Vor 40 Jahren Ließen Ulbricht Und Chruschtschow Die Mauer Bauen – Symbol Der Deutschen Teilung
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Titel Die Schandmauer Vor 40 Jahren ließen Ulbricht und Chruschtschow die Mauer bauen – Symbol der deutschen Teilung. Zehntausende versuchten das SED-Bollwerk zu überwinden, Hunderte ließen dabei ihr Leben. Wollten die Alliierten die Mauer nicht verhindern? Geheimdienstdokumente belegen: Der Westen wusste rechtzeitig Bescheid. Bau der Mauer in Berlin-Neukölln JUNG / ULLSTEIN BILDERDIENST JUNG / ULLSTEIN ie Stimmung auf der Gartenparty enhaus mit dem Walmdach verbrachte; Hit- LDPD wurde schließlich unruhig und von Walter Ulbricht war prächtig. lers Protegé Hermann Göring hatte das Ge- wandte sich an den groß gewachsenen DDie Augustsonne strahlte vom Him- bäude einst für seinen Leibjäger nördlich Alfred Neumann, den damaligen Kron- mel, und nach dem Kaffee schlenderten die von Berlin errichten lassen. Etwas merk- prinzen Ulbrichts: „Sagen Sie einmal, Funktionäre über die Wiese hinter dem würdig mutete die Besucher allerdings Ul- Neumann, warum sind wir heute am Dölln- Haus zu den Birken am Großen Döllnsee. brichts betonte Heiterkeit an. Der asketi- see?“ Neumann, langjähriger Vertrauens- Partei- und Staatschef Ulbricht hatte eigens sche, arbeitswütige Sachse, der jeden Mor- mann des sowjetischen militärischen Ge- den sowjetischen Lustspielfilm „Rette sich, gen um sechs Uhr Frühsport trieb und gern heimdienstes GRU, log: „Ich habe keine wer kann!“ besorgen lassen; seine Gäste Rohkost mit Eiern aß, dozierte auch nach Ahnung.“ sollten sich nicht langweilen. Doch die DDR- Feierabend am liebsten über den Aufbau Es war gegen 22 Uhr; das Geschirr vom Minister, Staatssekretäre und Vorsitzenden des Sozialismus. Doch an diesem Nachmit- Abendbrot war bereits abgedeckt, als Ul- der Blockparteien plauderten lieber. Nur tag scherzte der Diktator mit der Fistel- bricht seine Gäste plötzlich in einen Ne- wenige hatten bei der Anfahrt die Panzer stimme so charmant, als sei er auf einer benraum bat: „Wir machen jetzt noch eine und Soldaten in den Wäldern gesehen. Feier zum internationalen Frauentag. kleine Sitzung.“ Die Gäste wussten, dass Ulbricht die Wo- Volkskammerpräsident Johannes Dieck- Ulbricht war der mächtigste Kommunist, chenenden oft in dem mehrstöckigen Feri- mann von der pseudoliberalen Blockpartei den Deutschland je hervorbrachte; er hat- 64 der spiegel 32/2001 STONE / GETTY IMAGES (l.); ULLSTEIN BILDERDIENST (r.) BILDERDIENST (l.); ULLSTEIN / GETTY IMAGES STONE Verbündete Chruschtschow*, Ulbricht (1961) „Beeil dich nicht so“ te Lenin noch persönlich erlebt und mit Stalin verkehrt. Nun wollte er, dass der Mi- nisterrat, die offizielle, aber machtlose Re- gierung der DDR, sein streng geheimes Vorhaben absegnete: den Bau der Berli- ner Mauer. Eine Diskussion war nicht vorgesehen: „Ich lasse sie nicht weg, bis die Aktion be- endet ist“, hatte Ulbricht tags zuvor dem sowjetischen Botschafter Michail Perwu- chin angekündigt, „sicher ist sicher.“ Seit Jahren ließ Ulbricht die deutsch- deutsche Grenze zwischen Ostsee und Bayerischem Wald mit Stacheldraht aus- bauen und ab 1960 auch Stockminen ver- legen. Grenzpolizisten durften auf Flücht- linge notfalls ohne Warnschuss feuern. Trotzdem flohen die Ostdeutschen zu Hun- derttausenden in den Westen – die meisten über Berlin. An den Grenzübergängen zwischen Ost- Berlin und den Westsektoren, etwa am Potsdamer Platz oder an der Bernauer Straße, kontrollierten die Posten nur spo- radisch; mit einer S-Bahn-Karte für 20 Pfennig konnten Fluchtwillige wie der spä- tere Außenminister Hans-Dietrich Gen- scher einfach in den Westteil der Stadt fah- ren und von dort in die Bundesrepublik ausfliegen. West-Berlin, schimpfte Ulbricht, sei „ein Paradies der Menschenhändler, Spione, Diversanten, eine Eiterbeule, die junge Menschen systematisch durch Filme verseucht, die Mord und andere Schwer- verbrechen lehren“. Seinen Gästen am Döllnsee verkündete Ulbricht, dass in einigen Stunden, am 13. August 1961 um 1 Uhr morgens, die Ope- ration „Rose“, wie die Stasi es nannte, be- ginnen werde: die Abriegelung West-Ber- lins. „Alle einverstanden?“, fragte der SED-Chef rhetorisch in die Runde. Ul- brichts Gäste schwiegen und nickten. 10680 Tage, bis zum 9. November 1989, sorgte die Berliner Mauer dafür, dass die BPK * In der Uno-Vollversammlung am 13. Oktober 1960. Flüchtender DDR-Soldat Schumann „Wir guckten ziemlich dämlich“ der spiegel 32/2001 65 BPK Konfrontation am Checkpoint Charlie*: „Keiner unserer Panzer sollte aus Versehen zu weit fahren“ Menschen in Ostdeutschland dem real exis- der Wannsee. Nie zuvor hatte eine Regie- zwischen Bundesrepublik und DDR. Min- tierenden Sozialismus der SED nicht ent- rung ihr Volk einfach eingesperrt, um es destens 230 Menschen kamen bei dem Ver- kommen konnten. Die Mauer rettete die einem gesellschaftspolitischen Experiment such ums Leben, die Berliner Mauer zu Existenz der DDR. „Wir mussten die offe- zu unterziehen. Von hohen Holzplattfor- überwinden; wie viele insgesamt starben, ne Wunde West-Berlin schließen“, recht- men aus schauten die Besucher über den weil sie die DDR verlassen wollten, ist bis fertigte sich Ulbricht in vertrauter Runde, Stacheldraht hinweg „nach drüben“, arg- heute ungeklärt. Die Experten Bernd Ei- „ich weiß, wie man mich dafür hasst, aber wöhnisch beobachtet von den Grenzern mit senfeld und Roger Engelmann rechnen mit ich musste das auf mich nehmen, für den dem Schießbefehl. Die Berliner Mauer – etwa 950 Toten**. Sie ertranken in der Ost- Sozialismus.“ Symbol politischen Staatsbankrotts. see oder im Schwarzen Meer, traten auf 165,7 Kilometer Betonmauer und Me- Die Fotos, die vom Minen oder wurden von Selbstschussanla- tallgitterzaun, bewehrt mit Wachtürmen, Westen an der Mauer gen getötet. Das letzte Opfer, Frank M., Panzersperren und Hundelaufanlagen, SED-Chef Wal- aufgenommen wur- der über das schon freie Polen flüchten trennten schließlich die Berliner und damit ter Ulbricht: den, diskreditierten wollte, wurde Anfang November 1989 aus alle Deutschen. Die Mauer riss Geschwis- „Niemand die SED für immer: der Oder gezogen (siehe Seite 74). ter, Liebende und Freunde auseinander. hat die Der Maurer Peter Während des Kalten Krieges war die An der extra eingerichteten Kontrollhalle Absicht, eine Fechter verblutet im Mauer das umstrittenste Bauwerk Deutsch- neben dem Ost-Berliner Bahnhof Fried- Todesstreifen, nach- lands. Die SED bejubelte sie als „anti- richstraße, über den West-Berliner und Mauer dem Grenzer den Flie- faschistischen Schutzwall“, der den Frie- Westdeutsche zum Besuch ein- und aus- zu errichten“ henden angeschossen den bewahrte; für den Westen war sie reisen durften, spielten sich Tag für Tag er- haben; eine Frau die Schandmauer. Wie es zu der Entschei- greifende Szene ab. Die Berliner tauften stürzt sich in der Bernauer Straße aus dem dung kam, die Grenze abzuriegeln, blieb das gläserne Gebäude „Tränenpalast“. Fenster in das Sprungtuch der Feuerwehr. dabei weitgehend im Dunkeln. Sprach Ul- Im Westen wurde die Berliner Mauer zur Das Haus steht im Osten, der Bürgersteig bricht die Wahrheit, als er in der berühm- grausigen Weltsensation, die Touristen an- gehört zum Westen. Mit Taschentüchern ten Pressekonferenz am 15. Juni auf eine zog wie das Charlottenburger Schloss oder winken tränenüberströmte Berliner in Ost Frage der Journalistin Annamarie Doherr und West einander zu, während Bauarbei- („Frankfurter Rundschau“) erklärte: „Nie- ter die Mauer immer höher ziehen. mand hat die Absicht, eine Mauer zu er- * Am 27. Oktober 1961. ** Bernd Eisenfeld, Roger Engelmann: „Mauerbau“. Edi- Im Osten brachte das mörderische Boll- richten“? Oder drängte er in Moskau auf tion Temmen, Bremen; 119 Seiten; 19,90 Mark. werk eine ganze Generation um die Wahl den Bau des tödlichen Bauwerks, wie ost- 66 der spiegel 32/2001 Titel Schicksal einer ganzen Ge- deutsche zu Besuchen in den Westen fah- neration entschied. ren durften – und meist dort blieben. Damals, Anfang der sech- Entgegen Ulbrichts Erwartungen ver- ziger Jahre, war die Weltlage siegte der Flüchtlingsstrom jedoch nicht. hoch brisant, Berlin die Vor allem junge Leute und Akademiker Frontstadt des Kalten Krie- setzten sich ab, die DDR drohte ein greiser ges; Dutzende Geheimdiens- Arbeiter-und-Bauern-Staat zu werden. te bespitzelten und sabotier- Doch allein mit Proletariern ihrer Genera- ten einander. Im Berliner tion wollten der Tischler Walter Ulbricht, Umland lieferten sich die Jahrgang 1893, der Buchdrucker Otto Gro- westlichen Militärmissionen tewohl, Jahrgang 1894, und der Tischler mit den Vopos und den So- Wilhelm Pieck, Jahrgang 1876, den Sozia- wjets wilde Verfolgungsfahr- lismus lieber nicht aufbauen. ten, die gelegentlich mit 1957 schloss die SED weitgehend die AP Schlägereien und manchmal innerdeutsche Grenze; Reisevisa wurden Chruschtschow, Kennedy*: „Wir wollen keinen Krieg“ auch mit Toten endeten. kaum noch ausgestellt. Wer die DDR Hochgerüstet standen Briten, ohne Erlaubnis verließ, beging „Repu- europäische Diplomaten gern durchblicken Amerikaner, Franzosen und Sowjets ein- blikflucht“; darauf standen bis zu drei ließen? Oder hat vielmehr Kreml-Chef ander in der alten Reichshauptstadt ge- Jahre Gefängnis. Den Bleibewilligen ver- Nikita Chruschtschow den Mauerbau an- genüber. Jedes Missverständnis konnte ei- sprach Ulbricht wenig später vollmundig, geordnet? nen Nuklearkrieg auslösen. den Lebensstandard in der Bundesrepu- Der Westen reagierte auf den 13. Au- Die Alliierten waren am Ende alle froh, blik werde man bis 1961 „ein- und über- gust 1961 mit lauen Protesten, und sofort dass sie am Dritten Weltkrieg vorbei- holen“. „Wieso wollt ihr den Kapitalismus stellten sich böse Fragen: