Von Mischkultur Und Mehrsprachigkeit: Deutsch in Der Literatur Luxemburgs
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UvA-DARE (Digital Academic Repository) Von Mischkultur und Mehrsprachigkeit: Deutsch in der Literatur Luxemburgs Ernst, T. DOI 10.1080/00787191.2019.1583444 Publication date 2019 Document Version Final published version Published in Oxford German Studies License CC BY-NC-ND Link to publication Citation for published version (APA): Ernst, T. (2019). Von Mischkultur und Mehrsprachigkeit: Deutsch in der Literatur Luxemburgs. Oxford German Studies, 48(1), 91-112. https://doi.org/10.1080/00787191.2019.1583444 General rights It is not permitted to download or to forward/distribute the text or part of it without the consent of the author(s) and/or copyright holder(s), other than for strictly personal, individual use, unless the work is under an open content license (like Creative Commons). Disclaimer/Complaints regulations If you believe that digital publication of certain material infringes any of your rights or (privacy) interests, please let the Library know, stating your reasons. 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Eine quantitative Analyse der Datenbank autorenlexikon.lu zeigt, dass das Feld der luxemburgischen Literatur tatsächlich ein mehrsprachiges ist, auf dem Deutsch und Französisch die wichtigsten Literatursprachen sind, dicht gefolgt von Luxemburgisch. Dabei ist die Prosa Lux- emburgs zumeist in deutscher Sprache verfasst, Lyrik auf Französisch und Theater- stücke auf Luxemburgisch. Eine qualitative Analyse der Theatertexte penalty (2009) von Roger Manderscheid und now here & nowhere oder den här io ming pei hätt mueres gär krewetten (2007) von Nico Helminger zeigt, dass die deutsche Sprache hier keine positiven oder negativen Konnotationen erhält, sondern vielmehr Teil einer Sprachmischung aus Deutsch und Luxemburgisch bzw. Deutsch, Englisch, Französisch und Luxemburgisch wird. Diese Sprachmischung unterstützt die Kon- struktion hybrider Identitäten bzw. die Differenzierung der sozialen Milieus in Luxemburg. KEYWORDS: Multilingual literature, Luxembourg, German studies, Transculturality WAS IST ‘DEUTSCH’?DEBATTEN UM DIE GERMANISTIK ALS NATIONALPHILOLOGIE DER EINSPRACHIGKEIT Die politisch-kulturelle Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland ist auch eine Herausforderung für die Germanistik: Während sich die deutsche Kultur, Politik und Ökonomie zunehmend europäisiert und globalisiert hat, betonen politische Bewegungen wie die Identitäre Bewegung oder PEGIDA die Notwendigkeit, sich positiv auf eine ‘deutsche Identität’ bzw. einen ‘deutschen Patriotismus’ zu bezie- hen. Mit der Alternative für Deutschland ist 2017 eine rechtsnationale Partei mit über 90 Abgeordneten in den Bundestag eingezogen. Die Frage, was eigentlich ‘das Deutsche’ und wie ein ‘aufgeklärter Patriotismus’ gegen eine rechtsnationalis- tische Vereinnahmung zu schützen sei, rückt damit (wieder) in den Fokus deutscher Germanisten und Autorinnen — hiervon zeugen u.a. die materialreichen © 2019 The Author(s). Published by Informa UK Limited, trading as Taylor & Francis Group This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution- NonCommercial-NoDerivatives License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/), which permits non-commercial re-use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original work is properly cited, and is not altered, transformed, or built upon in any way. DOI 10.1080/00787191.2019.1583444 92 T. ERNST Veröffentlichungen von Dieter Borchmeyer und Thea Dorn aus den Jahren 2017 bzw. 2018.1 Diese Verschiebungen im politischen und medialen Diskurs finden ihren Widerhall in einer autoreflexiven Debatte der Germanistik, die 2017 durch den kritischen Spiegel-Artikel Schiller war Komponist ausgelöst wird.2 In deren Folge wird eine Bandbreite von Positionen zum Selbstverständnis, zur gesellschaf- tlichen Funktion und zur Zukunft der Germanistik formuliert — von Plädoyers für die notwendige (inter-)kulturelle, mediale und digitale Erweiterung der Ger- manistik bis zur programmatischen Restauration ihres fachlichen Kerns, der mit ihrer Qualität als Nationalphilologie und der Konzentration auf die Einzel- sprachlichkeit verbunden wird. Für letztere Position tritt dezidiert Eva Geulen ein, die als Besonderheit des Mediums Literatur ‘unverzichtbar ihre jeweilige Ein- zelsprachlichkeit’ hervorhebt, die wesentlich stärker als beispielsweise ein Natio- nalbezug die nationalphilologische Forschung als spezifischen disziplinären Zusammenhang legitimiere. Zwar zeige sich die Sprachenvielfalt auch in intertex- tuellen Verweisen und einer innertextuellen Mehrsprachigkeit, deren Analyse setze jedoch gerade ein Bewusstsein um die Sprachdifferenzen und eine entspre- chende einzelsprachliche Kanonbildung voraus. Geulen konstatiert somit, dass es keine ‘Existenzberechtigung der Literaturwissenschaften jenseits der jeweiligen Einzelsprachlichkeit’ geben könne und dass es daher ‘weiterhin deutsche und andere Philologien geben’ müsse.3 In Opposition zu Geulens Modell einer nationalphilologisch ausgerichteten Ger- manistik stehen Ansätze, die die Germanistik für Modelle der Transkulturalität öffnen, die Fixierung auf die Einzelsprachlichkeit der Literatur problematisieren und die deutsche Sprache selbst als plurizentrale und interkulturelle Sprache beschreiben. Als Vertreter der sog. ‘Auslandsgermanistik’, die Geulen mit ihrem Beitrag gerade zu stärken versucht, plädiert Arvi Sepp für das Modell der Transkul- turalität, das unter anderem die Dichotomie von ‘eigener’ und ‘fremder Kultur’ (und somit auch die hierarchisierende Gegenüberstellung von ‘Inlands-’ vs. ‘Auslandsger- manistik’) überwinden will: ‘Während Interkulturalität auf hermeneutischer Grund- lage auf die bipolaren Wechselbeziehungen zwischen Kulturen hinweist, [überschreitet] das Modell der Transkulturalität […] binäre Grenzziehungen zwischen Kulturen.’4 Konkret zeige sich die Transkulturalität in Phänomenen wie der Mehrsprachigkeit, Mehrfach-Identitäten oder peripheren deutschen 1 Vgl. Dieter Borchmeyer, Was ist deutsch? Die Suche einer Nation nach sich selbst (Berlin: Rowohlt, 2017). Sowie: Thea Dorn, deutsch, nicht dumpf. Ein Leitfaden für einen aufgeklärten Patriotismus (München: Knaus, 2018). 2 Vgl. Martin Doerry, ‘Schiller war Komponist. 80 000 junge Menschen studieren Germanis- tik, das beliebteste geisteswissenschaftliche Fach an den deutschen Hochschulen. Ihre Berufsaus- sichten sind jedoch ungewiss, ihre Professoren spielen in der Öffentlichkeit keine Rolle’, Der Spiegel, 04.02.2017, https://magazin.spiegel.de/SP/2017/6/149411893/index.html [letzter Zugriff 01.12.2018]. 3 Alle Zitate: Eva Geulen, ‘Für die Einzelsprachlichkeit der Literatur. Nebenbemerkung zum jüngsten Streit um die Germanistik’, ZfL Blog. Blog des Zentrums für Literatur- und Kultur- forschung, Berlin, 17.02.2017 <http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2017/02/17/eva-geulen-fuer- die-einzelsprachlichkeit-der-literatur-nebenbemerkung-zum-juengsten-streit-um-die-germanistik/ #_ftn10> [letzter Zugriff 01.12.2018]. 4 Arvi Sepp, ‘Einführung. Überlegungen zur literarischen “Transkultur”’, Germanistische Mit- teilungen. Zeitschrift für deutsche Sprache, Literatur und Kultur, 44:1 (2018), 5–22 (S. 6). VON MISCHKULTUR UND MEHRSPRACHIGKEIT 93 Minderheitenliteraturen wie jenen aus Südtirol oder Ostbelgien. Kulturtheorien wie jene des dritten Raums (Bhabha), die Kulturtransferforschung (Espagne/Werner), das Rhizom-Konzept (Deleuze/Guattari) oder die postkoloniale Theorie (Said) könnten helfen, in diesem Sinne transkulturelle literarische Werke von Autor*innen wie Terézia Mora, Emine Sevgi Özdamar, Zafer Şenoczak, Yoko Tawada, Galsan Tschinag oder Feridun Zaimoğlu zu analysieren.5 Auf dieser Liste könnte man auch Autoren wie Zé do Rock oder Tomer Gardi ergänzen, die ihre literarischen Sprachen kauderdeutsch bzw. broken german gerade in Abgrenzung zum Standarddeutsch entwickelt haben.6 Man muss allerdings noch einen Schritt weiter gehen, denn dieses Standarddeutsch kann natür- lich sprachhistorisch als ein interkulturelles Konstrukt beschrieben werden, das sich aus dem Indogermanischen entwickelt und vielfältige Entlehnungen aus dem Latei- nischen, Englischen, Französischen und Italienischen aufgenommen hat.7 Diese lit- erarischen Hybridsprachen oder die interkulturellen Fundamente der Standardsprache lassen die Vorstellung einer kohärenten Standardsprache und einer Nationalphilologie der Einsprachigkeit selbst als diskursive Konstrukte einsprachiger Nationen erscheinen. Für die Literaturwissenschaft leitet sich aus diesen Annahmen die Notwendigkeit ab, das Verhältnis von Literatur und Vielsprachigkeit zu beschreiben. Hierzu zählt Monika Schmitz-Emans unter anderem Formen wie die ‘Vielsprachigkeit inmitten der Sprachen’ oder auch die ‘Literaturen vielsprachiger Nationen, Staaten, Regionen und Kulturen’.8