Die rechtsextreme Rezeption des Nibelungenliedes nach 1945

Beispiele und Hintergründe einer Vereinnahmung

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA)

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Matthias KRASSER

am Institut für Germanistik Begutachterin: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Brigitte Spreitzer-Fleck

Graz, 2019

Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inlän- dischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröf- fentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Versi- on.

Datum: 01.10.2019 Unterschrift:

Die Krux mit den Geschlechtern bzw. dem generischen Maskulinum In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit dem heiklen Thema Rechtsextremismus. Neben seinen anderen Erscheinungsformen ist der Rechtsextremismus per se stark männlich geprägt1, patriarchale Weltvorstellungen sind zentral. Umso mehr ist also eine besondere Sensibilität beim geschlechtergerechten Formulieren geboten. Allerdings bin ich mit dem vollständigen Ausschreiben der männlichen und der weiblichen Formen aus Gründen der umständlichen Lesbarkeit unzufrieden. Auch das Binnen-I oder die Verwendung von Schrägstrichen, Unterstrichen oder Sternen halte ich aus ästhetischen Aspekten für unzureichend. Deshalb galt es, eine passen- dere Form zu finden: Zuerst hatte ich die Idee ‚neutral‘ zu gendern à la Autoras und Leseras, doch spätestens bei den Pluralformen bzw. den Pronomen wird es hier mühsam und die eigentlich gewünschte Vereinfachung zunichte gemacht. Die übrig- gebliebene Lösung schien nur mehr der Einsatz des generischen Maskulinums2 mit Inklusionsverweis zu sein. Dies ist aber meines Erachtens nur eine halbherzige Lö- sung und führt zudem die bestehende schriftliche Benachteiligung der Frauen weiter. Ein ausschließliches Verwenden der femininen Form würde zwar ein kleiner Aus- gleich zur ‚maskulin dominierten deutschen Sprachwelt‘ sein, allerdings sind die in der Arbeit behandelten Personen zumeist männlich, weshalb diese Methode wieder- um irreführend wäre. Letztendlich entschied ich mich deshalb doch für das vollständige Ausschrei- ben beider3 Geschlechterformen. Dennoch werden vorzugsweise ‚genusunmarkierte‘

1 Vgl. Helmut Willems: Fremdenfeindliche Gewalt. Einstellungen, Täter, Konflikteskalation. Zusammen mit Roland Eckert, Stefanie Würtz und Linda Steinmetz. Opladen: Leske und Budrich 1993, S. 112- 115. 2 Mit dem generischen Maskulinum ist die Benutzung der männlichen grammatischen Form gemeint, welche auch implizit die weibliche inkludiert. Mehr dazu in Claudia Posch: Mitgefangen – Mitgehan- gen. Generisches Maskulinum und Normen geschlechtergerechten Sprachgebrauchs. In: Methoden und Wahrheiten. Hrsg. von Christina Antenhofer, Andreas Oberprantacher und Kordula Schnegg. Innsbruck: Universität Innsbruck 2011, S. 207-228. 3 Neben den zwei großen biologischen Geschlechtern gibt es auch Menschen, die biologisch nicht klar einen der beiden zuordenbar sind, darüber hinaus existiert noch eine Vielzahl von gesellschaftlich- konstruierten Geschlechterrollen. Mangels Alternativen wird jedoch die in der Arbeit angewandte Lö- sung als die sinnvollste angesehen. Mehr über Geschlechteridentitäten in Gudrun-Axeli Knapp: Sozia- le Verortung der Geschlechter. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik. 4. Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot 2002. (= Forum Frauenforschung. 13.)

Formen wie Rechtsextreme4, Personen, Lesende, Studierende, Literaturschaffende etc. verwendet, um hier beiden Geschlechtern möglichst gerecht zu werden und zugleich eine leichte Lesbarkeit zu gewährleisten.

4 In der Arbeit wird der Plural (die) Rechtsextremen – Substantivierung von rechtsextrem – statt Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten – Derivation von Rechtsextremismus – verwendet. Ers- terer beinhaltet beide Geschlechterformen, die Begriffe werden ohnehin zumeist synonym verwendet.

Vorwort Zwar ist diese Masterarbeit thematisch hauptsächlich der Germanistischen Mediävis- tik zuzuordnen, dennoch habe ich mit dieser Abschlussarbeit versucht, alle Aspekte meines Studiums miteinzubeziehen: Anstatt mich ausschließlich editorisch mit einer mittelhochdeutschen Handschrift auseinanderzusetzen, entschied ich mich für ein interdisziplinäres und breiter gefächertes Thema. Immerhin zeichnet die Germanistik generell ein hoher Grad an Interdisziplinarität aus, was zugleich der Hauptgrund war, weshalb ich mich für diesen Studienzweig entschied. So werden im Laufe des Ger- manistikstudiums literarische, geschichtliche, philosophische, psychologische, lingu- istische, politische, theologische etc. Themen behandelt. Zudem ist mein gebunde- nes Wahlfach das Fach Geschichte, was die hohe Affinität zu geschichtlichen The- men in dieser Arbeit erklärt. Warum ich mich schlussendlich genau für dieses Thema entschied? Beim Seminar Die Nibelungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart bei Frau Prof. Brigitte Spreitzer-Fleck wurden kurz die rechtsextremen Auseinandersetzungen mit dem Epos angeschnitten, was sofort mein starkes Interesse weckte. Daraufhin beschloss ich, mich ausführlicher dieser Thematik zu widmen, der Grundstein für die Masterarbeit war gelegt. An dieser Stelle möchte ich mich deshalb besonders bei Frau Prof. Spreitzer-Fleck bedanken, welche sich dazu entschied, mich bei der Arbeit zu betreuen. Bei der Masterarbeit selbst war das Hauptproblem, angemessene rechtsextreme Anschauungsbeispiele zu finden. Gründe dafür waren v. a. die Verbo- te bzw. öffentliche Ablehnung der rechtsextremen Texte und die damit zusammen- hängende schwere Zugänglichkeit. Allerdings wurde mir bei der Recherche vom Do- kumentationsarchiv des österreichischen Widerstands geholfen und besonders Herr Andreas Peham unterstützte mich bei der Literaturfindung. Für Ratschläge und An- merkungen zu meiner Masterarbeit danke ich Anjali Arthofer und Mario Peyha. Fer- ner möchte ich an dieser Stelle meinen Eltern Brigitte und Helmut Krasser für ihre mentale und finanzielle Unterstützung danken. Schlussendlich widme ich den letzten Satz meiner Partnerin Claudia Payer und danke ihr für das Korrekturlesen sowie für jeglichen anderen nachsichtigen Beistand beim Erstellen meiner Masterarbeit.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 1

2 Der Rechtsextremismus – der Versuch einer Begriffsdefinition ...... 6

3 Über das – Historischer Abriss der NL-Rezeption ...... 13

3.1 Das NL in seiner Entstehungszeit ...... 13

3.2 Wiederentdeckung der Handschrift C und Beginn des nationalistischen Interesses am NL ...... 14

3.3 Der Höhepunkt der Vereinnahmung im Nationalsozialismus ...... 21

3.4 Nach 1945 ...... 26

4 Die Ambivalenz des NLs – Warum sich das NL für eine rechtsextreme Vereinnahmung (nicht) eignet ...... 29

4.1 Historische und formale Gründe für die Ambivalenz des NLs ...... 30

4.2 Ambivalenz der Figuren ...... 35

4.3 Ambivalenz des Treuebegriffs ...... 41

4.4 Religionen als Spannungsfelder ...... 43

5 Konkrete Beispiele rechtsextremer Rezeptionen ...... 49

5.1 Fritz Stüber – Die Nibelungendichtung ...... 51

5.2 Gerd Honsik – Die Nacht der Nibelungen ...... 65

5.3 Das Alldeutsche Jahrbuch ...... 71

5.4 Die Metapedia ...... 77

5.5 Musik ...... 82

5.6 Kleidung ...... 90

5.7 Der Siegfriedskopf an der Wiener Universität ...... 94

5.8 Verwendung von Namen aus dem NL ...... 97

6 Schlussbemerkungen...... 99

7 Literaturverzeichnis ...... 102

7.1 Quellen ...... 102

7.2 Sekundärliteratur ...... 103

8 Links ...... 111

9 Bildanhänge ...... 113

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Berittener Siegfried auf dem Cover der Eckartschrift Nr. 63 ...... 52 Abbildung 2: Odin/Thor mit Hammer auf der Buchrückseite von Honsiks Die Nacht der Nibelungen ...... 68 Abbildung 3: Siegfried mit dem Schwert seines Vaters ...... 74 Abbildung 4: Cover des Albums „Hermannsseele, Siegfriedgeist“ von Jan-Peter .... 84 Abbildung 5: T-Shirt-Vorderseite – Hagen wirft den Nibelungenschatz in den Rhein 91 Abbildung 6: T-Shirt-Rückseite – Erste Strophe des NLs und Flügelhelm ...... 92 Abbildung 7: Flügelhelm-Emblem der 38. SS-Grenadier-Division Nibelungen ...... 92 Abbildung 8: Ärmelemblem mit Adlerwappen und dem Schriftzug „Zeugmeisterei“ . 93 Abbildung 9: Der Siegfriedskopf zur Zeit des Nationalsozialismus ...... 96 Abbildung 10: Der Siegfriedskopf heute, mit Glasummantelung...... 96 Abbildung 11: Extremismus-Hufeisen ...... 113 Abbildung 12: Politisches Wertedreieck ...... 113 Abbildung 13: Pournelle-Diagramm ...... 114 Abbildung 14: Wahlplakat der NSDAP in Sachsen im Jahr 1930 ...... 114 Abbildung 15: Siegfried, welcher das Schwert seines Vaters in Händen hält ...... 115 Abbildung 16: Der Drache liegt in seiner Höhle...... 115 Abbildung 17: Siegfried, der gegen den Drachen kämpft ...... 116 Abbildung 18: Wotan, der den Feuerwall um die schlafende Brünhild legt (1) ...... 116 Abbildung 19: Wotan, der den Feuerwall um die schlafende Brünhild legt (2) ...... 117 Abbildung 20: Hagen, der zur Jagd bläst ...... 117 Abbildung 21: Trauernde Brünhild an Siegfrieds Grab ...... 118 Abbildung 22: Liste der NL-Editionen auf der Metapedia ...... 119 Abbildung 23: Keltenkreuz ...... 120 Abbildung 24: Schwarze Sonne ...... 120 Abbildung 25: Adolf Hitler ‚der Sonnenmensch‘ ...... 120 Abbildung 26: Banner auf der Homepage des Nation & Wissen-Versands ...... 121

Abbildung 27: Verschiedene Logos der Band Absurd ...... 121 Abbildung 28: Logo der Band Moonblood mit Pentagrammen und Keltenkreuzen. 122 Abbildung 29: Album Deutschtum der Band Tronje mit Schwarzer Sonne im Logo 122 Abbildung 30: Demoalbum Hagen von Tronje der Band Tronje mit Schwarzer Sonne ...... 122 Abbildung 31: Artikel auf der Seite www.werwolfwearshop.com mit Emblem der 38. SS-Grenadier-Division Nibelungen ...... 123 Abbildung 32: Logo der Veranstaltung Kampf der Nibelungen ...... 123

1 Einleitung Wenn in dieser Masterarbeit untersucht wird, inwiefern das Nibelungenlied5 für rechtsextreme Zwecke instrumentalisiert wird, eröffnet sich zuallererst folgendes Problem: Auf welche Ausprägung des umfangreichen Nibelungenstoffes beziehen sich Rechtsextreme? Das NL existiert nicht, da im Laufe der Geschichte verschie- denste Personen am Stoff vor- und weiterarbeiteten. Zudem stammt es aus einer mündlichen6 Erzähltradition, was die Quellenlage weiter verkompliziert. Der Stoffkreis ist weitreichend und vielschichtig.7 Bisweilen ist der Bezug auf eine einzige Bearbei- tung des Nibelungenstoffes auch deshalb ungenügend, da Rechtsextreme in der Re- gel sehr interdisziplinär arbeiten und ihre Ideen aus den verschiedensten Quellen holen.8 Besonders die Verknüpfungen von biologisch-gesellschaftlichen Weltdeutun- gen mit religiösen Vorstellungen scheinen beliebt zu sein.9 Trotz all dieser heteroge-

5 In weiterer Folge wird ‚Nibelungenlied‘ mit ‚NL‘ abgekürzt, die Genitiv-Form mit ‚NLs‘. 6 Der NL-Stoff wurde nahezu 800(!) Jahre lang mündlich überliefert. Vgl. Jan-Dirk Müller: Das Nibe- lungenlied. 4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Schmidt 2015. (= Klassiker-Lektüren. Band 5) S. 44. In weiterer Folge zitiert als: Müller. 7 Werke wie das Ältere Atlilied, die Völsungasaga oder die Thidrekssaga beziehen sich auf den glei- chen Stoffkreis. Schwierig ist hier festzustellen, welcher Text zuerst niedergeschrieben wurde, da diese Werke ebenso aus einer längeren mündlichen Überlieferung hervorgegangen sind und erst spä- ter verschriftlicht wurden. Die Verwendung der verschiedensten bekannten und unbekannten Quellen ist einer der Gründe für die vielen Widersprüche in der Handlung. Näheres dazu in Otfrid Ehrismann: Nibelungenlied. Epoche – Werk – Wirkung. 2., neubearbeitete Auflage. München: Beck 2002. (= Ar- beitsbücher zur Literaturgeschichte) S. 19-60. In weiterer Folge zitiert als: Ehrismann. Darüber hinaus erscheinen die nibelungischen Figuren Hildebrand, Dietrich, Etzel, Gunther und Hagen im ahd. Hilde- brandslied und im mittellateinischen Waltharius. Vgl. Horst Brunner: Geschichte der deutschen Litera- tur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Überblick. Erweiterte und bibliographisch aktualisierte Ausgabe. Stuttgart: Reclam 2013. (= RUB.17680.) S. 199. In weiterer Folge zitiert als: Brunner. Ferner gab es eventuell bereits eine ausführliche schriftliche Vorlage für den zweiten Teil des NLs, was aber umstritten ist. Vgl. Joachim Heinzle: Das Nibelungenlied und die Klage. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittelhochdeutscher Text. Übersetzung und Kommentar. 2. Auflage. Berlin: Deutscher Klassiker Verlag 2014. (= Bibliothek des Mittelalters. Texte und Übersetzungen. Vierund- zwanzig Bände. Hrsg. von Walter Haug. Band 12) S. 999. In weiterer Folge zitiert als: Heinzle. Des Weiteren nahm der Dichter seine Ideen vermutlich auch aus Vergils Aeneis und Werken Ovids. Vgl. Heinzle, S. 1012. Vergils Aeneis war für die großepischen Elemente, Ovids Werke waren für die Min- nethematik von entscheidender Bedeutung für das NL. Vgl. Ursula Schulze: Das Nibelungenlied. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe 2003. Stuttgart: Reclam 2008. (= RUB 17604.) S. 16 und 30. In weiterer Folge zitiert als: Schulze. 8 Daraus folgt, dass etwa nicht exakt zwischen deutscher, germanischer, keltischer, nordischer und skandinavischer Kultur unterschieden wird. Diese Herangehensweise hat ihre Wurzeln im 19. Jahr- hundert, in der es eine zunehmende Selbststilisierung und Gleichsetzung der Deutschen als Germa- ninnen und Germanen gab. Diese Vorstellung geht wiederum hauptsächlich auf die „Wiederentde- ckung der Germania des Tacitus, eines zu Beginn des 2. nachchristlichen Jahrhunderts entstandenen ethnographischen Berichts über die Völkerschaften nördlich der Alpen“ (Herfried Münkler: Die Deut- schen und ihre Mythen. Berlin: Rowohlt 2009, S. 149. In weiterer Folge zitiert als: Münkler.) zurück. 9 Mehr dazu in: Roman Schweidlenka: Esoterik und Rechtsextremismus. Helena Petrowona Blavatsky und die Folgen. In: Antifa-Info, 144. Linz 2009, S. 5-24. In weiterer Folge zitiert als: Schweidlenka.

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nen Tendenzen in der rechtsextremen NL-Rezeption wird auf Grund der schieren Größe des NL-Stoffkreises bei den behandelten Beispielen komparierend v. a. auf die Edition Ursula Schulzes zurückgegriffen.10 Ihre Edition orientiert sich hauptsäch- lich an Handschrift B.11 Das NL unterscheidet sich von anderen Werken seiner Zeit maßgeblich. Ne- ben den bereits angeführten Besonderheiten – lange mündliche Erzähltradition, viele Bearbeitungen im Lauf der Geschichte – sind weitere Faktoren dafür verantwortlich: Einerseits erweist sich die Handlung des NLs bei genauerer Analyse als überaus kompliziert. Der Text ist paradigmatisch12 aufgebaut, Handlungen sind oft nicht klar strukturiert und nicht abgeschlossen. D. h., es können für etwaige Textbearbeitungen nach eigenem Ermessen Passagen erweitert oder gestrichen werden; die Interpreta- tionsmethoden sind vielfältig. Diese Pluralität fußt sicher einerseits auf der erwähnten mündlichen Erzähltradition des Textes, andererseits auf der Eigenart des unbekann- ten Verfassers13, der sich dazu entschloss, Unstimmigkeiten in der Handlung nicht zu tilgen. Dennoch erlaubt die oberflächlich schlicht erscheinende Handlung – welche erst bei genauerer Betrachtung ihre Vielschichtigkeit beweist – Tilgungen einzelner Szenen. So verwundert es nicht, dass der NL-Stoff im Laufe der Zeit etliche Male in den verschiedensten Versionen aufbereitet wurde. Diese Bearbeitungen können

10 Das NL-Bezugswerk für diese Masterarbeit ist die Edition Ursula Schulzes: Das Nibelungenlied. Nach der Handschrift B herausgegeben von Ursula Schulze. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart: Reclam 2011. (= RUB.17604.) In weiterer Folge werden Zitate aus dem Textteil dieser Edition mit NLT abgekürzt, Zitate aus dem Kommentarteil werden mit NLK abgekürzt. 11 Obwohl die Handschriften A, B (beide „Not-Fassung“) und C („Lied-Fassung“) als gleichwertig zu betrachten sind, orientieren sich die neuesten erschienenen Editionen v. a. an Handschrift B (bzw. der *AB-Version), wobei gemäß dem Leithandschriftenprinzip z. T. auf C zurückgegriffen wird. Nichtsdes- totrotz fand eigentlich der C-Text die größte Verbreitung unter den Handschriften. Vgl. Schulze, S. 43. Alle drei großen Handschriften entstanden im 13. Jahrhundert im bairisch-alemannischen Alpenraum. Vgl. Heinzle S. 1008 und Brunner, S. 198f. 12 Das bedeutet, dass es zwar einen groben Handlungsbogen gibt, die einzelnen Handlungsstränge aber oftmals unverknüpft und zum Teil widersprüchlich nebeneinander stehen. Somit ist die Handlung kein (wie bei anderen Texten) lineares Hintereinander von Szenen, sondern teilweise ein Nebenein- ander, in dem einzelne Textbausteine beliebig austauschbar sind. Dies führt dazu, dass Widersprüche in der Textlogik auftreten. Vgl. Schulze, S. 132-136. 13 Das NL in seiner schriftlichen Form wurde höchstwahrscheinlich von einer einzigen männlichen Person geschaffen – dies ist heute die vorwiegende wissenschaftliche Meinung. Für die Einzelperson- these sprechen die sprachliche und kompositorische Durchformung der fast 10.000 Langverse sowie die Konzeption des Werkes. Vgl. Schulze, S. 21. Obwohl größtenteils davon ausgegangen wird, dass das NL von einem Mann stammt, gibt es Ansätze, die zumindest einzelne Handschriften einer Frau zuordnen. So wurde etwa eine Niedernburger Nonne von Berta Lösel-Wieland-Engelmann als Verfas- serin des NLs in der Version C als Erstfassung diskutiert. Vgl. Schulze, S. 29.

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auch in einer rechtsextremen Einbettung erfolgen.14 Neben den bereits erwähnten Faktoren, warum sich das NL für Adaptionen anbietet, eignet es sich aus nachste- henden Gründen speziell für eine rechtsextreme Bearbeitung: Die behandelten Königreiche, Völker und Figuren15 stammen aus dem deutschsprachigen16, der Stoff aus dem germanischsprachigen Raum, das Werk ist nicht aus dem anglistischen oder romanischen Sprachraum entlehnt.17 Teilweise wird die Völkerwanderungszeit, welche zentraler historischer Kern des NLs ist, als ‚Gol- denes Zeitalter‘ der Deutschen betrachtet.18 So wird das Interesse an der ‚deutschen Vergangenheit‘ gefördert und das (Vor-)Mittelalter als Idealwelt glorifiziert. Darüber hinaus gingen manche so weit, die vorkommenden Figurencharakteristika wie Ehre und Treue sowie den, dem Werk angeblich zugrundeliegenden, Nihilismus als ‚ty- pisch deutsch‘ zu klassifizieren.19 Im Zuge dieser Vereinfachungen wurden auch patriarchale Gesellschaftsvorstellungen herausgearbeitet. Aus diesen Gründen (und mangels geeigneter Alternativen) wurde das NL ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zum ‚Nationalepos der Deutschen‘ hochstilisiert. Es bekam zunehmend eine identitätsstiftende Rolle in deutsch-völkischen Ideologien,20 ein Werdegang, der schließlich im NS-Regime seinen Höhepunkt fand.21 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es vorerst stiller um das NL, aber mit dem Aufschwung des Fantasy-Genres im ausgehenden 20. Jahrhundert begann das öffentliche Interesse

14 Dementsprechende Beispiele werden in Kapitel 5 (S. 49-98) angeführt. 15 Zum Teil entsprechen die nibelungischen Figuren historischen Vorbildern wie etwa Theoderich dem Großen (Dietrich) oder Attila (Etzel). Bei anderen Figuren lassen sich historische Verbindungen nur vage (wie etwa bei Kriemhild (Hildico), vgl. Schulze, S. 62, und Gunther (Gundicharius), vgl. Heinzle, S. 1008 und Schulze, S. 61) oder gar nicht nachweisen. 16 Diese Verbundenheit zum deutschen Sprachraum spiegelt sich auch in der Handschriftenüberliefe- rung wider. So sind insgesamt 37 deutschsprachige Handschriften und eine niederländische Umarbei- tung des NLs überliefert. Siehe: http://www.handschriftencensus.de/werke/271 [01.08.2019] In weite- rer Folge zitiert als: handschriftencensus. Allerdings befand sich das spätere Siedlungsgebiet der Bur- gunder in der Westschweiz bzw. in Südostfrankreich. Vgl. Müller, S. 23. 17 Wobei es inhaltlich natürlich Parallelen gibt, etwa zur griechisch-römischen Antike. Offensichtliches Beispiel ist der unbesiegbare Siegfried, der mit seiner kleinen verwundbaren Stelle an Homers Achil- les erinnert. 18 Vgl. Brunner, S. 199. 19 U. a. wurde das NL durch Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten mehr oder weniger auf diese Schlagwörter reduziert. Mehr dazu in Kapitel 3.3 (S. 21-26). 20 Mehr dazu in Kapitel 3.2 (S. 14-21). 21 Mehr dazu in Kapitel 3.3 (S. 21-26).

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an mittelalterlichen Werken wieder zu steigen.22 Diese zwischenzeitliche Flaute in der Nachkriegszeit gilt aber hauptsächlich für die breite Masse der Bevölkerung, das rechtsextreme Interesse am NL blieb ungebrochen.23 Grundfragen dieser Masterarbeit sind nun, wie eine rechtsextreme Rezeption des NLs aussehen kann und inwiefern in das ‚Original‘ eingegriffen wird. Die rechts- extremen Rezeptionen fallen vielfältig aus, da sich die Autorinnen und Autoren der verschiedensten Publikationsmethoden bedienen und sehr interdisziplinär und me- dienübergreifend arbeiten. Ferner entstammen sie aus den unterschiedlichsten so- zialen Milieus und haben somit verschiedene Zugänge zum Text. Es gibt Bücher, Zeitschriften, Online-Blogs und -Foren, Kleidung, Musik etc., welche sich mit dem NL unter rechtsextremen Gesichtspunkten auseinandersetzen. V. a. das Internet ist für rechtsextreme Inhalte wichtig, da die Userinnen und User ungezwungener24 veröf- fentlichen können und eine rasche und einfache Verbreitung der Ideen ermöglicht wird. Aus dieser Rezeptionsvielfalt werden in der vorliegenden Masterarbeit exempla- risch Beispiele gezeigt. Um diese Beispiele bewerten und die ideologischen Hintergründe besser ver- stehen zu können, ist eine theoretische Vorarbeit unabdingbar. Aus diesem Grund wird zunächst der Begriff Rechtsextremismus analysiert, da er in der Regel uneinheit- lich, inflationär oder falsch verwendet wird. V. a. muss geklärt werden, wie dieser Begriff in der vorliegenden Arbeit gehandhabt wird. Anschließend wird auf die natio- nalistische und schließlich nationalsozialistische NL-Rezeption des 19. und 20. Jahr- hunderts eingegangen. Diese Auseinandersetzungen fließen regelmäßig in die neue- ren rechtsextremen Bearbeitungen ein.25 Nach diesem historischen Abriss wird un- tersucht, inwiefern sich das ‚Ur‘-NL für eine rechtsextreme Rezeption eignet. Dazu

22 Herfried Münkler und Wolfgang Storch: Siegfrieden. Politik mit einem deutschen Mythos. Berlin: Rotbuch 1988, S. 129-132. In weiterer Folge zitiert als: Münkler und Storch. 23 Dies beweisen die später behandelten Beispiele (Kapitel 5, S. 49-98). 24 Die Veröffentlichung der eigenen Gedanken fällt leichter und die Angst vor rechtlichen Problemen ist geringer. Neben einschlägigen Foren, die meist einer Telefonnummer und spezieller Einladung bedürfen, gibt es auch Online-Plattformen wie etwa das ‚russische Facebook‘ vk.com, welches rechts- extreme Inhalte duldet, sowie die US-amerikanischen Plattformen gab.ai und 4chan.org. Letztere tre- ten für eine unzensierte, freie Meinungsäußerung ein, dulden allerdings im Gegenzug rechte bis rechtsextreme Anschauungen. Zudem lassen einschlägige Verlage – und auch Musiklabels – in der Regel ihre Produkte von Anwältinnen und Anwälten prüfen. Somit werden einzelne verfassungsrecht- lich bedenkliche Passagen entfernt und es wird – gerade noch – eine Legalität erzielt. 25 Beispielhaft sind hier die Auseinandersetzungen Fritz Stübers (Kapitel 5.1, S. 51-64) sowie des Alldeutschen Jahrbuches (Kapitel 5.3, S. 72-77) und der Metapedia (Kapitel 5.4, S. 77-82) mit dem NL zu nennen.

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wird die aktuelle Handschriftensituation betrachtet und der Prätext im Hinblick auf seine rechtsextremen Auslegungsmöglichkeiten überprüft. Schlussendlich folgen die konkreten Beispiele. Bei diesen handelt es sich um:

- die (pseudowissenschaftliche) nichtfiktionale Abhandlung26 Die Nibelungen- dichtung27 von Fritz Stüber, - das Epos Die Nacht der Nibelungen28 von Gerd Honsik, - NL-relevante Auszüge der rechtsesoterischen Zeitschrift Alldeutsches Jahrbuch, - den NL-Eintrag der rechtsextremen Online-Plattform Metapedia29.

So wird mit der Untersuchung einer pseudowissenschaftlichen Abhandlung, einem Epos, einer Zeitschrift und einer Online-Plattform eine breite, durch die Unterschied- lichkeit der Quellen vielfältige Vorstellung rechtsextremer NL-Rezeptionen gegeben. Daran anschließend werden noch andere, weniger umfangreiche rechtsextreme Be- schäftigungen mit dem mittelhochdeutschen Werk angeschnitten – wie Kleidungs- aufdrucke, Musik, Veranstaltungen, Eigennamen etc. Diese Auswahl an Beispielen beansprucht keine Vollständigkeit, es wird ein – versucht vielfältiger – Einblick in die Möglichkeiten einer rechtsextremen Rezeption des NLs gegeben. Natürlich wäre auch die Beschäftigung mit nur einem (dafür umfangreicheren) Rezeptionsdokument möglich gewesen, die Wahl fiel aber schließlich auf eine überblicksmäßige Betrach- tung mit näheren Ausführungen einzelner Schwerpunkte.

26 Der Text beschäftigt sich zwar mit der Handschriftenlage und den historischen Zusammenhängen, trotzdem: Der Autor ist einerseits als Rechtswissenschafter fachfremd, andererseits fließen immer wieder persönliche Meinungen in seine NL-Rezeption ein. Vgl. Stüber, S. 45. Aus diesen Gründen kann seine Rezeption nicht einwandfrei als ‚Sekundärliteratur‘ deklariert werden. Stattdessen wird Stübers Text in dieser Masterarbeit als ‚nichtfiktionale Abhandlung‘ bezeichnet. 27 Fritz Stüber: Die Nibelungendichtung. Wien: Österreichische Landsmannschaft 1977. (= Eckart- schriften. 63) In weiterer Folge zitiert als: Stüber. 28 Gerd Honsik: Die Nacht der Nibelungen. Ein Epos von 27 Balladen, geschaffen für einen Vortrag von 3 Stunden. Geschrieben in den Jahren der politischen Gefangenschaft. La Mancha: Bright Rain- bow 2011. In weiterer Folge zitiert als: Honsik. 29 https://de.metapedia.org/wiki/ [01.08.2019]

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2 Der Rechtsextremismus – der Versuch einer Begriffsdefinition Der Mensch neigt dazu, seine Umgebung sprachlich zu kategorisieren. Auch politi- sche Phänomene werden dieser Kategorisierung unterworfen. So setzten sich in der politischen Sprache u. a. die (scheinbaren30) totalen Gegenbegriffe von Rechts und Links durch. Diese Unterscheidung geht vermutlich31 auf die Anfangszeit der moder- nen Demokratie – die französische Nationalversammlung – zurück, in der liberalere, bürgerliche Kräfte links im Raum saßen und konservativere, ‚adelstreue‘ rechts. Die politische Sitzordnung wurde europaweit, im Zuge der Demokratisierung der jeweili- gen Staaten, übernommen.32 Heute kann man die Ziele der beiden politischen Rich- tungen wie folgt prägnant zusammenfassen: ‚Linke‘ streben eine soziale und politische Gleichheit jedes Menschen an, ‚Rechte‘ lehnen dieses Ziel ab und betonen die Unterschiedlichkeit der Menschen.33 Diese Zweiteilung des politischen Spektrums ist aber unzureichend, da etwa liberale und andere politische Ansichten sowie politische Nuancen vernachlässigt werden. Die Grenzen zwischen (Rechts-)Konservatismus, Liberalismus, Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus sowie auch linken und sozialistischen Strömungen verschwim- men zudem teilweise. Inzwischen gibt es deshalb weitere etablierte Schemata, wel- che das Einordnen politischer Phänomene jenseits von Rechts und Links erleich- tern.34 Nichtsdestotrotz haben sich die Begriffe Rechts- und Linksextremismus durchgesetzt. ‚Gemeinsames Ziel‘ von Rechtsextremen und Linksextremen ist, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen und (in welcher Form auch immer) eine

30 Mehr dazu auf Seite 7. 31 Vgl. Jean Laponce: Left and Right: The Topography of Political Perceptions. Toronto: University of Toronto Press. 1981, S. 292. 32 Die Einteilung ist aber heute zum Teil nicht mehr ganz exakt, da etwa im österreichischen National- rat und Bundesrat die FPÖ-Mitglieder links von denen der ÖVP sitzen. Der Grund dafür: Die FPÖ war – obwohl Nachfolgerin des Verbands der Unabhängigen (VdU) – vor der ‚Haider-Ära‘ liberaler und progressiver ausgerichtet. Andererseits legt man in Europa heutzutage nicht mehr so viel Wert auf diese starre Sitzeinteilung. Die Sitzordnung im Nationalrat ist heute: SPÖ – NEOS – JETZT – FPÖ – ÖVP. [01.08.2019] 33 Mitunter werden die politischen Richtungen auch in Gleichheit und Wandel (links) sowie Freiheit und Tradition (rechts) unterteilt. Vgl. Yves Bellinghausen: Rechts, Mitte, Links – von den Wirren der politi- schen Ordnung. Nachzulesen auf: https://www.faz.net/aktuell/politik/80-prozent/erstwaehlerlexikon/ der-unterschied-zwischen-rechts-und-links-in-der-politik-15112855.html [01.08.2019] 34 Dafür gibt es etwa das Extremismus-Hufeisen, das Politische Wertedreieck oder das Pournelle-Dia- gramm. Siehe Anhang (Abbildung 11, 12 und 13) und vgl. Samuel Salzborn: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014. (= Studienkurs Politikwissenschaft) S. 83. In weiterer Folge zitiert als: Salzborn.

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neue Staatsform einzuführen.35 Die Verwendung der Begriffe Rechts- und Linksex- tremismus wird v. a. von konservativer Seite forciert, um eine Analogie zu schaffen und sich selbst in der politischen Mitte zu positionieren.36 Es soll eine Gefahr von beiden politischen Richtungen suggeriert werden, welche die Demokratie von den äußeren gesellschaftlichen Rändern bedroht.37 Diese Idee einer Analogie ist nicht ganz abwegig, denn die Anhängerschaften beider politischen Strömungen verfolgen zum Teil ähnliche Ziele,38 auch wenn sie unterschiedliche Motivationen für ebendiese haben. Mögliche Gemeinsamkeiten, die allerdings je nach Individuum, Partei und Strömung unterschiedlich stark ausgeprägt sind, wären:

- die Ablehnung des Kapitalismus39 - die Ablehnung einzelner, mehrerer oder aller Religionen40 - die Ablehnung einzelner Staaten bzw. einzelner Wirtschafts- oder Staatenbünde41 - die Kritik gegen die ‚Herrschenden‘42

35 Strenggenommen sind somit Menschen, welche die parlamentarisch-demokratische Staatsform in eine Theokratie oder Aristokratie umwandeln wollen, Rechtsextreme. 36 Vgl. Salzborn, S. 14f. Gemäß dieser Einteilung werden zuweilen Personen, welche jenseits der poli- tischen Mitte stehen, als Extremistinnen und Extremisten diffamiert. 37 Vgl. Salzborn, S. 15. 38 Mehr dazu in: Peter Felixberger: Links = rechts. Was Kommunisten und Kapitalisten verbindet. In: Kursbuch 173. Rechte Linke. Hrsg. von Armin Nassehi. Hamburg: Murmann 2013, S. 64-80 und Mi- chael Brenner: Der antisemitische Code. Von linken und rechten Antisemiten, guten Juden und bösen Israelis. In: Kursbuch 173. Rechte Linke. Hrsg. von Armin Nassehi. Hamburg: Murmann 2013, S. 154- 163. In weiterer Folge zitiert als: Brenner. 39 So ist etwa das kommunistische Kernthema – die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsform – für Karl Gabler, einem Literaten der NS-Zeit, der Kapitalismus „eine Folge der Zerstörung von Volks- empfinden und Volksgemeinschaft durch Individualismus und Vertragsdenken.“ Vgl. Münkler und Storch, S. 127. 40 Rechtsextreme teilen sich religiös hauptsächlich in heidnisch, christlich, atheistisch und konfessi- onslos. Bei Linksextremen ist eine atheistische Tendenz festzustellen. Eine umfassende Darstellung von den Wechselwirkungen zwischen Politik und Konfession in Österreich bietet Johannes Michael Schnarrer in seinem Beitrag: Zur Bedeutung der Religion in der Politik und vice versa (in Österreich). In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 2005. Hrsg. von Andreas Khol, Günther Ofner, Günther Bur- kert-Dottolo, Stefan Karner und Dietmar Halper. Böhlau: Wien 2006. (= Österreichisches Jahrbuch für Politik. 30.) S. 171-201. 41 Beliebte Ziele sind beiderseits Großmächte wie etwa Russland, die Europäische Union, die USA oder der Staat Israel. Vgl. Brenner, S. 156f. 42 Hier gibt es auch verschwörungstheoretische Vorstellungen. Zumeist wird eine vage, elitäre ‚Kaste‘ von Entscheidungsträgerinnen und -trägern suggeriert, welche das Weltgeschehen in Händen hielte. In diesem Zusammenhang sind antisemitische Tendenzen beiden Ausrichtungen nicht fremd. Vgl. Brenner, S. 154f.

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- die Kritik gegen die Globalisierung43 - ein ausgeprägtes Gruppendenken, das Individuum tritt in den Hintergrund44 - die Forderung eines autoritären Staates45

Wegen dieser Gemeinsamkeiten gab es bereits mehrere Versuche, Linksextreme und Rechtsextreme politisch zu einen, um gemeinsam gegen den etablierten demo- kratischen Staat vorzugehen. Diese Bestrebungen werden zumeist unter dem Begriff Querfront46 zusammengefasst. Konkret spiegelt sich dieser mitunter schmale ideolo- gische Grat auch in den politischen ‚Richtungsänderungen‘ einzelner Persönlichkei- ten wider, wie etwa in der Benito Mussolinis47 oder Horst Mahlers48.

43 Vgl. Lutz Meier: Ist mir zu global. Nachzulesen auf: https://www.fluter.de/globalisierungskritik-von- links-und-rechts [01.08.2019] und Harold James: Linke und Rechte gegen Globalisierung. Nachzule- sen auf: https://www.welt.de/print-welt/article382226/Linke-und-Rechte-gegen-Globalisierung.html [01.08.2019] 44 Vgl. Axel Honneth und Paul Nolte: Ich@Wir. Ein Streitgespräch über rechts und links in der globali- sierten Moderne. In: Kursbuch 173. Rechte Linke. Hrsg. von Armin Nassehi. Hamburg: Murmann 2013, S. 43-63. In weiterer Folge zitiert als: Muhrmann. 45 Dieser soll v. a. die Umsetzung der angestrebten gesellschaftlichen Änderungen gewährleisten. Vgl. Muhrmann, S. 43-63. 46 U. U. werden auch die Begriffe Nationalbolschewismus oder Drittes Lager für ähnliche Phänomene gebraucht. Dahinter steht jeweils die Idee eines geeinten politischen Lagers jenseits vom (christlichen) Konservatismus und von der Sozialdemokratie. Mitunter versuchen manche Rechtsextreme unter dem Begriff Nationaler Sozialismus die sozialistischen Aspekte zu betonen und beide Strömungen zu ei- nen. Auch die NSDAP (Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei) war ursprünglich daran inte- ressiert, Personen beider politischer Richtungen anzuwerben. So gab es zu deren Anfangszeit einen starken linken Parteiflügel, der sozialistische Ideen wie die Umverteilung von Vermögen, staatliches Eigentum, eine staatlich gelenkte Planwirtschaft usw. forderte und generell eine revolutionär-progres- sive Ausrichtung innehatte. Die Leitfiguren dieses Parteiflügels, wie etwa Gregor Strasser, wurden schließlich im Zuge des sog. ‚Röhm-Putsches‘ (bzw. der ‚Röhm-Affäre‘) ermordet. Vgl. Ernst Piper: Nationalsozialismus. Seine Geschichte von 1919 bis heute. Berlin und Münster: Prospero 2012, S. 31f. Im Gegensatz dazu gab es in den Anfangszeiten der Partei Die Grünen einen völkisch- rechten Parteiflügel, der aber schließlich dem politischen Rest unterlag. Die Anhängerschaft dieser Ausrichtung waren als Ökofaschistinnen bzw. -faschisten bekannt. Das Collegium Humanum ist be- zeichnendes Beispiel für diese politische Strömung. Hierbei handelte es sich um einen Verein, der zunächst in der Ökologiebewegung aktiv war, sich aber Anfang der 1980er dem Rechtsextremismus, Antisemitismus und der Holocaustleugnung zuwandte. Mehr dazu in: David Kriebernegg: Braune Fle- cken der Grünen Bewegung. Eine Untersuchung zu den völkisch-antimodernistischen Traditionslinien der Ökologiebewegung und zum Einfluss der extremen Rechten auf die Herausbildung grüner Partei- en in Österreich und in der BRD. Diplomarbeit. Graz 2014. Musikalisch orientiert sich etwa die Berliner Band Punkfront (bzw. Punk Front) an dieser Idee der Einigung. Dabei verbreiten Menschen, die äußerlich der Punkszene zuzuordnen sind, rechtsex- treme Inhalte. Vgl. https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/info/info-musik- web-ds.pdf [01.08.2019] S. 32-35. 47 Benito Mussolini (1883-1945) war zunächst sozialistisch ausgerichtet, wobei er zunehmend nationa- listische und antisozialistische Haltungen annahm und schließlich 1914 aus der Partito Socialista Itali-

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Neben dieser unklaren Abgrenzung macht ein weiterer Umstand die Klassifizierung von etwas als rechtsextrem (oder nicht) schwierig:

In den letzten Jahren sind Elemente des Rechtsextremismus in zahlreiche jugendkulturelle Szenen eingedrungen – und umgekehrt. Dies betrifft Kleidungs- und Musikstile, Aktionsformen bei Protesten und Demonstrationen bis hin zu Ernährungsweisen. Auf diese Weise ist eine vielfältige rechtsextremistische Jugendkultur entstanden, die mit fast allen Mode- und Lebens- stilen kombinierbar scheint. Gerade mit auf den ersten Blick unverfänglichen Aktivitäten wer- den immer wieder extremistische Positionen verknüpft und verbreitet.49

Somit gibt es oftmals Grauzonen bei der politischen Beurteilung. Zumal werden ‚völ- kisches Denken‘, Biologismus50, Kulturalismus51, Rassismus, Autoritarismus, Homo- genitätsdenken, Elitismus, Sexismus, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Mili- tarismus, Antirationalismus, Islam- und Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus, starkes Freund-Feind-Denken, Kampf gegen das Gleichheitspostulat, Ideen einer ‚Volksge- meinschaft‘ usw. dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.52 Allerdings fungieren ano (PSI) ausgeschlossen wurde. Nach dem Kriegsdienst gründete er 1919 die Partito Nazionale Fascista (PNF). Vgl. Manfred Wichmann: Benito Mussolini 1883-1945. Politiker. Berlin: Deutsches Historisches Museum 2014. Nachzulesen auf: https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-benito- mussolini.html [19.07.2019] 48 Horst Werner Dieter Mahler (*1936) war ehemals SDS- und RAF-Mitglied (SDS = Sozialistischer Deutscher Studentenbund; RAF = Rote Armee Fraktion, ehemalige linksterroristische Gruppierung, welche für mehrere Morde verantwortlich war), heute ist er Neonazi. Vgl. https://www.hdg.de/lemo/ biografie/horst-mahler.html [01.08.2019] 49 Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Abteilung Verfassungsschutz (Hrsg.): Rechtsextremisti- sche Musik. 4. überarbeitete Auflage. Berlin 2016, S. 7. 50 Dabei werden biologische Phänomene auf gesellschaftliche Strukturen übertragen – Stichwort: So- zialdarwinismus. Vgl. Heribert Schiedel: Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft. Wien: Edition Steinbauer 2007, S. 31f und Lisbeth Grolitsch: Unsere Wertordnung. In: Huttenbriefe: für Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht. 34. Jahrgang (2016), Heft 2, S. 3-4. Elisabeth ‚Lisbeth‘ Grolitsch lebte von 1922-2017. Sie war ehemalige Gau-Unterführerin des Bundes Deutscher Mädel (BDM) und galt ab 1945 als eine der wichtigsten Frauen der österreichi- schen rechtsextremen Szene. U. a. arbeitete sie für diverse einschlägige Organisationen wie die Wi- king-Jugend, Nationalistische Front etc. Vgl. Lasek, S. 38-40. Besonders verbunden war sie mit der Stadt Graz. U. a. war sie Präsidentin für das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes, vgl. http:// www.annenpost.at/2013/10/03/frau-grolitsch-ist-verschwunden/ [01.08.2019] und Folkerts, Gianna: Zum 80. Geburtstag von Lisbeth Grolitsch. Nachzulesen auf: http://vho.org/VffG/2002/4/Folkerts479. html [01.08.2019] 51 Kulturen seien nicht historisch konstruiert, sondern mit einem ‚Volk‘ in ‚natürlicher Weise‘ verbun- den. Darüber hinaus wird die Homogenität der einzelnen Kulturen angestrebt, diese seien zudem nicht veränderbar. Vgl. Samuel Salzborn: Heimat: Identität und Ausgrenzung. Nachzulesen auf: https://www.theorieblog.de/index.php/2018/10/heimat-identitaet-und-ausgrenzung/ [01.08.2019] 52 Vgl. Markus Birzer: Rechtsextremismus. Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: Handbuch deutscher Rechtsextremismus. Hrsg. von Jens Mecklenburg. Berlin: Espresso 1996, S. 72-83, Richard Stöss: Rechtsextremismus im Wandel. Berlin: bub 2010, Bundesministerium für Verfassungsschutz

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diese Phänomene nur als Indiz, nicht aber als grundsätzliches Wesensmerkmal des Rechtsextremismus. Zudem sind diese Merkmale bei den verschiedenen rechtsex- tremen Personen und Gruppierungen unterschiedlich ausgeprägt. Klar rechtsextrem sind allerdings Texte, in denen Österreich als souveräner Staat abgelehnt und statt- dessen als Teil Deutschlands angesehen wird bzw. Österreicherinnen und Österrei- cher als Deutsche bezeichnet werden. Dieses Phänomen nennt man Deutschnatio- nalismus. Weiters sind es auch Texte, welche die österreichische parlamentarische Demokratie aus anderen Gründen ablehnen und eine alternative rechte (in welcher Form auch immer) Staatsform anstreben.53 Die meisten rechtsextremen Personen in Österreich sind auch deutschnational eingestellt.54 Erschwerend im Hinblick auf die Begriffsproblematik tritt hinzu, dass der Beg- riff Rechtsextremismus im Regelfall in einem abwertenden Kontext verwendet wird und eine Fremdzuschreibung ist. Außerdem wird der Rechtsextremismus oft mit dem Rechtsradikalismus gleichgesetzt. Allerdings strebt letzterer lediglich grundlegende Veränderungen des Staates bzw. der Gesellschaft an.55 Hierbei handelt es sich aber nicht notgedrungen um eine generelle Abschaffung der parlamentarischen Demokra- tie. Der Begriff Rechtsradikalismus, also die Komposition von rechts und Radikalis- mus (lat. radix, die Wurzel), wird zudem von linker Seite kritisiert:

Der gesellschaftskritisch verstandene Ansatz des Radikalismus, der für viele linke Gruppierungen zu ihrem Selbstverständnis zählt, wurde dem rechten Spektrum generell abge- sprochen, da dieses – so die These – eben nicht an die ‚Wurzel‘ gehe, nicht radikal sein könne, sondern bestehende Herrschaftsordnungen in ihrer Eliten-, Macht- und Gewaltlogik im Gegenteil nur weiter verschärfen und zuspitzen, nicht aber radikal in Frage stellen, [sic] wür- de.56

und Terrorismusbekämpfung (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2017. Wien 2017, S. 24, Salzborn, S. 19 und die Definition des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes. Nachzulesen auf: https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/zum-begriff-des- rechtsextremismus [01.08.2019] 53 Es enthält in der Regel jede Rechtsextremismus-Definition das Merkmal Ablehnung der parlamenta- rischen Demokratie. 54 Vgl. Bernhard Weidinger: „Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen“. Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 2015, S. 42- 43. In weiterer Folge zitiert als: Weidinger. 55 Vgl. Salzborn, S. 15. 56 Salzborn, S. 15.

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Auch wird der Begriff Rechtsradikalismus teilweise als „‚catch-all-term‘ […] zur Be- zeichnung aller Strömungen rechts des etablierten Konservatismus“57 bzw. als abge- schwächte Form des Rechtsextremismus58 verwendet. Zudem erschwerend ist, dass in der Öffentlichkeit für ähnliche Phänomene bis in die 1970er-Jahre zumeist eher die Begriffe Neonazismus und Neofaschismus verwendet wurden. Heute nimmt der Beg- riff Rechtsradikalismus – hauptsächlich im Journalismus – einen ähnlichen Stellen- wert wie der des Rechtsextremismus ein,59 obwohl beide Begriffe „auf unterschiedli- che, teils gegensätzliche Wahrnehmungen und soziale wie politische Kontexte ver- weisen.“60 Weiters ist der Rechtsextremismus nicht mit dem Nationalsozialismus oder dem Faschismus gleichzusetzen. Die beiden letztgenannten politischen Strö- mungen sind Ausprägungen des Rechtsextremismus, nicht Synonyme für denselben. Schlussendlich bleiben weitgefasste und nicht klar definierbare Begriffe wie auch der des Rechtsextremismus – abgesehen vom Merkmal der Ablehnung der demokratisch etablierten Staatsordnung – immer unbefriedigend. Dennoch wird dieser in der Mas- terarbeit mangels geeigneterer Alternativen verwendet. Um es nachvollziehbar zu machen, warum ein Rezeptionsbeispiel nun als rechtsextrem eingestuft wird, werden die jeweiligen Gründe in der konkreten Analyse angeführt. An dieser Stelle wird explizit darauf hingewiesen, dass vielfach Veröffentli- chungen von Personen behandelt werden, die durch ihre Aussagen oder Publikatio- nen bzw. durch ihre Zugehörigkeit zu einschlägigen Organisationen wie zu Freien Kameradschaften oder deutschnationalen Burschenschaften dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind. Mitunter werden von diesen Personen auch völkische und antisemitische Ansichten vertreten. Allerdings ist zu betonen, dass in dieser Ar- beit ausschließlich Texte analysiert werden, nicht die jeweiligen Autorinnen und Auto- ren. Die Klassifizierung diverser Texte als rechtsextrem inkludiert nicht, dass die Per- son, die diesen Text verfasst hat, (grundsätzlich oder überhaupt) rechtsextreme An- sichten vertritt.61

57 Hans-Gerd Jaschke: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfel- der. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994, S. 28. In weiterer Folge zitiert als: Jaschke. 58 Vgl. Jaschke, S. 28. 59 Vgl. Salzborn, S. 11. 60 Salzborn, S. 12. 61 Schließlich gilt auch die umgekehrte Schlussfolgerung: Eine rechtsextrem eingestellte Person ver- fasst nicht nur rechtsextreme Texte.

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Fazit: Die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, bei gleichzeitiger Forde- rung einer anderen Staatsform, wird als politischer Extremismus bezeichnet. Wird zugleich eine (massive) Ungleichheit der Menschen propagiert, so ist dies Rechtsex- tremismus.

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3 Über das Nibelungenlied – Historischer Abriss der NL-Rezeption Das Jahr 1945 – mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem damit verbunde- nen Untergang des NS-Regimes – stellt eine Zäsur und zugleich einen Neuanfang in der Geschichte dar. Dennoch haben viele heutige rechtsextreme Vorstellungen ihre Wurzeln im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch das NL wurde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend nationalistisch vereinnahmt und schließ- lich als deutsches Nationalepos stilisiert.62 Seinen nationalistischen Höhepunkt er- langte das Werk schlussendlich mit der flächendeckenden Bekanntheit in der NS- Diktatur. Vor allem Richard Wagners63 Der Ring des Nibelungen und nationalsozialis- tische Zugänge zum Text üben großen Einfluss auf die heutige rechtsextreme Re- zeption aus. Um die geschichtlichen Zusammenhänge besser verstehen zu können, wird in diesem Kapitel ein Überblick über die NL-Rezeption und die Stilisierung des- selben zum Nationalepos gegeben.

3.1 Das NL in seiner Entstehungszeit Das NL ist um 1200 entstanden64, also in der Periode, in der die deutschsprachige Literatur an ihrem ersten Höhepunkt stand.65 Zugleich war bereits Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bewusst, dass es sich mit der höfischen Literaturperiode um eine

62 Obwohl sich einige – wie etwa Arthur Schopenhauer (vgl. Joachim Heinzle: Unsterblicher Helden- gesang: Die Nibelungen als nationaler Mythos der Deutschen. In: Mythos und Mythologie. Hrsg. von Reinhard Brandt und Steffen Schmid. Berlin: Akademie 2004, S. 193.) und Hans Naumann (vgl. Hans Naumann: Das Nibelungenlied. Eine staufische Elegie oder ein deutsches Nationalepos? Bonn: Scheur 1942. (= Kriegsvorträge der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Hrsg. von Karl Chudoba. Heft 100) S. 28) – dagegen aussprachen. Man könnte die gesamte Debatte, ob das NL nun Nationalepos sei oder nicht, auch deskriptiv anstatt normativ betrachten: Ein Nationalepos ist das, was viele Menschen einer Nation als ein solches anerkennen. Vgl. Panzer, Friedrich: Das Nibelungenlied: Entstehung und Gestalt. Stuttgart und Köln: Kohlhammer 1955, S. 468. In weiterer Folge zitiert als: Panzer. 63 (Wilhelm) Richard Wagner (1813-1883) war deutscher Komponist und Schriftsteller. V. a. seine Musikdramen waren im 19. Jahrhundert zukunftsweisend. Nicht nur seine Bearbeitungen des Nibe- lungenstoffes, sondern auch sein offen gezeigter Antisemitismus – etwa in Das Judenthum in der Mu- sik – machten ihn später für die NSDAP und sonstige Rechtsextreme zur Leitfigur. Vgl. Dorlis Blume: Richard Wagner 1813-1883. Komponist. Berlin: Deutsches Historisches Museum 2014. Nachzulesen auf: https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-richard-wagner.html [19.07.2019] 64 „Diese heute unumstrittene Datierung beruht – ähnlich wie für viele andere mittelalterliche Werke – ausschließlich auf Indizien, die verschiedenen Argumentationsbereichen entstammen: Aus der sprachlichen Konstitution des Nibelungenliedes lassen sich nur vage Schlüsse ziehen. Die wichtigste Rolle spielen intertextuelle Bezüge, hinzu kommen Relationen zu historischen Daten und Fakten und schließlich Korrelationen zwischen literarischen und historiographischen Textaussagen. Dabei bleiben manche Anhaltspunkte unterschiedlich interpretierbar.“ Schulze, S. 54. 65 Vgl. Schulze, S. 12.

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Art Neubeginn der deutschsprachigen Literatur handelt.66 So beschäftigte sich etwa Gottfried von Straßburg67 mit der Literatur seiner Zeit und er erkannte bereits die Merkmale, die auch heute noch für die neue höfische Dichtung gelten: die Aufnahme der Minnethematik, die Rezeption antiker Stoffe und die metrisch ausgewogene Verskunst mit reinen Reimen.68 Weltliche Themen lösten die zuvor meist geistlich geprägte Literatur ab, zugleich bildete sich eine Dichtersprache mit überregionalen Ausgleichstendenzen.69 Die deutsche Schriftsprache begann zunehmend die lateini- sche abzulösen. Obwohl das NL von der höfischen Dichtung maßgeblich abwich, erfolgte bereits kurz nach der Entstehung eine hohe Resonanz in der Literaturszene, so wird es etwa in Wolframs von Eschenbach70 Parzival zitiert.71 Der NL-Text wurde vor seiner Wiederentdeckung im 18. Jahrhundert das letzte Mal im Ambraser Hel- denbuch72 niedergeschrieben.73

3.2 Wiederentdeckung der Handschrift C und Beginn des nationalistischen Interesses am NL Obschon sich das NL im Hochmittelalter größerer Beliebtheit74 erfreute, geriet es mit

66 Vgl. Schulze, S. 12. 67 Gottfried von Straßburg war ein deutschsprachiger Dichter, der um 1200 lebte. Sein wichtigstes Werk ist Tristan, in dem es auch eine ‚Schwertleite der Dichter‘ – einen Literaturexkurs – gibt. In dieser lässt Gotffried Dichter gedanklich in den Kategorien Höfische Epik und gegeneinander antreten. Dieser Exkurs ist ein Beispiel frühester deutschsprachiger Literaturkritik. Vgl. Christoph Hu- ber: Gottfried von Straßburg. In: Killy Literaturlexikon. Fri – Hap. Band 4. Hrsg. von Wilhelm Kühl- mann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2009, S. 330-336. 68 Vgl. Schulze, S. 12. 69 Vgl. Schulze, S. 12. Mit „überregionalen Ausgleichstendenzen“ ist die Ablösung des bisher freien Versbaus durch unreine Reime und die Tilgung von dialektalen Regionalismen gemeint. Vgl. Schulze, S. 12. 70 (ca. 1160/80-1220) war einer der wichtigsten Epiker und Minnesänger der mittelhochdeutschen Literatur. Parzival gilt als sein bedeutendstes Werk. Vgl. Christian Kiening: Wolf- ram von Eschenbach. In: Killy Literaturlexikon. Vo – Z. Band 12. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2011, S. 554-561. 71 Vgl. Heinzle, S. 1021. 72 Das Ambraser Heldenbuch entstand zu Beginn des 16. Jahrhunderts und ist eine handschriftliche Sammlung mittelalterlicher Texte, welches vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Maximilian I., in Auftrag gegeben wurde. Vgl. Norbert H. Ott und Christoph Fasbender: Ambraser Heldenbuch. In: Killy Literaturlexikon. A – Blu. Band 1. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2008, S. 124-126. 73 Vgl. Heinzle, S. 1004. 74 Dafür sprechen die überaus rasche Verbreitung und zugleich die literarische Beschaffenheit des Werkes. Vgl. Schulze, S. 21. Der Stoff war in der nordischen Mythologie weit verbreitet und wurde etwa in der Edda gesammelt. Zudem gibt es vom NL 37 deutschsprachige Handschriften und eine niederländische Umarbeitung. Vgl. handschriftencensus. Ähnlich viele Handschriften dieser Zeit gibt

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Beginn des Spätmittelalters langsam in Vergessenheit.75 Erst 1755 mit der Wieder- entdeckung der NL-Handschrift C durch den Lindauer Arzt Jacob Hermann Obereit stieg das Interesse am Werk allmählich wieder an.76 Zunächst wurde der zweite Teil des NLs von Johann Jakob Bodmer77 unter dem Titel Kriemhilds Rache 1757 in Zü- rich publiziert.78 Bodmer sah als Erster in dem Epos eine ‚Art Ilias‘ und wollte dessen Beachtung flächendeckend wecken.79 Allerdings: Erst 1782 wurde das NL von Chris- toph Heinrich Myller in seiner Sammlung deutscher Gedichte aus dem 14. bis 16. Jahrhundert vollständig veröffentlicht, das öffentliche Interesse war aber mäßig.80 Das hatte mehrere Gründe: Die Wiederentdeckung und die ersten Rezeptionsanläufe fielen in die Epoche der Aufklärung. Damalige Intellektuelle konnten wegen ihrer humanistischen Ideale und ihrer progressiven gesellschaftlichen Ausrichtung wenig mit dem NL anfangen. Bereits zuvor in der Renaissance orientierte man sich an der Antike und verschmähte das Mittelalter. Zu archaisch, zu rückschrittlich wäre auch das NL; das mittelhoch- deutsche Werk passte nicht in diese Zeit des Aufbruchs. Diese ablehnende Beurtei- lung mittelalterlicher Texte änderte sich erst mit dem Aufkommen des Nationalismus, welcher in den Folgejahren der Napoleonischen Kriege81 seinen Anfang nahm. Es ist in gewisser Weise ein Paradoxon, wenn das Bürgertum, welches eigentlich die Be- es mit 33 bei Hartmanns von Aue Iwein und 30 bei Gottfrieds von Straßburg Tristan. Vgl. Heinzle, S. 1021. Nur Wolframs von Eschenbach Parzival und Willehalm wurde mit 80 bis 90 Handschriften bes- ser als das NL überliefert. Vgl. Heinzle, S. 1021. Darüber hinaus kommen als mögliche Dichter für das NL Dichtergrößen wie Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Konrad von Würzburg oder der Kürenberger in Frage. Vgl. Schulze, S. 23. Allerdings konnte bisher keine Hypothese der Autorschaft bewiesen werden. 75 Zwar gibt es mit dem Lied vom Hürnen Seyfried und Hans Sachs‘ Drama Tragedj mit 17 personen: Der Huernen Sewfrid auch spätmittelalterliche Bearbeitungen des NLs, doch diese können nicht an die hochmittelalterliche Breitenwirkung anknüpfen. Vgl. Brunner, S. 199. 76 Vgl. Heinzle, S. 1023. 77 Johann Jakob Bodmer war Zürcher Dichtungstheoretiker, Übersetzer und Schriftsteller (1698-1783). Vgl. Wolfgang F. Bender: Johann Jacob Bodmer. In: Killy Literaturlexikon. Boa – Den. Band 2. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2008, S. 17-20. 78 Vgl. Brunner, S. 199. 79 Vgl. Heinzle, S. 1023 und Brunner, S. 199. 80 Vgl. Brunner, S. 199. 81 Durch die Französische Revolution kamen einerseits antimonarchistische und bürgerliche Ideen in den deutschsprachigen Raum. Andererseits führte der Angriff der französischen Streitkräfte auch da- zu, dass ein deutsches Nationalbewusstsein von staatlicher Seite gefördert wurde. Zunehmend spielte auch das NL bei der antifranzösischen und pronationalistischen Propaganda eine entscheidende Rol- le. Bereits damals (also um 1800) wollte man „in ihm einen Spiegel des deutschen Wesens erkennen, das man im Charakter und in den Handlungen der Figuren idealtypisch verkörpert sah“. Heinzle, S. 1023.

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freiung und Stärkung des Individuums fordert, zunehmend beginnt, sich auf nationa- listische Ansichten zu berufen.82 Grund dafür war vornehmlich die staatliche Zersplit- terung der deutschsprachigen Gebiete, hauptsächlich wurde die deutsche Sprache als einigende Kraft angesehen.83 Auch verschiedene Repressionen der europäischen Großmächte gegen die deutschsprachige Bevölkerung (jenseits der Schweiz und der Habsburger Monarchie) führten zu einem erhöhten deutschen nationalen Kollektiv- bewusstsein.84 Im Zuge dieser ‚Nationalisierung‘ vernachlässigte man die – in den Epochen zuvor vielbeachteten – antiken Werke wieder und beschäftigte sich statt- dessen mit den mittelalterlich-germanischen. „Dieser politische Germanismus, der sich schon vor der Reichsgründung85 entwickelt hatte, wurde zum Ausgangspunkt einiger überaus folgenreicher politischer Mythen.“86 Auch das NL wurde für diese Mythenbildung herangezogen. Die Zeit um 1200 verstand man als Ideal der deut- schen Geschichte, die altdeutsch-nationale Erziehung solle neben die klassisch- humanistische treten.87 Im Zuge dieser Entwicklungen begannen sich im 19. Jahrhundert zunehmend Größen der Germanistik, wie die Konkurrenten Friedrich Heinrich von der Hagen88 und Karl Lachmann89, dem NL zu widmen.90 Das Werk erfreute sich steigender Be-

82 Vgl. Markus Osterrieder: Völkische „Nibelungei“. Das Wiederaufleben der „Nibelungenströmung“ in der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts. Nachzulesen auf: http://www.celtoslavica.de/bibliothek/ nibelungelei.html [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: Osterrieder. 83 Vgl. Brunner, S. 504. 84 Erst nach drei Kriegen (gegen Dänemark, Österreich und Frankreich) konnten sich die Preußen und ihre Verbündeten durchsetzen und es kam zur deutschen Reichsgründung. 85 Gemeint ist hier die Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1871. 86 Münkler, S. 144. 87 Vgl. Brunner, S. 504. 88 Friedrich Heinrich von der Hagen (1780-1856) war Germanist und editierte zahlreiche mittelhoch- deutsche (und persisch-arabische) Texte. Vgl. Eckhard Grunewald: Friedrich Heinrich von der Hagen. In: Killy Literaturlexikon. Fri – Hap. Band 4. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter: 2009, S. 595-596. Vor allem seine 1807 erschienene Bearbeitung des NLs, in dem er das Werk als „vaterländische Erbauungsschrift“ empfiehlt, welches der „politischen Depression“ entgegenwirken soll, gilt als Schlüsseltext der NL-Rezeption. Vgl. Heinzle, S. 1023. Zudem war er einer der ersten, der das NL als deutsches Nationalepos bezeichnete. Vgl. Münkler, S. 72. 89 Karl Konrad Friedrich Wilhelm Lachmann (1793-1851) war einer der bedeutendsten germanisti- schen Mediävisten. Er revolutionierte durch seine historisch-kritischen Editionen die Textkritik. Seine Methode zielte darauf ab, historische Fakten rund um die Textentstehung miteinzubeziehen, um einen möglichst ‚fehlerfreien‘ Text zu erhalten. V. a. die dabei angewandte akribische Vorgehensweise wa- ren wegweisend für die moderne Textkritik. Vgl. Ursula Hennig: Karl Lachmann. In: Killy Literaturlexi- kon. Kräm – Marp. Band 7. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruy- ter: 2010, S. 157-159.

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kannt- und Beliebtheit. Durch diese und andere mediävistische Beschäftigungen formte sich zugleich die Germanistik als universitäre Wissenschaft.91 Auch Johann Wolfgang von Goethe förderte durch seine Auseinandersetzung mit dem NL das Inte- resse am Werk.92 Innerhalb der Romantik wurde Siegfried als unbeschwerter und freiheitlich gestimmter Naturbursche wahrgenommen, während im seine Eigenschaften als unbezwingbarer Held, Selbsthelfer und Kraftkerl hervorge- hoben wurden.93 Somit gab es bereits im 19. Jahrhundert verschiedene Bewertungen der Figur(en). Zusätzlich wurde die Bekanntheit des Werkes durch etliche plastische Werke unterstützt.94 Der Nibelungenstoff wurde um 1900 sogar das wichtigste Werk für bildkünstlerische Nachgestaltungen von mittelalterlichen Werken.95 Besonders weitreichend war schließlich Fritz Langs filmischer Zweiteiler Die Nibelungen von 1924, welcher sich flächendeckender Beliebtheit erfreute.96 Vielleicht trug nicht nur das Streben nach nationalen Heldinnen und Helden und einem deutschen Epos zum Erfolg des NLs bei, sondern auch die Tatsache, dass die Menschen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ähnlich wie die Figu- ren des NLs vor erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen standen. Der Sieges- zug des Bürgertums gegenüber der aristokratischen Weltordnung mit all seinen posi- tiven und negativen Begleiterscheinungen führte auch dazu, dass

in ganz Europa jene seelischen Kräfte zu versiegen [begannen], die zur Ausbildung der Volks- kulturen mit ihrem reichen Lied-, Märchen- und Sagenschatz beitrugen. Der Verlust seelischer

90 Zwar werden Karl Lachmann und Friedrich Heinrich von der Hagen heute als Größen der Germanis- tik angesehen, strenggenommen etablierte sich die Germanistik aber erst 1840 endgültig als Fachdis- ziplin an den Universitäten. Vgl. Brunner, S. 504. 91 Vgl. Brunner, S. 504. 92 Goethes Verhältnis zum NL war gespalten. Zunächst verschmähte er es, in späteren Jahren würdig- te er es. Vgl. Brunner, S. 204. Für mehr Informationen über das Verhältnis von Goethe zum NL, siehe: Gunther E. Grimm: Goethe und das Nibelungenlied. Eine Dokumentation. Nachzulesen auf: http:// www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/wissen/projekte-pool/rezeption_nibelungen/goethe_ grimm_01.pdf [01.08.2019] 93 Vgl. Gunter E. Grimm: Siegfried der Deutsche. Zur Konstruktion und Dekonstruktion eines National- helden in Gedichten des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Der Mensch als Konstrukt. Festschrift für Rudolf Drux zum 60. Geburtstag. Hrsg. von R. Füllmann [u. a.] Bielefeld: Aisthesis 2008, S. 212. In weiterer Folge zitiert als: Grimm. 94 Vgl. Brunner, S. 511. 95 Vgl. Brunner, S. 511. 96 Auch Adolf Hitler und Joseph Goebbels schätzten diesen Film und es gab Versuche ihn nationalso- zialistisch zu vereinnahmen. Vgl. Ulrich Schulte-Wülwer: Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Gießen: Anabas 1980, S. 174.

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Ausdrucksmöglichkeiten und die tiefe Unsicherheit bezüglich der eigenen kulturellen und eth- nischen Identität mündeten gerade im mittleren Europa in dem [sic] als innere Reifung zu ver- stehenden Erkenntnisfrage, wie sich individuelle Persönlichkeit und kulturell bzw. sprachlich bestimmte Gemeinschaft zueinander verhielten. In dem Streben nach Individualität und menschheitlichem Weltbürgertum lag für viele der deutschen Idealisten der tiefere Sinn der deutschen ›Nationswerdung‹.97

Einerseits gab es also eine Entwicklung zu einem selbstbestimmteren Dasein, ande- rerseits fordert Selbstbestimmung auch Selbstdisziplin. Im Zuge des Liberalisie- rungsprozesses wurden soziale Gemeinschaften und die gemeinsame, öffentliche Spiritualität zurückgedrängt. Somit mag es nicht verwundern, dass viele Menschen einen Wunsch nach festen Regeln hegten und deshalb Vorbilder in der Vergangen- heit suchten; Leerstellen wurden mit nationalistischen Ideen gefüllt. Fritz Stüber98 beurteilt diese Ära des nationalistischen Aufschwungs rückblickend so:

Diese geistige Begegnung […] nahm sich mit besonderer Hingebung der mittelalterlichen Kunst und Religion und aller Ausdrucksformen des mittelalterlichen Lebens an. Neuen Auf- trieb bekamen diese Bestrebungen durch den vaterländischen Geist der Befreiungskriege ge- gen Napoleon. Jetzt erst wurde das Nibelungenlied wirklich im Range des deutschen Natio- nalepos schlechthin bestätigt.99

Allerdings existierten im 19. Jahrhundert nicht nur diese nationalistischen, sondern mehrere Zugänge zum NL. Es gibt etwa die Vorstellung von „zwei Traditionslinien des Nibelungenmythos“100. Diese sind eine „ästhetisch-mythische“101 und eine „poli- tisch-ideologische“102. Beide Linien reagieren auf ihre Weise auf modernistische Ent- wicklungen, in denen der wissenschaftliche Rationalismus und die Marktwirtschaft gesellschaftliche Leitsterne wurden.103 Schlussendlich setzte sich aber die politisch- ideologische durch.

97 Siehe: Osterrieder. 98 Fritz Stüber und sein Werk Die Nibelungendichtung werden ausführlich in Kapitel 5.1 (S. 51-64) behandelt. 99 Stüber, S. 58. 100 Münkler und Storch, S. 8. 101 Münkler und Storch, S. 8. 102 Münkler und Storch, S. 8. 103 Vgl. Münkler und Storch, S. 8.

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Für die deutsche Kultur hatte es jedenfalls fatale Auswirkungen, daß jene ‚völkisch‘ gestimmte Seelenart, die den Kräften des Blutes, dem Stammeserleben, dem ‚kriegerhaften‘ Soldaten- tum und der absolutistischen Staatsverherrlichung verhaftet blieb, im Laufe des 19. Jahrhunderts bei einem nicht unbeträchtlichen Teil des bürgerlichen deutschen Mittelstandes immer mehr Anklang fand: In ‚altväterlich-germanischer Gefolgschaftstreue‘ dem Herrscher ‚nibelungentreu bis in den Tod‘ zueigen sein, wurde schließlich zur Tugend des nationalbe- wußten durchschnittlichen Kleinbürgers in der wilhelminischen Gesellschaft. Die Lehren Dar- wins trugen das Ihrige dazu bei, denn sie gab jener ‚Nibelungen‘-Auffassung, die das ‚höhere Wesen‘ des Menschen in seinem biologischen Vererbungsstrom zu ※nden glaubte, einen pseudo-wissenschaftlichen Anstrich. Nicht in der freien Entfaltung einer zugleich individuellen und allgemein-menschlichen Humanität wie die großen Goetheanisten, sondern in der ‚Züch- tung und Vermehrung des artreinen Blutes‘ erblickten die Repräsentanten dieser Strömung den ‚nationalen Beruf‘ des ‚deutschen Wesens‘. Der sich ausbreitende ‚Führer- und Elitemy- thos‘ war auch deshalb so erfolgreich, weil er das metaphysische Vakuum auszufüllen schien, welches die nicht vollzogene Bewußtseinsanstrengung bei der Bewältigung der modernen Er- kenntnisfragen hinterließ. Auch die ‚völkische Nibelungelei‘ im Deutschen Reich war seelisch gesehen Décadence, im Verfall befindliches Seelenleben, doch im Vergleich zu den entspre- chenden Kulturphänomenen etwa in England, Frankreich oder Italien von erschreckend primi- tiver Qualität und Armut.104

Man bediente sich also bereits vor der Machtergreifung der NSDAP ideologisch am NL und

[i]m fortschreitenden 19. Jahrhundert entwickelte sich die Nibelungensage nach und nach zu einem deutschen Nationalmythos, auf den Politiker und Publizisten sich bezogen, wenn es galt, politisches Geschehen zu erklären und politisches Handeln zu rechtfertigen. Der Mythos speiste sich nicht nur aus dem Nibelungenlied, sondern auch aus der nordischen Überliefe- rung.105

Die wohl bekanntesten politischen Begriffe, die mit dem NL in Verbindung stehen,106 sind die Nibelungentreue107 und die Dolchstoßlegende108. Ersterer wurde für die In-

104 Siehe: Osterrieder. 105 Heinzle, S. 1023. 106 Daneben gab es auch noch militärisch-politische Bezeichnungen wie Siegfriedlinie oder Hagenan- griff, welche auf militärische Manöver rekurrierten. Erstere war die Bezeichnung für deutsche Stellun- gen im westdeutschen Raum während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Letztere war im Ers- ten Weltkrieg 1918 ein deutscher Angriff in Flandern. Vgl. Münkler, S. 95. 107 Mit Nibelungentreue ist die Treue zwischen Hagen und den Burgundern gemeint. Mehr dazu in Fußnote 254.

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strumentalisierung der soldatischen Moral in der Wehrmacht wichtig, das NL sollte „für die heroische Opferbereitschaft der (männlichen) Jugendlichen sorgen.“109 Letz- terer war ein brisantes politisches Schlagwort in der Zwischenkriegszeit.110 Während die ältere Forschung von einem entpolitisierten NL ausgeht und die im Werk behan- delten politischen Konflikte als persönliche ansieht,111 deutet man dies heute anders:

Motiviert ist heroisches Handeln durch individuelle Antriebe, durch Hass, Liebe, Zorn, Neid, Ehrsucht, Besitzgier usw. […] Diese ‚Personalisierung‘ impliziert jedoch keine ‚Entpolitisie- rung‘, denn persönliche Auseinandersetzungen sind für diese Gesellschaft die gewöhnliche Erscheinungsform des Politischen. Indem politisches Handeln wenigen vorbehalten ist, kön- nen komplexe politische Zusammenhänge (wie z. B. das Schicksal von Reichen) als Ergeb- nisse persönlicher Auseinandersetzungen dargestellt werden.112

Neben dieser politischen Verwendung nibelungischer Metaphern gab es auch andere Zugänge, sich das NL zunutze zu machen. Man verfolgte etwa im Zuge der nationa- listischen Entwicklungen immer mehr die Idee einer gemeinsamen germanisch- nordischen Kultur. Aus diesem Grund bezog man sich im 19. Jahrhundert immer mehr auf den nordischen NL-Stoffkreis statt nur auf das mittelhochdeutsche Werk alleine. Bezeichnende Werke sind Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner und Der Held des Nordens von Friedrich de la Motte Fouqué113. Die Figuren des NLs dienten vermehrt als Idealbilder114 oder als Negativbei- spiele. Siegfried wurde zum Nationalhelden stilisiert. Nach einer langen Zeit der lite-

108 Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde gerne von der politischen Rechten auf einen vermeintlichen Verrat des zivilen Hinterlandes an der militärischen Front zurückgeführt. Es wurden Vergleiche mit der Ermordung Siegfrieds durch Hagen aufgestellt. Heute bezeichnet man diese Vor- stellungen als Dolchstoßlegende. Mehr dazu in Kapitel 3.3 (S. 23f). 109 Münkler, S. 73. 110 Mehr dazu in Kapitel 3.3 (S. 23f). 111 Vgl. Panzer, S. 454f. 112 Müller, S. 25. 113 Friedrich de la Motte Fouqué war (politischer) Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer. Vgl. Gerhard Schulz und Peter Haischer: Friedrich (Heinrich Carl) Baron de la Motte Fouqué. In: Killy Lite- raturlexikon. Dep – Fre. Band 3. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2009, S. 514-517. 114 Die Figuren zeichnen sich durch ihr affektiertes Handeln aus, das NL ist eine: „emotive Welt zwi- schen den konträren Polen von Hochstimmung und Schmerz[, es] präsentiert sich gleichermaßen instabil und gefühlsintensiv, während die Dramaturgie des Liedes immer wieder das Unberechenbare in Szene setzt. Dabei spielt der Autor ein Gefälle zwischen allgegenwärtiger negativer Prophetie und der überwiegenden sozialen Blindheit der Figuren aus. Die Protagonisten besitzen weder Einsicht in das eigene noch das fremde Handeln und bewegen sich, wie von unsichtbarer Hand gelenkt, auf ihre

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rarischen und politischen Minderwertigkeitsgefühle der deutschen Bevölkerung ge- genüber der französischen, englischen und italienischen115 trug der Held zu einem gestärkten Nationalgefühl der Deutschen bei. Im kollektiven Gedächtnis galt Siegfried als ritterliche Idealfigur mit „Eigenschaften wie ‚ungeheuer stark‘, ‚unbesiegbar‘, ‚blond‘ und ‚strahlend schön‘ – ein Feindesschreck und ein Frauenschwarm.“116 Sei- ne negativen Charaktereigenschaften wurden dabei weitgehend ausgeblendet.117 Generell wird seine Figur – auch heute noch – oftmals vereinfacht und verklärt118 be- trachtet. Die Vorstellungen von Licht- bzw. Sonnenmenschen gehen ebenfalls auf das 19. Jahrhundert zurück. Es gab die Idee des dualistischen Kampfes zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit.119 Diese Idee wurde auf die Mensch- heit übertragen. So seien die hellsten Menschen die großartigsten. Demzufolge wa- ren die äußerlichen Merkmale blond, blauäugig und hellhäutig die wünschenswertes- ten.120 Verknüpft wurden diese Vorstellungen mit philosophischen Ideen Friedrich Nietzsches.

3.3 Der Höhepunkt der Vereinnahmung im Nationalsozialismus Inwiefern sich ein ‚Drittes Reich‘ als Nachfolge des Heiligen Römischen und des Deutschen Reiches und somit als Fortführung des ‚Ideals Mittelalter‘ eignet, ist frag- lich. Schließlich waren die Monarchien Europas Vielvölkerstaaten und universalis- tisch, das nationalsozialistische Deutschland war in diesen Punkten das genaue Ge- genteil.121 Nichtsdestotrotz instrumentalisierten die Nationalsozialistinnen und Natio-

Auslöschung zu.“ Irmgard Gephart: Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im „Nibelungenlied“. Köln: Böhlau 2005, S. 7. In weiterer Folge zitiert als: Gephart. Ob sich affektgesteuerte Figuren als Ideal eignen, sei dahingestellt. 115 Vgl. Münkler, S. 143-147. Vor allem die (im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern) spät erfolgte deutsche Staatsgründung 1871 versuchte man mit einem übertriebenen Nationalismus zu kompensieren, um ein kollektives Zugehörigkeitsgefühl bzw. Staatsbewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen. 116 Grimm, S. 211. 117 Mehr dazu in Kapitel 4.2 (S. 35-41). 118 Siegfrieds ‚verletzliche‘ Seite – die es durchaus gibt – wird weniger in Filmen, Jugendbüchern und rechtsextremen Rezeptionen hervorgehoben (diese reduzieren die Figuren gerne auf Figurentypen). Allerdings gibt es viele Literaturschaffende, etwa Heinrich Böll und , die sich diesem Figu- renaspekt Siegfrieds widmen. Vgl. Münkler und Storch, S. 7. 119 Vgl. Münkler und Storch, S. 7. 120 Vgl. Münkler und Storch, S. 7. 121 Vgl. Christian Welzbacher: Ordensburg und Völkermord. Zur Kunstgeschichtspolitik der SS. In: Mittelalterbilder im Nationalsozialismus. Hrsg. von Maike Steinkamp und Bruno Reudenbach. Berlin: Akademie Verlag 2013. (= Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte. 9) S. 182. In weiterer Folge

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nalsozialisten das aristokratisch und christlich geprägte Mittelalter und damit auch das NL. Man bediente sich vielschichtig und kreativ am NL: So wurden im NS- Regime zeitgenössische Personen öffentlichen Interessens als Reinkarnationen der NL-Figuren angesehen. Otto von Bismarck122 wurde als

‚Schmied des Reiches‘ mit Siegfried identifiziert, der auf dem Amboß die Stücke des zerbro- chenen Schwertes – meint: die versprengten Teile Deutschlands – zusammenschmiedet.123

Zumal wurde auch Siegfried mit Arminius alias Hermann dem Cherusker124 und die- ser wiederum mit Adolf Hitler gleichgesetzt.125 Dieses Bild war sehr beliebt, denn

[s]eit dem 19. Jahrhundert herrscht die Vorstellung, die deutsche Geschichte beginne mit der Schlacht im Teutoburger Wald und deren Sieger, der Cheruskerfürst Arminius, sei der erste historisch fassbare Deutsche.126

Der ‚neue Arminius‘ – Adolf Hitler – solle nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg (der ‚Schande von Versailles‘) und der nicht nur daraus folgenden schwie- rigen Wirtschaftslage den Neuanfang der Deutschen in die Wege leiten. Heinrich Himmler127 (zum Teil auch Adolf Hitler selbst128) galt als Reinkarnation Hagens.129

zitiert als: Welzbacher. Das Verhältnis des NS-Regimes zu der monarchischen Vergangenheit war zwiegespalten. Einerseits verstand man das Regime als Drittes Reich und somit als Nachfolge der vorangegangenen deutschsprachigen Monarchien (Heiliges Römisches Reich deutscher Nation und Deutsches Kaiserreich). Zum Teil wurde diese Idee der Reichsnachfolge aber von NS-Granden abge- lehnt, so auch von Alfred Rosenberg, der im Nationalsozialismus „nicht etwa Erbe des Heiligen Römi- schen Reiches, sondern im Gegenteil das Erbe der Kämpfe des deutschen Volkes gegen den Univer- salismus jenes Reiches“ sah. Vgl. Welzbacher, S. 182. Es wurde nach einer ‚germanischen Vergan- genheit‘ vor den Monarchien gesucht. 122 Otto von Bismarck (1815-1898) war deutscher Politiker, wichtiger Akteur bei der Gründung des Deutschen Kaiserreiches und zugleich dessen erster Reichskanzler. Vgl. Dorlis Blume: Otto von Bis- marck 1815-1898. Politiker. Berlin: Deutsches Historisches Museum 2014. Nachzulesen auf: https:// www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-otto-von-bismarck.html [19.07.2019] 123 Heinzle, S. 1024. 124 Vgl. Müller, S. 22. 125 Klaus Köster: Wirkungsgeschichte und Rolle des Mythos Varusschlacht in der europäischen und deutschen Geschichte seit dem 15. Jh. Nachzulesen auf: https://www.archaeologie-online.de/artikel/ 2009/thema-varusschlacht/wirkungsgeschichte-und-rolle-des-mythos-varusschlacht-in-der-europae ischen-und-deutschen-geschichte-seit-dem-15-jh/ [01.08.2019]. Mitunter verwendete die NSDAP die Arminius-Figur in ihrem Wahlkampf. Vgl. Anhang (Abbildung 14). 126 Münkler, S. 165. 127 Heinrich Himmler (1900-1945) war einer der führenden Persönlichkeiten des NS-Regimes. U. a. war er Führungskraft der SS und der Polizei (inkl. Gestapo). Vgl. Manfred Wichmann: Heinrich Himm-

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Zudem gab es die Vorstellung, dass Hagen, der strenge, wissende Krieger, das Deutsche Reich repräsentiert.130 Dessen Freund, der ‚lockere‘ Spielmann Volker, wurde als Repräsentation Österreich-Ungarns angesehen.131 Trotz dieser positiv konnotierten Vergleiche realer Personen mit den Figuren des NLs war die Bewertung der NL-Figuren im Laufe der nationalsozialistischen Herrschaft zwiegespalten und es gab immer wieder theoretische Dispute. Besonders die Figur Hagen führte zu Auseinandersetzungen. Im Gegensatz zur späteren (vor allem gegen Kriegsende erfolgenden) Glorifizierung Hagens als Inbegriff der Treue galt er anfänglich in der nationalsozialistischen NL-Rezeption hauptsächlich als An- tagonist Siegfrieds und Inbild des Verrates. Grund dafür war, dass in den frühen Jah- ren der NSDAP die Kapitulation des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg ein zentrales politisches Thema der Partei war. Die militärische Niederlage führte man auf Verrat zurück und man verband diese Vorstellung mit der Tötung Siegfrieds durch Hagen im NL:

Wie der im offenen Kampf unbesiegbare Siegfried meuchlings ermordet wurde, so sei das deutsche Heer, angeblich unbesiegt im Feld, von den Novemberrevolutionären aus der Hei- mat, also hinterrücks, überwältigt worden.132

Im Nachhinein wurde diese Metapher als Dolchstoßlegende133 betitelt. Das deutsche Heer wurde mit dem unbesiegbaren Siegfried verglichen. Dementsprechend war Ha-

ler 1900-1945. Politiker. Berlin: Deutsches Historisches Museum 2014. Nachzulesen auf: https:// www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-heinrich-himmler.html [01.08.2019] 128 Fritz Glunk: Das Nibelungenlied. Meisterwerke kurz und bündig. München: Piper 2002, S. 115. 129 Klaus von See: Das Nibelungenlied. Ein Nationalepos. In: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos. Hrsg. von Joachim Heinzle, Klaus Klein und Ute Obhof. Wiesbaden 2003, S. 336. 130 Vgl. Münkler, S. 85. Als Ratgeber und Wissender tritt er in mehreren Strophen auf. Vgl. NLT, Stro- phe 149, 329, 867, 1104, 1177 und 1455f. 131 Vgl. Rudolf Kreis: Wer schrieb das Nibelungenlied? Ein Täterprofil. Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S. 99. 132 Heinzle, S. 1024. 133 Während man üblicherweise bei dieser Metapher zunächst korrekterweise den Speer anführte, wurde dieser ab den 1920ern zunehmend durch den Dolch ersetzt. Grund dafür war, dass der Dolch eine meuchlerische Waffe, während der Speer hingegen eine militärische ist. Mit dem Dolch bringt der Schwache den Starken zu Fall. Vgl. Münkler, S. 98.

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gen – der ‚Dolchstoßer‘ – als Held zunächst denkbar ungeeignet. So hat Josef Wein- heber134 1936

Hagen als den inneren Feind dechiffriert, als personifizierte Mißgunst und Zwietracht, kurzum: als sozialdemokratische und/ oder kommunistische Partei, die den Helden an der Front in den Rücken gefallen sei.135

Immer wieder wurde dieses Bild vermittelt. So äußerte sich auch Paul von Hinden- burg136 1934:

Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere er- mattete Front.137

Auch Adolf Hitler bezog sich in einer Ausgabe des Völkischen Beobachters138 1923 auf die Dolchstoßlegende:

Wir haben uns immer daran zu erinnern, daß jeder neue Kampf nach außen, mit den Novem- berverbrechern im Rücken, dem deutschen Siegfried sofort wieder den Speer in den Rücken stieße.139

Eine solche explizite Verwendung der Dolchstoßidee nutzte Adolf Hitler allerdings selten. Zumeist sprach er von einem Verrat des Hinterlandes, ohne explizit auf das NL zu rekurrieren.140

134 Josef Weinheber (1892-1945) war Lyriker der NS-Zeit. Vgl. Arnulf Scriba: NS-Literatur. Berlin: Deutsches Historisches Museum 2015. Nachzulesen auf: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ kunst-und-kultur/ns-literatur.html [19.07.2019] und Johannes Sachslehner, Robert Rduch und Wilhelm Kühlmann: Weinheber Josef. In: Killy Literaturlexikon. Vo – Z. Band 12. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2011, S. 229-232. 135 Münkler und Storch, S. 120f. 136 Paul von Hindenburg (1847-1934) war Militär und Reichspräsident der Weimarer Republik. Vgl. Kai-Britt Albrecht: Paul von Hindenburg 1847-1934. Militär, Politiker. Berlin: Deutsches Historisches Museum, Berlin 2015. https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-paul-von-hindenburg.html [01.08.2019] 137 Vgl. Martin Zurwehme: „… aber die Treue ist gehalten bis in den Tod“. Der Nibelungenmythos im 10. und 20. Jahrhundert. In: Legenden-Mythen-Lügen. (= Geschichte lernen. 52) Seelze: Friedrich 1996, S. 40. 138 Der Völkische Beobachter war die Parteizeitung der NSDAP. 139 Adolf Hitler: Zum Parteitag 1923. Aufsatz im Völkischen Beobachter vom 27. Januar 1923. In: Eberhard Jäckel, Axel Kuhn (Hrsg.): Adolf Hitler: Sämtliche Aufzeichnungen. 1905-1924. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1980. (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 21) S. 801.

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Dieser Konflikt um die Bewertung Hagens ist aber kein Alleinstellungsmerkmal des 20. Jahrhunderts, sondern hat seine Wurzeln bereits in der Entstehungszeit des NLs. Tendenziell werden Hagen im ersten Teil des Werkes als finsterer Mörder und Kriemhild als bedauernswertes Opfer charakterisiert. Im zweiten Teil ist dieses Bild umgedreht und Hagen tritt als Beschützer der Burgunder141 und Kriemhild als eine von Rache zerfressene Frau auf.142 Neben den unterschiedlichen Darstellungen der Figuren im ersten und zweiten Teil des NLs bewerten auch die drei großen Hand- schriften die Figuren unterschiedlich. Zum Beispiel wird in der C-Fassung Kriemhild positiver und Hagen negativer dargestellt.143 Im Zuge der Bewertung Hagens setzte man sich immer wieder mit der Treueproblematik auseinander: Ist die verwandt- schaftliche Treue oder die Gefolgschaftstreue höher zu bewerten? Auch der Wunsch nach Rache gegen die Alliierten war für die nationalsozialis- tische Bewegung von besonderer Bedeutung und die vielen Rachemotive des NLs boten sich abermals als literarisches Bezugswerk an. Trotzdem ist es verwunderlich, warum man sich im NS-Regime am NL orientierte, da man vom literarischen katast- rophalen Ausgang dieser unnachgiebigen Rache wusste. Generell gilt das NL

über die Jahrhunderte hinweg als Inbegriff des Scheiterns eines verabsolutierten, rachemoti- vierten Heroentums, das freilich noch den Untergang aller als blutrotes Fest feiert. Die Helden bewegen sich regressiv auf ihre Selbstauslöschung als einer Art Blutzoll zu, den sie für das Phantasma ihrer Grandiosität entrichten, das wiederum an ein rauschhaftes Einheitserleben von Fühlen und Handeln gebunden ist.144

140 Wie etwa in Mein Kampf: „Wenn an der Front die Besten fielen, dann könnte man zu Hause we- nigstens das Ungeziefer vertilgen. Statt dessen aber streckte Seine Majestät der Kaiser selber den alten Verbrechern die Hand entgegen und gab den hinterlistigen Meuchelmördern der Nation damit Schonung und Möglichkeit der inneren Fassung. Nun also konnte die Schlange wieder weiterarbeiten, vorsichtiger als früher, allein nur desto gefährlicher. Während die Ehrlichen vom Burgfrieden träumten, organisierten die meineidigen Verbre- cher die Revolution.“ Adolf Hitler: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. München: Zentralverlag der NSDAP 1938, S. 186. 141 Die Bezeichnungen und sind möglich. In dieser Arbeit wird letz- tere verwendet. „Burgunder“ wird als Gruppenüberbegriff verstanden und deshalb nicht gegendert. 142 Vgl. Heinzle, S. 1003. 143 Vgl. Heinzle, S. 1003. 144 Gephart, S. 12.

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Adolf Hitler selbst mied aus diesen Gründen nach der Machtergreifung – im Gegen- satz zu Joseph Goebbels und Heinrich Himmler – Vergleiche mit dem NL.145 Schlussendlich ‚wiederholte‘ sich eben dieser rachebedingte Untergang der Burgun- der bei den Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten selbst. Hermann Göring146 hingegen verglich makabererweise sogar die reale Niederlage der Wehrmacht in Sta- lingrad mit der literarischen Schlacht in Etzels Halle (in seiner sogenannten Stalin- gradrede).147

3.4 Nach 1945 Nach dem Zweiten Weltkrieg trat mit der Trümmerliteratur148 und mit literarischen Zusammenkünften wie der Gruppe 47149 oder der Wiener Gruppe150 die Gattung Epos (und damit auch das NL) in den Hintergrund. Kurze Prosagattungen und die Lyrik gewannen an Bedeutung. Umfangreichere, bekannte bürgerliche Prosa und mittelalterliche Literatur wurden eher vernachlässigt, zunehmend begeisterte man sich für ausländische Werke und deutschsprachige Exilliteratur.151 Auch in der Ger- manistischen Mediävistik galt es „die Erforschung der deutschen Literatur im überna-

145 So favorisierte er etwa im Sitzungssaal der Reichskanzlei Darstellungen aus der unverfänglicheren Edda, anstatt Szenenmalereien aus dem NL anzubringen. Vgl. Thomas Pulle: Der Mythos der Nibe- lungen. Die propagandistische Verwertung eines Epos. In: Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922-1956. Band 2. Hrsg. von Jan Tabor. Wien: Grasl 1994, S. 520. In weiterer Folge zitiert als: Pulle. 146 Hermann Göring (1893-1946) war Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Minister des NS- Regimes und für die Gründung der Gestapo sowie der ersten Konzentrationslager hauptverantwort- lich. Vgl. Susanne Eckelmann: Hermann Göring 1893-1946. NS-Politiker. Berlin: Deutsches Histori- sches Museum 2014. Nachzulesen auf: https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-hermann- goering.html [01.08.2019] 147 Nachzuhören auf: https://www.youtube.com/watch?v=JCNeYTNh-KU [01.08.2019] 148 Die Trümmerliteratur war eine deutschsprachige literarische Strömung in den Nachkriegsjahren. Die (zumeist männlichen) Autoren waren häufig junge Kriegsheimkehrer, welche versuchten, sich von der zuvor etablierten pathetischen NS-Sprache abzugrenzen. Typisch waren schlichte, klare und di- rekte Beschreibungen. Themen waren Heimkehrprozesse, das Leben in den zerstörten Städten, die Schuldfrage am Holocaust und dem Krieg etc. Vgl. Ralf Schnell: Deutsche Literatur nach 1945. In: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Wolfgang Beutin u. a. Stuttgart: Springer 2013, S. 496-506. In weiterer Folge zitiert als: Schnell. 149 Unter Gruppe 47 versteht man Treffen von Schriftstellerinnen und Schrifstellern von 1947 bis 1967 auf Einladung Hans Werner Richters. Ziel war die Förderung junger, unbekannter Literaturschaffen- der. Vgl. Schnell, S. 494f. 150 Die Wiener Gruppe war eine Vereinigung österreichischer Literaturschaffender ab 1954. Sie war inhaltlich sprachskeptisch, expressionistisch, dadaistisch und surrealistisch ausgerichtet. Vgl. Ralf Schnell: Die Literatur der Bundesrepublik. In: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Wolfgang Beutin u. a. Stuttgart: Springer 2013, S. 635-638. 151 Vgl. Ralf Schnell: Deutsche Literatur nach 1945. In: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfän- gen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Wolfgang Beutin u. a. Stuttgart: Springer 2013, S. 483-488.

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tionalen und interdisziplinären mediävistischen Rahmen zu betreiben“152, anstatt sich Nationengrenzen zu unterwerfen. Zudem war ein Werk wie das NL, welches vom NS-Regime derartig profiliert wurde, vorerst tabu. NS-vorbelastete Literaturschaffen- de und die Germanistik widmeten sich anderen literarischen Themenbereichen.153 In Österreich war dieses Tabu noch stärker ausgeprägt, da man kollektiv lange Zeit großen Wert darauf legte, sich als Opfer des NS-Regimes (und nicht als Mittäterin- nen und Mittäter) zu stilisieren.154 Trotzdem hielt ein nationalsozialistisch ausgerichteter Personenkreis nach Kriegsende durchgehend ungebrochen am NL und dessen zuvor etablierter Lesart fest und die damit zusammenhängenden Deutungsansätze gingen im modernen Rechtsextremismus auf. In diesem erfüllt(e) es zumeist, ähnlich wie im nationalsozia- listischen Deutschland155, die „Funktion moralischer Auf- und Nachrüstung“156. My- then

sichern den Zusammenhalt politischer Gemeinschaften, indem sie deren gemeinsame Ge- schichte verbürgen, denn Geschichte ist, wenn sie von einem Gründungs- oder Ursprungsmy- thos überwölbt wird, mehr als eine bloße Abfolge der Ereignisse in der Zeit.157

Doch diese Mythisierung des NLs endet nicht – wie etwa von Herfried Münkler und Wolfgang Storch vertreten – mit dem Jahr 1945.158 Es stimmt zwar, dass das NL für den Großteil der österreichischen und deutschen Bevölkerung keine nennenswerte

152 Brunner, S. 505. 153 Natürlich gab es hiervon Ausnahmen: So schuf etwa der österreichische Dichter Max Mell (1882- 1971), welcher nach dem Krieg vor allem für die christliche Literaturszene bedeutend wurde, 1951 das Drama Der Nibelunge Not. Der deutschsprachige Böhme Friedrich Panzer (1870-1956) veröffentlichte in den 1950ern eine umfangreich angelegte Auseinandersetzung mit dem NL. Beide waren durch ihre schriftstellerische Tätigkeit im NS-Regime vorbelastet, distanzierten sich aber nach Kriegsende vom Nationalsozialismus. Obwohl Panzer in seinen Ansprachen (vgl. Friedrich Panzer: Volkstum und Sprache. Rektoratsrede. Gehalten bei der Stiftungsfeier der Universität Heidelberg am 22. November 1926. Frankfurt am Main: Diesterweg 1927.) aus heutiger Sicht zum Teil fragwürdige Ansichten ver- trat, sind seine Beschäftigungen mit dem NL größtenteils unbedenklich. 154 Erst mit dem Skandal rund um den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim (1918- 2007) in den 1980ern wurde der Mythos von Österreich als Opfer Nazi-Deutschlands öffentlich aufge- arbeitet und entkräftet. 155 Generell orientieren sich deutschsprachige Rechtsextreme bis heute stark am Nationalsozialismus. Mehr dazu in den Beispielen in Kapitel 5 (S. 49-98). 156 Vgl. Münkler und Storch, S. 56. 157 Münkler und Storch, S. 66. 158 Vgl. Münkler und Storch, S. 132.

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Bedeutung mehr hat; auch die Textkenntnis ist zum Teil in Vergessenheit geraten. Dennoch halten viele Rechtsextreme heute noch am Nibelungenmythos, wie er auch im NS-Regime inszeniert worden ist, fest. Sie beklagen ebenfalls den Werteverfall, die Zerrissenheit der Welt und den Mangel an Klarheit, Struktur und Sozialisation, weshalb sie den Nibelungenstoff ihrerseits neu instrumentalisieren.

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4 Die Ambivalenz des NLs – Warum sich das NL für eine rechtsex- treme Vereinnahmung (nicht) eignet Dass das NL immer wieder auf verschiedenste Weisen von Rechtsextremen rezipiert wurde, wurde dargelegt. Allerdings wurden noch nicht die genauen Faktoren ange- führt, warum es sich so gut für (rechtsextreme) Neuinterpretationen eignet. Das hat mehrere Gründe, zunächst spielen die Entstehungszusammenhänge und die behan- delten Figuren eine tragende Rolle: Das NL ist im Donauraum159 entstanden, der Auftraggeber war vermutlich der Passauer160 Bischof Wolfgang von Erla161. Obwohl das NL um 1200 niedergeschrie- ben wurde, ist der Erzählkomplex vom 5. bis zum 7. Jahrhundert entstanden und durch mündliche Tradierung in den mittel- und nordwesteuropäischen Raum ge- bracht worden.162 Eine Reaktion also auf die Völkerwanderungszeit, welche z. T. als „Goldenes Zeitalter der Deutschen“ angesehen wird.163 Der Stoff wurde demnach nicht – wie typisch zu der Zeit – aus dem romanischen oder englischen Sprachraum (wie etwa der Camelot-Stoffkreis oder die Chansons de Geste) übernommen. Die historischen Vorgänge wurden nach den Regeln der heroischen Epik stilisiert: durch Reduktion und Assimilation.164 Die Entstehungszusammenhänge sowie ‚germani- schen‘ Figuren und Orte bieten also erste Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme. Doch unabhängig davon eröffnet die Ambivalenz des Textes unzählige Rezep- tionsmöglichkeiten. Einerseits können unliebsame Passagen gekürzt werden, ande- rerseits können den eigenen Vorstellungen entsprechende Passagen ausge- schmückt werden. Die Vagheit der Figuren und Fabelwesen ermöglicht unzählige, verschiedenartige und auch diametral gegensätzliche Symbolverwendungen. Als Beispiel sei der Drache angeführt: Dieser wird einerseits als Personifikation des Kommunismus165, andererseits als Personifikation des Finanzkapitals166 gedeutet.

159 Vgl. Heinzle, S. 998 und Schulze, S. 24. 160 Auch relevant: Passau liegt heute an der Grenze zwischen Österreich und Deutschland. Somit haben in gewisser Weise beide Staaten ‚Anspruch‘ auf das Werk. 161 Vgl. Schulze, S. 24 und 28, Brunner, S. 197 sowie Heinzle, S. 999. 162 Vgl. Heinzle, S. 999 und 1010 sowie Brunner, S. 200-202. 163 Vgl. Brunner, S. 199. 164 Vgl. Müller, S. 29. 165 Vor allem mit Beginn des Kalten Krieges stand der Drache zunehmend für die kommunistische Bedrohung aus dem Osten. Durch sein Feuer, seine Fressgier und seine Flügel wurde er zum un- durchsichtigen Höllenwesen gemacht, das es zu bekämpfen galt. Darüber hinaus verbindet man den

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Zusätzlich gilt der Bezwinger des Drachen „als Heilsbringer und Stifter kultureller Ordnung.“167 Die Hochzeit zwischen Etzel und Kriemhild in Wien ermöglicht das Her- stellen einer Verbindung zur k. u. k. Monarchie. Siegfried und Hagen werden als Per- sonifikationen Deutschlands betrachtet.168 Außerdem werden die beiden Figuren oft als dualistische Antagonisten und Personifikationen von Gut und Böse angesehen.169 Das NL ist unglaublich vielschichtig. In diesem Kapitel werden die Gründe für diese allgegenwärtige Ambivalenz im NL und die daraus resultierenden textinternen Span- nungsmomente behandelt.

4.1 Historische und formale Gründe für die Ambivalenz des NLs Aufgrund des umfangreichen Stoffkreises und der mündlichen Erzähltradition

standen mehrere Versionen der Geschichten nebeneinander, die sich nicht nur in Details, sondern auch im Motivbestand und selbst in den handlungsstiftenden Ereignis- und Perso- nenkonstellationen voneinander unterschieden. Zugleich galt die Überlieferung als verbindli- ches Geschichtswissen.170

Dies führte dazu, dass der Autor des NLs die verschiedenen – teils widersprüchli- chen – Varianten zusammenfassen musste.171 Bereits die drei großen Handschriften A, B und C172 weisen markante Unterschiede auf. Interessanterweise ist die Hand- schrift C zwar die älteste Handschrift,173 aber jüngste Version in inhaltlicher Hin- sicht.174 „C bietet eine metrisch glättende, rationalisierende, christlich wertende Bear-

Drachen bis heute mit dem kommunistischen China. Vgl. Ludwig von Mises: Interventionism. An Eco- nomic Analysis. Indiana: Liberty Fund 1998, S. 74. 166 „Der Drache symbolisiert den Kaufmannsgeist der modernen Gesellschaft – ‚das Ellenkrämertum, das jetzt die Welt regiert‘ – mit anderen Worten: den Geist des Kapitalismus.“ Grimm, S. 219f. Sieg- fried wird zumal zum sozialen Helden, der das Joch des Kapitalismus bricht. Vgl. Grimm, S. 219f. 167 Müller, S. 22. 168 Mehr dazu auf S. 76 und 97. 169 Mehr dazu auf S. 77. 170 Heinzle, S. 1003. Vgl. auch Müller, S. 19. 171 Vgl. Heinzle, S. 1003. 172 Diese sind die Hohenems-Münchner Handschrift A, Sankt Galler Handschrift B und Hohenems- Donaueschinger Handschrift C. 173 Vgl. Heinzle, S. 1004 und Brunner, S. 198f. 174 Vgl. Schulze, S. 43.

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beitung der in B vorliegenden Fassung“175, Handschrift C ist somit die ‚modernere‘. 2/3 der erhaltenen NL-Handschriften beruhen auf dieser, dies deutet darauf hin, dass sie gegenüber den anderen Handschriften bevorzugt wurde.176 Trotz dieser Bevorzugung von C blieben die Handschriften der sogenannten Not-Fassung (also A und B) weiter im Umlauf.177 Später, unter den jüngeren Hand- schriften, gab es auch Mischungen der Not- und der Lied-Fassung.178 Dies zeigt, dass der Nibelungenstoff seit seinem Beginn different ausgelegt und niedergeschrie- ben wurde. Die Handschriften weisen sogar z. T. erhebliche Unterschiede in Anzahl und Reihenfolge der Strophen auf.179 Die einzelnen Komponenten des Werkes sind also austausch-, erweiter- und kürzbar, ohne dass der Text dadurch unbrauchbar wird. Der im 19. Jahrhundert ausgetragene Streit um die Frage nach der ‚besten‘ der drei großen Handschriften180 unterstreicht schlussendlich, dass mehrere Textfassun- gen gleichberechtigt möglich sind. Ein weiterer Grund für die Rezeptionsvielfalt ist, dass das NL aus ursprünglich zwei verschiedenen Sagenkreisen181 (und somit auch Sinneinheiten) zusammenge- führt wurde. Diese wären: die Heldengeschichten Siegfrieds und der Untergang der Burgunder. Der erste Sagenkreis hat vermutlich seine historischen Wurzeln im me- rowingischen Frankenreich des 6. bzw. 7. Jahrhunderts,182 der zweite in der Schlacht gegen den römischen Heermeister Aëtius183 im 5. Jahrhundert.184 Die Brautwerbung um Brünhild könnte hier noch als dritter Sagenkreis angeführt werden.185 Nicht end- gültig geklärt ist, ob diese Zusammenführung erst durch den NL-Autor geschah oder

175 Vgl. Schulze, S. 43. 176 Vgl. Schulze, S. 43. 177 Vgl. Heinzle, S. 1104f. 178 Mit dem Ende des 13. Jahrhunderts gab es somit mindestens vier Textformen: Not-Fassung *A, Not-Fassung *B, Lied-Fassung *C, Mischfassung *Db, Mischkomplex *J/*d. Vgl. Heinzle, S. 1005. 179 Vgl. Müller, S. 52. 180 Vgl. Schulze, S. 33-42. 181 Vgl. Müller, S. 44. 182 Vgl. Müller, S. 22. 183 Flavius Aëtius (~ 390-454) war römischer Politiker und Heerführer. Er lebte mehrere Jahre als Gei- sel am hunnischen Hof. Vgl. Klaus Rosen: Attila. Der Schrecken der Welt. Eine Biographie. München: Beck 2016, S. 100f. In weiterer Folge zitiert als: Rosen. 184 Vgl. Heinzle, S. 1008f. 185 Vgl. Heinzle, S. 1009. Bei der nibelungischen Brautwerbung gibt es auch Parallelen zur Spiel- mannsepik, Texte dieser Gattung wurden ebenso ab dem 12. Jahrhundert verschriftlicht. Vgl. Heinzle, S. 1012 und Schulze, S. 30.

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ob es dem NL vorangegangene Sagenkreiszusammenführungen gibt.186 Dennoch bleibt die Frage offen, warum der Autor die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Sagenkreisen beibehielt. Die modernere Forschung187 geht davon aus, dass der Au- tor diese Ungereimtheiten nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Gründen der Hochach- tung der Vorlage (bzw. um die inhaltlichen Spannungsmomente weiter zu forcieren) nicht getilgt hat. Deshalb ist festzuhalten: Wenn bereits das ‚Original‘ aus verschie- densten Geschichten zusammengesetzt ist und dadurch unweigerlich Ungereimthei- ten entstehen (etwa die Beziehung von Siegfried zu Brünhild), bieten sich hier weite- re Zusammenführungen, Adaptionen, Interpretationen etc. an. Einerseits verband der Autor also mehrere verschiedene Erzähltraditionen, andererseits verknüpfte er diese wiederum mit den gesellschaftlichen Themen seiner Zeit. So versuchte er bestmöglich die tradierte Handlung für das höfische Publikum aufzubereiten. Er baute Hofämter sowie höfische Repräsentationen in seine Bearbei- tung ein und widmete sich häufig der Beschreibung prunkvoller Kleidung.188 Dadurch entstanden Widersprüche zwischen höfisch-prunkvoller Kulisse und heroisch-brutaler Handlung.189 Trotz dieser Intention, das Werk zu einem höfischen Text zu machen (oder zumindest höfische Elemente grundlegend aufzunehmen), hebt sich das NL vor allem durch seine anonyme Überlieferung, mündliche Erzähltradition mit histori- schem Kern sowie die strophische und sangbare Form von anderen vergleichbaren (höfischen) Texten seiner Zeit ab.190 Andererseits ist die Psychologisierung der Figu- ren im NL typisch für die höfische Dichtung und untypisch für ein Epos. Diese Zu- sammenführung von Elementen verschiedener Gattungen führt wiederum zu Span- nungsmomenten im Text. Die Adaption von mündlicher Erzähltradition und breitem Stoffkreis zu einem niedergeschriebenen Text führt weiters zu vielen Doppelungen der Motive. So entfal- tet sich die Handlung nicht wie üblicherweise durchwegs linear. Stattdessen gibt es

186 Vgl. NLK, S. 691f. Eventuell gab es eine Zusammenfügung des Brünhild- und des Burgundenlieds in der sog. Älteren Not, welche nicht so umfangreich war und weniger höfische Elemente beinhaltete. Diese Theorie führt man u. a. auf die angenommene gemeinsame Quelle von Thidrekssaga und NL zurück. Vgl. Müller, S. 35f. 187 Vgl. Müller, S. 19-29. 188 Vgl. Brunner, S. 202. 189 Vgl. Müller, S. 83. 190 Vgl. Schulze, S. 20.

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immer wieder lose oder gar nicht verknüpfte Handlungsstränge, welche nebeneinan- der stehen.191

Gerade an wichtigen Stellen der erzählten Geschichte begegnen derartige paradigmatische192 Ausführungen, und sie haben die Interpreten irritiert: z. B. bei Siegfrieds Ankunft in Worms, bei der Werbung auf Isenstein, bei der Begründung von Siegfrieds Ermordung, bei Kriemhilds Einladung ihrer Verwandten und in der letzten Begegnung von Kriemhild und Hagen.193

Bei diesen Gegebenheiten werden unterschiedlichste Motivationen von den Figuren angeführt, die sich zum Teil widersprechen.194 Zudem wiederholen sich Vorgänge, etwa werden Kriemhild und Brünhild zweimal hintergangen, es gibt eine Doppel- hochzeit, Siegfried stellt sich mehrmals als Vasall von Gunther vor etc. Diese Ver- wendung von sich wiederholenden Schemata dient dazu, die Vergangenheit dem Bekannten einzufügen, damit die geschichtlichen Verläufe mit dem, was man seit jeher schon weiß, erklärt werden können.195 Die Schematisierung erleichtert die spä- tere Umdeutung der Vorgänge je nach eigener Interessenslage im Hinblick auf neue Gesellschaftsbilder und Weltordnungen.196 Zuweilen kommt es auch zu Handlungsmomenten, die – anstatt mehrmals – gar nicht erläutert werden: Hagen trägt etwa Siegfrieds Schwert Balmung am Schluss des NLs.197

Wie es dazu kommt, erfährt man nicht. Das Schwert ist da, weil es an dieser Stelle eine Funk- tion zu erfüllen hat, es ermöglicht die emotionale Assoziation der Minne, und durch sein Schwert rächt Siegfried sich quasi selbst an dem Mörder.198

191 Vgl. Schulze, S. 132. Allerdings bemüht sich heldenepisches Erzählen generell nicht um kausale Zusammenhänge. Vgl. Müller, S. 40f. 192 Siehe Fußnote 12. 193 Schulze, S. 133. 194 So ist etwa Siegfrieds Werben um Kriemhild einerseits von Machtgier und andererseits von wahrer Minne gezeichnet. Vgl. Kapitel. 4.2, S. 36. 195 Vgl. Müller, S. 25. 196 Vgl. Müller, S. 25. 197 Vgl. Schulze, S. 135. 198 Schulze, S. 135.

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Ein weiterer Faktor, der Erweiterungen und Tilgungen des NLs ermöglicht, ist die Ein- teilung des Epos in Aventiuren199. Einzelne von ihnen ließen sich problemlos kom- plett streichen, da sie für den Handlungsverlauf nicht unbedingt vonnöten sind. Ein Paradebeispiel dafür wäre etwa die Aventiure 4 (Krieg gegen die Dänen und Sach- sen)200. Diese erfüllt bloß den Zweck, Siegfrieds Ritterlichkeit hervorzuheben, und wurde vermutlich vom NL-Autor frei erfunden, ohne dass er sich auf eine Quelle be- zog.201 Weitere geschlossene, elidierbare Erzähleinheiten202 sind etwa die Aventiu- ren 27203 (die Burgunder in Bechelaren), 30204 (die Nachtwache von Volker und Ha- gen), 35205 (Kampf Irings gegen Hagen) und 37206 (Bedenken Rüdigers). Wegen der umfangreichen Figurenkonstellationen und -vielfalt ließen sich aber auch Aventiuren hinzufügen. In diesen könnten etwa weitere Heldentaten Siegfrieds, die Lebensge- schichte Hagens, das Leben am Burgunderhof, die Biografien von diversen Nebenfi- guren usw. erzählt werden; die Möglichkeiten sind unendlich. Bei anderen, straffer geführten literarischen Werken wäre dies deutlich schwieriger. Die Überlieferungsge- schichte zeigt: Es ist sogar möglich, eine Hälfte des NLs komplett zu streichen. So bevorzugte man im Mittelalter eher den zweiten Teil des NLs mit dem Untergang der Burgunder und der Rache Kriemhilds,207 modernere Rezeptionen (v. a. Filme und Jugendliteratur) vernachlässigen hingegen gerne den zweiten Teil und legen den Schwerpunkt auf das Leben Siegfrieds.208 Die Aventiuren sind wiederum in Strophen unterteilt. Es wird die sogenannte Nibelungenstrophe verwendet, welche aus Langzeilen209 (die um das Jahr 1200 eher

199 Eigentlich ist mit Aventiure eine ritterliche Bewährungsprobe, ein Abenteuer gemeint. Im NL ent- spricht sie einem Kapitel. 200 NLT, Strophe 137-262. 201 Vgl. NLK, S. 718. 202 Vgl. NLK, S. 692. Ursula Schulze führt an dieser Stelle auch noch die Aventiure 39 (NLT, Strophe 2321-2376) als geschlossene Erzähleinheit an. Allerdings ist diese Szene durchaus mit dem Rest des NLs entscheidend verknüpft. In der Aventiure sterben Hagen, Gunther und Kriemhild. 203 NLT, Strophe 1647-1714. 204 NLT, Strophe 1815-1845. 205 NLT, Strophe 2025-2077. 206 NLT, Strophe 2132-2231. 207 Vgl. Müller, S. 49. 208 Hierbei spielt sicherlich auch Richard Wagners Der Ring des Nibelungen eine prägende Rolle, da dieses Werk sich ebenso hauptsächlich auf das Leben Siegfrieds konzentriert. 209 Die Langzeile wird zweigeteilt, nämlich in einen An- und einen Abvers.

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unüblich waren) besteht. Durch diese Strophenform kommt es – trotz der Verwen- dung von Endreimen statt Stabreimen – zur Fortführung der Eigenheiten germani- scher Heldendichtung.210 Da die Nibelungenstrophe der gängigen zeitgenössischen Praxis widersprach, stieß das NL nicht nur wegen seines archaischen Inhaltes auf wenig positive Resonanz unter den höfischen Dichtenden.211 Im Literaturexkurs212 Gottfrieds von Straßburg etwa findet das NL keine Beachtung, obwohl der belesene Dichter das Werk mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kannte.213

4.2 Ambivalenz der Figuren Die höfischen Transformationsversuche eines archaischen Stoffkreises führen hauptsächlich bei den Figuren zu Problemen. Auf Grund unüberwindbarer Gegen- sätze sind sie von einem ambivalenten Spannungsfeld zwischen höfischer und ar- chaischer Welt geprägt. Siegfried etwa, der in der älteren Stoffgeschichte ein archai- scher Held par excellence ist, kann man schlussendlich nicht komplett zu einer höfi- schen Figur umformen.214 Er ist – trotz all seiner positiven Charaktereigenschaften – ein brutaler Tyrann. Seine Herrschaft beruht auf seiner körperlichen Stärke, seinem ererbten Rang und seinem Ansehen unter seinen Gefolgsleuten. Im NL kommen die- se archaisch-patriarchalischen Charakterzüge in mehreren Szenen zum Ausdruck. Vor allem zu Beginn des Werkes tritt er unhöfisch, vereinnahmend und wenig rück- sichtsvoll auf. Beispielhaft ist etwa die erste Begegnung mit den Burgundern, in der er sogleich Gunther zum Kampf fordert:

„Nu ir sît sô küene, als mir ist geseit, sône ruoch ich, ist daz iemen lieb ode leit, ich will an iu ertwingen, swaz ir muget hân. lant unde burge, daz sol mir werden undertân. […]“215

210 U. a. bestehen die Merseburger Zaubersprüche, das Muspilli, das Hildebrandslied, das Wesso- brunner Gebet und die Lieder-Edda aus Langzeilen. 211 Vgl. Schulze, S. 19. 212 Dieser ist Teil des Tristan-Romanes. Vgl. Fußnote 67. 213 Vgl. Schulze, S. 19. 214 Vgl. Brunner, S. 203. 215 NLT, Strophe 108.

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Ein weiteres Beispiel für Siegfrieds (aus heutiger Sicht) negative Charakterseite ist seine Zurechtweisung Kriemhilds:

„Man sol vrouwen ziehen“, sprach Sîfrit der degen, „daz si üppecliche sprüche lâzen under wegen. verbiutez dînem wîbe, der mînen tuon ich sam. ir grôzen ungefuoge ich mich wærliche scham.“216

Auch gegenüber Brünhild tritt er unnachgiebig auf, so etwa in der Ehebettszene:

„Ouwê“, dâht der recke, „sol ich nu mînen lîp von einer magt verliesen, sô mugen elliu wîp her nâch immer mêre tragen gelfen muot gegen ir manne, diu ez sus nimmer getuot.“217

Siegfried schreckt nicht vor einer Prügelstrafe an seiner Ehefrau Kriemhild218 oder dem zweifachen Betrug an Brünhild (Brautwerbung und Hochzeitsnacht) zurück, um seine Ziele zu erreichen. Im ersten Fall fürchtet er in erster Linie um seine Fama als Ehemann, im zweiten hat er nur rücksichtslos das Ziel vor Augen, Gunther zu helfen, um sich mit dessen Schwester zu vermählen. Generell ist Siegfrieds Werben um Kriemhild von Charakterunstimmigkeiten geprägt. Es ist ein Wechselspiel zwischen Minne und Kampf. Zu Beginn geht es ihm vordergründig um Machtansprüche statt um Liebesgefühle.219 Zugleich versucht der NL-Autor bei der Kriemhild-Siegfried- Beziehung Ideen der Hohen Minne in das NL einzubringen.220 Allerdings: Während das Werben des Minnesängers von der umworbenen Frau üblicherweise unbeant- wortet bleibt, widerspricht die Heirat von Kriemhild und Siegfried dieser Idee. Vor allem Filme, Jugendbücher und rechtsextreme Rezeptionen beschränken sich auf Teilaspekte seines Charakters und vereinfachen gerne die Siegfried-Figur.221

216 NLT, Strophe 859. 217 NLT, Strophe 670. 218 Vgl. NLT, Strophe 891. 219 Vgl. Gephart, S. 20. 220 Siegfrieds Minne wird überhaupt als großartiger als alles bisherige Werben beschrieben: „Dô gedâht ûf hôhe minne daz Siglinde kint. | Ez was ir aller werben wider ein wint.“ NLT, Strophe 45. 221 Mehr dazu in Kapitel 5 (S. 49-98).

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In diesen wird er meist als starker, mutiger, makelloser, vielleicht etwas naiver Held dargestellt. Er verbindet die positiven Elemente des unnachgiebigen Heldentums und der höfischen Welt, ohne den negativen Kehrseiten beider zu entsprechen. Vermut- lich spielt das große Mitleidsmoment bezüglich seines Todes und seine naive Heran- gehensweise an die politischen Machenschaften der Burgunder hier eine entschei- dende beschwichtigende Rolle. Er wird zum tragischen Helden gemacht. Auch äu- ßerlich weist er in vereinfachenden Rezeptionen die gleichen Merkmale auf: blond, blauäugig und muskulös. Diese Äußerlichkeiten haben ihre Wurzeln in den ästheti- schen, philosophisch-esoterischen Überlegungen des 19. Jahrhunderts. Dahinter stehen die Ideen des ‚Lichtmenschen‘, der als dualistischer Gegensatz zur Dunkel- heit verstanden wird.222 Die idealste Erscheinungsform ist somit eine besonders helle und Siegfried – der oft als Idealmensch schlechthin instrumentalisiert wurde – muss diesen Vorstellungen entsprechen. Im Prätext selbst wird er an keiner Stelle (!) als blond oder blauäugig beschrieben. Ungeachtet dessen: Die NSDAP musste ihre Rassenlehre nicht neu erfinden, sondern nur an bestehende Ideen des 19. Jahrhun- derts anknüpfen. Es gibt aber auch Autorinnen und Autoren, die sich nicht auf die positiven Ei- genschaften Siegfrieds konzentrieren, sondern stattdessen die (nach heutigen Ge- sichtspunkten) negativen betonen. So karikiert etwa Volker Braun223 in seiner Bear- beitung Nibelungen224 Siegfried. Hier zeigt sich abermals, warum sich das NL so gut für Neubearbeitungen eignet: Jede Rezipientin und jeder Rezipient wählt die für sich selbst passenden Elemente des NLs aus, ohne dass das Textkorpus dadurch un- brauchbar wird. Auch bei der Kriemhild-Figur wird selektiert: Rechtsextreme Ideologien sind patriarchal ausgerichtet, oft wird eine biologisch-sozialdarwinistische Anschauung vertreten.225 Die Stärke, sich gegen Widersacher durchsetzen zu können, ist zentral. Dem zu Grunde liegt die Idee, dass die anatomische Stärke die entscheidende ist und demgemäß Frauen Männern unterlegen sind. Diese undifferenzierte Denkweise vernachlässigt u. a. die soziale Stärke von Frauen, welche etwa im NL zur Schau

222 Wagner, S. 121f. 223 Volker Braun (*1939) war einer der wichtigsten Dramatiker der DDR. 224 Volker Braun: Dimitri/ Die Übergangsgesellschaft/ Nibelungen/ Transit Europa/ Limes. Mark Aurels/ Was wollt ihr denn. Berlin: Suhrkamp 2014. 225 Vgl. Kapitel 2, S. 9f und Kapitel 3.2, S. 19.

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gestellt wird.226 Kriemhild wird gerne in der Rezeption vernachlässigt, obwohl sie in beiden Hälften des NLs als Hauptfigur angesehen werden kann: Im Text wird sie zuerst vorgestellt und es werden ihre Brüder – die eine höhe- re gesellschaftliche Stellung innehaben – in Relation zu ihr vorgestellt.227 Sie nimmt erzähltechnisch mindestens die gleich hohe Wichtigkeit ein wie Siegfried und Hagen zusammen. Kriemhild ist die durchgehend zentrale Figur, um die sich die Handlung dreht. Im ersten Teil des NLs werden alle wichtigen Handlungen Siegfrieds aus Zu- neigung zu Kriemhild getroffen, im zweiten Teil sind der Konflikt zwischen Hagen und Kriemhild und die damit zusammenhängenden Ereignisse handlungstragend. Dar- über hinaus ist die Auseinandersetzung zwischen den beiden Königinnen die ent- scheidende Peripetie der Geschichte.228 In heutigen NL-Rezeptionen wiederum wird allerdings zumeist der Konflikt zwischen Hagen und Siegfried ausgearbeitet. Kriem- hild ist aber die einzige Komponente, die beide (teilweise auseinanderklaffenden) Teile des Epos zusammenhält.229 Eine Grundfrage des NLs, nämlich wie sich die höfische Frau verhalten soll, wird gerne in heutigen Rezeptionen ausgeklammert. Naturgemäß ist die emanzipatorische Kriemhild-Figur aus patriarchaler Sicht als Vorbild ungeeignet. Die Heirat mit dem Mongolen Attila und die Kaltherzigkeit ge- genüber ihren Kindern230 machen die Kriemhild-Figur für Rechtsextreme weiters für eine positive Konnotation unbrauchbar. Auch ihre christliche Haltung eignet sich kaum für rechtsextreme Adaptionen, da das Christentum von vielen (v. a. heidnisch- völkischen und deutschnationalen) Rechtsextremen zumeist abgelehnt wird.231

226 Auch die männlichen Figuren im NL bedienen sich unterschiedlicher Formen der Stärke: Obwohl Gunther Siegfried körperlich unterliegt, übt er gemeinsam mit Hagen eine immer größere Kontrolle auf Siegfried aus. Vgl. Gephart, S. 81. 227 Vgl. NLT, Strophe 1f. 228 Vgl. NLK, S. 765. 229 Vgl. Panzer, S. 279. Einige Germanistinnen und Germanisten widersprechen dieser Ansicht wie- derum, wie etwa Edward Haymes, der Kriemhild als nicht zentral genug ansieht und den Schwerpunkt der Handlung auf Siegfried und Hagen legt. Vgl. Edward Haymes: A Rhetorical Reading of the ‚Herausforderungsszene‘ in the Nibelungenlied. In: „Waz sider da geschach“. American-German Stu- dies on the Nibelungenlied. Hrsg. von Werner Wunderlich und Ulrich Müller. Göppingen: Kümmerle 1992, S. 81f. 230 Zudem zeigt sie gegen Ende Unbarmherzigkeit gegenüber ihren Brüdern. Vgl. NLT, Strophe 2366. 231 V. a. der Sitz des Oberhaupts des Katholizismus im Vatikan und die jüdischen Ursprünge des Christentums werden von (deutschsprachigen) Rechtsextremen abgelehnt. Nichtsdestotrotz wird das Christentum gerne – etwa in der europäischen populistischen rechten Politik – als Argument gegen den ‚Islamismus‘ herangezogen. Vgl. Oliver Hidalgo: Religion, (Rechts-)Populismus und Demokratie. Versuch einer theoretischen Verhältnisbestimmung. Wiesbaden: Springer 2018. (= Zeitschrift für Reli- gion, Gesellschaft und Politik. Heft 2.) S. 167-192.

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Sozusagen entgegengesetzt zu Kriemhild erfolgt die Entwicklung von Brünhild.232 Anstatt wie Kriemhild von der angepassten, passiven Hofdame in die ‚Männerwelt‘ einzudringen, tritt Brünhild zunächst als archaisch-mythische Figur in Erscheinung. In der Mitte der charakterlichen Entwicklungen beider Frauen steht die Intrige. Mit fort- laufender Handlung tritt Brünhild in den Hintergrund, bis sie selbst zur passiven Hof- dame – und zugleich der Männerwelt gerecht – wird. Diese untergeordnete gesell- schaftliche Position beginnt sie allerdings erst anzunehmen, als sie physisch unter- worfen233 wird. Schlussendlich (nach Siegfrieds Tod) entspricht sie dieser gesell- schaftlichen Rolle aber bedingungslos. Hagen wiederum ist der Inbegriff des antiemanzipatorischen Patriarchats. Während er zu Beginn positiv gegenüber Kriemhild eingestellt ist, ändert sich dies mit ihrer zunehmenden Emanzipation. Im Gegensatz dazu ist er zunächst sehr negativ gegenüber Brünhild eingestellt, mit deren zunehmender Unterjochung wird er ihr größter Verbündeter. Hagens Festhalten an patriarchalen Werten geht sogar so weit, dass er zuerst Siegfried ermordet und sogleich die verwitwete Kriemhild bestiehlt.234 Die Demütigungen an Kriemhild finden erst ihr Ende, als diese Hagen köpft.235 Den- noch ist Kriemhild schlussendlich die Verliererin des Geschlechterkonfliktes und im Zuge ihrer Enthauptung durch Hildebrand haben schließlich wieder die Männer die gesellschaftliche Oberhand. Die emanzipatorischen Bestrebungen der Frauen wur- den unterbunden.236 Andererseits ist Hagens Loyalität zu seinen Lehensherren aus feudaler Sicht positiv hervorzuheben und in seinem Handeln spiegelt sich sein Verständnis von Ge-

232 Obwohl es – handlungszeitlich konträre – Ähnlichkeiten zwischen Kriemhild und Brünhild gibt, un- terscheiden sich die zwei Frauen in zwei Punkten wesentlich: Erstens entstammt Brünhild aus der mythischen Welt Isenstein (Kriemhild hingegen überquert nie die Grenze in die mythische Welt) und weist etwa bei Wagner eine Abstammung von Wotan auf. (Dort heißt sie Brünnhilde und ist die Toch- ter von Wotan sowie Tante von Siegfried.) Zweitens bleibt schlussendlich unklar, wie viel sie konkret mit dem Tod Siegfrieds zu schaffen hat, Kriemhild hingegen tritt offen als ‚Heldenmörderin‘ auf. 233 „Si sprach: „kunic edele, du solt mich leben lân. | ez wirt vil wol versüenet, swaz ich dir hân getân. | ich engewer mich nimmer mêre der edelen minne dîn. | ich hân daz wol erfunden, daz du kanst vrou- wen meister sîn.“ NLT, Strophe 675. 234 NLT, Strophe 1104, 1127 und 1134. 235 NLT, Strophe 2370. 236 So gesehen würde sich von den Frauenfiguren Ute am besten für eine patriarchale/konservative Rezeption eignen. Sie ist vierfache Mutter und unscheinbar. Sie wagt es nicht, gegen Entscheidungen ihrer Söhne aufzutreten und wirkt stattdessen nur auf ihre Tochter Kriemhild ein. Sie fühlt sich in ihrer Rolle als Schutzbedürftige unter den Männern wohl. Nichtsdestotrotz spielt sie generell in der Rezep- tion eine sehr untergeordnete Rolle und ihre Figur wird zum Teil gänzlich gestrichen. Dies ist vermut- lich auf ihre Farblosigkeit und fehlende Charaktertiefe zurückzuführen.

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folgschaft wider. So wird er erst dann Kriemhilds Antagonist, als sie durch die Heirat mit Siegfried nicht mehr seine Königin ist und sich zunehmend vom Wormser Hof zu entfremden beginnt. Dies zeigt sich etwa, als Kriemhild ihn fragt, ob er mit ihr (nach der Vermählung mit Siegfried) nach Xanten reisen wolle:

dô gewan dar umbe Hagene ein zornlichez leben. er sprach: „jâne mac uns Gunther ze werlde niemen gegeben.“237

Zugleich ändert sich Hagens Beziehung zu Brünhild grundsätzlich, als diese seine Königin wird. Bei der Brautwerbung in Isenstein bezeichnet er sie noch als „tîvels wîp“238 und „tîvels brût“239. Ferner spielt seine Fama keine unbedeutende Rolle in seiner Entscheidungsfindung. Ähnlich wie für Wolfhart, der glücklich als Held stirbt240, ist auch für Hagen der Nachruhm entscheidender als das Leben selbst. Besonders seine Reise ins ‚Hunnenland‘, die Treue zu seinen Königen und der Schutz des Nibe- lungenschatzes sind von absoluter Bedingungslosigkeit gekennzeichnet. Hagens Loyalität zeigt sich auch in seiner Funktion als guter Berater. Er ist der höfische Dip- lomat par excellence: Er schmiedet Pläne im Hintergrund, ist auf den Machtzuwachs von Reich und Königsgeschlecht fokussiert, ist erster Ansprechpartner des Königs etc. Bei Siegfried, Kriemhild, Brünhild und Hagen zeigt sich: Die nibelungischen Figuren können zwar vereinfacht werden, dies entspricht aber nicht der Intention des NL-Autors. Hagen bleibt umstritten und

die Deutung Hagens als innerer Feind hat nie ungeteilte Zustimmung gefunden. Die durch Hagen symbolisierten Fähigkeiten und Eigenschaften – und zwar keineswegs nur Opferbe- reitschaft und Todeserotik im zweiten Liedteil, sondern auch seine Funktion als Berater und Gefolgsmann der Burgundenkönige im ersten Teil des Liedes – waren für die politische Vor- stellungswelt der Deutschen zu wichtig, als dass man sie dem inneren Feind und Verräter ab- treten konnte.241

237 NLT, Strophe 695. 238 NLT, Strophe 436. 239 NLT, Strophe 448. 240 Wolfhart ist Neffe Hildebrands und Gefolgsmann Dietrichs von Bern. Er erschlägt Giselher. Vgl. NL Strophe 2294f. 241 Vgl. Münkler, S. 89.

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Neben den nicht klar einzuordnenden Charaktereigenschaften kontrastiert ferner die immer wieder betonte Schönheit der Figuren ihr niederträchtiges Handeln. Das NL ist von Differenzen zwischen Aussehen und Handeln durchzogen, die äußerlichen, überaus positiven Beschreibungen täuschen. Die Hauptfiguren, welche zunächst die Leserschaft dazu einladen, sich mit ihnen zu identifizieren und sie sympathisch zu finden, handeln schlussendlich abschreckend. Es wird mehrmals die Schönheit Brünhilds242 oder Kriemhilds243 erwähnt. Siegfried wird hingegen zumeist als „gu- ot“244, „stark“245 und „küen“246 beschrieben.

4.3 Ambivalenz des Treuebegriffs Auch im Hauptthema des NLs – der Treueproblematik – zeigen sich Unstimmigkei- ten. Der hohe Stellenwert der Treue247 ist ein Überbleibsel aus vorhöfischer Zeit:

In den vorchristlichen Kulturen des nördlichen Europa etwa konnten die Gemeinschaftsbildun- gen unterschiedliche Formen des Zusammenlebens annehmen (Blutsverwandtschaft; künstli- che Verwandtschaft; Wahlbrüderschaft und Adoption; territoriale Gemeinschaft; Wirtschafts- gemeinschaft), doch bestand ihr wesentliches Merkmal in dem Einheitsbewußtsein des Ge- schlechts, Sippenverbandes oder Stammes, der aus diesem Bewußtsein heraus auch als Kol- lektiv auftrat und handelte.248

Obwohl im NL verschiedenste Arten der Treue vorkommen, konzentrierten sich die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten (und in deren Tradition stehende Rechtsextreme) in ihren Rezeptionen v. a. auf eine antiindividualistische und obrig- keitshörige Form der Treue.

242 Sie wird etwa in NLT, Strophe 324, als „unmâzen schœne“ und in NLT, Strophe 326, als „schœne wîp“ bezeichnet. 243 Das NL beginnt sogar mit der Beschreibung von Kriemhilds Schönheit: „E⟨z wuohs⟩ in Burgonden ein vil edel magedîn, | daz in allen landen niht schœners mohte sîn, | Kriemhilt geheizen; si wart ein schœne wîp.“ NLT, Strophe 1. Darüber hinaus wird sie mehrmals als „unmâzen schœne“ beschrieben, wie etwa in NLT, Strophe 43,47 und 322, oder „schœne juncfrouw“ NLT, Strophe 47. 244 Etwa NLT, Strophe 318. 245 Etwa NLT, Strophe 320. 246 Etwa NLT, Strophe 321. 247 Der mittelhochdeutsche Begriff triuwe ist vielfältig. Er umfasst juristische Versprechungen im feuda- len Herrschaftsgefüge, die religiöse Beziehung zu Gott sowie verwandtschaftliche Verpflichtungen. 248 Siehe: Osterrieder (http://www.celtoslavica.de/bibliothek/nibelungelei.html [01.08.2019]).

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Besonders Hagen wird oftmals als der dargestellt, der bereit ist, „Ruf und Ehre zu opfern und Schande auf sich zu nehmen, so es denn vonnöten“249 sei, um seinen Vorgesetzten zu dienen. Hier wird allerdings ausgeklammert, dass mit dieser schein- bar selbstlosen Treue auch eine Steigerung seiner Reputation einhergeht: Er stilisiert sich als der bedingungslos loyale Held. Neben der Wertsteigerung im Leben darf man die mittelalterliche Verknüpfung von Diesseits und Jenseits nicht außer Acht lassen. Hagen ist – nach mittelalterlichen Vorstellungen – auch eine Belohnung im Jenseits gewiss. Im mittelhochdeutschen Werk tritt sogar der feige Gunther für Hagen – und gegen seine Frau Kriemhild – ein, als letzterer durch die Bahrprobe für schuldig be- funden wird.250 Anstatt dass sich hier Hagen selbst verteidigt, ergreift Gunther für ihn das Wort und bestreitet dessen Schuld. Der König tritt öffentlich für seinen Vasallen und gegen seine Schwester ein. Im NL ist somit das Treueverhältnis zwischen Vasall und Lehensherr höherrangig als jenes zwischen Verwandten – die Männersolidarität wird wichtiger bewertet als die Ehe.251 Auch bei der ‚Gegenseite‘, der Gefolgschaft Kriemhilds, zeigen sich ähnlich verwor- rene Treuesituationen. So ist Rüdiger von Bechelaren, dessen Tochter Giselher ver- sprochen wurde, zwischen beiden Konfliktparteien hin- und hergerissen. Einerseits steht er in der Lehenspflicht zu Kriemhild, andererseits will er nicht das Schwert ge- gen seine zukünftigen Verwandten erheben. Schlussendlich entschließt auch er sich für die Lehenstreue und gegen die Verwandtschaftstreue. Nichtsdestotrotz wird diese bedingungslose Form der Treue schlussendlich im NL hinterfragt, da sie im Massensterben endet. Beim ‚Finale‘ in Etzels Halle scheint das Ideal Treue generell einer Todeserotik zu weichen:

249 Münkler und Storch, S. 121. 250 „Daz ist ein michel wunder, vil dicke ez noch geschiht: | swâ man den mortmeilen bî dem tôten siht, | sô bluotent im di wunden, als ouch dâ geschach. | dâ von man di schulde dâ ze Hagene gesach. | Di wunden vluzzen sêre, alsam si tâten ê. | di ê dâ sêre klageten, des wart nu michel mê. | dô sprach der künic Gunther: ‚ich wilz iuch wizzen lân. | in sluogen schâchære. Hagen hât es niht getân.‘“ NLT, Stro- phe 1041f. 251 Besonders zeigt sich das in der Szene, als die Burgunder geschlossen für Hagen und gegen Kriemhild auftreten: „Nune welle got von himele“, sprach dô Gêrnôt, | „ob unser tûsent wæren, wir lægen alle tôt, | der sippen dîner mâge, ê wir dir einen man | gæben hi ze gîsel. ez wird et nimmer getân.“ | „Wir müesen doch ersterben“, sprach dô Gîselher. | „uns scheidet niemen von ritterlicher wer. | swer gerne mit uns vehte, wir sîn et aber hie, | wande ich deheinen mînen friunt an den triuwen ni verlie.“ | Dô sprach der küene Dancwart, im zæme niht ze dagene: | „jâne stêt niht eine mîn bruoder Hagene. | di hi den vride versprechent, ez mac in werden leit. | des bringe ich iuch wol innen, daz sî iu wærlich geseit.“ (NLT, Strophe 2102-2104)

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Vertrauensseligkeit und Arroganz haben die Burgunden in diese verzweifelte Lage gebracht; sie hätten nur Kriemhilds Einladung an den Hunnenhof ablehnen und am Rhein bleiben müs- sen. All das kommt in dieser Nacht jedoch nicht zur Sprache. Es geht um Todesmut als ästhe- tisierte Form der Hingabe an ein als unabwendbar stilisiertes Schicksal. Todeserotik und Schicksalsbejahung waren von jeher probate Mittel, um die Kampfbereitschaft von Soldaten zu steigern und sie dann weiterkämpfen zu lassen, wenn die Niederlage feststand und alles für die Kapitulation sprach. Und so hat jener Teil des Liedes, der von Kampf und Sterben der Burgunden handelt, immer wieder der Einstimmung auf die letzte Schlacht gedient.252

Dies erinnert an die Schlacht von Stalingrad. Als es keine Aussicht auf einen positi- ven Kriegsverlauf für die deutschen Truppen mehr gab, hieß die Parole: Sieg oder Tod.253 Somit wich die soldatische Loyalität auch real zunehmend – unter dem Schlagwort Nibelungentreue254 – einer Todeserotik. Schlussendlich ist festzuhalten, dass die Charaktere zumeist egoistisch han- deln und das Ideal ‚Treue‘ nur als scheinbarer Grund für ihre Handlungen vorge- schoben wird. So geht es Gunther und Hagen vordergründig um ihr eigenes Anse- hen bzw. um die Erfüllung ihrer Ziele, wenn sie Kriemhild hintergehen, anstatt dem hochbewerteten Ideal der gegenseitigen Treue zu entsprechen. Kriemhild wiederum führt die Treue zu ihrem verstorbenen Ehemann Siegfried als Begründung für ihre Taten an. Allerdings steht sie ganz im Zeichen der Rache und vernachlässigt etwa ihre Schwiegereltern255, ihre Kinder256 etc. und nutzt Etzel für ihre Pläne aus.

4.4 Religionen als Spannungsfelder Auch das Hinzufügen christlicher Vorstellungen zu einem vorchristlichen Stoffkreis führt zu Problemen. Die Handlung ist von einer spannungsreichen Koexistenz von

252 Münkler, S. 79. 253 Vgl. Münkler, S. 106. 254 Der Begriff wurde vom Reichskanzler des Deutschen Kaiserreiches Bernhard Fürst von Bülow im März 1909 erstmals gebraucht. Vgl. Münkler, S. 81. Bülow verglich die Verbundenheit von Hagen mit den Burgundern mit der Bündnistreue zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Kaiserreich. Dieser Zusammenhalt war eine Reaktion auf das zunehmend schlechtere Verhältnis zu Frankreich und Großbritannien. Die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten bezogen sich mit dem Begriff hauptsächlich auf die individuelle Treue zu den Vorgesetzten. Dies spiegelt sich etwa im Wahlspruch der SS Meine Ehre heißt Treue wider. 255 NLT, Strophe 1081-1091. 256 NLT, Strophe 1087 und 1958.

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heidnischen257 und christlichen Elementen geprägt. Das Christentum scheint zwar auf den ersten Blick einen entscheidenden Anteil am NL zu haben. Gerade die Sze- ne, in der Brünhild und Kriemhild sich um den Vortritt in das Münster streiten, ist ein Höhepunkt der Handlung. Daneben werden auch andere Kirchen erwähnt258 und bei der Reise zu Etzels Hof entgeht nur der Kaplan des Königs dem Tod259. Allerdings spielt das Christentum keine wirklich entscheidende Rolle für die Handlung. Die christlichen Elemente sind austausch- bzw. weglassbar. Auch „fehlt die Idee eines allmächtigen Gottes, der aus Willkür oder Gnade alles, was er festlegt und verkündet hat, auch wieder verändern kann.“260 Die Figuren des Liedes marschieren geradlinig Richtung Untergang, keine göttliche Intervention wie etwa beim zeitgenössischen Werk Hartmanns von Aue Der arme Heinrich geschieht. Gott261 oder der Teufel262 werden an Stellen erwähnt, die auch ohne deren Nennung auskommen würden. Die- se Umstände deuten darauf hin, dass die christlichen Elemente erst nachträglich hin- zugefügt wurden:

Die Forschung hat sich eingehend mit der Rolle des Christentums im NL befasst. Bei aller graduellen Differenziertheit der Positionen besteht doch weitgehende Übereinstimmung darin, dass die häufige Erwähnung von Gottesdienst, Glockengeläut, Messe und Gebet eine äußer- liche Textfärbung ist, die auf die Handlung keine Tiefenwirkung hat, wohl aber auf eine höfisch gebildete Hörer- und Leserschaft um 1200 Rücksicht nimmt.263

Historisch relevant ist, dass um das Jahr 1200 die weltlichen deutschsprachigen Tex- te die bisher vorherrschenden religiösen ablösten.264 Auch hatte das Christentum um 1200 noch nicht die gesellschaftliche Tragweite wie in den darauf folgenden Jahr- hunderten. Dennoch beschäftigt sich der Dichter im NL mit den zentralen christlichen

257 In dieser Arbeit wird mit „heidnisch“ die germanisch-nordische vorchristliche Mythologie bezeichnet. 258 Zum Beispiel ist der Kirchgang an Etzels Hof von tragender Bedeutung (Aventiure 31). Ähnlich wie beim Streit zwischen Brünhild und Kriemhild vor dem Burgunder Münster kommt es auch hier wieder zu Streitigkeiten, diesmal zwischen den Burgundern und den hunnischen Streitkräften. Vgl. NLT, Stro- phe 1846-1917. 259 NLT, Strophe 1573. 260 Münkler, S. 71. 261 NLT, Strophe 14. 262 Meist dient der Teufel als Schimpfwort, etwa nennt Gunther an einer Stelle seine Frau so. Vgl. NLT, Strophe 646. 263 NLK, S. 803. 264 Vgl. Schulze, S. 12.

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Motiven Nächstenliebe und Versöhnung. Deren Missachtung führt schlussendlich zur Handlungskatastrophe. Zum Teil wird dem Text „eine dualistische Grundstruktur von innen und außen, Angst und Heldenmut, Emotion und Repräsentation, von der, wie bei zwei Seiten einer Medaille, jeweils immer nur eine sichtbar wird“,265 zugespro- chen. Diese Lesart – Unterteilung in gut und böse – kann als christlich verstanden werden. Irmgard Gephart266 vergleicht das NL mit der christlich-mittelalterlichen Vor- stellung der Frau Welt267:

Eine wohlgestaltete Vorderseite von schönen Frauen und tapferen Helden, von Minneglück und Machtfülle verfügt über eine häßliche Kehrseite, auf der Zersetzung eines sozialen Kör- pers sichtbar wird.268

Während hier der Schwerpunkt auf die christlichen Elemente des Textes gelegt wird, arbeiten bzw. arbeiteten Rechtsextreme wiederum die heidnischen Elemente des Textes hervor.269 Auch

[d]ie nationalsozialistischen Ideologen schließlich wollten vom Christentum überhaupt nichts mehr wissen und verbanden ihren Rassenkult mit der Vorstellung, daß das Christentum an sich ›artfremd‹ und ›den Germanen aufgezwungen‹ war.270

Durch die nationale „Indienstnahme wurden dem Nibelungenlied genuin germanische Werte zugesprochen, die auch seine Helden auszeichneten.“271 Im Gegensatz dazu machte der Dichter die Ablösung der archaisch-heldenhaften Welt durch eine christ- lich-höfische Gesellschaftsform zum Grundthema. Während im 13. Jahrhundert die

265 Gephart, S. 22. 266 Gephart, S. 9. 267 Im Mittelalter war die Frau Welt ein beliebtes Motiv, heute ist sie noch an verschiedenen Kirchen (etwa am Wormser Dom) zu finden. Die dementsprechenden Darstellungen zeigen eine Frau, welche von vorne wunderschön und von hinten madenzerfressen dargestellt wurde. Damit soll daran erinnert werden, dass das Leben endlich und vergänglich ist. Nur das Jenseits sei unendlich. Vgl. Wolfgang Stammler: Frau Welt: eine mittelalterliche Allegorie. Freiburg in der Schweiz: Universitätsverlag 1959, S. 7-26. 268 Gephart, S. 9. 269 Vgl. Kapitel 5.2 (S. 65-71) und 5.3 (71-76). 270 Siehe: Osterrieder (http://www.celtoslavica.de/bibliothek/nibelungelei.html [01.08.2019]). Hier spie- len auch antisemitische Vorstellungen eine Rolle, schließlich ist das Christentum dem Judentum ent- sprungen und Jesus selbst war Jude. 271 Grimm, S. 212.

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christlichen Elemente des Textes in der Rezeption betont wurden, wurden seit dem 19. Jahrhundert die heidnischen Elemente hervorgehoben. Eine Rezeption erfolgt immer im Kontext ihrer Zeit. Um 1200 war das Christentum das Besondere272, wel- ches hervorsticht, heute ist es das ‚Germanische‘. Dieses Nebeneinander von heidnischer und christlicher Welt führt wiederum zu Spannungsmomenten. Siegfried und Brünhild (sowie mitunter auch Hagen273) sind Figuren einer heidnischen Welt, die mit ihrem Erscheinen den christlich gepräg- ten Wormser Hof stören. Obwohl Siegfried und Brünhild Königsgeschlechtern (und somit theoretisch der höfischen Welt) entstammen,274 entsprechen beide zunächst charakterlich hauptsächlich der archaisch-mythischen Welt. Das biologische Ge- schlecht und die Herkunft spielen in dieser keine Rolle, nur die Stärke und das Durchsetzungsvermögen. Im Gegensatz dazu präsentiert

[d]er Wormser Hof […] an seiner Oberfläche ein differenziertes Herrschaftsgefüge, das auf Erbfolge und Gefolgschaftstreue gegründet ist. Eine patriarchale Struktur kontrolliert die Krie- ger und die Frauen und stellt gleichzeitig einen Schutzraum zur Verfügung, in dem nicht- aggressiven Gefühlen wie Trauer, Freude und Liebe Raum gegeben wird. Nibelungische und isensteinsche Triebstrukturen aber wirken unter der Oberfläche fort und bedrohen latent die höfische Ordnung.275

Im Laufe der Handlung nehmen Siegfried und Brünhild vermehrt Elemente der höfi- schen Welt in sich auf, was schließlich zum Tod Siegfrieds und zur Bedeutungslosig- keit Brünhilds führt. Hagen ist von Beginn an schwer der höfischen oder der mythischen Welt zu- zuordnen. So gibt es etwa Theorien, die Siegfried und Hagen dem gleichen Geburts- ort entstammen lassen:

272 Die ‚äußere Christianisierung‘ war etwa um 1300 abgeschlossen. Dies galt aber vor allem – im Gegensatz zu heute, wo eine höhere Christianisierung im ländlichen Raum festzustellen ist – für Städ- te. In der Landbevölkerung hielten sich noch lange die Altreligionen, teilweise sogar bis über das Re- formzeitalter hinaus. Dies spiegelt sich auch im Erhalt von (ehemals heidnischen) Bräuchen am Land wider. Siehe dazu auch: https://www.leben-im-mittelalter.net/geschichte-des-mittelalters/fruehmittel alter/christianisierung.html [01.08.2019] 273 Mehr dazu auf S.47. 274 Darüber hinaus wird Siegfried und Brünhild zum Teil, wie etwa bei Richard Wagners Ring des Ni- belungen, eine göttliche Herkunft zugesprochen. Dort ist Brünhild die Tochter Wotans und Erdas, Siegfried ist Sohn der Zwillinge Sieglinde und Siegmund, welche Kinder Wotans sind. 275 Gephart, S. 77.

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Verschiedene Forscher halten es für denkbar, den Beinamen Hagens von Tronege von Troja Francorum, einer alten Bezeichnung für Xanten, abzuleiten oder mit Colonia Ulpia Traiana zu verbinden, einem Ortsnamen in der Nachbarschaft Xantens. Das hieße: Siegfried und Hagen stammten beide aus dem niederrheinischen Gebiet. Andere Versuche lokalisieren Tronje im Unterelsass, im Hunsrück in Frankreich.276

Äußerlich wird er gerne277 mit Augenklappe278 und Flügelhelm dargestellt, sein Er- scheinungsbild ist dadurch an Wotan angelehnt. Auch seine hellseherischen Fähig- keiten279 erinnern an den Göttervater. Durch diese Ähnlichkeiten wird Hagen (v. a. in Filmen)280 heidnisch konnotiert. Im Text zeigt er ein schwieriges Verhältnis zu Religi- osität. So wirft er etwa den Kaplan über Bord oder äußert sich abfällig über die Traumdeutung:

„Swer sich an troume wendet“, sprach dô Hagene, „der enweiz der rehten mære niht ze sagene, wenn ez im ze êren volleclichen stê. […]“281

Er hält die ritterliche Ehre und Traumdeutung für unvereinbar.282 Hagen ist somit zwar jemand, der Übernatürliches ablehnt und keine Achtung vorm Kaplan hat, den- noch weckt er an Etzels Hof die Burgunder zur Messe283 und führt zum letzten Gebet in die Kirche.284

276 NLK, S. 702. 277 Besonders in Verfilmungen wird Hagen gerne so dargestellt – etwa in Fritz Langs Die Nibelungen oder in Harald Reinls Die Nibelungen von 1966/67. 278 Hagen wird zum Beispiel im Waltharius (lateinische Heldendichtung des 10. Jahrhunderts, basiert auf der germanischen Walther-Sage) oder in der Thidrekssaga (altnordischer Sagenkomplex des 13. Jahrhunderts) als einäugig beschrieben. 279 Vgl. Hermann Reichert: Das Nibelungenlied. Text und Einführung. Nach der St. Galler Handschrift. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Berlin und Boston: de Gruyter 2017, S. 492. Hagen ist etwa der Einzige, der vor einer Reise zu Etzels Hof warnt: „[W]ir mügen immer sorge zuo Kriemhilde hân, | wand ich sluoc ze tôde ir man mit mîner hant. | wie getorste wir rîten in daz Etzeln lant?“ (NLT, Stro- phe 1456). Durch seine Alleinstellung erhält sein Auftritt eine größere Gewichtung. 280 Vgl. Fußnote 277. 281 NLT, Strophe 1507. 282 Vgl. NLK, S. 823 und NLT, Strophe 1507: „Swer sich an troume wendet“, sprach dô Hagene, | „der enweiz der rehten mære niht ze sagene, | wenn ez im ze êren volleclichen stê.“ 283 Vgl. NLT, Strophe 1847. 284 Vgl. NLT, Strophe 1849-1856 und Panzer, S. 460.

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Auch Kriemhild ist theologisch schwer einzuordnen. Einerseits handelt sie mit ihrem Fehlen von Mitgefühl und Vergebung alles andere als christlich. Andererseits wird an mehreren Textstellen ihr christliches Wesen dargelegt, etwa als sie über Siegfrieds Leichnam sagt:

„Drî tage und drî nahte will ich (in) lâzen stân, unz ich mich geniete mînes vil lieben man. waz ob daz got gebiutet, daz mich nimt ouch der tôt? sô wære wol verendet mîn armer Kriemhilde nôt.“285

Ferner bemängelt sie, „dass Etzel kein Christ ist, während die Könige diesen Unter- schied nicht ansprechen.“286 Nichtsdestotrotz wird Ortlieb, ihr gemeinsamer Sohn mit Etzel, getauft.287 Als Siegfried stirbt, möchte sie sich zunächst vom profanen Leben lösen und fortwährend ein sakrales führen. Schlussendlich obsiegt der Rachegedan- ke und sie entscheidet sich gegen eine christliche Vergebung. Zudem im religiösen Kontext bemerkenswert: Während Hagen nur ein „kleinez zeichen“288 auf Siegfrieds Gewand wünscht, bietet Kriemhild an, ein „tougenlichez kriuze“289 anzunähen. Die Symbolik, dass ein Kreuz schlussendlich dem mystisch-archaischen Siegfried den Tod bringt, scheint kein Zufall zu sein.

285 NLT, Strophe 1053. 286 NLK, S. 796. Vgl. auch Heinzle, S. 997. 287 Vgl. NLT, Strophe 1385. 288 NLT, Strophe 900. 289 NLT, Strophe 901.

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5 Konkrete Beispiele rechtsextremer Rezeptionen Wie zuvor erläutert,290 griff der unbekannte Autor des NLs die verschiedensten mündlich und schriftlich überlieferten literarischen Stoffe auf und fügte diese in sei- nen Text ein.291 So gesehen stehen rechtsextreme Rezeptionen des NLs in der Tra- dition des Stoffes, wenn sie ihrerseits das Werk adaptieren. Jeder Zugang zu einem Text ist inspirierend – diese Inspiration kann auch durch eine Negation der vom eige- nen Empfinden abweichenden Anschauungen geschehen. Die rechtsextremen Aus- einandersetzungen, die – fern von der etablierten Fachlektüre – dem gängigen bzw. persönlichen (demokratischen) Wertebewusstsein widersprechen, ermöglichen neue Zugänge zum Text. Wie in Kapitel 2292 erläutert, ist der Rechtsextremismus als sehr heterogen zu verstehen. Es gibt unterschiedlichste Herangehensweisen und Auslegungen, da die Autorinnen und Autoren aus den verschiedensten gesellschaftlichen Milieus stam- men. Ferner nimmt das Mittelalter – und dadurch auch das NL – bei den einzelnen rechtsextremen Gruppierungen eine unterschiedliche Rolle ein. Während das NL für manche Gruppierungen gänzlich irrelevant ist, ist es bei anderen ein beliebtes Be- zugswerk und identitätsstiftend. Hierbei festzustellen ist, dass eine intensivere Be- schäftigung mit dem NL eher bei solchen Gruppierungen üblich ist, deren Mitglieder über einen höheren Bildungsgrad verfügen. So ist das NL bei den jeweiligen rechts- extremen Ausformungen der Skinhead-293, Hooligan-, Kampfsport-294 und Hateco-

290 Siehe Kapitel 4.1, S. 30-35. 291 Vgl. Brunner, S. 200. 292 S. 6-12. 293 Skinheads sind nicht wie oft medial angegeben per se rechts. Gemeinsam sind allen Skinheads lediglich der geschorene Kopf und ein martialisches Erscheinungsbild (Springerstiefel, Bomberjacken, Tarnhosen u. a.). Politisch sind sie hingegen weit gefächert: links, linksradikal/-extrem (etwa die Red and Anarchist Skinheads (RASH) und die Skinheads Against Racial Prejudice (SHARP)), betont unpo- litisch (etwa Oi-Skins) und rechts, rechtsradikal/-extrem. Letztere werden oft als Boneheads bezeich- net, da sie sich den Kopf (anders als die meisten Skinheads, welche üblicherweise wenige Millimeter Haarlänge besitzen) in der Regel komplett abrasieren. 294 Eine populäre Veranstaltung der rechtsextremen Kampfsportszene ist der Kampf der Nibelungen. Hierbei handelt es sich um eine rechtsextreme Kampfsportveranstaltung. Der Bezug zum NL ist ei- gentlich nur der Name und die Verwendung des Lindenblattes im Logo. http://www.kampf-der-nibe lungen.com/ [01.08.2019] Der Name der Veranstaltung lässt darauf schließen, dass man sich bei der Veranstaltung auf Hermann Görings Stalingradrede bezog, da dieser auch die Worte Kampf der Nibe- lungen gebrauchte. Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=JCNeYTNh-KU [01.08.2019], Minute 04:30 und vgl. Pulle, S. 520. Mehr dazu in Kapitel 5.8, S. 97.

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re295-Szene nur eine Randerscheinung. Ähnlich verhält es sich im RAC296 bzw. Rechtsrock, obwohl die Liedtexte dieser Musikrichtungen üblicherweise ein breites inhaltliches Spektrum abdecken. Etwas intensiver ist die Beschäftigung mit dem NL in der Metalszene. So verwenden manche NSBM297-Musikerinnen und Musiker die Namen der Figuren als Pseudonyme298 oder als Bandnamen299. Grundlegendere Auseinandersetzungen mit dem NL gibt es bei Studentenverbindungen300, neuheid- nischen301, völkischen302 und rechtsesoterischen303 Gruppierungen, den Neuen Rechten304, Freien Kameradschaften305, rechtsextremen Netzwerken306 sowie bei Rechtsextremen, die einen starken Bezug zum NS-Regime aufweisen.

295 Darunter versteht man rechtsextremen Hardcore-Punk. 296 Rock Against – Darunter versteht man Rockmusik mit rechtsextremen Inhalten. 297 National Socialist Black Metal – Black Metal mit den Nationalsozialismus verherrlichenden Texten bzw. mit nationalsozialistisch (oder ähnlich) ausgerichteten Bandmitgliedern. Vgl. Justin Massa: Un- holy Alliance: Chapter 5: The National Socialist Black Metal Underground. In: Soundtracks to the White Revolution. White Supremacist Assaults on Youth Music Subcultures. Chicago: Center for New Community 1999, S. 47-64 (in weiterer Folge zitiert als: Massa) und Steffen Peise: Zwischen Satan, Odin und Hitler. Rechtsrock und NSBM als Weggefährten im braunen Sumpf. Berlin: epubli 2015, S. 63. In weiterer Folge zitiert als: Peise. Mehr zu NSBM in Kapitel 5.5, auf S. 88-90. 298 Zum Beispiel ist vom Frontmann der NSBM-Band Absurd eines der vielen Pseudonyme Hagen von Tronje. Vgl. Sven Pötsch: Rechtsextreme Musik. In: Handbuch Rechtsradikalismus: Personen – Orga- nisationen – Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft. Hrsg. von Thomas Grum- ke und Bernd Wagner. Opladen: Leske und Budrich 2002, S. 125. 299 Hier gibt es etwa die NSBM-Band Tronje. 300 Wobei es die unterschiedlichsten Studentenverbindungen gibt. Grob werden diese unterschieden in: christliche Studentenverbindungen, Corpsstudentenverbindungen, Sängerschaften, Landsmann- schaften und Burschenschaften. Hauptsächlich letztere weisen zum Teil rechtsextreme Tendenzen auf, obwohl es auch liberal-demokratisch ausgerichtete Burschenschaften gibt. Manche beziehen sich mit ihren Verbindungsnamen auf das NL, wie etwa die Burschenschaft Normannia-Nibelungen. V. a. Antifa-Kreise zeigen immer wieder Kontakte dieser Verbindung zum rechtsradikalen Spektrum auf. Vgl. https://autonomeantifabielefeld.wordpress.com/rechte-strukturen-owl/burschenschaft-normannia- nibelungen/ [01.08.2019] 301 Ähnlich wie Skinheads und Hooligans sind neuheidnische Gruppen keineswegs generell als rechtsextrem einzustufen. Allerdings: Während die Bewegung weltweit eher apolitisch ausgerichtet ist, ist im deutschen Sprachraum hingegen „der rechtsextreme Flügel stark ausgeprägt und greift oft subtil auf Traditionen zurück, die zur Etablierung des NS beitrugen oder im NS wirksam waren.“ Roman Schweidlenka und Eduard Gugenberger: Die braune Aura der Esoterik. Graz: LOGO 2011, S. 48. In weiterer Folge zitiert als: Schweidlenka und Gugenberger. 302 Unter völkisch werden zumeist deutschnationale, rassistische und antisemitische Ideen zusam- mengefasst. 303 Mehr dazu in Kapitel 5.3, S. 71-76. 304 Rechtsextreme, die versuchen, sich vom nationalsozialistischen Rechtsextremismus (den ‚alten‘ Rechten) abzugrenzen. 305 Darunter versteht man neonazistische Gruppierungen, welche individuell, aber vernetzt handeln. Im Auftreten und in den Organisationsstrukturen gibt es Ähnlichkeiten zur Antifa. 306 Diese sind ähnlich oder deckungsgleich zu den freien Kameradschaften, allerdings orientieren sie sich zumeist nicht an der linksextremen/-radikalen Szene.

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Die Auswahl der Beispiele beansprucht keine Vollständigkeit, es wird ein – versucht vielfältiger – Einblick in die Möglichkeiten einer rechtsextremen Rezeption des NLs gegeben. Die ausführlicher behandelten Beispiele sind:

- Fritz Stübers Die Nibelungen, ein sekundärliterarischer307 Zugang - Gerd Honsiks Die Nacht der Nibelungen, eine lyrische Auseinandersetzung - das Alldeutsche Jahrbuch, eine rechtsesoterische Zeitschrift - die Metapedia, eine Online-Enzyklopädie mit rechtsextremen Inhalten

Abgerundet wird diese umfangreichere Analyse durch die Untersuchung weiterer NL- Rezeptionen wie Kleidungsaufdrucke, Skulpturen, Musik etc. Ziel dieser Auswahl ist es, einen Einblick in die rechtsextreme NL-Rezeptionsmethodik zu gewährleisten.

5.1 Fritz Stüber – Die Nibelungendichtung Während diverse einschlägige Internetseiten – wie etwa die später behandelte Meta- pedia – eher junge Generationen bedienen, festigen ältere ihr rechtsextremes Ge- dankengut noch ‚klassisch‘ durch Bücher und Zeitschriften. Ein Beispiel für letztere ist die Eckartschrift308, welche von der Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM)309 herausgegeben wird. In der 63. Ausgabe widmete sich der Wiener Fritz Stüber310 ausführlich dem NL. Auf der Homepage der Österreichischen Landsmannschaft wird dieses Werk wie folgt angekündigt:

307 Siehe Fußnote 26. 308 Vorgänger der Eckartschrift waren der Eckartbote und davor Der getreue Eckart. Der Name Eckart- schrift ist zweideutig: So kann sich der Name einerseits auf den getreuen Eckart, eine Sagengestalt, mit welcher sich u. a. Johann Wolfgang von Goethe und literarisch auseinandersetzten, oder auf den NS-Lyriker Dietrich Eckart beziehen. Dietrich Eckart war Mentor Adolf Hitlers, Mitglied der Thule-Gesellschaft (Die Thule-Gesellschaft gründete die DAP (Deutsche Arbeiter Partei), welche schließlich in NSDAP umbenannt wurde. Die Gesellschaft wurde 1918 gegründet.) und starb 1923 an einer Verletzung, die er sich infolge des missglückten Hitlerputsches zugezogen hatte. Vgl. https://austria-forum.org/ af/AustriaWiki/Der_Eckart [01.08.2019] und Schweidlenka und Gugenberger, S. 15. 309 Nachfolger des 1938 aufgelösten Deutschen Schulvereins, welcher sich v. a. um deutschsprachige Volksgruppen außerhalb von deutschsprachigen Staaten bemühte. Vgl. http://www.oelm.at/deutscher- schulverein/ [01.08.2019] 310 Fritz Stüber (1903-1978) war ein österreichischer Jurist, Autor, Mitbegründer der politischen Partei- en VdU (Verband der Unabhängigen; die politische Vorgängerpartei der FPÖ), FSÖ (Freiheitliche Sammlung Österreichs, deutschnationale Partei) und DNAP (Demokratisch-nationale Arbeiterpartei, deutschnationale Partei) sowie Schriftsteller im NS-Regime. Vgl. Stüber, S. 86f.

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War noch vor einem Menschenalter die Nibelungensage ein Allgemeingut aller Deutschen, so weiß man heute gerade noch um die Existenz dieser Heldensage. Mit der Akribie eines Wissenschafters und dem Schwung des Dichters verfolgt Stüber die Entstehung des Deutschen Nationalepos, die geschichtlichen Hintergründe bis zu den Nachwirkungen auf geistig-kulturellem Gebiet.311

In diesem kurzen Absatz ist Folgendes impliziert: Einerseits wird der klassisch- konservative Standpunkt vertreten, dass ‚früher alles besser‘ gewesen wäre, ein Werteverfall wird suggeriert. Andererseits werden die Österreicherinnen und reicher als Deutsche verstanden, was schon ein deutschnationaler (und somit rechtsextremer) Standpunkt ist.312 Die bedeutende Wirkung des NLs und sein Status als deutsches Nationalepos werden hervorgehoben. In der Ausgabe selbst findet sich ebenso deutschnationales Gedankengut, mitunter werden auch subtile Bezüge zum NS-Regime hergestellt: Auf dem Deckblatt ist der berittene Siegfried abge- bildet. Hierbei handelt es sich um eine Fotografie, welche zur Zeit des NS-Regimes aufgenommen wurde: Die alte, eiserne Brücke in Linz, an der Stelle zwischen dem Neuen Rathaus und dem Hauptplatz, wurde kurz nach dem An- schluss Österreichs an das Deutsche Reich aufwändig Abbildung 1: Berittener Sieg- fried auf dem Cover der durch eine neue, größere und modernere ersetzt. Diese Eckartschrift Nr. 63 wurde Nibelungenbrücke313 benannt und es war geplant,

311 http://www.oelm.at/eckartschrift-63-die-nibelungendichtung/ [01.08.2019] 312 Der Text stammt von einem österreichischen Autor und wurde von einem österreichischen Verlag veröffentlicht. Außerdem war er (auf Grund des Verbreitungsgebietes) für eine vorwiegend österreichi- sche Leserschaft bestimmt. 313 „Die Namengebung ist aus mehreren Gründen deplatziert und zeugt von beträchtlichem literari- schem Unverstand. Erstens wird Linz im Nibelungenlied weder beim Zug der Burgunden/Nibelungen noch bei den anderen Fahrten zwischen Worms und Etzelsburg erwähnt. Zweitens haben die Nibe- lungen bereits im bayerischen Mehring über die Donau gesetzt, dort also, wo sie es als Fluss viel be- quemer erlaubt denn in Linz als Strom.“ Vgl. Andrea Essl: Nibelungenbrücke. Nachzulesen auf: https://stifterhaus.at/index.php?id=167&no_cache=1&tx_news_pi1%5Bnews%5D=2067&tx_news_pi1 %5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=7440798e4a427c33f38cbbc35 5be36d0 [01.08.2019]

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sie mit sechs Figuren314 aus dem NL zu schmücken. Allerdings kam es nie dazu, stattdessen wurden zu Ehren eines Besuches Adolf Hitlers zwei der sechs Figuren vorübergehend aus Gips angefertigt und aufgestellt: Kriemhild und Siegfried.315 Das Foto zeigt letztere Gipsfigur. Wie Stüber zu dem Foto gelangte, kann heute nicht mehr rekonstruiert werden. Es ist allerdings beachtlich, dass in einer Zeit316, in der es das Internet noch nicht gab,317 ein Foto angeschafft wurde, das eben genau diesen Gips-Siegfried zeigt, obwohl die Figur nur kurzzeitig ihren Platz auf der Linzer Nibe- lungenbrücke fand. Siegfried selbst wird ns-typisch318 muskelbepackt und mit nack- tem Oberkörper dargestellt, die Riemen des Pferdes sind mit Runen geschmückt.319 Weitere rechtsextreme Anspielungen finden sich im Vorwort320 der Ausgabe:

Zum Geleit Bernhard Fürst von Bülow hat in seiner Reichstagsrede vom 29. März 1909 das Schlagwort von der Nibelungentreue geprägt, die der unverbrüchlichen Bündnistreue zwischen dem Deut- schen Reich und der Doppelmonarchie der Habsburg Lothringer Ausdruck geben sollte. Diese Treue hat sich in den Tagen des Ersten Weltkrieges, aber auch darüber hinaus, ruhmvoll und notbannend bewährt. In unserer Zeit, die nach und nach das Bewußtsein für moralische Werte zu vernichten droht, ist auch die Nibelungensage, die früher alle Jugendlichen begeistert in sich aufgenommen haben, weitgehend aus dem Wissen und Gewissen der deutschen Nation verschwunden. Man will heute solche Werte nicht mehr wahr haben.321

Bereits in den eröffnenden zwei Sätzen wird das NL politisch vereinnahmt und auf die Nibelungentreue rekurriert. Anstatt auf das Verhängnis des Bündnisses der bei- den Monarchien Österreich-Ungarn und des Deutschen Kaiserreiches einzugehen, wird dieses Bündnis hochgelobt. Dabei fällt auf, dass die Bezeichnung Österreich- Ungarn vermieden wird, stattdessen verwendet Hampel die (umständliche) Um-

314 Geplant waren Reiterstandbilder von Siegfried, Kriemhild, Gunther, Brünhild, Hagen und Volker. Vgl. ebda. 315 Vgl. Pulle, S. 525 und Sandgruber, Roman: Hitlers „Kulturhauptstadt“. Nachzulesen auf: http://www.ooegeschichte.at/index.php?id=1416&print=1&no_cache=1 [01.08.2019] 316 Die Ausgabe stammt aus den 1970ern. 317 Somit war die Beschaffung einschlägiger Materialien deutlich schwieriger als heute. 318 Mehr zu nationalsozialistischer Kunst in: Pulle, S. 520-527. 319 Vgl. Pulle, S. 525. 320 Dieses wurde von Robert Hampel, einem Redakteur der Eckartschrift, verfasst. Vgl. Stüber, Vor- wort. 321 Stüber, S. 3.

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schreibung „Doppelmonarchie der Habsburg Lothringer“. Auch der Werteverfall und der Kulturverlust werden thematisiert. Beklagt wird außerdem, dass Jugendliche sich weniger für das NL zu interessieren scheinen. Aus heutiger Sicht stellt sich die Fra- ge, ob die Auslegung des NLs als ‚Treue bis in den Tod‘ die optimale Lesart322 für Jugendliche ist. Die Österreicherinnen und Österreicher werden abermals als Deut- sche klassifiziert, was wiederum ein deutschnationaler Zugang ist. Nach dem Vorwort wird der Nacherzählung des Inhaltes viel Platz eingeräumt, zudem wird auf die Bearbeitungen Wagners und Hebbels323 sowie auf den geschicht- lichen Kern des NLs eingegangen. Vor allem die – im Vergleich zum Prätext – ab- weichende Figurencharakterisierung fällt auf. In der Siegfried-Figur würden sich „we- sentliche Eigenschaften des Volkscharakters als Sehnsüchte und Wunschträume“324 widerspiegeln. Negative Aspekte dieser Figur werden ausgeklammert. Beispielswei- se wird die brutale Hochzeitsnachtszene, in der Siegfried Brünhild fast ermordet, wie folgt in zwei Sätzen abgehandelt:

Durch die Tarnkappe unsichtbar, zähmt er in der nächsten Nacht Brünhild in einem Ring- kampf, nimmt ihr als Siegespfand ihren Ring und ihren Gürtel weg, berührt sie aber nicht in körperlicher Liebe. Brünhild ergibt sich ihrem Gatten als dem vermeintlichen Sieger und ist nun nicht stärker als jede Frau.325

Die sexuelle Enthaltsamkeit, die im Prätext letztendlich nicht vollständig klar ist, wird festgeschrieben. Im NL wird die gleiche Szene wie folgt dargestellt:

Der kunic ez wol hôrte. er angestete umb den man. Sîfrit zurnte sêre. schamen er sich began.

322 Diese Lesart war lange Zeit zentral für die NL-Interpretation, etwa im NS-Regime, und schwingt heute noch bei diversen Interpretationen mit. Vgl. Kapitel 3.3, S. 21-26. 323 Über Friedrich Hebbels Werk schreibt Stüber: „Eine heroisch-pessimistische Deutung, dem urdeut- schen Wesen Hebbels selbst gemäß, bestätigt von der Philosophie Schopenhauers und, was das Wichtigste ist, im innersten Kern dem Germanentum eigen, wie es sich im Nibelungenlied unter dem ritterlich-höfischen Verputz gibt.“ Stüber, S. 63. Generell stilisieren Rechtsextreme gerne die Deut- schen als pessimistisch und beziehen sich (selektiv) auf Friedrich Nietzsche. Vgl. Roland Wagner: „Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten“. Ästhetiken, Ideologien und Lesarten von Konzeptionen des Übermenschlichen. Friedrich Nietzsche, , Sascha Schneider – das deut- sche Fin de siècle & darüber hinaus. Norderstedt: Books on Demand 2015, S. 339-347. In weiterer Folge zitiert als: Wagner. 324 Stüber, S. 19. 325 Stüber, S. 10.

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mit ungefüeger krefte sazt er sich wider. er versuochtez angestliche an vroun Brünhilde sider.

Den kunic ez dûhte lange, ê er si betwanc. si druct im sîne hende, daz ûz den nageln spranc daz bluot im von ir krefte. daz was dem helde leit. sît brâht er an ein lougen di vil hêrlichen meit

ir ungefüeges willen, des si ê dâ jach. der kunic iz allez hôrte, swi er niht ensprach. er dructes an daz bette, daz si vil lûte schrê. ir tâten sîne krefte harte grôzlichen wê.

Dô greif si hinz ir sîten, dâ si den borten vant, unt wolt in hân gebunden. dô wert ez sô sîn hant, daz ir diu lid erkrachten unt ouch al der lîp. des wart der strît gescheiden. dô wart si Guntheres wîp.326

Nichts bleibt in der Nacherzählung mehr von der unglaublichen Brutalität des mhd. Textes, der Furcht des lauschenden Gunther. Der Kampf auf Leben und Tod wird mit dem fast schon spielerischen Begriff „Ringkampf“ beschönigt, der gestohlene Gurt ist ein „Siegespfand“. Durch ihre Niederlage wird Brünhild „gezähmt“ und somit zur ‚normalen‘ (also dem Mann untergeordneten) Frau. Auch im Prätext werden die aufbegehrenden Frauen Brünhild und Kriemhild Opfer männlicher Intrigen. Sobald die Frauen sich gegen die Männer auflehnen, sind diese unerbittlich. Allerdings: Die Vielschichtigkeit und Stärke der weiblichen Figuren des Prätextes erhalten bei Stüber keine Beachtung. Frauen werden in seiner Nach- erzählung nur erwähnt, wenn es unabdingbar für die Handlung des NLs ist – diffe- renziert wird gar nicht. Es finden keine längeren Auseinandersetzungen mit der Per- son – wie bei Attila, Siegfried und Hagen – statt. Weiteres bezeichnendes Beispiel für die Geringschätzung der Frauenfiguren ist der Beginn der Nacherzählung mit Sieg- fried (anstatt wie im Prätext mit Kriemhild).327 Auffallend ist auch, dass nicht nur ausführlichere Beschäftigungen mit den Frauenfiguren fehlen, sondern auch manche männliche Figuren, wie etwa Gunther,

326 NLT, Strophe 671-674. 327 Vgl. Stüber, S. 8.

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ebenso wenig Beachtung in Fritz Stübers Rezeption finden. Es mag stimmen: Der König der Burgunder ist farblos, seine Herrschaft beruht auf der Unterstützung seiner Familienangehörigen328 und Ministerialen. Er bricht mehrmals seine Eide329 und ist charakterschwächer als sein Vasall Hagen. Zumal will er keine Verantwortung über- nehmen und versteckt sich bereitwillig hinter letzterem:

Dô sprach der kunic Gunther: „ich swuor ir einen eit, daz ich ir getæte nimmer mêre leit, und will es fürbaz hüeten; si ist diu swester mîn.“ dô sprach aber Hagene: „lât mich den schuldigen sîn.“330

Dennoch ist es auffällig, dass Stüber ihn gar nicht charakterisiert. Auch Kriemhilds andere Brüder werden ausgeklammert. Hagen hingegen wird von Fritz Stüber ausführlich behandelt. Er sei die „Kon- trastfigur Siegfrieds“.331 Demzufolge müsste er gegenüber dem strahlenden Held Siegfried negative Charaktereigenschaften und Erscheinungsmerkmale aufweisen, dies ist aber nicht der Fall:

Wesentlich ist vielmehr, daß sogar dieser Hagen, den das Nibelungenlied als groß, langbeinig und grauhaarig beschreibt, als die Kontrastfigur Siegfrieds doch eine Reihe positiver Eigen- schaften besitzt: Mut und Vasallentreue, Wachsamkeit für das Reich, das Volksganze, Stand- haftigkeit im Unglück.332

Hagen wird in der Nibelungendichtung durchwegs positiv bewertet. Zwar wird die Figur zumal als „finster“333 beschrieben, diese und ähnliche Zuschreibungen muten aber im jeweiligen Zusammenhang (etwa: „ein so schwertgewaltiger wie finsterer ers- ter Paladin des Reiches“334) nicht negativ an.

328 Neben seinen Geschwistern ist er auch mit Hagen, Dankwart und Ortwin verwandt. 329 Wie etwa an seiner Schwester Kriemhild. Vgl. NLT, Strophe 1128f. 330 NLT, Strophe 1128. 331 Stüber, S. 32. 332 Stüber, S. 32. 333 Stüber, S. 8. 334 Stüber, S. 8.

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Im Gegensatz dazu zeigt sich im Prätext wiederum eine Ambivalenz. Hagens äußer- liche Merkmale werden einerseits positiv präsentiert:

Der helt was wol gewahsen, daz ist alwâr. grôz was er zen brusten, gemischet was sîn hâr mit einer grîsen varwe. diu bein wârn im lanc und eislich sîn gesihene. er hete hêrlichen ganc.335

Andererseits wird sein Erscheinen mitunter als furchteinflößend wahrgenommen, et- wa in der Szene, als ein Untergebener Brünhilds der Königin die Neuankömmlinge in Isenstein beschreibt:

Der dritte der gesellen, der ist sô griulich, unt doch mit schœnem lîbe, kuneginne rîch, von swinden sînen blicken, der er sô vil getuot. er ist in sînen sinnen, ich wæne, grimme gemuot.336

Als die Burgunder in Bechelaren eintreffen, fällt seine Darstellung ähnlich aus:

Diu edele margrâvinne kuste di künige alle drî. alsam tet ir muoter. dâ stuont ouch Hagen bî. ir vater hiez in küssen. dô blicte si in an. er dûhte si sô vorhtlich, daz siz vil gerne hete lân.337

Auch sein Charakter wird im Prätext unterschiedlich beschrieben. Neben den bereits dargelegten positiven und negativen Charakterseiten338 zeigt sich an einer Stelle auch eine ängstliche ‚unmännliche‘ Seite Hagens:

Si ritten tegeliche spâte unt vruo der Brünhilde bürge scharhaft zuo. „jârâ jâ“, sprach Hagene, „waz haben wir getân? wir erbeiten hie vil übele der schœnen Brünhilde man,

335 NLT, Strophe 1731. 336 NLT, Strophe 411. 337 NLT, Strophe 1662. 338 Siehe Kapitel 4.2, Seite 39f.

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sô si nu mit ir krefte koment in daz lant. der kuneginne wille ist uns unbekant. waz, ob si alsô zurnet, daz wir sîn verlorn? sô ist uns diu magt edele ze grôzen sorgen geborn.“339

Offen bleibt hier, ob Hagen sich ernsthaft um das Empfinden Brünhilds kümmert, ob er Angst vor ihrer Rache hat oder ob er mit dieser Aussage eine List im Schilde führt. Generell zeigt sich: Dominanten Frauen gegenüber ist er negativ eingestellt. So ist er der frühen, angepassten Kriemhild wohlgesonnen, erst als diese aufbegehrt, wird er ihr unerbittlicher Gegner. Ebenso tritt er zu Beginn des NLs eher ablehnend gegen- über Brünhild auf.340 In dem Moment, als diese seine Königin (und von Siegfried un- terworfen) wird, dient er ihr bedingungslos. Die Nibelungendichtung stilisiert Hagen zum ‚guten‘ Opfer:

In einer Zeit wie der unseren, in der die Herabsetzung, Verächtlichmachung und Verhöhnung deutscher Wertvorstellungen üblich geworden ist, konnte es nicht ausbleiben, daß auch das Nibelungenlied von dem an unserem Volkscharakter geübten Tadel nicht wenig abbekommen hat. Man sieht in seiner ‚kampflüsternen Wildheit‘ mit der ‚Verherrlichung von Verrat, Mord und Totschlag‘ schon den frühen Beweis für alle unsere angeblichen nationalen Untugenden. Das Schwergewicht liegt dabei auf der Gestalt Hagens.341

Zusätzlich wird einerseits zwar ein mangelndes öffentliches Interesse am NL beklagt, andererseits wird aber eine herabwürdigende Wertung von eben dieser Öffentlichkeit angenommen. Das NL beinhalte ‚typisch deutsche Werte‘ und werde aus diesem Grund abgelehnt. Während Hagen durch Stüber eine positive Bewertung widerfährt, wird Etzel gänzlich negativ charakterisiert. Es wird zum Beispiel seine Naivität gegenüber Kriemhild belächelt342 sowie seine brutale Charakterseite betont.343 Wie bereits bei Hagen vereinfacht Stüber die Etzel-Figur:

339 NLT, Strophe 475f. 340 Vgl. NLT, Strophe 404 und 445. In den Strophen 436 und 448 nennt er sie sogar die Frau des Teu- fels. Auch Kriemhild nennt er Teufelin. Vgl. NLT, Strophe 2368. 341 Stüber, S. 31. 342 Vgl. Stüber, S. 46. 343 Vgl. Stüber, S. 28f.

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Aber auch das Bild des Etzel im Nibelungenlied als das eines milden und gerechten Herr- schers, der den bei ihm Schutz suchenden Germanenfürsten (Dietrich von Bern) großzügig Zuflucht und Hilfe gewährte, entspricht in keiner Weise dem blutrünstigen, grausamen ge- schichtlichen Attila.344

Allerdings wurde am Hof des geschichtlichen Attila Hunnisch, Gotisch und Latein ge- sprochen.345 Darüber hinaus orientierte er sich am römischen Herrschaftswesen, sei- ne Vertrauensleute waren hunnischer, germanischer und römischer Herkunft.346 Es gibt auch Forschungsansichten, welche davon ausgehen, dass ‚Hunnen‘ überhaupt eine übergeordnete Bezeichnung für eine heterogene Gruppe ist und verschiedene Volksgruppen inkludiert.347 Zudem gewährten der historische Attila wie auch der lite- rarische Etzel Vertriebenen (etwa Dietrich von Bern) Unterschlupf.348 Auch die Dul- dung verschiedenster Konfessionen ist über die Jahrhunderte nicht ungewöhnlich für das Steppenvolk (was zudem eine generelle fernöstliche Charakteristik zu sein scheint und dem westlichen Religionsverständnis grundlegend widerspricht).349 Diese Praxis der Toleranz und der Anpassung ermöglichte es der hunnischen Armee erst, bis nach Frankreich vorzudringen.350 Trotz seiner negativen Bewertung wird der Etzel-Figur bei Stüber viel Platz eingeräumt, im Prätext spielt diese hingegen eine untergeordnete Rolle. In Etzels Vereinfachung (bzw. generell in der Vereinfachung komplexer politischer Gegeben-

344 Stüber, S. 28. 345 Diese Erfahrung machte der antike oströmische Historiker Priscus (bzw. Priskos), der zu Attilas Hof reiste. Neben diesen drei (Haupt-)Sprachen konnte er auch andere vernehmen, so etwa Griechisch und diverse östliche Sprachen. Vgl. Rosen, S. 33. 346 Vgl. Rosen, S. 99f. 347 Vgl. Timo Stickler: Die Hunnen. München: Beck 2007, S. 24f. 348 Vgl. NLT, Strophe 1332 und vgl. Müller, S. 21. 349 Bei den mongolischen Streitkräften war es etwa üblich, die Religionen der im Kampf eroberten Gebiete zu übernehmen. Bestes Beispiel für die mongolische religiöse Toleranz ist die Übernahme des tibetischen Buddhismus, wobei generell lange ein Näheverhältnis zwischen Tibet und der Mongo- lei bestand, nicht nur auf Grund der Bedrohung durch China. Die tibetische Bevölkerung galt als religi- ös wegweisend für die mongolische, diese wiederum als wichtige militärische Verbündete für die tibe- tische. Im Süd-Westen übernahmen die mongolischen Streitkräfte den Islam, in Europa das Christen- tum. Vgl. Karénina Kollmar-Paulenz: Religiöser Pluralismus im mongolischen Weltreich: Die Religi- onspolitik der Mongolenherrscher. In: Religiöser Pluralismus. Empirische Studien und analytische Perspektiven. Hrsg. von Martin Baumann, Samuel Behloul. Bielefeld: Transcript 2005, S. 69-92. China wiederum zeichnet sich heutzutage durch die Einheit der Drei Lehren aus, also ein synkretistisch- symbiotisches Nebeneinander von Daoismus (bzw. Taoismus), Konfuzianismus und Buddhismus. 350 Wendepunkt war hier die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (vermutlich in der Nähe von Troyes). Vgl. Müller, S. 20.

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heiten zu einer dualistischen Auslegung) zeigt sich eine gängige rechtsextreme Pra- xis: die Schaffung von Gegenpolen.

Im Unterschied zum Epos, das die gegeneinander kämpfenden Helden in eine gemeinsame Wertordnung integriert und dem tapferen Feind niemals die Hochachtung versagt, ist der poli- tische Mythos auf Dualisierung von Freund und Feind hin angelegt: Er trennt, spaltet ab und gibt den Feind zur Tötung frei, indem er ihn entweder als eine heimtückische, lebensbedrohli- che Gefahr stilisiert oder als häßlich und böse darstellt.351

Allerdings: Obwohl Stüber Etzel sehr negativ bewertet, ist es interessant, dass er nicht auf die negativen Beschreibungen seiner Gefolgsleute im Prätext eingeht. Das mittelalterliche Epos würde genügend Anknüpfungspunkte bieten. Die hunnischen Gefolgsleute werden dort zumeist als undefinierbare – und durchwegs unterlegene – Masse dargestellt. Zudem werden diese mit tierischen Attributen versehen.352 Die Ritter der Burgunder sind ihren hunnischen Gegenstücken im Prätext keineswegs gleichgestellt, es gibt keine herausragenden Heldinnen oder Helden unter letzteren. Nur die christlichen Helden in Etzels Heer treten hervor und sind den Burgundern (nahezu) ebenbürtig. Volker verspottet die hunnischen Streitkräfte mehrmals, wie etwa in der 30. Aventiure:

Volkêr der küene zuo den Hiunen sprach: „wi geturret ir den recken für di füeze gân? unde welt irs iuch niht mîden, sô wirt iu leide getân.353

Sô slah ich etelichem sô swæren gîgenslac, hât er getriuwer iemen, der ez beweinen mac. wan wîchet ir uns recken! Jâ dunket et mich guot. ez heizent allez degene unde sint gelîche niht gemuot.“354

351 Münkler und Storch, S.119. 352 „Alsam tier diu wilden wurden gekapfet an | di übermüeten helde von den Hiunen man.“ NLT, Stro- phe 1759. Hier finden sich Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme: Die abwertenden Tiervergleiche erinnern an die Sprache der NSDAP, in der Feindbilder des Regimes u. a. als Parasiten und Ungezie- fer bezeichnet wurden. Diese und sonstige Tiervergleiche werden zum Teil im heutigen Rechtsextre- mismus übernommen. Vgl. Albert Scherr, Barbara Schäuble: „Ich habe nichts gegen Juden, aber …“ Ausgangsbedingungen und Perspektiven gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit gegen Antisemitimus. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung 2007, S. 13. 353 NLT, Strophe 1817. 354 NLT, Strophe 1818.

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An einer anderen Stelle durchschaut er den Plan der hunnischen Streitkräfte355, dass sie die Burgunder nächtlich überfallen wollten, und verhöhnt diese daraufhin:

Zehant dô rief in Volkêr hin entgegene: „wi gêt ir sus gewâffent, ir snellen degene? welt ir schâchen rîten, ir Kriemhilde man, dar sult ir mich ze helfe unde mîne hergesellen hân.“356

Allerdings fallen die Beschreibungen ‚fremder‘ Völker im Prätext nicht durchwegs ne- gativ aus. Etzel wird positiv konnotiert, die feinsten Stoffe und Edelsteine werden aus Arraz357, Lybîân358, Marroc359 usw. angeschafft.360 Nicht nur bei den Figuren zeichnet sich Stübers Text durch Tilgungen und Er- weiterungen aus. So wird etwa der Kampf gegen die Bayern komplett ausgespart. Zudem wird den geografischen Zusammenhängen übermäßig viel Text eingeräumt: Obwohl für die Nacherzählung nur knapp zehn Seiten verwendet werden, widmet sich Stüber in dieser ausführlich der Überlegung, ob es sich bei dem Wald, in dem Siegfried schließlich getötet wird, um den Wasgen-361 oder den Odenwald handelt. Ferner setzt er sich sehr präzise mit der Überlieferungssituation auseinander und führt auch Fakten an, welche zumeist in – auch umfangreicher ausgelegten – wissenschaftlichen Untersuchungen ausgespart werden:

355 NLT, Strophe 1842. 356 NLT, Strophe 1843. 357 NLT, Strophe 1822: „Vil manigen kolter spæhe von Arraz man dâ sach | der vil liehten pfellel und manec bettedach | von arâbischen sîden, di beste mohten sîn. | Dar ûffe lâgen lîsten, di gâben hêrli- chen schîn.“ 358 NLT, Strophe 362. 359 NLT, Strophe 362. 360 Vgl. Panzer, S. 462. 361 Bei Wasgenwald handelt es sich um eine alte Bezeichnung für den Wasgau und die Vogesen. Die- se zwei Mittelgebirgslandschaften waren bis 1919 wegen ihrer Lage in Elsass-Lothringen Teil des Deutschen Kaiserreiches. Während dieser Zeit wurde versucht, den Begriff der deutschen Seite Was- gau und den Begriff der französischen Seite Vogesen unter dem Begriff Wasgenwald zusammenzu- fassen, um sich einerseits vom romanisch-lateinischen Begriff zu distanzieren und andererseits eine deutsche Zugehörigkeit des gesamten Waldes zu propagieren. Vgl. Bernhard Maier: Die Kelten. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck 2000. Notiz am Rande: Ebenso fand in der Heldendichtung Waltharius in dieser Gegend – genauer auf der Burg Wasigenstein – auch der Kampf Hagens und Gunthers gegen Walther statt. Vgl. http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de/ 03_beitrag/bender/wasigen.html [01.08.2019]

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Nur ein einziger deutscher Gelehrter, der Österreicher Wolfgang Lazius, hat es gekannt und einige Strophen daraus in seiner ‚Geschichte der Völkerwanderung‘ wiedergegeben.362

Größere Beachtung bei Stüber finden auch die Thidrekssaga sowie die Edda und es wird vierseitig auf die Bearbeitung Wagners Bezug genommen. Dennoch fällt das Fazit zum NL-Stoffkreis wie folgt aus:

Der germanische Norden ging all diesen Schwierigkeiten [der Verbindung des Siegfried- Brünhild-Stoffes und des Burgunden-Unterganges] aus dem Wege. Er ließ die Siegfried- und die Brunhild- (dort Gudrun-)Sage getrennt fortbestehen und machte nie einen Versuch, sie miteinander zu verbinden. Allerdings brachte er dadurch auch nicht die dichterische Gestal- tungskraft z u m N i b e l u n g e n l i e d [sic] auf. Dieses Epos ist ausschließlich eine deut- sche Leistung.363

So wird mit „germanischer Norden“ einerseits eine freundschaftliche Brücke zu Skandinavien geschlagen, andererseits aber die literarische Überlegenheit der ‚südli- cheren Germanen‘, der Deutschen, suggeriert. Auch der geschichtliche Kern wird ausführlich behandelt. Fritz Stüber sieht ihn

ganz zweifellos in den aufwühlenden Ereignissen der Völkerwanderungszeit […]. In ihr vollzo- gen sich schon die Geburtswehen der deutschen Volkwerdung. Davon gibt das Nibelungen- lied unter dem Filter vieler Jahrhunderte Kunde. Und es ist kein Beweis gegen diese Feststel- lung, sondern viel eher eine Bestätigung für sie, daß das so vielschichtige Nibelungenlied so vielerlei Deutungsmöglichkeiten anbietet. Denn diese ergeben sich aus dem Symbolcharakter unserer deutschen Geschichte selbst.364

Obwohl Stüber die vielen Deutungsmöglichkeiten des NLs anerkennt, geht er in kei- ner Weise auf diese ein und hat einen politisch-ideologischen Zugang zum Text. Zu- dem ist ihm die Bewertung des NLs als Nationalepos wichtig:

362 Stüber, S. 55. 363 Stüber, S. 26. 364 Stüber, S. 37.

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Neuen Auftrieb bekamen diese Bestrebungen durch den vaterländischen Geist der Befrei- ungskriege gegen Napoleon. Jetzt erst wurde das Nibelungenlied wirklich im Range des deut- schen Nationalepos schlechthin bestätigt.365

Auch bei seiner Glorifizierung des Mittelalters zeigt sich ein Aspekt366 des politischen Mythos:

Das Nibelungenlied ist Zeugnis für eine ritterlich-höfische Seelenhaltung voll unbändigem Stolz. An dem Stolz der Großen haben auch noch die Nebenfiguren ihren gemessenen Anteil gleichsam wie von einem Zentralgestirn beleuchtete kleinere Himmelstrabanten. Dem Stolz der adeligen Seele entspricht die stolze Form.367

Interessanterweise geht Fritz Stüber aber wie zuvor beschrieben eben nicht auf alle „Großen“ ein. Weiters betont er die heidnischen Elemente des NLs und marginalisiert die christlichen:

[Der Dichter des NLs] hat sich sogar sehr darum bemüht, den Sagenkreis der germanischen Mythe [sic] und der alten Heldensagen auf christliche Glaubensvorstellungen abzustimmen und für diese annehmbar zu machen. Er läßt die Könige zu Worms zur Messe gehen, erläßt den Gottesdiener, den Hofkaplan am Königshof zu Worms, als einzigen die Katastrophe über- leben. Und trotzdem hatte Goethe recht, wenn er das Nibelungenlied ‚durch und durch heid- nisch‘ nannte. Denn dessen Figuren sind, auch wenn sie im christlichen Kleide einhergehen, in ihrer elementaren, von keinerlei Rücksicht auf ein Jenseits behinderten, Lebenskraft unver- ändert die Gestalten der alten Heldensage und Sippen- und Mannestreue sind die Leitsätze des Handelns.368

Wie in den Kapiteln 4.3 und 4.4 dargelegt, legen die Figuren – etwa Hagen und Wolfhart – sehr wohl auf das Jenseits wert, zudem ist Kriemhild Christin. Obwohl Stüber bei seiner Beschäftigung mit dem NL in der Regel höchstmög- liche wissenschaftliche Seriosität anstrebt, werden auch esoterische Ansichten369 angeschnitten. So wird etwa der Mord Siegfrieds wie folgt kommentiert:

365 Stüber, S. 58. 366 Vgl. Münkler und Storch, S. 9-35. 367 Stüber, S. 48. 368 Stüber, S. 51. 369 Wird auch Rechtesoterik bzw. braune Esoterik genannt. Mehr dazu in Schweidlenka und Gugen- berger, S. 19-33.

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Die heutige Seelenforschung weiß, daß mit der Aufbäumung des letzten Lebenswillens in der Sterbestunde geheimnisvolle Kräfte frei werden. Vom Ertrinken Gerettete erzählen, daß sie in den wenigen Sekunden, die sie noch vom Tode getrennt waren, ihr ganzes Leben im Geiste an sich vorüberziehen sahen und daß ihnen dabei Zusammenhänge klar wurden, an die sie bei wachem Verstande niemals gedacht hätten. Auch telekinetische Wirkungen sind bekannt: Uhren blieben in der Sterbestunde ihrer Besitzer plötzlich stehen, Gegenstände fielen von der Wand herab und dergleichen mehr. Das alles hat mit Aberglauben nichts zu tun, die Tatsa- chen stehen einwandfrei fest, nur ihre Deutung ist noch ungewiß.370

Viele Elemente des rechtsextremen politischen Mythos (heidnische Vorstellungen, Esoterik, Glorifizierung des Mittelalters, historische und politisch-ideologische Zugän- ge zum Text etc.) finden sich bei Stübers Darstellung. Schlussendlich wird dieses Weltbild durch die Vorstellung des ‚typisch pessimistischen Wesens der Deutschen‘ abgerundet:

Das Nibelungenlied ist Ausdruck eines heroischen Pessimismus. […] Es ist jener heroische Pessimismus, der sich durch die deutsche Geistesgeschichte heraufverfolgen läßt bis zu Schopenhauer und Nietzsche. Und wenn sich unser unbekannter Spielmann, der das Nibe- lungenlied gedichtet hat, auch sicherlich erkenntnistheoretisch darüber keine Gedanken ge- macht haben wird, so hat er doch seine ganze Dichtung aus einem Herzwissen um die Nich- tigkeit alles Seins und Werdens gestaltet, das zum Wesen der Deutschheit gehört.371

Fazit: Zusammenfassend gibt es bei Fritz Stübers sekundärliterarischer Bearbeitung des NLs folgende Merkmale: deutschnationales Weltbild, Vernachlässigung der Frauenfiguren und unpassender männlicher Charaktere sowie Uminterpretation an- derer Figuren, Betonung des geschichtlichen Kontextes, Schwerpunktsetzung auf Rezeptionen des 19. Jahrhunderts, Interpretation des NLs als ‚typisch deutsch‘ und subtile Verknüpfungen zum nationalsozialistischen Deutschland.

370 Stüber, S. 45. 371 Stüber, S. 52.

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5.2 Gerd Honsik – Die Nacht der Nibelungen Im Gegensatz zu Fritz Stüber, der sich in einer nichtfiktionalen Abhandlung dem NL widmete, verfasste Gerd Honsik372 – ebenfalls Wiener – ein Epos, bestehend aus 27 Balladen. Obwohl das Buch des verurteilten Holocaustleugners373 nicht problemlos öffentlich zugänglich ist,374 fallen bei einer oberflächlichen Betrachtung des Textes zunächst keine rechtlich bedenklichen Besonderheiten auf. Im lockeren Stil, also in Strophen unterteilt und unter der sporadischen Verwendung von Endreimen, wird das NL nacherzählt. Honsik legt dabei sehr viel Wert auf die Beschreibung einer ‚heilen Welt‘, so auch bei der Wormser Landschaft:

Aus hoher Türme Fenster konnten schauen die edlen Frauen weit hinein ins Land: Da lag das reiche Worms mit stolzem Münster, von Auen eingesäumt, rastlos der Rhein! Und rings die Hügel, reich an dunklen Wäldern, noch unversehrt von frevlerischer Hand, so daß noch Eichen, Buchen und der dunkle Tann sich brüderlich geteilt die heilen Böden und in des Urwalds endlos reichen Öden sich Sau und Bär noch mästen konnten an aus Eicheln mühelos den Winterspeck und Isegrim und Luchs noch nicht verbannt aus Gefild, das ihnen angestammt.375

Auch später wird wiederholt auf die idyllische Fauna und Flora eingegangen. So werden immer wieder heimische Wildtiere, wie etwa der Wisent376, oder ‚typisch

372 Gerd Honsik (1941-2018) war ein strafrechtlich verurteilter Holocaustleugner und Neonazi. Vgl. https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Gerd_Honsik [01.08.2019] 373 Vgl. Wilhelm Lasek: Funktionäre, Aktivisten und Ideologen der rechtsextremen Szene in Öster- reich. Nachzulesen auf: https://www.doew.at/cms/download/b3c9m/lasek_funktionaere_2015-2.pdf [01.08.2019] S. 44f, 48 und 50. In weiterer Folge zitiert als: Lasek. 374 Immerhin handelte es sich bei Honsik um einen verurteilten Neonazi, welcher aus dem Exil veröffentlichte. Buchhändlerinnen und -händler liefern nicht nach Österreich, seine Bücher sind eingeschränkt in Bibliotheken einzusehen. 375 Honsik, S. 13f. 376 Vgl. Honsik, S. 106.

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deutsche‘ Hunde, wie die Deutsche Dogge377 oder die Bracke378, erwähnt. Gewis- sermaßen steht Honsiks Rezeption in der Tradition des NLs, in welchem die Be- schreibung der beschaulichen Schauplätze, schönen Kleider etc. im Kontrast zur Handlung steht. Allerdings ist bei Honsik eine Betonung explizit ‚deutscher‘ Fauna und ‚deutscher‘ Flora festzustellen.379 Des Öfteren verbindet er diese Umgebungsbeschreibungen mit heidnischen Elementen:

Wo Adler lautlos weite Kreise zogen hoch über tiefer Wälder dunklem Grund, in denen waldumschlossen Weiler träumten und Landvolk noch von Elfen hat geraunt, von Trollen, Hexen und von Zwergenschar und ob der Vorzeit Märchen hat gestaunt und Zwiesprach heimlich hielt mit alten Göttern, indes vergeblich brave Pfaffen scholten die Heiden, die ertappt sie und erkannt dort, meint die Schrift, war der Burgunder Land.380

Honsiks Text thematisiert immer wieder christliche und heidnische Vorstellungen. Allerdings: Während der NL-Dichter versucht, christliche Elemente in den Text einzu- bauen, werden in Die Nacht der Nibelungen die heidnischen hervorgehoben und po- sitiv bewertet. Zusätzlich werden ‚unchristliche‘ Fabelwesen wie Trolle und Elfen er- wähnt. Mitunter werden einzelne Worte ersetzt, so werden Priester üblicherweise381

377 Vgl. Honsik, S. 106. 378 Vgl. Honsik, S. 106. 379 Im NL werden bei den Nutz- und Jagdtieren sowie bei Tiermetaphern 101 Mal Pferde, 17 Mal Hun- de, 16 Mal Bären, 8 Mal Eber, 6 Mal Löwen, jeweils 4 Mal Aucherochsen und Wisente, 3 Mal Falken, 2 Mal Hirsche sowie jeweils einmal Adler, Kuckuck, Panther und Elch genannt. Vgl. Ellen Bender: Tierwesen im Nibelungenlied und ihre Symbolik. Nachzulesen auf: http://www.nibelungenlied- gesellschaft.de/03_beitrag/bender/nlg-17_bender.html [01.08.2019] Gerd Honsik erweitert die Tierwelt durch heimische Arten wie Luchs, Isegrim, Keiler, Sau … (vgl. Honsik, S. 14 und 106). An mehreren Stellen erwähnt er die Esche, Eiche, Tanne, Buche oder Moos (vgl. Honsik, S. 14, 58 und 108). 380 Honsik, S. 14. 381 Vgl. Honsik, S. 14 und 146.

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abwertend als „Pfaffen“382 bezeichnet. Höfische Feste – wie etwa die Einladungen von Brünhild383 und Kriemhild384 – werden durch Sonnwendfeiern385 ersetzt. Honsik legt generell viel Wert auf die Umdeutung des christlichen Textes zu einem heidnischen:

Es gebot die junge, neue Lehre dem Christenmensch, der Rache zu entsagen! So konnte jener Mönch, der’s aufgeschrieben der teuren Mär zuliebe wohl nicht wagen, das wahre, wilde heidnisch Angesicht der Sage unberührt ihr zu belassen. Weil sie erfüllte diese Rachepflicht mußt‘ Kriemhild letztlich hier getadelt sein. Hier folgen wir dem braven Pfaffen nicht.386

Von hier müssen wir nach neuen Quellen und Zeichen suchen die für uns erhellen wie Kriemhild wirklich starb im Hunnenland.387

382 Vgl. Honsik, S. 14 und S. 182. 383 Brünhild lädt Siegfried und Kriemhild nach Worms ein. Vgl. Honsik, S. 92. 384 Kriemhild lädt die Burgunder zu sich ein. Vgl. Honsik, S. 136. 385 Sonnwendfeiern waren v. a. im NS-Regime und in der DDR als Alternative zu christlichen Festen gedacht. Bei diesen vermischen sich zumal völkische und neuheidnisch-esoterische Ideen. Heute werden Sonnwendfeiern im deutschsprachigen Raum wiederholt von der rechtsextremen Szene ver- einnahmt. Berühmtes Beispiel ist die Sonnwendfeier Pretzien 2006, bei dem eine US-Fahne und ein Tagebuch der Anne Frank vom Heimatbund Ostelbien verbrannt wurden. Vgl. Jan Paff: Dorf des Schweigens. In: Die Zeit 2007, Heft 10. Nachzulesen auf: https://www.zeit.de/2007/10/Prozess- Buchverbrennung [01.08.2019] Teilweise ändert Honsik Kleinigkeiten des Prätextes subtil und baut auf diese Weise esoterische Vorstellungen ein. Er knüpft an die Idee der ‚Lichtgestalten‘ an (vgl. Hon- sik, S. 192 und Kapitel 5.3, S. 76) und manche Änderungen in der Zeitabfolge scheinen numerologi- sche Hintergründe zu haben. So teilt er etwa seine NL-Hälften in jeweils 14 Strophen. Ebenso wird die Zeit nach Siegfrieds Tod von 13 (im Prätext) auf zwölf (bei Honsik) Jahre geändert. Vgl. NLT, Strophe 1139 und Honsik, S.136. Mehrere Rechtsextreme weisen eine Affinität zur Esoterik auf. Vgl. Schweid- lenka und Gugenberger, S. 19-33. Auch nationalsozialistische Esoterikerinnen und Esoteriker legten Wert auf Zahlensymboliken. So gab es in der Wewelsburg, welche ‚Ordensburg‘ der SS war und unter Heinrich Himmlers Aufsicht gestaltet wurde, zwölf Säulenpodeste, zwölf Säulen, zwölf Sig-Runen- Abbildungen, zwölf Rittermönche des Deutschritterordens, zwölf Götterbilder aus der Edda, zwölf Sitzplätze am zentralen Tisch etc. Vgl. Rüdiger Sünner: Schwarze Sonne. Entfesselung und Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik. Freiburg, Basel und Wien: Herder 1999, S. 141-149. In weiterer Folge zitiert als: Sünner. 386 Honsik, S. 182. 387 Honsik, S. 182.

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Diese Bevorzugung des Heidentums spiegelt sich auch in der Gestaltung der Buchrückseite (Abbildung 2) wider. Dort ist Odin/Thor mit Hammer388 abgebildet. Während im Prätext die Überlegenheit der christli- chen gegenüber den hunnischen Streitkräften erläutert wird,389 wird dies in Die Nacht der Nibelungen abgeändert. Die im Prätext beschriebene Überlegenheit des Christen- tums wird in eine Überlegenheit des Germanentums umge- deutet. So kommt Etzel während der Saalkämpfe zu der Einsicht: Abbildung 2: Odin/Thor mit Hammer auf der Buchrücksei- te von Honsiks Die Nacht der Nibelungen Nicht um seine Hunnen nur zu schonen, - weil sie im Schwertkampf unterlegen waren - verbannte Etzel sie nun aus den Zonen von dieser Saalschlacht tödlicher Gefahren. Weil die Erkenntnis begann anzubahnen beim König sich, Germanen zu bekämpfen im Krieg am besten wieder mit Germanen, hielt er bereit zum Kampfe nun zuletzt die Baiern, Thüringer, die Dänen, Goten, die er verpflichtet sich durch Treueeid.390

Nur die germanischen Kampfverbände wären sich selbst ebenbürtig. Bei den Figurencharakterisierungen entspricht Honsiks Text zumeist dem Prätext, allerdings gibt es ein paar Ausnahmen: Während der Prätext die Geschichte mit Kriemhild beginnen lässt und Stüber zuerst Siegfried erwähnt, beginnt Honsiks Bear- beitung mit Gunther und die Verwandtschaftsverhältnisse werden in Relation zu ihm beschrieben.391 Weiters wird Kriemhild der verniedlichende Spitzname „Hildchen“ gegeben und ihr ein besonders weicher Charakter zugeschrieben.392 Auch trägt sie die alleinige Schuld an Siegfrieds Tod:

388 Vgl. Fußnote 398. 389 Mehr dazu in Kapitel 4.4, S. 43-48. 390 Honsik, S. 165. 391 Vgl. Honsik, S. 13. 392 Vgl. Honsik, S. 13f.

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Der wilde Zorn von Gunthers treuen Mannen der gegen Sigfrid393 sich erhob, war echt, doch war er augenscheinlich nicht gerecht: Was immer sie beschlossen und begannen, es war nur Kriemhild, deren Schuld gewiß!394

Obwohl Kriemhild zunächst als ängstlich,395 aufdringlich396 etc. und die männlichen Charaktere als vorbildlich dargestellt werden, folgt gegen Ende der Rezeption eine positive Neubewertung ihrer Figur. Kriemhild wird zur gerechten Rächerin Odins397, sie erfüllt den Willen des Gottes:

Das Schwert in ihrer Faust war Odins Hammer398, und Gottes Auftrag hatte sie verrichtet.399

Um zu begründen, warum Kriemhild eben nicht – wie im Prätext – durch Hildebrand ermordet wurde, wird ein Erklärungsversuch unternommen:

Denn niemals hätt‘ ein Ritter hingemordet des Hunnenkönigs Etzels Königin, dem er durch Eid sich hatte untergeordnet. Auch Hunnenheiden galt das Rächenwollen von Mord und Blutschuld äußerst ehrenhaft, da sie die Mörder doch vom Mann und Sohn hat nunmehr endlich mit dem Schwert gerichtet. Hier hat man wohl ein wenig umgedichtet.400

393 Im Text wird die pseudomittel- bzw. pseudoalthochdeutsche Schreibweise verwendet. 394 Honsik, S. 101. 395 Vgl. Honsik, S. 21. 396 Vgl. Honsik, S. 85. 397 Vgl. Honsik, S. 194. 398 Interessant ist, warum Odins Waffe hier der Hammer ist, normalerweise trägt er einen Speer oder einen Stab. Der Hammer wird üblicherweise seinem Sohn Thor zugeschrieben. Notiz am Rande: Die russisch-US-amerikanische Esoterikerin Helena Petrovna Blavatsky sah gar im Hakenkreuz ein Sym- bol für den Hammer Thors. Vgl. Sünner, S. 47. 399 Honsik, S. 194. 400 Honsik, S. 182f.

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Dieses Motiv der Rache und der Grund – die Treue zu Siegfried – werden überaus positiv bewertet:

So wie den Christen Reue reinwäscht von schwerer Schuld, lohnten Germanen Treue beim Feinde selbst, mit Huld.401

Darauf aufbauend wird Kriemhild zur perfekten Frau umkonstruiert:

[D]och sie allein nennt „nibelungentreu“, die sie der Wunsch zu rächen ihre Lieben zu Kampf und Mord und in den Tod getrieben. Von ihr alleine wollt‘ ich Zeugnis geben und dieses Lied nur für sie geschrieben.402

Ich trag im Herz so ein Frauenbild wie andre auch vielleicht hier unter allen, von einer, einst ein Mädchen, sanft und mild die, als ihr Liebster durch den Feind gefallen, ein Leben lang im Herzen Treue hielt wie nach der Sage damals Frau Kriemhild.403

Die Rache hat der Christen Gott verboten, nach altem Glauben war sie Kriemhilds Pflicht! Ihr Herz befahl, zu rächen ihre Toten. Daß sie vollstreckte, was ihr Gott geboten, der Eine, Wahre, der zu Herzen spricht, Allvater aller, der noch nie vergeben dem Reuelosen, - hat geahnt sie nicht!404

So glaubte sie verspielt ihr ewig‘ Leben und ewige Verdammnis schien’s ihr wert, […]405

401 Honsik, S. 184. 402 Honsik, S. 193. 403 Honsik, S. 194. 404 Honsik, S. 194. 405 Honsik, S. 194.

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Kriemhild ist die optimale heroische Frau: opferbereit, bedingungslos treu und un- nachgiebig. Die ‚wahre‘ Nibelungentreue sei nicht die Treue der Burgunder, sondern die Liebestreue zum Helden – zu Siegfried. Schließlich sind Erstere voller Zweifel, Gier und stets auf ihren Vorteil bedacht. Weiters wird wiederholt darauf hingewiesen, dass die Burgunder eben keine Nibelungen seien406 und keiner betrauere ihren Tod407. Kriemhilds Racheakt sei nicht zu verurteilen408.

Fazit: Interessant bei Gerd Honsiks Epos ist, dass die zunehmende Dominanz Kriemhilds nicht (wie in den meisten konservativen wie auch rechtsextremen Bearbeitungen) verurteilt, sondern befürwortet wird. So ist Kriemhild – trotz ihrer Mängel – die perfekte Frau: heidnisch und treu. Obwohl die Männer-Figuren zunächst positiver bewertet werden, wird gegen Ende das männliche Versagen thematisiert und sogar die Betitelung der Burgunder als ,Nibelungen’ negiert. Während der Text nicht klassisch-rechtsextreme Ansichten offenbart und auch die positive Bewertung Kriemhilds überrascht, sind dennoch folgende Erscheinungen zu erkennen, die im Dunstkreis des Rechtsextremismus zu finden sind: Hinzufügen heidnisch-esoterischer Vorstellungen wie etwa Sonnwendfeiern, Idealisierung des (vorchristlichen) Mittelalters sowie Voranstellung des heidnischen Germanentums gegenüber Christentum und allem ,Ungermanischen’.

5.3 Das Alldeutsche Jahrbuch Nach der sekundärwissenschaftlichen NL-Rezeption Fritz Stübers und der Bearbei- tung Gerd Honsiks in einem Epos wird in diesem Kapitel eine Zeitschrift betrachtet, welche sich sporadisch mit dem NL auseinandersetzt. Die Kärntner Zeitschrift All- deutsches Jahrbuch verbindet esoterische mit rechten und zumal rechtsextremen Vorstellungen, nibelungische Themen werden gerne in Artikeln behandelt. Von All- deutschen wird die Vereinigung aller (ethnischen) Deutschen gefordert. Somit wer- den die eigenständigen (heute existierenden) deutschsprachigen Staaten abgelehnt. Zudem werden einerseits Gebietsansprüche – wie etwa Südtirol – verlautbart und zugleich deutschsprachige Minderheiten in vornehmlich nicht-deutschsprachigen Ländern unterstützt.

406 Vgl. Honsik, S. 191 und 193. 407 Vgl. Honsik, S. 193. 408 Vgl. Honsik, S. 194.

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Heute sind alldeutsche Ideen selten geworden,409 doch vor allem um 1900 gab es mehrere völkische Parteien und Vereine, die sich als alldeutsch bezeichneten.410 Vie- le dieser Gruppierungen waren einerseits Reaktionen auf die sog. kleindeutsche Lö- sung. Das war die Einigung fast aller deutschsprachigen Länder, mit den großen Ausnahmen: Österreich und der Schweiz. Das Resultat war schließlich die Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Die im 19. Jahrhundert geformte Idee einer großdeut- schen Lösung, also die deutsche Einigung inklusive des deutschsprachigen Teils der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie, wurde verworfen.411 Andererseits kam es mit der Niederlage der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg und den damit zusammen- hängenden Gebietsverlusten der nicht-deutschsprachigen Gebiete zu einem weite- ren Erstarken von deutschnationalen und alldeutschen Ideen in Österreich. Der klei- ne, neue österreichische Staat wurde als für nicht überlebensfähig betrachtet. Län- gerfristig plante man in Österreich den an das Deutsche Kaiserreich. Um eine Zugehörigkeit zu betonen, wurde der neue Staat – die Erste Republik – Deutsch-Österreich (bzw. Deutschösterreich) genannt. In der Zwischenkriegszeit gab es immer wieder österreichische Bestrebungen, sich an das Deutsche Reich an- zugliedern,412 was schließlich in der NS-Zeit vollzogen wurde.413

409 Allerdings erinnert etwa das Streben der FPÖ nach einem wiedervereinten Tirol an alldeutsche Vorstellungen. In deren Parteiprogramm wird z. B. verlautbart: „Österreich ist Anwalt der deutschen und ladinischen Südtiroler und vertritt die Interessen für alle Altösterreicher deutscher Muttersprache aus dem Bereich der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Wir streben die Einheit Tirols an und bekennen uns zum Selbstbestimmungsrecht Südtirols und zur Unterstützung der Heimatvertriebenen Verbände.“ Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Beschlossen vom Bundesparteitag der Freiheitlichen Partei Österreichs am 18. Juni 2011 in Graz, S. 16. 410 Im Deutschen Kaiserreich gab es etwa den Alldeutschen Verband, in Österreich-Ungarn die All- deutsche Vereinigung. 411 Grund dafür war, dass die Habsburger-Monarchie hauptsächlich aus nicht-deutschsprachigen Ge- bieten bestand. 412 Andererseits gab es in der Ersten Republik vor den Anschluss- und Putschversuchen der österrei- chischen NSDAP auch andere Bestrebungen, sich von Österreich abzuspalten. Z. B. kam es 1918/19 in Vorarlberg fast zu einer Angliederung an die Schweiz und als die Weimarer Republik noch bestand, gab es von sozialdemokratischer Seite Bestrebungen, sich an Deutschland anzuschließen. Vgl. Rolf Steininger: Anschlusspläne Österreichs und österreichischer Bundesländer nach 1918. Nachzulesen auf: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Anschlusspl%C3%A4ne_%C3%96sterreichs _und_%C3%B6sterreichischer_Bundesl%C3%A4nder_nach_1918/ [01.08.2019] 413 Im Austrofaschismus wurde von staatlicher Seite eine Annäherung an das faschistische Italien gefördert. Die offizielle österreichische Staatsvertretung (die Vaterländische Front) legte mehr Wert auf eine katholische als auf eine deutsch-völkische Identität. Erst mit den zunehmend besseren diplo- matischen Beziehungen zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini ab 1936 verschwand diese Schutzmachtstellung von Italien über Österreich allmählich. Ein Umstand, der schließlich den Ein- marsch nationalsozialistischer Truppen in Österreich ermöglichte. Vgl. https://www.austria- forum.org/af/AEIOU/Vaterländische_Front/ [01.08.2019]

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Völkisch-alldeutsche Vorstellungen sind oft mit esoterischen Vorstellungen verknüpft. Ziel ist es, mit heidnisch-esoterischen Ideen die klerikale Geistlichkeit und die Institu- tion Kirche abzulösen.414 Auch im NS-Regime wollte man einen neuen, parteilich ge- lenkten und völkisch zugeschnittenen Glauben schaffen.415 Esoterische Ideen wur- den vor allem unter der Oberhand Heinrich Himmlers416 forciert. Im Alldeutschen Jahrbuch finden sich diese Verknüpfungen von Esoterik und Rechtsextremismus. Mitunter werden auch explizit politische Themen in der Zeit- schrift behandelt, welche in Verbindung mit dem NL stehen. Die Heldentaten Armini- us‘ (welcher oft mit Siegfried gleichgesetzt wird) sind ein beliebtes Thema, auch die Dolchstoßlegende wird thematisiert.417 Das NL bietet sich mit seinen prophetischen Träumen, den übernatürlichen Gegenständen wie der Tarnkappe, Brünhilds Gürtel und dem Schwert Balmung, seinen mystischen Welten sowie den fremdartigen Zwergen, Riesen etc. für esoterische Deutungen an. Die NL-Welt wird immer wieder in der Zeitschrift esoterisch gedeutet. Betrachtet man etwa die Ausgabe für die Zeit „vom Oster-Mysterium 2004 bis zur Sommer-Sonnwend 2005“418, so ziert das Titelblatt ein Bild419 Siegfrieds, der das zerbrochene Schwert seines Vaters hält:

414 Vgl. Schweidlenka, S. 23. 415 Vgl. Schweidlenka, S. 8. 416 Wenn auch Adolf Hitler in jungen Jahren sehr an Esoterik interessiert war, spielte diese später eine untergeordnete Rolle für ihn und wurde Mittel zum Zweck. Er wurde ein machtorientierter Politiker, der es verstand, sich esoterischer Vorstellungen zu bedienen. Vgl. Sünner, S. 177 sowie Schweidlenka und Gugenberger, S. 16. Allerdings unternahm er in späteren Jahren Versuche, den okkulten Einfluss der NS-Organisationen zurückzudrängen, da er den offenen Konflikt mit den christlichen Kirchen scheute. Vgl. Schweidlenka und Gugenberger, S. 21. 417 So gibt es etwa einen vierseitigen Bericht über Arminius: „Seine historische Bedeutung besteht darin, daß er der Verbreitung der römischen Herrschaft über die ganze damals bekannte Welt eine Grenze setzt; den Norddeutschen bewahrte er ihr Volkstum. Ohne seine Taten wären sie in Sitte und Sprache Romanen geworden, wie die Völker Westeuropas.“ Christian Hofer: „Partisanenkampf“ im Teutoburger Wald. Begrenzung der römischen Herrschaft in Germanien. In: Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Sommer 2009-Sommer 2010. Ausgabe 2/2009. Klagenfurt: Jahr- weiser 2009, S. 62 und einen Beitrag zur Dolchstoßlegende im Heimatboten (Vorgänger des Alldeut- schen Jahrbuches), in dem die Idee des Dolchstoßes nicht als rechtsradikale, sondern als sozialisti- sche ‚Erfindung‘ dargestellt wird. Vgl. Der Heimatbote. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Ausgabe 1/2012. Klagenfurt: Jahrweiser 2012, S. 4. 418 Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Vom Oster-Mysterium 2004 bis zur Sommer-Sonnwend 2005. Klagenfurt: Jahrweiser 2004. In weiterer Folge zitiert als: AJ2004 und siehe Anhang (Abbildung 15). 419 Dieses wurde von Odin Wiesinger gemalt, welcher v. a. 2016 in das öffentliche Bewusstsein Öster- reichs rückte, da er zur Präsidentschaftswahl Norbert Hofers als dessen Lieblingsmaler bekannt wur- de. Vgl. Anne-Catherine Simon: Odin: Ein Hofmaler für Norbert Hofer. Nachzulesen auf:

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Abbildung 3: Siegfried mit dem Schwert seines Vaters420 Die Bildunterschrift lautet:

01 – Jung-Siegfried ist die immer wieder neu geborene junge Generation des deutschen Vol- kes, das sich wie alle Völker über die Jugend verjüngt und dadurch Unsterblichkeit erlangt. Nackt wird das junge Leben in die Natur geboren, die Weltennatter zu überwinden. Leid und Mut wird zum Antrieb der Befreiung. Jung-Siegfried, geboren, seine reinen Gene und die Splitter seines Vaters Schwert sein einziges Erbe!421

Siegfried verkörpert Deutschland. Diese Vorstellungen gab es bereits im 19. Jahr- hundert, an sie wird heute von rechtsextremer Seite angeknüpft.422 Seine Figur rep- räsentiert das Gute, gerne wird im Alldeutschen Jahrbuch die Welt dualistisch geteilt. Im Bild kommen die Kontraste zur Geltung: Siegfried, der hellhäutig und blond423 im hellen Bettzeug liegt, im Hintergrund die dunkle Umwelt. Insgesamt erscheinen in vier aufeinander folgenden Ausgaben der Zeitschrift insgesamt zwölf Bilder aus dem Leben Siegfrieds. Die Bildsprache ist sehr plakativ, Figuren werden schwarz-weiß in https://diepresse.com/home/politik/bpwahl/4951741/Odin_Ein-Hofmaler-fuer-Norbert-Hofer [01.08.2019] 420 AJ2004, Vorderseite. 421 AJ2004, Vorderseite. 422 Ein Beispiel dieser Personifikation ist etwa das bereits 1840 entstandene Gedicht Deutschland! Heinrich Heines, in dem er diese Vorstellung parodiert. 423 Wobei Siegfried im Prätext an keiner Stelle als blond beschrieben wird. Vgl. Kapitel 4.2, S. 37.

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Szene gesetzt. Bei den Bildunterschriften wird u. a. der Drache als kapitalistische Personifikation dargestellt. Der „(Zins)-Drache“424 besitzt etwa eine gespaltene Zun- ge, die die Presse und Medien repräsentiert,425 „welche allzuoft Unfrieden in die Volksseele träufeln.“426 „Und ohne Goldschatz würde er wieder nichts anderes sein als ein Wurm.“427 Das Dickicht, in dem der Drache sich versteckt, repräsentiert die „unzähligen Scheinfirmen“428. Siegfried wiederum wird wiederholt als Wahrheits- und Wissensbringer charakterisiert.429 Brünhild430 fungiert als „Quelle des Lebens“431. Sie wird nach ihrem Verstoß von einem Feuerwall Wotans beschützt, der sie von „gene- tisch minderwertigen“432 Werbern beschützen soll. Kriemhild wird nicht erwähnt, eventuell tat man sich schwer, die Figur in eine dualistische Weltsicht einzuordnen.433 In einer Ausgabe434 befindet sich das dreiseitige Gedicht Siegfried – Mythos und Sonnenlauf, welches, in zwölf Kapitel unterteilt,435 das Leben Siegfrieds nach- zeichnet. Im Gedicht hält sich der Verfasser an die Vorlage Wagners, diese wird mit esoterischen Elementen ausgeschmückt. Einerseits wird ein ewiger ‚Kreislauf des Lebens‘ thematisiert:

Er kommt in den Wald, wo einst war er Schmied, als Junge er auszog mit schmetterndem Lied.

424 Rückseite des Alldeutschen Jahrbuches. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Von Sommer-Sonn- wend 2005 über das Ostermysterium zur Sommer-Sonnwend 2006. Klagenfurt: Jahrweiser 2005. In weiterer Folge zitiert als: AJ2005. Abbildungen der Ausgabe befinden sich im Anhang (Abbildungen 16, 17 und 19). 425 AJ2005, Vorderseite. 426 AJ2005, Vorderseite. 427 AJ2005, Rückseite. 428 AJ2005, Rückseite. 429 Vgl. AJ2005, Vorderseite. 430 Im Text heißt sie „Brünnhilde“. Vgl. AJ2005, Zeitschriftvorsatz. 431 AJ2005, Zeitschriftvorsatz. 432 Auf der Rückseite des Alldeutschen Jahrbuches. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Von Sommer- Sonnwend 2006 über das Ostermysterium bis zur Sommer-Sonnwend 2007. Klagenfurt: Jahrweiser 2006 (in weiterer Folge zitiert als: AJ2006) und siehe Anhang (Abbildung 18). 433 Ferner hält man sich im Alldeutschen Jahrbuch generell eher an Richard Wagners Rezeption (statt an dem mittelhochdeutschen Text), in der die Kriemhild-Figur eine untergeordnete Rolle spielt. 434 AJ2004, S. 120-122. 435 Generell spielt die Zahl zwölf – typisch esoterisch – eine wichtige Rolle in der Zeitschrift. Die ein- zelnen Kapitel stehen etwa im Kreis der zwölf Monde: Hartmond, Siegmond, Lenzmond, Ostermond, Wonnemond, Brachtmond, Heumond, Erntemond, Herbstmond, Heilmond, Nebelmond und Weihe- mond. Mehr zur Zahlensymbolik in Fußnote 385.

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Die Stell, wo einstmals der Amboß war, die wird für den Helden zum Opferaltar.436

So endet das Lied nun vom Sonnenlauf. Bald kommt neue Wende; und jung steht sie auf.437

Andererseits wird auch auf die Idee des ‚Kampfes zwischen Gut und Böse‘ zurück- gegriffen. Hagen wird als „der Dunkle“438 und Siegfried als „der Lichtsohn mit Macht“439 oder „der Sonne belebende Kraft“440 betitelt. Ebenso wird Hagen als die Verkörperung „der dunkle[n] Seite Odins“441 und Siegfried als jene der „lichtdurch- strahlte[n] Seite Odins“442 dargestellt.

Dies ist die Heilsbotschaft; das unablässige Ringen zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit ist ein ewiger ständig ablaufender Vorgang, in den auch wir Menschen einge- bunden sind.443

Fazit: Im Alldeutschen Jahrbuch verbinden sich esoterische und rechtsextreme Ideen. Das NL wird immer wieder oberflächlich angeschnitten, wobei v. a. auf die Rezeption Wagners rekurriert wird. Es werden abermals die männlichen Figuren vermehrt behandelt, wobei hauptsächlich Siegfried von Bedeutung ist. Generell wer- den die Figuren als verschiedenste Personifikationen verstanden, diese stehen in dualistischen Gegensätzen zueinander. Im Unterschied zu den meisten rechtsextre- men Rezeptionen findet Brünhild in der Zeitschrift eine größere Beachtung. Häufig werden in der Zeitschrift die verschiedenen Textelemente mit Malereien sowie politi- schen und numerologischen Elementen ergänzt.

436 AJ2004, S. 122. 437 AJ2004, S. 122. 438 AJ2004, S. 122. 439 AJ2004, S. 122. 440 AJ2004, S. 122. 441 Im Vorsatz des Alldeutschen Jahrbuches. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Von Sommer-Sonn- wend 2007 über das Ostermysterium bis zur Sommer-Sonnwend 2008. Klagenfurt: Jahrweiser 2007. (in weiterer Folge zitiert als: AJ2007) und siehe Anhang (Abbildung 20 und 21). 442 AJ2007, Zeitschriftvorsatz. 443 AJ2007, Zeitschriftvorsatz.

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5.4 Die Metapedia Das Internet ist die wichtigste Informationsquelle geworden. Zudem spielt es eine Sonderrolle bei der Verbreitung rechtsextremer Ideen, da diese schnell und auf Grund der Anonymität rechtlich weitgehend gefahrlos verbreitet werden können. Pa- radebeispiel für einen relativ professionellen einschlägigen Webauftritt ist die Online- Enzyklopädie Metapedia. Hauptziel dieser Seite ist es, rechtsextremes Gedankengut einfach444 der Mitte der Bevölkerung zugänglich zu machen; man verzichtet auf eine rechtsextreme Symbolik, der Webaufbau ist schlicht. Methodisch wird Wert darauf gelegt, unterschwellig rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten, zugleich gibt man Rationalität und Sachlichkeit vor. Die meisten Artikel erscheinen zunächst unbedenk- lich, so auch der Eintrag zum NL.445 Auch hier wird eine Objektivität suggeriert, erst beim aufmerksameren Lesen erkennt man die politische Färbung. So beginnt der Artikel sachlich-distanziert:

Das Nibelungenlied ist ein mittelalterliches Heldenepos, das zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf Mittelhochdeutsch niedergeschrieben wurde. Es handelt sich dabei um eine Vermischung von Heldenepik mit der im Hochmittelalter vorherrschenden höfischen Haltung. Es stellt die bekannteste Bearbeitung des Stoffes der Nibelungensage dar und gilt als deutsches National- epos.446

Es folgt ein Scan vom Beginn des Textes in mittelhochdeutscher Sprache447 sowie ein Zitat August Wilhelm von Schlegels448:

444 In Deutschland wird die Seite seit 2009 nicht mehr auf Google gelistet, in Österreich allerdings schon. Die Metapedia-Einträge zu Juden, Holocaust, Republik Österreich listet Google in Österreich unter den ersten fünf Treffern, ebenso das Nibelungenlied. 445 Natürlich gibt es auch Ausnahmen, dies beweist etwa der Kontrast der Artikel Judäophilie und Germanophilie: Die Judäophilie sei „die, zuweilen krankhafte, Zuneigung oder Liebe der Gojim zum jüdischen Wesen, zur ‚semitischen‘ Kultur und Art.“ https://de.metapedia.org/wiki/Jud%C3%A4ophilie [01.08.2019] Die Germanophilie hingegen sei „die tiefe, oft mystische Zuneigung gegenüber allem Deutschen an sich – trotz der Tatsache, daß der Teutophilist oft kein ethnischer Deutscher ist. Der germanophile Mensch schätzt die Deutschen, die deutsche Kultur, die deutschen Welt-Errungen- schaften, die deutsche Sprache, aber auch den deutschen Charakter und vor allem die romantische und tiefverwurzelte deutsche Seele.“ https://de.metapedia.org/wiki/Germanophilie [01.08.2019] 446 http://de.metapedia.org/wiki/Nibelungenlied [01.08.2019] 447 Der Scan zeigt die erste Strophe der Handschrift A. 448 August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) war Philologe, Literaturkritiker und -historiker sowie als Übersetzer tätig. Vgl. Ralf Georg Czapla: August Wilhelm von Schlegel. In: Killy Literaturlexikon. Ros – Se. Band 10. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 2. vollst. überarb. Auflage. Berlin: De Gruyter 2011, S. 387-390.

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Wenn man das Nibelungenlied, das eine glorreiche Welt darstellt, große Menschen mit einer vaterländischen, männlichen Gesinnung, wenn man ein solches Werk zum ‚Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend‘ macht, dann wird es auch gelingen, kraftvolle Männer zu erziehen und die Einheit des Reiches wieder herzustellen.449

Diese und ähnliche Zitate dienen dazu, einen leichten Einstieg in rechtsextremes Gedankengut zu ermöglichen. Mit Schlegel wird ein Autor des 19. Jahrhunderts he- rangezogen,450 um Anknüpfungspunkte zur Mitte der Gesellschaft (bzw. zumindest zu bürgerlich-konservativen Kreisen) zu schaffen.451 Bei Metapedia fällt auf, dass diese Datenbank vergleichsweise professionell geführt wird. So werden die Texte in der Regel nicht von verschiedenen Quellen ko- piert, sondern selbst verfasst. Zudem fallen die Artikel oft umfangreicher aus als beim ‚Vorbild‘ Wikipedia.452 Außerdem wird den Handschriften eine hohe Bedeutung zuge- sprochen. Beim NL etwa folgt das Handschriften-Kapitel direkt auf die Einleitung und es sind die Scans der jeweils ersten Seite der drei großen Handschriften A, B und C abgebildet. Die kurzgefaßte453 Inhaltswiedergabe ist wertfrei und sachlich gehalten, zusätzlich wird ein Scan der NL-Zusammenfassung von Adolf Hentschel und Karl Linke454 geboten.

449 http://de.metapedia.org/wiki/Nibelungenlied [01.08.2019] 450 Gerne zitieren Rechtsextreme Literaturschaffende des 19. Jahrhunderts, da diese strafrechtlich unbedenklich sind. Auffallend ist, dass sie sich hierbei auf die nationalistischen und wenig auf die libe- ral-demokratischen Aspekte berufen, welche besagte Literaturschaffende zumeist auch innehatten. Diese werden aus ihrem historischen Kontext gerissen: die zersplitterten deutschsprachigen Gebiete und der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum. Aus heutiger Sicht sind eben einzelne Anschauungen in Texten von literarischen Größen wie oder Friedrich Hölderlin aus heutiger post- moderner, demokratischer Sicht problematisch. Sie entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist. Wenn Rechtsextreme gerade diese aufgreifen, ist das durchaus legitim. Allerdings blenden sie dabei zumeist liberalere Standpunkte aus und heben für ihre Zwecke die nationalistischen Aspekte hervor. Zudem kann mit dem Zitieren dieser nationalistischen Literaturschaffenden ein Zitieren von nationalsozialisti- schen umgangen werden, da erstere zumeist strafrechtlich unbedenklich sind. Karl Simrock schrieb etwa über das NL: „Das ist Feld- und Zeltpoesie, damit kann man Armeen aus dem Boden stampfen, wenn es den Verwüstern des Reichs, den gallischen Mordbrennern, der römischen Anmaßung zu wehren gilt.“ Zitat nach Münkler, S. 72. 451 Man versucht ebenso mit derartigen Zitaten, dem Topos der Deutschen als ‚Volk der Dichter und Denker‘ zu entsprechen. 452 Etwa gibt es auf der Metapedia einen umfangreichen Artikel über den nordischen Helden Sigurd. Bei Wikipedia wird nur der Name Sigurd im Hinblick auf Herkunft, Verbreitung und Bedeutung vorge- stellt. 453 Der Großteil der Autorinnen und Autoren der Metapedia halten sich an die ältere deutsche Rechts- schreibung. 454 Illustrierte deutsche Litteraturkunde in Bildern und Skizzen für Schule und Haus

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Die Übersetzungen (hier sind die neuhochdeutschen Editionen gemeint) sind sehr unvollständig.455 Nur die Editoren Karl Simrock, Gustav Pfizer, Helmut Brackert, Helmut de Boor, Felix Genzmer und Siegfried Grosse werden erwähnt, wobei bei Simrock und Brackert ausführliche Informationen zur Edition vorhanden sind. Bei diesen zwei und bei de Boor ist zusätzlich die übersetzte Anfangsstrophe des NLs angeführt. Bei den dramatischen Bearbeitungen des NLs liegt der Fokus auf dem 19. Jahrhundert. So werden Friedrich Baron(!)456 de la Motte Fouqué, Richard Wagner, Emanuel Geibel und Friedrich Hebbel erwähnt. Bei den Jugendbüchern werden we- der Autorinnen und Autoren noch konkrete Werke genannt:

Vor allem als Jugendbuch fand das Nibelungenlied in nacherzählter Form weite Verbreitung, jedoch wurden dort meist Elemente der Saga miteinbezogen, so etwa die Jugend Siegfrieds, welche im Nibelungenlied nicht behandelt wurde. Ebenso wird der Drachenkampf meist ge- schildert, obwohl dieser im Nibelungenlied lediglich nur in einer Bemerkung Hagens erwähnt wird.457

An dieser Stelle könnten u. a. die Werke Hertha Kratzers oder Wolfgang Hohlbeins angeführt werden. Ebenso bei den Verfilmungen wird selektiert, diese werden wie folgt angegeben:

Die erste Verfilmung des Nibelungenliedes stellt der 1924 von Fritz Lang produzierte Stummfilm „Die Nibelungen“ dar. Eine zweite Verfilmung erfolgte mit dem gleichnamigen Zweiteiler von 1967.458 2004 erfolgte mit „Der Ring der Nibelungen“ eine weitere Produktion, welche jedoch weniger mit dem Nibelungenlied an sich zu tun hatte, da man noch vieles aus der Sage einbaute sowie ein völlig neues Ende für die Handlung schrieb.459

Hierbei ist interessant, dass der im NS-Regime beliebte und instrumentalisierte Film Fritz Langs inklusive Regisseurangabe angeführt wird. Diese fehlt bei den anderen

455 Siehe Anhang (Abbildung 22). 456 Auffallend: Der Adelstitel wird genannt. 457 https://de.metapedia.org/wiki/Nibelungenlied [01.08.2019] 458 Die Nibelungen ist eine zweiteilige deutsch-jugoslawische Produktion, welche in Siegfried von Xan- ten (1966) und Kriemhilds Rache (1967) unterteilt ist. 459 https://de.metapedia.org/wiki/Nibelungenlied [01.08.2019]

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Produktionen. Die italienische Verfilmung Siegfried – Die Sage der Nibelungen von 1957460 sowie die deutsche Parodie Siegfried von 2005 fehlen in der Liste. Neben dem Eintrag zum NL selbst gibt es auf Metapedia folgende mit dem NL zusammenhängende Einträge: Nibelungensage461, Nibelungenhort462, Nibelungen- treue463, Siegfried von Xanten464, Sigurd465, Kriemhild466, Brünhild467, Hagen von Tronje468, Dietrich von Bern469, Hildebrand470, Etzel471, Zwergenkönig Alberich472, Balmung473, Gunther474 und Burgunden475. Bemerkenswert ist hier die Gewichtung der Beiträge, gemessen an ihren Um- fängen. Während die Artikel zu Siegfried von Xanten, Dietrich von Bern und Hagen umfangreich ausfallen, sind die Einträge zu den Frauen Kriemhild und Brünhild sehr kurz gehalten. So lautet der gesamte Text zu Kriemhild:

Kriemhild bzw. Kriemhilt ist im Nibelungenlied die Schwester der burgundischen Könige Gunther, Gernot und Giselher. Sie wird die Frau Siegfrieds von Xanten und rächt sich nach dessen Tod durch Hagen von Tronje inzwischen als Frau des Hunnenkönig Etzels (Attila) grausam an ihren nächsten Verwandten. Getötet wird sie am Ende von Hildebrand.476

460 Siegfried – Die Sage der Nibelungen endet mit dem Tod Siegfrieds und verbindet Elemente des Prätextes wie auch Richard Wagners Rezeption: Brunhild begeht nach Siegfrieds Tod Selbstmord und die Jugend Siegfrieds wird dargestellt, ansonsten hält man sich am Prätext. Der italienische Film wur- de 1957 uraufgeführt und kam 1962 in die deutschsprachigen Kinos. 461 https://de.metapedia.org/wiki/Nibelungensage [01.08.2019] 462 https://de.metapedia.org/wiki/Nibelungenhort [01.08.2019] 463 https://de.metapedia.org/wiki/Nibelungentreue [01.08.2019] 464 https://de.metapedia.org/wiki/Siegfried_von_Xanten [01.08.2019] 465 https://de.metapedia.org/wiki/Sigurd [01.08.2019] 466 https://de.metapedia.org/wiki/Kriemhild [01.08.2019] 467 https://de.metapedia.org/wiki/Br%C3%BCnhild [01.08.2019] 468 https://de.metapedia.org/wiki/Hagen_von_Tronje [01.08.2019] 469 https://de.metapedia.org/wiki/Dietrich_von_Bern [01.08.2019] 470 https://de.metapedia.org/wiki/Hildebrand [01.08.2019] 471 https://de.metapedia.org/wiki/Attila [01.08.2019] 472 https://de.metapedia.org/wiki/Zwerg_Alberich [01.08.2019] 473 https://de.metapedia.org/wiki/Balmung [01.08.2019] 474 https://de.metapedia.org/wiki/Gunther_(Nibelungensage) [01.08.2019] 475 https://de.metapedia.org/wiki/Burgunden [01.08.2019] 476 https://de.metapedia.org/wiki/Kriemhild [01.08.2019]

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In diesem kurzen Absatz wird sie dreimal in Relation zu Männern beschrieben: ein- mal als Schwester und zweimal als Ehefrau. Auch ihr Widersacher Hagen und ihr Mörder Hildebrand werden angeführt. Ihre Charaktereigenschaften und ihre überaus tragende Bedeutung für das NL bleiben unerwähnt. Nichtsdestotrotz wird sie bewer- tet, indem angemerkt wird, dass sie sich „grausam“ rächt. Brünhild wird in ihrem Arti- kel noch kürzer – in einem einzigen Satz(!) – abgehandelt:

Bekannt ist er [der Name Brunhild] vor allem durch die im Nibelungenlied (bei Richard Wag- ner477 „Brünnhilde“) vorkommende Brünhild, die auch der bekannteste Namensträger ist.478

Grund für diese Missachtung der weiblichen Figuren und speziell Brünhilds mag fol- gender sein:

Das gesamte Wormser Personal gerät […] im Zuge des Wettkampfes mit Brünhild ins Zittern, und selbst Siegfried bleibt nicht von ängstlichen Anwandlungen verschont. Daß die starke Brünhild dann doch noch überwunden wird, kaschiert letztlich nur notdürftig die offenbar ge- wordenen Schwächen der Wormser. Isenstein ist das Signum für die übermächtige Frau und eine entsprechende Angst der Männer und wird künftig in einer Tiefenschicht des Textes prä- sent bleiben. Brünhild nehmen die Wormser als ein Stück dieser bedrohlich-matriarchalen Welt mit zurück zu ihren Hof.479

Die weiblichen Hauptfiguren des NLs haben also in der Metapedia kaum eine Ge- wichtung. Dass es stattdessen sogar einen relativ umfangreichen480 Eintrag zur Tarnkappe481 gibt, verhöhnt diesen Umstand.

Fazit: Der NL-Artikel in der Metapedia ist sehr ausführlich und scheint zunächst un- verfänglich zu sein. Allerdings fallen einige Selektionen auf: So werden v. a. Werke und Sekundärliteraturen aus dem 19. Jahrhundert genannt, darüber hinaus werden parodistische und liberale Rezeptionen des NLs ausgespart. Bei anderen ‚NL-

477 Interessant ist, dass trotz der Artikel-Kürze auch Wagner erwähnt wird. 478 https://de.metapedia.org/wiki/Br%C3%BCnhilt [01.08.2019] 479 Gephart, S. 190. 480 Dieser Eintrag ist umfangreicher als die Einträge von Kriemhild und Brünhild zusammen. 481 https://de.metapedia.org/wiki/Tarnkappe [01.08.2019]

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Artikeln‘ nehmen hauptsächlich Siegfried und Hagen sowie Völker- und Landschafts- beschreibungen eine wichtige Rolle ein, weibliche Charaktere werden vernachlässigt.

5.5 Musik Insbesondere – aber nicht nur – für Jugendliche spielt Musik eine wichtige Rolle bei der Politisierung, naturgemäß werden auch rechtsextreme Ideologien durch Musik verbreitet.482 Rechtsextreme Musik kann vielfältig ausfallen: Während in der Nach- kriegszeit v. a. Heimat- und Soldatenlieder einschlägige Weltvorstellungen verbreite- ten483, gibt es heute ein breiteres Spektrum.484 Mitunter wird auch das NL musika- lisch im rechtsextremen Kontext verwendet. Ein solches Beispiel liefert der Liedermacher Jan-Peter485. Dieser beschäftigt sich in seinem Album Hermannsseele, Siegfriedgeist mit Siegfried (bzw. Arminius486 alias Hermann dem Cherusker). Nachstehend das Lied Sonnenmensch:

Als sie den Adler seiner Schwingenkraft beraubten und einem Volk den freien Willen nahm. Als man den Dolch in den Rücken derer stieß, die gewillt und bereit auch zum Letzten waren.

Er strahlte aus dem Schatten geringer Geister, deine Idee eben Menschenkind und dein Volk sah hoffnungsvoll hinauf, zu dir, den, der Sturm bezwingt. Neid hast du und Bruderhass gestillt.

482 Diese Auffassung vertreten auch viele Rechtsextreme öffentlich, so etwa Ian Stuart Donaldson. Er war Sänger der Band Skrewdriver, gründete das rechtsextreme Netzwerk Blood & Honour und entwarf den Begriff RAC (Rock Against Communism) mit. Donaldson sah in Musik „das ideale Mittel, Jugendli- chen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als dies in politischen Veranstaltungen ge- macht werden kann.“ https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/info/info- musik-web-ds.pdf [01.08.2019] S. 8. 483 Vgl. https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/info/info-musik-web-ds.pdf [01.08.2019] S. 8. 484 Rechtsextreme Inhalte existieren in nahezu jedem Musikgenre. So hat zum Beispiel die elektroni- sche Musikrichtung Gabber (oder Gabba) immer wieder mit rechtsextremen Einflüssen zu kämpfen. Auch in der afroamerikanisch-geprägten Subkultur Hip-Hop gibt es rechtsextreme Personen, etwa den rechtsextremen Rapper MaKss Damage. 485 Bürgerlich: Jan-Peter Kerstin(g) 486 Generell spielt dieser für Rechtsextreme eine bedeutende Rolle, so ziert etwa das Hermannsdenk- mal das Titelblatt einer Ausgabe der Huttenbriefe. Im dazugehörigen Vorwort wird vor allem Hermanns Entscheidung, für ‚sein germanisches Volk‘ zu kämpfen, anstatt die Befehle seiner römischen Oberbe- fehlshaber zu befolgen, gewürdigt. Vgl. Huttenbriefe 34. Jahrgang, Jan.-Mai 2016. Folge 2, S. 2.

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Hast geeint, was zerrissen von Schakalen. Einmal noch sollte dein Volk sich erheben, aus Not und Einigkeit und Qual.

Dass ein neuer Frühling aus ihm steige, es zum Ideale führt, kann all dein Streben diesem Volk, dem dein Herz stets gehört.

Wie in jedem neuen Lenz die ersten Sonnenstrahlen den Frost durchpflügen, drang dein Wort an unser Ohr und dein ganzes Volk strebt empor.

Ließ hinter sich das Grauen der Nächte und all der Feinde Lügen. Hermannsseele, Siegfriedgeist, Volk, das um sein Schicksal weiß.

Und mag uns heute auch drohen, alter Feind in neuer Gestalt und scheint verklungen deiner edlen, wahrhaft'gen Worte Sinngehalt.

Deine Idee ist nicht vergessen! Aus der Dunkelheit strahlt ihr Licht. Sonnenmensch! Sonnenmensch! Dein Werk ist unsterblich!487

Offensichtlich wird in dem Lied die Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung nachgezeichnet: So wird in der ersten Strophe auf die Niederlage des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg und die Dolchstoßlegende Bezug genommen. In den nächsten fünf Strophen werden die Errungenschaften Hitlers aufgezählt und sei- ne Großartigkeit angepriesen. So habe er sich als Ausnahmemensch durchgesetzt. Adolf Hitler wäre einziger Hoffnungsträger eines verlorenen Volkes, er wird zum Pro-

487 https://www.youtube.com/watch?v=EQ1OAFM0Uns [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: Jan- Peter.

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pheten gemacht, sogar vergöttlicht, als Sonne stilisiert.488 Die Sonne wurde beson- ders in Diskursen zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder als „männlich, zeu- gend und kraftspendend verstanden.“489 Auch heute noch ist die Sonne für esoteri- sche Rechtsextreme ein wichtiges Symbol. So werden verschiedene Formen des Hakenkreuzes und das Keltenkreuz490 auch als Sonnenrad bezeichnet. Weiters ist die Schwarze Sonne ein rechtsextremes Erkennungsmerkmal.491 Hitler wurde und wird ebenso noch als „Sonnenmensch“ und Reinkarnation Siegfrieds, Hermanns bzw. Arminius‘ wahrgenommen.492

Abbildung 4: Cover des Albums „Hermannsseele, Siegfriedgeist“ von Jan-Peter493

488 Auch wenn Adolf Hitler sich wenig mit der Esoterik auseinandersetzte (siehe Fußnote 416), hatte er dennoch die Vorstellung, er sei ein Prophet, ein Erlöser, der sein Volk retten solle. Vgl. Manfred Poser: Nationalsozialistischer Okkultismus? Nachzulesen auf: http://www.kritische-ausgabe.de/ artikel/nationalsozialistischer-okkultismus [01.08.2019] 489 Wagner, S.122. 490 Das Keltenkreuz ist auch als Radkreuz bekannt, welches oftmals von Rechtsextremen als Ersatz für das Hakenkreuz verwendet wird, da es kein verbotenes Symbol ist. Teilweise wird es zudem als geschlossenes Sonnenrad bzw. geschlossenes Hakenkreuz bezeichnet. Vgl. Anhang (Abbildung 23). 491 Die Schwarze Sonne ist ein rechtsextremes Erkennungssymbol. Der Entwurf dieses Symbols im NS-Regime in der Wewelsburg wird von rechtsextremer Seite vielfach abgestritten. Siehe Anhang (Abbildung 24), vgl. Schweidlenka und Gugenberger, S. 20, sowie Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen. Köln: 2018, S. 67. In weiterer Folge zitiert als: Verfassungsschutz. 492 Siehe Anhang (Abbildung 25). 493 Vgl. Jan-Peter.

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Auf dem Albumcover494 ist links – das unter Rechtsextremen beliebte495 – Hermanns- denkmal abgebildet. Unter anderem wurde dieses als Denkmal gegen den romani- schen Raum wahrgenommen und vor allem von völkischer und nationalsozialisti- scher Seite instrumentalisiert.496 Rechts ist ein Denkmal Erich Windbichlers von Ge- org dem Drachentöter497 zu sehen. Ursprünglich repräsentierte es nicht Georg, son- dern wurde 1939 als Denkmal für ein Wehrmachtsregiment errichtet, die Figur war der ‚Panzerreiter‘.498 Bei Kriegsende wurde das Denkmal versteckt und 1949 mit ei- ner neuen Widmung (Heiliger Georg) wiedererrichtet.499 Mittig sind Eichenblatt und Eicheln zu sehen, die Eiche gilt als ‚typisch germanischer‘ Baum.500 Das könnte wie- derum ein Bezug zum NL sein, da es auch Darstellungen gibt, in denen ein Eichen- blatt – und kein Lindenblatt – für die verletzliche Stelle Siegfrieds verantwortlich ist.501 Auch eine katholische Schülerverbindung, die K.Ö.St.V. Nibelungia Wien im MKV,502 beschäftigt sich in bedenklicher Weise mit dem NL. So findet sich auf deren Website etwa das Lied Der letzte Nibelunge:

Hell rufend stößt mit Macht ins Horn der letzte Nibelunge. Packt Euch nicht Wut, Berserkerzorn, Ihr Recken deutscher Zunge, wenn Eures Volkes bestes Gut, sein Höchstes man vergeudet?

494 Vgl. Jan-Peter. 495 Zum Beispiel ist es im Banner auf der Homepage des „Nation & Wissen“-Versands zu sehen. Sie- he Anhang (Abbildung 26). 496 Vgl. Köster. 497 Wie bei vielen anderen überlieferten Figuren verwischen auch die Grenzen der Vita Siegfrieds von Xanten und Georgs. 498 Heiko Kleinschmidt: Informationstafel am Panzerreiter-Denkmal in Eisenach. Nachzulesen auf: https://eisenach.thueringer-allgemeine.de/web/eisenach/startseite/detail/-/specific/Informationstafel- am-Panzerreiter-Denkmal-in-Eisenach-1030743049 [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: Klein- schmidt. 499 Vgl. Kleinschmidt. 500 Die Eiche wurde als der Baum Donars/Thors angesehen, berühmtestes Beispiel war die Donarei- che in Nordhessen, welche durch Bonifatius gefällt wurde. Aus den Splittern der Eiche wurde eine dem Hlg. Petrus geweihte Kapelle (das heutige Kloster Fritzlar) gebaut. Vgl. Joachim Schäfer: Bonifa- tius. Nachzulesen auf: www.heiligenlexikon.de/BiographienB/Bonifatius_Winfried.htm [01.08.2019] 501 Etwa wird im Film Die Nibelungen von 2004 ein Eichenblatt verwendet. 502 Katholische Österreichische Studentenverbindung Nibelungia Wien im Mittelschülerkartellverband - Es handelt sich also um eine Schülerverbindung, welche einer Studentenverbindung zugeordnet ist.

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Das deutsche Volkstum, wieder wird es schmählich Euch genommen. Hell rufend stößt mit Macht ins Horn der letzte Nibelunge Frisch auf, schützt Euer Sagen Born, Ihr Recken deutscher Zunge! Schütz Volk und Heimat, Sitte, Recht es soll ihm nicht gelingen, dem Bösen, unser deutsch Geschlecht blind wütend umzubringen! Hell rufend stößt mit Macht ins Horn der letzte Nibelunge. Doch still und einsam bleibt er vorn, kein Recke deutscher Zunge zeigt sich dem suchend heißen Blick, es bleibt als Einziger zurück der letzte Nibelunge.503

Warum hier eine österreichische katholische Schülerverbindung ein deutsch-patri- otisches Lied veröffentlicht, ist fraglich. Warum sich eine nichtschlagende504 Verbin- dung so kriegerisch gibt, ist ebenso fraglich. Auch das Schwanklied Die Halblustigen Nibelungen505 ist auf deren Internetseite abrufbar, es wird der Inhalt des Epos‘ nach- erzählt. Zu erwähnen ist, dass folgende Verse im Lied vorkommen:

Und fahren wir ins Römerland. Dann gibt’s dort immer Mord und Brand!506

Eventuell steht hier der parodistische Teil des Liedes im Vordergrund, denn bei ei- nem Kampf gegen Rom ist häufig der Kampf gegen das katholische Christentum507

503 http://members.chello.at/berggasse/Nibelungia/Der%20letzte%20Nibelunge3.pdf [01.08.2019] 504 Studentenverbindungen sind in pflichtschlagend, fakultativschlagend und nichtschlagend unterteilt. Damit ist gemeint, ob eine bestimmte Anzahl an Mensuren (Fechtduelle) abgelegt werden müssen, also die Mitglieder fechten müssen oder nicht. In der Regel sind Corpsstudenten pflichtschlagend, Burschenschaften fakultativschlagend und konfessionelle Verbindungen nichtschlagend. Mehr dazu in Weidinger, S. 612-618. 505 http://members.chello.at/berggasse/Nibelungia/DIE%20HALBLUSTIGEN%20NIBELUNGEN.htm [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: Halblustige Nibelungen. 506 Siehe: Halblustige Nibelungen. 507 Vgl. Münkler, S. 144.

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gemeint. Weiters kann damit die Ablehnung einer imperialistischen Besatzung (Rö- misches Reich) zum Ausdruck gebracht werden, welche es zu bekämpfen gilt. Diese Ideen basieren v. a. auf der Zeit der deutschen Reichsgründung 1871.508 Man legte im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend Wert darauf, sich von Italien und dem Heiligen Römischen Reich abzugrenzen und sich als souveräner Staat zu präsentie- ren.509 Zugleich verstanden die Deutschen die Reichsgründung als geschichtliche Zäsur und Neuanfang.510 Die Ablehnung galt

dem Symbol einer zweitausendjährigen europäischen Ordnungsvorstellung, dem romanischen Imperium, das zuletzt von Frankreich, von den beiden Napoleons in Anspruch genommen worden war, und zugleich dem universalen Anspruch des Papstes und der katholischen Kir- che. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts ist Rom in Deutschland zum Inbegriff des Feindlichen und Bedrohlichen geworden.511

Auch die hunnischen Streitkräfte werden auf ihr scheinbar minderwertiges Ausse- hen512 reduziert sowie als hinterlistig charakterisiert:

Ein jeder nur ein Meterprügel, Die Gelbsucht, Zotteltier am Zügel.

Das Schlitzaug fragt mit feinem Lächeln widewidewitt bumm, bumm, Ob wir an unsere Schwester dächten? W[i]dewidewitt, bumm, bumm513

Im Gegensatz dazu wird in der Fuchsenstrophe514 des Mittelschulkartellverbands der ‚Idealmensch‘ vorgestellt.

Blaue Augen hat mein Liebchen, dran ich denke immerdar, und auf ihrem schmucken Köpfchen

508 Vgl. Münkler, S. 143. 509 Vgl. Münkler, S. 143. 510 Vgl. Münkler, S. 143. 511 Münkler, S. 143. 512 Wobei diese Vorstellungen denen des NLs entsprechen. Vgl. Kapitel 5.1, S. 61. 513 Siehe: Halblustige Nibelungen. 514 ‚Füchse‘ sind angehende Vollmitglieder einer Studentenverbindung und haben zum Teil eine Fuch- senstrophe, also ein eigenes Lied.

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golden glänzt das blonde Haar.

Gold und Blau wir Füchse tragen, schirmt uns kühn gen Feindeswut, in des Kampfes schwersten Tagen, gibt dies‘ Band uns neuen Mut.515

Hier sind wiederum Parallelen zu den Vorstellungen von Licht- und Schattenmen- schen des 19. Jahrhunderts sowie zur NS-Rassenlehre festzustellen.516 Auch im NSBM (National Socialist Black Metal)517 wird das NL immer wieder behandelt. Das europäisch geprägte Musikgenre Metal, welches gerne durch seine Andersartigkeit zur übrigen Gesellschaft brüskiert, versuchte in seinen Anfangsjah- ren, mit einem rebellischen Aussehen und satanischen Spielereien Entsetzung her- vorzurufen. Damit konnte man die christliche Mehrheit verärgern. Als diese satani- sche Provokation an Wirkkraft verlor, suchten manche Metal-Musikerinnen und Me- tal-Musiker nach extremeren Formen.518 Schlussendlich konnte man nach dem Spiel mit dem Satanismus nur noch mit dem Nationalsozialismus provozieren.519 Parade- beispiel hierfür ist die ursprünglich satanistische und später rechtsextreme ‚Kult‘- Band Absurd.520 Das ehemalige (und nun wieder) Mitglied der Band Hendrik Möbus trägt teilweise den Namen Hagen von Tronje als Pseudonym.521

515 http://members.chello.at/berggasse/Nibelungia/lieder.html [01.08.2019] 516 Vgl. Kapitel 3.2, S. 21 und Kapitel 4.2, S. 37. 517 Vgl. Fußnote 297. 518 Vgl. Peise, S. 58-62. 519 Ferner gibt es auch einige satanistische Orden (v. a. in den USA), welche gut mit rechtsextremen Netzwerken verknüpft sind. Vgl. Schweidlenka und Gugenberger, S. 52f und Massa, S. 64. Weitere Anknüpfungspunkte des Black-Metal-Genres zum Rechtsextremismus sind die Affinität zum Paganis- mus sowie das elitäre Selbstverständnis vieler Musikerinnen und Musiker. Die vorwiegend mittel- und nordeuropäische Verbreitung der Musikrichtung trägt weiter zur Empfänglichkeit von rechtsextremem Gedankengut bei. Vgl. Roman Schweidlenka und Veronika Strauß: Die schwarze Szene. Populäre Jugendkulturen und ihr Verhältnis zu Spiritualität, Satanismus und Rechtsextremismus. 3. Auflage. Graz: LOGO 2011, S. 71-76. In weiterer Folge zitiert als: Schweidlenka und Strauß. 520 Vgl. Peise, S. 62. Bekannt wurde die Band durch den Mordfall von Sonderhausen. Siehe: Kai Mudra: Vor 20 Jahren wurde 15-Jähriger bei Ritualmord getötet. Nachzulesen auf: https://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Vor-20-Jahren-wurde-15- Jaehriger-bei-Ritualmord-getoetet-870689146 [01.08.2019] Siehe auch: Schweidlenka und Strauß, S. 84-86. Am abgeänderten Bandlogo wurde diese neue rechtsextreme Ausrichtung zur Schau gestellt. Pentagramm und verkehrtes Kreuz wurden durch Sonnenrad und Mjölnir (Thors Hammer) ersetzt. Siehe Anhang (Abbildung 27). 521 Vgl. Peise, S. 82.

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Auch öffentlich unpolitische Gruppen (welche sich allerdings im Umkreis der NSBM- Szene bewegen522) beschäftigen sich mit dem NL. Als Beispiel wäre hierfür die Band Moonblood zu nennen. Während sich die Band öffentlich unpolitisch gibt, musi- zier(t)en einige Mitglieder in einschlägigen NSBM-Bands (etwa Totenburg523) und haben sich der Wiederbetätigung schuldig gemacht. Moonblood widmen ein ganzes Demo-Album524 dem NL. Die Playlist lautet:

1. In der Schmiede 2. Der Kampf mit dem Lindwurm 3. Der Nibelungenhort 4. Brunhilds Eroberung 5. Der Verrat.

Es wird unter Verwendung von Endreimen das NL nacherzählt. Textlich hält sich Moonblood an den ersten Teil des NLs (das Album endet mit Siegfrieds Tod525), wo- bei einzelne Elemente von Richard Wagners Ring des Nibelungen aufgenommen wurden.526 Musikalisch entspricht das Album dem typischen Black-Metal-Stil. Interes- sant ist außerdem, dass die Band zwei Keltenkreuze und zwei Pentagramme im Lo- go trägt und somit satanistische und rechtsextreme Symbole verbindet.527 Ein ande- res NSBM-Beispiel ist die Band Tronje. Diese ist eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen, da sie etwa die Schwarze Sonne im Logo trägt.528 Textlich

522 „Die Schwierigkeit der Einordnung einzelner Bands besteht aber zum einen darin, dass viele sich trotz ihrer Inhalte und Gesinnung als Black-Metal und nicht als NSBM bezeichnen und zum anderen darin, dass teilweise das Aufgreifen nationalsozialistischer Inhalte eine reine Ästhetik bzw. ein Mittel zur Provokation darstellt, während die Musiker sich selbst vom rechten Gedankengut distanzieren. Eine genaue und zuverlässige Trennlinie zwischen der unpolitischen und rechtsextremen Ausprägung des Black-Metal zu ziehen ist nicht möglich, weil der Übergang zwischen beiden Formen fließend verläuft.“ Peise, S. 63. 523 Vgl. https://www.metal-archives.com/bands/Moonblood/1088 [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: Moonblood. 524 https://www.youtube.com/watch?v=TrMjka9BN50 [01.08.2019] 525 „Von Stahl durchbohrt und blutbeschmiert, | taumelt der Held bis er den Halt verliert. | Das Leben aus seinem Körper wich | und Hagen sich von danne schlich. | Der Tod, der die Stelle betrat, | wo Siegfried starb durch des Freundes Verrat, | seine Seele mit sich nahm.“ Vgl. ebda. 526 Zum Beispiel wird Siegfrieds Kindheit bei Mime sowie sein Kampf gegen den Lindwurm in den Lie- dern behandelt. 527 Siehe Anhang (Abbildung 28). 528 Siehe Anhang (Abbildung 29).

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orientieren sie sich wenig am NL.529 Anders ist das bei der niederländischen Ein- Mann-Band Pagan Heritage, welche sich mit dem Lied Ring des Nibelungen mit dem NL beschäftigen.530

Fazit: Dieses Kapitel veranschaulicht, wie eine rechtsextreme musikalische Ausei- nandersetzung mit dem NL aussehen kann. Es sind etwa die musikalische Verknüp- fung von NL und NS-Regime, die Verarbeitung vermeintlich nibelungischer Charak- tereigenschaften wie ein deutsches Wesen oder auch ironische Auseinandersetzun- gen möglich.

5.6 Kleidung Rechtsextreme Webshops bieten häufig Artikel an, welche mit dem NL in Verbindung stehen. Die meisten dieser NL-Artikel sind rechtlich unbedenklich. Es befinden sich etwa die Filme Die Nibelungen von Harald Reinl sowie Siegfried – Die Sage der Ni- belungen von Giacomo Gentilomo in den Sortimenten.531 Bei den Büchern sind vor allem Werke aus dem 19. Jahrhundert beliebt, z. B. die NL-Edition Karl Simrocks.532 Problematischerweise werden diese rechtlich unbedenklichen Artikel neben eindeutig rechtsextremen533 angeboten. Darüber hinaus gibt es auch NL-Artikel, welche im rechtsextremen Kontext stehen und mitunter subtil auf das NS-Regime verweisen. Diese sind hauptsächlich CDs und Kleidungsstücke. Nachstehend beispielhaft die Abbildungen (Abbildung 5, 6 und 8) und die Produktbeschreibung zu einem solchen T-Shirt.534

529 Einzige Ausnahme ist das Lied Hagen von Tronje auf dem Demoalbum Hagen von Tronje. Siehe Anhang (Abbildung 30). 530 https://www.metal-archives.com/albums/Pagan_Heritage/Hymns_of_Suicide/225788 [01.08.2019] 531 Obwohl einschlägige Webseiten üblicherweise v. a. deutschpatriotische Artikel anbieten, ist es hier interessant, dass ersterer Film eine deutsch-jugoslawische Koproduktion und letzterer ein italienischer ist. 532 Vgl. Kapitel 5.4, S. 79. 533 Hierunter fallen etwa Aufnäher, welche die Schwarze Sonne (vgl. Fußnote 491) zeigen (http://www. nuw-versand.de/index.php?page=product&info=3231 [01.08.2019]), Landkarten Nazi-Deutschlands (vgl. http://www.nuw-versand.de/index.php?page=product&info=651 [01.08.2019]) oder CDs von Frank Rennicke (Vgl. http://www.nuw-versand.de/index.php?page=categorie&cat=67 [01.08.2019]). Frank Rennicke ist Bundespräsidentschaftskandidat der NPD (Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands ist eine rechtsextreme Kleinpartei in Deutschland.), Liedermacher und Leitfigur der rechtsextremen Szene. Vgl. www.rennicke.de 534 http://www.nuw-versand.de/index.php?page=product&info=5468 [01.08.2019]

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Vorderseite:

Abbildung 5: T-Shirt-Vorderseite – Hagen wirft den Nibelungenschatz in den Rhein

Beim Frontmotiv wurde die Szene verwendet, in der Hagen den Nibelungenschatz in den Rhein schüttet, ein Motiv, welches besonders beliebt bei Rechtsextremen ist. Dieses wurde auch im NS-Regime wiederholt künstlerisch verarbeitet, wie etwa in einer Gobelin-Darstellung des Malers Rudolf Hermann Eisenmenger für das Reichs- propagandaministerium.535 Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits gilt Hagen zu- meist bei Rechtsextremen – noch vor Siegfried – als herausragendste Figur des NLs536. Hier wird er in der Pose dargestellt, die seine Eigenschaften am besten rep- räsentieren: In der Szene wird er endgültig zum Helden, der kein Zurück kennt. Zugleich ist er die unnachgiebigste (neben Kriemhild) und patriarchalste Figur des NLs. Außerdem ist er derjenige, der einen Goldschatz verschmäht, um seine idealis- tischen Ziele zu erreichen.537 Diese Szene repräsentiert aussagekräftig sein Treue- verständnis.

535 Vgl. Pulle, S. 520. 536 Wie in Kapitel 4.2 (S. 35-41) erläutert. 537 Allerdings gibt es auch Darstellungen, die Hagen als besonders geldgierig charakterisieren, wie zum Beispiel bei Wagner, wo Hagens einzige Handlungsmotivation ein Schatz, der Ring des Nibelun- gen, ist. Auch im Atlilied versucht Hogni (Hagen) durch List an den Schatz von den Burgunden zu gelangen. Vgl. Müller, S. 33.

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Rückseite:

Abbildung 6: T-Shirt-Rückseite – Erste Strophe des NLs und Flügelhelm Auf der Rückseite des T-Shirts befinden sich die Abbildung eines Flügelhelmes und eine Textstelle538 (Abbildung 6). Der Helm ist dem Wappen der 38. SS-Grenadier- Division Nibelungen539 entnommen (Abbildung 7). Diese Division wurde zwei Monate vor der Kapitulation des NS-Regimes ausgehoben und bestand weniger als einen Mo- nat.540 Sie war eine Zusammenstellung aus verschiedensten Ver- bänden, wie etwa Überresten diverser SS-Divisionen sowie Mit- gliedern des Zollgrenzschutzes und der Hitlerjugend.541 Der nationalsozialistische Gedanke des ‚letzten Widerstandes‘ und der bedingungslosen Treue wurde mit dieser Division Wirklichkeit. Abbildung 7: Flügelhelm- Emblem der 38. SS- Das Divisionswappen findet sich auch auf anderen Artikeln ver- Grenadier-Division Nibe- lungen schiedenster einschlägiger Webshop-Seiten.542

538 Vgl. Kapitel 5.6, S. 93. 539 http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/GrenadierdivisionenSS/38SSGD-R.htm [01.08.2019] 540 http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/GrenadierdivisionenSS/38SSGD-R.htm [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: Wehrmacht. 541 Siehe: Wehrmacht. 542 So auch etwa auf: http://werwolfwearshop.com/prestashop/de/search?controller=search&orderby= position&orderway=desc&search_query=NIbelungen&submit_search= [01.08.2019] (Abbildung 31 im Anhang)

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Bei der Textstelle auf der T-Shirt-Rückseite handelt es sich um die Eingangsstrophe des NLs:

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit, von helden lobebæren, von grôzer arebeit, von freuden hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.

Diese wurde der Edition Karl Bartschs543 entnommen, wobei durch ersetzt wurde.

Ärmel:

Abbildung 8: Ärmelemblem mit Adlerwappen und dem Schriftzug „Zeugmeisterei“ Am Ärmel ist ein Adler abgebildet, der an den des Deutschen Kaiserreiches ange- lehnt ist (siehe Abbildung 8). In Sütterlinschrift steht: ‚Zeugmeisterei‘. Zeugmeisterei- en waren im NS-Regime dafür verantwortlich, die nationalsozialistischen Organisati- onen einzukleiden.544 Einerseits bezieht man sich mit dem Helm und der Aufschrift auf das NS-Regime, andererseits waren die Sütterlinschrift und andere Frakturschrif-

543 Karl Bartsch: Das Nibelungenlied. Hrsg. von Helmut de Boor. 18. Auflage, Brockhaus: Wiesbaden 1965. 544 Vgl. Nicoline Bauers: Die Reichzeugmeisterei in München. In: 44. Tagung für Ausgrabungswissen- schaft und Bauforschung. vom 24. bis 28. Mai 2006 in Wrocław/Breslau. Berlin: Koldewey 2006, S. 19.

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ten ab 1941 verboten. Bis Kriegsende wurde nur eine Art der lateinischen Schrift (un- ter der Bezeichnung Deutsche Normalschrift) erlaubt.

Produktbeschreibung:

Braunes Hemd. Genialer Brust- u. Rückendruck. Vorderseite zeigt „Hagen von Tronje", die Rückseite die erste Strophe des Nibelungenliedes in althochdeutscher Sprache. Am Rücken unten befindet sich ein Label aus weichem Silikon „Zeugmeisterei" in Sütterlin. Es sieht im Original sehr edel aus. Der Schriftzug Nibelungen ist edel gestickt. Eingedrucktes Größen- u. Reinigungsetikett. Fett gewebtes Ärmellabel. Hemd aus 100 % Baumwolle (220 g/qm).545

Wiederum fällt eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem NL auf: Fälschli- cherweise wird der NL-Text in der Produktbeschreibung als althochdeutsch ausge- geben. Das T-Shirt ist nur in brauner Farbe erhältlich, dies könnte eine Anspielung auf die braune Parteifarbe der NSDAP oder auf die braunen Uniformen der NSDAP/SA sein.546

5.7 Der Siegfriedskopf an der Wiener Universität Auch heute noch sind Skulpturen, Bauwerke, Kriegsdenkmäler usw., welche im nati- onalsozialistischen, deutschnationalen oder antisemitischen Kontext entstanden sind, beliebte Pilgerstätten von Rechtsextremen.547 Die breite Öffentlichkeit scheint sich halbherzig wegen dieser Benützung zu echauffieren. Es werden nur selten solche Bauwerke entfernt oder mit Mahnschildern verziert. Bedenkliche Straßennamen wer- den kaum umbenannt. Ein Beispiel dieser Denkmäler ist der Siegfriedskopf, der vor allem als Pilger- stätte für rechtsextreme Burschenschafter dient(e).548 1923 wurde dieser als „eine Demonstration des Alleinvertretungsanspruches der deutschen Studentenschaft an der Universität Wien, der sich gezielt gegen Organisationen, die Juden als Mitglieder

545 http://www.nuw-versand.de/index.php?page=product&info=5468 [01.08.2019] 546 Zumal wird das Hemd als braun deklariert, obwohl es sich eher um einen orangen Farbton handelt. 547 Vgl. Pulle, S. 520-527. 548 Vgl. https://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/355672/Uni-Wien_Und-taeglich-gruesst- der-Siegfriedskopf [01.08.2019] und https://www.univie.ac.at/stv-ksa/de/schlagende-burschenschafter- in-vorlesungen-und-auf-der-uni-rampe/ [01.08.2019]

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aufnahmen“,549 richtete, in der Aula der Universität Wien aufgestellt. Zugleich diente das Denkmal als Erinnerung der im Fronteinsatz verstorbenen Professoren und Stu- denten.550 Siegfried personifizierte ab dem 20. Jahrhundert zunehmend das deut- sche Soldatentum, mit dem Siegfriedskopf soll zugleich an den Dolchstoß551 erinnert werden.

An der feierlichen Enthüllung des Siegfriedkopfes durften nur Burschenschaften und studenti- sche Vereinigungen teilnehmen, die den ‚Arierparagraphen‘ schon zu dieser Zeit forderten und anwendeten.552

Das Denkmal wurde vom Bildhauer Josef Müllner geschaffen, der später namhafter Künstler des NS-Regimes wurde.553 Erst 1990 plante man den Siegfriedskopf, wegen seiner fragwürdigen Vergan- genheit, zu entfernen, woraufhin es Widerstand seitens diverser Burschenschaften und Landsmannschaften gab.554 2006 (also über 15 Jahre später und mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges) wurde er schließlich in den Arkadenhof versetzt und mit einem Glassturz versehen.555

549 Wolfgang Lamsa: Der Siegfriedskopf. Seine Entstehungsgeschichte und wie die Universität Wien in den 1920er-Jahren zu einer Hochburg des Antisemitismus und Deutschnationalismus wurde. In: Stu- dienleitfaden 2002/03. ÖH Uni Wien: Wien 2002, S. 22. In weiterer Folge zitiert als: Lamsa. 550 Vgl. Lamsa, S. 22. 551 Siehe Kapitel 3.3, S. 23f. 552 Lamsa, S. 23. 553 Vgl. Lamsa, S. 23. 554 Vgl. Lasek, S. 101. 555 Vgl. Bele Marx, Gilles Mussard: Kontroverse Siegfriedskopf. Wissenschaftlich ausgearbeitet und künstlerisch interpretiert, S. 3. In weiterer Folge zitiert als: Marx und Mussard. Nachzulesen auf: http://www.photoglas.com/upload/bildordnersiegfried/presse.pdf [01.08.2019] Der autobiografische Text, mit dem der Glassturz verziert ist, stammt von Minna Lachs und handelt von ihrer Zeit als Stu- dentin in Wien. Er beschreibt, wie Burschenschafter Jagd auf jüdische Studierende machen. Vgl. Marx und Mussard, S. 5.

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Abbildung 9: Der Siegfriedskopf zur Zeit des Nationalsozialismus556

Abbildung 10: Der Siegfriedskopf heute, mit Glasummantelung557

556 Marx und Mussard, S. 28. 557 Marx und Mussard, S. 14f.

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5.8 Verwendung von Namen aus dem NL Neben all den ausführlicheren rechtsextremen Auseinandersetzungen mit dem NL werden das Wort „Nibelungen“ oder nibelungische Figurennamen gerne von rechts- extremer Seite in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. So ist zuweilen vom Nibelungendrama die Rede:

Die gewaltige Aufrüstung und der größte Aufmarsch, den die Weltgeschichte je sah, zwang zum deutschen Präventivschlag, der das halbe Reich vernichtete, aber das halbe Europa vor dem Bolschewismus558 bewahrte. Der Verteidigungskampf der deutschen Soldaten war ein Nibelungendrama sondergleichen. Unsere politische Klasse hat immer noch nicht begriffen, dass sie nur durch das Hel- dentum der deutschen Soldaten vor dem Gulag559 bewahrt wurde. 560

Daneben waren Komposita (also Wortzusammensetzungen) mit „Nibelungen“ auch in der NS-Zeit beliebt, so wurde die Linzer Nibelungenbrücke561 gebaut oder das Passauer Veranstaltungszentrum Nibelungenhalle562 genannt. Letztere ist heute be- liebter Veranstaltungsort für rechtsextreme Tagungen.563 Auch eine rechtsextreme Kampfsportveranstaltung bezieht sich mit ihrem Ver- anstaltungsnamen Kampf der Nibelungen auf das NL. Diese ist ein jährliches Event für rechtsextreme Kampfsportlerinnen und Kampfsportler.564 Interessant ist, warum als Veranstaltungslogo ein Lindenblatt gewählt wurde, also der Grund für die einzige verletzliche Stelle Siegfrieds, durch die er schlussendlich ermordet werden konnte.565

558 Der Bolschewismus war eine sozialdemokratisch-kommunistische politische Strömung Russlands. 559 Gulags waren die Zwangsarbeitslager der Sowjetunion. 560 Helmut Schröcke, Huttenbriefe 6/2003, S. 7. Nachzulesen auf: https://www.doew.at/erkennen/ rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/deutsches-kulturwerk-europaeischen-geistes-dkeg- deutsche-kulturgemeinschaft-dkg/zitate-vor-2011#nibelungen [01.08.2019] 561 Siehe Kapitel 5.1, S. 52f. 562 Vgl. Pulle, S. 527. 563 U. a. tagte die NPD dort. Vgl. https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz- rechts/archiv/februar-1998/tag-des-nationalen-widerstandes-npd [01.08.2019] 564 https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/newsletter/newsletter-archive/bfv- newsletter-archiv/bfv-newsletter-2017-04-archiv/bfv-newsletter-2017-04-thema-03 [01.08.2019] 565 Siehe Anhang (Abbildung 32).

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Ebenso der Brauerei namens Nibelungen Gold aus Fürstenfeld wird immer wieder eine Nähe zum Rechtsextremismus vorgeworfen.566 Auch gab es einen Nibelungen- versand, welcher rechtsextreme CDs vertrieb.567 Auch Begriffe aus dem NL sind beliebt, zum Beispiel arbeitet in Barcelona ei- ne Druckerei, die sich Nothung nennt und v. a. Publikationen von Personen, welche den Holocaust leugnen, vertreibt.568 Weiters gibt es den Jugendkreis Hagen im Netz, ein Netzwerk, das sich v. a. an (rechtsextreme) Jugendliche richtet.569

566 http://www.dahamist.at/index.php/2016/10/25/nibelungen-gold-fuerstenfeld_/ [01.08.2019] 567 Vgl. Andrea Röpke: Der Terror von rechts – 1996 bis 2011. In: Blut und Ehre. Geschichte und Ge- genwart rechter Gewalt in Deutschland. Hrsg. von Andrea Röpke und Andreas Speit. Berlin: Ch. Links 2013, S. 177 und https://www.antifainfoblatt.de/tags/nibelungen-versand [01.08.2019] 568 Franz Valandro: Rechtsextremismus in Vorarlberg nach 1945. Bregenz: VAG 1999. (= Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs. Band 15.), S. 62 569 http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/februar-2004/ jugendkreis-hagen-im-netz [01.08.2019]

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6 Schlussbemerkungen Der Rechtsextremismus ist sehr anpassungsfähig, rechtsextreme Ideen nehmen da- durch Einzug in die verschiedensten Lebensbereiche. Es gibt sie in politischen Strö- mungen, in religiösen Ansichten, in der Esoterik, Kunst, Musik, Kleidung etc. Literari- sche Werke bilden hierbei keine Ausnahme und gerade ein Werk wie das Nibelun- genlied, welches auf Grund seiner Struktur so viele Anknüpfungspunkte und Deu- tungsmöglichkeiten, Ausbau- wie auch Elidiermöglichkeiten bietet, kann leicht ideolo- gisch genutzt werden. Wie auch häufig bei Verfilmungen des NLs werden einerseits Deutungsmuster in das mittelhochdeutsche Werk hineininterpretiert, andererseits werden die vorhandenen Handlungselemente verkürzt. Die Charaktereigenschaften der Heldinnen und Helden werden stark vereinfacht und typisiert. Siegfried wird zu- meist als makelloser Idealmensch verklärt. Andere Gründe wiederum erleichtern eine speziell rechtsextreme Rezeption: Die germanisch mündliche Überlieferungssituati- on, die Abgrenzung vom romanischen Literatur- und Sprachraum, die Verknüpfung des literarischen Textes mit historischen (deutschen) Persönlichkeiten und Orten er- möglichen ideologische Vereinnahmungen. Aus rechtsextremer Sicht liegt dem Nibe- lungenlied zugleich ein ‚typisch deutscher Nihilismus‘ zugrunde. Vier rechtsextreme Auseinandersetzungen mit dem Nibelungenlied wurden in dieser Masterarbeit näher betrachtet. Fritz Stübers Die Nibelungendichtung zeigte eine überaus selektive Herangehensweise, ferner wurde ein Schwerpunkt auf histori- sche Aspekte, die Verbundenheit mit dem europäischen Norden und eine wissen- schaftliche Herangehensweise gesetzt. In Gerd Honsiks Epos Die Nacht der Nibe- lungen hingegen wurde hauptsächlich auf die Repräsentation eines idyllischen Mit- telalters wertgelegt. Auffallend ist außerdem die Herausarbeitung der heidnischen Elemente des Nibelungenliedes. Am bemerkenswertesten bei seiner Rezeption ist allerdings, dass Kriemhild eine sehr positive Bewertung im Text erfährt und sogar die – ansonsten v. a. wegen ihren gegenseitigen Treuebekundungen wertgeschätzten – Burgunder neben sich erblassen lässt. Das Alldeutsche Jahrbuch wiederum beschäf- tigt sich hauptsächlich unter esoterischen Gesichtspunkten mit dem Nibelungenlied, zugleich wird Richard Wagners Der Ring des Nibelungen eine hohe Bedeutung zu- gesprochen. Auch auf der rechtsextremen Online-Plattform Metapedia geht man sehr selektiv vor. So widmet man sich ausführlich den Helden Siegfried und Hagen, zugleich werden Brünhild und Kriemhild vernachlässigt. Ebenso wird dort bei Aufzäh-

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lungen der literarischen und filmischen Auseinandersetzungen mit dem Nibelungen- lied selektiert. So werden nur jene Filme, Sekundärliteraturen, Bücher etc. (ausführli- cher) behandelt, welche dem rechtsextremen Weltbild entsprechen. Anschließend wurden in dieser Masterarbeit weitere rechtsextreme Rezeptionen kurz angeschnit- ten. Diese zeigen ähnlich heterogene, verkürzende Herangehensweisen. Allerdings gibt bei allen Rezeptionen tendenziell Gemeinsamkeiten: Zumeist gilt Hagen auf Grund seiner Treue, seines forschen Auftretens gegenüber Frauen, seiner Bedingungslosigkeit und seiner heidnisch-germanischen Konnotationen als rechtsextreme Leitfigur. Mitunter wird er als Reinkarnation des Deutschen Reiches sowie Odins angesehen. Die zweite wichtige Figur ist Siegfried, der hauptsächlich wegen seiner typisch heldischen Attribute (stark, unbesiegbar, rechtschaffend) sowie seines idealisierten Aussehens (blond, blauäugig, muskelbepackt, makellos) Anklang findet. Fallweise werden reale Persönlichkeiten als Reinkarnationen bzw. Personifi- kationen der nibelungischen Figuren gehandhabt. So gäbe es Parallelen zwischen Otto von Bismarck und Siegfried, zwischen Heinrich Himmler und Hagen etc. Die restlichen Figuren werden in der Regel mit Missachtung gestraft oder durchwachsen konnotiert: Kriemhild gilt zumeist als emanzipatorisches Subjekt, welches es zu be- kämpfen gilt. Auch ihre christliche Einstellung stört im rechtsextremen Weltbild. Gun- ther und seine Brüder sind nicht männlich-dominant genug, um aus rechtsextremer Sicht ernsthaft behandelt zu werden. Brünhild wird zumeist auf Grund ihres Ge- schlechts und ihrer Hinterlist gegen Gunther und Siegfried missachtet. Der Konflikt der zwei großen Formen der Treue, welche im Nibelungenlied vorkommen, also Verwandtschaftstreue und Lehenstreue, werden in rechtsextremen Rezeptionen oberflächlich oder gar nicht behandelt. In der Regel wird die Lehenstreue auf eine bedingungslose Obrigkeitshörigkeit heruntergebrochen und für gut befunden. Diese rechtsextremen Zugänge zum Nibelungenlied sind keine Neuheit des 21. Jahrhunderts. Deren Wurzeln liegen im 19. Jahrhundert und hängen v. a. mit den Napoleonischen Kriegen, dem Aufstieg des Bürgertums, der Industriealisierung, dem übertriebenen Elitarismus der deutschsprachigen Bevölkerung gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen bei gleichzeitiger Geringschätzung von Frankreich, Italien, England und Russland sowie der Gründung des Deutschen Kaiserreiches zusam- men. Die Unterlegenheit der Mittelmächte gegenüber den Alliierten im Ersten Welt- krieg sowie die damit einhergehenden Reparationszahlungen verschärften wenig

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überraschend die nationalistischen, völkischen, antisemitischen und deutschnationa- len Ansichten der deutschsprachigen Bevölkerung. Das Nibelungenlied wurde in der Zwischenkriegszeit umso mehr für die patriotische Propaganda herangezogen und zum Nationalepos der Deutschen gemacht. Metaphern, welche unter Begriffen wie Dolchstoßlegende und Nibelungentreue bekannt wurden, wurden politisch ausge- schlachtet. Im nationalsozialistischen Deutschland schließlich gelangte die in den Jahrhunderten zuvor beginnende deutschpatriotische Lesart des Werks an ihren Hö- hepunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg tat man sich nach den nationalsozialistischen Zugängen zum Werk schwer damit, das Nibelungenlied neu einzuordnen. Anstatt sich literarisch von der vorangegangenen pathetischen Rezeption zu distanzieren, ließen Literaturschaffende wie auch Germanistinnen und Germanisten das Nibelun- genlied zumeist stillschweigend beiseite und widmeten sich anderen literarischen Themen und Gattungen. Nichtsdestotrotz blieb das Interesse am Nibelungenlied von rechtsextremer Seite ungebrochen. Einerseits führte man in diesen Kreisen die nati- onalsozialistische Tradition der Nibelungenlied-Rezeption weiter, andererseits fand man neue Wege, sich des Werks zu bedienen. Diese Masterarbeit zeigt: Der Rechtsextremismus ist eine Gefahr für die de- mokratische Gesellschaft. Aus diesem Grund ist es wichtig, dessen Methoden zu durchblicken und rechtsextreme Tendenzen achtsam zu beobachten. Zwar scheint es derzeit noch keine ernstzunehmende Gefahr für die parlamentarische Bundesre- publik Österreich zu geben, dennoch zeigt die Geschichte, dass schwierige Zeiten diese Idylle, in welcher wir uns gerade befinden, schnell kippen können. Das größere Ziel, die instinktgesteuerten Triebe des Menschen zu überwinden und eine Welt zu schaffen, in der jede und jeder weitestgehend glücklich leben können, liegt zwar vermutlich in weiter Ferne, dennoch darf man hoffen und sollte zugleich negative Entwicklungen im Blick behalten. Aus diesem Grund wäre es gut, wenn die Unter- schwelligkeit des Rechtsextremismus in den verschiedensten Lebensbereichen wei- ter untersucht wird. Sofern in dieser Masterarbeit ein umfangreicher, verständlicher Überblick gegeben wurde, hat sie einen Teil für dieses Ziel hinzugegeben. Im Hinblick auf das Nibelungenlied ist festzuhalten, dass das Werk weder links noch rechts, weder progressiv noch reaktionär ist, sondern auf Grund seiner Struktur das, was man aus ihm macht.

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7 Literaturverzeichnis

7.1 Quellen Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Vom Oster-Mysterium 2004 bis zur Sommer-Sonnwend 2005. Klagenfurt: Jahrweiser 2004. Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Von Sommer-Sonnwend 2005 über das Ostermysterium zur Sommer-Sonnwend 2006. Klagenfurt: Jahrweiser 2005. Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Von Sommer-Sonnwend 2006 über das Ostermysterium bis zur Sommer-Sonnwend 2007. Klagenfurt: Jahr- weiser 2006. Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Von Sommer-Sonnwend 2007 über das Ostermysterium bis zur Sommer-Sonnwend 2008. Klagenfurt: Jahr- weiser 2007. Bartsch, Karl: Das Nibelungenlied. Hrsg. von Helmut de Boor. 18. Auflage, Brock- haus: Wiesbaden 1965. Braun, Volker: Dimitri/ Die Übergangsgesellschaft/ Nibelungen/ Transit Europa/ Li- mes. Mark Aurels/ Was wollt ihr denn. Berlin: Suhrkamp 2014. Grolitsch, Lisbeth: Unsere Wertordnung. In: Huttenbriefe: für Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht. 34. Jahrgang (2016), Heft 2, S. 3-4. Graz: Freundeskreis Ulrich von Hutten e. V. 2016. Der Heimatbote. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Ausgabe 1/2012. Klagenfurt: Jahrweiser 2012. Hitler, Adolf: Zum Parteitag 1923. Aufsatz im Völkischen Beobachter vom 27. Januar 1923. In: Eberhard Jäckel, Axel Kuhn (Hrsg.): Adolf Hitler: Sämtliche Aufzeichnun- gen. 1905-1924. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1980. (= Quellen und Darstel- lungen zur Zeitgeschichte. Band 21) Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. Mün- chen: Zentralverlag der NSDAP 1938. Hofer, Christian: „Partisanenkampf“ im Teutoburger Wald. Begrenzung der römi- schen Herrschaft in Germanien. In: Alldeutsches Jahrbuch. Rätsel der Heimat im Jahreskreis. Sommer 2009-Sommer 2010. Ausgabe 2/09. Klagenfurt: Jahrweiser 2009, S. 59-62.

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Honsik, Gerd: Die Nacht der Nibelungen. Ein Epos von 27 Balladen, geschaffen für einen Vortrag von 3 Stunden. Geschrieben in den Jahren der politischen Gefangen- schaft. La Mancha: Bright Rainbow 2011. Huttenbriefe. 34. Jahrgang, Jan.-Mai 2016. Folge 2. Graz: Freundeskreis Ulrich von Hutten e. V.: 2016. Schröcke, Helmut: Huttenbriefe 6/2003, S. 7. Nachzulesen auf: https://www.doew.at/ erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/deutsches-kulturwerk- europaeischen-geistes-dkeg-deutsche-kulturgemeinschaft-dkg/zitate-vor-2011# nibelungen [01.08.2019] Stüber, Fritz: Die Nibelungendichtung. Wien: Österreichische Landsmannschaft 1977. (= Eckartschriften. 63)

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112

9 Bildanhänge

Abbildung 11: Extremismus-Hufeisen570

Abbildung 12: Politisches Wertedreieck571

570 https://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1119459 [01.08.2019] In weiterer Folge zitiert als: deacade- mic 571 deacademic

113

Abbildung 13: Pournelle-Diagramm572

Abbildung 14: Wahlplakat der NSDAP in Sachsen im Jahr 1930573

572 deacademic 573 https://www.pinterest.at/pin/844424998852678680 [01.08.2019]

114

Abbildung 15: Siegfried, welcher das Schwert seines Vaters in Händen hält574

Abbildung 16: Der Drache liegt in seiner Höhle.575

574 AJ2004, Vorderseite. 575 AJ2005, Rückseite.

115

Abbildung 17: Siegfried, der gegen den Drachen kämpft576

Abbildung 18: Wotan, der den Feuerwall um die schlafende Brünhild legt (1)577

576 AJ2005, Vorderseite. 577 AJ2006, Rückseite.

116

Abbildung 19: Wotan, der den Feuerwall um die schlafende Brünhild legt (2)578

Abbildung 20: Hagen, der zur Jagd bläst579

578 AJ2005, Zeitschriftvorsatz. 579 AJ2007, Zeitschriftvorsatz.

117

Abbildung 21: Trauernde Brünhild an Siegfrieds Grab 580

580 AJ2007, Rückseite.

118

Abbildung 22: Liste der NL-Editionen auf der Metapedia581

581 http://de.metapedia.org/wiki/Nibelungenlied [01.08.2019]

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Abbildung 23: Keltenkreuz582

Abbildung 24: Schwarze Sonne583

Abbildung 25: Adolf Hitler ‚der Sonnenmensch‘584

582 Verfassungsschutz, S. 53. 583 Verfassungsschutz, S. 67. 584 https://www.pinterest.at/pin/597501075537730625 [01.08.2019]

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Abbildung 26: Banner auf der Homepage des Nation & Wissen-Versands585

Abbildung 27: Verschiedene Logos der Band Absurd586

585 http://www.nuw-versand.de/ [01.08.2019] 586 https://www.metal-archives.com/bands/Absurd/383 [01.08.2019]

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Abbildung 28: Logo der Band Moonblood mit Pentagrammen und Keltenkreuzen587

Abbildung 29: Album Deutschtum der Band Tronje mit Schwarzer Sonne im Logo588

Abbildung 30: Demoalbum Hagen von Tronje der Band Tronje mit Schwarzer Sonne589

587 https://www.metal-archives.com/bands/Moonblood/1088 [01.08.2019] 588 https://www.youtube.com/watch?v=une9ah3MzlI [01.08.2019] 589 https://www.metal-archives.com/albums/Tronje/Hagen_von_Tronje/601917 [01.08.2019]

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Abbildung 31: Artikel auf der Seite www.werwolfwearshop.com mit Emblem der 38. SS-Grenadier-Division Nibe- lungen590

Abbildung 32: Logo der Veranstaltung Kampf der Nibelungen591

590 http://werwolfwearshop.com/prestashop/de/search?controller=search&orderby=position&orderway= desc&search_query=NIbelungen&submit_search= [01.08.2019] 591 https://www.kampf-der-nibelungen.com/ [01.08.2019]

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