Abhandlungen Die Wahl Der Ministerpräsidenten In
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9/2013 NordÖR 16. Jahrgang, Seiten 345-396 Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Herausgegeben von: Prof. Dr. Ivo Appel, geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle Umweltrecht, Universität Hamburg – Prof. Dr. Wilfried Erbguth, Universi tät Rostock – Hans-Jürgen Ermisch, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hamburg – Dr. Rolf Gestefeld, Präsident des OVG Hamburg – Prof. Dr. Thomas Groß, Universität Osnabrück – Hannelore Kohl, Präsidentin des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg- Vorpommern und des OVG Greifswald – Dr. Hubert Meyer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Niedersächsischen Landkreistages – Ilsemarie Meyer, Präsidentin des Staatsgerichtshofs Bremen und Präsidentin des OVG Bremen – Dr. Herwig von Nieuwland, Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs und des OVG Lüneburg – Prof. Dr. Ulrich Ramsauer, Vorsitzender Richter am OVG Hamburg a.D., Universität Hamburg – Prof. Dr. Utz Schliesky, Direktor beim Landtag von Schleswig-Holstein – Hans-Joachim Schmalz, Präsident des OVG Schleswig Redaktioneller Beirat: Jan-Christian Erps, Geschäftsführer des Landkreistags Schleswig-Holstein; sowie die Rechtsanwälte und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Dr. Christian Becker, Kiel, Alexander Blume, Lüneburg, Dr. Manfred Ernst, Bremerhaven, Dr. Peter Guhl, Bremen, Dr. Kai Krohn, Greifswald, Rainer Kulenkampff, Bremen, Dr. Silke Reimers, Bad Schwartau, Dr. Uta Rüping, Hannover, Dr. Holger Schwemer, Hamburg, Dr. Klaus Willenbruch, Hamburg Zentrale Schriftleitung: VRiOVG a.D. Prof. Dr. Ulrich Ramsauer, Hamburg Universität Hamburg, Fakultät für Rechtswissenschaft, Rothenbaumchaussee 33, 20148 Hamburg Landesschriftleitungen in Bremen, Greifswald, Hamburg, Lüneburg, Schleswig www.NordOER.de ABHANDLUNGEN Die Wahl der Ministerpräsidenten in Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Von Dr. Richard Ley*, Koblenz Am Anfang und im Mittelpunkt der Regierungsbildung sowohl 2. Bedeutung der Wahl des Ministerpräsidenten im nach dem Grundgesetz als auch den Verfassungen der Bundes- Verfassungssystem länder steht die Wahl des Regierungschefs.1 Ohne den Minister- Die Bestimmungen über die Wahl der Ministerpräsidenten präsidenten2 gibt es keine neue Regierung. Deshalb hat die sowie die besonderen Mitwirkungs- und Mitbestimmungs- Wahl eine entscheidende Bedeutung im System der parlamenta- regelungen bei der Regierungsbildung machen deutlich, dass rischen Demokratie. In diesem Beitrag sollen die Regelungen die Wahl- und Kreationsfunktion der Landtage unter den und die Staatspraxis der drei norddeutschen Bundesländer seit Hauptaufgaben des Parlaments6 von besonderer Bedeutung den 1990er Jahren verglichen werden. sind. Diese Aufgabe wird in einigen neueren bzw. reformierten I. Einführende Anmerkungen * Der Verfasser ist stellvertretendes nicht berufsricherliches Mitglied des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz und war Dozent an der 1. Art. 28 Abs.1 Satz 1 GG und die möglichen Formen der FHöV Rheinland-Pfalz. Wahl der Ministerpräsidenten 1 Vgl. ausführlich Ley, Die Wahl der Ministerpräsidenten in den Bundes- ländern. Rechtslage und Staatspraxis, ZParl 2010 S. 390-420. Nach einhelliger Ansicht erlaubt das Homogenitätsprinzip des 2 Es wird hier in der Regel die geschlechtsneutrale Formulierung ver- wendet, obwohl die Verfassungen von Niedersachsen und Schles- Art. 28 Abs.1 Satz 1 GG verschiedene Ausgestaltungen der wig-Holstein sowohl die weibliche als auch die männliche Bezeich- Wahl der Ministerpräsidenten.3 Obwohl noch andere Formen nung verwenden. möglich wären, werden heute in allen Bundesländern die Regie- 3 Vgl. Schümer, Die Stellung des Ministerpräsidenten in den Bundeslän- dern im Vergleich, 2005, S. 3 f. m.w.N. rungschefs durch die Landtage gewählt. Eine andere Rechtslage 4 In der Verfassungsgebenden Versammlung des Saarlandes wurde galt in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg bis in die 1990er diese Möglichkeit auch erwogen; Stelkens, in: Wendt/Rixecker (Hrsg.), Verfassung des Saarlandes-Kommentar, 2009, Art. 87 Rn. 3. Jahre. Die von den Bürgerschaften gewählten Senatsmitglieder 5 Vgl. FAZ v. 25.05.2000 und Mehr Demokratie e.V., Volksbegehrensbe- bestimmten aus ihrem Kreis in geheimer Abstimmung den Prä- richt 2001, 2002, S. 16. sidenten des Senats.4 Auch eine Direktwahl des Regierungschefs 6 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, § 26 II 2a (S. 47), nennt vier Hauptfunktionen für das Parlament. durch das Volk stände mit dem Grundgesetz im Einklang. In Die neueren Verfassungen erwähnen teils beispielhaft eine größere Rheinland-Pfalz wurde (erfolglos) versucht mit einer Volksini- Anzahl von Aufgaben und Funktionen. Vgl. z.B. Wagner, in: Grimm/ Caesar (Hrsg.), Verfassung für Rheinland-Pfalz, Kommentar, 2000, Art. tiative nach Art. 108a LV-RP die Direktwahl des Ministerpräsi- 79 Rn. 2 und Hagebölling, Niedersächsische Verfassung, 2. Auflage denten einzuführen.5 2011, Art. 7 Anm. 1-7. NordÖR 9/2013 | 345 AbhandLUngen | Ley, Die Wahl der Ministerpräsidenten in Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Landesverfassungen besonders hervorgehoben. Die Verfassun- 4. Statistische Anmerkungen zu den Wahlen seit 1990 gen von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein Seit 1990 waren in den drei Bundesländern insgesamt 24 Wah- erwähnen ausdrücklich die Wahl des Regierungschefs und in len notwendig.23 Bis auf zwei Ausnahmen24 wurden die neuen der reformierten Niedersächsischen Verfassung7 wird neben der Ministerpräsidenten bereits im ersten Wahlgang mit der erfor- Wahl des Ministerpräsidenten auch die Mitwirkung bei der Re- derlichen absoluten Mehrheit gewählt. Aufgrund der Koppe- gierungsbildung angeführt.8 lung von Amtszeit und Wahlperiode25 fanden 18 am Anfang der Am Anfang der Konstituierung einer Landesregierung steht Legislaturperiode statt. Sechsmal musste im Laufe der Wahl- die Wahl des Ministerpräsidenten durch den Landtag. In diesem periode nach Rücktritten der bisherigen Amtsinhaber gewählt ersten Akt der Regierungsbildung kommt zum Ausdruck, dass werden.26 Die Gründe waren vielfältig: Bei zwei Wahlen in Nie- auch die Landesverfassungen dem vom Grundgesetz gewählten dersachsen hatten die bisherigen Inhaber (Gerhard Schröder Modell des parlamentarischen Regierungssystems folgen und und Christian Wulff) neue Ämter übernommen. In Mecklen- nicht für die präsidiale Demokratie.9 In der juristischen Litera- burg-Vorpommern trat der erste Ministerpräsident Dr. Alfred tur wird dies besonders hervorgehoben durch Formulierungen Gomolka nach innerparteilichen Auseinandersetzungen und wie: „zentrale Regelung des parlamentarischen Regierungssys- der langjährige Ministerpräsident Dr. Harald Ringsdorf aus Al- tems“10, „Grundgedanke des parlamentarischen Regierungs- tersgründen zurück. Politische Affären waren die Gründe für systems“11, „wesentlicher Eckpfeiler des parlamentarischen die Rücktritte von Gerhard Glogowski und Björn Engholm. Regierungssystems“12 oder „Herzstück des parlamentarischen Regierungssystems deutscher Prägung“13. Mit der Wahl des Regierungschefs überträgt das Landespar- II. Persönliche Anforderungen an den zu Wählenden lament andererseits die ihm vom Volke verliehene Legitimation Die drei Verfassungen enthalten keine spezifischen Anforderun- und setzt die Legitimationskette fort, in die nach den Grund- gen an die Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt.27 So sätzen der repräsentativen Demokratie alle Organe staatlicher Gewalt eingegliedert werden müssen,14 was auch noch aus 7 Zur früheren Rechtslage vgl. Neumann, Die Vorläufige Niedersächsische einem weiteren Grund von großer Bedeutung ist. Die Minister- Verfassung, Handkommentar, 2. Auflage Stuttgart 1987, Art. 3 Rn. 3 ff. präsidenten sind nicht nur Regierungschef mit der verfassungs- 8 Art. 20 Abs. 1 S. 3 LV-MV und Art. 10 Abs. 1 S. 3 LV-SH sowie Art. 7 S. 2 LV-NS 9 Vgl. Schweiger in: Nawiasky/Schwaiger/Knöpfle, Die Verfassung des rechtlich verankerten Richtlinienkompetenz, sondern sie neh- Freistaates Bayern, 2006, Art. 44 Rn. 3 und Müller, Verfassung des Frei- men auch noch eine Reihe von präsidialen Aufgaben wahr15, da staats Sachsen – Kommentar, 1993, S. 334. Bei den Arbeiten für die Vor- es in den Bundesländern das Amt des Staatsoberhauptes nicht läufige Niedersächsische Verfassung hatte die FDP noch keine Wahl des Ministerpräsidenten durch den Landtag, sondern eine Ernennung gibt. Die Ministerpräsidenten sind, wie die Regelungen über die durch den Staatspräsidenten vorgeschlagen; vgl. Mielke in: Epping/ Vertretung des Staates „nach außen“ 16 zeigen eben auch die Butzer (Hrsg.), Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Ver- obersten Repräsentanten ihres Bundeslandes.17 fassung, 2012, Art. 30 Rn. 2. 10 Katz in: Feuchte (Hrsg.) Verfassung des Landes Baden-Württemberg – Abschließend noch ein weiterer Aspekt. Die Landesregie- Kommentar, 1987, Art. 46 Rn. 1. rungen bestehen aus dem Ministerpräsidenten und den Mi- 11 Tettinger in: Löwer/ Tettinger (Hrsg.), Kommentar zur Verfassung des 18 Landes Nordrhein-Westfalen, 2002, Art. 52 Rn.1 nistern . Die Ministerpräsidenten sind somit Bestandteil der 12 Nolte in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Verfassung des Landes Schles- Landesregierung, aber aufgrund ihres Rechtes die Minister zu wig-Holstein – Kommentar, Art. 26 Rn.3 ernennen und zu entlassen sind sie auch „in gewisser Hinsicht 13 Neumann, Die Niedersächsische Verfassung, 3. Auflage 2000, Art. 29 Rn.1 und Hagebölling (Fn. 6) Art. 29 Anm. 1 19 … ihr Schöpfer“ . 14 Vgl. Wagner (Fn. 6), Art. 79 Rn. 41 mwN der Rechtsprechung des BVerfG. 15 Vgl. Schümer (Fn. 3), S. 75 ff.