Älteren in den Gewerkschaften in und Bremerhaven Nr. 22 - 2014 Vor 100 Jahren... Geographie Der Hulsberg ruft... ist Schicksal...

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Wir 22 - 2014 | 1 Liebe Leserin, lieber Leser,

Editorial In diesem Sommer 2014 jährt sich der Beginn des 1. Weltkrieges zum 100. Mal, der des 2. Weltkriegs zum 75. Mal.

In der WIR geht es nicht nur um Gedenken, sondern durch die weltpolitische Zuspitzung stattfindende und drohende Kriege täglich Thema in den Medien sind. An deutsche Beteiligung an Auslandseinsätzen, die seit über 20 Jahren Schritt für Schritt eingeführt wurden, hat sich die Bevölkerung schon fast gewöhnt. Aber obwohl in den Medien meistens von Hilfe, Unterstützung oder Ausbildung statt von Kriegsbeteiligung gesprochen wird, ist von Begeisterung in der Bevölkerung wenig zu spüren. Erst recht nicht bei der Generation, die noch den 2. Weltkrieg und seine Folgen erlebt hat.

Zuletzt verschärfen sich Feindbild-Propaganda und Einstimmungsversuche auf Kriegseinsätze durch PolitikerInnen und den Bundespräsidenten. Wachsamkeit tut Not, damit die Bevölkerung nicht wieder aufgrund von Lügen und Propaganda in einen Krieg hineingezogen werden, den sie nicht will.

Kriege sind eine Hauptursache für Armut. Sie bringen auch im 21. Jahrhundert Traumatisierung, Armut und Flüchtlingselend über die Menschen. Außerdem gibt es Ausblicke auf Themen, die uns in den nächsten Monaten beschäftigen werden. Eines davon ist das geplante „Freihandels“-Abkommen zwischen den USA und der EU, TTIP.

Viel Spaß beim Lesen. Wir freuen uns wie immer über Eure Anregungen, Artikel und Briefe.

In eigener Sache Alle Ausgaben unserer Zeitung „Wir“ sind im Internet als PDF-Dateien einsehbar: www.aulbremen.de/seniorenzeitung-wir

Inhalt Und plötzlich ist Krieg ...... 3 Was wissen wir denn über ...... 5 „Die schlechte Zeit“...?...... 5 Vor 100 Jahren, Hamburg am Beginn des 1. Weltkrieges...... 6 Erfrischung für die Frontkämpfer ... Kriegswirklichkeit ... das Ende...... 8 1914: Wer war schuld – ist das nach 100 Jahren noch wichtig?...... 9 Keine Kriegsbegeisterung...... 12 Geographie ist Schicksal oder alles wird von Menschen-Hand gemacht ...... 13 An 1914 und 1939 zu erinnern heißt auch die Frage zu stellen, warum der Erste- oder der Zweite Weltkrieg, „Weltkrieg“ heißen...... 15 Paul Frölich und die ...... 17 „Freiheit der Andersdenkenden“...... 17 Auf dem Zahnfleisch von Italien nach Kroatien und zurück...... 20 Der Hulsberg ruft...... 21 Leserbriefe...... 22 TTIP-Resolution...... 24 2 | Wir 22 - 2014 Und plötzlich ist Krieg ...

Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich- nach dem Zusammenbruch der UdSSR ins Ungarn Serbien den Krieg. Vier Tage spä- Wanken. Wir haben in Europa eine bei- ter folgt Deutschland: Der deutsche Kaiser spiellose Epoche ohne – wenn man vom erklärt erst Russland, zwei Tage darauf Balkankonflikt absieht - kriegerische Aus- Frankreich den Krieg. Es folgen weitere einandersetzungen. Ein Krieg in Europa Staaten. 1918 endet der Krieg. Er fordert ist nicht vorstellbar. über 17 Millionen Tote und eine weit hö- here Zahl von Verletzten – Soldaten wie Oder? Zivilisten. Spätestens mit der Krise in und um die „Jeder Schuss ein Russ’ ...“ Ukraine wandelt sich das Bild. In Politik und Medien und in Folge davon in der öf- Über die Gründe der Entstehung und fentlichen Diskussion entwickelt sich ein die Frage, welche Nation die „Haupt- an den Kalten Krieg erinnerndes Schwarz- schuld“ trägt, streiten sich noch heute die Weiß-Denken. Im Ukrainekonflikt wird Historiker. Unabhängig davon ist es heute die eine Seite – die pro-westliche - als die schwer nachzuvollziehen, warum – nach- Gute definiert während alle anderen folg- dem Kaiser Wilhelm zwo am 4. August lich die Bösen sind. Unter diesen nimmt 1914 in seiner Rede vor dem Reichstag vor allem der Russische Präsident Putin schwadronierte, er „... kenne keine Par- eine hervorragende Rolle ein. teien mehr, ... nur doch Deutsche“ – auch die Sozialdemokratische Fraktion fast ge- Ist der Konflikt – ohne hier näher da- schlossen Beifall klatschte und den Kriegs- rauf einzugehen - schon brandgefährlich, krediten zustimmte. Warum gab es keine macht ihn die folgende Entwicklung noch größeren Proteste, warum riefen die Ge- gefährlicher: werkschaften nicht zum Generalstreik auf, warum wurden kritische Stimmen als „va- Unser Bundespräsident Gauck for- terlandslose Gesellen“ beschimpft, warum dert auf der 50. „Münchner Sicherheits- bestiegen viele junge deutsche Soldaten konferenz“ (ein halboffizielles Forum mit Begeisterung die Züge an die Front? für Rüstungslobbyisten, Politiker und Journalisten) im Januar dieses Jahres ein Es gab politisch rückständige Verhält- nisse im Deutschen Reich, in dem Adel und Bürgertum über ein ungleiches Wahl- system deutlich mehr Einfluss hatten, Frauen hatten kein Wahlrecht. Dazu wur- de im Reich eine deutsch-nationale Stim- mung gefördert, die das Land von Feinden eingekreist sah, mit Russland und Frank- reich an erster Stelle. In Politik und Alltag hatte das Militär einen weitreichenden Einfluss1, der im Zuge einer massiven Auf- rüstung zu einer Selbstüberschätzung der eigenen Kräfte und zu einer regelrechten Kriegspropaganda führte. Die Folgen wa- ren entsetzlich.

Die Bundesrepublik heute ist mit dem Deutschen Reich und den damaligen Ver- hältnissen nicht zu vergleichen. 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs gibt es in Deutschland eine stabile Demokra- tie, man versöhnte sich mit dem Erzfeind Frankreich, das Feindbild Russland geriet Wir 22 - 2014 | 3 Umdenken in der der ZEIT-Journalist Jochen Bittner, der deutschen Außen- nach Gaucks Münchner Rede sehr positiv politik: In seiner in der ZEIT berichtete ... Grundsatzrede setzt er sich dafür Kurz: Ein Journalist, dessen Aufgabe ein, dass Deutsch- nach dem Grundgesetz die Kontrolle der land eine „stärkere Politik ist, liefert ihr die Reden und be- deutsche Verant- klatscht diese anschließend selber in der wortung“ in der Öffentlichkeit. Welt übernehmen müsse, auch durch Und: Herr Bittner ist kein Einzeltäter. ein „stärkeres mi- Wie die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“2 litärisches Engage- öffentlich machte, sitzen diverse führende ment“. Begleitet und deutsche Journalisten als Beiräte, Berater unterstützt wird oder Vorstandsmitglieder in US- und NA- er von den Regie- TO-nahen Organisationen3. rungsmitgliedern Steinmeier (Bun- Erklären sich so viele der einseitigen desaußenminister, Berichte und Darstellungen unserer Medi- SPD) und von der en im Ukrainekonflikt? Leyen (Bundesverteidigungsministerin, CDU). Keineswegs überraschend ist, dass Die Ukraine ist heute ein Pulverfass. diese neue Ausrichtung der Außenpolitik Der Konflikt erreicht fast jeden Tag eine mit den Diskussionen und Plänen um eine weitere kleine Stufe der Eskalation. Die neue Rolle der NATO korrespondiert, die Überlegungen von NATO und USA, in seit dem Zusammenbruch des Sozialis- Osteuropa Truppen zu stationieren, macht tischen Lagers auf Feindsuche ist. die Situation noch gefährlicher. Die poli- tische Führung unseres Landes arbeitet an Hinter Gaucks Rede steckt nun inte- einem Kurswechsel für eine stärkere mi- ressanterweise ein Strategiepapier, das von litärische Ausrichtung. Und unkritische der NATO-nahen Denkfabrik „The Ger- Medien desinformieren und bereiten den man Marshall Fund of the United States“ Boden für diese neue Politik. unter dem Titel „Neue Macht – neue Ver- antwortung“ im Vorjahr erarbeitet wurde. Wir müssen achtsam sein und uns ein- Und ein Mitarbeiter an diesem Papier war mischen.

1 Näheres bei Fritz Fischer „Griff nach der Weltmacht“, Düsseldorf 2009 2 Nett zu lesen: Heinrich Mann, „Der Untertan“, Frankfurt 2008 3 Nett anzusehen: ZDF „Die Anstalt“, Sendung vom 29.04.14, ab Minute 38:00, siehe http://www. youtube.com/watch?v=vPRvoDrQZC0 Die dort gemachten Aussagen beziehen sich auf Uwe Küger, „Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“, Köln 2013 4 Beispiele führender Journalisten in ausgewählten Beispiele NATO-naher Denkfabriken („Think- tanks“), die Personen sind jeweils Mitglieder in mehreren Organisationen

Verbindungen führender deutscher Journalisten (links) zu NATO-nahen Denkfabriken (rechts) American Council on Germany American Institute for Contemporary German Studies Jochen Bittner ZEIT Atlantik Brücke Kai Diekmann, Chefredakteur BILD Atlantische Initiative K.-D. Frankenberger, verantw. Außenpolitik FAZ Bundesakademie für Sicherheitspolitik Josef Joffe, Mitherausgeber ZEIT Deutsche Atlantische Gesellschaft Stefan Kornelius, Leiter außenpol. Referat SZ Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Günter Nonnenmacher, Mitherausgeber FAZ Münchner Sicherheitskonferenz The American Academy in The Aspen Institute The German Marshall Fund of the United States Trilaterale Kommission 4 | Wir 22 - 2014 Was wissen wir denn über „Die schlechte Zeit“...?

Meine Eltern, Vater Jahrgang 1910, und ein Stückchen Land für die Selbstver- Udo Hannemann Mutter Jahrgang 1914, haben den ersten sorgung. Weltkrieg auch nur als Kinder erlebt. Wenn es auf diese Zeit zu sprechen Mein Vater stammt aus dem Pommer- kam, hieß es immer „Die schlechte Zeit“. schen, heute Polen. Im damalige Landkreis Mein einziger Opa, der Vater meiner Saatzig war die Familie ansässig. Mutter, lebte einige Kilometer entfernt Sein Vater stammte aus Ball und war in und man fuhr ein paar mal im Jahr hin, jungen Jahren zur Armee eingezogen wor- oder er kam mal übers Wochenende zu den. Er diente, nicht ohne Stolz, bei den Besuch. Da hat man als Kind über andere Kürassieren in Parsewalk. Mein Vater be- Sachen gesprochen, als über „Die schlechte richtete dass die Kürassiere als Kanonen- Zeit“. futter im Krieg verheizt wurden. Für meine Eltern waren die Ereignisse Es hat sich von ihm noch ein Bild in des zweiten Weltkrieges noch drückende der Paradeuniform und später, kurz vor Erinnerungen. Beide hatten ihren Ehe- dem Krieg, ein Bild vor seinem Haus beim partner und ihr Hab und Gut verloren und Klammernschneiden erhalten. andere Sorgen, als mit uns über Familien- geschichte zu sprechen. Dann begann der erste Weltkrieg und er wurde erneut eingezogen. Aber beide hatten ihre Erinnerungen und an manches, was sie berichteten, Antibiotika waren noch nicht erfun- erinnere ich mich. den. Die meisten Toten im ersten Welt- krieg sollen ja an einer Krankheit verstor- Der Vater meiner Mutter war als Wehr- ben sein. Und so verstarb auch er in einem pflichtiger zur Marine eingezogen und Lazarett im heutigen Serbien an der Ruhr. diente als Matrose auf der kaiserlichen Dies wurde meiner Großmutter per Jacht „S.M.Y. Hohenzollern“. Da gab es Telegramm mitgeteilt. dann die tollen Erinnerungen von den Außerdem, und das wurde immer wie- Reisen ins Mittelmeer und den Landgän- der betont, hat der Lazarettarzt einen Brief gen in Italien. Bis hinauf auf den Ätna... an meine Großmutter geschrieben. Als dann der Krieg ausbrach, war er Auf abenteuerliche Weise haben Bilder, bereits ausgemustert und hatte einen klei- Papiere und die Erkennungsmarke meines nen Kaufmannsladen in seinem Dorf. Großvaters den Weg zurück zu meinem Während Inflation und Wirtschaftskrise, Vater gefunden. verursacht durch den Krieg, ging der La- den immer schlechter und er musste ihn schließen. So berichtete meine Mutter, dass wenn es am Ende des Tages Geld gab, die Men- schen losrannten, um für das Geld schnell Brot zu kaufen. Schon am nächsten Tag war dann das Geld kaum noch etwas wert. Sie berichtete uns dann später, dass, hätte er seine Wehrzeit auf der kaiser- lichen Jacht im Dorf stärker herausgestellt und nicht seinen sozialdemokratischen Ideen angehangen, es ihm und seiner Fa- milie wohl weit besser ergangen wäre. Aber der Familie ging es noch ver- gleichsweise gut. Sie besaß ein kleines Haus auf dem Dorf, hatte etwas Viehzeug

Wir 22 - 2014 | 5 Vor 100 Jahren, Hamburg am Beginn des 1. Weltkrieges

Rolf-Rüdiger Beyer Noch Ende Juli 1914 hatte der sozial- Regierung keine Schwierigkeiten machten. demokratische Parteivorstand zu Frie- Dieser „Burgfriedenspolitik“ schloss sich denskundgebungen aufgerufen. Alleine das Gewerkschaftskartell Hamburg-Alto- in Hamburg nahmen 68.000 Menschen na an. Schon am 1. August 1914 schrieb an den 19 Volksversammlungen teil, um das sozialdemokratische „Hamburger ihren Protest gegen die Kriegshetze zu be- Echo“ und läutete damit ein Umschwen- kunden. ken in Hamburg ein: „Deutschland steht heute, wenn nicht alle Zeichen trügen, am Als „Sündenfall“ der Arbeiterbewe- Vorabend eines Verteidigungskrieges ge- gung wird der 4. August 1914 gesehen. An gen den verbrecherischen Zarismus.“ Nur diesem Tage stimmte die SPD-Fraktion im wenige Tage später, am 4. August, hieß es Reichstag den Kriegskrediten zu. Vielfach in der gleichen Zeitung: „Wir müssen hi- übersehen wird dabei, daß bereits am 2. nein in den blutigen Wirbel, wir müssen August 1914 die Vorständekonferenz der das Vaterland schützen.“ freien Gewerkschaften beschlossen hatte, alle Streiks abzubrechen und für die Dauer Die Kriegsauswirkungen trafen Ham- des Krieges von Streikbewegungen abzu- burg und seine Bevölkerung schnell be- sehen; der Erhalt der Organisation wurde sonders hart. Die Handelsschifffahrt und als das wichtigste Ziel angesehen. Dem damit auch der Hafen kamen nahezu zum waren Gespräche mit dem Reichsinnen- Erliegen. Die Zahl der Arbeitslosen ver- ministerium vorausgegangen, in denen doppelte sich von Mitte August bis Mit- den Gewerkschaftsführern zugesichert te September 1914 auf 30.000; und dies wurde, daß ihnen und ihren Organisati- trotz der Tatsache, daß viele Arbeiter zur onen nichts geschehen würde, wenn sie der Reichswehr eingezogen wurden. Die Lage

6 | Wir 22 - 2014 bei der Ottenser Fabrik Menk & Ham- brock illustriert beispielhaft die Situation in den Betrieben: von den 1.170 Beschäf- tigten wurden 490 zum Heer verpflichtet. Die Verschärfung der Lebenssituation wird auch darin deutlich, daß sich binnen kürzester Zeit die Zahl der Obdachlosen um 9.000 auf 16.000 erhöhte. So wich der Hurra-Patriotismus der ersten Kriegstage, der die Arbeiterschaft im geringeren Maße ergriffen hatte, in den Arbeiterhaushalten schnell der Ernüchterung. Allerdings ging die Arbeitslosigkeit aufgrund fortgesetz- ter Einberufungen und der einsetzenden Kriegskonjunktur bereits Ende 1914 in Hamburg wieder deutlich zurück. Danach führte die Knappheit und ständige Verteu- erung der Lebensmittel immer wieder zu Protesten durch die Bevölkerung.

Die Opposition gegen die Burgfrie- denspolitik regte sich in Hamburg erst- Kriegshilfe mit. Die Hamburger Kriegshil- malig anläßlich des ersten Todestages von fe wurde im Wesentlichen von der Patri- August Bebel am 13. August 1914. Zu ih- otischen Gesellschaft getragen. Der große ren Führern gehörten der Schriftsteller Dr. Saal des Gewerkschaftshauses wurde im Heinrich Laufenberg, der Journalist Fritz September geräumt, damit die Kriegshil- Wolffheim und der Rechtsanwalt Dr. Carl fe 200 Obdachlose unterbringen konnte. Herz. In einer gemeinsamen Erklärung Mit der Konsumgenossenschaft „Pro- protestierten sie gegen die chauvinistische duktion“ wurde im Gewerkschaftshaus Schreibweise des „Hamburger Echos“. ein günstiger Mittagstisch für Bedürftige In der Erklärung hieß es unter anderem: eingerichtet. Die „Produktion“ verstand „Der jetzige Weltkrieg ist nicht ein Krieg sich nicht nur als Lieferant für die eigenen der Völker wider die Völker und nicht im Mitglieder und die Heeresverpflegung, Interesse der Völker, sondern ein Krieg sondern belieferte auch die aus der Not im Interesse des internationalen Finanz- zunehmend entstehenden „Kriegsvolks- kapitals. Er ist seiner Grundlage nach ein küchen“ in Hamburg. Krieg zwischen dem jungen, nach Aus- dehnung drängenden deutschen und dem Der Krieg, die Krise und sicherlich gefestigten, sich bedroht fühlenden eng- zum Teil auch das Verhalten der Gewerk- lischen Imperialismus.“ Auf diese Kritik schaftsführung hatten Auswirkungen auf wurde von der Hamburger SPD-Führung die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften. nicht inhaltlich, sondern administrativ Waren im Gewerkschaftskartell Ham- reagiert. Es wurde eine Tadelsaktion ge- burg-Altona im Jahre 1913 143.300 Mit- gen die Autoren der Erklärung eingeleitet. glieder organisiert, so waren es 1916 nur Diese mußte aufgrund des Protestes im noch 49.500. mitgliederstärksten dritten Hamburger Wahlkreis durch mehrere Bezirks- und Bis zum Kriegsende hatte Hamburg Distriktorganisationen aber abgebrochen 40.000 Kriegstote zu beklagen. werden. Trotzdem erlangte die Oppositi- on innerhalb der Partei keine Mehrheit. Mit freundlicher Genehmigung des Bei Abstimmungen innerhalb der Partei- Seniorenecho IGM Hamburg landesorganisation erlangte sie bestenfalls ein Drittel der Stimmen.

Für das Hamburger Gewerkschafts- kartell war die „Burgfriedenspolitik“ mit der Integration in staatliche Aufgaben verbunden. Ab August 1914 arbeiteten die Gewerkschaften in der Hamburger Wir 22 - 2014 | 7 Erfrischung für die Frontkämpfer ... Kriegswirklichkeit ... das Ende

Was braucht der Soldat 1914 an der Aber mit Erfrischungen in den Krieg Front? Er braucht Erfrischungen. – wie zum Schulausflug, zu dem Mama dem Kind neben dem Brot auch ein paar Das meint jedenfalls die Werbe-Abtei- energiereiche und erfrischende Leckereien lung der Firma Stollwerck, die mit dem packt? Das mit dem Ausflug meinen die Sonderangebot zum Kriegsbeginn in ei- kriegsbegeisterten und geschäftstüchtigen ner Zeitungsanzeige vom 30. August 1914 Stollwerc-Fabrikanten offensichtlich ernst. Mütter und Ehefrauen zum Kauf locken möchte. Sogar an die kleine Packung für Im Juli/August haben sich viele Men- den kleinen Geldbeutel ist gedacht. schen von der angefachten Welle der Kriegsbesoffenheit mitreißen lassen. Auch Flott dabei mit ihrer Werbung sind viele Arbeiter, denen nach vorherigen auch Firmen, die für Lazarettbedarf, vor- massenhaften Friedensdemonstrationen schriftsmäßige Offizierskoffer, Kübel- in den entscheidenden Wochen die Ori- spritzen für Militärlazarette und Baracken entierung auf Kriegsgegnerschaft durch und für Sammelmappen für die Kriegs- ihre sozialdemokratische Partei und ihre nummern der Zeitung werben. Gewerkschaften fehlte. Viele zogen frei- willig ins Feld ... von dem sie nicht ahnten, Es lässt sich nun mal aus allem ein Ge- welches blutige Schlachten sie dort erwar- schäft machen, mal mit dem Krieg, mal tete. Auch von Künstlern wie Franz Marc, mit dem Frieden. Im August 1914 eben mit Rilke oder Heinrich Vogeler ist überlie- dem gerade begonnenen Krieg. Von den fert, dass sie begeistert freiwillig in den großen Geschäften der Rüstungsindustrie Krieg zogen. ist in dieser Zeitung nicht zu lesen, die lau- fen einfach so. Entgegen der patriotischen Stimmung, die an der „Heimatfront“ noch Jahre nach Kriegsbeginn verbreitet wurde, wich an der Front unter den einfachen Soldaten bald die irregeleitete Begeisterung der Er- nüchterung, dem Kampf ums Überleben unter entsetzlichen Bedingungen – oder eben der bitteren Erfahrung einer der Millionen Toten, Verstümmelten oder Traumatisierten zu sein.

Die wichtigste „Erfrischung“ für die Frontsoldaten waren die Briefe ihrer An- gehörigen oder ein paar Tage Urlaub, wenn sie ihn überhaupt bekamen. Für manch Einen war eine Verwundung die Rettung. Manch Anderen hat der Tod im Menschenschlachthaus ereilt, noch bevor er den ersten Urlaub bekam. Und es gab Frontsoldaten, die ihren Familien Päck- chen mit Nahrungsmitteln schickten, weil sie wussten, dass diese hungerten. Ein Er- gebnis der Kriegserfahrungen der politi- schen Bremer Arbeiterbewegung war die Errichtung der Bremer Räterepublik am 10. Januar 1919, die am 4. Februar 1919 von dem Freikorps Gerstenberger nieder- geschlagen wurde. 8 | Wir 22 - 2014 1914: Wer war schuld – ist das nach 100 Jahren noch wichtig?

Deutschland erklärt Frankreich haber von 1914 den Krieg verursacht ha- Von Helmut Donat den Krieg ben und damit Schuld an ihm tragen.

Der Grund: Französische Flieger haben Von 1918/19 bis 1933 über Nürnberg Bomben abgeworfen. Alle großen deutschen Zeitungen melden den Statt sich von den Verbrechen am und Vorfall. Jeder Deutsche glaubt: Wir müs- im Weltkrieg zu distanzieren, fördern alle sen uns zur Wehr setzen! In Scharen fol- Weimarer Regierungen die Propaganda gen sie dem „Ruf der Waffen“, zu dem sie von der Unschuld Deutschlands, dabei der Kaiser auffordert. Was ihm vorher nie unterstützt von einer „nationalen Ein- gelungen ist – die Arbeiter hinter sein Sä- heitsfront“, die Parteien, Verbände, Be- belrasseln zu bringen, nun folgen sie ihm rufsgruppen, Vereinigungen etc. umfasst. – mitten hinein ins „Menschenschlacht- Am 30. Januar 1937 erklärt Hitler in seiner haus“.

Des Kaisers Botschafter in Paris hat sich geschämt, als er die deutsche Kriegs- erklärung übergab. Er wusste, dass es sich um eine Falschmeldung handelte. In Nürnberg gab es weder französische Flie- ger noch Bombenabwürfe!

Deutschland erklärt Russland den Krieg

Der Grund: Russland hat nach der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien mobil gemacht. Österreich will den souveränen Staat Serbien seinem Herrschaftsbereich einverleiben. Russland ergreift mit der Mobilisierung für die Ser- ben Partei. Deutschland betrachtet sich deshalb als angegriffen und im Krieg mit Russland.

Wenig später. Deutschland überfällt Belgien und verletzt damit das Völker- recht. Doch „Not kennt kein Gebot!“ ver- kündet Reichskanzler Bethmann Holl- weg im Reichstag. Großbritannien, wie Deutschland verpflichtet, Belgiens neu- tralen Status zu schützen, erklärt Deutsch- land den Krieg.

Vier Jahre und drei Monate später

Deutschland hat den Krieg verloren. Ergebnis: 17 Millionen Tote, zahllose Ver- wundete, Verstümmelte, Traumatisierte. Es ist „Zahltag“. Wie deutsche Kritiker des kaiserlichen Regimes, so erklären auch die Siegermächte, dass die deutschen Macht- Wir 22 - 2014 | 9 Rede im Reichstag: „Ich ziehe … vor allem schen und österreichischen Machthaber aber die deutsche Unterschrift feierlichst – und verdächtigt die der gegnerischen zurück von jener damals einer schwachen Staaten, keine reinen Westen zu haben. Regierung wider besseres Wissen abge- Wirkliche Beweise bringt Clark nicht vor, pressten Erklärung, dass Deutschland die sondern er interpretiert die Dinge so, wie Schuld am Kriege besitze.“ er es gern hätte. Fakten, die dem nicht entsprechen, lässt er einfach weg. Dabei Im Jahre 1961 weist der Hamburger kommt Clark zugute, dass der historisch Historiker Fritz Fischer in seinem Buch interessierte Laie in der Regel gar nicht in „Griff nach der Weltmacht“ (sowie in sei- der Lage ist zu beurteilen, was er weglässt. nem Werk „Krieg der Illusionen“, 1969) Wer z.B. nichts über die „Bayerischen Do- und weiteren Veröffentlichungen nach, kumente zum Kriegsausbruch“1 weiß und dass die deutschen Machthaber im Verein deren Stellenwert im Rahmen der Kriegs- mit ihren Verbündeten in Österreich-Un- schulddiskussion nicht kennt, wie soll garn die Hauptverantwortung an der Ent- der in der Lage sein, Clarks Vorgehen zu fesselung des Ersten Weltkrieges tragen, durchschauen? eine Auffassung, die in den nächsten 50 Jahren durch weitere Forschungen bestä- Man mag sich darüber streiten, ob tigt wird. die deutschen Machthaber den Weltkrieg „nur“ leichtfertig entfesselt oder ihn be- 2013 wärmt der Historiker Christopher wusst und planmäßig herbeigeführt ha- Clark mit seinem zum Bestseller hochge- ben. Zu welcher Haltung man mehr oder lobten Buch alte Legenden auf und lehnt minder neigt, ist letzten Endes zweitran- sich an die deutsche Kriegs-, Vor- und gig. Die Schuld ist und bleibt riesengroß. Nachkriegspropaganda aus den 20er Jah- ren an. Wie „Schlafwandler“ seien die Wie kann man nach 100 Jahren so Staatsmänner in den Krieg getappt; nicht tun, als wäre „Europa“ 1914 in den Krieg einzelne Staaten hätten den Krieg verurs- gezogen? Gehören Dänemark, Schweden, acht, sondern Europa insgesamt habe auf Norwegen, Spanien, Portugal, Italien (das einen Krieg gedrängt. Deutschland trage sich erst ab 1915 am Krieg beteiligte), die nicht mehr Schuld am Krieg von 1914 als Schweiz, San Marino oder Belgien und die anderen Mächte. Insbesondere belastet Luxemburg zu den Nationen, die „Europa“ Clark – neben Frankreich und England in den Krieg „hineinzog“? Von welchem – vor allem Serbien als „die bösen Buben „Europa“ spricht Clark? Belgien gehörte der Vorkriegszeit“ und Russland, das den und gehört zu Europa, es wollte weder 1914 Krieg für „expansive Ziele an Osteuropa noch 1939 einen Krieg, noch ist es jemals und am Bosporus“ gewünscht und geführt in einen Krieg hineingezogen wurden. habe. Clark ist dabei keineswegs neutral. Belgien wurde nicht von „Europa“, son- Er gehört staatsnahen deutschen Wis- dern sowohl 1914 wie 1939 von Deutsch- senschaftsinstitutionen an, in denen das land überfallen. Clark „europäisiert“ das Auswärtige Amt sowie das Bundesmini- deutsche Problem und die deutschen Ver- sterium für Wissenschaft und Forschung brechen. Um alle gleich zu machen, muss vertreten sind. Außerdem ist er Mitglied er die Machthaber Deutschlands in einem des Wissenschaftlichen Beirats der staats- erheblichen Umfang reinwaschen, die an- finanzierten Otto-von-Bismarck-Stiftung, deren in einem vergleichbaren Maße be- deren Vorstand und Kuratorium sich aus lasten und all jene europäischen Länder, ehemaligen Bundestagsabgeordneten, die damit nichts zu tun hatten, werden überwiegend Bismarck-Verehrern, und einfach negiert. Angehörigen der Familie Bismarck zu- sammensetzt.

„Schlafwandlertum“: Hier ist der 1 „Bayerischen Dokumente zum Kriegsaus- Wunsch Vater des Gedankens, - noch bruch“. Obwohl ihr Herausgeber Pius Dirr als ein heftiger Widersacher gegen die „Schuldlüge“ nie in der Geschichte der Menschheit ist galt, lieferte die von ihm herausgegebene Do- ein Krieg durch Mondsüchtigkeit der an kumentensammlung den Anklägern und Kri- ihm beteiligten Eliten verursacht wor- tikern des preußisch-deutschen Militarismus den. Clarks Argumentation ist banal und wichtiges Beweismaterial und bestärkte sie in fragwürdig. Um alle zu Gleichschuldigen der These von der Haupt- bzw. Alleinschuld der erklären zu können, entlastet er die deut- deutschen Machthaber am Ersten Weltkrieg. 10 | Wir 22 - 2014 Fraglos ist niemand frei von Schuld, mehr engagieren, d.h. einmischen solle. doch darf ein solcher Allgemeinplatz nicht „Neue Macht – neue Verantwortung“ lau- dazu herhalten, Behauptungen das Wort tet der Slogan. Wer natürlich wie Clark zu reden, die den historischen Sachver- meint, Deutschland trage keine Schuld halt geradezu auf den Kopf stellen. Fraglos am Ersten Weltkrieg, warum sollte der waren auch die Franzosen und Engländer einer neuerlichen deutschen Weltpolitik keine Waisenknaben und haben mehr als skeptisch gegenüber stehen? Im umge- einmal den Pfad der Tugend verlassen, kehrten Fall: Nach zwei gescheiterten aber ihnen zu unterstellen, sie hätten wie Versuchen Deutschlands politische Ziele Deutschland die Neigung oder Absicht mit Gewalt und Krieg durchzusetzen, ist gehabt, Konflikte der europäischen Groß- weiter Zurückhaltung angesagt, Krieg als mächte im beginnenden 20. Jahrhundert Lösung von Konflikten abzulehnen, son- vorbedacht und planmäßig mit Gewalt zu dern friedliche Lösungen anzustreben. lösen, geht äußert leichtfertig mit den un- Wie 1914 auf dem Balkan oder 1999 war terschiedlichen Politikkonzepten um, an Deutschland nicht durch Serbien bedroht, denen sich die Großmächte in der Julikrise sondern setzte mit allen - einschließlich 1914 orientiert haben. kriegerischen - Mitteln Interessenpolitik durch. Das Gleiche gilt auch heute für Af- 2014 – 100 Jahre nach dem ghanistan, Mali oder ganz aktuell die Uk- 1. Weltkrieg raine.

Bundespräsident Gauck, Außenmini- ster Steinmeier sowie Verteidigungs- (und wohl auch bald Kriegs-)ministerin von der Leyen machen sich stark für eine neue Veranwortung Deutschlands in der Welt und plädieren dafür, dass es sich künftig Wir 22 - 2014 | 11 Keine Kriegsbegeisterung

Kurzbiografie der Ge- Auf der Suche nach Arbeit kam Anna Klip- gesetzt waren, die Empörung über das unsin- werkschafterin und enga- pel Mitte der 90er Jahre nach Bremen. Sie fand nige Massensterben im Schlamm der Schüt- gierten Sozialdemokratin Anstellung als Dienstmädchen bei der wohlha- zengräben „für den Geldsack“ (Kachulle S. Anna Pöhland (1878-1919) benden Familie des Baumwollkaufmanns Alb- 159). Aus Anna Pöhlands Briefen wurde die im Frauenhandbuch des recht. Über ihre Freundin Elise Kesselbeck, die Erbitterung über Hunger und Entbehrungen, ebenfalls als Dienstmädchen beschäftigt war, die der Krieg für die Arbeiterfamilien bedeu- Bremer Frauenmuseums wurde sie zunächst in die sich gerade bildende tete, die Sorgen über die ständig kränkelnden Dienstboten- und danach in die sozialdemo- Kinder, die quälende Angst um das Schicksal kratische Bewegung gezogen. Aus- des Mannes deutlich. Sie berichtete aber auch gehend vom Gewerkschaftshaus in voller Stolz von den von ihr mitgetragenen der Faulenstraße, wo die bremische Hungerdemonstrationen der Arbeiterfrauen Dienstbotenbewegung ihr Büro hatte, vor der Lebensmittelkommission (Juni 1916), zogen die beiden Freundinnen - auch die sich gegen die unzulängliche Versorgung noch nach ihrer Verheiratung - aus mit Lebensmitteln und mangelnde staatliche und „agitierten“ die anderen Dienst- Unterstützungsleistungen richteten. „Senator mädchen. Biermann“, schrieb sie, „verfärbte sich, als er die Menge vor der Tür sah, er stand gerade 1898 lernte Anna auf einem Sylve- vor mir und ich brachte ihm, unsere Wünsche sterball im Café Flora ihren späteren vor...“(Kachulle S. 130). Mann, den Maurer Robert Pöhland kennen. Dieser war 1897 aus dem Anna Pöhland besaß einen ausgeprägten Vogtland nach Bremen gewandert. Klassenstolz. Das Angebot der Bremer Kauf- Nach ihrer Heirat im Oktober 1900 mannsfrau Lauts, der Frau des Präsidenten und der Geburt ihres ersten Kindes, des Roten Kreuzes, ihren ältesten Sohn zu gab Anna Pöhland ihre Stellung auf. unterstützen, wies sie zurück: „Sie meinte, Vier weitere Kinder folgten, so dass Geld im- es wäre doch schön, wenn Robert etwas an- mer sehr knapp war. Anna sah sich häufig deres würde... Was die wollen durchschaue gezwungen, durch eigene Erwerbsarbeit den ich aber: unsere Kinder für sich gewinnen. Ich Lebensunterhalt der Familie mit zu bestrei- habe ihr gesagt, es sei Sache des Staates, für ten. Jahrelang trug sie die Bremer Bürger begabte Kinder Geld herzugeben. Ich möchte zeitung aus. Beide Pöhlands waren belesene nicht gern abhängig sein. Sie meinte, unse- und kulturell vielseitig interessierte Sozialde- re Kinder würden alle steigen, sie wären alle mokraten. Sie waren Mitglieder des Goethe- nicht dumm. Darauf antwortete ich ihr, daß bundes, in dessen Rahmen sie Theater, Opern sie nicht kriechend steigen würden, wir wären und Konzerte besuchten. Ihr starkes Interesse keine Streberseelen“ (Kachulle S. 56). Anna an Fragen des Wissenschaftlichen Sozialismus Pöhland setzte ihre politischen Hoffnungen brachte die Familie in engen, freundschaft- auf die innerparteiliche Opposition. Anders lichen Kontakt mit Theoretikern der Sozialis- als ihr Mann hielt sie die Spaltung der Sozial- tischen Internationale, die damals im Bremer demokratie für unumgänglich. Sie schloß sich Bildungsausschuss Kurse leiteten, wie dem den Bremer Linksradikalen an. Als die Grup- AUSSTELLUNG Holländer Anton Pannekoek, dem Ungarn Ju- pe Internationale Kommunisten Deutschlands zur Lebens- und Arbeitssitua- lius Alpari oder . gegründet wurde, trat sie gleich bei. Für die tion von Frauen in Bremen, zu Bremer Räterevolution setzte sie ihre letzten Frauenverbänden sowie wich- Als die sozialdemokratische Reichstags- Kräfte ein, sie „machte einige Tage blau“, ging tigen politischen Aktionen im 1. fraktion im August 1914 die Kriegskredite nicht zu ihrer Arbeit als Hemmschuhlegerin Weltkrieg bewilligte, brach für Anna Pöhland eine Welt bei der Reichsbahn. Gerade 41jährig starb sie 2. - 27. September - Wall-Saal- zusammen. Im Frühsommer 1915 wurde ihr am 26.2.1919, wenige Tage nach der Nieder- Galerie – Zentralbibliothek Mann eingezogen. Von da an schrieben sich schlagung der Bremer Räterepublik an den die Eheleute beinahe täglich bis zu Pöhlands Folgen der Erschöpfung, Überarbeitung und Anschließend in der Zentral- Tod im Oktober 1916 in Frankreich. Der erhal- Entbehrungen, die der Krieg für die Frauen stelle für die Gleichstellung der tene Briefwechsel zwischen den sich zeitlebens der Arbeiterklasse mit sich gebracht hatte. Frau: ab 1.10. bis 14.11. Kno- sehr innig zugetanen Eheleuten wurde von chenhauer Str. 20-25 Doris Kachulle 1982 herausgegeben. Literatur und Quellen: 1.10.,18 Uhr: Vortrag Edith Kachulle, Doris( Hg.): Die Pöhlands im Krieg, Laudowicz: Die organisierte Die Korrespondenz schildert in bewe- Köln 1982; Mütterlichkeit - Frauenverbän- gender Weise, was der Krieg für die einfachen Schunter-Kleemann, Susanne: Sind denn die de im Kriegseinsatz Leute bedeutete. Vom vielzitierten Hurra- Weiber nur des Magens wegen da?, in: Gatter, in Kooperation mit dem Bremer Patriotismus und von Kriegsbegeisterung ist F.T./ Müser, Mechthild: Bremen zu Fuß, Ham- Frauenausschuss in der Reihe in diesen Briefen keine Rede. Aus Roberts burg 1987 Susanne Schunter-Kleemann Politika Briefen spricht die Wut über die Schikanen, http://www.bremer-frauenmuseum.de/frauen- denen die politisch auffälligen Arbeiter aus- handbuch/poehland.html 12 | Wir 22 - 2014 Geographie ist Schicksal oder alles wird von Menschen-Hand gemacht

Am Vorabend des I. Weltkrieges war Pforte waren am Vorabend des I. Weltkrie- Orhan Çalışır das Osmanische Reich von den Tür- ges auf höchstem Niveau. kisch-Russischen und den Balkan-Kriegen erschöpft. Das aus der Zeit gefallene Reich Was wollten die Jungtürken? hatte im europäischen wie auf dem asia- tischen Teil große Gebiete verloren. Das Ein Teil der Machthaber in Istanbul Land hatte keine der Zeit entsprechende dachte, ohne sich an eine der Großmäch- Industrie. Die Wirtschaft des Landes war te anzulehnen, kann das Reich den Krieg auf Handwerk, Landwirtschaft und Han- nicht überleben. Was die Parteinahme del aufgebaut. Und so war das Reich nicht für eine der Kriegsparteien angeht, gab es mehr in der Lage, sich weiterhin als eine unterschiedliche Fraktionen im Komitee der Weltmächte zu behaupten. Der auf dem für Einheit und Fortschritt. Eine wichtige Millet-System basierende Staat, in dem die Gruppe stand für die Neutralität des Rei- Völker nach Glaubensgemeinschaften de- ches. Die Gruppe um Enver Paşa war be- finiert wurden und eine gewisse Autono- dingungslos für Deutschland. Enver Paşa mie besaßen, konnte gegenüber der Religi- und Co. strebten nicht nur die Konsolidie- on des 19. und des 20. Jahrhunderts, dem rung des zerfallenden Reiches an, sondern Nationalismus, nicht Stand halten. hofften auch durch einen starken Partner wie Deutschland, die in den letzten Krie- Ab 1908 übte die Jungtürkische Be- gen verlorenen Länder zurück zu erobern. wegung (Das Komitee für Einheit und Fortschritt) großen Einfluss auf die Re- Trotz des großen Einflusses des Kai- gierung aus und hatte am Anfang wichti- serreiches auf die Hohe Pforte hat die Re- ge Reformen auf den Weg gebracht. Nach gierung in Istanbul bis zur letzten Minute den verlorenen Balkankriegen entwickelte mit beiden Seiten Verhandlungen geführt. sich das Komitee mehr und mehr zu einer England und Frankreich hatten kein Inte- osmanisch-türkischen nationalistischen resse an einem Bündnis mit dem Osma- Bewegung. Mit einem Putsch im Dezem- nischen Reich. Sie forderten auch nicht ber 1913 riss das Komitee die Staatsmacht die Neutralität der jungtürkischen Regie- komplett an sich. rung. Sie waren ihrer Stärke bewusst und wollten, dass die Türkei als Gegner bleibt. Die engen Beziehungen zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich – die Berlin-Bagdad-Bahn

Das Deutsche Reich suchte Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts als eine gegen Frankreich und vor allem gegen England aufstrebende superimperialistische Macht in Europa nach Kolonien und Absatz- märkten. Aber die Welt war schon unter den anderen imperialistischen Mächten mehr oder weniger aufgeteilt. So war es für das deutsche Kapital und für Kaiser Vorstandssprecher der Deut- Wilhelm II. klar: „nur die Türkei konnte schen Bank Georg von Siemens das Indien Deutschlands werden“. Mit der als Bahnwärter der Bagdad- „Deutschen Militärmission im Osmani- bahn. Karikatur der „Lustigen schen Reich“ ab 1882 und mit dem Baube- Blätter“ von 1900. „Bahn frei für die deutsche Kulturarbeit!“ kari- ginn der Berlin-Bagdad-Bahn 1898 hatten kiert die Ideologie des deutschen Kaiser und Kapital einen großen Schritt in Imperialismus. diese Richtung gemacht. Die Beziehungen zwischen dem Kaiserreich und der Hohen Wir 22 - 2014 | 13 Deutscher Brunnen in Istanbul auf dem Sultan-Ahmet-Platz. Ein Geschenk des Kaisers Wil- helm II. an den Osmanischen Sultan Abdülhamit II. Einweihung 1901

So war es einfacher, das Hab und Gut des Komitees für Einheit und Fortschritt ge- „kranken Mannes am Bosporus“ unter wusst haben. sich aufzuteilen. Was am Kriegsende durch das Sykes-Picot Abkommen auch geschah. Das Ende des Reiches und die Das British Empire kannte schon zu dieser verheerenden Folgen für die Zeit die Bedeutung des Erdöls. Das Schick- Menschen sal des Osmanischen Reiches und damit der ölreichen Gebiete im Nahen Osten war Ob das Osmanische Reich seine Neut- besiegelt. ralität im ersten Weltkrieg hätte bewahren können oder nicht, ist heute nur eine Fra- Neben Enver Paşa beschleunigte auch ge für die Historiker. Oder ob dieser Staat das Treiben der in der Türkei tätigen mit seiner damaligen Struktur gegen den deutschen Diplomaten und Militärs den aufflammenden Nationalismus auf dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches Balkan und im Nahen Osten hätte überle- an der Seite des Deutschen Kaiserrei- ben können, wissen wir nicht. Aber wenn ches. Zwei Kreuzer der deutschen Mari- das Osmanısche Reich sich nicht an dem ne unter dem Kommando von Admiral Krieg beteiligt hätte, wären seinen Bürgern Souchon flohen im Oktober 1914 vor der Katastrophen und menschliche Tragödien britischen Mittelmeerflotte über die Dar- als Folgen des 1. Weltkrieges erspart ge- danellen nach Istanbul. Die türkische Ma- blieben: Hunderttausende Kriegsopfer, die rine „kaufte“ offiziell die beiden Schiffe. Vertreibung und Ermordung der armeni- Die Kriegsschiffe SMS Goeben und SMS schen Bürger des Reiches, Vertreibung von Breslau erhielten Türkische Namen: Ya- fast zwei Millionen Menschen durch den vuz Sultan Selim und Midilli. Die deutsche so genannten Bevölkerungsaustausch zwi- Besatzung bekam Osmanische Uniformen schen Türkei und Griechenland. und bombardierte am 29. Oktober die rus- sischen Schwarzmeer-Städte Sewastopol Der Philosoph Ibn-i Haldun sagte mal: und Odessa. Unmittelbar danach erklärten „die Geographie ist Schicksal“. Vielleicht Russland, England und Frankreich dem spielte es für den Kriegseintritt eine wich- Osmanischen Reich den Krieg. tige Rolle, dass das Osmanische Reich eine Brückenposition zwischen Ost und West Kriegsminister Enver Paşa und die hatte und die damals bekannten Ölvor- Vertreter des deutschen Reiches hatten in kommen auf dem Gebiet des damaligen einer Nacht- und Nebelaktion das Osma- Osmanischen Staates lagen. Aber letzten nische Reich in den Krieg bzw. in ihren Endes wurde alles von Menschen gemacht: Untergang gestürzt. Außer Enver Paşa sol- Die Kriege und auch das Unmenschliche len nur ein Handvoll seiner Vertrauten von an den Menschen. den Kriegsplänen des starken Mannes des 14 | Wir 22 - 2014 An 1914 und 1939 zu erinnern heißt auch die Frage zu stellen, warum der Erste- oder der Zweite Weltkrieg „Weltkrieg“ heißen

Der Beginn des 1. Weltkriegsestrebt ei- Wesentlichen geklärt und bekannt. Unbe- nen „Platz an der Sonne“ zu erobern und kannt bzw. verdrängt bis in die Gegenwart in den Kreis der etablierten Weltmächte aber sind die Folgen beider Weltkriege für einzutreten, entfesselt Deutschland im die heute sogenannten 3. Welt-Länder und August 1914 einen Krieg, der die Weltge- Kolonien der beteiligten Großmächte. schichte im epochalen Sinne geprägt hat. In der Aufarbeitung der Vorgeschichte, Industriell hochgerüstet und befördert Geschichte und den Folgen beider Welt- von den allgegenwärtigen Nationalismen kriege werden die bis heute spürbaren und Rassismen, sowie den imperialen und Folgen für viele Länder Afrikas und ihren kolonialen Interessen, entfachen die euro- Bevölkerungen ignoriert, bzw. in der Öf- päischen Großmächte im Zuge der deut- fentlichkeit hartnäckig verdrängt. schen Aggression und globalen Expansion Schritt für Schritt einen weltumspannen- Die Ausstellung „Dritte Welt den Krieg. 40 involvierte Nationen und im Zweiten Weltkrieg“ weltweit ca. 70 Millionen Menschen unter Waffen verdeutlichen das globale Ausmaß Über 20 Millionen Soldaten aus Afrika, des 1. Weltkriegs. Asien, Lateinamerika und Ozeanien ha- ben im Zweiten Weltkrieg gekämpft, um Dass der 2. Weltkrieg, dessen Beginn die Welt vom deutschen und italienischen sich 2014 zum fünfundsiebzigsten Mal Faschismus bzw. vom japanischen Groß- jährt und erneut von Deutschland ausgeht, machtwahn zu befreien. Viele von ih- Allein in Ostafrika starben ohne den 1. Weltkrieg nicht vorstellbar ist, nen wurden in den damaligen Kolonien im Ersten Weltkrieg rund eine ist durch die Geschichtswissenschaft im zwangsrekrutiert. Allerdings haben nur Million Menschen.

Wir 22 - 2014 | 15 die wenigsten nach dem Krieg Pensionen Zerbo aus Burkina Faso den Zweiten Welt- oder Opferrenten erhalten. Gleichzeitig krieg als „größten historischen Einschnitt dienten weite Teile der kolonialisierten für Afrika seit dem Sklavenhandel und der Welt als Schlachtfelder sowie Bezugsorte Zerstückelung des afrikanischen Konti- für kriegswichtige Rohstoffe und Nah- nents bei der Berliner Kongo-Konferenz rungsmittel. im Jahre 1884/1885“ bezeichnet.

Entsprechend hoch waren die Opfer- „Dritte Welt“ in der Debatte zahlen: Allein China hatte mehr Opfer zu beklagen als Deutschland, Italien und Ja- Der Begriff „Dritte Welt“ ist schon pan zusammen, und auf den Philippinen lange in die Kritik geraten – spätestens mussten während der japanischen Besat- mit Entstehung der Eine-Welt-Bewegung. zungszeit über 1 Million Menschen ihr Denn er behandelt völlig unterschiedliche Leben lassen, davon 100.000 bei Luftan- Länder von Afrika bis in den Pazifik als griffen auf Manila. Hinzu kamen Hun- Einheit, zudem scheint er diese sprach- derttausende Frauen, die vergewaltigt lich zwei Positionen unter der „Ersten oder als Zwangsprostituierte verschleppt Welt“ einzuordnen. Dennoch haben sich wurden – unter anderem 200.000 in japa- die Ausstellungsmacher_innen für die nische Militärbordelle. Verwendung dieses Begriffs entschieden – und das aus zwei Gründen: Zum einen, weil Solche und viele weitere Fakten werden auch alternative Begriffe wie „Peripherie“, in der europäischen Öffentlichkeit bis heu- „Trikont“ oder „Entwicklungsländer“ mit te weitgehend ausgeblendet. Die Ausstel- ähnlichen Problemen behaftet sind. Zum lung „Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ anderen, weil es ursprünglich der algeri- verändert dies. Sie macht Schluss mit einer sche Befreiungstheoretiker Frantz Fanon eurozentristischen Geschichtsschreibung, war, der in seinem berühmten Buch „Die in der die Opfer der damaligen Dritten Verdammten dieser Erde“ die Bezeichung Welt nichts zählen. Im Zentrum steht „Dritte Welt“ in Anlehnung an den „drit- stattdessen eine globale Perspektive, die ten Stand“ der Unterdrückten im feudalen nicht nur hierzulande unbekannte Zusam- Frankreich eingeführt hat: „Die Dritte menhänge aufzeigt, sondern auch Chrono- Welt steht heute als eine kolossale Masse logien und Gewichte verschiebt: Beispiels- Europa gegenüber; ihr Ziel muss es sein, weise war der Überfall Deutschlands auf die Probleme zu lösen, die dieses Euro- Polen am 1. September 1939 lediglich der pa nicht hat lösen können.“ Mit anderen Tag, an dem der Zweite Weltkrieg in Euro- Worten: Die Ausstellungsmacher_innen pa begonnen hat. Demgegenüber hatte in teilen zwar die Bedenken an dem Begriff Afrika der Zweite Weltkrieg bereits 1935 der Dritten Welt, weisen aber darauf hin, mit dem Angriff Italiens auf das bis dahin dass der abwertenden Lesart ein handfes- unabhängige Äthiopien seinen Anfang ge- tes Missverständnis zugrundeliegt. Denn nommen – mit 150.000 toten Zivilist_in- aus Sicht von Frantz Fanon handelt es sich nen allein in den ersten sieben Kriegsmo- um eine emanzipatorische Bezeichnung, ja naten. Kurzum: Die Ausstellung klärt auf. um eine Art globalen Klassenbegriff, der Sie macht unter anderem verständlich, den antikolonialen Befreiungsbewegun- weshalb der berühmte (in der Ausstellung gen den Rücken stärkt. ebenfalls zitierte) Historiker Joseph Ki-

Die Ausstellung „Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Über ein vergessenes Kapitel der Geschich- te“ ist vom 1. bis 23. September 2014 in der Unteren Rathaushalle (Markplatz Bre- men) zu sehen Öffnungszeiten: Täglich 11 bis 19 Uhr Organisiert wird die Ausstellung von: Arbeit und Leben Bremen e.V., BeN – Bre- mer Entwicklungspolitisches Netzwerk e.V., biz – Bremer Informationzentrum für Menschenrechte und Entwicklung, Mate ni kani e.V., Afrika-Netzwerk Bremen, Af- rika-FreundInnen e.V., City 46 – Kommunalkino Bremen e.V., Rosa-Luxemburg-In- itiative – Die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bremen und Afrique-Europe-Interact. Das Projekt wird finanziell unterstützt von: Stiftung Die Schwelle / Bundespro- gramm Toleranz Fördern – Kompetenz stärken 16 | Wir 22 - 2014 Wir erinnern uns Paul Frölich und die „Freiheit der Andersdenkenden“

Ein Sozialdemokrat als Mitbegründer der Bremer Linken und der KPD

Keine Hochstimmung war zu verneh- Redakteur der „Bremer Bürgerzeitung“ Jörg Wollenberg men, als der 1884 in Leipzig geborene Paul (BBZ) nach Bremen gekommen und hatte Frölich am 1. August 1914 vor dem Bremer auf den überfüllten Protestversammlun- Hauptbahnhof sich zusammen mit dem gen in den Bremer Stadtteilen gesprochen. 17 Jahre alten Sozialdemokraten Wilhelm „Nieder mit dem Krieg - Massen heraus!“, Eildermann von dessen älteren Brüdern verkündete das Flugblatt der noch geein- Friedrich (Fritz) und Louis auf dem Bahn- ten Sozialdemokratie. Das Lied der Arbei- hof der Hansestadt Bremen verabschie- terjugend „Dem Morgenrot entgegen. Ihr dete, die in den Krieg ziehen mussten. Kampfgenossen all!“, von Heinrich Eilder- Die ansonsten zu Beginn des Weltkriegs- mann als Lied der Jugend 1907 verfasst, brandes vorherrschende Kriegsbegeis- erstarb nach dem 4. August 1914 nicht nur terung war in der linken Hochburg der auf seinen Lippen. Dabei hatte im Gegen- Arbeiterbewegung lediglich in den bür- satz zum „Vorwärts“, dem Zentralorgan gerlichen Kreisen zu vernehmen. Als Geg- des SPD-Parteivorstands, die BBZ in den ner des Wettrüstens gegen Militarismus letzten Tagen des Juli 1914 immer wieder und Krieg eingestellt, erschütterte Paul vor der Gefahr eines europäischen Bürger- Frölich zutiefst, dass wenige Tage später, krieges gewarnt. am 4. August 1914, die Reichstagsfraktion seiner Partei die Kriegskredite bewilligte Zahlreiche Kundgebungen gegen den und zugunsten der „Burgfriedenspolitik“ drohenden Krieg fanden in der Juli-Kri- auf Lohnkämpfe und Antikriegsdemonst- se von 1914 in Bremen statt, allein sieben rationen verzichtete. Nach seiner Tätigkeit überfüllte Versammlungen mit den Bre- bei zahlreichen SPD- und Gewerkschafts- mer Linken um den Reichstagsabgeord- zeitungen war Frölich im Mai 1914 als neten und Chefredakteur der BBZ Alfred

Wir 22 - 2014 | 17 Paul Frölich mit Karl Radek kooperierten. Noch vor der Gründung der KPD leitete er mit Knief die „Internationalen Kommunisten Deutsch- lands“ (Bremer Linksradikale). Auf dem Gründungsparteitag der KPD in Berlin wurde Frölich Ende Dezember 1918 in die Zentrale der KPD gewählt, der er bis 1924 ebenso angehörte wie dem Reichstag. 1925 beauftragte ihn die KPD-Führung mit der Herausgabe der Gesammelten Werke von Rosa Luxemburg.

Als Kritiker der Stalinisierung der KPD wurde er mit den Vertretern der „rechten Fraktion“ um Brandler und Thalheimer aus der KPD ausgeschlossen. 1932 ging er mit einigen Mitgliedern der KPO zur SAP. Eine linkssozialistische Gruppierung von Anhängern des Austromarxismus, die we- gen ihrer Parteikritik an dem Weimarer Henke als Redner am 28. Juli (vgl. BBZ Nachrüstungsbeschluss (Kinderspeisung 29.7.1914). Jedoch verhinderte die Polizei statt Panzerkreuzer) aus der SPD ausge- alle Kundgebungen ab dem 2. August 1914 schlossenen worden waren. Zu ihnen ge- „wegen Gefahr für die öffentliche Sicher- hörten prominente Sozialisten um Willy heit“. Auch die Berichtserstattung wurde Brandt und der IG Metall-Vorsitzende in der BBZ, dem „Organ für die Interes- Otto Brenner wie auch die Bremer Lin- sen des Volkes“, durch die Militärzensur ken um Adolf Ehlers, Karl Grobe mit den eingeschränkt und schließlich von der Redakteuren des Weser Kuriers Franz Ca- politischen Polizei verboten. Die beiden vier, August Enderle und Hermann Lücke linken Lokalredakteure der BBZ, Paul nach 1945. Für die SAP verfasste Frölich Frölich und Johann Knief, wurden als ent- 1932 die Programmschrift „Was will die schiedene Kriegsgegner zum Kriegsdienst SAP“. (**) einberufen. Nach einem längeren Lazaret- taufenthalt als kriegsuntauglich entlassen, Nach seiner KZ-Haft und Flucht präg- gründete und leitete Frölich mit Johann te er die illegale Arbeit dieser Gruppe im Knief am 24. Juni 1916 das Bremer Wo- Ausland. Als die von ihm 1935/36 mit ge- chenblatt „Arbeiterpolitik“, das sich als gründete Deutsche Volksfront von Sozia- Organ des linken Flügels der „Radikalen“ listen und Kommunisten mit bürgerlichen innerhalb der Sozialdemokratie verstand. Repräsentanten des Widerstands in Paris Als Aufmacher erschien ein Grundsatzar- scheiterte, verfasste Frölich 1939 eine Rosa tikel zum Thema: „Die deutsche Sozial- Luxemburg Biografie und gab erstmals demokratie ist nicht mehr. Am 4.August die vollständige Ausgabe der „Russischen 1914 trat sie von ihrer historischen Rolle Revolution“ von Rosa Luxemburg heraus, als Vorhut des proletarischen Befreiungs- die mit der „Freiheit der Andersdenken- kampfes zurück.“ (*) den“ zur Programmschrift seiner „Gruppe Neuer Weg“ wurde. Nach der Internierung Für die Bremer Linke war die Kriegs- gelang ihm 1941 die Flucht aus Frankreich schuldfrage schon 1914 eindeutig geklärt. in die USA. Von dort kehrte er erst Ende Und sie lehnten das Recht auf „Vaterlands- 1950 mit seiner Frau Rosi Frölich-Wolf- verteidigung“ in einem Krieg von vornhe- stein, ebenfalls eine als Renegatin be- rein ab, der aus ihrer Sicht ein aus den spe- schimpfte Mitgründerin der KPD, nach zifisch imperialistischen Widersprüchen Frankfurt/M. zurück. Er schloss sich dort erwachsener Konflikt war. der SPD an, nachdem er zum 100. Jahres- tag des Kommunistischen Manifestes von Als Delegierter der Bremer und Ham- Marx und Engels eine nach wie vor lesens- burger Linksradikalen nahm Paul Frölich werte Studie „Zur Krisis des Marxismus“ an allen internationalen Konferenzen teil vorgelegt und über Peter Blachstein (SAP/ und schloss sich den Zimmerwalder Lin- SPD) für eine Neuauflage der „Russischen ken an, die Lenin nahe standen und eng Revolution“ gesorgt hatte. Bis zu seinem 18 | Wir 22 - 2014 Tode am 16. März 1953 arbeitete er wei- (**) „Aktionsprogramm“ der SAP ter an seinem Hauptwerk über „1789 - Die von 1932 große Zeitenwende. Von der Bürokratie In dem 1932 auf dem 1. Parteitag der SAP des Absolutismus zum Parlament der Re- verabschiedeten „Aktionsprogramm“ hält Paul volution“. Frölich - in enger Anlehnung an die „Russische Revolution“ von Rosa Luxemburg - fest: „Die So- zialistische Arbeiterpartei erkennt, dass die de- Zweifelsohne bleibt es ein Verdienst mokratischen Rechte Mittel sind, die revolutio- von Paul Frölich, dass er als bester Ken- näre Aufklärungsarbeit unter den Volksmassen ner der Werke Rosa Luxemburgs und als zu erleichtern und die Organisierung des Prole- Repräsentant der oppositionellen Kom- tariats zu fördern. Sie weiß aber auch, dass die munisten und Sozialisten die lange ver- Demokratie in den Händen der Bourgeoisie und nachlässigte Auseinandersetzung um das ihrer Gehilfen zu einem Mittel der Täuschung Demokratieverständnis von Rosa Luxem- und des Betrugs wird. Die Partei wird deshalb burg wieder eröffnet hat. Wir finden ihn unermüdlich gegen die Illusionen über die De- mit zahlreichen ehemaligen Mitgliedern mokratie und den bürgerlichen Staat in der Ar- beiterklasse ankämpfen“…Die SAP sieht es als der KPO und SAP nach den von ihnen eine ihrer vornehmsten Pflichten an, die Sowje- schon vor 1933 geforderten und erneut tunion zu verteidigen und ihren sozialistischen nach 1945 gescheiterten Einheitsversu- Aufbau zu fördern. Aber so begeistert und rück- chen der Arbeiterbewegung von unten in haltlos sich die SAP zur russischen Revolution den gegen ihren Willen 1945 wieder ge- und zur Sowjetmacht bekennt, so wird sie nicht gründeten alten Arbeiterparteien - in der kritiklos allen Erscheinungen des russischen Regel als Außenseiter und bald wieder als Lebens und der Politik der Sowjetregierung Ausgegrenzte. Für die meisten von ihnen gegenüberstehen. Sie übt diese Kritik mit aller aber blieb der Rückgriff auf die Werke von Vorsicht und im Bewusstsein der großen Ver- Rosa Luxemburg und Karl Marx der Aus- antwortung, aber sie hat von Rosa Luxemburg und Lenin gelernt, dass der Verzicht auf Kritik gangspunkt des politischen Denkens. der Arbeiterklasse nicht dient, sondern sie schä- digt. Im Interesse der internationalen Arbeiter- (*) Die deutsche Sozialdemokratie ist klasse hält sie die Auffassung für gefährlich, die nicht mehr da glaubt, der Sozialismus könne in einem ein- …Am 24. Juni 1916 läutete die von den Bre- zelnen Lande vollkommen verwirklicht werden. mer Linksradikalen Johann Knief (Peter Unruh) Das hat zu schweren Fehlern in der inneren Po- und Paul Frölich - und von ihren Freunden, den litik der Sowjetunion geführt, vor allem zu ei- revolutionären Sozialisten Anton Pannekoek ner Unterschätzung und Vernachlässigung der (K. Horner), Karl Radek, Adolf Dannat, Hein- internationalen Revolution. Und darin liegen rich Eildermann, redaktionell unter Pseudony- die Ursachen für die Entartung der Kommunis- men unterstützte „Arbeiterpolitik“ den ersten tischen Internationale“. (Berlin 1932, S,18f.) Jahrgang mit einem Grundsatzartikel über eine neue „Epoche der Arbeiterpolitik“ ein: „Die Paul Frölich: Im radikalen Lager. deutsche Sozialdemokratie ist nicht mehr. Am Politische Autobiographie 1890- 4.August 1914 trat sie von ihrer historischen 1921 Rolle als Vorhut des proletarischen Befreiungs- Herausgegeben und mit einem kampfes zurück. Aber es war keine Katastrophe, Nachwort von Reiner Tosstorff. mit der dieser Rücktritt erfolgte, sondern es war In Kooperation mit dem IISG das natürliche Ende einer politischen Bewe- . Hardcover und gung, deren Untergang längst vorbereitet war. Schutzumschlag, mit 25 Abbil- Als historische Klassenkampfpartei hatte sie dungen und einem Textanhang, ihre historische Laufbahn begonnen…Ihr Werk 416 Seiten, ISBN 978-3-86163- endete mit der Solidaritätserklärung zwischen 147-7., Preis: 29,80 EUR den offiziellen Führen der Partei und den Trä- www.basisdruck.de gern der staatlichen Macht; es endete mit dem Sieg des Burgfriedens über den Klassenkampf, der Bureaukratie über die Demokratie, des So- zialpatriotismus und Sozialimperialismus über den Sozialismus, des Nationalismus über den Internationalismus.“ (Arbeiterpolitik. Wochen- schrift für wissenschaftlichen Sozialismus, 1.Jg., Nr.1, 24. Juni 1916, -Nachdruck 1975-, S.1) Wilhelm Eildermann: Jugend im ersten Weltkrieg. Tagebücher, Briefe Erinnerungen, Berlin 1972, S.61.

Wir 22 - 2014 | 19 Auf dem Zahnfleisch von Italien nach Kroatien und zurück

Bettina Weise Per Bus. Denn es gibt Busunternehmen, sich nicht, Qualitätsleistungen im Bereich die erkannt haben, warum dieses Reiseziel Zahnmedizin zu garantieren. Das Land in einem eher unbekannten Zusammen- Italien hat es so eingerichtet, dass „sich je- hang so interessant ist. Sie haben sich der selbst um seine Zähne kümmert“. mittlerweile darauf spezialisiert. Worauf? Also machen wir mal eine kleine Rei- Das zeigt sich gleich nach dem ehema- se, bei der aber leider das Baden im nahen ligen Grenzübergang Slowenien Kroatien: Meer und die Cevapcici vom Grill nicht Die übergroßen und alle paar Kilometer einbegriffen sind. Die meist vertretene auftauchenden Werbeschilder stellen de- Altersgruppe ist natürlich die over 55. Es monstrativ mit einem fotogenen Lächeln geht abends los. An diversen Haltestellen zur Schau, was das Land außer Meer, In- steigen weitere Mitreisende ein. Geschla- seln, Kultur etc. noch zu bieten hat. Vor fen wird im Bus, morgens Ankunft, rein in allem für das Fast-Nachbarland Italien. die Wartezimmer, alles voll, wieder schla- fen, bis man aufgerufen wird, Behandlung, Die Zahnarztkliniken und die wesent- raus ins Wartezimmer mit Mundschutz, lich niedrigeren Kosten (je nach Art der warten, warten, warten, bis alle Mitglie- Behandlung ein Drittel bis um die Hälf- der der Reisegruppe fertig sind. Dann erst te weniger) für Kronen, Implantate oder geht es gegen Abend wieder zurück. Die ähnliche zahnärztliche Eingriffe. Die sind Kliniken sind normalerweise von montags in Italien besonders für ältere Leute mit bis samstags durchgehend bis 21.00 Uhr Mindest- oder niedriger Rente sowie für geöffnet. Wenigverdiener unbezahlbar oder ein- Neue Zähne sind in Italien ein Luxus fach eine zu große finanzielle Belastung. und müssen aus dem eigenen Geldbeutel Denn in Italien geht kaum einer zum finanziert werden: statt Ticket (so heißt Vertragszahnarzt bzw. Kassenzahnarzt. in Italien die Kostenselbstbeteiligung) zu Implantate sind beim Kassenarzt soundso zahlen, zur Bank gehen und einen Kredit kein Thema. Aber auch wenn man wollte, aufnehmen. sind die langen Wartezeiten, die verwen- deten kostengünstigeren Materialien, die Der Staat hält sich raus, die privaten technische Ausstattung und, und, und Zahnärzte profitieren davon. Der Groß- … Gründe dafür, dass die private Zahn- teil der Italiener fragt sich gar nicht mehr, arztpraxis vorgezogen wird. Für den SSN warum das Gesundheitssystem nicht auch (Servizio Sanitario Nazionale oder Na- Zahnbehandlungen einschließt. Es ist ein- tionaler Gesundheitsdienst) rechnet es fach so.

20 | Wir 22 - 2014 In den beiden letzten Ausgaben von „WIR“ wurde bereits über den Stand der Planung für das neue Wohn- gebiet auf dem Gelände des Klinikums Mitte berichtet. Nun werden die Initiativ-Gruppen versuchen, auch or- ganisiert Einfluss zu nehmen.

Der Hulsberg ruft zur Gründung einer Stadt- teil-Genossenschaft für das neue Hulsberg-Viertel. Wir wollen uns mit einer kollektiven Wohnidee ge- gen die Gesetze des Marktes behaupten. Statt weiterer teurer „Luxuswohnungen“ soll gün- stiger Wohnraum für alle - Familien, RentnerInnen, Alleinerziehende, Singles, WGs und Wohnprojekte - im neuen Hulsbergquartier entstehen. Geeignete Bestandsgebäude, die erhalten und „pro- blemarm“ zu Wohnungen umgebaut werden können, sind vorhanden. Um diese Möglichkeiten in einer für alle gleichbe- rechtigten Form als Gemeinschaftseigentum zu ver- wirklichen, treffen wir uns am

Donnerstag, 30. Oktober um 19.00 Uhr, in der Volkshochschule, Raum 103 im Bamber- ger, Faulenstr. 69, um uns zu informieren und die Gründung der Stadtteil-Genossenschaft vorzube- reiten!

Alle interessierten Menschen sind herzlich einge- laden.

Margot Müller

Wir 22 - 2014 | 21 Dank und Grüße Karl Ravens, von Anni Gondro Bundesminister a.D. Lieber Dieter (Tarnowsky), 21. Juni 2014

zunächst lässt Dich Anni Gondro von mir Lieber Dieter, herzlich grüßen und Dir Dank sagen für Herzlichen Dank für die „gesammelten die Zusendung von Unterlagen vor Weih- Werke“. Es ist wirklich toll, was Ihr da zu nachten vergangenen Jahres. Sie ist immer einander bringt. erfreut, wenn sie Unterlagen von „ihrem“ Das ist nicht nur Rückschau, die ja

Leserbriefe Bremen erhält. Denn schließlich hatte sie nach dem Kriege ihr erstes Zuhause, nach- durchaus wichtig ist, wie die kleine Ge- dem sie Schlesien mit ihren zwei Kindern schichte der Suche nach Fotos von Richard verlassen musste, und ihre gewerkschaft- Boljahn zeigt, sondern auch hochinte- liche und politische Heimat in Bremen ge- ressante Auseinandersetzungen mit den funden. „neuen“ Problemen. Man merkt bei jeder Nummer, wie viel Engagement, wie viel Anni kann sich erst jetzt bei Euch mel- „Herzblut“ in jeder Aufgabe steckt. den, weil es ihr im vergangenen Jahr ge- sundheitlich sehr schlecht ging und sie Danke, Dein Karl meine Telefonnummer nicht mehr finden konnte, die sie über einen betrieblichen Kollegen dann bekommen hatte. Erinnerungen an meinen

Etwas „erzürnt“ ist sie über den Artikel Großvater über Richard Boljahn in WIR Nr. 19/2013, weil aus ihrer Sicht vor allem seine Leis- Mein Opa von mütterlicher Seite hatte tungen für die Menschen, wie sie sich aus- im 1. Weltkrieg beide Unterschenkel verlo- drückt, zu kurz und zu viel über seinen ren. Ich erlebte ihn, wie er sich zuerst nur Rücktritt geschrieben wurde. Sie verfüge mit den Händen im Hause fortbewegte. aus der Zeit seines damaligen Wirkens Er ballte sie zu Fäusten und schleppte sich nach dem Krieg bis zu ihrem Wegzug aus so vorwärts. Als ich ihn so sah, musste ich Bremen Mitte der fünfziger Jahre des ver- weinen. gangenen Jahrhunderts über einige Bilder, die sie gerne zu Archivzwecken (nicht pri- Später saß Opa auf einer Fußbank und vat) zur Verfügung stelle, wenn dies ge- versuchte damit hin und her zu rutschen. wünscht wird. Eine Prothese oder irgendwelche Gehhil- fen oder Krücken habe ich nie bei ihm ge- Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du sehen. Opa war aber nicht völlig verbittert. gelegentlich einmal Kontakt mit ihr auf- Er sagte: Ich lebe doch noch! nimmst. Hier ihre Anschrift und Telefon- nummer (schreiben kann sie leider nicht Meinen anderen Opa von väterlicher mehr, weshalb Du auch keine Antwort Seite konnte ich nie kennen lernen. Er war mehr von ihr bekommen kannst. Anni aus dem Krieg nicht zurückgekommen. wird am 24.08.2014 95 Jahre alt. Inge Markowsky

Ich bedanke mich bei Dir. Herzliche Grüße Klaus Müller-Wrasmann

22 | Wir 22 - 2014 Gemeinsam gegen die großen Konzerne, gemeinsam gegen TTIP

(TTIP = Transatlantic Trade and Investment Partnership = Transatlantisches Freihandelsabkommen)

Seit geraumer Zeit verhandeln Wirt- Gegen die Pläne zur Verabschiedung schaftsvertreter und Politiker der USA regt sich massiver Widerstand in den be- und der EU hinter verschlossenen Türen troffenen Ländern. Neben anderen Akti- über ein „Freihandels“-Abkommen, des- onen plant die Nicht-Regierungs-Organi- sen Ziel „der Abbau sogenannter handels- sation Campact zusammen mit über 150 hemmender Regelungen“ ist. Diese Rege- Organisationen aus 18 EU-Ländern eine lungen sind z.B. Umweltstandards wie das Europäische Bürgerinitiative (EBI), um Verbot von genverändertem Saatgut oder TTIP zu stoppen. Dazu sind über eine Mil- Fracking (dem Abbau von Öl und Gas un- lion Unterschriften nötig, die ab Septem- ter Einsatz von Chemie), Arbeitsrechte, ber gesammelt werden sollen. staatliche Regelungen zum Schutz der Informiert euch über TTIP z.B. auf den Wasserversorgung oder der öffentlichen Seiten von Campact. (www.campact.de) Bildung, die Freiheit des Internets und Sprecht mit euren Freunden und Nach- mehr. Zusätzlich sollen Staaten bei Zu- barn über die Pläne. widerhandlungen von nicht öffentlichen Beteiligt euch an Aktionen gegen TTIP, „Schiedskommissionen“ zu hohen Strafen z.B. an der Bürgerinitiative – schriftlich verurteilt werden. Und letztlich soll das oder im Internet. Abkommen nicht mehr rückgängig ge- Die WIR-Redaktion hat auf einem Semi- macht werden können. nar im Juli die Resolution auf der folgenden Seite einstimmig mit verabschiedet.

ETWAS TUN! SICH EINMISCHEN! AKTIONSTAG GEGEN TTIP AM 11. OKTOBER 2014

Attac Deutschland ruft gemeinsam mit dem Bündnis TTIP Unfairhandelbar und der EU-weiten Koalition gegen TTIP zu einem europaweiten, dezentralen Aktionstag auf, um die laufenden Verhandlungen zu und anderen Freihandelsverträgen zu stoppen.

Auch in Bremen sind bereits Aktionen geplant. Näheres in der Tagespresse und unter http://www.attac.de/index.php?id=72038

Impressum: RedaktionsmitarbeiterInnen: Wolfgang Bielenberg, GEW, Detlef Dahlke, IGM, Die Zeitung wird gefördert durch die GEW Bremen, Ursula Figge, IGM, Traudel Kassel, ver.di, IG Metall Bremen und ver.di Bremen. Über weitere Hugo Köser, IGM, Inge Markowsky, ver.di, MitarbeiterInnen würden wir uns freuen. Auch Kritik Margot Müller, Karla Vendt, ver.di, und Anregungen sind uns willkommen. Günther Wesemann, ver.di, Brigitte Wilkening, ver.di, Hermann Wilkening, IGM

V.i.S.d.P. Manfred Weule Redaktionsadresse: Herausgeber und Kontakt: Bildungsvereinigung Arbeit und Leben, Arbeitskreis DGB-SeniorInnen Bremen Tel.: 0421 / 960 89 12 c/o Gerd Bohling, Dieter Tarnowsky e-mail: [email protected] DGB-Haus Bremen e-mail: [email protected] Bahnhofsplatz 22-28, 28195 Bremen (Bitte Briefe an beide Adressen zuschicken) Wir 22 - 2014 | 23 TTIP-Resolution

Das gewerkschaftliche Medien-Seminar von Arbeit und Leben Bremen vom 28. Juli bis 01. August 2014 in Bad Zwische- nahn fordert, die Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sofort auszuset- zen. Die im Geheimen stattfindenden Verhandlungen sind für demokratische Rechtsstaaten untragbar. Bestehende Standards im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrecht dürfen nicht zu Gunsten von Konzerninteres- sen geopfert werden. Vielmehr müssen sie im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ausgebaut werden.

Begründung: TTIP ist ein Freihandels- und Investitionsabkommen, das derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen der EU und den USA verhandelt wird. Das Hauptziel von TTIP besteht in der Beseitigung regulatorischer „Hindernisse“, die die potentiellen Profite der transnationalen Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks beschränken. Bei diesen „Hinder- nissen“ handelt es sich jedoch um einige unserer wertvollsten Sozialstandards und Umweltvorschriften.

Insbesondere kritisieren wir folgende Punkte: Geheimverhandlungen widersprechen jeglichen demokratischen Prinzipien. Schiedsgerichte zum Investorenschutz widersprechen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird damit außer Kraft gesetzt, eine Berufungsmöglichkeit besteht nicht. Die Arbeit der Legislativen wird zur Farce.

Versprochene zusätzliche Arbeitsplätze und ein starkes Wirtschaftswachstum sind mehr als fraglich. Das zeigen die Fol- gen des NAFTA-Abkommens zwischen den USA, Mexiko und Kanada: In den ersten zwölf Jahren dieses Abkommens gab es allein in den USA einen Verlust von mehr als einer Million Arbeitsplätze.

Die in Folge des TTIP-Abkommens voraussichtlich steigenden Transporte werden den weltweiten CO2-Ausstoß erhöhen und widersprechen damit den UN-Klimazielen. Wir fordern die Gewerkschaftsgremien dazu auf, sich mit dem Thema zu beschäftigen und diese Resolution zu unter- stützen. Bad Zwischenahn, am 31. Juli 2014

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