Deutschland

WAHLEN Der rote Sheriff Mit populistischen Reizthemen zur Inneren Sicherheit betreibt der Sozialdemokrat Henning Voscherau die Wiederwahl als Hamburger Bürgermeister. Doch der ehrgeizige Genosse strebt auch in Bonn nach einem möglichst hohen Amt. Von Hans-Joachim Noack

uf dem Marktplatz von Kirchdorf- Süd, einem Ortsteil Hamburgs, der Azu den eher problemträchtigen der Freien und Hansestadt gehört, erspäht Bür- germeister Henning Voscherau einen im engen Unterhemd sich räkelnden jungen Mann, dessen furchteinflößende Körper- maße seine Neugier wecken. Den muß er sich näher ansehen. Ein bißchen komisch wirkt die Szene schon, in der danach der federgewichti- ge Senatspräsident dem von staunenden Freunden umgebenen Hünen die straffe Oberarmmuskulatur massiert. „Wirklich imposant“ findet er die prächtig gebauten Bizeps, aber dann ermahnt er den verdat- terten Kraftprotz: „Immer hübsch gewalt- frei bleiben.“ Solche Auftritte, die er häufig ins leicht Clowneske wendet, sucht der mimisch be- gabte Voscherau mit der Selbstverständ- lichkeit eines erprobten Polit-Entertainers. In hat die heiße Phase des Bür- gerschaftswahlkampfs begonnen, und der Spitzenkandidat der SPD zieht einen Troß von Fotoreportern hinter sich her, dem er gern mal ein möglichst unkonventionelles Bildmotiv bieten möchte. Darüber hinaus illustriert das kleine In- termezzo, was ihm auch inhaltlich derzeit am wichtigsten zu sein scheint: Nichts be- flügelt ihn mehr, wenn er im eigens gechar- terten Autobus seine von stark gestiegener Alltagskriminalität heimgesuchten Außen- bezirke bereist, als das „Topthema Innere Sicherheit“. Sollen ihn Konkurrenten wie der christ- demokratische Oppositionsführer einen „Maulhelden“ schimpfen – da steht er drüber. In der Pose des knallhar- ten Stadtsheriffs („… mit kaltem Blut“) fordert der 56jährige Dr. jur. den Raus- schmiß straffällig gewordener Ausländer wie den Einsatz von Schnellgerichten. Auf einer Parteifete in Altona stellt er sich de- monstrativ vor den ebenso stählernen Ger- hard Schröder. Daß sich in Hamburg je ein roter Regent nach „mehr Obrigkeitsstaat“ (O-Ton Vo- scherau) sehnen könnte, wäre wohl vor kurzem noch kaum denkbar gewesen – doch er fährt nicht schlecht mit seiner von ihm heftig beschworenen „tabufreien Schwachstellenanalyse“. Würde an der AP Parteifreunde Voscherau, Schröder*: „Mit kaltem Blut“ * Am 27.August auf der Hamburger Werft Blohm+ Voss.

34 der spiegel 37/1997 Deutschland Elbe der Bürgermeister direkt gewählt, ent- Redet so bloß ein im schieren Zweck- fielen auf den Obersozi, dem Law and Or- mäßigkeitsdenken verfangener Krisenma- der „am Herzen liegen“, eindrucksvolle nager, der darüber hinaus den Stammti- 60 Prozent der Wählerstimmen. schen zu gefallen sucht? Der forsche Han- Darf es da verwundern, wenn die in den seat ließe sich leichter als klassischer Mit- Jahren ihrer Dauerherrschaft ausgelaugte te-Rechts-Protagonist einordnen, stünde SPD, die im Augenblick um die 40 Prozent dem nicht bisweilen ein sich wild gebär- notiert wird, brav zu Kreuze kriecht? Im- dender linker Habitus entgegen. Wie nie merhin hatte im Frühling selbst der Alt- zuvor wettert er da über die „globale Raff- kanzler Helmut Schmidt böse gestichelt, gesellschaft, die den Sozialstaat zerstört“. den Hanseaten würde „ein Wechsel gut- Sein gewaltiges Ego scheint ihm aufzu- tun“ – säße dort im Rathaus nicht der un- erlegen, möglichst alle für sinnvoll erach- vergleichlich fähige Enkel Henning. teten Positionen zu besetzen – und das Und in der Tat verdankt der passionier- schafft Probleme. Insbesondere sind dem te Hockeyfan seinen gewachsenen Einfluß eigenwilligen Stadtstaatschef Koalitionsre- nur zum Teil einer zielstrebig gepflegten gierungen suspekt, weshalb er in Hamburg populistischen Attitüde. Neben dem oft- das übliche Verwirrspiel um den wohl un- mals arrogant auftrumpfenden Lokalma- erläßlichen Partner inszeniert. tador, der sein etwas heruntergekommenes Sah es längere Zeit so aus, als sei an der Hamburg nach dem Muster New Yorks Waterkant eine Verbindung mit der Grün- säubern möchte, gibt es den überregional Alternativen Liste (GAL) praktisch ein deutlich differenzierteren Voscherau. Selbstläufer, zeigt sich der Stratege Als sozialdemokratischer Finanzkoordi- Voscherau nun ziemlich abweisend. „In nator und Vorsitzender des mächtigen Ver- diesen schwierigen Zeiten der Arbeitslo- mittlungsausschusses zwischen Bundestag sigkeit und Gewalt“ wirft er den Ökos, und Länderkammer macht der „noble No- tar“ (die welt) auch auf Bonner Parkett Der gewiefte Taktiker setzt von sich reden. Ohne das im Kungeln und auf einen Partner, der Austarieren erfahrene Nordlicht stünde die SPD etwa in ihrem Gezerre um die Steu- sich als Wurmfortsatz anbietet erreform noch zerrissener da. Er habe halt in dem ganzen Durchein- obschon die unter Führung ihrer behutsa- ander „klare Kante gepflügt“, lobt sich der men Reala Krista Sager antreten, „gefähr- Chefemissär selbst und hofft nun zuver- liche Wirklichkeitsferne“ vor. sichtlich, daß sich seine monatelang vor- Denn andererseits kann er ja zur Zeit geführten Verhandlungskünste doch noch noch aus dem vollen schöpfen. Neben den positiv niederschlagen. Zumindest wertet Grünen schielen die bisherigen Kombat- er die vom Kanzler signalisierte Kompro- tanten von der Statt Partei ebenso auf mißbereitschaft als „verspätete Rückmel- die Machtteilhabe wie die ihrer Oppositi- dung auf meine Aussagen“. onsrolle überdrüssig gewordenen Christ- Henning Voscherau, ein Mann – wie ihm demokraten und neuerdings sogar die die frankfurter allgemeine attestiert – , Liberalen. der in seinen Funktionen Zug um Zug „die Für den Bürgermeister ist das natürlich größeren Linien“ der Politik ins Visier eine verführerische Konstellation. Gesetzt nimmt, und so verhält er sich auch auf den Fall, die CDU und die kleinen Partei- kommunaler Ebene. Seit Beginn der Wahl- en schwächten sich gegenseitig, darf er am kampagne bringt sich der Kandidat listig Abend des 21. September mit freier Aus- als Oberhaupt einer Stadt ins Gespräch, wahl rechnen – und vielleicht noch Schö- die ja nicht umsonst das „deutsche Lon- nerem: Seine etwas marode SPD könnte don“ genannt werde. sich dann womöglich einer absoluten Man- Nein, kein Wort über den ruhmreichen datsmehrheit („Rot pur“) erfreuen. Tony Blair, dem sich bereits andere Ge- Wie verhält sich ein gewiefter Taktiker nossen geistesverwandt fühlen, aber un- vom Zuschnitt Voscheraus in einer solchen terschwellig will er denn doch von dem Lage? Der behandelt die potentiellen Bräu- verehrten Erneuerer profitieren. Schließ- te in abgestufter Form. Nachdem er sich lich stehe die Hamburger Sozialdemokra- von der GAL bereits distanziert hat, straft tie dessen Erfolgsrezept – den Maximen er die FDP mit strikter Nichtbefassung, „Wirklichkeitssinn und Kompetenz“ – tra- während die Christdemokraten unerbitt- ditionell „besonders nahe“. lich dem Spott preisgegeben werden. Der Sproß eines Schauspielers aus dem Einem wohl umgänglichen, leider leicht- Stadtteil in seiner Paraderolle: gewichtigen Konkurrenten wie dem „Loser Wo immer Voscherau in einem unermüd- Ole“ die wertvolle Stimme hinterherzu- lich geführten Straßen-Wahlkampf den werfen sei „vertane Chance“, suggeriert Bürgerdialog zelebriert, sind es vor allem der Sozi abgebrüht und unterbreitet dann die „kleinen Leute“, denen er sich als un- seinen „Vorschlag“: Wer von der ange- überbietbarer Vernunftmensch andient. stammten CDU-Klientel, den „finanzstar- Die „Schutzmacht SPD“ hat sich nach sei- ken, politisch kenntnisreichen, typischen nem Verständnis „auf nichts als die Rea- Elbchaussee-Wählern“, unbedingt konser- litäten hin zu konditionieren“. vativ votieren wolle, entscheide sich besser

der spiegel 37/1997 37 verbuchen. Seine Initiative (siehe Seite 17) wird sich herumsprechen und einen Ein- druck festigen, der dem umtriebigen Ham- burger eh schon anhaftet: In der ver- meintlich vom Blockade-Bazillus befalle- nen roten Führungsriege gilt er als eine der seltenen zupackenden Figuren. Voscherau selbst zählt sich mittlerweile zu den „Vorzeige-Menschen“ in der SPD – eine nicht gerade Bescheidenheit signa- lisierende Wortschöpfung, die aber durch- aus seinem Rang gerecht wird. Welche

W. STECHE / VISUM W. Möglichkeiten stehen so einem Mann noch Wahlwerbung des Voscherau-Wunschpartners Statt Partei: „Großer Bürgermeister“ offen, der sich einerseits „in der Top-Eta- ge der Politik“ angekommen sieht, freilich für die Statt Partei. Nämlich, wenn er denn Denn der leptosome Notar hält es mit andererseits darunter leidend, dort „als schon einiges von seiner Macht abzwacken „Siegertypen“, und die müssen Akzente Wasserträger“ arbeiten zu müssen? muß, wären ihm die sogenannten Grauen, setzen. Seine jüngste, ziemlich happige Dem derzeit herrschenden Machtgefüge mit denen die SPD seit 1993 paktiert, gewiß Attacke gegen den Euro zielt dabei nicht gemäß, verteilt der Hanseat an die beiden am liebsten. „Die sind ja nix Homogenes“, nur auf eine angeblich verhängnisvolle Großkopfeten und Ger- weiß das Stadtoberhaupt aus Erfahrung, Währungspolitik der Regierenden. Der in hard Schröder partiell artige Komplimen- sondern praktisch eine Art Wurmfortsatz Schüben von heftiger Unruhe gepackte te, denen er in verschlungenen Halbsätzen der eigenen Couleur. Kreuz-und-Quer-Denker wirft zugleich der eine Prise Süffisanz beimischt. Gewiß sind Böte sich die derzeit noch unter der eigenen Partei vor, sie laufe bei diesem das irgendwie tolle Hechte, aber die Art, Fünf-Prozent-Marke krebsende Truppe Thema Gefahr ihre „Oppositionsfähigkeit“ in der die etwa vor einigen Wochen „an tatsächlich wieder als Mehrheitsbeschaffer zu verlieren. der Saarschleife die Monopolisierung von an, hätte er jedenfalls seinen „Wunsch- Mag der für die SPD im Europaparla- Männerfreundschaftsfotos“ betrieben ha- partner“ sicher. Immerhin preist ihn der ment sitzende Kollege Klaus Hänsch laut ben, imponiert ihm weniger. neue Statt-Chef Jürgen Hunke, ehedem drauflosschimpfen, da habe sich ein Ge- Im Klartext soll das heißen, daß er es HSV-Präsident, schon jetzt als „großen nosse auf „Dummenfang“ begeben: Das auch den „Hoffnungsträgern“ der SPD Bürgermeister“. schert ihn wenig. Einer wie Voscherau nicht erlauben möchte, auf spektakulären Anstelle von Rot pur also Voscherau pur denkt immer ans Volk – und weil er zu Waldspaziergängen die Partei in Privatbe- – und darum geht es ihm ja im Kern.Wahl- wissen glaubt, daß die Mehrheit etwa in Sa- sitz zu nehmen. Natürlich erkennt er an, kämpfe mit dem seit 1988 regierenden Ju- chen Steuerreform endlich Ergebnisse se- wie sich der Vorsitzende immer besser in risten sind in Hamburg immer eine One- hen möchte, handelt er. Am Montag vori- seine Rolle findet und auch der Gerd eine man-show gewesen, doch diesmal wächst ger Woche zieht der Finanzkoordinator vor „starke Frühform“ beweist – nur wer weiß er fast schon zum Superstar empor. Daß dem Präsidium ein von ihm durchgerech- schon, was danach noch kommt. die anderen Parteien, um zu ihm ins Boot netes Konzept aus der Tasche. Das Leben steckt voller Unwägbarkei- steigen zu dürfen, „Schlange stehen“ (süd- Das gefällt den versammelten Granden ten, und Henning Voscherau muß ja selbst deutsche zeitung), empfindet er „auch zwar nicht (was ihn ziemlich ergrimmt), damit rechnen, daß sich nicht alle Träume als persönliche Bestätigung “. aber einen Teilerfolg darf er wohl doch erfüllen. So stünde er beispielsweise gern Die GALierin Krista Sager gibt zu be- am 1. Januar 2000 „im Rathaus, Turmsaal“, denken, der ungestüme Sozialdemokrat um seinen Mitmenschen ein glückliches leiste mit seinen Parolen „den Rechten Bei- neues Jahrtausend zu wünschen. Doch wie hilfe“; aber sonst regt sich kaum Kritik. reagiert er, wenn ihn ein Ruf nach Bonn Die von Voscherau in griffigen Formeln ge- ereilt? bündelten Ängste vor jugendlichen Schlä- Als es vor Monaten der hamburger gerbanden oder zunehmender Überfrem- morgenpost gefiel, den alerten Bürger- dung („… ich sage mal Alma Ata“) schei- meister auf zwei vollen Seiten bereits zum nen dem Gros der Hamburger noch eher „heimlichen Kanzlerkandidaten“ auszu- gelinde ausgedrückt. rufen, hat er das Blatt in einen unter dem Doch im übrigen sind das ja gar keine Bett stehenden Karton gestopft. Dort ver- spezifischen hanseatischen Themen. Er- staut er die „Kuriositäten“ seiner politi- greift der Wahlkämpfer das Wort, um über schen Laufbahn, die er später mal den En- „die Sünden der Väter“ zu parlieren oder keln übereignen will. „mit den Lebenslügen aufzuräumen“, hat Also zur Kanzlerschaft … was soll er da er stets die größeren Zusammenhänge im sagen … „möge sich nur keiner einbilden, Blick. Es präsentiert sich der Bundespoli- daß das jeder kann“. Wer ein solches Amt tiker, den es mächtig drängt, sein beengtes „von schicksalhafter Bedeutung in schwe- Wirkungsfeld auszuweiten. rer, weichenstellender Zeit“ auszuüben be- Geschickt kleidet der grenzüberschrei- reit sei, entfährt es ihm seltsam verrätselt, tend engagierte Voscherau seine Ambitio- müsse sich nicht nur nach seinem Format nen in das Gewand des leidenschaftlichen fragen, sondern Partei und Fraktion hinter Föderalisten, dem die erheblich gestörte sich wissen. Er, Voscherau, habe „ja noch Balance zwischen Bund und Ländern Sor- niemals einen Juso-Kongreß besucht“. ge bereitet. „Von der Elbe aus zuzusehen, Und dennoch hält er für denkbar, in ei-

wie uns in Bonn das Fell über die Ohren VISUM / PLUS 49 ner SPD-geführten Regierung einen Job gezogen wird“, widerspricht seinem Kämp- GAL-Spitzenkandidatin Sager zu machen. „Aber keinesfalls als Wasser- ferherzen. „Gefährliche Wirklichkeitsferne“ träger“. ™

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