Die Deutsche Queen
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Deutschland Die deutscheKARRIEREN Queen Das Volk diskutiert darüber, ob seine Kanzlerin Angela Merkel eher Protestantin oder Physikerin oder Frau oder Ostdeutsche ist. Dabei lebt die einstige Quereinsteigerin seit Jahren wie in einem Schloss, aus dem sie auf ihr Land und die Welt schaut. Von Alexander Osang n einem Freitagnachmittag, Situation von Jürgen Klinsmann, und so Ende April, hat Angela Mer- hat sie wohl erst von ihrem Mann erfahren, kel ein weiteres Stück Boden dass die Straße geflickt wurde. Professor unter den Füßen verloren. Sauer war schon am Nachmittag mit dem Rüdiger Schuck und seine alten roten Golf vorgefahren. In dem spürt AJungs haben es verschwinden lassen. man jeden Huckel. Schuck ist Polier einer Templiner Stra- Ein Mitarbeiter aus dem Kanzleramt ßenbaufirma. Er und seine drei Kollegen sagt, dass die größte Veränderung für An- bekamen den Auftrag, zwischen zwei Wo- gela Merkel seit 2005 das Gewicht ihres chenenden einen 120 Meter langen Streifen Wortes ist. Wenn sie sich über das Wetter uraltes uckermärkisches Pflaster mit einer äußert, vermuten manche Untergebenen Asphaltschicht zu überziehen. Er gehört eine Anspielung zum Klimawandel und zu der schmalen Straße, die zwischen Fel- bereiten schnell irgendeine Vorlage vor. dern, Seen und Wäldern zum Dorf Ho- Womöglich hat sie mal „huch“ gesagt, als henwalde führt, wo das Wochenendhaus sie über den kleinen Hügel holperte, und so der Bundeskanzlerin steht. Der Weg er- Rüdiger Schuck und seine Brigade in Be- klimmt hier einen kleinen Hügel, den letz- wegung gesetzt, ohne es zu wissen. Ein Au- ten vor dem Dorf, dort, wo der Besucher genaufschlag kann eine Lawine auslösen, aus der Stadt bereits anfängt, sich zu er- wenn man Bundeskanzlerin ist. Als sie am holen, wie man so sagt, und war an den Freitagabend schließlich in Hohenwalde Rändern ziemlich ausgefahren. einrollte, war die russische Fliegerbombe „Die schönen ollen Katzenköppe sind zwar noch nicht entschärft, aber ein Spre- natürlich weg jetze“, sagt Rüdiger Schuck, cher der Bundesregierung erklärte, dass sie zündet sich eine Zigarette an und schaut kein Problem für die Kanzlerin darstelle. auf das schwarzglänzende Asphaltband, „Die Bundeskanzlerin musste ihre Pla- das wie ein Flicken auf dem alten Feldweg nungen für den Abend nicht ändern“, sag- klebt. Er kann sich nicht vorstellen, dass te der Sprecher. Es klingt, als sei das klei- es der Bundeskanzlerin so gefällt, aber ne Neubauernhaus in Hohenwalde Teil der Auftrag ist Auftrag. Freitagmittag müssen Staatsaffären geworden, und womöglich ist sie fertig sein. Ab da öffnet sich das Zeit- das so. fenster für das Eintreffen der Kanzlerin, Wie der alte Golf und der Professor hat ihm einer der Polizisten ausgerichtet, Sauer bietet die Uckermark Angela Merkel die in dem weißen Würfel Wache halten, eine Möglichkeit, ihr jetziges Leben mit der gegenüber dem Kanzlerinnenwochen- ihrem früheren abzugleichen, durchzuat- endhaus steht. men, anzuhalten. Sie ist in den vergange- Das Zeitfenster für das Eintreffen der nen 20 Jahren wie eine Rakete durch die Kanzlerin in Hohenwalde klappte dann deutsche Gesellschaft geschossen. Alles ist später zu als gedacht, weil am Freitag- anders, nur das Haus in Hohenwalde hatte nachmittag in der Nähe ihres Mietshauses sie schon damals und den Blick über die in Berlin-Mitte eine russische Fliegerbom- abfallenden Wiesen zum See. Wie in ei- be gefunden wurde. Das ganze Viertel war nem Kloster sucht sie hier ihre Maßstäbe. abgesperrt, sie durfte nur kurz in ihre Es ist das letzte Stück Welt, das ihr ver- Wohnung, um ein paar Sachen zu holen. traut vorkommt, von dem sie sicher weiß, Es war schon dunkel, als sie in den Feldweg dass es so ist, wie sie es sieht. Es ist für sie bog, vielleicht hat sie gemerkt, dass der nicht mehr möglich, als Angela Merkel zu letzte Anstieg vor Hohenwalde nicht so wirken. Es wirkt immer die Bundeskanz- holprig war wie sonst, vielleicht nicht. Ein lerin. Und sie kann die Welt nicht mehr als Regierungs-Audi ist gut gefedert, und eine Angela Merkel wahrnehmen. Ihr wird eine MÜHE ANDREAS Bundeskanzlerin hat am Ende einer Ar- beitswoche noch ziemlich viel im Kopf, Merkel beim Fototermin die Bombe, die Weltwirtschaftskrise, die „Dann machen Se mal“ 38 der spiegel 20/2009 der spiegel 20/2009 39 Merkels Büro im Kanzleramt Ganz oben im Raumschiff Bundeskanzlerinnenwelt präsentiert und erzählt. Wie sieht diese Welt aus? Und was hat sie aus Angela Merkel gemacht? Einige Dinge haben sich auch in Ho- henwalde verändert, seit sie Kanzlerin ist. Es gibt jetzt eine Polizeiwache im Dorf, mit großen Antennen und überdachtem Stellplatz für einen blau-weißen Polizei- Mercedes. Wenn Angela Merkel spazieren geht, steht am Waldrand ein Geländewa- gen, in dem ein Mann sitzt. Schaut sie hin, hebt der Mann eine Zeitung. Sie ist mal rü- bergegangen und hat ihn gefragt: Glauben Sie, ich denke, Sie lesen hier Zeitung? Aber beim nächsten Mal stand der Geländewa- gen wieder da. Sie hat durchgesetzt, dass der Wachschutz auf ihren Spaziergängen mindestens 200 Meter Abstand zu ihr hat und nicht mehr nur 50 Meter wie vorge- schrieben, weil sie keine Lust hatte, mit ihrem Mann zu flüstern. 200 Meter, intimer kann sie nicht sein. Eine Mitarbeiterin aus dem Kanzleramt sagt, das Privatleben verschwinde, wenn man Kanzler ist, und auch die Freizeit löse sich auf. Es gibt die Newscenter-SMS aus dem Kanzleramt, 40 bis 50 politische Nach- richten am Tag, die auf dem Handy der Kanzlerin eintreffen, und es gibt Ausflüg- ler, die in das Sackdorf kommen und raten, in welchem Haus sie wohnt. Ihr Haus ist eigentlich zu klein für eine Kanzlerin, aber was heißt das schon. Merkel ist fremder im Ort als die neu zugezogenen Berliner und wird mit jedem MÜHE ANDREAS Tag fremder. Die Nachbarin, die früher den Dorfkonsum führte, sieht die Bundeskanz- späten Helmut Kohl. Man kann hier Gerhard Schröder hat fast jede Nacht hier lerin manchmal an ihrem Gartentor vorbei- schnell verlorengehen, denn Maßstäbe gibt drin geschlafen, ganz oben unterm Dach. joggen, sagt sie. Dann nickt sie schwach und es keine. Die Häuser wirken wie riesige Das erklärt auch einiges. Wenn man sich denkt: Früher haben wir hier alle mehr zu- Bauklötze, die von einem dicken, gelang- vorstellt, wie er im Dunkeln mit gestreif- sammengehalten. Ein Wirt aus dem Nach- weilten Kind in großen Abständen fallen tem Schlafanzug die Raumschifffahrstühle barort erzählt, dass er Angela Merkel im gelassen worden sind. Gegen das Bundes- hoch- und runtergefahren ist und auf die vorigen Sommer beim Baden traf. Er kam kanzleramt wirkt das Weiße Haus wie ein Welt dort draußen guckte, versteht man sei- gerade, als sie dem See entstieg. Er grüßte Wochenendbungalow. nen letzten großen Auftritt in der Fernseh- sie freundlich, aber sie wirkte geschockt, Flopp machen die Türen wie Schleusen- elefantenrunde besser. Der Fernsehturm, sagt der Wirt. Sie starrte ihn an, wahr- tore, man erwartet, dass man jeden Mo- der Hauptbahnhof, der Reichstag, die Spree scheinlich weil sie keine Kanzlerinnengeste ment desinfiziert wird, abgesprüht wie in wirken von hier aus, als wären sie um den für die Badeanzugsituation hatte, winkte einer großen Autowaschanlage, der Ton Bundeskanzler herumgebaut worden, so ihm schließlich leicht mit einer Hand zu wie der eigenen Schritte verändert sich. Man wie der kleine Park da hinten, in dem der einem Staatsgast. Einen Moment später fühlt sich riesig und einsam zugleich, so Kanzler mit seinen Gästen spazieren gehen stieg der Sicherheitsbeamte aus dem Was- wie Will Smith als letzter Überlebender in kann, mittendrin der Helikopterlandeplatz. ser. Angela Merkel verschwand in ihrem al- „I am Legend“. Hinter den Fenstern sieht Sein Reich. Wer hier zu viel Zeit verbringt, ten Golf und fuhr davon. Der Bodyguard ra- man vor anderen größenwahnsinnigen muss am Ende rausgetragen werden wie ein delte hinterher. Gebäuden Menschen herumlaufen, die an verrückt gewordener König. Das klingt doch eigentlich gar nicht so die Gestalten erinnern, die Stadtplaner auf Angela Merkel hat sofort das Kanzler- abgehoben. ihre Entwürfe malen, um Leben vorzutäu- bett abbauen lassen. Sie will zu Hause Na ja, sagt der Wirt, früher ist sie immer schen. Wenn man fast eine halbe Stunde in schlafen. Aber das Glas bleibt, es ist dick, nackig baden gegangen. dem Haus sitzt, kann man sich nicht mehr und es verschwindet nicht, wenn sie das Die Begegnung am See beschreibt wahr- vorstellen, dass es eine Verbindungsmög- Raumschiff verlässt. scheinlich den größtmöglichen Unterschied lichkeit zwischen hier drinnen und dort Manchmal lädt sie sich Leute ein und zu ihrem Alltag im Bundeskanzleramt, draußen gibt. Eine Mitarbeiterin sagt, dass lässt sich von ihnen erzählen, was im durch das sie rollt wie eine Königin mit man vom Zimmer der Kanzlerin eine hal- Land da draußen passiert. Künstler oder Rädern unten dran. Niemand steht ihr hier be Stunde braucht, um das nächste öffent- Wissenschaftler oder Sportler oder Wirt- überraschend im Weg. liche Café zu erreichen. Das ist auf dem schaftsbosse, sie kann ja kriegen, wen sie Die Uckermark wurde von der letzten Hauptbahnhof. Es ist ein Ghetto, sagt die will. Über ihrem Büro, ganz oben, gibt es Eiszeit geformt, das Regierungsviertel vom Mitarbeiterin, eine Käseglocke. ein Gästezimmer, da sitzt sie dann mit Jo- 40 der spiegel 20/2009 Deutschland wie er von außen, als jemand, der nicht zur Frage ist, welches Bild Angela Merkel hat. Familie gehörte, den starren Fußballver- Wie stellt sie sich nach fast vier Jahren band aufbrach. Vielleicht sah sie da Paral- Kanzlerschaft ihr Land vor? Was sieht sie? lelen zu ihrem eigenen Leben. Sie hatte ge- Ein riesiges Ölbild, gemalt von Josef Acker- hofft, dass er die Bundesliga revolutionieren mann, Friede Springer, Uwe Tellkamp, würde, aber jetzt hat ihn die Familie abge- Franz Beckenbauer und Uschi Glas? stoßen. Den engsten Kontakt hat sie zu Oli- ver Bierhoff. Sie ist mit ihm nach Südafrika ie hat lange davon profitiert, dass gereist und schickt ihm gelegentlich eine sie eine Seiteneinsteigerin war. SMS. Wenn ein Fußballspiel ansteht oder es Sie hat sich nicht wie die anderen mal wieder Ärger gibt mit Michael Ballack.