60 Jahre SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg (1946-2006)

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60 Jahre SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg (1946-2006) 60 Jahre SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg (1946-2006) Herausgegeben von der SPD-Bürgerschaftsfraktion Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg Druck und Verarbeitung: Schaltungsdienst Lange o.H.G, Berllin 1 Inhalt Vorwort ………………………………………………………..…….. 4 Prof. Dr. Franklin Kopitzsch Universität Hamburg, Historisches Seminar, Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte; Mitglied der SPD-Bürgerschaftsfraktion 1991-2001 ……………. 6 Michael Neumann Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg …………………………………………........... 27 Hans-Ulrich Klose Bundestagsabgeordneter, Erster Bürgermeister a.D. und Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion 1972-1973 ……………………………………………….. 31 Christel Oldenburg Historikerin, Arbeitskreis Geschichte der SPD Hamburg …………………………………………....…… 40 Dr. Mathias Petersen Vorsitzender der SPD Hamburg……………………….. 57 Anlagen………………………………………………….. 60 2 3 Vorwort „Denn wir müssen wissen, woher wir kommen, damit wir verstehen, wohin wir gehen.“ Im Jahre 2006 feierte die Fraktion der Sozial- demokratinnen und Sozialdemokraten im Hamburger Rathaus ihren 60. Geburtstag. Man hätte auch den 105. Geburtstag oder den 88. Geburtstag feiern können. War es doch Otto Stolten, der 1901 als erster Sozialdemokrat in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt wurde, oder 1919 als sich erstmals eine Fraktion der Sozial- demokraten in einer wirklich demokratisch gewählten Hamburgischen Bürgerschaft konstituierte. Da man Feste aber feiern soll, wie sie fallen, entschlossen wir uns, den 60. Geburtstag im Großen Festsaal unseres Rathauses am Freitag, dem 13. Oktober 2006 würdig zu begehen. Just an dem Tage, an dem die Bürgerschaft erstmals nach den Barbareien des von den Nazis losgetretenen Weltkrieges wieder demokratisch, frei und geheim gewählt wurde – dem 13. Oktober 1946. Und es war ein schöner Festakt. Wir konnten neben unserem Landesvorsitzenden Dr. Mathias Petersen, Bürgermeister a.D. Hans-Ulrich Klose und die Historikerin Christel Oldenburg als Festredner gewinnen. Mein Dank gilt allen Dreien. Ihre Beiträge finden Sie in diesem kleinen Geburtstagsbuch. Daneben hat sich Prof. Dr. Franklin Kopitzsch bereit erklärt, seine Festrede, die er anlässlich des 60jährigen Bestehens der Hamburgischen Bürgerschaft vor selbiger am 11. Oktober 2006 gehalten hat, in diesem Buch zu veröffentlichen. Dafür sei ihm auch an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. 4 Als kleinen Mehrwert haben wir im Anhang eine Übersicht aller Senate, aller sozialdemokratischen Frak- tionsmitglieder und der jeweiligen Fraktionsvorsitzenden, sowie die Wahlergebnisse aller Bürgerschafts- und Bezirksversammlungswahlen seit 1946 beigefügt. Danken möchte ich all denen, die durch ihre Hilfe und Mitarbeit nicht nur die Geburtstagsfeier gelingen ließen, sondern auch ganz wesentlich zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Besonders möchte ich den Kolleginnen und Kollegen der parlamentarischen Informationsdienste der Hambur- gischen Bürgerschaft und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Fraktion danken. Namentlich unserer Geschäftsführerin Susanne Junge und unserer „Öffentlichkeitsarbeiterin“ Kathrin Flor. Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beiträgt, die Leistungen unserer Partei und ihrer Fraktion in den letzten 60 Jahren nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir haben allen Grund, stolz zu sein. Hamburg, November 2006 Michael Neumann Vorsitzender der Sozialdemokraten in der Hamburgischen Bürgerschaft 5 Prof. Dr. Franklin Kopitzsch Erinnern für Gegenwart und Zukunft: Von den Anfängen der Demokratie in Hamburg. Eine Rede aus Anlass des 60. Jahrestages der ersten freien Bürgerschaftswahl nach Gewaltherrschaft und Zweitem Weltkrieg am 13. Oktober 1946 Am 13. Oktober, vor fast genau sechzig Jahren, wählten die Hamburgerinnen und Hamburger zum ersten Mal nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewalt- herrschaft und des Zweiten Weltkrieges ihr Parlament, die Bürgerschaft. Am 30. Oktober 1946 versammelte sich dann in diesem Plenarsaal die neu gewählte Bürger- schaft zu ihrer konstituierenden Sitzung. Diese Tage waren zentrale Marksteine in der hamburgischen Parla- mentsgeschichte, vergleichbar dem 14. Dezember 1848, dem 6. Dezember 1859, dem 24. März 1919 und eng verknüpft mit dem 8. März 1933 und dem 27. Februar 1946, allesamt Daten, die es verdienen, stärker im historisch-politischen Bewusstsein der Hamburgerinnen und Hamburger verankert zu werden. Sie stehen für wichtige Stationen auf dem Wege zur Demokratie, der auch in Hamburg ein langer und schwieriger war. Ich freue mich, dass Sie, Herr Bürgerschaftspräsident Röder, wie Ihre Vorgänger und Vorgängerinnen den Wert der historischen Erinnerung als Teil der politischen Kultur erkennen und mit Veranstaltungen und Veröffent- lichungen dazu beitragen, dass der kritische Umgang mit unserer Geschichte, die aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von der Bürgerschaft gefördert werden. Vom 5. Oktober bis zum 4. Dezember 1848 wählten rund 50 Prozent der wahlberechtigten über 22-jährigen männ- lichen Staatsangehörigen die Konstituante, die Ver- fassunggebende Versammlung. Der Dachdecker David 6 Christopher Mettlerkamp, ein Veteran der Befreiungs- kriege und Mitbegründer des Kunstvereins, eröffnete am 14. Dezember 1848 im Haus der Patriotischen Gesell- schaft an der Trostbrücke die erste Sitzung. „Gleiche politische und bürgerliche Berechtigung aller Staatsan- gehörigen, an diejenigen Anordnungen ihrer gesellschaft- lichen Beziehungen, nach denen sie unter wechsel- seitigen Dienst- und Hilfsleistungen miteinander ruhig und friedlich leben wollen, ist eine unabweisbare Forde- rung der Vernunft und des sittlichen Wollens“ – das durchzusetzen, war nach Mettlerkamp die Aufgabe der Zeit. „Wir sollen durch Vereinfachung und Sparsamkeit in unserem Staatshaushalt auf die Verbesserung unserer Finanzen, auf die Hebung unseres Wohlstandes hin- wirken; auf gerechte Verteilung der Staatslasten, auf schnelle und wohlfeile Rechtspflege, auf zweckmäßigen und vollständigen Schulunterricht, auf Hebung des Ge- werbstandes, auf Sicherung jedweder individueller Frei- heit innerhalb ihrer sittlichen Grenzen sollen wir hin- wirken, und die dazu erforderlichen Gesetzesschranken bezeichnen“: So aktuell und modern sind zuweilen die Forderungen, die Programme der Alt-vorderen! Das Werk der Konstituante scheiterte 1849/50 an den gegen- revolutionären Kräften in der Stadt wie im Deutschen Bund und ihrem geschickten Zusammenspiel. Erst ein Jahrzehnt später, vom 14. bis 21. November 1859, wählten die „volljährigen männlichen Hambur- gischen Staats-Angehörigen“ die neue Bürgerschaft, 84 Abgeordnete wurden in allgemeiner Wahl bestimmt, 60 von den Notabeln, Bürgern, die ein Ehrenamt innehatten, gewählt, 48 von den Grundeigentümern. Bei allen Modi- fikationen blieb es bis zum Ende des Kaiserreichs bei der Bevorzugung dieser beiden Gruppen. Alterspräsident der konstituierenden Sitzung am 6. Dezember 1859, wiederum im Haus der Patriotischen Gesellschaft, war der Kaufmann und Reeder Robert Miles Sloman, ein gebürtiger Engländer, der 1848 einer der engagiertesten Vorkämpfer einer deutschen Flotte gewesen war. Er sah 7 in der neuen Bürgerschaft „das Werk des Fortschrittes, durch die öffentliche Meinung und die Tendenzen der Zeit hervorgerufen“. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen und die „Freiheit der Diskussionen“ machten für ihn den entscheidenden Unterschied zur alten Erbgesessenen Bürgerschaft aus und waren ihm „das Palladium unserer bürgerlichen Rechte und die Mittel, durch welche wir zur Erlangung der vielen Reformen, der wir bedürfen, kommen werden.“ Erster Präsident wurde Johannes Versmann, der 1848/49 mit seinem St. Pauli-Bürger- verein und in der Konstituante für die Demokratie einge- treten war. Er erinnerte denn auch an „die vereitelten Hoffnungen, das Hin- und Herschwanken der Mei- nungen, die verschiedenen Parteiungen, welche un- seren, gerade vor Allem ein friedliches Zusammenleben der Bürger heischenden kleinen Staat jahrelang zer- klüfteten. Er erhoffte sich mit dem 6. Dezember 1859 „den Anfang einer neuen glücklichen Ära für unsere ge- liebte Vaterstadt“, „den Beginn einer langen Epoche inneren Friedens und äußeren Glückes!“ Vizepräsident wurde 1859 ein Hamburger Jude, Gabriel Riesser. Als einer der führenden Köpfe der Paulskirche hatte er sich schon 1848/49 große Verdienste um den Parlamentarismus und die Grundrechte der Deutschen erworben. 1861 und 1862 wählte die Bürgerschaft Isaac Wolffson zu ihrem Präsidenten. Mit ihm wurde zum ers- ten Mal ein jüdischer Mitbürger Präsident eines deut- schen Landesparlaments. Ihm folgte von 1892 bis 1902 mit Siegmund Hinrichsen ein weiterer Hamburger Jude und um das Gemeinwohl verdienter Patriot. Mit der Verfassung von 1860 setzte in der Tat ein Modernisierungsschub ein, bis zum Ersten Weltkrieg wurde Hamburg zur Millionenstadt, zum drittgrößten Hafen der Welt und zu einer Industriemetropole. Doch die Demokratisierung blieb stecken. 1890 gab es bei 623.000 Einwohnern 138.000 Reichstagswähler, aber nur 23.000 Bürgerschaftswähler. Nachdem 1901 und 1904 die ersten Sozialdemokraten in die nun im Rathaus 8 beheimatete Bürgerschaft einzogen, führte die Bürger- schaftsmehrheit 1906 gegen den Widerstand der Ver- einigten Liberalen um Carl Petersen und der Sozial- demokraten um Otto Stolten ein Klassenwahlrecht ein, das der Historiker Hans Wilhelm Eckardt treffend charak- terisiert hat: von nun 160 Sitzen in der Bürgerschaft stellte „die Minderheit der gut situierten Bürger 128, die Mehrheit der weniger gut verdienenden Bürger jedoch nur 24 Sitze“ – und „die Masse der Einwohner“ war „überhaupt nicht repräsentiert“. Eine Epoche
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