1

COPYRIGHT: COPYRIGHT DiesesDieses Manuskript Manuskript ist urheberrechtlich ist urheberrechtlich geschützt. geschützt. Es darf E ohnes darf Genehmigung ohne Genehmigung nicht verwertet nicht werden.verwertet Insbesondere werden. darf Insbesondere es nicht ganz darf oder es teilwe nichtise ganz oder oder in Auszügen teilweise oderabgeschrieben in Auszügen oder in sonstigerabgeschrieben Weise vervielfältigt oder in sonstiger werden. Weise Für vervielfältigRundfunkzwecket werden. darf dasFür Manuskript Rundfunkzwecke nur mit Genehmigungdarf das Manuskript von DeutschlandRadio nur mit Genehmigung / Funkhaus Berlin von Deutsch benutzt landradiowerden. Kultur benutzt werden.

Deutschlandradio Kultur – Nachspiel vom 8. November 2009

Retter, Rentner, Resterampe? Karrieren ostdeutscher Fußballtrainer im vereinten Deutschland

Autor: Günter Herkel

Atmo Hallenfußball, Kindergeschrei

Die Sachsenwerk-Arena im Dresdener Stadtteil Niedersedlitz. Auf zwei Kleinfeldern der Mehrzweckhalle jagen Kinder im Alter von 9 und 10 Jahren dem Ball hinterher. Sie sind Teilnehmer eines Herbstferiencamps der Fußballschule von Hans-Jürgen Dörner. Dörner gilt als eine Legende des DDR-Fußballs. In den 70er und 80er Jahren war er als Libero von Dynamo dreimal Fußballer des Jahres, hat in der DDR-Nationalelf 100 Länderspiele bestritten. Ein Rekord für die Ewigkeit. Denn die DDR und damit auch der DDR- Fußballverband hörten kurz nach dem Mauerfall auf zu existieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Dörner seine aktive Spielerkarriere längst beendet, arbeitete als Trainer der DDR- Olympiaauswahl

Take 1 (0:28) Dörner:

Im Prinzip wusste niemand, wie’s recht weiter geht, ob man überhaupt im Fußball weiter arbeiten konnte. Aber ich hatte das große Glück, dass ich das Angebot bekommen habe im Herbst 1990 für den DFB zu arbeiten als Nachwuchstrainer, und natürlich auch mit dem Hannes Löhr damals verantwortlich zu sein für die U 21, und das war in dieser Zeit der Wende für mich natürlich beruhigend, dass ich im Fußball weiter arbeiten konnte.

Dörner kam sein hervorragender Ruf zugute. Mit hatte er fünfmal die DDR- Meisterschaft und viermal den FDGB-Pokal gewonnen. Legendär sind die Europapokalpartien, die Dynamo 1973 mit ihm als Kapitän gegen Bayern München bestritt. Man nannte ihn den „Beckenbauer des Ostens“. Die Fußball-WM 1974, bei der die DDR- Auswahl das Team des späteren Weltmeisters aus der Bundesrepublik mit 1:0 besiegte, 2 verpasste Dörner zu seinem Leidwesen wegen einer Gelbsucht. Sein größter internationaler Erfolg blieb daher der Gewinn der Olympischen Goldmedaille bei den Spielen 1976 in Montreal. Integrationsprobleme habe er beim DFB nicht gehabt, erinnert er sich.

Take 2 (0:11) Dörner:

Man wusste natürlich, wer ich war. Ich hatte 100 Länderspiele für die DDR gemacht, hatte auch international gespielt in den Europapokalspielen, und insofern ist mir natürlich auch der nötige Respekt entgegen gekommen.

Weniger glatt verläuft der Systemwechsel für Eduard Geyer, einen früheren Dynamo- Klubkameraden von Dörner.

Take 3 (0:21) Geyer:

Als die Grenze aufging, da waren wir gerade mit der Nationalmannschaft in Leipzig, hatten die Vorbereitung gemacht. Uns hat das natürlich alles überrascht. Wir konnten das eigentlich im ersten Moment gar nicht richtig zuordnen, was es bedeutet. Und auch über die nahe sportliche Zukunft hat man da auch sich noch keene Gedanken gemacht, das kam dann erst alles etwas später, als das dann konkrete Formen angenommen hatte.

Dabei hatte Geyer zum Zeitpunkt der Wende den Zenit seiner DDR-Karriere erreicht. Seit 1986 Trainer von Dynamo Dresden, war ihm und seiner Mannschaft kurz zuvor der Einzug ins Halbfinale des UEFA-Cups gegen den VfB Stuttgart gelungen. Ein Auszug aus der Reportage von Gottfried Weise, dem Reporter des DDR-Fernsehens:

Take 4 (0:15) DD-VfB

Dynamo scheitert an Stuttgart. Es war die letzte deutsch-deutsche Begegnung vor der Wende. Aber schon ein Jahr später sollten beide Klubs sich wieder sehen - in der Ersten . Als letztem Cheftrainer der DDR-Auswahl fällt Geyer 1990 die undankbare Aufgabe zu, das Nationalteam abzuwickeln. Nach einem 2:0 Sieg in Belgien am 12. September 1990 ist er seinen Posten wieder los. Und bleibt vorerst ohne festen Job. Weder der DFB noch die Bundesliga wollen ihn. Immerhin: Schalke 04 setzt ihn eine Zeitlang als Talentscout ein. Seine ersten Erfahrungen im Westen resümiert er so:

Take 5 (0:23) Geyer:

3

Im Nachhinein sag ich mir, man hätte vielleicht dort noch n bissel mehr ackern sollen, um vielleicht im Westen, besonders im Ruhrgebiet dort Tritt zu fassen. Ich hatte dort auch Gespräche mit einigen Klubs, aber am Ende hat sich das immer wieder zerschlagen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte es ein anderer ehemaliger DDR-Trainer längst im Westen geschafft. Jörg Berger errang im Wendejahr1989 einer seiner größten Erfolge im Profifußball, als er mit dem Erstligisten Eintracht Frankfurt den Klassenerhalt feiern konnte. Zehn Jahre zuvor war er auf abenteuerlichem Weg auf die andere Seite der Mauer gelangt. Als Trainer der B-Nationalmannschaft der DDR nutzte er ein Freundschaftsspiel in Jugoslawien, um sich über Belgrad und Wien in die Bundesrepublik abzusetzen. Take 6 (0:15) Berger:

Ich hab nicht richtig gewusst, was mich erwartet, als ich in den Westen kam. Ich wusste nur eines: ich komme in ein neues System, ich muss mich umstellen, ich muss mich durchsetzen. Und meine Mutter hatte immer gesagt, als da mal das Gespräch auf den Westen kam: Junge, glaube ja nicht, dass die da drüben auf dich warten. Und ich hab dann gemerkt, dass sie Recht hatte.

Seine ersten Erfahrungen im Westen sind ernüchternd. In seinen kürzlich erschienenen Erinnerungen „Meine zwei Halbzeiten“ beschreibt Berger plastisch den eher kühlen Empfang, den ihm der DFB und sein damaliger Präsident Hermann Neuberger bereiteten. Auf DDR- Flüchtlinge mit professioneller Ausbildung war man beim DFB offenbar nicht vorbereitet. Auch das Aufnahmelager in Gießen und ein Antrag auf Sozialhilfe bl eiben Berger nicht erspart. Doch die anfänglichen Schwierigkeiten stacheln seinen Ehrgeiz eher an.

Take 7 (0:25) Berger:

Ich hatte nie die Chance, frei zu entscheiden, ob das im Beruf war, ob das Reisen war, ob das Meinungsfreiheit war, Pressefreiheit, was da alles dazu kam. Und das wollte ich auf alle Fälle im Westen sehen, wie funktioniert das, wie setz ich mich durch, und auch zu zeigen, da kommt jemand von drüben, und der hat’s hier nicht ganz leicht im Westen, aber trotzdem hat er seine Chance genutzt.

Berger bekommt seine Chance und er nutzt sie. Sein erster Verein ist der Zweitligist Darmstadt 98, bei dem er zum 1. Juli 1979 einen Job als Cheftrainer erhält. Berger ist glücklich, aber zugleich empört über die Geringschätzung seiner bisherigen Ausbildung. Er fühlt sich aufgrund seiner DDR-Herkunft diskriminiert.

Take 8 (0:28) Berger: 4

Und dann komm ich nach Köln an die Sportschule, muss alles nochmal nachholen, musste erst noch mal ne A-Lizenz nachholen, die schon für mich unverständlich war, dass jemand, der fünf Jahre studiert hatte, der auf dem Sprung zum Nationaltrainer war, ganz unten nochmal anfangen musste. Das war schon sehr deprimierend und abwertend, (…) und dann merkte ich, dass sogar mit DDR-Lehrbüchern unterrichtet wurde, und ich musste alles nochmal wiederholen. Also ich saß oft im Auto und hab die Welt nicht mehr begriffen. Und hab dann gesagt: Was hier mit mir gemacht wird, ist unfassbar.

Die Arroganz der Wessis bekommt Berger während seiner Ausbildung, die er mit Bravour absolviert, noch häufiger zu spüren.

Take 8a (0:24) Berger:

In der DDR war nur Planwirtschaft, und im Westen war nur Freiheit. Also dazwischen gab’s nichts, und wenn ich dann mal n paar Bemerkungen gemacht hab oder mal was gezeigt hab, wie wir trainiert haben oder wie für mich n Trainingsplan aussieht. In der DDR gab’s ja n Wochentrainingsplan, Monatstrainingsplan, Jahrestrainingsplan, und dann Olympiazyklus. Also Pläne für vier Jahre. Das durfte ich ja gar nicht sagen, das hätte mir niemand abgenommen.

Fußballtraining auf wissenschaftlicher Grundlage ist nach Bergers Erfahrung in der Bundesliga zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Ein Kontrollsystem mit Laktatmessungen und einer detaillierten Trainingsplanung, wie es in der DDR gang und gäbe war, gibt es nicht. Zumindest in diesem Punkt sieht er eine klare Überlegenheit des damaligen DDR- Sportsystems. An dieser Einschätzung hält er bis heute fest.

Take 9 (0:11) Berger:

Wenn ich dann gehört habe, wie Jürgen Klinsmann dann die Nationalmannschaft trainiert hatte, mit was für neuen wissenschaftlichen Methoden, dann hab ich bei mir gedacht: Das haben wir schon vor 40 Jahren gemacht.

Bei Hans-Jürgen Dörner sieht es zunächst nach der bruchlosen Fortsetzung einer Traumkarriere aus. Ende 1995 erhält „Dixie“, wie Dörner seit seinen Görlitzer Kindertagen genannt wird, von Werder Bremen das Angebot, den gefeuerten Holländer Aad de Mos als Cheftrainer abzulösen.

5

Take 10 (0:18) Dörner:

Ich hab nicht lange überlegt. Mein Weg sollte in die Bundesliga hinein gehen, weil ich natürlich als erfolgreicher Fußballspieler mir gesagt habe: Das musste ganz einfach mal schaffen, da willste auch hin. Und jetzt kam dieses Angebot aus Bremen, und da hab ich nicht lang überlegt.

Dörner gibt seine sichere Position beim DFB auf und stürzt sich in das Abenteuer Bundesliga. Er ist damit der erste „Ost“-Trainer, der nach der Vereinigung Chefcoach bei einem Erstligaclub aus den alten Bundesländern wird. Im ersten Jahr gelingt es ihm, Werder von einem Abstiegsplatz bis in den UI-Cup zu führen. Er beginnt, die Herzen der Rehagel- verwöhnten Werder-Fans zu erobern.

Take 11 (0:19) Am Tag, als Dixie Dörner kam…

Doch schon in der Folgesaison sinkt sein Stern. Werder startet mäßig, rutscht auf Platz 11 ab, scheitert im UI-Cup. Als die Mannschaft bei einem Freundschaftsturnier auf Teneriffa zwei kapitale Niederlagen kassiert, bekommt Dörner die harten Gesetze der Profibranche zu spüren. Auf einer Pressekonferenz verkündet Manager Willi Lemke:

Take 12 (0:16) Lemke

Auf Veranlassung des Präsidiums des SV Werder Bremen ist der Vertrag mit dem Trainer Hans-Jürgen Dörner im gegenseitigen Einvernehmen mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Unabhängig von der Beendigung des Vertrages mit Herrn Hans-Jürgen Dörner missbilligt das Präsidium das sportliche Auftreten der Mannschaft auf das Schärfste.

Ohne seine Nationalspieler war Werder vier Stunden nach Ankunft zum ersten Spiel angetreten und hatte 0.4 gegen Gastgeber Teneriffa verloren. Am nächsten Tag setzte es eine 0:8-Packung gegen Atletico Madrid. Dörner im Rückblick:

Take 13 (0:21) Dörner:

Ich hab mich da n bisschen überreden lassen, weil es da ein bisschen Geld gab für Werder Bremen, hab ich mich also überreden lassen, mit Nachwuchsspielern dahin zu fahren in der Hoffnung, du wirst dort bestehen können. Das war n Riesenfehler von mir, der würde mir heute nicht mehr passieren, und so ist im Prinzip auch die Entlassung zustande gekommen. Werder-Manager Willi Lemke urteilte später, Dörner habe trotz unbestreitbarer fachlicher Qualifikation wohl die Robustheit für die Erste Bundesliga gefehlt.

6

Zitator 1:

Aufgrund seiner Sozialisation war er es nicht gewohnt, sich auch gegebenenfalls gegen den Vorstand oder gegen das Präsidium durchzusetzen und auch Dinge gegenüber dem Management so zu fordern, wie es in der Bundesliga notwendig gewesen wäre, um zu überleben.

Auch Eduard „Ede“ Geyer kommt mit der Mentalität des Westens offenbar nur schlecht zurecht. Das Drumherum des kapitalistischen Profisystems macht ihm, dem einstigen „Staatsamateur“, mächtig zu schaffen. Take 14 (0:25) Geyer

Ich denke, die Trainerarbeit war fast identisch. Aber dieser ganze Managerbereich, Sponsoring und den Kontakt untereinander mit den Sponsoren pflegen und halten, da gab es Riesenunterschiede natürlich. Auch diese ganze Transferpolitik, die gab’s ja in der DDR so gut wie gar nicht. Man hat ja kaum von eener Stadt zur anderen n Spieler vermitteln dürfen. Das war für mich schon alles neu.

1992 heuert Geyer nach einem kurzen Gastspiel beim ungarischen Erstligisten Banyasz Siofok als Trainer beim FC Sachsen Leipzig an. Im Folgejahr führt er sein Team am letzten Spieltag in Gera zum Staffelsieg in der Oberliga des Nordostdeutschen Fußballverbandes. Ein Platz, der normalerweise dazu berechtigt hätte, an zwei Relegationsspielen zur 2. Bundesliga teilzunehmen. Doch aufgrund fehlender wirtschaftlicher Solidität verweigert der DFB den Sachsen die Lizenz.

Take 15 (0:28) Geyer:

Wir hatten in Gera 10.000 Zuschauer, die den Platz besetzten, die im Prinzip demonstriert haben gegen den DFB, und die Forderung aufmachten, dass wir vielleicht doch noch die Lizenz bekommen. Dort lief auch alles friedlich ab, aber im Nachhinein war das dann endgültig, dass wir eben leider – sportlich okay – aber leider die Lizenz nicht gekriegt haben. Wer das damals verbockt hat, das ist nie so richtig rausgekommen.

Auch Dörner kehrt nach seiner Entlassung bei Werder Bremen zunächst in seine sächsische Heimat zurück. Und gerät ebenso wie Eduard Geyer in die Nachwende-Turbulenzen des ostdeutschen Fußballs. Eine Phase, die im dramatischen Niedergang der einstigen Spitzenklubs aus Dresden, Leipzig, Magdeburg und Jena gipfelt. 1998 unterschreibt Dörner einen Vertrag beim Zweitliga-Absteiger FSV Zwickau. Ein Jahr später wird er entlassen; kurze Zeit später geht der Klub in die Insolvenz. Nach einer Zwischenstation beim 7

ägyptischen Spitzenverein Al Ahly Kairo zieht es ihn 2001 wieder nach Sachsen, zum Zweitliga-Absteiger VfB Leipzig. Trotz sportlich relativ gutem Abschneiden wird er auch hier im Frühjahr 2003 gefeuert. Der Klub schlingert anschließend in zwei Insolvenzen und wird schließlich aus dem Vereinsregister gelöscht. Dörner im Rückblick auf seine Erfahrungen in Zwickau und Leipzig.

8

Take 16 (0:23) Dörner:

Es konnte niemand ahnen, als ich da begonnen hab bei beiden Vereinen, dass die Finanzen so negativ sich gestalten werden. Aber das ist natürlich auch ein Zeichen gewesen, dass die Wirtschaft damals und natürlich auch heute in den neuen Bundesländern nicht so stabil gewesen ist, um alles in die Fußballschwerpunkte hinein zu bekommen, um da auch solide zu arbeiten.

Jörg Berger hatte sich in den 80er Jahren im bundesdeutschen Profifußball etabliert. Nach seinem Einstand bei Darmstadt 98 tingelt er quer durch die Republik. Kurzgastspielen beim Zweitligateam SSV Ulm und dem damaligen Erstligisten Fortuna Düsseldorf folgt1983 eine dreijährige Trainertätigkeit beim KSV Hessen Kassel. Mit den Hessen verpasst Berger zweimal knapp den Aufstieg in die Beletage des deutschen Fußballs. Während es beruflich einigermaßen rund für ihn läuft, holt ihn auf unliebsame Weise seine DDR-Vergangenheit ein. Berger gerät ins Visier der .

Take 17 (0:15) Berger:

Ich war der Meinung, wenn ich in der Bundesrepublik bin, wenn ich Bundesligatrainer bin, wenn ich erfolgreich bin, dann kann mir nichts passieren. Dann bin ich in der Öffentlichkeit, dann bin ich erfolgreich, dann bin ich Woche für Woche im Fernsehen, da kann mir nichts passieren.

Ein Denkfehler, wie Berger bald erkennen muss. Dabei hätte ihn das Schicksal von Lutz Eigendorf warnen müssen. Der Spieler des BFC Dynamo Berlin hatte sich nur eine Woche vor Berger im März 1979 nach einem Freundschaftsspiel beim 1. FC Kaiserslautern von seiner Mannschaft abgesetzt. Vier Jahre später verunglückt er unter mysteriösen Umständen mit seinem Auto in der Nähe von Braunschweig. Nach der Wende stellt sich heraus, dass die Stasi Eigendorf vor seiner Todesfahrt vergiftet hatte.

Take 18 (0:13) Berger:

Das hat die natürlich immer wieder getroffen, wenn ein Lutz Eigendorf im Westen nicht nur Bundesligaspieler wurde, sondern wenn er dann noch provozierte, wenn er sich dann an die Mauer gestellt hat und dort an der Mauer provokativ über all die schönen Dinge des Lebens im Westen gesprochen hat.

9

Spitzensportler, die nach der Republikflucht im Westen ihre Karrieren bruchlos fortsetzen konnten, sind eine heikle Angelegenheit für den DDR-Staat. Berger gilt als Verräter, zudem als gefährliches Vorbild für potentielle Nachfolger. Mit wenig zimperlichen Mitteln versucht die Stasi, Berger auszuschalten. Mal werden seine Reifen zerstochen, mal soll er unter fadenscheinigen Vorwänden ins Ausland gelockt werden. 1986 überlebt er einen Giftanschlag, der ihn monatelang arbeitsunfähig macht. Den hohen Aufwand an krimineller Energie erklärt Berger rückblickend damit,

Take 19 (0:16) Berger

…weil ich für die DDR n Staatsfeind war, weil sie annahmen, ich hätte Spieler in den Westen geholt, also ich wäre Fluchthelfer gewesen. Und das alles zusammen genommen hat natürlich auch dann die Stasi so aggressiv werden lassen, dass ich Glück habe, dass es mir nicht so ähnlich ging wie Lutz Eigendorf.

Weihnachten 1989 fährt Berger erstmals seit seiner Flucht nach Jena. Beim FC Carl Zeiss Jena hatte er von 1972 bis 1974 als Trainerassistent neben Cheftrainer Hans Meyer und Assistenztrainer gewirkt. Mit dem Gruppenfoto vom Pokalsieg 1974 verbindet er eine besondere Anekdote.

Take 20 (0:19) Berger:

Dann kam ich kurz nach der Wende in dieses, was soll man dazu sagen, Trophäensaal, wo die ganzen Pokale und die Bilder von Carl-Zeiss-Jena aus der Vergangenheit waren, und ich schaute mir das Bild an von 1974 und stellte plötzlich fest, dass das zwar noch meine Krawatte war, mein Sacko, mein Körper, aber der Kopf ein anderer.

Berger war für die Stasi ein unerwünschtes Subjekt, dessen Spuren ausgelöscht werden mussten. Wie umfassend er von der Stasi observiert worden war, erfährt Berger drei Jahre später, als er im April 1993 in Begleitung eines ZDF-Kamerateams in der Gauck-Behörde seine Akten zu Gesicht bekommt. Mehr als 30 Angestellte des Ministeriums für Staatsicherheit und informelle Mitarbeitern, der größere Teil im Westen, waren auf ihn angesetzt worden, hatten ihn abgeschöpft und Berichte geschrieben. Darunter auch zwei enge Freunde aus DDR-Tagen. Besonders deprimierend erscheint Berger im Rückblick das abwiegelnde Verhalten der Betroffenen, als er sie mit seinen Erkenntnissen konfrontiert. 10

Take 21 (0:22) Berger:

Das war für mich dann doppelt enttäuschend, weil ich, als ich mit beiden gesprochen habe, sie das so hingestellt haben, als war das das Normalste von der Welt. Es war eben damals so, und wir mussten ja alle, und es war ja alles nicht so schlimm, und dir ist ja die Flucht gelungen. Und dann konnte ich nur sagen: Die ist mir nur deshalb gelungen, weil ihr nix davon wusstet. Wenn ihr nur ne Andeutung bekommen hättet, dann hätte ich mich wahrscheinlich in Bautzen im Zuchthaus wieder gefunden.

Eine der beiden Personen, die Berger jahrelang ausgeforscht hatten, ist Bernd Stange, von 1983 bis 1988 Trainer der DDR-Auswahl, derzeit Trainer der Nationalelf von Weissrussland. Auf Vermittlung ausgerechnet von Jörg Berger arbeitete er Anfang der 90er Jahre kurzzeitig bei Hertha BSC Berlin. Dass er 2002 noch unter der Herrschaft von Saddam Hussein Trainer der Nationalelf des Irak wird, ist seinem Ansehen nicht eben förderlich. In der Bundesliga gilt er seither als unvermittelbar. In seiner Biografie „Trainer zwischen den Welten“ aus dem Jahr 2004 bekennt er über seine Tätigkeit als IM Kurt Wegner:

Zitator 2 :

Im Herbst 1982 wurde von der Stasi die Idee entwickelt, eine Kontaktaufnahme zu arrangieren. Ich sollte in die BRD, um Jörg abzuholen oder vielleicht herauszubekommen, ob er weitere DDR-Spieler abwerben wollte. Während einer Reise nach Belgien im Dezember verließ mich der Mut, und ich nahm davon Abstand.

Wenn Berger auf Stange heute nicht gut zu sprechen ist, dürfte das vor diesem Hintergrund verständlich sein.

Take 22 (0:27) Berger:

Dass er heute, und das ist für mich kein Zufall, dass er heute in der einzigen Diktatur in Europa noch arbeitet, das ist so sein Werdegang. Er hat sich sehr wohl gefühlt in der DDR, indem er da für die Stasi gearbeitet hat, er hat sich dann auch sehr wohl gefühlt bei Saddam Hussein, das war dann am Ende n bissel anders hingestellt. Er ist ja bezahlt worden von einem Sohn von Saddam Hussein, das wusste er alles und hat sich dann auch noch feiern lassen.

Auf mehr oder weniger direkte Erfahrungen mit der Staatssicherheit können auch Eduard Geyer und Hans-Jürgen Dörner zurückblicken. Anfang 1981, knapp zwei Jahre nach der Flucht von Jörg Berger, werden die drei Nationalspieler Spieler Peter Kotte, Gerd Weber und Matthias Müller vor einem Flug der DDR-Auswahl nach Argentinien von der Stasi verhaftet. 11

Der Vorwurf: geplante Republikflucht. Weber wird später zu einem Jahr Haft verurteilt. Die beiden anderen werden faktisch mit Berufsverbot belegt. Alle drei spielten zu diesem Zeitpunkt beim DDR-Spitzenklub Dynamo Dresden. Galten sie unter ihren Mitspielern als Verräter? Geyer, seinerzeit Assistenztrainer bei Dynamo, verneint kategorisch.

Take 23 (0:23) Geyer:

Wir waren eher traurig, dass wir solche wertvollen Spieler eingebüßt hatten. Die waren alle jung, und kurze Zeit später haben wir eigentlich ooch so gedacht, weil die Ära BFC Berlin losging, dass wir, dass sie uns dort auch in der Frage gelinkt haben, um uns klein zu machen, um die Hierarchie zu erobern, die jahrelang eigentlich von Dresden ausging.

Unabhängige Sportvereine gab es in der DDR nicht. Jeder Verein hatte einen Trägerbetrieb. Bei Dynamo Dresden hieß dieser Träger „Deutsche Volkspolizei. Der BFC Dynamo Berlin stand unter der besonderen Obhut des Ministeriums für Staatssicherheit unter Erich Mielke. Nach der Wende fliegt auch Eduard Geyer als ehemaliger „Inoffizieller Mitarbeiter“ auf. Über seine Rolle als IM Jahn der Stasi äußert er sich heute lieber ausweichend.

Take 24 (0:21) Geyer:

Das war so’n Überwachungsapparat, wo einer dem anderen vielleicht nicht richtig über den Weg getraut hat. Aber ich denke, da sollte sich jeder so verantwortlich fühlen und sagen, wenn der wirklich jemandem die Karriere verbaut hat oder jemandem, seinem Lebensweg sehr geschadet hat, müsste man sich zumindest entschuldigen.

Wichtigste Trainerstation von Geyer nach der Wende wird Energie Cottbus. Innerhalb von sechs Jahren führt er den Verein aus der bis in die Erste Bundesliga und 1997 ins DFB-Pokalfinale. Dass er unter wirtschaftlich äußerst bescheidenen Bedingungen Großartiges leistet, wird in der Branche allgemein anerkannt. Aber der erhoffte Ruf eines großen Westklubs kommt nie – sehr zu Geyers Verdruss .

Take 25 (0:13) Geyer:

Ich hab immer gesagt, ja gut, die nehmen lieber n Serben, n Kroaten als n DDR-Trainer, weil se, wenn der DDR-Trainer versagt, da sagen die: Wie könnt ihr n DDR-Trainer holen, das wär ihnen vielleicht noch schwerer auf die Füße gefallen als was anderes, ne? 12

Jörg Berger hält dagegen.

Take 26 (0:24) Berger:

Wenn man heute sagt: Trainer aus der ehemaligen DDR hätten keine Chance gehabt im Westen, das stimmt so nicht. Ich kann sofort 5 bis 10 Trainer aufzählen, die Chancen bekommen haben, aber diese nicht genutzt haben. Aus unterschiedlichen Gründen, warum auch immer, ich möchte da auch kein Urteil abgeben. Aber es stimmt: Bis auf Hans Meyer und bis auf meine Arbeit als Bundesligatrainer hat's letztendlich keiner geschafft.

Richtig, Hans Meyer! Der sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Auch der ehemalige Cheftrainer von Carl-Zeiss Jena hatte nach der Wende zunächst nur für ostdeutsche Klubs wie den Chemnitzer FC und Union Berlin arbeiten können. Angebote aus dem Westen bleiben aus. Meyer wagt ein Engagement im Ausland, geht 1996 zum FC Twente Enschede in die holländische Ehrendivision. Für ihn eine wichtige Erfahrung,

Take 27 (0:34) Meyer weil es eine völlig neue Kultur war, eine neue Fußballkultur, eine Herausforderung für mich auch, weil da auch Vorbehalte und, ich sag ruhig auch mal, eine Situation da war, die eben geprägt ist durch dieses eigenartige Verhältnis zwischen Deutschen und Holländern, aber noch mehr zwischen deutschen und holländischen Fußballern. Das war für mich schon schön, weil ich dann sehr sehr schnell mir dort die Anerkennung auch erarbeitet hatte, und wir in diesem ersten wichtigen Jahr, was ich vorbereitet hatte, einen souveränen dritten Platz gemacht haben, noch vor Ajax, das war für mich ne wunderschöne Zeit…

Sagte Meyer im Jahr 2001, nachdem er Borussia Mönchengladbach zurück in die Erste Bundesliga geführt hatte. Er war damit der erste ehemalige DDR-Trainer, dem das mit einem Westverein gelungen war. Besondere Genugtuung verspürte er damals angeblich nicht.

Take 28 (0:29) Meyer:

Wenn ich nach Cottbus schaue und sehe, was dort das Präsidium mit dem Manager und mit dem Trainer Eduard Geyer gekonnt haben – Aufstieg und jetzt die Klasse gehalten – das ist so phänomenal, dass eigentlich da viel viel mehr Genugtuung aufkommen müsste.

Das sieht auch Eduard Geyer so. Versehen mit einem kleinen Wermutstropfen.

13

Take 29 (0:23) Geyer:

Ich denke, ich kann insgesamt schon zufrieden sein. Ich hab immer gesagt, ich musste mir das als Spieler hart erarbeiten. Ich hab’s mir später hart erarbeiten müssen. Aber ich hätte mir schon mal gewünscht, irgendwie n Westverein zu führen, aber einer, der nicht bloß um den Abstieg kämpft, sondern der vielleicht auch mal international spielt. Das hätt ich mir schon gewünscht. Aber ich kann’s jetzt im Nachhinein nicht ändern…

Jürgen Berger glaubt bei aller Wertschätzung für Geyers Arbeit, dass dessen Erfolge so nur bei einem ostdeutschen Klub möglich waren.

Take 30 (0:17) Berger:

Er war auch son Typ, der passte nach Cottbus, das war fast vor der Haustür von Dresden. Cottbus ist nicht allzu weit, er war dort zu Hause, und er ist dort angekommen mit seiner Art. Aber ich bezweifle und ich glaube nicht, dass er mit dieser Art in Frankfurt oder auf Schalke sich durchgesetzt hätte.

Eine Anspielung auf Geyers knorrige Art, sein sächsisches Grantlertum und seine Trainingsmethoden, die ihm früh den Ruf eines Schleifers eintrugen.. Und die derben Sprüche, die er gelegentlich seinen Spieler um die Ohren schlug.

Zitator 3:

Wenn sich jemand dehnen will, soll er nach Dänemark fahren. Bei mir wird gelaufen, da kann keiner quatschen.

Nach seiner Entlassung bei Cottbus Ende 2004 und einem Kurzgastspiel in Dubai arbeitet Geyer ein Jahr erneut beim FC Sachsen Leipzig. Im Herbst 2007 wird er Cheftrainer bei der SG Dynamo Dresden. Dort, wo fußballerisch für ihn alles anfing. Die Vorgabe, mit Dynamo die Qualifikation für die kommende eingleisige 3. Liga zu schaffen, erfüllt er vorzeitig. Dennoch ist nach der Saison für Geyer wieder Schluss. Als Rentner sieht sich der drahtige Sachse, der er kürzlich seinen 65. Geburtstag feierte, nicht.

14

Take 31 (0:21) Geyer:

Ich renne dem Glück nicht hinterher, aber wenn irgendwas sein sollte, würde ich mir das anhören und hätte auch durchaus Lust, im Fußball mit zu arbeiten. Ich kann mich ganz entspannt zurück lehnen und abwarten. Und wenn’s nicht wird, wird’s nicht. Da bin ich auch nicht todtraurig. Ich fühl mich so fit und gut, dass ich trotzdem noch ein bissel Lust verspüre.

Auch Hans-Jürgen Dörner ist wieder am Ausgangspunkt seiner Karriere angekommen, in Dresden. Seit drei Jahren trainiert er die Amateure vom Radebeuler BC 1908. In der vergangenen Saison schaffte seine Mannschaft den Aufstieg in die Sachsenliga. Dazu betreibt er mit einigem Engagement Jugendarbeit in seiner Fußballschule. Natürlich wurmt es ihn, dass nach dem so hoffnungsvollen Start bei Werder Bremen nie wieder ein interessantes Angebot aus dem Westen kam. Er sei eben damals auf sich allein gestellt gewesen, bedauert er, habe keinen Berater gehabt, wie das heute eben so üblich sei. Außerdem glaubt er,

Take 32 (0:24) Dörner:

…dass wir als DDR-Trainer diese Show – mittlerweile ist ja alles Show im bezahlten Fußball – dass wir das nicht so in die Wiege gelegt gekriegt haben. Wir sind mehr diejenigen, die viel analysieren, die auch mal Kritik sagen an den Spielern. Deswegen glaub ich ganz einfach, dass unsere Leute das etwas schwieriger haben in der Ersten, Zweiten Bundesliga dann dementsprechend auch Fuß zu fassen.

Dörner hat seine Ansprüche herunter geschraubt. Der 58jährige gibt sich keinen Illusionen hin. Er weiß: Ganz oben wird er wohl nicht mehr mitmischen. Er könnte sich aber durchaus vorstellen, zum Beispiel seiner krisengeschüttelten alten Liebe Dynamo Dresden auf die Beine zu helfen.

Und Jörg Berger? Der Altersgenosse Geyers hat in diesem Jahr eine schwere Krebserkrankung in den Griff bekommen. Seine Autobiografie läuft erfolgreich im Buchhandel. Im Sommer folgte er am letzten Spieltag dem Ruf der abstiegsbedrohten Arminia aus Bielefeld. Eine Art Himmelfahrtskommando, das jedoch schief ging. Für ihn, der schon zehn Jahre vor der Wende in das kalte Wasser des bundesdeutschen Profifußballs sprang, ist klar, warum die meisten Versuche ostdeutscher Trainer, sich im Westen zu etablieren, scheitern mussten.

15

Take 33 (0:24) Berger:

Sie wollten oft zu viel, sie wollten die angenehmen Dinge, sie wollten zwar gut Geld verdienen, sie wollten auch ihr Haus weiter behalten in Leipzig oder in Dresden oder wo, also alles geht nicht. Diese Risikobereitschaft, dieses Durchsetzungsvermögen, diesen Mut auch zu haben, zu sagen: So, ich verändere mich, ich versuch mich jetzt, da durchzusetzen, das haben eben wenige gehabt und hatten auch wenige umgesetzt.

Musikabspann, verwendete Musik: „Apollo Four Forty“ mit Ain’t Talkin’ ’Bout Dub von der gleichnamigen Maxi-CD, erschienen bei Sony Music 1997, Written by Edward van Halen/Alex van Halen und „The Trentemoeller Chronicles“, CD2, Track 1, LC 13535, erschienen bei audiomatique