Rekonstruktionen Und Retrospektive Neubauten Zwischen Brandenburger Tor Und Palast Der Republik
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Rocco Curti Rekonstruktionen und retrospektive Neubauten... k 3/2006 - 1 Rocco Curti Rekonstruktionen und retrospektive Neubauten zwischen Brandenburger Tor und Palast der Republik. Tendenzen der Historisierung des Stadtraums und deren Auswirkungen auf die Denk- malpflege Historisierung des Stadtraums Geschichtlicher Rückblick im Kontext der Histori- sierung Der historische Stadtraum ist heute in den meisten Mit dem Bau des Pariser Platzes hatte die Straße Unter Städten nicht mehr komplett vorhanden. Er hat durch den Linden um 1740 ihre maximale Ausdehnung er- den Zweiten Weltkrieg und viele Maßnahmen der Mo- reicht und war fast vollständig bebaut. Friedrich II. dernisierung an historischer Substanz verloren. Mit (1740-1786) trieb den Ausbau der Linden zur repräsen- zunehmender Kritik an den Neuplanungen in den tativen Stadtachse voran. Dies betraf nicht nur den Städten - und dem gleichzeitig wahrgenommenen Ver- Neubau öffentlicher Gebäude, sondern auch den Bau lust der alten Stadt - wuchs neben dem Wunsch nach aufwändigerer Bürgerhäuser. Viele der oftmals nur Erhaltung auch der Wunsch nach Wiedergewinnung zweigeschossigen Bürgerhäuser wurden abgebrochen des Verlorenen.1 Die Historisierung des Stadtraums ist und durch fünfgeschossige ersetzt. Als erstes der zu die Folge. In diesem Text wird mit Historisierung des errichtenden öffentlichen Gebäude entstand ab 1740 Stadtraums seine Rückführung in einen vermeintlich das Opernhaus des Architekten von Knobelsdorff. Es historischen Zustand durch Rekonstruktionen und re- bildet den Mittelpunkt der Platzanlage Forum Frideri- trospektive Neubauten bezeichnet. Mit Rekonstruktion cianum, die als Höhepunkt der Straße Unter den Linden wird die Wiederherstellung eines verloren gegangenen konzipiert war. Anfang der 1850er Jahre setzte durch Originals aufgrund von Bild-, Schrift- oder Sachquellen die zunehmende Industrialisierung ein wirtschaftlicher 2 bezeichnet. Retrospektive Neubauten sind nicht die Aufschwung ein, der in Berlin den Wunsch nach Wiederherstellung ursprünglich bestehender Bauwerke, Repräsentation steigerte. Die Barockfassaden aus der sondern neue Schöpfungen, die sich zurückblickend Zeit Friedrichs II. und der zurückhaltende Klassizismus 3 am historischen Formenrepertoire orientieren. Inner- der Schinkelzeit genügten unter diesen Umständen halb der diversen Strömungen der zeitgenössischen Ar- nicht mehr und viele der Bürgerhäuser wurden bereits chitektur vertritt eine Gruppe von Architekten, Stadt- vor der 1871 einsetzenden Gründerzeit umgebaut. Bis planern und Architekturtheoretikern historisierende Mitte des 19. Jahrhunderts bewahrte die Straße Unter Entwurfshaltungen. Ihr Ziel ist es, eine historisierte und den Linden den Charakter einer reinen Wohnstraße. In somit, ihrer Meinung nach, ehrwürdigere Stadt entste- der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich hen zu lassen. Sie wird von ihren Verfechtern als Eu- das Bild, denn Berlin wurde zum Anziehungspunkt für ropäische Stadt bezeichnet. Die Fragen zu diesen aktu- den Fremdenverkehr. In diesem Zusammenhang be- ellen Tendenzen lassen sich besonders deutlich anhand mängelte man in Regierungs- und Baukreisen erneut des Beispiels Berlin, genauer gesagt der Mitte Berlins, uneinheitliche Fassaden und Bauhöhen. Die Straße erörtern. Die Rede ist von der Straße Unter den Linden, wurde zum Geschäftsviertel und Touristenzentrum beginnend mit dem Brandenburger Tor und dem Pariser umgebaut, repräsentative Hotels, Gaststätten und Platz, und endend mit dem Bereich am Schlossplatz mit Bankgebäude ersetzten die alten Bürgerhäuser.4 dem Palast der Republik. Die heutigen Bemühungen Der Baubestand vom Pariser Platz bis zum Hohen- um das repräsentative Erscheinungsbild der Straße zollernschloss stellte sich vor Beginn des Zweiten Welt- Unter den Linden ähneln in vielen Fällen früheren kriegs in Geschosszahl, Geschosshöhe und Gebäude- Maßnahmen der Stadtbildpflege. höhe sehr heterogen dar. Im Bemühen um eine Rocco Curti Rekonstruktionen und retrospektive Neubauten... k 3/2006 - 2 Vereinheitlichung des Stadtbildes Unter den Linden ver- abschiedete der Berliner Magistrat 1936 aus diesem Grund die erste Fassung des Lindenstatuts. Diese Orts- satzung wollte die Einheit des Straßenbildes, die mit der Umwandlung in eine Geschäftsstraße seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verloren gegangen war, erneut herstellen. Das ästhetische Leitbild des Lindenstatuts orientiert sich an den königlichen Immediatgebäuden, die Friedrich II. 1770-76 in einer Art Schnellbaupro- gramm hatte errichten lassen. Diese Fassadenarchitek- tur war auf der Grundlage von Stichen alter römischer Abb.1: Opernplatz am Forum Fridericianum. Moderate Höhenentwicklung neben der Hedwigskathedrale. Links die Oper von Palazzi errichtet worden. Mehrere Häuserparzellen wur- Knobelsdorff. Foto um 1880 (Frecot 1984, Frühe Photographien, S. 25). den hinter einer Fassade zusammengefasst und die läre Inhalte des Wiederaufbauprogramms. Dies war ne- großzügig angelegten Fassaden korrespondierten oft- ben der Bereitstellung von Wohnraum unter anderem mals nicht mit dem Innenleben der Häuser, so dass un- eine stärkere Bezugnahme auf die alte Stadt. Zudem benutzbare Zwischengeschosse entstanden. Weder wurde ein Grundsatzprogramm für den Städtebau erar- unter Friedrich II. noch unter seinen Nachfolgern konnte beitet.8 Dieses Grundsatzpapier, die Sechzehn Grund- jedoch ein einheitlich gestaltetes Straßenbild erzeugt sätze des Städtebaues, wurde nach einer Studienreise werden. Es wurden auch Bauten errichtet, die nicht in die Sowjetunion Anfang 1950, die Lothar Bolz, Leiter dem Idealbild entsprachen. Das Satzungsziel des Lin- des nach der Gründung der DDR eingerichteten Minis- denstatuts von 1936, das sich an einer einheitlichen Be- teriums für Wiederaufbau, mit führenden Architekten bauung mit Immediatgebäuden orientierte, bezog sich unternommen hatte, beschlossen. In der Zeit der For- auf ein geschichtliches Bild der Straße, welches so nie- mulierung der Grundsätze wollte man sich nun auf das mals bestanden hatte.5 Schon 1937 wurde das Linden- klassische Erbe beziehen, um auch die Intelligenz an statut durch die übergeordnete Planungsbehörde unter den Staat zu binden und eine kulturelle Alternative ge- der Leitung von Albert Speer außer Kraft gesetzt. Im genüber den Westsektoren zu bieten. Um diesen Bezug Weiteren sollten die Leitlinien der Umbauplanung Ber- herzustellen, griff man im Bereich der Architektur auf lins zur Welthauptstadt Germania maßgebend sein. Formen zurück, die nicht nur der humanistisch-bürger- Für das Aussehen der Straße bis zur Wiedervereini- lichen Kultur entsprungen waren, sondern durchaus gung war die Geschichte des Wiederaufbaus nach dem auch auf das feudalistische Erbe.9 Nachdem die Ge- Zweiten Weltkrieg maßgebend. 1941 fielen die ersten staltungsgrundsätze des sowjetischen Städtebaus zu Bomben der Alliierten auf die Straße Unter den Linden. einer verbindlichen Leitlinie erklärt worden waren, war Die meisten der Gebäude der Straße wurden bei einem die Stadt als ein Ensemble aufzufassen, das man von Großangriff am 3. Februar 1945 beschädigt. Viele der den peripheren Wohngebieten zur Stadtmitte hin städ- während des Krieges wieder aufgebauten Teilruinen tebaulich in seiner Bedeutung zu steigern hatte.10 Dem und der wenigen noch erhaltenen Bauten wurden in den zu erstellenden Neubau eines zentralen Gebäudekom- Häuserkämpfen der letzten Kriegstage zerstört. Von plexes im Zentrum der sozialistischen Hauptstadt sollte den meisten der historischen Bauten standen nur noch die repräsentative Denkmalplatzanlage des Forum Fri- die Außenmauern.6 In der sowjetisch besetzten Zone dericianum vorgelagert werden. Für die Einstimmung Berlins stand der Begriff Aufbau sinnbildlich für einen auf den Mittelpunkt der Hauptstadt hatte die Erhaltung kulturellen Neuanfang. Auf der Suche nach Architektur- und Wiederherstellung des historischen Ensembles am leitbildern orientierten sich die Architekten in der DDR in Opernplatz allergrößte Bedeutung. Hierfür war insbe- der ersten Zeit an der Vorkriegsmoderne.7 Die zuneh- sondere die Wiedergewinnung der Platzwände aus dem mende ideologische Indoktrinierung ließ in der weiteren 18. Jahrhundert am Forum Fridericianum (Abb. 1) und Zeit aber nur noch ein Leitbild zu: das sowjetische. Um der ostwärts anschließenden Baudenkmale wichtig. sich in der Atmosphäre des kalten Krieges den Rückhalt Begonnen wurden die Wiederaufbauarbeiten am Forum in der Bevölkerung zu sichern, setzte die SED auf popu- mit den Wiederherstellungen der Deutschen Staatsoper Rocco Curti Rekonstruktionen und retrospektive Neubauten... k 3/2006 - 3 Abb.2: Unter den Linden mit Forum Fridericianum im Bildmitte. In der Abb.4: Botschaft der UdSSR, Unter den Linden. Um 1979 (Volk 1980, hinteren Platzecke links die Hedwigskathedrale mit Kuppeldach. Historische Straßen, S. 51). Rechts daneben das Gebäude der Dresdner Bank mit Aufstockung aus der Inflationszeit. Das den Platz beherrschende Opernhaus mit dem hohen Bühnenhausaufbau von 1910. Gegenüber die Humboldt- aus der Zeit des Barock und des frühen Klassizismus Universität. Luftaufnahme von 1934 (Klünner 1984, Luftaufnahmen, S. 9). bemüht war, erfolgte der grundlegende Wiederaufbau der Deutschen Staatsoper in Annäherung an den Kno- (1952-55), der St. Hedwigskathedrale (1952-63) und belsdorffschen Bau von 1741 und nicht in Anlehnung an des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität (nach den Vorkriegszustand (Abb. 2).13 1950).11 Die tatsächliche Erhaltung überkommener Substanz Der Architekt Richard Paulick (1903-1979) verband und ihr