III. Schlaglichter Der Personalpolitik Im Politbüro
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III. Schlaglichter der Personalpolitik im Politbüro 1. Absturz in der Wüste – Legenden um Werner Lamberz Wie wichtig die Zugehörigkeit zum Zentralrat der FDJ für den Aufstieg in der Parteihierarchie in der Ära Honecker war, verdeutlicht in geradezu idealtypischer Weise der Karriereweg von Werner Lamberz. Der gelernte Heizungsmonteur be- gann im April 1948 seine politische Karriere im Jugendverband als 1. Sekretär des FDJ-Kreisvorstandes Luckenwalde. Im Mai 1951 wurde er Sekretär im Landesvor- stand der FDJ in Potsdam und schließlich Sekretär für Agitation und Propaganda im Sekretariat des Zentralrats der FDJ in Berlin (1953 bis 1963). In seiner Funk- tion als Sekretär des Zentralrates arbeitete Lamberz einige Zeit eng mit Honecker zusammen, der bis 1955 an der Spitze des Zentralrats der FDJ stand. Nach seinem Aufenthalt in Budapest (1955–1959) als Vertreter des Zentralrates der FDJ im Exekutiv komitee des Weltbundes der demokratischen Jugend übernahm Lamberz im FDJ-Zentralrat die Zuständigkeit für Internationale Verbindungen, Westarbeit und Studentenangelegenheiten. Danach folgte noch in der Ära Ulbricht der Auf- stieg in der Parteihierarchie: von 1963 bis 1966 hauptamtliches Mitglied der Agitationskommission beim Politbüro, von 1966 bis 1967 Leiter der Abteilung Agitation des ZK und von 1967 bis 1970 Sekretär des ZK und Leiter der ZK- Abteilung Agitation.1 Die 14. ZK-Tagung wählte ihn am 11. Dezember 1970 als Kandidat in das Politbüro und bestätigte ihn als Sekretär des ZK. Schließlich be- stimmte ihn die 1. ZK-Tagung am 19. Juni 1971 zum Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees. Damit hatte Honecker seine eigene Stellung im Politbüro gefestigt, denn Lamberz stärkte dort die ihm ergebene Gruppe, zu der u. a. Axen, Sindermann und Hager gehörten. Stets bekam Lamberz glänzende Beurteilungen, so wie nach dem Abschluss der Landesparteischule der SED-Brandenburg in Schmerwitz im März 1951: „Gen. Lamberz verfügt über eine überdurchschnittliche Intelligenz, hat ein ausgeprägtes Denkvermögen und erkennt das Wesentliche.“2 Auf der Komsomolhochschule in Moskau, die er von September 1952 bis August 1953 besuchte, entdeckte Lamberz sein Sprachtalent. Schon in den 1960er Jahren kam er als Leiter der Arbeitsgruppe Auslandsinformation innerhalb der Agitationskommission beim Politbüro mit ausländischen Korrespondenten in der DDR in Kontakt – ein Arbeitsfeld, auf dem er sich neben seiner Rolle als „Chefagitator“ außerordentlich erfolgreich bewegte. Als Werner Lamberz am 6. März 1978 bei einem Hubschrauberabsturz in der Nähe von Tripolis tödlich verunglückte, war er mit 48 Jahren das damals jüngste 1 Vgl. die Kaderakte von Werner Lamberz, in: SAPMO BArch, DY 30 IV 2/11/v.5381. 2 Charakteristik der Betriebsgruppenleitung der Landesparteischule „Ernst Thälmann“ Schmerwitz vom 14. März 1951, in: Kaderakte von Werner Lamberz, in: ebenda. 124 III. Schlaglichter der Personalpolitik im Politbüro Politbüromitglied. Er galt in langfristiger Perspektive als einer der aussichtsreichs- ten Kandidaten für die Nachfolge Honeckers. Dank seiner Intelligenz, seiner Sprachkenntnisse und internationalen Kontakte stach der kluge Taktiker aus dem Grau des führenden Funktionärskorps der SED hervor. Zwar gab Lamberz als „Chefagitator“ die ideologische Linie für die öffentliche Propaganda der Partei vor und scheute auch keine scharfen Töne und Attacken gegen den „Klassen- feind“, doch fielen seine Referate weniger steril und langatmig aus als gemeinhin üblich. Er benutzte in seinen Reden mitunter originelle Formulierungen, konnte in der Öffentlichkeit frei sprechen und galt als äußerst kulturinteressiert.3 Damit bildete er im Politbüro eine Ausnahme. Seine politischen und weltanschaulichen Auffassungen unterschieden sich hingegen kaum von denen der anderen Polit- büromitglieder. 1.1 Zwischen Einbindung und Ausgrenzung: Werner Lamberz und die Kulturpolitik der SED In der Kulturpolitik gab es Vertreter einer eher „harten“, dogmatischen sowie ei- ner vergleichsweise „weichen“, liberalen Linie. Für die kulturpolitischen Hardliner im Politbüro steht exemplarisch Naumann, wogegen Hager, ZK-Sekretär für Wissen schaft, Volksbildung und Kultur, einer eher kompromissbereiten Linie zu- zurechnen ist. Das betrifft im Grundsatz das Verhalten gegenüber Schriftstellern und Künstlern und die Berücksichtigung ihrer künstlerischen Arbeitsbedingun- gen (Auslandsreisen, Auftritte, Druckgenehmigungen). Die Mehrheit im Politbü- ro trat stets für ein rigides Vorgehen gegen kritische Schriftsteller und Künstler ein, worin sich eine grundsätzliche Intellektuellenfeindlichkeit widerspiegelte. Im Unterschied dazu strebte Hager eher eine Kompromisslösung an. In den Kernbe- reichen der Ideologie, des Marxismus-Leninismus, duldete Hager dagegen keine Abweichungen; er bekämpfte unorthodoxe Ideen in den Gesellschaftswissen- schaften in jeder nur denkbaren Form.4 Obgleich die Kultur in den Verantwortungsbereich Hagers als zuständiger ZK-Sekretär und Politbüromitglied fiel, mischte sich Lamberz nicht selten in die kultur politischen Auseinandersetzungen ein. Nicht zufällig übergab Mielke „In- formationen über die Haltung von Kulturschaffenden der DDR zu Problemen der Kulturpolitik der DDR“ nicht nur an Hager, sondern auch an Lamberz5, der durch seine Zuständigkeit für die „Anleitung und Kontrolle“ der Medien einen erheblichen Teil der kulturpolitischen Kompetenz an sich zog. Lamberz unterhielt 3 Vgl. Jan Eik, Besondere Vorkommnisse – Politische Affären und Attentate, Berlin 2011, S. 111. 4 Vgl. Guntolf Herzberg, Abhängigkeit und Verstrickung. Studien zur DDR-Philosophie, Berlin 1996, S. 144 ff.; ders./Kurt Seifert, Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare. Eine Biogra- phie, Berlin 2002. 5 Vgl. das Schreiben Mielkes an Lamberz vom 23. Juni 1972 sowie die beigefügte Anlage mit der Information über „Haltung von Kulturschaffenden der DDR zu Problemen in der Kulturpo- litik der DDR“, in: Archiv BStU, MfS ZAIG 2017, Bl. 43–94. Diese Information leitete Mielke ausschließlich an Lamberz und Hager weiter. 1. Absturz in der Wüste – Legenden um Werner Lamberz 125 wie auch Hager selbst persönliche Kontakte zu Schriftstellern, Journalisten, Sän- gern und vor allem Schauspielern. Lamberz fühlte sich Rundfunk und Fernsehen offenbar eng verbunden, zumal mit der Amtsübernahme Honeckers ein kultur- politischer Frühling anzubrechen schien. Im Zuge der „liberalen“ Phase in der DDR in den frühen 1970er Jahren machte sich auch unter Schriftstellern und Künstlern so etwas wie Aufbruchsstimmung breit.6 Dies umso mehr, als Kulturpolitiker der SED öffentlich erklärten, Kunst ließe sich nicht allein auf ihre ideologische Funktion reduzieren. Hager sprach sich vor dem Plenum der Akademie der Künste am 9. März 1972 gegen ein „reg- lementierendes, bürokratisches Eingreifen in den Kunstprozess“ aus, was zugleich eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Partei und Künstlern“ voraus- setze.7 Das war eine deutliche Abgrenzung zur rigiden Kulturpolitik der späten 1960er Jahre, die mit dem „Kahlschlag-Plenum“ vom Dezember 1965 noch im- mer nachwirkte.8 Honecker brachte die erneute kulturpolitische Wende auf dem 4. Plenum des ZK der SED im Dezember 1971 auf folgende Weise zum Ausdruck: „Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Er- achtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft sowohl Fragen der inneren Gestaltung als auch des Stils – kurz gesagt: die Frage dessen, was man die künstlerische Meisterschaft nennt.“9 Vieles spricht dafür, dass Werner Lamberz den neuen kulturpolitischen Ansatz im Politbüro aus voller Überzeugung mittrug. Zu Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern hatte die SED nicht erst seit dem „Kahlschlag-Plenum“, auf dem Honecker als Scharfmacher hervorgetreten war, ein gespanntes Verhältnis. Die Intellektuellenfeindlichkeit äußerte sich bei den älteren Genossen im weit verbreiteten Misstrauen gegenüber Künstlern und Schriftstellern. Honecker selbst dürfte jedoch keine allzu großen kulturpoliti- schen Ambitionen gehabt haben. Sein langjähriger persönlicher Mitarbeiter, Frank-Joachim Herrmann, mutmaßte im Hinblick auf die Erklärung Honeckers auf dem 4. ZK-Plenum: Die zitierte Feststellung habe Furore gemacht „und machen sollen“.10 Honecker habe vielmehr ein eher distanziertes Verhältnis zur Kunst gehabt. „Die hielt er wohl weitgehend für unökonomisch. Da kam zunächst nichts Faßbares heraus.“11 6 Vgl. Werner Mittenzwei, Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945– 2000, Leipzig 2001, S. 232 ff. 7 Vortrag Hagers vor dem Plenum der Akademie der Künste am 9. März 1972: „Die Partner- schaft zwischen Arbeiterklasse und Künstlern“, in: Archiv BStU, MfS HA XX Nr. 11427, Bl. 42–61. 8 Vgl. Günter Agde (Hrsg.), Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED. Studien und Doku- mente, Berlin 1999. 9 Stenografisches Protokoll der 4. Tagung des Zentralkomitees am 16. und 17. Dezember 1971, Bd. 2, SAPMO BArch, DY 30/IV 2/1/445. 10 Vgl. Frank-Joachim Herrmann, Der Sekretär des Generalsekretärs. Honeckers persönlicher Mitarbeiter über seinen Chef. Ein Gespräch mit Brigitte Zimmermann und Reiner Osch- mann, Berlin 1996, S. 75. 11 Zitiert in: ebenda. 126 III. Schlaglichter der Personalpolitik im Politbüro Denkbar scheint, dass einige der kulturpolitischen Initiativen von dem neuen Leiter der ZK-Abteilung für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann, ausgingen. Hoff- mann, der wie viele der Abteilungsleiter seine Karriere im Jugendverband FDJ begonnen hatte und offenbar auf ausdrücklichen Wunsch Honeckers ins „große Haus“ geholt wurde,