Liebe Zuhörerinnen Und Zuhörer! Offensichtlich Leben Wir Heute in Einer Erinnerungskultur. So War 2009 Ein Schillerjahr (250
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Mehr als ein Weiberfeind: Arthur Schopenhauer (1788-1860) Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Offensichtlich leben wir heute in einer Erinnerungskultur. So war 2009 ein Schillerjahr (250. Geburtstag), 2005 ebenfalls ein Schillerjahr (200. Todestag), 1999 ein Goethejahr (250. Geburtstag), 2000 ein Bach-Jahr (250. Todestag). 2011 wird ein Kleist-Jahr werden (200. Todestag). Etwas weniger ist aufgefallen, dass 2010 auch ein Königin-Luise-Jahr gewesen ist (200. Todestag); Feiern und Ausstellungen beschränkten sich dabei auf Berlin und Umgebung. Viel geringer noch ist die Resonanz auf den 15O. Todestag des Philosophen Arthur Schopenhauer gewesen. Dabei hat ihn sein Biograph und Herausgeber Arthur Hübscher als den „größten Denker des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet und er selbst war überzeugt, dass von seinen philosophischen Schriften noch eine ungeheure Wirkung ausgehen würde. Kurz vor seinem Tode verfügte Schopenhauer für seine Grabstätte „auf ewige Zeit“, dass auf einem „granitenen 4 bis 5 Fuß langem Stein“ (1,20 -1,50 m) nur der Name Arthur Schopenhauer stehen solle, „schlechterdings nichts weiter, kein Datum noch Jahreszahl, gar nichts, keine Silbe“. Auf die Frage seines bevollmächtigten Freundes Wilhelm Gwinner, wo er denn ruhen wolle, erwiderte Schopenhauer: „Es ist einerlei, sie werden mich finden.“ Schon der dreißigjährige Schopenhauer, der sein eben vollendetes Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ dem Verleger Brockhaus zum Druck anbietet, leidet nicht an Minderwertigkeits- gefühlen. „Mein Werk“, erklärt er, „ist ein neues philosophisches System: aber neu im ganzen Sinn des Wortes: nicht neue Darstellung des schon Vorhandenen: sondern eine im höchsten Grad zusammenhängende Gedankenreihe, die bisher noch nie in irgend eines Menschen Kopf gekommen.“ Und er fährt dann fort: „Wollte ich ... gemäß dem Werte, welchen ich auf mein Werk lege, meine Forderungen an Sie abmessen, so würden diese außerordentlich, ja unerschwingbar ausfallen.“ Wir werden noch hören, wie es mit dem Erfolg dieser Erstauflage bestellt war. Heute scheint der Name Arthur Schopenhauer – wenn er überhaupt erwähnt wird – dann vor allem im Zusammenhang mit dem Begriff „Weiberfeind“ genannt zu werden. So geschieht es auch in einem Beitrag des „Südkurier“ zu seinem 150. Todestag am 21. September 2010, den ich an jenem Morgen lese. Die Überschrift lautet: „Von der Frau auf den Hund gekommen.“ Ich bin derart aufgebracht, dass ich mir spontan vornehme, im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten, nämlich der Vorträge für das Bildungswerk, mehr zu Schopenhauer zu sagen, als in diesem kläglichen Artikel unserer Regionalzeitung steht. Der Schluss des „Südkurier“-Beitrags lautet: „Schopenhauer ist über sein gescheitertes Liebesleben nie hinweggekommen, es dominiert sein geistiges Erbe und vermindert es.“ Über seine Philosophie, die ja wohl die Hauptsache sein sollte, enthält der Artikel kein einziges Wort. Damit wir den Blick freibekommen für das eigentliche Werk Schopenhauers, möchte ich mich also zuerst dem Kapitel „Schopenhauer und das weibliche Geschlecht“ zuwenden. Reißerisch sollte man vielleicht auch gleich sagen: Schopenhauer und der Sex, denn dieser Aspekt scheint doch heutzutage alle Beschäftigung mit unseren Geistesgrößen zu dominieren. Ich erinnere nur an die Fernsehserie über die Familie Mann vor einigen Jahren und welche Rolle darin homo-erotische Neigungen gespielt haben. Um es kurz zu sagen: Wie die meisten Menschen (und eigentlich alle Lebewesen) ist auch Schopenhauer kein Neutrum gewesen, sondern ein triebhaftes Geschöpf. Dies hat aber sein „geistiges Erbe“ nicht gemindert, sondern es ist zum Zentrum seiner Philosophie geworden, die als Kern alles Seienden, als „Ding an sich“, den W i l l e n erkennt und diesen zum Dreh- und Angelpunkt alles 2 Nachdenkens über die Welt und das Leben macht. Darüber ausführlich etwas später! Nun also erst einmal das Thema „Schopenhauer und die Frauen“. Da ist zunächst zu nennen die Beziehung zu seiner Mutter, Johanna Schopenhauer. Fast zwanzig Jahre jünger als ihr Gatte, der 1747 geborene reiche Danziger Kaufmann Heinrich Floris Schopenhauer, ist Johanna gerade 21 Jahre jung, als ihr Sohn Arthur 1788 zur Welt kommt. Sie wird geschildert als eine geistreiche, temperamentvolle Frau, die voller Phantasie ist und Vergnügen‚ Geselligkeit sowie Abwechslung auf Reisen liebt. Der Gegensatz zum ernsthaften, pflichtbewussten, redlichen, gesetzten und zur Schwermut neigenden Ehemann ist krass. Ein besonders mütterlicher Typ ist sie offensichtlich nicht und der frühe Tod des Mannes, der nach dem Umzug in die Hansestadt Hamburg aus dem Fenster eines Speichers in ein Fleet stürzt, wobei man nicht wissen kann, ob es ein Unglück oder Selbstmord ist, dieser Tod scheint sie weniger zu bedrücken als vielmehr zu befreien. Heinrich Floris Schopenhauer hatte sich zum Umzug nach Hamburg entschlossen, weil Danzig unter die Herrschaft Preußens gekommen war (1799) und er ein freier Bürger bleiben wollte. In Hamburg aber kann er nicht recht heimisch werden; die Geschäfte leiden; er kränkelt und hat Depressionen. Arthur schreibt: „Meine Frau Mutter gab Gesellschaften, während e r in Einsamkeit verging, und amüsierte sich, während e r bittere Qualen litt. Das ist Weiberliebe“. Schon ein Jahr später (1806) zieht Johanna Schopenhauer nach Auflösung der Firma zusammen mit der Tochter Adele (neun Jahre jünger als Arthur) nach Weimar. Dort findet sie sofort Zugang zu den tonangebenden Kreisen und gewinnt sogar Goethes Zuneigung. Dies geschieht vor allem auch deshalb, weil sie sich Christiane (Goethes Lebensgefährtin) gegenüber unverkrampft verhält. Mit der Vulpius, wie Christiane überall genannt wird, hat Goethe sozusagen in wilder Ehe gelebt; erst kürzlich hat er sie zu seiner legitimen Frau erklärt, was jedoch ihr Ansehen in der Weimarer Gesellschaft kaum gehoben hat. Johanna Schopenhauer lädt Christiane einfach ein und erklärt: „Wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee reichen“. 3 Der 18jährige Arthur ist in Hamburg zurückgeblieben, um seine Kaufmannslehre zu beenden. Es ist für ihn eine Epoche qualvoller innerer Zerrissenheit und einer ungewöhnlich kräftig erwachenden Sinnlichkeit. Ein Gedicht Arthurs entsteht in dieser Zeit. Es beginnt mit den Worten: „O Wollust, o Hölle, o Sinne, o Liebe nicht zu befried’gen und nicht zu besiegen!“ 1807 gibt Schopenhauer die ihm verhasste Kaufmannslehre auf. Er hat sie nur fortgesetzt, weil er es dem Vater einst versprochen hat. Nun zieht er nach Gotha, also in die Nähe von Weimar. Dass er nicht direkt nach Weimar geht, liegt an dem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter. Diese nämlich möchte den ungeselligen Sohn nicht in ihrer unmittelbaren Umgebung und schon gar nicht bei ihr wohnen haben. In Gotha besucht Arthur, der inzwischen bereits 19 Jahre alt ist, das Gymnasium, denn er hat beschlossen, ein Gelehrter zu werden. Nach kurzer Zeit überwirft er sich aber mit seinen Lehrern und kommt nun doch nach Weimar, um sich dort am Gymnasium auf ein Universitätsstudium vorzubereiten. Seine Mutter lehnt es aber nach wie vor ab, mit ihm unter einem Dach zu leben. Sie schreibt ihm noch nach Gotha: „Ich habe dir immer gesagt, es wäre sehr schwer, mit dir zu leben und je näher ich dich betrachte, desto mehr scheint diese Schwierigkeit, für mich wenigstens, zuzunehmen. ... Du bist nur auf Tage bei mir zum Besuch gewesen und jedesmal gab es heftige Szenen um nichts und wieder nichts und jedesmal atmete ich erst frei, wenn du weg warst, weil deine Gegenwart, deine Klagen über unvermeidliche Dinge, 4 deine finstern Gesichter mich drückten. Höre also, auf welchem Fuß ich mit dir sein will: Du bist in deinem Logis zu Hause, in meinem bist du ein Gast. ... An meinen Gesellschaftsabenden kannst du abends bei mir essen, wenn du dich dabei des leidigen Disputierens ... wie auch alles Lamentierens über die dumme Welt und das menschliche Elend enthalten willst, weil mir das immer eine schlechte Nacht und üble Träume macht und ich gern gut schlafe.“ In seiner Weimarer Zeit verguckt sich der junge Schopenhauer in die Schauspielerin Karoline Jagemann. Er ist 20, sie bereits 31, aber er will sie unbedingt haben und schreibt: „Dieses Weib würde ich heimführen, und wenn ich sie Steine klopfend an der Landstraße fände“. Sogar ein Gedicht entsteht; das einzige gereimte Liebesgedicht, das wir von ihm kennen: „Der Chor zieht durch die Gassen. Wir stehn vor deinem Haus; mein Leid würd’ mir zu Freuden, sähst du zum Fenster raus. Der Chor singt auf der Gasse. Im Wasser und im Schnee: Gehüllt im blauen Mantel zum Fenster auf ich seh’. Die Sonne hüllen Wolken, doch deiner Augen Schein, er flößt am kalten Morgen mir Himmelswärme ein. Dein Fenster hüllt der Vorhang: Du träumst auf seidnem Pfühl vom Glücke künft’ger Liebe. Kennst du des Schicksals Spiel? Der Chor zieht durch die Gassen, vergebens weilt mein Blick. Die Sonne hüllt der Vorhang. Bewölkt ist mein Geschick.“ Das ist natürlich tief empfundener Kitsch in Reinkultur. Aus verschiedenen Gründen muss Schopenhauers Liebe zu seiner Angebeteten platonisch bleiben. Arthur hat keine Chance, vor allem deshalb, weil die umschwärmte Schauspielerin bereits die Geliebte des Herzogs Karl August ist und mit ihm in morganatischer Ehe lebt. Zehn Jahre später kommt es aber in Dresden zu einer echten Beziehung mit einer unbekannt gebliebenen Frau, und dieses Verhältnis hat Folgen. Ein uneheliches Kind wird geboren; Schopenhauer aber, der gerade sein Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ beendet hat, in dessen letztem Abschnitt er Askese und Entsagung preist, lässt Mutter