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Deutschland SOZIALDEMOKRATEN „Ordentlich was im Kopp“ In der SPD nähern sich die Realos Henning Voscherau und Wolfgang Clement dem möglichen Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder an. Das Trio will verhindern, daß Parteichef Oskar Lafontaine einen zu scharfen Konfrontationskurs steuert. Von Hans-Joachim Noack T. SANDBERG / IMAGES.DE T. Landesvater Schröder*: „Was issen das für ’n Mann? Welches Programm hat der?“ ann immer sich der Sozialdemo- gedanken verbände. Ziemlich unverblümt Erster Bürgermeister Henning Voscherau krat Gerhard Schröder in diesen empfindet er dessen Wahlkampf als ein diesen Vorzug. WWochen bedrängt sieht, über sei- „interessantes vorgeschaltetes Experi- Natürlich folgen die genannten Herren ne und die Lage seiner Partei Auskunft zu ment“ auch für die eigenen zielstrebig ent- dem zupackenden Briten nicht in allen geben, stellt er ungewohnte Bescheiden- wickelten Ambitionen. Schlägt sich da in Ideen. Der habe ja zunächst noch sein heit zur Schau. Sittsam lenkt der forsche England doch der Bruder im Geiste, sug- „überfälliges Godesberg“ nachzuholen, Niedersachse statt dessen das Augenmerk geriert der präsumtive Kanzlerkandidat. unterstreichen sie unisono – aber er wirkt auf einen anderen ihm derzeit wichtigen Denn seit sich der ebenso smarte wie gemeinschaftsstiftend: Im Gerangel um die Politiker – einen Angelsachsen. harte Labour-Ausputzer zunehmend zu ei- umstrittenen Grundpositionen der bun- Mit Anerkennung spricht er von seinem ner Art (post-)sozialistischem Avantgar- desdeutschen Sozialdemokratie rückt das Kollegen, der Lichtgestalt der britischen disten gemausert hat, macht es sich offen- Trio mit dem schillernden Blair-Image im- New Labour Party, Tony Blair, der am 1. bar gut, wenn man ihm möglichst ähnlich mer eindeutiger zusammen. Mai die konservativen Tories aus der Macht sieht. In der SPD teilen sich gegenwärtig Endgültig vorbei scheinen auf alle Fälle zu kippen verheißt. Je eindrucksvoller der mit dem hannöverschen Provinzregenten jene Zeiten, in denen der widerborstige Senkrechtstarter von der Insel das Ge- der Wirtschaftsminister Nordrhein-West- Schröder in Acht und Bann geschlagen schäft besorgt, desto stärker wird sich nach falens, Wolfgang Clement, und Hamburgs wurde, als er es gewagt hatte, eine „spezi- der Prognose des Deutschen die fische SPD-Wirtschaftspolitik“ Neugier hierzulande steigern: in Zweifel zu ziehen. Daß es die „Was issen das für ’n Mann? nicht gibt, sondern vernünfti- Welches Programm hat der?“ gerweise nur eine an den kom- Sicher wäre Schröder nicht plizierten Verhältnissen orien- Schröder, wenn er mit seinen tierte „ohne Parteifarbe“, pre- Verweisen auf einen entschie- digen mit Verve längst auch Cle- den dem Pragmatismus zuge- ment und Voscherau. wandten Jungstar keine Hinter- Anstatt sich ein über das an- dere Mal in den alten Ritualen * Am 14. April bei Eröffnung der Hanno- REUTERS zu verheddern, empfehlen die ver Messe. Schröder-Vorbild Blair: „Vorgeschaltetes Experiment“ verbandelten Obersozis den 40 der spiegel 18/1997 Deutschland Freunden eine Umkehr der Prioritäten: Selbstredend, schon um ihrer Identität wil- len, soll die einstige Arbeiterpartei die klei- nen Leute nicht aus dem Blick verlieren. Doch zuvörderst gilt es, die unerläßlichen Voraussetzungen für diese Schutzmacht- Funktion zu kräftigen. Wer trotz trister Beschäftigungslage ver- teilen möchte, heißt danach eine der Lieb- lingsvokabeln des niedersächsischen Mini- sterpräsidenten, muß dem „Wertschöp- fungsaspekt“ höchsten Stellenwert ein- räumen – und nicht anders sehen das auch die Kombattanten. Stabilisieren wird sich nach deren Analyse der ins Schlingern ge- ratene Standort Deutschland nur, wenn er auf den Feldern der Struktur-, Industrie- und Technologie-Politik der berüchtigten Globalisierung entspricht. Stiekum herausgebildet hat sich so eine auf gleichen ökonomischen Erkenntnissen gegründete rote Realo-Riege, die von Tei- len der Medien schon mit kernigen Meta- phern bedacht wird. Die hamburger mor- genpost etwa feiert in Voscheraus Annä- herung an Gerhard Schröder das „neue Power-Team der SPD“. Laut Springers bild am sonntag verschweißen sich vor allem der Praktiker Wolfgang Clement und der wiedererstarkte Hannoveraner zu einer „Achse“. Daß sie in wachsendem Maße aneinan- der Gefallen gefunden haben, bestreiten die ehedem weniger einigen Genossen auch gar nicht mehr. Nach dem Empfinden des regierenden Hanseaten ist der Kolle- ge aus dem südlichen Nachbarland „der zur Zeit attraktivste Vorzeigemensch der SPD“, und der ansonsten dröge Ressort- leiter Wirtschaft im Düsseldorfer Kabinett beglaubigt das: „Der Gerd“ sei „viel ver- träglicher geworden“, sagt er mit spürba- rem Erstaunen. Wen wundert es da, wenn sich Schröder an vormalige Kräche kaum noch erinnern kann und nun seinerseits großmütig Lob ausstreut? Kein Wort heute davon, daß im Sommer 1993 Clements nordrhein-westfä- lische SPD-Verbände gegen ihn fochten, als in einem Mitgliederentscheid der Par- teivorsitzende bestimmt wurde. Keine Sot- tisen mehr über Voscherau, der ihm später den begehrten Chefsessel im Bonner Ver- mittlungsausschuß mißgönnte. Der eine wie der andere, grunzt er neuerdings be- haglich, habe „ordentlich was im Kopp“. Die netten Sätze erwecken den Eindruck einer soliden Nähe, die man freilich nicht unbedingt Seilschaft nennen muß – ei- ne im übrigen problematische Liaison. Schließlich geht es konkret um die Kanz- lerkandidatur, und die Sozialdemokratie lebt in einer Phase des von Oskar Lafon- taine überwachten klösterlichen Schwei- gegelübdes in dieser Frage. Macht es nun „der Gerd“, oder wird ihm am Ende – im nächsten Frühling – noch der ehrgeizige Vorsitzende den Rang ablaufen? Wie bewegt man sich in einer Si- 42 der spiegel 18/1997 tuation, in der doch jeder Schulterschluß gleich zu Lasten eines bedeutenden Drit- ten ausgelegt werden könnte? Bislang darf sich der Saarländer rühmen, es habe sich „aus der ersten Reihe“ seiner Partei keiner getraut, der getroffenen Verabredung zu- widerzuhandeln. Nur wie lange trägt der Schwur? Schröder und seine mutmaßlichen Hi- wis hüten sich. Niemand soll ihnen vor- werfen, sie mißbilligten als kontraproduk- tiv, daß „im Kern noch alles offen“ ist, wie sie übereinstimmend beteuern. Doch ein wenig verkrampft hört es sich schon an, wenn sie bis in die Nebensätze hinein mit exakt denselben Worten den beträchtli- chen Sinngehalt der geheiligten Sprachre- gelung hervorkehren. Denn andererseits steht dem vermeint- lich weisen Verdikt Lafontaines ein schwer zu leugnender Zeitfaktor entgegen, der den dreien zu denken gibt. Spätestens seit der Ankündigung des Kanzlers, ein weite- res Mal kandidieren zu wollen, hat in der von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau ge- zeichneten Republik der Bundestagswahl- kampf begonnen. Folglich, sagt zum Bei- spiel Clement, ringe die SPD „natürlich jetzt“ um ihre Bonner Ablösungsperspek- tiven. Mit welchem Kurs soll sie im Herbst 1998 die Kohlsche Dauerherrschaft brechen, und paßt dann auch die Spitzenperson zu den entwickelten Grundsätzen? Daß der jam- mervolle Hickhack um die Steuerreform rundum nach den Plänen ihres der Blocka- destrategie verdächtigen Vorsitzenden ab- gelaufen ist, würden Schröder und Co. zwar nie bestätigen.Aber insbesondere bei Voscherau, der sich als Verhandlungsmit- glied bloßgestellt sehen muß, schimmert unverkennbarer Argwohn durch. Verflüchtigt hat sich also erst einmal die Hoffnung, dem im Lande allseits beklagten Reformstau wenigstens auf dem Sektor der drückenden Abgabenlast beizukommen – für die sozialdemokratische Pragmatiker- Crew ein eher ernüchterndes Ergebnis. Doch sie will an ihren prinzipiellen Ansät- zen festhalten: „Richtig ist, was funktio- niert“, übersetzt der Populist aus Hanno- ver einen der klassischen Sprüche des agi- len Briten Blair. Und der soll für ihn selbst dann gelten, „wenn das in Teilen dem am- tierenden Kanzler nützt“. Dem offenkundigen Strickmuster La- fontaines, der die Bonner Koalition in der vollen Breite aufzumischen droht, stellen so die mehr oder minder heimlichen Riva- len ihr eigenes Konzept gegenüber.Wo das sinnvoll erscheint, möchten sie der unver- meidlichen Konfrontation „zeitgemäße Ko- operationsangebote“ hinzugesellen. Die zwischen den Volksparteien „deutlich ge- ringer gewordenen Unterschiede rechtfer- tigen keinen wilden Wahlkampf“, warnt der NRW-Wirtschaftsminister. Bis vor kurzem noch hatte die SPD als Ultima ratio die Versöhnung von Ökono- der spiegel 18/1997 43 Deutschland zutreffend geschilderte Manko „eher zum Fluch oder zum Segen“ gereiche. Was sich da anhört wie ein lockeres und unter Kumpeln übliches Geplänkel, rührt in Wahrheit an den Wurzeln. Noch immer schätzt der selbstgewisse Weltwirtschaft- ler Lafontaine des Hannoveraners Fähig- keiten auf seinem Spezialgebiet – siehe dessen Euro-Skepsis – eher als unterbe- lichtet ein. Schröder hingegen mokiert sich über ein Know-how des Parteivorsitzen- den, das ihm allzusehr „den schlauen Bü- chern entliehen“ ist. Mag der Oskar also ruhig „makro“ auf einem Niveau argumentieren, wie es ihm die hohe Theorie abverlangt – der dem Volk schmeichelnde „Mikro“-Niedersach- se bevorzugt eine „an der Wirklichkeit aus- gerichtete einklagbare Praxis“. Die Wahr- heit liegt für ihn „vor Ort“; etwa in den Be- F. DARCHINGER F. trieben seines strukturschwachen Flächen- Sozialdemokraten Voscherau, Stolpe, Lafontaine: Mikro und Makro landes, die er gegenwärtig häufiger denn je „als Lernender“ in Augenschein mie und Ökologie auf ihre Fahnen gehef- nimmt. tet, doch das reicht nicht mehr. Die von Er will „ergebnisorientiert an die Schröder „aktualisierte Formel“