Auf der Spur der Mauer

28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage

trennte die Berliner Mauer die Menschen in Ost und West. Die Mauer durchschnitt die Infrastruktur der Stadt, verlief mitten durch Gebäude, unterbrach Straßen, Wasserwege und Schienenverkehr, zerriss Familien, trennte Freunde und Liebespaare und zerstörte Hoffnungen und Leben. Die Mauer war omnipräsent. Dementsprechend war der Fall der Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 ein welthistorisches Ereignis, das als Symbol für das Ende des Kalten Krieges, die Aufhebung der Teilung Deutschlands und des europäischen Kontinents steht. Die Pressekonferenz von SED-Politbüromitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 wurde berühmt durch einen Irrtum. Auf die Frage, wann die von ihm verkündete neue Reiseregelung für DDR-Bürger in Kraft träte, antwortete er zögernd: „Das tritt nach meiner Kenntnis – ist das – sofort, unverzüglich.“

Eine Spurensuche zu einem der bedeutensten Ereignisse deutscher Geschichte.

Bernauer Straße, Blick auf Eberswalder Straße, Grenzanlage Wedding/, Foto: Karl-Ludwig Lange

Deutschland und der kalte Krieg

ls die Mauer 1961 in errichtet schnell. Die Sowjetunion baut ihre mili- vertreiben – und die Fluchtbewegung zu Awird, ist Deutschland bereits sechzehn tärisch errungenen Machtpositionen aus. unterbinden. Doch die Vereinigten Staa- Jahre lang ein geteiltes Land. Zuvor wa- Die USA belassen in Europa und Asien Trup- ten, Großbritannien und Frankreich geben ren mindestens 55 Millionen Menschen, pen. Der Kalte Krieg beginnt: Zwei unverein- dem Druck nicht nach. Zur Enttäuschung davon 25 Millionen Zivilisten, durch Krieg bare Weltanschauungen ringen weltweit der SED-Führung setzt Chruschtschow sein und Verbrechen der nationalsozialisti- um Macht und Einfluss. Deutschland ist ein Ultimatum mehrfach aus. Die entschiedene schen Gewaltherrschaft umgekommen. Die Hauptschauplatz dieses Kalten Krieges. Haltung der Vereinigten Staaten und die Kriegsniederlage, die der Nazi-Diktatur im akute Gefährdung der Existenz der DDR im Mai 1945 ein Ende bereitet, ist deshalb zu- Am 27. November 1958 stellt der sowjetische Sommer 1961 veranlassen Chruschtschow gleich eine Befreiung. Partei- und Staatsführer Nikita Chruscht- schließlich , von seinen weitergehenden schow ein Ultimatum auf: Falls die West- Zielen Abstand zu nehmen und stattdes- Das Deutsche Reich wird besetzt und in vier mächte nicht innerhalb von sechs Monaten sen der Abriegelung der Sektorengrenze in Besatzungszonen eingeteilt: eine sowjeti- in Verhandlungen über einen Friedensver- Berlin zuzustimmen. Im Juli 1961 leitet die sche, amerikanische, britische und franzö- trag und die Umwandlung West- in SED-Führung unter größter Geheimhaltung sische Zone. Die bisherige Hauptstadt Berlin eine „Freie Stadt“ träten, werde die Sowjet- gemeinsam mit dem sowjetischen Militär wird ebenfalls in vier Sektoren gegliedert. union einen einseitigen Friedensvertrag mit konkrete militärische und technische Vor- Die Siegermächte bestimmen die neue poli- der DDR abschließen. Sie werde darin alle bereitungen zur Grenzschließung ein. We- tische, wirtschaftliche und soziale Ordnung sowjetischen Rechte und Verantwortungen niger als einhundert Funktionäre aus dem in den vier Zonen. Ihre wichtigsten Ziele gegenüber Berlin an die DDR-Regierung ab- Partei-, Staats- und Militärapparat der DDR sind Entmilitarisierung, Entnazifizierung, treten. Das Ultimatum läuft darauf hinaus, sind bis zum Abend des 12. August 1961 in Dezentralisierung und Demokratisierung. den Viermächte-Status der Stadt aufzukün- die Pläne eingeweiht. Doch die Anti-Hitler-Koalition zerbricht digen, die Westmächte aus West-Berlin zu

Mauerbau: 13. August 1961

In der Nacht zum Sonntag, dem 13. August Ausnahme von 13 Kontrollpunkten riegeln such Ost-Berlins einen Passierschein, den 1961, erteilt SED-Chef den sie alle Sektorenübergänge ab. Der Durch- es jedoch ab dem 25. August nicht mehr Befehl zur Abriegelung der Sektorengrenze. gangsverkehr der S- und U-Bahnlinien wird gibt: Die Passierschein-Ausgabestellen der Die Einsatzleitung obliegt Politbüro-Mit- dauerhaft unterbrochen, der Intersektoren- DDR auf den Westberliner S-Bahnhöfen Zoo glied . verkehr auf je einen S- und U-Bahnsteig im und Westkreuz werden auf westalliierte An- Bahnhof Friedrichstraße reduziert, dreizehn ordnung im Einvernehmen mit dem Senat Mehr als 10.000 Volks- und Grenzpolizisten, U-und S-Bahnhöfe werden für Ost-Berliner geschlossen. Aus statusrechtlichen Grün- unterstützt von einigen tausend Kampf- geschlossen. Am 14. August 1961 wird das den wird der DDR als nichtanerkanntem gruppen-Mitgliedern, reißen am frühen Brandenburger Tor als Sektorenübergang Staat die Ausübung von Hoheitsakten in Morgen mitten in Berlin das Straßenpflaster für West-Berliner geschlossen. Am 23. Au- West-Berlin nicht erlaubt. Bis zum ersten auf, errichten aus Asphaltstücken und Pflas- gust 1961 wird die Zahl der Sektorenüber- Passierscheinabkommen von 1963 bedeu- tersteinen Barrikaden, rammen Betonpfähle gänge auf sieben reduziert. West-Berliner tet dies für West-Berliner das Ende der Be- ein und ziehen Stacheldrahtverhaue. Mit benötigen von diesem Tag an für den Be- suchsmöglichkeiten von Ost-Berlin.

6 Auf der Spur der Mauer

Reaktionen auf den Mauerbau

Erst zwei Tage nach der Grenz- zur Verteidigung ihrer Ber- schließung, am 15. August lin-Rechte einen Atomkrieg 1961, protestieren die West- riskieren sollen. Im engsten Alliierten beim sowjetischen Kreis soll Kennedy gesagt Stadtkommandanten, Oberst haben: „Keine besonders an- A. J. Solowjew, gegen die „il- genehme Lösung, aber eine legalen“ Absperrmaßnahmen. Mauer ist verdammt viel bes- Eine Forderung, die Abriege- ser als ein Krieg.“ lung aufzuheben und den Stacheldraht wieder zu be- Neben Empörung, Resigna- seitigen, enthält der Protest- tion und Verzeiflung gibt es in brief nicht. Kühl weisen die Teilen der DDR-Bevölkerung Sowjets den Protest als „voll- auch Zustimmung zum Mau- ständig unangebrachte“ Ein- erbau. Die Fluchtbewegung mischung in Maßnahmen der in den Westen und die Ein- DDR-Regierung zurück. käufe von West-Berlinern im Ostteil der Stadt – bei einem Die Berliner fühlen sich vom Schwarzmarktkurs der D-Mark Westen im Stich gelassen. zur Ostmark von eins zu sechs Der Regierende Bürgermeis- – haben das Gefühl entstehen ter Willy Brandt bringt dies lassen, dass „etwas passieren in einem Brief an den ameri- muss“. In dieser Sicht kann die kanischen Präsidenten zum Grenzschließung die Chance Ausdruck: „Berlin erwartet eröffnen, in eine neue Phase mehr als Worte, Berlin er- ungestörten wirtschaftlichen wartet politische Aktionen.“ Mauerbau Berlin.- Mauerbau, Aufstellen von Betonblöcken mit einem Kran hinter Aufschwungs und sozialisti- Stacheldraht Foto Bundesarchiv, Bild 173-1321 / Helmut J. Wolf / CC-BY-SA 3.0 Nur durch eine militärische schen Aufbaus eintreten zu Aktion, so Kennedys ernüch- gemacht werden. Eine Sperrung der Zu- können. Ist die innere Sta- ternde Antwort, könne die offensichtlich gangswege nach Berlin als nächster Schritt bilisierung erreicht, so die Hoffnung, ver- von der Sowjetunion getragene Entschei- der Sowjetunion und der DDR würde die schwindet die Mauer eines Tages von ganz dung, die Grenze zu schließen, rückgängig West-Alliierten vor die Frage stellen, ob sie alleine.

Das Grenzsystem

Auf die Mauer der ersten und zweiten Ge- neration (aus Hohlblocksteinen bzw. Stra- ßenbauplatten) folgt in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre die Mauer der dritten Ge- neration in Plattenbauweise. Seit Mitte der 1970er-Jahre wird die Mauer der vierten Ge- neration errichtet ("Grenzmauer-75"). Sie besteht aus 1,20 Meter breiten und 3,60 Meter hohen, industriell gefertigten Be- ton-Stützwandelementen. Zu der Mauer treten befestigte Wege, Lichttrassen, elek- trische bzw. elektronische Zaun-Anlagen, Laufanlagen für Kettenhunde, Kfz-Sperran- lagen und Meldesysteme hinzu. Bis Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre ent- steht mitten durch Berlin ein technisch aus- gebautes Grenzsicherungssystem, das fast unüberwindbar wird. Im ersten Jahr der Mauer unterstehen die Berliner Grenzbri- gaden noch dem DDR-Innenministerium. Im August 1962 werden die Berliner Grenz- einheiten dem Ministerium für Nationale ADN-ZB-Stöhr-4.12.1961-In der Nacht vom 3. zum 4.12.1961 wurde begonnen, an weiteren Abschnitten Verteidigung unterstellt. die Staatsgrenze der DDR zu Westberlin zu festigen. Foto Bundesarchiv, Bild 183-88574-0004 / Stöhr / CC-BY-SA 3.0 7 Auf der Spur der Mauer

Gedenkkreuze für Opfer der Berliner Mauer am Spreeufer in Berlin. Im Hintergrund das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Foto: Beek100, WikiCommons

Todesopfer an der Berliner Mauer

Mindestens 140 Menschen werden zwi- Polizisten ums Leben kamen. 112 Anklagen gegen 246 Personen: gegen schen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer „Mauerschützen“ und gegen ihre militäri- getötet oder kommen in unmittelbarem Zu- Darüber hinaus verstirbt eine unbekannte schen und politischen Befehlsgeber. Alle sammenhang ums Leben (Stand: August Anzahl zumeist älterer Reisender aus Ost Verfahren sind abgeschlossen. 2017). und West vor, während oder nach Kontrol- len an Berliner Grenzübergängen vornehm- Knapp die Hälfte der Angeklagten wird Darunter befinden sich: lich an den Folgen eines Herzinfarktes; mehr freigesprochen: In manchen Fällen ist der • 101 DDR-Flüchtlinge, die beim Versuch, als 200 von ihnen sind bis heute nament- Todesschütze nicht mehr zu ermitteln, in die Grenzanlagen zu überwinden, er- lich bekannt. Der letzte Flüchtling, der acht anderen ein Tötungsvorsatz nicht nach- schossen wurden, verunglückten oder Monate vor ihrem Fall an der Berliner Mauer zuweisen. Schüsse auf bewaffnete Deser- sich das Leben nahmen, ums Leben kam, war Winfried Freudenberg. teure werden durch höchstrichterliche • 30 Menschen aus Ost und West ohne Am 8. März 1989 stürzte er mit einem Ballon Rechtsprechung sogar legitimiert: Nach Fluchtabsichten sowie 1 sowjetischer nach einem Flug über die Sektorengrenze dem DDR-Militärstrafgesetz von 1962, so Soldat, die erschossen wurden oder aus großer Höhe im West-Berliner Bezirk der Bundesgerichtshof, stellte Fahnenflucht verunglückten, ab. ein Verbrechen dar. Die Tötung von Deser- • 8 im Dienst getötete DDR-Grenzsol- teuren sei deshalb entschuldigt, weil den daten, die durch Fahnenflüchtige, Wegen der Gewalttaten an der Berliner Todesschützen in diesem „Spezialfall“ die Kameraden, einen Flüchtling, einen Mauer erhebt die Berliner Staatsanwalt- Rechtswidrigkeit ihres Tuns nicht offen- Fluchthelfer sowie einen West-Berliner schaft in den Jahren nach 1990 insgesamt sichtlich sein konnte.

Grenzöffnung - 09. November 1989

18.58 Uhr 20.15 Uhr Internationale Pressekonferenz am 9. No- vember 1989 in Ost-Berlin: Günter Scha- Laut Lagebericht der Ost-Berliner Volkspoli- bowski, seit dem 6. November Sekretär des zei haben sich insgesamt 80 Ost-Berliner an ZK der SED für Informationswesen, gibt die den Grenzübergängen Bornholmer Straße, neue Reiseregelung bekannt. Auf die Frage Invalidenstraße und Heinrich-Heine-Straße eines Journalisten, wann die Regelung in eingefunden. Kraft treten soll, antwortet er: "Ab sofort, unverzüglich! 21.30 Uhr

ADN-ZB/Lehmann/ 9.11.89/Berlin: Pressekonferenz/ Günter 19.41 Uhr Zwischen 500 und 1.000 Menschen haben Schabowski, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der sich am Grenzübergang Bornholmer Straße SED, informierte im Internationalen Pressezentrum über Ver- lauf und Ergebnisse des zweiten Beratungstages des 10. Ple- AP verbreitet als Eilmeldung: „DDR öffnet eingefunden. Die Staatssicherheit setzt auf nums des ZK der SED. Günter Schabowski stand den in- und Grenze“; DPA „Die DDR-Grenze ... ist offen.“ eine „Ventillösung“. ausländischen Journalisten Rede und Antwort. Bundesarchiv, Bild 183-1989-1109-030 / Lehmann, Thomas / CC-BY-SA 3.0 8 Auf der Spur der Mauer

21.34 Uhr als unklug erwiesen. Als einige ausreisen dürfen, verstärkt sich das Gedränge derje- In Washington halten US-Präsident George nigen, die noch warten müssen. Bush und Außenminister James Baker eine Pressekonferenz ab. Über Agenturmeldun- 10. November 1989 - 01.00 Uhr gen haben sie von den Ereignissen in Berlin gehört. Zwischen 1.00 Uhr und 2.00 Uhr überwin- den tausende von West- und Ost-Berlinern 22.42 Uhr die Mauer am Brandenburger Tor und spa- zieren über den Pariser Platz und durch das Moderator Hanns Joachim Friedrichs eröff- Tor. Auf der Mauer tanzen die Menschen vor net die ARD-Tagesthemen mit folgenden Freude. Der Betonwall bleibt von einigen Worten: „Guten Abend, meine Damen und Tausend Menschen besetzt. Herren. Im Umgang mit Super­lativen ist Vor­ sicht geboten, sie nutzen sich leicht ab, aber 10. November 1989 - 07.30 Uhr heute Abend darf man einen riskie­ren: Die- ser neunte November ist ein historischer Seit den frühen Morgenstunden berich- Tag: die DDR hat mitgeteilt, daß ihre Gren- ten die Westmedien, insbesondere Rund- zen ab sofort für jedermann geöffnet sind, funk und Fernsehen, unaufhörlich über die Tore in der Mauer stehen weit offen.“ die unerhörten Begebenheiten der Nacht: den Mauerdurchbruch am Grenzübergang 23.30 Uhr Bornholmer Straße und an anderen Grenz- übergängen sowie über die nächtliche ADN-ZB-Lochmann-10.11.89-Berlin: Grenze- Schüler aus dem Westberliner Stadtteil Wedding In der Bornholmer Straße wird die Lage ge- Jubelparty auf dem West-Berliner Kurfürs- bildeten auf der Böse-Brücke an der Bornholmer gen 23.00 Uhr für die Kontrolleure bedroh- tendamm. Der Grundstein für die Wieder- Straße Spalier und bereiteten den Besuchern aus lich. Tausende Menschen drücken auf den vereinigung ist gelegt. der DDR einen ersten Empfang. Foto Bundesar- Grenzübergang. Die Ventillösung hat sich chiv, Bild 183-1989-1118-028 / CC-BY-SA 3.0

Wiedervereinigung

1. Oktober 1990 Staaten eine Botschaft an das deutsche schen Einheit wird am Reichstagsgebäude Volk: „Heute tritt die deutsche Nation in in Berlin die Nationalflagge gehisst, Am Rande der KSZE-Außenministerkonfe- ein neues Zeitalter ein. Ein Zeitalter, um die renz in New York erklären die vier Sieger- Worte Ihrer Nationalhymne zu zitieren, von 3. Oktober 1990 0.00 Uhr mächte die Aussetzung („Suspendierung“) ‚Einigkeit und Recht und Freiheit’. Während ihrer Vorbehaltsrechte und Verantwort- wir in diesem feierlichen Augenblick ge- Um Mitternacht wird der Beitritt der DDR lichkeiten für Berlin und Deutschland als meinsam mit Ihnen voller Hoffnung und zum Geltungsbereich des Grundgesetzes Ganzes. Zuversicht in die Zukunft blicken, möchte wirksam. Die offizielle Feier mit Feuerwerk ich im Namen aller Amerikaner sagen: findet im Beisein der höchsten Vertreter 02. Oktober 1990 Möge Gott das deutsche Volk schützen.“ der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR sowie Hunderttausender Menschen In Ost-Berlin löst sich die DDR-Volkskam- Um 21.00 Uhr beginnt im Schauspiel- vor dem Berliner Reichstag statt mer mit einer Festveranstaltung auf. Die haus in Berlin der Festakt zur Vereinigung Ständige Vertretung der Bundesrepublik („Fest der Einheit“). Zu den Gästen zählen Unter den Klängen der Nationalhymne in Ost-Berlin und die der DDR in Bonn stel- Bundespräsident Richard von Weizsäcker wird um 0.00 Uhr die Bundesflagge ge- len ihre Tätigkeit ein. Die diplomatischen und Bundeskanzler Helmut Kohl. Unter hisst. Die Bundesrepublik zählt nun ins- Beziehungen der DDR mit 135 Staaten der Leitung von Kurt Masur erklingt die 9. gesamt 78,7 Millionen Einwohner. Das und „Befreiungsorganisationen“ enden. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Staatsgebiet hat sich um rund 108.000 auf Die Nationale Volksarmee der DDR wird Ministerpräsident Lothar de Maizière und 357.000 Quadratkilometer vergrößert, zu aufgelöst. Bundeskanzler Helmut Kohl wenden sich den bisherigen 10 Bundesländern (ohne über Rundfunk und Fernsehen an die Be- Berlin) kommen fünf neue hinzu: Sachsen, Der amerikanische Präsident George völkerung Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg Bush richtet anlässlich der bevorstehen- und Mecklenburg-Vorpommern. den Vereinigung der beiden deutschen Während der Feierlichkeiten zur deut-

ADN-ZB-Grimm-3.10.90-Berlin: Vereinigung/Hunderttausende waren dabei, als vor dem Reichstag die schwarz-rot-goldene Bundesfahne gehißt wurde. (Translated: Hundreds of thousands were there when the black, red and gold federal flag was hoisted in front of the Reichstag.) Foto: Grimm, Peer, Bundes- archiv, Bild 183-1990-1003-400 / Grimm, Peer / CC-BY-SA 3.0 9 Wissenswertes über die Mauer

Zahlen und Fakten

Die Berliner Mauer war nach Angaben der Straße zwischen den Stadtbezirken Mitte In den nach 1990 eingeleiteten Strafverfah- DDR-Grenztruppen 156,4 Kilometer lang. und Kreuzberg-Friedrichshain und in der ren wegen der Todesschüsse auf Flüchtlinge 43,7 Kilometer davon verliefen mitten durch Mühlenstraße an der Spree zwischen Fried- bestritten die Mitglieder der ehemaligen Berlin („Sektorengrenze“) und 112,7 Kilo- richshain und Kreuzberg („East-Side-Gal- politischen und militärischen Führung meter nördlich, westlich und südlich um lery“). der DDR vehement, dass es jemals einen West-Berlin herum („Zonengrenze“ bzw. Schießbefehl gegeben habe. Formaljuris- „Außenring“). Die Sperranlagen der Berliner Mauer wur- tisch muss ihnen Recht gegeben werden, den seit 1961 permanent ausgebaut, mo- denn die Gesetze, Dienstvorschriften und Allein die Sperranlagen, die in Berlin bis dernisiert und perfektioniert. Sie bestanden Befehle zum Schusswaffengebrauch erlaub- 1970 errichtet wurden, sollen 100 Millio- im Jahr 1989 auf einer Gesamtlänge von ten den Grenzsoldaten lediglich zu schie- nen DDR-Mark gekostet haben. Die Per- mehr als 100 km aus einer oder mehre- ßen, verpflichteten sie jedoch nicht dazu. sonal- und Ausrüstungskosten für ihre ren Mauern. Hinzu kamen fast 200 km an Bewachung kommen hinzu. Wie viele Mil- Alarmzäunen und Metallgitterzäunen, 161 Gleichwohl: Politische Strafgesetze, die liarden die Mauer bis 1989 insgesamt ver- km Lichttrasse, die den Todesstreifen nachts Fluchtversuche unter bestimmten Bedin- schlungen hat, ist bis heute nicht bekannt. taghell beleuchtete, mehr als 200 Wach- gungen als Verbrechen definierten, eine türme und etwa 500 Wachhunde. An der ideologische Indoktrination, die die jungen Längere Teile der Original-Mauer finden sich Berliner Mauer waren im Unterschied zur in- Soldaten zum bedingungslosen Hass auf in Berlin heute nur noch in der Bernauer nerdeutschen Grenze weder Spreng- noch den „Grenzverletzer“ erzog, Belobigungen Straße zwischen den Berliner Stadtbezirken Splitterminen installiert. und Prämien für Todesschützen rückten die Mitte und Wedding, in der Niederkirchner „Erlaubnis“ nahe an die Pflicht.

“Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten”

Während der Ulbricht-Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 selbst und in den Tagen danach bezweifelte niemand den Wahr- heitsgehalt dieser Aussage.

Seit Anfang 1961 ließ Walter Ulbricht zwar Varianten zur Abriegelung der Sektoren- grenze in Berlin vorbereiten. Eine Abriege- lung durch den Bau einer Mauer, verriet ein geflohener Abteilungsleiter im Mai 1961 im Westen, war eine davon – aber zugleich die am wenigsten favorisierte Variante.

Alles spricht dafür, dass Ulbricht am 15. Juni 1961 noch auf die mit Chruschtschow vereinbarte Durchsetzung des – politisch für die DDR wesentlich günstigeren – Ab- schlusses eines Friedensvertrages im Jahr 1961 vertraute. Der Bau einer Mauer ent- sprach nicht seinen vorrangigen Interessen Aufstellung von Mauersegment vor dem Brandenburger Tor durch Militär- und Baufahrzeuge (Luftauf- und Zielen. nahme); Sommer/Herbst 1961.Foto: Bundesarchiv, Bild 145-P061246 / o.Ang. / CC-BY-SA 3.0

Quellenangaben: Alle Informationen, Zitate, Artikel Schreiben der westlichen Stadtkommandanten von Nooke: Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961- Hans-Hermann Hertle, 9. November 1989, 20.30- von https://www.chronik-der-mauer.de/ des Leibniz- Berlin an den sowjetischen Stadtkommandanten in 1989 24.00 Uhr: Grenzübergang Bornholmer Straße – „Wir Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) Berlin, 15. August 1961. | Dokumente zur Deutsch- Ergebnisse eines Forschungsprojektes des Zentrums fluten jetzt“ | Harald Jäger, MfS-Paßkontrolle am | Bundeszentrale für politische Bildung | Deutsch- landpolitik IV/7 (1961), S. 70/71: Note der Regierun- für Zeithistorische Forschung Übergang Bornholmer Straße, zur Einstellung aller landradio gen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Potsdam und der Stiftung Berliner Mauer | Hans-Her- Kontrollen (Quelle: Cineimpuls Film & Video KG/Bild: Quellen nach Abschnitten sortiert. Bildnachweise Staaten an die Regierung der UdSSR, 17. August 1961 mann Hertle/Maria Nooke Volker Langhoff) werden gesondert ausgewiesen | Dokumente zur Deutschlandpolitik IV/7 (1961), S. 140 Todesopfer an der Berliner Mauer 1961 – 1989 | Abschnitt: Wieververeinigung: Chronik der Mauer | Abschnitt: 28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage: Chro- 133-38: Note der Regierung der UdSSR an die Regie- Hans-Hermann Hertle Bulletin des Presse- und Informationsdienst der Bun- nik der Mauer Tour 01 Die Bedeutung der Berliner rungen Frankreichs, Großbritanniens und der Ver- Die strafrechtliche Aufarbeitung der Todesschüsse desregierung Nr. 121, 10.10.1990, S. 1266.: Erklärung Mauer einigten Staaten, 18. August 1961| Dokumente zur an der Berliner Mauer | Hans-Hermann Hertle, Die der Vier Mächte über die Aussetzung ihrer Vorbe- Abschnitt: Deutschland und der kalte Krieg: Chronik Deutschlandpolitik IV/7 (1961), S. 48/49: Brief des Berliner Mauer. Biografie eines Bauwerks, 2. Aufl., haltsrechte über Berlin und Deutschland als Ganzes, der Mauer Tour 02 | Manfred Görtemaker, Ursachen Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin, Willy Berlin/Bonn 2015, S. 1. Oktober 1990 | Der Tagesspiegel, 3.10.1990, dok. und Entstehung des Kalten Krieges, in: Bundeszen- Brandt, an den amerikanischen Präsidenten John F. 218-221.] in: Texte zur Deutschlandpolitik Reihe III/Band 8b – trale für politische Bildung (Hg.), Informationen zur Kennedy, 16. August 1961| U.S. Department of State Abschnitt: Grenzöffnung - 09. November 1989: Chro- 1990, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeut- politischen Bildung (Heft 245), Internationale Be- (Hg.), 1994: Foreign Relations of the United States, Vol. nik der Mauer | Hans-Hermann Hertle, Chronik des sche Beziehungen, Bonn 1991, S. 703-704.: Schreiben ziehungen I; http://www.bpb.de/publikationen/ XV: Berlin Crisis, 1962-1963, Washington, S. 345/46: Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. der Stadtkommandanten der drei Alliierten Mächte ZATPNC.html. Brief des amerikanischen Präsidenten John F. Ken- November 1989, Ch. Links Verlag, Berlin 1999. | Pri- an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper, Abschnitt: Mauerbau: 13. August 1961: Chronik der nedy an den Regierenden Bürgermeister von West- vatarchiv. AP-Eilmeldung: DDR öffnet Grenzen, 9. No- 2. Oktober 1990 | Bulletin des Presse- und Informa- Mauer Tour 05 | Bekanntmachung des DDR-Innen- Berlin, Willy Brandt, 18. August 1961 vember 1989, 19.05 Uhr | Cineimpuls Film & Video KG/ tionsamtes der Bundesregierung Nr. 118, 5.10.1990, ministeriums über die Sperrung der Sektorengrenze, Abschnitt: Das Grenzsystem: Chronik der Mauer Bild: Volker Langhoff): Harald Jäger, MfS-Paßkontrolle S.1226-1227: Rundfunk- und Fernsehansprache 13. August 1961 (Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv) Tour 09 | Der Polizeipräsident von Berlin: Die Ber- am Übergang Bornholmer Straße, zur Situation am von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière, 2. (Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv) liner Mauer (Stand 31. Juli 1989) | BA/Militärarchiv Abend des 9. November | Privatarchiv James Baker. Oktober 1990 | Bulletin des Presse- und Informati- Abschnitt: Reaktionen auf den Mauerbau: Chronik Freiburg, AZN 17130, Bl. 205] Die Sperranlagen an Notiz für US-Außenminister James Baker: die DDR onsamtes der Bundesregierung Nr. 118, 5.10.1990, der Mauer Tour 06 | Quelle: Bulletin des Presse - und der Sektorengrenze in Berlin, 1988 öffnet ihre Grenzen, 9. November 1989 | (Quelle: S.1225-1226.: Rundfunk- und Fernsehansprache Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn, den Abschnitt: Todesopfer an der Berliner Mauer: Chro- Cineimpuls Film & Video KG/Bild: Volker Langhoff) von Bundeskanzler Helmut Kohl, 2. Oktober 1990 | 17. August 1961, Nr. 152, S. 1470 nik der Mauer Tour 10 | Hans-Hermann Hertle/Maria | (Quelle: Tagesthemen vom 9. November 1989) | Abschnitt: Wissenswertes: Chronik der Mauer FAQ 10