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FOTOS: A. HASSENSTEIN / BONGARTS -Heimspiel des FC : Früher gab es Prügel von den Vopos, aber sonst war alles bestens

FUSSBALL Schokolade vom bösen Onkel Die Fußballspieler aus dem Osten stellen mittlerweile ein Drittel der Nationalelf. Doch mit Hansa und Energie sind die beiden letzten Proficlubs vom Abstieg bedroht. Der Frust des Anhangs wird politisch radikalisiert, es wächst die Wut auf den Westen.

rau Giese sitzt im Chefzimmer und ander Meister der DDR, weil auch die ringt mit dem Computer. Sie hat den Schiedsrichter Mielke gehörten. Der här- Rasanter Abstieg FAuftrag, eine Mannschaftsaufstellung teste Fanclub von Dynamo wohnte in Verbleib der acht früheren DDR-Clubs, die in dieses Gerät einzutippen, aber das geht Wandlitz. sich 1991 für die Profi-Ligen qualifizierten nur mit Mausklick, und den beherrscht sie Volkmar Wanski brachte seinen Sohn zu nicht. Als die Mauer gefallen war, hatte Dynamo Berlin, als der sechs Jahre alt war. 1991 HEUTE Frau Giese einen Kurs belegt und einfache Das war ein Jahr vor der Wende; Wanski Hansa Rostock Bundesliga Schreibprogramme gelernt. Jetzt glotzt sie wollte, daß aus dem Jungen mal ein an- Dynamo in den verdammten Bildschirm und sucht ständiger Fußballspieler wird. Daraus ist Rat beim Gast aus dem Westen: „Genn’ nichts mehr geworden, aber dafür ist der ZWEITE LIGA 1991 HEUTE Sie sisch mit där Maus aus?“ Vater jetzt Präsident des FC Berlin. Wan- Frau Giese ist Sekretärin beim ostdeut- ski ist Mielkes dritter Nachfolger. Das Rot-Weiß Regionalliga Nordost schen Fußballverein FC Berlin. Das Zim- Chefzimmer sieht aus wie Mielkes Muse- Hallescher FC mer, in dem sie sitzt, gehörte früher Erich um, es hat sich nichts verändert, bis auf Sachsen-Anhalt Mielke. den Computer. Neben dem steht ein in Chemnitzer FC Regionalliga Nordost Es war die Zeit, als der FC Berlin noch Bronze gegossener Fußballspieler mit einer Berliner FC Dynamo hieß. Dynamo gehör- krachenden Inschrift: „Ehrenpreis des Ge- FC Carl Zeiss Regionalliga Nordost te der Staatssicherheit, die Staatssicherheit neralsekretärs des Zentralkomitees der So- VfB Regionalliga Nordost gehörte Mielke, und deshalb war Mielke zialistischen Einheitspartei und Vorsitzen- Stahl Verbandsliga nicht nur ein Menschenschinder, sondern den des Staatsrates der Deutschen Demo- Brandenburg auch ein Fußballpräsident. Sein Club ge- kratischen Republik für den Meister der wann immer, er wurde zehnmal hinterein- DDR im Fußball“. Auch Erichs Kuschel-

160 der spiegel 13/1999 Sport tier gibt es noch, es ist ein Teddybär mit Die Wessis. Die Wessis haben eine Hun- Fußballtrikot. „Dank den Genossen der dertschaft Ossis aus ihren Clubs rausge- Trainingsgaststätte“, steht da drauf. kauft. Die Wessis, die immer meinten, sie Als die Mauer fiel, rückten die Herr- könnten besser kicken als die übrige Welt, schaften mit den Geldkoffern im Osten an, brauchen inzwischen die Ossis, um über- Dynamo verkaufte seine besten Spieler und haupt noch mal ein Länderspiel zu gewin- änderte seinen Namen – ein Gebot der Hy- nen; ein Drittel von Ribbecks Männern giene. Heute steht der FC Berlin in etwa so wurde in der DDR ausgebildet. gut im Saft wie sein ehemaliger Chef, der Jedesmal wenn Volkmar Wanski in Miel- neulich zum 91. vom Berliner Bezirksamt kes Zimmer kommt, das jetzt seins ist, fragt Hohenschönhausen eine rote Nelke mit er sich, wann ihn seine Frau für bescheu- Grünzeug im Wert von acht Mark bekam. ert erklären wird. Wanski ist im Hauptbe- Die Perle des DDR-Fußballs spielt jetzt ruf Bauunternehmer. Das Geschäft blüht, in der Regionalliga Nordost, einem Sam- der Präsident stopft jedes Jahr 300 000 melbecken für 18 Vereine, denen es früher Mark in seinen Club und ist damit dessen einmal besserging. Zwei Clubs aus dem einziger Sponsor. Die ganze Republik zieht Osten sind bei den Profis noch übrigge- nach Berlin, aber keiner will ihm Geld ge- blieben, Hansa Rostock in der Ersten und ben. „Berlin“, sagt er, „ist ein beschissenes Energie Cottbus in der Zweiten Liga. Ro- Pflaster für zweitklassige Sachen.“ stock ist auf einem Abstiegsplatz ange- Der FC Berlin ist nicht mal zweitklassig, kommen, Cottbus ist kurz davor, und wenn deshalb kommen im Schnitt auch nur 500 sie so weitermachen, dann ist der Westen Leute zu den Heimspielen.Aber Wanski ist bald wieder unter sich und der Osten end- nicht auf den Kopf gefallen. Letztes Jahr gültig verschwunden. wurde er beim Mitteldeutschen Rundfunk Das wäre nicht gut für die Republik. mit der Idee vorstellig, den FC Berlin wie- Daß Fußball wichtig ist für die Stimmung der in Dynamo umzubenennen. Der Sen- draußen im neuen Lande, wußte schon der machte eine TED-Umfrage, 67 Prozent Helmut Kohl. Als der noch Wahlkampf der Leute waren dafür. machen konnte, versprach er den deut- Seitdem sind 150 Mitgliedsanträge auf schen Bewerbern um die Weltmeister- der Geschäftsstelle eingegangen. Einer mit

schaft 100 Millionen Mark vom Bund, um / BONGARTS SCHATZ P. Glatze und Springerstiefeln kam persön- damit das Leipziger , eine Rostocker Niederlage in München lich vorbei und gab einen Brief dazu ab. ostdeutsche Bruchbude, hübsch zu ma- „Jungs vom Getränkekombinat Hanseat“ Er schrieb, daß er geheult habe, als er die chen. Jetzt will auch Gerhard Schröder Sendung sah, weil er schon als Kind immer zahlen. besten wäre, Cottbus und Rostock wür- zu Dynamo „jeloofen“ kam. Ein anderer Die Wirklichkeit würde aber selbst ein den auch noch durchgereicht.“ Wenn Ro- verkauft jetzt samstags vor dem Stadion funkelndes Fußballstadion, auferstanden stocks Fans auf Reisen gehen, dann singen T-Shirts. Das Modell mit der Aufschrift aus Solidaritätsbeiträgen, nicht mehr än- sie: „Wir sind die Jungs vom Getränke- „BFC Dynamo – Rekordmeister der DDR“ dern. Im Sportforum Hohenschönhausen, kombinat Hanseat.“ Wenn die Regional- kostet 30 Mark. Und wenn ein Tor fällt, ru- wo der FC Berlin zu Hause ist, arbeitet liga Nordost Fußball spielt, dann ist das, fen die Leute: „Diinahmoo.“ Und: „Brü- Birger Schmidt. Er ist Sozialpädagoge und als würden nicht 10 Jahre Wiedervereini- der, zur Sonne, zur Freiheit.“ angestellt beim Fanprojekt Berlin, seine gung, sondern 50 Jahre DDR gefeiert. Die „Alles reiner Protest“, sagt Wanski. „Es Klientel sind Menschen, die in Ost- Menschen, sagt Schmidt, hätten die Hoff- ist die blanke Wut auf Wessis.“ Damals bei deutschland zum Fußball gehen. nung, daß alles noch mal so wird, wie es Dynamo gab es bloß ab und zu Prügel von „Die Leute wünschen sich die alte mal war. Und die Wessis seien schuld, daß den Vopos, aber sonst war alles bestens. DDR-Oberliga zurück“, sagt Schmidt, „am das nicht geht. Heute sind die persönlichen Aufstiegs- chancen mit denen des Fußballvereins ver- gleichbar: Wenn beide bei Null liegen, ver- festigt sich der Frust und wird politisch ra- dikalisiert. Da darf sich keiner wundern, wenn die Jungs gelegentlich ausfällig und deshalb meistens im Polizeikessel in frem- de Stadien eskortiert werden. Einer von diesen Wessis, auf die der Zorn zielen dürfte, arbeitet seit Anfang Februar bei . Der Fuß- balltrainer , 62, ist für drei- einhalb Monate engagiert worden, um den ruhmreichen Club vor dem Abstieg aus der Regionalliga zu bewahren. Das ist insofern bemerkenswert, als Schafstall schon lange kein guter Trainer mehr ist; er reduziert Fußball auf Law and Order und blieb des- halb in den vergangenen 51 Monaten ohne Anstellung. Die Sekretärin macht Überstunden und bringt Kaffee. Schafstall sagt: „Na, dann bring’ ich beim nächstenmal wieder ’ne Cottbuser Trainer Geyer: „Man wird schlechter behandelt als die Ausländer drüben“ schöne Schokolade mit.“ So wie er redet,

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könnte es passieren, daß er der Sekretärin zu Weihnachten ein Päckchen schickt, mit Jacobs Krönung, Kaloderma Bodylotion und Bellinda Feinstrumpfhosen. Tore für den Kanzler Zum Geburtstag im Februar bekam Schafstall von seiner Frau ein Handy. Er Hertha BSC wirbt um Fußballfans aus Ost und West. zieht es aus dem Jackett und sagt: „Gucken Se mal, sieht aus wie neu. Kann ich wieder urz vor Weihnachten erhielt das Kanzlerclub werden.Vereinsboß Müller verkaufen, wenn ich hier weg bin.“ Keiner Bonner Kanzleramt ungewöhn- versteht Hertha BSC längst als politi- will mit ihm sprechen. Jetzt redet er. Kliche Post aus Berlin. Der Fuß- schen Integrationsfaktor. Wenn die „Dreck, wo du hinguckst. Denen hab’ ballclub Hertha BSC versorgte den Mannschaft spielt, fallen nicht nur Tore, ich erst mal den Marsch geblasen: Besen in Regierungschef sowie das gesamte sondern auch Grenzen. Schießt die die Hand nehmen, auskehren, Hygiene Kabinett mit blau-weißem Hertha- Berliner Elf ein Tor, liegen sich Ossis herbeibringen. Dem Zeugwart muß man Schal und Fan-Kappe, verbunden mit und Wessis in den Armen. in den Arsch treten, daß er seinen Job der Einladung zu einem Spiel. Rund die Hälfte der Hertha-Besu- macht und nicht in den Tag reinquasselt Gerhard Schröder war von den Ga- cher – im Durchschnitt sind das knapp und von alten Zeiten erzählt. Das sind lau- ben angetan. „Für Ihr Schreiben und 50000 – stammen aus Ost-Berlin und ter Spinner hier. Da stehen die Galoschen die unverzichtbaren Fan-Utensilien den neuen Bundesländern. „Wir ha- im Regal, voller Mist. Da hab’ ich gesagt: danke ich Ihnen“, antwortete der ben hier Busse von Rügen und aus Jetzt kauft euch zwei Behälter mit Wasser Kanzler. Die Offerte zum Besuch im dem Erzgebirge“, berichtet Manager drin und zehn Wurzelbürsten und macht werde er annehmen, Dieter Hoeneß stolz. Viele Berliner die Schuhe draußen sauber, ja? Die sehen „sobald es meine Terminlage, die we- Fußballinteressierte, die früher zu Ost- keinen Dreck hier. Das haben die früher gen der EU-Ratsprä- nicht sehen müssen. Die sind nicht zur Ar- sidentschaft zur Zeit beit, nicht zur Ordnung, zu nichts erzogen besonders eng ist, worden hier. Das stinkt zum Himmel.“ zuläßt“. Oder: „Vor Wochen komm’ ich vor dem Das Kanzlerinter- Training in die Umkleide, da sitzen die da esse am Fußball ist und knobeln. Ich sag’: Morgen, die sagen: nicht geheuchelt.Als Morgen. Da steht keiner auf, da hört kei- Junge kickte er beim ner zu – kein Anstand. Lauter Ossis. Soll TuS Talle, als Abge- ich dafür Sorge tragen, daß die im richtigen ordneter stürmte er Moment nicht den Tritt in den Arsch be- beim FC Bundestag kommen haben? Ich weiß: Das ist befri- mit. Der Minister- stet. Und dann mache ich den Abflug hier.“ präsident Schröder Daß Dynamo 1995 seine Lizenz für den ließ sich selbst auf Profifußball verlor, verdankt er dem hessi- Auslandsreisen im- schen Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto,

mer über das Spiel- / BONGARTS A. HASSENSTEIN der hier in den Jahren nach der Wende Prä- geschick von Han- Hertha-Profis im Olympiastadion: Politischer Faktor sident, FDP-Stadtrat und Wirtschaftskrimi- nover 96 informie- neller wurde. Jetzt ist schon wieder ein bö- ren. Und auch Kanzleramtschef Bodo vereinen wie dem BFC Dynamo oder ser Onkel aus dem Westen in Sachsen un- Hombach, Wirtschaftsminister Werner Union pilgerten – die klassische Plat- tergekommen, und der wird im Ton schlim- Müller und Justizministerin Herta tenbauklientel aus Marzahn, Hohen- mer empfunden als damals die Vopos, weil Däubler-Gmelin wollen demnächst im schönhausen und Hellersdorf –, reisen er auch noch über die Leute hersaut. Stadion vorbeischauen. Die Schwäbin inzwischen nach . Hoe- Zu dem Stürmer Torsten Gütschow hat Däubler-Gmelin weiß sogar schon, neß: „Der Kanzler hat hier eine Ost- Schafstall neulich gesagt: „Ihre große Zeit wann: am 10. April beim Match gegen West-Bühne.“ ist vorbei.“ Der Stürmer Gütschow war den VfB . Bei der Auswahl der Spieler, versi- verblüffend schlagfertig und antwortete: Koalitionen aus Fußball und Politik chern Trainer Jürgen Röber und Mana- „Das unterscheidet mich von Ihnen. Sie sind eine bewährte Masche in deut- ger Hoeneß, werde deshalb darauf ge- haben nie eine große Zeit gehabt.“ schen Landen, weil sie die Popularität achtet, auch begabte Ossis wie Dariusz Gütschow spielte schon für Dresden, als beider Seiten steigern: Edmund Stoi- Wosz, René Tretschok und Andreas dieser Club noch im Ruf stand, große Fuß- ber sitzt im Verwaltungsrat des FC Bay- Thom einzukaufen. ballspieler zu gebären: Trautmann, Häfner, ern München, Kurt Beck unterstützt Einen neuen Schub erwartet der Dörner, Sammer, Kirsten. Dann kam die den 1. FC Kaiserslautern, Jürgen Möl- Club im Sommer, wenn Berlin zur Re- Wende und die Wahrheit raus: Auch Gü- lemann kontrolliert als Aufsichtsrat die gierungsstadt wird. Hertha BSC hofft tschow war IM. Er ging nach Istanbul, Jena, Geschicke bei Schalke 04, und Ein- auf die Umzügler vom Rhein, auf fuß- Hannover, Chemnitz und schließlich zu- tracht--Fan Joschka Fischer ballhungrige Beamte, Journalisten, rück nach Dresden. Und alles sah genauso zittert nicht nur um den Klassenerhalt Lobbyisten und Parteiangestellte, die aus wie früher. seiner Partei, sondern auch um den sei- der Schmerz über einen herben Be- Den Raum, in dem man etwas trinken nes Vereins. deutungsverlust der Bonner Region kann, nennt Gütschow noch immer „Be- Das Ziel, das Hertha-Präsident Wal- eint. Der begann nämlich lange vor gegnungsgaststätte“. Die braunen Polster- ter Müller mit dem Versand des Fan- dem Regierungsumzug, im vorigen möbel sind die von damals, die Tisch- Kits anvisiert, ist indes ein höheres: Aus Jahr, als der 1. FC Köln aus der ersten decken auch, aber es gibt Coca-Cola und der ehemaligen Skandalnudel des Pro- Bundesliga abstieg. nicht mehr Club-Cola. figeschäfts soll der Hauptstadt- und Claus Christian Malzahn Was war er dämlich seinerzeit. Ist im Osten geblieben, weil er „helfen wollte, et- was aufzubauen“. Das war „der größte

162 der spiegel 13/1999 Kräften aus Polen, der Ukraine, Albanien, Kroatien, Benin und Brasilien. Und die ver- stehen nicht, was er meint. „Es wird niemandem schlechtergehen, aber vielen besser“, versprach Kohl, als der Osten offen war. Dem Fußball geht es wei- testgehend bescheiden, und es gibt nur we- nige, denen es so bombig geht wie Jörg Neu- bauer. Der ist der Sohn des letzten Ständi- gen Vertreters der DDR in und war der letzte Pressesprecher des DDR-Fuß- ballverbandes. Heute ist er der Ausverkäu- fer des Ost-Fußballs. Neubauer transferiert die besten Spieler des Ostens in den Westen. Der Spielerberater ist ein Mann von schmächtiger Statur und trägt feine Stoffe am Leib. Er sieht nicht aus wie ein Fußball-

J. P. BÖNING / ZENIT P. J. makler, sondern eher wie einer vom Innen- Randalierende Fans in Magdeburg: „Die Leute wollen die DDR-Liga zurück“ dienst der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Wer mit ihm zu tun hatte, lobt seine Serio- Fehler meines Lebens“. Heute sieht er den sität, und wenn beispielsweise der Hertha- schwerreichen Leverkusener Ulf Kirsten, Trainer Röber eine neue Telefonnummer mit dem er früher für Dynamo stürmte, im bekommen hat, ruft er den Vermittler auf Fernsehen und denkt bei sich: „Im Prinzip dem Handy an und sagt Bescheid. bin ich der Arsch.“ Neubauer ist studierter Jurist und ein Und was war er früher? „Lada 2107, wir heller Kopf.Als Angestellter des DDR-Ver- kamen an Vitaminzeug ran, wir konnten bandes erkannte er schnell, daß die „Le- jedes Jahr nach Ungarn fahren und Sekt bensdauer“ seines Arbeitgebers „begrenzt“ trinken. Das war ’ne Traumlandschaft.“ war, und dann kam die Stunde, in der mit Und heute? Heute hat er Schafstall. der erste Fußballspieler der

Heute rufen die Nachbarn bei der Polizei S. DÖRING / VISUM PLUS 49 DDR nach Leverkusen in den Westen ging. an, wenn er auf seinem Balkon grillt und Dresdner Trainer Schafstall, Spieler Der Pressesprecher saß bei den Ver- die Wolke nach nebenan weht. Und heute „Kein Anstand, lauter Ossis“ handlungen am Tisch und bekam mit, daß bringt Torsten Gütschow seinen Rechtsan- es sich hierbei um ein Geschäftsvolumen walt mit, wenn er Interviews gibt. Stolpe trompetete Cottbus zum „Flagg- von 3,3 Millionen Mark handelte. Er wuß- Als die Geschichte mit der aufflog, schiff des ostdeutschen Aufbauwillens“ te auch, daß Thom einen Berater hatte, der hieß sein Trainer . Der war ein empor, und jetzt steht alles leer. daran mitverdiente. Er fand den Vorgang Held in der DDR, letzter Trainer der Aus- Mit dem Segen des DFB-Pokals kamen „sehr interessant und auch spannend“, wahlelf, aber eine Woche nach Gütschow eine Flutlichtanlage und eine elektronische kündigte und gründete eine Firma. Sein war auch Geyer dran: IM „Jahn“. Das war Anzeigentafel zum örtlichen Fußballclub, Startkapital waren die Telefonnummern die Zeit, in der Friedrich Schorlemmer für und mittlerweile hat Energie die Strahl- ostdeutscher Kicker. ein „Freudenfeuer aus Stasi-Akten“ ein- kraft einer Spreewälder Gewürzgurke. Mittlerweile gehört Neubauer die Me- trat. Inzwischen ist IM „Jahn“ längst Asche Wenn Eduard Geyer auf den Trainings- dia-Net-GmbH. Er berät allein im Profi- und Geyer wieder ein Held. platz geht, dann trägt er gefütterte Kunst- fußball 53 Spieler, und die Regionalliga ist Er hat den FC Energie Cottbus zu einer stoffstiefel und eine Baseballmütze, die er auch noch mal ein weites Feld. Er arbeitet Blüte geführt, die bis ins Endspiel des DFB- tief in die Stirn zieht. Das sieht aus, als mit Rechtsanwälten, Versicherungsmen- Pokals vor zwei Jahren reichte. Unterwegs wolle er jetzt den Rasen umgraben. „Die schen, Steuer- und Anlageberatern zusam- haben sie im „Stadion der Freundschaft“ Leute hier“, sagt er, „mußten alle schwer men, und jedesmal wenn einer seiner Jungs jede Menge Westclubs abgefidelt, unver- arbeiten, also wollen sie auch ehrliche Ar- mit denen ins Geschäft kommt, verdient er gessen der Sieg über den Karlsruher SC beit auf dem Platz sehen.“ mit. Er verdient auch, wenn sie ihren Ver- im Unwetter. An den erinnert heute die Eigentlich. Er trifft aber auch immer trag verlängern. Am meisten verdient er, Speisekarte des Vereinslokals: Hinter dem wieder Menschen, die ihm sagen: „Herr wenn sie zu einem anderen Club wech- Gericht „Karlsruher Schneegestöber“ ver- Geyer, ich würde gern zu Ihnen kommen, seln. Neubauers Spieler wechseln oft. birgt sich Quark mit Leinöl und Salzkar- aber das ist zu teuer – Eintritt 16 Mark, Ein kleines Problem könnte sich dem- toffeln für acht Mark achtzig. man ißt ’ne Wurscht, und schon sind 30 nächst ergeben, wenn Hansa Rostock ab- Dem Fußballklub ging es wie der Stadt, Mark weg wie nüscht.“ steigen sollte. Bei denen war er immer in der er zu Hause ist. Die liegt 25 Kilo- Eigentlich will Geyer weg hier. Er hat tüchtig im Geschäft, zuletzt hat er den Kli- meter von der Grenze Polens entfernt und eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag für enten Marco Rehmer von Rostock nach wurde von Walter Ulbricht zum Energie- den Fall, daß ein Angebot aus der Bundes- Berlin vermittelt. Wenn Hansa nicht mehr zentrum einer kuschelwarmen Republik liga kommt. Aber es kommt keins. „Ich in der Ersten Liga ist, dann wäre das schon ausgerufen. Das schlimme daran war, daß verstehe nicht, warum man als Trainer drü- „nicht sehr erfreulich“. Ulbricht sich an sein Wort hielt. ben schlechter behandelt wird als die Aus- Geschäftlich einerseits und logistisch an- Als dann Schluß war, verlor die Region länder, warum man als Trainer keine Chan- dererseits. Rostock lag vor der Tür, „und je vier Fünftel ihrer industriellen Arbeits- ce kriegt drüben“, sagt Geyer. kürzer die Wege, um so besser“. Aber bit- plätze, und statt der Schmutzfontänen aus Geyer sagt häufig „drüben“.Auf der Su- te, es geht auch ohne Rostock. Jörg Neu- den Kraftwerken kam die Bundesgarten- che nach Verstärkung für seine Mannschaft bauer läßt sein Notizbuch, das auch seine schau über Cottbus. Die Stadt bekam ruft er manchmal Spieler an, die drüben Kundenkartei ist, ins Jackett gleiten und schnieke Hotels und eine Fürst-Pückler- auf der Ersatzbank sitzen. „Aber die rufen sagt: „Ich bin zufrieden, und das ist mir Einkaufspassage, der Ministerpräsident gar nicht erst zurück.“ Jetzt arbeitet er mit wichtig.“ Matthias Geyer

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