Machtwechsel in Ost-Berlin. Der Sturz Walter Ulbrichts 1971
JOCHEN STELKENS MACHTWECHSEL IN OST-BERLIN Der Sturz Walter Ulbrichts 1971 „Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, das Zentralkomitee auf seiner heutigen Tagung zu bitten, mich von der Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralko mitees der SED zu entbinden. Die Jahre fordern ihr Recht und gestatten es mir nicht län ger, eine solche anstrengende Tätigkeit wie die des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees auszuüben. Ich erachte daher die Zeit für gekommen, diese Funktion in jüngere Hände zu geben, und schlage vor, Genossen Erich Honecker zum Ersten Sekretär des Zentral komitees zu wählen."1 Eher nüchtern und scheinbar auch gefaßt verabschiedete sich Walter Ulbricht am 3. Mai 1971 auf der 16. ZK-Tagung der SED von der großen Weltpo litik, und man hätte auf den ersten Blick vermuten können, daß es sich - hauptsächlich wegen seines fortgeschrittenen Alters - um einen reibungslosen Übergang zu seinem Nachfolger Erich Honecker handelte. Hermann Axen, schon damals und noch bis 1989 Mitglied des Politbüros sowie Sekretär des ZK für internationale Verbindungen, nährte nach dem Fall der Mauer solche Mutmaßungen2: „Die Ablösung war kein Coup, kein Komplott. Es war nicht gemanagt. Hätten wir das nicht getan, wäre Walter Ulbricht frü her gestorben; wir haben sein Leben verlängert. Leicht ist ihm die Korrektur, die der VIII. Parteitag vornahm, und die Tatsache, daß er nicht mehr Erster Sekretär der Partei war, natürlich nicht gefallen. Schon auf dem 16. Plenum hatte er die Entscheidung ehrlich akzeptiert und Erich Honecker als seinen Nachfolger umarmt und beglückwünscht. Wir müssen Hochachtung vor Walter empfinden, der die Partei über alles stellte."3 Allerdings war schon ziemlich bald für DDR-Forscher im Westen klar, daß der Machtwechsel von Ulbricht zu seinem politischen Ziehsohn Honecker nicht so rei bungslos verlaufen war, wie ihn die SED nach außen darstellen wollte.
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