Plenarprotokoll 16/34

Deutscher

Stenografischer Bericht

34. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Entwurf ei- Fragestunde nes Steueränderungsgesetzes 2007 ...... 2843 A (Drucksachen 16/1374, 16/1402) ...... 2849 A Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2843 A (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dringliche Frage 1 DIE GRÜNEN) ...... 2844 C Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2844 C Durch Einbürgerungskurse erforderlich wer- Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 2844 D dende Änderungen des Staatsangehörig- keitsgesetzes und Beteiligung des Bundes- Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2845 A amtes für Migration und Flüchtlinge Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2845 C Antwort , Parl. Staatssekretär Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2845 D BMI ...... 2849 A Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 2846 A Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2849 B Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2846 B (CDU/CSU) ...... 2847 A Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2847 B Dringliche Frage 2 Eventuelle Vorgaben des Bundesinnenminis- Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 2847 C teriums gegenüber dem Bundesamt für Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2847 D Migration und Flüchtlinge hinsichtlich ei- nes Konzepts für Einbürgerungskurse Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 2848 A Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2848 B BMI ...... 2849 C Zusatzfrage Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 2848 B Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2848 C DIE GRÜNEN) ...... 2849 D Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2848 D Mündliche Frage 3 Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2848 D Cornelia Hirsch (DIE LINKE) II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Vorlage von Ergebnissen der neu einge- Mündliche Frage 13 richteten Arbeitsgruppe zum Hochschul- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) pakt sowie Einbeziehung des Parlaments in die laufenden Beratungen Beteiligung Deutschlands am VN-Aktions- plan 2006 für die Demokratische Republik Antwort Kongo Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF ...... 2850 A Antwort , Staatsminister AA ...... 2853 D Zusatzfragen Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 2850 B Zusatzfragen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 2854 B

Mündliche Frage 4 Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Mündliche Frage 14 Maßnahmen und Initiativen zum Abbau Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) geschlechtsspezifischer Diskriminierung im Zahl der von Deutschland und der EU in Bereich der beruflichen Bildung die Demokratische Republik Kongo ent- Antwort sandten zivilen Wahlbeobachter Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Antwort BMBF ...... 2851 A Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 2854 D Zusatzfragen Zusatzfragen Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 2851 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 2855 A

Mündliche Frage 10 Jürgen Koppelin (FDP) Mündliche Frage 22 (CDU/CSU) Meinung des Bundesministers Glos zur Kernenergie Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehör- den über die beiden Organisationen „Ini- Antwort tiativgemeinschaft zum Schutz sozialer , Parl. Staatssekretär Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffne- BMWi ...... 2852 A ter Organe und der Zollverwaltung der DDR“ und „Gesellschaft zur rechtlichen Zusatzfragen und humanitären Unterstützung“ Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2852 A Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 11 BMI ...... 2856 A Jürgen Koppelin (FDP) Zusatzfrage Aussage des Bundesministers Glos über Veronika Bellmann (CDU/CSU) ...... 2856 A den russischen Energiekonzern Gasprom Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 23 BMWi ...... 2852 D Veronika Bellmann (CDU/CSU) Zusatzfragen Einführung einer so genannten EU-Steuer Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2852 D zur Finanzierung der Aufgaben der Euro- päischen Union

Mündliche Frage 12 Antwort Dr. (FDP) Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF ...... 2856 C Derzeitige Situation im Westsaharakonflikt angesichts der Empfehlung der UNO zur Zusatzfragen Lösung des Konflikts Veronika Bellmann (CDU/CSU) ...... 2856 D Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 2853 B Mündliche Frage 26 Zusatzfragen Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 2853 C DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 III

Begründung der Bundesregierung für mas- Norbert Schindler (CDU/CSU) ...... 2872 C sive Steuermehrbelastungen der Bürger bei Christian Lange (Backnang) (SPD) ...... gleichzeitiger Steuerentlastung für Kapital- 2873 D gesellschaften in Milliardenhöhe (CDU/CSU) ...... 2875 A Antwort (Heidelberg) (SPD) ...... 2876 A Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF ...... 2857 A Zusatzfragen Nächste Sitzung ...... 2877 C Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2857 C Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 2858 C Anlage 1 (BÜNDNIS 90/ Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2879 A DIE GRÜNEN) ...... 2859 B Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2859 D Anlage 2 Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) ...... 2860 A Dringliche Fragen 3 und 4 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 27 Situation der schon länger mit einer Dul- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ dung in Deutschland lebenden Personen DIE GRÜNEN) und zeitliche Perspektiven zur Lösung der Verfassungskonforme Umsetzbarkeit der entsprechenden Probleme Befreiung der gewerblichen Wirtschaft von Antwort der so genannten Reichensteuer durch Vor- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär ziehen der Unternehmensteuerreform auf BMI ...... 2879 C 2007 Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär Anlage 3 BMF ...... 2860 C Mündliche Frage 1 Zusatzfragen (CDU/CSU) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Zahl der Versandapotheken in Deutsch- DIE GRÜNEN) ...... 2860 A land und Kriterien der Zulassung Antwort Zur Geschäftsordnung Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG ...... 2879 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2861 D Anlage 4 Zusatzpunkt 2: Mündliche Frage 2 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Steu- erpolitik der Bundesregierung Jahresproduktionsmengen der Chemikalie Isopropylthioxanthon sowie Erfassung durch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 2862 A REACH Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 2863 C Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär Otto Bernhardt (CDU/CSU) ...... 2865 A BMU ...... 2880 A Dr. (FDP) ...... 2865 D

Florian Pronold (SPD) ...... 2866 D Anlage 5 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 2867 D Mündliche Frage 5 (CDU/CSU) ...... 2869 A Dr. Karl Addicks (FDP) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Einbeziehung des Westsaharakonflikts in DIE GRÜNEN) ...... 2870 A die im Herbst 2006 stattfindenden Regie- rungsverhandlungen mit Marokko über die Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 2871 B künftige Entwicklungszusammenarbeit IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Antwort Antwort Karin Kortmann, Parl. Staatssekretärin BMZ 2880 B Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 2881 D

Anlage 6 Anlage 10 Mündliche Frage 6 Mündliche Fragen 19 und 20 Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Aufklärungsbedarf über die Verbrechen Ausübung der Werbefreiheit während der der SED-Diktatur und der öffentlichen Pro- Fußballweltmeisterschaft 2006 durch Un- pagandaarbeit der ehemaligen Täter und ternehmen, die nicht Hauptsponsoren der ihrer Vereinigungen angesichts der Forde- FIFA oder nationale Förderer der Fußball- rungen nach Abschaffung der Bundesbe- weltmeisterschaft sind; Beteiligung hoheit- auftragten für die Unterlagen des Staatssi- licher Organe an Überwachung oder cherheitsdienstes der ehemaligen DDR Durchsetzung von FIFA-Werbebeschrän- kungen Antwort , Staatsminister BK ...... 2880 C Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI ...... 2882 A Anlage 7

Mündliche Frage 9 Anlage 11 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 21 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Sicherstellung einer Ahndung des wegen DIE GRÜNEN) Kriegsverbrechen vom UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen belegten und freigelassenen Freilassung des wegen Kriegsverbrechen ruandischen Staatsangehörigen Dr. I. M. vom UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen be- und eventuelle entsprechende Weisung an legten ruandischen Staatsangehörigen Dr. den Generalbundesanwalt I. M. Antwort Antwort Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMJ ...... 2881 A BMI ...... 2882 C

Anlage 8 Anlage 12 Mündliche Fragen 15 und 16 Mündliche Frage 24 (Bremen) (BÜNDNIS 90/ Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) Bericht von ehemaligen tschechischen Sicherstellung einer international unab- Zwangsarbeitern an deutschen Schulen hängigen Untersuchung der gewaltsamen über ihre Erfahrungen mit dem National- Vorfälle in Andischan am 13. Mai 2005; sozialismus; Einstellung der Finanzierung Forderungen Usbekistans nach Einschrän- durch die Bundesstiftung „Erinnerung, kung des Mandats des OSZE-Zentrums in Verantwortung und Zukunft„ Taschkent Antwort Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF ...... Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 2881 B 2882 D

Anlage 13 Anlage 9 Mündliche Frage 25 Mündliche Fragen 17 und 18 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Höhe des Budgets der Bundesstiftung „Er- Ausschluss einer Ausweitung des Aufga- innerung, Verantwortung und Zukunft“ benspektrums der EUFOR-RD-CONGO- für die Jahre 2006 und 2007 Mission; mit Punkt 8 e der VN-Sicherheits- resolution 1671 übereinstimmende Evaku- Antwort ierungseinsätze Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF ...... 2883 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 V

Anlage 14 höheren Migrationswerten als 0,05 mg/kg Isopropylthioxanthon Mündliche Fragen 28 und 29 (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV ...... 2884 A Informationsrecht hinsichtlich unbeabsich- tigter Kontaminationen in Lebensmitteln mit Substanzen wie Isopropylthioxanthon Anlage 17 oder Acrylamid im geplanten Verbraucher- informationsgesetz Mündliche Fragen 32 und 33 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Untersuchungsbefund des Chemischen und BMELV ...... 2883 B Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart zum Isopropylthioxanthon-Gehalt in Orangensaft, Kindermilch und Joghurt; Anlage 15 Erkenntnisse über das zwischen Bund und Mündliche Frage 30 Ländern eingerichtete EDV-Meldesystem Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ FIS-VL über ITX-Funde DIE GRÜNEN) Antwort Einsatz alternativer Stoffe und Verfahren Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär anstelle der Druckchemikalie Isopropylthi- BMELV ...... 2884 B oxanthon in Getränkekartons Antwort Anlage 18 Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Mündliche Fragen 34 und 35 BMELV ...... 2883 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 16 Definition des Verfügungsrechts über Da- ten, insbesondere durch das Bundesland- Mündliche Frage 31 wirtschaftsministerium, sowie von Be- Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ triebs- und Geschäftsgeheimnissen DIE GRÜNEN) Antwort Notwendigkeit der Vorlage zusätzlicher Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Daten für die toxikologische Bewertung bei BMELV...... 2884 D

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2843

(A) (C) Redetext

34. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: vollendeten 27. Lebensjahr auf das vollendete 25. Le- Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- bensjahr abgesenkt. Viele Zuhörerinnen und Zuhörer zung ist eröffnet. könnte das betreffen. Ich gebe freimütig zu, dass dies eine Verschlechterung gegenüber der derzeitigen Rege- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: lung ist. Wir haben jedoch eine Übergangslösung ge- Befragung der Bundesregierung wählt: Die Jahrgänge 1981 und 1982 haben bis zum voll- endeten 27. Lebensjahr Anspruch auf Kindergeld bzw. Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- Kinderfreibetrag. Für diejenigen, die 1983 geboren wur- binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Steuerände- den, läuft der Anspruch allerdings mit dem Jahr 2008 ab. – rungsgesetzes 2007. Im internationalen Vergleich ist diese Regelung nicht un- Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht gewöhnlich. International gesehen sind Begünstigungen hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. für Kinder in Form der Gewährung von Kinderfreibeträ- gen bzw. Kindergeld sehr viel schlechter ausgestaltet als (B) (D) Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: in der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregie- Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich darf Ihnen berich- rung ist im Übrigen der Auffassung, dass diese Absen- ten, dass das Bundeskabinett heute ein weiteres Steu- kung dazu beitragen könnte, die Schul- und Studienzei- eränderungsgesetz verabschiedet hat. Auch dieses Ge- ten in Deutschland tendenziell zu verkürzen. setz entspringt dem Bemühen, einen spürbaren Beitrag Wir kürzen den Sparerfreibetrag von derzeit zur Stabilisierung der Einnahmesituation, der Steuerba- 1 370 Euro für Ledige bzw. dem Doppelten für Verheira- sis der Bundesrepublik Deutschland zu leisten, was vor tete auf 750 bzw. 1 500 Euro. dem Hintergrund der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte dringend notwendig ist. Es besteht die Not- Eine weitere Maßnahme betrifft die Entfernungspau- wendigkeit, den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Mit schale. Sie wird zwar unverändert in Höhe von 30 Cent diesem Gesetz wollen wir aber gleichzeitig zur Vereinfa- pro Kilometer gewährt, allerdings erst ab dem 21. Kilo- chung des Steuersystems beitragen. Außerdem wollen meter. Dies halten wir aus verfassungsrechtlicher Sicht wir durch eine ganze Reihe von Veränderungen das für zulässig, wenn wir eine Umqualifizierung vorneh- Streitpotenzial im Verwaltungsvollzug begrenzen. men und als Wegstrecke die Entfernung zwischen der Privatwohnung und dem Werkstor berechnen. Wir füh- Ich will Ihnen in der notwendigerweise kurzen Zeit ren sozusagen das Werkstorprinzip ein. Diese Änderung die wichtigsten Veränderungen vorstellen: ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- Die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer richts zulässig, weshalb ich die alarmierenden Meldun- werden nur noch dann als Betriebsausgaben bzw. Wer- gen von der angeblichen Verfassungswidrigkeit, die zur- bungskosten berücksichtigt, wenn das Arbeitszimmer zeit von den Agenturen verbreitet werden, in das Reich den Mittelpunkt der gesamten beruflichen bzw. betriebli- der Unwahrscheinlichkeit und der üblichen Aufgeregt- chen Tätigkeit bildet. Das ist zwar bereits Gegenstand heit verweisen möchte. der geltenden Steuerrechtsetzung. Derzeit können da- Eine Neuerung hat in den letzten Tagen in der öffent- rüber hinaus aber bis zu einer Höhe von circa 1 250 Euro lichen Diskussion eine erhebliche Rolle gespielt, und Aufwendungen als Werbungskosten geltend gemacht zwar unter der Überschrift „Reichensteuer“. Wir führen werden, wenn sie im Einzelnen nachweisbar sind und einen „Balkon“ ein: Ledige, deren Einkommen oberhalb das Arbeitszimmer zu mehr als 50 Prozent beruflichen von 250 000 Euro liegt, und Verheiratete, deren Einkom- bzw. betrieblichen Zwecken dient. men oberhalb von 500 000 Euro liegt, zahlen 3 Prozent Die zweite wichtige Regelung betrifft die Alters- mehr Einkommensteuer. Der „Balkon“ bezieht sich auf grenze für die Gewährung von Kindergeld. Sie wird vom den Sprung von 42 auf 45 Prozent. 2844 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Darüber möchte ich einige Worte verlieren. Ich bin Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) der Auffassung, dass eine solche Reichensteuer, eine zu- Herr Minister, wir sind damit einverstanden, dass man sätzliche Belastung dieser Gruppe, erforderlich ist, wenn das Steuerrecht nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip man dem Verfassungsgrundsatz von der Besteuerung ausrichtet; hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen in nach der Leistungsfähigkeit folgt. Das, was wir heute be- der Opposition. Aber mich irritiert, dass der stellvertre- schlossen haben – das gilt auch für die früheren Steuer- tende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Meister, gesetze –, betrifft sehr viele Menschen in der Bundesre- heute gesagt hat, das bringe gerade einmal 127 Millio- publik Deutschland, auch und gerade in den niedrigen nen Euro und sei eine rein symbolische Aktion der Ko- und niedrigsten Einkommenskategorien. Ich halte es für alition. Das macht mich besorgt. Gibt es tatsächlich so eine Frage der Balance, dass diejenigen, denen es besser wenig Reichtum in diesem Land, dass durch diese Steuer geht, die stärkere Schultern haben, auch stärker zur Fi- nur ein so geringes Aufkommen zu erwirtschaften ist? nanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden. Öffentlich spricht man schon von der Bonsai-Reichen- Das ist keine Neidsteuer und auch keine Symbolpolitik. steuer; denn früher waren ganz andere finanzielle Grö- Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, eine verfas- ßen in der politischen Diskussion. sungsgemäße Regelung zu finden, mussten wir alle un- Mich irritiert auch, dass diese Regelung nur für 2007 ternehmerischen Einkünfte ausschließen, sodass von gilt; danach ist es wieder anders. Warum machen Sie es dieser Regelung 20 000 bis 30 000 Steuerzahler in der nicht gleich richtig? Da wird doch schon eine geplante Bundesrepublik Deutschland betroffen sind, mehr nicht. Nachbesserung vorweggenommen. Die Empörung darüber – Sprüche, wie unmöglich das sei – mutet mich umso grotesker an, als diese Bevölke- rungsgruppe bis 1998 – unter Mitwirkung einer Partei, Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: die jetzt in der Opposition ist – einen Spitzensteuersatz Herr Abgeordneter, das habe ich so nicht gesagt. in Höhe von 53 Prozent gezahlt hat. Ist es unter den Bezogen auf die Frage nach Herrn Meister: Ich kann heute obwaltenden Bedingungen einer sehr ungünstigen nicht Fragen beantworten, die sich kompetenterweise an Haushaltslage nicht nahe liegend – sowohl unter dem Herrn Meister richten. Die Zahlen sind richtig. In dem Gesichtspunkt der sozialen Balance und der Notwendig- Augenblick, in dem Sie unternehmerische Einkünfte keit, die Legitimation derer zu gewinnen, die sonst noch – gewerbliche Einkünfte, Einkünfte von Freiberuflern stärker betroffen wären, als auch vor dem Hintergrund und Einkünfte in der Land- und Forstwirtschaft – aus- der Belastungen, die von der FDP teilweise schon mitge- schließen, erstreckt sich die Summe, die Sie erschließen tragen wurden –, die Maßnahme so zu verabschieden, können, bei der vollen Wirksamkeit auf 127 Millionen wie sie vorgeschlagen worden ist? Euro, weil nur noch die Einkünfte aus Kapitalvermögen (B) bzw. nicht selbstständiger Arbeit übrig bleiben. Wenn (D) Wir versuchen – ich glaube, erfolgreich –, eine ver- die unternehmerischen Einkünfte einbezogen würden, fassungsrechtliche Problematik zu umgehen, indem wir kämen wir bei voller Wirksamkeit auf eine Summe von nicht nur gewerbliche Einkünfte ausschließen, sondern 1,3 Milliarden Euro. unternehmerische Einkünfte insgesamt. Das betrifft auch die freiberuflich Tätigen und diejenigen, die in der Land- Ich sage es noch einmal: Ich glaube, dass wir die Dif- und Forstwirtschaft Einkünfte erzielen. Wir glauben, ferenzierung zwischen unternehmerischen und privaten dass man die unternehmerischen Einkünfte insgesamt Einkünften aus verfassungsrechtlichen Gründen so um- ausschließen kann. Mit Blick auf das unternehmerische setzen können, wohl wissend, dass wir mit der Unterneh- Risiko, das mit diesen Einkünften verbunden ist, können mensteuerreform zum 1. Januar 2008 eine gesetzliche wir diese Begrenzung, jedenfalls für die Laufzeit des Grundlage haben werden, die, was den gewerblichen nächsten Jahres, bewerkstelligen. Durch die große Un- und unternehmerischen Teil betrifft, zu einer Neuord- ternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 wird es oh- nung der Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepu- nehin eine Neuregelung der Unternehmensbesteuerung blik Deutschland führt. geben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich sage abschließend: Wir werden dem Parlament Nächster Fragesteller ist der Kollege Carl-Ludwig die Eckpunkte einer solchen Unternehmensteuerreform Thiele. vorlegen, bevor die abschließende Lesung des Steuerän- derungsgesetzes stattfindet. Dies ist ein Wunsch aus den Reihen der Koalitionsfraktionen. Das Bundesfinanzmi- Carl-Ludwig Thiele (FDP): nisterium wird jede Anstrengung unternehmen, den Sehr geehrter Herr Minister, danke für Ihre Ausfüh- Bundestag darüber in Kenntnis zu setzen. rungen. – Wenn man sich in diesem Gesetzentwurf das Finanztableau anschaut, sieht man, dass im Wesentli- Im Übrigen erwarte ich gern Ihre Fragen. chen durch das Streichen von derzeitigen steuerlichen Ausnahmetatbeständen und die Reichensteuer im Entste- hungsjahr im Saldo 4,4 Milliarden Euro mehr für den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Fiskus erwartet werden. Vielen Dank, Herr Bundesminister. Wir haben in der Vergangenheit eine Diskussion über Wir kommen jetzt zu den Fragen. – Bitte schön, Herr die Steuerquote geführt, die von Ihrem designierten Par- Beck. teivorsitzenden als zu niedrig erachtet wurde, im Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2845

Carl-Ludwig Thiele (A) Wesentlichen auch von Ihnen. Es wurde argumentiert, die Einführung eines „Balkons“ bei der so genannten (C) die Steuerquote in Deutschland liege unter 20 Prozent. Reichensteuer, also bezüglich der Spitzenverdiener, und Gleichzeitig können wir aber feststellen, dass aus dem die Abschaffung von Steuersubventionen –, haben eine Steueraufkommen – das weiß ich aus der Antwort Ihrer Steuerquote zur Folge, die ich für vertretbar halte und Staatssekretärin – derzeit schon 47 Milliarden Euro er- die auch im internationalen Vergleich vertretbar ist. bracht werden. Wenn man das addiert, kommt man auf eine Steuerquote von über 22 Prozent. Wenn im nächs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ten Jahr, wie bereits vom Kabinett beschlossen, zusätz- Herr Kollege Thiele, ich nehme Ihre Wortmeldung lich die Mehrwertsteuer und die Versicherungsteuer auf, gehe aber nach der Reihenfolge der Wortmeldun- erhöht werden, kommen wir auf eine Steuerbelastungs- gen. – Als Nächster hat sich Jürgen Koppelin zu Wort quote von über 23 Prozent. Ist damit, was die steuerliche gemeldet. Belastung angeht, allmählich das Ende der Fahnenstange erreicht oder sind weitere Steuerbelastungen geplant? Denn vom Sparen hören wir seitens der Koalition und Jürgen Koppelin (FDP): der Bundesregierung relativ wenig, von Steuererhöhun- Herr Minister, ich möchte einmal nachfassen. Sie ha- gen allerdings sehr viel. ben davon gesprochen, dass Sie Einsparungen vorneh- men. Wenn ich mir den Haushaltsentwurf 2006 an- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: schaue, kann ich aber, was sein Gesamtvolumen angeht, Das liegt daran, sehr geehrter Abgeordneter Thiele, keine großen Veränderungen im Vergleich zu den ver- dass Sie sehr selten hinhören, wenn wir Einsparvor- gangenen Jahren erkennen. Wie Sie gesagt haben, sparen schläge machen. Sie wissen, dass wir in dieser Legisla- Sie angeblich 34 Milliarden Euro ein. Sie nehmen aber turperiode nachweisbar 34 Milliarden Euro einsparen; neue Schulden in Höhe von 38 Milliarden Euro auf, ob- das ist auch in den einschlägigen Tableaus nachzulesen. wohl Sie zusätzliche Steuereinnahmen haben und noch Ich wäre dankbar, wenn das gelegentlich zur Kenntnis weitere zu erwarten sind. Ich frage Sie: An welchen Stel- genommen würde. len haben Sie eigentlich gespart? Das ist im Haushalt überhaupt nicht zu erkennen. Wie Sie wissen, stimmt mein Standpunkt mit dem, was Herr Beck gesagt hat, überein: Im europäischen Ver- Sie haben vorhin erklärt, Sie hätten 34 Milliarden gleich ist die Steuerquote in Deutschland – jedenfalls Euro eingespart; ich wiederhole das. Dennoch bleibt das „for the time being“, also im Augenblick – laut einer Haushaltsvolumen fast gleich hoch. Darüber hinaus neh- OECD-Statistik weit unterdurchschnittlich. Nur in der men Sie zusätzliche Schulden in der Rekordhöhe von Slowakei ist die Steuerquote noch niedriger als bei uns. – 38 Milliarden Euro auf. Wollen Sie uns trotzdem sagen, (B) Das ist Fakt. Übrigens befindet sich Deutschland danach dass Sie gespart haben? Wenn dem so wäre, müssten Sie (D) auch mit Blick auf die Steuer- und Abgabenquote unge- auf der anderen Seite immense Ausgaben getätigt haben. fähr im Mittelfeld. Das sollten Sie dann aber auch sagen. Wäre es nicht an der Zeit, dass auch die Bundesregierung einmal darüber Mein Standpunkt, den ich auch öffentlich immer ver- nachdenkt, die Steuern radikal zu senken – das haben an- treten habe, ist, dass gilt, was im Koalitionsvertrag fest- dere übrigens schon getan –, um nicht nur Arbeitsplätze gelegt worden ist. Nach Lage der Dinge hat das eine zu sichern und zu schaffen, sondern auch Steuermehrein- Steuerquote zur Folge, die in etwa im langfristigen nahmen zu erzielen? Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland liegen dürfte, also zwischen 22,5 und 23 Prozent. Über weitere Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Steuererhöhungen reden wir nicht. Herr Koppelin, wenn Sie ein solches Vorgehen vor- In dem Augenblick, in dem man den Denkfehler be- schlagen, dann müssen Sie dem deutschen Publikum geht, die Abschaffung von Steuerprivilegien mit Steuer- auch erklären, wie die damit verbundenen Minderein- erhöhungen gleichzusetzen, befindet man sich in einer nahmen von 40, 50 oder 60 Milliarden Euro refinanziert Argumentationsfalle, in der Sie offenkundig stecken. Für werden sollen, ohne dass die Regelgrenze unserer Ver- uns hat die Beseitigung von Steuerprivilegien etwas mit fassung überschritten und das Maastrichtkriterium ver- größerer Steuergerechtigkeit zu tun, weil die meisten letzt wird. Das können Sie nicht. Solche Einnahmever- Möglichkeiten bei der Gestaltung der steuerlichen Be- luste kann sich die öffentliche Hand – nicht nur der messungsgrundlage nicht von der allein erziehenden Bund, sondern auch die Länder und Kommunen – nicht Verkäuferin genutzt werden, sondern eher von Angehö- leisten. Das, was Sie gesagt haben, sind Wolkenku- rigen der oberen Einkommenskategorien. Insofern hat ckucksheime; das wissen Sie. Als Opposition kann man das aus unserer Sicht nichts mit Steuererhöhungen zu solche Forderungen erheben. Aber als Regierung wird tun, sondern mit Steuervereinfachung und Steuergerech- man das nicht durchsetzen können, wenn man verant- tigkeit. Das sage ich wohl wissend, dass eine ganze wortlich Finanzpolitik macht. Reihe dieser Maßnahmen auch Bürgerinnen und Bürger trifft, die erkennbar nicht zum oberen Einkommensdrit- Die Zahlen, um die es geht, sind Ihnen schon geläu- tel in der Bundesrepublik Deutschland gehören. fig. Aber ich nenne sie gerne noch einmal: Die Einspa- rungen erstrecken sich in dieser Legislaturperiode auf Fazit: Die Maßnahmen, die die Koalition in ihren Ver- 34 Milliarden Euro. Die Tatsache, dass wir in diesem handlungen beschlossen hat – im Wesentlichen die Erhö- Jahr bei der Nettokreditaufnahme einen Sprung von hung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer, 31 auf 38 Milliarden Euro machen werden, hat im 2846 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Wesentlichen mit dem vorsätzlichen Ziel bzw. dem poli- fallen, mit einer Schürze auffangen könnte. Das würde (C) tischen Beschluss der Bundesregierung zu tun – was wir ich natürlich gerne tun, aber das ist leider nicht meine machen, ist immer vorsätzlich und nicht fahrlässig –, ein Funktion. Andere sprechen von explosionsartig oder Stabilitäts- und Wachstumsprogramm aufzulegen. Der exponentiell wachsenden Ausgabenposten. – Zwei oder Löwenanteil der Differenz zwischen 38 und 31 Milliar- drei Monate lassen sich nicht ohne weiteres auf das den Euro ist auf die ersten Maßnahmen zurückzuführen, ganze Jahr hochrechnen. Es gibt Risiken; das sage ich die die Bundesregierung ergriffen hat, um Beschäftigung mit Blick auf die Rentenversicherung und die Arbeits- und Wachstum in Deutschland zu unterstützen; Sie alle marktpolitik. Ich will Ihnen nichts verheimlichen; aber kennen die fünf Säulen, auf denen dieses Programm ba- erlauben Sie mir, dass ich sage: in welcher Größenord- siert. Außerdem steigen in diesem Jahr die Aufwendun- nung, wird sich ergeben. Die Bundesregierung wird ge- gen für die Arbeitsmarktpolitik. Ferner werden die nach gensteuern müssen. Sie wird sich damit beschäftigen der mittelfristigen Finanzplanung meines Vorgängers und ihre Vorschläge dem Parlament vorlegen. eingeplanten Einmaleffekte als Ergebnis der Koalitions- verhandlungen anders verteilt, als in der Vorlage vom Was die Operationen auf der Einnahme- und auf der Juni letzten Jahres vorgesehen. – So kommt dieser Be- Ausgabenseite betrifft, bitte ich, zu unterscheiden. Wir trag zustande. Sie wissen das auch. Ich habe mich aber brauchen zur Konsolidierung dieses öffentlichen Haus- gefreut, dass ich Ihnen das noch einmal habe darstellen haltes Mehreinnahmen. Auf die Gefahr hin, dass ich mir dürfen. den Mund fusselig rede: Die Vorstellung, wir könnten diesen Haushalt allein durch Sparen konsolidieren, ist ein Irrtum. Die Diskussion würde uns intellektuell einen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: leichten Schub nach vorne bringen, wenn wir uns end- Die nächste Frage hat die Kollegin Margareta Wolf. lich auf diese Erkenntnis einigen könnten. Sie alle wis- sen, dass wir nicht allein durch Sparen aus der Klemme Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE herauskommen. Die öffentlichen Haushalte sind chro- GRÜNEN): nisch unterfinanziert. Der Bundeshaushalt und viele Herr Minister, ich möchte an das anknüpfen, was Herr Länderhaushalte sind in den letzten Jahren auf der Aus- Koppelin Sie gerade gefragt hat. Wir haben heute der gabenseite nicht gewachsen; es ist verantwortungsvoll Presse entnommen, dass man in Ihrem Hause davon aus- gewirtschaftet worden. Wenn Sie mir nun nahe legen, geht, dass die Mehrausgaben infolge der Langzeitar- ich müsse wegen ihrer unabweisbar negativen Effekte beitslosigkeit auf 5 Milliarden Euro steigen werden. Das auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten, müssen Sie hieße, dass Sie einen Haushalt mit einer Neuverschul- mir auch die Frage beantworten, was ich stattdessen ma- dung von 40 Milliarden Euro vorlegen müssten. Inwie- chen soll, ohne dass volkswirtschaftliche Parameter wie (B) weit können Sie diese Meldung der „FTD“ bestätigen? Wachstum und Beschäftigung ebenso negativ berührt (D) werden. Ich habe noch eine Frage, die unmittelbar damit zu- sammenhängt. In welchem Verhältnis werden die Ein- Wenn ich, wie es die FDP gerne hätte, an die Trans- nahmen, die Sie durch die Reichensteuer erzielen, zu den ferzahlungen heranginge, würde die Binnennachfrage in volkswirtschaftlichen Folgen, gerade was den Bereich Deutschland negativ tangiert; denn das beträfe gerade der Geringqualifizierten angeht, stehen? Wird die Erhö- die Bevölkerungsgruppen, die eine Sparquote von null hung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte nicht zu haben, zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner. Das- einem Rückgang der Beschäftigung im Handwerk und selbe gilt für Ihr etwas defensiveres Insistieren, ich solle zu einer Ausweitung der Schwarzarbeit führen, somit von der Mehrwertsteuererhöhung Abstand nehmen. auch negative Auswirkungen auf die Sozialkassen haben Dann würden im nächsten Jahr 17 Milliarden Euro im und letztlich wegen der gestiegenen Zahl der Langzeitar- Bundeshaushalt fehlen. Niemand beantwortet mir die beitslosen eine höhere Belastung des Bundes bedeuten? Frage, wo die herkommen sollen, ohne dass gegen die Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz und das Maastrichtkriterium verstoßen wird. Sie wären doch die Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: ersten Kritiker meiner Person, wenn ich diese beiden Frau Wolf, ich werde inzwischen täglich mit Zahlen Grenzen nicht einhalten würde. Dann wüsste ich genau, konfrontiert, zu denen ich nicht Stellung nehmen kann. wie die nächste Fragestunde abliefe. Viele dieser Zahlen, die teilweise durch Indiskretion an die Presse gelangt sind, sind Horrorzahlen oder stellen Vor diesem Hintergrund habe ich manchmal den Ein- lediglich Zwischenstände dar; ich nenne sie „Wasser- druck, dass die haushalts- und finanzpolitische Debatte stände“. Ich habe es mir abgewöhnt, solche Zahlen zu mit Blick darauf, was notwendig ist, häufig nicht sehr kommentieren, weil ich gerne auf der Basis gesicherter konzise ist, nämlich auf der einen Seite konsolidieren Zahlen operiere. und auf der anderen Seite Impulse geben zu müssen. Beispielsweise zur Entwicklung der Einnahmen in Zur Besteuerung der Spitzenverdiener. Mir ist be- diesem Jahr, worüber öffentlich viel spekuliert wird, wusst, dass das vom Volumen her kein Urknall ist, der kann ich Ihnen noch keine gesicherten Zahlen nennen. alle Probleme löst. Aber die deutschen Bürgerinnen und Einige haben sich als Steuerschätzer einen Namen ge- Bürger haben die Erwartung, dass Spitzenverdiener in macht und sind bereits im März mit Zahlen an die Öf- der Bundesrepublik Deutschland ihre Beiträge leisten fentlichkeit getreten, die den Eindruck vermittelt haben, müssen und dass wir Maßnahmen hierzu treffen. Auf- als ob ich Goldtaler, die vom strahlenden Himmel herab- grund der verfassungsrechtlichen Problematik konnte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2847

Bundesminister Peer Steinbrück (A) ich das nicht in der Höhe durchsetzen, die ich für richtig zig ist und mein Ressort durch diese Arbeit auf höchste (C) halte. Um es offen zu sagen: In diesem Punkt habe mich Umdrehungszahlen kommen wird, ist richtig. in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen kön- nen. Ich war für andere Einkommensgrenzen; ich hätte Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 125 000 Euro für Ledige und 250 000 Euro für Verheira- tete für angemessen gehalten. Aber das ist das Ergebnis Vielen Dank. – Nächste Frage, Carl-Ludwig Thiele. der Erörterungen zwischen den Koalitionspartnern, das man zu respektieren hat. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gerade davon Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gesprochen, dass die finanzpolitische Diskussion nicht immer sehr konzise sei. Das Wort kenne ich noch nicht. Vielen Dank. – Das Fragerecht geht jetzt an den Kol- Ich werde es nachschlagen; ich lerne gerne dazu. legen Otto Bernhardt. Man muss aber feststellen, dass die Begehrlichkeiten immer größer sind als das Machbare. Das ist die Erfah- Otto Bernhardt (CDU/CSU): rung, die ein jeder Finanzminister macht. Umso mehr Herr Minister, Sie stimmen mir sicherlich zu, wenn war ich allerdings erstaunt, als Sie am Montag im „Spie- ich sage, dass die Zusatzbesteuerung in Höhe von gel“ erklärten: 3 Prozentpunkten kein entscheidender Beitrag zur Sanie- rung der öffentlichen Finanzen ist, sondern dass die Be- Fünf Euro zusätzliches Kindergeld bedeuten eine weggründe dafür eher anderer Natur sind. Das ist aber Zusatzausgabe für den Staat von rund einer Mil- ein anderes Thema. liarde Euro pro Jahr. Könnte eine solche Summe nicht besser für eine kostenlose Kinderbetreuung Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie, ähnlich wie statt für eine individuelle Zuwendung – für viele wir, einen sehr engen Zusammenhang zwischen dieser kaum spürbar – verwendet werden? zusätzlichen Besteuerung in Höhe von 3 Prozentpunkten und der Unternehmensteuerreform sehen? Ist das der Ich kenne niemanden, der eine Erhöhung des Kinder- Grund, warum Sie sagen, die Bundesregierung werde geldes um 5 Euro fordert. Wenn der Finanzminister noch vor der Sommerpause Eckpunkte zur Diskussion fragt, ob wir nicht auf eine nicht geforderte Erhöhung stellen? In welcher Form – ich habe das nicht richtig ver- verzichten könnten, um etwas Neues zu finanzieren, standen – soll das passieren: im Plenum des Bundestages würde ich das in gewisser Form als nicht konzise be- oder im Finanzausschuss? Das wäre ein sehr enger Zeit- zeichnen. (B) raum. Wenn ich es richtig sehe, haben wir Ende Juni die (D) letzte Plenarwoche. Das hieße, dass wir für die Erarbei- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: tung der Eckpunkte nur noch wenige Wochen Zeit hät- Also wissen Sie doch, was der Begriff bedeutet. ten. Sehe ich das richtig?

Carl-Ludwig Thiele (FDP): Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Nein. Aber ich sehe nach. Das ist richtig. Aber es ist nicht beabsichtigt – kürz- lich sind Rücksprachen hierzu zwischen der Regierung und den Fraktionsspitzen erfolgt –, dass Sie vor der Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Sommerpause eine beratungsfähige Unterlage bekom- Diese Bemerkung hatte nichts mit der Tagespolitik zu men. Die beiden Koalitionsfraktionen und die anderen tun, weil ich dachte, dass Politiker gelegentlich auch et- Fraktionen des Hohen Hauses werden in Kenntnis ge- was über die Tagespolitik Hinausgehendes formulieren setzt, in welche Richtung die Bundesregierung bei ihrer dürfen. Der dahinter stehende Grundgedanke, den ich konzeptionellen Erarbeitung einer Unternehmensteuer- zur Debatte stelle – ich behaupte nicht, dass ich in allem reform marschiert. Recht habe –, lautet: Ist ein vornehmlich auf individuelle Transferzahlungen gerichtetes deutsches soziales Sys- Sie haben in der Tat Recht: Diese Unternehmensteu- tem auf Dauer richtig? Oder sollte man nicht versuchen, erreform hat natürlich einen Bezug zu dem, was wir diese Mittel zu verwenden, um Menschen chancenge- heute debattieren, nämlich zum Spitzensteuersatz bei recht den Zugang zu Bildung und zu Betreuungsleistun- privaten Einkünften. Mit Blick darauf stellt sich zum gen zu eröffnen? Anders ausgedrückt: Die 5 Euro – das Beispiel die Frage, wie wir zukünftig mit Personenge- war nur ein Beispiel – sind für viele Menschen – wenn sellschaften und Alleinunternehmern umgehen, oder sie nicht gerade zwei Schachteln Zigaretten am Tag rau- auch, zu welchem System wir bei der Besteuerung von chen – wahrscheinlich gar nicht spürbar. Das heißt, diese Unternehmen auf der einen Seite – zum Beispiel durch 5 Euro mehr Kindergeld haben keinerlei Steuerungsef- Stärkung der Eigenkapitalbasis, was erwünscht ist – und fekt. Wenn man mit diesem Geld – das addiert sich auf von Unternehmern auf der anderen Seite, die, soweit sie fast 1 Milliarde Euro – kostenfreie Kindergärten finan- erwirtschaftete Gewinne nicht thesaurieren, sondern in zieren würde – insgesamt müsste man 2,5 bis 3 Milliar- ihre privaten Einkünfte überführen, kommen. Insofern den Euro dafür haben –, könnte das Steuergeld im Sinne gibt es Bezüge, die aber innerhalb des nächsten Jahres der Familienförderung und der Betreuung von Kindern, ohnehin geklärt werden. Ein erster Beitrag wird die For- insbesondere bei Alleinerziehenden, effizienter und ziel- mulierung dieser Eckpunkte sein. Dass das Ziel ehrgei- genauer eingesetzt werden. 2848 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Dieses Thema ist nicht tagesaktuell, aber ganz irrele- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: (C) vant ist es auch nicht. Eines Tages wird das Hohe Haus Ich werde einen Teufel tun, irgendetwas auszuschlie- im Rahmen des Berichts über das Existenzminimum ßen. auch die Kinderfreibeträge debattieren. Wenn es um die (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Kinderfreibeträge geht, debattiert man automatisch auch darüber, ob das Kindergeld davon berührt sein könnte. Eine solche Frage höre ich häufig. Wenn Steinbrück sagt, er sei kein Vegetarier, dann lautet die Überschrift: (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nicht zwingend!) Steinbrück schließt nicht aus, Hundefutter zu essen. – Das ist eine Fangfrage. – Das behaupte ich auch nicht. Sie wissen aber, dass die Kinderfreibeträge erhebliche Entlastungswirkungen für Beim besten Willen: Wir sind mitten in diesen Debat- diejenigen haben, die sich in der Progressionszone wei- ten. Sie kennen die eine oder andere Einlassung von mir, ter oben befinden, also mehr verdienen – wie die meisten und zwar auch über die Tagespolitik hinaus. Ich glaube, von uns –, weshalb sich automatisch die Frage nach der dass die Finanzierung des deutschen sozialen Siche- Anpassung des Kindergeldes für diejenigen stellt, die rungssystems, vornehmlich durch Abgaben, eines der sich in dieser Progressionszone ganz unten befinden, großen Probleme ist, die wir haben. Die skandinavischen also weniger verdienen. Nach den Gleichbehandlungs- Systeme sind sehr viel robuster, weil sie sehr viel stärker grundsätzen müsste dann eventuell beim Kindergeld steuerfinanziert sind, nämlich im Verhältnis 70:30. Bei nachjustiert werden und dann haben wir es plötzlich wie- uns ist es fast umgekehrt. Eine Debatte über eine sukzes- der mit einer Debatte über 5, 10 oder 15 Euro mehr Kin- sive Umorientierung auf eine Steuerfinanzierung wird dergeld zu tun. 15 Euro mehr Kindergeld entsprächen man aber nur führen können, wenn man gleichzeitig die insgesamt ungefähr 3 Milliarden Euro. Ich wüsste, was Sozialversicherungsabgaben und damit die Lohnzusatz- kosten senkt. Das wäre ein Beitrag zur Absenkung der man mit diesen 3 Milliarden Euro für die Kinderbetreu- Bruttoarbeitskosten in Deutschland und auch ein wichti- ung in der Bundesrepublik Deutschland tun könnte. ger Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Darüber würde ich mit Ihnen allen aber ganz gerne Vielen Dank. – Die nächste Frage hat die Kollegin solide debattieren. Ich möchte nicht aus der Hüfte schie- Margareta Wolf. ßen, was zu Missverständnissen führen könnte. Am Ende stünde dann die Überschrift: Steinbrück für Steuer- Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE erhöhungen. – Wir wissen ja, wie dieser Prozess läuft. GRÜNEN): (B) Herr Minister, ich habe noch eine Frage zur Reichen- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) steuer – vielleicht habe ich das nicht mitbekommen –: Die nächste Frage hat Jürgen Koppelin. Was passiert mit den Gewinnen der Unternehmen, die nicht reinvestiert werden? Fallen sie auch unter die Rei- Jürgen Koppelin (FDP): chensteuer oder ist die gewerbliche Wirtschaft generell Herr Minister, da Sie auch heute immer wieder auf davon ausgenommen? die Kritik der Opposition eingegangen sind und sie kom- mentiert haben – das ist auch völlig in Ordnung –, möchte ich die Gelegenheit nutzen, zu fragen, ob Sie uns Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: auch einmal einen Kommentar zu der Kritik an Ihrer Po- Das hat mit der Reichensteuer nichts zu tun. Sie be- litik abgeben können, die aus Ihren eigenen Reihen, zum ziehen sich auf eine Bemerkung, die ich vorauseilend Beispiel von Frau Nahles, kommt. Das würde uns sicher- bezogen auf das Konzept einer Unternehmensteuerre- lich interessieren. form gemacht habe, nämlich auf die Frage, wie wir mit einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen umgehen. Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Diese Frage beantworte ich Ihnen gerne, wenn unser Das ist so ähnlich wie bei der FDP. Es ist doch klar: In Konzept steht. einer so großen Partei wie der FDP gibt es unterschiedli- che Auffassungen. Diese gibt es auch bei der SPD. Bezogen auf die Reichensteuer gilt, dass Einkünfte aus Gewerbe sowie aus freiberuflicher und forst- und landwirtschaftlicher Tätigkeit von diesem dreiprozenti- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen „Balkon“ ausgeschlossen sind, um verfassungs- Gibt es zu diesem Themenbereich weitere Fragen an rechtliche Probleme zu vermeiden. den Bundesminister? – Gibt es Fragen zur heutigen Ka- binettssitzung außerhalb dieses Themenbereiches? – Das ist nicht der Fall. Gibt es über die Kabinettssitzung hi- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: naus allgemeine Fragen? Auch das ist nicht der Fall. Die nächste Frage hat der Kollege Volker Wissing. Herr Bundesminister Steinbrück, ich darf mich viel- mals bedanken, dass Sie persönlich Rede und Antwort Dr. Volker Wissing (FDP): gestanden haben. Es ist nicht immer üblich, dass die Mi- nister selber erscheinen. Ich freue mich darüber, dass Sie Herr Minister, können Sie ausschließen, dass es im gekommen sind. Rahmen der geplanten Gesundheitsreform zu weiteren Steuererhöhungen kommt? Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2849

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C) minister des Innern: Fragestunde Das betrifft die von Ihnen gestellte zweite dringliche – Drucksachen 16/1374, 16/1402 – Frage, die ich gleich beantworten werde. Es ist aber so, dass diese Orientierungskurse zunächst einmal nichts Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 mit Einbürgerung, sondern mit Integration zu tun haben. Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringli- Hier geht es um die Frage der Einbürgerung, das heißt chen Fragen der Abgeordneten Josef Winkler und Volker um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Die Beck auf Drucksache 16/1402 auf. Voraussetzungen dafür sind in dem entsprechenden Ge- Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats- setz geregelt. Die Arbeitsgruppe der Innenministerkon- sekretär Peter Altmaier zur Verfügung. ferenz wird sich in allererster Linie mit diesen Fragen beschäftigen. Ich rufe die erste dringliche Frage des Kollegen Josef Winkler auf: Sind für die von der Innenministerkonferenz, IMK, am Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 5. Mai 2006 beschlossenen Einbürgerungskurse Änderungen Vielen Dank. – Ich rufe die zweite dringliche Frage des Staatsangehörigkeitsgesetzes erforderlich und, wenn ja, des Kollegen Winkler auf: kann die Bundesregierung zusagen, einen Gesetzentwurf erst dann vorzulegen, wenn ein entsprechendes Konzept des Bun- Welche inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben will das Bun- desamtes für Migration und Flüchtlinge vorliegt? desministerium des Innern dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für das von der IMK angeforderte Konzept für die Einbürgerungskurse bzw. für die geplante Einbürgerungsfibel Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- geben? minister des Innern: Herr Kollege Winkler, so wie die Einbürgerungskurse Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- von der IMK beschlossen worden sind, ist es in der Tat minister des Innern: nicht unwahrscheinlich, dass auch Änderungen des Herr Kollege Winkler, die vorgeschlagenen Einbürge- Staatsangehörigkeitsgesetzes notwendig werden. Eine rungskurse sollen auf den Orientierungskursen im Rah- endgültige Aussage – das werden Sie verstehen – ist al- men der Integrationsverordnung aufbauen. Das heißt, lerdings erst dann möglich, wenn die länderoffene Ar- diese Vorarbeiten können wir heranziehen. Inhaltliche beitsgruppe unter Federführung des Freistaates Bayern und zeitliche Vorgaben werden sich an diesen Kursen getagt und ihre Vorschläge vorgelegt hat. orientieren. Auch hier gilt, dass konkrete inhaltliche und zeitliche Aussagen und auch Anforderungen an das (B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: BAMF erst dann formuliert werden können, wenn die (D) Zusatzfrage? Vorschläge der länderoffenen Arbeitsgruppe bekannt sind. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Staatssekretär, hat die Arbeitsgruppe einen kon- Zusatzfrage? kreten Ablaufplan vereinbart, dem Sie sich unterordnen werden? Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich habe die Frage, ob Sie in der Konferenz bereits minister des Innern: darüber gesprochen haben, ob einbürgerungswillige Per- Herr Kollege Winkler, wir reden hier nicht von Unter- sonen an der Finanzierung dieser Kurse beteiligt werden oder Überordnung. Es wird wahrscheinlich so sein, dass sollen und, wenn ja, in welchem Umfang dies geschehen die Arbeitsgruppe zügig, aber ohne übertriebene Hast soll und welche Position die Bundesregierung dazu ver- ihre Vorschläge vorlegen wird. Im Anschluss daran hat tritt. die Bundesregierung darüber zu entscheiden, ob gesetz- geberischer Handlungsbedarf besteht. Dann ist es selbst- verständlich Aufgabe der Bundesregierung, einen ent- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. minister des Innern: Es gab zu dieser Frage eine gewisse Berichterstattung in den Medien. Endgültige Entscheidungen werden aber Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: erst dann getroffen, wenn die Arbeitsgruppe ihre Vor- Eine weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Winkler. schläge vorgelegt hat.

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: NEN): Danke, Herr Präsident. – In welchem rechtlichen und Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? konzeptionellen Verhältnis sollen die Einbürgerungs- kurse, die beschlossen worden sind, zu den bereits statt- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- findenden Orientierungskursen, wie sie im Aufenthalts- NEN): gesetz vorgesehen sind, stehen? Nein. 2850 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: grund des zu erwartenden Anstiegs der Studierendenzah- (C) Die beiden dringlichen Fragen des Kollegen Volker len und zweitens – das sind die beiden Punkte, die etwas Beck sollen auf seinen Wunsch hin schriftlich beantwor- mit den Kapazitäten zu tun haben – darauf, den von Ih- tet werden. Wir kommen damit zu den Fragen, die in der nen angesprochenen Prozess der Modernisierung der üblichen Reihenfolge beantwortet werden, und zwar zu- Hochschulausbildung im Zusammenhang mit den An- nächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums forderungen von Bologna – Stichwort „Bachelor und für Gesundheit. Master“ – voranzubringen. Drittens soll die Qualität der universitären Forschung und Lehre nachhaltig gestärkt Die Frage 1 des Abgeordneten Uwe Schummer wird werden; das ist ja eine Daueraufgabe. Viertens soll die schriftlich beantwortet. Finanzierung der Forschung gesichert und ausgebaut Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- werden. Dabei soll im Rahmen des staatlichen Beitrags nisteriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- zur Erreichung des Ziels, bis zum Jahr 2010 3 Prozent heit. Die Frage 2 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwick- soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden. lung aufzuwenden, der Staatsanteil der Forschungsförde- rung auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- werden. desministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beant- wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse- Mit diesen Maßnahmen werden Bund und Länder im kretär Andreas Storm zur Verfügung. Rahmen des Hochschulpaktes die Forschung an den Universitäten stärken. Auf diese Schwerpunkte hat man Wir kommen zu Frage 3 der Kollegin Cornelia sich verständigt. Hirsch: Wann wird die neu eingerichtete Arbeitsgruppe zum Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Hochschulpakt erste Ergebnisse vorlegen und in welcher Form wird die Bundesregierung das Parlament in die laufen- Weitere Zusatzfrage. den Beratungen einbeziehen? Frau Hirsch ist anwesend. – Bitte schön, Herr Staats- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): sekretär. Sie haben damit meine Nachfrage noch nicht voll- ständig beantwortet. Mir ging es darum, inwieweit die Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Schaffung eines nachfragegerechten Angebots an Studi- ministerin für Bildung und Forschung: enplätzen ein klares Bekenntnis dazu beinhaltet, dass man den Zugang zum Masterstudium öffnen will, um Frau Kollegin Hirsch, Ich beantworte Ihre Frage wie deutlich zu machen, dass ein nachfragegerechtes Ange- (B) folgt: Ebenso wie in der Vergangenheit wird die Bundes- (D) bot an Studienplätzen nicht nur ein Kurzzeitstudium für regierung das Parlament über politische Ergebnisse von die Masse bedeutet, sondern auch die Möglichkeit des Bund-Länder-Verhandlungen selbstverständlich unter- Zugangs zum Masterstudium umfasst. richten. Ablauf und Zeitplan der Verhandlungen werden derzeit zwischen Bund und Ländern konkretisiert und sind daher noch nicht festgelegt. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Abgeordnete Hirsch, die beiden von mir zuerst genannten Punkte, nämlich zum einen der Anstieg der Ihre Zusatzfrage, Frau Hirsch. – Bitte. Studierendenzahl – Prognosen der KMK beispielsweise gehen von einem Anstieg von 25 Prozent bis 2012 aus – Cornelia Hirsch (DIE LINKE): und zum anderen die Umsetzung des Bolognaprozesses In der Pressemitteilung vom BMBF gab es aber mit den Vorgaben für die Studiendauer sowohl beim Ba- durchaus schon einige Ankündigungen. Man hat sich un- chelor- als auch beim Masterstudiengang, sind Gegen- ter anderem darauf verständigt, ein nachfrageorientiertes stand der Beratungen über den Hochschulpakt. Ich kann Angebot an Studienplätzen sichern zu wollen. Ich Ihnen aber noch keine weiter gehenden Ergebnisse schil- möchte in diesem Zusammenhang gezielt nachfragen, dern, weil diese Beratungen erst begonnen haben. Die inwieweit es Diskussionen darüber gegeben hat, ob sich Struktur der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudi- das Vorhaben nur auf ausreichende Kapazitäten im Rah- engänge hängt natürlich auch davon ab, wie sich die men des sechssemestrigen Bachelorstudiums beziehen Zahl der Studierenden in diesem und im nächsten Jahr- soll oder ob es auch darum gehen soll, ein volles Stu- zehnt entwickeln wird. dium sicherzustellen, was auch den Zugang zum Master- studium umfasst. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dann kommen wir zu Frage 4 der Kollegin Hirsch: Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Welches sind die „verschiedenen Maßnahmen und Initiati- ministerin für Bildung und Forschung: ven“, die die Bundesregierung nach eigener Aussage durch- Frau Abgeordnete Hirsch, man hat sich bei der Bund- führt, um geschlechtsspezifische Diskriminierung im Bereich Länder-Tagung am 2. Mai auf vier Schwerpunkte ver- der beruflichen Bildung abzubauen (siehe Antwort auf die ständigt, nämlich erstens auf die Schaffung des von Ih- Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke „Gestaltung des neu errichteten Innovationskreises für Berufliche Bildung im Bun- nen angesprochenen nachfragegerechten Angebots an desministerium für Bildung und Forschung“ auf Bundestags- Studienplätzen in den nächsten Jahren vor dem Hinter- drucksache 16/1380)? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2851

(A) Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- (C) ministerin für Bildung und Forschung: ministerin für Bildung und Forschung: Frau Kollegin Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie Frau Abgeordnete Hirsch, Sie irren, wenn Sie meinen, folgt: Ziel ist, das eingeschränkte Berufswahlspektrum dies sei dort kein Thema. Auch dieser Punkt ist Gegen- von jungen Frauen zu erweitern, die Rahmenbedingun- stand der Diskussion im Innovationskreis für Berufliche gen zur Vereinbarkeit von Familienpflichten und Ausbil- Bildung. Ich darf im Übrigen darauf verweisen, dass ne- dung zu verbessern sowie die Genderkompetenz von ben Frau Bundesministerin Dr. Schavan von den ausbildendem Personal zu fördern. Die Bundesregierung 16 berufenen Experten vier Frauen sind. Die angespro- hat zahlreiche Maßnahmen insbesondere in Zusammen- chene Thematik wird im Rahmen der Sitzungen dieses arbeit mit der Wirtschaft initiiert, um jungen Frauen in Innovationskreises, die in etwa auf einen Zeitraum von technischen und in naturwissenschaftlichen Berufen anderthalb Jahren terminiert sind, ebenfalls behandelt. neue Chancen zu eröffnen. Als Beispiel nenne ich den vor kurzem stattgefundenen Girls’ Day, bei dem sich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mehr als 500 000 Mädchen der Klassen 5 bis 10 in Un- Zweite Zusatzfrage. ternehmen und Forschungseinrichtungen über frauenun- typische Berufe informieren konnten, das Projekt „idee- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): it“, bei dem sich Mädchen in unterschiedlichen Veran- Wann sind denn erste Ergebnisse zu erwarten und wie staltungen Zugang zu IT-Berufen verschaffen können, soll die Einbeziehung des Parlaments – ähnlich wie bei oder „Job Lab“, ein Computerspiel, das als Entschei- der Frage zum Hochschulpakt – erfolgen? dungshilfe bei der Berufsfindung dient. Die Novelle zum Berufsbildungsgesetz berücksichtigt die Situation von Erziehenden und jungen Menschen, die pflegebedürftige Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Angehörige betreuen. Ausbildung ist in diesem Zusam- ministerin für Bildung und Forschung: menhang nunmehr auch in einer Teilzeitform möglich. Frau Abgeordnete Hirsch, der Innovationskreis für Berufliche Bildung ist zuallererst ein Gremium zur Bera- Um den Gender-Mainstreaming-Prozess in der beruf- tung der Bundesministerin. Es sind mehrere Themenblö- lichen Bildung voranzubringen, hat die Bundesregierung cke vereinbart. Sobald sich Handlungsbedarf aufgrund Projekte zur Unterstützung von Multiplikatorinnen und der Ergebnisse der Beratungen dieses Expertengremi- Multiplikatoren gefördert. Dort entwickelte Lehr- und ums ergibt, werden wir unverzüglich das Parlament bzw. Lernmedien für Ausbilderinnen und Ausbilder zeigen, den zuständigen Ausschuss auf dem üblichen Weg hie- wie Gender-Mainstreaming und eine geschlechterorien- rüber unterrichten und gegebenenfalls parlamentarische (B) tierte Didaktik in pädagogisches Handeln umgesetzt Initiativen vorbereiten. (D) werden können. Dieser Gender-Mainstreaming-Prozess in der beruflichen Bildung lässt sich allerdings nicht po- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: litisch verordnen. Die Berufswahlfreiheit ist schließlich Vielen Dank, Herr Staatssekretär. verfassungsrechtlich mit Grundrechtsstatus verankert. Insofern sind nachhaltige Veränderungen im Berufs- Die Frage 5 des Kollegen Addicks – Geschäftsbereich wahlverhalten und das Aufbrechen geschlechtsspezifi- des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- scher Präferenzen in der Berufswahl nicht alleine durch arbeit und Entwicklung – soll schriftlich beantwortet den Staat zu erreichen, sondern nur durch die Einbin- werden. dung aller relevanten Beteiligten sowie durch eine Das Gleiche gilt für die Frage 6 der Kollegin Undine breite, frühzeitige und geschlechtsoffen angelegte Be- Kurth (Quedlinburg), Geschäftsbereich der Bundeskanz- rufsberatung und Berufsorientierung. lerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 7 und 8 der Kollegin – Ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Ihre erste Zusatzfrage, Frau Hirsch. Soziales – werden zurückgezogen. Die Frage 9 des Abgeordneten Hans-Christian Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Ströbele – Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Wenn Sie so viel Wert darauf legen, alle einzubezie- Justiz – soll schriftlich beantwortet werden. hen und umfassend darüber zu diskutieren, wie die Situ- Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- ation verbessert werden könnte, dann stellt sich umso desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur dringender die Frage, warum das Thema „geschlechts- Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär spezifische Diskriminierung“ nicht explizit als Tages- Peter Hintze zur Verfügung. ordnungspunkt auf die Agenda des neu eingerichteten Innovationskreises für Berufliche Bildung gesetzt wor- Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Jürgen den ist. Es wäre doch eine ausgezeichnete Gelegenheit Koppelin: gewesen, die von Ihnen angesprochene Diskussion dort Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesminis- zu führen und zu schauen, welche strukturellen Weiter- ters für Wirtschaft und Technologie, , dass Kern- energie preiswert zur Verfügung steht, international sogar aus- entwicklungen notwendig sind, um die bestehende Dis- gebaut wird und zur Reduzierung des Treibhauseffektes kriminierung zu beseitigen. beiträgt (dpa vom 3. Mai 2006)? 2852 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (C) minister für Wirtschaft und Technologie: nister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Koppelin, ich beantworte Ihre Frage wie Herr Kollege Koppelin, die Koalitionsvereinbarung folgt: Innerhalb der Bundesregierung bestehen hinsicht- ist die Grundlage der Politik der Bundesregierung. Ich lich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung kann sie Ihnen gerne vortragen, wenn es der Herr Präsi- unterschiedliche Auffassungen. dent genehmigt: Zwischen CDU, CSU und SPD bestehen hinsicht- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeu- Eine Nachfrage, Herr Kollege Koppelin? – Bitte gung unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann schön. die am 14. Juni 2000 zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen geschlossene Vereinbarung und können die darin enthaltenen Jürgen Koppelin (FDP): Verfahren sowie für die dazu in der Novelle des Herr Staatssekretär, mir liegt eine Broschüre vor. In Atomgesetzes getroffene Regelung nicht geändert dieser Broschüre heißt es zum Schluss, dieses Magazin werden. Der sichere Betrieb der Kernkraftwerke hat sei Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. für CDU, CSU und SPD höchste Priorität. In die- Ich zitiere aus diesem Magazin. Darin heißt es zur sem Zusammenhang werden wir die Forschung Atomkraft – Herr Gabriel hat das unterschrieben –: zum sicheren Betrieb von Kernkraftwerken fortset- zen und ausbauen. Sie ist keine Zukunftstechnologie, sondern hemmt Investitionen in effiziente und erneuerbare Energie- CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen technologien. Sie erschwert den Umstieg auf ein Verantwortung für die sichere Endlagerung radio- modernes Energiesystem und blockiert Innovatio- aktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage nen. zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen, in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- kommen. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist die Grundlage für die Politik dieser Bundesregie- Nun sagen Sie, die Haltung der Bundesregierung sei rung in dieser Legislaturperiode im Hinblick auf die nicht einheitlich. Wie kann denn ein Bundesminister ein Kernkraft. solches Magazin veröffentlichen? Ich wiederhole: Die- ses Magazin ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bun- (B) desregierung. Kann es sein, dass dieses Magazin nur ein Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) Teil der Öffentlichkeitsarbeit eines Teils der Bundes- Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Koppelin: regierung ist? Oder wie darf ich es deuten, dass so viel Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesminis- Geld in eine Broschüre gesteckt wird, die eine Mittei- ters für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, dass der lung der Bundesregierung sein soll? Anders gefragt: Hat russische Energiekonzern Gasprom „derzeit auf einem hohen Ihr Bundesminister überhaupt keinen Einfluss in dieser Ross“ sitzt (dpa vom 3. Mai 2006)? Regierung? Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Koppelin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Situation auf dem weltweiten Gasmarkt ist ge- Herr Abgeordneter, ich finde, die von Ihnen zitierte prägt durch eine steigende Nachfrage, neue Nachfrager Broschüre, die mir persönlich nicht bekannt ist, ist ein und geopolitische Risiken. Russland verfügt über schöner Beleg für die unterschiedlichen Auffassungen, 34 Prozent der Weltgasreserven. Gasprom hat eine he- die in der Bundesregierung in dieser Frage herrschen. rausragende Stellung auf dem Markt. Vor diesem Hinter- Der Bundeswirtschaftsminister hat seinerseits seine Auf- grund ist die Äußerung von Bundesminister Glos zu ver- fassung dargelegt. Wenn ich es richtig sehe, kommt stehen. diese der Ihren näher als die eben zitierte des Herrn Bun- desumweltministers. Es gibt keine einheitliche Auffas- sung der Bundesregierung zu dieser Frage. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? – Bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jürgen Koppelin (FDP): Zweite Nachfrage, bitte. Ich habe danach gefragt und Sie haben es jetzt erklärt, dass Bundesminister Glos gesagt hat, Gasprom sitze der- Jürgen Koppelin (FDP): zeit auf einem hohen Ross. Das hat er jedenfalls in Jena Es ist zwar sehr freundlich von Ihnen, dass Sie das so erklärt. Es gab aber auch Äußerungen der Bundesregie- offen darlegen; man muss aber als Mitglied des Parla- rung, dass es für wichtig gehalten werde, dass ein frühe- ments erwarten können, dass die Bundesregierung zu ei- rer Bundeskanzler dort Aufsichtsratsvorsitzender sei. ner Entscheidung kommt. Können Sie andeuten, wer Kann es sein, dass dieser ehemalige Bundeskanzler zur- sich von den beiden Bundesministern durchsetzen wird? zeit auf einem hohen Ross sitzt? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2853

(A) Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- dert, den vom ehemaligen UN-Sondergesandten Baker (C) minister für Wirtschaft und Technologie: vorgeschlagenen Friedensplan zu unterstützen. Die Poli- Das entzieht sich meiner Kenntnis, Herr Kollege tik der Bundesregierung steht im Einklang mit diesem Koppelin. Bundestagsbeschluss.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Nachfrage? – Bitte. Nachfrage, bitte, Herr Addicks.

Jürgen Koppelin (FDP): Dr. Karl Addicks (FDP): Es sei doch so bedeutend gewesen – so ist das kom- Sieht die Bundesregierung in Anbetracht der neuen mentiert worden –, dass dieser ehemalige Bundeskanzler Situation irgendwelche Möglichkeiten, zur Lösung die- in den Aufsichtsrat gegangen und sogar Vorsitzender ge- ses Konflikts aktiv beizutragen, sprich: eine diplomati- worden sei. Das würde nämlich Einfluss auf die Versor- sche Initiative zu starten? gung Deutschlands mit Erdgas bedeuten. Nun aber er- klärt Herr Minister Glos, Gasprom sitze zurzeit auf Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: einem hohen Ross. Wie kann ich das in Einklang brin- Die Bundesregierung wird ihre Politik der wirklich gen? intensiven Unterstützung der Aktivitäten der Vereinten Nationen fortsetzen. Sie wissen, dass Kofi Annan in die- Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sem Frühjahr auf die festgefahrene Situation reagiert hat. minister für Wirtschaft und Technologie: Das ganze Dossier Westsahara ist dadurch blockiert Meiner Kenntnis nach hat der ehemalige Bundes- – Sie wissen das sehr gut –, dass Marokko den Baker- kanzler Gerhard Schröder keinen Aufsichtsratssitz bei Plan nicht anerkannt hat. Daraufhin ist Kofi Annan im Gasprom und strebt einen solchen auch nicht an; viel- Sicherheitsrat dafür eingetreten, auf direkte Verhandlun- mehr ist er in den Aufsichtsrat einer Gesellschaft zur Be- gen zu setzen. Der Sicherheitsrat hat dem am 28. April treibung einer Pipeline eingetreten, die die Gasversor- zugestimmt. Wir bleiben in der Spur der Unterstützung gung Deutschlands sicherstellt. Deswegen kann ich den der Arbeit des Sicherheitsrates und des Generalsekretärs, von Ihnen vermuteten Widerspruch hier nicht bestätigen. wenn wir auch diesen Beschluss unterstützen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Wir kommen zum Eine weitere Nachfrage, Kollege Addicks. (B) Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beant- (D) wortung der Fragen steht der Staatsminister Gernot Erler Dr. Karl Addicks (FDP): zur Verfügung. Sieht die Bundesregierung irgendeine Möglichkeit, Wir beginnen mit der Frage 12 des Kollegen Dr. Karl bis zu einer eventuellen Lösung des Konflikts – sie wird Addicks: möglicherweise in sehr weiter Ferne liegen – sich mit dem Schicksal der Flüchtlinge zu befassen, bis hin zu ei- Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Situation im Westsaharakonflikt, nachdem die UNO angekündigt hat, ner Rückkehr der Flüchtlinge, falls das von ihnen ge- die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien zukünftig wünscht wird? aufzugeben, und die Lösung des Konflikts durch direkte Ver- handlungen zwischen Marokko und der Polisario empfiehlt? Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Die Bundesregierung wird, wie ich schon gesagt Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: habe, ihre Bereitschaft aufrechterhalten, die so genann- Herr Kollege Addicks, die Bundesregierung unter- ten guten Dienste zu leisten. Sie wissen, dass zu Zeiten stützt weiterhin alle Bemühungen der Vereinten Natio- von Staatssekretär Chrobog die Freilassung der Polisa- nen, um auf Grundlage aller einschlägigen Resolutionen rio-Flüchtlinge möglich war. Wenn von den Konflikt- des UN-Sicherheitsrats zu einer friedlichen Lösung des partnern gewünscht wird, dass wir diese guten Dienste Westsaharakonflikts zu gelangen. Wie in der Vergangen- wieder anbieten, dann werden wir das sehr gerne tun. heit ist Deutschland bereit, so genannte gute Dienste zu leisten. Dies geschah schon 1996 bei der Rückführung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: der letzten Kriegsgefangenen aus Marokko oder bei der Freilassung von 101 marokkanischen Kriegsgefangenen Vielen Dank. – Wir kommen zur Frage 13 des Kolle- der Polisario im Jahr 2002. gen Wolfgang Gehrcke: Beteiligt sich Deutschland am UN-Aktionsplan 2006 für Die Bundesregierung hat die deutliche Unterstützung die Demokratische Republik Kongo – DRC Humanitarian für den Baker-Plan durch die einstimmig verabschiedete Action Plan/HAP – und welchen konkreten Beitrag leistet die UN-Sicherheitsratsresolution 1495 vom 31. Juli 2003 Bundesregierung? begrüßt. Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 29. Januar 2004 einstimmig einen interfraktionellen An- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: trag mit dem Titel „Eine politische Lösung für den West- Herr Kollege Gehrcke, die Vereinten Nationen und saharakonflikt voranbringen – Baker-Plan unterstützen“. die Europäische Kommission haben am 13. Februar Mit diesem Antrag wurde die Bundesregierung aufgefor- 2006 auf einer Geberkonferenz den Aktionsplan 2006 2854 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Staatsminister Gernot Erler (A) für die Demokratische Republik Kongo vorgestellt. Der nen und der öffentlichen Diskussion, auf die Umstände (C) Plan enthält mehr als 330 Projekte der humanitären So- hinzuweisen, die maßgebend dafür sind, dass es in der forthilfe und der Wiederaufbauhilfe, deren Umsetzung Demokratischen Republik Kongo so massive Unter- 681 Millionen Dollar kosten würde. schiede gibt, dass es im Land auf der einen Seite Armut und Not und auf der anderen Seite eine kleine Schicht Die Demokratische Republik Kongo wird auch in die- von sehr reichen Profiteuren der Bodenschätze gibt. Es sem Jahr neben Sudan ein Schwerpunktland der humani- ist Aufgabe einer gesellschaftlichen Diskussion, das tären Hilfe und der entwicklungsorientierten Not- und deutlich zu machen. der Übergangshilfe der Bundesregierung sein. Die Bei- träge des Auswärtigen Amts zur humanitären Hilfe für Im Augenblick ist die Aufgabe der Weltgemeinschaft die Demokratische Republik Kongo beliefen sich im aber vor allem, die Bedingungen zu verändern, die dazu Jahr 2005 auf circa 5 Millionen Euro, im Jahr 2006 bis- führen, dass die Bodenschätze in der Demokratischen her auf circa 1,8 Millionen Euro. 2005 wurde zudem aus Republik Kongo in solch unausgeglichener Weise ausge- Mitteln des BMZ entwicklungsorientierte Not- und beutet werden. Wie Sie sehr gut wissen, sind dabei häu- Übergangshilfe in Höhe von 6,93 Millionen Euro geleis- fig bewaffnete Kräfte im Land selbst oder aus den Nach- tet. 2006 werden es voraussichtlich über 7 Millionen barrepubliken im Spiel. Insofern gehört eine Lösung Euro sein. dieses Problems in einen Zusammenhang mit einem gu- ten Abschluss des Übergangsprozesses. Dazu wollen Mittel der humanitären Hilfe und der entwicklungs- jetzt die EU und damit auch Deutschland beitragen. orientierten Not- und Übergangshilfe werden nicht aus- schließlich für im Aktionsplan enthaltene Projekte, son- dern auch für andere geeignete Projekte zur Verfügung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gestellt, sodass Statistiken der Vereinten Nationen un- Zweite Nachfrage. sere Ausgaben nicht unbedingt vollständig wiedergeben. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Die von Deutschland im Rahmen der Entwicklungs- Herr Staatsminister, darf ich Ihre Antwort so interpre- zusammenarbeit getätigten Maßnahmen werden in den tieren, dass Sie es durchaus als eine Unterstützung für vom UN-Aktionsplan angesprochenen Sektoren, näm- lich Wasserver- und -entsorgung, Gesundheit und Zivil- die Politik der Bundesregierung sehen würden, wenn sich meine Fraktion, die Fraktion Die Linke, insbeson- gesellschaft, umgesetzt. Das sind unsere Schwerpunkte. dere dieses Anliegens, nämlich offen zu legen, welche Dies geschieht sowohl über staatliche Träger als auch über Nichtregierungsorganisationen. Sie tragen direkt zu Gewinne in einem der ärmsten Länder der Welt gemacht werden, annehmen würde? einer Verbesserung der humanitären Lage bei. In diesem (B) Bereich ist Deutschland auf Grundlage der Neuzusagen (D) 2005 ohne reprogrammierte Mittel der finanziellen Zu- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: sammenarbeit in Höhe von circa 65 Millionen Euro mit Herr Kollege Gehrcke, wir empfinden die meisten 24,35 Millionen Euro im Augenblick der viertgrößte Ge- Aktivitäten Ihrer Fraktion als eine Unterstützung der ber. Bundesregierung, (Heiterkeit bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke. aber wir müssten sie auch dann akzeptieren, wenn das in einem Einzelfall einmal anders wäre. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Staatsminister, wir hatten heute schon das Ver- Damit kommen wir zur Frage 14 des Kollegen gnügen im Auswärtigen Ausschuss. Ich finde es sehr be- Gehrcke: eindruckend, was Deutschland selbst, aber auch Partner von uns in diesem armen, geschundenen Land Demokra- Wie viele zivile Wahlbeobachter werden von Deutschland und der EU zum ersten und zweiten – voraussichtlich Ende tische Republik Kongo leisten. Ich glaube, dass wir eine Juli 2006 – Wahlgang in die Demokratische Republik Kongo gewisse moralische Verpflichtung dazu haben. entsandt? Meinen Sie nicht auch, dass es angemessen wäre, um diese moralische Verpflichtung zu erfüllen, einmal öf- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: fentlich zu machen, welche Gewinne große internatio- Herr Kollege Gehrcke, Deutschland führt bilateral nale Konzerne in der Demokratischen Republik Kongo keine Wahlbeobachtungen durch, sondern beteiligt sich machen? Die großen Firmen, die dort Naturressourcen an Wahlbeobachtermissionen der EU. Für die Organisa- ausbeuten, sind zumeist in belgischem, amerikanischem tion der EU-Wahlbeobachtung ist die EU-Kommission oder anderem Besitz. Wenn man diese Zahlen öffentlich zuständig, die Zusammensetzung, Einsatzplan und machte, würde man, glaube ich, den Druck, mehr Hilfe Größe der Wahlbeobachtermissionen festlegt. zu leisten, noch erhöhen können. Die konkrete Anforderung der EU-Kommission liegt erst seit dem 8. Mai 2006 vor, ist also vor zwei Tagen er- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: gangen. Danach ist geplant, für beide Wahlgänge jeweils Herr Kollege Gehrcke, es ist selbstverständlich Auf- 140 Wahlbeobachter der EU zu entsenden. Das Zentrum gabe der Gesellschaft, der Nichtregierungsorganisatio- für Internationale Friedenseinsätze, abgekürzt ZIF, wird Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2855

Staatsminister Gernot Erler (A) nun Wahlbeobachter und Reservekandidaten aus große Mühe geben, dass eine wirklich verlässliche Wahl- (C) Deutschland nominieren. Die endgültige Auswahl trifft beobachtung stattfindet. Denn diese – da gebe ich Ihnen dann die EU-Kommission. Hinzu kommen voraussicht- Recht – hat eine wichtige Funktion für den Gesamterfolg lich sieben Wahlbeobachter aus dem Europäischen Par- der Wahlen. lament, das hierüber wahrscheinlich Mitte Juni entschei- den wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Nachfrage, bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Staatsminister, wenn ich die Logik Ihrer Antwort Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): akzeptiere, müsste ich dann nicht die gleiche Logik auf den militärischen Teil anwenden? Das würde bedeuten, Herr Staatsminister, man sagt ja manchmal, man ver- dass man die Entscheidung, ob man Militär zur Stabili- stehe etwas nicht, obwohl man es versteht, nur um mehr sierung eines Wahlprozesses entsendet oder nicht, erst Auskunft zu erhalten; aber ich verstehe eines in diesem dann seriös treffen kann, wenn man den Wahltermin Fall wirklich nicht. Seit Wochen und Monaten wird über kennt. Warum gilt das, was für die zivilen Wahlbeobach- die Bedingungen eines militärischen Einsatzes im ter gilt, nicht auch für den militärischen Teil? Kongo diskutiert, auch in der Öffentlichkeit. Das Thema ist streitig; darauf werden wir zurückkommen. Mir geht es nicht in den Kopf, dass die EU-Kommission sich erst Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: seit 14 Tagen mit der Problematik der Entsendung von Diese Logik wenden wir hier in der Bundesrepublik Wahlbeobachtern befasst; denn die Bewertung des Wahl- an. Wie Sie wissen, gestaltet sich der Fahrplan folgen- ergebnisses im Hinblick darauf, ob die Wahlen demokra- dermaßen: Am 17. Mai wird das Bundeskabinett auf der tisch, fair und korrekt abgelaufen sind, wird ganz erheb- Basis der genauen Kenntnis der Vorgänge im Kongo eine lichen Einfluss darauf haben, ob die Situation stabilisiert Entscheidung über die Beteiligung an der EUFOR-RD- werden kann oder nicht. Worauf führen Sie diese unter- CONGO-Mission, wie die EU-Mission jetzt heißen schiedlichen Zeiträume – seit Wochen Diskussionen wird, treffen. Der Bundestag wird sich am 19. Mai zum über einen Einsatz von Militär, aber erst seit 14 Tagen ersten Mal damit beschäftigen, dann die Ausschüsse. Die bezüglich der Entsendung von Wahlbeobachtern – zu- zweite und dritte Lesung sind am 1. Juni vorgesehen. rück? Aus diesem Zeitrahmen ersehen Sie, dass wir unsere konkrete Entscheidung in der Tat erst im Lichte der (B) Kenntnis des tatsächlichen Wahlprozesses fällen. Inso- (D) Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: fern wird die Logik auf beide Bereiche angewandt. Herr Kollege Gehrcke, zur Entlastung der EU-Kom- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Schönen mission muss ich darauf hinweisen, dass man Wahlbe- Dank!) obachter konkret erst anfordern kann, wenn man weiß, dass Wahlen stattfinden, wann sie stattfinden und wie lange dieser Prozess dauern wird. Der Vorsitzende der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: unabhängigen Wahlkommission des Kongo, der Abbé Die Fragen 15 und 16 der Kollegin Marieluise Beck Malumalu, hat erst am 30. April einen endgültigen sollen schriftlich beantwortet werden. Das Gleiche gilt Wahltermin bekannt geben können. Wie Sie wissen, für die Fragen 17 und 18 von Paul Schäfer. wird das der 30. Juli sein. Insofern besteht im Augen- Vielen Dank, Herr Staatsminister. blick kein Druck, sondern wir haben eine genügende Vorbereitungszeit, um eine ausreichende Zahl von Wahl- Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- beobachtern zu mobilisieren. desministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Ver- Vielleicht sollte ich hier noch anfügen, dass ich ord- fügung. nungsgemäß nur Ihre Frage nach den EU-Wahlbeobach- tern beantworten konnte. Aber es gibt – darüber haben Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Wolfgang wir heute auch im Ausschuss gesprochen – durchaus Wieland und die Frage 21 des Kollegen Hans-Christian Pläne, weitere Wahlbeobachter zu entsenden, zum Bei- Ströbele sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden. spiel von der AU, der Afrikanischen Union, der SADC, Wir kommen zur Frage 22 der Kollegin Veronika der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft, und Bellmann: von internationalen NGOs, die sich mit Wahlbeobach- tung beschäftigen. Mit Blick darauf, dass auch aus dem Welche Erkenntnisse haben die Verfassungsschutzbehör- den über die beiden Organisationen „Initiativgemeinschaft Lande selbst so genannte Zeugen, also interne Wahlbe- zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger be- obachter, in einer größeren Zahl angekündigt sind, hof- waffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“, ISOR, fen wir, dass die Zahl von ungefähr 1 000 Wahlbeobach- und „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstüt- tern reichen wird. Das ist angesichts dessen, dass wir es zung“, GRH, und ist bekannt, welche Politiker – aktuelle und wahrscheinlich mit 53 000 Wahlbüros zu tun haben wer- ehemalige Bundes- und Landtagsabgeordnete, Bundes- und Landesminister bzw. Staatssekretäre – schon vor einer der bei- den, immer noch eher die Untergrenze. Aber auf jeden den Organisationen Vorträge hielten bzw. an deren Veranstal- Fall werden wir uns in der EU und auch in Deutschland tungen teilnahmen? 2856 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister (C) nister des Innern: der Finanzen: Frau Kollegin Bellmann, ich beantworte Ihre Frage Frau Kollegin, im Zuge der Verhandlungen zur finan- wie folgt: Es ist eine gesetzliche Aufgabe des Verfas- ziellen Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 hat sich sungsschutzes, Personen und Organisationen zu beob- der Europäische Rat im Dezember 2005 auch über die achten, bei denen tatsächlich Anhaltspunkte für verfas- Grundzüge der EU-Finanzierung bis zum Jahre 2013 ge- sungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Allerdings ist einigt. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission, in es nach einer langen und gefestigten Tradition auch so, diesem Rahmen die Einführung einer steuerbasierten dass die Bundesregierung über die im jährlichen Verfas- Einnahmequelle, also einer EU-Steuer, ab 2014 zu ver- sungsschutzbericht bereits ohnehin enthaltenen Aussa- ankern, ist dabei bereits im Vorfeld von der weit über- gen hinaus keine öffentlichen Angaben über Beobach- wiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten einschließlich tungsobjekte des Bundesamtes für Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt worden. macht. Insofern bedaure ich, Ihnen keine weiteren Aus- Dies spiegelt sich auch im derzeit durch den Rat berate- künfte geben zu können. nen, überarbeiteten Entwurf der Kommission für einen neuen Eigenmittelbeschluss wider, der keinen Hinweis auf eine EU-Steuer mehr enthält. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? – Bitte. Für die 2008/2009 vorgesehene Überprüfung der fi- nanziellen Vorausschau liegt noch kein Vorschlag der Kommission vor. Insofern kann die Bundesregierung Veronika Bellmann (CDU/CSU): hierzu noch nicht Stellung nehmen. Ich habe eine Nachfrage. Es ist bekannt, dass ehema- lige Stasi-Mitarbeiter oder dem DDR-Regime sehr nahe Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: stehende Personen, die sich organisiert haben, von „poli- Nachfrage? tischer Willkür“ und von „Siegerjustiz“ sprechen, die sie bekämpfen wollen. Diese Personen werten in alter Ma- nier Zeitungen und Internetinhalte aus. Nach Besuchen Veronika Bellmann (CDU/CSU): von Schulklassen in der Gedenkstätte Hohenschönhau- Herr Kollege Diller, teilen Sie die Auffassung, dass sen versenden sie sogar Briefe an die Schulleiter, in de- bei einer zukünftigen Finanzierung der EU die Beiträge nen sie beispielsweise von dem „Gruselkabinett des der Nationalstaaten an das Bruttonationaleinkommen ge- Herrn Dr. Knabe“ sprechen. Das kann man nur als Ge- koppelt werden sollten? schichtsklitterung bezeichnen. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass eine solche Praxis auch bei Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister (B) Besuchen von Schulklassen in anderen Gedenkstätten der Finanzen: (D) stattgefunden hat? Frau Kollegin, das Bruttoinlandsprodukt spielt heute schon eine ausgleichende Rolle. Die EU finanziert sich Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- ja aus verschiedenen Quellen. Eine Aussteuerung findet nister des Innern: über diesen Bereich statt. Ich kann nur wiederholen, dass im Hinblick auf die Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes an die- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ser Stelle leider keine Aussagen möglich sind. Im Übri- Eine weitere Nachfrage? – Bitte. gen sind die von Ihnen angesprochenen Fragen Gegen- stand der politischen Auseinandersetzung und müssen Veronika Bellmann (CDU/CSU): daher auf dem politischen Feld bearbeitet werden. Das war nicht ganz die Antwort auf meine Frage. Denn Bruttoinlandsprodukt und Bruttonationaleinkom- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: men sind nicht dasselbe. Es gibt keine Nachfrage mehr. Danke schön, Herr Ich möchte noch eine weitere Nachfrage stellen. Ist Staatssekretär. die Befürchtung berechtigt, dass im Falle eigener Steuer- Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- einnahmen der EU, die zu einer Kreditbefähigung bei ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Immobiliengeschäften führten, die EU möglicherweise Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfü- zu Schuldengeschäften neigen könnte? gung. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Wir kommen zur Frage 23 der Kollegin Veronika der Finanzen: Bellmann: Frau Kollegin, ich glaube, eine der weisesten Ent- Wie steht die Bundesregierung dem Vorschlag des Präsi- scheidungen war, dass die EU nicht das Recht hat, Kre- denten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, gegen- dite aufzunehmen, um den EU-Haushalt zu finanzieren. über, zur künftigen Finanzierung der Aufgaben der Europäi- Dabei sollte es bleiben. schen Union eine so genannte EU-Steuer einzuführen, und wie schätzt die Bundesregierung das entsprechende Mei- Im Übrigen gibt es mit Ausnahme von drei Mitglied- nungsbild der Regierungen in den anderen Mitgliedstaaten staaten überhaupt keine Neigung, über das Thema einer ein? EU-Steuer zur Finanzierung des Haushaltes nachzuden- Bitte schön, Herr Staatssekretär. ken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2857

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform stehen (C) Vielen Dank. – Die Fragen 24 und 25 der Kollegin noch nicht fest. Deshalb kann noch nicht im Einzelnen Dr. Gesine Lötzsch sollen schriftlich beantwortet wer- über Be- und Entlastungswirkungen Auskunft erteilt den. werden. Wir werden bei der Unternehmensteuerreform auch die Belange des Mittelstandes in der Steuerpolitik Dann kommen wir zur Frage 26 der Kollegin im Blick behalten. Unser Blick richtet sich aber nicht nur Christine Scheel: auf die jetzt anstehende Unternehmensteuerreform. Viel- Mit welchen Argumenten begründet die Bundesregierung, mehr betrachten wir, bezogen auf den Mittelstand, das dass es für die Bürgerinnen und Bürger durch die Mehrwert- Gesamtbild. Dazu gehört zum Beispiel auch das jetzt steuererhöhung und die Kürzung des Sparerfreibetrages und eingeleitete Verfahren zur Schaffung eines Mittelstands- der Pendlerpauschale zu massiven Steuermehrbelastungen entlastungsgesetzes mit vielfältigen Maßnahmen zur Re- kommen wird, während nach Presseberichten für Kapitalge- duzierung der bürokratischen Belastung insbesondere sellschaften jetzt Steuerentlastungen in Milliardenhöhe von kleiner und mittlerer Unternehmen. der Bundesregierung geplant sind, und mit welchen Argumen- ten begründet die Bundesregierung, dass sie für die kleinen Einzelunternehmen wie zum Beispiel Handwerksbetriebe kei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nerlei Steuerentlastungen plant? Nachfrage, Kollegin Scheel?

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Finanzen: Herr Staatssekretär Diller, Sie haben jetzt mit sehr Frau Kollegin Scheel, damit unsere Kinder und En- schönen, blumigen Worten beschrieben, wie die Verant- kelkinder auch in Zukunft Politik gestalten können und wortung gegenüber kommenden Generationen zu sehen überhaupt Haushaltsspielräume haben, muss die heutige ist und dass wir Steuereinnahmen brauchen, um die not- Generation ihren Beitrag zur Konsolidierung der Haus- wendige Infrastruktur und all die Dinge, die wir als halte von Bund, Ländern und Gemeinden leisten. Der wichtig erachten, finanzieren zu können. Aber wie erklä- Bundesregierung geht es dabei darum, die finanzielle ren Sie denn der Bevölkerung, dass auf der einen Seite Handlungsfähigkeit des Bundes und der öffentlichen ab dem 1. Januar 2007 die Mehrwertsteuer und die Ver- Haushalte insgesamt mit miteinander abgestimmten sicherungsteuer um drei Prozentpunkte sowie der Ben- wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen, zinpreis um 6 Cent pro Liter erhöht werden sollen, der einer entschlossenen Konsolidierung des Bundeshaus- Sparerfreibetrag halbiert und die Pendlerpauschale ge- haltes sowie strukturellen Reformen zu sichern. senkt werden soll, indem die ersten 20 Kilometer steuer- lich nicht mehr absetzbar sind, und verschiedene andere Die Erhöhung der Mehrwertsteuer verbessert die Ein- Maßnahmen durchgeführt werden sollen, während auf (B) nahmesituation der öffentlichen Haushalte und ist daher der anderen Seite die Unternehmen im Folgejahr, wenn (D) ein unverzichtbarer Baustein. die Unternehmensteuerreform durchgeführt wird, erst einmal um bis zu 10 Milliarden Euro entlastet werden Mit der anstehenden Unternehmensteuerreform soll und dies vorwiegend die großen Konzerne sein werden? die Position Deutschlands im internationalen Standort- wettbewerb verbessert und sollen Investitionen ausländi- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister scher Unternehmer in Deutschland angeregt werden. Die der Finanzen: Bedingungen unserer Unternehmen sollen so beschaffen Frau Kollegin Scheel, ich kann Ihre Verknüpfung sein, dass der Druck zur Steuergestaltung oder zur Ab- nicht nachvollziehen. Denn gegenwärtig steht überhaupt wanderung ins Ausland sinkt und damit die Grundlagen noch nicht fest, zu welcher Entlastung die Unternehmen- für mehr Beschäftigung und Wachstum im Inland ge- steuerreform führen wird. Wie Sie selber wissen, ent- schaffen werden. steht bei einer Unternehmensteuerreform natürlich zu- nächst einmal der Effekt, dass, auch wenn man sie durch Aus Sicht der Bundesregierung ist dabei eine spür- die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfinan- bare Senkung der nominalen Steuerbelastung von Kapi- ziert, die Folgen der Reform im ersten und zweiten Jahr talgesellschaften, also Aktiengesellschaften und GmbHs, unterschiedlich ausfallen: Zunächst einmal tritt in jedem erforderlich. Denn dies hat eine wichtige Signalfunktion Falle eine Entlastung ein; später dann erfolgt eine Re- für internationale Investoren, die auf den nominalen finanzierung dieser Entlastung. In welchen Milliarden- Steuersatz schauen. Die nominale Steuerbelastung im größen sich das bewegt, lässt sich – im Gegensatz zu Ih- Hinblick auf einbehaltene Gewinne einer Kapitalgesell- rer Behauptung von bis zu 10 Milliarden Euro – erst schaft liegt aber in Deutschland im Rahmen der Körper- dann definieren, wenn die Konzeption steht. schaftsteuer und der Gewerbesteuer je nach örtlichem Hebesatz bei etwa 39 Prozent, wie Sie wissen. Internati- Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass sich onale Vergleiche der Steuerbelastung zeigen, dass dieser der Haushaltsausschuss in einer ganztägigen Anhörung Wert hoch ist. Hier besteht Handlungsbedarf zur Verbes- in der letzten Woche intensiv mit der Frage befasst hat, serung der Standortbedingungen. Ich denke, darüber wie wir es schaffen, die Konsolidierung der Haushalte in brauchen wir nicht streitig zu diskutieren; da sind wir den Griff zu bekommen. Der Präsident des Bundesrech- vielmehr einer Meinung. Hier muss gehandelt werden. nungshofes hat ganz eindeutig gesagt: Wir sind darauf Dabei ist natürlich auch die Haushaltsverträglichkeit zu angewiesen, zu einer schnell wirkenden Maßnahme zu beachten. Deswegen ist unsere Philosophie: runter mit greifen. Als schnell wirkende Maßnahme steht uns im den nominalen Steuersätzen bei gleichzeitiger Verbreite- Prinzip nur eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der rung der Bemessungsgrundlage. Versicherungsteuer zur Verfügung. 2858 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) Auch die Streichung bestimmter Subventionen, die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) wir in der Vergangenheit gemeinsam betrieben haben Dann haben wir noch eine Frage der Kollegin – Stichwort: Kampf um die Streichung der Eigenheim- Dr. Barbara Höll. zulage –, dient der Einnahmeverbesserung. Aber die Ei- genheimzulage ist eine achtjährige Subvention. Die Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): volle Wirkung der Streichung der Eigenheimzulage tritt Herr Staatssekretär, ich habe eigentlich zwei Fragen. nicht im ersten Jahr ein – da ist es nur ein ganz beschei- Sie haben betont, dass bei der geplanten Mehrwertsteuer- dener Betrag, wie Sie selber wissen –, sondern erst nach erhöhung einer der drei Prozentpunkte zur Gegenfinan- dem achten Jahr. Das ist bei vielen Subventionen der zierung der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbei- Fall: Die Wirkung auch sinnvoller Streichungen setzt träge dienen soll. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie die erst mit Verzögerung ein. Mehrwertsteuererhöhung, die Sie jetzt durchdrücken, Deswegen sagt der Präsident des Bundesrechnungs- demnächst wieder zurücknehmen. Heißt das also, dass hofes, dass eine direkte Sanierung der Haushalte nur dieser Bundeszuschuss zur Bundesagentur für Arbeit aus über die angestrebte Erhöhung der Mehrwertsteuer geht. Steuermitteln dauerhaft sein wird? Wie verträgt sich das Dabei wird der dritte Prozentpunkt der Mehrwertsteuer- mit Ihrer Ankündigung, den Zuschuss für die Bundes- erhöhung ja in Form einer Senkung der Arbeitslosenver- agentur auf null zu senken? sicherungsbeiträge von gegenwärtig 6,5 Prozent auf Nach Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Scheel 4,5 Prozent in der Zukunft zurückgegeben. interessiert mich, ob Ihnen zur „strukturellen und nach- haltigen Einnahmeverbesserung“ des Bundeshaushalts Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: – so hat es der Herr Minister Steinbrück in der aktuellen Eine weitere Nachfrage, Frau Scheel. Ausgabe des „Spiegel“ formuliert – noch etwas anderes einfällt, als die Menschen, die in der Bundesrepublik Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland ohnehin wenig Einkommen haben, durch Herr Staatssekretär Diller, es ist sehr ehrenwert, dass eine Mehrwertsteuererhöhung stärker zu belasten – da Sie darauf hingewiesen haben, dass bereits die rot-grüne greifen Sie richtig zu –, während auf der anderen Seite Regierung massiv am Subventionsabbau gearbeitet hat. diejenigen, die viel haben, kaum zusätzlich belastet wer- Darauf sind wir auch stolz; damals haben wir gemein- den. Sie werden lediglich durch die diskriminierende sam viel auf den Weg gebracht. Nach der Auflösung der Bezeichnung Reichensteuer belastet. Diese Bezeichnung Blockade im Bundesrat ging es mit der Streichung der ist in der Tat diskriminierend. Wenn wir sie aufgebracht Eigenheimzulage ein Stück weiter. hätten, hätten Sie laut aufgeschrieen. Das aber nur ne- benbei. Die Reichensteuer ist eine reine Symbolsteuer. (B) Sie haben in diesem Kontext bereits verschiedene Könnte es sein, dass Ihnen in Zukunft noch etwas ein- (D) Maßnahmen, die einnahmeseitig zu verbuchen sind, im fällt, was eine tatsächliche Umverteilung von oben nach Kabinett beschlossen. Dazu gehören die Einnahmen, die unten bewirken würde? durch die Reichensteuer kommen sollen. Dieses Placebo Reichensteuer – so nenne ich es einmal – soll – das Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister wurde heute von Herrn Minister Steinbrück bestätigt – der Finanzen: Mehreinnahmen in Höhe von 127 Millionen Euro brin- Frau Kollegin, von den 3 Prozentpunkten Umsatz- gen, wohlgemerkt für Bund, Länder und Gemeinden ins- steuererhöhung geht – das habe ich bereits geschildert – gesamt. Für den Bund werden es vielleicht 70 Millionen 1 Prozentpunkt zugunsten des Bundeshaushaltes, 1 Pro- Euro sein. Kollegen Ihrer Fraktion, aber auch der CDU/ zentpunkt zugunsten der Länderhaushalte – über den CSU-Fraktion sagen, diese Einnahmen wüchsen bis zum Finanzverbund kommt er auch den kommunalen Haus- übernächsten Jahr auf 1,3 Milliarden Euro an. Das ist halten zugute – und 1 Prozentpunkt wird aus dem Bun- eine wunderbare Geldvermehrung. Sie haben ja die Un- deshaushalt, wo er zunächst einmal als Einnahme ver- ternehmen und auch die Selbstständigen ausgenommen; bucht wird, an die Bundesagentur für Arbeit überwiesen. betroffen sind sozusagen nur noch abhängig beschäftigte Dieser Prozentpunkt soll zur Finanzierung der Absen- Manager, die aber ihr Einkommen wahrscheinlich an- kung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von ders als bislang anlegen werden. Ich bezweifle also, dass 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent dienen. Ein Prozentpunkt der es überhaupt zu diesen 127 Millionen Euro Einnahmen Absenkung wird durch die Erhöhung der Mehrwert- kommen wird. Ich glaube nämlich, dass gar nichts he- steuer abgedeckt und ein Prozentpunkt wird durch Effi- reinkommen wird. zienzgewinne innerhalb der Bundesagentur dargestellt. Die Frage ist: Wie kommen Sie auf diese 1,3 Milliar- Deswegen ist kein weiterer Transfer von Geldern aus den Euro? Soll dann die gewerbliche Wirtschaft doch dem Bundeshaushalt an den Haushalt der Bundesagentur wieder mit ins Boot? notwendig. Zum Begriff Reichensteuer. Der Begriff stammt aus Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Presse. Für Presseerfindungen können wir, auch die der Finanzen: SPD-Fraktion oder die SPD nichts. Wir finden diese Frau Abgeordnete, das ist der künftigen Beratung vor- Steuer richtig. Sie hat Eingang in die Koalitionsverein- behalten. Jedenfalls sieht der Gesetzentwurf vor, dass im barung gefunden. Das Kernproblem ist, dass die Unter- Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform eine nehmensteuer der Personengesellschaften und Einzelun- Entlastung auf andere Weise erfolgt. ternehmer die Einkommensteuer ist. Wenn man bei den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2859

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) hohen und sehr hohen Einkommen – 250 000 Euro bei und die Körperschaften andererseits steuerlich gleichzu- (C) Ledigen und 500 000 Euro bei Verheirateten – den vol- stellen, langsam aber sicher aus dem Blick verliert? len Ertrag umsetzt, kommt man in eine Größenordnung Denn wenn man dann noch berücksichtigt – das ha- von 1,3 Milliarden Euro. Darauf hat die Kollegin Scheel ben Sie als weiteren Punkt angesprochen –, dass bei der vorhin hingewiesen. Wenn Sie sich die Zahlen aber ge- Unternehmensteuerreform die Entlastung nicht in einer nau anschauen, stellen Sie fest, dass die Zahlungen in Größenordnung von 10 Milliarden Euro, sondern mögli- hohem Umfang von Einzelunternehmern und Personen- cherweise deutlich darunter liegen wird, dann ist das gesellschaften geleistet werden. Eine höhere Steuer in Ziel praktisch nicht mehr zu erreichen, weil ansonsten diesem Bereich hätte wirtschaftliche Folgen für die Be- die vielen kleinen und mittleren Betriebe im Zuge der triebe. Vor diesem Hintergrund kommt man zu dem Unternehmensteuerreform mehr zahlen müssten. Zurzeit Schluss, diese Betriebe von der Steuer ausnehmen zu beißen sich da einige Katzen in den Schwanz. Ich stelle müssen, damit keine negativen Folgen für die Schaffung mir die Frage: Inwieweit ist denn im Zuge der Einfüh- neuer Arbeitsplätze in diesen Unternehmen entstehen. rung der Reichensteuer darüber nachgedacht worden, ob So kam es zu dieser Ausnahmeregelung. es nicht sinnvoller wäre, diese erst dann auf die Tages- Im Rahmen dieser Überlegungen zur Ausnahmerege- ordnung zu setzen, wenn man weiß, welche Struktur die lung wurden auch andere Gewinneinkünfte betrachtet. Unternehmensteuerreform haben wird? Geht man nicht Deswegen musste die Regelung auf andere Gewinnein- so vor, nimmt man erstens nichts ein – Stichwort Sekt- künfte ausgedehnt werden. Daher kalkulieren wir gegen- steuer – und erzeugt zweitens eine Reihe von Problemen wärtig mit circa 130 Millionen Euro. gerade bei den Unternehmen, die keine Spitzeneinkünfte haben, weil deren Steuerbelastung steigen wird. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: 127!) Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Bezüglich Ihrer Frage, wann es eine Umverteilung der Finanzen: von oben nach unten gibt, verweise ich auf die unter- Die Unternehmen, die keine Spitzensteuerbelastung schiedlichen Instrumente: Im Wesentlichen sind das die haben, werden auch nicht durch die Reichensteuer, wie Vermögen- und die Erbschaftsteuer. Zur Erbschaftsteuer auch immer sie gestaltet ist, belastet. Ich sage noch ein- erwarten wir eine Gerichtsentscheidung. Alle politischen mal: Bei der Größenordnung, die hier in Rede steht, sind Kräfte sind sich darüber einig, dass erst einmal abgewar- nur relativ wenige, einige Zehntausend, von der Steuer- tet werden soll, was das höchste Gericht bezüglich der erhebung betroffen. Erbschaftsteuer entscheidet, und dass daraus gegebenen- Im Übrigen gilt Folgendes. Mein Minister hat gesagt: falls gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen sind. (B) Wir gehen jetzt zwei Monate in Klausur – das hat er An- (D) In den vorherigen Wahlperioden gab es immer das fang April verkündet – und wollen darüber nachdenken, Angebot der damaligen Mehrheiten an die Länder: Wenn beraten, prüfen und entscheiden. Deswegen denke ich, ihr wieder eine verfassungsfeste Form der Vermögen- dass Sie sich einmal überraschen lassen sollten, was wir steuer haben möchtet, dann signalisiert uns das und dann dann Ende Mai oder Anfang Juni der Öffentlichkeit vor- führen wir diese ein. Denn beide von mir jetzt genannten stellen. Steuerquellen, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer, sind Steuern, bei denen der Bund zwar die Gesetzgebung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mitzugestalten hat, deren Ertrag aber ausschließlich den Wir kommen zur Frage der Kollegin Margareta Wolf. Ländern zugute kommt. Die Ländermehrheit hat gesagt, dass sie keine neue Vermögensteuer will, und es gilt das Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Wort der Ländermehrheit. GRÜNEN): Herr Staatssekretär Diller, in einem Punkt wollen wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: uns aber, glaube ich, nicht überraschen lassen. Die Bun- Wir kommen zu einer Frage des Kollegen Matthias deskanzlerin hat bereits angekündigt, dass die Bundes- Berninger. regierung bzw. die große Koalition die Gewerbesteuer streichen wird. Mich würde interessieren, wie Ihr Haus, das ja dafür zuständig ist, die Kompensation für die Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kommunen ausgestalten will. NEN): Herr Staatssekretär Diller, wenn ich Ihnen so zuhöre, Zweitens habe ich der Presse mit Interesse entnom- dann stelle ich mir eine ganze Reihe von Fragen. Zum men, dass Sie über die Einführung einer Abgeltung- einen haben Sie jetzt bestätigt, dass Sie mit der so ge- steuer zum 1. Januar 2008 nachdenken. Angesichts der nannten Reichensteuer nicht viel mehr einnehmen wol- Finanzsituation des Bundes drängt sich die Frage auf: len, als Sie schon mit der Sektsteuer einnehmen. Sie ha- Warum zum 1. Januar 2008? ben auf die Frage der Kollegin Scheel, ob es bei den 127 Millionen Euro bleiben wird oder man doch in den Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Milliardenbereich kommen wird, geantwortet, das sei der Finanzen: noch offen. Gehe ich recht in der Annahme, dass die Der Koalitionsvertrag sieht eine hebesatz- und wirt- Bundesregierung das ursprüngliche Ziel der Unterneh- schaftskraftorientierte Steuereinnahme der Kommunen mensteuerreform, die Personengesellschaften einerseits von ihren gewerblichen Betrieben vor. Dabei bleibt es. 2860 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) Welche Ausgestaltung die Gewerbesteuer im Rahmen Ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Vorziehen der (C) der Unternehmensteuerreform künftig haben wird, ist Unternehmensteuerreform auf 2007 machbar und wäre damit die Befreiung der gewerblichen Wirtschaft von der so genann- ebenfalls Gegenstand der Beratungen. Sie wissen ja, ten Reichensteuer verfassungskonform umsetzbar? dass ein bestimmtes Forum einen Vorschlag unterbreitet hat, der eine totale Umgestaltung in Richtung einer Vier- Säulen-Steuer vorsieht, wobei nach Vorstellung dieses Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Forums wieder eine Lohnsummensteuer und anderes der Finanzen: mehr als Alternative zur Gewerbesteuer eingeführt wer- Frau Kollegin Scheel, über den Inhalt Ihrer Frage den sollen. Selbst der designierte rheinland-pfälzische haben wir bereits ansatzweise diskutiert. In der Koali- Finanzminister wirbt für ein solches Vorgehen. Auch er tionsvereinbarung ist vorgesehen, die Unternehmensteu- will weg von der Gewerbesteuer. Es gibt also verschie- erreform zum 1. Januar 2008 umzusetzen. Diese Verein- dene Überlegungen in diese Richtung. Aber wir sind barung gilt. noch nicht weit genug, um schon jetzt andeuten zu kön- nen, welcher Vorschlag letztlich in den Deutschen Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: destag eingebracht wird. Deswegen bitte ich Sie um et- Nachfrage? was mehr Geduld. Nun zum zweiten Stichwort, das Sie angesprochen Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben: der Abgeltungsteuer. Hier gilt das Gleiche: Die Ja. – Sie stehen vor großen Problemen, insbesondere Abgeltungsteuer ist eine der Überlegungen, die erörtert was die zeitliche Abfolge hinsichtlich der Einführung werden. Beschlüsse sind aber noch nicht gefasst. der Reichensteuer betrifft. Sie wollen die Unternehmen- steuerreform erst zum 1. Januar 2008 umsetzen, brau- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen sie aber, um die Reichensteuer verfassungskonform Dann kommen wir zur letzten Frage des Kollegen hinzutricksen. Darüber hinaus sind noch eine ganze Volker Schneider. Reihe steuerlicher Maßnahmen zu beachten, über die wir bereits gesprochen haben. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): In diesem Zusammenhang treibt mich folgende Frage Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Probleme um: Geht es Ihnen lediglich darum, zur Verbesserung der angesprochen, die bei einer Umverteilung von oben nach Haushaltssituation die Steuereinnahmen, die die Länder unten auftauchen. Meine Frage lautet: Warum gehen Sie – Sie natürlich auch – schon eingebucht haben, zu erzie- nicht den einfachsten Weg, den Spitzensteuersatz wieder len? Sollte es nicht vielmehr darum gehen, Steuerpolitik auf 45 Prozent anzuheben? Das würde nach meinen In- im Hinblick auf eine positive Beschäftigungswirkung zu (B) (D) formationen sofort 3,3 Milliarden Euro einbringen. betreiben? Eine solche Wirkung kann ich allerdings nicht erken- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister nen. Auf der einen Seite wird es ermöglicht, Handwer- der Finanzen: kerrechnungen steuerlich abzusetzen, auf der anderen Das ist ein völlig anderes Thema. Wenn man den Seite werden dieselben Handwerkerrechnungen durch Spitzensteuersatz anhebt – und zwar für alle und nicht die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent erhöht. Das erst ab einem Einkommen von, wie wir vorschlagen, wird nach Informationen aus Wirtschaftskreisen und mehr als 250 000 Euro im Jahr für Ledige und mehr als nach den Aussagen der Wirtschaftsforschungsinstitute 500 000 Euro pro Jahr für Verheiratete –, dann hat das zu einer Zunahme der Schwarzarbeit führen. Sind Sie natürlich Folgewirkungen auf den gesamten Tarifver- nicht auch der Meinung, dass man alles tun muss, um lauf, von denen auch andere Schichten betroffen sind. Schwarzarbeit zu bekämpfen, und dass solche Maßnah- Insofern handelt es sich hierbei um eine Rückbesin- men deswegen kontraproduktiv sind? nung auf die Konzeption einer Steuerreform, die die frü- here Koalition dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister hatte. In dieser Konzeption war vorgesehen, den Spit- der Finanzen: zensteuersatz von 53,9 Prozent – in dieser Höhe haben Frau Kollegin, zunächst einmal möchte ich Ihre Ein- wir ihn im Jahre 1998 vorgefunden – auf 45 Prozent zu gangsbemerkung – Sie haben von „tricksen“ gesprochen – senken. Dagegen hat es im Bundesrat Widerstand gege- entschieden zurückweisen. ben. Daraufhin wurde ein Vermittlungsverfahren durch- geführt. Auf Vorschlag der rheinland-pfälzischen Lan- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desregierung ist dann der Kompromiss zustande NEN]: Mit Abscheu und Empörung, ich weiß! gekommen, den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent zu sen- Ich nehme das zur Kenntnis! Aber ich bleibe ken. Daran halten wir fest, weil es bei den Bundesrats- dabei!) mehrheiten keine Veränderungen gegeben hat. Wir sind der Überzeugung, dass wir mit dem jetzigen Gesetzentwurf in der Lage sind, dem Deutschen Bundes- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: tag eine verfassungskonforme Regelung vorzuschlagen. Vielen Dank. Bezüglich der Bekämpfung der Schwarzarbeit ist zu Wir kommen dann zur Frage 27 der Kollegin sagen: Sicherlich ist es ein Problem, wenn der Handwer- Christine Scheel: ker auf seine Kalkulation nicht mehr 16 Prozent, sondern Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2861

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) 19 Prozent aufschlagen muss; das ist ein Happen. Die hohe Gewinne ausweisen. Die geltende Festlegung für (C) Exportwirtschaft ist von der Mehrwertsteuererhöhung die Rückstellungen stammt noch aus der Zeit, bevor der nicht betroffen; deshalb brauchen wir uns um den Export Atomausstieg beschlossen war. Das ist überhaupt noch keine Gedanken zu machen. Es bleibt die Frage, in wel- nicht angepasst worden. Allein durch diese beiden Maß- chem Umfang die Erhöhung der Mehrwertsteuer über nahmen könnten wir Mehreinnahmen von 6 Milliarden die Preise an den Kunden weitergegeben werden kann Euro erzielen. Warum hat man nicht den Mut, hier An- und in welchem Umfang der Betrieb sie selbst verkraften passungen vorzunehmen, sondern geht stattdessen an muss, sodass es zu einer Verminderung seines Gewinns den Sparerfreibetrag und nimmt den Leuten teilweise kommt – und damit für die öffentliche Hand zu einer auch noch die Vorsorge für die Rente? Verminderung des Ertrags. Deswegen erwarten wir von einer Erhöhung der Umsatzsteuer um 1 Prozentpunkt zu- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister nächst nur 6,5 Milliarden Euro und erst nach ein paar der Finanzen: Jahren die vollen 8 Milliarden Euro. Frau Kollegin, zum ersten Teil Ihrer Frage: Das spielt Nur, was sind die Alternativen? Wenn Sie das gleiche gegenwärtig sicherlich auch in unseren Überlegungen Volumen im Bundeshaushalt auf der Ausgabenseite er- eine Rolle. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich bin im wirtschaften wollten, müssten Sie zu Maßnahmen grei- Moment nicht sattelfest genug, um eine genaue Antwort fen, die in ihrer Wirkung für bestimmte Bevölkerungs- zu geben. Aber ich meine, wir hätten schon während un- gruppen sogar viel schwerwiegender wären. Deswegen serer gemeinsamen Regierungszeit eine Veränderung sage ich – auch mit Blick auf das, was Frau Kollegin vorgenommen. Dr. Höll vorhin gesagt hat –: Die Anhebung der Mehr- wertsteuer betrifft nur den Regelsatz. Mieten sind mehr- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wertsteuerfrei und der ganze Nahrungsmittelbereich NEN]: Vorher, vor dem Gesetz zum Atomaus- unterliegt dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Die Be- stieg. Wir könnten 800 Millionen Euro einneh- lastungen für die Budgets der Schichten mit niedrigen men und in unsere Haushalte einstellen und und mittleren Einkommen halten sich also in Grenzen. könnten das in Bildung und Kinderförderung stecken, anstatt es der Atomindustrie zu las- Eine Alternative wäre eine Kürzung des jährlichen sen!) Zuschusses zur Rentenversicherung; dieser ist mit 78 Milliarden Euro der größte Ausgabenblock im Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: deshaushalt. Wenn Sie da 8 Milliarden Euro herausope- rieren wollten, bedeutete das eine massive Rentenkür- Frau Scheel, Sie haben zwei Nachfragen gestellt. Eine zung oder – wenn Sie das wie ich für unverträglich weitere Nachfrage kann ich Ihnen leider nicht gewähren. (B) (D) halten – eine massive Beitragssatzsteigerung. Wenn Sie Nun hat sich der Kollege Volker Beck zur Geschäfts- auch diese für unverträglich halten, müssen Sie nach an- ordnung zu Wort gemeldet. Bitte schön. deren Instrumenten suchen. So könnten wir beide jetzt Haushaltsposten für Haushaltsposten durchgehen, wie wir das früher auch mit Ihren Haushaltspolitikern durch- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gegangen sind. Wir haben dabei graue Haare bekom- Trotz des sachlichen und ruhigen Vortrags des Staats- men, weil wir auf der Ausgabenseite kaum noch etwas sekretärs Diller konnte nicht verdeckt werden, dass es gefunden haben. Noch einmal: Die Operation ist sicher- bei der Bundesregierung ein ziemliches Steuerchaos lich belastend, aber alternativlos. gibt. Das haben auch die Ausführungen des Ministers vorhin zum Steueränderungsgesetz 2007 deutlich ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: macht. Das zeigen aber auch die Diskussion um die Mehrwertsteuererhöhung, durch die allen Bürgern weni- Zweite Nachfrage, bitte. ger Geld in der Tasche bleibt, sowie die avisierte Entlas- tung der Unternehmen bei der Unternehmensteuerre- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): form. Herr Staatssekretär, ich bin froh: Ich habe noch blonde Haare; ich habe das alles also irgendwie ganz gut Deshalb beantrage ich nach Anlage 5 Nr. 1 unserer überstanden. Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Ich bin der Meinung, dass das Haus die Mög- (Zuruf von der FDP: Gefärbt!) lichkeit haben muss, darüber zu sprechen. Sie haben ausgeführt, dass es aufgrund der Struktur und der Situation des Haushalts keine Möglichkeit gebe, den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Haushalt anders als durch die Erhöhung der Mehrwert- Vielen Dank. steuer und die anderen beschlossenen Erhöhungen zu konsolidieren. Warum werden nicht endlich bestimmte Sie beantragen also für die Fraktion Bündnis 90/Die steuerpolitische Regelungen angegangen, die für unser Grünen, dass wir aus der Beantwortung der Fragen he- Land, für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer raus eine Aktuelle Stunde ableiten. Das entspricht und für die Arbeitsplätze kontraproduktiv sind? Ich Nr. 1 b der Richtlinien für eine Aktuelle Stunde. Ent- meine die steuerliche Begünstigung von Betriebsverla- sprechend einer interfraktionellen Vereinbarung be- gerungen und die exorbitant hohen Rückstellungen in stimme ich, dass wir die Aktuelle Stunde um 15.30 Uhr der Atombranche, obwohl die Energiekonzerne sehr durchführen. Die ursprünglich für heute vorgesehene, 2862 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) von der Fraktion der FDP verlangte Aktuelle Stunde für meine Fraktion: Lassen Sie das Spielen mit einer rea- (C) wird auf morgen verschoben. len Steuerentlastung der Unternehmen im Zusammen- hang mit einer Unternehmensteuerreform! Wir wollen Wir kommen vorher aber noch zu den Fragen, die eine aufkommensneutrale Steuerreform und eine rechts- noch nicht beantwortet worden sind. Das sind die Fragen formneutrale Unternehmensteuerreform. Das ist die 28 bis 35. Diese Fragen sollen schriftlich beantwortet Zielsetzung. werden. Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunk- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie zitieren tes 2. unseren Koalitionsvertrag!) Ich unterbreche die Sitzung bis 15.30 Uhr. Ich finde, dass Sie hierzu einmal ein klares Wort sagen sollten. Zum Chaos gehört nämlich auch die kommuni- (Unterbrechung von 14.42 bis 15.30 Uhr) kative Verunsicherung, die Sie und die große Koalition gegenüber den deutschen Unternehmen in den letzten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wochen bewirkt haben. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf: Der dritte Punkt ist die Reichensteuer. Hier haben Sie Aktuelle Stunde bei den Koalitionsverhandlungen, die zum Koalitions- vertrag geführt haben, offensichtlich nicht vernünftig auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ hingeschaut. Alle Verfassungsprobleme, die in den letz- DIE GRÜNEN zur Antwort der Bundesregierung ten beiden Wochen diskutiert worden sind, gab es schon auf die Fragen 26 und 27 damals. Man hätte genau hinschauen und die Abfolge Steuerpolitik der Bundesregierung verabreden müssen, die nach Auffassung der Grünen sinnvoll wäre. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist Ihre Auffassung!) Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zuerst muss es eine klare Unternehmensteuerreform Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geben, die auch darauf ausgerichtet ist, dass die Verfas- Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil nicht sungsprobleme gelöst werden. Das heißt im Klartext, nur wir den Eindruck haben, dass bei der Bundesregie- dass wir in Deutschland endlich einmal in der Lage sein (B) rung das steuerpolitische Chaos ausgebrochen ist. müssen, die private Einkommensteuer anzuheben oder (D) (Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Oh!) zu verändern, ohne dass die Unternehmensteuer für die Personengesellschaften tangiert wird. Das ist doch das Sie sehen dies erstens an der Diskussion über die alte Problem unseres Steuerrechts. Deswegen hätten Sie Mehrwertsteuererhöhung. Sie haben die Erhöhung um zuerst eine Unternehmensteuerreform und dann alles an- 3 Prozentpunkte zu einem Zeitpunkt konzipiert, als Sie dere, was daraus folgt, vereinbaren müssen, sei es eine selbst nicht daran geglaubt haben, wie gut sich die wirt- Reichensteuer, sei es eine erneute Diskussion – diese be- schaftlichen Verhältnisse entwickeln. fürworten wir – über die Frage, ob wir mit einem Ein- ( [CDU/CSU]: Bei euch ist das kommensteuersatz von 42 Prozent wirklich richtig steuerpolitische Vergessen ausgebrochen!) liegen oder ob wir zur Finanzierung der Bildungsinvesti- tionen noch ein Stück höher gehen sollten. Ich kann nur sagen: Den Binnenmarkt während des jetzt Gott sei Dank vorhandenen Aufschwungs mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – 21 Milliarden Euro systematisch zu schwächen, ist ein- Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ihr wollt noch fach ein ökonomischer Unsinn, den Sie von der Haus- höher! Das ist interessant!) haltsseite her – das sagen viele Experten – gar nicht Aber beides haben Sie nicht getan. Deswegen sind Sie brauchen würden. jetzt im Chaos gelandet; das hier festzustellen kann ich (Beifall der Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] niemandem von Ihnen ersparen. Sie wollen einfach ein- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mal ausprobieren, ob diese Regelung verfassungsgemäß ist. Das ist eine Geringschätzung der deutschen Verfas- Deswegen sage ich: Souveränität der großen Koalition sung. Wenn die Politik damit anfängt, dann kann ich nur würde bedeuten, dass Fehlplanungen korrigiert werden. sagen: Gute Nacht! Dazu fordern wir Sie in dieser Debatte auf. Der Finanzminister hat festgelegt, dass von der Rei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chensteuer unter anderem die Selbstständigen ausge- Der zweite Punkt, an dem Sie das sehen, ist die Unter- nommen werden. nehmensteuerreform. Herr Finanzminister, ich finde, es (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein!) muss Klarheit über den Zeitpunkt her. Dieses Hü und Hott, mal da, mal dort, jetzt geht es doch schneller oder Dass Sie dann für das Jahr 2007 nur noch mit Einnah- vielleicht auch nicht verunsichert die gesamte wirt- men von 127 Millionen Euro kalkulieren – das ist eine schaftspolitische Szene und die Unternehmen. Ich sage optimistische Schätzung, weil die dann Betroffenen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2863

Fritz Kuhn (A) sicherlich eine gewisse Mobilität bei den Anlageformen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) finden werden –, ist wirklich ein Witz. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. Ich sage der SPD: Ich verstehe nicht, dass Sie sich das so einfach machen. Sie wollen die Reichensteuer – das (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der kann ich nachvollziehen – auch als Ausgleich für die so- CDU/CSU) zial schädliche Mehrwertsteuererhöhung von 3 Prozent- punkten, die nicht in vollem Umfang zur Senkung der Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Lohnnebenkosten eingesetzt wird. Trotz allem haben Sie Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wohl gedacht, dass Sie das alles schon irgendwie ver- Herren! Herr Kuhn, nur weil Sie behaupten, es bestünde kaufen werden. Jetzt aber bekommen Sie eine Reichen- ein Steuerchaos, muss das noch lange kein Fakt sein. Es steuer im Bonsaiformat, also unterhalb der Wirkungs- wird auch dadurch nicht richtiger, dass Sie ständig das grenze. Wort „Chaos“ im Munde führen. Die große Koalition hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das, was sie im Koalitionsvertrag vereinbart hat, Schritt für Schritt ziemlich sauber und transparent umgesetzt. Glauben Sie, dass Sie das den Mitgliedern Ihrer Partei oder der Öffentlichkeit als Kompensat für die Erhöhung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Mehrwertsteuer verkaufen können? Das glauben Sie doch selber nicht. Die interne Diskussion in der SPD- Selbst das, was sich heute im Steueränderungsgesetz Fraktion gibt mir da Recht. findet, ist nicht neu, sondern das haben wir alles verab- redet. Wir haben sehr schnell gehandelt und die entspre- Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie diese Placebo- chenden steuerpolitischen Gesetzesvorhaben auf den nummer. Machen Sie eine handwerklich ordentliche Weg gebracht. Einiges haben wir bereits verabschiedet. Steuerpolitik und beginnen Sie mit einer Unternehmen- Genauso kalkulierbar werden wir weiterhin sein. steuerreform. Dann kann man die Frage stellen: Wie kann man durch die Einkommensteuer oder auch durch Sie haben uns leichtfüßig dazu aufgefordert, eine Un- die Reichensteuer einen vernünftigen Ausgleich und so- ternehmensteuerreform zu machen. Ich habe den Ein- ziale Gerechtigkeit herstellen? druck, Sie unterschätzen die Komplexität einer solchen Operation. Jedenfalls vermitteln Sie das in Ihrer Rede. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn eigentlich?) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) Der vierte Punkt für das steuerpolitische Chaos ist na- Allein schon Ihre Forderung nach Aufkommens- und (B) türlich die Besteuerung von Biokraftstoffen. Das, was Rechtsformneutralität beweist das. Wissen Sie, wie (D) Sie da machen, Herr Finanzminister, halten wir für völ- schwer es sein dürfte, Rechtsformneutralität herzustel- lig falsch. Vor allem kleine und mittelständische Be- len? Wissen Sie, dass etwa 80 bis 85 Prozent der Einzel- triebe haben hinsichtlich der Biokraftstoffe Investitionen unternehmer und der Personengesellschaften bereits in die Infrastruktur getätigt. Durch die Besteuerung ge- heute einer Effektivbesteuerung von unter 20 Prozent fährden Sie deren Existenz. Im Klartext: Wegen Beimi- unterliegen? Wissen Sie, was es für die Rechtsformneu- schungszwangs erhöhen Sie den Kraftstoffpreis zum tralität bedeutet, wenn die Definitivbesteuerung von Ka- 1. Januar 2007 um 3 Cent. Durch die Erhöhung der pitalgesellschaften unter 38,6 Prozent fällt? Mehrwertsteuer wird dieser noch einmal um 3 Cent teu- Eine Senkung der Nominalsätze – gerade bei den Ka- rer. pitalgesellschaften müssen wir das tun, weil wir uns in Europa, egal ob uns das passt oder nicht, in einem Steu- Der CDU sage ich: Die Erhöhung durch die Öko- erwettbewerb befinden; wir können die nationalen Gren- steuer betrug damals im Schnitt 6 Pfennig. Durch Ihre zen schließlich nicht mehr dichtmachen – führt zu einem Maßnahmen wird der Aufschlag auf Sprit doppelt so Verlust an Steuersubstrat. Deshalb muss man bei der Be- teuer. Ich frage mich nun: Wo sind Frau Merkel und die messungsgrundlage etwas anderes machen. Aber wann Krawallmacher beim Thema Ökosteuer, die wenigstens setzt die volle Wirksamkeit der Maßnahmen zur Erwei- zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet wurde? terung der Steuerbemessungsgrundlage ein? Ist das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gleich im ersten Jahr der Fall? Ich vermute, nein. Sie aber schlagen doppelt so viel drauf und glauben, dass (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir Ihnen das im Herbst durchgehen lassen. Sie werden Es kommt auf die Maßnahmen an!) sich wundern, welche Diskussionen über Ihre großkoali- Das heißt, man muss bezogen auf die Aufkommensneu- tionäre Politik an den Zapfsäulen der Tankstellen ent- tralität sehr viel vorsichtiger operieren, als Sie es meines facht werden. Da wünsche ich Ihnen schon jetzt viel Erachtens getan haben. Spaß. Ich stehe zur Einführung der Reichensteuer, und zwar Vielen Dank. zum jetzigen Zeitpunkt. Ich wehre mich gegen den Vor- wurf, dass dies eine Neidsteuer, ein Placebo oder ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Symbolakt sein soll. [CDU/CSU]: Wegen Ihrer Ökosteuer! – Manfred Grund [CDU/CSU]: (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grüne Knallerbse!) NEN]: Ist es aber!) 2864 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Ich glaube, dass es angesichts der Zumutungen, die un- seite ein strukturelles Problem besteht, geht in vielen (C) sere steuerpolitischen Beschlüsse für viele Menschen be- dieser Debatten unter. wirken, richtig ist, auch die oberen Einkommensgruppen Ihre Ausführungen zur Besteuerung des Biokraftstof- ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit entsprechend stärker fes habe ich nicht verstanden, Herr Kuhn. Ich werde Ih- zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen. nen umgehend Unterlagen zuschicken, aus denen deut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich wird, dass wir mit dem Beimischungszwang bzw. der CDU/CSU) der Einführung einer Quote etwas zur Unterstützung der Biokraftstoffe tun und dass die Landwirtschaft davon Ich wiederhole mich zwar, aber ich wundere mich nicht negativ betroffen wird. über manche Erregung, und zwar weniger bei Ihnen als (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf den Seiten des Parlaments, die bis 1998 für einen NEN) Spitzensteuersatz von 53 Prozent verantwortlich gewe- sen sind, sich aber jetzt über die Anhebung des Steuer- – Aber selbstverständlich! Bevor Sie die Parolen einer satzes von 42 auf 45 Prozent so erregen, dass man um Demonstration in den Bundestag hineintragen, sollten ihren Gesundheitszustand fürchten muss. Das ist in die- Sie sich schlau machen, was wirklich beschlossen wor- sem Zusammenhang unverhältnismäßig. Von diesem den ist! Vorhaben ist bezogen auf private Einkünfte ein ver- schwindend geringer Prozentsatz betroffen. Ich mache (Beifall bei der CDU/CSU) kein Hehl daraus, dass ich in den Koalitionsverhandlun- Was wir in diesem Bereich vorhaben, läuft auf eine gen dafür war, die Einkommensgrenzen zu senken, und klare Unterstützung der Biokraftstoffe hinaus: Dazu ge- zwar auf 125 000 für Ledige bzw. 250 000 Euro für Ver- hört die steuerliche Freistellung mit Blick auf die Kraft- heiratete. Aber man hat das Ergebnis von Koalitionsver- stoffe der zweiten Generation bis 2015. Die Investitions- handlungen zu akzeptieren und mitzutragen. Das wird garantie bzw. die Absicherung der Investitionen bis 2009 auch geschehen. wird, wie beschlossen, vollständig gewahrt. Im Übrigen werden Sie – das sage ich mit Blick auf Sie haben hinsichtlich des Biokraftstoffs durcheinan- das, was bei dem Vorhaben herauskommt – von keinem der gebracht, dass es dabei um zwei unterschiedliche As- Mitglied der Bundesregierung erwarten können, dass es pekte geht. Der eine ist die Abschaffung der steuerlichen sehenden Auges eine Verfassungsrechtsproblematik in zugunsten einer ordnungsrechtlichen Förderung. Das Kauf nimmt. Das sagen auch meine eigenen Partei- macht einen Unterschied von 1,6 Milliarden Euro aus, freunde. Das können Sie den zuständigen Ministern bzw. Herr Kuhn. Die Bundesregierung auf der einen Seite (B) der Bundesregierung insgesamt nicht aufbürden. Uns ist aufzufordern, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, aber (D) klar geworden, dass wir allein die gewerblichen Ein- auf der anderen Seite leichtfüßig über die Möglichkeit künfte nicht ausschließen können. Dies würde mit den hinwegzugehen, mit einer gleichzeitigen wirkungsglei- unternehmerischen Einkünften insgesamt – also auch de- chen ordnungsrechtlichen Regelung Mehreinnahmen in nen, die von Land- und Forstwirten bzw. von Freiberuf- Höhe von 1,6 Milliarden Euro zu erzielen, ist nicht sehr lern erzielt werden – kollidieren. Um diese Lücke zu glaubhaft. schließen, haben wir uns jetzt auf die unternehmerischen Der zweite Aspekt ist, dass wir EU-Recht anwenden Einkünfte insgesamt bezogen, denen aber auch ein be- müssen. Wir müssen nämlich aufgrund einer europäi- stimmtes unternehmerisches Risiko zuzuordnen ist, was schen Energiesteuerrichtlinie von der Überkompensation die Gewährleistung von Wachstum, Umsatz und Be- bzw. Überförderung wegkommen. Dies geht in einem schäftigung angeht. Wir glauben, dass wir mit diesem Kurzbeitrag wie in dieser Debatte vielleicht auch aus Weg richtig liegen. Wir wollen nicht darauf verzichten. Zeitgründen verloren, aber es wäre trotzdem gut, nicht an Chimären und Halbwahrheiten festzuhalten. Deshalb Was die Mehrwertsteuer betrifft, werden wir unter- möchte ich Sie gerne sehr gezielt über das Thema Bio- schiedlicher Auffassung bleiben. Ich will mich nicht diesel informieren. wiederholen, zumal ich Herrn Westerwelle bereits eben auf einer Veranstaltung begegnet bin, die zwar kein Ren- Unter dem Strich: Diese Bundesregierung wird die kontre war, aber bei der die unterschiedlichen Meinun- Maßnahmen, die sie in der Steuerpolitik für notwendig gen aufeinander geprallt sind. Ich glaube, Sie überschät- hält, treffen, auch wenn sie unpopulär sind; denn wir zen die Möglichkeiten, den Haushalt allein durch sind überzeugt, dass wir dies zur Konsolidierung der öf- Sparmaßnahmen zu konsolidieren. Die beiden Opposi- fentlichen Haushalte sowohl des Bundes als auch der tionsparteien geben nie Auskunft darüber – die dritte erst Länder und Kommunen brauchen. recht nicht –, wie eine alternative Strategie weiterer Herzlichen Dank. Haushaltskürzungen auf Wachstum und Beschäftigung wirken würde, und zwar negativ. Gerade dann, wenn es (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) um Einsparungen bei Transfereinkommen geht, was sich gerade bei den Bevölkerungsgruppen unmittelbar nega- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: tiv auf die inländische Nachfrage auswirken würde, de- Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt, ren Sparquote bei null liegt – ich denke dabei an die CDU/CSU-Fraktion. Rentnerinnen und Rentner –, wird das nie in Ihren Infor- mationen berücksichtigt. Auch dass auf der Einnahme- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2865

(A) Otto Bernhardt (CDU/CSU): Bei der Unternehmensteuerreform sind wir voll im (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Plan. Heute hat der Minister zum wiederholten Mal er- große Koalition hat im Koalitionsvertrag klare Ziele für klärt, dass die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform die Finanzpolitik formuliert. Von Chaos kann hier keine noch vor der Sommerpause veröffentlicht werden. Wir Rede sein. Wir sind zurzeit dabei, diese Ziele schritt- werden wie beschlossen die erste Lesung Anfang kom- weise zu erreichen. Es ist aber bei dem, was wir vorge- menden Jahres durchführen. Wer glaubt, er könne diesen funden haben, nicht einfach, gleichzeitig das Ziel der Prozess um ein Jahr verkürzen, der weiß in der Tat nicht Förderung der wirtschaftlichen Wachstumskräfte – die um die komplizierten Sachverhalte. Wir müssen bei der Wirtschaft läuft zurzeit nicht schlecht – und das Ziel der Unternehmensteuerreform viele einbinden. Umfangrei- nachhaltigen Sanierung der öffentlichen Finanzen zu er- che Anhörverfahren sind notwendig. Per Schnellschuss reichen. Bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen eine grundlegende Unternehmensteuerreform zu ma- gibt es zwei Instrumente; wir müssen beide einsetzen. chen, das geht nicht. Ich will nicht zurückschauen, aber Das eine Instrument ist der Abbau von Subventionen. die Schnellschüsse und die Fehler in der Steuerpolitik in Herr Kollege Kuhn, was wir, die große Koalition, hier in den letzten sieben Jahren – diese mussten anschließend den ersten sechs Monaten unserer Regierungszeit schon korrigiert werden – wird die große Koalition nicht ma- geschafft haben, kann sich sehen lassen. Wir haben be- chen. reits einen Subventionsabbau mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro beschlossen. Wir werden das fortset- Ich sage ganz klar: Wir sind dabei, die im Koalitions- zen. vertrag formulierten Ziele zu erreichen. Dass es in Ein- zelfragen innerhalb der Fraktionen und zwischen den Ich stimme aber dem Minister zu: Der Subventions- Fraktionen Unterschiede gibt, ist klar. Ich glaube, das abbau und die Reduzierung der Ausgaben allein reichen erste halbe Jahr hat gezeigt, dass die große Koalition nicht aus, um die Ziele, die wir uns im Koalitionsvertrag handlungsfähig ist. Wir werden das, was wir uns vorge- gesetzt haben, im Jahr 2007 zu erreichen. Wir wollen nommen haben, in dieser Legislaturperiode verabschie- 2007 gleichzeitig die Maastrichtkriterien erfüllen – das den. ist nicht so schwierig; dafür reicht eine Nettoneuver- schuldung in Höhe von 30 Milliarden Euro aus – und die Herzlichen Dank. Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes einhalten; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) hier geht es um eine Größenordnung von nur circa 20 Milliarden Euro. Um dies zu erreichen, waren wir ge- zwungen, eine entscheidende Steuer zu erhöhen. Wir Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: von der Union sind schon im Wahlkampf für eine Mehr- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto wertsteuererhöhung eingetreten. Jeder, der die geplante Solms, FDP-Fraktion. (B) Mehrwertsteuererhöhung ablehnt, den bitte ich, aufzu- (D) zeigen, wo wir sonst 21 Milliarden Euro hernehmen sol- Dr. Hermann Otto Solms (FDP): len, die wir benötigen, um einen verfassungskonformen Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Haushalt vorzulegen. Ich sage sehr deutlich: Diejenigen, die uns heute kritisieren, wären die Ersten, die eine Ak- legen! Handlungsfähig ist die große Koalition mit tuelle Stunde beantragten und versuchten, uns hier vor- 70 Prozent der Stimmen im Deutschen Bundestag. Das zuführen, wenn wir die Maastrichtkriterien nicht erfüll- ist gar keine Frage. Aber das, was die Menschen interes- ten und die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes siert, ist, was Sie eigentlich machen. In der Steuer- und nicht einhielten. Herr Kollege Kuhn, wenn wir die im Finanzpolitik herrscht ein reines Durcheinander. Koalitionsvertrag formulierten Ziele erreichen wollen, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein!) dann brauchen wir – leider – die geplante Mehrwertsteu- ererhöhung. Die Entscheidungen widersprechen sich. Wir bekommen nahezu jeden Monat ein neues Steuererhöhungsgesetz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Warum denken Sie nicht einmal an die betroffenen Steu- Ich sage ganz offen: Natürlich ist die so genannte Rei- erzahler? Sie denken immer nur an den Staat. Der Staat chensteuer für uns eine Kröte, die wir im Rahmen der geht aber von den Bürgern aus. Die Bürger müssen die Koalitionsverhandlungen geschluckt haben. Nun stehen Steuern zahlen. Der zentrale Fehler Ihrer Steuerpolitik wir dazu. ist, dass Sie eine Vergünstigung nach der anderen ab- schaffen oder einschränken, den dafür notwendigen Aus- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gleich in Form einer Senkung der Tarife aber nicht vor- NEN]: Mir kommen die Tränen!) nehmen. Herr Kuhn, Sie haben aber gesagt – das ist wahrschein- (Beifall bei der FDP) lich nicht von allen verstanden worden –, man könne ge- Jede dieser Maßnahmen ist eine indirekte Steuererhö- nerell den Spitzensteuersatz von 42 auf 45 Prozent erhö- hen. Dieser gilt aber – im Gegensatz zur Reichensteuer – hung. Ihre Maßnahmen widersprechen sich auch noch. schon für Einkommen ab 60 000 Euro. Das wäre eine Ich will einige Beispiele nennen. Jetzt wird mit großem Steuererhöhung auf breiter Ebene. Das können wir uns Getöse das Elterngeld eingeführt. Sie verschweigen den in Deutschland sicherlich nicht leisten. betroffenen Familien aber, dass sie dieses doppelt und dreifach bezahlen müssen. Wenn die Familien wüssten, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der dass sie das Elterngeld selbst finanzieren müssen, dann SPD und der FDP) würden sie gerne darauf verzichten. Es wird nämlich das 2866 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Dr. Hermann Otto Solms (A) Erziehungsgeld abgeschafft, der Bezug des Kindergeldes (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genauso ist es!) (C) wird um zwei Jahre reduziert und die Mehrwertsteuer Es ist unser Problem, dass wir diese Wettbewerbsfähig- und die Versicherungsteuer werden angehoben, also keit gerade nicht haben. Deshalb müssen wir die Unter- Steuern, die Familien besonders treffen. Die Belastun- nehmensteuerreform schnell durchführen. Wenn Sie gen betragen das Mehrfache der Summe, die Sie in Form schon diese zahlreichen Steuererhöhungen durchführen, von Elterngeld wieder verteilen. Das ist doch keine ehr- dann müssen Sie zum Ausgleich wenigstens eine Per- liche Politik. spektive für wirtschaftliche Investitionen bieten. Das Sie haben von Transparenz gesprochen. Nehmen Sie verschieben Sie nun um ein Jahr. Damit werden Sie den die Subventionstatbestände, die Sie nicht abschaffen, Aufschwung nicht bekommen. sondern nur verändern. Dadurch wird alles komplizier- (Beifall bei der FDP) ter. Die Bürger sind damit auf Steuerberater angewiesen. In diesem Moment streichen Sie dem Bürger die Mög- Die zahlreichen Steuererhöhungen bewirken eine lichkeit, Steuerberatungskosten abzusetzen. Das ist doch Kauf-kraftminderung in den drei Jahren, die vor uns lie- eine Gemeinheit. Das ist eine richtige Schikane, die ge- gen, von mindestens 120 Milliarden Euro netto. Wahr- gen die Bürger gerichtet ist. scheinlich ist die Summe noch höher. Sie können die Gesetze der Ökonomie nicht wegdiskutieren. Die (Beifall bei der FDP) 120 Milliarden Euro werden im Wirtschaftskreislauf Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Reichensteuer. fehlen. Deshalb sagen die Forschungsinstitute, dass das Was soll diese Reichensteuer bewirken? Sie geben selbst Wachstum im nächsten Jahr um mindestens 1 Prozent- zu, dass das Aufkommen aus dieser Steuer gering ist. Sie punkt sinken und die Inflationsrate um 1,5 Prozent- hat nur eine symbolische Wirkung. Diese symbolische punkte ansteigen wird. Darauf muss die Europäische Wirkung ist katastrophal. Ihre Agenten reisen durch die Zentralbank natürlich reagieren. Wenn sie das tut, dann ganze Welt und versuchen, Investoren nach Deutschland werden die Zinsen angehoben und dann wird alles teu- zu holen. Diese lesen, dass sie, wenn sie hier investieren rer; auch Sie müssen für den Schuldendienst mehr auf- und Erträge erzielen, mehr als alle anderen besteuert wenden. werden. Was meinen Sie, wie schnell sie wieder die Ich glaube, dass Sie einfach zu kurz springen. Um die Kurve kriegen und verschwunden sind? Dann kam noch Löcher in der Staatskasse zu stopfen, müssen Sie alle die verfassungsrechtliche Problematik hinzu. Ich gratu- Kraft auf Arbeit und Beschäftigung lenken. Nur wenn es liere Ihnen, dass Sie jetzt immerhin erkannt haben, dass gelingt, mehr Menschen in Arbeit und Brot zu bringen, Sie die Gewinneinkünfte und nicht nur die gewerblichen kommt es zu mehr Beitragszahlern, zu mehr Steuerzah- Einkünfte von der Steuer ausnehmen müssen. lern und zu einer nachhaltigen Schließung der staatli- (B) (D) ( [SPD]: Dann können die In- chen Finanzierungslücken. vestoren aber nicht verschreckt sein!) (Beifall bei der FDP) Das, was in Ihrem Entwurf fehlt, ist die Begründung, Wenn Ihnen das nicht gelingt, wenn Sie die Konjunk- warum Sie die unterschiedliche Besteuerung vornehmen tur durch Steuererhöhungen abwürgen, wenn es zu mehr können. Arbeitslosigkeit kommt, dann nützt es Ihnen auch nichts, wenn Sie die Defizite kurzfristig einigermaßen ausglei- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In den 80er- chen; denn die Löcher werden sich ganz schnell wieder Jahren hatten wir diese Regelung!) öffnen und Sie werden in Zukunft noch viel größere Fi- Sie können das in unserem Gesetzentwurf nachlesen. Sie nanzprobleme bekommen. Deswegen sage ich Ihnen: können unsere Begründung übernehmen und brauchen Besinnen Sie sich! Als guter Volkswirt wissen Sie, dass uns noch nicht einmal etwas für das Copyright zu zah- es darauf ankommt, die Basis der Finanzierung über len. Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. Alles an- dere ist ein Holzweg. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. In Sachen Ehrlichkeit will ich Ihnen, Herr Steinbrück, Nachhilfeunterricht in Geschichte geben. Die alte christ- (Beifall bei der FDP) liche Koalition hatte 1997 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Zuruf von der FDP: Christlich-liberale Koali- Das Wort hat der Kollege Florian Pronold, SPD-Frak- tion!) tion. – christlich-liberale Koalition, Entschuldigung, oder bes- ser gesagt: bürgerliche Koalition – eine Steuerreform Florian Pronold (SPD): durchgeführt, die im Deutschen Bundestag eine Mehr- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! heit gefunden hat. Der Spitzensteuersatz lag nach diesem Herr Kuhn hat von Steuerchaos gesprochen. Ich erinnere Konzept bei 39 Prozent. Wir haben jetzt sieben bis acht an die letzte Tat eines Regierungsmitglieds der Grünen Jahre verloren. Wir hätten unsere internationale Wettbe- – es ging darum, hier endlich Steuerschlupflöcher zu werbsfähigkeit steigern können, wenn die linke Mehr- schließen, sowie um Windenergiefonds und andere Steu- heit im Bundesrat unter dem Parteivorsitzenden ersparmodelle; das wird jetzt in § 15 b EStG neu gere- Lafontaine das damals nicht verhindert hätte. gelt; die große Koalition hat entsprechende Ankündigun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2867

Florian Pronold (A) gen gemacht; noch die alte Regierung wollte dies Als Strafe müssten eigentlich Ihnen die Steuern erhöht (C) durchsetzen –: Es war Ihr Herr Trittin, der versucht hat, werden. Vielleicht könnte man so das Defizit im Bun- das aus Lobbyismus ad absurdum zu führen. Sich so zu deshaushalt ausgleichen. Das ist wirklich die Grund- verhalten, das führt zu Chaos und zu Verunsicherung. frage, die wir hier immer diskutieren. Das, was Sie hier bieten, ist genau das, was Sie bekla- Die Maastrichtkriterien sind im nächsten Jahr einzu- gen: Sie geben sich hier als Feuerwehrmann aus; in halten; darüber kann man doch nicht einfach hinwegge- Wirklichkeit aber sind Sie Brandstifter. hen. In dieser Konstellation, also in einer großen Koali- tion, gibt es natürlich unterschiedliche Vorstellungen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) darüber, wie man das angehen kann. Wir, die SPD, ha- Genauso wie die FDP spielen Sie nämlich immer die ben eine eigene Meinung zur Reichensteuer und dazu, gleiche Melodie. Wenn man in der Opposition ist, dann wie und wann man sie erheben könnte. Genauso haben ist das nahe liegend. In den Beratungen hier sagen Sie wir eine eigene Meinung dazu, ob die Mehrwertsteuer- zum einen: Die Einnahmen sind zu gering; der Staat gibt erhöhung das einzig selig Machende ist oder ob es nicht zu viel aus; wir müssen konsolidieren und das bringt die auch andere Varianten gibt. Dazu gab es in der Union an- Regierung nicht zustande. In einer darauf folgenden De- dere Vorstellungen und dann haben wir uns geeinigt. So batte sagen Sie dann zum anderen: Es wird zwar konsoli- ist das halt. diert, aber auch das ist ein falscher Weg. Jetzt müssen wir daraus das Beste machen. Wir müs- sen darauf setzen, dass die Wachstumskräfte gestärkt Steuererhöhungen tragen natürlich zur Konsolidie- werden, und wir müssen darüber diskutieren, was wir rung des Staatshaushaltes bei. Es gibt nur zwei Möglich- machen müssen, damit es wieder aufwärts geht. Wenn keiten, den Staatshaushalt zu konsolidieren: Entweder Sie sich alle Indikatoren anschauen, die uns vorliegen, man kürzt die Ausgaben oder man mehrt die Einnahmen. dann stellen Sie fest, dass sich das Wachstum jetzt ein- Für Mehreinnahmen kann man sowohl durch Wachstum stellt und wir uns somit auf dem richtigen Weg befinden. als auch durch höhere Steuern sorgen. Wachstum bedeu- Auf diesem Weg werden wir in 2007 eine Mehrwertsteu- tet meistens automatisch Steuermehreinnahmen. ererhöhung haben, die konjunkturell dämpfend wirken Zur Frage der Ausgabenkürzungen. Ausgabenkürzun- wird und die wir nur dann verkraften werden, wenn wir gen müssen angesichts der Struktur des Bundeshaushalts jetzt Wachstum schaffen. Deswegen: Nicht schlecht- machbar sein. Sie müssen dann ehrlich sagen, ob man reden, sondern die Dinge betonen, die jetzt wichtig sind, bei der Rente kürzen will und wie sich das auf die Kon- damit es insgesamt funktionieren kann. junktur auswirkt, ob man Investitionen zurückfahren Herzlichen Dank. (B) will und wie sich das wiederum auf die Konjunktur aus- (D) wirkt. Immer nur eine Seite zu beleuchten, ist ein unehr- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) liches Spiel, das Sie hier immer wieder zu spielen versu- chen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke. Die höchsten Steuererhöhungen, die es in Deutsch- land je gab, wurden vorgenommen, als die FDP an der (Beifall bei der LINKEN) Regierung beteiligt war. Dennoch stellen Sie von der FDP sich jetzt hier hin und erklären, wie man das alles Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): besser machen könnte. Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD) Herr Kuhn, ich kann Ihrer Einschätzung nicht zustim- men, dass das eine chaotische Steuerpolitik ist. Ich Das ist nun wirklich ein lächerlicher Beitrag, wie er in denke, das, was wir erleben, ist zwar Verbalakrobatik diesem Parlament schon in den letzten Jahren wiederholt – es geht immer mit Getöse ein bisschen hin und her und geleistet worden ist. es wird immer wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben –, aber inhaltlich ist das eine Fortsetzung der Wir erhöhen – nicht unbewusst – die Mehrwertsteuer Politik, die auch Sie betrieben haben, also eine Fortset- erst ab dem 1. Januar 2007; denn in 2006 tun wir alles zung neoliberaler Wirtschaftspolitik – nichts anderes. für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wir haben ein Investitionsprogramm aufgelegt. Richtig ist natürlich, (Beifall bei der LINKEN) dass in der Wirtschaft nicht nur die harten ökonomischen Fakten zählen, sondern auch sehr viele psychologische Die CDU/CSU hat es vor der Wahl ganz klar erklärt: Faktoren. Die Debatten, die Sie hier anzetteln, Ihr Es soll eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozent- Schlechtreden, Ihr Jammern – Sie sehen immer nur das punkte geben, das heißt, eine zusätzliche Belastung für Negative –, genau das führt doch dazu, dass die Kon- diejenigen Menschen, die sowieso schon wenig Einkom- junktur ein Stück weit weniger in Gang kommt als nötig. men haben. Die SPD dagegen hat ihr Wahlversprechen Wenn etwas dazu führt, die Konjunktur abzuwürgen, unmittelbar nach erfolgter Wahl gebrochen und hat auf dann ist es Ihr Gerede hier. die 2 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung von Frau Merkel noch 1 Prozentpunkt draufgepackt. Das ist wohl (Beifall bei der SPD) wahr. 2868 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Dr. Barbara Höll (A) Wahr ist auch, dass sich der designierte zukünftige (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Parteivorsitzende nun in seinen Worten etwas besinnt NEN]: Die Wirtschaft hat ihn gar nicht gehabt! und tatsächlich davon spricht, dass die Staatsquote viel- Die Wirtschaft hatte keine 53 Prozent!) leicht erhöht werden sollte und dass man vielleicht doch und sind die Menschen, die in dieser Bundesrepublik einen starken Staat braucht. In der Realität sieht das Deutschland ein sehr hohes Einkommen haben, die Spit- dann aber so aus, dass Herr Steinbrück zwar in einem zenverdiener, nun weiß Gott nicht verarmt. „Spiegel“-Interview erklärt, dass wir ein strukturelles Einnahmeproblem haben; aber das Einzige, was ihm Sie hängen der neoliberalen Politik weiter an. Sie sind dazu einfällt – davon bin ich enttäuscht –, ist die Mehr- beratungsresistent und nehmen die Wirklichkeit nicht wertsteuererhöhung. wahr. (Beifall bei der LINKEN) Die Mehrwertsteuererhöhung – da sind wir uns sicher einig – wirkt nicht nur konjunkturdämpfend, sondern sie Man muss es immer wieder betonen: Die Haushaltssi- wirkt konjunkturbehindernd. Sie wird in der Situation, in tuation, in der wir uns befinden, so schlecht sie ist, ist der wir uns hier befinden, tatsächlich zu wirtschaftlichen nicht gott- oder naturgegeben; sie ist von der Politik ge- Einbrüchen führen. Aber das Problem ist doch nicht macht. Das sollten sich alle die vor Augen führen, die in – wie Sie im Koalitionsvertrag beschreiben –, dass wir den letzten 16 Jahren hier die politische Verantwortung die Steuersätze so gestalten müssten, dass wir internatio- getragen haben. nal wettbewerbsfähig sind. Deutschland ist Exportwelt- Was hat Rot-Grün für Steuergeschenke an die Unter- meister – wer ist denn wettbewerbsfähig, wenn nicht nehmen ausgereicht! Immer wieder haben wir gehört: wir? Arbeitsplätze entstehen; es wird investiert werden. Wurde investiert? Ja, zum Teil, aber nicht in Arbeits- (Beifall bei der LINKEN) plätze, sondern in Unternehmensübernahmen und Ähnli- Unser Problem ist die Binnennachfrage. Gerade auf ches. Viele Arbeitsplätze wurden sogar auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernichtet. Das ist die Binnennachfrage werden die 3 Prozentpunkte Mehr- eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist. wertsteuererhöhung wirken. Für eine vierköpfige Fami- lie wird das bedeuten, dass im nächsten Jahr mindestens (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 100 Euro an Mehrbelastung auf sie zukommt. Das be- Da ist gar nichts zu machen!) deutet einen Entzug von Kaufkraft und eine weitere Schauen Sie einfach einmal ein bisschen in die Presse Schwächung der Binnennachfrage. Das liegt einfach auf – das kann man nicht oft genug raten –: Deutschland ist (B) der Hand, darum braucht man nicht weiter herumzure- ein Steuerparadies, im europaweiten Vergleich auf alle (D) den. Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie nicht die Kraft Fälle. aufbringen, tatsächlich einmal darüber nachzudenken, wie man die strukturellen Einnahmeprobleme, die es in (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst diesem Haushalt gibt, beseitigen kann. Dazu liegt viel einmal mit der WASG zurechtkommen!) auf dem Tisch. Herr Steinbrück, wenn Sie unser Steuer- Das kann man nachlesen. Schauen Sie auch einfach noch konzept noch nicht wahrgenommen haben – was ich einmal in den Jahreswirtschaftsbericht! Im Ergebnis nicht ganz glaube –, sende ich es Ihnen gerne zu; Sie nehmen Sie selbst an, dass sich in diesem Jahr die Ein- können es dann in Ruhe lesen und sich damit auseinan- kommenssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- der setzen. nehmer nur minimal verbessern wird, aber dass die Ein- künfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen massiv Natürlich haben wir Möglichkeiten. Wir haben die steigen werden, um über 7 Prozent, während bei den an- Möglichkeit, die Erbschaftsbesteuerung neu zu gestal- deren Einkommen nicht einmal eine Zunahme um ten. Wir hören hier seit Monaten, dass auf den Beschluss 1 Prozent erwartet wird. des Bundesverfassungsgerichts gewartet werde. Das Bundesverfassungsgericht hat schon drei Urteile gespro- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt das die WASG oder die PDS?) chen, die hier immer noch nicht richtig umgesetzt wor- den sind. Wir haben die Möglichkeit der Vermögensbe- Das ist eine Politik, die nicht zur Lösung der sozialen steuerung. Wir haben die Möglichkeit, kurzfristig auch Probleme führt, sondern im Gegenteil die soziale Schief- einmal eine Vermögensabgabe zu überlegen. lage hier in Deutschland verstärken wird und die Armut erhöhen wird. Das ist eine neoliberale Politik, die mit (Florian Pronold [SPD]: Das ist aber alles uns nicht zu machen ist. Deshalb lehnen wir das ab. nichts für den Bundeshaushalt!) Ich danke Ihnen. Wir haben außerdem natürlich die Möglichkeit, die Ein- (Beifall bei der LINKEN) kommensteuer sozial gerecht zu gestalten, zum Beispiel indem man das steuerfreie Existenzminimum weiter aus- dehnt, aber auch den Spitzensteuersatz wieder anhebt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Niemand schreibt uns vor, dass der bei 42 Prozent liegen Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon, CDU/ CSU-Fraktion. muss. Auch bei 53 Prozent ist die deutsche Wirtschaft nicht kaputtgegangen (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2869

(A) Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Sie haben den Zickzackkurs – heute rein in die Kar- (C) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen toffeln, morgen wieder raus – mitgemacht, der die alte und Kollegen! Lieber Herr Kühn – – Bundesregierung letztlich den Wahlsieg gekostet hat. Im Ergebnis waren Sie daran beteiligt, dass die Menschen in (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland gegenüber der Politik noch nie so verunsi- Kuhn! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE chert waren wie in den letzten sieben Jahren. Es war Ihr GRÜNEN]: „Kuhn“ heißt der!) Beitrag, es war Ihre Schuld und daran tragen Sie noch – Sehen Sie: Das ist der freudsche Versprecher. Es ist heute. Deshalb sollten Sie sich gut überlegen, welche nämlich schon fast kühn, was Sie sich als Überschrift für Aktuellen Stunden mit welchen Überschriften Sie for- Ihre Aktuelle Stunde ausgedacht haben. dern. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Steuerchaos!) Im Gegensatz dazu können wir uns schon mit der Bi- Im Grunde ist das ein Ladenhüter. Sie hätten sich mit der lanz des ersten halben Jahres der großen Koalition aus- Frage „Steuerchaos in der Regierung“ die letzten sieben einander setzen. Wir haben zügig, sachlich, zielgerichtet Jahre auseinander setzen müssen. und handwerklich sauber gearbeitet. Wir haben mit ge- zielten Impulsen und vertrauensbildenden Maßnahmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jan neuen Schwung in den Wirtschaftsmotor Deutschland Mücke [FDP] – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ gebracht. DIE GRÜNEN]: Wie Sie Ihren Koalitionspart- ner runtermachen!) Die wichtigsten Beispiele will ich Ihnen noch einmal nennen: Noch im alten Jahr haben wir mit dem Gesetz Wenn Sie jetzt mit schädlichen Folgen für Konjunktur zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm gehan- und Verbraucher argumentieren, ist das doppelt falsch. delt und nicht nur geredet. Wir haben mit dem Gesetz Das Verbrauchervertrauen in Deutschland steigt das zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung we- erste Mal seit fünf Jahren wieder. Die Konjunktur ver- sentliche Teile der Steuerschlupflöcher geschlossen, und bessert sich erstmals seit fünf Jahren wieder. Sie liegen das bezeichnen Sie als „Chaos“. Parallel dazu haben wir nicht nur falsch vom Zeitpunkt her, sondern auch im in- Anfang des Jahres mit dem Gesetz zur steuerlichen För- haltlichen Teil Ihrer Überschrift. Sie hätten sich diese derung von Wachstum und Beschäftigung die Grundla- Aktuelle Stunde besser gespart. gen für ein gutes Jahr 2006 geschaffen. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch in den anderen Bereichen sind wir auf der Man muss festhalten: Sie haben nach sieben Jahren Grundlage eines vernünftigen Koalitionsvertrages unter- (B) (D) Ihrer Regierungsverantwortung nichts anders als einen wegs: Das Steueränderungsgesetz 2007 ist im Entstehen Scherbenhaufen hinterlassen: Nullwachstum, Rekord- und wird Ihnen vorgestellt. Die dringend notwendige arbeitslosigkeit, Rekordverschuldung. Sie brauchen gar Reform der Erbschaftsteuer für gewerbliche, betriebli- nicht auf Ihren Koalitionspartner zu zeigen. che Einkünfte, das Stundungsmodell, ist im Entstehen und wird zeitgerecht und ordentlich noch in diesem Jahr (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ vorgelegt, damit es zum 1. Januar 2007 in Kraft treten DIE GRÜNEN]: Sie haben im letzten Jahr kann. Auch die Unternehmensteuerreform ist in Arbeit. 7 Milliarden mehr Schulden gemacht!) Es steht dem Bundesfinanzminister durchaus gut an, mit Sie waren mit dabei. Sie haben an dem Chaos in der den beiden Modellen, die ihm die Wissenschaft auf den Steuerpolitik der alten Bundesregierung mitgewirkt und Tisch gelegt hat, in Klausur zu gehen und dann mit der in der Haushalts- und Finanzpolitik waren Sie schlicht CDU/CSU-Bundestagsfraktion einerseits und der SPD- und einfach sprachlos. Bundestagsfraktion andererseits sowie mit seinem Haus Eckpunkte für eine Unternehmensteuerreform zu entwi- (Beifall des Abg. Frank Schäffler [FDP]) ckeln und vorzulegen. Das ist doch nicht Chaos, sondern Sie haben in den sieben Jahren Ihrer Regierungsbeteili- planvolles Vorgehen. Dass Sie davon nichts verstehen, gung nichts gegen die Verschuldung getan. wundert uns nicht; das haben Sie schon die letzten sie- ben Jahre gezeigt. Vor diesem Hintergrund kann man sich schon einmal die Zeit nehmen, um zu fragen: Was hat die grüne Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) destagsfraktion in den letzen sieben Jahren gefordert? Im Ergebnis zeigt sich ein deutlicher Stimmungsum- Sie waren in der Frage der Erhöhung der Erbschaftsteuer schwung in Deutschland. Die große Koalition und die dabei. Sie haben die Wiedereinführung der Vermögen- von ihr getragene Bundesregierung können vorweisen: steuer gefordert. Sie haben die Einführung der Einkom- Die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung wer- mensteuer für Deutsche, die im Ausland leben, gefor- den immer besser; die Zuversicht bei Verbrauchern und dert. Damit haben Sie mal wieder die „Bild“-Zeitungs- Unternehmen wächst und gedeiht; die Menschen gewin- Schlagzeilen beherrscht. Nicht zu vergessen: Im Juni nen das Allerwichtigste zurück, nämlich Vertrauen in die 2005 erklärte die Kollegin : Die grüne Bun- Politik. destagsfraktion hat ein eigenes haushalts- und finanz- politisches Konzept mit Erhöhung der Mehrwertsteuer In der Bilanz sind wir deutlich auseinander: Sie ver- beschlossen. Das alles waren Teile Ihrer Beiträge zur suchen, rückwärts gewandte, chaotische Debatten zu Politik in Deutschland in den letzten sieben Jahren. führen, wir arbeiten Punkt für Punkt unseren Koalitions- 2870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Georg Fahrenschon (A) vertrag ab. Wir werden ja dann in drei Jahren die Wähler Pendlerpauschale in ihrer Kürzung so nicht akzeptiere (C) fragen, wer ihrer Meinung nach erfolgreicher gearbeitet und alles dafür tun werde, dass diese Kürzung – Herr hat. Steinbrück, Ihre SPD-Kollegen in Bayern sagen das – so nicht kommen werde, dass es diese Gesetzgebung mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der SPD nicht geben werde. Ich bin einmal gespannt, neten der SPD) wie das ausgeht. Aber wir wissen ja, wie schnell Sie um- kippen und wie sich die Wahrheiten von heute und von Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: morgen unterscheiden. Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. (Florian Pronold [SPD]: Du weißt schon, dass wir den Einsparbeitrag gebracht haben! Bleib halt bei der Wahrheit und erzähl keinen Un- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sinn!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie schon von „rückwärts gewandt“ reden, Herr Man muss sich das einmal vorstellen: All die Punkte, Fahrenschon, dann muss man an dieser Stelle auch kon- die jetzt umgesetzt werden sollen, sind das genaue Ge- statieren, dass Sie eine rückwärts gewandte Rede gehal- genteil von dem, was Sie noch vor einigen Monaten ge- ten haben. Sie leiden anscheinend an Gedächtnisverlust. äußert haben. Man könnte also 100 gute Gründe nennen, Man darf nicht vergessen, was Rot-Grün – da muss ich warum beispielsweise die Einrichtung eines Lügenaus- die Roten einmal mit hineinnehmen; wir haben ja ge- schusses Sinn machen würde. Aber das ist uns zu doof. meinsam ein paar gute Dinge beschlossen –, vor allem in Wir setzen uns mit Ihnen lieber inhaltlich auseinander. steuerlicher Hinsicht im Bereich Subventionsabbau, ein- gebracht hat, während Sie damals diejenigen waren, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – das blockiert haben. Sonst hätten wir heute nicht die Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Dann fangen Haushaltsprobleme, die wir in Deutschland insgesamt Sie mal an! – Florian Pronold [SPD]: „Doof“ haben. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sa- ist die richtige Überschrift für diese Rede!) gen. Es heißt immer, es sei alternativlos, was vonseiten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Koalition gemacht wird, weil es keine besseren Mög- sowie bei Abgeordneten der SPD) lichkeiten gibt. Aber es gibt Alternativen. Wenn man hört, dass Herr Minister Steinbrück und (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha!) Herr Bernhardt sagen, das, was man im Koalitionsver- Sie sagen selbst, dass das, was Sie hier vorschlagen, zu trag aufgeschrieben habe, werde jetzt sukzessive umge- (B) großen Teilen konjunkturschädlich und widersprüchlich (D) setzt, dann muss man feststellen: Wenn schon ein Koali- ist. Es wird bei denen abkassiert, die ihre gesamte Kauf- tionsvertrag an wichtigen Stellen so unkonkret, vage und kraft und auch ein gewisses Sparpotenzial brauchen, um wirr formuliert ist wie Ihrer, kann man sicher auch nicht für das Alter vorzusorgen. Wir alle wollen doch, dass die erwarten, dass die Gesetzgebung besser ist. Genau so private Altersvorsorge gestärkt wird. Aber Sie wollen schaut es im Moment auch aus. den Sparerfreibetrag halbieren und treffen damit genau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Menschen, die für das Alter vorsorgen. Wenn sich dann Vertreter der SPD hier hinstellen und (Beifall des Abg. Dr. Hermann Otto Solms sagen, sie täten das, was sie immer gesagt hätten, dann [FDP]) schüttelt es mich, und zwar ziemlich heftig, Florian Dies hat mit Logik nichts mehr zu tun und ist aufgrund Pronold. der verheerenden Wirkung ein Schuss nach hinten. (Florian Pronold [SPD]: Ich habe nicht gesagt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass wir das immer gesagt haben, sondern, sowie bei Abgeordneten der FDP – Leo dass wir das vereinbart haben!) Dautzenberg [CDU/CSU]: Ich warte auf die Vonseiten der SPD wurde gesagt: keine Mehrwertsteuer- Alternativen, Frau Kollegin!) erhöhung. Die anderen haben gesagt: Mehrwertsteuer- Außerdem wird gesagt, eine Mineralölsteuererhöhung erhöhung um 2 Prozentpunkte; die Einnahmen sollen um 6 Cent sei unumgänglich. komplett zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge verwendet werden. Herausgekommen sind 3 Prozent, (Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Jetzt Ihre Alter- die vorwiegend zur Sanierung des Haushalts eingesetzt native! Sie haben noch zwei Minuten Zeit da- werden sollen. für!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu den Biokraftstoffen muss man ganz klar sagen, dass es eine gute Entscheidung war, den Landwirten zu raten, Was hat denn das mit den Strukturveränderungen zu tun, dass sie ihre eigenen Energiewirte werden, dass sie eine die man vorher angekündigt hat? Das ist doch eine reine dezentrale Versorgung aufbauen und ihre Märkte aus- Abzocke. bauen. Von der dezentralen Versorgung profitiert die Hinzu kommt, dass, vorwiegend über die bayerischen Bundesrepublik Deutschland insgesamt, weil wir da- Medien, wie die SPD in Bayern das durch Herrn Florian durch weg vom Öl kommen. Aber was machen Sie? Was Pronold gemacht hat, gestreut wird, dass die SPD die sich hier im Ansatz entwickelt, machen Sie auf einen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2871

Christine Scheel (A) Schlag kaputt. Sie gefährden damit Arbeitsplätze und ich werde es auch nicht mehr werden. Deshalb will ich (C) nehmen uns die Zukunft, was die Versorgung mit rege- sagen: Ihre Rede hat selbst mein Vorstellungsvermögen nerativen Energien angeht. einigermaßen gesprengt. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das stimmt Dass es in einer Koalition aus zwei großen Volkspar- doch gar nicht! Waren Sie heute Morgen nicht teien eine gewisse Diskussionsvielfalt bei steuerpoliti- im Ausschuss?) schen Fragen gibt, ist an dem öffentlichen Echo un- schwer zu erkennen. Aber diese Diskussion ist nicht zu Das ist eine rückwärts gewandte Politik, die nichts mit verwechseln mit der Stringenz des Handelns. Es gibt Zukunftsfähigkeit zu tun hat. klare Vereinbarungen: die Koalitionsvereinbarung als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grundlage und die – ich will sie einmal so nennen – Feinschliffvereinbarung vom 1. Mai, in der bestimmte Wenn man sich die anderen Punkte anschaut, bei- Punkte festgezurrt und präzisiert wurden. Wir haben uns spielsweise das Placebo Reichensteuer, dann muss man innerhalb der Koalition immer sehr schnell in den we- sagen: Es werden nur Luftballons losgelassen; es handelt sentlichen Fragen bezüglich der Finanz- und Steuerpoli- sich um ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Alle re- tik verständigt. Dies gilt von Anfang an bis jetzt und den über die Reichensteuer, aber niemand von Ihnen re- auch für die anstehenden Aufgaben. det über die Kürzung der Pendlerpauschale und über die Zumutungen für die Kleinsparer. Ihr Konzept ist völlig Es tut immer weh, Subventionen abzubauen. Man inkonsistent. kann jeden, der durch unsere Maßnahmen betroffen ist, auf populistische Weise aufstacheln. Das ist völlig in (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was sind die Ordnung und das können Sie gerne machen. Denn das ist Alternativen? – Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Ihre Aufgabe als Opposition. Aber unsere Politik hat Jetzt kommt endlich die Alternative!) nichts mit Chaos, sondern mit Klarheit zu tun. Wir haben Sie hoffen, dass über die Weltmeisterschaft diese The- ehrlich gesagt, dass wir drei Notwendigkeiten sehen: men aus der Öffentlichkeit verschwinden. Sie wollen in Wir müssen auf Wachstum setzen. Wir müssen die Sub- diesem Kontext die Gesetze zügig durchziehen. Sie ventionen deutlich reduzieren; alle müssen auf den Prüf- brauchen sich aber nicht zu wundern, dass die Konjunk- stand. Nur die Subventionen, die unbedingt erforderlich tur diese Politik von gestern nicht mitmacht. sind, bleiben erhalten. Wir müssen gleichzeitig ange- sichts der niedrigen Steuerquote, die Deutschland im in- Wir werden Ihre Politik nicht akzeptieren. Wir wer- ternationalen Vergleich hat, die Steuerbasis stabilisieren, den im Rahmen des Steuergesetzgebungsverfahrens un- indem wir sowohl die bestehenden Steuersätze anwen- sere Vorschläge auf den Tisch legen. Sie sind wesentlich den als auch über eine Mehrwertsteuererhöhung weitere (B) besser als Ihre. (D) Einnahmen erzielen. Danke. All das, was wir tun, was im Gesetzgebungsgang ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und durch den Finanzminister angekündigt worden ist, Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie haben doch ist durch die Koalitionsvereinbarung gedeckt. Da sehe keine Vorschläge! Wo waren die Alternati- ich kein Chaos und keine Verwirrung, sondern eine klare ven?) Linie und Stringenz. Mit dieser muss man nicht einver- standen sein; aber an der Klarheit ist nicht zu zweifeln. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Um ein Beispiel von Ihnen, Herr Solms, aufzugreifen: Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz, Sie haben gesagt, das Elterngeld finanzierten die Betrof- SPD-Fraktion. fenen selbst. – Herr Solms, dürfte ich, wenn ich Sie schon netterweise anspreche, Ihnen zumuten, dass Sie Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): mir zumindest Ihr Gesicht und nicht Ihren netten Hinter- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin kopf zuwenden? Scheel, mit Blick auf die Weltmeisterschaft sollten wir (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Aber im uns überlegen, für die Debatten im Bundestag ein Do- Hinterkopf ist etwas drin!) pingverbot auszusprechen. Ich habe selten so etwas Auf- gekratztes wie Ihren heutigen Beitrag erlebt, der zudem – Das weiß ich. Das bestreite ich nicht, auch wenn man noch neben der Sache lag. es von außen nicht sieht. Ich habe es ja oft genug erfah- ren. (Beifall des Abg. Otto Bernhardt [CDU/CSU] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was Sie haben eben angesprochen, dass die vom Eltern- soll das denn?) geld Begünstigten dieses selber finanzieren. Das war ein populistischer Klimmzug, wie Sie ihn gerne machen. Sie wissen, dass ich von Natur aus kein Charmebolzen Wir setzen klare Schwerpunkte, in diesem Falle auf die bin; Familienpolitik. Wir wollen, dass sich auch gut verdie- (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU – nende Paare, bei denen Frauen einen Beruf ausüben, Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ohne Einbußen in ihrer finanziellen Existenz für ein NEN]: Das weiß ich! – Leo Dautzenberg Kind entscheiden können. Das ist ein gesellschaftspoliti- [CDU/CSU]: Auf diese Idee wären wir nie ge- scher Schwerpunkt, den die Gemeinschaft aller mitzu- kommen!) finanzieren hat. Weil es eine gesellschaftliche Aufgabe 2872 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) ist, müssen sie alle mitfinanzieren und nicht etwa nur die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) betroffene Frau oder der betroffene Mann, die Nutznie- Herr Kollege, jetzt muss ich uncharmant werden. Sie ßer des Elterngeldes sind. Insofern ist die Aussage, sie müssen jetzt nämlich zum Ende kommen. finanzierten es selber, richtig und falsch zugleich; das macht gerade den Populismus aus. Gesellschaftliche Schwerpunktaufgaben müssen von allen finanziert wer- Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): den und nicht nur von einigen wenigen. Das gilt für die In Ordnung. Der letzte halbe Satz. – Wir wollen weg Familienpolitik genauso wie für viele andere wichtige von steuergeförderten Tatbeständen und hin entweder Bereiche. zur direkten Förderung oder über das Ordnungsrecht da- hin, dass – – Es ist geradezu witzig, wenn Sie, Herr Solms, aber auch Frau Scheel sagen, die Reichensteuer bringe nichts. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie sei ein reines Placebo. Herr Kollege, das waren drei halbe Sätze. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, sowieso!) Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Über ein Placebo bräuchte man sich doch gar nicht auf- Danke. zuregen. Ich bin ganz froh darüber, dass nach Angaben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Finanzministeriums das Aufkommen aus dieser Steuer auf etwa 1,3 Milliarden Euro anwachsen wird. Das ist mehr als ein Furz auf der Gardinenstange, wenn Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ich diesen unparlamentarischen Ausdruck einmal ver- Nächster Redner ist der Kollege Norbert Schindler, wenden darf. 1,3 Milliarden Euro sind eine echte Haus- CDU/CSU-Fraktion. nummer; das sollte man schon sagen. Insofern sollte man jenseits der Frage der Gerechtigkeit und der Belas- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tung breiterer Schultern mit etwas höheren Steuern die neten der SPD) Bedeutung dieser Steuer für den Haushalt nicht überse- hen. Norbert Schindler (CDU/CSU): Eine große Rolle spielt auch die Frage der Biokraft- Einen schönen Tag Frau Präsidentin! Meine Damen stoffe. Vor dem Brandenburger Tor hat ja heute eine und Herren Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste dro- ben auf den Zuschauerrängen! Reinhard Schultz, es wäre (B) Demonstration zu diesem Thema stattgefunden. Ich sage (D) ohne Häme: Es war eine gewaltige Demonstration mit vielleicht gut gewesen, wenn auch wir bei der Biode- gut 100 Leuten. Ungefähr genauso viele Dienstwagen monstration am Brandenburger Tor dabei gewesen wä- von Bioverbandsfunktionären waren zu sehen. Diesen ren. Denn es wurden einige berechtigte Sorgen vorgetra- haben einige wenige interessierte Politiker, aber auch gen. Aber das ist heute nicht das große Thema. Verbandspolitiker und Leute, die beides sind, zugehört. Großes Thema ist, was die Grünen jetzt versuchen. Das war eine schöne, machtvolle und nach vorne tra- Sie behaupten, es gebe ein totales Durcheinander. gende Veranstaltung, die auch gut in einem größeren Wohnzimmer hätte stattfinden können. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Gibt es ja auch!) Warum war sie nicht ganz so machtvoll? Weil ein gro- ßer Teil derer, die auf Biokraftstoffe setzen, über die – Wenn dies so wäre, liebe Christine Scheel, dann wäre Linie der Bundesregierung und der Koalition sehr froh die Zustimmung zu den Grundaussagen zu unserer Re- sind, dass es einen breiten industriellen Weg mit einer gierungsarbeit im Koalitionsvertrag nicht so groß, wie steigenden Quote des Kraftstoffersatzes sowohl für Otto- die Landtagswahlergebnisse in den letzten Monaten be- motoren als auch für Dieselmotoren geben wird, an dem stätigt haben. viele partizipieren können, und dies eine industrielle Strategie ist und keine, die es erlaubt, irgendwo im Meine Damen und Herren, ich will nicht vorrechnen, Lande, zum Beispiel an einer Apotheke, zu tanken, wie was die Kollegin Scheel in den vergangenen Perioden es noch der alte Benz gemacht hat. Insofern ist ein gro- manchmal vor dem Finanzausschuss verkündet hat und ßer Teil der Szene sehr zufrieden, – wie sie sich dann im Finanzausschuss bei Abstimmun- gen verhalten hat. Es war viel Populismus dabei.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war die Koalitionsräson!) Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. – Wenn du willst, kannst du eine Zwischenfrage stellen. Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Dann habe ich längere Redezeit. – außer vielleicht die eine oder andere wirtschaftliche (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das geht in Existenz, die ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten nur der Aktuellen Stunde nicht! – Christine Scheel der Tatsache verdankt, dass sie von Windfall-Profits [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das darf ich über Steuersubventionen profitieren konnte. doch nicht einmal!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2873

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rede jetzt gar nicht vom europäischen Vergleich (C) Herr Kollege, das geht nicht. Wir haben eine Aktuelle bei der Mehrwertsteuer. Alle kennen die Zahlen: Stunde. 25 Prozent; ich will die Staaten gar nicht aufführen. Deutschland stand an der drittletzten Stelle. Der europäi- Norbert Schindler (CDU/CSU): sche Vergleich ist nicht der Grund für die Erhöhung. Sie darf nicht wollen. Es ist in Ordnung. Aber ein strukturelles Defizit von 40 Milliarden Euro muss gedeckt werden: 20 Milliarden Euro durch Steuer- Schauen wir in den Koalitionsvertrag, die Richt- erhöhungen, die anderen 20 Milliarden Euro durch den schnur unserer Zusammenarbeit! Dass die Union bei die- Abbau von Steuererleichterungen. Herr Kuhn und Herr ser Bundestagswahl nur 35,x Prozent erreicht hat, lag Solms, da waren wir auch in der Vergangenheit unter- daran, dass wir – jetzt rede ich als Unionsmann – zu ehr- wegs. Jetzt haben wir die Kombination gewählt, und lich und zu offen in den Wahlkampf gegangen sind. Wir auch das ist Ihnen nicht recht. Wie soll man es denn noch haben verkündet: Wenn wir drankommen, gibt es Belas- besser machen? Wir kündigen so etwas vorab an und tungen und keine Freudentänze. Wir müssen uns an- machen keine Über-Nacht-Geschichte. Das gilt auch für schicken, dieses Deutschland wieder nach vorne zu ent- die Unternehmensteuerreform, für die Erbschaftsteuerre- wickeln. gelung in Bezug auf den Mittelstand und nach dem (Florian Pronold [SPD]: Aber ihr hättet die Karlsruher Urteil auch für die große Erbschaftsteuerre- Mehrwertsteuer um 10 Prozentpunkte erhö- form. hen müssen, wenn ihr alles hättet finanzieren Für die Unternehmensteuerreform nehmen wir uns wollen!) Zeit. Das haben wir als Union uns geschworen: nicht Ich könnte locker sagen: Man kann zur Musik nur mit schnell und schlampig, sondern langsam und solide und den Mädels tanzen, die da sind. mit guten Beratungen. Die beiden Koalitionsparteien kommen von unterschiedlichen Standpunkten. Ich ma- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU che jetzt keine basisdemokratischen Streitgespräche, wie und der SPD – Florian Pronold [SPD]: Wir Sie, Herr Kuhn, sie auf Ihren Parteitagen pflegen. Damit sind viel zu attraktiv für euch!) seid ihr ja auch immer gut unterwegs. Wir machen strei- tige Standpunkte in der Sache deutlich. Und Sie werden Die Regierungsfähigkeit ist eben mit den Sozialdemo- überrascht sein, wie gut es trotzdem in den nächsten drei kraten gegeben. Jahren noch laufen wird. Da wird sich mancher wun- Jetzt komme ich – wieder im Ernst – auf den Steuer- dern. zuschlag für Vermögende und gut Verdienende. Ich will (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nur in Erinnerung rufen, wie sehr die Steuersätze unter (B) Sie werden sich wundern!) (D) Rot-Grün gesenkt wurden. Das kann nicht das Leitthema in der jetzigen Auseinandersetzung sein. Die Solidarität Diese Koalition ist angetreten, Deutschland wieder zu aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gilt für die gut Erfolg zu führen, wenn auch unter Federführung von Verdienenden genauso wie für die Klientel von Herrn Bundeskanzlerin . Damit müssen auch Müntefering, der in seinem Etat über 5 Milliarden Euro Sie jetzt leben, nicht nur Männer in der Union, sondern einzusparen hat. Alle Schichten der Bevölkerung sind im ganzen Staat. Es läuft doch prima! Lassen Sie es uns dabei. geschickt angehen. Wir lassen uns von Ihnen nicht in eine Hektik hineintreiben, auch wenn Sie das mit dieser Noch einmal zu dem Durcheinander, das da angespro- Aktuellen Stunde beabsichtigen. Auf dieses Glatteis ge- chen wurde. hen wir nicht. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön. Chaos!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wir als Union haben die Eigenheimzulage geopfert. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dürfen (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir das zitieren?) Nachdem ihr es jahrelang blockiert hattet!) – Das war ein großes Opfer, Herr Kuhn. – Diese ersten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gesetze haben wir im Dezember schnell auf die Reihe Das Wort hat Christian Lange, SPD-Fraktion. gebracht. Sie treffen draußen auf Zustimmung. Das gilt auch für die Erhöhung der Mehrwertsteuer: ein Prozent- Christian Lange (Backnang) (SPD): punkt in die soziale Schiene, die anderen in den Staats- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und haushalt. Das ist doch ein ehrlicher Umgang mit allen Herren! Verehrte Kollegen von den Grünen, ich kann Sie draußen, die es betrifft. durchaus verstehen. Eingeklemmt zwischen der FDP mit ihren neoliberalen Konzepten auf der einen und der PDS Das strukturelle Defizit beträgt 40 Milliarden Euro. auf der anderen Seite, ist es nicht ganz einfach, sich als 20 Milliarden Euro decken wir durch Steuererhöhung. Oppositionsfraktion zu profilieren. Das sehe ich durch- Sie ist unangenehm und unpopulär, aber wir kündigen aus ein. sie lange genug vorher an. Wir haben uns wirtschaftspo- litisch und staatspolitisch ausgesprochen klug verhalten; Sie haben sich heute offensichtlich auf die Schlag- jeder kann sich darauf einstellen. worte „Steuerchaos“ und „Attacke“ eingeschworen. Ich 2874 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

Christian Lange (Backnang) (A) sage Ihnen aber: Das, was die Wirtschaft braucht, sind wären auch dann zu erwarten, wenn sich eine ab- (C) Verlässlichkeit und Ruhe. Herr Bundesfinanzminister, rupte Korrektur an den Immobilienmärkten in den ich bin Ihnen deshalb dankbar dafür, dass Sie den wichtigen Ländern vollzöge. Lockungen der Opposition, en passant eine Unterneh- mensteuerreform hinzulegen, womöglich noch in der Neben dem dämpfenden Effekt der Mehrwertsteuer Aktuellen Stunde, nicht gefolgt sind, gibt es bezogen auf die Auswirkung auf die konjunk- turelle Entwicklung sehr wohl andere Faktoren, deren (Zurufe von der FDP: Oh!) Bedeutung zumindest von den Auguren unserer Wirt- schaftsinstitute als wesentlich bedeutsamer angesehen sondern gesagt haben, dass Sie sich in Ihrem Ministe- wird. rium damit beschäftigen und dieses Hohe Haus zu gege- bener Zeit darüber beraten wird. Dieses Vorgehen ist in (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Tat eine Voraussetzung dafür, dass wir die Wirtschaft Das habt ihr im Wahlkampf doch alles ge- in Deutschland durch ein ständiges Hin und Her nicht zu wusst!) stark belasten. Auch das gehört zu einer seriösen Debatte – Herr Kuhn, An die Adresse der Koalitionsfraktionen sage ich aber Sie sind in der Lage, eine solche zu führen; zumindest auch: Das Schlechtreden muss aufhören. Es hat mittler- habe ich das in der Vergangenheit erlebt –, nicht nur At- weile aufgehört. Das ist ein Effekt der großen Koalition. tacke und Krawall. Auch das ist ein positiver Beitrag; denn wir wissen – der Spruch stammt von Erhard; aber es ist trotzdem (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: richtig –, dass Psychologie ein ganz wichtiger Gesichts- Wo waren Sie im Wahlkampf? Was haben Sie punkt ist, wenn es darum geht, die Wirtschaft voranzu- im Wahlkampf erzählt?) bringen. Jetzt möchte ich auf ein Argument eingehen, das (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber auch ebenfalls von Ihrer Seite vorgebracht wurde, nämlich richtige Maßnahmen!) den Placeboeffekt. Da wundere ich mich; denn die Wirt- schaftsverbände, die die kleinen und mittleren Unterneh- Zur Mehrwertsteuer. Es besteht kein Zweifel daran, men im Blick haben, bewerten die Reichensteuer keines- dass ich als jemand, der sich um kleine und mittlere Un- falls als Placebo. Ich teile diese Auffassung nicht. Der ternehmen bemüht, nicht als Fan einer Mehrwertsteuer- Maßstab für die Reichensteuer liegt bei einer Größen- erhöhung auftreten kann. Bis jetzt hat aber noch nie- ordnung von 250 000 Euro bei Alleinverdienern und mand eine Alternative, noch nicht einmal in Ansätzen, 500 000 Euro bei Doppelverdienern. Ich wünsche den (B) (D) vorgelegt. Wir sollten bedenken, warum wir die Mehr- Verbänden, die sich um Handwerks- und Mittelstandbe- wertsteuer eigentlich erhöhen. Ein Aspekt ist mehrfach triebe kümmern, dass die Personenunternehmen, die zu erwähnt worden: das Defizitkriterium. Dem stimme ich ihren Mitgliedesverbänden gehören, diese Gewinne ein- zu. Aus meiner Sicht gehört aber auch die Umstellung fahren. Wir wissen doch, dass der Gewinn dieser Unter- des sozialen Sicherungssystems von einem abgaben- nehmen vor Steuern im Durchschnitt bei 50 000 bis finanzierten auf ein steuerfinanziertes System dazu. Die- 100 000 Euro liegt. Das heißt, sie sind meilenweit vom sen Ansatz halte ich für richtig. Das sollten wir an dieser Spitzensteuersatz und Lichtjahre von der Reichensteuer Stelle deutlich sagen. entfernt. Deshalb ist es unseriös, auf der einen Seite den Ich bitte auch darum, differenziert auf das vermeint- Placeboeffekt anzuführen und auf der anderen Seite mit liche Schreckgespenst Mehrwertsteuererhöhung zu den Verbänden zu heulen. Das passt nicht zusammen. schauen. Auf die kleinen und mittleren Handwerksunter- Das ist keine logische Kritik. nehmen komme ich gleich noch zu sprechen. Die Ge- Ich bitte Sie von den Grünen einfach, zu einer kon- meinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute struktiven Auseinandersetzung zurückzukehren und das zur Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirt- schaft im Frühjahr 2006 zeigt auf, dass es neben der Thema Mehrwertsteuer nicht auf den Wahlkampf zu re- Mehrwertsteuer, die – darüber sind wir uns einig – in der duzieren, sondern die Effekte anzuschauen, die durchaus Tat dämpfend wirkt, andere Faktoren gibt, deren kon- problematisch sind, sie zu gewichten im Zusammenhang junkturelle Bedeutung zumindest von den Instituten als mit weiteren Komponenten, die eine Rolle spielen: welt- wesentlich größer erachtet wird. wirtschaftliche Auseinandersetzungen, Erdölpreise und Immobilienpreise. Keiner weiß, wie sich das im Jahr (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2007 auswirken wird. Ich bitte Sie auch, beim Thema Haben Sie das bei Ihrem Wahlkampf noch Reichensteuer zumindest die Gewinnsituation der Be- nicht gewusst?) triebe des Mittelstandes, um die wir uns alle in hundert Reden zu Recht Sorgen machen, ins richtige Licht zu rü- Ich will an dieser Stelle klar sagen, was das heißt: Es cken. Denn die sind von der Reichensteuer – leider – gibt Risiken. Sie sind – so steht es in dem Bericht – in niemals betroffen. der weltwirtschaftlichen Konjunktur begründet. Herzlichen Dank. So würde ein erneuter Preisschub beim Erdöl, aus- gelöst durch eine befürchtete Angebotsverknap- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten pung, die Konjunktur dämpfen. Kontraktive Effekte der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2875

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gung der eigenen Kulisse Reichensteuer nennt, ist das (C) Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/ seine Sache. Das werden wir aushalten. Aber man muss CSU-Fraktion. zugestehen, dass es nicht gerade ein gutes Entree für ausländische Investoren ist, wenn man das mit solchen Begriffen belegt. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ei- Zu Zeiten Waigels hatten wir, Kollege Solms – da ner der Redner, die am Schluss dieser Aktuellen Stunde waren Sie mit in der Koalition –, für einen bestimmten sprechen, muss ich wirklich fragen: Worin lag der Nähr- Zeitraum auch die Präferierung und Privilegierung ge- wert der Aktuellen Stunde, Herr Kuhn und Vertreter der werblicher Einkünfte. Das ist damals nicht verfassungs- Grünen? rechtlich gescheitert. Wenn jetzt aber verfassungsrechtli- che Bedenken entstehen, ist das legitim. Man kann es (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ nicht als Chaos bezeichnen, wenn darüber inhaltlich dis- DIE GRÜNEN]: Sie können das jetzt aufklä- kutiert wird und man sagt: Wir vereinbaren gemeinsam, ren!) zumindest die Gewinneinkünfte vom Zuschlag der 3 Prozentpunkte auszunehmen. Das ist doch kein Chaos, Denn wir haben die Ausführungen vonseiten der Koali- sondern sachlich bezogene Arbeit. Es ist das, was wir tionsfraktionen gehört, die Sie kritisieren, aber keine Al- gemeinsam vereinbart haben und was wir zeitnah umset- ternativen dazu, wie man es besser machen kann. Da zen. zieht auch die Ausrede nicht, dass das in einer Aktuellen Stunde mit Fünfminutenbeiträgen nicht zu leisten sei. Genauso werden wir die Punkte, die noch zu REITs Wenn man sich darauf konzentriert und entscheidende und im Bereich der Unternehmensteuerreform anstehen Punkte angegeben hätte, wäre das durchaus möglich ge- – auch das wurde heute angekündigt –, behandeln. Die wesen. Von daher hat Kollege Schindler Recht, wenn er Bundesregierung wird noch vor der Sommerpause und sagt, dass wir uns durch dieses Getöse von der sachbezo- mit Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes die genen Arbeit und der kontinuierlichen Umsetzung des Eckpunkte der Unternehmensteuerreform vorlegen. Da- Koalitionsvertrages, den wir gemeinsam beschlossen ha- raus kann ich nicht den Schluss ziehen, dass wir in ei- ben und Schritt für Schritt zeitnah umsetzen werden, nem Dreivierteljahr die entscheidenden Punkte, die nicht abbringen lassen. Wachstum generieren sollen, nicht wirklich zeitnah auf den Weg gebracht haben. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung einen Dreiklang aus Sanieren, Investieren und Reformieren. Auch Sie sollten sich vor Augen führen – Sie kennen Wir befinden uns jetzt in Teilbereichen der Finanzpolitik das ja –, dass es in einer Koalition unterschiedliche Auf- fassungen gibt, über die man diskutieren und dann zu (B) und Finanzwirtschaft bei der Sanierung und auch in Ele- (D) menten des Investierens und des Reformierens. einem Ergebnis kommen muss. Im Gegensatz zu Ihnen ist die Union als der etwas größere Koalitionspartner im- Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, was diese mer bei ihren Positionen geblieben. Natürlich mussten Koalition in diesen drei Bereichen schon auf den Weg auch wir Kompromisse eingehen. Aber, Frau Kollegin gebracht hat. Sie kennen das Koch/Steinbrück-Papier Scheel, wenn ich mich daran erinnere, was Sie in der da- maligen Koalition alles angekündigt haben, und wenn (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ja!) ich mir vergegenwärtige, wie Sie später nur aus Gründen mit dem so genannten Subventionsbericht. Wir haben des Machterhalts eingeknickt sind, das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen am Ende NEN]: Ach was! Wir haben sehr viel umge- des letzten Jahres auf den Weg gebracht. Denken Sie an setzt! Das weißt du doch auch!) das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuer- gestaltungen! Zurzeit läuft die Beratung des Haushalts- kann ich diesen Vorwurf, der von Ihrer Seite an meine begleitgesetzes. Heute sind uns die Eckpunkte zum Steuer- Fraktion und an die jetzige Koalition gerichtet wird, änderungsgesetz 2007 mitgeteilt worden. Darin sind nicht gelten lassen. auch Elemente enthalten, über die wir schon seit Jahren Wir sollten gemeinsam und sachbezogen weiterarbei- diskutieren und die im Grunde Steuersubventionstatbe- ten. Sie sind herzlich eingeladen, in diesem Rahmen Ih- stände darstellen. Jetzt werden diese Elemente refor- ren Beitrag zu leisten. miert und anders gestaltet, Vielen Dank. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wir wollen die Tarife senken!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) angefangen, Kollege Thiele, bei der Fahrtkostenpau- schale bis hin zu anderen Bereichen. Das wird Schritt für Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Schritt umgesetzt. Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol- lege Lothar Binding, SPD-Fraktion. Kollege Solms, bezüglich der Gewinneinkünfte haben Sie den Zuschlag zur Einkommensteuer angesprochen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innerhalb der Koalition ist die Union der Auffassung, Denk an deinen Wahlkampf in Heidelberg, lie- dass man das weiterhin Zuschlag zur Einkommensteuer ber Lothar! Gegen die Mehrwertsteuererhö- nennen sollte. Wenn der Koalitionspartner es zur Beruhi- hung!) 2876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sie haben noch einen Aspekt angesprochen, der nur (C) Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen sehr schwer nachzuvollziehen war. Sie sagten – ich zi- und Kollegen! Lieber Fritz, ich glaube, heute haben die tiere wieder wörtlich –: „Diese 120 Milliarden Euro feh- Grünen ihr Ziel verfehlt. Ich habe mitgeschrieben, wie len im Wirtschaftskreislauf.“ Ich frage mich: Wie kann oft im Zusammenhang mit dem Antrag der Grünen das in einem Wirtschaftskreislauf überhaupt etwas fehlen? Wort Chaos erwähnt wurde. Das war weniger als zehn- Welche Einnahmen auch immer der Staat macht, kaum mal der Fall. Das ist eigentlich ein schwacher Reflex auf jemand gibt Geld schneller wieder aus als der Staat. einen so großen Antrag. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was heißt Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Allerdings! denn hier „großer Antrag“?) Aber wofür?) In der Vergangenheit wurden solche Anträge normaler- Insofern ist er ein Element dieses Kreislaufs. Der Quelle weise gestellt, um diesen Begriff möglichst oft mit dem auf der einen Seite entspricht die Senke auf der anderen politischen Gegner und seiner schlechten Politik zu ver- Seite und umgekehrt. Sie merken: Wenn wir einen Kreis- knüpfen. lauf zugrunde legen, kann – ich gebe Ihnen Recht: Aus- nahmen bilden das Sparen und die Auslandsbezüge – (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nichts verloren gehen. NEN]: Das haben wir nicht nötig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In einem ähnlichen Zusammenhang habe ich einmal der CDU/CSU) als Antwort auf die Ausführungen von Steffen Kampeter eine Rede gehalten. Vielleicht erinnert sich der eine oder Deshalb sollten Sie sich über den Wirtschaftskreislauf andere, dass damals genau das sein Reflex auf die Politik noch einmal Gedanken machen. der Regierung war. Damals machte Fritz Kuhn Zwi- Jetzt komme ich auf den Zuruf von Fritz Kuhn schenrufe wie „Steuererhöhungen blockieren die Län- – „Denk an deinen Wahlkampf!“ – zu sprechen. Daran der!“ oder „Scheinheilig!“; das sollten wir noch einmal denke ich auch. Bei meinen Wahlkampfveranstaltungen genauer untersuchen. Christine Scheel hat sogar einen habe ich nämlich gesagt: Da wir eine Nachfrageschwä- „Lügenausschuss“ erwähnt, der möglicherweise einge- che haben, dürfen wir die Mehrwertsteuer nicht erhöhen. setzt werden sollte. Sie sprach von einem „Ablenkungs- manöver“ (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: „Merkelsteuer“ haben Sie doch dazu (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesagt!) NEN]: Ja!) (B) – Das habe ich nicht getan. Ich habe das, was ich gerade (D) und hat dafür sogar die Fußballweltmeisterschaft in An- erwähnt habe, gesagt. So genau möchte ich schon sein. spruch genommen. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was? Sie haben doch Faltblätter mit NEN]: Ja, genau!) dieser Bezeichnung verteilt!) Daran kann man die Diktion dieses Antrags erkennen. – Nein, diese Faltblätter habe ich in meinem Wahlkreis Dann versteht man auch, warum ich meine, dass er ver- nicht verteilt. Das wird auch Fritz Kuhn bestätigen kön- fehlt ist. nen. Ihr müsst die Dinge schon korrekt zuordnen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Selbstverständlich haben wir über andere Einnahme- welchem Antrag redest du eigentlich?) quellen nachgedacht; denn jedem ist bekannt, wie wir auf europäischer Ebene platziert sind und dass wir un- Auch der Kollege Solms hat etwas Interessantes ge- sere Einnahmesituation verbessern müssen. In diesem sagt Zusammenhang haben wir insbesondere an eine Erhö- (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Das mache hung der Einkommensteuer und an die Beseitigung von ich meistens!) Steuerschlupflöchern gedacht. Dazu stehen wir. Aller- dings war hier kein Kompromiss zu erzielen. Deshalb ist – das stimmt –: Beim Elterngeld würden wir verschwei- es mir wichtig, zu prüfen, ob die Aussage von Fritz gen, dass die Bürger – ich zitiere ihn wörtlich – „das Kuhn – dass wir die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer- selbst bezahlen“. Ich frage Sie: Wie können wir das ver- erhöhung angesichts der Haushaltssituation gar nicht be- schweigen? Es gibt in diesem Staat nichts, was nicht die nötigen – überhaupt stimmt. Fritz, wenn du das so sagst, Bürger bezahlen. Selbst wir werden von den Bürgern be- dann hast du eine jahresbezogene, vielleicht sogar stich- zahlt. tagsbezogene Betrachtung von Wirtschaftspolitik und (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Oh ja, zwei- vergisst die strukturellen Defizite, die aus Fehlentschei- und dreifach!) dungen in der Vergangenheit resultieren und unseren Haushalt auf viele Jahre voraus bestimmen. Wer das Alles, was in diesem Staat passiert, bezahlen letztendlich strukturelle Defizit in unserem Haushalt maastrichtkon- die Bürger. Wenn man das nicht zur Kenntnis nimmt, ist form gestalten will, muss sich – zum Beispiel über die es natürlich leicht, zu sagen, dass etwas verschwiegen Mehrwertsteuer oder über andere Systeme; die könnt ihr wird. dann vorschlagen – kontinuierliche Einnahmen sichern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2877

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Deshalb glaube ich, dass wir bei einer Steuerquote von Euro, der merkt, dass wir in diesem Sektor eine – wenn (C) 20 Prozent in diesem Staat ich etwas aufrunden darf – 10-prozentige Anhebung ha- ben. Insofern ist die Reichensteuer eben nicht marginal. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Haben wir doch Außerdem ist es wichtig, dass die Botschaft ankommt: gar nicht! Es sind 22 Prozent!) Die starken Schultern sollen mehr tragen. um eine Steuererhöhung dieser Art nicht herumkommen. Diese Maßnahmen sind ein guter Anfang, den wir er- Die Frage ist aber immer, was man mit den Steuerein- gänzen – ich will ein konkretes Beispiel nennen – durch nahmen macht. Wir legen ein Konjunkturprogramm auf, die Abschaffung der Möglichkeit, Filmfonds zur Steuer- das der Wirtschaft helfen soll. ersparnis zu nutzen. Wenn wir auf diesem Weg weiterge- Wo wir gerade über die Nachfrageschwäche diskutie- hen, können wir die Staatsfinanzen konsolidieren. Mit ren: 80 Milliarden Euro von 190 Milliarden Euro fließen „Sanieren, investieren, reformieren“ sind wir auf einem in den Rententopf; wir wissen, dass die Rentner einen guten Weg. wichtigen Teil der Nachfrageseite ausmachen. 40 Mil- liarden Euro fließen als Transferleistungen im Zusam- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten menhang mit Arbeitslosigkeit und Arbeit in den Markt. der CDU/CSU) Natürlich haben die Menschen, denen wir Transferleis- tungen wie das Arbeitslosengeld II geben, ein Nachfra- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gepotenzial. Noch etwas ganz Wichtiges: Wir haben die Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Gemeindefinanzen gestärkt, was bedeutet, dass vor Ort, ordnung. unmittelbar bei den Bürgern, etwas ankommt. Ich glaube, das ist essenziell. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Donnerstag, den 11. Mai 2006, Ein Wort zur Reichensteuer: 9 Uhr, ein. (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Neidsteuer!) Ich wünsche allen in diesem Hohen Hause – den Kol- Die Reichensteuer ist eine Ergänzung all dessen. Man leginnen und Kollegen, den Mitarbeiterinnen und Mitar- kann sagen, das Aufkommen ist marginal: im ersten Jahr beitern, aber auch unseren Besuchern auf der Tribüne – nur ungefähr 130 Millionen Euro, im zweiten Jahr nur einen schönen Mittwochabend. etwa 800 Millionen Euro. Wer das aber ins Verhältnis Die Sitzung ist geschlossen. setzt dazu, wie hoch die veranlagte Einkommensteuer nach Erstattungen ist, nämlich ungefähr 9 Milliarden (Schluss: 16.48 Uhr) (B) (D)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2879

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Die Frage eines Bleiberechts für langjährig im Bun- desgebiet geduldete ausreisepflichtige ausländische Liste der entschuldigten Abgeordneten Staatsangehörige wurde bereits während der IMK im Dezember 2005 ausführlich erörtert. Die IMK hatte die Koalitionsvereinbarung begrüßt, das Zuwanderungsge- entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich setz anhand der Anwendungspraxis zu evaluieren und dabei unter anderem die Frage der Kettenduldungen so- wie humanitäre Probleme, insbesondere mit Blick auf in * Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 10.05.2006 Deutschland aufgewachsene Kinder, zu prüfen. Die IMK hatte beschlossen, eine Arbeitsgruppe auf Ministerebene Gabriel, Sigmar SPD 10.05.2006 einzurichten, die sich mit der Gesamtproblematik befas- sen und gegebenenfalls Verfahrensvorschläge entwi- Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 10.05.2006 ckeln wird. DIE GRÜNEN Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz hat den Griefahn, Monika SPD 10.05.2006* Innenministern und -senatoren der Länder mit Schreiben vom 9. März 2006 vorgeschlagen, die Evaluation des Dr. Hendricks, Barbara SPD 10.05.2006 Zuwanderungsgesetzes abzuwarten, um dann auf Grund- lage gesicherter Erkenntnisse zu einer vernünftigen und Hilsberg, Stephan SPD 10.05.2006 praxisgerechten Lösung zu kommen. Der Vorsitzende hat vorgeschlagen, die Arbeitsgruppe unmittelbar nach Jung (Konstanz), CDU/CSU 10.05.2006 Vorliegen des Evaluationsberichtes einzuberufen, um Andreas dann gegebenenfalls eine Altfallregelung auszuarbeiten, die auf der Herbst-IMK beschlossen werden könnte. Kelber, Ulrich SPD 10.05.2006 Die Evaluation des Zuwanderungsgesetzes wurde im Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 10.05.2006 Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 11. November 2005 vereinbart. Im Rahmen der Evalua- Krüger-Leißner, SPD 10.05.2006* tion fand neben der Auswertung der Rechtsprechung und Angelika (B) der Abfrage der Erfahrungen der Landesinnenministe- (D) rien Ende März ein zweitägiger Erfahrungsaustausch der Lafontaine, Oskar DIE LINKE 10.05.2006 Praktiker zu Fragen des Ausländer-, Asyl- und Staats- angehörigkeitsrechts statt. Dabei wurden auch Fragen Raidel, Hans CDU/CSU 10.05.2006* der humanitären Aufenthalte und mögliche Bleiberechts- regelungen kontrovers diskutiert. Mehrere Referenten Ramelow, Bodo DIE LINKE 10.05.2006* haben sich für eine Bleiberechtsregelung für Familien Schauerte, Hartmut CDU/CSU 10.05.2006 mit langjährigem Aufenthalt ausgesprochen. Es wurden jedoch auch Bedenken vorgebracht, insbesondere bezüg- Stiegler, Ludwig SPD 10.05.2006 lich der Personen, die Straftaten begangen, die Behörden getäuscht oder ihre Identität verschleiert haben, sowie Thönnes, Franz SPD 10.05.2006 bezüglich der Folgen einer solchen Regelung. Auf Grundlage der Ergebnisse der Evaluationsmaß- * für die Teilnahme an der 114. Jahreskonferenz der Interparlamenta- nahmen wird vom Bundesministerium des Innern bis rischen Union Ende Juni 2006 ein Evaluationsbericht erarbeitet, der den parlamentarischen Gremien übermittelt wird.

Anlage 2 Anlage 3 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die dringli- chen Fragen des Abgeordneten Volker Beck (BÜND- der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1402, dringli- Frage des Abgeordneten Uwe Schummer (CDU/CSU) che Fragen 3 und 4): (Drucksache 16/1374, Frage 1): Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Wie viele Versandapotheken gibt es in Deutschland, und Innenministerkonferenz (IMK) auch bei dieser Sitzung zu kei- nach welchen Kriterien werden sie zugelassen? ner Lösung im Hinblick auf die Situation der über 150 000 Personen gekommen ist, die seit vielen Jahren bereits Derzeit sind nach Angaben der Bundesvereinigung in Deutschland mit einer Duldung leben müssen? Deutscher Apothekerverbände (ABDA) (Stand 31. De- Welche zeitlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung, zember 2005) 1 420 Apotheken als Versandapotheken um dieses überfällige Problem einer Lösung zuzuführen? zugelassen. Die Kriterien für die Zulassung regelt § 11 a 2880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) Apothekengesetz. Diese sind insbesondere: gleichzeiti- Haltung auch im Rahmen der bevorstehenden entwick- (C) ges Bestehen von Versand- und Präsenzapotheke; ein lungspolitischen Regierungsverhandlungen im Septem- Qualitätssicherungssystem, das sicherstellt, dass entspre- ber dieses Jahres angesprochen werden. chend verpackt, transportiert und ausgeliefert wird; die Auslieferung an den Auftraggeber oder eine von ihm be- nannte Person erfolgt; auf Beratung mit dem behandeln- Anlage 6 den Arzt bei Problemen hingewiesen wird; nur Liefe- rung von zugelassenen Arzneimitteln; System zur Antwort Meldung von Risiken und System zur Nachverfolgung des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage der von Sendungen. Die Zulassung erfolgt durch die zustän- Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜND- digen Länderbehörden. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 6): Welchen zusätzlichen öffentlichen Aufklärungsbedarf über die Verbrechen der SED-Diktatur und der öffentlichen Anlage 4 Propagandaarbeit der ehemaligen Täter und ihrer Vereinigun- Antwort gen sieht die Bundesregierung auch für die Arbeit der Bun- desbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vor dem Hintergrund des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage der Auseinandersetzungen in der Gedenkstätte Hohenschön- der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ hausen und aktuellen Forderungen nach Auflösung dieser Be- hörde? DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 2): Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Bereits die Entscheidung über die Verlagerung der Jahresproduktionsmengen der Chemikalie Isopropylthioxan- Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher- ton (ITX), und wie würde die Chemikalie von der neuen euro- heitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen päischen Chemikalienverordnung REACH (Registrierung, Republik (BStU) und der Stiftung zur Aufarbeitung der Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe) erfasst, wenn man die Einigung zu REACH im europäischen SED-Diktatur vom Bundesministerium des Innern in den Wettbewerbsrat vom Dezember 2005 zugrunde legt? Zuständigkeitsbereich des Beauftragten der Bundesre- gierung für Kultur und Medien (BKM) war mit dem Die Stoffbezeichnung gemäß Fragestellung ist nicht politischen Ziel verbunden, die Auseinandersetzung mit ganz präzise. Es wird davon ausgegangen, dass es sich der SED-Diktatur zu stärken und die Orte des Erinnerns bei dem angesprochenen Stoff um 2-Isopropylthioxani- und der politischen Bildung konzeptionell und praktisch ton handelt. In diesem Fall wäre der genannte Stoff ein miteinander zu vernetzen und Synergien zu erschließen. Altstoff, der derzeit unter die Regularien der EG-Alt- Auf der Grundlage des Gedenkstättenkonzepts von 1999 stoffverordnung fällt. Da es sich bei diesem Stoff weder wird seit dem Frühjahr 2005 an einem Konzept zur erin- (B) um einen hochvolumigen Stoff noch um einen aus sons- (D) nerungspolitischen Aufarbeitung der SED-Diktatur und tigen Gründen prioritären Altstoff handelt, waren im DDR-Geschichte unter besonderer Berücksichtigung Rahmen der EG-Altstoffverordnung keine weitergehen- von Widerstand und Opposition gearbeitet. Im Mai 2005 den Informationen beizubringen. Die Jahrestonnage liegt wurde durch die damalige Kulturstaatsministerin zwischen 10 und 50 Tonnen (bezogen auf die Jahre 1992 Christina Weiss eine unabhängige Expertenkommission bis 1994). Dieser Stoff würde künftig als „phase-in“- berufen, deren Auftrag darin besteht, Elemente eines de- Stoff den Regularien der REACH-Verordnung unterlie- zentral organisierten Geschichtsverbundes zu erarbeiten. gen. Abhängig von der Jahrestonnage sind von den Re- Ihre Ergebnisse wird die Kommission am 15. Mai 2006 gistrierungspflichtigen drei, sechs oder elf Jahre nach In- publizieren. In einem geplanten Hearing werden die Kraft-Treten der Verordnung Registrierungsunterlagen Kommissionsempfehlungen für die Fachöffentlichkeit mit bestimmten, in den Anhängen der REACH-Verord- zur Diskussion gestellt. Der BKM wird dann unter Ein- nung spezifizierten Informationen vorzulegen. Der Re- beziehung der Empfehlungen und der Diskussionsergeb- gistrierpflichtige ist für die Sicherheit seines Stoffes in nisse ein Konzept erarbeiten, das die Aufarbeitung der der von ihm angegebenen Verwendung verantwortlich. SED-Diktatur deutlich stärkt. Damit wird auch die Forderung der Koalitionsvereinbarung nach einer ange- messenen Berücksichtigung der beiden Diktaturen in Anlage 5 Deutschland erfüllt. Antwort In dieser Diskussion wird auch die künftige Entwick- der Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann auf die Frage lung der BStU einen wichtigen Stellenwert haben. Dabei des Abgeordneten Dr. Karl Addicks (BÜNDNIS 90/ ist sicherzustellen, dass die BStU ihren wichtigen ge- DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 5): setzlichen Auftrag weiterhin erfüllen kann. Es stellt sich Wird die Bundesregierung angesichts ihrer im September/ aber – darüber besteht Einigkeit bei allen Beteiligten – Oktober 2006 stattfindenden Regierungsverhandlungen mit ebenso die Frage, welche Konsequenzen aus der rück- Marokko über die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit läufigen Entwicklung in einigen Aufgabenfeldern zu zie- den Westsahara-Konflikt miteinbeziehen? hen sind. Bei allem geht es auch um den effektiven Ein- Der Westsaharakonflikt ist regelmäßig auch Thema satz der erheblichen Bundesmittel in diesem Bereich. politischer Gespräche anlässlich von Regierungsver- Der Bund finanziert drei Einrichtungen zu 100 Prozent handlungen oder Konsultationen über die Entwicklungs- (BStU, Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, zusammenarbeit mit Marokko. Entsprechend wird un- Zeitgeschichtliches Forum Leipzig/Stiftung Haus der sere in der Antwort auf Ihre Frage 12 formulierte Geschichte) und beteiligt sich an der Finanzierung vieler Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2881

(A) Einrichtungen teils institutionell (Stiftung Hohenschön- len unabhängigen Untersuchung der gewaltsamen Ereig- (C) hausen, Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth), teils nisse von Andischan fest. im Wege der Projektförderung (zum Beispiel Erinne- rungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde). Die Bun- Zu Frage 16: desregierung unterstützt das sinnvolle Wirken dieser Einrichtungen sowie alle Bemühungen, der Verharmlo- Das Mandat des OSZE-Zentrums in Taschkent läuft sung von SED-Verbrechen und einer drohenden „Ostal- bis 30. Juni 2006. Das OSZE-Zentrum spielt eine ent- gie“ entgegenzuwirken, nach Kräften. scheidende Rolle, nicht nur beim Dialog mit der usbeki- schen Regierung, sondern auch und gerade durch seine Kontakte mit der Zivilgesellschaft Usbekistans. Bisher hat Usbekistan keinen förmlichen Vorschlag unterbreitet, Anlage 7 das Mandat nach dem 30. Juni einzuschränken. Die Bun- Antwort desregierung fordert weiterhin eine Verlängerung des Mandats in unveränderter Form. des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 9): Anlage 9 Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Dr. I. M. sich vor Gericht in Deutschland, in der Demokratischen Republik Antwort Kongo, in Ruanda oder vor dem Internationalen Gerichtshof des Staatsministers Gernot Erler auf die Fragen des Ab- wegen der Vorwürfe verantworten muss, und was unternahm die Bundesregierung zu diesem Zweck konkret etwa durch geordneten Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Weisung an den Generalbundesanwalt? (Drucksache 16/1374, Fragen 17 und 18): Kann die Bundesregierung angesichts der Bestimmungen Der Generalbundesanwalt hat aufgrund der Erkennt- der UN-Sicherheitsratsresolution 1671 (vom 25. April 2006) nisse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Gemeinsamen Aktion des Rates der Europäischen zum Widerruf der Anerkennung von Herrn M. als Asyl- Union Nr. 7779/06 (vom 26. April 2006) eine kurz- oder lang- berechtigter veranlassten, am 11. April 2006 ein Ermitt- fristige Ausweitung des Aufgabenspektrums der EUFOR RD lungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes ge- CONGO-Mission ausschließen? gen das Völkerstrafgesetzbuch gegen ihn eingeleitet. Welche Evakuierungseinsätze sind nach Auffassung der Bundesregierung von Punkt 8.e der UN-Sicherheitsratsresolu- Herr M. steht danach im Verdacht, als Präsident der tion 1671 (vom 25. April 2006) abgedeckt, die von „opera- ruandischen Rebellengruppe FDLR für die von dieser tions of limited character in order to extract individuals in seit 2001 im Osten der Demokratischen Republik Kongo danger“ spricht? (B) begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die (D) Menschlichkeit verantwortlich zu sein. Anlass für ein Zu Frage 17: Tätigwerden der Bundesregierung bestand und besteht Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit der nicht. Resolution 1671 vom 25. April 2006 die Ermächtigung für den Einsatz der militärischen Operation der Europäi- schen Union, EUFOR RD CONGO, erteilt. Die Reso- Anlage 8 lution ist Grundlage für die militärische Planung des Antwort Einsatzes. Die Gemeinsame Aktion des Rates der Euro- päischen Union vom 27. April 2006 verweist in Art. 1 des Staatsministers Gernot Erler auf die Fragen der Abge- unter dem Titel „Aufgaben“ auf diese Resolution. Im ordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE Rahmen ihrer Mittel und Fähigkeiten ist EUFOR RD GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Fragen 15 und 16): CONGO durch den Sicherheitsrat der Vereinten Natio- nen ermächtigt, alle notwendigen Maßnahmen zu ergrei- Für welche Schritte engagiert sich die Bundesregierung im Lichte des jüngsten OSZE/ODIHR-Berichtes vom 24. April fen, um die im Operativen Punkt 8 der Sicherheitsresolu- 2006 und bisheriger erfolgloser Bemühungen im Rahmen der tion aufgeführten Aufgaben zu erfüllen. Hierzu zählen OSZE und anderer multilateraler Gremien, um eine interna- neben der Eigensicherung folgende Punkte: Unterstüt- tional unabhängige Untersuchung der gewaltsamen Vorfälle zung von MONUC bei den Stabilisierungsaufgaben, in Andischan am 13. Mai 2005 sicherzustellen? wenn MONUC diese Aufgabe ohne Hilfe von EUFOR Wie geht die Bundesregierung mit Forderungen von usbe- RD CONGO nur unter ernsten Schwierigkeiten erfüllen kischer Seite um, das Mandat des OSZE-Zentrums in Tasch- könnte; Schutz von Zivilpersonen, denen unmittelbare kent ab diesem Sommer einzuschränken? physische Gewalt droht; Beitrag zum Flughafenschutz Kinshasa; Durchführung von Einsätzen begrenzten Um- Zu Frage 15: fangs mit dem Ziel, in Gefahr befindliche Einzelperso- Die Bundesregierung begrüßt die Veröffentlichung nen zu evakuieren. Eine Änderung dieser Rahmenbedin- des OSZE/ODIHR-Berichtes zum Andischan-Auftakt- gungen für die Operation EUFOR RD CONGO ist nicht vorgesehen. prozess, bei dem letztes Jahr 15 Angeklagte zu langjähri- gen Haftstrafen verurteilt wurden. Ergebnisse und Emp- Zu Frage 18: fehlungen des Berichtes werden derzeit eingehend geprüft. Die Bundesregierung erwartet von der usbeki- Die Planungen der Europäischen Union für den Ein- schen Regierung, sich den Ergebnissen des Berichtes zu satz von EUFOR RD CONGO sind noch nicht abge- stellen. Die Bundesregierung hält an einer internationa- schlossen. Die Überlegungen der Europäischen Union 2882 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) gehen dahin, die im Operativen Punkt 8.e der Resolution ration du Rwanda/Forces Combattantes Abacunguzi) wegen (C) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1671 (2006) schwerster Kriegsverbrechen, Mord und Vergewaltigung von der US-Regierung als „Terrorist“ gelistet ist und vom UN-Si- enthaltene Ermächtigung so zu interpretieren, dass vor cherheitsrat in den Resolutionen 1596 (2005) und 1649 (2005) allem internationale Beobachter, Personal der Vereinten mit einem Reiseverbot sowie finanziellen Sanktionen belegt Nationen und Personen, die mit der Durchführung der wurde? Wahlen betraut sind, evakuiert werden können, wenn sie sich in unmittelbarer Gefahr befinden. Dr. I. M. ist Präsident der „Forces Democratiques de Liberation du Rwanda“ (FDLR) und wurde vom Sank- tionsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- Anlage 10 nen zur Überwachung der Sanktionen in Bezug auf die Demokratische Republik (Resulution 1596 vom 18. April Antwort 2005) im November 2005 wegen Verstoßes gegen das Waffenembargo gelistet. Von deutscher Seite wurden des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Fragen Maßnahmen zur Umsetzung der VN-Sanktionen, das des Abgeordneten Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ heißt Einfrieren von Geldern und anderen Finanzmitteln DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Fragen 19 und 20): und ein Einreise- und Transitverbot, veranlasst. Für die Ist es gewährleistet, dass Unternehmen, die nicht Haupt- Durchführung des Ausländerrechts im Inland sind grund- sponsoren der FIFA oder nationale Förderer der Fußballwelt- sätzlich die Behörden der Länder und nicht die Bundesbe- meisterschaft 2006 sind, ihre grundrechtlich geschützte Wer- befreiheit an den Orten und Spielstätten (Stadien, Zufahrts- hörden zuständig. Nach Auskunft des zuständigen Innen- straßen, Luftraum, sonstige Veranstaltungsorten) der ministeriums des Landes Baden-Württemberg wurde M. Fußballweltmeisterschaft ausüben können, soweit es sich um nach seiner Wiedereinreise nach Deutschland Anfang öffentliche Räume handelt, und wenn nein, aufgrund welcher April diesen Jahres in Polizeigewahrsam genommen und Vereinbarungen bzw. auf welcher gesetzlichen Ermächti- anschließend in Abschiebungshaft überführt. Im Zusam- gungsgrundlage werden Zutritt und Ausübung der Werbefrei- heit während der Dauer der Fußballweltmeisterschaft be- menhang mit dem am 11. April 2006 eingeleiteten Ermitt- schränkt? lungsverfahren des Generalbundesanwaltes habe dieser das Regierungspräsidium Karlsruhe gebeten, von einer In welchen räumlichen und zeitlichen Grenzen beteiligen sich nach Kenntnis der Bundesregierung hoheitliche Organe Abschiebung des Beschuldigten bis auf weiteres abzuse- der Bundesrepublik Deutschland an der Überwachung oder hen (§ 72 Abs. 4 AufenthG). Da somit eine Abschiebung Durchsetzung von FIFA-Werbebeschränkungen? zunächst nicht durchgeführt werden kann, bestand keine Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung der Abschie- Zu Frage 19: bungshaft nach § 62 AufenthG. Das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg hat daher entschieden, den Die FIFA-Fußball-WM 2006 ist eine Veranstaltung M. am 24. April 2006 aus der Abschiebungshaft zu entlas- (B) des Fußball-Weltverbandes FIFA. Die FIFA besitzt alle send. Zur Überwachung des M. wurden nach Mitteilung (D) Rechte an der Veranstaltung einschließlich der Vermark- des Landes Baden-Württemberg Maßnahmen nach § 54 a tungsrechte. Innerhalb des jeweiligen WM-Stadions und AufenthG angeordnet. Ihm sei aufgegeben worden, sich seines so genannten äußeren Sicherheitsrings sowie des mindestens zwei Mal pro Woche bei der Polizeidienst- Luftraumes über dem Stadion besteht aufgrund vertragli- stelle Mannheim zu melden, und sein Aufenthalt wurde cher Vereinbarungen zwischen der FIFA bzw. dem FIFA auf den Stadtkreis Mannheim beschränkt. Ferner wurde WM-Organisationskomitee und den Stadionbetreibern ihm die politische Betätigung gemäß § 47 AufenthG un- und Kommunen Werbe-Exklusivität für die 15 Offiziel- tersagt. Die Bundesregierung hat keinen Grund, die len FIFA-Partner und die sechs Nationalen Förderer, an- Recht- und Zweckmäßigkeit der Entscheidungen des zu- sonsten gibt es keine Einschränkungen der Werbefrei- ständigen Landes Baden-Württemberg in Zweifel zu zie- heit. hen. Die Bundesregierung hat den VN-Sanktionsaus- schuss über alle Schritte in diesem Fall informiert. Zu Frage 20: Da es sich, wie oben angeführt, bei der Fußball-WM 2006 um eine Veranstaltung der FIFA handelt, können Anlage 12 die FIFA bzw. das FIFA-WM-Organisationskomitee Antwort Verstöße gegen Marken- und Lizenzrechte gegenüber den Ordnungsämtern der Städte anzeigen, die wiederum des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Frage der eigenständig entscheiden, ob und wie sie eingreifen. Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) (Drucksache 16/1374, Frage 24): Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass ehemalige Anlage 11 tschechische Zwangsarbeiter an deutschen Schulen über ihre Erfahrungen mit der Zeit des Nationalsozialismus berichten, Antwort und wie bewertet die Bundesregierung die Meldung, dass die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ die des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des notwendigen Mittel von 50 000 Euro nicht mehr für diesen Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Zweck bereitstellen will (Berliner Zeitung vom 5. Mai 2006)? DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 21): Die Bundesregierung hält es für sinnvoll, dass ehema- Wie beurteilt die Bundesregierung die Freilassung des in lige tschechische Zwangsarbeiter an deutschen Schulen Deutschland festgenommenen ruandischen Staatsangehöri- gen Dr. I. M. durch die deutschen Behörden, der als Anführer über ihre Erfahrungen mit der Zeit des Nationalsozialis- und Chef der FDLR/FOCA (Forces Democratiques des Libe- mus berichten. Es stehen in der Bundesstiftung weiterhin Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2883

(A) Mittel für die Förderung von Begegnungen mit Zeitzeu- informationsgesetz kann, wenn die übrigen dort vorgese- (C) gen zur Verfügung. henen Voraussetzungen gegeben sind, ein Anspruch auf Zugang zu behördlichen Informationen unter anderem Innerhalb der Stiftung gibt es den Fonds „Erinnerung auch hinsichtlich der ,,Beschaffenheit“ eines Lebensmit- und Zukunft“, dessen Aufgabe die Förderung von Pro- tels oder sonstigen Erzeugnisses in Betracht kommen. jekten ist. Begegnungen mit Zeitzeugen fördert der Unter dem Begriff „Beschaffenheit“, der nach allgemei- Fonds derzeit in zwei Förderprogrammen: nem Rechtsverständnis weit auszulegen ist, werden alle – Für Einladungen von ehemaligen Zwangsarbeitern stofflichen Eigenschaften von Lebensmitteln verstanden. nach Deutschland stehen 270 000 Euro im Jahre Daher können nach dem geplanten Verbraucherinforma- 2006 zur Verfügung. tionsgesetz grundsätzlich auch Auskünfte über die hier in Rede stehenden „unbeabsichtigten“ Kontaminationen – Für historische Projektarbeit mit Zeitzeugen von in- erteilt werden. ternationalen Schulpartnerschaften stehen l Million Euro zur Verfügung. Zu Frage 29: 2004 hat das Kuratorium der Stiftung ein neues För- Nach den der Bundesregierung vorliegenden Infor- derprogramm beschlossen, das Begegnungen mit ehe- mationen haben die für die Überwachung der Einhaltung maligen Zwangsarbeitern fördert, die nunmehr direkt der lebensmittelrechtlichen Vorschriften zuständigen Be- von Schulen und Vereinen für mehrere Tage eingeladen hörden der Länder Untersuchungen zu ITX-haltigen werden, sodass intensivere Begegnungen möglich sind. Lebensmitteln durchgeführt. Erfasst wurden Baby/Kin- Das genannte Projekt „Ehemalige Zwangsarbeiter dernahrungsmittel, milchhaltige Produkte und nicht al- und Zwangsarbeiterinnen aus der Tschechischen Repu- koholische Getränke (Obstsäfte, Gemüsesäfte, Tafelwas- blik als Zeitzeugen an deutschen Schulen“ erfüllt die Vo- ser, Eistee). raussetzungen des neuen Programms nicht.

Anlage 15 Anlage 13 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Frage der der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 30): (Drucksache 16/1374, Frage 25): Welche alternativen Stoffe und Verfahren werden anstelle (B) (D) Wie hoch ist das Budget der Bundesstiftung „Erinnerung, der Druckchemikalie Isopropylthioxanton (ITX) in Getränke- Verantwortung und Zukunft“ in den Jahren 2006 und 2007, kartons eingesetzt, und wie fällt die toxikologische Bewer- und wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass die- tung der alternativen Chemikalien jeweils aus? ses Projekt weiter finanziert wird? Nach hier vorliegenden Aussagen der Druckfarben- Im Jahr 2006 stehen dem Fonds „Erinnerung und Zu- industrie steht als Alternative zu dem Photoinitiator ITX kunft“ für die Förderung von Projekten 7,7 Millionen das so genannte polymere ITX zur Verfugung. Diese Al- Euro zur Verfügung. Für 2007 werden voraussichtlich ternative besitzt im Vergleich zu dem bisher verwende- Mittel in einer ähnlichen Größenordnung verfügbar sein. ten monomeren ITX ein höheres Molekulargewicht, wo- Die Bundesregierung unterstützt die Entscheidung der durch eine geringere Migration dieses Stoffes aus dem Stiftungsorgane zur Verteilung der Fördermittel. Verpackungsmaterial in das Lebensmittel zu erwarten ist. Hinsichtlich der toxikologischen Bewertung liegen nach Aussagen des Bundesinstituts für Risikobewertung Anlage 14 jedoch keine Daten vor. Seitens des Verbandes der deut- schen Druckfarbenhersteller wurde das Bundesinstitut Antwort für Risikobewertung informiert, dass an einer Optimie- des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen rung des Druckverfahrens gearbeitet würde, um die Ein- der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE satzmenge – und damit die Migration – von Photoinitia- GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Fragen 28 und 29): toren, wie ITX, zu reduzieren. Beabsichtigt die Bundesregierung, Verbraucherinnen und Verbrauchern im angekündigten Verbraucherinformationsge- setz auch ein Informationsrecht über unbeabsichtigte Konta- Anlage 16 minationen in Lebensmitteln mit Substanzen wie Isopro- pylthioxanton (ITX) oder Acrylamid einzuräumen? Antwort Sind der Bundesregierung über die bisher öffentlich be- kannten hinaus weitere Ergebnisse aus den Bundesländern des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage und zu anderen Lebensmittelgruppen als Fruchtsäften be- des Abgeordneten Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ kannt, in denen ITX im Lebensmittel nachgewiesen wurde? DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Frage 31): Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Che- Zu Frage 28: mischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart, dass bei höheren Migrationswerten als 0,05 mg/kg Isopropylthioxan- Nach der von der Bundesregierung am 5. April 2006 ton (ITX) zusätzliche Daten für die toxikologische Bewertung beschlossenen Formulierungshilfe für ein Verbraucher- erforderlich sind, die dem Bundesinstitut für Risikobewertung 2884 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006

(A) zurzeit aber noch nicht vorliegen, und bis wann hat die Bun- der Lebensmittel oder eine Beeinträchtigung der organo- (C) desregierung der Druckindustrie Frist zur Übermittlung der leptischen Eigenschaften herbeizuführen. fehlenden Daten gesetzt? Diese Vorgaben des Gemeinschaftsrechts werden Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit durch § 31 Abs. l und 3 des Lebensmittel- und Futtermit- (EBLS) und das vom Bundesministerium für Ernährung, telgesetzbuches um ein Verwendungs- und Verkehrsverbot Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit der Bewer- für diese Bedarfsgegenstände bzw. ein Verkehrsverbot tung beauftragte Bundesinstitut für Risikobewertung für unter Verwendung betroffener Bedarfsgegenstände weisen in ihren Stellungnahmen daraufhin, dass ITX- hergestellter oder behandelter Lebensmittel ergänzt. Für Rückstände in Lebensmitteln nach dem jetzigen wissen- die Überwachung des Verkehrs mit Lebensmitteln sind schaftlichen Kenntnisstand nicht genotoxisch sind. Für in der Bundesrepublik Deutschland die Länderbehörden eine vollständige gesundheitliche Bewertung höherer zuständig. Migrationswerte als 50 mg/kg Lebensmittel sind zusätz- liche Daten zur toxikologischen Wirkung, zur Biover- Zu Frage 33: fügbarkeit und zur Toxizität von ITX erforderlich. Diese sind derzeit nicht verfügbar. Nach Auskunft des Bundes- ITX-Befunde werden von den Landesüberwachungs- instituts für Risikobewertung liegen dort jedoch keine behörden nicht über das FIS-VL berichtet. Das Fach- konkreten Hinweise zu einer möglichen Gefährdung der informationssystem Verbraucherschutz und Lebens- Verbraucher durch ITX vor. Das Bundesministerium für mittelsicherheit, kurz FIS-VL, ist eine webbasierte Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat Informations- und Kommunikationsplattform, die eine gegenüber der Wirtschaft zum Ausdruck gebracht, dass effiziente Umsetzung der Aufgaben aller Beteiligten im die Vorlage weiterer toxikologischer Daten für ITX für Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes un- erforderlich gehalten wird. Seitens der Druckfarben- terstützt. Dies wird im Wesentlichen durch einen zeitna- industrie wurde in einem Gespräch im BMELV im hen, strukturierten Informationsaustausch sowie die För- Februar 2006 die Erarbeitung weiterer toxikologischer derung der fachlichen Zusammenarbeit zwischen den Daten zu ITX in Aussicht gestellt. beteiligten Behörden ermöglicht. Das System wurde vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens- mittelsicherheit initiiert und befindet sich seit dem l. Juli 2005 im Wirkbetrieb. Im Zusammenhang mit den Vor- Anlage 17 kommnissen des letzten Jahres spielt das FIS-VL inso- Antwort fern eine besondere Rolle als es sich als bestehende Kommunikationsplattform besonders zur Verbesserung (B) des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen des Informationsflusses zwischen Bund und Ländern (D) der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE eignet. FIS-VL als Dokumentenmanagementsystem ist GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Fragen 32 und 33): kein Datenerfassungssystem bzw. kein Meldesystem. Wie bewertet die Bundesregierung den Untersuchungsbe- fund des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stutt- gart, das insbesondere Orangensaft, Kindermilch und Joghurt Anlage 18 mit Isopropylthioxanton-Gehalten von 0,01 bis 0,36 mg/kg belastet waren? Antwort In welchem Umfang berichten die Landesüberwachungs- des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen behörden über das im Zuge der letzten Fleischskandale zwi- der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE schen Bund und Ländern eingerichtete EDV-Meldesystem FIS-VL über ITX-Funde, und wie hat sich das System be- GRÜNEN) (Drucksache 16/1374, Fragen 34 und 35): währt? Aus welcher Rechtsquelle leitet das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz den Einwand im Antwortschreiben an die Deutsche Umwelthilfe Zu Frage 32: vom 28. Februar 2006 ab, dass für die Herausgabe von Infor- mationen ein eigenes Verfügungsrecht über Daten vorliegen Nach wie vor kommen die Europäische Behörde für müsse, und wie ist das eigene Verfügungsrecht definiert? Lebensmittelsicherheit (EBLS) und das Bundesinstitut Wie definiert die Bundesregierung Betriebs- und Ge- für Risikobewertung (BfR) in ihren Bewertungen zu schäftsgeheimnisse, die den Interessen der Verbraucherinnen dem Ergebnis, dass der Stoff ITX unabhängig von der und Verbraucher an Veröffentlichungen von Informationen vorliegenden Menge keine genotoxischen Eigenschaften entgegenstehen, und welche Richtlinien sind diesbezüglich aufweist. Spezifische rechtliche Vorschriften zu Druck- für ausführende Behörden vorgesehen? farben, die für Lebensmittelverpackungen verwendet Zu Frage 34: werden, existieren auf europäischer Ebene nicht. Es gel- ten die allgemeinen Bestimmungen der Verordnung Nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat jeder ge- (EG) Nr. 1935/2004. Gemäß Art. 3 Abs. l dieser Verord- genüber Behörden und Einrichtungen des Bundes einen nung sind Lebensmittel-Bedarfsgegenstände nach guter Anspruch auf Informationen, ohne dafür ein rechtliches Herstellungspraxis so herzustellen, dass sie unter norma- oder berechtigtes Interesse geltend machen zu müssen. len oder vorhersehbaren Verwendungsbedingungen keine Über einen Antrag entscheidet nach dem Informations- Bestandteile auf Lebensmittel in Mengen abgeben, die freiheitsgesetz die Behörde, die zur Verfügung über die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu gefährden, begehrten Informationen berechtigt ist (§ 7 Abs. l Satz l eine unvertretbare Veränderung der Zusammensetzung IFG). Die Behörde, bei der der Antrag gestellt worden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Mai 2006 2885

(A) ist, muss damit die Verfügungsbefugnis über die begehr- Zu Frage 35: (C) ten Informationen haben; ansonsten ist sie unzuständig. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz darf Zugang zu Inhalt und Reichweite des Begriffs der Verfügungsbe- Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur gewährt wer- fugnis werden etwa angesprochen in der Begründung den, soweit der Betroffene eingewilligt hat (§ 6 Satz 2 des Fraktionsentwurfs von SPD und Bündnis 90/Die Informationsfreiheitsgesetz). Der Begriff des Betriebs- Grünen vom 14. Dezember 2005 auf Bundestagsdruck- oder Geschäftsgeheimnisses ergibt sich aus gefestigter sache 15/4493. Eine solche Verfügungsbefugnis liegt bei Rechtsprechung. Im Einzelnen verweise ich auf die Be- Daten, die die Behörde, bei der der Antrag gestellt wor- gründung des Fraktionsentwurfs eines Informationsfrei- den ist, von Dritten oder einer anderen Behörde oder heitsgesetzes auf Bundestagsdrucksache 15/4493. Einrichtung erhalten hat, nur vor, wenn diese Behörde über diese Informationen kraft Gesetzes oder kraft einer Bestehen Anhaltspunkte, dass ein Betriebs- oder Ge- – gegebenenfalls auch stillschweigenden – Vereinbarung schäftsgeheimnis vorliegt, gibt die Behörde dem Betrof- ein eigenes Verfügungsrecht hat. Vorliegend hat das fenen schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme. Ob ein Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt, ist im Ein- Verbraucherschutz die Verfugungsbefugnis nicht; sie zelfall anhand der Besonderheiten des jeweils betroffe- liegt vielmehr bei den Ländern. Darauf hat das Bundes- nen Sach- oder Rechtsgebiets zu bestimmen. Aufgrund ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- der notwendigen Einzelfallprüfung und der gefestigten cherschutz in seinem Schreiben an die Deutsche Um- Rechtspraxis sind allgemeine Richtlinien nicht vorgese- welthilfe vom 28. Februar 2006 hingewiesen. hen; unnötige Bürokratie ist zu vermeiden.

(B) (D)

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