bundeskabinett. Aus seiner Sicht konn- Trotz des vehementen Protestes Bren- ten kirchliche Organisationen wegen der tanos und Erhards, der sogar mit sei- Fachexpertise und der Sprach- und Kul- nem Rücktritt drohte, setzte Adenauer in turkenntnisse ihrer Missionare eine tra- den Koalitionsverhandlungen, die we- gende Rolle bei der Implementierung der gen eines vorher terminlich vereinbar- Entwicklungszusammenarbeit spielen. ten Treffens mit Kennedy unter Zeit- Die Zusammenarbeit mit den Kirchen sah

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Adenauer als einen Weg zur sozialen Adenauer (1957 bis 1961), aber vor allem Stabilisierung der neuen Gesellschaften im vierten (1961 bis 1962) und fünften von unten, während er die Maßnahmen (1962 bis 1963) wurden die Grundlagen der staatlichen finanziellen und techni- der deutschen Entwicklungspolitik ge- schen Entwicklungszusammenarbeit im schaffen: die Zustimmung zu substan- Wesentlichen nur außenpolitisch für ziellen Leistungen Deutschlands zur mul- wirksam hielt. Selbstverständlich sprach tilateralen und europäischen Entwick- für die Zusammenarbeit mit den Hilfs- lungszusammenarbeit, zur Institutionali- werken der Kirchen auch der unerwartet sierung der Entwicklungspolitik in einem große Erfolg ihrer Spendenkampagnen. eigenständigen Ministerium, zu einem im Durch diese Zusammenarbeit erhielt die Vergleich zu den anderen großen Gebern staatliche Entwicklungspolitik langfristig relativ bedeutenden Einfluss des Parla- verlässliche Partner, die mithalfen, dass ments und zur Einbeziehung der Zivil- in der Öffentlichkeit der neue Politik- gesellschaft. In einer Beschreibung der bereich akzeptiert wurde. internationalen Arbeit der Friedrich- Das Programm der gesellschaftspoliti- Ebert-Stiftung urteilt darüber Patrick von schen Bildung durch die politischen Stif- Zurmühlen (Die internationale Arbeit der tungen unterstützte Konrad Adenauer Friedrich-Ebert-Stiftung, 2007, Seite 10): aufgrund von Gesprächen mit dem Gene- „Die deutsche Politik reagierte partei- ralsekretär des Internationalen Christ- übergreifend, früh und – wie sich später lichen Gewerkschaftsbundes, August Va- zeigte – mit zukunftsweisenden und effi- nistendael, und demVorsitzenden der ve- zienten Instrumenten: Sie förderte die nezolanischen christlich-demokratischen deutschen gesellschaftspolitischen Insti- Partei, Rafael Caldera. Das Bundeskanz- tutionen, die intensive vertrauensvolle leramt übermittelte im März 1962 dem Kontakte zu den neuen weltpolitischen BMZ die Anregung, aus den in seinem Akteuren aufgebaut hatten, besonders Haushalt für Aufgaben der Bildungs- und die politischen Stiftungen und die Kir- Sozialhilfe zur Verfügung stehenden Mit- chen. Schließlich führte die Einsicht, dass teln einen Betrag für Maßnahmen der auf Regierungsebene keine geeignete gesellschaftspolitischen Bildungsarbeit in Struktur von Ansprechpartnern für die den Entwicklungsländern vorzusehen, neuen Eliten in den Entwicklungsländern der ausschließlich der Politischen Aka- zur Verfügung stand – das Auswärtige demie Eichholz e. V. (der Vorläuferorga- Amt war dazu wegen der Notwendigkeit, nisation der Konrad-Adenauer-Stiftung), auf befreundete (Noch-)Kolonialmächte der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rücksicht zu nehmen, kaum in der Friedrich-Naumann-Stiftung zur Verfü- Lage –, zur Gründung des Bundesminis- gung stehen sollte. teriums für wirtschaftliche Zusammen- arbeit.“ Der Kanzler als Schlüsselfigur Für diese Reaktion der deutschen Poli- Adenauers Entscheidung für eine Neu- tik war aber in erster Linie Konrad Ade- ordnung der Entwicklungspolitik war in nauer verantwortlich. Die neben ihm füh- erster Linie eine Reaktion auf die verän- renden Politiker der CDU/CSU, Ludwig derte weltpolitische Lage. Aber sie war Erhard, Heinrich von Brentano, Gerhard von einigen sehr festen und gleichzei- Schröder und Franz Josef Strauß, aber tig einfachen Überlegungen bestimmt, so- auch die führenden Politiker der SPD, dass die Auswirkungen der damaligen , und Entscheidungen sich als außerordentlich selbst , zeigten damals we- dauerhaft erwiesen. Im dritten Kabinett nig Interesse an dem neuen Politikfeld.

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Mit Ausnahme von Bundespräsident (Bruno Heck, in: , Hrsg., Heinrich Lübke, der die Hilfe für Afrika Unverdrossen für Europa, Baden-Baden zu seinem Thema machte, waren es vor 1988, Seite 250). allem jüngere Politiker wie Kai-Uwe von Hassel, Bruno Heck und Gerhard Stolten- Lateinamerika im Fokus berg von der CDU, Walter Althammer Im Mittelpunkt des Interesses Adenauers von der CSU, von der FDP an der Entwicklungspolitik stand Latein- sowie Hans-Jürgen Wischnewski und amerika. Bereits vor dem Bau der Berliner Heinz Kühn von der SPD, die sich dem Mauer und der Kubakrise im Herbst 1961 neuen Politikfeld zuwandten. unterstrich er die Notwendigkeit nach- Es war aber der alte, auf Abruf regie- drücklicher Wirtschaftshilfe für die la- rende Bundeskanzler, der die Weichen teinamerikanischen Staaten und die Be- dafür stellte. Er verstand die Entwick- deutung gefestigter sozialer Verhältnisse lungspolitik zwar in erster Linie als neues im Hinblick auf eine Unterwanderung Instrument der auswärtigen Beziehun- dieser Länder durch den Kommunismus. gen. Damit stand die Bundesrepublik Zwar hielt er dafür in erster Linie die USA Deutschland aber nicht allein. Außen- für zuständig. Andererseits sah er in ei- und sicherheitspolitische Aspekte be- nem deutschen Engagement eine Mög- stimmten auch die Politik der anderen lichkeit, die Politik der USA besonders zu maßgeblichen Protagonisten der neuen unterstützen und damit die angespann- ersten Entwicklungsdekade. Frankreich ten Beziehungen zur Kennedy-Regierung und Großbritannien ging es um die Be- zu verbessern. Die neue US-Regierung wahrung ihres Einflusses in ihren ehe- setzte für ihre neue Lateinamerikapolitik maligen Kolonien durch die Umstellung besonders auf Reformkräfte, zu denen die der kolonialen Erschließungspolitik, den Christlichen Demokraten zählten. Dass USA um die Eindämmung des Einflusses Adenauer Caldera nach einer schweren der Sowjetunion auf die neu unabhängig Erkrankung und trotz eines hektischen gewordenen oder werdenden Staaten Terminkalenders im Februar 1962 emp- Asiens und Afrikas und auf das unruhige fing, zeigt die große Bedeutung, die er Lateinamerika. Adenauer aber sah, dass diesem Gespräch zumaß. die Entwicklungspolitik, um sie wirksam Vermutlich war er darüber informiert, zu nutzen, für beide Seiten, Empfänger dass die US-Regierung Interesse an ei- und Geber, überzeugende Formen der ner deutschen Zusammenarbeit mit den Zusammenarbeit finden musste. Dafür Christlichen Demokraten Lateinamerikas hielt er eine Institutionalisierung in einem hatte. Dafür gibt es allerdings (noch) kei- eigenständigen Ministerium und eine nen Beleg, aber es ist unwahrscheinlich, flexible Arbeitsweise für notwendig, vor dass die Deutschland-Besucher der De- allem aber auch die Einbeziehung der mokraten wie etwa der Senator und spä- Zivilgesellschaft: „Für die Form deut- tere Vizepräsident Hubert Humphrey scher Entwicklungshilfe traf Bundes- nur gegenüber der Friedrich-Ebert-Stif- kanzler Adenauer eine weit reichende, tung den Wunsch äußerten, dass sie mit- bis heute gültige Entscheidung: Entwick- helfen solle, der Gefahr kommunistischer lungshilfe sollte nicht von Staat zu Staat, Infiltration vorzubeugen, weil die USA von Regierung zu Regierung allein geleis- zu den Lateinamerikanern nicht den rich- tet werden; es galt, die gesellschaftlichen, tigen Zugang hätten. kirchlichen und politischen Organisatio- Auf jeden Fall nutzte Adenauer ein Ge- nen und ihre Partner im Ausland in die spräch mit dem Bruder des Präsidenten, Entwicklungshilfe mit einzubeziehen“ Justizminister Robert Kennedy, am 24.

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Februar 1962 in Bonn, um die Unterstüt- Bei seinem letztem Besuch John F. Ken- zung der lateinamerikanischen Christ- nedys in Washington am 14. November lichen Demokraten anzusprechen. Dabei 1962 stellte sich Adenauer vorbehaltlos berichtete er seinem Gesprächspartner hinter die entschiedene amerikanische Re- von dem einige Wochen zuvor mit aktion gegen den Versuch der Sowjet- Caldera geführten Gespräch. Die Süd- union, in Kuba Raketen zu stationieren. amerikaner fühlten sich von den USA Adenauer sprach in diesem Zusammen- schlecht behandelt, bei der Auseinander- hang die Lage in Südamerika an und die setzung mit dem Kommunismus handele guten menschlichen Beziehungen, die er es sich aus seiner Sicht in erster Linie um zu Caldera habe, und gab zu bedenken, ob eine ideologische Frage, weshalb der nicht die USA und Europa gemeinsam Westen eine eigene einheitliche Ideologie einen Marshallplan für Südamerika ver- brauche, die sich auf den Boden des einbaren sollten. Christentums und der Humanität grün- den müsse, die amerikanische Regierung Politische Stiftungen habe in den vergangenen Jahren nicht im- mit Vorbildfunktion mer genügend Rücksicht auf die west- Dazu kam es zwar nicht, aber die von ihm liche Einheit genommen, die US-Regie- initiierte internationale Arbeit der Kon- rung und die einflussreichen amerikani- rad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich- schen Gewerkschaften behandelten die Ebert-Stiftung brachte die gewünschte Lateinamerikaner, die kulturell den Euro- Verbesserung der Beziehungen zu den päern viel näherstünden, falsch, und sie USA. Beide Stiftungen galten bereits ab verstünden nicht deren „geistige Einstel- Mitte der 1960er-Jahre bei den Lateiname- lung“. rikaspezialisten der US-Regierung als Eine mit der US-amerikanischen Regie- Partner, welche die lateinamerikanischen rung abgestimmte deutsche Unterstüt- demokratischen Reformkräfte wirksam zung der lateinamerikanischen Christ- unterstützten. Zwanzig Jahre später dien- lichen Demokraten hielt Adenauer nicht ten sie sogar als Vorbild für die amerika- nur für Erfolg versprechend, sondern nische „National Endowment for Demo- auch geeignet, den guten Willen Deutsch- cracy“ und die britische „Westminster lands zu zeigen, den es bisher in der Sicht Foundation“ (John E. Rielly, „German der Amerikaner bei der allgemeinen Ent- Political Foundations and the National wicklungszusammenarbeit hatte vermis- Endowment for Democracy. A Memoir“, sen lassen. Er erwähnte in der Folge in in: Theodor Hanf, Hrsg., Entwicklung als Gesprächen mit ausländischen Politikern Beruf, Baden-Baden 2009). Wenn Freiheit, und Journalisten immer wieder seine Menschenrechte und Demokratie in einer Kontakte mit Caldera und Vanistendael, wachsenden Zahl von Entwicklungslän- unter anderen mit dem französischen dern nicht nur Hoffnung blieben, sondern Staatspräsidenten Charles de Gaulle am Realität wurden, dann ist dies auch dem 15. Februar 1962 in Baden-Baden und mit Wirken der deutschen politischen Stiftun- Henry Kissinger, der damals Berater des gen und damit ihrem „facilitator“ Konrad Präsidenten John F. Kennedy war. Adenauer zu verdanken.

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