Auf den Spuren der ›verschwundenen‹ Roma-Siedlungen des Burgenlandes

Gerhard Baumgartner damaligen »Armengesetzgebung« entsprechend, wurden dabei die Kosten auf die politischen Gemeinden abge- wälzt. Im Falle der Ansiedlung der abgeschobenen ›Zigeu- ner‹ hieß dies, dass die Gemeinde ihnen Unterkünfte zu gewähren hatte.5 Dies taten die burgenländischen Gemein- eit dem 17. Jahrhundert sind Roma und den meist in der Form, dass sie den ›Zigeunern‹ erlaub- Sinti auf dem Gebiet des heutigen Öster- ten, auf einem gemeindeeigenen Grundstück Häuser zu »Nachweisung über die in dem Bezirke reich beheimatet.1 Im 18. Jahrhundert errichten. Meist lagen diese Grundstücke am Rande oder Buchschachen in und außer dem Gemeinde S erhielten durch Zwangsansiedlungen von Kaiserin Maria außerhalb des eigentlichen Dorfes und waren zuvor als Verbande lebenden Zigeuner und ihrer Th eresia und ihrem Sohn Joseph II. zahlreiche Roma- minderwertige Grundstücke – als Hutweide, Wald oder Beschäftigung«, 13. März 1854 und Sinti-Familien Grundbesitz in burgenländischen Buschwerk – brach gelegen. Foto: Vas Megyei Levéltár Szombathely Dörfern. Damals wurden die ›Zigeuner‹ zur Sesshaftig- Im gab es in der Zwischenkriegszeit 124 keit gezwungen, ihre Pferde und Wagen konfi sziert, und ›Zigeunersiedlungen‹, meist am Rande der Dörfer gelegen, sie bekamen als »Neocoloni« Grundstücke »in linea« – in denen jeweils zwischen 30 und 300 Personen lebten. in der Dorfzeile – zugewiesen, nicht irgendwo am Rande Die meisten dieser Siedlungen lagen in den südburgen- der Ortschaften. Diese vereinzelten Familien wurden ländischen Bezirken Oberwart und Güssing. Nach der zum Teil in die Dorfbevölkerung integriert, zum Teil Deportation der Roma und Sinti in Arbeits- und Konzen- wurde ihre Integration auch mit unmenschlichen Maß- trationslager wurden diese Siedlungen fast ausnahmslos nahmen erzwungen. Den ›Zigeunerfamilien‹ wurden zerstört. Die Häuser wurden abgetragen oder einfach ihre Kinder weggenommen und anderen Familien zur 66 Ansichtskarte »Zigeunersiedlung Erziehung – und wohl Ausbeutung – überantwortet.2 Die 67 am Neusiedlersee N. D.«, nach 1938 1 Nachfahren der auf diese Art und Weise im 18. Jahrhun- Im Jahre 1674 stellte Graf Christof Batthyány einer Gruppe von Foto: K. Allmann, Landesmuseum dert angesiedelten kleineren – oft auf drei bis vier Fa- Roma unter der Führung ihres Woiwoden Martin Sarközi einen Burgenland milien beschränkten – Gruppen von ›Zigeunerfamilien‹ Schutzbrief für seine Besitzungen im Südburgenland aus. Dies ist das erste Dokument über die dauerhafte Ansiedlung einer in den burgenländischen Orten waren in der Zwischen- Romagruppe auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Siehe kriegszeit nicht so stark rassistisch und ökonomisch dazu Gerhard Baumgartner und Florian Freund: Ein Jahrzehnt motivierten Verfolgungen ausgesetzt wie die völlig Romapolitik in Österreich – A Decade of Roma Poltics in , Wien 2001, S. 6. marginalisierten Bewohner der größeren ›Zigeuner- 2 siedlungen‹.3 Zur Mitte des 19. Jahrhunderts fi nden wir Vas Megyei Levéltár Szombathely: Conscriptio Zingarorum, daher in vielen Orten ansässige Roma als steuerzahlende 1780 – 1782. 3 Haus- und Grundbesitzer, deren Familien und Berufs- Martin Matischnig: Unbekannte statistische Angaben zur strukturen sich aufgrund der Angaben der ungarischen Kontinuität der Ansiedlung von Zigeunern im Gebiet des »Zigeunerzählung« von 1853/54 4 sehr gut rekonstruieren ehemaligen Komitates Ödenburg, in: Beiträge zur Volkskunde Österreichs und des angrenzenden deutschen Sprachraumes. lassen. Festschrift für Helmut Prasch, Spittal an der Drau 1985, S. 60 – 151. Die großen ›Zigeunersiedlungen‹ des Burgenlan- 4 des entstanden erst in der Folge restriktiver Verfolgun- Siehe dazu die Archivalien der Stuhlrichterämter des 19. Jahr­ hunderts in den Komitatsarchiven in Szombathely, und gen von Störgewerbetreibenden im österreichischen Györ, die Bestände: Elnöki iratok für die Jahre 1853 und 1854. Teil der Monarchie während der letzten Jahrzehnte des 5 19. und im frühen 20. Jahrhundert. Viele aus Ungarn Christian Führer: Die Roma im Westungarisch­Burgenländischen Raum zwischen 1850 und 1938, Diplomarbeit, Univ. Wien stammende ›Zigeuner‹ wurden über die österreichisch- 1988; Georg Gesellmann: Die Zigeuner im Burgenland in der Ansichtskarte »Oberwarth Zigeuner kolonie«, 1930er-Jahre ungarische Grenze abgeschoben und im heutigen Zwischenkriegszeit, Diss., Univ. Wien 1989; Michaela Haslinger: Rom heißt Mensch. Zur Geschichte des ›geschichtslosen‹ Foto: Landesmuseum Burgenland Burgenland angesiedelt. Konkret bedeutete dies, dass Zigeunervolkes in der Steiermark (1850 – 1938), Diss., Univ. Graz die Abgeschobenen in den westungarischen Gemein- 1985; Silvia Koo: Die Zigeuner im Burgenland, Hausarbeit, Univ. den zwangsweise angesiedelt wurden. Dem Wesen der Wien 1979; Claudia Mayerhofer, Dorfzigeuner, Wien 1988. Roma-Siedlung Stegersbach, 1933 Grafenschachen, 1930er-Jahre Foto: Burgenländisches Landesarchiv Eisenstadt Roma-Siedlung Mörbisch, 1930er-Jahre Foto: Landesmuseum Burgenland Foto: Burgenländisches Landesarchiv Eisenstadt

Sesselflechter in Deutschkaltenbrunn, im Hintergrund ein Gendarm, 1930er-Jahre, Foto: Burgenländisches Landesarchiv Eisenstadt

in Brand gesteckt. Eine Hochrechnung im Auftrag der Verzeichnissen der Grundbücher. Auffallend ist, dass sich Haus- und Grundbesitz in den die Familien ihren Lebensunterhalt durch Marktfahren Öster­reichischen Historikerkommission6 für das gesamte die ›Zigeunersiedlungen‹ in zahlreichen Fällen bis zum burgenländischen Roma-Siedlungen und Tagelöhnerarbeiten selbst verdienten. Auch andere Burgenland ergab eine Gesamtzahl von 1.357 Häuser in heutigen Tage auf Gemeindegrund befinden. Im Zuge der Im Burgenland der Zwischenkriegszeit herrschte Gemeinden des Bezirkes Neusiedl am See meldeten ähn- den verschiedenen ›Zigeunersiedlungen‹ des Burgenlan- Rekonstruktion der Vorgeschichte der Eigentumsverhält- weitgehend die Meinung vor, dass »Zigeuner« »fast aus- liche Verhältnisse. des, wobei 232 dieser 1.357 Häuser baulich und ausstat- nisse an diesen Grundstücken stellt man oft fest, dass nahmslos« in »Lehmhütten, Höhlen und Erdlöchern« Zwar kann aus den Verhältnissen im Bezirk Neu- tungsmäßig einem durchschnittlichen burgenländischen sich diese nicht selten schon seit dem Ende des 19. Jahr- lebten und aus ihnen erst »Menschen gemacht wer- siedl nicht auf das ganze Burgenland geschlossen wer- Wohngebäude entsprachen. hunderts in Gemeindebesitz befanden. Meist ist kein den« müssten. Tatsächlich hatten viele Roma in ihren den, doch ein ähnlich differenziertes Bild ergibt auch Die Roma-Siedlungen erreichten teilweise eine Besitzerwechsel eruierbar. In solchen Fällen scheint also Heimat­gemeinden das Problem, dass sie »vielfach nicht ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberpullen­ beacht­liche Größe. Die größte jemals genannte Einwoh- nicht nur keine Spur einer Arisierung einer ›Zigeuner­ den Platz zur Errichtung einer Zigeunerhütte erlangen« dorf im Juni 1928. Der Bezirkshauptmann betonte nerzahl findet sich in der Gemeinde Holzschlag, mit siedlung‹ feststellbar, es scheint nicht einmal die Exis- konnten.9 Die burgenländische Landesregierung forderte darin, dass die »Zigeuner« im Bezirk durchwegs sess- 318 Personen im Jahre 1936. Das entsprach zu jener Zeit tenz der früheren Siedlung selbst nachweisbar. Die über die Bezirkshauptmannschaften die Gemein­den haft wären. »Wanderzigeuner treten äußerst selten der Einwohnerzahl eines kleineren burgenländischen Ursache dafür liegt in der sehr eigentümlichen Besitz- auf, »die Zigeuner seßhaft zu machen und den bereits auf und es kommt ihre Ansiedlung, da es sich hier um Dorfes. Wie und weshalb diese Siedlungsstrukturen im struktur zahlreicher ›Zigeunersiedlungen‹ des Burgen- seßhaften Zigeunern die Möglichkeit zu geben, sich ein Auswärtige handelt, nicht in Frage«.13 Über die Wohn- Auf den Spuren der ›verschwundenen‹ Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf 20. Jahrhundert innerhalb weniger Jahre verschwin- landes. Die meisten Gebäude dieser Siedlungen waren halbwegs menschenwürdiges Obdach zu errichten und verhältnisse der ansässigen »Zigeuner« berichtete der Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf den konnten, so dass heute kaum noch Spuren von rechtlich gesehen sogenannte Superädifikate, das heißt, auf einem, sei es eigenen, sei es gepachteten Grund«, Bezirkshauptmann: »Die Unterkünfte der im hiesigen 68 ihnen zu finden sind, gehört zu den kaum erforschten das Grundstück auf dem sie standen gehörte meist der landwirtschaftliche Produkte anzubauen.10 Die Reak- Bezirk sehr zahlreichen Zigeuner (über 500) sind in den 69 Problemen der burgenländischen und österreichischen politischen Gemeinde, während sich die Gebäude im tionen dazu der Gemeinden des Bezirkes Neusiedl am Gemeinden Rattersdorf, Liebing, Grossmutschen, und Zeitgeschichte. Eigen­tum der einzelnen Roma-Familien befanden. Die See sind erhalten. Sie waren durchwegs negativ, was die Nebersdorf-Lagental, denen der übrigen Bevölkerung Diese ehemaligen ›Zigeunersiedlungen‹ sind vor auf diesen Grundstücken errichteten Siedlungen bestan- Überlassung von landwirtschaftlichen Grundstücken gleichwertig, in anderen Gemeinden vielfach unzuläng- allem deswegen so schwer rekonstruierbar, weil sich den zum Teil aus Holz- und Lehmbauten und zu einem angeht, zeigen jedoch, dass die Wohnverhältnisse in den lich und selbst den einfachsten Anforderungen gesund- in den Grundbüchern der burgenländischen Katastral­ geringeren Teil aus Ziegelbauten. Dass man diese soge- Gemeinden des Bezirkes nicht durchwegs so schlecht heitspolizeilicher Natur nicht entsprechend.« 14 gemeinden kaum Spuren von ihnen finden. Nur in nannten Superädifikate auch ins Grundbuch eintragen waren, wie von der Landesregierung für das gesamte Ausnahmefällen finden wir jene Personen, die wir auf- lassen konnte, war den meisten Roma und Sinti nicht Burgenland unterstellt. So antwortete das Gemeinde­ grund von Gemeindesonderlisten7 als Mitglieder der bewusst. Die meisten von ihnen waren Analphabeten amt Gattendorf, dass »in der Gemeinde einige Zigeuner­ 9 Volksgruppe ansprechen können, in den betreffenden und mit administrativen und juristischen Verfahren familien schon längst seßhaft sind. Diese haben ihren Schreiben des Bezirkshauptmannes von an das Amt der burgenländischen Landesregierung vom 30. 9. 1927 betr. völlig unerfahren. Die politischen Gemeinden als Eigen- Lebensunterhalt in eigenen Häusern teils als Nagel- Zigeunerplage, Bekämpfung, BLA, I.a. Pol. Zigeunerakt 1938, tümer dieser Grundstücke waren wiederum nicht daran schmiede, Händler teils aber als Taglöhner.« 11 Der Bür- Mappe 1922. 6 interessiert, sich ein fremdes Superädifikat auf ihrem germeister der Gemeinde Halbturn meldete, dass die 10 Schreiben der burgenländischen Landesregierung an die Florian Freund, Gerhard Baumgartner und Harald Greifeneder: Grundstück eintragen zu lassen. Nach der Verschleppung Gemeinde den heimatberechtigten »Zigeunern« selbst Vermögensentzug, Restitution und Entschädigung der Roma und Bezirkshauptmannschaften vom 15. 3. 1928 betr. Zigeunerplage, Sinti, Wien/München 2004. und Ermordung der Bewohner und der Zerstörung der kostenlos einen Grund zur Verfügung gestellt habe und Bekämpfung, BLA, BH Neusiedl Polizei 1938. 7 Gebäude durch die Nationalsozialisten blieben vielfach »sich die Zigeuner auf diesem Platz bereits vier kleine 11 Schreiben des Gemeindeamtes Gattendorf an die Bezirkshauptmann­ Siehe etwa die Sonderlisten der Gemeinde Unterwart, nur noch Fotografien als Zeugnisse dieser ehemaligen Wohnhütten aufgestellt« hätten. »Dieselben werden von Gemeindearchiv Unterwart. schaft Neusiedl am See vom 14. 4. 1928, BLA, BH Neusiedl Polizei 1938. 8 Roma-Siedlungen erhalten. Erst Jahrzehnte nach ihrer den Zigeunern infolge der steten Kontrolle und Beauf- 12 Siehe dazu Johann Balogh: Althodis – Stari Hodas – Ó Hodász, Zerstörung haben einige Lokalhisto­riker begonnen, die sichtigung sowohl durch die Gemeinde als auch seitens Schreiben des Gemeindeamtes Halbturn an die BH Neusiedl am Eisenstadt/Zeljezno 1993; Dieter Mühl: Die Roma von Kemeten, See vom 12. 4. 1928, BLA, BH Neusiedl Polizei 1938. Geschichten einzelner Siedlungen und das Schicksal ih- der Gendarmerie sehr rein und nett gehalten, machen 13 Oberwart 1999; Helmut Samer: Zur Geschichte und aktuellen 8 Situation der Roma in Oberwart, Dipl. Arb., Graz 1997; Gerhard rer Bewohner zu rekonstruieren. einen sehr netten Eindruck und sind stets frisch ge- Schreiben der BH Oberpullendorf an das Amt der burgenländischen Baumgartner: Zur Geschichte der so genannten ›Zigeuner‹ in Markt weissnet und ist auch die ganze Umgebung bei diesen Landesregierung vom 12. 6. 1928 betr. Zigeunerplage, BLA, I. a. Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe 1922. Allhau und Buchschachen, in: Rudolf Kropf (Hg.): Im Wandel der Wohnstätten sehr rein.«12 Weiters betonte er, dass die Zeit. Heimatchronik der Marktgemeinde Markt Allhau mit Ortsteil 14 Buchschachen, Markt Allhau 2011, S. 169 – 192. Grundstücke im Eigentum der Gemeinde verblieben und Ebd. größeren Betrieben jahraus-jahrein in ständiger Arbeit ste- »Der Bauzustand der Hütten und Siedlungen ist im hen und seitens ihrer Arbeitgeber bezüglich ihrer Verwend- Grossen und Ganzen primitiv. Sie sind der Mehrzahl nach barkeit sehr gelobt werden. – Ihre natürliche Intelligenz und aus Lehm gestampft und mit Stroh gedeckt. Bau- und Feuer­ Anstelligkeit (besondere Fähigkeit für Rechnen !) führt zur polizeiliche Schutzmaßnahmen sind den Zigeunern hiebei Verwendung zu oft verantwortungsvollen Arbeiten. Solche völlig unbekannt. Primitiv und oft geradezu haarsträubend Zigeuner (in deren Familien übrigens auch häufige Blutsver- wie der Bauzustand ist vielfach auch die Inneneinrichtung mischungen eingetreten sind) haben es in einer Reihe von der Hütten.« 25 Jahren – durch ihren ständigen Verdienst – ermöglicht, sich menschenwürdigere Wohnungen zu bauen – und haben sich Tatsächlich aber dürfte die Situation in den einzelnen auch äußerlich so kultiviert, dass sie nicht mehr als Zigeuner Siedlungen im Bezirk Jennersdorf sehr unterschiedlich zu erkennen sind – wozu auch die Blutmischung beiträgt – gewesen sein, denn der Bezirkshauptmann führte selbst die die Hautfarbe lichter weiß macht.« 20 an: »In einzelnen Siedlungen, wie Heiligenkreuz i. L. und Wallendorf, sind die Zigeuner dagegen zum Teil in Roma-Siedlung Neudorf bei Landsee, 1930er-Jahre Diese – wenn auch rassistisch konnotierte – Schilderung gemein­deeigenen Häusern untergebracht, die den bau- Foto: Burgenländisches Landesarchiv Eisenstadt belegt, dass die Häuser und die Ausstattung der Häu- und gesundheitlichen Anforderungen annähernd genü- ser keineswegs durchgehend so schlecht war, wie zuvor gen.« 26 Gute Verhältnisse bestanden laut Bezirkshaupt- Roma-Siedlung Unterschützen, 1930er-Jahre geschildert. Wie aus einer anderen Bemerkung bezüglich mann auch »in einer Zigeunerhütte in Neumarkt a. d. Foto: Burgenländisches Landesarchiv Eisenstadt der Kosten für Sozialleistungen hervorgeht, überschritt Raab, in 2 solchen Hütten in St. Martin a. d. Raab und der Lebensstandard der »Ortsarmen«, den der »Zigeu- bei 4 Objek­ten in Gritsch, die wohnlich eingerichtet sind ner« »um nicht viel.« 21 Das Schreiben der Bezirkshaupt- und durchwegs sauber und nett gehalten werden.« 27 mannschaft Oberpullendorf an die burgenländische Die Zählung der Gendarmerie 1925/26 hatte für Ober- von Oberpullendorf hervor: »Gründet ein junges Ehe- Landeshauptmannschaft vom 28. Februar 1938 belegt pullendorf tatsächlich 532 heimatberechtigte »Zigeu­ner« paar einen eigenen Hausstand und kann die elterliche auch, dass Roma in der Zwischenkriegszeit auch Grund- Verweigerte Entschädigung ergeben, zu denen noch einer mit fremder Staatsange- Hütte die Familie nicht mehr fassen, so wird eben auf besitz erwarben und Häuser bauten. Zwischen 1941 und 1945 wurde der Großteil dieses hörigkeit und 37 mit fraglicher Heimatzuständigkeit ein noch vorhandenes Plätzchen von allen Verwandten Häuserbesitzes durch die politischen Gemeinden, oft ­kamen.15 211 von 532 von der Gendarmerie als »Zigeuner« wieder eine neue Lehmhütte gebaut, welche dann das »Eine erfreuliche Entwicklung war in jenen Gemeinden im Auftrag der Landräte, zerstört. Mehrmals mussten bezeichnete Personen, also über 39 Prozent, wiesen nach junge Ehepaar bezieht.« 17 Die gegenseitige familiäre Hilfe wahrzunehmen, in welchen die Zigeuner nicht in geschlos- ­lokale Parteigrößen, wie etwa der Oberwarter Kreisleiter Angaben der Bezirkshauptmannschaft Ober­pullendorf weist auf das funktionierende dichte Beziehungsnetz der senen Siedlungen sondern zerstreut sesshaft sind. In diesen Eduard Nicka, persönlich initiativ werden und die Zer- der übrigen Bevölkerung vergleichbare Wohnverhält- Gruppe hin, die sich gegenseitig bei der Überwindung Gemeinden gehen die Zigeuner fast durchwegs einem gere- störung von Häusern deportierter Familien anordnen, nisse auf. Anstrengungen zur Verbesserung der Wohn- der drückenden Wohnungsnot half. Da die Gebäude in gelten Erwerb nach, kaufen aus ihren Ersparnissen Grund- da die betroffenen politischen Gemeinden scheinbar verhältnisse scheiterten vielfach auch am Wider­stand der Regel auf Gemeindegrund standen und daher keine stücke an und bemühen sich auch in ihrem Verhalten der nicht in Eigeninitiative aktiv geworden waren. In der der politischen Gemeinden. Wie der Bezirkshauptmann Kosten für Grundeigentum anfielen, konnte der Bau übrigen Bevölkerung sich anzugleichen.«22 ­Gemeinde Harmisch erschien der Kreisleiter 1942 per- berichtete, hatte er zwar versucht, einiges zur Besse- ­dieser Häuser kostengünstig bewältigt werden. sönlich, um die Sache in die Hand zu nehmen. rung der Lebensverhältnisse zu unternehmen, aber: Für den Bezirk Oberwart liegt eine sehr detaillierte Auf den Spuren der ›verschwundenen‹ Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf »Jene Gemeinden, welche eine größere Siedlung armer »In den meisten Hütten befinden sich in der Regel bloß statis­tische Erfassung der Wohnverhältnisse in den ­ »Zeuge: Josef Sarközy, Zigeuner, in Harmisch Nr. 45, Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf Zigeuner aufweisen, die demnach unter der ›Zigeuner- eine aus einigen Brettern zusammengezimmerte Pritsche, Roma-Siedlungen aus dem Jahre 1929 vor, der zufolge Bezirk Oberwart, Burgenland gibt dem Gendarmerieposten 70 plage‹ am meisten zu leiden haben, fürchten bei einer welche das weibliche Familienoberhaupt benützt, während durchschnittlich zwischen fünf bis neun Personen in Deutsch Schützen an, daß der ehem. Kreisleiter Nicka mit 71 Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, d. i. bei Errich- die anderen Familienmitglieder auf auf [sic ] dem Fußboden einem Gebäude – in den meisten Fällen in einem einzi- dem ehem. Bürgermeister der Gemeinde Oberwart, Groll, tung neuer Hütten (Häuser) einen weiteren Zuzug, eine ausgebreiteten Stroh oder Lumpen – mit Lumpen zugedeckt gen Raum – lebten (siehe Tabelle). Auch für den Bezirk Befürch­tung, deren Berechtigung sich nicht ganz von der oder im Sommer auch unbedeckt oder in der Tageskleidung ­Jennersdorf existiert eine ähnliche Erfassung aus dem 16 20 Hand weisen läßt.« schlafen. – Die Atmosphäre, die in einer solchen Hütte Jahre 1933. Ebd. S. 6. Dass sich die Wohnsituation in den Roma-Siedlun- herrscht, ist für Nichtzigeuner geradezu unerträglich.« 18 1933 beschrieb der Bezirkshauptmann von Jenn- 21 gen nur sehr langsam verbesserte, geht aus einer zehn ersdorf »mit Beziehung auf die vor nicht langer Zeit Ebd. S. 7. 22 Jahre späteren Schilderung des Bezirkshauptmannes »Dort wo Kolonien im Bereich verkehrsreicher Orte in Oberwart stattgefundene Besprechung« über zeit- Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf an die liegen, finden die Zigeuner lohnenden und ausreichenden gemäße, dringende Maßnahmen gegen das Überhand- burgenländische Landes­hauptmannschaft vom 28. 2. 1938 betr. 15 Verdienst und ist ihr Lebensstandard sichtlich im Steigen nehmen des »Zigeunerunwesens« die Situation der Bekämpfung des Zigeunerunwesens, BLA, I. a. Pol. Zigeunerakt 1938, Beilage zu Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf 23 Mappe V. an das Amt der burgenländischen Landesregierung vom 2. 2. 1926 begriffen. – Wo dies nicht der Fall ist, ist ›Schmalhans‹ »Zigeunerkolonien«. Diese »Zigeunerkonferenz« in 23 betr. Zigeuner, BLA I.a. Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe 1932; ­Küchenmeister und oft – trotz Diebstählen etz. – bitterste Oberwart vom 15. Jänner 1933 war ein Schlüsselereignis Schreiben der BH Jennersdorf an das Amt der burgenländischen Vgl. Claudia Mayerhofer: Dorfzigeuner, 1988, S. 47f. In dieser Not vorhanden.« 19 für die verschärfte Verfolgung der »Zigeuner« gewesen, Landesregierung vom 27. 3. 1933 betr. Zigeunerunwesen im Zählung wurden nur die eindeutig heimatberechtigten ›Zigeuner‹ politischen Bezirk Jennersdorf, BLA, I. a. Pol Zigeunerakt 1938, berücksichtigt. bei der unter Beteiligung der Landes- und Gemeinde- Mappe 4. 16 Dieser drastischen und verallgemeinernden Schilderung behörden, der Justiz und Gendarmerie die »Zigeun- 24 Schreiben der BH Oberpullendorf an das Amt der burgenländischen der Ausstattung der Häuser widerspricht der Bezirks- erfrage im Burgenland« diskutiert worden war.24 Bei Verhandlungsschrift über die am 15. Jänner 1933 in Oberwart Landesregierung vom 12. 6. 1928 betr. Zigeunerplage, BLA, I. a. Pol. abgehaltene Tagung über die Zigeunerfrage im Burgenland, Zigeunerakt 1938, Mappe 1922. hauptmann selbst in seinem Schreiben im Kontext der dieser Konferenz wurden bereits radikale Maßnahmen ÖstA, BKA, Gd 3/37, Kt. 7152, 339.732. 17 Schilderung der Einkommenssituation. zur »Lösung« der sogenannten »Zigeunerfrage« vorge- 25 Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf an die schlagen, wie etwa die Deportation der »Zigeuner« auf Schreiben der BH Jennersdorf an das Amt der burgenländischen burgenländische Landeshauptmannschaft vom 28. 2. 1938 betr. Landesregierung vom 27. 3. 1933 betr. Zigeunerunwesen im Bekämpfung des Zigeunerunwesens, BLA, I. a. Pol. Zigeunerakt 1938, »Wenn nun auch tatsächlich ein Großteil der Zigeuner ­wenig besiedelte Inseln im Stillen Ozean, die Einrichtung politischen Bezirk Jennersdorf, BLA I. a. Pol Zigeunerakt 1938, Mappe V, S. 5. die Annahme von Gelegenheitsarbeiten der ständigen Arbeit ­eines Reservates und die Verabschiedung eines radikalen Mappe 4. 18 vorzieht, um möglichst ungebunden leben zu können und »Zigeu­nergesetzes«. Auch der Bezirkshauptmann zeich- 26 Ebd. Ebd. S. 3. 19 nicht tagtäglich arbeiten zu müssen, so gibt es recht viele nete die Situation im Bezirk Jennersdorf in den düsters- 27 Ebd. S. 11. Fälle, dass Zigeuner in kleineren Industrien oder auch in ten Farben. Ebd. S. 5. und 3 Kinder und die Söhne des Anzeige Erstattenden, Eine Entschädigung für das zerstörte und enteignete einer von der Finanzlandesdirektion erstellten Liste aus Franz, 19 Jahre alt, und Josef, 17 Jahre alt. Diese ­Personen Haus- und Grundstückseigentum wurde den Roma und dem Jahre 1952 finden sich 59 Liegenschaften aus den sind damals durch die Gestapo ins KZ-Lager Auschwitz Sinti in der Regel nicht bezahlt.34 Dies bezieht sich nicht südburgenländischen Bezirken Oberwart und Jenners- gekom­men und seither verschollen.« 28 nur auf das nicht dokumentierbare Eigentum an Gebäu- dorf.38 Aber auch diese Erfassung war äußerst lücken- den, die als Superädifikate auf Gemeindegrund standen, und fehlerhaft.39 Da nur rund 10 bis 15 Prozent der als Andere Häuser und Liegenschaften im Besitz lokaler sondern auch auf jene Gebäude, die in Grundbüchern ›Zigeuner‹ stigmatisierten Bewohner des Burgenlandes Roma-Familien wurden hingegen nicht zerstört.29 Die eingetragen waren. Laut dem Expertenbericht der Öster­ den Holocaust überlebten, nimmt es nicht wunder, dass erzielten Abrisserlöse dürften in den ersten Jahren nach reichischen Historikerkommission wurde in keinem der ein Großteil ihres grundbücherlichen Eigentums jahr- 1938 in erster Linie den Gemeinden zugutegekommen, 64 Fälle von grundbücherlich intabuliertem Hauseigen- zehntelang unbeansprucht blieb. Selbst die erbberechtig- zum Teil auch abgeliefert worden sein. Erst ab 1943 fal- tum im Bezirk Oberwart ein Rückstellungsverfahren ten Personen wussten oft nichts über das Vorhandensein len sie samt und sonders dem Deutschen Reich ­anheim. angemerkt, noch war irgendeine andere Art von Rück- von Grundstücken ihrer Vorfahren. ­Unter Zugrundelegung eines minimalen Abrissgewinns stellungsvorgängen verifizierbar.35 Der einzige in der In der Gemeinde Rohrbach a. d. Teich hatte es vor bei Hütten von etwa 300 Reichsmark (RM) und 3.000 RM Fachliteratur bekannte Fall eines Antrages eines burgen- 1938 17 Grundstücke gegeben, die sich im Eigentum pro Haus, erhalten wir folgende Hochrechnung der er- ländischen Rom aus St. Margarethen aus dem Jahre 1949 burgenländischer ›Zigeuner‹ befanden. Bis ins Jahr 1983 zielten Abrisserlöse: 30 auf Rückstellung seines Hauses und des darin enthalte- blieben diese Grundstücke im grundbücherlichen Eigen­ nen Mobiliars wurde ebenfalls abgewiesen. Zwar hatte tum der im Holocaust umgekommenen ›Zigeuner‹. Zwar Gebäudewert Zahl Schätzpreis Summe RM die Gemeinde das Gebäude abgetragen, zerstört und die hatte 1952 eine im Nachbarort lebende Frau ein Grund- Gebäude im Baumaterialien veräußert, die Rückstellungskommission stück geerbt, welches sich einst im Besitz ihrer Mutter burgenländischen aber entschied, dass die Gemeinde nicht zur Rechen- befunden hatte, aber über die anderen Grundstücke Durchschnitt 232 3.000 696.000 schaft zu ziehen sei: ihrer Verwandten wusste sie nichts und sie wurde offen- sichtlich auch von niemandem darüber informiert. Erst Gebäude unter »Auf keinen Fall aber hat das Beweisverfahren erge- als die Gemeinde 1983 begann, einen Kinderspielplatz burgenländischem ben, daß die Gemeinde St. Margarethen sich in den Besitz auf dem Gelände der ursprünglichen »Zigeunersied- »Zigeuner Evidenz« der Gemeinde Großwarasdorf, Durchschnitt 1.125 300 337.500 der Reste des abgetragenen Zigeunerlagers gesetzt hat. Die lung« anzu­legen, erbte die Frau – im Zuge der von der Zwischenkriegszeit, Kat. Nr. 8.23. Gesamt 1.357 1.033.500 Gemeinde hat noch ein übriges damit getan, daß sie, wie ­Gemeinde eingeleiteten Verlassenschafts- und Pfleg- der Antragsteller außer Streit stellen mußte, ihm eine Woh- schaftsverfahren – 15 weitere Grundstücke.40 Tabelle 1: Hochgerechneter Wert der Gebäude im Eigentum nung in der Gemeinde verschafft hat. Da ein Beweis, daß die Auch in zahlreichen anderen Katastralgemeinden im Jahre 1943 mittels PKW nach Harmisch fuhr. Im Beisein von ›Zigeunern‹ auf Basis der niedrigsten Wertangaben der Antragsgegnerin eine Entziehung begangen hat, in keiner finden sich unter den grundbücherlichen Liegenschaf- des seinerzeitigen Bürgermeisters der Gemeinde Harmisch, bekannten Schätzgutachten. Weise erbracht wurde, war das Begehren des Antragstellers ten burgenländischer ›Zigeuner‹ bis heute vielfach Georg Stubits, haben die Genannten die Häuser der ins abzuweisen.« 36 grundbücherlich eingetragene Eigentümer, die oft ein KZ-Lager nach Auschwitz verschleppten Zigeuner besich- Selbst wenn wir berücksichtigen, dass ein Bruchteil die- ›methusa­lemisches‹ Alter von über 100 Jahren erreicht tigt. Über Auftrag des Kreisleiters Nicka und des Bürger- ser Gebäude nicht abgerissen wurde, wie angeblich in Auch versuchte zumindest eine Gemeinde im Burgen- zu haben scheinen. Obwohl sie mit an Sicherheit gren- meisters der Gemeinde Oberwart wurde dem Bürgermeister den Orten Zahling, Rax und Gritsch im Bezirk Jenners­ land, sich das Eigentum der deportierten ›Zigeuner‹ über zender Wahrscheinlichkeit im Holocaust gestorben der Gemeinde Harmisch der Auftrag erteilt, das Haus Nr. dorf 31, so müssen wir doch davon ausgehen, dass als einen in den Arisierungsverfahren erprobten Weg anzu- sind, ›geistern‹ diese Personen heute noch als Eigen­ Auf den Spuren der ›verschwundenen‹ Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf 47 in Harmisch abzureißen und sämtliches Inventar (Woh- absolute Untergrenze für den Wert der zerstörten eignen. Den Grundstückseigentümern wurden einfach tümer durch die Grundbücher der burgenländischen Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf nungseinrichtungen) an die dtg. Bevölkerung zu verteilen. ›Zigeu­nerhäuser‹ – sämtliche Schätzungen erfolgten auf Rückstandsausweise für nicht entrichtete Gemeindeum- Katastral­gemeinden. Eine Aufarbeitung dieser Fälle wäre 72 Die Insas­sen dieses Hauses wurden mittels LKW dann der Basis der niedrigsten bekannten Gebäudeschätzwerte – lagen vorgeschrieben und damit ein Exekutionsverfah- heute – zumindest teilweise – auf Basis der Datenbank 73 Gestapo übergeben, und sind diese in das Lager Auschwitz eine Summe von rund 1 Million Reichsmark zu veran- ren eingeleitet, bei dem die Gemeinde die Grundstücke gekommen. Es sind dies: Familie Alois Sarközy, dessen Frau schlagen ist. möglichst billig ersteigern wollte.37 Die Versteigerung Die Widerstände gegen die Rückkehr der Überleben- scheiterte jedoch an der Tatsache, dass das Eigentum der 34 28 den in ihre Heimatgemeinden, gegen ihre Forderungen, deportierten ›Zigeuner‹ in der Zwischenzeit bereits zum Erst aus den Mitteln der – mit 50-jähriger Verspätung – nach 1995 Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Oberwart an das ihnen Wohnraum und eine auch nur primitive Existenz Eigentum des Deutschen Reiches erklärt worden war. eingerichteten Fonds der Republik Österreich erhielten auch Roma Bezirksgericht in Oberwart gegen Eduard Nicka wegen Kriegs­ zu ermöglichen, waren enorm. Ein sehr bezeichnender Die Tatsache, dass viele Roma über Grundbesitz ver- und Sinti eine teilweise Entschädigung für ihre materiellen Verluste. verbrechen, 1. 8. 1946, zit. nach: Widerstand und Verfolgung im 35 Burgenland 1934 – 1945, hrsg. v. Dokumentationsarchiv des öster­ Konflikt spielte sich 1947 in der südburgenländischen fügten, stellte für die nationalsozialistische Bürokra­tie Freund, Baumgartner u. Greifeneder: Vermögensentzug, Restitution reichischen Widerstandes, Wien 1983, S. 298f. Gemeinde Schreibersdorf ab, wo bis 1938 über 220 ein unvorhergesehenes Problem dar. Die größte Schwie- und Entschädigung der Roma und Sinti, 2004, Kapitel 11.7. 29 »Zigeu­ner« in einer eigenen »Kolonie« gelebt hatten.32 rigkeit war dabei die Identifizierung des Grundeigen­ 36 Siehe dazu die Eintragungen im Grundbuch Oberwart KG Harmisch Erkenntnis der Rückstellungskommission beim Landesgericht für EZ 54, KG Harmisch EZ 65, KG Harmisch EZ 66. Die Gemeindevertretung beschwerte sich bei der Landes­ tümers als ›Zigeuner‹. Zwar war 1942 der gesamte Besitz Zivilrechtssachen, 16. 6. 1950, Zl. 63 RK 1269/49; vgl. dazu auch 30 hauptmannschaft, dass sie »durch die Zigeunerfrage von als ›Zigeunern‹ diffamierten Menschen zugunsten Brigitte Bailer: Wiedergutmachung kein Thema. Österreich und die Florian Freund, Gerhard Baumgartner und Harald Greifeneder: schwer in Mitleidenschaft gezogen« wäre. »Den fünfzig des Deutschen Reiches eingezogen worden, die konkrete Opfer des Nationalsozialismus, Wien 1993, S. 178 – 180. Vermögensentzug, Restitution und Entschädigung der Roma und 37 Sinti, Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommis­ Wohnhäusern, wovon die Besitzer zur Hälfte Bauern grundbücherliche Durchführung dieser Verordnung Grundbuch Oberwart, KG Althodis EZ 73, 77, 78, 83, 84, 86–91, sion: Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen (Kleinbauern) und Arbeiter sind, stehen 30 Zigeuner ­erwies sich allerdings in den meisten Fällen als praktisch 94 und 96. und Entschädigungen seit 1945 in Österreich Bd. 23/2, Wien 2004, gegenüber. Die Zahl erhöht sich noch durch Zuwande- undurchführbar. Die Eigentumsverhältnisse am Immo- 38 Kapitel 11.5. Verzeichnis der entzogenen, aber noch nicht beanspruchten 31 rer. Sie beanspruchen nun ihre Baracken zu ersetzen, bilieneigentum der österreichischen ›Zigeuner‹ waren Vermögen, welche von der Finanzlandesdirektion verwaltet Johann Knobloch: Zigeuner im Burgenland, Textmanuskript für den was jedoch zur Zeit nicht möglich ist.« 33 Besonders er- nach 1945 weder den Betroffenen, noch den Bundes- und werden, Beilage B zu LAD/IV 759/11 – 52, BLA, BH Güssing/11, ORF Burgenland, 1970er-Jahre, ORF-Archiv Burgenland, Sammlung bost dürfte die Gemeindevertretung vor allem darüber Landesbehörden oder den betroffenen Gemeinden klar. Vermögensentzugsmeldungen 1946 – 1954. Unger. 39 32 gewesen sein, dass die Überlebenden überhaupt Forde- Eine Reihe von Grundstücken wurde zwar nach 1945 von Freund, Baumgartner u. Greifeneder: Vermögensentzug, Restitution Vgl. Rieger: Roma und Sinti, 1997, S. 54f. rungen stellten und sich nicht mehr widerspruchslos der Finanzlandesdirektion verwaltet, da ihre höchst- und Entschädigung der Roma und Sinti, 2004, Fußnoten 576 – 578. 33 an die unterste Stelle in der Sozialhierarchie des Dorfes wahrscheinlich dem Holocaust zum Opfer gefallenen 40 Schreiben der Gemeindevertretung Schreibersdorf an die Siehe dazu die Urkunden in TZ 4605/87 der Urkundensammlung des burgenländische Landeshauptmannschaft vom 24. 7. 1947 betr. eingliederten. Eigentümer oder deren Erben seit Kriegsende keinen Grundbuches Oberwart, die Pflegschaftsakten P 210–214/86 sowie Zigeunerfrage, BLA, BH Oberwart, XI 153/1947 V/651.700. Anspruch auf diese Liegenschaften gestellt hatten. In die Verlassenschaftsakten A 1007/40, 517/87, 607/87, 230/90, 232/90. * der »Namentlichen Erfassung der im Nationalsozialismus Gerhard Baumgartner, geb. 1957, Wissenschaftlicher Tabelle 2: Wohnverhältnisse in den Roma-Siedlungen im Bezirk Oberwart 1929 ermordeten österreichischen Roma und Sinti« möglich.41 Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Personen Personen Familien Die Tatsache, dass die österreichischen Behörden es Widerstandes (DÖW), Mitarbeiter der Österreichischen Ort Personen Familien Häuser Räume über Jahrzehnte verabsäumt haben, sich von Amts ­wegen Historikerkommission, Lektorate an Universitäten in pro Raum pro Haus pro Haus um eine Aufarbeitung des Schicksals tausender ihrer Tel Aviv, Budapest, Graz, Salzburg und Wien. Mitheraus- Bezirk Oberwart 2715 622 426 496 5,5 6,4 1,5 Staatsbürger während der Zeit des Nationalsozia­lismus geber der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswis- Allhau 106 22 20 20 5,3 5,3 1,1 zu kümmern, führte nach 1945 zu zahlreichen Problemen senschaften (ÖZG). Forschungsschwerpunkte: Ethnische Althodis für die Überlebenden und resultiert bis heute in bizarren und religiöse Minderheiten in Mittel- und Osteuropa Aschau 108 22 17 17 6,4 6,4 1,3 und nur schwer verständlichen Entscheidungen öster- im 19. und 20. Jahrhundert, Minderheitenpolitik und reichischer Behörden. Grundbücherliches Eigentum von Nationalismustheorie. Bernstein 117 33 13 13 9 9 2,5 ohne feststellbaren Erben verstorbenen Personen fällt Buchschachen 107 45 36 36 3 3 1,3 in Österreich als sogenanntes »kadukes« Eigentum der Glashütten 63 16 13 13 4,8 4,8 1,2 Republik Österreich anheim. Der Republik ist auf diese Weise mehrfach das Eigentum von im Holocaust ermor- Goberling 72 17 9 13 5,5 8 1,9 deten burgenländischen ›Zigeunern‹ anheimgefallen. Grafenschachen 44 10 8 8 5,5 5,5 1,3 So geschehen etwa im Falle des Eigentums eines Grodnau 119 26 23 27 4,4 5,2 1,1 Ehepaares aus Goberling. Der Ehemann war bereits 1941 Großbachselten in einem Arbeitslager in der Nähe von Judenburg gestor- ben, seine Frau in einem Konzentrationslager. Das Ver- Günseck 25 6 5 5 5 5 1,2 mögen der Frau wurde am 9. Jänner 1958 als heimfällig Holzschlag 185 51 39 41 4,5 4,7 1,3 erklärt, da keine Erben ausfindig gemacht werden konn- Jabing 45 12 9 9 5 5 1,3 ten. Zwar hatte ein Urgroßneffe der Verstorbenen einen Kemeten 95 21 10 13 7,3 9,5 2,1 Erbanspruch – aufgrund eines im Konzentrationslager Auschwitz errichteten mündlichen Testaments – und Kitzladen 44 9 9 9 4,9 4,9 1 auch zwei Zeugen dafür, einen Mann und eine Frau, gel- Kleinbachselten 109 21 12 13 8,4 9,1 1,8 tend gemacht, dieser wurde jedoch vom Bürgermeister Kleinpetersdorf 19 5 3 3 6,3 6,3 1,7 der Gemeinde mit folgender Begründung bestritten: »Im Litzelsdof 7 1 10 13 0,5 0,7 0,1 Konzentrationslager haben nämlich die Frauen nicht mit den Männern zusammen sein dürfen. Eine gemeinsame Loipersdorf 99 26 20 20 5 5 1,3 Besprechung, insbesondere die Errichtung eines mündli- Mönchmeierhof 48 10 10 10 4,8 4,8 1 chen Testaments, vor zwei gleichzeitig anwesenden Zeu- Neustift a/d Lafnitz 167 32 27 27 6,2 6,2 1,2 gen muß daher eine Unmöglichkeit sein. Die Angaben des Podgoria 21 5 4 4 5,3 5,3 1,3 Josef Horvath … können daher nicht ganz stimmen.« Diese völlig unrichtige Behauptung – die auch 1958 Oberwart 218 44 8 32 6,8 27,3 5,5 Auf den Spuren der ›verschwundenen‹ Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf bereits jederzeit nachprüfbar gewesen wäre – hat das Redlschlag 29 6 6 7 4,1 4,8 1 Roma-Siedlungen Burgenlandes des ›verschwundenen‹ der Spuren den Auf Gericht ohne jedwede Nachprüfung akzeptiert und den Rohrbach a/d Teich 56 14 9 9 6,2 6,2 1,6 74 Anspruch des Erben abgewiesen. Gleichzeitig machte 75 die Gemeinde auch noch Forderungen gegen den Nach- Rumpersdorf 68 15 7 11 6,2 9,7 2,1 lass geltend. Das Haus, welches sich seinerzeit auf der Schandorf 22 6 3 3 7,3 7,3 2 Lie­genschaft befunden hatte, wurde als »bereits in der Schreibersdorf 149 28 15 15 9,9 9,9 1,9 Hitlerzeit abgerissen« bezeichnet. Dass dies durch die Spitzzinken 81 14 12 14 5,8 6,8 1,2 Gemeinde geschehen war, wurde mit keinem Wort ­erwähnt. Die Schätzung des örtlichen Gutachters zum St. Schlaining Wert des nunmehrigen Bauplatzes mit 600 Schilling Sulzriegel 66 13 12 12 5,5 5,5 1,1 erschien selbst dem wohlwollenden Bezirksgericht Ober- Unterschützen 108 23 23 23 4,7 4,7 1 wart »etwas niedrig«. Die Finanzprokuratur einigte sich Unterwart 157 33 2 24 6,5 78,5 16,5 schließlich auf einen Kaufpreis von 1.100 Schilling mit dem Kaufwerber, der Gemeinde Goberling. Die Finanz­ Weinberg 20 6 6 6 3,3 3,3 1 prokuratur übernahm nach Abzug aller Kosten schließlich Weißenbach 42 am 11. September 1959 den Betrag von 487 Schilling. Welgersdorf 19 3 3 3 6,3 6,3 1 Wiesfleck 55 10 9 9 6,1 6,1 1,1 Willersdorf 20 5 6 6 3,3 3,3 0,8 41 Wolfau Gerhard Baumgartner u. Florian Freund: Namentlichen Erfassung der im Nationalsozialismus ermordeten österreichischen Roma und Woppendorf Sinti, Wien 2008; die Datenbank kann im Dokumentationsarchiv * Beilage A zum Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberwart österreichischer Roma (Devrientgasse 1, 1190 Wien) eingesehen an das Amt der burgenländischen Landesregierung vom 18. 10. 1931, Zuberbach 47 12 8 8 5,9 5,9 1,5 werden. BLA, I.a. Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe 1930–1932. 42 Zu einzelnen Orten fehlen im Original Einträge. Die Zahlen Verlassenschaftsakt des Grundbucharchives Oberwart A 719/56, für Oberwart und Unterwart (insbesondere die Berechnung der 35 – 37, 73. EinwohnerInnen pro Haus) sind mit Sicherheit nicht korrekt.