Freudenstein-Arnold, Christiane (Hrsg.): Kindler Kompakt. Deutsche Literatur Der Gegenwart

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Freudenstein-Arnold, Christiane (Hrsg.): Kindler Kompakt. Deutsche Literatur Der Gegenwart Info DaF 2018; 45(2–3): 256–258 Freudenstein-Arnold, Christiane (Hrsg.): Kindler Kompakt. Deutsche Literatur der Gegenwart. Stuttgart: Metzler, 2016. – ISBN 978-3-476-04062-6.192 Seiten, € 19,95. Besprochen von Wolfgang Braune-Steininger: Ehringshausen https://doi.org/10.1515/infodaf-2018-0027 Für Lehrende und Studierende verschiedener Philologien ist Kindlers Literatur- Lexikon längst eine feste Bezugsgröße geworden. Da allerdings die voluminöse mehrbändige Gesamtausgabe finanziell kaum erschwinglich und für die auf eine Nationalphilologie Fixierten nur bedingt anwendbar ist, lag es nahe, Extraktbän- de einzelner Literaturen und bestimmter Zeiträume zu edieren. So hat Christiane Freudenstein-Arnold, die die 3. Auflage des großen Kindler (2009) koordinierte und heute die regelmäßigen Ergänzungslieferungen der Online-Ausgabe ver- antwortet, einen Auswahlband mit Beiträgen renommierter Fachgelehrter zu deutschsprachigen Autoren vorgelegt, die im noch jungen 21. Jahrhundert reüs- sierten. In ihrer Einleitung benennt Freudenstein-Arnold vier Schwerpunkte von Genres bzw. Autorengruppen, die den Band im Wesentlichen konstituieren. Da sind zunächst die Historischen Romane, die quantitativ und qualitativ auffallen. Als Paradebeispiel wird Daniel Kehlmanns um die beiden Forschergenies Alexan- der von Humboldt und Carl Friedrich Gauß kreisendes Erfolgsbuch Die Vermes- sung der Welt (2005) genannt und interpretativ vorgeführt (127–129). Die zweite literarische Großgruppe bildet die Migrationsliteratur: „Unter die- sem Begriff versammeln sich Bücher von Autoren, die ihr Geburtsland verlassen haben und ihre Lebenserfahrung im Dazwischen in den Mittelpunkt ihres Schrei- “ bens stellen. (11). So werden Werke von u. a. Sibylle Lewitscharoff, Herta Müller, Ilma Rakusa und Olga Martynova präsentiert. Für den dritten literarischen Schwerpunkt steht die Lyrik, die ein gesteigertes Interesse der Leserschaft erfährt. Symptomatisch dafür ist die Auszeichnung des Gedichtbandes Regentonnenvariationen (2014) von Jan Wagner mit dem Deut- schen Buchpreis auf der Leipziger Buchmesse 2015. In der Einzelinterpretation des Buches (205–207) wird auf Wagners variantenreiche und originelle Handhabung lyrischer Formen hingewiesen. Der vierte literarische Akzent wird durch die auffallend häufigen Familien- romane gebildet, in denen sich auch die Auseinandersetzung mit zeitgeschicht- licher Problematik (NS-Diktatur, Leben in der DDR) wiederfindet. Die hohe stilis- tische Qualität dieser Bücher erfuhr auch von der Kritik größte Wertschätzung: „Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gewannen gleich drei Familienromane Rezensionen 257 den bis dahin erst viermal verliehenen Deutschen Buchpreis: 2005 Es geht uns gut von Arno Geiger, 2007 Die Mittagsfrau von Julie Franck und 2008 Der Turm von Uwe Tellkamp.“ (13). Freudenstein-Arnold gelingt es, eine repräsentative Auswahl der anerkann- testen gegenwärtigen deutschsprachigen Autoren zu treffen. Dabei wird die er- zählerische bzw. poetische Technik überzeugend nachgezeichnet, etwa das „Prin- zip der Erzählwiederholung“ (24) beim Romancier Peter Kurzeck, denn „je knapper der äußere Handlungsrahmen gerät, desto ausufernder erinnern sich die vergangenheitssüchtigen Figuren an Details ihrer Biographien, erzählen in neuen Anläufen und Variationen davon“ (24). Zur syntaktischen Aussagequalität beim vor allem als Lyriker geschätzten Peter Waterhouse wird bemerkt, „die einzelnen Sätze reflektieren ihre eigene Gemachtheit und relativieren sich oft gegenseitig“ (35). Die Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition ist ein auffallendes Merkmal der meisten vorgestellten Literaten, so etwa der Lyrikerin Barbara Köh- „ ler: Die Gedichte stehen im Dialog mit u. a. Hölderlin, Heiner Müller und In- geborg Bachmann und lassen weibliche Figuren aus Mythologie und klassischer Literatur zu Wort kommen, die ihre konventionellen Rollen infrage stellen.“ (58). Eine besonders originelle Thematisierung der Literaturgeschichte gelingt Michael Lentz, der in seinem Roman Pazifik Exil die vor Hitler nach Kalifornien geflüchte- ten Künstler, u. a. Bertolt Brecht, Arnold Schönberg, Franz Werfel und Thomas Mann, als Handlungsakteure auftreten lässt. Dabei erscheint das Exil „in der Tradition eines Künstlerromans als ein fataler Verbannungsort, der den Nimbus der Künstlerexistenz zu zerstören droht“ (141). Wenig verwunderlich ist die Aufnahme von Wolfgang Herrndorfs Erfolgs- roman Tschick, der auch von dem bekannten Regisseur Fatih Akin verfilmt wurde: „ein Road-Movie, eine Coming-of-Age-Story und ein Abenteuerroman“ (165). Ebenso kaum überraschend ist die Berücksichtigung des lyrischen Werks des bereits 1995 mit dem renommiertesten deutschen Literaturpreis, dem Büchner- Preis, ausgezeichneten Durs Grünbein, dessen hoher Standard seiner poetischen Schreibtechniken, „die in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik ihresgleichen suchen“ (48), höchste Wertschätzung findet. Als einzige Nennung mit zwei Werktiteln firmiert die 2009 mit dem Nobel- preis ausgezeichnete Herta Müller. Den Text-Bild-Collagen, die die Herausgeberin bereits in der Einleitung als „zwitterhaften Solitär“ (20) bezeichnet, folgt der Gefangenenlager-Roman Atemschaukel, der ein einprägsames Beispiel von Mül- lers „neologismenreicher Metaphorik“ (79) ist. Freudenstein-Arnold ist eine ergiebige Interpretationensammlung gelungen, die einen wesentlichen Grundstein zur „Kanonisierung von Gegenwartsliteratur“ (18) bildet. Da die vorgestellten Texte noch relativ jüngeren Erscheinungsdatums sind, ist eine spätere Relativierung durch Kritik oder Literaturwissenschaft nicht ausgeschlossen, aber „welche Werke letztendlich standhalten und kanonischen Rang verliehen bekommen, wird die Zeit erweisen“ (19). Literatur Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.) (2009): Kindlers Literatur-Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auf- lage. Stuttgart: Metzler [17 Bände, Registerband]..
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