Programm Weimar
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Volker Wolter Goethe, Schiller, Heine und all die anderen. Eine literarische Zeitreise durch Weimar 2. Semester der Studienstufe Literarische Studienfahrten nach WEIMAR 14. Juli bis 19. Juli 2016 Liebe Schülerinnen und Schüler, wenn wir im Juli 2016 nach Weimar fahren, nehmen wir den Faden des jetzigen Abitur- jahrganges wieder auf und setzen eine seit vielen Jahren geltende Tradition am Gym- nasium Rahlstedt fort. „Anfangs will der Mensch in die nächste Stadt - dann auf die Uni- versität - dann in eine Residenzstadt von Belang - dann (falls er nur 24 Zeilen geschrie- ben) nach Weimar - und endlich nach Italien oder in den Himmel“, schreibt Jean Paul 17971 und er beschreibt damit eine Stellung dieser um das Jahr 1800 gerade mal 6.000 Einwohner zählenden kleine Stadt, deren Bedeutung bis heute anhält. Weimar steht seit vielen Jahren im unmittelbaren Zusammenhang mit dem im Hambur- ger Bildungsplan für Deutsch ausgewiesenen Semesterakzent „Literatur und Sprache von der Aufklärung bis zur Klassik“. Damit steht Weimar schon mal im Fokus, denn viele der in diesen Epochen relevanten Schriftsteller versammelten sich in Weimar (allen voran: Goethe), oder sie orientierten oder rieben sich zumindest an Weimar: Man kam nicht an diesem Ort nicht vorbei. Es gab in Weimar auch eine großartige Zeit lange vor Goethe, die den Ruf Weimars mit begründete: Von 1708 bis 1717 wohnte Johann Sebastian Bach dort; in seinem Wohn- haus direkt neben dem jetzigen Hotel „Elephant“ kamen seine beiden Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emmanuel zur Welt. Auf unserem Stadtspaziergang wer- den wir dort vorbeikommen, wo statt seines Hauses nur noch ein schnöder Hotelpark- platz mit Marmortafel an der Umfassungsmauer existiert. Goethe (geb. 1749) lebte seit 1775 bis zu seinem Tode 1832 in Weimar - auf Einladung des dortigen frischgebackenen Herzogs Carl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach war er dort 1775 hingezogen. Dieser hatte beim Erscheinen von Goethes Bestseller „Die Leiden des jungen Werthers“ 1774 als gerade mal 17jähriger diesen Briefroman des „Sturm und Drang“ verschlungen wie viele seiner Altersgenossen und war begierig darauf, dessen Autor so schnell wie möglich kennen zu lernen. Carl-August lud Goethe, den er kurz vorher in Frankfurt persönlich kennengelernt hatte, sofort nach Weimar ein. Goethe blieb. Daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft bis zum Tode Carl-Augusts 1828 (Goethe überlebte ihn, obwohl 8 Jahre älter als Carl-August, um 4 Jahre und starb 1832). Ein deutscher Spielfilm hat die biographischen Bezüge des „Werther“-Romans zu seinem Autor im Jahre 2010 in interessanter Weise thematisiert: „Goethe!“. Es muss in der Anfangszeit ziemlich derb zugegangen sein im Herzogtum des neuen Regenten. Verantwortungsvolles „Regieren“ machte offenbar noch keinen Spaß. Carl- August hatte zunächst viel mehr Interesse daran, mit Goethe wild durch die Gegend zu reiten, auf Heuböden zu übernachten, Schabernack mit seinen Untertanen zu treiben und den Mädchen hinterherzusteigen oder fluchend und obszön über das „durchaus Scheißige dieser zeitlichen Herrlichkeit“ (Goethe 1776 in einem Brief an Merck) zu rä- sonieren. Mit den „Genie“-Vorstellungen ihrer Zeit im Rücken, meinten beide vielleicht, zu diesem Berserkertum jedes Recht zu haben. Ob sich darin die humanistischen Ideen von Carl-Augusts langjährigem weimarischem Lehrer und Erzieher, dem Schriftsteller Christoph Martin Wieland (geb. 1733, gest. 1813), wiederfanden, darf wohl bezweifelt werden. Immerhin aber sahen sich allesamt als „aufgeklärte“ Geister jenseits der über- kommenen gesellschaftlichen Konventionen eines Ständestaats. Von dem revolutionä- 1 Das Kampaner Tal oder über die Unsterblichkeit der Seele, nebst einer Erklärung der Holzschnitte unter den 10 Geboten des Katechismus, in: Norbert Miller (Hrsg.): Jean Paul. Sämtliche Werke. Abteilung I. Vierter Band. Klei- nere erzählende Schriften 1796–1801, S. 586 2 ren Schwung des „Sturm und Drang“ ist einige Jahre später nicht mehr viel erhalten; als Goethe 1788 von seiner großen Italienreise zurückkehrt, bringt er eine große Begeiste- rung für das klassische Erbe der Griechen und Römer mit. Die „Weimarer Klassik“ wird geboren, Weimars „Goldenes Zeitalter“ findet seinen Höhepunkt, als 1799 nun auch Schiller nach Weimar zieht (er hatte u.a. 1786 die von euch im 1. Semester bearbeitete Erzählung „Verbrecher aus verlorener Ehre“ geschrieben) und dort bis zu seinem Tode 1805 genialisch mit Goethe zusammenarbeitet. Heinrich Heine, dessen „Wintermärchen“ Ihr im 2. Semester bearbeitet habt, besucht Weimar 1824. Er möchte die Stadt kennen lernen, v.a. aber den „Olympier“ Goethe tref- fen. Er wird „vorgelassen“ und erlebt einen mürrischen, wortkargen Goethe, der von ihm noch wenig bis gar nichts gelesen hatte, noch weniger an ihm interessiert ist und voll- ends erstarrt, als Heine ihm erzählt, auch er arbeite an einem „Faust“. Nach Goethes Tod (1832) ist kulturell in Weimar nicht alles vorbei. Das nun folgende so genannte „Silberne Zeitalter“ der Stadt beginnt: Franz Liszt wird zum Kapellmeister be- rufen; 1849 wohnt Richard Wagner eine Zeitlang bei seinem Förderer Liszt, der 1850 die Uraufführung von Wagners „Lohengrin“ in Weimar durchsetzt. In der Malerei sind Namen wie Arnold Böcklin, Franz Lenbach und Reinhold Begas bedeutend. Und auch im 20. Jahrhundert ist der „Geist von Weimar“, diese kunstsinnige, liberale, intellektuelle Atmosphäre der Stadt präsent: Das „Bauhaus“ bündelt noch einmal alle bedeutenden Personen der Moderne in Kunst, Architektur und Design (ab 1919). Die „Weimarer Re- publik“ setzt einen Meilenstein in der demokratischen Kultur Deutschlands. Die Moderne in der Literatur spielt sich woanders ab. Immerhin aber gehen auch die modernen Lite- raten am literaturgeschichtlichen Erbe Weimars nicht achtlos vorbei. Beispiel Franz Kaf- ka: Er steckt 1912 mitten in den Arbeiten zu dem vom jetzigen Abitur-Jahrgang im 2.Semester bearbeiteten Roman „Der Verschollene“, als er mit seinem Freund Max Brod im Rahmen einer Deutschlandreise vom 29. Juni bis 7. Juli auch Weimar besucht. Es ist eine klassische „Bildungsreise“, wie sie seit Goethes Tod, insbesondere aber seit dem öffentlichen Zugang von Goethes Wohnhaus Am Frauenplan 1886, üblich wurde. Und nun also wir in Weimar! Kafkas Besuchsprogramm ist unserem Programm (naturgemäß) nicht unähnlich. Ich zitiere aus einer Reisebeschreibung und deu- te durch Kursivdruck an, was auch auf unsrem Programm steht: „Am späten Nachmittag des 29. Juni 1912 bestiegen Brod und Kafka in Leipzig den Zug nach Weimar, wo sie eine Woche Urlaub machen und die Gedenkstätten der deutschen Klassiker besuchen wollten, auf die sie durch jahrelanges Goethestudium vorbereitet waren. Sie nahmen im Hotel Chemnitius Quartier und gingen noch spätabends zum Goethe- haus. Am darauf folgenden Vormittag, einem Sonntag, besichtigten sie das Schillerhaus, über das Brod lapidar urteilte: Nicht so arm wie in unseren Begriffen. Anschließend begaben sie sich ins Goethehaus, wo Kafka die 16jährige Margarethe Kirchner kennen lernte, eine Tochter des Hausmeisters, mit der er sich in den da- rauf folgenden Tagen mehrmals verabredete. Nach der Besichtigung des Goethehauses speisten die Freunde im benachbarten Gasthaus Zum weißen Schwan. Anschließend ging Brod ins Hotel zurück, wo er die nächsten Stunden schlafend und lesend im Bett verbrachte, während Kafka mit der Familie Kirchner einen Ausflug zum nahe gelegenen Schloss Tiefurt unternahm, wo man unter der Führung Gretes die Bel- etage des Gebäudes besichtigte, das von 1781 bis 1806 der Herzogin Anna Amalia als Som- 3 merresidenz gedient hatte. Am Abend dieses Tages machten Brod und Kafka einen Spazier- gang durch die Stadt. Kombiniert man einen Eintrag in Brods Reisetagebuch vom 30. Juni und entsprechende Ausführungen in seinem autobiographischen Roman „Zauberreich der Liebe“ mit einer Notiz Kafkas vom 2. Juli, wo von einem Erdbeeressen vor „Werthers Garten“ die Rede ist, lässt sich schließen, die beiden hätten in diesem am Theaterplatz gelegenen Lokal mehrfach Rast gemacht.(…) Am 1. Juli besichtigten die Freunde vormittags Goethes Gar- tenhaus im Park an der Ilm [siehe nebenstehend: Zeichnung Kafkas vom Gartenhaus], den Nachmittag verschliefen sie, und gegen Abend bummelten sie wieder durch die Stadt, wobei sie am Haus der Frau von Stein vorbeikamen; schließlich erfrisch- ten sie sich in der Schwimm- und Badeanstalt in den Schwan- see-Anlagen. Dies jedenfalls lässt sich aus Brods „Zauberreich der Liebe“ erschließen, wo davon die Rede ist, man habe im Stadtteich gebadet. Am darauf folgenden Morgen besuchten sie die Mansardenzimmer im Goethehaus, die damals in die museale Präsentation einbezogen waren, am Nachmittag stand das Liszthaus auf dem Programm, während sie den Abend im Kabarett Tivoli verbrachten. Am 3. Juli, es war Kafkas 29. Geburtstag, begaben sich die beiden in den Garten des Goe- thehauses, wo sich Kafka mit der Tochter des Haus- meisters des Goethehauses auf einer Bank photo- graphieren ließ. Den Rest des Vormittags verbrach- ten die Freunde wieder in der Badeanstalt. Am Nachmittag besuchten sie die Großherzogliche Bib- liothek (heute „Herzogin Anna Amalia Biblio- thek“), und ergingen sich anschließend im Park an der Ilm, den der Herzog Carl August im Verein mit Goethe nach dem Vorbild des Wörlitzer Parks hatte anlegen lassen. Dabei sahen sie das Borkenhäus- chen, das Goethe 1778 zum Namenstag der Herzo- gin Luise erreichten ließ, das 1904 enthüllte Shake- spearedenkmal, den Schlangenstein und schließ- lich das 1797 von Carl August in Form eines Tempels errichtete