25 Jahre Wissenschaftskolleg zu Berlin 1981–2006

25 Jahre Wissenschaftskolleg zu Berlin 1981–2006

Herausgegeben von Dieter Grimm in Zusammenrbeit mit Reinhart Meyer-Kalkus

Akademie Verlag Abbildungen der Einbandgestaltung: Wallotstraße 19 (Foto Heiner Wessel) und Architekturzeichnung (Archiv Wissenschaftskolleg)

ISBN-10: 3-05-004053-X ISBN-13: 978-3-05-004053-0

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2006

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Einbandgestaltung, Layout und Satz: Petra Florath, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer“, Bad Langensalza

Printed in the Federal Republic of Inhaltsverzeichnis

Dieter Grimm Vorwort VII

Wolfgang Frühwald Wirkungen der Freiheit 1 Gespräch Dieses Haus hatte Fortune … 33 Peter Glotz Wie es anfing 57 Peter Wapnewski Die ersten fünf Jahre 69 Wolf Lepenies Ein Dutzend und drei Jahre 87 Dieter Grimm Veränderter Kontext und neue Aufgaben 111 Yehuda Elkana A Theater for the Enactment of the Anthropology of Knowledge 127 Lorraine Daston Hans Castorp in the Grunewald: Twenty-Five Years of the History of Science 141 Rüdiger Wehner Theoretische Biologie 149 Raghavendra Gadagkar The Evolution of a Biologist in an Interdisciplinary Environment 167 drei Kulturen ... und zurück 181 Robert Pippin Philosophy among the Disciplines 191 Jürgen Kocka Konjunkturen der Geschichte 199 Stephen Greenblatt Against Exceptionalism: Literary Studies in Dialogue 211 Horst Bredekamp Das Visuelle und sein Logos. Wendungen der Kunstgeschichte 221 Navid Kermani Moderne und Islam 229 Michael Maar Exotische Vögel und platonische Ideen. Writers in Residence 243 Dominique Jameux Les Plaisirs de l‘Île enchantée 249

Anhang Chronik des Wissenschaftskollegs zu Berlin 1981–2006 259 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats 1981–2006 265 Zu den Autoren 269 Bild- und Textnachweise 273 Personenregister 275 Vorwort

Verfolgt man das in diesem Buch veröffentlichte Gespräch, in dem sich einige der Beteiligten an die Gründungsphase des Wissenschaftskollegs erinnern, so gewinnt man vor allem anderen den Eindruck des Unwahrscheinlichen. Ja, einmal alles zusammen genommen, was eine solche Tat voraussetzt, war es unwahrscheinlich, dass es zur Gründung jener Einrichtung kam, die nun seit 25 Jahren besteht und ohne die man sich die deutsche Wissenschafts- landschaft nicht mehr vorstellen möchte. Für Deutschland war eine solche Einrichtung etwas Neues. Aber auch außerhalb des eigenen Landes gab es nur wenige Exemplare dieser Gattung: das Institute for Advanced Study in Princeton, das kurz vor dem erzwunge- nen Exodus vieler Wissenschaftler aus Deutschland gegründet und dann zur neuen wissenschaftlichen Heimat von Gelehrten wie Einstein und Panofsky geworden war; das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences in Stanford; in Europa das auf Mathematik und Physik spezialisierte Institut des Hautes Etudes Scientifiques in Bures-sur-Yvette, Frankreich, sowie das Nether- lands Institute for Advanced Study in Wassenaar. Brauchte man so etwas in Deutschland? Und wenn überhaupt: War Berlin der richtige Ort? Das Gespräch sammelt die vielen Faktoren, die zusammenkommen muss- ten, damit das Kolleg entstehen konnte: Eine Idee und ein politischer Wille, sie zu verwirklichen. Es gehört bereits zu den Unwahrscheinlichkeiten, dass beides in der Person eines Politikers zusammentraf, der zudem noch tatkräf- tig und einflussreich war. Sodann tüchtige und begeisterungsfähige Beamte, die die Idee in ein genehmigungsfähiges Projekt verwandelten. Des weiteren Für sprecher, die den Widerstand der Bedenkenträger übertönten. Danach Geld geber, die es lohnend fanden, in die Idee zu investieren, und ihre Ent- scheidungsgremien davon überzeugen konnten, dass die Mittel gut angelegt seien. Alsdann ein adäquates Haus. Zu alledem schließlich eine Person mit Qualitätsbewusstsein und Stilempfinden, die den Plan in die Tat umsetzen und das Haus mit Leben füllen konnte. Weniger unwahrscheinlich, obwohl alles andere als sicher, war es nach dieser Gründungsgeschichte schon, dass die Institution die Erwartungen er- füllte, die zu ihrer Gründung geführt hatten. Wenn man nur die durch das ganze Buch fortlaufende Zeile mit den Namen der mittlerweile über 1000 Fel- lows liest, findet man bestätigt, dass das Unterfangen erfolgreich war. Viele nach 1933 aus Deutschland vertriebene Gelehrte haben aufgrund einer Ein- ladung ans Wissenschaftskolleg ihre alte Heimat erstmals wieder betreten. Viele Zier den ihres Fachs und viele, die später zu Zierden ihres Fachs wurden, waren Fellows. Ebenso bereitwillig kamen die eingeladenen Künstler. Kaum einer aus der Garde der großen Komponisten moderner Musik, der nicht am Wissenschaftskolleg gewesen wäre. Doch würde der Nutzen des Kollegs unterschätzt, wenn man ihn nur bei den eingeladenen Personen suchte. Das Wissenschaftskolleg reflektiert wis- senschaftliche Entwicklungen in Deutschland und der Welt und hat seiner- seits solche Entwicklungen angestoßen. Darüber berichtet das Buch ebenfalls anhand ausgewählter Disziplinen. Die Geschichte des Kollegs ist selbst ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Ein Teilnehmer an dem Gespräch der Väter des Wissenschaftskollegs lebt nicht mehr: Peter Glotz. Er war jener ideenreiche und durchsetzungsstarke Politiker, von dem alles ausging. Kurz vor seinem Tod am 25. August 2005 wirkte er noch an diesem Jubiläumsbuch mit. Ihm ist es gewidmet.

Dieter Grimm Wolfgang Frühwald Wirkungen der Freiheit

1. Soziologie der Mahlzeit

Im ‚Memorandum zur Gründung eines Institute for Advanced Study in Berlin‘ (vom 7. Januar 1980), der Gründungsschrift des Wissenschaftskollegs zu Ber- lin, finden sich zwei harmlos klingende, im Grunde nur beschreibende Sätze, die aber im Alltag des Kollegs noch immer für Aufregung sorgen. Sie lauten: „Neben wissenschaftlichen Veranstaltungen spielen für die Kommunikation überall [das heißt: in allen weltweit bekannten Institutes for Advanced Study] gemeinsame Mahlzeiten eine wesentliche Rolle; diese werden ‚gemeinsam‘ durch ihre Anziehungskraft, nicht durch Verpflichtung, an ihnen regelmä- ßig teilzunehmen.“ Wer jemals an einer der fröhlichen Tischrunden im New Europe College in Bukarest teilgenommen hat, am Mittagessen in einem briti- schen College oder wer in der ungezwungen-fröhlichen Atmosphäre einer ame- rikanischen Forschungsuniversität mit Kollegen zu Mittag gegessen hat, weiß, wovon hier die Rede ist. Das Mittagessen ist in solchen Colleges und Uni- versitäten ein Ritual, das niemand verpasst, der ‚dazugehören‘ möchte. Diese Essen entwickeln ihre eigene Dynamik. Dort treffen sich Kollegen, die in ge- trennten Fakultäten arbeiten, dort hört man nicht nur den Campus-Klatsch (den auch), sondern von den Schwierigkeiten des Kollegen, der Kollegin bei der Lösung eines scheinbar ganz abseitigen Problems und erhält plötzlich eine unvermutete Perspektive auf ein eigenes Arbeitsvorhaben, ohne sich der Anregung zunächst noch bewusst zu sein. Das soziale Gebilde der Mahlzeit, über das Georg Simmel 1910 nachdenklich und informativ geschrieben hat, vereinigt ja in sich die physische Notwendigkeit der absolut ichbezogenen Nah rungsaufnahme mit der Häufigkeit des Zusammenseins und knüpft dem- nach „eine Gewöhnung an das Vereinigtsein […], wie sie durch höher gelegene und geistige Veranlassungen nur selten erreichbar ist“. Dieses Grundprinzip des gemeinsamen Essens haben schon die Romantiker (an antiken, sokratisch- platonischen Vorlagen geschult) auf ihr Prinzip des Symphilosophierens, der MONA ABAZA · CAROLYN ABBATE · ANOUAR ABDEL-MALEK · BUTRUS ABU-MANNEH ·

10 gemeinschaftlichen und freundschaftlichen Ideen- und Gedankenbildung, übertragen und daraus, theoretisch und praktisch, auf die Nähe zwischen kör- WOLFGANG FRÜH WOLFGANG perlichen und geistigen Genüssen geschlossen. „Das gemeinschaftliche Essen“, meinte Novalis, „ist eine sinnbildliche Handlung der Vereinigung. […] Alles Genießen, Zueignen und Assimilieren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts als eine Zueignung. Alles geistige Genießen kann daher durch Essen ausge- drückt werden.“ Die romantische Partei an der reformierten (neuen) Universi- W

ALD tät in Heidelberg hat sich demgemäß 1805/07 von ihren rationalistischen Gegnern äußerlich sichtbar vor allem durch Kleidung, durch die andere Möb- lierung ihrer Wohnungen und durch eigene gemeinsame Essenszeiten abge- grenzt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich ein scheinbar so abseitiges Thema wie das des gemeinsamen Mittagessens in Kritik und Zustimmung durch die Berichte aller Jahrgänge des Wissenschaftskollegs zieht. Von „Zwangsernäh- rung“ ist da die Rede, aber auch von einem „convivium“, einem wohlschme- ckenden „geselligen Essen“ und sogar von der Assoziation eines „Wasserlochs“ in der südafrikanischen Savanne. Christian Graf von Krockow, Fellow im Jahr- gang 1982/83, meinte gar, das Kolleg sei eine Institution, die um ein gemeinsa- mes Mittagessen herum gebaut sei. Auf dieses Essen nämlich haben vom Jahr der Gründung an alle Rektoren des Wissenschaftskollegs Wert gelegt, auf das gemeinsame tägliche Mittagessen mehr als auf gemeinsame Abendessen, auch wenn Peter Boerners Goethevortrag im Kolleg vor allem deshalb bei den Gästen und den Fellows in Erinnerung geblieben ist, weil beim anschließen- den Abendessen Hecht serviert wurde, zubereitet nach einem Rezept, das der Berliner Musikdirektor Carl Friedrich Zelter seinem Freund Johann Wolfgang Goethe nach Weimar gesandt hatte. Die Auseinandersetzung um das gemeinsame Mittagessen, um den rituel- len Gong, der zum Essen ruft und auch „verlässliche Frühstücksfeinde“ dazu zwingt, die klösterliche Arbeitszelle zu verlassen und „um 13 Uhr ins Refekto- rium zu kommen“, nimmt von den Anfangsjahren bis in die jüngste Zeit fast ideologische Züge an. Bei der Debatte um ein gemeinsames Essen nämlich pral- len Weltanschauungen aufeinander, etwa die der ‚Durcharbeiter‘, die mittags gerade erst in Schwung gekommen sind, und die der Frühaufsteher, die schon um elf Uhr wieder hungrig sind und es kaum erwarten können, dass zum Essen gerufen wird. Aber nicht nur Weltanschauungen geraten hier miteinan- der in Konflikt, sondern lange eingeübte Lebensgewohnheiten, so dass der in diese Gewohnheiten einbrechende Mittagsgong die in ‚Einsamkeit und Frei- heit‘ versunkenen Fellows des Wissenschaftskollegs daran erinnert, dass der Mensch ein ‚animal sociale‘ ist, dass er sich seines Ichs ohne ein Du nicht be- wusst werden kann, dass es in dieser handverlesenen Versammlung von ge- lehrten und entsprechend sensibilisierten Individualitäten doch – wie Péter NASR HAMID ABÛ-ZAYD · BRUCE A. ACKERMAN · KONRAD ADAM · ROBERT MCC. ADAMS ·

Esterházy sagte – „ein wir [gibt], in dem man fehlen kann, in dem man ver- 11 misst wird“. Schon im ersten Jahrgang, dem von 1981/82, von Gershom Scho- lem ironisch „die Trockenmieter“ genannt, brach dieser dem Wissenschafts- FREIHEIT DER WIRKUNGEN kolleg strukturimmanente Konflikt zwischen dem Rektor und einigen der damals erst 18 Fellows auf. Noch im Rückblick auf den ersten Jahrgang, den Hartmut von Hentig am 22. Oktober 1986, aus Anlass des Rektoratswechsels von Peter Wapnewski auf Wolf Lepenies, gab, klingt die Auseinandersetzung nach. Was diesen Jahrgang denn geeint habe, fragt sich Hartmut von Hentig und gibt die Antwort ex negativo: „Genügt haben uns jedenfalls für die Ge- meinsamkeit nicht ein geheimer oder offener Widerstand gegen Peter Wap- newskis Stil, Regelkunst und Autorität; nicht die Kritik an der mittäglichen Zwangsernährung, nicht die Unterstellung, wir seien Elite und also unzeitge- mäß […]. So etwas kann einigen. Es hat es nicht getan. Dafür waren wir zu gründlich geteilter Meinung, auch beispielsweise über ‚König Artus und seine Runde‘, die uns der ‚Spiegel‘ bescherte und von der ich alsbald den Verdacht hatte, Peter Wapnewski habe sie selbst geliefert.“ Der Gründungsrektor, der sein Kolleg gerne „der Gnade angelsächsischen akademischen Wesens“ teilhaftig ge- sehen hätte, in dem sich für ihn „Strenge und Anmut, Lässigkeit und formale Sicherheit unreflektiert verbinden“, sah sein Formkonzept, gemessen an die- sem starken Stilwillen, misslungen. Dabei gab es unter den Fellows durchaus Stimmen, die dem Rektor applaudierten und noch viel weiter gehen wollten als dieser. Im Archiv des Kollegs ist zum Beispiel das Neunpunkteprogramm eines Fellows aus dem zweiten Jahrgang (1982/83) „zur Einnahme der gemein- samen Mahlzeit im Wissenschaftskolleg zu Berlin“ erhalten, in dem die for- malen Konsequenzen aus der Behauptung gezogen werden, die gemeinsame Mahlzeit sei „tatsächlich die originelle Besonderheit des Kollegs, dasjenige, was ihm seinen Charakter“ gebe. Das Kolleg sei schließlich „kein Experimen- tierfeld antiautoritärer Erziehung, sondern ein Ort, an dem europäische Kul- tur auch gelebt werden sollte“. Wer die französische Esskultur kennt, wird sich nicht wundern, dass der Vorschlag (der Verfasser selbst nannte ihn eine ‚Denkschrift‘), aus dem gemeinsamen Essen ein ausgedehntes tägliches Mit- tagsmahl „an einer hufeisenförmig angeordneten, mit weißen Tischtüchern bedeckten und blumengeschmückten Tafel“ zu machen, von einem lange Jahre in Paris und in Straßburg lebenden Kultursoziologen kam. Nicolaus Sombart hat durch sein ‚Journal intime 1982/83‘ (publiziert 2003) die Ausein- andersetzung um das gesellige Konzept des gemeinsamen Essens über das Kolleg hinausgetragen. Aus dem (oft allzu ‚intimen‘ und mit Indiskretionen kokettierenden) ‚Journal intime 1982/83‘, dem immerhin Ijoma Mangold in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ Talleyrandsche Unterhaltungsqualitäten bestä- tigt hat, wird, noch mehr als 20 Jahre danach, deutlich, dass der Streit um das gemeinsame Mittagessen nur ein Symptom für Spannungen gewesen ist, an JEREMY D. ADLER · ADONIS · AD AERTSEN · GIORGIO AGAMBEN · PER AHLMARK · ENGIN D. AKARLI ·

12 denen das freiheitliche Konzept des Wissenschaftskollegs zu scheitern drohte. In der aufgeregten Atmosphäre der politischen Auseinandersetzungen um WOLFGANG FRÜH WOLFGANG die Stationierung von Mittelstreckenraketen im Osten und im Westen Euro- pas verliefen im Mai 1983 (nach Ansicht des französischen Literaturwissen- schaftlers Jean Bollack) die Fronten im Kolleg zwischen „altmodischer Autori- tät“ und „jakobinischer Toleranz“. Vielleicht muss man neben Sombarts intimes Tagebuch Christa Wolfs (1982/83 erschienene) Erzählung ‚Kassandra‘ W

ALD legen. Nicht nur um den krassen Unterschied von männlicher und weiblicher Schreibweise zu erkennen, sondern auch den Ernst einer Situation, in welcher der Sturz in die atomare Katastrophe nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien. Sombart hat unter dem (kuriosen) Motto Joh. 11,49–53 am 13. April 1983 im Kolleg einen Vortrag zur historisch kontroversen Beurteilung des letzten deutschen Kaisers gehalten. An der Sitzordnung von dessen Hoftafel aber war die Hierarchie des Wilhelminischen Reiches abzulesen. Theobald von Bethmann-Hollweg, Reichskanzler von 1909–1917, hatte an dieser Tafel seinem militärischen, nicht seinem politischen Rang entsprechend ziemlich weit unten Platz zu nehmen. Auch Sitzordnungen sind gelegentlich histori- sche Quellenzeugnisse von einigem Aussagewert. Die Sitzordnung des Kollegs jedenfalls wurde von der Opposition im Kreis der Fellows als ‚wilhelminisch‘ denunziert. Es ist das Verdienst der Rektoren des Wissenschaftskollegs, die Auseinan- dersetzungen um das gemeinsame Essen entschärft und einen kommunikati- ven Mittelweg gefunden zu haben. Sie haben am gemeinsamen Mittagessen (viermal pro Woche) und einem gemeinsamen Abendessen am Donnerstag festgehalten, ohne daraus einen Grundsatzkonflikt zu machen und ohne die Dienstagskolloquien und die öffentlichen Vorträge der Fellows, die regelmä- ßigen Konzerte und die Vernissagen, die mit zum Ritualensemble des Kollegs gehören, dagegen abzuwerten. Der Kieler Soziologe Lars Clausen, Fellow im Jahrgang 1996/97, fällte schließlich über den (sanften) Zwang zum gemeinsa- men Essen ein versöhnliches, soziologisches Urteil: Diese Regelung sei „sehr klug“, weil sie von Natur aus wenig sozial veranlagte Wissenschaftler dazu zwinge, (äußerlich und innerlich) ihre Einsiedlerklausen zu verlassen und täglich wenigstens einmal gesellig zu sein. Im dritten Jahr des Kollegs freilich musste Peter Wapnewski – mit deutlichem Bedauern – feststellen, dass „die Jeans-und-Bart-Generation […] jetzt auch das Bild der professoralen Welt [be- stimmte] und die Prädominanz des amerikanischen Elements […] den legeren Ton“ verstärkte. Um diese Zeit (schon in den frühen 80er Jahren also) ist es geschehen, dass die Tische im Restaurant des Kollegs, die er in U-Form hatte stellen lassen, wobei der Rektor und seine Gäste an der Stirnseite saßen, als Einzeltische gestellt wurden. Noch in dem Gespräch mit den Gründern des Kollegs, nach mehr als 20 Jahren, ist Peter Wapnewskis Groll über diese ‚stille MUZAFFAR ALAM · SADIK J. AL-AZM · AZIZ AL-AZMEH · RÉKA ALBERT · GÜNTER ALBRECHT-BÜHLER ·

Revolution‘ nicht zu überhören. Der High Table eines britischen College ent- 13 sprach nicht dem Stil der Gemeinsamkeit, den sich die Mehrzahl der Fellows wünschte: „Man nutzte [so berichtet Peter Wapnewski] eine zeitliche Abwe- FREIHEIT DER WIRKUNGEN senheit des Rektors, um die U-Form aufzuheben und stattdessen Einzeltische zu formieren, damit zerrann mein Traum vom Berliner Oxford.“ In seiner Rede zur Rektoratsübergabe an Wolf Lepenies hat er diesem Groll ebenso frei- mütig und drastisch Ausdruck gegeben, wie Hartmut von Hentig bei der glei- chen Gelegenheit dem Widerspruch.

2. Der Stil des Hauses

Das Wissenschaftskolleg hat von Anfang an Wert auf gute Umgangsformen gelegt, auf einen Stil des Hauses, auf eine gewisse Ästhetik des Alltags, das heißt u.a. auch auf ein Mahl der Goethezeit, wenn es im öffentlichen Vortrag um diese Zeit und ihre Atmosphäre, um die Freundschaft zwischen Goethe und Zelter ging. Die Umgangsformen sollten dem entsprechen, was beim ge- selligen Mahl, in der Muße des Mittags, bei Tischgesprächen verhandelt wurde, die spürbar und hörbar über small talk hinausgingen, ohne in die Strenge der wissenschaftlich-argumentativen Diskussion zu münden. Die freilich rasch beendete Debatte um (angeblich gewünschtes) Silberbesteck für das Kolleg und das damals modische Freiheitsgefühl, das Peter Wapnewski mit den Wor- ten charakterisierte „Zu jedem Anlass Adidas, man raucht bei Tisch und duzt sich mit jedem“, bildeten die Pole eines Konfliktes um Formen, der auch ein Inhaltskonflikt gewesen ist, ohne dass Etiketten wie links und rechts, fort- schrittlich oder konservativ darauf anzuwenden sind. Das Kolleg wurde in den Jahren gegründet, in denen die Nachwehen der gesellschaftlichen Um- brüche aus den 68er Jahren noch spürbar und sichtbar waren. Damals (1968/ 69) galt es als modern, seinem Leben proletarische Formen zu geben. Schon im Jahr nach der Eröffnung des Kollegs aber schienen sich die Kontroversen aus der Zeit des Umbruchs zu erneuern. Am sichtbarsten ist dies an dem Do- kumentarfilm abzulesen, den Paul Karalus unter dem Titel ‚Das Elite-Institut‘ vom zweiten Jahrgang des Kollegs gedreht hat. Er wurde 1983 im WDR gesen- det. In diesem Film wird die Elite-Debatte um die ‚Privilegien‘ der Fellows pe- netrant nicht nur mit dem polnischen utopischen Schriftsteller Stanislaw Lem, dem Rektor und den Fellows, sondern auch mit Hausmeister, Fahrer und Verwaltungspersonal geführt. Karalus fand dabei sogar einen Fellow, der dem Kolleg das Etikett des 19. Jahrhunderts angeheftet hat. Sein Film belegt, mit welch überflüssigen Debatten sich die Wohlstandsgesellschaft mitten im Kal- ten Krieg beschäftigt hat. Umso bemerkenswerter ist die Standfestigkeit von Bildungspolitikern wie Hellmut Becker und Peter Glotz, die (1978) an der RACHID AL-DAIF · GADI ALGAZI · EDWAR AL-CHARRAT · SVETLANA ALPERS · MIRAL AL-TAHAWI ·

14 Wiege des Kollegs standen. Sie haben sich auch von der Häme politischer Freunde nicht beirren lassen, auf der Berliner Insel Rahmenbedingungen WOLFGANG FRÜH WOLFGANG dafür zu schaffen, dass ein weit gestreuter, international geprägter wissen- schaftlicher Dialog beginnen und sich dauerhaft fortsetzen konnte. Gäbe es dieses Kolleg nicht, müsste man es heute gründen. Doch ob dies mit der glei- chen Argumentation wie in den späten 70er und den frühen 80er Jahren noch immer möglich wäre, wage ich zu bezweifeln. Zeit, Ort und Umstände waren W

ALD der Gründung geneigt. Hans Magnus Enzensberger hat 1988 die von ihm lange vertretene These von der restaurativen Bundesrepublik dahingehend korrigiert, dass sich „die Rückkehr zur Vorkriegszeit als Chimäre“ erwiesen habe: „Als in den sechziger Jahren die Gerüste fielen, war eine völlige Neukonstruktion zu besichtigen.“ Die Gerüste aber sind in den sechziger Jahren tatsächlich gefallen. Enzensber- ger nämlich – so belegte Helmuth Kiesel – hat recht präzise beschrieben, was die Protestbewegung im westlichen Deutschland geleistet hat: „Sie hat die traditionalistischen Drapierungen der Bundesrepublik und ihrer Gesellschaft, Talare und Uniformen, Konventionen und Reglements, moralische Gebote und strafgesetzliche Verbote, so weit wie möglich abgeschafft und hat dadurch deutlich werden lassen, was 1945 und 1949 auf den Weg gebracht worden war: ein demokratischer Staat mit einer autonomen und pluralistischen Zivil- oder Bürgergesellschaft, getragen von einer Bevölkerung, die sich keineswegs nach alten Zeiten sehnte, sondern mehrheitlich demokratisch und modern sein wollte.“ Dieser harte demokratische Kern der Bürgergesellschaft in Deutsch land hat die mörderischen Attacken der RAF und auch den Deut- schen Herbst ohne gravierende Beschädigung des Rechtsstaates überstanden. Menschen, die unbestreitbar zu diesem harten Kern gehörten, haben aller- dings häufig genug den Abbau von Gerüsten mit Revolution verwechselt, den Verzicht auf gutes Benehmen mit Demokratisierung und waren deshalb gegen den Primat der Form und einen bestimmten Umgangston auch dort empfindlich, wo deren Wurzeln nicht in den gemeinsam verabscheuten „ob- soleten Hierarchien wilhelminischer Etikette“ oder in „konservativer Passion“ lagen. Diesen Vorwürfen aber fühlte sich Peter Wapnewski ausgesetzt. Er sah das von ihm gewünschte und stimulierte, gebildete Tischgespräch als bil- dungsbürgerlich denunziert und war – mit Recht – verletzt. Im Kolleg spiegelte sich in nuce ein Konflikt, der die europäische Gesell- schaft – im Osten anders akzentuiert als im Westen, aber im Grunde gleich- laufend – mehr als zwanzig Jahre lang in Atem gehalten hat. Es war der Streit um Demokratisierung und Individualisierung, der häufig auch gewaltsame Formen angenommen hat, ein Konflikt in der Endphase des gebildeten Bür- gertums, das den Höhepunkt seines politisch-sozialen Einflusses schon am Ende des 19. Jahrhunderts überschritten hatte. Deshalb mussten die ersten SHAHID AMIN · STEFAN AMSTERDAMSKI · PERRY ANDERSON · GIL ANIDJAR · SORIN ANTOHI ·

Jahrgänge des Kollegs noch mit dem Vorwurf kämpfen, eine privilegierte Elite 15 zu sein, ein Vorwurf, der für Fundamentaldemokraten an der Spitze aller bür- gerlichen Abscheulichkeiten stand. Schließlich erzeugte die Götzenvereh- FREIHEIT DER WIRKUNGEN rung einer nackten égalité schon in der Französischen Revolution den Hang zum Gesinnungszwang. Wahre Eliten, sagte Hartmut von Hentig 1986, rede- ten nicht darüber, ob sie Eliten sind. Gershom Scholem und Ivan Illich, damals am Ende ihres großen, von Flucht und Widerspruch geprägten, auf Con vivia- lität angelegten Lebenswerkes angekommen, waren offenkundig ‚voll kom- men immun‘ gegen das für sie ephemere Elitethema. „Helga Nowot ny, Mazzino Montinari, Rudolf zur Lippe und Hartmut von Hentig dagegen hatten gleich in den ersten drei Wochen einen Brief der Gewerkschaften bekommen: Wir sollten uns in der neuen, zu unserer angeblich linken Vergangenheit nicht passenden Rolle äußern. Das waren die Unterschiede.“ Das Leben im Wissenschaftskolleg also war von Anfang an nicht jene Idylle, als die es im Rückblick manchem Fellow erschienen ist. Es war und ist, trotz der Paradieseslieder, die auf das Kolleg inzwischen gesungen werden, kein Leben im ‚hortus conclusus‘, in einem auf kurze Zeit wieder zugängli- chen Garten Eden des Zeithabens und der Muße, von Arbeitskonzentration und ausschließlich selbstbestimmter Arbeit. Das Kolleg ist der Entwurf einer ‚respublica literaria‘, die nicht im luftleeren Raum existiert, sondern einge- bunden ist in wechselnde soziale und kulturelle, politische und ökonomische Spannungen. Diese multiplizieren sich umso deutlicher, je internationaler eine Gruppe ist, die sich zum gemeinsamen Gespräch, zum Gedankenaus- tausch und auch zum kreativen Konflikt in der Wallotstraße in Berlin zusam- menfindet. Das Kolleg versucht bekanntlich, für jeden einzelnen Forscher und jede einzelne Forscherin „einen Zusammenhang zu stiften und zwar einen Zusammenhang, der sich an der Universität selten ereignet. Es ist ein Zusammenhang [heißt es in der Selbstbeschreibung von 2004] gerade nicht allein mit Kollegen des eigenen Fachs und der vertrauten Wissenskultur und Wissenschaftstradition, sondern auch mit dem Fremden und Ungewohnten, dem scheinbar Irrelevanten für die eigene Forschung“. So ereignen sich hier auch alle jene Ein- und Zufälle des Lebens, die das Leben schön und leidvoll zugleich machen, die ihm lebenswerte Spannung geben: Geburt, Krankheit und Tod, Glück und Unglück, Trauer und Freude, Enttäuschung und Erkennt- nis. Wer die Bände des Jahrbuchs des Wissenschaftskollegs seit 1981/82 durch- blättert, wird, neben den großen wissenschaftlichen Themen, auf die Eigen- dynamik des intellektuellen und künstlerischen Lebens und zugleich auf elementar-menschliche Ereignisse stoßen. Was bedeutet schon die Enttäu- schung radikaldemokratischer Hoffnungen und deren Forderung nach Re- chenschaft (über das scheinbar unzeitgemäße Bekenntnis zur Elite) gegen- über den Drohungen „irgendwelcher Möchtegernmörder“, die Wolf Biermann PHILIPPE ARIÈS · MOHAMMED ARKOUN · ROBERT ARONOWITZ · KONSTANTIN ASADOWSKI ·

16 (1997/98) monatelang im Wissenschaftskolleg mit Drohanrufen, Briefen und Faxmitteilungen terrorisierten? In seinem Büro im Wissenschaftskolleg musste WOLFGANG FRÜH WOLFGANG eine Fangschaltung eingebaut werden. „Es war“, schreibt Biermann, „wie ein ironisches Zitat aus DDR-Zeiten, wo meine Wohnung in der Chausseestraße bis ins Klo und in die Küche von den Abhörspezialisten des MfS verwanzt wor- den war. Nun aber waren die Spezialisten der Staatsmacht immerhin schon auf meiner Seite. Insofern erlebten wir am Kolleg ein hübsches Beispiel für W

ALD einen gesellschaftlichen Fortschritt in Deutschland – trotzalledem. […] Man lächelt in solcher Situation und spielt womöglich auch sich selbst den Eiser- nen Gustav vor, man lässt die Kinder nichts und die Freunde nur wenig mer- ken, aber in Wahrheit zittert das Herz doch.“ Nein – ein Idyll ist das Wissen- schaftskolleg nicht, ist es nie gewesen. Ein Paradies ist es nur für Menschen, die wissen, dass wir in verlorenen Paradiesen leben und dass uns gerade jene Sektoren menschlicher Energie von der Rückkehr ins Paradies abhalten, die im Kolleg besonders gepflegt werden: Bewusstheit, Intellektualität, Ästhetik, Reflexion.

3. Der uneinholbare Abstand?

Am Kolleg, meinte der Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke, Fellow des Jahrgangs 1983/84, sei „alles mit Überzeugung für die Wissenschaftler, für eine schöpferische Atmosphäre unter Forschern getan [worden], und doch wusste man die wissenschaftliche Arbeit in einem uneinholbaren Abstand zur poetischen, künstlerischen Arbeit.“ Zum Stil des Hauses nämlich gehört seit dem ersten Jahrgang 1981/82 die Einladung von Künstlern, von Schrift- stellern, Komponisten und Musikern. Der von Martin Warnke noch festge- stellte Wettstreit zwischen den intellektuellen und den ästhetischen Formen „schöpferischer Phantasie“ im Kolleg scheint mir im Lauf der Jahre von der Vorstellung eines „uneinholbaren Abstands“ entlastet worden zu sein. Das lag vielleicht zunächst daran, dass neue Künstlergenerationen (ungleich den von apokalyptischen Visionen umgetriebenen Autoren am Ende des 20. Jahrhun- derts, den Frisch, Dürrenmatt, Hildesheimer und Johnson) nicht den Abstand zur Wissenschaft, sondern eher das Verbindende suchten, vor allem aber daran, dass hier versucht wird, auch die künstlerische Arbeit in die allen ge- meinsamen Arbeits- und Gesprächszusammenhänge einzubetten. Ein erfolg- reiches und sogleich einleuchtendes Beispiel dafür ist die Karriere, die das Artemis-Quartett gemacht hat. Im Grunde begann die Laufbahn dieses Quar- tetts, das heute zu den besten und bekanntesten Streichquartetten der Welt gehört, 1998/99 im Wissenschaftskolleg. Damals nämlich ging Walter Levin, Primarius des LaSalle-Quartetts und Fellow des Kollegs schon im Jahrgang MITCHELL ASH · ALEIDA ASSMANN · JAN ASSMANN · LETICIA AVILÉS · PETER AX ·

1991/92, mit dem Artemis-Quartett in Klausur, um, vor dem Beginn eines in- 17 tensiven Tournee-Lebens, noch ein Konzert für die Kleine Philharmonie in Ber- lin zu erarbeiten – Wolfgang Amadeus Mozart: Streichquartett d-moll, KV 421; FREIHEIT DER WIRKUNGEN György Ligeti: Streichquartett Nr. 2; Hugo Wolf: Italienische Serenade für Streich quartett g-dur; Giuseppe Verdi: Streichquartett e-moll. Zusammen mit dem Sender Freies Berlin und dem Berliner Philharmonischen Orchester wurde das ehrgeizige Unternehmen ins Werk gesetzt. Zwei Gesprächskon- zerte hat Walter Levin damals mit dem Artemis-Quartett am Kolleg gegeben, die jeweils am Sender Freies Berlin wiederholt wurden. Im Juni 1999 ist dann „das Artemis Quartett schließlich zum ersten Mal im Kammermusiksaal der [Berliner] Philharmonie aufgetreten“. Wolf Lepenies hat – stellvertretend für ein breites Publikum – besonders das Erlebnis moderner Musik hervorgeho- ben, weil hier György Ligetis Streichquartett Nr. 2 „aus einem fremden zu einem vertrauten Musikstück“ gemacht wurde. Ligeti ist, vermittelt durch Márta und György Kurtág, im Jahrgang 2000/2001 selbst als Fellow ans Kolleg gekommen und hat dort an seiner 18. Klavier-Étude gearbeitet. Am meisten, schreibt Ligeti in seinem kurzen Arbeitsbericht, habe er „von den drei [zu- gleich mit ihm im Kolleg anwesenden] Fledermausfoschern gelernt“. Es wäre reizvoll, den Einflüssen der Fledermausforscher in der Musik Ligetis nachzu- spüren. In Reinhart Meyer-Kalkus aber sei er, so nochmals György Ligeti, einem Mit arbeiter des Wissenschaftskollegs begegnet, dessen ungewöhnliches Urteils- vermögen auf dem sonst so verschlossenen Feld moderner Musik kaum zu übertreffen sei. Ohne kenntnisreiche, gebildete und selbstlose Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter ist ein Kolleg wie das Berliner nicht zu betreiben. Von Joachim Nettelbeck, seit 1981 Sekretär des Kollegs, bis zum Bibliotheks- und dem EDV-, dem Empfangs-, Telephon- und Küchendienst ist die in der Tat dezen te und effiziente Verwaltung unermüdlich bemüht, den kleinen Cam- pus im Grunewald zu einem Ort zu machen, an dem kreatives Denken mög- lich wird, an dem es – wie in Princeton – keine strengen Pflichten für die Fel- lows, aber Möglichkeiten in Fülle gibt („no duties, only opportunities“). Die Stimulation zu schöpferischer Arbeit geht von der Atmosphäre dieses Hauses aus. Sie zu pflegen, zu erhalten, sie Jahrgang für Jahrgang zu erneuern, ist das Kunststück, das nur einem in Bescheidenheit und Anregung gleichermaßen geübten und gut geleiteten Team gelingt. Die kunstfördernden Leistungen des Kollegs sind demnach keineswegs zufällige Farbtupfer auf einem breiten Gemälde von Gelehrsamkeit, sondern entstanden aus intensiver Tätigkeit in der freien Luft der Wallotstraße. Dort wird ein Rahmen geschaffen für Leistungen, die sich auf allen Gebieten von Gelehrsamkeit und Kunst abheben vom Niveau des Durchschnitts und von Beginn an auf Weltgeltung zielen. Ähnlich wie um Musiker und Komponisten DAVID ROBERT AXELRAD · VICTOR V. BABENKO · BRAHIM BADAOUI · KLAUS BADE · CRISTIAN BADILITA ·

18 wirbt das Kolleg auch um Schriftsteller und Dichter aller Nationen. So waren – als Beispiel unter vielen – große ungarische Prosaautoren unseres Jahrhun- WOLFGANG FRÜH WOLFGANG derts Fellows im Grunewald und haben für ihre Arbeit dort ebenso profitiert, wie ein Schimmer ihres Ruhmes auf das Kolleg zurückgefallen ist. Péter Ester- házy, Träger eines Namens, der über Jahrhunderte hin gleichbedeutend war mit ‚Ungarn‘, der trotzdem meinte, sein Name habe sich nicht besonders in sein Leben eingemischt (er habe ihn zwar ab und an berührt, ihn aber nicht W

ALD ins Stolpern gebracht und nicht geblendet), war Fellow im Jahrgang 1996/97. Imre Kertész, der in Berlin am 10. Oktober 2002 die Nachricht erhielt, dass ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden sei, und den das Kolleg vor der über ihn hereinbrechenden Sturzflut des öffentlichen Interesses beschützte, war Fellow des Jahrgangs 2002/2003. In dem Roman ‚Liquidation‘, der 2003 auch in deutscher Sprache erschienen ist, ist sein Dank an das Wissenschafts- kolleg nachzulesen. Im gleichen Jahrgang wie Imre Kertész war Péter Nádas, der Melancholiker unter den modernen ungarischen Prosaautoren, Fellow am Kolleg. Er arbeitete am zweiten Band seines Buches ‚Parallelgeschichten‘. Offensichtlich ist es ihm schwerer gefallen als dem satirisch veranlagten Péter Esterházy, sich in die Gemeinschaft des Kollegs einzuleben. Ihm blieb – auch in der Diskussion um sein Buch ‚Der eigene Tod‘ – „der Abstand schmerzlich bewusst, der das Wahre vom Schönen“, die auf möglichste Objektivität ver- pflichtete Wissenschaft von der Literatur trennt. „Ohne der Ordensregel mei- nes Fachs den Rücken zu kehren, kann ich das Terrain des Ichs auch beim besten Willen nicht verlassen“, heißt es in seinem Arbeitsbericht. Um Mitter- nacht fuhr er auf seinem klapprigen Fahrrad häufig in die kleine Bibliothek, um „noch etwas nachzuschlagen oder rasch eine dringende Frage zu klären. Keinen habe ich dort je zu dieser Stunde gesehen. Einmal einen Nachtwäch- ter. Oder doch. Zweimal habe ich Yehuda Elkana im Treppenhaus getroffen und wir haben oben bei ihm noch einen guten Wein getrunken“. Sie werden Ungarisch gesprochen haben, wenn sie überhaupt gesprochen haben beim mitternächtlichen Wein. Denn Yehuda Elkana, seit 1987 Perma- nent Fellow am Kolleg, spricht auch diese Sprache. Von den Mitarbeitern wird er, liebevoll und voller Respekt für das sprühende Potential seiner Anregun- gen, für das anscheinend unerschöpfliche Füllhorn lebendiger Ideen, „der Herzschrittmacher des Wissenschaftskollegs“ genannt. Der Rektor des Kollegs ist dessen öffentlich sichtbarer Repräsentant, der Qualitätsanspruch aber, den dieser Ort des freien geistigen Austausches stellt, wird in einer verborge- nen, gleichwohl ungemein lebendigen Ideenwerkstatt verwirklicht, in wel- cher der Rektor und die Permanent Fellows ebenso ihren Platz haben, wie die an administrativer Exzellenz kaum zu übertreffende Verwaltung und der wis- senschaftliche Beirat. Das Ungarische (gerade diese kleine, so schwer zu erler- nende, nicht-indogermanische Kultursprache) scheint eine der am Kolleg oft BORIS BAER · ISSAKA BAGAYOGO · PATRICK BAHNERS · ANNETTE C. BAIER · CAROLINE BAILLIE · und gerne gesprochenen Sprachen zu sein, was so gar nicht zum verbreiteten 19 Eindruck von der unaufhaltsamen Anglophonisierung der Wissenschafts- sprachen passen will. Der im westrumänischen Timisoara geborene, in den FREIHEIT DER WIRKUNGEN USA lehrende Politologe Andrei S. Markovits, Fellow des Jahrgangs 1998/99, meinte dazu: „[…] if one looks at the small but crucial fact that not since my father’s untimely death in 1990 had I spoken as much Hungarian as I did with co-Fellows at the Kolleg, the year […] needs to be gauged as a rousing suc- cess. Because to me, the bottom line of this amazing year’s legacy will not be its in tel lectual glitter and brilliance, but its quiet humanity and palpable Mensch lichkeit.“ Ich stelle mir vor, dass in vielleicht 75 Jahren, wenn das Kolleg seinen 100. Geburtstag feiert, eine mit digitalen Methoden intertextuell arbeitende Doktorandin der Familienthematik in der europäischen Literatur (sagen wir: seit Lessing) nachgeht und dabei auf jene ‚Harmonia caelestis‘ überschriebene, von Anspielungen und Zitaten überquellende Familienchronik Péter Esterhá- zys stößt, in die der Familienroman und die das 19. wie auch das 20. Jahrhun- dert literarisch prägende Auseinandersetzung mit der väterlichen Autorität mündet. Sie findet in den Materialien zum Epos eines überzeugten Joyce- ianers den Mahnbrief des Wissenschaftskollegs zu Berlin vom 28. Oktober 1996, doch möglichst rasch das Arbeitsvorhaben mitzuteilen, denn alle Mit- glieder des neuen Jahrgangs seien schon sehr neugierig, wer wohl was bear- beiten werde. Sie findet auf diesem von Christine von Arnim unterschriebe- nen Brief (karikaturistische) Versuche des Autors, mit wenigen Strichen ein Porträt seines Vaters zu zeichnen, was dieses Arbeitsvorhaben deutlicher be- schreibt als alle vergilbten Papiere. So findet sie in diesen Materialien auch Namen, die ihr aus der Belletristik nicht geläufig, über einen Link ihres Such- programms aber leicht zu entschlüsseln sind, Namen von Menschen, deren Anregungen der Autor während des Jahres am Wissenschaftskolleg begierig aufgesogen und seinem Buch von der himmlischen Eintracht einmontiert hat: Peter Wapnewski, Wolf Lepenies, Renate Lachmann, Christine Landfried u. a. Und sie findet (im Archiv in der Wallotstraße) schließlich einen kleinen Vermerk darüber, dass Péter Esterházy am 24. Januar 2002 „alle aufs Wissen- schaftskolleg bezüglichen Stellen aus seinem Roman ‚Harmonia caelestis‘“ vorgelesen habe. Sie rechnet nach: Zu diesem Zeitpunkt war der Autor bereits aus seinem ureigenen Paradies, der unbeschwerten und liebevollen Erinne- rung an den Vater, vertrieben. Im Jahr 1999 hat Péter Esterházy ‚Harmonia caelestis‘ abgeschlossen, im Jahr 2000 ist das Buch in ungarischer, 2001 auch in deutscher Sprache erstmals erschienen. Am 28. Januar 2000 aber hatte er Einblick in jene drei braunen Dossiers bekommen, aus denen unzweifelhaft hervorging, dass sein Vater, der geliebte und in ‚Harmonia caelestis‘ gefeierte Vater, Mátyás Graf Esterházy, ein Agent der ungarischen Staatssicherheit ge- ZOLTÁN BALÁZS · BENJAMIN BARBER · JONATHAN BARNES · WLADYSLAW BARTOSZEWSKI ·

20 wesen ist. Am 30. Januar 2000 also begann er jenes Buch zu schreiben, das er im deutschen Text – unter Anspielung auf den vorangehenden Roman – ‚Ver- WOLFGANG FRÜH WOLFGANG besserte Ausgabe‘ nannte. 2002 ist dieses Buch in ungarischer Sprache unter dem Titel ‚Javított kiadás – melléklet a Harmonia caelestishez‘, 2003 in deut- scher Sprache erschienen. Es erzählt die Geschichte eines Schocks, die Ge- schichte der Dekonstruktion der in ‚Harmonia caelestis‘ geschaffenen „gro- ßen Gestalt des Vaters“, eine Geschichte auch von Verrat und Schuld und von W

ALD der Natur und Not des Landes Ungarn nach dem gescheiterten Aufstand 1956, von den blutigen Spuren des Verderbens, welche die Diktaturen des 20. Jahr- hunderts durch Europa gezogen haben: „In ‚Verbesserte Ausgabe‘ habe ich die (neue, verbesserte, verschlechterte, eine andere, die andere) Geschichte mei- nes Vaters erzählt, die, um es so zu sagen, für meinen Vater nicht typisch ist, auch für meine Familie nicht, […] sie repräsentiert uns nicht. Doch sehr wohl repräsentiert diese Geschichte die Situation des Landes nach 1956, zumindest etwas davon. […] Das Leben meines Vaters ist ein unmittelbarer (und abstoßen- der) Beweis für die Freiheit des Menschen.“ So begibt sich die Doktorandin des Jahres 2081, die ich mir vorstelle, nun auf die Suche nach dem Abenteuerplatz der Freiheit, genannt Wissenschaftskolleg zu Berlin, nach all den auf diese Freiheit bezogenen Stellen in einem übermütig als himmlische Harmonie bezeichneten Roman, in dem eines sicher ist: der Zusammenhalt der Familie, die Liebe des Vaters zu seinen Kindern, die er mit der ganzen ihm verbliebe- nen Kraft seines Lebens zu verteidigen schien. Doch sie begibt sich auch auf die Suche nach jenem Erschrecken, das von Péter Esterházy mit dem Schock verglichen wurde, den die USA und die Welt am 11. September 2001 (am omi- nösen Tag ‚nine eleven‘) durch die terroristischen Attentate in New York und Washington erlitten haben. Es war der Verlust des nach dem Zweiten Welt- krieg wieder mühsam aufgebauten und in der Euphorie der Wendejahre nicht mehr befragten Vertrauens in die moralische Kraft menschlicher Zivili- sation. Mit diesem Erschrecken wurde in Israel wie in Deutschland, in Ungarn wie in Russland, in China wie in Japan und in vielen anderen Ländern und zahllosen Familien der Welt das blutige 20. Jahrhundert abgeschlossen. Die Hoffnung auf ein friedlicheres Folgejahrhundert entschwand. REINHARD BAUMGART · MICHAEL BAXANDALL · ULRICH BECK · ELISABETH BECK-GERNSHEIM ·

4. An einem besonderen Ort, in einer besonderen Zeit 21

In den späten 70er und den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts schien FREIHEIT DER WIRKUNGEN die durch Berlin real verlaufende, weithin (angeblich sogar vom Mond aus) sichtbar die beiden Machtblöcke der Welt trennende Mauer auf 100 Jahre und länger festzustehen. Die Mitglieder des Wissenschaftsrates, der damals verpflichtet war, seine Vollversammlungen im leerstehenden Gebäude des Reichs tags abzuhalten, kannten die Buslinie 69 mit der Endstation ‚Reichs tag‘ nur allzu gut. Diese Linie fuhr schon fünf Stationen vor der Endstation leer durch die Straßen und endete dort, wo der Todesstreifen mit Wachtürmen, Hundepatrouillen, der Mauer und Abhöranlagen begann. Die Kreuze, gleich hinter dem Reichstagsgebäude, zeugten von gescheiterten Fluchtversuchen; der ‚antifaschistische Schutzwall‘, wie die Mauer in der DDR offiziell genannt wurde, wurde vor allem nach innen verteidigt. Die (1984 abgebauten) Selbst- schussanlagen an den Grenzbefestigungen der DDR richteten sich gegen Flüchtlinge aus dem eigenen Land, der Übergang von West- nach Ostberlin am S-Bahnhof Friedrichstraße glich (nicht nur vom Westen aus gesehen) dem Ein- gang in den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Damals hat ein Ostber- liner Verleger seinen Kollegen aus der Bundesrepublik in der Leipziger Straße an die nach Westen schauenden Fenster seines Büros geführt, ihm die Mauer (von der ‚anderen Seite‘) gezeigt und stolz gesagt: „Sehen Sie, bis hierher sind wir schon gekommen.“ Das Wissenschaftskolleg zu Berlin also wurde auf der von einer Mauer umschlossenen Westberliner Insel vom Westberliner Senat im Andenken an jenen Ernst Reuter gegründet, der als letzter frei gewählter, von der sowjeti- schen Besatzungsmacht nicht anerkannter Oberbürgermeister ganz Berlins (1947) und als erster Regierender Bürgermeister Westberlins (seit 1950) die stets bedrohte Freiheit dieser Stadt, zumal in den Zeiten der Berlin-Blockade und der Luftbrücke (von Juni 1948 bis Mai 1949), eindrucksvoll verteidigt und den Widerstandswillen der Berliner gestärkt hat. Das Land Berlin und das Wissenschaftskolleg zu Berlin e.V. gründeten im Dezember 1980 die Wissen- schaftsstiftung Ernst Reuter, deren Auftrag die finanzielle Förderung des Wissenschaftskollegs ist. Im Mai 1982 (es war meine zweite Sitzung als Mit- glied dieses wissenschaftspolitischen Beratungsgremiums des Bundes und der Länder) hat der Wissenschaftsrat dann auf seiner Berlin-Sitzung empfoh- len, die „Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter in die gemeinsame Förderung durch Bund und Länder nach Artikel 91b des Grundgesetzes aufzunehmen“. Doch erst im fünften Jahrgang des Kollegs, als erstmals auch die seither maß- gebende Zahl von 40 Fellows erreicht wurde, hat das damalige Bundesminis- terium für Forschung und Technologie, an Stelle der Volkswagenstiftung (ohne deren großzügige Hilfe das Kolleg nie auf die Beine gekommen wäre) PETER BEHRENS · MARK BEISSINGER · DAVID A. BELL · JEAN VINCENT BELLISSARD · HANS BELTING ·

22 50 Prozent der Kosten übernommen und teilt sich die Finanzierung seither mit dem Land Berlin. Der langwierige und zähe Streit um den endgültigen Finan- WOLFGANG FRÜH WOLFGANG zierungsmodus hat das Rektorat Peter Wapnewskis bis zum Schluss belastet. Der Name Ernst Reuters allerdings war in mehr als einem Sinne charakte- ristisch für den Geist der Zeit, in der das Kolleg gegründet wurde. Der 1953 gestorbene Regierende Bürgermeister galt in Ost und West nach der Berlin- Blockade als Symbolfigur der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. W

ALD Ernst Reuter, der sich als deutscher Kriegsgefangener in Russland früh der Bewegung Lenins angeschlossen hatte und Volkskommissar für wolga-deut- sche Angelegenheiten in Saratov geworden war, kehrte 1918 (mit Karl Radek) nach Deutschland zurück. Er gehörte 1918/19 zu den Gründern der KPD, wurde 1921 sogar zu deren Generalsekretär gewählt, aber 1922 aus der Partei ausgeschlossen, weil er die finanzielle und politische Unabhängigkeit der KPD von der Komintern gefordert hatte. Der 1922 zur USPD und schließlich zur SPD übergetretene Ernst Reuter kannte also die dogmatisierende Gewalt des Kommunismus von innen her und hatte sie selbst erfahren. Als ein pro- filierter Gegner des Nationalsozialismus wurde er 1933/34 im Konzentra- tionslager Lichtenburg inhaftiert, konnte 1935 über England in die Türkei emigrieren, wo er in Ankara als Professor für Städtebau, dann im türkischen Verkehrsministerium (bis 1946) als Berater tätig war. Durch Vermittlung der Labour Party gelang ihm nach dem Krieg eine rasche Rückkehr nach Deutsch- land; schon 1946 war er wieder (wie schon einmal 1926) Berliner Stadtrat für Verkehr. Der noch immer vorzüglich funktionierende Nahverkehr in Berlin verdankt Ernst Reuter viel. So sehr im Jahr 1978 der Name Ernst Reuters in Westberlin die Gründung des Wissenschaftskollegs begünstigte, so sehr rief er Misstrauen im Osten hervor, wo man auf die Dissidenten der frühen Jahre des Kommunismus mit großem Argwohn reagierte. So ist es nicht verwunder- lich, dass die Neugründung international zwar bald Fuß fassen konnte, dass ihr die DDR aber verschlossen blieb und Anknüpfungsversuche zunächst nicht beantwortet wurden. Den Rektoren und den Fellows gelang es aber rasch, den Verdacht des kruden Antikommunismus zu zerstreuen. Im Jahrgang 1988/89 war erstmals ein Fellow aus der DDR am Kolleg, der Psychologe Fried- hart Klix, der sein Fellow-Jahr „in ziemlicher Abgeschiedenheit zugebracht“ hat. Zwei Jahre vorher schon berichtete der neue (1986 gewählte) Rektor Wolf Lepenies von „der beeindruckenden Normalität“ der Kontakte seiner Fellows „zur Humboldt-Universität [in Ostberlin] und zur Akademie der Wissenschaf- ten in der DDR“. 1990/91 waren dann der Ostberliner Wissenschaftstheoreti- ker Hans-Peter Krüger und, als Gast des Rektors, der Berliner Philosoph Gerd Irrlitz am Kolleg, die bereits im Juni 1989 in Ost-Berlin (in der Akademie der Wissenschaften der DDR) mit einer westdeutschen Arbeitsgruppe die Situa- tion der Geisteswissenschaften in Deutschland beraten hatten. Bei dieser offi- REINHARD BENDIX · ANGELA DE BENEDICTIS · BERND A. BERG · HARTMUT BERGHOFF · ziell genehmigten Tagung war es ihnen auch gelungen, ein Mitglied der 23 westdeutschen Delegation, den offiziell in der DDR nicht gern gesehenen Phi- losophen Jürgen Habermas in eine Privatwohnung mit interessierten Gästen FREIHEIT DER WIRKUNGEN zu einem Gesprächskreis einzuladen. Im Juni 1989 galten solche Treffen noch als konspirativ, seit dem Kolleg-Jahrgang 1991/92 aber (Manfred Bierwisch, ein prominenter Linguist aus der Akademie der Wissenschaften der DDR, ge- hörte ihm an) war die politische Unterscheidung von Deutschland-Ost und Deutschland-West Vergangen heit. Ernst Reuter war nicht nur die weithin sichtbare Symbolfigur des Wider- stands gegen die kommunistischen Expansionsbestrebungen, sein Name und seine Biographie knüpften auch die Verbindungen zur Tradition des deut- schen Widerstands gegen den Nationalsozialismus und zum Schicksal jenes anderen Deutschland, das in Exil und Emigration Denktraditionen zu bewah- ren und weiterzuentwickeln suchte, die im Deutschland Hitlers vertrieben, verfolgt und blutig unterdrückt wurden. Im Beschluss des Berliner Abgeord- netenhauses vom 6. Oktober 1978 heißt es so auch zu den Gründen, weshalb das Wissenschaftskolleg ins Leben gerufen wurde: „Um Initiativen der großen Wissenschaftsstiftungen aufzunehmen, um die durch Nationalsozialismus und Krieg unterbrochenen Verbindungen zu wichtigen geistigen Strömungen wieder zu knüpfen, die teilweise bis heute in Deutschland unterrepräsentiert sind, um die Stadt fester in die internationale Kommunikation der Wissen- schaften einzubeziehen und bedeutende Gelehrte nach Berlin zu bringen, hat der Senat beschlossen, eine internationale Wissenschaftsstiftung zu errichten, die aus Anlass des 25. Todestages Ernst Reuters, der wie viele andere das Schicksal von Verfolgung und Emigration tragen musste und nach der Besei- tigung der nationalsozialistischen Herrschaft entscheidend zu einer frei- heitlichen Entwicklung dieser Stadt beitrug, dessen Namen tragen soll.“ Das In stitute for Advanced Study in Princeton (USA), dessen Erfolgsgeschichte un- trennbar mit großen Namen der deutschsprachigen Emigration wie Albert Einstein und Erwin Panofsky verknüpft ist, ist in seinem wissenschaftlichen Qualitätsanspruch seit dem Gründungsmemorandum Vorbild und Maßstab des Wissenschaftskollegs. An die in Deutschland durch Terror und Vertrei- bung abgebrochenen Wissenschaftstraditionen wieder anzuknüpfen, gehört implizit und explizit zu den Zielen des Kollegs in Berlin. Dass es gelungen ist, in Deutschland auch neue Forschungsrichtungen auf dem Umweg über das Kolleg zu etablieren, ist auf diesen Impuls zurückzuführen. Insbesondere stand der Freiheits- und der Humanitätsgedanke des Exils, als Gegenbewegung gegen die politische Formierung der Wissenschaften im nationalsozialis- tischen Deutschland, Pate bei der Gründung. Das (von Peter Wap newski, Christoph Schneider von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Jochen Stoehr von der Berliner Wissenschaftsverwaltung gemeinsam verfasste) Grün- DIETZ BERING · UDO BERMBACH · GARY D. BERNARD · PETER BERNHOLZ · RICHARD BERNSTEIN ·

24 dungsmemorandum widmet zwei ganze Kapitel (IV und V) der Frage des Standorts und beschreibt darin die Vorzüge (West-)Berlins für die Ansiedlung WOLFGANG FRÜH WOLFGANG eines internationalen Wissenschaftskollegs auf höchstem Qualitätsniveau: die kulturellen und wissenschaftlichen Möglichkeiten, welche die Stadt bie- tet, Westberlin als einen Ort, „an dem gegenwärtig weltpolitische Tendenzen, Friktionen, Konflikte und Konfliktlösungen in besonderer Weise konkret und sinnfällig werden“, Berlins spezifische Urbanität mit „Sonderkulturen, Alter- W

ALD nativkulturen und Ausländer-Mischkulturen“, die wirtschaftlichen Restrik- tionen, denen die Stadt in ihrer Insellage unterlag, die durch wissenschaft- liche Einrichtungen auf Weltniveau kompensiert werden konnten. Das Wissenschaftskolleg also wurde an einem Ort errichtet, an dem Frei- heit und Unterdrückung, West und Ost, intellektuelle und ästhetische Kultur, die unterschiedlichsten Kulturkreise und Kulturformen aufeinandertrafen, sich oftmals explosiv mischten und kreativ ergänzten. Berlin sei, meinte Fania Oz-Salzberger (Fellow des Kollegs im Jahrgang 1999/2000), im Unterschied zu dem (vielleicht) allzu fröhlich über die Zeit als ‚Hauptstadt der Bewegung‘ hinweggehenden München, eine Stadt, die ihre „Narben offen“ trage. Sie sei auch für Israelis ein Aussichtsturm, ein düsteres, aber trotz allem „ein mögli- ches Tor nach Europa“. Diese Stadt, in der schließlich 1989 die Mauer zwi- schen den Machtblöcken sichtbar gefallen ist, in der sich ein oft symbolisch zum Ort der Abschließung ausgerufenes Tor sichtbar geöffnet hat, konnte damit seit 1989/90 zum Ausgangspunkt von Tochtergründungen des Wissen- schaftskollegs in den Ländern Mittel- und Osteuropas werden, mit dem Ziel, Eliten dort wieder zu bilden, wo Begriff und Realität der wissenschaftlichen und künstlerischen Eliten über vier Jahrzehnte hin unterdrückt waren und als konterrevolutionär galten. Das Wissenschaftskolleg zu Berlin war an der Gründung des Collegium Budapest ebenso beteiligt wie an der Gründung und - lege (NEC) in Bukarest, der Graduate School of Social Research der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, der Bibliotheca Classica in St. Pe- tersburg, einem Zentrum für fortgeschrittene Studien (CAS) in Sofia etc. Die- ser energische und erfolgreiche Ausgriff des Kollegs in die europäischen Transformationsländer scheint mir (keineswegs das einzige, aber) das sicht- barste Kennzeichen des 15 Jahre dauernden Rektorats Lepenies zu sein. Wolf Lepenies hat die Chancen, die sich mit der Implosion des Ostblocks öffneten, frühzeitig erkannt und das von seinem Vorgänger aufgebaute und konsoli- dierte Kolleg zum Mutterhaus einer Reihe stattlicher und sehenswerter Töch- ter gemacht. Berlin, einst eine Insel im steinernen Meer des Ost-West-Konflik- tes, wurde nun zum Tor in einen Teil Europas, durch das die Westeuropäer insgesamt zögerlicher gegangen sind als die leitenden Personen des Berliner Wissenschaftskollegs. GÁBOR BETEGH · ANDRÉ BETEILLE · GIUSEPPE BEVILACQUA · ABBAS BEYDOUN · KLAUS VON BEYME ·

Neben dem innerdeutschen und (west-) europäischen Blick auf Berlin gab 25 es (und gibt es) im Wissenschaftskolleg einen Blick auf die Stadt, der sie ver- fremdet und entdeckt, in dem sie als die Zentrale staatlich gelenkten Terrors FREIHEIT DER WIRKUNGEN in den Jahren zwischen 1933 und 1945, als der Asylort von Flüchtlingen aus dem Herrschaftsbereich Stalins und Ulbrichts, als die Stadt neuer Freiheiten und Freizügigkeiten abstoßend und anziehend zugleich erscheint. Seit Alfred Döblin in seinem in alle Weltsprachen übersetzten Roman ‚Berlin Alexander- platz. Die Geschichte von Franz Biberkopf‘ (1929) die Stadt Berlin selbst, das Kollektiv Stadt, zum Helden eines modernen Epos gemacht hat, gibt es eine spezifische Form von Großstadtliteratur, die am Paradigma Berlin die schrof- fen Brüche und die verborgenen Kontinuitäten der Geschichte im blutigsten Jahrhundert der Moderne, im 20., all denen bewusst macht, die „in einer Men- schenhaut wohnen und denen es passiert wie diesem Franz Biberkopf, näm- lich vom Leben mehr zu verlangen als ein Butterbrot“. In den 60er Jahren entwickelte sich dann in Ost und West, am Vorbild von Christa Wolf und Uwe Johnson, eine ‚Mauerliteratur‘, die nach 1989 in eine neue Art des Berliner Stadtmythos mündete. Diese Literatur deutet am Beispiel der Stadt der vielen Kulturen, der Begegnung und des Erschreckens, Entwicklungen des neuen Jahrhunderts vor. Durs Grünbeins ‚Das erste Jahr. Berliner Aufzeichnungen‘ (2001) gehört zu dieser neu perspektivierten Berlin-Literatur ebenso wie Fania Oz-Salzbergers Buch ‚Israelim‘ (deutsch unter dem Titel: ‚Israelis in Berlin‘) aus dem Jahr 2001, das (für deutsche Leser jedenfalls) eine Fülle jüdischer Stadtliteratur entdeckt und wiederentdeckt hat. Grünbein hat nach dem Schnellkurs in Kosmopolitismus, den er, aus der Mauerhaft befreit, im Jahr- zehnt nach 1990 nehmen konnte, einen Rückblick auf die Dekade der Versöh- nung und des Weltvertrauens gewagt, in deren Euphorie alles zu verschwin- den schien, Krieg und Gewalt, globale Bedrohung und Atomkrieg, Sozialneid und Elend: „Jetzt ist alles wieder da. Das Gedächtnis meldet sich wie ein diensthabender Wachmann, der nur eben eingeschlafen war, und nun reibt er sich verstohlen die Augen und bemerkt mit einem kurzen Blick auf den Kalender, dass ein ganzes Jahrzehnt vergangen ist.“ Dass dies in Berlin geschah, ist nachzuvollziehen, denn Berlin macht nicht nur den Israelis, die (seit Gershom Scholem, dem ‚ersten‘ aller Fellows) in großer Zahl an den Jahrgängen im Wissenschaftskolleg beteiligt sind, „das Geschenk der Erinnerung“. Fania Oz (die Historikerin aus Haifa) hat am Ende ihres Berlin-Jahres ein Buch publiziert, das zu schreiben sie niemals geplant hatte. Es ist aus der Begegnung mit der Stadtpersönlichkeit Berlins und mit dem Wissenschaftskolleg entstanden und fasst wie in einem Brennspiegel die vielen historischen und aktuellen Begegnungen von Israelis mit einer Stadt zusammen, die sie verabscheuen, weil in ihr der Genozid an den europäi- schen Juden geplant und in der bekannten Villa am Wannsee auch admini s- AMIT BHADURI · CRISTINA BICCHIERI · PETER BIERI · WOLF BIERMANN · RICHARD BIERNACKI ·

26 trativ eingeleitet wurde. Mit einer Stadt auch, die sie fasziniert, weil darin, zu unterschiedlichen Zeiten der Geschichte, von der Kaiserzeit bis in die Zeit WOLFGANG FRÜH WOLFGANG nach dem Fall der Mauer (und, wie bei Herbert Strauss nachzulesen ist, selbst in der Zeit der Verfolgung, bis etwa 1942) jüdisches (und dann auch israeli- sches) Leben außerhalb ‚Erez Israel‘ pulsiert. In dieser Stadt waren Erich Käst- ners Emil und seine Detektiv-Freunde, waren Pünktchen und Anton zuhause, die in der hebräischen Übersetzung so traumhaft ortlos zu leben scheinen: W

ALD „Berlin opens up secrets from books read long ago. Here is suddenly Erich Kästner, a beloved part of many Israeli childhoods. I went to see the very Nol- lendorfplatz where Emil and his detectives chased the thief, chased him all the way from my old Kibbutz library where the metal shelves were dusty and a cotton field glimmered beyond the window in the hot air. But the old Nol- lendorfplatz was dead and gone. Instead, I found the city of my childhood books, the early dreamlike imagining of a wintry European city, in corners of Charlottenburg and Moabit and Wedding.“ Das Buch, das Fania Oz-Salzberger schließlich, trotz der Bedenken von Jürgen Habermas, veröffentlichte, ist ein innerisraelischer Dialog über Tel Aviv und Berlin, über den Unterschied von Jerusalem und Tel Aviv, dem deutsche Leser zuhören mögen, wenn sie es denn wollen. Dieser Dialog erinnert mich an einen, mich in den 80er Jahren noch erschreckenden Vergleich, den ein israelischer Freund anstellte, als ich ihm den Unterschied zwischen West- und Ostberlin erklären wollte. „Wenn ich an der Ostküste der USA aus dem Flugzeug steige“, so meinte ich in diesem Ge- spräch, „fühle ich mich zuhause, in einer mir vertrauten Welt. Hinter dem Übergang am Bahnhof Friedrichstraße aber öffnet sich mir eine andere, mir ganz und gar fremde, unbekannte Welt.“ „Jetzt weißt Du“, hat mir der israeli- sche Freund geantwortet, „wie es mir ergeht, wenn ich von Tel Aviv nach Jeru- salem komme.“ Ich habe lange gebraucht, um diese trockene Art israelischen Humors, die Scherz auch mit dem Entsetzen treibt, zu verstehen. Bei Fania Oz-Salzberger gibt es einsichtige Erklärungen dafür. Aber das Buch von Fania Oz-Salzberger eröffnet auch anderen Nationen als den Israelis, nicht zuletzt den Deutschen, einen neuen Blick auf die Stadt, auf deutsche Geschichte, auf das deutsche Verhältnis zu Israel, das mit dem schlechten deutschen Gewissen gegenüber ‚den Juden‘ nicht in eins gesetzt werden darf. Vielleicht hilft ein solches Buch, sich zumindest des Rätsels be- wusst zu werden, weshalb „Grosny tot, Stalingrad-Wolgograd erstarrt und in die Ferne gerückt“ scheinen, während das im Jahr 1945 ebenso zerstörte Ber- lin „sich aus seiner Geschichte wie ein Phönix aus der Asche erhebt“. Das Ber- lin-Buch von Fania Oz ist ein Text, der zwischen Israelis und Deutschen genau das erstrebt, was das Wissenschaftskolleg mit jedem neuen Jahrgang von Fel- lows aus allen Ländern der Erde zu erreichen versucht: dass sie sich und uns näherkommen, dass wir uns und sie sich gegenseitig über die Grenzen der MANFRED BIERWISCH · NORMAN BIRNBAUM · HENDRIK BIRUS · JUSTIN KALULU BISANSWA ·

Sprachen, der Kulturen, der Wissenschaftsstile und -methoden hinweg zu 27 kennen beginnen, „but really know; not merely stereotype each other over and over again“. Ein solches Kennen geschieht – wenn es gut geht – im Kolleg FREIHEIT DER WIRKUNGEN wöchentlich, vielleicht sogar täglich. Freilich ist die in die Gesprächskultur des Kollegs eingebettete Begegnung – wie Fania Oz sagt: „the particular set of stimuli supplied by the Wissenschaftskolleg, the discursive threads woven through its colloquium discussions and daily lunch table talk and Thursday dinner table talk and newspaper-reading-room chats and bumping-into-fel- lows-at-the-photocopier prattle, all this lively fabric of Wiko intercourse“ – dem ursprünglichen Arbeitsvorhaben oftmals feindlich gesinnt. Sie erzeugt aber offenkundig jenen Innovationsschub im Denken und im Handeln, den sich die Gründer des Kollegs erträumt hatten. So ist es kein Zufall, wenn Joa- chim Nettelbeck den Eindruck hat, im Kolleg sei in 25 Jahren nur das umge- setzt worden, was Peter Wapnewski, Christoph Schneider und Jochen Stoehr 1980 im Memorandum zur Gründung des Wissenschaftskollegs aufgeschrie- ben haben. Dass er das eigene Licht damit unter den Scheffel stellt, sollte nicht verschwiegen werden.

5. Die Kontextualisierung des Wissens

Wer die Existenz des Wissenschaftskollegs partout theoretisch begründet sehen möchte, ist unter anderem auf Wolf Lepenies und Yehuda Elkana ver- wiesen. Das Kolleg, verdeutlicht Elkana zurecht, hat sich eben nicht am Leitfa- den einer vorgegebenen Theorie oder gar eines wissenschaftsphilosophischen Programms entwickelt. Es ist entstanden aus der Erkenntnis eines „zuneh- menden Bedarfs an wissenschaftlichen Synthesen“, im Blick auf eine Wissen- schaft, die sich weiterhin unaufhaltsam in die elfenbeinernen Türme der Spezialisierung und Überspezialisierung zurückzieht, statt, bei aller notwen- digen Spezialisierung, den (freilich reduktionistischen) Blick für die Zusam- menhänge und die produktive Verarbeitung der vielen Detailergebnisse zu größeren, fachübergreifend verständlichen Sektoren zu stärken. „Im Ideal- fall“, heißt es im Gründungsmemorandum, „sind Synthese und Vereinfachung selbst ein Schritt in Neuland und Ausgangspunkt für weitere Forschung.“ Im Weiteren aber enthält das Gründungsmemorandum, unter Berufung auf bereits existierende Institutes for Advanced Study in den USA und in Europa, lediglich die Formulierung von pragmatischen Vorschlägen, wie und wo ein solches Institut in Deutschland gegründet werden sollte. Trotzdem konnte Yehuda Elkana beim Rückblick auf 25 Jahre der Ent- wicklung konstatieren, dass der bleibende Eindruck von der Arbeit des Kol- legs in jener „Kontextualisierung des Wissens“ besteht, die der Philosoph MARIAN BISKUP · ANDREJ BITOW · ELKE BLUMENTHAL · GISELA BOCK · GOTTFRIED BOEHM ·

28 Ernst Cassirer schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als eine neue, die Aufklärung fortschreibende und sie zugleich öffnende Maxime des WOLFGANG FRÜH WOLFGANG Denkens empfohlen hat, „a Cassirerian contextualization of knowledge, rich in emphasizing the social and political influences on, or rather, interaction with, new ideas in all areas of knowledge“. Die Interaktion des disziplinär er- arbeiteten Wissens mit benachbarten, aber auch entfernten Formen und Fel- dern des Wissens und der Erfahrung, für die das Wissenschaftskolleg einen W

ALD fruchtbaren Boden zu bereiten sucht, gehört vermutlich in den Zusammen- hang jener Anthropologisierung des Wissens, die im 19. Jahrhundert abge- brochen ist, weil die zunehmende (und zunächst notwendige) Spaltung der Wissensfelder, die Entwicklung von experimentellen Naturwissenschaften auf der einen und emphatisch verstandenen Geisteswissenschaften auf der anderen Seite, die Institutionalisierung einer Gesamthumanwissenschaft Anthropologie scheinbar überflüssig machte. Odo Marquard (Fellow am Kol- leg 1982/83) hat 1985 – unter Hinweis auf Wolf Lepenies – verdeutlicht, dass und wie im 19. Jahrhundert „statt der Anthropologie die Biologie erfolgreich institutionalisiert [wurde]. Aus ihr wurde das Thema der Besonderheiten und Sonderbarkeiten des Menschen ausgeschlossen; seiner nahmen die Geistes- wissenschaften sich an: so […] kam es gewissermaßen als Konsequenz der miss- lungenen Institutionalisierung der Anthropologie gegen Ende des 19. Jahr- hunderts zur endgültigen theoretischen und institutionellen Durchsetzung der Geisteswissenschaften“. Die moderne Wissenschaftstheorie versucht seit langem, auf der Basis hoch entwickelter Detailwissenschaften zu jener Kontextualisierung und An- thropologisierung der in allen Wissenschaften gleichartig wirkenden Denk- formen zu kommen, von denen aus neue Wege, begehbare Wege auch durch die immer undurchdringlicheren Datengebirge der experimentellen Fächer, ihren Ausgang nehmen könnten. Yehuda Elkana hat als (normaler Einjahres-) Fellow im Wissenschaftskolleg (1988/89) das gleiche Erweckungserlebnis ge- habt wie viele Fellows vor ihm und nach ihm. Er kam in das Kolleg mit dem gut vorbereiteten Plan, ein Buch über Ernst Cassirer zu vollenden, „with spe- cial emphasis on the contextual sociology of knowledge framework, under- lying Cassirer’s work, which superficially looks like a history of embodied ideas“; er verließ es mit einem zwar unfertigen, aber im Konzept völlig verän- derten Buch: „Much more political, with a sharper and I hope deeper look into 20th century intellectual history and its social determination.“ Das also ist es, was täglich im Wissenschaftskolleg geschieht und dort auch geschehen soll, die Kontextualisierung disziplinär bereits weit entwickelter Pläne und damit ihre Neuperspektivierung, die nicht nur auf das je einzelne Projekt, sondern auf die fortan veränderte Arbeitsweise des Verfassers/der Verfasserin Einfluss hat. „Western capitalistic society“, lautet die nicht überall geteilte, PETER BOERNER · ORIOL BOHIGAS · TZOTCHO BOIADJIEV · JEAN BOLLACK · ROBERT BOYD · aber des Nachdenkens werte These Yehuda Elkanas, „reached its success due 29 to a series of values: universalism, absolutism, positivism, scientism and re- lentless technological progress“. Doch die aus eben diesem Erfolg entstehen- FREIHEIT DER WIRKUNGEN den, scheinbar unlösbaren (jedenfalls bisher ungelösten) globalen, sozialen und ökologischen Probleme können vermutlich nur durch einen neuen Wis- senstyp gelöst werden, „which is contextual, relativistic, comparative and man-centered“. Das Wissenschaftskolleg ist keineswegs die kühl rational ar- beitende und genial geplante Gedankenschmiede eines solchen Wissenstyps. Aber derart kontextualisiertes und deshalb umperspektiviertes Wissen ent- steht dort jeden Tag (emergent, das heißt: nicht rückführbar) und pflanzt sich von dort aus fort in Universitäten, Instituten und Gelehrtenstuben in aller Welt. Die Aufnahme von bisher insgesamt 1000 Fellows zählte das Kolleg im Jahr 2005. Wer unter ihnen einmal die Fülle der Anregungen erfahren hat, die von einer solchen Wissensgemeinschaft ausgeht, sucht sie auch in seiner nä- heren Umgebung zu etablieren. Vermutlich sind dies die stärksten (überindi- viduellen) Wirkungen der Freiheit, die das Kolleg gewährt. Sie einzeln aufzu- zählen, ist kaum möglich. Denn großenteils ist es ‚tacit knowledge‘, das im Kolleg entsteht und weitergegeben wird, ein persönliches, gleichsam habitu- elles Wissen, das in einer Zeit, in der ein scheinbar gleicher Wissensstand durch moderne Kommunikationsmedien schnell an allen Orten der Welt her- gestellt wer den kann, innovierend und oftmals auch wettbewerbsentschei- dend wirkt. Eines der gravierenden Probleme der längst prozesshaft verlaufenden Wissenschaft ist die (von Reinhart Koselleck, Fellow im Jahrgang 1987/88, so genannte) modernisierungstypische Beschleunigung des Erfahrungswandels. Das verbreitete Gefühl, einer reißenden Zeit ausgesetzt zu sein, macht den weltweit entfesselten Wettbewerb der Intensivforschung anfällig für Irrtü- mer, Fälschung und mechanische Wiederholung. Die durch den Eingriff des Menschen beschleunigte Evolution scheint aus sich heraus eine zweite Evolu- tion hervorzutreiben, deren Entwicklungsrichtung und Gesetzmäßigkeiten unbekannt sind. Jeder, der darüber nachzudenken versucht, steht selbst im Prozess des beschleunigten Erfahrungswandels und bildet damit jene blinden Flecken aus, die der Lösung des bedachten Problems entgegenstehen. Selbst jene, die einst den Gedanken einer dringlichen Entschleunigung des wissen- schaftlichen Wettbewerbs als frommen Wunsch belächelt haben, sehen in- zwischen, angesichts der sich häufenden Betrugsfälle, keinen anderen Ausweg, als einer solchen Entschleunigung das Wort zu reden. Die bislang unge löste Preisfrage allerdings lautet, wie es gelingen könnte, einen Prozess zu verlang- samen, der von wirtschaftlichen Gewinnerwartungen angetrieben wird, in den immer neue Akteure, ganze Völker und Wirtschaftssysteme eintreten? Es könnte sein, dass die den Institutes for Advanced Study in aller Welt zugrunde NICHOLAS BOYLE · ANDRÁS TAMÁS BOZÓKI · MAARTEN C. BRANDS · REINHARD BRANDT ·

30 liegende, recht einfache Idee, in der kreativen Ruhe eines anregenden Um- felds das eigene Arbeitsvorhaben noch einmal zu überdenken, das bisher ein- WOLFGANG FRÜH WOLFGANG zig wirksame Element einer solchen Entschleunigung ist. Paradoxerweise ist gerade das Faktum, dass junge, experimentell arbeitende Lebens- und Natur- wissenschaftler – ihrer Karriere und des sich verschärfenden Wettbewerbs wegen – von solchen Instituten eher abgeschreckt als angezogen werden, der beste Beleg dafür, wie notwendig gerade in diesen, einem globalen Wettbe- W

ALD werb nahezu hilflos ausgelieferten Fächern die Entschleunigung ist. Um der Entwicklung der Fächer selbst willen, nicht wegen ihrer Angleichung an an- dere Denk- und Arbeitsformen, ist möglichst vielen ihrer Akteure jene ent- schleunigende Möglichkeit zu wünschen, die Yehuda Elkana als die Praxis des „leaning back and rethinking the field you are working in“ bezeichnet hat. Gerade die experimentellen Lebenswissenschaften, denen häufig der Vorwurf gemacht wird, sie seien „overnewsed and underinformed“, bedürfen der Ent- schleunigung. Sie allein kann zu einer neuen Theoriebildung führen. Der Zürcher Zoologe Rüdiger Wehner, Permanent Fellow am Berliner Kolleg seit 1990, hat 1997 darauf hingewiesen, dass in der Biologie „auf vielen Gebieten von einer weiteren Vermehrung der experimentellen Datenbasis kein Wissen- schaftsfortschritt zu erwarten sein [dürfte], solange nicht theoretische Kon- zepte neue Wege weisen“. Die bisherigen Rektoren des Kollegs, Peter Wapnewski, Wolf Lepenies, Dieter Grimm, haben mit unterschiedlichem Temperament unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Arbeit gesetzt. Peter Wapnewski hatte mit den Schwie- rigkeiten des Anfangs zu kämpfen, mit der Anstiftung von Qualitätstraditio- nen, die im Kolleg inzwischen als selbstverständlicher Standard gelten. Wolf Lepenies hatte in drei Amtszeiten die Zeit und die Energie, zumal nach der Öffnung der Mauer, die ganze Fülle der Möglichkeiten des Kollegs auszu- schöpfen. Zur Zeit seines Rektorats wurden berühmte und erfolgreiche Ar- beitsschwerpunkte gebildet, die unmittelbar übergingen in das kulturelle und akademische Leben (nicht nur in Deutschland). Ihm gelang es, gleichzei- tig in den USA, in Mali und in Osteuropa präsent zu sein, ein Netzwerk von Institutes for Advanced Study zu bilden, Preise zu stiften, das Institut (auch in der Finanzierung) zu europäisieren, etc. etc. Dieter Grimm aber hatte die Mög- lichkeit, nach dem starken Rektorat des in allen Himmelsrichtungen tätigen Wolf Lepenies, sich wieder deutlicher auf das Kolleg selbst und seine Fellows zu konzentrieren. Er hat diese Chance genutzt. Wahrscheinlich ist der Streit um die Tischordnung und das gemeinsame Essen tatsächlich charakteristisch für die Mühen des Anfangs. Den Stil des Hauses in der Zeit, in der Wolf Lepe- nies Rektor war, hat wohl am besten (wenn auch satirisch) Péter Esterházy be- schrieben, der seinem Vortrag im Kolleg am 10. Juli 1997 einen Appendix, Sätze, angefügt hat. Einer davon lautet: „Srini – Professor Mandyam V. Sriniva- JOCHEN BRANDTSTÄDTER · RUDOLF BRAUN · PHILIPPE BRAUNSTEIN · HORST BREDEKAMP · san – meint, dass das deutsche Deutsch schwerer sei als das schweizer Deutsch. 31 Er versteht – zum Beispiel – manchmal kaum, was unser Herr Rektor sagt. Oh, WIRKUNGEN DER FREIHEIT DER WIRKUNGEN Srini. Der Grund dafür ist, dass es in jedem Lepenies’schen Satz mindestens 6 Anspielungen gibt, von denen er selber etwa 5 mitkriegt, die weltbesten Fach- leute höchstens 3, wir normal Sterblichen so zwischen 0,4 und eins. Außer Jens: er versteht 2, von denen er aber eine immer missversteht.“ Für das Rekto- rat Grimm aber scheint mir charakteristisch zu sein, dass die Zuwendung der Fellows zum Kolleg, als einem Ort des Glücks, niemals vorher so konkret greif- bar war wie in den Jahren seit 2001/2002. Mir haben sich die Worte des rumä- nischen Architekten Kázmér Tamás Kovács (aus dem Jahrgang 2002/2003) eingeprägt, der seinen Glücksstern preist, der ihn ins Kolleg geführt habe. Das Motto seines Abschlussberichtes ist der Paradiesesvision aus ‚Alice in Wonder- land‘ entnommen. In seinem Bericht aber heißt es: „One’s confidence in hu- mankind cannot but come out strengthened, after having had the privilege of being a Wiko Fellow. […] When I left the Wallotstraße (it was scented with the blossom of the linden tree), it seemed as if I was closing behind me the door of childhood.“ Schlagwortartig – und damit gewiss ungerecht – ist der unter- schiedliche Stil der Rektorate kurz mit gebildet, europäisch-gelehrt und kom- munikativ zu charakterisieren. Auf das rektor-orientierte Kolleg folgte das fellow-zentrierte Kolleg. Für alle anderen Orientierungen ist an diesem freies- ten (und vielleicht anregendsten) Ort im europäischen Wissenschaftssystem noch genügend Raum. Erstaunlich – nach so vielen Möglichkeiten unter- schiedlicher Gewichtung – ist aber, dass ein Leser, der die Bände des Jahrbuchs ohne Kenntnis der wechselnden Rektorate läse, zwar die politischen und sozi- alen Einschnitte der vergangenen 25 Jahre sehr wohl bemerkte, sich des jewei- ligen Wechsels im Rektorat aber eigens versichern müsste. Dies liegt an der gleichbleibend hohen und schon im Gründungsmemorandum angezielten, wissenschaftlichen Qualität der Fellows, an der Qualität der Betreuung auf höchstem Niveau, an der Vitalität und Kreativität fördernden Atmosphäre des Kollegs, die sich, wenn überhaupt möglich, von Jahrgang zu Jahrgang ver- dichtet hat. Im Blick vieler (des Vergleichs fähiger) Fellows hat das Wissen- schaftskolleg zu Berlin, nicht nur wegen seiner der Gemeinsamkeit förderli- chen Größe, sondern wegen der energisch angestrebten Interna tionalität und wegen der hier möglichen Symbiose der Fächer, der Stile, der Individualitä- ten, sein Vorbild Princeton an Qualität überholt. Unter dem Rektorat Lepenies hat sich das Kolleg aus einem Ort, der For- schung stimuliert, zu einem Ort entwickelt, an dem auch Forschung stattfin- det. Das Prinzip ‚Forschen mit‘, statt ‚Forschen über‘ hat sich dabei als ein zu- kunftweisendes Konzept (auch und gerade gegenüber der islamischen Welt) bewährt. Nicht alle Arbeitsschwerpunkte waren gleichermaßen erfolgreich, drei dieser Schwerpunkte aber haben ernstgemacht mit der Kontextualisie- JOHN BREUILLY · ÉRIC BRIAN · JOHN S. BRIGGS · GUNNAR BROBERG · FREDERICK K. BROWAND ·

32 rung des Wissens, ein sozialwissenschaftlicher, ein lebenswissenschaftlicher und ein geisteswissenschaftlicher Schwerpunkt. Der Schwerpunkt zur Wis- WOLFGANG FRÜH WOLFGANG senschaftsforschung (mit Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie) war zunächst gedacht als Anregungspotential (mit Orientierungsanspruch) für die Gemeinschaft der Fellows. Sie sollten auch darüber nachdenken, weshalb „das Vertrauen in Wissenschaft und Technik schwindet“, so dass „die Legitimität der Industriezivilisation im Kern be- W

ALD droht“ ist. Für Wolf Lepenies nämlich ist „Aufklärung über Wissenschaft“ ein unentbehrlicher Bestandteil wissenschaftlicher Ausbildung und Forschung. Trotz des Willens, Wissenschaftsforschung nicht disziplinär zu verfestigen, stand dieser Arbeitsschwerpunkt des Kollegs im Grunde schon seit 1983/84 (mit Thomas P. Hughes, Timothy Lenoir und anderen) Pate für das 1993 in Ber- lin gegründete Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Dass es nicht gelungen ist, die Wissenschaftsforschung (außer z. B. in Bielefeld) auch an den deutschen Universitäten fest zu verankern, dass im Gegenteil die wenigen wissenschaftsgeschichtlichen Lehrstühle deutscher Universitäten heute vom Aussterben bedroht sind, ist nur ein Beleg dafür, wie fern kontextualisierte Wissensentstehung den Universitäten noch immer liegt, wie notwendig (und singulär) das Berliner Kolleg ist. Der Schwerpunkt Theoretische Biologie, den Rüdiger Wehner entscheidend und entschieden geprägt hat, stand 1993/94 an der Wiege des Innovationskollegs gleichen Namens an der Berliner Hum- boldt-Universität und war ursächlich für das Institut für Theoretische Biolo- gie, dem ersten seiner Art im deutschen Sprachraum, an der gleichen Univer- sität. Am 27. Juni 1997 wurde es gegründet. Rüdiger Wehner hat aus diesem Anlass in der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘ einen informativen und verständli- chen Aufriss des Faches gegeben, in dem die Wissenschaft, die es mit dem De- sign und der Funktionsstruktur biologischer Systeme zu tun hat, als „die Wissenschaft vom Komplexen“ definiert und somit in unterschiedlichen Wis- sens- und Forschungsfeldern als wirksam erkannt wird: „Eine allgemeine Theorie des evolutiven Wandels zu entwerfen, rückt in den Bereich des Mögli- chen. Gleichzeitig dürften sich damit die Gewichte in Jacques Monods ‚Le Ha- sard et la Nécessité‘ ein wenig mehr zum Notwendigen hin verschieben.“ Der dritte weithin sichtbare und in seiner Notwendigkeit kaum der Rechtferti- gung bedürftige Schwerpunkt gilt dem Thema Moderne und Islam. Ein – eng mit der Freien Universität verzahnter – Arbeitskreis dieses Namens wurde 1994/95 gegründet und 2001 für weitere fünf Jahre verlängert. Der in Siegen geborene Islamwissenschaftler Navid Kermani, der heute als freier Schriftstel- ler in Köln lebt, kam 2001 als Long-Term-Fellow ans Kolleg und traf dort auf den syrischen Poeten und Essayisten Adonis. Der iranische Religionsphilo- soph und Reformpolitiker Abdolkarim Soroush, der in seinem Vortrag über Dschelaleddin Rumi „die Bescheidenheit als Grundvoraussetzung religiösen HENRIK BRUMM · JACQUES BRUNSCHWIG · LÁSZLÓ BRUSZT · GÜNTER DE BRUYN ·

Erlebens“ verkündete und verkörperte, folgte ihnen im Jahrgang 2004/05. Die 33 Gelehrsamkeit und die Poesie des Orients, die Weisheit von dessen Mystik, zieht seit 1994/95 verstärkt ein ins Wissenschaftskolleg und trifft sich dort FREIHEIT DER WIRKUNGEN zum Disput mit jüdischer und christlicher Gelehrsamkeit. Mit dem politisch aufgeladenen Stichwort Islamdialog ist das hier begonnene Gespräch über Religion, die nach abendländisch-aufklärerischer Tradition der Modernisie- rung nicht zugänglich ist und doch zu einem Element der rationalisierenden Moderne wurde, nur unzureichend gekennzeichnet. Vielleicht hat das, was hier zu verhandeln ist, am deutlichsten Navid Kermani am 25. November 2001 im Kolleg erläutert, wenn er davon sprach, dass „die Auffassung vom dichterischen Akt als einem mit Gott rivalisierenden und daher potentiell frevlerischen Verhalten […] zu einem Grundthema der arabischen Literatur [wurde]“. Aus heutiger Sicht verbinde die arabischen Poeten „gerade die An- fechtung des orthodoxen oder auch nur althergebrachten Glaubens ‚mit dem prometheischen Unternehmen der modernen Dichtung‘, wie es Octavio Paz bezeichnet, nämlich ‚dem gegenüber, was uns die heutigen Kirchen bieten, ein neues Heiliges‘ schaffen zu wollen“. Am Beispiel von Adonis hat er diesen Prozess der ‚Enthäutung‘ der Poesie von Religion verdeutlicht: „Sein Werk lässt sich als eine leidenschaftliche, manchmal gewalttätige, manchmal ins Zärtliche über gehende Auseinandersetzung mit der eigenen geistigen und ästhetischen Tradition lesen. Ein religiöser Zug durchzieht es und macht es gleichzeitig unfromm.“ Ähnlich hat schon Goethe über den persischen Dich- ter Hafis, seinen Bruder im Geiste der Poesie und des Weines, und über den geheimnisvollen Dschelaleddin Rumi, „das Orakel der Sufis, die Nachtigall des beschaulichen Lebens“, gesprochen: „Verweilst du in der Welt, sie flieht als Traum, / Du reisest, ein Geschick bestimmt den Raum.“ Im Westen lange latent vorhandene Traditionen werden im Wissenschaftskolleg in der Begeg- nung mit dem Osten wieder erweckt.

Die Querelen, welche die Anfangsjahre des Wissenschaftskollegs belasteten, sind vom Fortgang der Zeit überholt, behoben, geklärt. Die Tür in den Osten Europas ist weit geöffnet, der (auch damals, 1982/83 schon, fehlgehende) Vor- wurf des Eurozentrismus ausgeräumt. Die Behauptung, dass Frauen am Kol- leg unterrepräsentiert seien, ist durch die Realität der Jahrgänge widerlegt, auch wenn es bis zum Jahrgang 2004/05 gedauert hat, ehe die feministische Debatte mit Wucht im Kolleg angekommen ist. Fünfzehn der Fellows dieses Jahrgangs waren Frauen, der Umgangsstil, meinte Ute Frevert, die den Ver- gleich zum Jahrgang 1989/90 hatte, habe davon profitiert, die Gesprächsat- mosphäre schien ihr „lockerer, witziger, weniger agonal“. Kinder sind am Kol- leg eine Selbstverständlichkeit, die – oftmals gelehrten – Partnerinnen und Partner der Fellows fühlen sich angenommen, aufgenommen, betreut, als ob TILMAN BUDDENSIEG · ANSGAR BÜSCHGES · PETER BURKE · MYLES BURNYEAT · PHILIPPE BURRIN ·

34 sie selbst Fellows wären, und haben deshalb keinen Grund, mit ihrem Status zu hadern. Die vom Kolleg angebotenen Deutschkurse erweisen sich immer WOLFGANG FRÜH WOLFGANG deutlicher als Kitt der Gemeinsamkeit, auch wenn das Problem der Sprache am Kolleg weiterhin ein Dauerbrenner ist und auf Deutsch gehaltene Vor- träge und Kolloquien aus der Befürchtung heraus, unter mangelnder Teilneh- merzahl aus dem Kreis der Fellows leiden zu müssen, selten geworden sind. Die theoretischen Natur- und Lebenswissenschaften (in denen Englisch die W

ALD unbefragte Arbeitssprache ist) sind zu einem festen Bestandteil der Arbeit des Kollegs geworden. Auch jüngere Fellows scheinen sich inzwischen am Kolleg wohlzufühlen, 2004/05 war ein Viertel aller Fellows und Gäste jünger als 40 Jahre. In Berlin ist das Kolleg als ein wichtiger Faktor im kulturellen und im akademischen Leben der Stadt fest verankert, das Kolleg ist lebendiger denn je. Es ist – durch die sorgfältige, betont internationale Zusammenset- zung seiner Jahrgänge, durch die Schwerpunktsetzungen und das stimulie- rende Gespräch – den wirklich brennenden Themen der Zeit nicht nur auf der Spur, sondern meist einen Schritt voraus. Vermutlich fühlen sich die Fellows am Kolleg noch immer so, wie dies in den Selbstbeschreibungen des Instituts in den 90er Jahren nachzulesen ist: Sie leben „ein Jahr lang in der Fremde, wie Ethnologen in einem höchst exotischen Stamm – einem Stamm, der nur aus Ethnologen besteht“. Die Aufgabe des Kollegs aber ist auch weiterhin die je- nige, welche Wolf Lepenies (1986), am Beispiel eines Zitats aus dem Essay ‚The Limitations of Dickens‘ von Henry James, erläutert hat. Henry James nämlich meinte: „A community of eccentrics is impossible.“ Auch in Zukunft, sagte dagegen Wolf Lepenies, werde „das Wissenschaftskolleg vor der Aufgabe ste- hen, Henry James Jahr für Jahr zu widerlegen – in der Hoffnung, dass aus drei Dutzend gelehrten Exzentrikern eine Gruppe, eine Gemeinschaft, ein vis ible college wird“. Damit hat er das Kolleg ähnlich positioniert, wie sein Nachfol- ger im Amt des Rektors, der die gesellschaftspolitische Akzentsetzung noch- mals zuspitzte. „Produktive Irritation“, sagte Dieter Grimm bei der Übernah me des Rektorats (am 2. Oktober 2001) sei der Kern dessen, was die Fellows im Haus an der Wallotstraße erfahren. Daraus ergebe sich heute die „gesteigerte Not- wendigkeit“ des Kollegs: „Es gehört zu jenen – abnehmenden – Inseln des Nicht-Kommerziellen, von denen aus die Konsequenzen der vorherrschenden technisch-ökonomischen Rationalität überhaupt noch unabhängig beobach- tet und beurteilt werden können.“

Anmerkung Ich danke den Gesprächspartnern (Fellows, Gästen, Wissenschaftlern, Admi- nistratoren), die mir zu Auskünften über das Wissenschaftskolleg zu Berlin zur Verfügung standen, und hoffe, dass ich ein Profil des Kollegs zeichnen konnte, das auch ihren Erfahrungen entspricht. IAN BURUMA · ERHARD BUSEK · AXEL VON DEM BUSSCHE · CAROLINE WALKER BYNUM ·

Insbesondere danke ich Reinhart Meyer-Kalkus, der mir Material aus dem 35 Archiv des Wissenschaftskollegs zugänglich gemacht und meine vielen De- tailfragen mit immer gleich bleibender Geduld und souveräner Kenntnis be- FREIHEIT DER WIRKUNGEN antwortet hat. Ich danke auch Dorothea Koch (der ehemaligen Sekretärin des Gründungsrektors), die mir ihre sorgsam gehüteten Materialien aus der Grün- dungsphase des Kollegs, darunter den Film des WDR, anvertraut hat. Wallotstraße 19, Vorderansicht.

Wallotstraße 19, Seitenansicht. Salon der Wallotstraße 19 um 1930.

Clubraum der Wallotstraße 19 im Jahr 2006. Neubau, Wallotstraße 21, Straßenansicht.

Neubau, Wallotstraße 21, Gartenansicht. Weiße Villa, Koenigsallee 21.

Villa Jaffé, Wallotstraße 10. Villa Walther, Koenigsallee 20. Dieses Haus hatte Fortune ...

Peter Glotz, Otto Häfner, Joachim Nettelbeck, Christoph Schneider, Jochen Stoehr, Peter Wapnewski im Gespräch

Joachim Nettelbeck: Statt einen Historiker mit der Rekonstruktion der Geschich te des Wissenschaftskollegs zu beauftragen, schien es uns angemes- sener und reizvoller, die Hauptakteure bei der Gründung der Institution nach ihren Erinnerungen zu befragen. Die unterschiedlichen Akzente, die Sie dabei setzen, können etwas von Interessen, Sichtweisen und Temperamenten ver- deutlichen, die damals zusammengekommen sind – wie auch von den rück- wirkenden Interpretationen, die in Kenntnis der nachfolgenden Geschichte des Wissenschaftskollegs entstanden sind. – In der Wochenzeitschrift ‚Focus‘ haben Sie, Peter Glotz, kürzlich jene Leistung genannt, auf die Sie in Ihrem Leben besonders stolz seien: die Gründung des Wissenschaftskollegs zu Berlin im Jahr 1980. Das war in Ihrer Zeit als Senator für Wissenschaft und For- schung in Berlin. Peter Glotz: Ich bin 1977 Senator geworden. Im Frühjahr 1978 machte ich dann eine zweimonatige Informationsreise durch die USA, um Universitäten und akademisch-wissenschaftliche Institutionen kennenzulernen. Die Idee von Institutes for Advanced Study wurde damals in der Bundesrepublik vieler- orts diskutiert, und so habe ich nicht versäumt, die Institute in Princeton (Institute for Advanced Study) und in Stanford (Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences) zu besuchen. Auch führte ich eine Reihe von Gesprä- chen mit Professoren und Intellektuellen, darunter mit meinem Lehrer Eric Voegelin, u. a. zu der Frage, ob man ein solches Institut auch in Deutschland aufbauen könne. Bei meiner Rückkehr nach Berlin ergaben sich dann auf un- vorhersehbare Weise zwei Umstände, die die Umsetzung dieser Idee beschleu- nigten: So forderte mich der Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe auf, mir Gedanken darüber zu machen, wie man des 25. Todestags des ersten Re- gierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter, angemessen gedenken könne. Ernst Reuter hatte Verfolgung und Emigration unter den Na tional- sozialisten erlitten und später entscheidend zur freiheitlichen Entwicklung der Stadt beigetragen. Ich schlug dem Senat die Errichtung eines Ernst-Reuter- ISO CAMARTIN · SCOTT CAMAZINE · MICHAEL CAMILLE · NANCY CARTWRIGHT · JOSÉ CASANOVA ·

42 Zentrums für internationale wissenschaftliche Begegnung und eines Instituts für fortgeschrittene Studien in Erinnerung an den ersten Regierenden Bürger- G

ES meister vor. Senat und Abgeordnetenhaus machten sich diese Idee im Oktober P RÄ 1978 zueigen. In dem Beschlusstext heißt es u. a., dass mit dieser Initiative an C

H die „durch Nationalsozialismus und Krieg unterbrochenen Verbindungen zu wichtigen geistigen Strömungen“ wieder angeknüpft werden solle, die „teil- weise bis heute in Deutschland unterrepräsentiert sind, um die Stadt fester in die internationale Kommunikation einzubinden und bedeutende Gelehrte aus aller Welt nach Berlin zu bringen“. – Damit war die politische Grundlage für die Schaffung eines Institute for Advanced Study in Berlin geschaffen. Ein weiterer Zufall kam hinzu: Dem Senat wurde eine renovierungsbedürftige repräsentative Villa in der Wallotstraße 19 am Halensee vermacht, die nach dem Kriege bis 1976 als Offizierskasino der Briten gedient hatte. Es entstand die Idee, zwei Institutionen dort unterzubringen, die zusammenzupassen schienen: einmal die sogenannten Dahlem-Konferenzen, die seit den 70er Jahren internationale Workshops zu Themen aus den Life Sciences organisier- ten, sowie das neu zu schaffende Reuter-Zentrum. Dass diese Symbiose sich nach einigen Jahren wieder auflösen und die Dahlem-Konferenzen ein eige- nes Domizil außerhalb der Wallotstraße finden sollten, konnten wir damals nicht voraussehen. Joachim Nettelbeck: Was war Ihre wissenschaftspolitische Motivation dafür, sich für ein Institute for Advanced Study in Berlin einzusetzen? Peter Glotz: Die Situation an den Berliner Universitäten, vor allem an der Freien Universität, war infolge der Nachbeben von 1968 immer noch schwie- rig und das Bild von Berlin als Wissenschafts- und Forschungsstandort in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit entsprechend problematisch. Man musste versuchen, neue Institutionen zu schaffen, um den Ruf Berlins wieder- herzustellen. Das konnte man mit naturwissenschaftlichen Institutionen tun, die von politischen Querelen unbehelligt waren, oder aber mit Einrichtungen wie dem Wissenschaftskolleg. Ein anderer, für mich wichtiger Aspekt war der Wunsch, jener Intelligenz, die nach 1933 Deutschland verlassen musste, wie- der eine Heimstatt in Berlin zu geben. Das betraf zum einen die jüdische Intel- ligenz, zum anderen aber aus politischen Gründen Vertriebene wie viele Ge- lehrte in meinem eigenen Fach, der Politischen Wissenschaft. Am Beispiel meines Lehrers Eric Voegelin hatte ich erleben müssen, wie miserabel viele dieser Emigranten nach dem Krieg in Deutschland behandelt wurden. Da lag die Überlegung nahe, institutionelle Grundlagen dafür zu schaffen, dass wir solche Gelehrte zumindest für ein akademisches Jahr zurückholen konnten. All das amalgamierte sich mit der Idee eines Institute for Advanced Study. Es sollte eine von den Universitäten unabhängige Institution sein, um zu vermei- den, dass ihre Entscheidungen zum Gegenstand inneruniversitärer Auseinan- CESARE CASES · GERHARD CASPER · MARCELLO DE CECCO · ABDELMAJID CHARFI · dersetzungen würden. Andererseits sollten vielfältige Beziehungen zwischen 43 dem Institut und den Universitäten zu beider Vorteil entstehen: Rektor und G

Permanent Fellows sollten von den Universitäten berufen werden und dort RÜNDUNGSGES lehren, ihre eigenen Präsidenten in der Mitgliederversammlung des Instituts mitwirken. Otto Häfner: Aus meiner Sicht gab Peter Glotz den entscheidenden politi- schen Anstoß zur Gründung des Wissenschaftskollegs. Es ist aber wichtig zu C sehen, dass die Zeit für die Idee, Institutes for Advanced Study in Deutschland HI C zu etablieren, einfach reif war. Es hatte bereits eine ganze Reihe von Anläufen HTE dazu gegeben. Sie scheiterten zunächst vor allem daran, dass es für ein derar- tiges Unternehmen weder beim Bund noch in den Ländern Unterstützung gab. Die gab es dann in Berlin dank Peter Glotz. Es gehört zur Vorgeschichte der Berliner Gründung, dass bereits 1964 recht weit gediehene Pläne für eine ‚Gesellschaft für kultur- und sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung‘ (Richard Alewyn, Helmut Schelsky, Ernst-Joachim Mestmäcker und andere) an die VolkswagenStiftung herangetragen worden waren. Das Kuratorium der Stiftung zeigte zunächst Interesse an dem Projekt, zögerte aber letztlich, den Vorschlag aufzugreifen. Überlegungen, die die Kuratoren Walther Killy und Richard Löwenthal Anfang der 70er Jahre verfolgten, wie auch der 1977 von Gerd Brand (dem Vorstandsmitglied der Thyssen-Stiftung) entwickelte Plan für ein deutsches Wissenschaftskolleg stießen kurzfristig auf Resonanz, konn- ten aber aus je unterschiedlichen Gründen nicht realisiert werden: Rolle und Form der Beteiligung der Universitäten waren strittig, die Standortwahl schwierig, hohe einmalige Investitions- und laufende Kosten schreckten, vor allem aber fehlte es an Unterstützung aus Politik und Wissenschaftsverwal- tung. – Um angesichts gestiegener Lehrbelastungen dennoch Freiräume für die Forschung zu schaffen, bot die VolkswagenStiftung ab 1971 Hochschulleh- rern, die eine größere Arbeit beginnen oder abschließen wollten, die Finan- zierung zusätzlicher Freisemester (‚Akademie-Stipendien‘) an; auch im Kon- text mit dem Ausbau der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel zu einer Studien- und Forschungsstätte der Frühen Neuzeit wurde die Idee eines Cen- ters for Advanced Study mit internationaler Anziehungskraft erwogen. Die VolkswagenStiftung unternahm dann 1977 einen neuerlichen eigenen An- lauf: Edith Hagenguth, Referentin der Abteilung Geistes- und Gesellschafts- wissenschaften, besuchte Institutes for Advanced Study in den USA sowie in den Niederlanden und informierte sich eingehend über deren institutionelle Anlage, Arbeitsweise, Finanzierung, Leitungsstrukturen etc. Die aus dieser Recherche entstandene Denkschrift einschließlich der daraus für eine ver- gleichbare Einrichtung in Deutschland zu ziehenden Schlussfolgerungen waren Peter Glotz bei seiner USA-Reise bekannt, und sie sind dann auch in die vorbereitenden Gespräche zur Gründung des Kollegs im Aspen Institute Ber- PARTHA CHATTERJEE · ABDALLAH CHEIKH-MOUSSA · KARINE CHEMLA · KEN CHENG ·

44 lin eingeflossen. Die VolkswagenStiftung hatte angesichts dieser Vorgeschich- te ein starkes eigenes wissenschafts- und stiftungspolitisches Interesse an G

ES einer derartigen Institution in Deutschland. Ohne ihre Zusage im Sommer P RÄ 1980, mit 3,5 Mio. DM den Haushalt des Wissenschaftskollegs zusammen mit C

H dem Land Berlin in der Startphase zu tragen, wäre die Gründung wohl nicht zustande gekommen. Jochen Stoehr: Ich erinnere mich, wie Peter Glotz aus Amerika zurückkam. Er hatte dort einiges kennengelernt und sagte: „So was machen wir auch!“ Die Berliner Wissenschaftspolitik war auf Sinnsuche: Was kann man tun, um diese Stadt attraktiver zu machen? Für die Dahlem-Konferenzen hatte Silke Bernhard, deren Leiterin, das Haus in der Wallotstraße 19 gefunden, das sollte ausgebaut werden. In dieser Situation sagte Peter Glotz: „Ich mache etwas ganz anderes!“ Der Konflikt mit Silke Bernhard war dann freilich unvermeidlich. Über Nacht verlor sie praktisch das Haus und wurde Untermieterin in der Wallotstraße. – Ich selber kam erst später ins Spiel, etwa im Herbst 1979. Eines Tages erhielt ich einen Anruf von Peter Glotz, ich hätte mich im Reichstagsge- bäude einzufinden, wo gerade der Wissenschaftsrat tagte. Dort ging er mit einem hoch gewachsenen, englisch gekleideten Herrn auf und ab. Das war Peter Wapnewski. Peter Glotz stellte mich ihm vor: „Das ist der Herr Stoehr, der wird sich darum kümmern.“ Von dem Augenblick an habe ich das Projekt betreut, und ich muss sagen, es hat mein Leben verändert durch die Ansprü- che, die es stellte, und die Kontakte, die sich daraus ergaben. Peter Wapnewski: Ich erinnere mich an den Wandelgang im Reichstag, wo wir einander vorgestellt wurden, ich entsinne mich des eminent skeptischen Gesichtsausdrucks, mit dem Sie mich begrüßten. Christoph Schneider: Aus der historischen Rückschau stimmt zwar alles, was gesagt worden ist zu diesem Willensakt von Peter Glotz, aber es war nicht der erste in seiner Politik zugunsten einer Veränderung der akademischen Land- schaft in Berlin. Er war einer von mehreren, und diese staffeln sich wie eine Serie von kleinen Willensexplosionen, aus Berlin ein Zentrum der geistigen Auseinandersetzung mit der Zeit zu machen. Es gab – parallel zum Wissen- schaftskolleg – die Erneuerung der Philosophie an der FU mit der Berufung von vier neuen Professoren und andere Projekte. Glotz verstand sich als Einzel- ner, der politische Verantwortung trägt und politische Zeichen setzen wollte. Jochen Stoehr: Peter Glotz brachte tatsächlich Unruhe und den Hauch der großen weiten Welt in dieses Provinznest. Er umgab sich mit einem Küchen- kabinett unkonventioneller Gestalten. Er rüttelte alles durcheinander und brachte Tempo und Ideen ins Geschäft. Berlin war ja in dieser Zeit behäbig geworden, weil es sich um nichts kümmern musste, es lief alles von allein, weil die Alliierten für uns zuständig waren. Peter Glotz tanzte natürlich auf vielen Hochzeiten, er war immer schwer zu kriegen. Man musste ihn immer MURAT ÇIZAKÇA · GREGORY CLARK · KARL CLAUSBERG · LARS CLAUSEN · BERNHARD I. COHEN · wieder einfangen, aber wenn man ihn eingefangen hatte, dann konnte man 45 sich auf ihn verlassen, weil er große Durchsetzungskraft und ein gutes Stan- G ding bei der Berliner SPD hatte und auch mit Vertretern der Opposition spre- RÜNDUNGSGES chen konnte. Ohne diese politische Durchsetzungskraft hätte man die vielen Widerstände gegen das Wissenschaftskolleg aus den beiden Berliner Universi- täten nicht überwinden können. : Herr Glotz war es auch, der Herrn Wapnewski als Grün-

Christoph Schneider C dungsbeauftragten der neuen Institution von seiner Professur in Karlsruhe HI C nach Berlin lockte. HTE Peter Glotz: Wir kannten uns zwar vorher schon aus dem Kuratorium des Goethe-Instituts, doch eigentlich kennengelernt habe ich Peter Wapnewski erst im Herbst 1978, als ich ihn in Baden-Baden aufsuchte und ihm das Vorha- ben erläuterte. Es war ja klar, dass ich keinen prononcierten Berliner Links- intellektuellen zum Gründungsbeauftragen machen konnte. Ich brauchte einen bedeutenden und angesehenen Gelehrten, der uns gegenüber den eher konservativen Wissenschaftsorganisationen der ‚Heiligen Allianz‘ den Rücken freihielt. Nur wenn die Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsge- meinschaft und andere mitmachten, konnte es gelingen. Es durfte keine Ver- anstaltung des Berliner Senats allein sein. Wenn ich mich recht erinnere, war es Hellmut Becker, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsfor- schung, der mich auf den Gedanken brachte, Peter Wapnewski zu berufen. Peter Wapnewski: Es fing tatsächlich mit einem Anruf von Hellmut Becker im Spätsommer 1978 an. Er erläuterte mir am Telefon, was man sich in Berlin ausgedacht hatte. Ich war sehr beeindruckt von diesem Vorhaben, doch muss ich gestehen, dass ich mich ohne das Drängen meiner Frau wahrscheinlich nicht auf dieses Abenteuer eingelassen hätte. Sie wollte in das aufregende, großstädtische Berlin, ich wollte es nur zögernd, konnte mich aber dem Reiz der Aufgabe nicht entziehen. Es sollte dann tatsächlich das Schönste und Wichtigste werden, was ich in meinem beruflichen Leben tun durfte. Auf Ein- ladung von Peter Glotz reisten wir im Spätherbst 1978 nach Berlin. Während eines Abendessens im Restaurant ‚Don Camillo‘ haben wir Einvernehmen über alles Wesentliche erzielt, über das Vorhaben, seine Grenzen und Mög- lichkeiten und meine denkbaren Fähigkeiten, diesem Anspruch gerecht zu werden. Wir haben uns gewissermaßen durch Handschlag geeinigt. Christoph Schneider: Das neue Institut sollte einen Spagat zwischen der Ber- liner Wissenschaft und der internationalen Scientific Community vollbrin- gen. Die Berliner Universitäten mussten also zu Mitträgern des Instituts wer- den. Nur so konnte es glaubwürdig in Berlin verankert werden. Doch war dies, angesichts der damaligen Berliner Wissenschaftslandschaft, keineswegs un- problematisch. Sie selber, Herr Wapnewski, kannten sie ja aus eigener leidvol- ler Erfahrung. MARK R. COHEN · ROBERT S. COHEN · JAMES S. COLEMAN · DIETRICH CONRAD · SEBASTIAN CONRAD ·

46 Peter Wapnewski: Wichtig erschien mir von Anfang an, dass der Rektor des Wissenschaftskollegs einen Lehrstuhl an einer der Berliner Universitäten G

ES haben müsse. Der Rektor soll ein tätiger Professor sein und kein dem akade- P RÄ mischen Leben entfremdeter Wissenschaftsfunktionär. Doch gab es Schwie- C

H rigkeiten, mich von Karlsruhe nach Berlin zu transferieren. Es hätte meine dritte Berufung an die FU werden können, doch funktionierte dies trotz der Bemühungen meines Freundes Eberhard Lämmert, des damaligen Präsiden- ten der FU, nicht. Er konnte die Gremien der FU nur in Millimeterschrittchen davon überzeugen, dass es vorteilhaft wäre, den Altgermanisten Peter Wap- newski ein weiteres Mal zu berufen. Die Technische Universität (TU), pragma- tisch wie sie organisiert war, reagierte schneller. Sowohl ihr Präsident Jürgen Starnick als auch die geisteswissenschaftliche Fakultät, nicht zuletzt der Lite- raturwissenschaftler Norbert Miller und der Althistoriker Werner Dalheim, traten für meine Berufung an ihre Universität ein und haben innerhalb von wenigen Wochen einen Lehrstuhl für mich geschaffen, den es noch gar nicht gab. Ich habe dort meine Vorlesungen und Übungen gehalten und – wenn auch in begrenztem Rahmen – als normaler Professor gelehrt. Für die Vitali- tät ihrer freundschaftlichen Gefühle bin ich der TU noch heute dankbar. Jochen Stoehr: Bei politischen Willensakten neigt das Wissenschaftssystem zu Abstoßungsreaktionen. Insofern war es uns wichtig, eine Persönlichkeit als Rektor zu gewinnen, die einen Namen in der Wissenschaft hatte und zu- gleich ein Garant dafür war, dass sie mit den Institutionen umgehen kann. Man sagte sich dort, na ja, der Herr Glotz ist ein bisschen unruhig, aber wenn Herr Wapnewski das macht, dann wird das schon gehen. Er war zu dieser Zeit ja wohl auch als Vorsitzender des Wissenschaftsrates im Gespräch. Peter Wapnewski: Der Gründerheros des Wissenschaftskollegs zu Berlin aber ist Peter Glotz. Sein politischer Wille war ausschlaggebend. Doch gab es besonders günstige Umstände dafür, dass Berlin diese Frucht in den Schoß fal- len konnte. Dazu gehörte auch der Kalte Krieg und die relative Isolation Ber- lins. Berlin musste mit seinem verzweifelten Selbstrechtfertigungs- und Be- hauptungswillen sagen können: Hier blüht etwas, hier gedeiht etwas, hier strahlt etwas, hier ist Aktivität und Vitalität, und wir sind die Stadt, die eine Anziehungskraft für bedeutende Köpfe aus aller Welt hat. Hier wird die Mauer gelüpft, und Berlin wird beweisen, dass es ungeachtet seiner beschädigten und gefährdeten Situation geistige Initiative und geistige Energie besitzt. Otto Häfner: Aus dem Kuratorium der VolkswagenStiftung kann ich berich- ten, dass der Aspekt Berlin dort einige Male kritisch diskutiert wurde. Natür- lich sah man auf der einen Seite die großartige wissenschaftliche Infrastruk- tur der Stadt, auf der anderen Seite wollte die Stiftung aber eine spezifische, rein quantitative Berlin-Förderung vermeiden. Die Stiftung würde nur mit- machen, wenn kein Berlin-Institut entstand, sondern ein Institut für die KARL CORINO · LEO CORRY · FLORIAN COULMAS · PETER COULMAS · FRIEDRICH CRAMER · GIULIANO CRIFÒ ·

deutsche Wissenschaft in Berlin – mit eigenem Profil und internationaler Öff- 47 nung. G

Peter Wapnewski: Deswegen waren wir auch gut beraten, als Titel für dieses RÜNDUNGSGES Haus nicht zu sagen ‚Wissenschaftskolleg in Berlin‘, denn dann wären wir eine Berliner Institution unter anderen geworden. Die Präposition ‚Wissen- schaftskolleg zu Berlin‘ rückt die Institution an den Rand einer geographisch präzisen Lokalisierbarkeit. C Christoph Schneider: Für Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft und HI C ihren damaligen Präsidenten Reimar Lüst war entscheidend, dass das neue HTE Institut die Stärken des Standortes Berlin für die ganze Bundesrepublik nutz- bar machte, indem es von dort aus internationale Ausstrahlung entfaltete. Dieses Argument hat wesentlich zur Konsensfindung darüber beigetragen, dass das Institut in Berlin gegründet werden sollte. Die klare Aussage von Rei- mar Lüst „Ich bin dafür!“ war sehr wichtig. Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig zu erwähnen, dass er mit Peter Wapnewski befreundet war. Solche personellen Verflechtungen spielten immer eine entscheidende Rolle. Die Wirksamkeit von Reimar Lüst wäre eine Monographie wert, wenn man über das deutsche Wissenschaftssystem in seinen Verästelungen und Verflech- tungen nachdenkt. Er konnte aus den unwahrscheinlichsten Positionen Ein- fluss auf laufende Entscheidungsprozesse nehmen. Peter Wapnewski: Es ist ganz richtig, meine freundschaftlichen Beziehun- gen zu Reimar Lüst waren in hohem Maße hilfreich. Doch ohne den politi- schen Willen von Peter Glotz und ohne den Idealismus, den Arbeitseifer und die Kompetenz von Christoph Schneider und Jochen Stoehr hätte es dieses Haus nicht gegeben. Nur so haben wir die Aufbauphase bewältigen können, und diese Aufbauphase dauerte ja fast zwei Jahre lang, von Herbst 1979 bis zur offiziellen Eröffnung des Wissenschaftskollegs am 6. November 1981. Joachim Nettelbeck: Damit sind wir schon bei der Umsetzung der von Peter Glotz lancierten Idee. Nachdem Peter Wapnewski als Gründungsbeauftragter gewonnen war, musste ein Konzept entwickelt werden, das sogenannte Me- morandum, eine rund 70-seitige Denkschrift über die Gründung des Wissen- schaftskollegs zu Berlin, die dann der Gründungsversammlung vorgelegt wurde. Und dafür war der im Senat für die geistes- und sozialwissenschaftli- che Forschung Verantwortliche, Jochen Stoehr, zuständig, der sich seinerseits mit Christoph Schneider zusammentat. Jochen Stoehr: Ich kannte Christoph Schneider aus der Deutschen For- schungsgemeinschaft, wo wir auf der Arbeitsebene der Wissenschaftsverwal- tung miteinander kooperierten. Ich war damals in der Senatsverwaltung für die überregionale Wissenschaftsförderung zuständig, ich kannte deshalb die Diskussionen in der DFG über Sonderforschungsbereiche, die Entwicklung bestimmter Wissensfelder und Defizitbereiche. Wollte man in Berlin eine HOLK CRUSE · PEDRO CRUZ VILLALÓN · ZHIYUAN CUI · HENRIETTE DAGRI-DIABATÉ · INGOLF U. DALFERTH ·

48 Institution mit internationalem Anspruch aufbauen, die zugleich in den Wis- senschaftsinstitutionen der Bundesrepublik verankert war, dann benötigte G

ES man jemanden, der eine genaue Kenntnis von Institutionen und verantwortli- P RÄ chen Personen hatte, der die Verfahren kannte und die Weise, wie man neue C

H Projekte durchsetzte – das war Christoph Schneider, damals Senatsassistent der DFG. Das war vielleicht mein bester Einfall in dieser Geschichte. Dass die DFG ihn dann für dieses Projekt freistellte, war die wichtigste Vorentschei- dung auf operativer Ebene. Etwas Störfeuer kam von Reimar Lüst, der glaubte, dass damit eine Vorentscheidung über den künftigen Generalsekretär des Wissenschaftskollegs getroffen worden war; er fand Christoph Schneider für diese Aufgabe zu jung. Christoph Schneider: Jochen Stoehr hatte mich irgendwann nach einer Sit- zung auf dieses Projekt angesprochen und mich gefragt, ob ich Interesse an dieser Sache hätte. Ich fand es etwas abenteuerlich, aber reizvoll und sagte zu. Die DFG stellte mich frei, nachdem die Berliner Senatsverwaltung zugesagt hatte, die Stelle eines Vertreters für mich zu finanzieren. Das Berliner Aspen Institute mietete eine Wohnung für mich, damit ich während meiner Berli- ner Zeit hier einen Pied-à-terre hätte. Die ursprüngliche Abmachung bezog sich auf ein Jahr, sie ist dann noch einmal – trotz eines gewissen Widerwillens im Präsidium der DFG – um ein weiteres halbes Jahr verlängert worden. Achtzehn Mo nate war ich wohl insgesamt freigestellt, um zusammen mit Peter Wapnewski und Jochen Stoehr das Memorandum für das zu gründende Institut zu schreiben und die Gründungsformalitäten vorzubereiten. Peter Wapnewski: Es war ein besonderes Glück, in der Anfangsphase von Christoph Schneider und Jochen Stoehr unterstützt zu werden. Herr Stoehr hat das Kunststück fertiggebracht, mit absoluter Loyalität zugleich seinem Dienst herrn wie auch uns gegenüber zu handeln. Unvergesslich für sein lei- den schaft liches Engagement (und das seiner Crew) ist der Aufschrei eines der Haushälter in der Senatsverwaltung. Als Jochen Stoehr wieder einmal Gelder verlangte, schrie dieser auf: „Alle Menschen sind sterblich, nur Wapnewski ist …“ Jochen Stoehr: Dieser Haushälter hatte nicht vergessen, was Sie ihm einmal geantwortet hatten: Das Wissenschaftskolleg sei schließlich kein Postamt. Christoph Schneider: Jochen Stoehr ist derjenige gewesen, der als erster aus der Wissenschaftsverwaltung mit der neuen Idee von Peter Glotz vertraut ge- macht wurde. Ich habe ihn als unglaublich ideenreichen Teamspieler mit Weitblick und Mut zum Risiko kennengelernt. Sein politisch-administrativer Instinkt sagte ihm, dass man eine solche Einrichtung, die ja keine lokale Ber- liner Einrichtung sein sollte, nur in einer arbeitsteiligen Partnerschaft mit den alten Wissenschaftsinstitutionen der Bundesrepublik aufbauen könne. Andere Projekte, die Herr Stoehr betreute, liefen nach derselben Technik. Er MARTIN DALY · SARA DANIUS · ROBERT DARNTON · LORRAINE J. DASTON · CATHÉRINE DAVID · verstand es dabei, sich stets die richtigen Partner auszusuchen, auch wenn er 49 das Vorhaben selber konzipierte, dirigierte und zu Ende führte. Er und ich G bildeten die Arbeitsebene für Herrn Glotz und Herrn Wapnewski. Wir haben RÜNDUNGSGES ein ganzes Pflichtenheft zusammengestellt: Was wann zu geschehen habe und mit wem als nächstes zu reden war. Wir mussten das Projekt vorstellen und um Unterstützung werben, die verschiedenen Impulse mussten dabei aufgenommen werden. Niemand kannte sich in der Berliner Landschaft so C gut aus wie Jochen Stoehr, und er verfügte über den langen Atem, um auch HI C Stagna tionen oder Rückschläge zu überwinden. HTE Peter Glotz: Irgend jemand in meinem Haus war auf die Idee gekommen, dass man das Institut nicht ohne den ‚Institutsleiterkreis‘ durchsetzen könne, den der Direktor des Berliner Aspen Institute, Shepard Stone, leitete. Es war eine Gruppe von Direktoren und Verwaltungsleitern Berliner Wissenschafts- institutionen, die alle vergleichbare Probleme mit ihren Geldgebern hatten. Ohne die Zustimmung der in diesem Kreis versammelten Institutionen und Personen käme man nicht weiter. Hier sollte das Vorhaben zunächst disku- tiert und die Schritte zur Umsetzung vorbereitet werden. Dieser Kreis Berliner Wissenschaftsinstitutionen war allerdings sehr heterogen zusammengesetzt, es gab aufgeschlossene Personen wie Meinolf Dierkes vom Wissenschaftszen- trum, Georges Fülgraff vom Bundesgesundheitsamt und andere, die weniger aufgeschlossen waren. Da es sich überwiegend um naturwissenschaftliche Institutionen handelte, gab es eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Idee eines Wissenschaftskollegs. Man sagte sich zu Recht oder zu Unrecht, das könne ja nur eine weitere geistes- und sozialwissenschaftliche Institution wer- den. In dieser Situation war es wichtig, dass Shepard Stone sich für das Vorha- ben einsetzte. Ich dachte mir, wenn er das Vorhaben in der Vorbereitungs- phase moderiert, so sind wir gegenüber dieser Flanke geschützt. Jochen Stoehr: Shepard Stone war mit dem General McCloy nach Deutsch- land gekommen. Er hatte nicht nur großes institutionelles Gewicht, sondern aufgrund seiner urbanen Art und Weise auch ein hohes persönliches Anse- hen. Er schätzte das Projekt, auch wenn er dem Gründungsbeauftragen Peter Wapnewski skeptisch gegenüberstand. Er hätte wohl lieber einen public intel- lectual wie Ralf Dahrendorf in dieser Position gesehen, der damals aber nicht permanent in Berlin hätte sein können. Die erste Vorstellung des Vorhabens im Institutsleiterkreis durch Herrn Wapnewski, Christoph Schneider und mich war denn auch nicht frei von Spannungen. Dennoch war Shepard Stone so etwas wie der Schirmherr des Instituts in dessen Embryonalphase. Er hat das Vorhaben konkret gefördert, über das Aspen Institute liefen auch die fi- nanziellen Mittel für die vorbereitenden Arbeiten. Das Aspen Institute wurde von der Senatskanzlei finanziert, und da war es naheliegend, dass es als Zu- wendungsempfänger fungierte. ARNOLD I. DAVIDSON · PAUL DEDECKER · LOUIS C. VAN DELFT · ROBERT DELORT · PETER DEMETZ ·

50 Joachim Nettelbeck: Shepard Stone scheint später auch ein wenig stolz auf seine Mitarbeit beim Zustandekommen des Wissenschaftskollegs gewesen zu G

ES sein. Als wir in der ersten Broschüre des Wissenschaftskollegs die Gründungs- P RÄ geschichte skizzierten und vergaßen, ihn und das Aspen Institute zu erwäh- C

H nen, hat er sich darüber beschwert. Hatte er nicht aus Amerika recht genaue Vorstellungen davon mitgebracht, was ein Institute for Advanced Study leis- ten solle, und zweifelte er nicht deshalb, ob jemand, der ein Spezialist für mit- telalterliche deutsche Literatur war, ein solches Institut aufbauen könne? Otto Häfner: Shep Stone pflegte damals die Sitzungen der Institutsleiter mit der Frage zu eröffnen: „Wollen wir es demokratisch machen, oder soll ich die Sitzung selber leiten?“ Ich war das eine oder andere Mal bei diesen Sitzungen, auch bei den Gesprächen über das Wissenschaftskolleg dabei. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Stone prononcierte eigene Vorstellungen für ein Institute for Advanced Study in Deutschland hatte. Peter Wapnewski: Shepard Stone hat mit seinen eigenwilligen Abneigun - gen unsere Arbeit gewiss nicht immer gefördert, doch hat er mit seiner jovia- len Vorliebe für Machtspiele und mit dem Aspen Institute als Schirmherr für die Gründungsphase letztlich am Zustandekommen der Institution mitge- wirkt. Für die Konzeption des Instituts und seine weiteren Schritte war mit Sicherheit Hellmut Becker, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungs- forschung, wichtiger. Er hat sowohl aufgrund seiner gewichtigen Persönlich- keit als auch aufgrund seiner weit gespannten Beziehungen sehr viel mehr dazu beigetragen, ratgebend, helfend und warnend. Mit Hilfe seiner immen- sen Personenkenntnis hat er uns in der Anfangsphase auf wichtige Persön- lichkeiten der internationalen Wissenschaftsszene hingewiesen und die Kon- takte vermittelt. Ihm ist zum Beispiel die Berufung von Yehuda Elkana, dem damaligen Direktor des Van Leer Jerusalem Institute, in den Wissenschaftli- chen Beirat des Wissenschaftskollegs zu verdanken, dem dieses Haus ja bis heute in so hohem Maße verpflichtet ist. Hellmut Becker war – um einen Ver- gleich aus dem italienisch-französischen Opernfach zu wählen – der Père noble im Kavaliersbariton. Er wurde dann auch in den Stiftungsrat der Wis- senschaftsstiftung Ernst Reuter als Vertreter der Wissenschaft berufen. Peter Glotz: Hellmut Becker hat mir gegenüber als Erster den Namen Peter Wapnewski für das Amt des Gründungsbeauftragten erwähnt. Und er hat uns später auf Wolf Lepenies, den Nachfolger von Peter Wapnewski, sowie auf Joachim Nettelbeck, den ersten Sekretär und Verwaltungsleiter, aufmerksam gemacht. Er war die Éminence grise der Berliner Wissenschaftspolitik. Joachim Nettelbeck: Doch damit sind wir vorausgeeilt. Wir sind noch in den Jahren 1979 und 1980, als der Gründungsbeauftragte mit seinen beiden Hel- fern dabei war, das Memorandum für das zu gründende Institut zu entwer- fen. Der Name stammt wohl von Ihnen, Herr Wapnewski? JEAN-LOUIS DENEUBOURG · BETTINA DENNERLEIN · ERHARD DENNINGER · LUDGER DERENTHAL ·

Peter Wapnewski: Worauf es mir bei dem Namen der Institution ankam, das 51 war die Verbindung zur Humboldt-Tradition. Der Name Humboldt war leider G schon vergeben. Eine Zeit lang erwog ich den Namen von Adolf von Harnack, RÜNDUNGSGES des großen Gelehrten und Wissenschaftsorganisators der wilhelminischen Zeit, doch gab es Einwände gegen die Assoziation mit dem Kaiserreich, und ein Harnack-Haus existierte bereits in Berlin. Einwände wurden übrigens auch gegen den etwas schwerfällig klingenden Namen Wissenschaftskolleg C vorgebracht, etwa von Richard Löwenthal, der meinte, ‚Kolleg‘ sei zu stark mit HI C Lehraufgaben assoziiert, als dass sich eine Wissenschaftsinstitution damit HTE charakterisieren könne. Christoph Schneider: Nach den vorbereitenden Gesprächen im Aspen Insti- tute haben wir zu dritt, Peter Wapnewski, Jochen Stoehr und ich, eine Reihe von amerikanischen Institutionen besucht, in Washington DC, Palo Alto und Princeton, um mehr über die Funktionsweisen der Institutes for Advanced Study zu erfahren. Wir kehrten voller Respekt von dieser Reise zurück. Man muss diese Institutionen gesehen haben, um zu erahnen, wessen es bedarf, um dergleichen aufzubauen. Es war uns klar, dass wir die schöne Ostküstenar- chitektur, die dazugehörigen Ländereien und Traditionen mit Einstein und anderen Größen nicht per Dekret nach Berlin transplantieren konnten. Der Anspruch musste ein anderer sein: Berlin war einmal eine Hauptstadt der Wissenschaften gewesen, durch die Zeit der Naziherrschaft war es das nicht mehr; jetzt galt es, an die Traditionen vor 1933 wieder anzuknüpfen und ein Zeichen für die Wissenschaft in Berlin zu setzen. Das war aus meiner Perspek- tive die entscheidende Motivation, um eine Verankerung in der deutschen Wissenschaftslandschaft mit Energie voranzutreiben. Selbst das niederländi- sche Institute for Advanced Study in Wassenaar (NIAS) konnte uns darin nicht beirren: Als wir es besuchten, fiel uns als erstes eine Gruppe holländischer Professoren auf dem Volleyballplatz auf. Wir hatten mehr Intellektualität im Sinn. Von den sozialen Funktionen des Tischtennis-Spiels in der Wallotstraße wussten wir damals noch nichts. Joachim Nettelbeck: Ergebnis dieser Gespräche und Reisen war das Memo- randum, eine Denkschrift, welche Aufgaben, Funktionsweisen, Organe, Raum- bedarf, Finanzbedarf und vieles mehr für das künftige Institut detailliert be- schreibt. Wer diese Schrift heute wieder liest, wird zugestehen, dass sie ein Musterbeispiel von Verwaltungsprosa ist, weil sie so geschrieben ist, dass sie nirgends aneckt, und doch nicht trivial oder beliebig ist. In den ersten Jahren meiner Amtstätigkeit als Sekretär von 1981 an habe ich mich immer wieder nur als Vollstrecker dieses Memorandums gefühlt. Ich hatte den Eindruck, ich vollziehe nur, was dort niedergelegt ist – bis hin zu der Aussage, dass das Aus- bauziel 40 Fellows pro Jahr sein solle. ASHOK V. DESAI · HEINRICH DETERING · MAMADOU DIAWARA · FRIEDRICH DIECKMANN ·

52 Jochen Stoehr: Christoph Schneider hat sich irgendwann zurückgezogen und den Text geschrieben, im Dialog mit Peter Wapnewski und in Kenntnis G

ES des ganzen institutionellen Kontextes, den wir gemeinsam erlebt hatten. P RÄ Christoph Schneider: Dieser Text, der nach vielen Fassungen Anfang 1980 C

H seine endgültige Gestalt fand, ist das Resultat dessen, was ich aktives Zuhören nennen möchte. In der Tat kultivierten wir in der DFG diese Fähigkeit, und es gibt viele dort, die sie meisterhaft beherrschen. Aktives Zuhören heißt, dass man in Gesprächen versucht herauszubekommen, was der andere tatsächlich zum jeweiligen Thema denkt und was er will, und dass man sich dies zueigen macht, ohne seine eigenen Zielsetzungen dabei aus dem Blick zu verlieren. Dieses aktive Zuhören bei unseren Besuchen vergleichbarer Institutionen und bei den vielen Gesprächen, die wir über Monate hinweg führten, mit dem großen Reichtum an Überlegungen und institutioneller Erfahrung, die dabei zur Sprache kamen, sollte in das Memorandum eingehen. Mir selbst war an- fangs noch keineswegs so selbstverständlich und deutlich, was Ihnen, Herr Wap newski, offenbar schon von Anfang an vorschwebte. Jetzt galt es, diese Überlegungen in einen normativen Text zu fassen und ganz unzweideutig auszudrücken. Wir wollten eine Institution, die sich jeglicher Anfechtung von politischer und sonstiger außerwissenschaftlicher Seite erwehren konnte aufgrund ihrer internen Struktur und aufgrund ihrer Orientierung an dem, was wir als die innere Urgesetzlichkeit wissenschaftlichen Arbeitens verstan- den. Deswegen die wiederholt geäußerten Grundsätze von der vollständigen Freiheit der Fellows, der Unabhängigkeit von Evaluierungen, dem kollegialen Verhältnis der Fellows untereinander usw. Diese Grundsätze sind auch in die Satzung aufgenommen worden, weil sie aus unserer Sicht, Ihrer, Herrn Stoehrs und meiner, das konstitutive Element dieses Hauses sein sollten. Jochen Stoehr: Die Weichenstellung für das ganze Vorhaben war tatsächlich das Memorandum. In der Weise, wie es geschrieben ist, hat es eine raffinierte Einfachheit, zugleich ist es überzeugend in der Argumentation. Eigentlich steht alles drin, so auch, dass man sich keineswegs auf die Geisteswissenschaf- ten beschränken, sondern nach Möglichkeit auch Naturwissenschaftler einla- den will, was allerdings von den jeweiligen Forschungsvorhaben und sonsti- gen Möglichkeiten abhängt. Joachim Nettelbeck: Das Vorbild Princeton legte es nahe, die Naturwissen- schaften mit einzubeziehen, orientierte man sich hingegen an dem Institut in Palo Alto, dem National Humanities Center (North Carolina) und dem Ne- therlands Institute for Advanced Study (NIAS), so konnte man sich auf die Geistes- und Sozialwissenschaften beschränken. Peter Wapnewski: Eine solche Beschränkung war niemals unsere Absicht. Das Kolleg sollte von vornherein offen sein für Fellows jeder wissenschaft- lichen Disziplin, jeder Herkunft und Konfession. Weshalb wir mit der Ein- ULF DIECKMANN · EFIM DINABURG · LAJOS DIÓSI · ROLAND DOBRUSHIN · DIETRICH DÖRNER · ladung von Naturwissenschaftlern erst langsam Erfahrung gewannen, beruht 53 ja darauf, dass die Koryphäen des Faches Labors und andere technische Ein- G richtungen für ihre Forschungen benötigen. RÜNDUNGSGES Christoph Schneider: Gerade die Frage Naturwissenschaftler am Kolleg hat uns viel Kopfzerbrechen bereitet. Denn wir konnten ja keine Labors und an- dere technische Forschungseinrichtungen im Wissenschaftskolleg bereitstel- len. Und damals war es ja noch keineswegs üblich, dass ein Naturwissenschaft- C ler mit den Datensätzen in seinem PC anreist und ein Jahr lang über diesen HI C brütet. Deshalb steht im Memorandum, dass Naturwissenschaftler wohl nicht HTE der Regelfall bei den Einladungen sein können. Andererseits wird die Biologie als ein besonders zukunftsträchtiges Gebiet für das Wissenschaftskolleg er- wähnt, was sich dann ja mit einiger Verzögerung auch als zutreffend heraus- stellen sollte. Peter Wapnewski: Wir haben uns dann bemüht, einen Naturwissenschaft- ler als Permanent Fellow zu gewinnen. Im zweiten Jahr des Wissenschaftskol- legs war Hubert Markl praktisch schon berufen, als er das Angebot erhielt, Präsident der DFG zu werden. Wir haben uns auch mit einiger Hoffnung um einen angesehenen Mathematiker bemüht, doch auch diese Berufung ließ sich nicht verwirklichen. Erst als Gunther S. Stent 1985 und Rüdiger Wehner 1990 als Permanent Fellows berufen wurden, nahm der Bereich der theoretischen Biologie im Wissenschafts kolleg Gestalt an. Joachim Nettelbeck: Wie kam es zu dem Passus in der Satzung, dass neben Wissenschaftlern auch „Persönlichkeiten des geistigen Lebens“ eingeladen werden sollten? Peter Wapnewski: Wenn ich auf etwas stolz bin, dann darauf, dass ich entge- gen der theoretisch-abstrakten Zweckbestimmung des Hauses von Anfang an den Beitrag künstlerischer Kreativität sehr hoch veranschlagt habe, höher als man dies an einem Institute for Advanced Study gewöhnlich tat. In Princeton zum Beispiel gab es damals keine Künstler. Rückblickend auf über 20 Jahre Wissenschaftskolleg wissen wir, was die Künstler für dieses Haus bedeutet haben, sie waren oft die Hefe im Teig, sie haben uns nicht nur unzählige anre- gende und die Gespräche bestimmende Abende geschenkt, sondern Einblicke in die künstlerische Arbeit gewährt, die überraschende Parallelen zur wissen- schaftlichen aufweisen kann. Wir waren klug, diesen Zustrom an kreativer Intelligenz von Josef Tal bis zu György Ligeti, von Vargas Llosa bis zu Hans Mag- nus Enzensberger zu pflegen und nie außer Acht zu lassen. Christoph Schneider: Ich erinnere mich an den Widerstand, den die Formu- lierung „Persönlichkeiten des geistigen Lebens“ damals provozierte. Andreas Heldrich, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, kommentierte sie mit der Äußerung: „Das wird eine Kreuzung aus Princeton und der Villa Massimo.“ Diese Äußerung hätte tödlich gewirkt, wenn die anderen Wissenschaftsorga- BESHARA B. DOUMANI · HORST DREIER · YEHEZKEL DROR · PIERRE B. DUCREY · HANS PETER DUERR ·

54 nisationen, allen voran Reimar Lüst für die Max-Planck-Gesellschaft, nicht be- reits ihr Placet gegeben hätten. Wir wollten als Fellows Professoren, die auch G

ES die Gabe haben, ihr Fach öffentlich zu vertreten, die also am öffentlichen Dis- P RÄ kurs teilnehmen können. Umgekehrt sollten natürlich auch Intellektuelle C

H und Künstler willkommen sein, die keine Professoren waren. Gelehrte Arbeit erschien uns als eine Spezifikation des geistigen Lebens, das viel umfassender ist als nur Forschung im engeren Sinne. Wir dachten, dass ein Institute for Advanced Study diesem weitergehenden Anspruch gerecht werden müsse. Joachim Nettelbeck: Im ersten Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses aus dem Jahre 1978 heißt es, dass man an die geistigen Traditionen vor dem Na tionalsozialismus wieder anknüpfen wolle. Welche Rolle hat bei dem Grün- dungs prozess der Gesichtspunkt des deutsch-jüdischen Verhältnisses gespielt? Peter Wapnewski: Die Einladung von Gershom Scholem im ersten Fellow- jahr war ein einzigartiger Glücksfall, den wir einmal mehr der Vermittlung von Hellmut Becker verdanken. Gershom Scholem wurde gewissermaßen unser erster Fellow und hat bei der offiziellen Eröffnung des Wissenschafts- kollegs am 6. November 1981 die Festrede gehalten. Besser als in Gershom Scholem konnte sich unser Gründungsauftrag nicht darstellen. Wir meinten es ernst mit unserer Absicht, die zerrissenen oder zerriebenen Fäden zur Emi- gration wieder zu knüpfen. Dies hatte in der Gründungsphase natürlich auch gute taktische Gründe: Wir konnten sagen, dass wir an die ehemalige Blüte des geistigen Lebens in Berlin, die vor allem eine Blüte jüdischer Geistigkeit war, wieder anschließen wollten. Das klang gut und leuchtete jedermann ein und hat uns sicherlich auch in den einzelnen Institutionen, deren Unterstüt- zung wir brauchten, sehr geholfen. Christoph Schneider: Wenn ich an die Gründungsgeschichte zurückdenke, hat es mir persönlich manches Kopfzerbrechen bereitet, wie man denn diesen Auftrag in einer adäquaten Art und Weise mit der Gründung verbinden könne. Ich gestehe, dass ich persönlich bei weitem nicht genug darüber wusste, wen es eigentlich in der großen weiten Welt aus der Generation derjenigen noch gab, die aus Deutschland emigriert waren und die man ans Institut holen konnte. Die Tatsache, dass in späteren Jahren viele Intellektuelle aus Is- rael und jüdische Intellektuelle aus anderen Ländern ans Wissenschaftskol- leg kamen, hatte mit diesem Gründungs auftrag ja nur indirekt zu tun. Joachim Nettelbeck: Es war wohl nicht zuletzt Yehuda Elkana, der von Be- ginn an dem Kolleg verbunden war, der uns klar gemacht hat, dass die Verbin- dung mit Israel und der jüdischen Intelligenz einfach ein wissenschaftlich attraktives Potential darstellt. Die Publizistin Sybille Wirsing wies 1986 in einem Artikel der FAZ zu unserem Erstaunen nach, in welchem von uns gar nicht intendierten Umfang wir tatsächlich jüdische Gelehrte als Fellows ein- geladen hatten. VOLKER DÜRR · ELIZABETH DUNN · CATHERINE C. ECKEL · LUTZ H. ECKENSBERGER ·

Peter Wapnewski: Die Vorstellung von Berlin als einer Drehscheibe zwischen 55 Ost und West hat unser Handeln damals mehr geprägt, als wir uns dessen G heute vielleicht bewusst sind. Besonders gegenüber den osteuropäischen RÜNDUNGSGES Ländern wollten wir aktiv werden, wir wollten Polen und Ungarn einladen, später vielleicht auch einmal Tschechen und DDR-Bürger und damit die Zwei- staatentheorie durchlässig machen. Im ersten Jahrgang waren unter den 18 Fel lows nicht weniger als vier Polen, und diese Tradition hat sich in den C 80er Jahren fortgesetzt mit der Einladung auch anderer Osteuropäer, vor HI C allem Ungarn. 1988 kam der erste DDR-Bürger hinzu, bis wir dann in der HTE Wende 1989 – unter der Ägide von Wolf Lepenies – daran gingen, von Berlin aus neue institutionelle Initiativen unserer früheren Fellows in Osteuropa zu unterstützen. Doch das verdiente eine eigene Darstellung. Peter Glotz: Aus politischer Warte sieht das noch einmal anders aus. Um 1980 waren wir Entspannungspolitiker und hatten deshalb keine ausgepräg- ten Kontakte zu den osteuropäischen Dissidenten – was diese uns später vor- warfen. Unsere Partner waren die Regierungen. Rückblickend erscheint es in einem ganz anderen Licht, dass das Wissenschaftskolleg Personen wie György Konrád oder Wladyslaw Bartoszewski, den späteren polnischen Außenminis- ter, einladen konnte, die unabhängige Köpfe und gute Wissenschaftler zu- gleich waren und an die wir als Politiker nie gedacht hätten. Jochen Stoehr: Wir sollten in diesem Zusammenhang die besondere Organi- sationsstruktur des Wissenschaftskollegs erwähnen, die ihm in allen wissen- schaftlich-akademischen Fragen vollständige Unabhängigkeit gegenüber der Politik gewährt. Eine solche Struktur aufzubauen war unser Ziel. Niemand sollte in diese Institution hineinregieren können. Die Umsetzung dieser Ab- sicht verquickte sich aber auf eine heute schwer nachvollziehbare Weise mit der Situation des Kalten Krieges. Eigentlich hatten wir beabsichtigt, das Wis- senschaftskolleg mittelfristig in die sogenannte Blaue Liste von wissenschaft- lichen Institutionen aufnehmen zu lassen, die von Bund und Ländern ge- meinsam gefördert werden. Doch mussten wir befürchten, dass wir keine Einladungen nach Osteuropa würden aussprechen können, wenn der Bund in den Entscheidungsgremien saß. Aus dieser Zwangslage haben wir dann einen Ausweg gefunden, indem wir zwei Ebenen unterschieden: die Wissenschafts- stiftung Ernst Reuter und der Verein Wissenschaftskolleg. Zweck der Stiftung ist es, dem Verein Wissenschaftskolleg die nötigen finanziellen Mittel zur Durchführung seiner Aufgaben – der Förderung der Wissenschaft durch die Förderung einzelner Wissenschaftler – zur Verfügung zu stellen. Im Stiftungs- rat sind der Bund und das Land Berlin vertreten. Handelnder ist aber nicht die Stiftung, sondern der Verein Wissenschaftskolleg, in dem der Staat nicht ver- treten ist. Diese Konstruktion hatte gleich mehrere Vorteile: Einerseits erhielt das Wissenschaftskolleg damit die Freiheit, Einladungen nach Osteuropa aus- ELIEZER L. EDELSTEIN · CHRISTOFER EDLING · BARRY EICHENGREEN · DALE EICKELMAN ·

56 sprechen zu können, andererseits stärkte sie seine Autonomie gegenüber den Geldgebern. Wir hatten die Erfahrung gemacht, dass ein Ministerium wie das G

ES BMFT mit seinen mächtigen Referaten in die wissenschaftlichen Einrichtun- P RÄ gen bis in Details hineinregierte. Wir wollten die Förderung, aber nicht den C

H Einfluss. Die organisatorische Zweistufigkeit zwischen Wissenschaftsstiftung und Wissenschaftskolleg, zwischen Stiftungsrat und Mitgliederversammlung hat uns die Gewähr dafür gegeben, dass akademisch-wissenschaftliche Ent- scheidungen unabhängig von jeder Einflussnahme gefällt werden konnten. Allerdings gab es dann ein gewisses Unverständnis auf Seiten von Edzard Reu- ter, der natürlich gerne gesehen hätte, dass das Kolleg den Namen seines Va- ters getragen hätte – und nicht nur die wenig sichtbare Trägerorganisation. Christoph Schneider: Es galt, in den Institutionen, die in Deutschland die Wissenschaftspolitik bestimmten, das Gefühl dessen zu wecken, was die Ame- rikaner als ‚ownership‘ bezeichnen. Sie mussten das neue Institut, für das es ja in Deutschland nichts Vergleichbares gab, als ihre Sache betrachten. Des- halb sind die Präsidenten für ihre Institutionen Mitglieder in der Mitglieder- versammlung des Wissenschaftskollegs geworden und nicht die Institutionen als Körperschaften. Im Einzelnen waren es die Präsidenten der Max-Planck- Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Wissenschaftsrats, der Alexander von Humboldt-Stiftung und des Deutschen Akademischen Aus- tauschdiensts. Weitere Mitglieder waren die Präsidenten der beiden Berliner Universitäten und der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Uns kam es darauf an, dass wirklich die Präsidenten der deutschen Wissenschafts- organisationen das Wissenschaftskolleg trugen, und nicht irgendwelche Refe- renten. Die Personen sollten sich mit dem Gewicht ihrer Institutionen enga- gieren. Andererseits war uns klar, dass wir eine Verankerung des neuen Insti tuts in Berlin nicht erreichen würden ohne die förmliche Mitgliedschaft der Präsidenten der Berliner Universitäten im Wissenschaftskolleg. In unse- ren vorbereitenden Gesprächen war immer wieder davon die Rede, „wie wir die Berliner Universitäten einfangen“ könnten. Wir brauchten sie ja auch ganz praktisch, denn das neue Institut sollte ja von der wissenschaftlichen Infrastruktur Berlins profitieren können, etwa im Hinblick auf die Bibliothe- ken. Eine Gelehrtengemeinschaft ohne Zugang zu Bibliotheken und Archiven war schwer vorstellbar. Es gab also materielle wie ideelle Gründe, die Berliner Universitäten mit ins Boot zu nehmen. Ich erinnere mich noch, wie feierlich die Audienzen waren, die uns von der FU in der Altensteinstraße und von der TU in der Straße des 17. Juni gewährt wurden. Die Universitäten meinten na- türlich, dass die Förderung des neuen Instituts auf ihre Kosten ging und dass sie die mit ihm verbundenen Zielsetzungen selber besser erfüllen könnten. Sie hatten ihre Erfahrungen mit neuen Institutionen wie dem Wissenschafts- zentrum machen müssen, mit dem das Wissenschaftskolleg schon damals SHMUEL NOAH EISENSTADT · ÖRJAN EKEBERG · ROBERT S. ELEGANT · YEHUDA ELKANA · häufig verwechselt wurde. Das Wissenschaftszentrum erschien ihnen als eine 57 Gegenuniversität gegen die zu linken Universitäten, als eine Art von BMFT- G nahem Beratungsinstitut für Sozialwissenschaften. Obgleich unter dem RÜNDUNGSGES Nachfolger von Peter Glotz, Wilhelm Kewenig, diesem Eindruck massiv entge- gengesteuert wurde, hatten die Universitäten einen gewissen Reflex ausgebil- det nach dem Motto: „Das geht nun also schon wieder los, die Politik gründet wieder eine neue Institution, weil sie mit den Universitäten, ihren Paritäten C und schwierigen Entscheidungswegen nicht zufrieden ist.“ Hier bedurfte es HI C großer Überzeugungsarbeit. HTE Peter Wapnewski: Wobei uns die Verbindung mit Eberhard Lämmert, dem damaligen Präsidenten der FU, sehr zugute kam, der selbst in einer heiklen Situation war: einerseits die alte kollegiale Freundschaft mit mir, anderer- seits die Vorbehalte der Gremien seiner Universität. Er musste wohl gewisse Briefe schreiben, doch hat er uns in Wirklichkeit den Rücken gegenüber viel massiverer Kritik innerhalb der FU freigehalten. Christoph Schneider: Die Stärken Westberlins als Wissenschaftsstandort lagen damals nicht in erster Linie auf jenen Feldern, die man sich für das Wissen- schaftskolleg als privilegierte Arbeitsfelder gewünscht hätte. Dies war nicht zuletzt eine Schwierigkeit in unserer Argumentation gegenüber den bundes- republikanischen Wissenschaftsorganisationen. Wir wussten, dass unsere Argumentation, das Institut stehe in Berlin, weil die wissenschaftlichen Stär- ken dieses Standortes dies rechtfertigen, nur die halbe Wahrheit war. Über- zeugender war da schon die Absicht einer Integration in die internationale Wissenschaftslandschaft, exemplarisch die Öffnung gegenüber Osteuropa. Joachim Nettelbeck: Eng mit der Frage der Organisationsstruktur war die nach der Finanzierung der Institution verbunden. Christoph Schneider: Wir hofften damals auf die Großzügigkeit der Volkswa- genStiftung, die neben dem Berliner Senat die Kosten für den Haushalt des Wissenschaftskollegs tragen sollte. Das finanzielle Engagement von Berlin war damals auf 1,2 Mio. DM pro Jahr beziffert und reichte gerade einmal für die Hälfte aller Fellows, alles weitere musste von woandersher kommen. Dass die VolkswagenStiftung uns im günstigsten Falle eine Anschubfinanzierung geben konnte, und dass man deshalb mittelfristig die Bundesregierung in die Pflicht nehmen müsse, war uns auch klar. Das BMFT erschien uns für eine gemeinsame Förderung als der natürliche Partner auf Seiten des Bundes. Im Memorandum hatten wir noch formuliert, dass es im Laufe des Jahres 1982 eine Entscheidung darüber geben solle, ob das Wissenschaftskolleg eine Insti- tution der Blauen Liste werden würde. Wir wissen, dass diese Entscheidung sehr viel später getroffen wurde, und zwar in dem Sinne, dass das Wissen- schaftskolleg zwar von Bund und Land Berlin gefördert wird, aber außerhalb der Blauen Liste, was sich rückblickend als großer Vorteil erweist. SUSANNA K. ELM · AMOS D. ELON · DONATA ELSCHENBROICH · JON ELSTER · GEORG ELWERT ·

58 Jochen Stoehr: Im Forschungsministerium führten wir frühzeitig Gesprä- che auf allen Ebenen, um eine Zusage für eine Weiterfinanzierung nach einer G

ES erfolgreichen Startphase zu erhalten. Für das BMFT war die Unterstützung P RÄ des Wissenschaftskollegs eine forschungspolitische Entscheidung. Inwiefern C

H man sich da im Einzelnen für die Institution interessierte, ist mir unklar. Wir erhielten auch keinerlei Vorgaben von Seiten des Ministeriums. Wichtig war die Stellungsnahme des Ministers Hauff, die gewiss unverbindlich, aber auch freundlich war und uns die Hoffnung auf ein Engagement des Ministeriums nicht nahm. Peter Glotz: Man muss in diesem Zusammenhang noch andere Personen erwähnen, die bei der Durchsetzung des Vorhabens hilfreich waren, etwa Hansvolker Ziegler im Bundesministerium für Forschung und Technologie. Das BMFT hatte, anders als das Bundesministerium für Bildung und Wissen- schaft, das nötige Geld und auch eine gewisse Fördertradition für eine solche Institution, deshalb war es ein wichtiger Partner bereits in der Gründungs- phase. Herr Ziegler war mir sehr behilflich dabei, dass das BMFT einen Brief schrieb, in dem eine solche künftige Förderung durch das Ministerium zu- mindest nicht ausgeschlossen wurde. Christoph Schneider: Weiterhin entscheidend bei diesem ganzen Prozess war wohl die Tatsache, dass es uns gelang, den in der VolkswagenStiftung für diesen Bereich Verantwortlichen, nämlich Otto Häfner, zu überzeugen, dass es sich um ein Projekt handelt, das zu verfolgen sich lohnt. Ihm und seinen Kollegen verdanken wir eine Investition der Stiftung in Höhe von 3,5 Mio. DM, die auch nach damaligem Standard bedeutend war. Mehr noch: Berlin und die Bundesregierung wurden dadurch unter Zugzwang gesetzt, sich ihrer- seits zu engagieren. Otto Häfner: In der VolkswagenStiftung haben wir von den Gründungsplä- nen wohl erstmals durch Shepard Stone erfahren. Frau Hagenguth hat dann bis zu ihrem Ausscheiden bei der Stiftung Ende 1979 die ersten Gespräche in Berlin geführt. In der Stiftung, im Kuratorium und in der Geschäftsstelle, galt es, in der Folgezeit auch manche Vorbehalte gegenüber den Berliner Plänen auszuräumen; ein sogenannter Selbstläufer war die Angelegenheit nicht. Über zeugend erschien mir jedoch von Beginn an der umsichtige Planungs- prozess und das ungewöhnliche persönliche Engagement des Senators und seiner Mitarbeiter. Die Stiftung konnte letztlich auch einigermaßen zuver- sichtlich sein, dass nach ihrer Startförderung die Anschlussfinanzierung gesi- chert werden würde, auch wenn eine dazu eingeholte Stellungnahme des BMFT zwar freundlich, aber hinhaltend ausfiel. Peter Glotz legte der Stiftung im März 1980 den Antrag vor, Aufbau und Arbeit des Wissenschaftskollegs in der Startphase zu fördern. Dem auch von ausländischen Experten begutachte- ten Antrag wurde drei Monate später, am 20. Juni 1980, entsprochen. AUGUSTIN EMANE · PIETER C. EMMER · HINDERK M. EMRICH · ANDREAS K. ENGEL · TRISTRAM ENGELHARDT ·

Jochen Stoehr: Das übliche Marketing bei der Durchsetzung solcher Vorha- 59 ben besteht ja darin, dass man nach verschiedenen Seiten hin verhandelt, um G der einen Seite zu signalisieren, die andere sei gerade dabei, eine positive Ent- RÜNDUNGSGES scheidung zu treffen. Peter Glotz hat im Senat denn auch relativ früh gesagt, dass die VolkswagenStiftung wohl zusagen werde, was die Senatsmehrheit beruhigte. Gleichzeitig haben wir aber mit dem BMFT verhandelt. Die Volks- wagenStiftung ist aber der eigentliche Pate des Wissenschaftskollegs, auch C bei der Frage der Häuser zur Unterbringung, worauf wir ja noch kommen HI C werden. HTE Otto Häfner: Die Stiftung hat sich angesichts ihres wissenschafts- und stif- tungspolitischen Interesses an dem Projekt immer auch in einer kritisch-bera- tenden Funktion gesehen. Bei den erforderlichen Abstimmungs- und Ent- scheidungsprozessen gab es hilfreiche persönliche Querverbindungen zu den Ministerien auf Bundesebene. Der damalige Generalsekretär der Stiftung Wal- ter Borst stammte aus dem BMFT und fühlte dort vor. Kontakt bot sich auch zu Eberhard Böning im Bildungsministerium (BMBW); seine Meinung zu kennen war wichtig, auch wenn das BMBW als Financier nicht in Frage kam. Im Bewil- ligungsschreiben vom Juni 1980 hat die Stiftung Herrn Wapnewski dann empfohlen, im ersten Jahr nicht mehr als 20 Fellows einzuladen, um die not- wendige Qualität zu gewährleisten. Abzusehen war, dass die von der Stiftung bewilligten Mittel für mehrere Fellow-Jahrgänge reichten, und so war es dann auch. In Hannover waren wir recht sicher, dass nach ersten gelungenen Jah- ren Lösungen für die Folgezeit gefunden würden. Peter Wapnewski: Der erste Jahrgang ist in der Tat erstaunlich rasch und mit viel Glück zusammengekommen, es wurde eine gute Crew, wenn auch in der fachlichen Zusammensetzung etwas ungleichgewichtig, von Uwe Pörksen zu Bruno Hillebrand und von Hartmut von Hentig zu Hans-Martin Gauger und zu Hans Egon Holthusen, und nicht weniger als vier Polen. Im Zentrum stand freilich Gershom Scholem, auch wenn er nur die ersten Monate bei uns sein konnte. Er taufte diesen Jahrgang „die Trockenmieter“, entsprechend der alten Berliner Sitte, Beziehern von noch feuchten Neubauwohnungen Miet- nachlässe zu gewähren. Joachim Nettelbeck: Was die Unterbringung der Fellows anbelangt, so gab es zunächst eine Ruine, und dann plötzlich gab es drei Häuser. Wie kam es dazu? Jochen Stoehr: Als ich dieses Haus in der Wallotstraße 19, die Villa Linde, zum ersten Mal betrat, erlebte ich etwas Merkwürdiges: Aus dem Durcheinan- der dieser heruntergekommenen Villa, die als britisches Offizierskasino ge- dient hatte, trat mir ein SS-Mann in vollem Ornat entgegen. Da wurde gerade ein Film gedreht. Silke Bernhard hatte dieses 1910 von dem Staatsanwalt Franz Linde gebaute Haus für die Dahlem-Konferenzen gefunden; der Stifter- VOLKER ENSS · HANS MAGNUS ENZENSBERGER · STEPHAN R. EPSTEIN · CAROLA ESCHENBACH ·

60 verband für die deutsche Wissenschaft wollte, dass wir es mit Senatsmitteln zu einem Konferenzzentrum ausbauten. Doch dann kam Peter Glotz aus den G

ES USA zurück und sagte, ich mache etwas ganz anderes, ich will ein Institut wie P RÄ in Princeton gründen. Und wir sagten, dann nehmen wir doch das Haus in der C

H Wallotstraße dazu und bringen die Dahlem-Konferenzen wie das Wissen- schaftskolleg darin unter. Allein für die Dahlem-Konferenzen, die ein oder zweimal im Jahr Tagungen veranstalteten, war das Haus zu groß. Dement- sprechend waren wir glücklich, als Peter Glotz sagte: „Tun wir doch beide rein!“ Das Haus war 1976 aus britischer Hand in Bundeseigentum übergegangen und wurde von dem Bundesverband für den Selbstschutz (der Nachfolgeorga- nisation des Bundesluftschutzverbandes) verwaltet. Zur Geschichte der Villa gehört, dass Hermann Görings Reichsluftschutzbund die Villa im Jahre 1935 erworben hatte. Der Bund überließ sie dann dem Berliner Senat zur Nutzung unter der Bedingung, dass dieser sie renovierte und für nichtkommerzielle Zwecke nutzte. Die Villa musste natürlich hergerichtet werden, denn so wie ich sie zum ersten Male gesehen habe, war sie in ziemlich heruntergekomme- nem Zustand. Das Bezirksamt Wilmersdorf hat den Senat sogar gedrängt, etwas mit diesem Haus zu machen, da es als Schande empfunden wurde, dass ein solcher Bau in diesem feinen Viertel einfach verkam. Christoph Schneider: Die Dahlem-Konferenzen waren eine ganz besondere, von Silke Bernhard ersonnene und über viele Jahre betreute Form von Konfe- renzen in den Lebenswissenschaften, wie man das heute nennt, bei denen sämtliche Konferenzbeiträge vorher schriftlich verteilt wurden. Die Konferen- zen dauerten dann über eine Woche, die Teilnehmer setzten sich mit den schriftlichen Beiträgen der anderen auseinander. Aus Beiträgen und Diskus- sionsprotokollen entstand binnen kurzer Zeit ein Buch. Es gelang Silke Bern- hard, die international renommiertesten Wissenschaftler zu den jeweiligen Themen einzuladen. Alle diejenigen, die daran teilgenommen haben – und das war eine hochelitär ausgesuchte Gesellschaft von Biowissenschaftlern und Medizinern –, haben bekundet, dass sie eine so intensive wissenschaftli- che Diskussion als einzigartig empfanden. Jochen Stoehr: Der Erfolg der Dahlem-Konferenzen war sehr stark mit der Person von Silke Bernhard verbunden, die mit allen teilnehmenden Wissen- schaftlern intensive freundschaftliche Beziehungen aufbauen konnte. Joachim Nettelbeck: Sie war als Person außergewöhnlich, als Institutionen- vertreterin aber für denjenigen, der mit ihr Auseinandersetzungen zu bewäl- tigen hatte, schwierig, wie sich dann im Zusammenleben herausstellte. Zu Anfang waren die Dahlem-Konferenzen in vier Räumen untergebracht, und als dies nicht mehr ging, haben wir Frau Bernhard eine Villa in der Delbrück- straße zur Verfügung gestellt, die wir angemietet hatten. Es gab nur zwei Konferenzen, die hier stattgefunden haben. PÉTER ESTERHÁZY · ALEXANDER ETKIND · EFIM ETKIND · OTTMAR ETTE · FRANÇOIS EWALD ·

Christoph Schneider: Das Raumangebot des Hauses hat in starkem Maße un- 61 sere Überlegungen mitbestimmt, was hier stattfinden solle. Es war ja nahe G lie gend, dass der große Raum Konferenz- und Vortragsraum sein und auch den RÜNDUNGSGES Flügel aufnehmen würde, den als erster Reinhard Praßer, der erste Angestellte des Kollegs, bei der Trauerfeier für Gershom Scholem öffentlich gespielt hat. Wir haben das Haus allerdings nie als Konferenzzentrum betrachtet. : Wir hatten dank der Vermittlung durch den Stifterverband

Jochen Stoehr C den technischen Direktor aus der Bauabteilung der Schering AG, Herrn Lang- HI C ner, gewonnen, um die Renovierung der Villa zu überwachen, vor allem was HTE Zeit- und Kostenpläne anbelangte. Herr Langner war einer von den vielen Glücksfällen in der Geschichte des Kollegs, ein persönlich reizender und zu- gleich kompetenter Mann. Er kannte das Berliner Baugewerbe, und so haben wir relativ preiswert gebaut. Die Berliner Architektin Dorothea Haupt war für die Gestaltung der Innenräume des Hauses verantwortlich, mit ihrer Holztä- felung und dem Charakter eines englischen College. Sie hat dabei – wie sich jeder überzeugen kann – großes Stilgefühl bewiesen. Wir haben dann aber sehr schnell gemerkt, dass das Haus selbst für das Wissenschaftskolleg allein niemals ausreichen würde. So haben wir Überlegungen im Hinblick auf die Nebengrundstücke angestellt. Und hier kam uns wiederum ein Glücksfall zu Hilfe: Die VolkswagenStiftung feierte ihr 20-jähriges Jubiläum, und sie wollte zu diesem Anlass etwas für die Wissenschaft tun. Das wussten wir. Wir sind deshalb ständig mit gierigen Blicken durch die Umgebung gezogen und haben mit dem Bezirksamt gesprochen. Plötzlich erfuhren wir, dass das Haus an der Ecke Wallotstraße/Koenigsallee zum Verkauf stand. Als wir das Haus zusammen mit Herrn Nehls von der VolkswagenStiftung besichtigten, lief je- mand Unbekanntes an unserer Seite mit und wollte uns seine Visitenkarte zustecken. Später stellte sich heraus, dass dies der Makler war. Wir wollten von ihm nichts wissen, doch klagte er nachher gegen uns, ging bis zum Ober- landesgericht Celle und behielt sogar Recht. Berlin hat den Prozess verloren und der Makler sein Geld erhalten. Das mit diesem Herrn verbundene Immo- bilien milieu machte dann noch durch eine Schießerei in einer Tiefgarage von sich reden. Otto Häfner: In der Tat war es einer dieser Glücksumstände, die die Grün- dung begleiteten, dass die Stiftung zu ihrem 20-jährigen Jubiläum dem Wis- senschaftskolleg ein zweites Haus schenken konnte. Der zusätzliche Raumbe- darf war schnell offenkundig, wie ich bei meinen Besuchen im Kolleg und als Gast in den Mitgliederversammlungen erkannte. (Eine Nebenbemerkung: Unvergesslich sind mir die Finanzverhandlungen mit dem Abgesandten des Berliner Finanzsenators, der immer sagte: „Det könn’ wa überrolln.“) Als ich einmal mit Herrn Stoehr die Umbauten beobachtete, hat er recht melancho- lisch aus dem Fenster auf ein Nachbargrundstück geblickt und gesagt: „Schade, JOHANNES FABIAN · JEAN-LOUIS FABIANI · DANIEL P. FAITH · RAPHAEL FALK · BRIGITTE FALKENBURG ·

62 dass wir das nicht auch noch haben konnten, das gehört nun einem Wein- händler.“ Das war die Villa Habel. Mit Blick auf das Stiftungsjubiläum, dessen G

ES Feier in Berlin stattfinden sollte, und auf der Suche nach einem öffent lich- P RÄ keits wirksamen Gastgeschenk, habe ich die Idee eines weiteren Gebäudes C

H für das Kolleg stetig in die Geschäftsstelle der Stiftung geträufelt. Die Schlüs - selüberga be für das Haus Koenigsallee 21 durch den Vorsitzenden des Stif- tungskurato riums Werner Remmers an Peter Wapnewski als Rektor und Wil- helm A. Kewenig, den Nachfolger von Peter Glotz und Günter Gaus im Amt des Wissenschaftssenators, erfolgte am 18. Juni 1982. Das Geschenk war in- sofern ungewöhnlich, als die Stiftung bislang nur Verfügungsbauten finan- ziert hat te, die von den jeweiligen wissenschaftlichen Einrichtungen genutzt wurden. Eigentümer blieb die Stiftung. Hier wurden erstmals Fördermittel zum Erwerb einer Immobilie bewilligt, um sie dann dem Wissenschaftskolleg zu schenken. – Aus Anlass des Jubiläums erschien übrigens eine Publikation der Stiftung: ‚20 Jahre Wissenschaftsförderung, 20 Forschungsbeispiele aus Berlin‘, in der der Publizist Malte Buschbeck den ersten Artikel über das Wis- senschaftskolleg schrieb. Joachim Nettelbeck: Die VolkswagenStiftung hat dann in einem Schreiben an den Senat festgelegt, dass diese Villa nur unter der Bedingung gekauft werde, dass das Land Berlin das Grundstück in der Wallotstraße neben dem Hauptgebäude, das zur Bebauung noch freistand, selber mit eigenen Mitteln erwirbt und bebaut. Jochen Stoehr: Dieses Grundstück nebenan hatten wir bereits in unser ers- tes Raumprogramm 1979 einbezogen. Es sollte ein wichtiger Teil des Gesamt- komplexes des Kollegs werden, vor allem für Arbeitszimmer für Fellows. Es gab freilich auch die Vorstellung, dass dort eine Tiefgarage mit Parkplätzen eingerichtet werden sollte, was vermutlich auf Unterhaltungen mit den Be- zirksbauverwaltungen zurückging, die hier zu viele Autos geparkt sahen. Aller dings war das Geld dafür in absehbarer Frist nicht gesichert, als wir die Beschlüsse über die Gründung herbeiführten. Joachim Nettelbeck: Das Land Berlin hat später immer gesagt, sie würden die notwendigen Erweiterungsbauten für das Wissenschaftskolleg errichten, aber es passierte nichts. Es wurden keine Mittel zur Verfügung gestellt. Aller- dings hatte die VolkswagenStiftung in ihrem Bewilligungsschreiben darauf hingewiesen, sie gehe davon aus, dass das Land Berlin das Nebengrundstück in der Wallotstraße bebauen werde. Aufgrund dieser Auflage hat das Land Berlin am Ende dann doch die notwendigen Mittel bereitgestellt. Praktisch hat uns die VolkswagenStiftung durch diesen Schachzug zwei Gebäude ge- schenkt. – Zum Schluss unseres Gesprächs: Was haben Sie sich damals ge- dacht, wie das Institut nach zehn Jahren aussehen würde? Christoph Schneider: Wir haben das so nicht erwartet. JÜRGEN FALTER · SURAIYA FAROQHI · ERNST FEHR · MORDECHAI FEINGOLD · RIVKA FELDHAY ·

Peter Wapnewski: Wir haben es vielleicht gehofft. 63 Jochen Stoehr: Daran habe ich damals keine Gedanken verschwendet, es war G anstrengend genug, das erst einmal hinzustellen, das Geld zusammenzukrie- RÜNDUNGSGES gen, eventuell in die Blaue Liste aufgenommen zu werden usw. Und wer konnte sich von uns damals zum Beispiel den Gärtner und Fahrer des Rektors, Herrn Volck, vorstellen oder den Hausmeister Herrn Riedel oder schon gar Frau Klöhn, die Leiterin der Hauswirtschaft, oder Gesine Bottomley, die die C Bibliothek aufgebaut hat – und wie sie alle heißen? HI C Peter Wapnewski: Eigentlich war es eine unmögliche Gründung. Es ist ja ein HTE Wunder, wie aus dieser Unmöglichkeit eine Möglichkeit und dann schließ- lich sogar Wirklichkeit wurde. Es gab nichts mit dem Wissenschaftskolleg Vergleichbares. Es gab auch noch keinen Rektor. Ich bestand auf diesem Titel, um den akademischen Charakter dieser Funktion deutlich zu machen, übri- gens gegen eine Abstimmung, die damals gegen mich ausging. Ich wollte die unmittelbare Beziehung zur Universität und zur alttradierten Bezeichnung des Universitätsobersten. Meine Vorstellungen waren natürlich auch britisch- oxfordisch geprägt. Im Bereich des akademischen Lebens hat mich nichts so beeindruckt wie meine Gastprofessuren in Cambridge und Oxford. Die Form hat eine kreative Funktion, das war und ist meine Überzeugung, die Form wirkt mit an der geistigen Entwicklung dessen, der von ihr geprägt wird. Das wollte ich gern im Rahmen des Möglichen durchsetzen. Dies habe ich dann auch ein paar Jahre versucht. Wir hatten beispielsweise die Tische im Speise- saal in U-Form aufgestellt, der Rektor mit seinen jeweiligen Gästen an der Stirnseite. Bei den Essen stellte ich die Gäste jeweils vor, damit deutlich würde, wer von woher kam und welche Disziplin vertrat. Dann ergab es sich aber, dass dieses vielleicht allzu eng ans britische College-Modell angelehnte Konzept durch eine stille Revolution umgestürzt wurde. Man nutzte eine zeitweilige Abwesenheit des Rektors, um die U-Form aufzuheben und statt dessen Einzel- tische zu formieren, damit zerrann mein Traum vom Berliner Oxford. Joachim Nettelbeck: Sie waren und Sie sind auch heute noch in vielerlei Hin- sicht für den Stil des Hauses prägend. Sie haben Formen des Zusammenlebens und Arbeitens geschaffen, die den besonderen Charakter dieses Hauses be- stimmen. Ihre Kritik an bestimmten Verhaltensformen bei Fellows wie bei Mitarbeitern brachten Sie auf die Formel: „Das entspricht nicht dem Stil des Hauses!“ Peter Wapnewski: Nicht verwunderlich, dass es dann eine Kette von Angrif- fen gegen unser Haus, gegen seine soziale Wirklichkeit und gegen seinen Rektor gab, teils aus dem Kreise der Fellows, teils von außerhalb, was mich sehr bedrückte. Joachim Nettelbeck: Die Anfangsjahre des Wissenschaftskollegs sind in der Öffentlichkeit mit der sogenannten Elite-Diskussion verbunden. GERALD D. FELDMAN · EBERHARD E. FETZ · WOLFGANG FIETKAU · BARBARA L. FINLAY ·

64 Otto Häfner: Aus meiner Sicht beginnt die Elite-Diskussion erst im Frühjahr 1980 und wurde ab 1981 intensiviert. In der eigentlichen Gründungsphase G

ES des Wissenschaftskollegs spielte sie hingegen keine erkennbare Rolle. Es ist P RÄ aufschlussreich, dass in keiner der Denkschriften für ein Institute for Ad- C

H vanced Study der Begriff zu finden ist. Einer der Gutachter der Volkswagen- Stiftung schrieb zu dem Antrag von Peter Glotz, dass „in der Bundesrepublik in den letzten zwei Jahrzehnten zu wenig für die Förderung von Spitzenbega- bungen aller Altersstufen, für den im guten Sinne elitären Kern der Gemein- schaft aller Wissenschaftler“ getan werde. Doch dies ist der einzige Anklang an den Elite-Begriff. Peter Wapnewski: Damals war der Begriff Elite tatsächlich noch ein Schimpf- und Scheltwort in der Bundesrepublik, während er heute ganz selbstverständ- lich zur Rhetorik der Bildungspolitik gehört. Ich habe damals umherreisend eine Vielzahl von Vorträgen zum Thema Elite gehalten und dazu auch publi- ziert, um den Unterschied zwischen Geburts- und Leistungselite darzulegen. Man kann den Widerstand gegen diesen Begriff in der damaligen Hoch- schulöffentlichkeit heute kaum noch ermessen. Ich habe diese Diskussion auch in den Wissenschaftsrat getragen, der später eine Resolution zugunsten der Elite-Förderung herausgab. Christoph Schneider: Wenn man das Memorandum noch einmal liest, so stößt man nirgends auf den Begriff Elite, was natürlich Absicht war. Stattdes- sen ist von allen möglichen Synonyma die Rede, von Spitzenleistungen und dergleichen. Joachim Nettelbeck: Wir reden heute so, als ob das Wissenschaftskolleg nach seiner Gründungsphase eine reine Erfolgsgeschichte gewesen sei. Doch war die Institution bis zur Aufnahme der BMFT-Finanzierung und sogar noch im Jahr danach konkret in ihrer Existenz gefährdet. Die Bundestagsabgeordne- ten hatten im zweiten Jahr der Bundesförderung die Reduzierung auf zwei Drittel der Mittel beschlossen, und es bedurfte erheblicher Anstrengungen, um das wieder in ein normales Maß zu bringen. Doch das betrifft eine spätere Zeit. Peter Wapnewski: Rückblickend auf die Gründungsphase drängt sich mir das Wort Fortune auf. Dieses Haus hat vom ersten Augenblick an auf eine ge- radezu magische Weise Fortune gehabt. Diese Fortune materialisierte sich in menschlichen Figuren, Beziehungen und Glücksfällen, die in ihrer Kumulie- rung geradezu unwahrscheinlich anmuten. Peter Glotz: Auch wenn ich am Anfang der Gründung stand: Dass aus die- sem Haus etwas wurde, hing von denen ab, die hier tätig waren, und da muss man einfach sagen: Wir hatten gewaltiges Glück mit den Rektoren und mit der Verwaltung. Allerdings fand das meiste statt, als ich längst nicht mehr Senator war und keinerlei Einfluss mehr auf die Geschicke des Hauses hatte. Peter Glotz Wie es anfing

In meiner Berliner Zeit habe ich viele Mittag- und Abendessen im ‚Don Ca- millo‘, einem Nobelitaliener in der Schloßstraße, einen Steinwurf vom Char- lottenburger Schloss entfernt, mit den unterschiedlichsten Leuten hinter mich gebracht. Eines davon, an einem windigen Spätherbstabend 1978, werde ich nie vergessen. Ich traf mich mit Monica und Peter Wapnewski. Ich wollte Wapnewski, damals Professor in Karlsruhe, an einer guten Technischen Uni- versität, an der Altgermanisten im wohltuenden Schatten leben, weil sie nicht von künftigen Deutschlehrern überlaufen werden, zum Gründungsbeauftrag- ten eines Institute for Advanced Study machen. Das war für Berlin eine sanfte Provokation. Wapnewski war an der FU Professor gewesen, hatte sich aber in- digniert abgewandt, als die 68er Revolte ihre ersten Wendungen ins Vulgär- Geistfeindliche nahm. Wapnewski war für die Freie Universität (und auch die Ber liner SPD) der Inbegriff des Elitären. Genau aus diesem Grund wollte ich ihn. Der große, etwas gebeugt gehende Mann war (und ist) nämlich nicht ein- fach ein Professor. Er ist ein Intellektueller, der ein beeindruckend weites Spek- trum von Neigungen und Interessen hat; über viele Jahre arbeitete er mehr über Richard Wagner als über Walther von der Vogelweide oder das ‚Hilde- brandslied‘. Später haben wir auf Wapnewskis Vorschlag hin beschlossen, in unser Ins titut ‚Persönlichkeiten des geistigen Lebens‘, also nicht nur Akademiker, sondern auch Schriftsteller, Komponisten, Kreative jeder Art einzuladen. Es kamen Enzensberger, Vargas Llosa, Ligeti. Wapnewski war für mich der Ga- rant für intellektuelles Niveau und für eine Atmosphäre, die schöpferisches Arbeiten ermöglichte. Er konnte schroff sein, gewiss, konnte mit Halbsätzen töten, war der große Maliziöse, aber er war blendend vernetzt, im Wissen- schaftsrat, im Deutschen Akademischen Austauschdienst, in der Deutschen Forschungsgemeinschaft – und trotzdem kein organisierender Großordina- rius, sondern ein verletzlicher Selbstdenker. LUDWIG FINSCHER · MENACHEM FISCH · JENS MALTE FISCHER · PHILIP FISHER · TECUMSEH W. FITCH ·

66 Der Patron kam mit einem Wagen an den Tisch, auf dem die Pasta, das Fleisch, die Fische unter einer Folie ausgestellt waren. Im Grunde wussten wir PETER schon beim ersten Zuprosten mit einem gut gekühlten Weißwein aus dem Friaul, dass wir uns einig werden würden. Monica Wapnewski, eine Künstle- G LOTZ rin, wollte aus der beschaulichen badischen Provinz in die Groß stadt. Wir wurden uns einig, nicht über Einzelheiten und nicht über die Bezüge (die mit der Administration dann noch zu einem Kampf führten), aber über das Prin- zip. Wenn ich etwas – oder jemanden – will, kann ich zäh sein. Die Vorgeschichte dieses Arbeitsessens, das ein Vergnügen war, ist schnell erzählt. Eines Tages hatte mich der Regierende Bürgermeister zu sich gebeten und ersucht, eine Idee zur Ehrung Ernst Reuters, des großen Berliner Bürger- meisters, zu seinem 25. Todestag zu entwickeln. Ungefähr zur gleichen Zeit kam einer meiner besten Beamten, Jochen Stoehr, aus der Forschungsabtei- lung zu mir und erzählte von einer alten Villa im Grunewald, in einer geboge- nen Nebenstraße der Koenigsallee, der Wallotstraße. „Zauberhaft“, schwärmte der Senatsrat, der dort die hochrangigen internationalen ‚Dahlem-Konferen- zen‘, lebenswissenschaftliche Workshops mit den Spitzen von Biologie und Medizin, unterbringen wollte. Aber wie sollte man die Restaurierung dieses holzgetäfelten, teppichstillen Schmuckstücks mit einem löcherigen Dach und abgeschraubten Beschlägen bezahlen, fragten wir uns, als wir durch die kalte, schon lange leerstehende Villa streiften, die nach 1945 ein britisches Offi- zierskasino beherbergt hatte. Da fiel mir Ernst Reuter ein – und meine Idee eines Zentrums, in das man die besten Köpfe der Welt für eine gewisse Zeit einladen könnte. Das würde Berlin doch gut tun. Ich war im Frühsommer in den Vereinigten Staaten herumgereist, in Princeton, Palo Alto und im Wood- row-Wilson-Center gewesen, hatte lange mit Harry Woolf, dem damaligen Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton, geredet und mir in den Kopf gesetzt, in Berlin ein vergleichbares Institut – kleiner, ohne Phy sik- Fakultät, konzentriert auf Geistes- und Sozialwissenschaften – zu gründen. Das war es: ein Ernst-Reuter-Institut für Advanced Study. Es war also, wie oft bei wichtigen Gründungen, ein zufälliges Zusammenschießen nicht zusam- menhängender Elemente: Ernst Reuter, das Haus in der Wallotstraße, die Idee Advanced Study. Nun gab es, wie es sich herausstellte, zwei dicke Mauern, die wir überwin- den mussten. Sollte das Institut wirklich erstklassig werden, brauchte es die Unterstützung der großen Wissenschaftsorganisationen, deren Präsidenten sich in einer selbstironisch ‚Heilige Allianz‘ genannten lockeren Runde zusam- mengeschlossen hatten. Die meisten damaligen Mitglieder dieser harmlos daherkommenden, aber mächtigen Superstruktur vertrauten mir zwar – man kannte sich aus Bonn –, aber sie alle wussten, dass Senatoren immer wie der wechseln. Eine ‚Berliner Institution‘, bei der man vom jeweiligen Senat ab- EGON FLAIG · KURT FLASCH · MARIE THERES FÖGEN · DAGFINN FØLLESDAL · KLAUS FOPPA · hängig wäre, wollten sie unter keinen Umständen. Also schraubten wir am 67 Konzept – das zum 25. Todestag Reuters 1978 ja vom Abgeordnetenhaus be- schlossen war – solange herum, bis eine zweistufige Lösung herauskam. WIE ES AN Die Ernst-Reuter-Stiftung war nur die Trägerorganisation eines ‚Wissen- schaftskollegs‘, das auch nicht einfach ‚Wissenschaftskolleg Berlin‘, sondern F höchst absichtsvoll ‚Wissenschaftskolleg zu Berlin‘ genannt wurde. Die Finan- ING zierung kam zuerst einmal (immerhin 3,5 Millionen Mark) von der Volkswa- genStiftung. Otto Häfner, der zuständige Abteilungsleiter der Stiftung, hatte sich mit großer Kraft engagiert. Die Stipendien für die Fellows, die Gäste, kamen teils aus Berlin, teils vom Bonner Forschungsministerium Volker Hauffs. So ging es dann, aber auch nur, weil Reimar Lüst, der Präsident der Max-Planck- Gesellschaft, auf seine Kollegen immer wieder einwirkte. Ohne Lüst, den wohl mächtigsten und oft genug stillsten deutschen Wissenschaftsorganisator der letzten 30 Jahre des 20. Jahrhunderts, hätte ich das Wissenschaftskolleg nie durchsetzen können. Wapnewski, der mit Lüst befreundet war, sagte gele- gentlich bewundernd: „Ja, ja, der war U-Boot-Fahrer.“ Die zweite dicke Mauer, die es zu überwinden galt, war die strikte Ableh- nung, die die Berliner Linke jeder ‚elitären‘ Einrichtung entgegenbrachte. ‚Elite‘ war ein Unwort für die Berliner SPD. Aber auch die anderen Parteien und die Mehrheit der Bevölkerung hielten Elite für ein Synonym für Paradies- vögel. 1980 fasste ich schließlich den Mut, im ‚Spiegel‘ den Essay ‚Die Linke und die Elite‘ zu publizieren, dessen Kernsätze lauteten: „Die deutsche Linke würde einen katastrophalen Fehler machen, wenn sie sich auf den naheliegenden Reflex angewiderter Ablehnung beschränken würde. Eine solche Haltung wäre realitätsfern und unpolitisch.“ Aber was Glotz (in bezug auf Paradiesvö- gel) im ‚Spiegel‘ schrieb, war ‚Feuetong‘; das Abgeordnetenhaus hätte es nie beschlossen. Deswegen rühme ich das Memorandum zum Kolleg, verfasst von Jochen Stoehr und seinem von der Forschungsgemeinschaft entliehenen Kol- legen Christoph Schneider, als hohe Verwaltungskunst. Sie begründeten die Erfindung einer Eliteinstitution, ohne das Wort Elite ein einziges Mal zu ge- brauchen. Ich muss noch – Berlin war eine Enklave der Alliierten – einen baumlan- gen, kahlen, vor Energie sprühenden Amerikaner erwähnen, Shepard (Shep) Stone, der das von Berlin finan zierte Aspen Institute leitete und großen Ein- fluss in der Stadt hatte. Er hat sicher dreimal mit mir im ‚Seehof‘ gegessen und mich mit seiner überdimensionalen Mont-Blanc-Füllfeder beeindruckt, um zu verhindern, dass ich den früheren APO-Mann Ekkehard Krippendorf ans John F. Kennedy Institute berief. Aber man muss zugeben, dass Shep, der Berlin aus den 30er Jahren her kannte, eine Deutsche geheiratet hatte und als enger Mitarbeiter General McCloys ins zerstörte Deutschland zurückgekom- men war, nicht nachtragend war. Ich habe Krippendorf berufen, und dennoch REMIGIUSZ FORYCKI · KEVIN R. FOSTER · KENNETH FRAMPTON · ELI FRANCO · ÉTIENNE FRANÇOIS ·

68 hat Shep, als das Projekt Wissenschaftskolleg anstand, in seinem Kreis mit den Leitern der Berliner Wissenschaftsorganisationen geholfen. Er liebte PETER Wapnewski nicht. Aber er liebte Berlin. Irgendwo in meinen Kisten muss noch ein Foto sein, das er mir geschenkt hat: Wie er – damals Mitte sechzig – mit G LOTZ nacktem Oberkörper vor seinem Landhaus in Vermont Holz hackt. Shep hat auch in seiner Wahlheimat Berlin allerhand Bäume, die im Weg standen, zu Kleinholz verarbeitet. Mein stärkstes politisches Argument für das Kolleg lautete: Wir wollen von den Nazis vertriebene Gelehrte – Ernst Reuter war auch von den Nazis vertrieben worden – wenigstens für ein akademisches Jahr nach Berlin zurück- holen. So war Gershom Scholem, unter dem Namen Gerhard Scholem der engste Freund Walter Benjamins, Fellow des ersten Jahres. Es ging uns aber nicht nur um Juden; das Kolleg war nie ein ‚hebräischer Verein‘ (wie das eine oder andere feindliche Blatt insinuierte). Der Verein hatte allerdings erkannt, dass der Kontakt mit Israel aus wissenschaftlichen Gründen von Bedeutung war; das war vor allem ein Verdienst des Permanent Fellows Yehuda Elkana. Der kam allerdings erst nach meiner Amtszeit ans Kolleg. Hier ist der Ort, von Hellmut Becker zu sprechen, dem Direktor des Berli- ner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, der in dieser Stadt von zu- rückbleibender Lebenssubstanz zu den übriggebliebenen Großbürgern, den souveränen Verbindungskünstlern gehörte. Becker, der Sohn des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker, war einer der Väter der Bildungsreform in Deutschland, saß in zahllosen Gremien, war ein großer Reisender und konnte so gut wie kein anderer raten, warnen und fördern. Wapnewski hat ihn später den ‚père noble‘ des Gründungsprozesses genannt. Die Idee, Wap- newski nach Berlin zurückzuholen, wurde mir von Becker nahegebracht ge nauso wie der Vorschlag, Joachim Nettelbeck, der vorher an der damals linksradikalen und mittelmäßigen Fachhochschule für Wirtschaft Verwal- tungsleiter gewesen war, zum ‚Sekretär‘ des Kollegs zu machen. Nettelbeck ist seit einem Vierteljahrhundert ein sich niemals in den Vordergrund spielen- der Generalsekretär, dem der Komment des Kollegs verbietet, den General im Titel zu führen. Auch Wapnewskis kongenialer Nachfolger, der Soziologe Wolf Lepenies, muss eine Idee Beckers gewesen sein – das war lange nach meiner Zeit. Lepe- nies war, weil er nicht gesinnungstüchtig genug war, von der Freien Universi- tät mit einer C3-Professur abgefunden worden. Princeton allerdings riss sich um ihn. Mein Nachfolger Kewenig berief ihn schließlich mit innerem Wider- streben, weil er lieber einen Naturwissenschaftler gehabt hätte. Becker war der Stichwortgeber im Hintergrund, der leise, nachdrückliche, kenntnisrei- che, listige Nebenbemerkungskünstler, der ohne formelle Zuständigkeit und ohne große Position die Institution prägte. Als er starb, hörte der mit dem Ju- STEVEN A. FRANK · NIGEL R. FRANKS · NANCY FRASER · DOROTHEA FREDE · MICHAEL FREDE · dentum und Israel eng verbundene Becker – so erzählen Freunde – fast nur 69 noch Tristan. Der Antisemit Wagner war ein großer Komponist und Becker einer der letzten Repräsentanten des aussterbenden Berliner Bürgertums. Er WIE ES AN konnte unterscheiden. Was will diese Miszelle über das Kolleg sagen? Dass es heute eine der ange- F sehensten Einrichtungen seiner Art in der ganzen Welt ist. Ich stand ganz am ING Anfang, griff in die Luft und fügte per Zufall vorbeischwebende Chancen zu- sammen. Meine größte Lebensleistung – ein geistesgegenwärtiges Zupacken auf Zufälle, die vorbeischwebten wie die Christbaumkugeln des sich drehen- den Baums, den der ‚Stille-Nacht-Heilige-Nacht‘ klimpernde Christbaumstän- der meiner Großmutter drehte. Dass das Kolleg aber so gut wurde, wie es ist, ist nicht mein Verdienst, sondern das Ergebnis der Arbeit der Lebendigen und der Toten, die ich hier gepriesen habe. Peter Wapnewski und Peter Glotz, 1980.

Beratungsrunde des Arbeitsausschusses Institute for Advanced Study im Aspen Institute am 17. Dezember 1979. Von oben links umlaufend: Peter Glotz, Shephard Stone, Peter Wapnewski, Hanna-Beate Schöpp- Schilling, Meinolf Dierkes, Jochen Stoehr (stehend), Horst-Eberhard Richter, Harry Woolf, Wolfram Fischer, Thomas A. Trautner, Günter Sauerbrey, Gerhard W. Becker, Edith Hagenguth, NN, Werner Knopp, NN. Peter Glotz und Reimar Lüst, 1980. Hellmut Becker.

Gershom Scholem bei seinem Festvortrag Shepard Stone, zusammen mit Peter Wapnewski und anlässlich der Eröffnung des Wissen- Bundespräsident Karl Carstens, im Hintergrund schaftskollegs am 6. 11. 1981. Senator W. A. Kewenig, 1983. Joachim Nettelbeck, 1983. Peter Wapnewski, 1983.

Otto Häfner und Wolf Lepenies im Gespräch am 6. 11. 1981. Fellows im Gespräch mit Bundespräsident Karl Carstens (vorne rechts), 1983.

Dienstagskolloquium (am 26. 10. 2004 mit Bernard Wasserstein). Wolf Lepenies und am 11. 12. 1989 im Wissenschaftskolleg.

Dieter Grimm und Richard von Weizsäcker, im Hintergrund Jürgen Engert, 2001. Imre Kertész, Fellow des Jahres 2002/03, nach der Verleihung des Literaturnobelpreises, am 16. 12. 2002 bei der Veranstaltung ‚Ungarische Lebenswelten‘ im Wissenschaftskolleg, links neben ihm Yehuda Elkana.

Dieter Grimm, 2005.

Peter Wapnewski Die ersten fünf Jahre

Die Zeiten, sie sind nicht so, dass in unseren Hohen Schulen ein gelehrter und kreativer Kopf sich in Konzentration und Kontinuität seiner forscherischen Aufgabe hingeben kann. Und: Die Zeiten, sie sind nicht so, dass die Gesell- schaft gleich welchen Landes und welcher Kultur es sich leisten könnte, auf den Ertrag der kreativen Arbeit des gelehrten Kopfes zu verzichten. Dies ist die sehr einfache Überlegung, die zur Konzeption und Gründung eines Wissen- schaftskollegs zu Berlin geführt hat. Einer Institution, die es auf deutschem Boden noch nicht gab, die auch den anderen europäischen Ländern kaum ver- traut war, für deren Funktion aber die USA eindrucksvolle Beispiele geliefert haben, allen voran das nun schon über ein Dreivierteljahrhundert blühende und auch vom Efeu des Legendären umrankte Princeton. Wer anfängt, hat die Chance, Traditionen zu stiften. Von diesen Tradi- tionen und wie sie aus dem Miteinander der Fellows und der Institution ent- standen, sollen im Folgenden einige Streiflichter festgehalten werden. Zen- trale Fragen des Wissenschaftskollegs sieht man hier im Entstehen: Sollen nur Einzelwissenschaftler eingeladen oder nicht vielmehr Themenschwer- punkte gebildet werden, zu denen kleinere Gruppen von Fellows eingeladen werden? Wie sollen die wissenschaftlichen Kolloquien der Fellows gestaltet werden – mehr für die Öffentlichkeit oder mehr zur internen Selbstverständi- gung gedacht? Wie kann man Naturwissenschaftler von den besonderen Chancen eines Aufenthalts am Wissenschaftskolleg überzeugen? Welche Mög- lichkeiten bieten sich an, um die Zusammensetzung der Jahrgänge im Hin- blick auf Alter, Geschlecht und Herkunft der Fellows zu diversifizieren? Wel- ches Minimum an Regeln für ein gemeinsames Leben und Arbeiten am Wis- senschaftskolleg erweist sich als unabdingbar? All diese Fragen sind Themen mit Variationen, und so werden sie auf den folgenden Seiten auch zu lesen sein. Sie wurden begleitet und akzen tuiert durch das zuweilen leise und karge, zuweilen heftige und überquellende Gespräch der Fellows miteinan- der, untereinander, gegeneinander – wie auch mit dem Rektor, seinen akade- ECKART FREHLAND · NORBERT FREI · UTE FREVERT · BRUNO S. FREY · ANGELA FRIEDERICI ·

78 mischen Beratern und der Ver wal tung. Zwischen den Zeilen der folgenden Seiten mag etwas von dem deut lich werden, was als Voraussetzung und Folge PETER WA der wissenschaftlichen Kommunikation die Lebenswirklichkeit dieses ‚convi- vium‘ geprägt hat, das Miteinander in Spannung und Gelassenheit, in Provo-

P kation und Konsens, in Respekt und Fairness, woraus zuweilen auch Freund- NE schaft wurde. W

SKI Um einen Eindruck von der Lebendigkeit dieser Traditionsbildung in den Anfangsjahren zu vermitteln, habe ich davon abgesehen, mich allein auf das täuschende Zeugnis des eigenen Gedächtnisses zu verlassen. Ich nehme viel- mehr Überlegungen und Beobachtungen auf, die in die Vorreden der Jahrbü- cher des Wissenschaftskollegs zu den fünf ersten Jahrgängen eingegangen sind – aus dem unmittelbaren Eindruck der einzelnen Jahre.

1981/82

„Der Spätherbst in Berlin hat gewöhnlich noch einige schöne Tage.“ Diese Feststellung des ostpreußischen Berliners E.T.A. Hoffmann leitete die Feier- stunde ein, mit der am 6. November 1981 die Arbeit des Wissenschaftskollegs zu Berlin offiziell begann. Um die ersten 18 Fellows waren die Freunde und Patrone des Hauses versammelt, unter ihnen der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker und der Berliner Senator für Wissenschaft und Kunst Wilhelm A. Kewenig; aus der Regierungsstadt Bonn war unter anderen der Bundesminister für Forschung und Technologie Andreas von Bülow gekom- men. Das eigentliche Ereignis aber war die Festrede des großen alten Mannes Gershom Scholem. Weisheit und Wissen, Gelehrsamkeit und Witz waren darin, und ein Rest von Geheimnisvollem, das sich aller Aufschlüsselung ver- weigert, weil es angesiedelt ist in dem Bereich, der höher ist denn alle Ver- nunft. Seine Rede bildete das Zentrum dieser Feierstunde, so wie er selber ungewollt zum Zentrum der ersten Fellow-Crew geworden war – die mehr verlor als nur einen großen Kollegen, als er nach den Weihnachtsferien 1981/82 nicht mehr zu uns zurückkehren konnte. Die erste Crew, die der Pilgerväter und -mütter, hatte in vieler Hinsicht das Glück und die Last des Anfangs zu tragen. Sie konnte Tradition begrün- den, nicht aber sich schon auf Tradition stützen. Sie konnte Zeichen setzen, nicht aber sich an schon gesetzte Zeichen halten. Dieser erste Jahrgang war in höherem Maße als eigentlich wünschenswert aus Improvisation und Zufall komponiert, doch hat er die Chance der Nullpunkt-Situation genutzt, ohne sich durch ihre Nachteile wesentlich irritieren zu lassen. Die Zusammenset- zung unterstand nicht zuletzt pragmatischen Gesichtspunkten: Es war keine Zeit geblieben, um die Vorauswahl und Auswahl aus dem notwendigen Ab- ALBERT FRIEDLANDER · SAUL FRIEDLÄNDER · LAURENCE M. FRIEDMAN · JUDIT FRIGYESI · stand von etwa zwei oder drei Jahren zu betreiben. So mancher, den das Kol- 79 leg sich als Fellow der ersten Stunde gewünscht und der seinerseits gern sein D

Jawort gegeben hätte, musste fernbleiben, weil die Umstellung der Arbeits- IE ERSTEN FÜN und Lebensumstände binnen kurzer Zeit nicht gelingen konnte. Die Auswahl war darauf bedacht, die notwendigen Prämissen zu beachten, als da sind: die angemessene Mischung von Deutschen und Ausländern, von männlichen und weiblichen Wissenschaftlern, von Jugend und Alter und von sich berüh- F JAHRE renden und ergänzenden Fachdisziplinen. Doch konnte eben dieser Entwurf nur in einem Punkte konsequent durchgehalten werden: in dem satzungsbe- dingten Willen, keine Konzession an die wissenschaftliche Qualität zu ma- chen. Dieses Haus hat sich nie lauthals gerühmt, eine Pflege- und Bildungs- stätte für eine Elite zu sein. Aber die Tatsache der Bereitstellung öffentlicher Mittel zum Zwecke einer von allen Lehrverpflichtungen dispensierenden freien Forschungszeit bedeutet eine Privilegierung, die sich nur rechtfertigen lässt durch die Leistung. Mit den improvisatorischen Momenten der Vorbereitungsphase hing es zusammen, dass bestimmte Fächer im ersten Jahr unterrepräsentiert waren, dass vor allem die Naturwissenschaften fehlten – was alles andere als ein ge- wollter konzeptioneller Akt war. Aber es zeigte sich, dass Naturwissenschaft- ler schwerer herauszulösen sind aus ihrem Tätigkeitsfeld, dass sie stärker eingebunden sind in Team und Apparatur als die geisteswissenschaftlichen Kol legen und dass man ihnen mehr Zeit geben muss zur Vorbereitung und Entscheidung. Deutlich wurde, dass die erwünschte Konfiguration von Interessen, Me- thoden und Fächern nur durch eine stärker planende Systematik zu verwirk- lichen ist. Die Frage, ob am Anfang die themenbestimmte Gruppe (Cluster) stehen soll oder der jeweils Einzelne, der mit dem jeweils anderen Einzelnen dann zum themenbestimmten Verbund zusammenwächst, blieb eine stän- dige Zweifelsfrage – und sie ist es in gewisser Weise bis zum heutigen Tag ge- blieben. Sie wurde im Wissenschaftskolleg auf dem Wege des Kompromisses gelöst, und zwar insofern, als sich aus den vielfältigen Diskussionen mit dem Wissenschaftlichen Beirat und den Fellows Schwerpunkte herauslösten, auf die hin Einzeleinladungen ausgesprochen wurden. Allerdings wurden Fellows nie nur im Hinblick auf ein Schwerpunktthema eingeladen, sondern stets als Einzelpersonen mit ihrem spezifischen Forschungsprojekt. Bestimmten Wis- senschaftlern in als zentral eingeschätzten Feldern wurde bei der Vorplanung die Frage gestellt nach jenen Kollegen (auch anderer Disziplinen), mit denen sie sich eine sinnvolle und fruchtbare Zusammenarbeit vorstellen konnten oder wünschten. Auf solche Weise entstanden in jedem Jahr etwa drei oder vier Gravitationsfelder. Zwischen ihnen bewegten sich dann, verbindend oder auch in schöner Beschränkung auf das Eigene, die freischwebenden Gelehr- BRUNO FRITSCH · JANE F. FULCHER · RAGHAVENDRA GADAGKAR · WULF GAERTNER · HEINZ P. GALLER ·

80 ten, auf die wir, Erfahrungsbegriffe wie Einsamkeit und Freiheit und einen sich schützenden Individualismus respektvoll achtend, nicht verzichten woll- PETER WA ten. Als praktische Regel hat sich herausgestellt, dass in keinem Jahrgang mehr als 40 Prozent aller Einladungen im Hinblick auf Schwerpunktthemen

P ausgesprochen werden sollten. NE Schon aus der Zusammensetzung der ersten Crew ergab sich sehr bald W

SKI und zwanglos eine Schwerpunktlandschaft, gebildet aus den Bereichen Lite- ratur und Literaturwissenschaften, Geschichtswissenschaften, Philosophie, Soziologie und Ökonomie. Dabei machten wir die überraschende Erfahrung, dass es nicht die scheinbar oder tatsächlich durch Thematik und Fach vorge- gebene Interaktion war, die den wissenschaftlichen Austausch bewegte, son- dern der Grenzverkehr zwischen den scheinbar einander nicht zugewandten Provinzen. Die Literaten und Literaturwissenschaftler etwa ließen sich be- stimmen von Impulsen, die aus den Arsenalen der anderen Geisteswissen- schaften kamen. Eine produktive Enttäuschung, der gleichen wir viele erlebt haben mit jenen um Schwerpunktthemen grup pierten Fellow-Einladungen. Das Wissenschaftskolleg lebte in diesen Anfangsjahren von Mitteln der Öffentlichen Hand und der – damals so genannten – Stiftung Volkswagen- werk (heute: VolkswagenStiftung). Es hatte die Pflicht, eben dieser gebenden Öffentlichkeit die angemessene Verwendung der Mittel darzulegen. Das konnte nur mit Hilfe jener Instrumente geschehen, welche die der geförder- ten Institution sind: mit Hilfe also der öffentlichen wissenschaftlichen De- monstration. So stand am Anfang aller diesem Komplex geltenden Überlegun- gen die unbezweifelte Konzeption öffentlicher Kolloquien. Dass eine jede solche Veranstaltung Funktion des Temperamentes, der Wissenschaftlichkeit des Themas und der Äußerungsformen des jeweiligen Vortragenden ist, wurde nur allmählich verstanden. Hier musste Flexibilität erst eingeübt wer- den, um zu lernen, dass es dem Vortragenden und seinem Gegenstand in souveräner Freiheit anheimgegeben ist, die Praxis seines Auftritts selber zu gestalten. Er mochte eine öffentliche Vorlesung in großem Hörsaal halten, einer Seminarsitzung präsidieren mit vorbereiteten Ko-Referenten oder ohne sie; er mochte in kolloquialem Stil Fragmentarisches bieten oder in ausge- feilter Rede ein in sich geschlossenes Werk vorstellen; er mochte im kleinen Kreise der Fellows Vor- und Nachbereitung üben oder die Öffentlichkeit ein- schränken auf die Teilnahme nur einiger fachlicher Experten aus den Berli- ner wissenschaftlichen Instituten; er mochte schließlich aus seiner Arbeit heraus einen Workshop bilden mit Teilnehmern von nah und von weither, der sich über Tage hinzog – all diese unterschiedlichen Formen der Vorstel- lung sollten möglich und willkommen sein. Interesse und Engagement der Berliner Öffentlichkeit, insbesondere der Kollegenschaft aus der Freien Universität und der Technischen Universität, JOHAN GALTUNG · MAURICE GARDEN · ALDO GIORGIO GARGANI · MERRILL GARRETT · waren von Anfang an groß. Die akademisch-intellektuelle Welt bedarf der 81 Kristallisationspunkte für die ungezwungene, aber doch der Disziplin gemein- D samer Denkanstrengung unterworfene Zusammenkunft. Das Wissenschafts- IE ERSTEN FÜN kolleg hatte die Chance, die Funktion eines von wechselnder wissenschaft - licher Thematik strukturierten akademischen Clubs wahr zunehmen. Die akademische Welt ist, wie allgemein bekannt, ein in sich schwieriger und von heiklen Kräften und Emotionen bewegter Komplex, dem man in höherem F JAHRE Maße als die deutsche Universität und ihr zur Ideologie empor gesteigerter Individualismus es will, die Chance zur Übung von Zwischenmenschlichkeit und Geselligkeit geben muss. Die Beziehungen des Wissenschaftskollegs zu den beiden großen West- Berliner Universitäten waren anfangs, jenseits des erwähnten allgemeinen Interesses und der Neugier, auf beiden Seiten von Zurückhaltung geprägt. Aber alle Beteiligten scheuten die Auseinandersetzung nicht, daraus wurde schließlich eine Haltung der Über einkunft, wie sie sich aufs eindrucksvollste niederschlug in der ‚Koope ra tions verein ba rung zwischen den Universitäten des Landes Berlin (Freie Universität Berlin und Technische Universität Berlin) und dem Wissenschaftskolleg zu Berlin – Institute for Advanced Study‘. Die beiden Universitätspräsidenten und der Rektor des Kollegs unterzeichneten sie im Juni 1982. Das Wissenschaftskolleg war bestrebt, das Maß der ordnungsstiftenden Regularien und der bindenden Verpflichtungen für seine Fellows auf das un- erlässliche Minimum zu beschränken. Das Bewusstsein, ein Service-Unterneh- men zu sein für die Entfaltung kreativer intellektueller Energien, gehörte zu den grundsätzlichen Voraussetzungen des Engagements und der Tätigkeit eines jeden Mitarbeiters. Auf der anderen Seite waren sich auch die Fellows dessen bewusst, dass sie zu einer bloßen Addition von wissenschaftlichen Mo- naden zerfallen würden, wenn sie nicht bestimmte For mationen des Gemein- samen und der Gemeinsamkeit bildeten, anerkannten und ihnen auch einen Teil der persönlichen Willkür zu opfern bereit waren. Die gemeinsame Mahl- zeit fünf Mal in der Woche; die Bereitschaft, als Gast des Wissenschaftskollegs zu Berlin konsequent am Ort sich aufzuhalten; und das Akzeptieren und Üben bestimmter, den Umgang miteinander erleichternder und prägender Formen waren und sind die gewiss nicht unangemessenen Verpflichtungen. Der erste Jahrgang bewährte seine Substanz nicht nur in dem, was er aus dem Angebotenen nutzte und umsetzte in wissenschaftliche Arbeit, sondern auch in dem, was er (allermeist klaglos) entbehrte. So lebhaft der Applaus für die Leistung der Bibliothek war, so deutlich war das Missvergnügen angesichts von Unzulänglichkeiten des Fellow-Sekretariates, und mit gedämpfter Stim me wurde auch die Qualität des Essens getadelt. Dies und anderes konnte mit eini- gen entschiedenen Maßnahmen geändert werden, und schon die Fellows der KEVIN J. GASTON · HANS-MARTIN GAUGER · ALEXANDER GAVRILOV · PETER GAY · CLIFFORD GEERTZ ·

82 zweiten Crew genossen die Früchte der Saat des Entbehrens ihrer Vorgänger. Besonderer Erwähnung bedarf, mit welch großem Maß an Takt, verzeihen- PETER WA dem Verstehen und überlegenem Improvisationsvermögen die Misshelligkei- ten bewältigt wurden, die aus dem Bezug unfertiger Wohnungen entstanden.

P Hier war das Kolleg auf peinliche Weise im Stich gelassen worden von den NE zuständigen Firmen und Handwerkern, und niemandem wäre es zu verargen W

SKI gewesen, hätte er auf solche Unzulänglichkeiten mit unwirschem Protest rea- giert. Stattdessen entwickelte sich sehr bald eine Art von Kompen sationsethik, die mit Wohlgefallen auf die zwischenmenschlichen Kontakte verwies, wie sie sich notwendig ergeben aus dem Zwang der nachbarlichen Hilfe und Bera- tung: der Mangel als Voraussetzung der Begegnung, der Defekt als Mittel der Kooperation.

1982/83

Dieses neue Jahr sollte nicht vor allem Fortsetzung, sondern auch ein neuer Anfang sein. Gemäß dem Willen des Planungskonzepts steigerte sich die Zahl der Stipendiaten auf 25. Sie wurde noch erhöht durch Gäste des Rektors, die für einige Wochen kamen, um durch ihre Kompetenz Arbeitsvorhaben und Seminarunternehmungen zu komplettieren und einzelne Fellows zu unter- stützen. Die Zusammensetzung des Jahrgangs war noch ohne eine systemati- sche Schwer punktbildung vorgenommen worden. So bestand er aus Vertretern vieler, vielleicht allzu vieler Disziplinen: Mathematik, Biophysik, Psy chologie, Soziologie, Politologie, Rechtsgeschichte, Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Geschichte, Klassische und Mediävistische Philologie, Literaturwissenschaft und Musik. Teilte man diese Gebiete statistisch auf, so zeigte sich, dass keinem von ihnen auch nur zwei Fellows verbunden waren. Das bunte Bild mochte seine Vorzüge haben und eine gewisse Lebhaftigkeit garantieren, aber die Planung der nächsten Jahre sollte dank dem größeren zeitlichen Vorlauf dazu führen, die organische Struktur von Forschungsfeldern und ihre gewünschte Überschneidung oder Berührung strikter zu betreiben. Ungebärdiger als der Staat, der die Autonomie des Hauses sorgsam respek- tierte, meldete die Öffentlichkeit ihre Erwartungen und Forderungen an und wünschte teilzuhaben an der Arbeit des Kollegs und seiner Gäste. Die nach- haltigste Form einer solchen Präsentation war die der Kolloquien. Wie schon im ersten Jahr galt die Bitte an jeden Fellow, einmal in den zehn Monaten seines Berliner Aufenthaltes aus seinem Arbeitsbereich zu berichten – in wel- cher Form auch immer: als Vortrag, als Seminar, als Laborstunde, sei es vor einer unbegrenzten (nur durch die Raumgegebenheiten eingeschränkten) Öffentlichkeit oder vor wenigen zusätzlich geladenen Fachgenossen oder THOMAS GELZER · JÜRGEN GERHARDS · ROBERT GERNHARDT · RAYMOND GEUSS · MICHAEL T. GHISELIN · auch nur vor der vertrauten Kollegenschaft der Fellows. Diese Zusammen- 83 künfte fanden in den ersten vier Jahren nicht an den später kanonisierten D

Dienstagvormittagen, sondern an Mittwochabenden statt. Die sich anschlie- IE ERSTEN FÜN ßenden Debatten mit dem abschließenden Glas Wein sollten für das intellek- tuelle Berlin ein wichtiger Ort werden, an dem wissenschaftlicher Diskurs und gesellige Kommunikation sich trafen und verbanden. Freilich war unver- kennbar, dass bereits diese Form der Verpflichtung von manchen der Fellows F JAHRE als belastend empfunden wurde. Tatsächlich unterstand der Veranstaltungs- kalender des Hauses auf irrationale Weise dem Gesetz der sich mehrenden Termine: Ein Unternehmen erzeugte aus sich heraus weitere und zog andere nach sich, und in der Praxis wurde nahezu jede Arbeitswoche akzentuiert durch mindestens einen gemeinsamen Abend. Neben diesen öffentlichen Veranstaltungen gewannen die das innere Leben des Instituts strukturierenden internen Workshops zunehmend an Ge- wicht. Sie erstreckten sich meist über zwei bis vier Tage, zu ihnen wurden kompetente Fachgenossen aus dem In- und Ausland als Gäste des Kollegs gela- den, und sie ließen zuweilen auch, je nach Art des Themas und Tempera- ments des Veranstalters, eine limitierte Zahl Berliner Teilnehmer zu. Von in- tensiver Ausstrahlung war ein fast einwöchiges Seminar, das der französische Historiker Philippe Ariès vorbereitet hatte und unter dem Titel ‚L‘Espace privé‘ durchführte: Eine von romanischer Clarté, angelsächsischer Pragmatik und deutschem Problembewusstsein stimulierte Veranstaltung, die in vielen Zungen französisch sprach und die neben anderen willkommenen Gästen auch Norbert Elias ins Haus brachte. Zu den ermutigenden Posten der Bilanz gehörten auch die praktischen Erfahrungen im persönlichen und sachlichen Umgang mit den beiden gro- ßen Universitäten Berlins (deren Präsidenten Mitglieder des das Kolleg tragen- den e.V. sind). Die Kooperationsverträge hatten nach ihrer Unterzeichnung Klimatrübungen, wie sie anfangs die Beziehung unnötig irritierten, bereinigt. Die Konsultationen – insbesondere die Einladungen von Fellows betreffend – verliefen reibungslos und zu beiderseitigem Nutzen. Auch Senat und Abge- ordnetenhaus von Berlin demonstrierten weiterhin ihre Verantwortung für das Kolleg und sicherten die sogenannte mittelfristige Finanzierung – soweit das Land Berlin beteiligt war. Dem Abgeordnetenhaus wurde der Abschlussbe - richt, die Errichtung der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter betreffend, vor- gelegt. Die Stiftung Volkswagenwerk, ohne hin verdient um das Kolleg durch ihre großzügige Initialförderung, machte zu ihrem Ehrentage anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens dem Kolleg ein imposantes Geschenk: nämlich das des gegenüberliegenden Hauses Koenigsallee 21 (Weiße Villa). Es konnte mit Mit- teln der Klassenlotterie umgebaut und den Zwecken unseres Instituts dien- lich gemacht werden, mit sechs Einzel-Appartements, der im ersten Stock MICHAEL GIELEN · ALFRED GIERER · INGRID GILCHER-HOLTEY · CLAUDE GILLIOT · MICHAL GINSBURG ·

84 untergebrachten Biblio thek und dem im zweiten Stock untergebrachten, da- mals so genannten Fellow-Sekretariat. Der Bedeutung dieser Erweiterung PETER WA entsprach es, dass Ende Januar 1983 der Bundespräsident Karl Carstens das Haus besuchte und seiner Bestimmung übergab.

P Zwischen den Fellows dieses Jahrgangs und dem Rektor und seiner Ver- NE waltung gab es lebhafte Diskussionen über die Regularien eines solchen In- W

SKI stituts. Einige Fellows betrachteten die temporäre, durch wissenschaft liche Bindungen begründete Interessengemeinschaft Wissenschaftskolleg als eine Kor poration, deren Funktion und Organisation durch ein hohes Maß von so genannter Demokratisierung möglichst weitgehend auf alle verteilt werden sollte. So war es denn auch überraschend für Leitung und Mitarbeiter des Hauses, dass im Einzelfall immer wieder Protest gegen die Einrichtung der gemeinsamen Mahlzeit laut wurde oder auch gegen den Versuch des Rektors, das von Widersprüchen nicht freie Leben des Gemeinwesens (eines Corpus ir- regulare) durch ein Mindestmaß sanfter Formerfüllung und behutsamer Ein- übung in ordnende Gewohnheiten zu gliedern. Da dieses mit Zurückhaltung praktizierte Reglement in keinem Falle oktro yiert und da niemals etwa die Frage der Präsenz am Ort oder zu den Mahlzeiten zu einer Sache der Kontrolle gemacht wurde, blieb es verwunderlich, dass Einzelstimmen mit dem negativ gemeinten Urteil „Sehr deutsch!“ zu vernehmen waren. Ein Zeugnis, das sich freilich schnell relativierte, als man auf das Gewicht verwies, das eine entspre- chende Zensur in einer britischen oder französischen Institution ähnlicher Art gehabt hätte. Auch das die Stipendienhöhe der Fellows regelnde Prinzip ‚no gain – no loss‘ geriet in die Kritik, nachdem sich herumsprach, dass einige Stipendiaten des Kollegs – bedingt durch die Anrechnung ihres heimischen Gehaltes – ein Einkommen in doppelter Höhe dessen bezogen, was anderen Stipendiaten zuerkannt worden war (und zwar bei extremer Nutzung der rechtlich gegebe- nen Möglichkeiten im Sinne der jeweiligen Anhebung). Dieses war gewiss kein glücklicher Zustand, doch war die Alternative, ihn etwa zugunsten eines weit- gehend egalisierten Gehaltes aufzuheben, noch weniger verlockend, weil sie den Verzicht auf die Einladung hoch dotierter und in Ländern mit starker Währung tätiger Wissenschaftler bedeutet hätte. Alles in allem: Die Phase unserer Gründerzeit war übergegangen in die des Jugendstils. Wir erwarteten, was auf sie folgen würde, im Gefühl der Neu- gier und der Hoffnung. CARLO GINZBURG · LUCA GIULIANI · PETER GLOTZ · LÁSZLÓ GLOZER · MAURICE GODELIER ·

1983/84 85 D

Wie die Planung es vorsah, hatte die Zahl der Einladungen sich wieder erhöht. IE ERSTEN FÜN Im dritten Jahr arbeiteten 30 Fellows am Wissenschaftskolleg. Was die Länder- statistik betrifft, so stammte etwa die Hälfte von ihnen – genau 13 – aus der Bundesrepublik, elf aus den USA, drei aus Frankreich, drei aus Israel und je einer aus den Niederlanden und aus Italien. Auffallend bei solcher Streuung F JAHRE war die Massierung der amerikanischen Wissenschaftler, man konnte hierin ein Symptom sehen für die führende Stellung dieser Nation in den Bereichen vor allem der naturwissenschaftlichen Forschung. ‚Die Besten‘ arbeiten offen- bar zu gutem Teil in Amerika, zumindest werden sie von Gutachtern und Be- ratern dort am deutlichsten wahrgenommen. Hatte die Auswahl für die ersten beiden Jahre sich im Wesentlichen zu- frieden geben müssen mit der Chance, die Besten zu finden, gleichviel auf welchem Gebiet, so konnte bei langfristig angelegter und systematischer Vo rausplanung nunmehr der Gedanke einer Bildung von Feldern, einer Her- stellung von Schwerpunkten mit systematischer Konsequenz praktiziert wer- den. Das dritte Jahr war das erste mit Erfahrungen auf diesem Gebiet. Die Einladungen ließen klar abgrenzbare, aber sich bewusst auch überschnei- dende Bereiche erkennen, vor allem ein eindeutiges Gravitationsfeld in der Naturwis senschaft: Biologie, Genetik, Wissenschafts theo rie und -geschichte (etwa die Hälfte der Einladungen); daneben kleinere Schwerpunkte im Be- reich mikro- öko nomischer Fundierung makro-ökonomischer Modelle und der Kunst ge schichte. Die Vorzüge solcher Struktur waren kalkuliert worden. Das unverbindliche, wenngleich im Einzelfall reizvolle und stimulierende Nebeneinander wich der Zentrierung kleiner Gruppen um ein Thema gemein- samer Bemühung und gemeinsamen Interesses, damit konzentrierte sich die fachliche Diskussion und versachlichte sich die Debatte. Auch intensivierte sich der Kontakt zu anderen, an der strengen und kontinuierlichen Erörte- rung der Probleme interessierten Forschern in Berlin. Um es mit einem Schlagwort anzudeuten: Die wissenschaftliche Atmo- sphäre wurde professionalisiert. Aber in ebensolcher Entwicklung zur Grup- pierung und Konzentration lag natürlich auch ein Nachteil, vielleicht eine Gefahr: Die Arbeit mochte sich gelegentlich egalisieren zu einer Art von Pro- jektforschung (welche besser an dafür spezialisierten Instituten durchgeführt wird). Auch war die (unbewusste und ungewollte) Neigung zu einer gewissen Abschließung zu beobachten (etwa der Ökonomen), was gegenüber anderen Fellows die Wirkung einer gewissen Distanzierung haben konnte. Daraus war zu lernen, was man freilich zuvor schon vermuten konnte: Bei der Bildung wissenschaftlicher Gruppen ist es eine Sache des Kunstgeschicks, das rechte Maß für Nähe wie für Ferne zu finden. Das will heißen: Der Nähe bedarf es, RAINER GOEBEL · LYDIA GOEHR · ALTAN GOKALP · NILÜFER GÖLE · JACOB GOLDBERG ·

86 um die Intensität kompetenter wissenschaft licher Kommunikation zu ermög- lichen, das intime sachgerechte wechselseitige Verstehen; der Ferne wie- PETER WA derum bedarf es, um die durch Fremdheit und Unbefangenheit sich bietende überraschende Idee, die weiterführende Wendung zu finden. Bei solcher Er-

P kenntnislage aber ist es für die Planung der Jahre und ihrer dominierenden NE Wissenschaftsfelder geboten, sich des grundsätzlich spekulativen und vorläu- W

SKI figen, weitgehend im Bereich von Hoffnung und Erwartungen angesiedelten Charakters aller Voraussicht bewusst zu bleiben. Einfacher ausgedrückt: Eine Auswahl im Sinne disziplinärer Gruppenzugehörigkeit ist sinnvoll und an- strebenswert, doch darf sie die Planung nicht vorrangig beherrschen. Die Einladung eines jeden einzelnen Wissenschaftlers muss sich nach wie vor aus sich selbst heraus rechtfertigen. Die finanzielle Basis des Wissenschaftskollegs wurde nach wie vor von den staatlichen Zuwendungsgebern und ihrem Wohlwollen getragen. Hier bedurfte es weiterhin der beharrlichen und nicht ermüdenden Bemühungen beider Seiten. Die der Initialförderung dienenden Mittel der Volks wagen - Stiftung liefen 1984 aus, ihr Anteil wurde seit 1985 durch das Bundesministe- rium für Forschung und Technologie und das Land Berlin übernommen. Der geplante Neubau auf dem Nachbargrundstück Wallotstraße 21, dringend er- forderlich für die Erweiterung der Arbeitsräume der Fellows, konnte finan- ziell abgesichert werden. Es gehört zu den Schwierigkeiten bei der (immer wieder von außen er- warteten) Selbstdarstellung eines Hauses wie des Wissenschaftskollegs, dass die eigentliche Arbeit, nämlich die individuelle Forschungsleistung, sich im Stillen und unvermerkt vollzieht – so liegt es in ihrem Wesen und im Wesen des Fellow-Stipendiums. Aber das Bild der Institution wird nach außen hin ge prägt und akzentuiert durch wissenschaftliche Aktivitäten des zweiten Gra- des, nämlich durch Veranstaltungen mit (begrenztem) Öffentlichkeits cha rak- ter: Kolloquien, Seminare, Workshops, Symposien. Die Liste der Veranstaltun- gen des dritten Jahres war groß, manche meinen: zu groß. Aber es gab eine berechtigte und verständliche Erwartungshaltung des intellektuellen und akademischen Berlin. Ihr gerecht zu werden, war nicht nur eine Geste der Fellows gegenüber den Gastgebern, sondern bedeutete zugleich eine Berei- cherung auch für sie selbst, indem sie in stärkerem Maße mit der Wirklich- keit der Stadt, ihren Bewohnern und ihren Kollegen in Berührung kamen. Viele Besucher visitierten das Haus und seine Fellows, zuweilen kamen sie in kleinen Gruppen und von weither – so aus Japan – angereist und waren begierig, von unseren Erfahrungen zu hören. Die Zahl der öffent lichen Kollo- quien betrug 29, diese Veranstaltungen wurden vorbereitet, ergänzt oder be- gleitet durch hausinterne Seminare, die mit gewisser Regelmäßigkeit sich über Monate hinzogen. Der Schwerpunkt des einen: Geschichte, Soziologie ESTHER GOODY · JACK GOODY · VICTOR GOUREVITCH · ANTHONY GRAFTON · GYÖRGY GRANASZTÓI · und Philosophie der Wissenschaften. Der des anderen war den ökonomischen 87 Wissenschaften zugeordnet. D

Merklich und jedem Kenner der ersten beiden Jahre auffallend war eine IE ERSTEN FÜN Veränderung der Atmosphäre, des Umgangsstils, des Miteinanders. Die Jeans- und Bart-Generation bestimmte jetzt auch das Bild der professoralen Welt, und die Prädominanz des amerikanischen Elements verstärkte den legeren

Ton. Vielleicht lässt sich der veränderte Zustand in die Formel fassen: Anfangs F JAHRE wurde Formlosigkeit nicht als störend empfunden. Heute werden Formen nicht als störend empfunden. Der Grundsatz, dass im Wissenschaftskolleg jeder sich in der Sprache ausdrücken soll, in der er sich und seine Wissen- schaft am klarsten verständlich machen kann, brachte es mit sich, dass das amerikanische Englisch tonführend wurde und man beim Besuch der Mahl- zeiten oder der gemeinsamen wissenschaftlichen Veranstaltungen das Gefühl haben konnte, Gast in einer amerikanischen Universität zu sein. Dieser Zu- stand war gewiss kein Anlass zu kulturkritischen Jeremiaden, sondern be- stärkte uns in der Absicht, im Gegenzug Deutsch als Wissenschaftssprache vor allem auf dem Felde der Geisteswissenschaften und ihrer genuin europäi- schen Tradition nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zu diesem Zweck werden seit 1986 begleitende Deutschkurse für Fellows und ihre Familienan- gehörigen angeboten, seit dem Jahre 2000 gibt es im September jeden Jahres einen sechswöchigen vorbereitenden Deutschkurs. Erneut bedacht und mit den Vertretern der Fellows erörtert werden musste die Praxis des öffentlichen Kolloquiums. An der Idee sollte nicht gerüt- telt werden, doch musste es möglich sein, den Fellows das Prinzip dieser Ver- anstaltung deutlicher zu machen, als dies bisher gelang. Denn es ging ja um nichts anderes, als dem Fellow die doch gewiss auch ihm erwünschte Gelegen- heit zu geben, sich seines Arbeitsvorhabens zu vergewissern; darzulegen, welcher Art das ihn beschäftigende wissenschaftliche Problem ist, welche Mittel zu seiner Lösung führen können und wie weit der Weg zu einer solchen Lösung schon beschritten worden ist. In des Wortes präzisem Sinne also: Werk stattgespräch. Zu seinem Wesen gehört das Fragmentarische, das Unvoll- kommene, das Fragende und Fragliche, ein Selbstgespräch vor der Zeugen- schaft interessierter Fachgenossen oder aber auch mitdenkender Laien, das dann, falls gewünscht und angemessen, in eine weiterführende Diskussion übergehen kann. Eine solche provozierte Selbst vergewisserung wird am An- fang des Jahres ein anderes Gesicht haben als in seinem weiteren Verlauf und zu seinem Ende, je nach dem Stadium der Arbeit und ihrem Fortschreiten. Dieses Konzept wurde nicht von allen verstanden oder angenommen. Viele Fellows zogen es vor, sich mit einem sachlich wie stilistisch abgerundeten und abgeschlossenen Vortrag zu präsentieren – was niemandem verwehrt werden darf, auch wenn die Idee des Kolloquiums die des Blicks in den jeweili- STEPHEN GREENBLATT · CHRISTOPHER GREGORY · JAMES R. GRIESEMER · STEN GRILLNER · DIETER GRIMM ·

88 gen Zustand eines Arbeitsprozesses und der ihn treibenden Motive sein sollte: eben Work in Progress. PETER WA

P 1984/85 NE W

SKI Das Wissenschaftskolleg wuchs in diesem vierten Jahr allmählich heraus aus der juvenilen Phase der diskutierenden Selbstbefragung, Sinnerörterung und Zweckbegründung. Das Haus hatte 35 Fellows eingeladen, wiederum ein Kon- zept anbietend, das eine Kombination von Themenfeldern und von Einzelgän- gern darstellte. Die Schwerpunkte verteilten sich auf die Gebiete: Geschichte und Wesen des Dramas; Bach-Jubiläumsjahr (1685/ 1985); Antike Philosophie; Politische Ökonomie; Ther modynamik. Um diese Bereiche gruppierten sich die Einzeleinladungen, von denen zu hoffen war, dass sie sich durch die Gravi- tationsfelder jeweils angezogen fühlten. Gliederte man die Fellows nach ihrer Herkunft auf, so dominierten die Bundesdeutschen (13) und die US-Amerika- ner (12). Die übrigen Gruppen schlossen sich dem auf unerwünschte Weise dis- propor tioniert an: drei Polen und je ein Repräsentant Großbritanniens, Israels, Frankreichs, Österreichs und der Schweiz. Dass der Nahe und Ferne Osten, dass Südamerika so spärlich vertreten waren, widersprach durchaus der Absicht der Planungen und entzog sich weitgehend rationaler Erklärung. Das Gleiche galt für einige europäische Nationen wie Spanien oder Griechenland. Zu den negativen Posten dieser Bilanz zählte wiederum die Ergebnislosigkeit unserer Bemühung um Kollegen aus der DDR wie aus anderen osteuropäischen Län- dern. Wir ließen freilich nicht ab von unserem Werben und konnten erstmals im Jahre 1988/89, also noch vor dem Fall der Berliner Mauer, einen Fellow aus der DDR begrüßen. Eine andere Statistik spiegelt das Alter, die dritte das Geschlecht der Fel- lows. Wir waren nachdrücklich bestrebt, auch junge Wissenschaftler zu ge- winnen. Die Schwierigkeit lag darin, dass in vielen Fällen ihre Reputation verständlicherweise noch nicht fixiert, das Urteil der Fachgenossen also zu- rück haltend war. Andererseits fürchten viele junge Wissenschaftler, in einem Augenblick, der für ihre Karriere entscheidend ist, ihr Labor zu verlassen, um eine Einladung ans Wissenschaftskolleg anzunehmen. Wenn zu bedauern war, dass nur fünf der Fellows weiblichen Geschlechts waren, so sollte man bedenken, dass das Wissenschaftskolleg bei der Auswahl vergleichbaren Schwierigkeiten gegenübersteht wie bei der Suche nach Nach- wuchs-Wissenschaftlern. Auch in dieser Sache sollten die Bemühungen nicht nachlassen. Wir hatten den Ehrgeiz, wenigstens in unserem kleinen Bereich die erbärmliche Zahlen-Relation weiblicher und männlicher Professoren an den deutschen Universitäten zu konterkarieren. RUSLAN S. GRINBERG · VALENTIN GROEBNER · PASCAL GROSSE · RAINER GRUENTER · HAJO GRUNDMANN ·

Die räumlichen Gegebenheiten des Kollegs waren zwar nicht bedrän- 89 gend, aber doch nach wie vor unzulänglich. Und zwar sowohl, was die Arbeits- D möglichkeiten der Fellows und der Mitarbeiter wie auch, was die Wohnungen IE ERSTEN FÜN betraf. Auch hier aber konnte man zuversichtlich sein. Der nachbarliche Neu- bau in der Wallotstraße 21 (Architekt Burckhardt Fischer) wuchs sichtlich und eindrucksvoll. Die Belästigung durch den Arbeitslärm hielt sich in den

Grenzen des Zumutbaren, und mit der Fertigstellung war im Sommer des F JAHRE Jahres 1986 zu rechnen, so dass schon der nächste Jahrgang davon profitier- ten konnte. In diesem Neubau (wie er seitdem heißt) befinden sich drei wei- tere Großraum-Appartements und 18 Studios, außerdem die Wohnung des Haus meisters – was der Wohlfahrt aller Fellows zugute kommt. Was die Fellow-Wohnungen anging, so war der aktuelle Zustand insofern misslich, als sie verstreut und dem Kolleg nicht immer nah genug gelegen waren. Damit musste das Wissenschaftskolleg notgedrungen auf die Vorzüge eines Campus verzichten, die in dem nicht forcierten, sondern selbstverständ- lich herbeigeführten Kontakt aller mit allen bestehen. Das sollte sich zum Besseren wenden, als dann 1986 in der Koenigsallee ein Wohnkomplex (Villa Walther) entstand, der es erlaubte, nahezu sämtliche Fellow-Familien in einer Distanz von fünf Gehminuten zum Mutterhaus in der Wallotstraße unterzu- bringen. Die wissenschaftliche Arbeit und damit die raison d‘être des Kollegs wurde im vierten Jahr stärker noch als in den Jahren zuvor akzentuiert durch Gruppenbildungen, das heißt, durch die sich um bestimmte und lang voraus- geplante Schwerpunkte und Interessenfelder sammelnden forschenden, dis- kutierenden, referierenden Aktivitäten. Dabei handelte es sich um Gruppen in den Bereichen Antike Philosophie, Thermodynamik, Politische Ökonomie, Musik sowie Geschichte und Wesen des europäischen Dramas. Diese Arbeits- kreise setzten sich jeweils aus drei bis fünf Teilnehmern zusammen, im Ein- zelnen fluktuierte die Zahl gemäß der Fluktuation der Interessen. Aus ihrer Mitte bildeten sich wie schon in früheren Jahren und gewissermaßen mit or- ganischer Logik Pläne für Symposien (Konferenzen, Workshops, Kolloquien), die sich in Realität umsetzen konnten – nicht zuletzt dank der Förderungswil- ligkeit von Stiftungen und dem Kolleg wohlgesonnenen Institutionen. An ihnen nahmen neben den Fellows viele Fachkollegen von den Berliner Univer- sitäten, aus der Bundesrepublik und dem Ausland teil. Es gab Innovationen institutioneller Art: Die Altfellows – immerhin gab es schon drei Jahrgänge – schlossen sich zu einem e.V. zusammen, was aus rechtlich-finanziellen Gründen geboten war, und viele von ihnen besuchten, freudig wiederbegrüßt, das den akademischen Jahresabschluss markierende Sommerfest. Weiterhin bildete sich ein Freundeskreis des Wissenschaftskol- legs zu Berlin, eine Kongregation, die sich auf die dankenswerte Initiative der ANTONIA GRUNENBERG · ANDREAS GRUSCHKA · ROSSITZA GUENTCHEVA · DAVID GUGERLI ·

90 Stiftungsratsmitglieder E. H. Bernhard Plettner und Edzard Reuter hin zu- sammengefunden hatte, um dem Kolleg Förderungsmittel zugute kommen PETER WA zu lassen, die von der Öffentlichen Hand nicht gewährt werden konnten. Die wichtigste Veränderung betraf die innere und administrative Struk-

P tur des Kollegs in Gestalt eines zweiten Permanent Fellows. Wolf Lepenies trat NE dieses Amt im September 1984 an, nachdem er seit 1982 im Wissenschaftlichen W

SKI Beirat tätig gewesen war. Seine Präsenz prägte das innere Leben der Institution in entscheidendem Maße und sorgte dafür, dass ihr Zentrum das wissenschaft- liche Gespräch blieb und dass dieses Zentrum an Intensität und Aus strahlung wuchs. Der Biologe Gunther S. Stent (Berkeley) wurde zum externen Perma- nent Fellow ernannt, um dem Bereich der Biologie am Wissenschaftskolleg stärkeres Profil zu verleihen, wie dies der Wissenschaftsrat in seinem Gutach- ten aus dem Jahre 1982 vorgeschlagen hatte. G. S. Stent verbrachte in den fol- genden Jahren jeweils mehrere Monate als regelmäßiger Gast am Wissen- schaftskolleg. Eine Veränderung erfuhren die Mittwochabend-Kolloquien. Die gestie- gene Erwartung der Berliner Öffentlichkeit hatte dazu geführt, dass die vor- tragenden Fellows zwischen der Scylla der Expertenformel und der Charybdis populärer Aufklärung einen stets gefährdeten Kurs suchen mussten. Das konnte nicht immer gut gehen, und wir änderten demgemäß unser Konzept, indem wir die allgemeinen Veranstaltungen (auf die Berlins akademische Öf- fentlichkeit Anspruch hat) auf eine begrenzte Zahl beschränkten und jeweils am Donnerstagabend (seit 1998 am Mittwochabend) durchführten. Die inter- nen Kolloquien mit der ihnen gebührenden Arbeitsatmosphäre der intimen gelehrten Debatte wurden dagegen der Zahl nach vermehrt und auf den Dienstagvormittag gelegt – eine scheinbar nebensächliche Reform, deren Be- deutung nur der ermisst, der weiß, welches Gewicht das gemeinsame Kollo- quium im Leben eines jeden Fellows hat. Ist es doch die Gelegenheit, sein billet d‘entrée zu präsentieren und mit seinem Forschungsthema in den allgemei- nen Diskurs der Communitas einzugehen.

1985/86

Im fünften Jahr konnte die im Planungskonzept vorgesehene optimale End- zahl von 40 Fellows erreicht werden. Die Fellows kamen aus mehr als zehn Län dern, und endlich war auch die sogenannte zweite und dritte Welt spür- bar vertreten. Die Einladungen gruppierten sich gemäß den Vorstellungen des Wissen schaftlichen Beirats um die Schwerpunkte Naher Osten, Soziale Gerechtigkeit und soziale Verteilung sowie Architek turgeschichte (im Wech- selbezug zur Internationalen Bauausstellung – IBA – Berlin). Ferner eine RAMACHANDRA GUHA · ARSENJI GULYGA · KLAUS GÜNTHER · LARS GUSTAFSSON ·

Gruppe von Biologen und Medizinern, eine andere von Literaturwissenschaft- 91 lern und schließlich, wie gewohnt und bewährt, eine Anzahl freischweben- D der Gelehrter unterschiedlicher Disziplinen. Das Wissenschaftskolleg trat ein IE ERSTEN FÜN in das Stadium einer gewissen Normali tät – ein Zustand, der freilich alles an- dere war als Verfestigung im Sinne von Schematisierung und Erstarrung. Unter den 40 Fellows des Jahrgangs machten die Bundesdeutschen die

Majorität aus. In der nationalen Repräsentation folgten zahlenmäßig die US- F JAHRE Amerikaner und die Italiener (je fünf). Insgesamt waren 14 Nationen vertre- ten, unter ihnen einige zum ersten Mal, nämlich Japan, Indien, Marokko, die Türkei und Australien. Das Durchschnittsalter mochte insgesamt nach wie vor als zu hoch erscheinen, und mit Gewissheit blieb die Unter repräsentanz weiblicher Forscher ein Ärgernis. Gruppierungen, insbesondere nationale, sind in einem Hause wie dem Wissenschaftskolleg, das auf schwer definierbare Weise die Atmosphäre eines Seminars mit der eines Clubs verbindet, einem Familienverband vergleich- bar. Um es an einem Beispiel vorzuführen: Das Haus profitierte in diesem Jahr von dem Umstand, dass italienische Gelehrte – Frauen wie Männer – dem Ideal des uomo universale am nächsten gediehen sind. Die fünf transal pi- nen Kollegen, so unterschiedlich sie nach Mentalität und Charakter sein mochten, wirkten durch die humanen Impulse ihres Temperaments als Fer- ment der Komposi tion und führten der wissenschaftlichen wie der politi- schen Debatte die gleichen stimulierenden Energien zu wie sie als Experten der Kochkunst Formen sinnlichen Glücks in Theorie und Praxis lustvoll ver- wirklichten. Das Feld der wissenschaftlichen Arbeit formierte sich wie schon in den Jahren zuvor in Gruppen, die durch gemeinsame Kompetenz und forscheri- sche Interessen gebildet waren. Jede von ihnen nahm gemäß der Übung frü- herer Jahre die Chance wahr, eine Konferenz durchzuführen und kompetente auswärtige Gäste hinzuzuladen. Von den Seminarveranstaltungen mit Fel- lows und auswärtigen Gästen sollte die von Saul Friedländer organisierte Tagung besonders erwähnt werden, ihr Thema lautete ‚Collective Memory and Traumatic Events. A Comparison between some Strategies of Group Me- mory among Germans and Jews in Relation to the Nazi-era‘. Diese Tagung zeichnete sich aus durch seismographische Sensibilität, indem sie das ter- restrische Beben ankündigte, das wenige Wochen später ausbrach, als eine geschichtswissenschaftliche und erinnerungspolitische Dis kussion um die Bewertung der nationalsozialistischen Verbrechen in den Vernichtungsla- gern (und nicht nur in ihnen) entbrannte: der sogenannte Historikerstreit. Es erwies sich einmal mehr, was auch zuvor schon Erfahrungsbesitz gewor- den war: Trotz seiner Zugehörigkeit zu einer Schwerpunktgruppe ist jeder Fellow primär um seiner selbst willen einzuladen – so wünschenswert seine MARTIN C. GUTZWILLER · ULRICH HAARMANN · ALOIS M. HAAS · PETER HÄBERLE · RUTH HACOHEN ·

92 Zugehörigkeit zu einer solchen fachwissenschaftlich definierten Gruppie- rung auch sein mag. Nicht nur in diesem Jahr zeigte sich, dass sich reizvolle PETER WA Konstellationen durch ungeplante Begegnungen bilden und die alten Ent- würfe von neuen Wirklichkeiten sinnvoll überholt werden. In diesen Zusam-

P menhang gehört auch die Beobachtung, dass die Papierform einer Einla- NE dung durch eine merklich abweichende Realitätsform korrigiert werden W

SKI kann, was nie ohne Auswirkungen auf erdachte wissenschaftliche Zusam- menhänge bleibt. Was die Finanzierung der Fellowships betraf, so verstärkte sich die Ten- denz einer Kostenbe teiligung durch Dritte. Alle Bundesländer sind zu der Praxis übergegangen, ihre Hochschullehrer für die Forschungsperiode am Wissenschaftskolleg unter Fort zahlung der Bezüge zu beurlauben. In sol- chem Falle erstattet das Wissenschaftskolleg dann die Kosten der Vertretung an der Heimatuniversität. Ähnlich verfahren auch die Hochschulverwaltun- gen der Schweiz, Frankreichs und Italiens. Mehr und mehr Fellows von US- amerikanischen Universitäten nehmen ihr Sabbatical in Anspruch, so dass das Wissenschaftskolleg sich auf ein Topping-up beschränken kann, um die auslandsbedingten Mehrkosten auszugleichen. Das Wissenschaftskolleg kann auf diese Weise mehr und mehr indirekte Subventionen einwerben, die das wachsende internationale Ansehen der Institution dokumentieren. Das Ende des akademischen Jahres wurde markiert durch zwei bedeut- same Einschnitte, die auf je unterschiedliche Weise den Fortgang in Richtung auf Normalisierung manifestierten. Der zum Beginn des akademischen Jah- res 1986/87 bezugsfertige Neubau im Nachbarhaus Wallotstraße 21 sollte nicht nur eine räumliche Erweiterung sein, sondern auch den Lebens- und Arbeitsstil wesentlich verändern. Denn nunmehr standen auch jenen Fellows, die nebst ihren Familien außerhalb des Wissenschaftskollegs domizilierten, Arbeitszimmer innerhalb des Institutskomplexes zur Verfügung. Das bedeu- tete einerseits die Chance der Konzentration im eigenen Studio, anderseits die des ständigen, freilich nicht forcierten, sondern naturgegebenen Kontak- tes durch das wissenschaftliche Gespräch mit dem Kollegen auf dem Flur oder vor dem Fotokopierer. Überdies wurde die Teilnahme an den täglichen Mahlzeiten in der Wallotstraße durch die räumliche Nähe erleichtert. Diese Möglichkeit, ungeachtet des Rechts auf Rückzug in die eigene Privatexis- tenz, sich in die communitas der Kollegen eingefügt zu wissen, sollte sich in den kommenden Jahren noch verbessern, als nämlich das Corps der Fellows mitsamt ihren Familien in der Villa Walther in Rufweite des Zentrums Wal- lotstraße unterkam. Am 1. Oktober 1986 übernahm ein neuer Rektor die Verantwortung für das Haus. Wolf Lepenies, Professor der Soziologie an der Freien Universität und seit September 1984 Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg, löste ALOIS HAHN · WILHELM HALBFASS · PETER A. HALL · JOHN HAMILTON · PETER HAMMERSTEIN · den ersten Rektor ab, der nunmehr seinerseits dem Wissenschafts kolleg als 93 Ständiges Wissenschaftliches Mitglied verbunden bleiben sollte. Auch dieser D

Schritt war ein Symptom für die Stabilisierung der Verhältnisse. Die Satzung IE ERSTEN FÜN des Wissenschaftskollegs sieht vor, dass der Rektor für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt wird (das sechste Jahr des ersten Rektors erklärt sich aus dem Umstand, dass sein erstes eines der Übung am Phantom war, eines ohne

Fellows, ohne Haus und mit einem Stab von drei Mitarbeitern). Der schei- F JAHRE dende Rektor der ersten Amtsperiode schätzte sich am Ende seiner Amtszeit glücklich, einen Ausblick auf klare Konturen werfen und das Wissenschafts- kolleg und sein Glück einem in seiner Exzellenz längst bewährten Nach- folger anvertrauen zu dürfen. Er konnte sicher sein, dass dieser Bewahrens- wertes bewahren und dem überlieferten Fundus die Segnungen neuer Inten tionen, Ideen und Entwürfe angedeihen lassen würde.

In einer handschriftlichen Aufzeichnung aus dem Sommer 1982, also am Ende des ersten Jahres, finde ich drei Versuche, meine Erfahrungen mit dem Wissenschaftskolleg pointiert zusammenzufassen: es sei „ein Ort für gelenkte Zufälle“; „ein Ort osmotischer Prozesse“; „ein Ort, an dem die hilfreiche Ein- samkeit die Freiheit hat, sich temporär von sich zu dispensieren“. Diese alter- nativen Formeln klingen mir heute wie ein vorausklingendes Echo auf das Erlebnis jenes an Überraschungen und Anregungen so reichen kollegialen Miteinanders, das sich mit jedem Fellow-Jahrgang immer wieder neu und immer wieder anders einstellt – und das das Wissenschaftskolleg auch in Zu- kunft prägen wird.

Wolf Lepenies Ein Dutzend und drei Jahre

An das ‚Princeton an der Spree’, wie die Zeitungen es nannten, kam ich 1984 aus Princeton, wo ich – nach einem ersten Aufenthalt 1979/80 – seit 1982 Mit- glied des Institute for Advanced Study war. Das Institut war 1930 von Abra- ham Flexner gegründet worden, dem großen Universitätsreformer, den seine Erfahrungen an der Johns Hopkins University in Baltimore stark beeinflusst hatten – für Flexner die deutscheste aller amerikanischen Universitäten. Der Verlust, den Deutschland durch die Vertreibung jüdischer Gelehrter erlitten, der Reichtum, den Amerika dadurch gewonnen hatte, wurde an der Präsenz von Gelehrten wie dem Historiker Felix Gilbert und dem Ökonomen Albert O. Hirschman sichtbar, für die Princeton zur zweiten Heimat geworden war. In Princeton wurde mir deutlich, wie notwendig und angemessen der dem Wissenschaftskolleg von seinen Gründern gegebene Auftrag war, wo immer möglich die Verbindung zu in der Nazizeit aus Deutschland vertriebenen Wis- senschaftlern wiederherzustellen. Das Wissenschaftskolleg war mir vertraut: Im Mai 1982 wurde ich als Mit- glied des Wissenschaftlichen Beirats berufen. Peter Glotz, den Gründungs- senator, kannte ich aus Münchner Studententagen: Er war einer meiner ers- ten akademischen Lehrer gewesen. Den Höhepunkt des ersten Fellow-Jahres konnte ich miterleben: Gershom Scholems Vortrag über die Kabbala am 6. No- vember 1981. 1984 wechselte ich als Permanent Fellow an das Wissenschafts- kolleg; die Arbeit an dem in Princeton begonnenen Buch ‚Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft‘ (München 1985) wurde in Berlin beendet. 1986 wurde ich als Nachfolger Peter Wapnewskis zum Rektor gewählt und konnte meinen Respekt für das von ihm Geleistete und meinen Dank für eine Kollegialität, aus der bald Freundschaft wurde, nicht besser zum Aus- druck bringen, als dass ich Karl Gutzkow zitierte: „Man macht hier sein Glück, wenn man eine Zeitlang der Stellvertreter eines Andern war.“ ABDELLAH HAMMOUDI · MICHAEL HAMPE · PÉTER HANÁK · BARBARA HANAWALT · FOLKER HANEFELD ·

96 Den Rückblick auf die drei Amtszeiten meines Rektorats (1986–91, 1991–96, 1996–2001) will ich in vier Abschnitte gliedern: 1. Wissenschaftsforschung, WOL 2. Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa: Institutionen bauen mit Ideen, 3. Mo- F

derne und Islam, 4. Das Wissenschaftskolleg als Beispiel: Die Europäisierung L E P

ENIES nationaler Institutionen.

1. Wissenschaftsforschung

Im Wissenschaftskolleg wird jeder Fellow, welches Fach er auch immer zu Hause vertritt, zum Ethnologen auf Zeit. Ein Jahr lang lebt er unter den Ein- geborenen eines ihm vertrauten und zugleich fremden Stammes: Es ist ein Stamm, der nur aus Ethnologen besteht. Zu den Zielsetzungen der Institu- tion, die diesen Stamm beherbergt, zählt es, in einem Milieu unterschiedli- cher individueller Forschertemperamente, nationaler Theorietraditionen und fachspezifischer Orientierungen ein Klima wechselseitiger Herausforderun- gen und Anregungen zu schaffen. Jeder einzelne Fellow soll dieses Klima opti- mal nutzen. Angestrebt wird dabei eine produktive Verunsicherung: Das Nachdenken über die Selbstverständlichkeiten, denen man in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit bis jetzt gefolgt ist. „Was tut man eigentlich, wenn man das tut, was man immer tut?“ – so hat der Anthropologe Clifford Geertz, der die School of Social Science am Institute for Advanced Study in Princeton aufbaute, die entsprechende Frage formuliert. Die Verunsicherung kann dabei weit gehen: Es ist gleichermaßen legitim und erwünscht, während des Aufenthaltes am Wissenschaftskolleg ein gutes Buch zu schreiben – oder ein schlechtes Buch nicht zu schreiben. Als Ausdruck produktiver Verunsicherung mag man es deuten, dass die Arbeitsberichte der eingeladenen Wissenschaftler – jeder von ihnen wird ge- beten, einen solchen Bericht nach Ablauf seines Fellowship vorzulegen – in der Regel ein hohes Maß an Selbstironie enthalten. Diese Selbstironie verrät nicht nur etwas über den Charakter des einzelnen Forschers, sondern auch über die Arbeits- und Lebenszusammenhänge, in denen er/sie sich ein Jahr lang aufgehalten hat. Im multidisziplinären Milieu des Wissenschaftskollegs muss man sich anders behaupten als in einer monodisziplinären Organisa- tion: Fachspezifische Selbstironie liefert dabei höhere Chancen zur Anerken- nung durch andere als das Imponiergehabe des Spezialisten. Für den Wissenschaftsforscher ist das Kolleg ein aufregendes Beobach- tungsfeld. Es ist, um an die Beobachtung gesteigerter Selbstironie anzuknüp- fen, eine Institution, in welcher der einzelne Fellow – bekannte Künstler oder Schriftsteller bilden die Ausnahme – von seiner mitgebrachten Reputation nicht zehren kann. Meist kennt der Soziologe den Mathematiker nicht, und HOWARD J. M. HANLEY · CHRISTOPHER M. HANN · CHRISTOPH HARBSMEIER · ROBERT HARMS · dem Theologen ist der Name des Ökonomen Hekuba. Es ist daher spannend 97 zu beobachten, wie sich in jedem Kollegjahr individuelle und kollektive Repu- E tationen aufbauen: Nicht nur die Wahrnehmung einzelner Kollegen, auch IN D

das Bild ganzer Fächer und Fächergruppen verändert sich. Es gibt keinen DREI JAHRE UTZEND UND Zwang für den einzelnen Fellow, sich auf diese Reflexionsprozesse einzulas- sen – entgehen kann er ihnen kaum: Das Wissenschaftskolleg versteht sich als eine Institution, die nicht nur die Forschung, sondern auch das Nachdenken über Forschung befördern will. Zu den Schwerpunkten meiner eigenen Arbeit als Soziologe hatte – lange vor der Berufung ans Wissenschaftskolleg – die Wissenschaftsforschung ge- hört. Dabei standen disziplingeschichtliche Fragestellungen im Vordergrund. Aus dem kleinen, an der Peripherie einzelner Fächer angesiedelten ‚invisible college‘ der Historiker der Human- und Verhaltenswissenschaften hatten sich professionelle Institutionen entwickelt, in denen eine kontinuierliche diszi- plinhistorische Forschung betrieben wurde. Die Kontinuität der Disziplinentwicklung, wie sie die traditionelle Wis- senschaftsgeschichte vor allem für die Naturwissenschaften nachzeichne te, hatte lange Zeit angeblich keiner soziologischen Analyse bedurft; die aktuell gültigen kognitiven Standards der jeweiligen Fachdisziplin galten als ausrei- chend, um in der Vorgeschichte des Fachs die Spreu vom Weizen zu trennen und um die vielen Irrenden von den wenigen Vorläufern zu sondern, die sich auf einer schmalen, doch gerade verlaufenden Bahn auf die Wahrheiten der Gegenwart zu bewegten. Wie Teile der Geschichtswissenschaft, zu der sie an- sonsten nur lockere Verbindungen aufwies, prägte eine derart verstandene Wissenschaftsgeschichte das tiefsitzende Vorurteil, ohne wissenschaftstheo- retische und erst recht ohne soziologische Analysen des Wissenschaftsprozes- ses auskommen zu können. Erst allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass die Entwicklung der Wissenschaften eher von Brüchen geprägt als durch eine stetige Erwei terung disziplingeschichtlicher Erkenntnisse gelenkt wird. Sie führte zu sozialge- schichtlich informierten, alle Fächer umfassenden Studien der Pro duktion, Selektion und Speicherung wissenschaftlicher Alternativen. Institutionelle Selbstthematisierungen nahmen in allen Wissenschaftskulturen zu und be- wirkten – oft ausgelöst und meist verstärkt durch die massive Politisierung der Sozial- und Verhaltenswissenschaften seit den 60er Jahren – erhebliche Veränderungen im Theorienspektrum und folgenreiche Umschichtungen von Forschungsprioritäten, Lehrinhalten und Organisationsstrukturen. Bei der frühen Schwerpunktsetzung des Kollegs im Bereich der Wissen- schaftsforschung spielte Yehuda Elkana eine zentrale Rolle. Seine disziplinäre Herkunft aus der Physik erwies sich dabei ebenso von Vorteil wie seine kon- textbezogene Neugier, die vor keiner Disziplin halt machte. Gemeinsam wurde BENJAMIN HARSHAV · GEOFFREY HARTMAN · FRANÇOIS HARTOG · JONATHAN H. HARWOOD ·

98 für uns die Wissenschaftsforschung wichtig, weil sie in einer Art Hausre vision lange Zeit gültige Selbstverständlichkeiten in Frage stellte. Die Wissenschafts- WOL soziologie versuchte, die Vorstellung von der Eigensteuerung des Wissen- F

schaftssystems durch den Nachweis seiner politischen Lenkbarkeit bis in De- L E P

ENIES tails der Forschungsplanung zu korrigieren; die Wissenschaftsgeschichte erinnerte daran, dass die Entwicklung einzelner Disziplinen kein bruchloses Fortschreiten, sondern auch ein Überleben von Irrtümern, eine Reihung von Revolten und Revolutionen und daher auch eine Geschichte des Vergessens und der Unterdrückung ist; die Wissenschaftstheorie schließlich relativierte, in ihrer radikalsten Ausprägung, die als universal angesehene, erkenntnislei- tende Kraft westlicher Rationalität. Elkana sprach in diesem Zusammenhang von einem Neu- und Über -Denken der Prämissen und Schlussfolgerungen der Aufklärung. Im Kolleg bildeten sich – geplant und ungeplant – von Jahr zu Jahr Schwer- punktgruppen, die sich mit Fragestellungen der Wissenschaftsforschung be- schäftigten; noch wichtiger aber war, dass solche Fragestellungen zu einem durchlaufenden Motiv unserer Arbeit wurden. Dabei zeigte sich, dass die Be- reitschaft einzelner Fellows, sich kontinuierlich und kritisch mit dem Selbst- verständnis des eigenen Faches auseinander zu setzen – und die Auseinander- setzungen in anderen Fächern mitzuverfolgen –, ihre Grenzen hatte. Die Aufforderung zur Dauerreflexion erzeugte auch Widerstand, und im diszi- plinenübergreifenden Seminar Comparative Epistemology konnten wir bei- spielsweise erfahren, wie schnell aus einem roten Faden ein rotes Tuch wer- den kann: Dissidenten spalteten sich ab und veranstalteten an der Basis, d. h. im Keller, ein Kontrastprogramm, in dessen Mittelpunkt die Lektüre des latei- nischen Originals der ‚Germania‘ von Tacitus stand. Deutlich wurde dabei auch, dass die Chance zum disziplinen übergreifenden Kontakt vor allem dann gegeben ist, wenn eine ihrer Sache sichere, spezialisierte Kompetenz Mut und Lust zur Grenzüberschreitung macht. In der Wissenschaftsforschung verlagerte sich das Schwergewicht immer mehr von der Individuen- zur Institutionen-bezogenen Disziplin geschichte. Auch im Wissenschaftskolleg blieb dabei die Entwicklung des Schwerpunkt- bereichs mit dem Namen herausragender Individuen – Fellows und Gäste – verbunden. Eine Fallstudie zur Wissenschaftsforschung bildete im Mai 1987 das Seminar ‚The Institutionalization of Philosophy‘, das ich zusammen mit Pierre Bourdieu und Richard Rorty veranstaltete – zwei Gelehrten, die sich mit großer Wirkung zum Selbstverständnis ihres eigenen Faches (Soziologie, Philosophie) geäußert hatten und weiter äußern sollten. Im einige Jahre später konzipierten Schwerpunktbereich ‚Economics in Context’, für den als Permanent Fellow (1990–2000) Jürgen Kocka verantwort- lich zeichnete, verkörperte Albert O. Hirschman, der mehrere Male ans Wis- MUSHIRUL HASAN · GALIT HASAN-ROKEM · SCHEHERAZADE QASSIM HASSAN · RICHARD J. HAUSER · senschaftskolleg kam, die Alternative zu einer szientifisch überdeterminier- 99 ten Wirtschaftswissenschaft in einem besonders überzeugenden Fall. Albert E Hirschman ist in der Ökonomie ein Außenseiter geblieben und gleichzeitig – IN D

mit großer Auswirkung bis in entfernte Nachbardisziplinen der Ökonomie DREI JAHRE UTZEND UND hinein – ein Klassiker zu Lebzeiten geworden. Sein Denken prägt der Möglich- keitssinn, die Weigerung, sich mit etablierten Wirklichkeiten abzufinden, das prinzipielle und immer ein wenig spitzbübische Gegen-den-Strich-Argu- mentieren, die augenzwinkernde Lust am Probehandeln. Dem triumphieren- den „So ist es!“ der großen Theoriebildner, an denen die Sozialwissenschaften überreich sind, setzt er seine bescheiden klin gende, aber unendlich wirkungs- vollere Frage entgegen: „So ist es?“ Und dann kommt sein herausforderndes Ausrufezeichen: „Das wollen wir doch mal sehen!“ Für Albert Hirschman ist die Welt ein einziges großes Überraschungsfeld. Seine Präsenz war für das Kol- leg in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Dass Gelehrte wie der in Berlin geborene Albert Hirschman, der vor den Nazis aus seiner Geburtsstadt flüch- ten musste, regelmäßig die Einladungen des Kollegs annahmen und nach Berlin zurückkehrten, half uns nicht nur, Aufgaben des Kollegs zu erfüllen, wie sie in unserer Satzung festgehalten sind. Darin kamen der Geist und die Überzeugungen zum Ausdruck, die unsere wissenschaftliche Arbeit bis heute bestimmen und weiter bestimmen werden. Mit Georges Canguilhem (1904–1995) besuchte ein Gelehrter im Frühjahr 1989 das Kolleg, der als Lehrstuhlinhaber an der Sorbonne und als Nachfolger Gaston Bachelards sowohl der Wissenschaftsgeschichte als auch der Episte- mologie neue und vielversprechende Wege gewiesen hatte. Im Rahmen eines Foucault-Seminars, das unser Fellow François Ewald veranstaltete, sprach Can- guilhem über seine eigene Arbeit – und es war ein unvergessliches Ereignis mitzuerleben, wie Studenten und junge Wissenschaftler von der Präzision und Leidenschaft eines großen Gelehrten beeindruckt wurden. Zur praxisbezogenen Wissenschaftsforschung gehörte es, dass in Zu sam- menarbeit mit der Pariser Maison des Sciences de l‘Homme und geför dert durch die VolkswagenStiftung (damals hieß sie noch Stiftung Volkswagen- werk Hannover) das Wissenschaftskolleg ein Stipendienprogramm für deut- sche Geistes- und Sozialwissenschaftler entwickelte; Joachim Nettelbeck war darin besonders stark engagiert. Auch daraus sollte eine Institutionengrün- dung werden: die Maison Suger – bis heute eine bevorzugte Heimstatt deut- scher Forscher, die in Paris arbeiten. Administrator der Maison des Scien ces de l‘Homme war Clemens Heller (1917–2002), der nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hilfe der Ford Foundation die Sozialwissenschaften in Frankreich tatkräf- tig gefördert hatte. Heller wurde zu einem wichtigen, von uns regelmäßig befragten Ratgeber für die externen Aktivitäten des Kollegs. Von ihm konnte man beispielsweise die Vorzüge schwacher Institutionalisierung lernen und SUSANNE HAUSER · ROBERT HALL HAYNES · JOHAN HEILBRON · BETTINA HEINTZ · LADISLAV HEJDÁNEK ·

100 begreifen, warum man sich in der auswärtigen Kultur- und Wissenschaftspo- litik vor bilateralen Arrangements hüten soll: (mindestens) tres faciunt colle- WOL gium. F

Die entscheidenden institutionellen Konsequenzen aus unseren Aktivitä- L E P

ENIES ten im Bereich der Wissenschaftsforschung ergaben sich in Berlin. Ein Jahr nach meinem Amtsantritt wurde – in enger Zusammenarbeit des Wissenschaftskollegs mit der Freien Universität und der Technischen Univer- sität – der Berliner Forschungsverbund Wissenschaftsgeschichte gegründet. Ein Ziel des Verbundes war es, unter Einschluss der Technikgeschichte die In- ternationalisierung des Faches in Deutschland zu befördern: Dabei waren die Anregungen von Tom Hughes (Fellow 1983/84), der die Arbeit des Verbundes kontinuierlich begleitete, unschätzbar. 1990 richtete der Forschungsverbund das für Nachwuchswissenschaftler bestimmte Wal ther-Rathenau-Stipendien- programm ein und veranstaltete zum Auftakt ein Rathenau gewidmetes Kol- loquium; zu den Teilnehmern gehörte Jürgen Kuczynski (1904–1997), der Rathenau noch persönlich gekannt hatte. Das Hauptgebäude des Wissen- schaftskollegs liegt in unmittelbarer Nähe der Kreuzung Koenigsallee-Wallot- straße. Hier fiel am 24. Juni 1922 der Reichsaußenminister Rathenau einem Attentat zum Opfer. Wie keine andere Persönlichkeit der ersten deutschen Republik verkörperte Walther Rathenau, der „Systembildner“, wie Tom Hughes ihn nannte, die für die Moderne spezifische Verknüpfung von Wirtschaft und Politik, Technik und Wissenschaft, Geist und Macht. Im März 1994 erfolgte in Berlin die Gründung des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte; die zwei Gründungsdirektoren (Lorraine Das- ton, Jürgen Renn) waren Fellows des Wissenschaftskollegs gewesen – ebenso wie Lorenz Krüger, dessen früher Tod im gleichen Jahr die Aufnahme seiner Tätigkeit am Institut verhinderte. Danach wurde Hans-Jörg Rheinberger als dritter Direktor berufen – auch er ein Fellow des Wissenschaftskollegs. Im erinnernden Rückblick wird deutlich, dass die Kolleg-typische Anre- gung zur disziplinären Selbstreflexion zu fachlichen Neuorientierungen im eigenen und in fremden Fächern führte, deren Konsequenzen zum Teil erst jetzt in überraschender Kontinuität sichtbar werden. Ich gebe dafür zwei Bei- spiele. Heute gehört das quer durch alle Disziplinen laufende Thema Bildlichkeit zu den Schwerpunktbereichen des Wissenschaftskollegs. Das Projekt einer Bildwissenschaft ist eng mit den Namen von Hans Belting (Fellow 1994/95 und 1999/2000), Gottfried Boehm (Fellow 2001/02) und Horst Bredekamp (Fellow 1991/92, jetzt Permanent Fellow) verbunden. Mit mir war 1984 auch der Mole- kularbiologe Gunther S. Stent (Berkeley) ans Kolleg gekommen. Stent wurde 1924 in Berlin geboren; er besuchte bis 1938 in Dahlem die Private Wald- schule Kaliski, bevor die USA zu seiner neuen Heimat wurden, werden muss- BERNARD HELFFER · ERIC J. HELLER · BARBARA HELLRIEGEL · CARL G. HEMPEL · MARTIN HENGEL · ten. Stent blieb bis 1990 dem Wissenschaftskolleg als Permanent Fellow 101 verbunden und widmete, als Vorgänger Rüdiger Wehners, seine besondere Auf- E merksamkeit den Biowissenschaften. Im Juni 1987 hielt Gunther S. Stent im IN D

Wissenschaftskolleg einen Vortrag ‚Wahrheit des wissenschaftlichen Weltbil- DREI JAHRE UTZEND UND des‘. Es war der Bericht über ein Forschungsprojekt „mit dem Ziel, das Netz von Zellen im Nervensystem des Blutegels zu identifizieren, das die wellenar- tigen Schwimmbewegungen dieses einfachen Tieres erzeugten“. Dabei griff Stent auf Untersuchungen und Abbildungen von Leonardo da Vinci zurück. Er beschrieb es als „eine der interessan testen Entdeckungen über die Funk- tion des Nervensystems […], dass es Sinneseindrücke gemäß hermeneutischen Prinzipien interpretiert“. Daraus ergab sich der Plan zu einem Schwerpunkt- bereich Hermeneutik bildgebender Verfahren. Er ließ sich nicht realisieren, weil die dafür unverzichtbaren Mediziner für längere Aufenthalte am Wissen- schaftskolleg unabkömmlich waren. Die Fragestellungen aber, die Stent für sein eigenes Fach entwickel te, sind heute in anderen Fächern fruchtbar auf- genommen worden. Und die Bildwissenschaft – oder die Vorstufe dazu – ver- knüpft sich wie selbstverständlich mit systematischen und historischen Fra - gestellungen in den Lebenswissenschaften. 1994 fragten der Kunsthistoriker Hans Belting und der aus Mali stam- mende Ethnologe Mamadou Diawara – beeindruckt vom Provisorium der alten Dahlemer Museumslandschaft, in der Kunstmuseum und Ethnologi- sches Museum in aufregender Nachbarschaft miteinander lebten –: „Wie stellt man andere Kulturen und wie stellt man überhaupt Kulturen aus? Die Frage führt auf direktem Wege zu der Überlegung, ob unsere Museen noch legiti- miert sind für ihr Monopol in der Präsentation, und übrigens in der Repräsen- tation, anderer Kulturen […]. Nach einem gemeinsam verbrachten Kollegjahr ließ sich das so beschriebene Museum mühelos mit der westlichen Wissen- schaft, die wir alle mehr oder weniger überzeugt an diesem Ort betrieben, vergleichen. Was ändert sich, mochten wir uns insgeheim fragen, wenn Exper- ten aus anderen Kulturen, statt Experten für andere Kulturen, zu gemeinsamen Gesprächen an einem westlichen Wissenschaftszentrum zusammenkom- men.“ Von Belting und Diawara wurde damit das Stichwort einer Forschung mit, statt einer Forschung über aufgenommen, das in meinen Überlegungen zur Gründung des Arbeitskreises Moderne und Islam eine zentrale Rolle ge- spielt hatte. Heute erkennt man die von Belting und Diawara skizzierte Pro- grammatik in der Konzeption des Humboldt-Forums wieder, das die Mitte des neuen, aus Ost und West wieder zusammengewachsenen Berlins auch zu einem intellektuellen Zentrum machen soll. ROLAND HENGSTENBERG · WILHELM HENNIS · DIETER HENRICH · JOSEPH HENRICH ·

102 2. Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa: Institutionen bauen mit Ideen WOL F

1988 wurde Berlin Kulturstadt Europas. Unser Beitrag zum Kulturstadtjahr L E P

ENIES war die gemeinsam mit den Berliner Universitäten im Jagdschloss Glienicke veranstaltete Sommeruniversität mit 100 Studenten aus 22 Ländern. Das Jagd- schloss liegt unmittelbar an der damals Berlin nicht nur durchschneidenden, sondern die Stadt auch umgebenden Mauer; DDR-Grenzsoldaten patrouillier- ten demonstrativ; in der Nacht hörte man das Kläffen der Suchhunde, die Re- publikflüchtige aufspüren sollten. Für das Kulturprogramm der Sommeruni- versität gewannen wir Luigi Nono, dessen ‚Prometeo‘ in der Philharmonie auf geführt wurde, und die aus Paris kommende, einst mit Walter Benjamin befreundete Gisèle Freund, in deren unvergleichlichen Porträtfotos sich seit den 30er Jahren die literarische Moderne spiegelte. In einem Punkt blieben wir erfolglos. Wir hatten unbedingt Studenten aus der DDR als Teilnehmer der Sommeruniversität gewinnen wollen. Aber selbst das Versprechen Manfred von Ardennes – den Besuch in seinem riesi- gen privaten Forschungsinstitut am Weißen Hirsch in Dresden hatte Fried- rich Dieckmann vermittelt –, sich beim Politbüro der SED für uns zu verwen- den, half nicht. Die Teilnahme eines DDR-Studenten von der TH Dresden wurde zwar versprochen, doch kam in letzter Minute die Absage. Umso auffal- lender und erfreulicher waren die vielen Kontakte, die Fellows mit Kollegen der Humboldt-Universität in Ostberlin und Instituten in anderen Städten der DDR knüpften. Im Mai 1987 wurde der Rektor des Wissenschafts kollegs zu einer Rede vor der Akademie der Wissenschaften der DDR eingeladen; dafür hatte sich besonders Günther Kröber eingesetzt, einer der Direktoren des Aka- demie-Instituts für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft. Ich gab meiner Hoffnung Ausdruck, dass bald auch Fellows aus der DDR ans Wissenschaftskolleg kommen würden. War es der Winter 1988/89, in dem wegen starker Schneefälle im Osten Europas der Schnellzug Moskau-Berlin-Paris erhebliche Verspätung hatte? Im Bahnhof Zoo stand, von Hand mit Kreide auf eine Tafel geschrieben: „Der Zug von gestern fährt morgen!“ Jedenfalls war es das letzte Akademische Jahr, in dem auch für die Arbeit des Wissenschaftskollegs die zur Routine gewordene Anormalität der Stadt Berlin prägend war. Veränderungen kündigten sich an: Endlich gelang es, mit dem Psychologen Friedhart Klix den ersten Fellow aus der DDR ans Wissenschaftskolleg zu berufen. Nach der Wende erschien es uns als selbstverständlich, Kontakte mit Kol- legen aus der DDR aufrechtzuerhalten, mit denen wir bereits vor 1989 koope- riert hatten. Dabei waren die Ratschläge eines Juristen, unseres Fellows Hasso Hofmann (1989/90) besonders nützlich. Wissenschaftler aus der DDR, deren HARTMUT VON HENTIG · HANS WERNER HENZE · TOMÁS HERBEN · ULRICH HERBERT ·

Arbeit in Lehre und Forschung unterdrückt und behindert worden war, 103 kamen daraufhin ins Wissenschaftskolleg und kritisierten die Weiterpflege E unserer Kontakte mit den früheren Offiziellen. Deutlich wur de: Es gab nicht IN D

nur ein Ost-West, es gab auch, vielleicht gab es vor allem ein Ost-Ost-Problem. DREI JAHRE UTZEND UND Lösbar war es nicht – insbesondere nicht für uns im Westen, die wir nicht un- beteiligte, aber weitgehend kaum betroffene Zuschauer gewesen waren. Umso unerträglicher war die Selbstgerechtigkeit vieler westlicher Individuen und Institutionen, die im Osten aufräumen wollten. ‚Die Geschichte vom Herrn K.‘ hieß die Rede über eine wahre Begebenheit (und einen früheren Fellow), die ich vor Ministerialbeamten in Bonn, der deutschen Noch-Hauptstadt, hielt: „Wir sind in Deutschland dabei, Biographien wie die vom Herrn K. ohne Wenn und Aber zu entlegitimieren, wir entwürdigen einen Lebenslauf und wir tun Unrecht daran. Die Entlegitimierung von Biographien verbaut Zukunftspers- pektiven. Rechtfertigen lässt sie sich kaum, kompensieren ließen sich ent- sprechend tiefreichende Sanktionen nur, wenn der eine deutsche Staat über attrak tive Angebote zu einer neuen, starken, in gemeinsamer Anstrengung gelingenden Identitätsfindung verfügte. Über ein solches Angebot verfügen wir derzeit in Deutschland nicht.“ Die revolutionären Veränderungen in Mittel- und Osteuropa und die Im- plosion des SED-Regimes in der DDR prägten zunehmend Leben und Arbeit im Wissenschaftskolleg. Die Fellows waren von diesen Veränderungen fas- ziniert, viele wurden in die Veränderungsprozesse mit hineingerissen, man- che wechselten unter dem Druck der Ereignisse zeitweilig das Metier. Wissen- schaftler wurden zu Journalisten, Buchprojekte mussten Kommentaren und Kolumnen weichen. Historiker und Soziologen kannten sich bald in Bitterfeld so gut aus wie in Berkeley. Von den Fellows schrieb Robert Darnton ein Berlin- Tagebuch (‚Der letzte Tanz auf der Mauer. Berlin-Journal 1989–1990‘, Mün- chen, Hanser, 1991) – und Friedrich Dieckmann, als zweiter DDR-Fellow beru- fen, bewahrte uns davor, den Mauerfall und seine Folgen nur aus westlichem Blickwinkel zu sehen. In Kooperation mit der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel veran- stalteten im September 1989 Robert Darnton und ich das erste ‚East-West Se- minar in Eighteenth-Century Studies‘, das junge Wissenschaftler aus Ost und West im Wissenschaftskolleg zusammenführte. Im Oktober besuchte Iván Berend, der Präsident der Ungarischen Akade- mie der Wissenschaften, das Kolleg. „Warum gründen wir nicht auch in Buda- pest ein Wissenschaftskolleg?“, fragten wir uns bei seiner Abreise. Einen Tag später rief Berend aus Budapest an: Meine Frage, ob es für die ungarische Re- gie rung noch ein (West-) Berlin-Problem gebe, verneinte er. Es war die in den Ländern des Warschauer Paktes mit unterschiedlicher Hartnäckigkeit auf- rechterhaltene These von der besonderen politischen Einheit West-Berlin, die BERND HERRMANN · CARLA A. HESSE · AMOS HETZ · DOUGLAS A. HIBBS · ERWIN N. HIEBERT ·

104 es schwierig, in manchen Fällen unmöglich gemacht hatte, Fellows aus be- stimmten osteuropäischen Ländern zu berufen. Aus dem gleichen Grunde WOL wäre es noch wenige Jahre zuvor für eine (West-) Berliner Institution unmög- F

lich gewesen, sich östlich des Eisernen Vorhangs Institutionen bildend zu be- L E P

ENIES tätigen und dabei mit Einrichtungen aus der Bundesrepublik zu kooperieren. Berends Antwort wischte alle diese Probleme vom Tisch – so, wie das Durch- schneiden des Grenzzauns zwischen Ungarn und Österreich die Ost-West- Tei lung Europas de facto aufhob. Und so begann das aufregende, viele Kapitel umfassende Abenteuer ‚Insti- tutionen bauen mit Ideen‘. Die Schwierigkeiten waren größer, als ich es mir je hätte vorstellen können – und noch größer war die Freude, die meisten Schwie rigkeiten schließlich doch – in enger Kooperation mit Joachim Nettel- beck – überwinden zu können. Unvergesslich werden mir unsere Spazier- gänge bleiben, die wir in der Absicht begannen, mindestens zwei Projekte ab- zubrechen und in der Regel mit Ideen für drei neue Projekte beendeten. Am Ende des Abenteuers ‚Institutionen bauen mit Ideen‘ standen das Col- legium Budapest, das New Europe College in Bukarest, die Bibliotheca Classica in Sankt Petersburg und das Centre for Advanced Study (CAS) in Sofia – „geis- tige Tauschplätze“, um Jacob Burckhardt variierend zu zitieren, der gewusst hat te, worin das Besondere eines geistigen Tauschplatzes besteht: „Dort haben die Leute einander etwas zu sagen und machen auch Gebrauch davon.“ In Budapest und Bukarest, in St. Petersburg und Sofia wurden Erfolgs- geschichten geschrieben – aber es gab, natürlich, auch Misserfolge. In Prag scheiterten verschiedene Projekte an der Widerständigkeit der Regierungs- stellen; in Warschau ließ sich für eine begrenzte Zeit – in einer durch die Ge schichte nahegelegten sächsisch-französischen Kooperation und in Zusam- menarbeit mit George Soros – die Graduiertenschule unseres früheren Fel - lows Stefan Amsterdamski an der Akademie der Wissenschaften fördern, eine Ausweitung dieser Aktivitäten gelang aber nicht. Nach dem Fall des Kommunismus wurde der Umgang mit Mentalitäts- brüchen und der behutsame Ausgleich von Mentalitätsdifferenzen zu einer großen Herausforderung für die europäische Politik und für die Sozialwissen- schaften. Ich benutzte den Ausdruck Politik der Mentalitäten, um deutlich zu machen, dass es jetzt nicht mehr um die Anwendung eingespielter Verfahren zur Lösung kurzfristiger Probleme ging, sondern um die Notwendigkeit, auf lange Sicht ein neues Instrumentarium für die Beantwortung bis dahin nicht gestellter Fragen zu finden. Im Geiste dieser Politik der Mentalitäten begann das Wissenschaftskolleg beim Aufbau neuer und beim Umbau bestehender Institutionen in Mittel- und Osteuropa zu helfen. Unser vorrangiges Ziel war die Stärkung lokaler Wissenskulturen. Auf der einen Seite ging es darum, wie Gottfried Keller einst seinen miesepetrigen MANFRED HILDERMEIER · BRUNO HILLEBRAND · WALTER HINDERER · ALBERT O. HIRSCHMAN ·

Zeitgenossen ins Stammbuch schrieb, „besser nichts zu hoffen und das Mögli- 105 che zu schaffen, als zu schwärmen und nichts zu tun“, auf der anderen Seite E kam es darauf an, Elfenbeintürme zu errichten – also Bauwerke, von denen IN D

aus man weit sehen kann, wenn man nur hoch genug hinauswill. DREI JAHRE UTZEND UND Im Folgenden will ich einige Prinzipien benennen, denen wir bei unseren Institutionen-bildenden Aktivitäten folgten. a) Lokale Kontexte ernstnehmen Glokalität ist ein schreckliches Wort, aber es gibt einen wichtigen Tatbestand angemessen wieder: In der zusammenwachsenden Welt werden Loka litäten immer wichtiger. Gerade unter den Bedingungen der Globalisierung stellen sich personale und Gruppen-Identitäten immer stärker in regionalen Kontex- ten her. Dem muss im Wissenschafts- und Kulturbereich jede Institutionenbil- dung Rechnung tragen. Es geht um die Stärkung lokaler Wissenskulturen. b) Lernen wollen Wir lernten, dass unter den Bedingungen des Mangels und der Misere im Osten Europas Wissenskulturen überlebt und Forschungsstile sich herausge- bildet hatten, die zu bewahren sich lohnte. Wir erkannten, dass traditionelle Formen der Gelehrsamkeit notwendige Modernisierungen keineswegs behin- dern müssen, sondern zu ihrer Beförderung und Beschleunigung oft mehr beitragen als die hyperaktuelle Überanpassung wissenschaftlicher Denkstile und Handlungsformen. Anders als die deutsche (und auch die französische) Außenkulturpolitik förderten wir nicht bestehende Institutionen (und damit die alten Eliten), sondern versuchten neue Strukturen zu entwickeln. c) Kein Mitleid Wichtig ist die Haltung, mit der auf eine Stärkung lokaler Wissenskulturen hingearbeitet wird. Beinahe so nachteilig wie das Nichtstun ist eine demons- trativ-herablassende caritas, die bei denen, denen man helfen will, das Gefühl des Zurückgebliebenseins und der eigenen Unzulänglichkeit noch verstärkt. Unser Motto war nicht „Wir helfen Euch!“, sondern: „Wir brauchen einander!“ d) Bilaterale Arrangements vermeiden Wir hatten nicht für einen Augenblick daran gedacht – und haben uns später gegen Ansinnen dieser Art stets gewehrt –, deutsch-ungarische oder deutsch- rumänische Institutionen zu gründen. Die Kultur- wie die Wissenschaftspoli- tik sind ja keineswegs die unschuldigen Varianten jener großen Politik, wel- che die Franzosen die politique politicienne nennen. Im Gegenteil: In der Kulturpolitik sind Vorurteile besonders stark und Verdächtigungen erfolgen schnell. Jede bilaterale Initiative ruft die Eifersucht der Nachbarn wach, und ROLF HOCHHUTH · MIRIAM HOEXTER · OTFRIED HÖFFE · MARTIN HOFFMANN · ALBRECHT HOFHEINZ ·

106 während es ansonsten stimmt, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, gilt in der Kultur- und Wissenschaftspolitik, dass Konkurrenz Kräfte oft unnütz bin- WOL det und Mittel vergeudet. Multilaterale Engagements produzieren einen über- F

aus wünschenswerten Effekt: Nationale Vorurteile neutralisieren einander. L E P

ENIES e) Olympia als Vorbild Unser Ziel war es, beim Aufbau europäischer/internationaler Institutionen in den Metropolen Mittel- und Osteuropas zu helfen. Mit dem latinisierenden Namen Collegium Budapest wurde beispielsweise an ein gemeinsames, Ost und West überspannendes, in das Mittelalter zurückreichendes europäisches Erbe angeknüpft. Wichtig war, dass in der ungarischen Hauptstadt kein Colle- gium Hungaricum entstand. Das Collegium Budapest – dies brachte sein Name unverwechselbar zum Ausdruck – entstand nicht als eine nationale Einrichtung, sondern als eine europäische Institution in Bu dapest. Institutes for Advanced Study sind in dieser Hinsicht Olympischen Spielen vergleichbar: Auch diese finden nicht in Ländern, sondern in Städten statt. Urbane oder lo- kale Kontexte, nicht nationale Milieus prägen sie.

f) PPP Wir haben stets darauf geachtet, in der Finanzierung unserer Projekte eine Mischung aus öffentlichen Zuwendungen und privaten Spenden zu errei- chen. Public-Private Partnerships haben sich nicht zuletzt in Mittel- und Ost- europa als außerordentlich wirksam und Vorbild stiftend erwiesen. Man kann auf diese Weise fast beiläufig zeigen, worin das Wesen der Demokratie auch besteht: im Zusammenwirken staatlicher Institutionen mit Einrichtun- gen der Bürgergesellschaft.

g) Matthäus- und Paulus-Prinzip Auch in der Wissenschaft muss man die Schwachen achten, doch gilt es hier vor allem, die Starken wo immer möglich noch stärker zu machen: „to make the peaks even higher“, wie James B. Conant einmal formulierte. Die Kultur des shareholder value hat nirgends eine größere Berechtigung als in der Wis- senschaft. Und dennoch: Der starre Blick auf die Höhen verführt manches Mal dazu, Entwicklungen auf den etwas tiefer liegenden Hängen zu übersehen, die innovationsträchtig sind und zu den Spitzenleistungen von morgen werden könnten. Man darf sich daher nicht nur am Matthäus-Prinzip orientieren: „Denn jedem, der etwas hat, dem wird noch mehr gegeben werden, und er wird übergenug haben.“ (Matthäus 25, Vers 29). Man muss auch dem Paulus- Prinzip folgen: „Euer Überfluss soll jetzt ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss später Eurem Mangel abhelfen kann und es zum Ausgleich kommt.“ (2. Korinther 8, Vers 14). GESINE HOFINGER · HASSO HOFMANN · WOLFRAM HOGREBE · GERTRUD HÖHLER · STEPHEN HOLMES · h) Einholen und Überholen 107 Zu den größten Fehlern der westlichen Wissenschafts(hilfe)-Politik in Mittel- E und Osteuropa gehörte es, Institutionen zweitrangig auszustatten, nach dem IN D

Motto: Die hatten ja gar nichts, für die ist auch Gebrauchtes noch gut genug. DREI JAHRE UTZEND UND Nichts ist falscher. Gerade in Prozessen nachholender Modernisierung muss man sofort Chancen zum Überholen bieten und das etwaige Überholt-Werden akzeptieren. i) Netzwerke bilden Die Institutionen, an deren Gründung wir uns beteiligten, sind durch persön- liche und organisatorische Netzwerke miteinander verbunden. Daraus erge- ben sich ungeahnte Verstärkereffekte – nicht zuletzt beim Versuch, lokale zu regionalen Wirkungsbereichen zu erweitern.

Am 15. Dezember 1992 wurde das Collegium Budapest feierlich eröffnet. An der Zeremonie im Alten Rathaus von Buda, einem wunderbar renovierten Ba- rockbau, nahm auf deutscher Seite Bundespräsident Richard von Weizsäcker teil. Erster Rektor wurde der Rechtswissenschaftler Lajos Vékás; es gelang, den bekannten Ökonomen János Kornai als Permanent Fellow zu gewinnen. Un- sere Initiativen zur Gründung und Unterstützung von Institutionen in Mittel- und Osteuropa hatten eine erste, modellhaft weiterwirkende Etappe erreicht. Die Zuwendungsgeber, die diese „einmalige europäische Erfolgsgeschichte“ (Ralf Dahrendorf) miteinander geschrieben haben, kommen aus sechs Län- dern: aus der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Schweden, Frankreich und Deutschland, genauer gesagt, aus Baden-Württemberg und Berlin. Unter ihnen finden sich staatliche Instanzen ebenso wie öffentliche und private Stiftungen. Zu letzteren gehören die Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr aus der Schweiz, die Fonds der Schwedischen Reichsbank sowie die Wallenberg- Stiftungen, die niederländische Lotterie und aus Deutschland die Fritz Thyssen Stiftung, die VolkswagenStiftung, die Krupp-Stiftung und der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, nebst der Boehringer Stiftung und der Preußi- schen Seehandlung. Die Académie Française und der Verlag Walter de Gruyter in Berlin haben die Bibliothek des Collegium Budapest großzügig ausgestat- tet. Schließlich gelang es, auf unseren Vorschlag und nach langwierigen Vorarbeiten in Brüssel, in das V. Rahmenprogramm der Europäischen Kom- mission einen neuen Förderbereich aufzunehmen: Centers of Excellence in Central and Eastern Europe. Durch diese Initiative wurden 34 Institute in Mit- tel- und Osteuropa gefördert; in der nach einer Evaluation erstellten Rang- folge belegte das Collegium Budapest den zweiten Platz. Ohne die Gründung des Collegiums wäre eine solche Initiative schwerlich zustande gekommen. TONIO HÖLSCHER · HANS EGON HOLTHUSEN · JERZY HOLZER · AXEL HONNETH · CHRISTOPH HORN ·

108 Als das Wissenschaftskolleg gegründet wurde, dienten vor allem zwei ame rikanische Institutionen als Vorbild: das Institute for Advanced Study in WOL Princeton und das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences F

(CASBS) in Palo Alto (Stanford). Nach der Gründung gab es bald Kontakte auch L E P

ENIES zum National Humanities Center (NHC) in Research Triangle Park (North Ca- rolina). Hinzu kamen, als ältere europäische Schwestern, NIAS, das Nether- lands Institute for Advanced Study in the Humanities and the Social Sciences in Wassenaar und das Swedish Collegium for Advanced Study in the Social Sciences (SCASSS) in Uppsala, dem das Wissenschaftskolleg bereits als Vorbild gedient hatte. Aus einem informellen Treffen der sechs Direktoren wurde ein informeller Zusammenschluss: SIAS (Some Institutes for Advanced Study). Wir verabredeten, uns jährlich in einem unserer Institute zu treffen. Ziel die- ser Treffen war ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch über Programme und Personen. Gemeinsam bewegte uns in den Anfangsjahren von SIAS insbesondere die Frage, wie wir nach dem Ende des Kommunismus in den Staaten des War- schauer Paktes dazu beitragen konnten, unseren Kollegen in Mittel- und Ost- europa bessere Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Das Ergebnis unseres Nach denkens war der New Europe Prize. Er war mit 75.000 DM dotiert und wurde in jedem Jahr an zwei Preisträger verliehen, die Fellows an einem unse- rer Institute gewesen waren. Die Auswahl der Preisträger trafen die Direkto- ren. Der Preis wurde einer Person zugesprochen, das Preisgeld sollte jedoch entweder der Heimatinstitution des Preisträgers zukommen oder dem Auf- bau einer neuen Institution dienen. War es schon nicht die Regel, dass europäische und amerikanische Insti - tutionen mit Blick auf die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa der art eng miteinander kooperierten, so war die gemeinsame amerikanisch-euro- päische finanzielle Förderung eines solchen Preises erst recht ungewöhnlich. Zu den fördernden Institutionen gehörten auf europäischer Seite die Fritz Thyssen Stiftung, der Swedish Council on Higher Education und das niederlän- dische Ministerie van Onderwijs en Wetenschappen, auf der amerikanischen Seite die John D. and Catherine T. MacArthur Foundation. Im gleichen Jahr begann ein Stipendienprogramm der amerikanischen Andrew W. Mellon Foun- dation, das dem Wissenschaftskolleg die Einladung exzellenter Nachwuchs- wissenschaftler aus den mittel- und osteuropäischen Ländern erleichterte. Am 11. November 1993 wurde in einer Feier im Wissenschaftskolleg der New Europe Prize zum ersten Mal verliehen. Die Preisträger waren der Klassi- sche Philologe Alexander Gavrilov aus Sankt Petersburg, der Fellow in der School of Historical Studies des Institute for Advanced Study in Princeton, und der rumänische Kunsthistoriker und Religionswissenschaftler Andrei RICHARD M. HORNREICH · HERBERT HRACHOVEC · KENNETH HSÜ · THOMAS P. HUGHES ·

109 E der jahrzehntelang unter kommunistischer Herrschaft und teilweise in Ver- IN D

bannung hatte leben müssen, war das Adjektiv ‚neu‘ mit der Diktatur assozi- DREI JAHRE UTZEND UND iert und daher unrettbar kompromittiert. Dissidenten waren im Namen der Neuen Politik inhaftiert, der Rückblick auf kulturelle Traditionen war mit dem Hinweis auf die Neue Kulturpolitik blockiert, Häuser und Dörfer waren fiktiven Preis, den er noch lieber erhalten hätte: den Preis des Alten Europa. Nicht nur durch diese Rede blieb uns die Inauguration der New Europe- Preise unvergesslich. In der ‚Zeit‘ vom 19. November 1993 schrieb Klaus Har- tung: „Eines lässt sich unschwer voraussagen: Sollten die Verhältnisse auf diesem Erdteil eine zivile Wendung nehmen, wird diese Berliner Inaugura- tion in ein paar Jahren eine Legende sein […]. Die Initiatoren des Preises haben jedenfalls genug Erfahrung mit osteuropäischen Verhältnissen, um vom tra- ditionellen Wissenschaftsmanagement Abstand zu nehmen und sich für die Alternative zu entscheiden: die Rekonstruktion der Gelehrtenrepublik.“

3. Moderne und Islam

Das Wissenschaftskolleg wurde zur Erinnerung an Ernst Reuter errichtet; die Stiftung, in die das Kolleg eingebettet ist, trägt den Namen des unvergessenen Bürgermeisters von Berlin, der als Emigrant aus Nazi-Deutschland mehrere Jahre in der Türkei verbracht hatte. Im Herbst 1989 wollte das Kolleg den 100. Ge burtstag seines Patrons feiern. Auf Vermittlung von Peter Glotz fuhr ich im Frühjahr nach Bonn, um Willy Brandt zu bitten, aus diesem Anlass den Festvortrag zu halten. Brandt stimmte zu und sagte auf meine Frage, zu welchem Thema er aus diesem Anlass sprechen wolle: „Ich wähle gerne allge- meine Themen. Die machen es einem später leichter, auf aktuelle Anlässe angemessen zu reagieren.“ Und so sprach Willy Brandt am 11. Dezember 1989 im Wissenschaftskolleg – vor einem Monat war die Mauer gefallen – zum Thema ‚Politische Reaktionen auf globale Veränderungen‘. Und die Zuhörer dachten, er hätte sein Thema als Reaktion auf den 9. November gewählt. Willy Brandts Vortrag wird allen, die dabei waren, unvergesslich bleiben. Er sprach, wie konnte es anders sein, über seine Ost- und Deutschlandpolitik, aber er tat dies in überraschender Kürze. Deutschland war Anlass, aber nicht Mittelpunkt seiner Rede. Im Mittelpunkt seiner Rede standen nicht die Ost- West-, sondern die Nord-Süd-Probleme. 1977 hatte die von Robert S. McNama- ra, dem Präsidenten der Weltbank, vorgeschlagene Unabhängige Kommission für Entwicklungsfragen ihre Arbeit aufgenommen. Willy Brandt übernahm SALLY HUMPHREYS · CHRISTOPHER J. HUMPHRIES · JAMES HUNT · TORSTEN HUSÉN ·

110 den Vorsitz der Kommission, die als ‚Nord-Süd-Kommission‘ bekannt wurde. Der von ihr vorgelegte Brandt-Bericht führte zu einer Wende in der inter na- WOL tionalen Entwicklungspolitik. F

Im Wissenschaftskolleg mahnte Willy Brandt, in diesem Augenblick, da die L E P

ENIES Deutschen, den Worten des Regierenden Bürgermeisters Walter Mom per zu- folge, die glücklichsten Menschen auf der Welt waren, nicht nur Europa, son- dern vor allem die Dritte Welt nicht zu vergessen. Besonders bewegt von Willy Brandts Vortrag war unser afrikanischer Fellow Sunday Petters, ein exzellen- ter Geologe aus Nigeria. Unmittelbar nach dem 9. November hatte er, überwäl- tigt vom deutsch-deutschen Jubel und beeindruckt vom europäischen Opti- mismus, in einer Fellowrunde gesagt: „Von Afrika wird bei Euch bald keine Rede mehr sein – oder?“ Wir bemühten uns ständig um die Einladung afrikanischer Fellows. Der Aufenthalt des aus Mali stammenden Historikers und Ethnologen Mamadou Diawara (1994/95) hatte institutionelle Folgen. In der malischen Hauptstadt Bamako entstand dasjenige ‚unserer‘ Institute, das zweifellos den schönsten Namen trägt: Point Sud. Muscler le savoir local. Mit der Gründung dieses Insti- tuts verband sich auch die Hoffnung, damit eine Anlaufstelle gefunden zu haben, von der aus es in Zukunft leichter sein würde, Fellows aus den sub-saha- rischen Ländern Afrikas für das Wissenschaftskolleg zu gewinnen. Aus heu- tiger Sicht muss man sagen, dass diese Hoffnungen sich nicht im vollen Um fang erfüllt haben. Afrika ist für uns – wie für so viele andere westliche Institutionen – immer noch ein unbekannter Kontinent. Erfreulich ist die ins titutionelle Weiterentwicklung und Stabilisierung von Point Sud, die sich durch die Berufung Mamadou Diawaras auf eine Professur am Institut für Historische Ethnologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität ergeben hat. Afrika nehmen wir durch Vermittlung von Wissenschaftlern wie Ma- madou Diawara als eine Art von Dunkelkammer wahr, in der sich Probleme entwickeln, die unsere eigenen sind oder es über kurz oder lang sein werden. Mitte der 90er Jahre wurde deutlich, dass für die Arbeit und die intellek- tuelle Orientierung des Wissenschaftskollegs in der Zukunft ethnologische Fragestellungen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen würden. Eine euro- päische Institution in Deutschland würde deutlich machen müssen, dass die Zeit des Eurozentrismus endgültig vorbei ist – was eine kritische Besinnung auf die verallgemeinerungsfähigen Leitideen des europäischen Denkens, in- sonderheit der Aufklärung, nicht ausschließt, sondern dieser Besinnung Überzeugungskraft und Stabilität verleiht. Ein Ziel sollte es dabei sein, in Ber- lin, dieser oft zu selbstbezogenen Stadt, zur Verstärkung jener Fernkompe- tenz beizutragen, derer eine Metropole dringend bedarf. Am Kolleg waren in den kommenden Jahren verstärkt Wissenschaftler aus islamisch geprägten Ländern zu Gast. Das Wissenschaftskolleg versuchte damit, im weiteren Be- JANELLEN HUTTENLOCHER · JOHN HYMAN · IVAN ILLICH · YOSEPH IMRY · RONALD INDEN · reich der Kultur und Wissenschaftspolitik seinen Beitrag zu einer im Westen 111 dringend notwendigen Umkehr der intellektuellen Antriebsrichtung zu leis - E ten; stärker als je zuvor kam es darauf an, nicht-westliche Kulturen nicht IN D

immer nur zu belehren, sondern auch von ihnen zu lernen. DREI JAHRE UTZEND UND Der – dem Alphabet zufolge – erste Fellow im ersten Jahr meines Rektorats (1986/87) war ein Islamwissenschaftler gewesen: Mohammed Arkoun, Di- rektor des Instituts für Arabische und Islamische Studien an der Universität Paris III. Er beschrieb es als Ziel seines weitausgreifenden Projekts, „ein zer- splittertes, verstümmeltes und durch ideologischen und apologetischen Ge- brauch verfälschtes islamisches Denken unter historischen Gesichtspunkten wieder zusammenzuführen und dabei gleichzeitig dieses Denken als Teil der Moderne insgesamt zu verankern.“ Damit waren Stichworte benannt, die sich 1994 im ersten Memorandum zur Gründung des Arbeitskreises Islam und Moderne wiederfanden. Aus ihm erwuchs ein Schwerpunkt intellektu- eller Orientierung, der bis heute das Wissenschafts kolleg prägt. Vorläufer war ein anderes Forschungsprojekt, dessen Mitglieder im glei- chen Jahr ihre Arbeit aufnahmen. Mit Yehuda Elkana hatte ich bereits eng in Projekten und Schwerpunktgruppen zusammengearbeitet, die sich auf The- men der Wissenschaftsforschung konzentrierten. Ich war Mitglied im Board of Trustees des Van Leer Jerusalem Institute geworden, das Elkana leitete. Es war bewundernswert, wie sehr er es in dieser Forschungsinstitution als seine Aufgabe ansah, durch Kooperation mit Palästinensern in den besetzten Gebie- ten und mit arabischen Israelis von Seiten der Wissenschaft und Forschung zum Abbau politischer Spannungen in der Region beizutragen. Yehuda El- kana und ich konzipierten ein Forschungsprojekt Europe in the Near East, dessen Finanzierung später die VolkswagenStiftung übernahm. Ziel war die Schaffung eines Diskussionszusammenhangs, der auf längere Frist junge Isra- elis, Palästinenser und Deutsche – zunächst in Jerusalem, später vielleicht in Städten wie Ramallah – zusammenführen würde. Wir entwarfen dazu eine Art von Umwegstrategie: Nicht die Auseinandersetzung über lokale und aktuelle Probleme sollte die Diskussionen initiieren, sondern der Blick auf historische Probleme mit einer universalen Per spektive. Die Teilnehmer würden mitein- ander erforschen, was das Erbe Europas, insonderheit der europäischen Auf- klärung, für die Regionen des Nahen Ostens bedeutete. Leiter des Projekts wurden die Wissenschaftshistorikerin Rivka Feldhay, die 1988/89 Fellow am Wissenschaftskolleg gewesen war, und der an der Humboldt-Universität als Philosoph promovierte Azmi Bishara, ein arabischer Israeli, der eine leitende Funktion als Forschungsdirektor am Van Leer Jeru- salem Institute innehatte und sich bis heute als Gründungsmitglied der Natio- nal Democratic Assembly und als Abgeordneter der Knesseth ausgesprochen öffent lichkeitswirksam und streitbar in der isra eli schen Politik engagiert. Im P.V. INDIRESAN · FELIX PHILIPP INGOLD · OTAR IOSSELIANI · GERD IRRLITZ · TAKESHI ISHIDA ·

112 Wissenschaftskolleg betreute Reinhart Mey er-Kalkus das Projekt, mit dem sich große Hoffnungen und Erwartungen verbanden. Am 7. Januar 1999 be- WOL richtete Edward Said unter dem Titel ‚The New Palestinians‘ in der ‚London F

Review of Books‘ von seinem Besuch bei einer Gruppe junger Israelis und Pa- L E P

ENIES lästinenser in Jerusalem: „Nach sechs Jahren direkter intellektueller Ausein- andersetzungen zwischen Arabern und Juden über die Politik Palästinas und Israels wurde mir plötzlich bewusst, dass wir die rhetorischen Barrikaden überwunden und ein relativ neues Gebiet eines gemeinsamen Interesses von israelischen Juden und Palästinensern betreten haben.“ Dies schrieb Edward Said, der nicht zum Optimismus neigte, nach einem Treffen mit der Projekt- gruppe Europe in the Middle East. Die zweite Intifada brachte das Ende des Projekts mit sich, vorläufig jedenfalls. Vor allem ließ sich der Plan nicht mehr verwirklichen, in einer zweiten Projektphase die Arbeit stärker von einer Institution in den Palästinensergebieten aus zu steuern. Unsere Hoffnung bleibt, dass die engen deutsch-israelisch-palästinensischen Kontakte, die im Projekt Europe in the Near East geknüpft wurden, und das Netzwerk, das dabei entstanden ist, in der Zukunft erneut wirksam werden können. Im Rahmen des 1994 konzipierten, 1995 gegründeten Arbeitskreises Mo- derne und Islam (AKMI) wurde der Versuch unternommen, die besteh en den Berliner Einrichtungen im Bereich der Islam- und Orientforschung in einen fruchtbaren Arbeitszusammenhang und in einen stärkeren Kontakt mit Kol- legen aus muslimischen Ländern zu bringen. Später legten wir besonderen Wert auf die Kooperation von Fächern wie Geschichte und Soziologie mit regio nalwissenschaftlichen Disziplinen. Ohne Festlegung auf eine bestimmte Fachrichtung sollte im Arbeitskreis gerade auch weniger traditionellen The- menstellungen nachgegangen werden. Der Arbeitskreis Moderne und Islam setzte sich vier Schwerpunkte: Erstens sollten das Modernemonopol des Westens wie das Krisenmonopol des Islam gebrochen werden. Elemente von Modernität in islamischen Gesell- schaften und Staaten sollten in den Blick kommen, Krisenerscheinungen der Moderne im Westen sollten gleichzeitig thematisiert werden. Zweitens war es das Ziel, diese Fragestellungen, wo immer sich die Möglich- keit ergab, in vergleichender Weise zu behandeln. Forschung über den Islam sollte nicht für ein imaginäres ethnographisches Museum geschehen, sondern bewusst in Beziehung zu außerislamischen Erfahrungen gesetzt werden. Drittens bestand die Absicht, die in Deutschland traditionell dominieren- den – und hier auch besonders starken – historisch-philologischen Traditio- nen durch sozial- und politikwissenschaftliche sowie ethnologische Ansätze zu erneuern und zu stärken. Viertens ging es darum, diese Forschungen so zu betreiben, dass der An- HIDÉ ISHIGURO · HURI ISLAMOGLU-INAN · CORNELIA ISLER-KERÉNYI · YOH IWASA · EVA JABLONKA · schluss an die wissenschaftliche Diskussion in den arabischen und islami- 113 schen Ländern gefunden wurde. Eine Forschung mit, nicht (nur) Forschung E über würde die im islamischen Raum produzierte umfangreiche wissenschaft- IN D

liche Literatur, die auf Grund der sprachlichen Barrieren im Westen bisher DREI JAHRE UTZEND UND nur unzureichend rezipiert worden war, zur Kenntnis nehmen müssen. Vorbereitet wurde die Gründung des Arbeitskreises durch eine Kon ferenz, an der, mit wenigen Ausnahmen, alle namhaften deutschen Islamwissen- schaftler und einige auswärtige Forscher teilnahmen. In Berlin kooperierten die einschlägigen Institute der Universitäten und Forschungs einrichtungen miteinander. Instrumente des Arbeitskreises wurden ein Berliner Seminar, das disziplinenübergreifend vor allem jüngere Forscher zusammenführte, Postdoktorandenstipendien für westliche Islamwissenschaftler und Forscher aus muslimischen Ländern sowie eine Sommerakademie, die abwechselnd in Berlin sowie an einem Forschungsinstitut im Nahen Osten/Nordafrika statt- finden sollte. Der Verbund wurde großzügig durch eine Anschubfinanzierung der Kör- ber-Stiftung, später durch den Berliner Senat und den Bund gefördert; beein- druckend, nicht zuletzt im Rückblick, war die Schnelligkeit, mit welcher Ins- titutionen im Land Berlin und im Bund beschlossen, sich an der Förderung zu beteiligen. In Berlin spielte dabei der Wissenschaftssenator Manfred Erhardt, in Bonn der ‚Zukunftsminister‘ Jürgen Rüttgers die entscheidende Rolle. Zur Eröffnung des Arbeitskreises kam Minister Rüttgers ins Wissenschaftskolleg und machte sich unseren Standpunkt zu eigen, es müsse zunächst in den Wis- senschaften, aber auch in der Politik möglich sein, „aus einer Belehrungskul- tur gegenüber außereuropäischen, vormodern geglaubten Zivilisationen wieder zu einer Lernkultur zu finden“. Im Oktober 2005 schrieb Tim Müller, der für die ‚Süddeutsche Zeitung‘ regelmäßig über die Aktivitäten und Veranstaltungen des Arbeitskreises be- richtet hatte, im Rückblick: „Der AKMI am Wissenschaftskolleg zu Berlin ist ein seltener Glücksfall, wissenschaftlich, intellektuell und politisch, er ist längst eine unverzichtbare Schnittstelle zwischen Abendland und Morgen- land geworden – Europa im Nahen Osten und Naher Osten in Europa zugleich. Er bietet den geistigen Schutzraum, dessen eine wissenschaftlich avancierte Aufarbeitung dieses komplexen Verhältnisses bedarf. Muss man in Zeiten, in denen die islamische Welt im Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit steht und der Westen erklärt, an die politische und gesellschaftliche Umge- staltung des Nahen Ostens sein Überleben zu knüpfen, überhaupt noch die Weitsicht der Gründer des AKMI hervorheben? Als die ersten Pläne für den späteren Arbeitskreis gesponnen wurden, waren weder der 11. September 2001 noch die terroristischen Netzwerke des islamischen Radikalismus, weder der Krieg im Irak noch die jüngsten Hoff- RAY JACKENDOFF · VOLKER JACOBSEN · LOTHAR JAENICKE · CORD JAKOBEIT · SUSAN JAMES ·

114 nungen auf eine Demokratisierung der Region in den Blick der westlichen Öffentlichkeit gerückt und schon längst noch nicht gebündelt zu dem omni- WOL präsenten Schicksalsthema unserer Tage ausgerufen worden. Zehn Jahre spä- F

ter ist der Unterschied in der Wahrnehmung kaum noch nachzuvollziehen, L E P

ENIES es bleibt nur die Diagnose eines Mentalitätsbruchs. Eine aus heutiger Sicht ge radezu atemberaubend hellsichtige Wissenschaftsstrategie verfolgte damals die Einrichtung einer solch erstaunlichen Institution.“ Navid Kermani gibt in diesem Band ein detailliertes Resümee der Aktivitä- ten des Arbeitskreises Moderne und Islam – vor allem in seiner zweiten Phase, AKMI II genannt, die von 2001 bis 2006 andauerte. Er weitete diese Aktivitäten in den künstlerischen Bereich aus (Schriftstelleraustausch, Veranstaltungen in den Berliner Theatern). In enger Kooperation mit der Arabistin Angelika Neu- wirth führte er israelisch-jüdische und arabisch-muslimische Gelehrte im AKMI- Teilprojekt ‚Jüdische und islamische Hermeneutik als Kulturkritik‘ zusammen. Als 1997 unser Fellow Ulrich Haarmann (1995/96) als Direktor an das neu gegründete Zentrum Moderner Orient (ZMO) berufen wurde, verband sich damit eine kühne, fast utopisch anmutende Perspektive: im Laufe der kom- menden Jahre aus dem Zentrum eine Art School of Oriental and African Stu- dies (SOAS) nach Londoner Vorbild entstehen zu lassen. Ulrich Haarmanns früher Tod im Juni 1999 verhinderte die Verwirklichung dieses Plans. Im Au- genblick eröffnen sich dafür im Zuge der Umstrukturierung der Berliner For- schungslandschaft neue Chancen; ob sie angesichts der Finanznot der Stadt und der Mittelknappheit des Bundes verwirklicht werden können, lässt sich noch nicht absehen. Navid Kermani und ich entwickelten den Plan zur Gründung einer Jü- disch-Islamischen Akademie in Berlin und publizierten dazu ein Manifest in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ (10. Juni 2003). Es war ein utopisches Vorhaben – das sich immerhin als nützlicher Katalysator erwies, um die Fortsetzung der Aktivitäten des Arbeitskreises Moderne und Islam in einem neu konzipierten Programm für den Zeitraum von 2006 bis 2011 zu befördern. Im Februar 2006 gaben die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wis- senschaften, die Fritz Thyssen Stiftung (Köln) und das Wissenschaftskolleg zu Berlin die Vereinbarung eines auf fünf Jahre angelegten, gemeinsamen For- schungsprogramms bekannt: Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa. Die Fritz Thyssen Stiftung stellte dafür Mittel von mehr als zwei Mio. Euro zur Verfügung. Leitidee des Programms ist die Erforschung der politischen, sozialen, reli- giösen und kulturellen Verflechtungen zwischen Europa und dem Nahen Osten – in Geschichte und Gegenwart. Das Forschungsprogramm gliedert sich in vier Teilprojekte und ein Forum: 1. Der Koran als Text einer gemeinsamen Antike und geteilten Geschichte DOMINIQUE JAMEUX · JAROSŁAW JARZEWICZ · SHEILA JASANOFF · SALMA K. JAYYUSI · PETER JELAVICH ·

2. Mobile Traditionen: Vergleichende Perspektiven auf die Literaturen des 115 Nahen Ostens E 3. Städtevergleich: Kosmopolitismus im Mittelmeerraum und den angren- IN D

zenden Regionen DREI JAHRE UTZEND UND 4. Politisches Denken im modernen Islam: nahöstliche und europäische Perspektiven 5. Forum: Tradition und die Kritik der Moderne. Säkularismus, Fundamen- talismus und Religion aus nahöstlichen Perspektiven Am Programm beteiligt sind – aus Philologie/Literaturwissenschaft, Ge- schich te, Islamwissenschaft und Soziologie/Politologie – Wissenschaftler der drei Ber liner Universitäten, des Zentrums Moderner Orient, des Zentrums für Literaturforschung (ZfL) sowie Wissenschaftler aus anderen deutschen und europäischen Universitäten. Sie kooperieren mit Kollegen aus den Ländern des Nahen Ostens. Im Mittelpunkt steht ein Postdoktorandenprogramm: In den Jahren 2006–2011 werden 50 Nachwuchswissenschaftler aus dem Nahen Osten für jeweils ein Jahr an Berliner Forschungseinrichtungen eingeladen. Sie arbeiten an eigenen Projekten – und nehmen zugleich an einem alle 14 Tage stattfinden- den Berliner Seminar teil, das Lehrende und Studierende der Berliner Univer- sitäten und Forschungseinrichtungen zusammenführt. Jährlich findet – vor- zugsweise an einer Universität/Forschungseinrichtung im Nahen Osten – eine Sommerakademie statt. Die nächste Sommerakademie soll in Beirut stattfin- den.

4. Das Wissenschaftskolleg als Beispiel: Die Europäisierung nationaler Institutionen Seit 1991 hatte Dieter Henrich in seinen Studien zum Ursprung der deutschen idealistischen Philosophie eine Methode entwickelt, die er als Konstellations- forschung bezeichnete. Als Mitglied des Fellow-Jahrgangs 2000/01 sprach Hen- rich in seinem Dienstags-Kolloquium erneut über die Bedeutung von Konstel- lationen in der Philosophiegeschichte. Nicht zuletzt Konstellationen von Personen und Institutionen waren es – nicht-zufällige Zufälle –, die zunächst das Collegium Budapest, das erste Insti- tute for Advanced Study in Mittel- und Osteuropa, und dann die anderen ge- nannten Institutionen in Bukarest, St. Petersburg und Sofia Wirklichkeit werden ließen. So brachte unser Fellow Iso Camartin 1989/90 den Geschäfts- führer der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr, Heinz Hertach, als seinen Gast zum Abendessen ins Kolleg, und daraus erwuchs ein eidgenössisches Dauer- engagement für unsere Projekte, das schließlich, mit ihrem be geis te rungs- RONALD JENSEN · HANS JOAS · CHRISTIAN JOERGES · CAROLINE A. JONES · ERIC JONES ·

116 fähigen Präsidenten Hugo Bütler, die Stiftung und den Kanton Zug sowie die Berner Departements des Äußeren und des Inneren umfasste; in Berlin selbst WOL erwies sich der Gesandte Paul Widmer als unschätzbarer Sympathisant. Hein- F

rich Ursprung, Präsident der ETH Zürich (1973–1987), der Mitglied unseres L E P

ENIES Wissenschaftlichen Beirats (1982–1987) gewesen war, wurde in Bern Staats- sekretär für Wissenschaft (1990–1997) und blieb bis 1997 Mitglied des Stif- tungsrats der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter. Charles Kleiber gab als Nach folger Heinrich Ursprungs dem Schweizerischen Engagement eine Kon- tinuität, die stets von Effizienz und einer unbürokratischen Grundhaltung geprägt war. 1986 hatte ich zur Eröffnung des Swedish Collegium for Advanced Study in the Social Sciences (SCASSS) in Uppsala gesprochen; es war die erste auslän- dische Institution, für die das noch junge Wissenschaftskolleg bereits zum Mit-Vorbild wurde. Sein Direktor Björn Wittrock ist bis heute unser Partner und Mitstreiter geblieben – und das gleiche gilt für Dan Brändström, den Ge- schäftsführenden Direktor des Stiftelsen Riksbankens Jubileumsfond. Es war nur folgerichtig, dass die Schweiz und Schweden 1999/2000 zu institutionel- len Partnern und Förderern des Wissenschaftskollegs wurden. Diese Engagements standen unter der allgemeinen Leitidee einer Europäi- sierung nationaler Institutionen. Auch in seiner institutionellen Verfasstheit sollte das Wissenschaftskolleg zu einer europäischen Institution werden. Am 12. Dezember 2000 wurde dazu mit der Vereinbarung zwischen der Schweize- rischen Eidgenossenschaft und der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter der Anfang gemacht: „Auf dem Schauplatz Mittel- und Osteuropa hat uns die Geschichte des letzten Jahrzehnts eines gelehrt: Es gibt – in Ost und in West – keine kulturel- len, sozialen oder politischen Selbstverständlichkeiten, die nicht in ihrem Bestand und in ihrer Anerkennung gefährdet werden könnten. Die Einheit Europas ist keine Utopie mehr, aber sie ist ein Projekt, das immer noch schei- tern kann – auch im Westen, auch bei uns. Europa aber darf sich nicht nur in Brüssel, Straßburg und in abspielen. Zur überfälligen Herausbil- dung einer europäischen Öffentlichkeit können auch die Wissenschaften beitragen. Dazu gehört die stärkere Europäisierung nationaler Institutionen. Eine europäische Wissenschafts- und Forschungspolitik kann hier ein Probe- handeln in Gang setzen, das weitgehende Folgen hat.“ Am 27. Juni 2001 folgte Schweden: Die Stiftung Riksbankens Jubileums - fond und die Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter unterzeichneten den entspre- chenden Vertrag. Die Stiftung war zusammen mit dem Swedish Collegium for Advanced Study in the Social Sciences (SCASSS) bei fast allen auswärtigen Pro- jekten des Wissenschaftskollegs unser Partner gewesen. Dank der großzügi- gen Unterstützung der drei Wallenberg-Stiftungen wurde in Budapest das AMITABH JOSHI · PIERRE JUDET DE LA COMBE · HORACE FREELAND JUDSON · EBERHARD JÜNGEL ·

Wohnhaus für das Collegium Budapest errichtet, das den Namen Raoul Wal- 117 lenbergs trägt. E IN IN D

In vier Kapiteln habe ich versucht, die Konturen meiner drei Rektoratspe- DREI JAHRE UTZEND UND rioden zu zeichnen. Sie können nicht annäherungsweise den Reichtum und die Vielfalt der Erfahrungen wiedergeben, die ich in einem Dutzend und drei Jahren am Wissenschaftskolleg machen durfte. Zu diesen Erfahrungen zäh- len zwei weitere Jahre als Permanent Fellow vor dem ersten Rektorat – und nunmehr fünf Jahre in der gleichen Funktion nach meinem Ausscheiden als Rektor. Auswärtige Aktivitäten spielten in diesen 15 Jahren eine große Rolle – aber auch für sie blieb der stets spannungsreiche, immer außerordentliche Alltag des Wissenschaftskollegs prägend. ‚A Community of Scholars‘ nannte das Institute for Advanced Study in Princeton die Jubiläumspubli kation, mit der es 1980 sein 50-jähriges Bestehen feierte. In der Gelehrtengemeinschaft des Wissenschaftskollegs zu leben und zu arbeiten, wurde auch für mich zu einer entscheidenden Erfahrung. „Die einen sitzen, die anderen stehen. Die einen sprechen frei, die ande- ren lesen ab. Die einen zitieren nie, die anderen zitieren nur.“ So beschrieb ein Fellow des Jahrgangs 2000/01 den Unterschied von Natur- und Geisteswis- senschaftlern. Natürlich ist diese Dichotomie von Vorurteilen geprägt: Die leicht heroisierende Beschreibung der aufrechten Naturwissenschaftler, die ihr Wissen im Kopf, nicht auf dem Papier haben und in der Erforschung der Welt auf fremde Hilfe nicht angewiesen sind, stammt selbst von einem Natur- wissenschaftler. Der leicht stechende Charakter seiner Beschreibung der fest auf ihrem Stuhl hockenden, die Gedanken anderer vorlesenden Geisteswis- senschaftler erklärt sich wiederum daraus, dass der betreffende Taxonom – unser Permanent Fellow Raghavendra Gadagkar – ein Spezialist für das sozi- ale Leben der Wespen ist. Der Sozialwissenschaftler, der sich eher einer dritten Kultur zurechnet, einer Kultur nicht so sehr der intellektuellen Sicherheit als der intellektuel- len Zerrissenheit, einer Kultur des Kompromisses – mal geht er, mal sitzt er, er spricht oft frei, seine Zitate aber liest er ab –, weiß nicht so recht, ob auch er sich von diesen leichten Nadelstichen getroffen fühlen soll. Nach einigem Nachdenken erkennt er, dass es sich hierbei um eine Art gei stiger Akupunk- tur handelt: Die Nadelstiche markieren nervöse Zentren des intellektuellen Lebens. C. P. Snows Dichotomie der Zwei Kulturen ist uralt. Sie ist unpräzise, vor- urteilsgeprägt und in der disziplinspezifischen Zuschreibung politischer Fehlhandlungen unverschämt. Dennoch wird die Welt nicht aufhören, uns verschiedene Weisen des Erkenntniszugangs zu ihr zu erlauben. Das Pro- GRAZYNA JURKOWLANIEC · BERNHARD JUSSEN · ALEJANDRO KACELNIK ·SUDHIR KAKAR ·

118 gramm einer Einheitswissenschaft ist nicht nur unangemessen, schlimmer noch: Seine Verwirklichung wäre der Sieg der Langeweile. WOL Wie immer man das Leben im Wissenschaftskolleg auch sehen mag: Es ist F

nicht langweilig. Dies verhindern die Vielzahl der individuellen Forschertem- L E P

ENIES peramente, die sich in jedem Jahr im Grunewald versammeln, die Vielfalt der nationalen Denktraditionen, die hier aufeinander treffen, und die Diversität der Disziplinen, deren Vertreter einander zu verstehen suchen. In der großen Freiheit der Entlastung von Alltag und Routine bildet sich ein hoher Leis- tungs- und Erwartungsdruck. Das Wissenschaftskolleg ist ein Experiment im Verstehen, ein hermeneutisches Exerzitium, das ein ganzes Jahr lang währt. Am Ende steht kein grenzenloses Verständnis füreinander, wohl aber in jedem Fall das Erstaunen des einzelnen Wissenschaftlers darüber, in seinem intellektuellen Tun für die Vertreter der anderen Fächer keine Selbstverständ- lichkeit zu sein. Das Wissenschaftskolleg ist ein Überraschungsfeld. Dieter Grimm Veränderter Kontext und neue Aufgaben

Zum Auftakt: Neuer Rektor – alles anders?

„Wer anfängt, hat die Chance, Traditionen zu stiften“, schreibt der Grün- dungsrektor Peter Wapnewski in seinem Bericht über ‚Die ersten fünf Jahre‘. Wer nach 20 Jahren folgt, hat die Chance, Traditionen abzubrechen. Der Pres se, die über den zweiten Rektoratswechsel berichtete, wäre das wohl nicht unlieb gewesen. Jedenfalls lautete die Hauptfrage sämtlicher Journalisten damals, was denn nun alles anders würde. Eine lange Liste hätte gewiss den Nachrich- tenwert der Meldungen erhöht. Hätte sie auch dem Wissenschaftskolleg ge- dient? Ich fand nicht, dass vieles anders werden musste. Das Wissenschaftskol- leg war mir leidlich vertraut. Zwar hatte ich die Einladung als Fellow wegen der Wahl zum Bundesverfassungsrichter 1987 ausschlagen müssen, war wäh- rend der Karlsruher Zeit aber sechs Jahre lang Mitglied des Wissenschaft - lichen Beirats gewesen. Unter allen Beiräten und Kuratorien, denen ich an- gehör te, war er mir der liebste, weil das Kolleg ihn nicht auf die Rolle des Pro tektors oder Kommentators festlegte, sondern in die Arbeit einbezog und Entscheidungshilfe bei der Setzung thematischer Schwerpunkte und bei der Auswahl der Fellows von ihm forderte. Vom ‚convivium‘ des Kollegs, wie es Peter Wapnewski nennt, bleibt man freilich als Beirat, der zweimal pro Jahr für einen Tag in die Wallotstraße kommt, ausgeschlossen. Kein noch so leben- diger Bericht ersetzt das Erleben. Die Gelegenheit dazu kam jedoch am Ende der Karlsruher Zeit. Die seiner- zeit als Courtoisie aufgefasste Antwort auf meine Absage von 1987: „Dann merken wir Sie für 1999/2000 vor“ bewahrheitete sich auf gesteigerte Weise durch die Berufung zum Permanent Fellow. Obwohl ich nicht wie geplant zu Beginn dieses Fellow-Jahres ins Kolleg einziehen konnte – die Wahl meines Nachfolgers in Karlsruhe verzögerte sich, so dass ich erst wenige Tage vor Weihnachten 1999 frei war und zugleich mit dem neuen Millennium in Ber- lin eintraf –, lernte ich nun auch das Innenleben des Kollegs kennen: die Prä- MOHAMMAD HASHIM KAMALI · OUSMANE KANE · RIVA KASTORYANO · RUTH KATZ · PETER J. KATZENSTEIN ·

112 sentation der Forschungen im Dienstagskolloquium, die Lust am Gedanken- austausch, der schon mit dem Frühstück einsetzte, die selbstverständliche D

IETER Beherzigung der Nettelbeckschen Parole „Fellows first“ im Mitarbeiterstab. Diese Erfahrungen sprachen nicht dafür, dass das Kolleg einer grundstür- G

RI zenden Neuausrichtung bedurfte. Zudem hatte ich die im Ausland häufig ge- MM hörte Äußerung früherer Fellows im Ohr, es sei das bestgeführte Institut sei- ner Art – eine Aussage, von der auch dann noch genug übrig bleibt, wenn man die Verklärung des Fellow-Jahres abzieht, die sich mit wachsender zeitlicher Distanz einzustellen pflegt. So blieben nur einige Wünsche, die auch die Vor- gänger bereits als Desiderata genannt hatten: mehr junge, mehr weibliche, mehr naturwissenschaftliche Fellows und mehr aus schwach vertretenen Erd- teilen; dazu die Vorstellung, das Kolleg nicht nur für Künstler, sondern auch für Praktiker aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft zu öffnen. Auch dafür hatte das Kolleg aber zumindest schon den Begriff parat: Denkkammer.

Einstellung auf veränderte Bedingungen

Wenngleich das Wissenschaftskolleg für sich genommen keiner großen Ände- rung bedürftig erschien, so hat sich seit seiner Gründung doch das Umfeld, in dem es tätig ist, erheblich verändert. Auf diejenigen Änderungen, welche sich aus dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime ergeben haben, ist Wolf Lepenies in seinem Beitrag eingegangen. Hier soll es vor allem um Verände- rungen gehen, welche Gegenstände und Bedingungen wissenschaftlichen Forschens betreffen. Sie lassen sich in den beiden Stichworten der Verwissen- schaftlichung und der Internationalisierung der Welt zusammenfassen. Für das Kolleg gewinnen sie Bedeutung, weil es seine Rechtfertigung ja nicht in sich trägt, sondern sie aus der Funktion zieht, die es im Wissenschaftssystem und mit diesem für die Gesellschaft insgesamt erfüllt.

1. Verwissenschaftlichung Mit Verwissenschaftlichung der Welt ist der Umstand gemeint, dass die ver- schiedenen Systeme funktional differenzierter Gesellschaften infolge der fort- schreitenden wissenschaftlichen Entschlüsselung der Natur und der daraus resultierenden Beeinflussbarkeit der Verhältnisse zur Erfüllung ihrer jewei- ligen Funktion verstärkt auf die Leistung des Wissenschaftssystems angewie- sen sind. Das gilt für fast alle Funktionssysteme, wenn auch in unterschied- lichem Ausmaß, soll hier aber nur für die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik einerseits und Wissenschaft und Wirtschaft andererseits betrach- tet werden, weil diese beiden die größten Rückwirkungen auf das Wissen- schaftssystem entfalten. Das hängt damit zusammen, dass sie über Ressour- CLAUDIA KAUFMANN · FRANZ-XAVER KAUFMANN · HANS KELLER · WOLFGANG KEMP · MICHAEL KEREN · cen verfügen, auf die wiederum die Wissenschaft angewiesen ist und deren 113 falscher Einsatz oder Entzug die Erfüllung der Funktion von Wissenschaft nachhaltig zu stören vermag. NEUE

Für die Politik ist wissenschaftlich gewonnenes und gesichertes Wissen A U so wohl Steuerungs- als auch Legitimationsressource. Das wichtigste Steue - F GABEN rungsmittel der Politik ist Recht. Der Steuerungsbedarf komplexer Ge sell- schaf ten kann allerdings nur durch ein Recht gedeckt werden, das gegen - stands adäquat formuliert ist. Angesichts der Kompliziertheit zahlreicher Regelungsauf gaben ist ein solches Recht nicht mehr allein deliberativ mit common sense herzustellen, wie er typischerweise in den bürgerlichen Parla- menten reprä sentiert war. Es ist vielmehr auf Kenntnis des Steuerungsgegen- standes sowie der voraussichtlichen Folgen und Folgesfolgen unterschied li- cher Steuerungsoptionen angewiesen, die nur über die Steuerungs adres saten oder über die Wissenschaft erlangt werden kann. Wissenschaftlicher Sachver- stand wird daher immer wichtiger zur Erreichung politisch gesetzter Steue- rungsziele. Politische Steuerungsprogramme pflegen kontrovers zu sein. Sie berüh- ren Überzeugungen und Interessen und haben Gewinner und Verlierer, wie sehr sie sich auch auf das Gemeinwohl berufen mögen. Das Gemeinwohl ist selber legitimer Gegenstand von Streit. Daraus resultiert die Protestanfällig- keit von Politik. Protest kann Wählerstimmen kosten und Machtpositionen gefährden. Die Politik ist deswegen darauf aus, ihre Maßnahmen gegen Kritik zu immunisieren und als alternativlos und wirksam darzustellen. Das geht am besten mit Hilfe wissenschaftlichen Sachverstands, weil dieser als inte res- sen unabhängig und ausschließlich wahrheitsverpflichtet gilt. Die Wis sen- schaft wird daher nicht nur in der Herstellungsphase politischer Ent schei dun- gen, sondern auch in der Darstellungsphase bemüht. Sie soll die getroffenen Entscheidungen wissenschaftlich bestätigen. Wissenschaft ist aber noch in einer anderen, mittelbaren Weise politik- relevant, die mit der Abhängigkeit der Politik von der Wirtschaft zusammen- hängt. Die Politik ist bei der Erfüllung ihrer Funktion in erheblichem Maße auf das Geld angewiesen, das sie über Steuern und Abgaben von wirtschaft- lichen Transaktionen oder Vermögen abschöpft. Je mehr sie neben Sicherheit Wohlfahrt verspricht und daraus ihre Legitimität zieht, desto höher ist ihr Geldbedarf. Insofern hat die Politik ein Eigeninteresse an wirtschaftlicher Prosperität. Bei wachsender Konkurrenz hängt Prosperität in Ländern, die arm an Rohstoffen und reich an Arbeitskosten sind, aber zunehmend von den Innovationen ab, die die Wissenschaft generiert und die sich kommerziell verwerten lassen. Wissenschaft ist zur Produktivkraft geworden. Wissenschaft als Produktivkraft, die der Politik mittelbar zugute kommt, ist für die Wirtschaft von unmittelbarem Nutzen. Wirtschaftlicher Erfolg NAVID KERMANI · IAN KERSHAW · IMRE KERTÉSZ · ANTONIA KESEL · JOSEPH KESTIN · RAVINDRA S. KHARE ·

114 wird nur zum Teil über den Preis und die Qualität gängiger Angebote vermit- telt. Vor allem ist er das Ergebnis neuartiger Angebote. Aus diesem Grund ist D

IETER die Wirtschaft an wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert, und zwar vor allem an solchen, die sich entweder in Rationalisierungen von Produk- G

RI tionsabläufen und Dienstleistungen oder in innovativen oder verbesserten MM Produkten niederschlagen, für die beim Publikum Bedarf geweckt werden kann. Auch die Bedarfsweckung selber beruht aber heute großenteils auf der Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die sich Spezialisten für Publi- kumsüberzeugung in der Werbebranche zunutze machen. Das Interesse von Politik und Wirtschaft an der Wissenschaft nimmt daher zu und wirkt sich auch auf ihre Bereitschaft aus, in wissenschaftliche Forschung zu investieren. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass dieses Interesse stets ein Eigeninteresse ist, das von den Erfolgsbedingungen von Po- litik und von Wirtschaft, nicht von denjenigen der Wissenschaft geleitet wird. Die Verwendung wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse unterliegt daher auch den spezifischen Rationalitätskriterien dieser Systeme, nicht dem Ratio- nalitätskriterium, unter dem die Wissenschaft operiert: Wahrheit. Die Wahr- heit kann im Gegenteil den eigenen Interessen zuwider laufen. Immer wieder kommen daher Versuche vor, wissenschaftliche Erkenntnisse zu unterdrü- cken oder zu diskreditieren. Publikationsverbote, die gern mit Auftragsfor- schung einhergehen, sind ein Beispiel dafür. Dabei handelt es sich freilich schon um pathologische Fälle. Gewöhnlich macht das gesteigerte Interesse von Politik und Wirtschaft an der Wissen- schaft dieser nicht ihr Rationalitätskriterium streitig. Dazu pflegt es schon deswegen nicht zu kommen, weil das Wissen, welches die anderen Systeme benötigen, seinen Nutzen für sie nur entfaltet, wenn es wissenschaftlich ge- wonnen wurde. Die Probleme ergeben sich vielmehr daraus, dass die Wissen- schaft auf die finanziellen Mittel angewiesen ist, die ihr vom Staat und von der Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Es ist die Geldabhängigkeit, die die Wissenschaft anfällig für Kolonialisierungsversuche anderer Systeme macht, wenn diese die Mittelvergabe nicht an den Bedürfnissen der Wissen- schaft, sondern an ihren eigenen orientieren. Ein solches Verhalten ist bei der Wirtschaft, deren Rationalitätskriterium der materielle Gewinn ist, normal. Der Staat, der auf das Gemeinwohl ver- pflichtet ist, kann den Eigeninteressen der Politik nicht ungehindert ihren Lauf lassen. Der Grundrechtsschutz, den die Wissenschaft ihm gegenüber ge- nießt, besteht gerade im Interesse der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft. Das ist auch bei der Wissenschaftsfinanzierung zu berücksichtigen. Indessen lässt sich in jüngster Zeit eine Verschiebung der staatlichen Wissenschafts- finanzierung von institutioneller auf projektgebundene Finanzierung beo- bachten. Ferner wird ein den Staat finanziell entlastendes Anreizsystem zur SUNIL KHILNANI · CLAUS KIEFER · MARTA KIJOWSKA · IRAD KIMHI · PAUL KIPARSKY ·

Einwerbung von Drittmitteln, sei es von Stiftungen, deren Aufgabe die Förde- 115 rung von Wissenschaft ist, sei es aus der Wirtschaft, aufgebaut. Damit ist die Gefahr verbunden, dass die Wissenschaft den Gegenstand NEUE

ihrer Forschungen nicht mehr aufgrund des eigenen Erkenntnisinteresses A U bestimmt. In den Finanzierungsmodus sind vielmehr Selektivitäten einge- F GABEN lassen: Er privilegiert anwendungsorientierte Forschung gegenüber der nicht zweckgerichteten Grundlagenforschung. Er privilegiert Forschung, deren Ergebnis sich schnell in Verwertungsketten überführen lässt, gegenüber For- schung, deren Zweck sich in der Erkenntnis erschöpft. Er privilegiert Natur- wissenschaften und Ingenieurwissenschaften gegenüber Geistes- und Sozial- wissenschaften und vernachlässigt damit diejenigen Disziplinen, welche sich Deutungs- und Orientierungsaufgaben widmen und Sinnfragen beantworten. Er privilegiert schließ lich Forschungen von Wissenschaftlergruppen gegen- über dem Erkenntnisstreben der einzelnen Gelehrten. Überdies beansprucht der Finanzierungsmodus viel Zeit, die der Forschung selber verloren geht. Drittmittel einzuwerben ist zeitaufwändig. Die Erwar- tungen an Anträge steigen, am meisten, wenn die Mittel von der Europäischen Union kommen sollen. Der Koordinierungsaufwand in der Antrag stellenden Gruppe ist hoch. Da mittlerweile nicht mehr in Frage gestellt wird, dass die wissenschaftliche Qualität eines Projekts nur wissenschaftlich beurteilt wer- den kann, tritt der Begutachtungsaufwand hinzu. Da die Zielerreichung und die generelle Förderungswürdigkeit der begünstigten Institutionen überprüft werden müssen, sind Evaluierungen an der Tagesordnung. Gerade die besten Wissenschaftler begegnen einander beständig in wechselnden Rollen als An- tragsteller, Gutachter oder Evaluierer. Für ein Institute for Advanced Study wie das Wissenschaftskolleg kann man aus diesen Veränderungen des wissenschaftlichen Umfelds nur den Schluss ziehen, dass sich seine Daseinsberechtigung in den zurückliegenden 25 Jahren nicht verbraucht, sondern im Gegenteil erhöht hat. Wofür ist es da? Inmitten eines Wissenschaftsbetriebs, der so betriebsam geworden ist, dass er den Wissenschaftlern oft die Zeit zur Wissenschaft raubt, will es ein Ort der produktiven Konzentration, der intellektuellen Öffnung und der kritischen Selbstvergewisserung sein. Besonders herausragende oder vielversprechende Gelehrte erhalten hier Gelegenheit, für ein Jahr frei von den Verpflichtungen und Ablenkungen des universitären Alltags und im Austausch mit anderen Wissenschaftlern ein Forschungsvorhaben voranzutreiben oder zu vollenden, von dem sie sich wesentliche Erkenntnisfortschritte versprechen. In dieser Absicht werden Jahr für Jahr etwa 40 Fellows eingeladen, im Kolleg zu leben und zu arbeiten. Beides gehört zusammen. Obwohl sich jeder der Arbeit an seinem Projekt widmet, ergibt sich aus dem Zusammenleben die Chance, die eigenen Vorstellungen im Austausch mit den Anderen zu HANS G. KIPPENBERG · GÁBOR KLANICZAY · PAUL KLEIHUES · RÜDIGER KLEIN · KLEMENS V0N KLEMPERER ·

116 schärfen oder zu revidieren. Erst aus dem Zusammentreffen von Rückzug und Gemeinsamkeit erwächst diejenige Arbeitsatmosphäre, welche das Jahr am D

IETER Wissenschaftskolleg für die Fellows besonders ertragreich machen kann. Das Wissenschaftskolleg ist also gerade kein Projektinstitut. Sein Projekt sind die G

RI eingeladenen Forscher. Um ihres Projektes willen werden sie eingeladen. Das MM Kolleg will die denkbar günstigsten Bedingungen für die Verwirklichung der Projekte seiner Fellows schaffen, die allerdings vielversprechend sein müssen, nur nicht unbedingt in Form von Verwertungsketten. Zu diesem Zweck gibt das Wissenschaftskolleg den Wissenschaftlern also das, was ihnen heute am meisten fehlt, und zwar den Besten in gesteigerter Weise, nämlich Zeit für ihre eigentliche Aufgabe, die Produktion von Wissen, und Gelegenheit, sich stimulieren oder irritieren zu lassen durch die gleich- zeitige Anwesenheit von 39 anderen Forschern, auf die man sich einlassen muss. Das Kolleg ist auf diese Weise per se interdisziplinär, wenn auch in einer anderen Weise, als es die Förderprogramme von Staat und Wissenschaftsinsti- tutionen vorsehen, nicht in der um ein gemeinsames Projekt gescharten In- terdisziplinarität, sondern in der Unentrinnbarkeit der Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen, Argumentationsstilen, Wissenschaftskulturen, die aus der Lebensgemeinschaft auf Zeit erwächst. Zeit und hervorragende Arbeitsbedingungen sind freilich nicht das Ein- zige. Je mehr sich die geschilderten Tendenzen verstärken, desto mehr muss eine Institution wie das Wissenschaftskolleg auf die Gegenprinzipien sehen. Der Forscher ist als Einzelner wichtig, nicht nur als Gruppenmitglied an einem Großprojekt. Die zweckferne Forschung ist wichtig, nicht nur wegen des Nutzens, den auch sie ungeplant oft stiftet. Wichtig ist die vorausschau- ende Forschung, die Krisen antizipiert und nicht erst nach Lösungen zu su- chen beginnt, wenn sie ausgebrochen sind. Vor allem ist diejenige Forschung wichtig, welche aus einer Position der Distanz die Operationen der anderen gesellschaftlichen Subsysteme, aber auch die des Wissenschaftssystems selbst kritisch beobachtet und sie auf ihren Sinn und ihre langfristigen Konsequen- zen befragt. Das darf nicht dogmatisch verstanden werden, so wie ja auch Wissen- schaftsförderung und Wissenschaftsfinanzierung nicht restlos auf das neue Prinzip eingeschwenkt sind. Naturwissenschaftler werden auch im Wissen- schaftskolleg stets eher in Gruppen als allein arbeiten wollen. Ebenso wenig darf anwendungsorientierte Forschung ausgeschlossen sein. Vielmehr kann gerade sie von den Chancen der Reflexion der eigenen Tätigkeit, welche das Wissenschaftskolleg zu bieten vermag, viel profitieren. Aus diesem Grund ist auch der Versuch verstärkt worden, Mediziner häufiger ans Kolleg zu ziehen und mit anderen Disziplinen in Kontakt zu bringen, die gerade das sozia- le Umfeld und die kulturellen und sozialen Bedingtheiten medizinischer DEBORAH KLIMBURG-SALTER · FRIEDHART KLIX · CHARLOTTE KLONK · JÜRGEN KOCKA · DANIELA KOLEVA ·

Forschung und ärztlichen Handelns und ihrer Handlungserfolge thematisie- 117 ren. Wie notwendig solche breeding zones und Reflexionsstätten sind, lässt NEUE

sich an der Häufigkeit ablesen, mit der in den letzten Jahren die Gründung A U vergleichbarer Institutionen in Angriff genommen wird. In den meisten Fäl- F GABEN len sind es frühere Fellows des Wissenschaftskollegs, von denen die Initiative ausgeht und die dabei auf die Hilfe des Kollegs zählen. Damit verschärft sich freilich auch die Konkurrenz. Institutes for Advanced Study konkurrieren um die Besten aller Disziplinen. In dieser Konkurrenz kann man nur bestehen, wenn man sich die Besten finanziell leisten kann und ihnen ein Umfeld anzu- bieten vermag, von dem sie sich eine wirkliche Förderung ihrer wissenschaft- lichen Arbeit versprechen. Nicht nur wer die komfortabelsten finanziellen Bedingungen bietet, sondern wer überdies eine stimulierende Atmosphäre zu erzeugen versteht, behauptet sich. Das Wissenschaftskolleg steht allerdings nicht ohne Vorteile in diesem Wettbewerb. Es ist interdisziplinär wie wenige andere. Die Mehrzahl der Insti- tute öffnet sich nicht den Naturwissenschaften und versäumt damit jene an- fangs oft schmerzliche, am Ende aber meist produktive Irritation, die sich aus den unterschiedlichen Zugängen zum Forschungsgegenstand und den unter- schiedlichen Standards für wissenschaftlich gesichertes Wissen ergibt. Die wenigsten Institute sind so international wie das Wissenschaftskolleg. Gerade in den amerikanischen Instituten bleiben Wissenschaftler aus dem Ausland meist eine kleine Minderheit. Wenige Institute bringen Wissenschaftler und Künstler zusammen, obwohl beide der Gesellschaft mit ihren je unterschied- lichen Erkenntnis- und Darstellungsmitteln zu kritischer Beobachtung, Orien- tierung und Sinndeutung verhelfen und aus dieser Funktionsnähe wechsel- seitig Nutzen ziehen können. Das Kolleg ist aber auch ein Ort, an dem sich das gänzlich Unerwartbare ereignen kann. Wer vermöchte vorherzusehen oder gar zu planen, dass eine Gruppe von Naturwissenschaftlern, die das Orientierungsvermögen der Fle- dermäuse im Raum untersucht, das sich über akustische Signale vollzieht, die für das menschliche Ohr unhörbar sind, aber mit Hilfe technischer Verstärker hörbar gemacht werden können, beim Composer in Residence (in diesem Fall György Ligeti) die größte Resonanz findet, weil diesen in seiner Komposi- tionspraxis Phänomene wie Ultraschall, imaginäre Töne und Trompe-l’oreille- Effekte seit langem beschäftigt hatten? Solche unerwarteten, mangels Vor- stellung von ihrer Produktivität auch nicht absichtsvoll herbeiführbaren Kon stella tionen treten natürlich auch unter Wissenschaftlern nicht verwand- ter Dis ziplinen immer wieder auf und begründen dann für diejenigen, deren Werk davon profitiert, den einzigartigen Reiz des Aufenthalts am Wis sen- schafts kolleg. GÉZA KOMORÓCZY · PANAJOTIS KONDYLIS · GYÖRGY KONRÁD · JUDITH KORB · FRIEDRICH W. KORFF ·

118 Die Steigerungseffekte, die daraus entstehen können, sind allerdings nicht auf Wissenschaftler und Künstler begrenzt. Größer noch als die Kluft D

IETER zwischen Kunst und Wissenschaft und innerhalb der Wissenschaft zwischen Natur- und Geisteswissenschaften scheint die Kluft zwischen Theorie und G

RI Praxis zu sein. Beide sind aufeinander angewiesen und betrachten sich doch MM mit tiefem Argwohn – die Wissenschaft die Praxis, weil diese ihre Problem- perzep tionen nicht frühzeitig aufnimmt und weil ihre Lösungsvorschläge durch Rücksichten, die aus wissenschaftlicher Sicht unsachlich sind, verwäs- sert werden; die Praxis, weil sie bei der Wissenschaft eben diese Rücksicht auf ihre spezifischen Handlungs- und Verwirklichungsbedingungen vermisst und deswegen die wissenschaftliche Kritik als wenig hilfreich empfindet. So wie sich am Wissenschaftskolleg in fast jedem Jahrgang ein Zusammen- stoß der beiden Wissenskulturen Naturwissenschaften und Geistes wissen- schaften ereignet, bei dem nicht selten eine Seite der anderen die Wissenschaft- lichkeit ihres Vorgehens abspricht, um dann alsbald zu einem produktiven Dialog und einem gesteigerten Verständnis zu finden, wäre auch ein Zusam- menstoß von Theorie und Praxis, der mit einem gesteigerten Verständnis für die wechselseitigen Funktionsbedingungen und bereichsspezifischen Ratio- nalitätskriterien endet, von Nutzen. Dass er ausbleibt, senkt insgesamt die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft. Institutes for Advanced Study könnten Orte sein, die auch dafür ein Forum bieten, ohne deswegen ihren Charakter als wissenschaftliche Institutionen zu verlieren und sich in eine der ohnehin zahlreichen Begegnungsstätten zu verwandeln. Der Nutzen würde sich keineswegs im besseren wechselseitigen Verständ- nis erschöpfen. Noch stärker als die Wissenschaftler sind die Führungskräfte aus öffentlicher und privater Verwaltung in Systemzwänge eingebunden und mit Aufgaben kurzfristiger Natur überhäuft, während für die Beschäftigung mit langfristigen Problemen, für die Folgenabschätzung von Kurzfristhan- deln und für die Überprüfung der sogenannten Systemzwänge zu wenig Raum bleibt. Immer häufiger müssen sie zudem in Räumen agieren, die nicht an den eigenen Staatsgrenzen enden, und sind daher auf Fernkompetenz an- gewiesen. Institutes for Advanced Study könnten eine besonders geeignete Vorbereitungsstätte darauf sein und einen Reflexionsraum bieten, in dem man über das eigene Handeln nachdenken kann. Zwar gibt es für derartige Begegnungen zahlreiche Foren, die Politiker, Unternehmensführer, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten zusammenfüh- ren. Doch geschieht das stets für kurze Zeit und führt daher oft nur zur wech- selseitigen Verstärkung von Vorurteilen. Die produktive Irritation und die Öffnung für die Eigengesetzlichkeit des jeweils anderen Bereichs, die Aneig- nung von Fernkompetenz kann nur aus dem längerfristigen Zusammenleben entstehen. Institutes for Advanced Study haben die Chance, dies zu erreichen. REINHART KOSELLECK · MICHAEL KOSFELD · KÁZMÉR KOVÁCS · FRITZ KRAMER · STEPHEN KRASNER ·

Ich habe dafür geworben, dass sie wahrgenommen wird. Die Personen, um die 119 es gegangen wäre, wurden freilich stets als unabkömmlich hingestellt, am wenigsten noch im Journalismus, aber in der Wirtschaft von vornherein, in NEUE

der Politik, wenn es darum ging, die prinzipielle Bereitschaft in konkrete Frei- A U stellungen umzumünzen. F GABEN

2. Internationalisierung Im Begriff der Internationalisierung und seiner Steigerungsform, der Globa- lisierung, wird ein Prozess erfasst, der die lange Zeit national organisierte und durch Landesgrenzen gegliederte Welt verändert. Grenzüberschreitende Kom munikationen nehmen zu, ohne dass sie von den Staaten noch durchweg unter Kontrolle gehalten werden könnten. Die Aktionsradien von Politik und Wirtschaft decken sich nicht mehr. National nicht oder nur noch schwach verankerte Akteure treten auf, die sich einer politischen Steuerung weitge- hend entziehen. Nationale Homogenitäten lösen sich auf, einerseits durch die Tendenz zur Individualisierung und die damit verbundene Schwächung tra- ditioneller Integrationsfaktoren und -institutionen, andererseits durch wach- sende Multikulturalität und Multireligiosität. Die Reibungsflächen zwischen unterschiedlichen Kulturen nehmen zu. Die Welt rückt enger zusammen, die Interdependenz wächst. In einer globalisierten Welt wird ein Mehr an Orientierung nötig. Neben der Orientierung in der schnell sich verändernden eigenen Gesellschaft und der dazu erforderlichen Kenntnis ihrer kulturellen Prägungen ist Orientie- rung über fremde Gesellschaften samt deren eingewurzelten Weltsichten und Verhaltensmustern, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen vonnöten, damit das Agieren in ihnen und mit ihnen nicht durch Verständ- nislosigkeit erschwert wird. Diese beiden Orientierungen müssen wiederum um Vorstellungen ergänzt werden, wie man das Zusammentreffen früher nicht miteinander in Berührung kommender Weltanschauungen und Lebens - formen so einrichtet, dass die wachsende Pluralisierung nicht in sozialen Unfrieden umschlägt. Kaum ein Land hat dieses Problem schon befriedigend gelöst. Auch die Wissenschaft steht damit vor einer veränderten Situation. Sie nimmt selbst an dem Prozess der Internationalisierung und Globalisierung teil. Die wissenschaftliche Kommunikation wird zusehends internationaler und bezieht Weltregionen ein, die lange nicht gleichberechtigt am wissen- schaftlichen Diskurs teilnahmen, wie Indien und China. Da die Wissenschaft als Produktivkraft entdeckt ist, setzt ein weltweiter Wettbewerb von Staaten, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen um die besten Gelehrten ein. Gewinner sind die hochentwickelten, wirtschaftlich starken Länder. Ihre Zahl ist klein, die Zahl der vom brain drain betroffenen IVAN KRASTEV · LÁSZLÓ KRASZNAHORKAI · REINHARD G. KRATZ · WOLFGANG KRAUS ·

120 Länder groß. Im Wissenschaftskolleg fällt dies auf, wenn man die Herkunfts- länder der Fellows mit den Tätigkeitsländern vergleicht. D

IETER Das hat Rückwirkungen auf die Sprache, in der sich die Wissenschaft ver- ständigt. Wer international Gehör und Anerkennung finden will, muss in G

RI einer Weltsprache publizieren. Englisch dominiert in der wissenschaftlichen MM Diskussion. Es entstehen immer mehr internationale Fachzeitschriften, und viele nationale stellen sich auf Englisch um. Der Gewinn an Aufmerksamkeit hat freilich seinen Preis. Gewöhnlich ist das Ausdrucksvermögen in einer Fremd sprache begrenzt. Die Wissenschaftler, welche sich ihrer bedienen müssen, publizieren suboptimal. Begrenzt ist aber auch die Übersetzbarkeit. Nicht jeder Gedanke oder Begriff lässt sich in einer fremden Sprache adäquat wiedergeben. Mit dem Absinken nationaler Wissenschaftssprachen zu loka- len Verständigungsmitteln gehen auch Denkmuster und Begriffsbildungs- möglichkeiten verloren. Scheinverständnisse sind die Folge. Mit der Internationalisierung verändern sich aber auch die Gegenstände wissenschaftlicher Forschung. Globalisierung wird selbst zum Beobachtungs- objekt. Grenzüberschreitende Prozesse, Interdependenzen rücken in den Vor- dergrund. Viele Probleme, die aufgrund dieser Entwicklungen eintreten, las- sen sich nicht mehr zureichend in den traditionellen Disziplinen bearbeiten. Inter- und Transdisziplinarität wachsen. Für Politik und Wirtschaft erhöht sich der Bedarf an Fernkompetenz, Wissen über Weltregionen, deren Pro- bleme uns einholen oder in denen wir aktiv werden möchten. Fernkompetenz entsteht nicht schon mit Hilfe isolierter Wissensbestände. Man muss auch die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen kennen, aus denen sich Sinn erschließt oder Praxis erklärt. Das Wissen, um das es geht, ist kontextualisier- tes Wissen und also in aller Regel allein interdisziplinär gewinnbar. Institutes for Advanced Study haben sich darauf einzustellen. Das Wissen- schaftskolleg war von Beginn an eine internationale Einrichtung, getragen von den großen deutschen Wissenschaftsinstitutionen und den Berliner Uni- versitäten, finanziert von Bund und Land, aber geöffnet für Wissenschaftler aus aller Welt. Erstrangige ausländische Gelehrte nach Deutschland zu holen und in Kontakt mit der deutschen Wissenschaft zu bringen, war eines der Gründungsanliegen. Im Lauf der Jahre hat sich das anfängliche hälftige Ver- hältnis von Deutschen und Ausländern zugunsten der Ausländer verschoben. Innerhalb der Ausländergruppen waren Westeuropa, die USA, Israel stets stark vertreten. Aber so wie nach der säkularen Wende von 1989/90 vermehrt Wissenschaftler aus den früher sozialistischen Ländern eingeladen wurden, muss sich der Radius nunmehr global erweitern. Das ist auch keineswegs unerkannt geblieben. Im Jahr 2000, in dem ich ans Wissenschaftskolleg kam, waren acht der 40 Fellows aus Indien. Nach wie vor sind aber einige Weltregionen stark, andere schwach vertreten. Ostasien, FRANÇOISE KREISSLER · MORDECHAI KREMNITZER · JAN KREN · THIEMO KRINK · GÜNTER KRÖBER · namentlich China, tritt jetzt vermehrt in Erscheinung. Fellows aus Lateina- 121 merika bleiben noch selten. Schwarzafrika ist nur geringfügig präsent. Ge- rade der afrikanische Fall bestätigt die Wanderungsströme in der Wissen- NEUE

schaft. Die besten Wissenschaftler aus Entwicklungsländern sind meist nicht A U in ihrer Heimat tätig, sondern großenteils in den USA, aber auch in Großbri- F GABEN tannien. Will man den Gewinn, den ihnen und ihren Themen und Fragestel- lungen ein Aufenthalt am Wissenschaftskolleg bringt, ihren Heimatländern zuwenden, muss man Anreize für Bleiben oder Rückkehr schaffen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine, die sich für Institutes for Advanced Study besonders anbietet, ist die Gründung solcher Institute in den betreffenden Ländern. In Ost-Mittel-Europa ist das Wissenschaftskolleg mit Erfolg den Weg gegangen, nicht nur Wissenschaftlern aus den früher sozialis- tischen Ländern die Tür zum Westen zu öffnen, sondern durch Einrichtung solcher Institute die Länder für westliche Wissenschaftler interessant zu ma- chen. Frühere Fellows des Wissenschaftskollegs unternehmen derzeit solche Anstrengungen, zum Beispiel in Peking, Bangalore, Istanbul, Beirut, oft unter Schwierigkeiten, für die Idee Verständnis (und Geld) zu finden. Hier ist nicht Reserve aus Furcht vor Konkurrenz, sondern Unterstützung im Interesse welt- weiter Bereicherung angebracht. Lokales Wissen darf in der globalisierten Welt nicht untergehen. Auch dabei handelt es sich um eine sprachliche Frage, auf die Englisch lernen nicht die einzige Antwort ist. Deutsch war lange Zeit eine bedeutende Wissenschaftssprache, die ausländische Gelehrte kennen mussten, wenn sie sich in ihrem Fach auskennen wollten. Das ist heute nicht mehr selbstver- ständlich. Oft kann man das den Projektskizzen von Fellow-Kandidaten anse- hen. Manche wären anders ausgefallen, hätten die Bewerber Zugang zur deutschsprachigen Literatur gehabt. Die Einführung von Deutschkursen für ausländische Fellows und ihre Familienangehörigen ist deswegen ein wichti- ger Teil des Jahresprogramms. Sie eröffnen diesen Zugang und entfalten damit Langzeitwirkungen. Viele machen von der Möglichkeit Gebrauch, und wenn dann ein ausländischer Fellow seinen Dienstags-Vortrag auf Deutsch hält, ist das für die Abteilung Fellow-Dienste ein besonderer Erfolg. Auch disziplinär und thematisch verändert die Internationalisierung das Wissenschaftskolleg. Fächer wie Ethnologie, Anthropologie, Religionswissen- schaft finden wesentlich öfter Platz. Innerhalb der traditionell starken Fächer wie zum Beispiel der Geschichtswissenschaft tritt die nationale Geschichts- schreibung in den Hintergrund. Das Interesse richtet sich stattdessen auf die Wechselbezüge zwischen nationalen Geschichten (entangled history) oder die nationenübergreifenden Gemeinsamkeiten und Differenzen (mutiple moder- nities), die historischen Alternativen zum Nationalstaat. Selbst eine so natio- nal geprägte Disziplin wie die Rechtswissenschaft lenkt ihr Augenmerk zu- CHRISTIAN GRAF VON KROCKOW · JOHN MICHAEL KROIS · HANS-PETER KRÜGER · LORENZ KRÜGER ·

122 nehmend auf die Herausbildung neuer, nicht mehr national determinierter Rechtsinstitutionen und Rechtsnormen und die Wiederkehr einer pluralen D

IETER Rechtswelt, wie sie vorstaatlichen Herrschaftsordungen vertraut war. Mein eigenes Interesse gilt in diesem Zusammenhang besonders der säku- G

RI laren Errungenschaft der modernen Verfassung. Sie wird durch Internationa- MM lisierung und Globalisierung in zweifacher Weise berührt. Zum einen kann sie im selben Maß, in dem öffentliche Gewalt auf internationale und supra- nationale Organisationen übergeht, ihren Anspruch, politische Herrschaft umfassend zu legitimieren und zu limitieren, nicht mehr einlösen. Sie wird Partialverfassung. Zum anderen ist es höchst fraglich, ob sich der Verlust auf der internationalen Ebene kompensieren lässt und was Konstitutionalisie- rung, gemessen an der Errungenschaft des Verfassungsstaats, hier überhaupt heißen kann. Zur Erörterung dieser Fragen ist für das nächste Fellow-Jahr eine Schwer punktgruppe ‚Constitutionalism beyond the Nation-State‘ eingeladen. In einem fächerübergreifenden Zusammenhang reagiert das Wissen- schaftskolleg auf diese Entwicklung mit verstärkter Aufmerksamkeit für ‚cul- tural mobility‘. Cultural mobility ist per se ein transnationales Feld. Es geht dabei nicht um einen neuen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung oder gar um eine neue Disziplin. Der Sinn ist vielmehr, neue Fragen an traditio- nelle Gegenstände wissenschaftlicher Forschung zu richten und bestehende Disziplinen für einen vernachlässigten Aspekt ihres Gegenstandes empfäng- lich zu machen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Gegenstände wis- senschaftlicher Forschung in kulturelle Traditionen und Zusammenhän ge eingebettet sind, die konstitutive Bedeutung für sie haben. Ihre Einbeziehung eröffnet also ein tieferes Verständnis der Forschungsgegenstände und einen verfeinerten Blick auf ihre innere Differenziertheit. Eine zweite Leitannahme bezieht sich auf ‚mobility‘. Anders als vielfach angenommen sind kulturelle Bedingtheiten selten ein Produkt in sich abge- schlossener nationaler Entwicklungen. Sie gehen vielmehr aus grenzüber- schreitenden Austauschprozessen hervor, in denen sich nationale Eigenarten nicht so sehr an autochthoner Hervorbringung der Elemente als an der Selek- tion und Kombination, Assimilierung oder Abstoßung von Außeneinflüssen erweisen. Das gilt selbst für anscheinend so national geprägte Gegenstände wie Sprache und Literatur. Neben der besseren Erkenntnis des Forschungs- gegenstandes kann ein solches Wissen über die Transnationalität kultureller Identität auch vor der Wiederkehr eines übersteigerten Nationalismus bewah- ren und Gesellschaften auf die sich allenthalben ausbreitende Multikultu- ralität besser vorbereiten. Für Institutes for Advanced Study wie das Wissenschaftskolleg ist diese Sichtweise deswegen so wertvoll, weil sie keineswegs auf kulturelle Gegen- stände im engeren Sinne begrenzt ist. Wenn Kultur nicht objekthaft, sondern SUSANNE KÜCHLER · ANKE VON KÜGELGEN · GYÖRGY KURTÁG · MARTIN KUSCH · ADAM S. LABUDA · aspekthaft verstanden wird, lässt sich die Frage nach cultural mobility auf die 123 Gegenstände sämtlicher Disziplinen beziehen. Das gilt selbst für die natur- wissenschaftliche Forschung, deren Anspruch, universal gültige Erkenntnis NEUE

zu liefern, selbst wieder kulturell bedingt ist. Cultural mobility eröffnet also A U eine Ebene, auf der sich die auseinanderstrebenden Wissenskulturen der F GABEN Geistes- und Sozialwissenschaften einerseits und der Naturwissenschaften andererseits begegnen und voneinander profitieren können. Hier liegt auch die beste Antwort auf die häufig gestellte Frage, was denn ein Aufenthalt am Wissenschaftskolleg, das ja nicht über Labors verfügt und mehrheitlich Vertreter von Disziplinen einlädt, mit denen ein naturwissen- schaftlicher Fachdialog unmöglich ist, einem Naturwissenschaftler bringt. Es bietet ihm, neben der Möglichkeit konzentrierter Arbeit am eigenen Projekt, eine Chance, welche die disziplinäre Ausbildung und das fachinterne Ge- spräch nicht bereithalten, nämlich über das eigene Tun zu reflektieren, sich des kulturellen und sozialen Kontexts bewusst zu werden, aus dem sich auch die naturwissenschaftliche Forschung nicht lösen kann und in dem ihre Er- kenntnisse verwertet werden. Wenn das gelingt, kann man manchmal in den Jahresberichten der Fellows einen Satz wie diesen lesen: „Being a Fellow of the Wissenschaftskolleg has irreversibly changed me as a scientist.“ Auf diese Weise regt das Wissenschaftskolleg nicht allein Forschungen über cultural mobility an. Es wird selber zu einem Ort für cultural mobility. Cultural mobility als Sammelbezeichnung für Denken und Handeln beein- flussende Austauschprozesse ereignet sich hier zwischen den beiden großen Wissenskulturen der sciences und der humanities. Er ereignet sich aber auch zwischen den Wissensbeständen und Denktraditionen verschiedener Weltre- gionen. Er ereignet sich zwischen Sinndeutungskulturen wie Judentum und Islam, die sich im Wissenschaftskolleg auf neutralem Grund begegnen kön- nen und dort ihre Gesprächsfähigkeit wiedergewinnen. Er ereignet sich zwi- schen Kunst und Wissenschaft, und er könnte sich zwischen Wissenschaft und Praxis ereignen, wenn die Praxis den Nutzen, der daraus entstünde, zur Kenntnis nähme. Die Ermöglichung von cultural mobility muss ein Leitge- sichtspunkt bei der Komposition jedes Fellow-Jahrgangs sein. Auch dafür ist aber die Länge des Aufenthalts wichtig. Erst das Jahr ver- spricht denjenigen Effekt, um den es dem Wissenschaftskolleg neben günstigen Arbeitsbedingungen für das individuelle Vorhaben des Fellows geht, näm lich die wechselseitige Inspiration und Irritation durch den Kontakt mit Vertre- tern von Fächern und Wissenskulturen, denen man sich sonst nicht aussetzt. Gleichwohl nehmen im hektischer werdenden Wissenschaftsbetrieb die Fälle zu, in denen Kandidaten um einen kürzeren Aufenthalt bitten. Bei experi- mentierenden Naturwissenschaftlern mit großen Labors oder Kliniken, aber auch bei jungen Naturwissenschaftlern auf dem Karrieresprung kommt man GERARD LABUDA · NICOLA LACEY · HELMUT LACHENMANN · RENATE LACHMANN · MICHAEL LACKNER ·

124 manch mal nicht umhin, dieser Bitte nachzugeben. Im Allgemeinen muss aber auf dem Jahresaufenthalt insistiert werden. Er ist Bedingung der Zieler- D

IETER reichung. Unwilligkeit, sich auf die Gemeinschaft auf Zeit einzulassen, ist ein Hin- G

RI derungsgrund. Jener sehr renommierte Wissenschaftler, der auf die Anfrage MM des Kollegs antwortete, nichts käme ihm gelegener als die Möglichkeit, in Berlin an der Vollendung eines ihm wichtigen Werks zu arbeiten, doch habe er in seinem Alter kein großes Interesse mehr an gemeinsamen Mahlzeiten und Konversationen mit anderen Wissenschaftlern – entweder wisse er schon, was sie zu sagen hätten, oder es interessiere ihn nicht –, erhielt die erhoffte Einladung nicht. Nicht jeder Kandidat wird so ehrlich sein wie dieser. Doch selten ist es vorgekommen, dass ein Fellow das Kolleg mit einem Hotel samt Bibliotheksservice verwechselte. Wer anfangs noch zögerlich war, ist am Jahres- ende meist vom guten Sinn der Rituale überzeugt. Die Begrenzung auf ein Jahr hat freilich auch zur Folge, dass das Wissen- schaftskolleg darauf beschränkt ist, Anstöße zu geben. Die längerfristigen Wirkungen kommen den Heimatinstitutionen der Fellows zugute. Auf an- haltende Wirkung für die Entwicklungen, die hier ihren Ausgangspunkt ge- nommen haben oder vorangetrieben worden sind, ist das Kolleg bedacht. Wir fragen später nach den – persönlichen und institutionellen – Langzeitfolgen des Aufenthalts. Die Antworten bilden die wichtigste Grundlage für die Evalu- ation des Kollegs. Auch bei Aktivitäten, die einen Jahrgang überdauern, gibt es ein solches Bestreben nach Nachhaltigkeit. So ist es in diesem Jahr geglückt, den von Wolf Lepenies weitsichtig ins Leben gerufenen Arbeitskreis Moderne und Islam in andere institutionelle Formen zu überführen. Wolf Lepenies hat darauf in seinem Bericht hingewiesen. In ähnlicher Weise versucht das Kolleg, die Fernkompetenz Berlins zum Nutzen der beteiligten Wissenschaften und der Hauptstadt zu bündeln und zu stärken. Berlin ist bereits jetzt ungewöhnlich reich an Institutionen, die sich auf die Erforschung bestimmter Weltregionen konzentrieren. Sie sind aber verstreut auf die Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrich- tungen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die ethnologischen Museen, die Stiftung Wissenschaft und Politik etc. Die Verbindung zwischen ihnen ist schwach ausgebildet. Überdies scheinen viele der Regionalforschungszentren durch geringe Verknüpfung mit den systematischen Disziplinen wie der Sozio- logie, der Politikwissenschaft, der Wirtschaftwissenschaft untertheoretisiert, während diesen Disziplinen wiederum oft das empirische Wissen der Regio- nalforschung fehlt. Die Gründung eines Forschungsverbunds Transregionale Studien, in dem eine leistungssteigernde Verbindung zustande käme, ist das Ziel des Wissen- schaftskollegs. Es hat dabei den Vorteil, als neutraler Vermittler, nicht als Kon- ANDRÉ LAKS · VITTORIO M. LAMPUGNANI · GIULIANA LANATA · CHRISTINE LANDFRIED · kurrent der anderen Institutionen auftreten zu können. Es entzieht weder 125 den anderen Einrichtungen Mittel und Kapazitäten noch beansprucht es etwas für sich, sondern kann mit seinen Mitteln die Kooperation anstoßen NEUE

und durch seine Einladungspraxis von Fellows unterstützen. Für die Politik A U müsste der Nutzen einsichtig sein. Die fortschreitende Internationalisierung F GABEN macht ja die Nationalstaaten nicht überflüssig, sondern bezieht sie immer stärker in internationale Verflechtungen ein. Für die deutsche Politik böte sich durch einen solchen Verbund ein Wissensreservoir, auf das sie gerade im Überraschungsfall zurückgreifen könnte.

Zum Schluss: Berlin

Verändert hat sich auch Berlin, der Standort des Kollegs. Im Jahr 2000, als ich eintraf, lag die Teilung zehn Jahre zurück. Wenige Monate zuvor war Berlin, wie im Juni 1991 beschlossen, Regierungssitz geworden. Die Wiedervereini- gung hatte das alternde, behäbig gewordene West-Berlin aus seiner geogra- phischen, das darbende Ost-Berlin aus seiner politisch-kulturellen Isolation befreit. Viele Einrichtungen des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens gab es nun doppelt, dreifach oder vierfach – Universitäten, Akademien, Kunst- und Musikhochschulen, Opernhäuser, Volksbühnen, Zoos, Orchester, Staats- bibliotheken etc. Nur ein Institute for Advanced Study war im Osten der Stadt nicht entstanden. So blieb das Wissenschaftskolleg auch nach der Wiederver- einigung einzig, und es blieb im Grunewald. Beim Rektoratswechsel 2001 gab Wolf Lepenies mir zu bedenken, ob wir unsere öffentlichen Veranstaltungen nicht künftig nach Mitte verlegen müss- ten, weil wir angesichts der wachsenden Veranstaltungsdichte in Berlin mit dem Standort im Grunewald ins Hintertreffen geraten könnten. Die wach- sende Konkurrenz ist in der Tat unleugbar. Auch wenn keines der großen Un- ternehmen, die vor dem Krieg in Berlin ansässig gewesen waren, seinen Fir- mensitz hierhin zurückverlagert hat, finden bedeutende Veranstaltungen der Unternehmen eher in Berlin als am Firmensitz statt. Dazu kommt die Präsenz der Botschaften und Landesvertretungen, der Verbände und Stiftungen, der Medien und Verlage. Dazu kommt die große Zahl anderer Veranstaltungen, deren Organisatoren das Hauptstadtpublikum erreichen wollen. Gleichwohl hat sich die Besorgnis, dass die Veranstaltungen des Wissen- schaftskollegs an Auszehrung leiden könnten, nicht bewahrheitet. Das Haus in der Wallotstraße ist ein Anziehungspunkt geblieben. Es hat sein traditio- nelles Publikum nicht verloren und ein neues hinzugewonnen. Es ist auch nicht von dem Grundsatz abgerückt, dass die öffentlichen Veranstaltungen Fellow-bezogen bleiben. Jeder Jahrgang wird durch einige seiner Mitglieder DIETER LANGEWIESCHE · THOMAS W. LAQUEUR · WALTER LAQUEUR · KAZIMIERZ LASKI ·

126 präsentiert. Ehemalige Fellows haben Gelegenheit, wichtige Neuerscheinungen vorzustellen. Die Künstler unter den Fellows treten öffentlich in Erscheinung. D

IETER Dass dies weiterhin im eigenen Haus geschieht, unterstreicht die Unver wech sel- barkeit. Das begrenzte Platzkontingent ist bisweilen schade, verhindert aber G

RI die Anonymität der Veranstaltungen. MM Für die Wissenschaftler macht das Nach-Wiedervereinigungs-Berlin eine Einladung ans Wissenschaftskolleg noch verlockender als vordem. Man kann an den Jahresberichten der Fellows ablesen, welche Rolle die Stadt für den Er- folg ihres Aufenthaltes spielt. Berlin wirkt heute jung und zieht die Jugend an. Der Sohn eines Fellows hinderte seine Eltern daran, in den Weihnachts- ferien in die Heimat zurückzukehren: Man könne die Silvesternacht nur an zwei Stellen in der Welt verbringen, entweder auf der Harbour Bridge von Sydney oder am Brandenburger Tor. Berlin ist eine internationale Stadt ge- worden, ein Brennpunkt vor allem der Ost-West-Begegnung. Aber bei allem Neuen begegnet man hier der deutschen Geschichte auf Schritt und Tritt. Die Zahl der Fellows, die sich im Anschluss an das Jahr um eine Position in Berlin bemühen oder hier eine Zweitwohnung kaufen, wächst. So wie das Wissenschaftskolleg durch das erneuerte Berlin an Reiz gewinnt, gewinnt aber auch Berlin an Reiz durch das Wissenschaftskolleg. Die Berliner Wissenschaft profitiert durch die Kontakte mit den Fellows, zu denen das Kolleg ermuntert. Das kulturelle Leben der Stadt profitiert durch die zahlrei- chen Angebote, die die Fellows auch außerhalb des Kollegs machen. Politik und Medien profitieren dadurch, dass sie im Bedarfsfall in den Fellows eine erstrangige Informationsquelle finden. Selbst zwischen Berliner Unterneh- men und Fellows haben sich nützliche Verbindungen ergeben. Am meisten profitiert Berlin aber wohl dadurch, dass die Fellows mit guten Erinnerun- gen in ihre Heimatländer zurückkehren und dort für das Wissenschaftskol- leg auch deswegen werben, weil es zur deutschen Hauptstadt gehört und deren Internationalität bestätigt. Berlin ist allerdings nicht in dem Sinn Hauptstadt, dass hier alle Kräfte eines Landes gebündelt sind wie in Paris oder doch die meisten wie in London. Dem steht schon der gewachsene Föderalismus in Deutschland entgegen. Berlin ist aber in einem umfassenderen Sinn Hauptstadt als die Hauptstadt anderer föderalistischer Staaten wie etwa Bern oder Ottawa oder Canberra. Allerdings kann es aus eigener Kraft aus seinen Ressourcen nicht genügend machen. Ein erhöhtes wissenschaftlich-kulturelles Engagement des Bundes wäre im Interesse des gesamten Landes vonnöten und ließe sich leichter recht- fertigen, wenn Berlin nicht mehr selbst Land, sondern lediglich Stadt in einem Land wäre. Das Wissenschaftskolleg ist, wie der Wissenschaftsrat ihm mehr- fach bescheinigt hat, eine Institution von nationaler Bedeutung. Auch ihm wäre daher mit einer Kräftigung der Hauptstadt gedient. Yehuda Elkana A Theater for the Enactment of the Anthropology of Knowledge

The late Imre Lakatos was one of the important philosophers of science of the previous century and although historically well-informed, he cultivated a logic-based rational reconstruction of historical processes; he brought this genre to great accomplishment. Yet the historian cringes when reading his rational reconstructions, which expound universal truths independent of time, place, and context in every sense. Had I been a follower of the Lakatosian method, I would have claimed that the Wissenschaftskolleg from its inception proceeded to execute a clearly con- ceived program of supporting the establishment of a Cassirerian rethinking of the Enlightenment traditions in the context of post-Second World War reality. Ernst Cassirer, the great philosopher, historian of ideas, and polymath, embarked in the 1920s on a major reconsideration of the Enlightenment tra- dition in all areas of knowledge. This for him did not mean viewing knowledge as universal truths, conclusions independent of time and place, but viewing all these in their relevant context. This is what I mean by a Cassirerian con- textualization of knowledge. Cassirer wrote dozens of major books in this spirit, but his two strongly interconnected masterpieces are the four-volume ‘Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit’ (1906–1920) and the three-volume ‘Phi lo sophie der Symbo li schen For- men.’ However, a rational reconstruction on Cas si rerian lines would actual - ly pro mote a paradox. The Cassirerian program was a contextualization of knowledge in its historical emergence; or it could be called a historical epistemology of scientific knowledge (in the sense of Wis sen schaft); or, again, it could also be described as a political epistemology of ideas. It would have been a paradox because the very idea of a rigorously Enlightenment-rooted rational recon struction does not recognize context as a factor in the emer- gence of ideas, and social factors, let alone political ones, are irrelevant for the world of thought. Much as this might be a logician’s dream, it is a his- torian’s nightmare. PETER LASKO · MELVIN J. LASKY · RICHARD LAW · LOTHAR LEDDEROSE · CLAUS LEGGEWIE ·

128 The Wissenschaftskolleg did not develop according to a preconceived plan in this sense. There were some guiding ideas as to purpose, structure, and feasi- Y EHUDA bility, but certainly not as to the fulfillment of a preconceived philosophical program. And yet, when looking back on these 25 years, what slowly took

E shape and will have a lasting impact is exactly a Cassirerian contextualization LKANA of knowledge, rich in emphasizing the social and political influences on, or rather, interaction with, new ideas in all areas of knowledge. The road was bumpy and non-linear, and certainly not fitting the way a ratio nal recon- struction would prescribe it, but if you look back after all these years and lean on rational reconstruction as a framework, this is the picture that emerges. Before leaving these meta-theoretical musings behind me, let me stress that this reading of the Cassirerian oeuvre is itself not accepted by everyone. Very often Cassirer is seen as the Enlightenment philosopher par excellence, as close to rational reconstruction as can be. This impression is strengthened if one has in mind his ‘Philosophy of the Enlightenment’ – a work written under the frightening influence of the ‘gathering storm’ of Italian and Spanish fascism and German National Socialism. He was so close to despair that he abandoned his life’s work for some time, ‘The Philosophy of Symbolic Forms,’ which is the first major work opening the Enlightenment to contextual anal - ysis, and retreated, in a reactionary mode, to sticking to context-indepen- dent absolute values of a universal character. He returned later to his liber - ating role and continued to publish one work after another in the spirit of context-dependency. Finally: This is a very personal essay. I have been connected with the Wis- senschaftskolleg from its inception and served first as a member of the Aca- dem ic Advisory Board and then as a Permanent Fellow for the last 18 years. It was the wise and influential Hellmut Becker who brought me into the orbit of the Kolleg, just as he brought to Peter Glotz’s attention many of the first, central figures who played a role then and continue to play a role now. It is probably no accident that Glotz himself was a student of Eric Voegelin – one of the great, reflective, context-conscious German intellectual historians of the twentieth century. The Kolleg is run by its Rector, its Secretary, and the Permanent Fellows. While the final decisions are always those of the Rector, all decisions are dis- cus sed in detail by all those noted, and thus many different lines of thought and influence leave their mark. On matters intellectual, my taste and preju- dices are closest to those of Wolf Lepenies, who was Rector for 15 years, and we did much work in great harmony. It is certainly not an accident that Lepenies’ books and my essays and books have much to do with such a Cas- sirerian approach and especially with context and anthropology. Lepenies is one of the founders of the Cambridge University Press series ‘Ideas in Con- MARK LEHMSTEDT · STEPHAN LEIBFRIED · STANISLAW LEM · TIMOTHY LENOIR · WOLF LEPENIES · text,’ and I founded the interdisciplinary periodical ‘Science in Context’ in 129 1987. Many of my relevant essays are collected in a Suhrkamp volume entitled: A ‘Anthro pologie der Erkenntnis: die Entwicklung des Wissens als Episches The- NTHRO ater einer Listigen Vernunft.’ It appeared in 1986, and Wolf Lepenies was one P of the scientific advisors to the edition. Recently I have dedicated most of my OLOGY O ‘free-for-scholarship’ time to working, jointly with John Krois, on a book about the political epistemology of Ernst Cassirer. F

K

Many were influential in establishing a Max-Planck-Institut für Wissen- NO schafts geschichte. Among the many, Lepenies and I wrote a programmatic W proposal, the motto of which was ‘Historical Epistemology of Knowledge.’ It LEDGE was written in the same spirit of emphasis on studying science and indeed Wissenschaft in a reflective, context-dependent mode. At the same time I am fully aware that, even more than my role in con- tributing to the collective shaping of the Kolleg, the Kolleg played a decisive role in my own intellectual development. The Gründungsrektor, Peter Wap- newski, the present Rector Dieter Grimm, and the present and past Permanent Fel lows, each in their area of expertise, while not necessarily speaking the language of context or invoking Cassirer, were all very congenial to this approach. Joachim Nettelbeck did speak the same language, and his influence on my own thin king was important. Since perhaps Cassirer is not that well-known today, or the interpretation of his work is controversial, I would like to invoke a few additional spiritual sources for the approach presented here. These, to name only the central ones, are Montaigne, Vico, Goethe, and both Alexander and Wilhelm von Hum boldt. Now let us break this down into more specific ideas, events, Schwerpunkte, and themes.

The Wissenschaftskolleg is first and foremost a place where forty scholars can find a year’s haven from administrative work (or any other worries that are not conducive to doing scholarly work) and follow their own ideas for that year. David Shulman (Fellow of the year 2000/01) called it “structured free- dom.” This is more important than all that was said before or will follow in this essay. It cannot be emphasized enough that even if no overall impact would have developed, and only annually 40 Fellows would have been success- fully encouraged to do their creative work, the institute would have achieved its goal. All the rest is added value. The scholars invited are usually successful, mid-career academics who need a year of peace and quiet; but many of the Fellows are also young and promising scholars, for whom the year at the Kolleg is an important invest- ment in their future development. On some occasions, the Kolleg serves as a well-earned reward for past achievements for senior scholars. The presence of RAINER M. LEPSIUS · ABRAHAM LERMAN · LAWRENCE LESSIG · EWA LETOWSKA · ISIDOR LEVIN ·

130 such Fellows rich in experience, and often in wisdom, is very important, especially for the young scholars who are around. Y EHUDA From the very first days, when the Wissenschaftskolleg was on the draw- ing board of Peter Glotz and the first Rector-designate, Peter Wapnewski, it

E was stated that the future Fellows should include not only academics, but also LKANA selected artists and, as formulated by Peter Wapnewski, “Persönlichkeiten des geistigen Lebens.” Thus, when we started coming up with different ideas to be pursued, or were thinking of the right candidates to be Fellows, we could think in very broad terms of eligibility. For evident historical reasons, before World War II, Europe and especially Germany cultivated a scientific/scholarly culture that was strongly epistemo- logical, reflective, and very often context- conscious. That Germany was so strong in this direction is perhaps the reverse side of the loathsome “kultu- relle Überheblichkeit” so frighteningly and clearly expressed in Thomas Mann’s ‘Betrachtungen eines Unpolitischen.’ That Germany had long been not really a nation-state, and that it was politically splintered and often the European underdog, created a compensatory movement of emphasizing Kultur, as against Zivilisation, and of constantly reflecting on its cultural achievements in the framework of European, but not a nationally German, context. In short, the Goethean spirit penetrated all areas of creativity, including natural science. It is perhaps paradoxical that the feeling of cultural supremacy became domi- nant after Bismarck, when these historical differences were redressed with a vengeance, and actually no compensation was needed any more. In any case, in my view the other side of the coin of cultural supremacy is that scientists in Germany were mostly anti-positivistic, strongly influenced by poetical, artis- tic and musical traditions, and no massive textbook in science was written without a lengthy epistemological introduction. At the same time, in the great est European democracy, Great Britain, which was indeed the symbol of Zivilisation as against Kultur, science was cultivated on empirical, anti-met- aphysical lines. Thus it is no accident that the Germany of the first 40 years of the twentieth century led in most of the great innovations in science and in- deed generally in all areas of scholarship. Many of the creative, reflective, metaphysically interested German scholars – by no means all Jews (but very many of them were Jews) – had been driven out, at best, or murdered by . After World War II, when Germany was miraculously rising out of the ruins, there was a conscious or unconscious decision to rebuild first of all the ‘positive’ sciences: strong physics, mathematics, chemistry, biology, his- tory, etc. were thus encouraged to be rebuilt. There was no national ener gy – nor were there the scholars who could have supported it – to encourage inter- disciplinary, sophisticated, reflective, context-dependent disciplines like his to ry and philosophy of science, like cultural and cognitive anthropology, WALTER LEVIN · NEHEMIA LEVTZION · JACQUES LÉVY · VERNON L. LIDTKE · ANTONÍN J. LIEHM · like the complex biological areas that combine molecular biology with evo- 131 lutionary biology (let alone the previously strong German field of develop- A mental biology – this last presupposing the development of theoretical biol- NTHRO ogy). The realization of this serious hiatus, and the development of these P fields in Germany, became one of the moving ideas in the choice of Schwer- OLOGY O punkte in the Kolleg. As you can read in this volume, in the discussion be- tween the late Peter Glotz, Peter Wapnewski, and others, Christoph Schneider F

K reports the following sentence from the final document suggesting the estab- NO lishment of the Wissenschaftskolleg: “… dass mit dieser Initiative die ‘durch W Nationalsozialismus und Krieg unterbrochenen Verbindungen zu wichtigen LEDGE geistigen Strömungen’ wiederangeknüpft werden sollen.” Much of what I am talking about here can be subsumed under this statement. For the first ten years we invited as Fellows leading, rather young histo- rians, philosophers, and sociologists of science who were all students of scien- tific knowledge, but increasingly also of the social sciences and of the human- ities. They all considered historical, philosophical, and sociological aspects of emergent new knowledge as strongly intertwined; they all worked on theoret- ical ideas, experimental set-ups, new techniques, industrial developments, economic factors, and general cultural contexts in conjunction. While each from this generation of scholars chose a well-defined topic to work on, none of them considered any of these research topics as being exclusive of the others and all of them viewed their research as strongly context-dependent. Natural- ly, many methodological debates occurred, and sometimes different schools developed, but the overall trend was indeed as fresh air against the competent but outmoded, strictly unidisciplinary areas of research like history of optics, chapters in the study of quantum mechanics based on the principles of lo g- ical positivism, history of organic chemistry, or history of topology. The Kol- leg invested much effort into bringing these scholars into friendly contact with the few historians and philosophers of science working at German and especially Berlin universities but also saw to it that various great universities in Germany became aware of their presence and took up contact with these Fellows. Central to this effort were the Rathenau post-doctoral Fellows who came to Berlin, worked together with German colleagues in the intellectual mode described above, and contributed to making Berlin a natural venue for reflective, context-bound history, philosophy and sociology of science, tech- nology, medicine, and the social sciences and the humanities. The Rathenau program was coordinated by a leading American historian and sociologist of technology, engineering, and architecture, Thomas Hughes. Summer schools were established, advanced students were invited to visit, and German docto- ral students from various universities were encouraged to visit the relevant departments in Cambridge, MIT, Harvard, Stanford, Tel Aviv, and other places. GYÖRGY LIGETI · ORA LIMOR · LEON N. LINDBERG · JUAN J. LINZ · CAROLA LIPP · RUDOLF PRINZ ZUR LIPPE ·

132 In short an international network was created, which prepared the ground for finally establishing a Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Y EHUDA Berlin. The situation in anthropology was somewhat different but not unrelated.

E In this case, too, many forces were at work. The taboo associated with the Nazi- LKANA sounding word Völkerkunde was strong and yet the need for a sophisticated, reflective, evolution-based anthropology became felt. I wish to believe that the spirit of contextuality and the view of anthropology as being located at the crux of many other disciplines had a spreading influence in intellectual circles in Germany. In any case, the widely perceived need led the Max-Planck- Gesellschaft to establish the Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropo- logie in Leipzig and the Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung in Halle. ’Economics in context’ was a Schwerpunkt headed on interdisciplinary lines by Jürgen Kocka for several years. While Kocka, in his essay, relates to this great effort, from my point of view it is important to emphasize that the lead- ing idea was to lure economists out of their mathematical, model-creating, context-independent den into facing problems that the context forces – or rather should force – upon the attention of economists. ’Theoretical biology’ was not only a natural choice because the Kolleg has no laboratories, but also because it is theoretical biology that encompasses the many interdisciplinary, context-sensitive areas of the rapidly developing fields of biology, and the Kolleg had the privilege of including among its Per- manent Fellows a leading scholar with a very broad range of knowledge in biology and the cognitive domain, Rüdiger Wehner. This major effort culmi- nated in establishing the Innovations-Kolleg Theoretische Biologie, now ma- tured into an Institut für Theoretische Biologie at the Humboldt University. As background, there was a strong wish to introduce theoretical biology on lines of interdisciplinarity, context-dependency, and reflectivity. Like all natu- ral sciences, theoretical biology struggles in the tension between being nar- rowly ‘scientific’ and more open to context and reflection. The work in this area in the Kolleg continues with ever-new focus groups in the very many emerging areas in biology, most recently evolutionary immunology and evo- lutionary medicine. The experience at the Kolleg is that biologists and social scientists often and gladly spent quite a lot of time in each other’s company. For many years, the Kolleg was involved in supporting the study of Islam in its multi-faceted dimensions, making honest efforts to work in accordance with the guiding principle formulated by Wolf Lepenies for the Kolleg, “to work with them, not about them” – a distinction that is important in view of the very rich, long-standing German tradition of scholarship in Islamic Stud- ies on strictly disciplinary lines, and indeed mostly of writing ‘about them.’ MARINA G. LITAVRINA · STEFAN LITWIN · LYDIA H. LIU · EMILIO LLEDÓ · GEORGE F. LOEWENSTEIN ·

Our work started with Aziz Al-Azmeh’s three-year presence at the Kolleg and 133 was inspired by his book ‘Islams and Modernities.’ Due to political develop- A ments, this work only grew in importance. Later Navid Kermani played an NTHRO important role in carrying this theme forward, and it continues to occupy the P attention of the Kolleg. The series of workshops, projects, and junior and senior OLOGY O Fellows all emphasize the strong context-dependency and interdisciplin ary character of the study of Islam and are being conducted in a very reflective F

K mode. Of necessity, the very same political developments and the study of NO

Islam make us aware that one of the central messages of the Enlightenment, W “be only rational enough, and religion will disappear,” has not withstood the LEDGE critical scrutiny of historical developments. It is important to emphasize that this was not the expressed formulation of many of the great Enlightenment scholars, but rather one of the received (and somewhat distorted) summaries that strongly influenced political and social developments, especially in the nineteenth and early twentieth centuries. It was then a natural development, in the continuation of this theme, to initiate Schwerpunkte on Comparative Religion. This has begun in the academic year 2005/06 and will continue to hold our interest. The recently recurring themes of Cultural Mobility and Image Science con ceived by my colleagues, Stephen Greenblatt and Horst Bredekamp, are described in their respective essays. In addition, these areas are so obviously reflective, context-dependent and Cassirerian that there is no need for fur- ther elaboration on my part. I will resist the temptation to continue to review in more detail our cen- tral themes from the point of view of anthropologizing knowledge at the Wis senschaftskolleg. It must be emphasized, however, that selecting the themes and bringing in the conveners and Fellows for the Schwerpunkte in itself would not have been enough to achieve the Cassirerian contextualizing of knowledge. The fact that the Fellows convene every Tuesday and listen criti- cally to each other’s lectures about their respective fields or chosen topics of research and must come to grips with differing methodologies has much to do with the results. No less importantly, although perhaps less consciously, living in an intellectual climate where a quartet-in-residence rehearses daily and is tutored in master classes by György Kurtág or Walter Levin also con- tributes to evoking a reflective mode and to strengthening consciousness of context. That the Kolleg can follow such internal guidelines successfully and establish focus groups that function mostly quite well has to do with our appointment procedure. Our great model was originally The Princeton Institute of Advanced Study, of Flexner, Einstein, Gödel, and Panofsky fame. But in fact what we are doing could not have been achieved in Princeton: the LUCA LOMBARDI · LARISSA A. LOMNITZ · ANTHONY A. LONG · CLAUDE LORIUS · GIDEON NEL LOUW ·

134 rigid division into schools that hardly interact with each other, the relatively small influence that the Director can exert on the various schools, and the Y EHUDA fact that the Fellows are selected separately by the numerous, disciplinarily narrowly-defined Permanent Fellows in each school makes interdisciplinarity

E a very difficult task. In the schools themselves, if a Permanent Fellow would LKANA like to introduce a newly emerging field that he or she considers risky but promising, the Permanent Fellow colleagues will have to be persuaded to take the risk. Not impossible, but very difficult. The role of the Permanent Fellow is quite different in Berlin. While naturally the Permanent Fellows must be leading academics in their own field, they – a group small in number – actually share responsibility with the Rector (who is also a Permanent Fellow) for the intellectual tenor of the whole enterprise. The Permanent Fellows are supposed to have an argued view on every theme, Schwerpunkt, or research topic that comes to discussion, and together they have to be able to give the sum of arguments, based on maximum information, that will allow the Rector to make his final considered decision. This process is quite different from what happens at all other Institutes for Advanced Study, and we like to think that ours is very good indeed. Since there are no disciplinary profes- sional committees, the Academic Advisory Council (the Beirat) – itself multi- disciplinary – approves the eligibility of the candidates, but the actual profile of a given year, with its Schwerpunkte, is formed by the Rector and the Per- manent Fellows together, with the Rector having the final say. This is much less cumbersome and much more conducive to embarking on intellectual risks, which the Kolleg is not only entitled to embark upon, but is even called upon to do. True, as in every case of intellectual risk-taking, there is the lurk - ing suspicion of supporting some crazy idea, or falling into the trap of a less than serious academic exploration. Indeed we have made mistakes. But that only encourages us to combine daring with responsibility. When emphasizing intellectual risk-taking, another issue arises. The ca- reer structure of young scholars has become so rigid, output-oriented, and ob- ses sively success-dependent that in many areas young researchers dare not follow their ideas. So it is not enough that the Wissenschaftskolleg offers a free year with no strings attached (in Abraham Flexner’s formulation “no duties only opportunities” – quoted in this context by Wolfram Hogrebe, Fellow of the year 2004/05); it must find various ways to defend the younger Fellows in their career ambition: A distinguished scientist as convener of the group working on the ‘risky’ topic is one safeguarding measure. Coordinating work on a similar topic with other institutes for advanced study, or even making the topic the subject of a summer school jointly sponsored by the leading institutes for advanced study, is another such step. GEERT LOVINK · LEO LÖWENTHAL · WEYMA LÜBBE · SHENYI LUO · MICHAEL MAAR · ELISIO MACAMO ·

The international academic standing of the Permanent Fellows must be 135 such that when any of them suggests a theme or a Schwerpunkt to a potential A convener it will not be taken amiss if the Permanent Fellow dares to hint or NTHRO even suggest possible intellectual links with other disciplines that might P enrich the plan ned research group. Obviously the freedom must remain with OLOGY O the convener and other invited Fellows to do what they want to do, and the shadow of diri gisme must not fall upon the inviting institution. In the past, F

K this approach sometimes yielded nothing, but in a few cases it resulted in NO unexpected great rewards for the benefit of the group, its convener, and in W the final account, for the growth of knowledge. LEDGE Many of us – I certainly – follow Kant’s deep commitment to the belief that a theory from which nothing follows is an empty or bad theory. For me the question “What follows?” is fundamental. In our case, what could possibly follow? First of all, policy. But then the Wissenschaftskolleg is primarily not a policy institute. Of course, one could consider the choice of Schwerpunkte, and the accompanying effort to establish research centers as well as institutes for advanced study in Germany and in other countries, as major policy work. Secondly, and most importantly, any new idea has implications for a change in the teaching curriculum at a university. If I had had my way – but I did not – I would demand that every research proposal should contain a short, if spe c- u lative, passage about the possible consequences of the proposed research. There is one all-important area, however, that is of this nature and in which the Kolleg has gotten its feet wet, even if it has not yet been fully suc - cessful. That is ‘Public Understanding of Science.’ Many scientists think that what the public needs are easily understandable explanations of complicated technical details. But this is not so. What the public needs are tools to be able to judge, evaluate, and finally, through the democratic process, approve of or disapprove of research directions. For that to happen, what is necessary is to make the broad non-professional public acquainted with the arguments that guide problem choice in science: the possibilities, the risks, the potential benefits, and the potential dangers. It is not true that the majority of scien- tifically non-literate people would not understand or not support the wish for knowledge for its own sake, even if nothing immediately palpable follows from the quest. But the arguments must be transparent. In the last decades, it has become abundantly clear that most working scientists are not deeply enough aware of the epistemological foundations of their own disciplines to be able to give the arguments outlined above. They may be at the pinnacle of their field in terms of technical detail, but they were not trained for this type of understanding of their field, and thus are incapable of genuinely partic - ipating in the ‘public understanding of science.’ Most scientists just accept the usual claim that science works at the frontiers of knowledge and what DAVID MACDOUGALL · PETER MACHINIST · FRED MACKENZIE · CATHARINE A. MACKINNON ·

136 those frontiers are is self- evident and needs no explanation. The kind of know- ledge needed for this task is much more the domain of historians, philoso - Y EHUDA phers, sociologists of science, and very often highly competent journalists. With the academic world becoming closed to new appointments in many

E areas, its rewards mostly declining both in financial terms and in terms of LKANA social prestige, more and more very gifted young people turn away from academia and go into the media. It is these people, and naturally only the best among them, who must carry the burden of explaining the arguments of science to the broad public. The Kolleg had one interesting Schwerpunkt in this area – its results came out in published form – but more such focus groups are necessary. Is the Wissenschaftskolleg an elite institution? The question of elites was as much discussed in the early eighties, when the Kolleg was founded, as it is today. Peter Wapnewski reports in the previously mentioned discussion (pub- lished in this volume), that he gave numerous lectures outlining the differ - ence between a hereditary elite (Geburtselite) and a meritocracy (Leistungs- elite). Wapnewski even succeeded in introducing this argument into the deliberations of the Wissenschaftsrat, which then came out in support of the promotion of elites (Elite-Förderung). I myself, very much in the same vein, led the campaign in the then strongly socialist Israel to legitimize the concept of elites of achievement, and I published in 1982 an article called ‘Elitism and Egalitarianism in Higher Education’ that defined an elitist attitude in the proper sense, as one according to which every single human being, irrespec - tive of age, is always encouraged to aspire higher to previously unattained levels of achievement. It is obvious that imposing this demand on everybody is at the same time egalitarian. There is an interesting problem connected with this demand: what is called for is not universal criteria of achievement, but individual ones; every individual must aspire higher than he or she has done so far. This then weakens the averaging of achievements – the basic principle of administered tests – and creates an expectation that the indi vi d- ual exercises judgment about his or her own achievements so far. Exer ci sing judgment is a thoroughly non-democratic act, which contradicts evenly distributed rights to assess achievement. The democratic principle of ‘one person one vote’ has penetrated even academia. The abundance of committees for promotion, appointment, approv- al of research proposals, granting scholarships, etc. has become the rule. Usually all academicians with a given formal status are eligible to be members of these committees, and their decisions proceed on fully democratic lines. There is very little space left for exercising judgment. Yet in the most impor- tant areas, like a decision whether to support a research proposal or an indi- vidual, there is nothing more conducive to creativity than exercising judg - HANSPETER MALLOT · DARINA MALOVÁ · PAOLO MANCOSU · SCHAHRIAR MANDANIPUR · ment. There is no way for intellectual risk-taking except the institutionaliza- 137 tion of giving the right to exercise judgment to some individuals. A Leaning back and rethinking the field you are working in, or rethinking NTHRO the place of the problem you chose to work on in the framework of the P discipline or cluster of disciplines, is more usual in some areas of learning OLOGY O than in others. It is certainly not usual in the sciences, and even less so in medicine. And yet, these fields are even more in need of such rethinking than F

K the humanities, and more than ever before. The rapid developments and the ever- NO growing reliance of one discipline on another makes such ‘leaning back and W thinking’ imperative. Moreover, the career structure of young researchers LEDGE points in a different direction. As a result, the young are mainly frightened by, rather than embrace, invitations to places such as institutes for advanced study, which might seem a gift from heaven to all scholars. They are rightly worried that taking a year out for ‘thinking’ may lead to punishment in their career. But not only the young; mid-career experimental scientists are loathe and, I would say, afraid to leave their laboratoria untended for a year. To over- come such reluctance, the Kolleg tried to make appropriate contacts for visi t- ing scientists, so that they could be in touch with laboratories in Berlin while being Fellows at the Wissenschaftskolleg. We were wrong; it should have been clear to us that unless the Fellow decided indeed to take a break from expe ri- mental work, if he was instead connected with an unfamiliar laboratory where the working conditions were necessarily poorer than in his or her home institution, the Fellowship cannot work. This is an unsolved problem, and we continue to search for solutions. In my opinion, this will change only if doctoral training changes accordingly, making it an integral part of such training to lean back from time to time and rethink the problem you are working on, within its scientific context. In an essay on ‘Rethinking the Doctorate in the Sciences’ written for a book of essays on this issue sponsored by the Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching, I took up exactly this problem. It was the difficulty we encountered in such appoint- ments at the Kolleg that made me aware of it. Can we put our finger on how the mutually fertile influence among Fellows unfolds? Not really. We can only surmise how this might happen. The interdisciplinarity is obvious. But this claim must be broken down into more specific ingredients: One such ingredient is the bewildering number of dif- ferent methodologies. Only when critically listening to each other’s argu- ments do scholars realize what kind of arguments is convincing for them. And very often this has to do with research methodologies, which are so rarely explicated in detail that only comparative observations can make this suddenly explicit. Thus, learning from clashing methodologies is one aspect. Another is the awareness of the Kolleg that, in many areas, schools have ZDENKA MANSFELDOVÁ · SUZANNE MARCHAND · SERIF MARDIN · CHRISTOPHER R. MARGULES ·

138 developed, which if not noticed can easily become a dominant feature of the invitation pattern. In almost every area of research there are conservative Y EHUDA gatekeepers – often excellent scholars – who would like to deny a platform to radical reformers in their own discipline. They will use their prestige in

E writing their referee’s letters, or sometimes even in discussions in the Beirat, LKANA to prevent such Fellow appointments. With all the risk of possibly supporting a passing fad or an irresponsible hothead, we must always beware giving in to such influences in an uncontrolled and unreflected way. Let us remember that never in history has any really novel idea been embraced immediately by the best and brightest of the age. It is an extremely sensitive and interesting task of the Fellow referent and often of the Permanent Fellows, led by the Rector, to evaluate letters of reference from this point of view, and to try to balance the picture if needed. The expression is sometimes invoked that the Fellows’ formal discussions in the Tuesday colloquia, as well as the informal ones at lunch or over a cup of coffee, make the Kolleg a breeding zone of ideas. I actually prefer the term that Peter Galison borrowed from anthropological fieldwork and put to very fruitful use in his historical studies of science, the trading zone. Another fruitful concept used for the mode of interaction between the Fellows is soft interdisciplinarity. What is meant here is actually close to what Michael Polanyi studied as ‘tacit knowledge.’ Much is happening unawares in every form of communication, be it formal scientific discourse or an informal chat. We do not really know what is going on, but in rare cases, with enormous investment of time, effort, and understanding of context, the tacit can be brought to the conscious level. There is an additional complication influ en c- ing the process of making the tacit conscious. This is the fact, often puzzling to psychologists, that there is practically no transfer from one cognitive area to another: If a link has been established between two cognitive areas, let us say biological and social aspects of public health, it will not be automatically clear that such a link will be expected also between biological and political aspects of public health. In other words, contexts must be examined for each question separately; nothing follows from one area to another. This is a curious phenomenon that mainly intelligent teachers are cognizant of. Strong verba l- ization is needed in attempting to generalize a truth acquired in one area and transfer it to another. There is one more area of mutual creative influence that is very difficult to explain in detail: this is the area of the intercultural differences. The fact that Fellows – older and younger men and women and from many quite different cultures – spend a year together on a genuinely equal footing brings forth mutual respect and curiosity. The differences here trigger interest and a wish to know more, rather than prejudicial exclusion. ANDREI S. MARKOVITS · RICHARD S. MARKOVITS · CHRISTOPH MARKSCHIES · ERNÖ MAROSI ·

Much of what is described here as a means of making the communication 139 between the Fellows fruitful is itself a tacit process. Whether and the degree

A to which we succeed depends to a great extent on the investment in meeting NTHRO and talking to the Fellows by the Rector, the Permanent Fellows, the Secretary P

and those highly competent senior members of the staff who are in continuous OLOGY O contact with the Fellows. What I have been writing about is what we, or in some cases I, aspired to F do at the Kolleg. It dealt with input, so to speak. What is the ‘output?’ How do K NO

we know what we actually have achieved? Has this Cassirerian contex tua li- W zation or anthropologization of knowledge been achieved? We do not know LEDGE this with certainty, it cannot be measured, and it cannot be evaluated. We can collect impressions and try to survey intellectual development from a long- range perspective. I dare to touch on these things because I, like Peter Wap- newski and Joachim Nettelbeck, do have a twenty-five-year perspective. Wolf Lepenies has also been with the Kolleg for 20 years, most of this time actively shaping it. We will have to ask the question after another 25 years. Yet there are some inexact criteria that we can and do use for assessment. These are the annual reports of the Fellows – the Jahrbücher. Then there are the Fellows’ answers to the questionnaires prepared by the Kolleg every five years at the injunction of the Wissenschaftsrat. There are the yearly internal reports of Reinhart Meyer-Kalkus. And finally there are the publications, both by indi- vidual Fellows and from workshops, symposia, and conferences that the Fel- lows organize during their stay. All this accumulates important impres sion- istic evidence. If what happened to me in my year as a Fellow at the Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences (Stanford) in 1973/74 happened to many Fellows, then we are in very good shape. I had the good luck to form a kind of Schwerpunkt together with the late Robert Merton, Harriet Zucker- man, Joshua Ledeberg, and Arnold Tackeray. All my work in anthropology of know ledge is rooted in the intellectual experience of that year. However, it is not and could not possibly be the case that any of these sources allows for a histo rical overview of the changes that have been successfully introduced or, alter natively, have failed to materialize. This we can learn only with the passage of time. In addition, if indeed it is true that we made an effort to anthropologize knowledge, and to contribute to a Cassirerian contextuali za- tion of knowledge, then many scholars would not have endorsed this on the conscious level, since it is in fundamental opposition to the spirit of the gatekeepers of Acade mia. But it is even questionable whether, if we ourselves proceeded consciously to enact a Cassirerian program, we would have suc- ceeded. If we have even partially succeeded in this ambitious enterprise, it will not go unnoticed in the future. So be it.

Lorraine Daston Hans Castorp in the Grunewald: Twenty-Five Years of the History of Science

Introduction: Hans Castorp Finds Clawdia Chauchat

The history of science has had a surprisingly steady – and, in some years, sensational – presence at the Wissenschaftskolleg, represented by its Fellows out of all proportion to its numerical and institutional strength in the academic landscape at large, particularly in Germany. In part, this is no doubt due to deliberate policies that aimed to invite scholars in fields not well established at German universities (cultural anthropology also benefited from such compensatory invitations) and also to encourage dialogue across the Two (or Three) Cultures of the humanities, social, and natural sciences. In part, however, the relative prominence of the history of science at the Kolleg derives from its centrality to some of the most hotly debated intellectual issues of the past quarter century: social constructionism and realism, the nature of modernity, as well as the political and social implications of science and technology. A number of factors have contributed to the visible and some- times controversial status of the history of science: its position at the inter- section of modern divisions of knowledge, its application of humanistic and social science perspectives (mostly) to the natural sciences, and its role as analyst and critic of modern forms of knowledge in societies saturated with technoscience. One need not be a historian of science to be concerned about ‘the West and the rest’ oppositions of so-called modern and traditional societies, the entanglement of science and the military, the transformations wrought by technology in the texture of everyday life, the bearing of scientific pro gress on the permanence of scientific truths, or the bearing of concepts of scientific evidence on the law (all research topics of Kolleg Fellows). But the history of science does bear crucially on all of these questions. What is more, it poses questions that the sciences themselves do not or cannot ask, questions that unsettle fundamental disciplinary presuppositions about, for example, what ODO MARQUARD · SILVIA MARTON · JOHN HOPE MASON · PETER VON MATT · WALTER MATTLI ·

142 can be an object of inquiry, what counts as a satisfactory explanation, and how evidence is defined and gathered. L ORRAINE History of science at the Wissenschaftskolleg was never a microcosm of the discipline as a whole, a kind of representative sampling of what might be found in its leading journals at any given moment in the last twenty-five D

ASTON years. Kolleg history of science was considerably more eclectic, at once more idiosyncratic and open-minded. For one thing, the Kolleg took advantage of the full amplitude of the term Wissenschaftsgeschichte, so much more capa- cious than the English ‘history of science’ or even the plural and pluralistic French histoire des sciences. In the course of the nineteenth century, both French and English narrowed the meaning of their respective cognates of the Latin scientia, which had referred to any systematic and well-grounded body of know ledge, to refer only to the natural sciences – a tribute to the latter’s growing intellectual prestige and economic power. But the German Wis sen- schaft retains the breadth of scientia, in large part because nineteenth- century Geisteswissen schaften like philology and ancient history pioneered me thods (historical reconstruction, Quellenkritik) and institutions (the uni- versity seminar, long collaborative research projects) that became the models for all modern acade mic disciplines, from biology to physics. Hence while Anglophone historians of science were still fretting about ‘the demar cation criterion’ that allegedly marked off genuine science from the likes of astrology or literary criticism, the Kolleg was inviting under the rubric Wissen schafts- geschichte scholars investigating the decline of Latinity in learned Europe, the rise of the Bildungsroman, and the history of Roman law, to name only a few topics that would never have made it into any English or French (or, for that matter, German) journal in the history of science. The Kolleg also mixed national traditions in the history of science that other wise rarely rubbed shoulders, either in journals or at conferences. There were philosophically inclined Germans, Americans, and Britons afire for social history, French scholars intrigued by semiotic and other textual approaches, Israelis reframing the relations of science and religion, anthro pologically alert Italians, and a great deal that defies ready description. The genres Fel- lows worked in were almost as diverse, from the classical edition and biogra- phy to the meditation and the personal memoir, although the center of gravity was admittedly still located in the traditional monograph. Their topics span ned ancient time-reckoning to post-World War II microbiology, Gestalt psycho logy to justice in the age of technoscience, women in science to the science of women. Of course, this time-exposure group portrait taken over twenty-five years exaggerates the impression of diversity: no single year’s cohort assembled so motley a crowd. But nor was any one year homogeneous; there was usually enough variety to strike sparks, and sometimes to fan them into flames. GÉRARD A. MAUGIN · STEFAN M. MAUL · THEO MAYER-KUCKUK · PETER MCLAUGHLIN ·

For at least the period ca. 1980–95, the history of science was a flashpoint 143 of intellectual and sometimes political controversy, which often spread well H beyond the borders of the discipline. Even now, one need only whisper the ISTORY O word ‘social constructionism’ in some quarters to rally troops on both sides to the barricades. At the outset of this period, which roughly coincided with the F

Kolleg’s beginnings, the history of science rather resembled the simple and SC IEN

impressionable Hans Castorp of Thomas Mann’s novel ‘Zauberberg,‘ caught C bet ween the arguments of the rationalist Settembrini and the nihilist Naphta, E playing the parts of the philosophy and sociology of science respectively. Like Settembrini and Naphta battling for Hans’ soul, these two highly theorized disciplines looked to the history of science to supply them with empirical support for their rival accounts of science as, on the one hand, a kind of He gel- ian realization of reason only with experiments and equations, or, on the other, as a history of social forces (Mannheimian ideologies, Mertonian values, Ben-Davidean institutions, etc.) shaping knowledge. During the 1970s, Tho mas Kuhn’s ‘Structure of Scientific Revolutions’ (rev. ed. 1972), the Edinburgh ‘strong program’ represented in the work of David Bloor, Barry Barnes, and Steven Shapin, and the philosophical counterattacks by Imre Lakatos and others had exacerbated the rivalry over how the history of science would be written: as case studies for philosophers, or as case studies for sociologists? The idea that the history of science might forsake case studies altogether, whether in the service of a philosophical or a sociological generali za tion, seemed to these dueling partners about as unlikely as the possibility that plodding Hans Castorp might develop his own intellectual worldview. And yet by around 1980, some historians of science were beginning to argue that the strongest affinities of the field were not to philosophy or sociology, but rather to history. From the standpoint of the philosophers and sociologists, history was notoriously under-theorized, but what it lacked in conceptual structure, it more than made up for in density and variety of detail. History derived mea n ing by contextualization rather than by generalization. Could the methods and insights of history be fruitfully applied to science? This was the dawning question for historians of science in the 1980s: ‘science in con text,’ the myste rious, elusive, and alluring Clawdia Chauchat, who seemed to promise Hans an escape from endless wrangling over questions like ‘What is science?’ JOHN M. MCNAMARA · HANS MEDICK · ARTHUR VON MEHREN · HERBERT MEHRTENS · CHRISTIAN MEIER ·

144 What Is Context? L ORRAINE But what historians of science got instead was a still thornier question: What is context? Almost all of the Fellows pursuing projects in the history of science (not all of them would have identified themselves primarily as historians of D

ASTON science) in the 1980s and 1990s emphasized the importance of ‘social context’ to their understanding of how science, scholarship, and technology develop. Whether their interest was in the rise of experimental physiology in nine- teenth-century Germany, Galileo’s rational mechanics, Scandinavian eugenics, or twentieth-century mathematics, these Fellows emphasized the relevance, even the necessity, of embedding key episodes in the growth of knowledge in their immediate historical circumstances. A great deal became almost axio- matic; almost no one outright denied the power of context to illuminate and even explain. At least among the projects the Fellows brought to the Kolleg, there were almost no examples of a pure history of ideas, in which concepts float in a timeless Platonic heaven, immune to the here and now. Even histo- rians of ancient mathematics, a field long predisposed by tradition and lack of sources toward a strong emphasis on the continuity with modern mathe- matics, lambasted anachronism and sought to understand the past in the past’s own terms. Disagreements arose as to which aspects of context were the salient ones and what the implications of science in context were for the validity and universality of knowledge. Context is an elastic term; hence comes a great deal of its appeal for historians of science raised in the procrustean schemata of the philosophers and sociologists of science. It could mean the biography of an individual or the self-interest of a social group, philosophical allegiances or material cul- ture, political pressures or learned reading practices, the sexual division of labor or artisanal tacit knowledge. Just which threads from a thick skein of possibilities the historian chose to tease out and weave into a narrative depended on the problem at hand and, still more, on the historian’s taste. Except in the case of taste – de gustibus non est disputandum – there was con- si derable dispute as to whether self-interest rationally and ruthlessly pursued was a more persuasive context than political ideology or philosophical vision. The precondition for all contextual treatments is the existence of texts, which in the early 1980s were still the departure point for almost all studies in the history of science, the explanandum for which context was to deliver the explanans. However, by the mid-1980s, in part because of the new atten- tion to context, historians of science became interested in non-textual entities: dia grams and images, the architecture of laboratories and museums, instru- ments, models, experiments, the bodily experience of the researcher. These CHRISTOPH MEINEL · PIER MELLO · EVERETT MENDELSOHN · FATEMA MERNISSI · GÜNTER METKEN · entities undermined the older distinction between ‘internal’ and ‘external’ 145 approaches to the history of science, not so much by blurring the distinction H between the internal dynamic of science and its external societal surroun d- ISTORY O ings as by rendering this distinction irrelevant. No one had ever doubted that experiments or instruments belonged to the heartland of science, but nor had F anyone heretofore taken seriously their highly local, context-bound character. SC IEN

‘Local’ versus ‘universal’ knowledge came largely to replace the opposition C between internal and external history of science. E The pioneering work on science as local knowledge was mostly done by British historians and sociologists. Although they were not among the Fellows at the Kolleg, some were invited to speak at Kolleg workshops and participated in other sponsored activities in Berlin, such as the Berlin Summer Academy and the Walther-Rathenau-Stipendium program initiated by the Kolleg. By 1987 at the latest, vivid traces of this new direction showed up in the work and discussions of historians of science at the Kolleg. Judging from my own experience in the year 1987/88 and from reminiscences of Fel lows in 1988/89 (two academic years when historians of science were unusu ally numerous among the Fellows), the effects were explosive. Discussions were animated, sometimes acrimonious; everyone felt the stakes were high, and positions polarized accordingly. What was perceived to be at issue at the time, though perhaps not so starkly in retrospect, was a confrontation between historicist relativism and universal truth. The more knowledge was made to appear local by anchoring it in the context of a particular place and time, the more puzzling became the question of how such knowledge could lay claim to universal validity. Fellows knowledgeable about science in the service of po - litical ideologies such as Nazism and Stalinism were particularly alarmed about the political implications of what they took to be irresponsible histo- rical relativism. Other Fellows argued just as passionately in the name of scholarly integrity that the results of empirical research obliged a revision of older notions of universal truth. Although historians and philosophers tend ed to be on opposing sides of this question, there were significant exceptions. In parti cular, several philosophers who were committed to the view that an adequate account of science must reckon with its history and characteristic practices played a clarifying and mediating role. A few historians, for their part, began to wonder aloud why the demonstrably local origins of at least some scientific knowledge should be seen ipso facto as an epistemological disqualification, rather than as a creative resource. With twenty-twenty hind- sight, these latter have turned out to be fruitful lines of research. But the prob- lem of reconciling the local origins of scientific knowledge with its universal dissemination, and scientific progress with static ideals of truth, has re - mained a challenge for historians and philosophers alike. JOHN W. MEYER · KARL E. MEYER · BARBARA MILLER LANE · PETER N. MILLER · DANIEL S. MILO ·

146 What did not survive these controversies of the late 1980s and early 1990s was their alleged casus belli, the clash between social constructionism and L ORRAINE realism. Again, the principal impulses were British and, with a few notable exceptions, not represented firsthand among the Kolleg’s Fellows. But unlike the enormously influential work of the French ethnographer of science D

ASTON Bruno Latour, which found only a faint echo in Berlin, in this case the reverbe r- ations registered on the Grunewald Richter scale – on the testimony of Fel- lows from this period. Tempers ran high; splits followed generational and political as well as disciplinary lines. Yet a decade or so later, the whole issue seems to have disappeared with a whimper rather than a bang. Social con- structionism may still be a term to conjure with among literary scholars, espe- cially those concerned with the all-too-evident work of ideology in generating and sustaining gender and racial stereotypes. By the late 1990s, however, it seldom provoked more than a yawn among historians of science (the indiffe r- ence of the Fellows at the Kolleg is here typical of the field at large). Why? It was not as if either side had won a clear victory. Rather, the sterility of the debate drove scholars into greener pastures of research. Histo rians of science continued to pay close attention and contribute to the burgeoning field of science studies, a portmanteau field that embraced historical, philosophical, sociological, anthropological, legal, literary, and other scholarly approaches to science, technology, and medicine. But they were considerably more inter ested in the fine detail of scientific practices (making a precision measurement, integrating an equation, designing an image) than in the vasty vastness of ontology. The decade from ca. 1995–2005 has been a decade of active par- ticipation in the history of science, of the ‘doing’ rather than the doctrines of science.

Research Foci

Despite the range of topics pursued by Fellows in the history of science (broad even by the welcoming standards of the field), it is possible to detect a few focal topics to which the Kolleg seems to have been committed (wittingly or no) over the past quarter century. Among these, I would single out, as three of the most significant, the history of genetics, the history of mathematics, and politics and science. Given the contemporary prominence of genetics among the sciences and the grimly consequential history of twentieth-century eugenics, espe cially in Germany, it is perhaps not surprising that so many Fellows should have been invited under this rubric. Still, the list is impressive, as much for its spectrum of approaches (exploration of national scientific styles, philoso phical analysis ZIBA MIR-HOSSEINI · KENICHI MISHIMA · DIANA M. MISHKOVA · SANDRA D. MITCHELL · of concepts, investigation of the interaction of popular and elite science) as for 147 the quality of the work produced. Moreover, however natural and even neces- H sary this choice of topic may appear now, there is evidence that the Kolleg was ISTORY O in the vanguard here, at least in Germany (as the struggles of at least one scholar to gain access to potentially incriminating archival sources suggests). F

A current international survey of the history of genetics turns up a remar k- SC IEN

able number of Kolleg alumni and alumnae among prominent researchers. C The concentration in the history of mathematics does raise eyebrows. It is E a tiny subfield, and one not generally deemed among the most exciting by other historians of science, to put it as politely as possible. Yet here again the Kolleg has supported work that was remarkable for its originality and daring and that was correspondingly controversial. Perhaps because mathematics has always seemed to defy any kind of historicization (it did after all supply Plato with his most persuasive examples of the eternal forms), beyond the accumulation of results in an unbroken chain of who-proved-what-when stret ching back to antiquity. Perhaps because of these facts, mathematics also became the gauntlet thrown down to those eager to pursue a program of contextualization to its limits – whether by entwining mathematical methods and results in a particular time and place, be it ancient Greece, Victorian England, or early twentieth-century Europe, or by relating mathematics to other cognitive practices, such as those of classical Chinese philosophy, or by questioning the image of the solitary mathematician through the recon- struction of the intellectual work achieved by the community. Among the Fellows pursuing these and other topics were philosophers and sociologists as well as historians, but the persuasive shock of their studies came in almost all cases from close empirical scrutiny of sources and practices, however pro- gram matic in inspiration. The relationship of science and politics runs like a scarlet thread through almost all the years of the Kolleg’s existence, reaching back to its very incep- tion. The history of genetics is an obvious venue for such issues; the history of mathematics rather less so, but even in the latter they are not entirely absent. Sometimes the power in question is literal as well as figurative, as in the case of the electrification of Switzerland; sometimes brutally overt, as in the deci- sion to drop the atomic bomb on Nagasaki and Hiroshima; some times subtle but all the more effective, as in the gendering of brains in neuro science. Some- times it is the power of institutions, as in the case of the law, and sometimes the power of economic markets and networks. Oddly absent, given its explicit appeal to biomedical examples, is the osmotic power described by Michel Foucault, exerted from within rather than from without and above. Insofar as science studies found a foothold in the Kolleg, it was under this rubric, especially in recent years.

W. J. THOMAS MITCHELL · REINHART MOCEK · HERBERT MOLDERINGS · LUIZ CARLOS B. MOLION ·

148 Conclusion: Zauberberg and Beyond L ORRAINE The Wissenschaftskolleg contributed signally to the transplantation of new research directions in the history of science in Germany, not only through the scholars invited as Fellows, but also through the Berlin Summer Academies D

ASTON and the Walther Rathenau postdoctoral program, which exposed bright young scholars and scientists from all over the academic map to the history of science for the first time. At my own institution, the Max Planck Institute for the History of Science in Berlin (est. 1994), all four directors (including Lorenz Krüger, who would have been the founding director had it not been for his untimely death) had previously been Fellows at the Kolleg; work that was first begun under the Kolleg’s auspices, particularly in the history of genetics, con- tinues to flourish at the MPI. More than bringing international currents in the history of science to Berlin, the Kolleg helped to internationalize the his- tory of science. I speak especially for myself and my own compatriots from the United States, but I suspect that scholars from other countries also enjoyed the bracing effects of an intellectual atmosphere in which few of their own preoccupations or assumptions could be taken for granted – an atmosphere in which, moreover, these preoccupations and assumptions seemed to matter to many more people than just other specialists or even other academics. The Fellows’ reports for the Jahrbücher speak eloquently of the value of these en- counters, formal and informal, in argument and in conversation. No doubt this deprovincialization effect holds across the board at the Kolleg, but its impact on the history of science, a field prone to universalize because of its subject matter, was particularly salutary. For many of its Fellows, the Wissenschaftskolleg was an enchanted isle, a Zauberberg remote from their workaday obligations to teach, attend meet- ings, evaluate and be evaluated. Yet in several weighty senses it contained more of the world than the world they’d left at home: more traditions, both intellectual and cultural, more varied individual lifelines, more languages, more experiences (especially of the arts), more ideas – and more at stake in the world of ideas. The history of science, a small discipline with very porous bor- ders, has benefited greatly from the great wide world in Berlin’s Grunewald. Rüdiger Wehner Theoretische Biologie

1. Die Theoretisierung der Biologie

Hatte es nicht Johannes Müller in Berlin auf den Punkt gebracht? Er, der ein- flussreiche Physiologe, zu dessen Schülern so bedeutende Biologen wie Helm- holtz, Du Bois Reymond oder Virchow zählten, sagte in seiner Antrittsrede an der Berliner Universität klar und deutlich: „Biologische Forschung geschieht durch Beobachtung, schlicht, unver drossen, fleißig, aufrichtig, ohne vorge- fasste theoretische Meinung.” Die Zeiten ändern sich. Ein Jahrhundert später wurde am Wissenschaftskolleg ein Rahmenprogramm für Theoretische Biolo- gie ins Leben gerufen und nicht lange danach an Johannes Müllers Alma mater, der heutigen Humboldt-Universität, ein eigenes Institut gegründet, das sich mit drei Lehrstühlen der Theoretischen Biologie widmet. Betrachtet man freilich das derzeitige Bild der Biologie in der Öffentlich- keit (auch der akademischen), scheint Johannes Müller bis weit in die jüngste Zeit hinein Recht behalten zu haben. Denn wenn es heute allenthalben durch den Blätterwald raunt, dass Biologie die neue Leitwissenschaft sei, und Redak- teure angesehener Tageszeitungen ganze Seiten ihrer Kulturbeilage der Biolo- gie als der ‚dritten Kultur‘ zur Verfügung stellen, dann sind es ja gerade die phänomenalen empirischen Befunde und experimentellen Fortschritte, die den Biowissen schaften diese Aura verleihen. Vom Wurm über die Fliege und Maispflanze bis hin zum Menschen wurden in weniger als zwei Jahren meh- rere Genome sequenziert und der Öffentlichkeit medienwirksam vorgestellt. In unablässiger Folge erblicken weitere Genome das Licht der Computerwelt. An anderen Bildschirmen leuchten farbig spezifische Hirnregionen auf, wenn Menschen und Mäuse bestimmte Verhaltensweisen ausführen: empirische Daten, methodische Fortschritte – gewiss. Doch hinter den Kulissen sieht es anders aus. Denn die genannten Entwicklungen waren nur möglich, weil sich Biolo- gen theoretischen Nachbardisziplinen öffneten oder Theoretiker sich für ihre KLAUS MOLLENHAUER · HANS MOMMSEN · WOLFGANG MOMMSEN · MICHAEL MÖNNINGER ·

150 Themen begeisterten. Schon an der Wiege der Molekularbiologie standen unter anderem theoretische Physiker vom Schlage eines Erwin Schrödinger, R ÜDIGER WEHNER der nichts von Chemie verstand, sich aber dennoch öffentlich und wirkungs- voll über biologische Grundfragen äußerte. Und in jüngster Zeit wagt ein an- derer theoretischer Physiker, der geniale Stephen Wolfram, mit seinem Werk ‚A New Kind of Science‘ sogar zu Darwin und dessen Nachfolgern in Konkur- renz zu treten. Auch intern sind die Veränderungen in der Biologie unüber- sehbar. Seien es die Entwicklungen in Genomik und Proteomik, die viel ra- scher verlaufen, als sich das Biologen noch vor Jahren träumen ließen; seien es die Durchbrüche im neuen evolutionsbiologischen Denken – stets waren die treibenden Kräfte theore tischer Art. Wenn Stephen Jay Gould noch kürzlich behauptete: „Biology is a profes- sion dominated by doers rather than readers and thinkers“, dann hatte er (wie stets) allerhöchstens zur Hälfte recht. Heute beobachten wir, dass theoreti- sche Denkweisen, letztlich mathematische Instrumentarien, wie ein weithin wucherndes Geflecht von allen Seiten in biologische Disziplinen eindringen, dort mehr und mehr die Problemstellungen zu dominieren beginnen und Experimentatoren, die alltäglich in ganz unterschiedlichen Laboratorien ihre Arbeit verrichten, außerhalb ihres Labors intellektuell miteinander vernetzen. Das Wissenschaftskolleg zu Berlin hat diese Entwicklung gefördert und beflügelt. Nach einem Vorlauf in den 1980er Jahren, betreut von dem Moleku- larbiologen Gunther S. Stent aus Berkeley, hat es seit Beginn der 1990er Jahre – zunächst mit Unterstützung von Schering und DaimlerChrysler – Biologen ganz unterschiedlicher Couleur als Fellows in die Wallotstraße eingeladen. Wie die Anhänge 1 und 2 auf S. 164 ff. zeigen, könnte die Palette der behan- delnden Themen vielfarbiger nicht sein: Diese Vielfalt ist freilich nicht Belie- bigkeit, sondern Prinzip. Sie ist ein Zeichen dafür, dass man von der Theoreti- schen Biologie als einer in sich geschlossenen Disziplin (noch) nicht sprechen kann – etwa in dem Sinn, in dem sich die Theoretische Physik seit mehr als 100 Jahren an unseren Universitäten etabliert hat. Statt von Theoretischer Biologie sollte besser von einer Theoretisierung der Biologie die Rede sein – einer Theoretisierung, die alle Bereiche biologischer Forschung erfasst: von den Molekülen bis zu den Ökosystemen; Komplexitätsforschung auf allen Ebenen. Lebende Systeme haben im Laufe der Evolution immer höhere Kom- plexitätsstufen erklommen: von selbstreplizierenden Makromolekülen, mit denen es anfing, zu Bakterienzellen, in die sich die Rezeptormoleküle einla- gerten und in Chro mosomen fäden miteinander verkoppelten, zu zehntau- sendmal größeren Ver bundzellen, in denen sich Bakterienzellen verschiede- ner Funktion zu komplexeren Gebilden vereinten, die wir noch heute als elementare Zellen alle in uns tragen, zu mehrzelligen Organismen und schließlich zu biologischen Sozietäten. Wenn es zutrifft (und es trifft zu), dass JAMIE MONSON · LEO MONTADA · JOHN MICHAEL MONTIAS · MAZZINO MONTINARI · PETER VON MOOS · dieses Hochschrauben der Komplexitätsspirale die Beschaf fenheit biologi- 151 scher Systeme widerspiegelt, dann wird Biologie zu einer Wissenschaft vom T Kom plexen – und zwar vom Höchstkomplexen. Theoretische Ansätze und ma- HEORETIS thematische Instrumentarien sind daher in der Biologie unabdingbar. Ohne theoretische Ansätze und ohne mathematische Instrumentarien läuft heute C in der Biologie nichts mehr – ob wir nun die Unmenge nicht-linearer Wege HE B betrachten, die von der Aktivität der Gene zur Entstehung biologischer Formen IOLOGIE führen, oder die Informationsflut zu analysieren versuchen, die jede Nerven- zelle in unserem Gehirn von mehr als 1000 anderen Nervenzellen erhält und die ein klassischer Ingenieur in den meisten Fällen als wildes Rauschen ver- nachlässigen würde. Es hilft dann auch nichts, sich kleineren Gehirnen zuzuwenden, selbst wenn sie nur 0,1 mg auf die Waage bringen. Denn auch diese Miniaturgehirne sind zu Leistungen fähig, die zu simulieren einen ungeheuren Rechenauf- wand erforderte. Schon 30 Sekunden aus meiner eigenen Forschungsarbeit mögen das erhellen: Mit Hilfe geometrischer Muster am Himmel, die im Laufe des Tages ihre Lage im Raum und ihre innere Struktur verändern, aber für uns Menschen unsichtbar sind, können Wüstenameisen nach geglücktem Beute- fang sekundenschnell ihre direkte Rücklaufrichtung zum Nest bestimmen.

2. Ausgangspunkte und Zielsetzungen

Wenn man die Biologie seit Mitte des letzten Jahrhunderts als eine oder die führende Wissenschaft bezeichnet, gar von der Biologie als Leitwissenschaft spricht, ist man vielfach geneigt, eine Rei he empirischer Befunde und metho- discher Innovationen an den Anfang dieser Entwicklung zu stellen: die mo- lekulare Feinstrukturanalyse der Erbsubstanz DNA (1953), der bereits vier- zehn Jahre später die Entzifferung des genetischen Codes folgte; oder die Möglichkeit, mit elektronischen Sonden den Informationsfluss in Ner ven- zellverbänden des Gehirns zu registrieren; oder ganz allgemein die Invasion ständig neuer biophysikalischer und biochemischer Arbeitsweisen in nahezu alle Teilgebie te der Biologie. Gewiss bilden solche Entdeckungen und metho- dische Entwicklungen weithin sichtbare Marksteine auf dem Weg der Biolo- gie von einer vorwiegend deskriptiven zu einer streng analytisch arbeitenden Wissenschaft. Aber sie waren nur möglich, weil sich die Biologie konzeptio- nell ihren Nachbardisziplinen geöffnet und sich damit neue Denkweisen er- schlossen hat. Standen doch am Beginn in der Molekularbiologie – um nur ein Beispiel zu nennen – nicht nur Experimen tatoren, die Mutanten von Bak- terien und Fliegen oder manches andere biologische und biochemische Phä- nomen studierten, sondern auch theoretische Physiker wie Erwin Schrödin- STANISLAUS VON MOOS · FRANCO MORETTI · JAMES N. MORGAN · MARY S. MORGAN · EDGAR MORIN ·

152 ger. Zehn Jahre vor der Entdeckung der DNA-Struktur hielt er am Trinity College in Dublin eine Vortragsreihe mit dem Titel ‚What is Life‘, in der er aus R ÜDIGER WEHNER der Sicht der Thermodynamik die Frage stellte, wie die Erbsubstanz prinzi- piell strukturiert sein müsse und wie sie funktionieren könne. Auch wenn sich seine spe zi fi schen Annahmen über molekulare Mechanismen nicht be- wahrheiten sollten, fin den wir doch die „aperiodischen Kristalle“ und die „Mi- krocodes“, von denen er sprach, in der DNA-Doppelhelix und im genetischen Code unserer Tage wieder. Hatte nicht bereits 100 Jahre zuvor Charles Darwin die Idee, die seiner Evolutionstheorie schließlich zum Durchbruch verhalf, dass nämlich die Evolution über erbliche Individuenvariabilität, Ressourcen- begrenzung und Selektion verlaufe, der nationalökonomischen Theoriebil- dung seiner Zeit entnommen und nicht aus dem biologischen Datenmaterial abge leitet, auf das er nach jahrzehntelangen empiri schen Studien in Fülle zurückgreifen konnte? Schärfer gefasst und an mathemati scher Modellbil- dung orientiert, war es dann die Verbindung von biologischem und ökono- mischem Denken, die in der jüngeren Entwicklung der Evoluti onsbiologie die inter disziplinäre Theorienbildung weiter beflügelte. Wie diese historischen Streiflichter zeigen, reichen bereits die Wurzeln einzel ner Disziplinen der modernen Biologie tief in außerbiologische Hori- zonte. Bei der heute stürmischen Entwicklung der Biowissenschaften erscheint disziplinübergrei fender Theoriebezug dagegen nicht mehr nur partiell wün- schenswert, sondern gene rell unerlässlich; denn die technischen Möglichkei- ten haben in den letzten Jahren ein Ausmaß erreicht, das den Datenstrom oft ungezügelt, auf jeden Fall lawinenar tig anschwellen ließ. Nimmt man die Zahl der beteiligten Wissenschaftler und die Quadratmeter bedruckten Pa- piers in den besten Wissenschaftsjournalen als Maß stab, gilt diese Behaup- tung vor allem für zwei Bereiche: die Molekular- und die Neu robiologie, also für jene Disziplinen, die sich einerseits mit den elementaren Bausteinen be- lebter Systeme, andererseits mit dem Gehirn als dem komplexesten Organ befas sen, das die Evolution auf unserem Planeten hervorgebracht hat. Es ist vorauszuse hen, dass das florierende Methodenarsenal der Molekularbiologie, das die neurobiologische Forschung zu dominieren beginnt, in den nächsten Jahren weite Bereiche der Biologie bis hin zur Biodiversitäts- und Ökosystem- forschung okkupieren wird. In dieser Situation dürfte auf vielen Gebieten von einer weiteren Vermehrung der experimentellen Datenbasis kein Wissens- fortschritt zu erwarten sein, solange nicht theoretische Konzepte neue Wege weisen. Die Massenfluten an Daten, die das Human Genom Project, das Worm und das Fly Genom Project ausgelöst haben oder die bei elek tronischen Mehr kanalableitungen von Gehirnen anfallen, liefern beredte Beispiele. Der Vorwurf, die Biologie vermittle viele Einzelheiten, aber kein einheitliches Bild, sie sei „overnewsed, but underinformed“, folgt auf den Fuß. MARGARET C. MORRISON · GÉRARD MORTIER · CYNTHIA F. MOSS · GLENN W. MOST · ARNO G. MOTULSKY ·

Der Krise der Experimentatoren, ihre Messwerte nicht mehr im Sinne 153 eines Systemzusammenhangs verstehen zu können, wird man in Zukunft nur T begegnen können, wenn empirische biologische Forschung in weit stärkerem HEORETIS Maße als bisher theorie geleitet erfolgt, d. h. ihre Fragestellungen von vorn- herein theoretischen Ansätzen entnimmt. „Now that all the genes will be C known“, prognostizierte kürzlich der Harvard-Molekularbiologe Walter Gil- HE B bert, „the starting point of biological investigation will be theoretical.“ IOLOGIE Im Lichte dieser Forschungsvision haben Institutionen wie das Wissen- schaftskolleg zunehmend an Bedeutung gewonnen: als Stätten, an denen nicht nur bereits er hobene Befunde interpretiert und in Publikationsform gebracht, sondern die theoreti schen Grundlagen für zukünftige Forschungs- programme erarbeitet und damit expe rimentelle Projekte entworfen wer- den. Während der moderne Wissenschaftsbetrieb mit seiner methodisch anspruchsvollen Laborarbeit und seinem immer aufwendige ren Forschungs- management den Freiraum für konzentriertes theoretisches Arbeiten zu- nehmend einengt, kann ein Wissenschaftskolleg diese Freiräume schaffen und damit langfristig forschungspolitisch aktiv werden.

3. Biologische Blickwinkel

Der Frage, was Theoretische Biologie sei, kommt man am besten dadurch nä her, dass man – in leichter Umformulierung – fragt, was theoretisches Den- ken in der Biologie bewirken könne. Denn weder handelt es sich bei der Theo- retischen Biologie um ein System, das als Alternative zur experimentellen Bi- ologie von dieser losgelöst zu betreiben wäre, noch erlaubt sie die Errichtung eines monolithischen Theoriegebäudes, aus dem sich axiomatisch biolo gi- sche Strukturen und Funktionen ableiten ließen. Gerade weil biologische Systeme – von selbstreplizierenden Molekülen bis zu mehrzelligen Organis- men – verschiedene Organisationsniveaus verkörpern, die in einem idiosyn- kratischen Evolutionsprozess auseinander hervorgegangen sind, lassen sie sich nicht mit Hilfe einer umfassenden Globaltheorie voraussagen und in ihrer Funktionsstruktur verstehen. Zumindest beim jetzigen Stand der For- schung sind Theoriebezüge auf verschiedenen Stufen biologischer Hierar- chien und aus verschiedenen Blickwinkeln notwendig. Stärker als die Theo- retische Physik gibt sich die Theoretische Biologie (noch) als pluralistische Wissenschaft. In diesem Zusammenhang sei noch einem gängigen Vorurteil begegnet. Bei aller notwendigen Formalisierung ihrer Konzepte darf die Theoretische Biologie nicht der Gefahr erliegen, eine vom biologischen Substrat abgeho- bene, unfruchtbare Biomathematisierung zu betreiben. Sie muss ihre Mo- GABRIEL MOTZKIN · ANNE-MARIE MOULIN · CARLOS U. MOULINES · CHRISTIAN MÜLLER ·

154 delle, natürlich in stetem Kontakt mit experimentell tätigen Biologen, selbst entwickeln und zum Test anbieten können, also vermeiden, vorgängig for- R ÜDIGER WEHNER mulierte empirische Arbeitsprogramme ledig lich mit mathematischem In- strumentarium zu begleiten.

3.1 Design und Funktionsstruktur Da Organismen in Jetzt-Zeit existieren und hic et nunc funktionieren müssen, aber in historischer Zeit unter jeweils spezifischen geschichtlichen Bedingun- gen evolutiv entstanden sind, lassen sie sich primär aus zwei biologischen Blickwinkeln betrachten: Wie funktioniert das System, und warum ist es im Laufe der Evolution gerade so und nicht anders angelegt worden? Zielt die erste Frage auf die proximaten Ursachen, die das Verhalten des Systems be- stimmen, sucht die letzte die ultimaten Ursachen im Evolutionsgeschehen, mithin das Design des Systems zu verstehen. Beide Fragenkomplexe werden heute von verschiedenen Forschergrup- pen mit verschiedenen theoretischen Ansätzen bearbeitet; doch fehlt es nicht an Hinweisen, dass zumindest einige der neueren theoretischen Entwicklun- gen analog im einen wie im anderen Bereich zum Tragen kommen. Wenn man bedenkt, dass die Funk tionsstruktur eines Systems der molekularen oder or- ganismischen Biologie die Eigentümlichkeiten eines langwierigen Evo lutions- prozesses ‚eingefroren‘ in sich trägt, dürften solche Analogien kaum erstau- nen. Sie herauszuarbeiten und das Theoriengebäude der Biologie auf seine Tauglichkeit in beiden Forschungsberei chen zu prüfen, war und ist bei der Auswahl von Fellows und Projekten am Wissenschafts kolleg eines der leiten- den Prinzipien. Auf diese Weise will die Theoretische Biologie zum Beispiel die auf Funktionsmechanismen fixierte physiologische For schung verstärkt evolutionstheoretischem Denken öffnen. Neben den ultimaten Fragen nach dem Design stehen die proximaten nach der Funktionsstruktur eines Systems. Hier öffnet sich der Theoretischen Biologie ein weites Feld. Bedürfen doch die heute so forschungsintensiven Gebiete der intrazel lulären Integration molekularer Signaltransduktionen oder der Enzyminteraktionen im Zellmetabolismus ebenso der theoretischen Analyse wie Fragen der Informations verarbeitung in Zentralnervensystemen, der Morphogenese oder der räumlichen und zeitlichen Verteilungsmuster von Individuen in Populationen. Trotz der Verschieden heit des Substrats, mit denen sich diese vielfältigen biologischen Problemkreise befassen, sind in den theoretischen Lösungsansätzen Konvergenzen zu erkennen. Sie machen deutlich, warum das Studium so scheinbar abseitiger Objekte wie Hefekul tu- ren, Tintenfischnerven und Insektenstaaten verstehen hilft, wie Krebszellen, Immunsysteme oder unsere Gehirne funktionieren. HEIME MÜLLER · JÖRG PAUL MÜLLER · REINHOLD C. MÜLLER · AXEL MÜLLER-GROELING · ISABEL MUNDRY ·

3.2 Das Primat der Evolutionstheorie 155 Die Evolutionstheorie hat seit ihrer ersten umfassenden Formulierung durch T Charles Darwin zahlreiche Bedeutungsschwankungen erfahren, sich inzwi- HEORETIS schen jedoch zur zentralen, weil in alle Teildisziplinen ausstrahlenden Theorie im Gebäude der Biowissenschaften entwickelt. Die wesentlichen Mechanis- C men, nach denen in der genealogischen Abfolge der Organismen über Muta- HE B tion und Selektion Merkmalsveränderungen auftreten und an die nächste IOLOGIE Generation weitergegeben werden, sind ihr generell bekannt. Sie kann also versuchen, die heutigen Lebensformen als Prozessstrukturen zu erfassen, d. h. über eine theoretische Behandlung der zu ihnen führenden Evolutionspro- zesse zu verstehen. Wie grundlegend die Fragen sind, die sich ihr hier stellen, sei an einer ihrer größten Herausforderungen illustriert: an der theoretischen Behand- lung des Kom plexitätsproblems. Wie zuvor dargelegt, hat im Verlauf der Evo- lution die Komplexität biologischer Systeme von selbstreplizierenden Mole- külen bis hin zu Superorganismen (in Form geschlossener Sozialverbände) ständig zugenommen. Vielfach gingen dabei die Systeme höherer Komplexi- tät aus dem Zusammenschluss niederorganisierter Sy steme hervor. In jedem Fall war jedoch mit der Zunahme an Komplexität eine Leistungssteigerung verbunden, die sich zum großen Teil aus der kooperativen Arbeitsteilung zwi- schen zunehmend spezialisierten Nukleinsäuren und Proteinen, Zellen und Zellverbänden oder Soma und Keimbahn ergab. Da viele dieser niederen Ein- heiten ursprünglich selbstreplizierende Strukturen waren, sich in den höhe- ren Einheiten aber nur als Teil eines größeren Ganzen replizieren können, ohne dabei ihre egoistischen Selbstreproduktionsinteressen ganz aufge ge ben zu haben, ist das Dilemma von Kooperation und Konflikt vorprogrammiert. Erste Analysen zeigen, dass sich die evolutiven Übergänge von einem Orga- ni sationsniveau zum anderen, also Entstehung und Erhalt der Stufen dieser globalen Scala naturae, mit ähnlichen evolutionstheoretischen Ansätzen be- schreiben lassen. Eine allgemeine Theorie des evolutiven Wandels zu entwer- fen, rückt in den Bereich des Möglichen. Gleichzeitig dürften sich damit die Gewichte in Jaques Monods ‚Le Hasard et la Necessité‘ ein wenig mehr zum Notwendigen hin verschieben. Mit dem Studium der Hierarchie von Komplexitätsniveaus wird Komple- xität selbst zu einem zentralen Problem der Theoretischen Biologie. Sieht heute bereits die Physik in ihr ein eigenes Thema der nichtlinearen Dynamik, kann man die Biologie geradezu als die Wissenschaft vom Komplexen be- zeichnen. Eine der großen Aufgaben der Theoretischen Biologie besteht ge- rade darin, die allgemeinen Regeln zu finden, nach denen Bio-Bausteine wie Moleküle, Zellen oder Individuen in größeren Gesamtsystemen interagieren. Dabei scheint der evolutionsbedingten hierarchischen Struktur biologischer MARTHA MUNDY · TAZEEN MURSHID · ADOLF MUSCHG · RISTO NÄÄTÄNEN · WERNER NACHTIGALL ·

156 Systeme und der Selbstorganisation der jeweils niederen Komponenten in diesen Systemen eine ge nerelle Bedeutung zuzukommen. R ÜDIGER WEHNER 3.3 Biologie als dritte Wissenskultur Organismen sind biologische Systeme mit Geschichte und daher neben natur- auch geisteswissenschaftlichem Zugriff zugänglich. In ihrer konkreten Aus- prägung lassen sie sich nicht anhand allgemeiner Gesetze ab initio ableiten, sondern nur als Produkte eines einmaligen historischen Prozesses verstehen. Der Brückenschlag, den die Theoretische Biologie zwischen den beiden klassi- schen Wissenskulturen zu bilden vermag, geht jedoch über diesen bloßen Historizitätsaspekt hinaus. Populationsgenetische Überlegungen zeigen zum Beispiel, dass sich die Wahl zwischen verschiedenen Strategien, die Organis- men innerhalb einer Population in verschiedenen Lebensbereichen zu treffen haben, mit den Methoden der ökonomischen Spieltheorie beschreiben lässt. Der Biologe folgt also einerseits dem Denken des Theoretischen Physikers, wenn er evolutionstheoretisch stabile Gleichgewichtszu stände zwischen ver- schiedenen Strategien formuliert, andererseits dem des Öko nomen, der dann seinerseits wiederum von den methodischen Ansätzen des Biolo gen profi- tiert. Die Evolutionstheorie nimmt jedoch noch viel fundamentaler auf unser natur- und geisteswissenschaftliches Denken Einfluss. Daniel Dennett hat sie als „universal acid“ bezeichnet, die tiefer in die Bereiche des menschlichen Selbst verständnisses eindringt, als es sich selbst die Hartnäckigsten unter ihren Apolege ten eingestehen; und schon Sigmund Freud zählte Darwins Lehre neben der des Kopernikus und seiner eigenen zu den drei großen Kränkungen des Menschen. Ob Kränkung oder ob Einsicht in die biologischen Wurzeln menschlichen Verhaltens – schon heute zeigt sich, dass Soziologie, Ökonomie, Psychologie, Linguistik und andere geisteswissenschaftliche Disziplinen mit der Theoretischen Biologie in Zukunft verstärkt in Kontakt treten und sich an gemeinsamen Forschungsprojekten beteiligen werden. Das Wissenschaftskol- leg bietet für solche Unternehmungen einen idealen Rahmen.

4. Forschungsfelder

Da sich Theoriebildungen in der Biologie oft unabhängig voneinander an ver- schiedenen Fronten vollziehen, lässt sich ein umfassendes Theoriengebäude nur schrittweise und im bottom-up approach gewinnen. Dieser Einsicht trägt der Schwerpunkt Theoretische Biologie am Wissenschaftskolleg insofern Rech nung, als er ein brei tes Spektrum theorieträchtiger biologischer For- schungsprojekte in sein Programm einbezieht (siehe Anhang 1 und 2 auf PÉTER NÁDAS · IVAN NAGEL · HARINI NAGENDRA · ASHIS NANDY · PATRIZIA NANZ · ATHANAS NATEW ·

S. 164 ff.). Exemplarisch seien vier dieser Projekte vorgestellt, die ein möglichst 157 weites Themenfeld abdecken. T HEORETIS 4.1 Sex und evolutionäre Konflikte Man ist gewohnt, im Sexualverhalten eine kooperative, harmonische Unter- C neh mung zu sehen, bei der beide Geschlechter ‚zum Wohle der Art‘ zusam- HE B menwir ken. Doch die moderne Biologie trübt dieses Bild. Ihr erscheinen die IOLOGIE Geschlechter eher als Partner einer unbequemen Alliance, bei der jeder ver- sucht, den eigenen Erfolg bei der Weitergabe seiner Gene zu maximieren. Dieser Interessenkonflikt wird bereits deutlich, wenn man sich den basalen Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern vor Augen führt: die Größe der Gameten. Weibchen produzieren wenige große, unbewegliche und nähr- stoffreiche Eier, Männchen dagegen viele kleine, bewegliche Spermien. Die Entstehung dieser Anisogamie aus der Isogamie als der ursprüng- lichsten Form sexueller Fortpflanzung bildet das evolutiv älteste Beispiel eines sexuellen Konflikts. Man kann evolutionstheoretisch zeigen und mit Modellen simulieren, dass bei auftretenden Größenunterschieden zwischen den Isogameten zunächst die größeren wegen ihres reicheren Nährstoff- gehalts selektiv bevorzugt sind, bei stei gender Häufigkeit der größeren Ga- meten jedoch ein zweiter Selektionsdruck ins Spiel kommt: Er belohnt die Stra tegie, sich einen möglichst großen Partner zu suchen. Kleine Gameten kön nen jetzt von großen profitieren, indem sie sich wie Pa rasiten die guten Überlebenschancen der großen Gameten zunutze machen. Aus dem resultie- renden evolutiven Wettlauf zwischen den kleinen und großen Formen gehen schließlich die Mikrogameten als Gewinner hervor und können sich damit als Partner (Spermien) neben den Makrogameten (Eiern) etablieren. Dieses hypothetische Szenario der Entstehung von Anisogamie lässt frei- lich die Grundfrage unberührt, wie sich der sexuelle Reproduktionsmodus ursprünglich aus dem asexuellen entwickelte. In der heutigen evolutionstheo- retischen Diskussion ist diese Frage Gegenstand ebenso großen Interesses wie erbitterter Kontroverse. Die Problematik der Situation erhellt sich schon da- raus, dass sexuelle Populationen zwar über ihre Evolutionsrate und die Elimi- nierung fitnessmindernder Mutationen asexuellen Populationen gegenüber im Vorteil sind, diese Vorteile aber von den asexuellen Formen zumindest kurz fristig durch die schiere Macht der Zahl 2 übertrumpft werden können; denn asexuell ist jedes, sexuell nur jedes zweite Individuum reproduktions- fähig. Sexualität schafft aber noch andere Probleme. Evolutionstheoretisch muss zum Beispiel erstaunen, dass sexuelle Merkmale in Populationen über große Varia tionsbreiten verfügen, obwohl sie stark gerichteten Selektionsdrucken ausgesetzt sind und sich nach populationsgenetischen Standardtheorien ihre HEINO HEINRICH NAU · LOLLE NAUTA · BIRGITTA NEDELMANN · ITAY NEEMAN · GERHARD NEUWEILER ·

158 Variationsbreite daher einengen sollte. Andere Fragen zur evolutiven Entste- hung und Stabilität sexueller Mechanismen werden vielleicht auf dem Feld R ÜDIGER WEHNER der intragenomischen Kon flikte entschieden. Dieses weitgehend unbeackerte Feld erschien bis vor kurzem auch den meisten Biologen fremd. Nahm man doch stillschweigend an, dass Gene innerhalb des Genoms auf Kooperation, nicht Kompetition angelegt sind. In der Tat kann im Sinne der Mendelschen Gesetze ein Gen die Wahrscheinlichkeit seiner Repräsentation in der nächs- ten Generation nur dadurch erhöhen, dass es den Erfolg der Zelle, in der es sich später wiederfindet, und den der übrigen Gene sicherstellt. Doch durch- brechen zahlreiche zellbiologische Mechanismen diese Koadaptations ten denz. Populationsgenetische Modelle sollen prüfen, wie der resultierende intrage - no mische Konflikt – z. B. zwischen den Genen des Kerns und jenen des Cyto- plas mas (in Mitochondrien und Chloroplasten) – auf fundamentale Aspekte des Zellgeschehens Einfluss nimmt: auf die Evolution der Chromosomen, auf geordnete Kern- und Zellteilungsmechanismen und auf die Ausbildung zweier Geschlechter. Bliebe schließlich noch die Frage, warum sich bei allen mehr- zelligen Organismen die Bi sexualität anstelle höherer Formen der (Multi-) Se- xualität etabliert hat!

4.2 Kollektive Intelligenz: Selbstorganisation in superorganismischen Systemen Selbstorganisation bezeichnet einen Prozess, bei dem die globale raumzeit - liche Ordnung eines Systems (Superstruktur) aus den lokalen Interaktionen der Komponenten (Einzelstrukturen) emergent hervorgeht. Das System be- dient sich dabei keines Zentralprozessors, der alle für den Strukturbildungs- prozess nötigen Da ten und die Algorithmen ihrer Verrechnung enthielte und über hierarchisch geglie derte Instruktionsinstanzen seine Anweisungen er- teilte. In Superorganismen, jenen hochkooperativen überindividuellen Struk- turen, zu denen sich in einigen Linien der Metazoen-Evolution mehrzellige Organismen zu sammengeschlossen haben, ist Selbstorganisation das leiten- de Gestaltungsprinzip. Ohne über ein gemeinsames Nervensystem als Organ zen traler Kontrolle zu verfügen, arbeiten in diesen Superorganismen die ein- zelnen Individuen allein nach Re geln der Selbstorganisation so koordiniert zusammen, dass eine neue, mit kollektiver Intelligenz begabte biologische Ein heit höherer Ordnung entsteht. Experimentell besonders leicht zugäng- lich sind die Superorganismen der Insekten staaten, der Kolonien von Bienen, Wespen, Ameisen und Termiten. In einer Bienensozietät lässt sich zum Bei- spiel das geometrisch geordnete, sich dynamisch ständig erneuernde Waben- muster mit seinen konzentrischen Ringen von Brut-, Nektar-, Pollen- und Leerzellen durch Manipulation des Verhaltens der Einzeltiere so gezielt verän- dern, dass man aus den Veränderungen auf die strukturbildenden Mikropro- VINH-KIM NGUYEN · ANTHONY O. NICHOLLS · GHEORGHE ALEXANDRU NICULESCU · zesse schließen kann. Dabei zeigt sich, was auch Computersimulationen be- 159 stä tig ten, dass schon ein relativ einfacher Satz von Verhaltensparametern T (bestimmte Werte von Zellbelegungs- und -entleerungsraten) die komplexe HEORETIS Makrostruktur des Wabenmusters spontan hervorzubringen vermag. Für die theoretische Betrachtung stellt sich hier eine Reihe von Fragen, C die weit über das Phänomen Insektensozietät hinausreichen. Zunächst ist HE B intuitiv keineswegs einsichtig, warum sich fortpflanzungsfähige Organis- IOLOGIE men überhaupt zu überindividuellen Strukturen zusammenschließen und in ihnen kooperieren sollten. Im Lichte der Evolutionstheorie sind die Bedin- gungen zur Bildung solcher Superorganismen nur dann gegeben, wenn die Individuen im Sozialverband eine höhere genetische Fitness, eine höhere Übertragungsrate ihrer Gene, als bei solitärer Lebensweise erreichen. Die the- oretische Analyse muss diese Bedingungen im Einzelnen quantitativ prüfen. Beim Studium der Selbstorganisationsprozesse, die im Superorganismus ablau- fen, geht es dann vor allem um Art, Umfang und Komplexitätsgrad der Low- level-Interaktionen, die eine bestimmte High-level- Struktur im Modell mit Hilfe mathe matischer Formalismen (z. B. cellular automata models) ohne wei- tere Zusatzannahmen entstehen lassen. Ganz ähnlichen Gesetzmäßigkeiten der Selbstorganisation folgen Muster- bildungsprozesse in der embryonalen Morphogenese – beim Entstehen von Farb mustern auf der Körperoberfläche oder beim Knüpfen von Nervenschalt- plänen im Gehirn – und in vielen anderen biologischen, chemischen und phy sikalischen Sy stemen. Die biologischen Phänomene erweitern dabei die Selbst organisationsmodel le von Physik und Chemie um eine entscheidende Dimension: den Evolutionsfaktor Selektion. Die Einzelkomponenten eines bio logischen Systems und die Regeln, nach denen diese Komponenten inter- agieren, unterliegen nämlich wie alle biologischen Prozesse der natürlichen Selektion, so dass längs der evolutiven Zeitskala adaptive Strukturen viel höhe rer Komplexität als in unbelebten Systemen entstehen können. Wohl nicht zuletzt deshalb hat die Chaosforschung wesentliche Impulse vom Stu- dium der Dynamik in biologischen Populationen erhalten.

4.3 Aktives Sehen: Biologische und technische Lösungen Nach dem klassischen Bild, das die Neurobiologie vom visuellen Wahrneh- mungsprozess zeichnet, entwirft das Gehirn von der Außenwelt zunächst eine mög lichst detaillierte zentralnervöse Repräsentation, der es dann je nach motorischem Handlungsbedarf die nötigen Informationen entnimmt. Auf den Evolutionsbiologen muss diese traditionelle Sicht insofern unbefriedi- gend wirken, als sie die tatsächlichen Anforderungen des Verhaltens an das Wahrnehmungssystem übersieht: nicht eine globale dreidimensionale Dar- stellung der visuellen Welt zu liefern, sondern für konkrete visuomotorische DIETRICH NIETHAMMER · LUTZ NIETHAMMER · DAN-ERIC NILSSON · WILFRIED NIPPEL ·

160 Leistungen die nötigen sensorischen Daten bereitzustel len. Sehen und alle übrigen Sinnesmodalitäten wurden in ihrer evolutiven Geschich te nicht auf R ÜDIGER WEHNER Kontemplation angelegt, sondern waren ständig spezifischen Selektions dru- cken ausgesetzt, die auf verbesserte motorische Kontrolle, auf effizien tere Mechanismen der räumlichen Orientierung und Fortbewegung im Raum zielten. In der Tat mehren sich die neurobiologischen Befunde, nach denen im Gehirn sen somotorische Interaktionen auf getrennten Wegen und schon in frühen Stadien der visuellen Informationsverarbeitung erfolgen, lange bevor der visuelle Cortex ein volles Bild der Außenwelt entworfen haben könnte. Besonders eindrücklich lassen sich solche parallel prozessierenden sensorischen Kanäle für spezifische visuelle Leistungen in den Gehirnen nie- derorganisierter Tiere nachweisen. Eine ähnliche, teilweise biologisch inspirierte Entwicklung beginnt sich tech nisch im Bereich der sehenden Roboter (machine vision, artificial vision) abzu zeichnen. Auch hier wurde in traditionellen Systemen die gesamte visu- elle Informa tion elektronisch aufgenommen und anhand aufwendiger Algo- rithmen der motori schen Steuerung dienstbar gemacht. Solche Globalstrate- gien sind vom rechneri schen Aufwand her komplex, störanfällig, unflexibel und oft allzu allgemein angelegt, um Einzelaufgaben effizient lösen zu kön- nen. Alternative Strategien des künstlichen Sehens gehen von den neuronalen Shortcuts aus, die sich in biologi schen Systemen evoluiert haben. Dabei werden wie bei den neuronalen Filtern der natürlichen Sehsysteme sensorisch nur jene Daten aufgenommen, die für die zu erbringende Leistung jeweils rele- vant sind. Die Relevanz bemisst sich zum großen Teil nach den unmittelbaren Interaktionen des Roboters mit der Umwelt, so dass deren Gesetzmäßigkeiten im Sinne interaktiven Sehens direkt in den Verarbei tungsprozess eingehen. Zentralnervensysteme sind evolutiv aus der Bündelung und Kooperation ur sprünglich dezentralisierter Spezialsysteme hervorgegangen. Dem ent spricht die Modularität und distributive Natur ihrer Informationsverar bei tung. In technischen Systemen scheint man eine ähnliche Entwicklung nach zuvoll- ziehen.

4.4 Biomedizin: Parasitenvirulenz Das Wissenschaftskolleg plant, im Rahmen der Theoretischen Biologie in Zu- kunft vermehrt biomedizinische Themen aufzugreifen. Evolutionäre Immu- nologie lautet ein Schwerpunkt der nächsten Jahre. Im Folgenden sei am Bei- spiel der Virulenz von Parasiten kurz gezeigt, dass sich auch Phänomene, die auf den ersten Blick intuitiv klar zu Tage zu liegen scheinen, selbst in ihrer Grundstruktur erst aus der quantitativen Modellanalyse erschließen. Parasiten – so sagt man – sollten den Ast nicht absägen, auf dem sie sitzen, also ihre Virulenz (den Schaden, den sie dem Wirt zufügen) in Grenzen hal- THOMAS NIPPERDEY · DAVID NIRENBERG · AUGUST NITSCHKE · GIL G. NOAM · GHIA NODIA · ten. Doch evolutionstheoretisch gilt diese Aussage nur beschränkt. In evoluti- 161 ven Rennen ist es für einen Parasiten allein entscheidend, dass er sich schnel- T ler fortpflanzt als seine Konkurrenten, d. h. als andere Stämme (Varianten) HEORETIS des gleichen Erregers. Kommen die Wirte zum Beispiel in hoher Dichte vor, kann der Parasit also mit hoher Wahrscheinlichkeit rasch neue Wirte befal- C len, sollte eine hohe Vermehrungsrate – und damit als Nebeneffekt hohe Viru- HE B lenz – von Vorteil sein; denn die sich am schnellsten vermehrenden Varianten IOLOGIE haben dann auch die größten Chancen, die allgegenwärtigen neuen Wirte rasch zu besiedeln. Sind die Wirtsorganismen dagegen relativ selten, sollten die weniger virulenten Varianten erfolgreicher sein, weil ihnen dann auf- grund der längeren Lebensdauer ihrer Wirte mehr Zeit zur Verfügung steht, auf einen der wenigen verfügbaren Wirte überzuwechseln. Die Bekämpfung der Kaninchenplage in Australien mit dem pockenähnli- chen Myxoma-Virus bestätigt diese Hypothese. Anfang der 1950er Jahre, als die hohe Populationsdichte der von Europa eingeführten Kaninchen ein ra- sches Überspringen auf neue Wirte ermöglichte, war das Virus hoch virulent, fast in jedem Fall tödlich. Doch mit zunehmender Dezimierung der befalle- nen Kaninchen begannen nach einigen Jahren Varianten mit geringerer Vi- rulenz zu dominieren – ein Effekt, der sich von der zunehmenden immu- nologischen Resistenz der Kaninchen unterscheiden ließ. Die jeweiligen Umweltbedingungen entscheiden also, welchen Grad der Virulenz sich ein Parasit leisten kann, wie stark er also an dem Ast sägen darf, auf dem er sitzt. Intuitiv erscheinen diese Überlegungen unmittelbar einleuchtend. Doch steckt auch hier der Teufel im quantitativen Detail. Schon die Rate, mit der Parasiten über gesteigerte Virulenz ihre Übertragung auf neue Wirte erhö- hen, wird von zahlreichen populationsspezifischen Rahmenbedingungen be- stimmt und lässt sich als nicht-linearer Prozess nur mit Hilfe mathematischer Modellrechnungen erfassen. Doch immer wieder reiben sich solche Modelle, mit denen man die Evolution der Parasitenvirulenz zu beschreiben versucht, an Daten, die sich ihnen nicht fügen wollen. Offenbar sind dann neue, bisher nicht bekannte oder nicht verstandene Faktoren am Werk. Vollends komplex – und ohne theoretische Analyse nun wirklich nicht mehr zu verstehen – ge- stalten sich Parasit-Wirt-Beziehungen vor allem dann, wenn mehr als zwei Partner im Spiel sind, zum Beispiel wenn ein Parasit mehrere Wirtsarten be- fällt oder ein und derselbe Wirt zur Zielscheibe gleich mehrerer Parasitenar- ten avanciert. Ein derart mehrdimensional komplexes Beziehungsgeflecht lässt sich nur entwirren, wenn theoretische Ansätze und empirische biologi- sche Forschung untrennbar ineinander greifen. STEFANO NOLFI · PAUL NOLTE · LUIGI NONO · ZENONAS NORKUS · DIETER NÖRR · LESZEK NOWAK ·

162 5. Theoretische Biologie am Wissenschaftskolleg R ÜDIGER WEHNER In der deutschen Universitätslandschaft trug man der stürmischen Entwick- lung theoretischer Konzepte in der Biologie lange keine Rechnung. Die Theo- retische Biologie am Wissenschaftskolleg bildete daher zusammen mit dem an der Humboldt-Universität im Jahre 1995 etablierten Innovationskolleg gleichen Namens – dem heutigen Fachinstitut Theoretische Biologie – die einzige Institution, an der gezielt und längerfristig Theorieforschung im Be- reich der Biowissenschaften betrieben werden konnte. Die Vereinigten Staa- ten verfügen einerseits mit dem vor 20 Jahren gegründeten Santa Fe Institute in New Mexico über ein Forum, das sich der Theorie komplexer adaptiver Systeme in allen Bereichen der Wissenschaft wid met, andererseits über eine Vielzahl von Hochschulinstitutionen im Bereich der Brain and Computer Sciences. In England und Schweden, in den Niederlanden und der Schweiz, aber auch in den Vereinigten Staaten sind in den letzten Jahren zahlreiche Professuren mit Verhaltens- und Populationsökologen besetzt worden, die ausschließlich oder im Zusammenhang mit experimentellen Forschungspro- grammen evolutionstheoretischen Fragestellungen nachgehen. Die Theoretische Biologie am Wissenschaftskolleg hat versucht, hier einen eigenen for schungspolitischen Beitrag zu leisten. Sie fördert die theoretischen Ansätze eines breiten Spektrums biologischer Forschungsrichtun gen, das von der Molekular- und Zellbiologie über die Neuro- und Verhaltenswissenschaf - ten bis hin zur Evolutionsbiologie, Ökosystem- und Biodiversitätsforschung reicht. Sie fördert andererseits neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Theoretikern und Experimentatoren, wie etwa im Jahre 2001/02 die Grup pe ‚Neural Control of Locomotion‘, die ihre Arbeit übrigens in den Folgejahren durch Kurzaufenthalte am Wissenschaftskolleg fortsetzen konnte. Nicht zu- letzt gewährt sie Möglichkeiten des Austauschs mit Sozialwissenschaftlern, Anthropologen, Psychologen und Ökonomen, wie sie exemplarisch der Biologe Alex Kacelnik zusammen mit dem Ökonomen Ernst Fehr im Jahr 2001/02 ge- nutzt hat (Risk – The Biologist’s, Psychologist’s, Anthropologist’s, and Eco no- mist’s Point of View). Der Vielfalt von Fragestellungen entspricht eine flexible Gliederung in thematisch vielfältige Schwerpunkt- und Einzelprojekte (siehe Anhang 1 und 2 auf S. 164 ff.). Eine zu frühe inhaltliche Fixierung auf bestimmte The men- berei che hätte dem innovativen Charakter der Theoretischen Biologie und vor allem der Tatsache widersprochen, dass sich der Paradigmenwechsel hin zu einer stärkeren Theorieorientierung heute nahezu gleichzeitig an verschiede- nen biolo gischen For schungsfronten vollzieht. Organisatorisch sah sich die Theoretische Biologie mit der Anfangs schwie- rigkeit konfrontiert, dass in der Wahrnehmung des Naturwissenschaftlers HELGA NOWOTNY · HANS NUTZINGER · PÁL NYÍRI · KENZABURO OE · CLAUS OFFE · eine Institution wie das Wissenschaftskolleg nicht den gleichen Stellenwert 163 besitzt, den ihm ein Geisteswissenschaftler beizumessen gewohnt ist. Labor- T nähe und intensive Betreuung der Mitarbeiter an den Forschungsprojekten HEORETIS wurden immer wieder als Hindernis für längere Abwesenheit vom eigenen Institut genannt. Bietet doch das heutige naturwissenschaftliche Umfeld dem C Biologen hochentwickelte und kostspielige Infrastrukturen für Lehre und HE B Forschung, reichlich Auslandsstipendien für Graduierten- und Postgraduier- IOLOGIE tenstudien, Freisemester und ein dichtes, weltumspannendes Netz von Work- shops, Symposien, Summer Schools und Kongressen. Die experimentellen Na- tur wissenschaften leiden daher heute weniger unter mangelnden Kontakten als unter einem Übermaß an Vernetzung und Betriebsamkeit. Was fehlt, sind Freiräume für Reflexion, für kreatives laterales Denken und – zwangsläufig damit verbunden – ungewöhnliche Curricula. Hier sucht das Wissenschafts- kolleg mit seinem kürzlich etablierten Programm der Junior Fellows neue Wege zu erproben, indem es Postdoktoranden die Möglichkeit bietet, sich einige Monate fern der thematisch fokussierten täglichen Laborarbeit einer biologischen Schwerpunktgruppe am Wissenschaftskolleg anzuschließen, sich also im weiteren Bereich ihrer angestammten Forschungsarbeiten kon- zeptionell zu engagieren. Mehr denn je benötigen Nachwuchsforscherinnen und -forscher heute jene Muße, jene Freiheit und Ungezwungenheit, die es ihnen ermöglicht, sich ihrer zukünftigen Wege durch die zerklüftete Wissen- schaftslandschaft unserer Tage zu vergewissern. Alle diese Ziel wurden und werden nicht zuletzt durch eine enge Zu sam- menar beit der Theoretischen Biologie am Wissenschaftskolleg mit dem ge- nannten gleichlautenden Innovationskolleg der Humboldt-Universität erreicht. Darüber hinaus bietet die Forschungslandschaft Berlin inner- und außerhalb der Universitäten ein derart reiches Angebot an biologischen Arbeitsgruppen, dass das Wissenschaftskolleg mit dazu beitragen kann, den hier mannigfach virulenten Theo riebedürfnissen nachzukommen. Die seit 1997 gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durchge- führte jährliche Ernst-Mayr-Lecture, die jeweils einen international renom- mierten Biologen zu Wort kommen lässt, soll dazu verhelfen, die Ausstrah- lung dieses Wissensfeldes in die akademische Öffentlichkeit zu befördern. Andererseits war es nie Absicht und Aufgabe des Kollegs, Fellows zu eigen- ständiger experimenteller Tätigkeit in Berliner Forschungslabors zu animie- ren. Die Theoretische Biologie würde ihren eigenen Anspruch verleugnen, ließe sie die Fellows in Berlin genau das betreiben, was sie ebenso gut an ihren angestammten Forschungsplätzen tun könnten. Vielmehr sollte der Kontakt mit Fellows aus dem geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich über alles Gesagte hinaus auch jenen Aspekt der Theoretischen Biologie der Zukunft fördern, den Chris Langton vom Santa Fe Institute den poetischen nannte: VALERI OGORODNIKOV · RYÔSUKE OHASHI · ELS OKSAAR · DAVID R. OLSON · MANCUR OLSON ·

164 „I just have the feeling that culturally there is going to be more of something like poetry in the future of science.“ R ÜDIGER WEHNER

Anhang 1

Schwerpunktprojekte 1992/93 Theoretical Evolutionary Biology

1993/94 Collective Intelligence: Self- organization in Superorganismic Systems Biodiversity, Biogeography, Bioconservation

1995/96 Recurrent Neural Networks Spatio-Temporal Processes in Plant Communities Cambrian Explosion: The Origin of Multicellular Organisms (Simulations of the Biosphere)

1996/97 Active Vision in Machines and Animals Sex and Evolutionary Conflicts

1997/98 Visual Ecology and the Evolution of Sight Parallel Processing and the Binding Problem in Central Nervous Systems

1998/99 Biomimetics

1999/2000 Neurolinguistics and Cognition

2000/2001 Spatial Cognition Demography and the Evolution of Eusociality

2001/2002 Neural Control of Locomotion Risk – The Biologist’s, Psychologist’s, Anthropologist’s, Economist’s Point of View (2-year project) ONORA O’NEILL · JOHN ONIANS · MICHAEL G. OPPITZ · GUY H. ORCUTT · ANCA OROVEANU ·

2002/2003 165 Risk – The Biologist’s, Psychologist’s, Anthropologist’s, Economist’s Point of T View (continued) HEORETIS Brain Evolution Integrative Behaviour – The Study of Behaviour from Ion Channels to Animal C Societies HE B IOLOGIE 2003/2004 Development of Spatial Cognition

2004/2005 Conflict Resolution in Biological Systems Medical Anthropology

Anhang 2

Einzelprojekte 1992/1993 Bioenergetics of Eusociality The Material Basis of Evolutionary Theory

1993/1994 The Case of Superorganism Theory The History of Molecular Biology

1995/1996 The Evolutionary Significance of Sex Chromosomes in Sexual Selection

1996/1997 Visual Mechanisms of Gaze Control

1997/1998 Non-genetic Heredity: Evolution of Social Behaviour

2000/2001 Comparative Physiology

2001/2002 Reproductive Conflicts in Animal Societies

2002/2003 Reproductive Conflicts in Animal Societies ADRIANA ORTIZ ORTEGA · FRITZ OSER · WIKTOR OSIATYNSKI · JÜRGEN OSTERHAMMEL · MILAN OTÁHAL ·

166 2003/2004 The Evolution of Social Wasps: A Case Study in Natural Selection R ÜDIGER WEHNER Timing and the Units of Speech Perception

2004/2005 Graphical Representation of Brain Function

2005/2006 Breast Cancer, Health Risks and Disease Prevention Cancer – Why Me? How do Children and Adolescents Deal With Dying? Raghavendra Gadagkar The Evolution of a Biologist in an Interdisciplinary Environment

I had long known and admired Rüdiger Wehner as one who has made some of the most fundamental and fascinating discoveries about the navigational abil- ities of honeybees and ants. There was always, however, a somewhat myste- rious side to Rüdiger – he was somehow associated with a certain Institute for Advanced Study in Berlin, which, he often told me, brought together scholars of all disciplines from biology to music! He often suggested that I spend a year at this institute. What would I do among social scientists, humanists, artists and musicians? More importantly, how could I leave my laboratory, my stu- dents and my wasps for a whole year? I usually smiled politely and did not take the invitation seriously. But Rüdiger patiently persisted, as he does so successfully with his experiments on desert ants in Africa. Finally I gathered the courage to spend five months at the Wissenschaftskolleg – after I was prom- ised a break of several months in the middle of the five-month period, when I could go back to Bangalore and reunite with my wasps and my students. Thus began my evolution into a very different kind of biologist, and I have now spent over 20 months during the past five years at the Kolleg. My experience has been remarkable, unforgettable and irreversible. I will here recall my asso- ciation with this unique institution and attempt to describe its influence on my professional life.

Two Cultures at the Wissenschaftskolleg

During the first year of my stay, my life at the Wissenschaftskolleg was rich and varied and full of new and wonderful experiences. Gradually I began to learn how not to miss my wasps and students too much and indeed to appre- ciate the rare opportunity to get away from my routine duties and responsibil- ities back home and to be able to read and write unhurriedly. And like other Fellows, I found the staff very efficient, helpful and warm and the facilities NORANI OTHMAN · FANIA OZ-SALZBERGER · MARK PAGEL · JOSEF PALDUS · THEODOR PALEOLOGU ·

168 and services exemplary. The many and varied discussions we had during the Tuesday colloquia, the Thursday dinners and the weekday lunches will re- R AGHAVENDRA AGHAVENDRA main vivid in my memory for a long time to come. The unusually large num- ber of Indian scholars at the Kolleg during that year added its own unique flavour. During part of the time, I had the inspiring company of my group members, Amitabh Joshi, Leticia Avilés and Somdatta Sinha. Berlin, I soon

G discovered, harbours an unending supply of rich and exotic (at least for me) ADAGKAR cultural feasts. My life at the Kolleg was thus both productive and enjoyable as I pursued my planned project and an unexpected hobby.

My Project

When I reached the Kolleg, I had written a draft of a monograph describing some twenty years of research that I and my students have pursued, in stud- ying the evolution of social life in insects, using the Indian primitively euso- cial wasp Ropalidia marginata as a model system. I put my new-found peace and quiet and the excellent library facilities to good use in revising and finalizing it. The book has since been published (Raghavendra Gadagkar: ‘The Social Bio- logy of Ropalidia Marginata – Toward Understanding the Evolution of Eusoci- ality.’ Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, USA, 2001).

My Hobby

Since I was a PhD student and, indeed, throughout my professional career, I have had the great privilege of working at what is arguably India’s most pres- tigious research institute, the Indian Institute of Science in Bangalore. As India’s oldest and largest post-graduate science university, it has given me nearly complete professional satisfaction. I say nearly complete because, won- derful as it is, the Indian Institute of Science lacks something very important – it has no representation of the social sciences, humanities, arts and litera- ture. I have always felt this to be a very serious drawback and often felt disap- pointed that many of my colleagues do not seem to share my point of view. The opportunity to interact with colleagues who study economics, political science, psychology, sociology, history, law, philosophy, religion and music at the Wissenschaftskolleg was even more interesting than I had imagined. The reason for this was that I became even more interested in how these ‘strange’ colleagues pursued their craft than in what they actually did. As time went by, observing, contrasting and trying to understand the be- haviour of social scientists (for convenience, I am including everybody other GÜNTHER PALM · IOANA PÂRVULESCU · LUISA PASSERINI · RENATO PASTA · HORIA-ROMAN PATAPIEVICI · than natural scientists under the label ‘social scientists’) and natural scien- 169 tists became an obsession with me. The formal Tuesday colloquia gave me a T great opportunity to study the behaviour of my colleagues. I often found my- HE EVOLUTION O self paying more attention to the manners and methods of the speakers than to the contents of their message. I am an ethologist and observing animals is my profession. What I did with wasps in Bangalore, I continued to do with my

co-Fellows at the Kolleg in Berlin. The wasps I study in Bangalore are most fas- F A

cinating, but my co-Fellows in Berlin did not disappoint me either. Fortunate- B IOLOGIST ly, there were also a sufficient number of natural scientists, thus making it possible for me to attempt a comparative study. In the short time available to me (relative to the time I have spent observing wasps), I made many interest- ing observations. As in my observations with the wasps, only such observa- tions are worth reporting that can be organized systematically and explained. Hence I restrict myself to the behaviour of my co-Fellows during the Tuesday colloquia. I made observations during every colloquium I attended and used the method that we call focal animal sampling. As you can imagine, my focal animal was always the speaker. Among the many interesting contrasts I discovered between the social scientists and natural scientists, I report the three contrasts given below, as they were the clearest, i.e., there was no need for statistical analysis.

1. The Sit-Stand Dichotomy: All social scientists in my sample sat while they presented their colloquia, while all natural scientists did so standing. 2. The Read-Speak Dichotomy: All social scientists in my sample read out their presentations from a prepared text, while all natural scientists spoke extempore. 3. Quote-Unquote Syndrome: All social scientists used numerous quotations from other scholars to make their points, and only one natural scientist used only two quotations.

Fascinating as such contrasts are, they hold little interest to the modern ethol- ogist unless we can at least begin to ‘explain’ and ‘understand’ the reasons for their existence. And that is what I attempted to do, with limited success, during my daily walks on Koenigsallee or Kurfürstendamm. Success was limit- ed because I did not have the opportunity to conduct manipulative, experi- mental investigations, as I am so used to doing with my wasps! I am therefore obliged to propose the following explanations merely as hypotheses awaiting verification. In my branch of evolutionary biology, sometimes called behav- ioural ecology, we are often faced with a similar task of explaining why ani- mals behave the way they do. In their attempts to explain a variety of patterns of animal behaviour, behavioural ecologists have discovered three kinds of PRASANTA K. PATTANAIK · GÜNTHER PATZIG · DIANE B. PAUL · HEIKE PAUL · KEIR GORDON PEARSON ·

170 explanations. These are (1) random genetic drift, (2) natural selection and (3) phylogenetic constraints. Some behaviour patterns are neither particular- R AGHAVENDRA AGHAVENDRA ly beneficial nor particularly detrimental and therefore they are neither lost nor do they eliminate the alternative and go to fixation. The laws of statistics govern the dynamics of their spread and persistence. This phenomenon is called random genetic drift, or simply drift. Other behaviours are maintained

G (do not disappear) because they are significantly beneficial to the actors and ADAGKAR are preferentially preserved relative to alternative behaviour patterns. This is called natural selection, or simply selection. Yet other behaviour patterns exist because of historical reasons; changing them is not easy, perhaps too expensive. This explanation is called a phylogenetic constraint, or simply phy- logeny or history. The important point is that these three explanations are not necessarily mutually exclusive; one or more of them may be involved in maintaining a certain observed behaviour pattern. Can we attempt to attri- bute the contrasts between the behaviour of social scientists and natural sci- entists to any of these processes?

The Sit-Stand Dichotomy

Why do social scientists sit and natural scientists stand while making their presentations? My hypothesis is that these different behaviour patterns are maintained by drift and history, but not by selection. Neither behaviour pat- tern is significantly more or less effective in producing a successful presenta- tion. Clear evidence of this was obtained because there were several memo- rable presentations, both by sitting social scientists and by standing natural scientists. That a historical constraint is also involved became obvious when I asked one of the social scientists why she and her colleagues prefer to sit while making their presentations. She said her audience would surely consider her horribly pompous if she stood up to make her presentation; she found the idea unthinkable, but if she had no choice but to stand while reading her paper, for example if there was no chair available, then she would certainly begin with an apology and an explanation. Natural scientists surely have a contrasting opinion. Only once in my career have I been forced to give my talk sitting. I was running a high fever and my hosts, who had flown me several hundred kilometres, could not have reimbursed my air fare if I did not give my talk! Therefore I had no choice but to give my talk. However, there was no way I could have stood up for an hour. I asked for a chair and gave my talk sit- ting, feeling most uncomfortable and, yes, pompous! Of course, I began with an apology and an explanation! SUSAN PEDERSEN · ISTVÁN PERCZEL · DOMINIK PERLER · DOMINIQUE PESTRE · GAJO PETROVIC ·

The Read-Speak Dichotomy 171 T Why do social scientists read from a prepared text and natural scientists speak HE EVOLUTION O extempore? Here I think selection is the important explanation, neither drift nor history. Reading from a prepared text and speaking extempore are far from being equally effective. But if one is more effective than the other, why

does the ineffective one not disappear? Behavioural ecologists often face a sim- F A

ilar situation and are very familiar with behavioural polymorphism. The B IOLOGIST reason why the polymorphism is maintained is that while one behaviour pat- tern is effective for some individuals, a different pattern is effective for others. This may have to do with differences between the two kinds of animals – differ- ences in body size, state of health, location in own or foreign territory, access to information, etc. The two kinds of individuals, with their inherent differ- ences, are equally fit when they adopt their respective behaviour patterns. Thus natural selection cannot discriminate between the two behaviour pat- terns and eliminate any one; hence the polymorphism is stable. I think there is a similar situation among reading social scientists and speaking natural scientists. Speaking extempore is surely a more effective way of communicating with the audience, of holding their attention and of re- sponding to their body language. Reading from a prepared text is hardly as good for these purposes, but it has the great virtue of making it possible, even easy, to be precise and predictable in what one says, to exercise great care in one’s language, choice of words, grammar and style. I think speaking and read ing have contrasting properties and are each useful in different contexts. I would argue that what a natural scientist says is often more important than how he says it. In contrast, how a social scientist says what she says is often at least as important as what she says. This difference is of course only relative. Even within the natural sciences, one often encounters such differences. My favourite example is the contrast between a synthetic chemist, for whom con- tent is far more important than style of presentation, and an evolutionary bi- ologist, for whom style of presentation is at least as important as content. Although my own subject lies closer to the social sciences in this regard, I think there is a general dichotomy between the social and natural sciences. The results of a (natural) scientific experiment can be communicated in pretty much the same way by many different individuals. Historical or sociological analyses, on the other hand, often have a unique imprint of the author and would hardly be the same if presented (orally or in writing) by someone else. I therefore suspect that natural scientists often sacrifice choice of precise words, style and other nuances of language for the opportunity to communi- cate more directly with their audience. On the other hand, social scientists prefer to forgo that opportunity in order to pay greater attention to the pre- SUNDAY WILLIAMS PETTERS · PAWEL PIERANSKY · PATRIZIA PINOTTI · ROBERT PIPPIN · ANDREI PLE¸SU ·

172 cise language and style of their presentation. I hypothesize that it is these differing needs of the two cultures and the unique suitability of speaking and R AGHAVENDRA AGHAVENDRA reading for their respective needs that maintains this behavioural polymor- phism. G

ADAGKAR Quote-Unquote Syndrome

Social scientists’ love of quotations and the natural scientists’ rare use of them is perhaps the most interesting of the three differences. Stated somewhat strongly, I think that, for a social scientist, the ultimate happiness is to find a quotation in the existing literature that says exactly what she wants to say – and the older the source of the quote, the better. A natural scientist would be devastated if he found that somebody had already said what he wants to say – and, the older the quote, the worse it would be. Here also I would propose selection as the mechanism that maintains this behavioural polymorphism, but the selective pressures that maintain this polymorphism are bound to be quite different. Natural scientists place a great premium on novelty. They ‘dis- cover’ and ‘invent,’ and you don’t discover and invent the same thing repeat- edly. The validity of the discovery or invention depends of course on its repeat- ability, but validity is not a sufficient criterion for publication, for instance. A paper is often rejected on the grounds that the same phenomenon has al- ready been described in another organism. I would also argue that, relatively speaking, natural scientists often have (or at least they think they have) more ‘objective’ criteria for validating their claims – ‘many others also think so’ or that ‘such and such a famous person thinks so’ is not usually necessary and often not good enough. Relatively speaking, such apparently ‘objective’ criter - ia are not always available for many arguments in the social sciences and humanities, and their practitioners seem to recognize this. Here validity de- pends, at least to some extent, on how many people and which people also think so. If my understanding of these differences on the value of novelty and the criteria for validity are even partly correct, they could explain the propen- sity of social scientists for using quotations and the relative lack of it among natural scientists. Of course these ideas are mere hypotheses in need of verifi- cation and even as hypotheses they are very incompletely developed. DAVID POEPPEL · GIANFRANCO POGGI · DETLEF POLL ACK · MICHAEL POLLAK · ANDREW POMIANKOWSKI ·

The Kolleg – A Veritable Incubator for Competent Radicals 173 T Having been able to spend only five months during the previous year, I was HE EVOLUTION O kindly invited as Guest of the Rektor for another five months during 2001–02. This year was as exciting as the previous one – my excitement was not numbed by familiarity with the Wissenschaftskolleg. Being in a unique position of

having spent two consecutive years at the Kolleg, it was tempting to make a F A

comparison between the two classes. Indeed I could not help attempting com- B IOLOGIST parisons throughout my stay. The class of 2001–2002 was an equally interest- ing but quite a different assemblage of species. During this year’s stay, I was surprised but delighted to be told that I was being considered for an appoint- ment as a non-resident Permanent Fellow at the Wissenschaftskolleg. I spent much time this year thinking about the true function of an institution like the Wissenschaftskolleg. Here is the answer I came up with: Creative intellectual activity is a complicated business. It is necessary to be both correct and creative. The relevance and importance of being correct, i.e., of conforming to some accepted standard, diminishes as we move from the natural sciences to the social sciences, humanities, literature and finally the arts. Inevitably, one’s ability to be original and creative falls rapidly as we move in the opposite direction from the arts to literature, humanities, social sciences and finally the natural sciences. In the natural sciences in particular, there are strong forces that prevent you from being original or creative, and rightly so, because what is original and creative can often be wrong. The pub- lication and acceptance of almost anything in the natural sciences is based on peer review and acceptance. This has the function of ensuring that not too many falsehoods are perpetuated in the name of science. But at the same time, this often curbs radical departures from widely accepted positions. There is no simple way to censor the vast majority of original and creative ideas that are wrong and accept only those that happen to also be correct. It is typical for a reviewer to reject anything out of the ordinary and typical for most of us to accept peer judgment and fall in line with the accepted position. But of course there are occasional exceptions. And it is these exceptional individuals who make the transition between what Thomas Kuhn has called “normal science” and “scientific revolution.” My favourite example is that of Amotz Zahavi of the Tel Aviv University in Israel and his handicap principle. Biologists since Darwin have wondered why the peacock has such an elaborate tail that must surely be a handicap to him while running away from predators. The commonly accepted explanation (attributed to Ronald Fisher, one of the architects of the genetic theory of evo- lution), is that in the past there must have been a positive correlation between tail length and male quality, and females must therefore have been shaped by CARLO PONI · ALEXANDRE POPOVIC · UWE PÖRKSEN · ULRICH POTHAST · MICHAEL K. POWER ·

174 natural selection to favour males with long tails. With simultaneous selection on males for having long tails and on females for preferring males with long R AGHAVENDRA AGHAVENDRA tails, it has been suggested that, through a process of runaway selection, male tails can get longer than is good for their own survival. This is because even when the positive correlation between tail length and male fitness disap- pears, females who mate with long-tailed males will have sons with long tails

G who will in turn be preferred by females of the next generation. Indeed there ADAGKAR are several mathematical models that show that such a runaway selection can produce tails that are longer than are good for the males’ survival. Zahavi re- fused to accept this explanation because, to paraphrase his words in a lecture he gave at the Indian Institute of Science, “first we have to assume that females are so clever that they ‘know’ that long tailed males are fitter and then we have to assume that later females become so stupid that they do not realize that long-tailed males are no longer fit because their tails have grown too long!” In the 1970s, Zahavi wrote a series of now famous papers in which he made the radical suggestion that the peacock’s long tail is selected precisely because it is a handicap, not in spite of being a handicap. By carrying around such a handicap of a tail and by not yet having succumbed to a predator, the peacock reliably demonstrates to females that he is indeed fit enough to sur- vive despite the handicap. Zahavi derived from this idea a far-reaching general principle that animal signals in general must impose a cost, a handicap, on the signaller in order to be reliable and thus resistant to faking. The scientific community rejected Zahavi’s ideas outright. Several distinguished theoretical evolutionary biologists wrote mathematically sophisticated papers arguing that the handicap principle cannot work. One paper was actually entitled ‘The handicap mechanism of sexual selection does not work’ (American Natu- ralist, 127, 222–240, 1986). Then everything changed in 1990 when Oxford evolutionary biologist Alan Grafen published two papers showing, with the aid of more econom- ically inspired mathematical models, that Zahavi’s handicap principle can in- deed work, both in the evolution of honest signals in general and in the con- text of sexual selection. Today Zahavi’s handicap idea and the more general, costly, honest signal idea are widely accepted and have considerably altered the way we model and study animal communication and behavioural evolu- tion. The well-known evolutionary biologist John Maynard Smith has gra- ciously admitted publicly that he was wrong in hastily concluding that Zahavi’s idea was an error. But of course Maynard Smith says it in his inim- itable style: “I was cynical about the idea when I first heard it, essentially be- cause it was expressed in words rather than in a mathematical model. This may seem an odd reason, but I remain convinced that formal models are bet- ter than verbal ones, because they force the theorist to say precisely what he JOHN M. PRAUSNITZ · DAVID PREMACK · ROBERT L. PRESSEY · ULRICH K. PREUSS · OLIVER PRIMAVESI · means. However, in this case my cynicism was unjustified. It has proved possi- 175 ble to formulate mathematical models showing that what Zahavi called the T ‘handicap principle’ can lead to the evolution of honest signals.” (The Times HE EVOLUTION O Literary Supplement, 3rd August 2001). I must confess to a certain degree of unhappiness that many people today accept and use Zahavi’s handicap prin- ciple but call it (disguise it?) as the “good genes model.”

More recently, Amotz Zahavi, along with his wife Avishag, has written a F A

book-length essay on the widespread ramifications of the handicap principle. B IOLOGIST In a most remarkably bold style, they explain more or less the whole world with their handicap principle – why does a gazelle jump up and down at the approach of a predator, wasting time and energy and making itself visible, why do skylarks sing while fleeing from predatory merlins, why do pelicans in the breeding season grow a bump between their eyes that interferes with their ability to fish, what is the function of the small horn of the rhino, why do animals groom each other, why do host birds not reject the eggs of brood parasites, why has homosexuality evolved, why do animal and human infants beg food so noisily that they attract predators, why was the use of lace by hu- mans so popular among the wealthy in the past and why is it not so today, why do we shout while issuing a threat to someone standing nearby, why do men grow beards and wear bow ties, why do people attempt suicide … their list is endless! This enterprise of attempting to explain everything with the handicap principle will surely fail at some point, but we will never know exactly where it will fail unless someone pushes it past the precipice and, very likely, falls along with. I think we should be grateful to the Zahavis for altruistically doing this for us. But not everybody thinks so; the peer review system is harsh. The Zahavis’ book has been roundly criticized – one reviewer has called it “a work of advocacy” rather than of science and another has almost dismissed it with the statement: “The lack of data does not seem to dampen the Zahavis’ enthusiasm – Who needs data when metaphors abound?” (Q. Rev. Biol. 73, 477–479, 1998). I will come back to this, but first permit me to cite one more example, also very dear to my heart. In the 1940s and 1950s, Karl von Frisch discovered that successful honey- bee foragers return to their nest and perform dances, by means of which they are able to communicate to their sisters the distance and direction to the source of food they have discovered. What makes this unique among many examples of communication in animals is that bees appear to use a system of arbitrary conventions, hence a form of language, to communicate with each other. Von Frisch’s dance language hypothesis has since been verified by hundreds of independent researchers and has now become an extraordinarily powerful experimental paradigm for studies of animal communication and NATALIA PRISCHEPENKO · HELGE PROSS · LUIS PUELLES · ZARKO PUHOVSKI · HILARY PUTNAM · PETER PÜTZ ·

176 sensory physiology. Karl von Frisch shared the 1973 Nobel Prize for his discov- ery with two other ethologists, a rare occasion on which the Swedish Aca- R AGHAVENDRA AGHAVENDRA demy had the courage to correct Nobel’s anomalous use of the phrase physio- logy or medicine rather than biology for one of the prizes in his name. But Adrian Wenner of the University of California at Santa Barbara refused to be- lieve the dance language hypothesis. Since the mid-1960s, Wenner has been

G conducting experiments that in his view disprove von Frisch’s dance lan - ADAGKAR gua ge hypothesis and support the alternative olfaction hypothesis, which states that honeybees use only odours to locate food. Many researchers starting with von Frisch have periodically attempted to answer Wenner’s criticisms but the latter remains unconvinced. What I find most fascinating in the his- tory of this controversy is that successive supporters of the dance language hypothesis praise Wenner and Wells for generating a controversy and forcing them to do better experiments, but in the end they conclude that the dance- language hypothesis holds. But Wenner and Wells continue to remain uncon- vinced. Wenner sticks to his position with conviction, and in 1990, along with Patrick Wells, he wrote a book-length argument entitled ‘The Anatomy of a Controversy’ (Columbia University Press) saying: “After presenting the reasons for our disillusionment with the dance language hypothesis, we cover in the next three chapters various personal encounters as they relate to the sociol- ogy, psychology, and philosophy of science.” More recently, Michael Polakoff reported his experiments in an article entitled ‘Dancing Bees and the Lan- guage Controversy’ (Integrative Biology 1,187–194, 1998), in which he claims to have “avoid[ed] many of the pitfalls of previous dance language experiments.” Praising Wenner’s odour-search hypothesis as “a valid and more parsimo- nious alternative to the flashier and more seductive dance language hypothe- sis” that “did not receive a warm welcome despite the compelling data,” he goes on to conclude, however, that his new results “suggest that odor alone is unable to account for the behavior of the bees recruited by waggle dances” and therefore that “recruits are indeed learning the direction of a food source when they follow dances, as von Frisch asserted 50 years ago.” I cannot imagine Zahavi accepting the failure of his handicap principle or admitting that signals need not necessarily be costly to be reliable, any more than I can imagine Wenner accepting the honeybee dance language hypo th- esis of von Frisch. Is this unfortunate? Actually, I think not. In my view, scientists like Zahavi and Wenner, by sticking to their extreme positions, by refusing to compromise, are doing the scientific community a favour. There is no great harm if individual scientists have their pet biases and prejudices and therefore pursue their pet hypotheses to the extreme. It is only important for the community as a whole to be objective. One way for the scientific commu - PETER E. QUINT · EDUARDO ANTONIO RABOSSI · SHALINI RANDERIA · GUSTAV RANIS · OREST RANUM · nity to be objective and get at the truth is to train all practitioners of the scien- 177 tific profession to be objective, a task that I think is impossible. Indeed I think T that it is neither necessary nor possible to train all scientists to be totally ob- HE EVOLUTION O jective and to pursue truth totally objectively. Not necessary because, if there are enough radical scientists embracing diverse radical opinions and pursu- ing their pet hypothesis in different directions, the community can average

over these extremes and remain objective. I tend to think of people like Zahavi F A

and Wenner as altruists who uncompromisingly embrace radical positions B IOLOGIST and are not even persuaded by data contradicting their positions, who put their own reputations at stake and thereby let the community discover how far each hypothesis can be stretched. Without people like Zahavi, we will never know how much of the world we can explain with the handicap prin- ciple and without people like Wenner, we would not have seen the kind of clever and sophisticated experiments about the bee dance language that his criticisms have engendered. Of course, Zahavi’s handicap principle will fail at some point and Wenner may be proved wrong in the end. But we benefit from them and their uncompromising courage to pursue their points of view. But aren’t scientists supposed to be objective and have an open mind in testing hypotheses and accepting conclusions? Well, I don’t think so and therefore I think that is not possible to train all scientists to be totally objec- tive. The reason for this has never been expressed more clearly than by Richard Lewontin in his masterly ‘The Genetic Basis of Evolutionary Change’ (Columbia University Press, 1974): “It is a common myth of science that scien- tists collect evidence about some issue and then by logic and ‘intuition’ form what seems to them the most reasonable interpretation of the facts. As more facts accumulate, the logic and ‘intuitive’ value of different interpretations changes and finally a consensus is reached about the truth of the matter. But this textbook myth has no congruence with reality. Long before there is any direct evidence, scientific workers have brought to the issue deep-seated pre- judices; the more important the issue and the more ambiguous the evidence, the more important are the prejudices, and the greater the likelihood that two diametrically opposed and irreconcilable schools will appear.” So why not let different scientists pursue their prejudices and see how far they can go? I would like to see the scientific community be more tolerant of such radical scientists. But of course if everybody is allowed to be a radical, there will surely be chaos. What we need are impeccably competent radicals. We should set our thresholds very high and demand the highest possible level of competence before we become tolerant of radical scientists pursuing their radical positions. For the rest of us there is always the harsh peer review system! Such differential treatment of the more and less competent is not easy to institutionalise. It has to be done in a subtle and inoffensive manner. The VELCHERU NARAYANA RAO · CHRISTOF RAPP · REGULA RAPP · FRANCIS L. W. RATNIEKS ·

178 influence of peers that serves to cull out unfashionable points of view oper- at es not merely during publication. It operates inexorably and invisibly at all R AGHAVENDRA AGHAVENDRA times, in formal seminars, in informal discussions, at the coffee table … This is where an institution like the Wissenschaftskolleg plays such an important role. The Kolleg identifies 40 of the most accomplished and creative scholars from around the world and puts them together in very agreeable living and

G working conditions. For completely different reasons, the Kolleg attempts to ADAGKAR give fair representation in each year’s class of 40 Fellows to as many different disciplines of scholarly activity as possible. The useful but unintended conse- quence of this is that it also ensures that each scholar has few or no peers to trim away shoots of thought sprouting outside the narrow radius of accepta- bility. In fact the opportunity to present one’s work and ideas to scholars from completely different backgrounds and training often forces each scholar to go beyond the turf that she would normally restrict herself to during conversa- tion with insiders. I know of no better method of fostering unhindered creativ- ity.

Some Reflections on the Pursuit and Evaluation of Science

Perhaps the most important influence that life at the Wissenschaftskolleg has had on me is that I have now begun to reflect on the science I do and on the way in which I do it. I am grateful to the Kolleg for this habit, because prac- ticing scientists are usually very busy practicing their craft and most of us also devote a significant amount of time to evaluating what our peers do. However, we seldom find the time or have the inclination to reflect on how we pursue our craft and here by craft I mean both the craft of doing science and the craft of evaluating science. If there is any reflection at all about the methods of pursuing and evaluating science, it is done almost entirely by a separate group of ‘outsiders’ who belong to the disciplines we label history, philosophy or sociology of science and, more recently, science studies. It is not uncom- mon for practicing scientists to disregard what these ‘outsiders’ have to say about the pursuit and evaluation of science. Steven Weinberg said famously that the history and philosophy of science are about as useful to scientists as ornithology is to birds! This is funny, but probably somewhat true and if so, rather sad. The only way to make ornithology useful to birds is for birds also to practice ornithology. Hence, scientists must also themselves reflect on their methods of pursuing and evaluating science. I believe that this is possible in any long-term, stable manner only if we formalise such reflection and make the teaching of such reflection an inte- DAVID RAUBENHEIMER · ULRICH RAULFF · TAPAN RAYCHAUDHURI · AMNON RAZ-KRAKOTZKIN · gral part of science education at the undergraduate, post-graduate and espe- 179 cially at the doctoral levels. I have always found it most remarkable that by T merely teaching our students how to operate some instruments or solve some HE EVOLUTION O equations, we expect them to master the arts of choosing a scientific problem, solving it, communicating their findings to specialist and general audiences and acting as peer reviewers for other people’s attempts to do the same. A

little reflection will show that our science education imparts none of these F A

skills. B IOLOGIST

Choosing a Scientific Problem

The first step in one’s scientific career is choosing a scientific problem for in- vestigation. If generation of significant new knowledge is the goal, it seems reasonable to expect that scientists would look for areas of ignorance, areas that have been overlooked or forgotten by others. We all know, however, that this is not how topics are chosen for study. Indeed, exactly the opposite seems to be done. People look for fashionable areas, topics that are of interest to many and themes that are easily accepted for publication in prestigious jour- nals. Here I wish to emphasize that those of us in the developing world face a special problem that is largely of our own making. If the scientific commu- nity was relatively homogenous with a level playing field, this might not be fatal because we could always argue that the smartest scientists will set new fashions and bring about ‘scientific revolutions,’ while the rest will continue to do ‘normal science.’ However, we live in the real world, compartmentalized into developed and developing countries with associated scientific communi- ties with very uneven playing fields. Left to market forces, it is inevitable that a disproportionate number of revolutions will originate in the better-en- dowed scientific communities in the developed countries, while those in de- velop ing countries will be almost permanently relegated to doing ‘normal science.’ However I am convinced that there are significant opportunities for the simultaneous development of uniquely different perspectives from different parts of the world, especially in biology and of course even more so in the so- cial sciences and humanities. But our own institutionalised scientific struc- tures ensure that any prospect of development of a new and different perspec- tive from our parts of the world is nipped in the bud. We reward scientists who work in fashionable areas, we reward those who publish in prestigious Western journals, we have no time and patience to read their work and judge for ourselves, we reward those of our scientists who are applauded by the ANTONY G. REBELO · DANIELLE RÉGNIER-BOHLER · KLAUS REICHERT · PETER HANNS REILL ·

180 West, we have no self-confidence to make our own independent judgements of the accomplishments of our scientists. In short, we create, nurture and re- R AGHAVENDRA AGHAVENDRA ward followers rather than innovators. I am not surprised that this suits the developed world, but I am surprised that it seems to suit the developing world as well! The net result of all this is that science loses prestige as a career and our bright young people turn to other professions. G ADAGKAR

The Birth of the Centre for Contemporary Studies

Important as it was, teaching me to reflect has not been the only consequence of my association with the Wissenschaftskolleg. I am pleased to say that now I am in the process of creating a miniature Wissenschaftskolleg at the Indian Institute of Science. As the founding chair of the newly created Centre for Contemporary Studies, Indian Institute of Science, Bangalore, it is now within my capacity to correct the one shortcoming of the Institute that I began this essay with. By organizing a series of seminars, lectures and discussions and by maintaining a steady stream of visiting scholars at the Centre for Contem- porary Studies (CCS), I have begun to provide opportunities for the scientific community in the Institute to experience a sample of the best scholarship and creativity outside the traditional boundaries of natural science. During the two years of the existence of CCS I have brought anthropologists, historians, literary critics, philosophers, lawyers, sociologists, broadcasters, journalists, archivists, librarians, filmmakers and film critics to the campus and created opportunities for dialogues with practicing natural scientists and budding students. I cannot entirely predict what the consequence of this will be in the long run. But it is my hope and belief that such cross-disciplinary interaction will make natural scientists more tolerant of radical ideas and more capable of reflecting on the methods they use in the pursuit and evaluation of sci- ence. And the students who are exposed to such an influence will, I suspect, mature into scientists less hesitant than I was in the beginning in accepting invitations for a place like the Wissenschaftskolleg zu Berlin. Eine Kultur, zwei Kulturen, drei Kulturen … und zurück

Der Titel, der mir teils scherzend, teils ernsthaft für meinen Beitrag zu dieser Festschrift vorgeschlagen wurde (‚Über den Vorteil, unmodern zu sein. Die Radikalität der Geisteswissenschaften‘), ist unzweifelhaft amüsant und provo- zierend. Vielleicht sagt er etwas über ein mögliches Portrait meiner selbst aus: ein irgendwie old-fashioned Typ, der den Geisteswissenschaften mit einem sanften Exklusivismus zugetan ist und der ein Nostalgiker – wie fast alle Mit- tel- und Osteuropäer – des Europas der Zwischenkriegszeit ist. Den Spielregeln zuliebe könnte ich versuchen, die Hypothese des vorge- schlagenen Titels zu bestätigen. So wie ich es begreife, ist das Spiel eine der edelsten und konsistentesten Beschäftigungen am Wissenschaftskolleg: Von den Dienstagskolloquien mit ihrer kleinen Ablauf-Regie (den quasi-verpflich- ten den Scherzen in den Eröffnungsreden) bis hin zum Tischtennis im Kel- lerge schoss, den kinderreichen Donnerstag-Abenden, den Konzerten, Auf füh- run gen, Lesungen, Festen, Feiern und Ausflügen – nichts Frivoles, nichts Oberfläch liches in dieser Kultur der Muße. Sie ist nur der Rohstoff, die intelli- gente und entspannte Begleiterscheinung eines hartnäckigen und zielbe- wussten intellektuellen Aufwandes, der seinesgleichen in anderen Institutio- nen nicht findet, egal wie diszipliniert oder formell diese auch sein mögen. Beim Wissenschaftskolleg kann man ernst sein, ohne sich zu langweilen. Sowohl im Bereich der Geisteswissenschaften als auch der Naturwissen- schaften schließt der wahre Forscher das Genussprinzip mit ein: Was er tut, vergnügt ihn, und es macht ihm Spaß, auch anderen das Ergebnis seiner fröh- lichen Wissenschaft mitzuteilen. Die Beziehung zwischen Erkenntnis und Muße (otium) ist wesentlicher Teil des Wissenschaftskolleg-Projekts. Und das otium ist nicht zeitlich einstufbar. Es ist weder antik noch modern, und es wird auch nicht nach Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften diffe- renziert aufgeteilt. Eben mit dieser Zeitlosigkeit und dieser Extra-Territoriali- tät des otium schloss ich Bekanntschaft in Berlin im einzigartigen Ambiente der Wallotstraße. Und ebenfalls dort lernte ich die Unvereinbarkeit zwischen WILLIAM A. REINERS · KLAUS REINHOLD · W. MICHAEL REISMAN · JÜRGEN RENN · ASTRID REUTER ·

182 Kultur (sei sie wissenschaftlich oder humanistisch) und Radikalität kennen. Was nicht heißen soll, dass ich während meiner Berliner Episoden niemals A

NDREI PLE akute Töne oder parteiliche Meinungen zu hören bekam. Das letzte Wort aber hatten immer der Dialog, der Geist der Anpassungsfähigkeit und der Humor. Bei meinem ersten Aufenthalt am Wissenschaftskolleg (Februar–Juli 1992)

U erschien mir die Hypothese einer spezifischen Spannung zwischen den Na- turwissenschaften und den Geisteswissenschaften nicht naheliegend. Aller- dings war jenes Jahr ungewöhnlich homogen. Der einzige Exponent der tech- nischen Genauigkeit war Gérard Maugin, seiner Herkunft nach Ingenieur. Doch selbst er erlag der Verlockung der abstrakten Investigation und der ver- dünnten Gebiete der mathematischen Physik und der theoretischen Mecha- nik. Seine solitäre und gutmütige Präsenz war wirklich nicht dazu angetan, drastische und stürmische Debatten auszulösen. Und dennoch – gerade er hielt im Juni einen Vortrag mit dem Titel ‚Nonlinearity for Nonscientists – Bridging the Two Cultures?‘ Doch neben den Jahren, in denen die Naturwissenschaften recht karg ver- treten waren (wie z. B. 1981/82, 1987/88, 1994/95, 1999/2000 oder 2003/04), gab es auch Jahre, in denen die Geisteswissenschaften ernsthafte Konkurrenz bekamen (z. B. in 1983/84, 1992/93, 1998/99, 2002/03). Wenn mich meine ma- thematischen Fähigkeiten nicht im Stich lassen, stellen die Naturwissenschaf - ten, mengenmäßig betrachtet, etwa 15 Prozent der Gesamtzahl aller Fellows, wobei Biowissenschaften (Biologie und Medizin) einen bezeichnenden Schwer- punkt ausmachen. Manchmal (selten genug) gewannen auch andere Dis zi pli- nen an Gewicht (siehe die große Anzahl von Physikern im Jahrgang 1992/93). Andererseits muss gesagt werden, dass die Naturwissenschaftler, wenn sie am Wissenschaftskolleg sind, im Allgemeinen zu Hyperaktivität neigen. Sie sind auf jeden Fall weitaus aktiver als die Geisteswissenschaftler. Dazu ein einziges Beispiel: Gunther S. Stent, Professor für Molekularbiologie in Berke- ley (Kalifornien) hat in dem Jahr, als er Fellow und Berater des Wissenschafts- kollegs für den Aufbau der Theoretischen Biologie war (1985–1989), neben seinem Dienstagskolloquium (Semantik in Kunst und Wissenschaft) vier Work- shop-Vorträge (in Developmental Biology) gehalten. Das Jahr darauf treffen wir ihn erneut als Gast der Institution mit einer Konferenz ‚Wahrheit des wis- senschaftlichen Weltbildes‘ an. Im Vergleich ist das die Leistung eines Staha- novisten. Die Naturwissenschaftler mobilisieren sich schnell, koagulieren prompt um ein gemeinsames Projekt, und meistens dominieren sie die Szene durch ihren Dynamismus, doch auch durch das, was ihre humanistischen Kollegen als eine gewisse exotische Komponente empfinden. Ging es bei den Gesprächsfetzen, die 1992 beim Frühstück zwischen den Tischen hin und her schwirrten, noch hauptsächlich um Konstitutionalis- mus, um die liberale Revolution oder die Frage der Identität, so gewannen mit HANS-JÖRG RHEINBERGER · JOAN L. RICHARDS · ACHIM RICHTER · INGO RICHTER · ULRICH RICKEN · der Zeit Themen wie die Gepflogenheiten der Bienen, die Soziologie der Fle- 183 dermäuse oder die Intelligenz der Krähen zunehmend an Lautstärke und Be- K deutung. Anzumerken wäre noch, dass das Wissenschaftskolleg während all ULTUREN DES WISSENS dieser Jahre – unabhängig vom zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Natur- wissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern – eine Vielzahl von Seminaren und Kolloquien veranstaltet hat, die unmittelbar mit der experimentellen For- schung und der Erforschung der natürlichen Welt verbunden waren: Human- genetik (März 1984), Nuklearfusion (März 1989), Probleme der Geo- und Bio- sphäre, theoretische evolutionäre Biologie (Februar 1993). Die quantitative Vorherrschaft der Geisteswissenschaften muss deshalb mit einer gewissen re- lativierenden Nuancierung beurteilt werden. Star-Disziplin mit etwa einem Viertel aller Fellows ist die Geschichte (einschließlich Geschichte der Wissen- schaften und der Kunst). Bezeichnend aber und wenig ermutigend ist für mich die Tatsache, dass die Klassische Philologie – die rechtmäßige Gründe- rin der Humaniora – in 25 Jahren nur von sechs Wissenschaftlern vertreten wurde. Oder dass nur ein einziger Hispanist als Fellow des Wissenschaftskol- legs seit seinen Anfängen und bis heute eingeladen worden ist (2004/05). Die Religionswissenschaften sind in demselben Zeitraum mit über zehn Einla- dungen vertreten, während die Architektur, einst Mater artium, mit weniger als einer Handvoll von Fellows vertreten ist. Die Radikalität der Geisteswissen- schaften und der liberalen Künste ist folglich nicht wirklich so radikal … Was den Vorteil, unmodern zu sein, anbelangt, so erlaube ich mir einen Exkurs über die (bestreitbaren) Vorteile, aus dem Osten zu kommen. Die Be- gegnung mit der tiefsten prägenden Wirkung hat in meinen jungen Jahren nicht im akademischen Raum stattgefunden, sondern in der halb klandesti- nen Intimität einer kleinen Privatwohnung in Bukarest, in der ein Herr (Cons- tantin Noica) aus der Generation von Mircea Eliade, E. M. Cioran und Eugen Ionescu nach mehreren Jahren Gefängnis versuchte, sein philosophisches Pro- jekt abzuschließen. Wir waren eine Gruppe junger Menschen auf der Suche nach einem Meister, und wir besuchten ihn in der Erwartung, etwas von ihm zu bekommen, was das öffentliche Bildungssystem schon längst nicht mehr lieferte: ein gutes intellektuelles Instrumentarium, eine anfängliche Orientie- rung, einen ersten Impuls. Der Zufall wollte, dass wir jemanden fanden, der zwar in Frankreich bei Léon Brunschvig studiert und sich in Deutschland im Kreis um Heidegger be- wegt, aber dennoch eine überraschende Begierde für die exakte Wissenschaft entwickelt hatte. Er hatte auch Mathematik studiert und begann seinen Tag, indem er als Morgengymnastik einige Gleichungen löste und mit einem rüh- renden Fleiß ‚Science et Vie‘ las (die damals in Rumänien nicht einfach aufzu- treiben war). „Ihr werdet in den kommenden Jahrzehnten keine Philosophie mehr machen können, ohne ihr eine präzise wissenschaftliche Fertigkeit bei- JOHN RIESER · JOSHUA RIFKIN · WOLFGANG RIHM · FRITZ RINGER · HELGE J. RITTER ·

184 zufügen“, so lautete sein Rat, „und da Ihr nicht für Mathematik oder Physik ausgebildet zu sein scheint, wäre es vielleicht weise, ihr würdet euch der Bio- A

NDREI PLE logie zuwenden.“ Wir hörten nicht auf ihn, und es tat uns zunächst nicht einmal Leid, dass wir nicht auf ihn hörten. Erst als ich über 40 Jahre alt war und die günstigen Umstände es mir erlaubten, im Wissenschaftskolleg zu

U Berlin die wunderbare Erfahrung der Dienstagskolloquien zu machen, merkte ich, dass ich mich in einer Gemeinschaft befand, in der sich mein alter Profes- sor weitaus eher zu Hause gefühlt hätte, als ich das tat – weil er ‚Science et Vie‘ gelesen hatte und in der südosteuropäischen Provinz die Tugend der Trans- Disziplinarität antizipiert hatte. Das Berliner Institut gab ihm nachträglich Recht. Obgleich selber eine Null in Mathematik, entdeckte ich, dass ich dank der Kontamination mit ihm durchaus darauf vorbereitet war, die Öffnung dieses Instituts in viele Wissensrichtungen ohne stumpfsinnige Rangordnun- gen und dünkelhafte Diskriminierungen mitzuvollziehen. Es ging hier nicht um divergente und konkurrierende Kulturen, sondern um eine einzige Kul- tur in der guten alten Tradition des europäischen Geistesraums. Von den Vor- sokratikern bis zu Aristoteles und von Aristoteles bis zu Descartes, Pascal, Kant und Goethe haben Physik und Metaphysik, Natur und Geist symbiotisch im selben Garten und manchmal im selben Geist zusammengelebt. Goethe – der Mineraloge, Optiker, Botaniker und Dichter – war denn auch eine zentrale Figur im pädagogischen Diskurs von Constantin Noica. In Goethes „zarter Empi rie“ verschwinden alle Dichotomien: Das Sehen – der große Sinn der grie- chischen Philosophen – vereinigt in demselben Schwung Beobachtung mit Theorie, den Empirismus mit der Spekulation. Als Wilhelm Dilthey 1883 auf dem großen Markt der westlichen Ideen den Terminus ‚Geisteswissenschaft‘ lancierte, schied er aus der Disziplin, die er gründete, weder die Konnotation des Wissenschaftlichen aus (die Geistes- wissenschaften sind Wissenschaften der geistigen Welt, der Kultur oder der Werte – aber sie sind dadurch nicht mindere Wissenschaften) noch jene der experimentellen Praktiken (es handelt sich dabei, wie Dilthey sagt, um „eine Erfahrungswissenschaft der geistigen Erscheinungen“). Natürlich war es un- vermeidbar, dass das Paar Naturwissenschaften – Geisteswissenschaften den ana lytischen Geist einer bestimmten philosophischen Tradition, vor allem der deutschen, reizte und anspornte. Der Walzer der Disjunktionen konnte begin- nen: Wilhelm Windelband (1894) unterschied zwischen der nomothetischen Methode der Naturwissenschaften und der ideographischen Methode der Geisteswissenschaften. Heinrich Rickert (1910) zog es vor, die generalisierende Tendenz der ersteren der individualisierenden Tendenz der letzteren gegen- überzustellen. Zum Höhepunkt gelangte dieser klassifizierende Furor 1959 in Cambridge mit C. P. Snow‘s Bestseller ‚The Two Cultures‘. Ich hoffe keine Empfindlichkei- HENNING RITTER · RAPHAEL RITZ · RONALD S. RIVLIN · DANIEL ROBERT · JENNIFER ROBERTSON · ten zu verletzen, wenn ich behaupte, dass dieses Buch meiner Ansicht nach 185 eines der schlechtesten ist, das je geschrieben wurde. Das Delirium der Dis- K junktionen wirkt erstickend: Die Literaten sind konservativ, die Wissenschaft- ULTUREN DES WISSENS ler dagegen erneuernd, die einen eher rechts ausgerichtet, die anderen eher links, die einen eher gleichgültig gegenüber der Armut ihrer Mitbürger, die anderen menschlich und pragmatisch. Am Ende dieser Serie von Unverein- barkeiten und Ungereimtheiten werden wir angehalten, uns zu vertragen, und zwar durch die Übernahme des Modells der Sowjetunion, wo die Industri- alisierung zu einem Faktum von Volkskultur geworden war (in nahezu allen zeitgenössischen sowjetischen Romanen ist der Hauptheld ein Ingenieur …). Ich vereinfache natürlich (aber nicht zu sehr), doch nur, weil ich mich auch heute noch von der Stupidität von C. P. Snow wie von seinem Erfolg in den 60er Jahren provoziert fühle. Genau in diesem Zusammenhang spüre ich den Vorteil, aus dem Osten zu kommen: Ich bin immun gegenüber derartiger ana- lytischer Wollust. Der Zufall will es, dass der Text über die Engel, den ich im Sommer 1992 im Wissenschaftskolleg vorgestellt habe (s. Jahrbuch 1991/92), mit einer Kritik an Dichotomien und einer Apologie des Intervalls beginnt. Ich zitiere nochmals meinen alten Professor, indem ich behaupte, dass nicht die Logik von Ares, des Krieges, zwischen gegensätzlichen Kategorien, das dis- tinktive Zeichen meiner Berliner Erfahrungen darstellt, sondern eher die Logik von Hermes, eine Interpretationsbemühung also, die die Analogien, die Zwischenräume zwischen den Gegensätzen und das lebendige Denken aus- nutzt. Nicht zwei Kulturen, sondern eine einzige, voller Korrelationen, freund- schaftlicher Brücken und assoziativer Freuden. Wie alle anderen ehemals kommunistischen Länder war Rumänien nach 1989 mit den Problemen seines geistigen Wiederaufbaus konfrontiert, der die in Zeiten des Kalten Krieges künstlich geschaffenen Dichotomien miteinander versöhnen sollte. Sowohl die Geisteswissenschaften als auch die Naturwissen- schaften waren durch die Lebens- und Arbeitsbedingungen unter der Dikta- tur benachteiligt gewesen. Das Problem bestand nicht nur in ihrer gemein - samen Wiedergeburt, sondern auch in der Beseitigung einiger Risse, die für die normale Entwicklung des gesellschaftlichen, politischen und akademi- schen Lebens fatal waren: etwa der Riss zwischen Ost und West oder der zwi- schen einem neuen und einem alten Europa. Ein solches Programm war die Basis für meinen Vorschlag, in Bukarest ein kleines Institute for Advanced Study zu gründen – das New Europe College. Zusammen mit dem Institut in Budapest (Collegium Budapest) und dem etwas jüngeren in Sofia (Center for Advanced Study) sollte unser Institut Südosteuropa als akademischen Ort auf der Landkarte der europäischen Forschung wieder einführen und dem er- schlafften Gewebe des postsowjetischen Milieus eine Vitaminspritze geben. Der Intellektuelle, den ich mir gleichermaßen als Ziel und Träger einer MIGUEL A. RODRÍGUEZ-GIRONÉS · NILS D. ROLL-HANSEN · LYNDAL ANNE ROPER · RICHARD MCKAY RORTY ·

186 solchen Institution vorstellte, war anders als die westlichen Intellektuellen. Er hatte keinerlei Hemmungen hinsichtlich der Grenzen zwischen den Diszipli- A

NDREI PLE nen. Da er gelernt hatte, ohne staatliche Unterstützung zu überleben, fühlte er sich nicht verantwortlich gegenüber äußeren Instanzen, vielmehr fühlte er sich allein durch seine Begabungen und seine Leidenschaft gerechtfertigt. Für

U seine unmittelbare Effizienz war er niemandem Rechenschaft schuldig. Er konnte Wirtschaftswissenschaftler sein, sich aber auch für Husserl und Witt- genstein interessieren; er konnte ein klassischer Gelehrter sein, aber auch Probleme der Marktwirtschaft in postkommunistischen Ländern studieren; er konnte Physiker sein und sich gleichzeitig intensiv mit mystischer Litera- tur befassen. Für ihn gab es nur ein einziges Kriterium und ein Motiv: Neu- gierde – jene curiositas, die Cicero für die Quelle allen zweckfreien Wissens hielt: nulla utilitate obiecta. Das europäische Schicksal der Neugierde ist recht verschlungen. Das Chri s- tentum hat die Exzesse der Neugierde verdammt: Neugierde als Laster, als cupiditas noscendi, die das Fundament des Glaubens zusammen mit superbia und concupiscentia untergräbt. Vielleicht ist Neugierde tatsächlich wesent- lich Indiskretion und Blasphemie. Dennoch ist ihre freie Ausübung mit allen Risiken die Achse des griechischen Geistes (Seneca nannte die Neugierde Grae- cus morbus). Das alte wie das neue Europa wären ohne das Urphänomen Grie- chenland undenkbar. Die heutigen Gelehrten schweben in der Gefahr, gelehrt, aber nicht mehr neugierig zu sein. Das Wissenschaftskolleg zu Berlin und seine Schwesterinstitutionen in Princeton, Stanford, North Carolina, Wassenaar und Uppsala haben das Verdienst, Vorbilder einer Neugierde zu sein, die wie- der zu sich gekommen ist. Das New Europe College in Bukarest folgt diesen Vorbildern aus freien Stücken und gibt jenen Intellektuellen in Osteuropa eine Chance, für die die Neugierde noch nicht ihre Unschuld verloren hat. Mein Projekt wäre ohne das Verständnis und die großzügige Unterstützung des Wissenschaftskollegs und besonders ohne Wolf Lepenies nicht möglich gewesen. Das Motto dieser beispielhaften Kooperation lautete: keine zwei Kul- turen, keine zwei Europas und nicht zweierlei Maß für dieselbe, einzigartige Berufung des europäischen Geistes. Auf keinen Fall zwei Kulturen, eher schon drei. Wolf Lepenies hat ein sehr schönes Buch zu diesem Thema geschrieben (‚Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft‘, München 1985), ausgehend von der Feststellung, dass Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Disziplin – die Soziolo- gie – Platz nahm zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissen- schaften und dabei den Anspruch erhob, in die Erforschung des sozialen Lebens die methodologische Geometrie der Naturforschung einzuführen. Auguste Comte, dessen Statue die Place de la Sorbonne beherrscht, erzwingt den Zu- tritt in den Ehrenhof der berühmten Universität, wo Victor Hugo und Louis BEATE RÖSSLER · JAAN ROSS · MENACHEM ROSNER · HELGE ROSSEN-STADTFELD · JAN-MICHAEL ROST ·

Pasteur angestammte Ehrenplätze haben. Die Soziologie ist eine Disziplin des 187 Intervalls und ein Agent der Modernität. Sie ist zwar losgelöst von der kriti- K schen Stimmung der humanistischen Intellektuellen („der klagenden Klasse“) ULTUREN DES WISSENS und ihren utopischen Entgleisungen, hält sich aber gleichzeitig auch von der Amoralität der exakten Wissenschaften fern. Die Soziologie will kühl und nüchtern, aber moralisch normativ sein, rational, doch fähig, die Religion zu ersetzen. Die Dinge sind heute viel komplizierter als zur Zeit von C. P. Snow gewor- den. Selbst außerhalb der Soziologie überlappen und bekriegen sich die Erkennt nisgebiete und -ansprüche. So beanspruchen die Vertreter der Geistes- wissenschaften für sich immer nachdrücklicher die Stringenz der Natur wis- senschaften: Selbst wenn sie ‚diaphane‘ Themen behandeln, berufen sie sich auf strenge Prozeduren und unbeugsame methodologische Zwänge. Wissen- schaftlichkeit und Objektivität werden zum Aberglauben. Während die Ver- treter der Naturwissenschaften – im Gegensatz dazu – immer vorsichtiger wer den: sie erkennen ethische Probleme, stoßen in metaphysische Bereiche vor und entdecken in ihrem Vorgehen sogar Ähnlichkeiten mit der mysti- schen Erfahrung. Kurz: die Humanisten werden immer steifer und die Helden der Naturwissenschaften immer lyrischer… Der Nutzen der Wissenschaft steht zur Diskussion, die Ideologie des Wachstums und Fortschritts ist über- holt. „Wir brauchen“, sagt Wolf Lepenies in seinem Buch über das zeitgenössi- sche Schicksal der Intellektuellen, „eine rationale Kritik der Technik und einen gesunden Skeptizismus der Wissenschaft gegenüber.“ Aus dieser Kon- frontation könnten die Geisteswissenschaften gestärkt und konsolidiert her- vortreten, nicht nur, indem sie von dem kognitiven Beitrag der Naturwissen- schaften profitieren, sondern indem sie – angesichts der Statuskrise und der ethischen Betroffenheit und Ratlosigkeit der Naturwissenschaften – zu einem orientierenden Anhaltspunkt werden und eine Kompensations-Strategie ent- wickeln. Ein Fellow des Wissenschaftskollegs, Odo Marquard (1982/83), hat diesen Standpunkt 1985 in einem Vortrag mit dem Titel ‚Über die Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften‘ überzeugend systematisiert. Seine These lautet, dass die Geisteswissenschaften moderner sind als die Naturwissenschaften. Vico kommt nach Descartes, Dilthey nach Kant, die großen Begründer der Geisteswissenschaften (Winckelmann, Heyne, Grimm, Bopp, Niebuhr, Ranke, Droysen, Burckhardt) kommen etwa hundert Jahre nach der großen Zeit der Naturwissenschaftler (Galilei, Torricelli, Boyle, Newton, Lavoisier usw.). Dar- aus folgt, dass die experimentellen Naturwissenschaften Challenge sind und die Geisteswissenschaften Response. „Die Genesis der experimentellen Wissen- schaften ist nicht die Todesursache, sondern die Geburtsursache der Geistes - wissenschaften; mit anderen Worten: Die Geisteswissenschaften sind nicht RUDOLF ROTT · ANA COSIMA RUGHINIS · ECKART RUNGE · DIETRICH RÜSCHEMEYER ·

188 das Opfer, sondern sie sind das Resultat der Modernisierung und daher un- überbietbar modern.“ A

NDREI PLE Das Licht der Wissenschaft hat dazu geführt, dass die Welt, in der wir leben, gemütlicher, rationaler und besser auf die Zukunft vorbereitet ist. Aber für all diese Vorteile wurde und wird ein Preis bezahlt. Der wissenschaftliche

U Pragmatismus schafft eine homogenere und farblosere Welt, eine objektivere (also axiologisch neutrale), aber willkürlichere Welt (das heißt, es fehlen die Anhaltspunkte, der Orientierungssinn) – eine Welt, in der die Geschichte und – paradoxerweise – die Natur selbst zu zweitrangigen Realitäten werden. Die Modernisierung ist Entzauberung (Max Weber). In solch einem Kontext kommt den Geisteswissenschaften die Rolle zu, eine therapeutische Wiederherstel- lung des Gleichgewichts vorzunehmen. Sie bringen Traditionen, Polysemien und die Hermeneutik, den ästhetischen Geschmack und das ethische Inter- esse sowie die Interdisziplinarität auf die Bühne zurück. Es findet das statt, was Odo Marquard eine „Vergeisteswissenschaftli- chung der Naturwissenschaft“ bezeichnet. Die Geisteswissenschaften wider- setzen sich nicht der Moderne, sie nehmen an ihr nur ein notwendiges Kor- rektiv vor, was dazu führt, dass sich die Moderne ohne lebensweltliche Ver luste etablieren kann. Sie bewirken desgleichen, dass die Moderne erzählt werden kann. (Für Marquard sind die Geisteswissenschaften erzählende Wis- senschaften par excellence und als einzige fähig, die narrative Atrophie zu lindern, an der der moderne Mensch leidet.) Man könnte sagen, dass die Geis- teswissenschaften im Kontext der Moderne die Rolle des Bewahrers und des Verzögerers einnehmen. Wie jener geheimnisvolle ‚katékhon‘ im zweiten Paulus-Brief an die Thessaloniker (auf den sich Carl Schmitt beruft) leisten sie Widerstand gegenüber der eschatologischen Überhastung der Welt. Der Hu- manist ist ein Aufhalter, ein Verzögerer, ein vernünftiger Bremser im be- schleunigten Fall der Geschichte. Doch wir müssen nicht so weit gehen. Es reicht, wenn wir sagen, dass die Geisteswissenschaften nicht den Vorteil haben, unmodern zu sein, sondern den Vorteil, die Moderne von außerhalb zu bewirtschaften und eine moderne Zensur der Moderne zu sein. Um dem ludischen Geist des Wissenschaftskollegs treu zu bleiben, müs- sen wir folglich eine Radikalisierung der Disjunktionen zwischen Naturwis- senschaften und Geisteswissenschaften vermeiden. Wir können über ihre Grenzen mit Humor spekulieren, wie dies Raghavendra Gadagkar im Jahr- buch 2000/01 getan hat. Mit einer in der biologischen Verhaltensforschung lang geübten Objektivität reiht er uns alle sehr geschickt in eine streng geord- nete Insektensammlung ein: Die Social scientists bleiben sitzen, wenn sie sprechen, die Natural scientists stehen eher; erstere ziehen es vor, einen Text zu lesen, die anderen reden lieber frei; schließlich verwenden erstere Zitate viel häufiger als letztere. Diese Pendelbewegungen können unendlich fortge- GIAN ENRICO RUSCONI · BERND RÜTHERS · ALEXEI RUTKEVICH · NAT RUTTER · HILDA SABATO · setzt werden. Die Social scientists sind eher Einzelgänger, die Natural scien- 189 tists weitaus offener für Team-work; erstere reden mehr über Politik, sind K vorwiegend militante Geister und anfälliger für den Vegetarismus als die an- ULTUREN DES WISSENS deren. Und so weiter. Präzision kann in solchen Fällen leicht zum Scherz werden. Aber Scherze sind überall willkommen, besonders im Wissenschaftskolleg. Ansonsten ist es besser, die Kräfte nicht in solchen Dichotomien zu erschöpfen. Der europäi- sche Geist hat einen anderen Weg eingeschlagen: von einer ursprünglichen einzigen Kultur zu zwei spezialisierten Kulturen, dann zu drei Kulturen und, in sehr langer Persepktive, erneut zu einer einzigen totalisierenden Kultur. Und was die Formen anbelangt, wie Kultur gelebt und erlebt werden kann, so sind diese wie Don Giovannis Abenteuer: „mille e tre …“

Robert Pippin Philosophy among the Disciplines

I

It is apparent from the Platonic dialogues that philosophers very early on ac- quired a reputation for not minding their own business and for aggressively and irritatingly minding nearly everyone else’s. They were also clearly suspect- ed of having no genuine business of their own, no distinct knowledge, espe- cially when compared with people who could actually make and do things and, later, could predict events. (The version of the charge that obviously most bothered Socrates and Plato was that there was no way to distinguish the phi- losopher from the sophist.) A less hostile way of making much the same point would be to say that philosophy has a natural interdisciplinary tendency, that following a line of thought in philosophy often leads one into areas claimed by other disciplines. Most basic philosophical issues after all are essentially normative; they have to do with oughts, with what ought to be believed or inferred, what ought to be valued or admired or condemned, what ought to be permitted, forbidden, what ought to be done. In so far as such questions are not treated as empirical questions (that is, why people have in fact believed or valued or condemned this or that), as they should not be, they are distinctly philosophical questions and have always been so treated in the Western tradi- tion. And virtually any significant human activity rests on, or takes its orien- tation from, some such normative question. Science, political life, interpreta- tion, everyday moral judgments, artistic production and appreciation, and so forth rest on views about how any of these activities ought and ought not to be undertaken or assessed, rests on a philosophic or normative claim that is not a direct object of study or research in such a discipline or activity but is pre- supposed by it. It is of course anachronistic that the highest degree in any field is still a Doctor of Philosophy degree (biochemists never study the philos- ophy of biochemistry or even philosophy of science), but that anachronism reveals more than the quaint legacy of the medieval university’s organization DAVID WARREN SABEAN · CHRISTOPH SACHSSE · DIETER SADOWSKI · AGNES SÁGVÁRI · RUSHDI SAID ·

192 of knowledge or the premodern tradition of natural philosophy. It manifests the scope and continuing ambition of philosophy’s claims for itself as the R OBERT PI queen of the sciences, especially the claim that the deepest and most impor- tant issues at stake in any enquiry or action are uniquely philosophical (nor- mative issues, and ones often presupposed uncritically, say the philoso- PP

IN phers). Hence, on the one hand, philosophers as busybodies, or know-it-alls, or intellectual poachers, or, on the other, optimally, from their own point of view, ideal interlocutors in an interdisciplinary setting like the Wissenschafts- kolleg zu Berlin. With that less than ideal manifestation, a new, more academ- ic version of the old complaint has emerged – that in the modern academy, philosophers who show up at the colloquia and seminars in other disciplines (or who sound off in the Wissenschaftskolleg’s restaurant and at Tuesday col- loquia) make it pretty clear pretty quickly that they think that everything that goes on in these other disciplines, especially in modern humanities and social sciences, is simply bad or inferior philosophy, not a good or representa- tive version of that discipline. As a result, philosophy can sometimes seem to have an inherently imperialist ambition. And yet, somewhat paradoxically, while philosophers can often seem eager to invade the space of other disciplines, they have also been accused of ferociously resisting any incursions from the other side of its border, that they dogmatically and impatiently sweep aside accusations that philosophy is just bad or armchair science, or a socio-political means for the legitimization of a ruling class, or a language game like literature or poetry, or even, in Witt gen- stein’s beautiful phrase “conceptual music.” Philosophers can sometimes seem a bit defensive about the suspicion that they don’t actually know anything on their own, have not ever made any progress with anything they work on, and so in response they insist that only those properly (which usually means pro- fessionally) trained are fit to pronounce on whatever subject of philosophy, and they insist that suspicions like these are based wholly on ignorance or incompetence. Hence the less than ideal picture that philosophers can pre- sent in modern interdisciplinary academic settings – self-appointed gadflies, questioning the unexamined normative presuppositions relied on every- where by everyone, but unwilling or unable to generate any research project of their own, and often purists about philosophy, as if some sort of initiation rite is needed in order to enter the holy of holies, and those without this initi- ation are unworthy to approach such a site. To some extent, whether the ideal self-presentation of philosophy in an interdisciplinary setting is evident – inspiring reflection, cross-disciplinary conversation, anti-parochial expansiveness, an attention to the distinctness of normative issues – or be it the less than ideal manifestation – the wholly nega- ROBERT SALAIS · RENATA SALECL · KEV SALIKHOV · DAVID C. SANDEMAN · VALENTINA SANDU-DEDIU · tive, critical busybody with nothing positive or substantial to say – all depends 193 a great deal on what sort of philosophers show up and what the leading para- digm of philosophical activity and research is in any given period. Human PHILOSO nature being what it is, I am sure that the Wissenschaftskolleg has seen its share of both types. One can at least say that in its twenty-five-year history, the P HY HY Wissenschaftskolleg has had an astounding variety of philosophers and that that variety has reflected some deep changes in professional philosophy dur- ing that period. In Great Britain and North America it was during this time that the core enterprise in modern Anglophone philosophy, philosophy of language, began to lose pride of place to a renewed interest in philosophy of science and a related renewal of interest in philosophy of psychology and phi- losophy of mind. The ‘master science’ seen as generating the most interesting philosophical problems changed as well, from physics to at first biology and then to the new discoveries in the cognitive and neurological sciences. Discov- eries in such fields led to a renewed hope for a philosophical naturalism, hope that scientific developments might be of great use in solving perennial philosophical questions about the nature of mind, consciousness, and knowl- edge. In Anglophone ethics and political philosophy, this was the era of John Rawls, and hence the re-birth of political philosophy on an essentially Kant- ian normative basis, and therewith attacks on Rawls from libertarian, utilitar- ian, and neo-Marxist and critical theory camps. It was also the era of so-called applied ethics, especially bio-medical ethics. In Germany during this period, much changed and much stayed very much the same. In political and social theory it was as much the era of Jürgen Haber- mas as, on the other side of the ocean, it was the era of Rawls, as well as the era of the (final) debates between Habermas and Gadamer (or the claims of her- meneutics against Habermas’ still emerging communication theory), as well as a continuation of the discussion about the philosophical scope and rele- vance of hermeneutics, and the continuing echoes of the positivism debate, especially in the social sciences, that has gripped several generations of Ger- man philosophers and social theorists. A number of other schools of thought were represented at the Kolleg during this period: the third generation of the critical theory school (Axel Honneth, 1989/90); the Ritter school (Odo Mar- quard, 1982/83), although there was less of a presence for Heideggereans or phe nomenologists. Perhaps what changed the most was the growing influ- ence of Anglophone or analytic philosophy in the German academy, even in subfields that retained their traditional priority of importance in German universities – philosophy of social science and the history of philosophy, es pecially the classical or idealist period in Germany. As was the case with most major academic centers of philosophy in America and Great Britain, the SAHOTRA SARKAR · BEATRIZ SARLO · WOLFGANG SASSIN · DJALAL SATTARI · KAROL SAUERLAND ·

194 various waves of French structuralist and post-structuralist thought that so roiled literature, history, and anthropology departments in these countries R OBERT PI did not have much of a lasting influence in Germany and have not been prom- inently represented at the Wissenschaftskolleg. Most of these continuities and changes were represented in one way or PP

IN another at the Wissenschaftskolleg during this time. But the two or three philosophical schools (on average) in any given Wissenschaftskolleg year al- most always had prominent representatives from three distinct areas, areas significantly more represented than any others – social and political philos - ophy, philosophy of science (often in ways that reflected the growing im- portance of a historical and ‘science studies’ approach), and, more than any other single group, the history of philosophy. This last was to be expected, especially with regard to the study of ancient Greek philosophy, where a remarkably high percentage of the world’s leading authorities have been Fellows at the Wissenschaftskolleg. The long German dominance in Altphilo- logie, begun with such glory in the nineteenth century, created an environ- ment still obviously desirable for scholars from all over the world. And of course scholars interested in the modern German tradition from Kant to the present have also found Berlin a most desirable place to work. It is appropriate in other ways that in these two and half decades histori- cally minded philosophers were in such evidence at the Wissenschaftskolleg. For this period also saw a rise in importance in the history of philosophy as a philosophical discipline in its own right, not as supplemental or merely an- tiquarian. The American philosopher Wilfrid Sellars had called the history of philosophy the lingua franca of all philosophy, and a student of Sellars, Richard Rorty (Fellow, 1986/87), in a landmark book had appealed for a com- pelling and widely influential historical narrative to try to suggest why mod- ern philosophy had seemed to run into so many blind alleys. The same reli- ance on historical narrative as a form of philosophical argument was also ap parent in very influential work by Alasdair MacIntyre, in Habermas’ lec- tures on ‘The Philosophical Discourse of Modernity,’ and in aspects of the work of John McDowell and Robert Brandom. The key issue in such a philoso- ph ically minded historical approach is obviously what one might mean by claiming that a position or set of problems was only truly intelligible if it could be shown how it developed out of the past, and especially what distin- guishing a living notion or prac tice from a dead or dying one amounts to. The shifts in philosophy over the last twenty-five years just described suggest the same sort of questions, per haps even more urgently, that have arisen for so much contemporary history and philosophy of science, and have generated the same worries about relativism, reductionism, universality, and especially the fate of reason. From a cynical point of view, these rapidly successive chang - WILLIBALD SAUERLÄNDER · ALFRED SAUPE · EIKE VON SAVIGNY · STEFAN N. SAVULESCU · ELAINE SCARRY · es can look like changes in fashion (and fashion is the “sister of death” 195 accord ing to Leopardi.) The idea that this is all not mere fashion and the idea that the history of PHILOSO philosophy can itself be a form of philosophizing, have of course been con- test ed. That designation – historian of philosophy – is one that many in the P HY HY profession still consider the academic equivalent of librarian of philosophy, or someone designated to take the notes at a meeting, or at imagined past meetings, but not to participate. The objection is that we ought to try to quar- antine, as it were, the philosophical issues and argue that however any par- ticular issue got on our agenda and became compelling is of no importance to philosophy as such, and we should just investigate the rational credentials of any norm or claim once history hands it to us. This quarantine strategy exists because an influential camp in contem- porary philosophy continues to aspire not to have a history or at least not to have a history relevant in any philosophical sense. Literature and art may have living histories (no one would seriously claim that playwriting has so progressed since Schiller that Ibsen represents a better version of what Schil- ler was trying in his somewhat backward way to do), but many claim there has been real, indeed decisive progress in philosophy (Kant’s demonstration of the impossibility of traditional metaphysics and Frege’s innovations in phi- l osophical logic are often cited) such that much of the past has been left be- hind or, if not, must be creatively re-interpreted so as to be made to address contemporary issues. This is a common but quite simplistic characterization. I think that my daughter was more thoughtful on this issue, when she was about eight and I overheard her being asked by a friend “What does your father do for a living,” and she responded “Oh, he steals ideas from dead people.” The friend natu- rally enough asked, “Why doesn’t he think up any of his own?” and my daugh- ter defended a version of my own answer “He says all the best ones have already been thought up, but we don’t yet really understand what they mean, and have to think about them some more.” Her friend did not note that this is a somewhat paradoxical response, much like the apocryphal restaurant com- plaint “The food is terrible there, and they don’t give you enough of it.” In any event the purist or quarantine party has come more and more to seem quite disingenuous, since any normative notion has a kind of historical and social authority and priority and a dense, complex lived meaning to those committed to it that philosophy also needs to understand if it is to under- stand what the ideal entails (what its actual content might be) and what ac- tual authority is merited. Moreover, if it is plausible to consider the origin and even the authority of such normative commitments as unintelligible apart from the place of such commitments in a changing, historical social context, M. MOJTAHED SCHABESTARI · ERHARD SCHEIBE · PETER SCHEIBERT · IRINA SCHERBAKOWA ·

196 it is also highly plausible that any particular mode of investigating the ra- tional credentials of such commitments is itself necessarily attached to the R OBERT PI same historical story. Argument forms determining what counts as a legiti- mating case also come attached to complex and developing histories and need the same sort of proper location in order to be understood. For example, the PP

IN idea of appealing to what form of authority “pre-social rational individuals would hypothetically choose to submit to” is not something that would have made much sense, say, to Aristotle, just as refraining from appealing to the proper natural role of men and women, to natural law, would have greatly puzzled Aquinas. Likewise, the explanation of the fact that ancient authors do not seem to have what Christian metaphysicians call the will, or that Brit- ish philosophy of the eighteenth century ties normative distinctions so much to the influence of the passions, or that Kantian moral psychology describes agency as paradigmatically the capacity to obey the dictates of pure practical reason, will all have to be explained in a way that is profoundly historical and somehow more than strictly philosophical in the conventional sense. Since so many of the Wissenschaftskolleg’s philosophers have been ‘his- tor ians,’ indeed since so many scholars from other disciplines at the Kolleg have been students of the past, and since the question before us is the func- tion of philosophers in such an interdisciplinary setting, the issue is also how that question looks when the chief philosophical representatives have been historians. It is somewhat more straightforward to imagine either ideal or even less than ideal interdisciplinary colleagues in philosophy of science, in philosophy of art, in political philosophy, and so forth. The idea that such specialists would not know a great deal about science or art or politics and its history, or who could not engage intellectually with those who did, would be hard to entertain seriously. But the question of philosophy’s historians is much more complicated. This view (or the renewed emphasis on a view that goes back to Hegel) – that the history of philosophy is itself a form of philosophy – does imply a good deal about the interdisciplinary potential of the historians. The idea is that although there are any number of what seem like straightforward philos- ophical or scientific or aesthetic or critical issues in our contemporary world, we could be led astray if we simply charged ahead and started trying to solve the problems. Moreover, as opposed to many once standard problems that have pretty much died out – like proofs for the existence of God or the immor- tality of the soul – many current problems continue to have a historical life, we might say, because of complex and often hidden links with non-philoso- phical issues, links that become apparent only by locating the philosophy of a time in the right historical narrative in the right relation to non-philosophi- cal activities and knowledge claims, something that is not possible by atten- JUTTA SCHERRER · WOLFGANG SCHIEDER · WULF SCHIEFENHÖVEL · PIERANGELO SCHIERA · tion to academic philosophical issues alone. This is something that is often 197 easier to see when, in an interdisciplinary setting, philosophy’s own assump- tions about itself are forced out into the open and interrogated. Indeed it PHILOSO often becomes clear (in a way difficult to imagine in any other setting) that philosophy is not owned by professional philosophers, that modern neuro- P HY HY logists, experimental chemists, plant biologists, and astronomers are all very well aware of the philosophical presuppositions of their enterprise and are more than willing to examine such assumptions together with philosophers and anyone interested. Such a process is certainly aided by having philoso- phers around, but is in no way wholly indebted to such a type. Anyone reading the year-end statements by historians of philosophy and former Fellows would have to be convinced that the great potential benefits of such prolonged expo- sure to other disciples, both for non-philosophers and for philosophers, have often been richly realized.

Jürgen Kocka Konjunkturen der Geschichte

Unter den gut 1000 Fellows, die das Wissenschaftskolleg – im Folgenden Kol- leg – in seinem ersten Vierteljahrhundert beherbergt hat, waren 120 bis 130 Hi s- toriker. Wissenschaftshistoriker, Kunsthistoriker und verkappte Historiker in den Nachbarfächern sind dabei nicht mitgezählt, wenngleich die Abgrenzun- gen oftmals verschwimmen. Sonst wäre die Zahl etwa doppelt so hoch. Jeden- falls stellen Historiker die bei weitem größte Fächergruppe dar, auf sie entfiel zumindest ein Achtel aller angenommenen Einladungen. Fragt man nach den Gründen für die massive Präsenz dieses Faches am Kolleg, begreift man etwas von dessen Eigenarten, Erfolgen und Wandlungen.

Affinitäten

Die drei bisherigen Rektoren des Kollegs sind keine Berufshistoriker. Aber alle drei – Peter Wapnewski, Wolf Lepenies und Dieter Grimm – haben auch histo- risch geforscht und publiziert, besitzen historischen Sinn, sind auch Histo- riker. Yehuda Elkana, der permanenteste unter den Permanent Fellows, be- schwört immer wieder den Kontext: die Kontexte, in die die Wissenschaften, recht verstanden, eingebettet sind und sein sollen, und die Kontexte, aus denen heraus wissenschaftlich zu untersuchende Gegenstände aller Art, bei aller Methodenunterschiedlichkeit im übrigen, zu verstehen und begreifen sind (siehe den Beitrag von Yehuda Elkana in diesem Band). Kontextualisie- rung aber ist ein zentrales Merkmal der historischen Methode, das wichtigste neben dem Interesse am Wandel in der Zeit, als Entwicklung begriffen. Dem Wissenschaftlichen Beirat, ohne dessen Zustimmung Fellows nicht berufen werden, gehörten und gehören immer potente Vertreter der Fachhistorie an: Christian Meier, Reinhart Koselleck, Fritz Stern, Robert Darnton, Jacques Revel. Bedeutende, verantwortungsbereite Historiker haben sich immer wie- der von außen für das Kolleg mit ihren Vorschlägen und Verbindungen enga- HAROLD SCHIFF · EKKEHART SCHLICHT · WOLFGANG SCHLUCHTER · RAINER SCHMALZ-BRUNS ·

200 giert, Rudolf Vierhaus zum Beispiel. Joachim Nettelbeck ist als breit gebildeter Jurist und erfahrener Wissenschaftsadministrator vom Wert der Geschichte JÜRGEN überzeugt. Als wenig sichtbarer Planer, Motor und Implementierer hat er die Dynamik des Kollegs von Anbeginn entscheidend geprägt. K

O Die personelle Komposition der Leitung war also bisher der Geschichte C

KA nicht ungünstig. Doch dies ist nur einer der Gründe für den herkömmlicher- weise starken Stand der Fächergruppe am Kolleg, selbst wohl auch eher Indiz und Ausdruck als Ursache. Für eine Institution, die Wissenschaftler verschie- dener Fachangehörigkeit zusammenbringt, ihr Zusammenwirken fördert und auf ihre Verknüpfbarkeit in unterschiedlichen Formen setzt; für eine In- stitution, die Wissenschaft als Teil der Gegenwartskultur versteht und bei aller Anerkennung ihrer fachwissenschaftlichen Professionalität auch ihren Öffentlichkeitsbezug fördert; für eine Institution, die sich nicht nur der Pro- duktion, sondern auch der Repräsentation von Wissenschaft verschrieben hat, bieten sich historische Zugriffe und ihre Praktiker als besonders geeignet an. Denn (1) die Geschichtswissenschaft ist in sich merkwürdig ökumenisch geblieben. Während sich die meisten anderen Geistes- und Sozialwissenschaf- ten im 19. und 20. Jahrhundert kräftig ausdifferenziert, durchspezialisiert und abgegrenzt haben, mit unterschiedlichen Zuständigkeiten für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur (oder jeweils Teile davon), muss der Histo- riker, besonders (aber nicht nur) wenn er die Geschichte einer Epoche oder eines Landes synthetisierend behandelt, zu all dem etwas wissen und im Ge- spräch auch sagen – mit allen Gefahren und Chancen des kontrollierten Dilet- tantismus, aber auch mit ausgeprägter Anschlussfähigkeit an und Neugier auf die Nachbarfächer. Die Geschichtswissenschaft ist (2) ein Fach mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen in einem Spektrum, das von der hoch pro- fessionalisierten Quellenforschung und Spezialliteratur, die nur wenige Kol- legen interessant finden und beurteilen können, bis hin zum Essay und zum Medienbeitrag fürs breite, sehr breite Publikum reicht – von professioneller Selbstreferenzialität bis zur Feuilletonfähigkeit. Schließlich gehört die Ge- schichtswissenschaft (3) mit der Rechtswissenschaft zu jenen Fächern, die aus ihrer Funktion für Gesellschaft, Politik und Kultur Kapital zu schlagen versu- chen, auch indem sie sich öffentlich darstellen und stilisieren. Man kann das – früher stärker als heute, aber vielleicht kommt es wieder – an einzelnen Re- präsentanten des Faches ebenso beobachten wie durch den Vergleich des Zu- schnitts der Historikertage mit den jährlichen oder alle zwei Jahre stattfin- denden Tagungen anderer Fächer, soweit diese überhaupt solche Formen der öffentlichen Gesamtrepräsentation besitzen. Ihre eingebaute Interdisziplinarität und ausgeprägte Anschlussfähigkeit bei aller Spezialisierung, ihre Verpflichtung zum Öffentlichkeitsbezug trotz HERTA SCHMID · EBERHARD SCHMIDT-ASSMANN · PAULINE SCHMITT-PANTEL · CLAUDIA SCHMÖLDERS ·

Professionalisierung und eine gewisse Fähigkeit zur Repräsentation zusätz- 201 lich zur nüchternen, oft hemdsärmligen Produktion und Vermittlung von G

Wissenschaft machen die Geschichtswissenschaft – oder doch zahlreiche ihrer ES C

Vertreter – für eine Institution wie das Kolleg besonders interessant. Hinzuzu - HI C fügen ist, dass die Arbeitsweise von Historikern (keine Labors, meist keine HTE dichte Einbindung in Teams, transportable Produktionsmittel) vergleichsweise mobil macht.

Normal science und mehr

Aus der Perspektive des Faches wahrgenommen, hat das Kolleg nicht einsei- tig, sondern breit gefächert eingeladen. Zu den als Fellows berufenen Histori- kern gehörten Verbandspräsidenten und andere hoch etablierte Vertreter aus dem Kern der Profession wie auch bunte Gestalten, die im Feuilleton und auf der Buchmesse mehr zu Hause sind als in den Fachzeitschriften oder im Wett- bewerb um drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte. Das Spektrum ist breit und durchlässig am Rande, es spricht für die offene, oft unkonventionelle, aber gut informierte Vorschlags- und Auswahlpraxis der Institution. Blickt man genauer hin, zeigen sich systematische Präferenzen. Dazu ge- hört, dass das Kolleg in aller Regel mehr Interesse an ungewöhnlichen, riskan- ten, noch nicht etablierten Richtungen, Themen und Personen zeigt als an ‚normal science‘, am Croissant und an der Praline mehr als am nahrhaften Graubrot, aus dem ein Gutteil der Wissenschaft besteht. Das muss wohl so sein in einer Institution, die die Wissenschaft an Universitäten und Forschungs- instituten nicht duplizieren will und darf, die über ‚normal science‘ hinaus will und diese auch bisweilen zu verändern strebt, obwohl sie weiß, dass sie in ihr wurzelt, sie immer voraussetzt und letztlich auch in den Ergebnissen auf sie bezogen bleibt. Es ist dem Kolleg auch in der Geschichtswissenschaft be- merkenswert gut gelungen, riskanten Avantgardismus mit professioneller Bo- denhaftung zu verbinden oder doch immer wieder auszubalancieren, wenn es auch ausgedehnte Territorien und verbreitete Typen von Geschichtswissen- schaft und Geschichtswissenschaftlern gibt, die ihren Weg ins Kolleg nicht fanden und manchmal wohl auch nicht suchten. Auch chronologisch, regional und thematisch ist das Spektrum breit und vielfältig gewesen. Allerdings arbeitete mehr als die Hälfte der eingeladenen Historiker und Historikerinnen über Probleme des 20. Jahrhunderts, die Neu- zeit dominierte kräftig über Mittelalter und Altertum, soweit es die europä- ische Geschichte betrifft, die im Übrigen sehr viel öfter behandelt wurde als die Geschichte anderer Weltregionen und globaler Zusammenhänge. Darin wie im Wandel der thematischen Schwerpunkte über ein Vierteljahrhundert ALFRED SCHNITTKE · HANS-ULRICH SCHNITZLER · ALEXANDER SCHÖLCH · GERSHOM SCHOLEM ·

202 reflektiert die Arbeit des Kollegs im Bereich der Geschichte die Struktur, die Einseitigkeiten und die Konjunkturen eines Faches, das überall Neuzeit und JÜRGEN Zeitgeschichte privilegiert, das in Deutschland lange von nichtwestlichen Weltregionen wenig wissen wollte und das sich in den letzten Jahren rasant K

O verändert hat. Dass das Kolleg dennoch – wie gleich zu zeigen sein wird – bei C

KA der Auswahl von Personen und Themen wie auch bei der Konstruktion von Schwerpunkten und Konstellationen auch im historischen Bereich sehr viel mehr war und ist als ein bloßer Spiegel der Normalverteilung in seiner wis- senschaftlichen Umgebung, beweist seine Kraft, Bedeutung und besondere Rolle im Wissenschaftssystem.

Zeitgeschichte

Die Gründer des Kollegs haben es expressiv verbis in die Reihe der Bemühun- gen gerückt, sich den Folgen von Nationalsozialismus und Krieg zu stellen und etwa die dadurch „unterbrochenen Verbindungen zu wichtigen geistigen Strömungen wieder zu knüpfen, die teilweise bis heute in Deutschland unter- brochen sind“, so die vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossene Grün- dungsurkunde vom Oktober 1978. Wenn in der Folge häufig frühere Emigran- ten und ihre Schüler, jüdische und andere, eingeladen wurden, hängt dies mit diesem Auftrag zusammen. Auch die starke Präsenz israelischer Wissen- schaftler und Wissenschaftlerinnen wird man vor allem für die Anfangszeit in diesem Zusammenhang sehen. Für die Geschichtswissenschaft am Kolleg ergab sich aus diesem ausdrücklichen Bezug auf die deutsche Katastrophen- geschichte des 20. Jahrhunderts ein besonderes Interesse für Zeitgeschichte Deutschlands und Europas in kritischer Absicht, die in den 80er Jahren sehr stark vertreten war, aber auch später nicht ganz versandete. Neben deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte und Themen zur Ge- schichte der Juden in Deutschland und Europa fand die kritische Bearbeitung des Nationalsozialismus mit seinen Bedingungen, Folgen und europäischen Zusammenhängen lange im Kolleg besondere Aufmerksamkeit. Durch ent- sprechende Einladungspolitik hat sich das Kolleg klar positioniert. Als 1986 der Historikerstreit über den Ort des Holocaust in der deutschen Geschichte ausbrach, arbeiteten im Kolleg vier Historiker zu den Ausgangsbedingungen und dem Charakter des deutschen Faschismus wie auch über die Erinnerung an ihn und den Widerstand gegen ihn. Drei davon – Saul Friedländer, Wolf- gang Schieder und Heinrich August Winkler – nahmen im Historikerstreit öffentlichkeitswirksam gegen die Entsorgung der deutschen Geschichte und gegen die Relativierung des Holocaust Stellung. Saul Friedländer tat dies in einer grundsätzlichen Kritik an Andreas Hillgruber, Martin Broszat und vor CHARLOTTE SCHOELL-GLASS · BETTINA SCHÖNE-SEIFERT · KLAUS SCHREINER · ROBERT SCHULMANN · allem an Ernst Nolte im Kolleg-Jahrbuch von 1985/86. In der einen oder ande- 203 ren Form blieb die Thematik im Kolleg präsent, wenngleich rückläufig. G

Die Zäsur von 1989/90 hat dann nicht nur den Fellow-Jahrgang dieses Jah- ES C res beschäftigt, beeinflusst und z. T. von geplanten Arbeiten abgehalten, sie HI C holte auch die Zeitgeschichte für ein paar Jahre verstärkt ins Zentrum des HTE Kollegs zurück, das schon aufgrund seines Platzes zwischen West und Ost von Anfang an um Fellows aus den östlichen Nachbarländern geworben hatte – in Bezug auf Polen und später Ungarn bisweilen mit Erfolg. Gäste aus den öst- lichen Nachbarländern kamen nun in größerer Zahl. Probleme der DDR- Geschichte (z. B. durch Hartmut Zwahr, 1992/93) und sozialwissenschaftliche Probleme der Transformation und des Endes des Kommunismus erhielten viel Raum. Es ist bemerkenswert, wie rückläufig beide Thematiken, jedenfalls als deutsche Thematiken, heute sind. Man sieht es an der Auswahl der Fellows und ihrer Themen im letzten Jahrfünft. Der Zeithistoriker Ulrich Herbert, Fellow des Jahrgangs 2003/04, schrieb in seinem auf das Jahr zurückblicken- den Bericht: „Die deutsche Geschichte ist im Gespräch mit ausländischen Fel- lows nicht mehr das heimliche Hauptthema. Das war noch vor zehn Jahren ganz anders. Zwar gab es [auch in diesem Jahr, J. K.] häufiger Rekurse auf die NS-Zeit und selbst der obligate Apologie-Vorwurf gegenüber einem deutschen Fellow durfte auch diesmal nicht fehlen. Aber der obsessive Druck, den diese Thematik über Jahrzehnte ausübte, ist offenbar zurückgegangen. Nahostkon- flikt, Kolonialismus und Postkolonialismus, Christentum, Islam, Judentum – das waren die zentralen Themen in und nach den Kolloquien, und hier lagen die interessanten Kontroversen. Demgegenüber erstaunlich: die vollständige Abwesenheit von Kommunismus, Stalinismus und der Lage in den postkom- munistischen Staaten. Die Sowjetunion kam nicht vor. Hegel eher als Marx bestimmte die Debatten. Ernsthafte Auseinandersetzungen über die Legitimi- tät des realen Sozialismus sind obsolet; die Urteile stehen fest, selbst bei jenen, die der radikalen Linken lange nahe gestanden hatten. Auch das er- lebte man vor zehn Jahren noch ganz anders.“ Es wird in weiteren zehn Jah- ren wiederum anders sein.

Sozialgeschichte – Kulturgeschichte

Als das Kolleg 1981/82 begann, lag Sozialgeschichte noch hoch im Kurs, in Deutschland wie international. Unter den ersten fünf Historikern der ersten zwei Jahre hatten vier einen eindeutig sozialgeschichtlichen Schwerpunkt: Marian Biskup, Philippe Ariès, Shulamit Volkov und Mack Walker. In den fol- genden zwei Jahrzehnten hat sich die Sozialgeschichte durch Aufnahme hand- HELMUTH SCHULZE-FIELITZ · JAMES SCOTT · ABDELAHAD SEBTI · THOMAS D. SEELEY · WOLFGANG SEIBEL ·

204 lungs-, mentalitäts- und sprachhistorischer Dimensionen verändert; eine innere Erweiterung fand statt, nach heftigen Kontroversen, etwa um Alltags- JÜRGEN geschichte oder Konstruktivismus. Die Sozialgeschichte hat sich durchge- setzt, durch Eindringen in andere Teile der Geschichtswissenschaft, z. B. in K

O die Politik- und Ideengeschichte sowie in das, was man Allgemeine Geschichte C

KA nennt und in Synthesen oder Handbüchern besichtigen kann; dadurch verlor sie ihre Gegner und mit ihnen ein Stück Identität. Die Sozialgeschichte hat überdies – wie die Wirtschaftsgeschichte – an Boden verloren, vor allem an die Kulturgeschichte, in deren verschiedenen Varianten die Geschichte der Deutungen, deutungsgeleiteten Handlungen und symbolischen Praktiken, nicht aber der sozialen Strukturen und Prozesse wichtig sind, und die das Augenmerk stärker auf die Prägekraft von Bildern, Diskursen und Erinnerun- gen lenkt als auf deren nichtkulturelle Bedingungen und Folgen. Es gibt Gegen- tendenzen, vor allem in jüngster Zeit, aber dies war der Trend. Der spiegelt sich auch in der Auswahl- und Schwerpunktbildungspoli- tik des Kollegs, jedoch mit zwei wichtigen Abweichungen. Einerseits ging die Geschichte im Kolleg auch in den 80er Jahren nicht in Sozialgeschichte auf. Vom Kolleg gingen unter der Regie von Wolf Lepenies und Yehuda Elka- na wich tige Anstöße im Bereich der Wissenschaftsgeschichte aus, die sich im Wal ther Rathenau-Stipendienprogramm für Wissenschaftsgeschichte ver- dich teten und in den 90er Jahren in die Gründung des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte mündeten. Und das Kolleg lud auch schon in seinem ersten Jahrzehnt Historiker mit kulturgeschichtlichen Neigungen ein. Entsprechend suchte es sich seine Sozialhistoriker aus: Mit der Sozialge- schichte des Privaten befaßte sich Philippe Ariès (1982/83) und bezog Mentali- tätsgeschichte geradezu programmatisch ein. Peter Jelavich (1984/85) forschte über das Kabarett in der Weimarer Republik. Jutta Scherrer (1984/85) beschäf- tigte sich mit der Kultur der linken Bolschewiki in der Sowjetunion. 1986/87 wurde der Zunftaußenseiter August Nitschke geholt, der über Raumerfah- rungen und -wahrnehmungsweisen arbeitete. Reinhart Koselleck betrieb 1988/ 89 kaum noch Sozialgeschichte, vielmehr Begriffsgeschichte, und er befasste sich mit Todeserfahrungen, Kriegerdenkmälern und historischer Ikonogra- phie. 1989/90 bildete Anthropologie und Geschichte einen Schwerpunkt. Zu den Fellows dieses Jahres gehörten Rudolf Braun, Peter Burke, Robert Darnton und James Sheehan, durchweg Könner auf dem Gebiet der Verknüpfung von Sozial- und Kulturgeschichte. Ute Frevert beendete im Kolleg ihre Habilitation über das Duell und die Ehre der bürgerlichen Männer im 19. Jahrhundert. Indem es diese sozialgeschichtlich-kulturgeschichtliche Verknüpfung früh förderte, aus einem antipositivistischen, hermeneutisch-interpretativen Wis- sen schafts verständnis heraus, war das Kolleg seiner Zeit ein wenig voraus. THOMAS H. SELIGMAN · SAMAH SELIM · LAURENCE P. SENELICK · CARLO SEVERI · ELIF SHAFAK ·

Andererseits: In den 90er Jahren wurde diese Verknüpfung in sehr unter- 205 schiedlicher Form zur Regel, und die primär kulturgeschichtlichen Zugriffe G nahmen zu, ich nenne nur – unter vielen – Luisa Passerini (1992/93), Anthony ES C

Grafton (1993/94), Michael Werner (1995/96), Carlo Ginzburg und Stephen HI C

Green blatt (1996/97), der 2000/01 als Permanent Fellow berufen wurde und HTE mit dem Schwerpunkt Cultural Mobility prägend wirkte. Das lag und liegt, wie gezeigt, im Trend. Aber bemerkenswert ist, dass sich das Kolleg ihm nicht völlig anschloss, sondern immer wieder auch Fellows mit primär sozialge- schichtlichen, auch wirtschaftsgeschichtlichen Projekten einlud und einlädt. Ich nenne nur Gerald Feldman mit Arbeiten zur Geschichte der deutschen Unternehmen und Unternehmer im 20. Jahrhundert und Ingrid Gilcher-Hol- tey (1991/92) mit Studien zur 68er-Bewegung, Hans-Peter Ullmann (1994/95) mit seiner Geschichte der öffentlichen Finanzen, Klaus Bade und Pieter C. Emmer (2000/01) mit ihrem großen Projekt über Migrationen, Hartmut Berg- hoff (2002/03) als Unternehmenshistoriker und Hermann van der Wee (2003/ 04) mit seiner Geschichte der Belgischen Nationalbank. Auch sei an das Projekt Economics in Context seit 1996 erinnert. Es ver- suchte, Ökonomen zur Kooperation mit anderen Wissenschaftlern zu gewin- nen und damit Beiträge zur Kontextualisierung der Wirtschaftswissenschaften zu leisten. Ashok Desai (1993/94), Hans-Jürgen Wagener (1999/2000) und Ekke- hard Schlicht (1997/98) halfen mit. Nicht immer gelang dieser Versuch. Öko- nomen sind nur schwer einzubeziehen, die Ökonomie ist ein stolzes Fach, dessen Vertreter die Hilfe anderer Disziplinen nicht nötig zu haben glauben. Am weitesten gedieh dieser Versuch, als Wirtschaftler und Wissenschaftsthe- oretiker durch die Initiative eines Wirtschaftshistorikers kooperierten: Hans- Jörg Siegenthaler leitete 1998/99 eine lang vorbereitete Arbeitsgruppe über theoretisch-kulturelle Grundlagen ökonomischer Rationalität. Die Ergebnisse lassen sich seit kurzem nachlesen. Damit kein Missverständnis entsteht: Sehr viele Fellows und Themen der letzten zwei Jahrzehnte sind auf dieser Achse Sozialgeschichte – Kulturge- schichte nicht einzuordnen, weil sie quer dazu oder in Indifferenz dazu den- ken und schreiben. Doch die Kontroverse um und zwischen Sozial- und Kul- turgeschichte gehört zu den großen Kristallisationspunkten im ansonsten oft amorphen, schwer zu konturierenden Fluss der Geschichtswissenschaft der letzten 20 Jahre. Das Kolleg ist zweifellos in Deutschland einer der zentralen Orte gewesen, an dem das Verhältnis zwischen beiden nicht dichotomisch zertrennt, sondern immer wieder neu und produktiv ausgehandelt wurde. Seit ein paar Jahren hat die kulturalistische Flut ihren Höchststand hinter sich gelassen, die Kontroverse klingt ab. Die heute zentrale Debatte über Transnationalisierung und Transregionalisierung verläuft quer dazu. YONATHAN SHAPIRO · WILLIAM SHEA · JAMES J. SHEEHAN · ABDUL SHERIFF · SARA J. SHETTLEWORTH ·

206 Fernkompetenz

JÜRGEN Bis zur Mitte der 1990er Jahre befassten sich die historischen Projekte der Fel- lows fast ausschließlich mit Problemen europäischer Geschichte, dies mit K

O Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Mitteleuropa mit Ausgriffen nach C

KA Westen und Osten, kaum nach dem Süden, nie nach dem Norden. Die Fellows kamen fast durchweg aus europäischen, israelischen und US-amerikanischen Institutionen. Mitte der 90er Jahre entstand ein kleiner Schwerpunkt zur indi- schen Geschichte, u. a. mit Shahid Amin (1992/93) , Ramachanda Guha (1994/ 95) und Tapan Raychaudhuri (1997/98). Parallel dazu wurde 1994/95 der Ar- beitskreis Moderne und Islam gegründet mit der bald realisierten Absicht, verstärkt Wissenschaftler aus islamisch geprägten Ländern zu Gast zu haben, darunter auch Historiker. 1996/97 arbeitete Jürgen Osterhammel über chine- sisch-europäische Beziehungen im 18. und 19. Jahrhundert am Kolleg, der wohl wichtigste Pionier der Global History in Deutschland. Der Durchbruch zur – im Sinn der Verknüpfung von Weltregionen – transregionalen, die Kon- zentration auf den Westen transzendierenden Geschichte, gelang im Rahmen von AGORA. Das war ein Versuch, in zweieinhalb Jahren (Mitte 1998 bis An- fang 2001) mit einer eigens dafür rekrutierten Gruppe jüngerer Fellows aus verschiedenen Kontinenten und unter engagierter Mitarbeit der Permanent Fellows über drei Grundprobleme unserer Zeit – die Zukunft von Arbeit, Wis- sen und (sozialer) Bindung – zu arbeiten und dabei aus der Perspektive ferner Gesellschaften und ferner Kulturen zu neuen Fragestellungen und Ergebnis- sen zu gelangen. Es war ein abenteuerlich-ungenaues, ungemein vielstimmi- ges und ambitiöses Projekt, dessen heterogene Ergebnisse mittlerweile in vier Bänden und einem Supplementband 2000 bis 2003 ver öffent licht worden sind. Es bot zahlreiche Möglichkeiten für Missverständnisse, aber auch für anregende Kooperationen über Fachgrenzen hinweg und damit auch zur Ver- knüpfung geschichtswissenschaftlicher Ansätze mit jenen anderer Geistes- und Sozialwissenschaften. Vor allem machte die Gruppe Ernst mit der Frage nach den Verflechtungen, den meist asymmetrischen Wechsel- und Abhän- gigkeitsbeziehungen zwischen Teilen des Westens und anderen Teilen der Welt, über Landes- und Zivilisationsgrenzen hinweg. Es war vor allem die Soziologin und Ethnologin Shalini Randeria (1990/91, 1999/2000), die Anregungen aus der indischen und der anglo-amerikani- schen Diskussion aufgriff und im Geist der Post-colonial Studies mit dem Be- griff der entangled histories ein Programm der transregionalen Verflechtungs- geschichte entwarf, das auf die Arbeit der Gruppe und bald auch darüber hinaus Einfluss gewann. Sie und Sebastian Conrad gaben 2002 den Band ‚Jen- seits des Eurozentrismus‘ heraus und kündigten ihn folgender maßen an: „Dieser Band versteht sich als ein Plädoyer dafür, die europäische Geschichte DEBORA SHUGER · DAVID SHULMAN · RICHARD A. SHWEDER · ATUHIRO SIBATANI · im transnationalen Kontext von Kolonialismus und Imperialismus neu zu 207 denken. Die europäische Expansion hat nicht nur die kolonisierten Gebiete G verändert; vielmehr ist auch die europäische Entwicklung nicht ohne die in- ES C tensiven Austauschprozesse zu verstehen, die die kulturelle, politische und HI C

öko nomische Moderne überhaupt erst hervorgebracht haben. Der Band ver- HTE steht sich daher auch als Beitrag zu einer Genealogie der sich globalisieren- den Welt.“ Seit einigen Jahren hat international und auch in Deutschland die Suche nach transnationalen und transregionalen Ansätzen zur Untersuchung histo- rischer Zusammenhänge über nationale, regionale und kulturelle Grenzen hinweg erheblich zugenommen. In dieser Suche schlägt sich die Erfahrung beschleunigter Globalisierung seit den späten 1980er Jahren nieder. Seine ideenpolitische Brisanz gewinnt diese geschichtswissenschaftliche Bewegung aus den praktischen Problemen, die sich gegenwärtig im gespannten Ver- hältnis zwischen dem Westen und einigen nichtwestlichen Teilen der Welt entwickeln. Grenzüberschreitungen aller Art haben unter Historikern Hoch- konjunk tur. Vieles bleibt noch sehr programmatisch, auch in dem sich neu entwickelnden Feld der Globalgeschichte oder Weltgeschichte. Die Debatte ist lebhaft. Zur Realisierung wird man historische Komparatistik und Verflech- tungsgeschichte verbinden müssen. Jedenfalls mobilisieren Fragen und For- schungen in diesem Umkreis gegenwärtig das engagierteste Interesse vieler jüngerer Historiker und Historikerinnen. Sie sind davon fasziniert wie die Jüngeren der 1960er und 1970er Jahre von der Sozialgeschichte (mehr dazu: Jürgen Kocka, ‚Sozialgeschichte im Zeitalter der Globalisierung‘, in: Merkur, April 2006, S. 305–316). Die Projekte des Kollegs haben diese intellektuelle und wissenschaftliche Bewegung nicht nur reflektiert und begleitet, sondern auch angestoßen, beeinflusst und vorangebracht.

Effekte

Darüber hinaus lässt sich nicht so einfach zusammenfassen, was 25 Jahre Wissenschaftskolleg für die Geschichtswissenschaft erbracht haben. Im Kol- leg wurde an großen Werken gearbeitet, ich nenne nur Ian Kershaws Hitler- Biographie und Hans-Ulrich Wehlers Gesellschaftsgeschichte, auch als Bei- spiele dafür, dass in der Geschichtswissenschaft besonders eindrucksvolle und nachhaltige Werke weiter von Einzelnen verfasst werden, die dafür vor allem dies brauchen: eigene Zeit, bibliothekarische Dienste und ein den Ideen günstiges Klima. All dies findet man im Kolleg mit seinen hochkompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, seinen exquisiten Räumen und seiner privilegierten Umgebung, wenn man es wirklich will und sich zu konzentrie- HANSJÖRG SIEGENTHALER ·THOMAS SIEVERTS · SHLOMO SIMONSOHN · KIRSTI SIMONSUURI ·

208 ren weiß – die regelmäßig veröffentlichten Arbeitsberichte der Fellows bezeu- gen es. JÜRGEN Aber die große geschichtswissenschaftliche Leistung braucht eben auch anderes: Zeiterfahrungen und das Gespräch mit den anderen. Was Berlin an K

O erfahrbarer, beobachtbarer, kaum zu verdrängender Geschichte in den Me- C

KA dien der Architektur, der Erinnerungsorte, des öffentlichen Lebens, politischer Symbolik und gebrochener Ästhetik bereit hält, hat sich im letzten Viertel- jahrhundert geändert, aber nicht abgeschwächt. In keinem anderen Institute for Advanced Study auf der Welt können Historiker intensiver zugleich Zeitge- nossen sein als in Berlin. Das dürfte in der Regel langfristig auch der fachwis- senschaftlichen Leistungskraft nützen, auch wenn es kurzfristig ablenken und dazu führen mag, statt über Zensur im Frankreich des 18. Jahrhunderts über den „letzten Tanz auf der Mauer“ zu schreiben, wie es Robert Darnton 1989/90 widerfuhr (‚Der letzte Tanz auf der Mauer. Berliner Journal 1989/90‘, München 1991). Ähnlich verschob zehn Jahre später Fania Oz-Salzberger ihre Studien über die Aufklärung im Berlin des 18. Jahrhunderts hin zu eindringli- chen Beobachtungen des gegenwärtigen Berlin als eines durch Erinnerung bedrückenden und zugleich durch Möglichkeiten faszinierenden Aufent- haltsorts für Israelis (‚Israelis in Berlin‘, Frankfurt 2001). Vor allem aber wirkt das Kolleg auf Historiker als Ort der Ablenkung, Er- neuerung und Re-orientierung durch Kommunikation mit Historikern ande- rer Richtungen, Wissenschaftlern anderer Fachzugehörigkeit und Mit-Fellows unterschiedlichen Profils. Darüber liest man in den Arbeitsberichten vor allem, davon sprechen Kolleginnen und Kollegen besonders, wenn man sie nach Jah- ren im Rückblick fragt, was das Jahr im Kolleg für sie erbracht hat. Zwar ist einzuräumen: Die zum Kolleg gehörende Kommunikation über Fachgrenzen hinweg hat ihre problematischen Seiten, die der Greifswalder Alt-Historiker Egon Flaig in seinem Arbeitsbericht unter dem Titel „Paraphysik des Sprin- gens“ (Jahrbuch 2003/04) aufs Korn nimmt, wenn er die „freundliche Ungenau- igkeit“ der Konversation am Mittagstisch und den mangelnden Tiefgang der heterogenen Dienstagskolloquien kommentiert: „Zwanzig interdisziplinäre Vokabeln erlauben jedem, zu jedwedem Thema irgendetwas zu sagen. Jargo- nale Leerläufe gibt es überall; aber intradisziplinär lassen sie sich leichter sanktionieren als interdisziplinär.“ Aber Flaig berichtet dann doch über „kost- bare Gespräche“ und „mannigfaltigste Anregungen“, die hoffentlich den be- vorstehenden Absprung in die universitäre Alltäglichkeit überstehen, und er sieht voraus, dass sein Universitätsalltag nach dem Jahr am Kolleg ein anderer sein wird. Dies dürfte – bei vielen, nicht allen, und bei jedem anders – der wich tigste Effekt sein, den das Kolleg auf die eingeladenen Historiker und Historikerinnen – und damit auf das Fach insgesamt – ausgeübt hat, wenn es gut ging. STEPHEN J. SIMPSON · YA. G. SINAI · MAHENDRA PAL SINGH · SOMDATTA SINHA · EMMANUEL SIVAN ·

Der Tübinger Historiker Dieter Langewiesche hat es in Bezug auf sein Jahr 209 im Kolleg sehr treffend formuliert (Jahrbuch 1994/95): Das geplante Hand- G buch über ein Stück deutscher Geschichte habe er zwar nicht geschrieben, ES C aber das Kolleg, die Fellows „haben mich auf andere Gedanken gebracht, mir HI C andere Themen wichtiger werden lassen und neue Perspektiven in vertraute HTE Gebiete gebracht. Was sich daraus entwickeln wird, weiß ich noch nicht, wenngleich die Richtung erkennbar ist: Es geht um die Wirkkraft kultureller Prägungen in der Geschichte. Diese Sicht auf die Vergangenheit ist nicht neu für mich, aber sie wurde am Wissenschaftskolleg in neuer Weise lebendig, erfahrbar im Zusammenleben mit Fellows aus anderen Kulturkreisen, mit anderen Traditionen und anderen Vorstellungen von dem, was als normal gilt. Bereit und fähig zu sein, sich unvoreingenommen auf das Fremde einzu- lassen, sollte eigentlich die Kardinaltugend von Historikern sein. Es wird je- doch niemanden überraschen, dass das Verhältnis der Historiker zur Tugend nicht anders aussieht als bei anderen Menschen. Das Wissenschaftskolleg wirkte hier wie ein Tugendwächter – tolerant wie stets, aber doch hartnäckig durch die bloße Präsenz. Denn am Wissenschaftskolleg mit Fellows aus aller Welt eine Zeitlang zusammenleben zu dürfen, ist wie eine ständige Erinne- rung an diesen Kern des professionellen Tugendkatalogs der Historiker: das Fremde ernst nehmen. … Man sollte einmal die Veröffentlichungen von Alt- fellows daraufhin lesen, ob ihr Gespür für das Fremde am Wissenschaftskol- leg zu Berlin gewachsen ist. Ich bin optimistisch“.

Stephen Greenblatt Against Exceptionalism: Literary Studies in Dialogue

The first and crucial thing to say about literary studies at the Wissenschafts- kolleg is that they are not the only game in town. They take their place – an honorable but by no means dominant one – alongside other disciplines, some like philosophy or history relatively similar in their preoccupations, others like neuroscience or the study of insect vision quite far away. This is, of course, the condition of all the intellectual fields in the Kolleg, so it would be possible to ask a literary scholar, in the words of Hamlet’s mother: “Why seems it so particular with thee?” The answer, at least for some of those who have pursued literary projects at the Kolleg, has to do with intellectual currents that shaped the discipline more than half a century ago. In their 1946 essay, ‘The Intentional Fallacy,’ the philosopher Monroe Beardsley and the literary critic William Wimsatt pro- claimed that “Judging a poem is like judging a pudding or a machine.” This influential pronouncement was a homespun, genially American way of articu- lating and institutionalizing principles that had emerged from Russian for- malism, Prague structuralism, and other avantgarde theoretical movements of the early twentieth century. Questions about the biographical matrix, the social context, the anthropological implications, or the historical contin- gency of the work of art were deemed largely beside the point. What mattered was to understand literature’s internal construction, the devices that enabled a struc ture of words to differentiate itself from the surrounding world and achieve the autonomy conferred upon lite rary language. To investigate the life and times of the artist might prove mildly amusing, but in the end it was as irrelevant as attempting to judge the quality of a pudding by investigating the marital status or the political opinions of the cook. The dream of literary autonomy – and of a literary criticism that pays hom age to this autonomy – extends much further back in time. It was articu- la t ed, for example, in Schiller’s stirring celebration of an aesthetic freedom that depended on what he called the annihilation of the material in a work of art: PETER VON SIVERS · GRAZYNA SKAPSKA · QUENTIN SKINNER · PIOTR SKUBISZEWSKI · VLADIMÍR SLAPETA ·

212 “In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles tun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, S TE durch den Inhalt nur auf einzelne Kräfte gewirkt. Der Inhalt, wie erhaben P HEN und weitumfassend er auch sei, wirkt also jederzeit einschränkend auf den

G Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische Freiheit zu erwarten. Darin REENBLATT also besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt (…).” (‘Über die Ästhetische Erziehung des Menschen,’ 22. Brief) [The content should do nothing, the form everything; for the wholeness of Man is affected by the form alone, and only individual powers by the content. However sublime and comprehensive it may be, the content always has a restrictive action upon the spirit, and only from the form is true aesthetic freedom to be expected. Therefore, the real artistic secret of the master con sists in his annihilating the material by means of the form. (‘On the Aesthetic Education of Man’)] And in the late sixteenth century, Sir Philip Sidney, comparably exalting the freedom of the artist, distinguished between the poetic imagination and all other intellectual disciplines. “There is no art delivered to mankind that hath not the works of nature for his principal object,” Sidney wrote, “without which they could not consist, and on which they so depend, as they become actors and players, as it were, of what nature will have set forth.” To be an actor or player is, for Sidney, the antithesis of autonomy, the epitome of an absolute dependence on the commands of another. This dependence is, he goes on to say, the inescapable, defining condition of the historian, the astronomer, the geometrician, the arithmetician, the musician, the natural and moral philos- opher, the lawyer, the grammarian, the rhetorician and the logician, the physician and the metaphysician. There is but a single exception: “Only the poet, disdaining to be tied to any such subjection, lifted up with the vigor of his own invention, doth grow in effect another nature, in making things either better than nature bringeth forth, or quite anew, forms such as ne v- er were in nature, as the Heroes, Demigods, Cyclops, Chimeras, Furies, and such like; so as he goeth hand in hand with nature, not enclosed within the narrow warrant of her gifts, but freely ranging only within the zodiac of his own wit.” Unique among artists, the poet refuses any dependence upon nature, a dependence that he regards as a form of “subjection.” The aristocratic disdain that animated Sidney’s words and the roman tic fervor that animated Schiller’s inevitably gave way, on the familiar We berian principle of the “routinization of charisma,” to a more orderly and ordina ry social understanding of the special status of literature. And that understan d- ing formed the basis of the institutional arrangements that cha rac terized most departments of literature, as they emerged in the modern research UZY SMILANSKY · PAMELA H. SMITH · REUVEN SNIR · FRANCIS SNYDER · ALFONS SÖLLNER · university, and helped shape the scholarly work produced by the members of 213 those departments. Hence a conviction that imaginative literature stands L apart, in some significant way, from other human endeavors has motivated STUDIES ITERARY many, though by no means all, of the literary scholars who have been Fellows at the Wissenschaftskolleg. This shared professional conviction helps to account for some of the excitement and for the special challenge for literary scholars posed by a year on Wallotstrasse. The Wissenschaftskolleg has, of course, no programmatic quarrel with the claim to aesthetic autonomy or with even the strictest for- malism in the service of that claim, any more than it has a programmatic quarrel with other methodological approaches to literature. Indeed several of the Fellows have been among the most distinguished contemporary expositors of formalism. But the experience of the Kolleg – not only the Tuesday colloquia and other scheduled events but also the everyday encounters in the dining room and the informal, improvised discussions – is a sustained questioning of all disciplinary exceptionalism, including the exceptionalism of the literary. The questioning does not have to be officially conducted by anyone; it is implicit in the whole design of the Wissenschaftskolleg. For that design – the interdisciplinarity, the culture of extended conversation, the simple fact of a diverse group living together for so long a time in a world where the ordinary institutional structures and obligations are suspended – virtually compels a rethinking of the boundaries and the enabling assumptions of every disci- pline, and certainly of the discipline of literary studies. Indeed the way in which the Kolleg conceives of literary studies itself already calls into question the institutional arrangements that ordinarily func tion to keep different faculties apart. The Kolleg groups together as ‘Lite- raturwissenschaften’ the fields of Komparatistik, Germanistik, Anglistik, Ro- manistik, Hispanistik, Slawistik, Sinologie, and Klassische Philologie. In these fields between 1981 and 2004 there have been about eighty Fellows, roughly comparable to the number of philosophers and to the Fellows in biology and medicine. While by no means the largest group – historians constitute the lar g est single discipline represented at the Kolleg -- the cohort of literary scholars is substantial, all the more so if we add to the total some of the scholars listed in different categories, such as Islamic studies, linguistics, anthropology, theo lo gy, art history, and history, who have pursued topics of literary interest. (Among them, for example ‘Fragmente aus der Bühnenmusik zu Goethes Faust’; ‘Inventing Private Space: Samuel and Mrs. Pepys in Their New Home, c. 1662’; ‘Satiriker in der Sackgasse – Das Berliner Kabarett in der Weimarer Ära’; ‘Archäologie der literarischen Kommunikation’; ‘Schön und Korrekt. Sozialwissenschaften und Literatur seit der Aufklärung’; ‘Cardano’s Cosmos’; ‘The Writing of History’; ‘Distance and Perspective: Reflections on Two NICOLAUS SOMBART · ABDOLKARIM SOROUSH · YASEMIN SOYSAL · TILMAN SPENGLER ·

214 Metaphors’; and so forth. And to these we should add the significant number of writers – poets, novelists, literary journalists, and the like – who have also S TE been Fellows over the past twenty-five years. P HEN The Wissenschaftskolleg then has from its inception evinced a serious

G commitment to literary studies, but it is a commitment whose hallmark is its REENBLATT breadth of focus. Of course, certain fields – Classics, Philology, and American Studies all come immediately to mind – have long been organized around methodological principles and objects of interest quite different from those that characterize literary studies having as their principal focus imaginative writers of canonical stature. Hence if one glances at some of the projects grouped together as ‘literary’ over the past twenty-five years in the Kolleg, one finds a dazzling, even bewildering array of topics and approaches. In 1996/97, when I was a Fellow, none of the others who were designated as pursuing literary studies would have occupied the same building (in either a literal or metaphorical sense) where I currently work at Harvard or where I worked for many years at Berkeley. Louis van Delft, who was writing on French moralists in the seventeenth and eighteenth centuries, would have had his office in the French Department, and his object of study would have been un- derstood as sitting somewhere to the side of imaginative literature. Efim Et- kind, who was completing a study of Russian prose fiction, would have been located in the Slavic Department. Jens Malte Fischer, whose study of Wagner’s notorious ‘Das Judentum in der Musik’ generated much excitement and con- troversy that year, would have found his home in the Music School or in the Performing Arts program. And Peter von Moos, who was working on the con- cepts of public and private in the Middle Ages, might have had his office in any number of departments – History, Philosophy, Medieval Studies, or even Classics – none of which would have been conventionally understood as en- gaged in literary studies. This emphasis on diverse physical locations in the home institution may seem frivolous, but it is not: the colleagues one sees and talks with every day turn out to make a significant difference in the whole unfolding of an intel- lectual career. Literary scholarship constantly reinforces and, in a sense, reas- sures itself by generating variations on the same familiar set of projects. To be sure, many of the projects that have been pursued at the Kolleg are consonant with the dominant aesthetic preoccupations and theoretical concerns of literature departments: ‘Goethe: Lebensräume und Todesraum’; ‘Goethes Ro- man ‘Die Wahlverwandtschaften’ und die Chemie’; ‘Musikalisches, märkische Rüb chen und sehr ernste Betrachtungen über das Leben: Goethe kor res- pondiert mit Carl Friedrich Zelter’; ‘Versinke doch – ich könnt’ auch sagen: Steige! Einladung zu einer Reise in heute etwas abgelegene Gefilde mit Goe- thes Faust II’; ‘Goethe, Paestum and the Need for a New Biography’; ‘Entste- KURT R. SPILLMANN · GERD SPITTLER · WOLFGANG SPOHN · DANIEL T. SPRENG · PATRICIA SPRINGBORG · hungskontext und Aktualität von Goethes Idee der Weltliteratur’. To this 215 impres sive evidence of Goethe’s continuing centrality, one could add projects L on Schiller, Lessing, Kleist, Musil, Thomas Mann, and Celan, along with Aeschy- STUDIES ITERARY lus, Donne, Shakes peare, Arabic poetry, Persian poetry, the Bildungsroman, the nine teenth- cen tury novel, the realist novel, and other more or less famil - iar topics of literary interest. One could add as well ‘Fictionality, Reference and (Re)-Presentation in Literature’; ‘Drama als Spiel reflektierter Erwartun- gen’; ‘Zu Paul Celan und seinem Zyklus ‘Atemkristall’; ‘Bildungsbücher. Zur Entsteh ung und Funktion des deutschen Bildungsromans’; and ‘Wiederho - lung als ästhetisches Prinzip.’ The Goethe who is so well-represented in research projects, particularly during the first decade, is also the figure who symbolizes the catholicity – the enormous range of interests and methodologies – that characterize the over- all conception of literary studies at the Kolleg. “Vielleicht überzeugt man sich bald,” Goethe wrote in 1826, toward the end of his long life, “daß es keine pat- riotische Kunst und patriotische Wissenschaft gebe. Beide gehören, wie alles Gute, der ganzen Welt an und können nur durch allgemeine, freie Wechsel- wirkung aller zugleich Lebenden, in steter Rücksicht auf das, was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden.” [“Perhaps people will soon be persuaded that there is no patriotic art and no patriotic science. Both belong, like everything good, to the whole world and can be promoted only through general, free interaction among all who live at the same time.”] For Goethe, the emblem of this Weltliteratur – which he conceived of as a cease- less process of exchange across the borders of nations and cultures -- was his ability to pick up and be drawn into a Chinese novel. Absorbed in the lives of characters who superficially seem so entirely different, the reader experi- ences a surprising at-homeness; an apparently unbridgeable distance van- ishes, and “man fühlt sich sehr bald als ihres Gleichen.” [“One very soon feels oneself as one of them.”] This experience – the sense of entering an alien world and eerily feeling oneself at home in it, or, alternatively, the sense of being addressed directly and personally, by people you could not possibly have known, from a world entirely alien to your own – is at the heart of literary culture. It helps to ex- plain the ease and the seeming naturalness of the shift, in the choice of Fel- lows in literary studies, from the initial central emphasis on Germanistik, with a particular focus on Goethe, to the much wider range of national lite r- ary cultures and global literary movements that are represented from the 1990s onward. (An appropriate sign of this shift, given Goethe’s example, might be the slightly anomalous inclusion of sinology in the Kolleg’s concep- tion of literary studies.) MANDYAM V. SRINIVASAN · BARBARA STAFFORD · CHRISTIAN STARCK · MICHAEL STATHOPOULOS ·

216 In the spirit of Goethe, one should add to any account of literary studies at the Wissenschaftskolleg the sustained and sustaining presence of distin- S TE guished poets, dramatists, and novelists, as well as non-fiction writers. It was P HEN during his stay at the Kolleg that Imre Kertész received his Nobel Prize in Liter-

G ature. Rolf Hochhuth, Mario Vargas Llosa, Hans Magnus Enzensberger, Péter REENBLATT Esterházy, Wolf Biermann, Adonis, and Kenzaburo Oe are among the many creative artists who have brought their astonishing gifts to the life of the Kol- leg. And for an American literary scholar, at least, it is not creative artists who represent something truly surprising so much as it is literary journalists writ- ing with a sophistication, complexity, and depth that find very few outlets in US newspapers and magazines. For those outside their cultural orbit, the feuille tons are among the most exotic of German (and Austrian and Swiss) cultural phenomena, and the presence at the Kolleg of public intellectuals with a broad grasp of contemporary literature, literary theory, and criticism has played a significant role in the creation of a cross-cultural and cross-disci- plinary conversation. That conversation, as I have already suggested, reaches across national bor- ders, across differing conceptions of what constitutes literature, and across diverse, often opposing methodological approaches to the text. It also reaches across distinctive forms of training, professional authority, and voice. There is at the Kolleg an interesting, recurrent interplay – a peculiar mutual regard, mingling irony and longing -- between literary scholars who possess massive, seemingly boundless learning in an array of ancient and modern languages and literary scholars whose venturesomeness, quirkiness, and intimate, per- sonal presence in their work often startles those of more traditional training and formation. My account has focused thus far almost entirely on relations within the field of literary studies, broadly defined. But the most significant conversa- tions facilitated by the Kolleg, in my experience at least, have been with schol- ars from other fields. There are, of course, distinct limitations in invoking per sonal experience – mine, after all, may not be at all representative – but I do so from the firm conviction that the impact of the Kolleg upon literary studies depends on the actual, detailed quality of specific interactions in any given year, not on a statistical summary or list of topics. That is, one cannot really get at the place of literary studies at the Kolleg without examples of lived experience. In my case, in 1996/97, that experience involved grasping for the first time, thanks to the work of a group of scientists working on insect vision, some of the biological complexities of perception, and in particular of foveation, the ability to focus sharply on something in the perceptual field while leaving the rest of that field in a kind of blur. The cellular mechanisms were beyond my complete comprehension – though I will never forget the JOHN R. STEEL · RONALD STEEL · ERIC STEIN · MONIKA STEINHAUSER · GUNTHER S. STENT · poor fly, fixed in place for observation in a wind tunnel that created the illu- 217 sion that it was still navigating its way through the world – but the phenome- L non of foveation has remained for me a fruitful way of understanding certain STUDIES ITERARY of the challenges of literary interpretation. In the course of the year there were many other, comparable encounters, unexpected conjunctions that turn ed out to bear useful long-term consequences for my own literary inter- ests: from suggestive speculations on the evolutionary purpose of the pea- cock’s tail to ferocious arguments over the alleged ethnic content of certain musical phrases to irenic claims for the compatibility, in India, of intense reli- gious piety and tolerance. Above all, there was the impact of extended and for me intellectually transformative conversations with two historians, Valentin Groebner and Carlo Ginzburg, and with the philosopher, Bernard Williams. It is tempting to explain this impact as the consequence of the common ground that we already occupied before coming to the Kolleg. With Groebner and Ginzburg, a substantial link had been forged ahead of time by our shared interest in Early Modern culture and society, and with Williams by our shared interest in the ethical implications of literature. But the intellectual signifi- cance for me of our time together in Berlin was more pervasive than the phrase ‘shared interest’ suggests; it depended on daily interaction and the constant exchange of work and ideas. That is, the experience was precisely not like sim- ply reading an interesting book, but rather like being enabled, in the course of long walks, and bicycle rides, and extended lunches, to think about one’s literary critical work from the very different perspective of a historian or a philosopher. This awareness of difference, perceived with increasing clarity during a year of continual interaction, is at least as important – and at least as valuable -- as the awareness of commonality. Thus, in 2003/04 (when I had the rare oppor- tunity of a second year at the Kolleg), an informal seminar on Lucretius’ ‘De rerum natura’ was fascinating in part because the two marvelously learned, subtle, and informative classicists, Christof Rapp and Christoph Horn, had virtually no interest in the aesthetic questions that goaded the participants from the fields of literature and art history. Similarly, the focus group that I chaired that year, on ‘Cultural Mobility,’ posed the challenge of disciplinary difference in the most strenuous terms. The five of us in the core group pulled in radically distinct directions: an Americanist (from Germany) whose re- search focused on 19th-century German travelers’ responses to African slavery in the United States; a historian (from Bulgaria) who worked on business trav el to the West during the Communist period; a sinologist (from Hungary) who studied domestic mass tourism in contemporary China; a historian (from Croatia) who worked on Jesuits in South India during the sixteenth century; and a literary critic (from the United States) who divided his time between a JOHN W. B. STEWART · RUDOLF STICHWEH · HEINRICH VON STIETENCRON · VICTOR I. STOICHITA ·

218 biography of Shakespeare and a study of early fifteenth-century Italian human- ism. In the course of the year we deepened our understanding of our shared S TE concern with mobility, in its most literal as well as metaphoric senses, and we P HEN slowly formulated a set of principles with which we hoped we might launch a

G new intellectual field of mobility studies. But our differences of expectation REENBLATT and perspective may, if anything, have intensified as our conversation devel- oped, and we learned at least as much from our disagreements as from our moments of collective assent. What such disagreements mean, among other things, is that, although the place of literary studies at the Kolleg has been considerable, one cannot take the significance of their presence for granted. After all, the fact that liter - ary studies derive much stimulation from their interaction with other disci- plines is not in itself an argument for their importance or indeed for their presence at all. What overall contribution do literary studies make? Why should the Kolleg have invested in literature? The answer in part has to do with the Kolleg’s long-standing commitment to beauty, to the creations of the human spirit. Some literary scholars have, in recent years, resisted such a characterization, since aesthetic pleasure has often been invoked only to belittle or dismiss its significance. Art is agreeable, the dismissive argument would go, but only in the way that the beautiful flow er arrangements that grace the entry hall of the Kolleg are beautiful: one is grateful for them, one appreciates them, but one could live without them. But it would be a mistake to treat aesthetic pleasure as insubstantial or dispen- sable. Would one actually want to live without flowers, or poetry, or paintings, or concerts – all of which have a privileged place within the architecture, itself aesthetically pleasurable, of the Kolleg? If we do not think of pleasure as neg- ligible, trivial or dispensable, if we do not reduce everything to the strictly and narrowly instrumental, then it is easy to understand why literary studies regularly have a significant place. An appreciation for literature is part of what it means, at least for many people, to live a fully realized inner life. This pleasure would probably suffice as an answer to the question of why literary studies play a significant role at the Kolleg, but it is not the whole story. One aspect of literary studies is an acute attention to persuasion, to the skills of rhetoric that occupy a particularly important place at the Kolleg be- cause of the colloquia and lectures. These events insist that all scholars, how- ever specialized and arcane their disciplines, try to convey their research in a powerful and persuasive way to a public. To do so, these scholars inevitably use – whether consciously or not -- many of the devices that literary scholars study. This helps to account, perhaps, for the curious fact that, at least in the small sphere of my personal observation, literary scholars are unusually pre- sent as active participants in many of the question periods. It also may help to VERENA STOLCKE · BIRGIT STOLT · PETER STOLTZENBERG · HERBERT A.STRAUSS · WOLFGANG STREECK · account for the ability of a literary scholar, Reinhart Meyer-Kalkus, to enter 219 deeply, in his role as the Kolleg’s academic coordinator, into so many, diverse L projects. STUDIES ITERARY But an acute interest in rhetoric is also not sufficient to explain the role of literary studies in the life of the Kolleg. What perhaps is most revealing is the peculiar place that literature has in the work of many of the scholars at the Kolleg who are not specialists in literature: I have already mentioned Bernard Williams and Carlo Ginzburg, and I could add many others, including Wolf Lepenies, Robert Darnton, Robert Pippin, and Beate Roessler. For such schol- ars literature is not a grace note, an agreeable decorative background, or a valuable source of rhetorical cunning; it is a central object of attention. Why should this be so? For centuries the question has haunted philosophers, theo- logians, and historians, as well as literary critics, and I am hardly in a position to attempt an answer here. Literature’s pleasures are unusually deep, and their depth has to do with an intensity of human contact that is difficult to match or even approximate in any other discursive sphere. As Goethe noted with wonder, this intensity of contact seems to defy national, geographical, and cultural differences, and it does not significantly diminish over time. A work of art from the distant past can reach a contemporary reader as if it were a shockingly intimate address, and it can convey subversive thoughts that elude the interdiction of even the most subtle censors. The great body of imag- inative literature produced across the centuries by artists in virtually every culture constitutes an unrivaled archive of human experience. That archive stands at the very center of the collective work of the Wissenschaftskolleg.

Horst Bredekamp Das Visuelle und sein Logos. Wendungen der Kunstgeschichte

Die kunsthistorischen Fellows lassen sich rückblickend am treffendsten als Maulwürfe bezeichnen. Diesen Ehrentitel gab Hegel jenen Forschern, die dem Zeitgeist nicht auf sichtbare Weise folgen, sondern ihm untergründig voraus- wühlen, um plötzlich an vielen Orten durch den Boden zu stoßen, noch bevor er das Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit erblickt. In diesem Sinn trat eine Fülle der kunsthistorischen Fellows als Erdwühler auf. Ob dies eine Stärke oder auch eine Schwäche darstellt, mag offen bleiben. Die unentwegte, von wenigen geisteswissenschaftlichen Fächern in vergleich- barer Weise durchgeführte und oft auch unerbittliche Revision der Methoden und Gegenstandsbereiche birgt auch Risiken der Selbstauflösung. Die kunst- historischen Fellows haben beide Seiten wie an keinem anderen Ort mit exal- tierter Lust an der Öffnung wie auch der Lösung repräsentiert. Dies bedeutet einen stofflichen und methodischen Reichtum, der sich nicht in einen Rah- men oder auf eine Formel bringen lässt. Auch in diesem Sinn scheint Hegels avantgardistisches Verständnis des Zeitgeistes als eines andauernden, weit verstreuten Wühlens am Platz. Das Bild der Kunstgeschichte kann nicht an- ders als disparat sein, aber dies bedeutet auch ein immer neues Bohren an unerwarteten Orten.

Methodische Revisionen

Dies gilt leitmotivisch bereits für die beiden ersten kunsthistorischen Fellows des Jahrganges 1982/83, Lothar Ledderose und Martin Warnke. In einem Mo- ment, in dem das 19. Jahrhundert unter den Vorzeichen einer festgefügten Sozialgeschichte wiederentdeckt wurde, brach Warnke mit Vorstellungen, die den frühmodernen Künstler als herausragendes Beispiel der neuzeit lichen Individualität an die Seite eines kämpferischen Bürgertums gestellt hatte. Dass es jedoch der Adel war, der dem Künstler eine Überwindung der hand- MICHEL STRICKMANN · GEORG F. STRIEDTER · JURIJ STRIEDTER · GISELA STRIKER · ELISABETH STRÖKER ·

222 werklichen und zünftischen Zwänge und Bestimmungen und damit eine frühe Autonomie geboten hatte, bedeutete den Angriff auf ein Kernelement H

ORST ORST der Selbstbeschreibung der Moderne. Warnkes Opus zur Hofkunst hat mit dieser Umwälzung weit über die Kunstgeschichte hinaus gewirkt. B REDEKA Svetlana Alpers und Michael Baxandalls Vorstoß (1992/93), am Beispiel der Würzburger Fresken Tiepolos eine formbezogene Sozialstudie des Malers

MP zu entfalten, bedeutete eine ähnlich gelagerte Kritik an den kunstsoziologi- schen Schemata der frühen Neuzeit. Die Kritik an mechanischen Erklärungen prägte vor allem auch eine Reihe insistenter Fragen nach dem Sinn des Begrif- fes der Avantgarde. So trafen sich Stanislaus von Moos und Tilmann Budden- sieg in gemeinsamer Bohrung an den Wurzeln des Selbstverständnisses der Moderne. Buddensiegs Rekonstruktion der Gewerkschaften als geradezu he- roischen Protagonisten des Neuen Bauens fiel in eine Zeit, in der mit dem Niedergang der Neuen Heimat alle Modernität der Gewerkschaften in der Ur- banistik dahingegangen war (1985/86), während von Moos im Gegenzug zur Über zeugung kam, dass der Anti-Modernist Roberto Venturi ‚moderner‘ war als die zeitgenössischen Vertreter der Charte d‘Athen. Das geschärfte Interesse für alle Fragen des Bildes führte zu Beginn der 90er Jahre zu weiteren Revisionen. Monika Steinhausers Unternehmen (1989/ 90), die Ikonologie am Stoff der alle Zuordnungen parodierenden Col lagen Max Ernsts zu überprüfen, suchte diese Methode in einem Moment wiederzu- gewinnen, als sie allgemein als verabschiedet galt. Wolfgang Kemps (1992/93) Versuch, die Topophilie als Begriff einer intensivierten Raumforschung zu begründen, geschah im Gegenzug, lange bevor der Raum zu einem vieldisku- tierten Terminus der historischen Forschung wurde. Einen Neubeginn bedeu- tete in diesen Jahren zudem ebenso Hans Beltings anthropologische Wende der Kunstgeschichte (1994/95) wie John Onians’ Versuch, den Zusammenhang von Sehen und Erkennen im Rahmen einer Neusicht der prähistorischen Kunst biologisch zu begründen. Die jüngere Individualitätsforschung, wie sie etwa von Christopher Henshilwood betrieben wird, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Umriss zu erkennen. Zu den methodischen Impulsen gehörte schließlich die Wiedergewin- nung der Kunstlandschaft Mittel- und Osteuropas, die buchstäblich ein Wüh- len unter Grenzzäunen und -streifen war. Adam Labuda (1991/92) ist es mit seiner Geschichte der gotischen Kunst in Ostmitteleuropa als einem der Ersten gelungen, die gesamte Historiographie bis vor die Zeit der Nationalsozialisten zurückzuspulen. Ausgehend von der spätmittelalterlichen Statue des Hl. Ge- org in Prag, hat auch Ernö Marosi (1992/93) den Begriff Mitteleuropa neu zu de finieren versucht, und dasselbe gilt für Jaroslaw Jarzewiczs Untersuchung der spätgotischen jagiellonischen Architektur (2000/01). Durch diese Vorstö ße wurde eine kunstgeographische Dimension erreicht, die auf anderen Feldern MICHAEL STÜRMER · SANJAY SUBRAHMANYAM · EZRA N. SULEIMAN · ALAIN SUPIOT · ARPÁD SZABÓ · entweder erst mühsam errungen werden muss oder möglicherweise auf 223 Dauer ein bloßer Anspruch bleiben wird. Die anhaltende Debatte um das Zen- K trum der Vertreibungen zeigt dies bis heute. UNSTGES C HI

Genius Loci: Die Stadt und ihre Museen C HTE HTE Unter den Institutes for Advanced Study stellt das Wissenschaftskolleg ver- mutlich jene Institution dar, bei der neben den Museen die Stadt allgemein einen wesentlichen Beitrag zu den Erfahrungen der Fellows leistet; so ver- säumt kaum einer der Fellow-Berichte, die urbanistisch ablesbare Geschichte als ein besonders markantes Erfahrungspotential zu erwähnen. Warnke war auch darin Pionier, dass er Führungen durch Berlin für alle Gäste und Mitarbeiter des Kollegs durchführte, um diesen besonderen Impuls der Stadt aufzunehmen. Diese Stadtwanderungen und Ausstellungsbesuche bilden seither ein kontinuierlich wiederkehrendes Element der Jahrgänge. Unvergessen wird allen Beteiligten bleiben, wie sich eine kleine Gruppe wetter- fester Fellows im Februar 2006 unter Führung von Monika Wagner durch peitschenden Schneeregen die ehemalige Stalinallee hinunterkämpfte und dabei über das Verhältnis von Architektur und Ornament diskutierte. Eine der inspiriertesten Veranstaltungen des Kollegs, die speziell durch Berlin geprägt wurden, gründete zudem in der Einsicht, dass keine Groß- stadt, nicht einmal London oder Paris, urbanistisch vergleichbar stark durch ihre Museen geprägt wurde. So hat Ledderose diese Gegebenheit bereits im ersten kunsthistorischen Jahrgang genutzt, indem er gezielt an einem Objekt des Dahlemer ethnologischen Museums zeigte, wie sich die chinesische Bild- propaganda im 18. Jahrhundert dem europäischen Stil anverwandelte, um auf die Erwartungen der Adressaten einzugehen. Damit war eine Dialektik der außereuropäischen Kunst und Kultur in Szene gesetzt, die immer wieder aufgenommen und auf verschiedenen Feldern durchgespielt wurde: von Lud- ger Derenthal, der sich diesem Problem auf reziproke Weise näherte, indem er die indianischen Motive der Surrealisten, allen voran Max Ernsts, rekons- truierte (1996/97), bis zu den Arbeitsgruppen Moderne und Islam und Cultu- ral Mobility. Als ein committed outsider der Berliner Museen hat wohl kein Fellow deren Wandlungen in derselben Schärfe als interkulturelles Problem reflek- tiert wie Hans Belting (1994/95). Gemeinsam mit Fatema Mernissi hat er den islamischen Bildbegriff neu und unbefangen durchdacht und in Kooperation mit Mamadou Diawara die afrikanische Problematik von Kunstästhetik und Formmagie erörtert. EÖRS SZATHMÁRY · JAN SZCZEPANSKI · JOSEF SZÖVÉRFFY · PIOTR SZTOMPKA · JAVAD TABATABAI ·JOSEF

224 Aus dem von Belting mitbegründeten Arbeitskreis Kunstmuseum und Ethnologie entstand das Museumsforum am Wissenschaftskolleg, das die H

ORST ORST Gren zen zwischen Kunst- und Völkerkundemuseen in der Diskussion mit Fach leuten der verschiedenen Museen auch außerhalb Berlins neu zu bestim- B REDEKA men oder auch aufzuheben sucht. Die Diskussion um das Humboldt-Forum ist durch diese Institution mitgeprägt worden.

MP Gegenüber diesen Versuchen, die interne Einarbeitung fremder oder gar feindlicher Einflüsse zu rekonstruieren und in ihren Gefährdungen und Be- reicherungen zu zeigen, stach der wohl tragischste Zusammenstoß von For- schung und Geschichte, der sich am Kolleg ereignet hat, desto düsterer ab. Als Deborah Klimburg-Salter an ihrem Buch über das Kingdom of Bamiyan und dessen Kunstwerke arbeitete, zerstörten die Taliban am 26. 2. 2001 die Buddha- Statuen im Bamiyan-Tal als Auftakt aller folgenden Bild-Symbolkämpfe. Zwi- schen der historischen Rekonstruktion Ledderoses und der Erfahrung Klim- burg-Salters spiegelt sich das Leben am Kolleg in seiner vielleicht gefährdetsten Dimension. Der Versuch, kulturelle Antipoden als potentielle Größen wech- selseitiger Befruchtung zu erkennen, bleibt begleitet vom Wetterleuchten des Misslingens.

Die Konjunktur des Bildes

In derartigen Ereignissen spitzt sich das Problem zu, warum die Funktionen, Möglichkeiten und Gefahren von Bildern seit den 90er Jahren weit über die Fachgrenzen von Archäologie und Kunstgeschichte hinaus in einer kaum jemals zuvor aufgetretenen Intensität erörtert wurden. Der Grund einer er- höhten Aufmerksamkeit für die Besonderheiten des Kosmos der Bilder lag nicht, wie in früheren Jahrhunderten, im Bereich der Konfessionen. Vielmehr ist sie in der Erfahrung begründet, dass Bilder durch die massenmedialen Kom- munikationsmittel, die digitale Bildproduktion und insbesondere das Inter- net eine ubiquitäre Geltung erreicht haben, die bisweilen Züge eines über- wirklichen Status annehmen. Unbewusst oder bewusst scheint der Grundsatz zu gelten, dass Personen oder Sachverhalte nur zu existieren scheinen, wenn sie bildlich repräsentiert werden, und hierin liegt ein Effekt, der auf die über- kommenen Probleme der Bildtheologie zurückverweist. Die Verschärfung der zwischenkulturellen Konflikte etwa im Karikaturenstreit hat hier eine Wurzel. Innerhalb des Kosmos der Wissenschaften wenden vor allem die Natur- wissenschaften seit geraumer Zeit ein Höchstmaß an ästhetischer Innovation auf, um ihre zumeist nicht sichtbaren Gegenstände zu begreifen und zu ver- mitteln. Der Aufstieg der Powerpoint-Präsentationen zur Conditio sine qua non der akademischen Rede ist das eher problematische Zeichen dieses Wan- TAL · GÁSPÁR MIKLÓS TAMÁS · PERCY H. TANNENBAUM · JAKOB TANNER · RAMIE TARGOFF · CHARLES dels, der etwa in der bildgebenden Medizin, Molekularbiologie oder auch 225 Nano technologie mit durchaus ästhetischer Brillanz eine eigene Forschungs- K lei stung verbindet. Er offenbart in besonderer Weise, dass es eine Untertrei- UNSTGES bung wäre, hier von Illustrationen zu sprechen. Im Vorfeld dieser Vorgänge wurde die Sensibilität für Fragen des Bildes C auch am Wissenschaftskolleg geschärft. Im Jahre 1992/93 wurde erstmals HI C eine visuality group gebildet, und 1996/97 widmete sich unter der Leitung von HTE Sahotra Sakar eine Arbeitsgruppe dem Problem der Anwendbarkeit des Stil- begriffs in Kunst- und Wissenschaftsgeschichte. Aus intensiven Diskussionen zwischen Hans Belting, Luca Giuliani und Dieter Grimm entstand schließlich das Konzept, am Wissenschaftskolleg ein beständiges Forum der Bilderfrage zu bilden. Mit der Amtszeit Dieter Grimms (ab 2001) wurde es zum Programm.

Schwerpunkt Bildwissenschaft

Zwei Fellows, die Richard Rortys linguistic turn durch Prägung zweier Wen- den zugleich zu nutzen und zu überwinden suchten, haben diese Diskus- sionen in besonderem Maß bestimmt. Turns sind eine Mode intellektuellen Terraingewinns, aber es scheint, dass der im Jahre 1992 vorgeschlagene picto- rial turn W. J. T. Mitchells wie auch der zwei Jahre später aus dem deutschen Sprach raum heraus erfundene, bildtheoretisch gleichsam eine Stufe tiefer ansetzende iconic turn Gottfried Boehms ihre Bestimmung erfüllt haben, die tiefgreifenden Veränderungen in den Kommunikations- und Repräsentations - weisen der hochtechnisierten Gesellschaften als intellektuelle Herausforde- rungen zu markieren. Sowohl Boehm (2001/02) als auch Mitchell (2004/05) haben als Fellows daran mitgewirkt, die Hermeneutik des Bildes als eine Chance zu werten. Boehm hat sein Fellow-Jahr dazu genutzt, sein Werk über die Bestimmung dessen, was ein Bild sei, voranzutreiben, und Mitchell hat das Bilderhaltungsgesetz begründet, demzufolge Bilder nicht an bestimmte Medien fixiert sind, sondern in der Inkorporation ihrer eigenen Geschichte das Fundament ihrer konstruktiven Kraft finden: they always come back. Mit „Augen auf und durch!“ hat Mitchell der ersten Gruppe Bildwissen- schaft, den Picture-Boys, das Motto gegeben. Sie widmete sich dem schier un- auslotbaren Problem, wie sich die Vision im Kopf zu semantisch belastbaren Eindrücken bindet. Wie Bilder im Kopf generiert werden, wie sich ein Bildge- dächtnis einstellt, auf welche Weise Bildeindrücke und Handlungen in Bezie- hung treten, all dies ist um so mehr ein drängendes Problem der Bildfor- schung, als es trotz aller aufsehenerregenden Erfolge der Hirnforschung ein Arkanum geblieben ist. Auf dem im März 2005 durch Karl Clausberg und W. J. T. Mitchell abgehaltenen Symposium ‚ImageScience in Progress‘, an dem TAYLOR · VICTOR A. TCHOULAEVSKI · VALENTIN TELEGDI · MAURICIO TENORIO TRILLO · EMMANUEL

226 Neurobiologen wie Ingo Rentschler, Andreas Engel oder Andreas Bartels gemein sam mit Philosophen wie Simone Mahrenholz und Günter Abel teilnah- H

ORST ORST men, zeigte sich, welch immense Unterschiede des Problemhorizontes zwi- schen Natur- und Geisteswissenschaften bestehen, aber auch wie wünschens- B REDEKA wert es ist, diese Differenzen zu bestimmen, um die eigenen Schwächen und Stärken erkennen zu können.

MP Es war ein glückliches Zusammentreffen, dass mit den beiden Naturwis- senschaftlern, dem Neurobiologen Eberhard Fetz und dem Quantenforscher Eric Heller, zwei Gruppenmitglieder eine so starke Affinität zur Bildenden Kunst besaßen, dass beide sich auch als Künstler begriffen. Ohne dass dies hätte geplant und verabredet werden können, hat sich die Reflexion von Bild- problemen am Wissenschaftskolleg von diesem Moment an verwandelt, zu- mal mit David Poeppel (Fellow 2003/04, Fellow der American Academy im Herbst 2004) immer wieder ein Psycholinguist und Neurobiologe zu den Dis- kussionen stieß, der die profunde Skepsis gegenüber dem Aussagewert visuel- ler Wiedergaben von feuernden Neuronen teilte. Es war diese von innen her kommende Kritik, die zwei Gegenbewegungen produzierte. Entlastet von dem Druck, in den Methoden der Naturwissen- schaftler immer neue Varianten elementarer Reduktion zu erkennen und zu kritisieren, entwickelten die Geisteswissenschaftler angesichts des Neuen, das sich ihnen auftat, eine möglicherweise höhere Bereitschaft, sich mit die- sem Problemfeld zu beschäftigen, als die Naturwissenschaftler selbst. Eine zweite, von allen Gruppenmitgliedern forcierte Reaktion ging in die entgegen- gesetzte Richtung, in Bildern mehr zu sehen als nur den visuell-haptischen Reflex entweder der Außenwelt oder der neuronal imaginierten Gedanken- bilder. Über die von der Quantenmechanik, der Neurobiologie und der Psycho- linguistik vorgebrachte Skepsis gegenüber einem eindimensionalen Verständ- nis der bildgebenden Neurobiologie ergab sich damit die Doppelbewegung, aus der Distanz heraus das Kritisierte besonders ernst zu nehmen und zu- gleich in Form externalisierter Produkte zu erforschen, die mit dem Begriff des embodiment, der Verkörperung, zu verbinden sind.

Embodiment

Die Sphäre des embodiment reicht von den körperlichen Bewegungen der motorisierten Gedanken etwa im Akt des Schreibens oder Zeichnens bis hin zu vom Körper gelösten Werken in Form der gesamten gestalteten Umwelt. Im Theater der Dinge, und insbesondere der Bilder, liegt gegenüber den im Ge- TERRAY · GIUSEPPE TESTA · KATHLEEN THELEN · DIETER TIMPE · CHRISTO TODOROV · MARIA hirn selbst ablaufenden Prozessen das Feld einer unmittelbaren, phänomeno- 227 logischen Neurologie. K So zielt Wolfram Hogrebes Mantik, die das Unbestimmte, Geahnte, nicht UNSTGES Wissbare zur Grundlage der Bestimmung des philosophisch Sicherbaren macht, auf eine radikale Neudefinition der Erkenntniskraft jener Zonen, in denen C sich Bilder bewegen. Ex-Fellow John Michael Krois (1991/92) hat als Mitglied HI C der Picture Boys in ähnlicher Perspektive grundlegend zur Neu orien tierung HTE der Semiotik beigetragen. Diese sei nicht als Grammatik von definierten Codes, also als die Entschlüsselung der lingualäquivalenten Motive von Bedeu- tung, sondern als Bestimmung des Grundes, warum sie Tränen auszulösen vermögen. Der Begriff des embodiment schloss an einer fundamentalen Neu- bewertung von Charles Sanders Peirces Semiotik ebenso an wie an Edgar Winds Begriff der Ver körperung. Diese Umwertung wurde durch die als Grund- ton präsente Mahnung von Reinhart Meyer-Kalkus bestärkt, Bilder nicht als aseptische Entitäten wahrzunehmen und sie insbesondere mit Stimme und Klang als haptisch spürbare Raumeffekte zu verbinden. Dass hierin eine offenbar zeitgeistige Grundader getroffen wurde, hat auch die zweite Gruppe der Bildwissenschaft im aktuellen Jahrgang (2005/06) erwiesen, gerade weil sie sich scheinbar konservativer aus traditionell mit Bildern befassten Fächern der Archäologie, Kunstgeschichte und Anthropolo- gie zusammensetzte. Mit Barbara Stafford hat in ihr eine weitere Forscherin am Wissenschaftskolleg mitgearbeitet, welche die Debatte um eine neue Her- meneutik der Bilder seit dem Ende der 80er Jahre entscheidend anzustoßen vermochte. Die ‚Sense and Style‘ genannte Gruppe war zudem durch Susanne Küchlers anthropologische Semantik, durch Charlotte Klonks Geschichte der Museumsobjekte und durch Monika Wagners Material-Ikonologie für alle Fragen des embodiment sensibilisiert. Die Gruppe hat die Frage des Wechsel- verhältnisses von Tasten und Sehen und die Präsenz des optisch-taktilen Kör- pers im Raum über eine Wiederlektüre von Schriften Johann Gottfried Her- ders über August Schmarsow bis zu Maurice Merleau-Ponty und Jacques Lacan neu zu bestimmen versucht. Als würden sich neue Stollen ergeben, haben diese Texte im Licht der Diskussion um das embodiment Dimensionen offen- bart, die zu einer eigenen Theorie des verkörperlichten Denkens im Raum verbunden werden können. Auch diese Fokusgruppe hat sich vom Prinzip leiten lassen, dass die unge- plante Erkenntnis ein besonders kostbares Gut ist. Wenn sich über die Frage der Verkörperung des Sehens jedoch eine weder gesteuerte noch suggerierte Verbindung zum ersten Jahrgang ergeben hat, so zeigt dies umso mehr, dass hier ein Nervus der gegenwärtigen Verschichtungen einer Kultur getroffen ist, die von den Hochflügen der Hoffnungen auf dematerialisierte Simulatio- nen gleichsam auf den Boden kommt und beim Aufprall sensuelle Erfahrun- TODOROVA · ANDRZEJ TOMASZEWSKI · ROLF TORSTENDAHL · BALÁSZ TRENCSÉNYI ·

228 gen macht, die von hoher erkenntnistheoretischer, aber auch politischer Rele- vanz sind. Die andauernden Bilderkämpfe lassen dies schmerzlich erfahrbar H

ORST ORST werden. Diese nicht forcierte, sondern wie von selbst sich ergebende Fokussierung B REDEKA auf das Problem des mentalen embodiment hat die Gruppen der Bildwissen- schaft zu einem Zentrum der Befragung der Bilder werden lassen. Die zügig

MP herauskommenden Bücher, so Karl Clausbergs Werk ‚Zwischen den Sternen: Lichtbildarchive. Was Einstein und Uexküll, Benjamin und das Kino der Astro- nomie des 19. Jahrhunderts verdanken‘ (Berlin 2006) sowie Wolfgang Hogre- bes Opus ‚Echo des Nichtwissens‘ (Berlin 2006), werden zwischen den Zeilen das unerhört inspirierte Klima dieses Zuganges verkörpern. Mich selbst hat diese Diskussionen motiviert, meine Trias der Bücher über die visuellen Prä- gungen von Thomas Hobbes, Gottfried Wilhelm Leibniz und Galileo Galilei nicht nur abzuschließen, sondern zu einer Theorie des Bildakts zu abstrahie- ren, in der die Bilder kategorial nicht etwa als Illustration, sondern als körper- lich-konstruktive Prägung der Welt begriffen werden: als gleich sam lebendige Gegenüber des körperlich denkenden Geistes. In keinem anderen Rahmen als in den Gruppen der Bildwissenschaft wäre dieser klärende Stimulus zu erfah- ren gewesen.

Maulwurfshügel

Wie auch andere Disziplinen spiegelt die Präsenz der Kunstgeschichte am Wissenschaftskolleg die wechselhaften Konjunkturen der Fächer und ihrer Methoden. Auch ohne die Milde der versonnten Rückblende ist gewiss, dass sich das Fach Kunstgeschichte anders darstellen würde, wenn sich im Kolleg nicht immer wieder illustre Vertreter den Luxus hätten leisten können, die uneingestandenen Normen und die gewohnten Grenzen des Faches einerseits hinter sich zu lassen, andererseits aber auf die unverzichtbare Grundlage ihrer Methoden für alle Felder zu verweisen, auf denen ernsthaft versucht wird, Bilder nicht illustrativ als bloße Dokumente wahrzunehmen, sondern ihre Eigendynamik und ihre formale Prägekraft zu bestimmen. Erst ein sol- ches, von der Empirie der Bilder ausgehendes Verfahren berechtigt, von einer Wissenschaft der Bilder zu sprechen. Den kunsthistorischen Vorstößen war gemein, dass sie das Wissenschafts- kolleg als einen Anstifter methodischer Revisionen nutzten. Darin den Zeit- geist repräsentierend, dass sie ihm nicht nachliefen, sondern sein Vorfeld durchwühlten, haben sie eine Reihe von hegelschen Erdhügeln durch die Gärten der Wallotstraße getrieben. Navid Kermani Moderne und Islam

Europa teilt mit dem Nahen Osten seine zwei wesentlichen geistigen Wur- zeln: die griechische Antike und das biblische Israel. Es hat sich intellektuell und historisch als eigenständige Identität überhaupt erst herausbilden kön- nen, weil es sich von etwas anderem abgrenzte: nicht allein vom Islam, son- dern vom gesamten arabischen Kulturraum, der im 12. Jahrhundert über Süd frankreich und Süditalien hinaus die Paradigmata für das intellektuelle und akademische Leben auch in London, Paris oder Bologna setzte, ein Kul- turraum, zu dem die muslimischen Traditionen gehörten, aber ebenso das öst liche Juden- und Christentum. Die Abgrenzung, wie sie am deutlichsten und symbolträchtigsten in den Texten der christlichen Scholastik zu beobach- ten ist, war aber zugleich eine Aneignung dessen, was ursprünglich als ara- bisch galt, der dialektischen Theologie ebenso wie des Humanismus. Es sind dies die beiden wesentlichen intellektuellen Bewegungen des Mittelalters. Europa hat die geistigen Strömungen des Islams und des arabischen Juden- tums in sich aufgenommen, sich zu Eigen gemacht, um sie zu verwandeln. Dieser doppelte Prozess der Abgrenzung und Aneignung hat entscheidend zur Entstehung einer säkularen Moderne beigetragen, die nicht das Christen- tum, wohl aber das theologische Vorzeichen des Mittelalters abschaffte. Ernst Bloch sprach eben deshalb von der arabischen Kultur als einem „der Quellge- biete unserer Aufklärung“ (‚Avicenna und die aristotelische Linke‘, Frankfurt a. M. 21963). In der Moderne haben sich Europa und der Nahe Osten auf neue Weise ineinander verwoben, zunächst durch den Kolonialismus im 20. Jahrhundert, dann durch den Zuzug von Millionen Arabern, Türken, Kurden und Iranern nach Europa. Zugleich wurde im Nahen Osten ein Staat gegründet, der seiner Vorgeschichte, seinen Gründungsvätern und seiner Elite nach eine Schöp- fung Europas ist: der Staat Israel. Heute steht Europa vor der Herausforderung, zu einem Ausgleich zu kom- men mit dem Orient an seiner östlichen Grenze und mit dem Orient in sich RICHARD C. TREXLER · HANS-HEINRICH TRUTE · HENRY A. TURNER · HANS-PETER ULLMANN ·

230 selbst, den muslimischen Minderheiten und Migranten. Das hat nichts mit Wohltätigkeit oder humanitärem Engagement zu tun: Europa hat ein ökono- N

AVID AVID misches und sicherheitspolitisches Interesse, die Konflikte im Nahen Osten zu lindern und die Demokratisierung zu fördern. Und es ist eine Existenz- K ER frage für Europa, darauf zu achten, dass das Verhältnis zu seinen religiösen M

ANI Minderheiten niemals mehr in einen offenen Konflikt umschlägt. So entschlos- sen Gewalttäter auch zu bekämpfen sind, so kann die Frage nach dem Islam in Europa gewiss nicht vom Verfassungsschutz beantwortet werden. Und ebenso wenig kann sich Europa die Probleme des Nahen Ostens vom Leib halten durch Bundesgrenzschutz, Abschiebehaft und Auffanglager in Nordafrika. Der Islam braucht einen Raum in Europa, nicht anders als das Judentum die- sen Raum gebraucht hat und noch immer braucht. Und dieser Raum sollte weder Ghetto noch Hinterhof sein. Wolf Lepenies, der damalige Rektor des Wissenschaftskollegs, konnte die tagespolitische Dringlichkeit der skizzierten Aufgabe nicht in vollem Umfang voraussehen, als er Anfang der 90er Jahre gemeinsam mit Joachim Nettelbeck die Gründung eines Arbeitskreises Moderne und Islam vorantrieb. Dass aber Europa durch die Auseinandersetzung mit der islamischen Welt wie durch das Zusammenleben mit den Muslimen vor neue, nicht selten beäng stigende, in vielen Fällen aber auch faszinierende und bereichernde Herausforderun- gen gestellt wird, hat er visionär erkannt. Die Geistes- und Sozial wissen schaf- ten sind hierfür nur ungenügend gerüstet gewesen. So ist die Islam wissen- schaft, an welche die Beschäftigung mit der islamischen Welt bis vor einigen Jahren praktisch allein delegiert worden war, als akademisches Fach ein Un- getüm. Das Spektrum der Themen, Disziplinen, Methoden und historischen Epochen, das sie abzudecken sich vornimmt, ist um vieles zu weit, um sinn- voll in einem einzigen Zusammenhang erforscht und gelehrt zu werden. Die Absurdität ihres Anspruchs erweist sich sofort, wenn man sich zur Islamwis- senschaft ein christliches Pendant vorstellt: ein einziges Fach, das die Reli- gion, Kultur, Geschichte, Sprache, alte wie neue Literatur, Philosophie, die heutige politische Wirklichkeit, ja die Musik, das Theater, das Recht sowie alle anderen für die Geistes- und Sozialwissenschaften relevanten Aspekte nicht nur der europäischen, sondern weltweit aller christlichen Kon fessionen, Kon- tinente, Nationen und ethnischen Minderheiten behandelte, und dies ausge- rechnet unter einem Titel wie ‚Christliche Wissenschaft‘ oder ‚Chris ten- wissenschaft‘, also mit der impliziten Annahme, dass alle diese Phänomene einen Bezug zur Religion hätten und mit Blick auf diese studiert werden soll- ten. Mochte am Ausgang des 19. Jahrhunderts ein Gelehrter die Quellentexte und Forschungsarbeiten des Faches noch einigermaßen übersehen, so kann heute kein Islamwissenschaftler mehr das gesamte Spektrum abdec ken, und nur wenige versuchen es noch. EDNA ULLMANN-MARGALIT · MIHAI-RAZVAN UNGUREANU · SABETAI UNGURU · PAUL U. UNSCHULD ·

Die Problematik, die dem Fach Islamwissenschaft eingeschrieben ist – 231 ähnlich wie anderen Regionalwissenschaften, die allerdings in der Regel nicht zusätzlich mit dem Ballast beschwert sind, den Bezug zur Religion im MODERNE UND Namen zu führen –, diese Problematik dürfte von kaum jemandem noch be- stritten werden und wurde vom Arbeitskreis Moderne und Islam als einer der Gründe hervorgehoben, sich 1995 zu konstituieren. Anerkannt worden ist I

auch und vor allem, wie fatal sich das religiös-theologische Vorzeichen, unter SLA

dem das Fach betrieben wird, auf das öffentliche Bild der Kulturen ausgewirkt M hat, die vom Islam mitgeprägt worden sind. Seit die frühe Orientalistik den Islam als autonome anthropologische Größe behandelte, welcher der Muslim willenlos ergeben sei, und die Religion der Muslime zur Ursache ihrer Unter- legenheit und strukturellen Reformunfähigkeit erklärte, wurde die muslimi- sche Urgeschichte zum Deutungsmuster auch der Gegenwart. In verblüffender Analogie zu heutigen islamistischen Auffassungen nahm man einen isla mi- schen Urzustand an und betrachtete die Geschichte und die Kultur vorrangig unter der Frage, inwiefern sie der frühislamischen Norm entspreche bezie- hungsweise zu einem Abweichen von ihr geführt habe. Nicht religiös determi- nierte Phänomene, Diskurse und Strömungen wurden so fast automatisch als heterodox gedeutet, anstatt in jener Autonomie wahrgenommen zu werden, die etwa Shakespeare, dem Zweiten Weltkrieg oder Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘ zukommen würden, die eine religiöse Dimension wohl haben, jedoch unmöglich auf diese zu reduzieren sind. Dieser essentialistische Blick ist zwar innerhalb der Islamwissenschaft längst in Frage gestellt, beherrscht aber immer noch weite Teile der öffentlichen Darstellung. Der Islamwissen- schaftler Aziz Al-Azmeh, der als Long-Term-Fellow des Wissenschaftskollegs (1996/97, 1997/98) die Konzeption des Arbeitskreises Moderne und Islam in seiner Gründungsphase prägte, sieht hier „fast eine Art Komplizenschaft zwi- schen westlichen Kommentatoren und islamistischen Ideologen“, da auf bei- den Seiten die Urbegründung jedes Phänomens in der islamischen Welt in den religiösen Quellentexten angesiedelt werde (‚Die Islamisierung des Is- lams‘, Frankfurt a. M. 1996). Eine Betrachtung von solcher Normativität würde sich in bezug auf die Geschichte und Gegenwart der christlichen Welt von selbst diskreditieren. Die Obsession des Westens, den Orient durch seine Religion zu verstehen, macht sich bis heute in den Lehrplänen, ja bis in die Fächeraufteilung be- merkbar, die in die Erforschung eines gemeinsamen Kulturraums konfessio- nelle Schneisen schlägt. An vielen großen Universitäten in Deutschland gibt es Seminare für Islamwissenschaft, für Judaistik und einige wenige für die Wissenschaft vom christlichen Orient. Eine Verbindung zwischen diesen Se- minaren besteht in der Regel nicht – eine Folge auch des Nationalsozialismus, der die Tradition herausragender jüdischer Orientalisten in Deutschland und BORIS USPENSKY · PETER UTZ · LIISA UUSITALO · VIKTOR VANBERG · RICHARD I. VANE-WRIGHT ·

232 die häufig mit ihnen korrespondierende Wissenschaft des Judentums abge- brochen hat. Heute lernen nur wenige Studenten, die sich mit der islamischen N

AVID AVID Theologie, Philosophie oder Mystik beschäftigen, die Werke jüdischer oder christlicher Autoren kennen, obwohl diese zur gleichen Zeit, in der gleichen K ER Stadt, ja, in der gleichen Gasse entstanden sein könnten wie der Traktat, über M

ANI den sie sich gerade beugen. Umgekehrt lernen nur die wenigsten Studenten der Judaistik die arabische Sprache, obwohl wesentliche Werke der jüdischen Philosophie, Poesie oder Mystik von Autoren verfasst worden sind, die Ara- bisch sprachen, schrieben und sich an eine arabischsprachige Öffentlichkeit wandten. Die Literaturen, die Künste und die religiösen Traditionen des arabisch geprägten Kulturraums sind historisch so eng miteinander verflochten – oft bis zur Ununterscheidbarkeit –, dass sie nur im Zusammenhang studiert und dargestellt werden können. In der Formationsphase des Judentums wie des Islams (genauso wie des Christentums) waren Identitäten kaum so eindeutig festgelegt, wie es heute scheint. Das ‚Wir‘ etwa in der arabischen Philosophie oder der arabischen Dichtung ist oft genug kein ‚Wir Muslime‘, ‚Wir Juden‘ oder ‚Wir Christen‘; es ist ein ‚Wir Philosophen‘, dem das ‚Ihr‘ etwa der Mystik oder der Rechtswissenschaft entgegengesetzt wird, seien diese islamisch oder jüdisch. Genauso wie Maimonides sich auf die Werke muslimischer Autoren bezog, hatte er selbst wiederum muslimische Leser, darunter Dozenten, die einem jüdischen Publikum die Philosophie Maimonides’ erklärten. Ein musli- mi scher Philosoph des 10. Jahrhunderts wie Al-Farabi hat, ohne dass es weiter bemerkenswert gefunden worden wäre, einen großen Teil seiner Ausbildung bei dem nestorianischen Lehrer Matta Ibn Yunus erlangt, der wiederum christliche und muslimische Lehrer gehabt hatte. Dies und unzählige andere Beispiele der Interaktionen waren möglich und selbstverständlich, weil die jüdische, christliche und muslimische Intelligenz des arabisch geprägten Kul- turraums sich mit denselben Grundfragen beschäftigte, ohne notwendig die- selben Antworten zu geben oder die sozialen und rechtlichen Unterschiede zwischen den Gruppen aufzuheben. Von manchen religionsphilosophischen Texten lässt sich bis heute nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob sie von einem Juden oder einem Muslim geschrieben worden sind. Die Durchlässig- keit jenes arabisch geprägten Kulturraums ist vielleicht nicht so sehr viel an- ders zu denken als jene der heutigen westlich geprägten Literatur, an der auch Autoren wie Adonis, Orhan Pamuk oder Haruki Murakami teilhaben, ohne ihre eigene Herkunft und nationale Bindung leugnen, sich als westlich oder auch nur verwestlicht bezeichnen zu müssen. Ein Studium arabischer, hebräischer oder persischer Texte jener Jahrhunderte aus einem ausschließ- lich judaistischen beziehungsweise islamwissenschaftlichen Blickwinkel führt zu einer Beschränkung der Sinnebenen, zu einem Übergewicht religiös-kon- MARIO VARGAS LLOSA · SVETHA VENKATESH · KATHERINE VERDERY · STEVEN VERTOVEC · THOMAS VESTING · fessioneller Momente in der Deutung: So werden Autoren, die sich ursprüng- 233 lich längst nicht so eindeutig auf eine einzelne Identität bezogen, sondern allgemeine theologische, poetische oder philosophische Themen behandel- MODERNE UND ten, nachträglich auf ihre Konfession hin gelesen. Gelegentlich explizit, jedenfalls aber implizit versuchen die meisten deut- schen Islamwissenschaftler heute, der religiösen Determinierung des Faches, I

die in seinem Namen angelegt ist, zu entkommen, indem sie sich als bloße SLA

Regionalwissenschaftler des Nahen und Mittleren Ostens begreifen. Die isla- M mischen Quellentexte werden im Grundstudium – häufig en passant – behan- delt, spielen aber danach nur noch für jene Studenten und Lehrer eine hervor- gehobene Rolle, die sich auf theologische Fragestellungen konzentrieren. Die daraus resultierende Spezialisierung auf einzelne, weitgehend selbständige Bereiche innerhalb der Islamwissenschaft, die mit dem Islam selbst häufig nichts mehr zu tun haben, erscheint schon aus arbeitsökonomischen Grün- den unausweichlich, vollzog sich allerdings bis vor einigen Jahren noch weit- gehend unreflektiert. Sie war keinem Konzept, sondern den begrenzten Kapa- zitäten an den einzelnen Seminaren geschuldet. Dass die islamwissenschaftliche Forschung in ihren verschiedenen Aus- richtungen heute vorwiegend als Regionalstudium betrieben wird, lässt in Deutschland – mit einiger Verspätung gegenüber den Vereinigten Staaten – den Problemhorizont der Area studies aufziehen. „Die verschiedenen Diszipli- nen erklären sich für die Erforschung der islamischen Welt weitgehend als unzuständig und überlassen das Feld Regionalspezialisten, die zur Selbst- ghettoisierung tendieren und innerhalb der Disziplin an Bedeutung verlie- ren“, hat der erste Arbeitskreis Moderne und Islam die Problematik in seinem Grün dungspapier benannt: „Hinzu kommt, dass regionalwissenschaftlich orientierte Forscher im Westen in einem Forschungsfeld oft weniger bewan- dert sind als der Historiker, der Ökonom oder der Literaturwissenschaftler einer Universität aus der studierten Region.“ Die Folgen dieser Entwicklung waren in doppelter Hinsicht bedenklich: Islamwissenschaftler nahmen die zentralen Veröffentlichungen, die innerhalb der entsprechenden Hauptdis- ziplin Auf sehen erregt haben, allenfalls am Rande zur Kenntnis und wirkten in ihrer Methodik, ihren Fragestellungen und nicht selten sogar in ihrem Stil wie aus einer anderen Zeit: Sammelbände, die sich in ostentativer methodi- scher Naivität mit arabischer oder persischer Literatur beschäftigen, ohne sich auch nur in Fußnoten auf gegenwärtige Diskussionen innerhalb der Lite- raturwissenschaft oder Komparatistik zu beziehen, waren ebenso wenig eine Seltenheit wie die Philologen des klassischen Arabisch, die in den Medien zu aktuellen politischen Vorgängen Stellung nehmen, nur um jenen journalisti- schen ‚Experten‘ nicht gänzlich das Feld zu überlassen, die ihre mangelnden Vorkenntnisse mit aufbrausenden Vorurteilen aufwiegen. BRIAN W. VICKERS · HASSAN VIRJI · CORNELIA VISMANN · CHRISTIAN VOGEL · FRIEDRICH VOGEL ·

234 Indem die Islamwissenschaft den allgemeinen kultur- und sozialwissen- schaftlichen Diskurs weitgehend ignorierte, isolierte sie sich von diesem und N

AVID AVID wurde für andere Forscher, die sich mit verwandten Themen in anderen Spra- chen beschäftigen, unattraktiv, häufig unlesbar. Tatsächlich werden islamwis- K ER senschaftliche Forschungsarbeiten außerhalb ihres eigenen, eng umgrenzten M

ANI Gebietes noch immer kaum wahrgenommen. Statt dessen äußern sich immer häufiger Wissenschaftler zum Islam, die keine fachspezifische Qualifikation aufweisen und sich allein auf sekundäre oder häufig gar ter tiäre Quellen stüt- zen. Allgemeine historische, kulturgeschichtliche oder politikwissenschaft- liche Studien namhafter Autoren zeugen oft von eklatanter Unkenntnis, so- bald sie den islamwissenschaftlichen Kulturkreis streifen (wenn sie ihn nicht einfach ignorieren). Diese Situation ist bedauerlich nicht nur für die Islam- wissenschaft, die sich damit die Möglichkeit nimmt, auf die großen Diszipli- nen wie die Literatur-, Politik- oder Geschichtswissenschaft einzuwirken. Der Verlust auf der Seite der systematischen Disziplinen wiegt beinahe noch schwerer, insofern er zu einseitigen und eingeschränkten Wahr neh mun gen führt. Um zu einem angemessenen Selbstverständnis Europas zu gelangen, erscheint es zwingend, auch jene Nachbarkultur einzubeziehen, mit welcher der Kontinent immer schon in enger Wechselbeziehung stand und die auch innerhalb Europas wieder zunehmend bedeutsam wird. Das Anliegen, die Islam wissenschaft als Regionalwissenschaft exemplarisch in die Kultur- und Sozialwissenschaften einzubringen, zielt also nicht nur auf die Verbesserung des eigenen Fachs, sondern auch und vor allem auf die Weiterentwicklung der großen Disziplinen. Als sich der Arbeitskreis Moderne und Islam 1995 als interdisziplinärer Forschungsverbund des Landes Berlin am Wissenschaftskolleg gründete, stand er zunächst vor der Aufgabe, die bestehenden, damals weitgehend voneinan- der isolierten Berliner Einrichtungen, die sich der kultur- und sozialwissen- schaftlichen Forschung über die muslimische Welt widmeten, in einen frucht- baren Arbeitszusammenhang zu bringen. Das gemeinsame wissenschaftliche Programm setzte sich aus einem Berliner Seminar, einer internationalen Sommerakademie und einem Postdoktorandenprogramm zusammen und wurde von den Hochschullehrern, die am Arbeitskreis beteiligt waren, zusätz- lich zu ihren sonstigen Aufgaben getragen. Dabei bezog sich der dialogische Ansatz nicht nur auf die Vernetzung der Islamwissenschaft mit den methodi- schen westlichen Disziplinen wie den Literatur- und Gesellschaftswissen- schaften, sondern auch ganz praktisch auf die Kooperation von Gelehrten und Nachwuchswissenschaftlern aus Europa, den Vereinigten Staaten, Nord- afrika und dem Nahen Osten, die sich gemeinsame Fragen stellten. Ebenfalls aus der Erfahrung mit den Area Studies resultierte die Einsicht, dass For- schungsfragen zur islamischen Welt sinnvoll nur bearbeitet werden können, STEFAN VOIGT · SHULAMIT VOLKOV · VADIM VOLKOV · ANTJE VOLLMER · WILHELM VOSSKAMP · wenn die dort selbst unternommene Forschung von anderen Disziplinen ernst 235 genommen wird. Es ging also darum, mit lokalen Wissenschaftlern zusam- menzuarbeiten (und sie nicht bloß als Vertreter des Islams zu befragen), um MODERNE UND Anschluss an die wissenschaftlichen Diskussionen in den arabischen und isla- mischen Ländern zu finden und zu einer Forschung mit, nicht über zu gelan- gen. Gerade das Postdoktorandenprogramm des Arbeitskreises und die Fellow- I

einladungen des Wissenschaftskollegs in die islamische Welt sollten hierfür SLA

von besonderer Bedeutung für den Anschluss der Berliner Arbeit an die inter- M nationale Debatte sein. Heute ist das Netzwerk aus älteren und jüngeren, west- lichen und nahöstlichen Islamwissenschaftlern und Judaisten sowie musli- mischen und jüdischen Gelehrten, Literaten und Theologen, das sich von den verschiedenen Projekten des Arbeitskreises aus nach Europa, Amerika und in den Nahen Osten spannt, einzigartig in Deutschland. Zu verdanken ist das nicht zuletzt der Kompetenz und menschlichen Integrität von Gregor Meie- ring, ab 1998 dann von Georges Khalil, die als Geschäftsführer des Arbeitskrei- ses weit mehr waren als bloße Organisatoren. In der zweiten, wiederum fünfjährigen Phase, die 2001 begann, verschob sich die konzeptionelle Ausrichtung des Arbeitskreises. Nachdem eines der Ziele des ersten Arbeitskreises weitgehend erfüllt und die entsprechenden Berliner Institutionen und Forscher durch gemeinsame Seminare vernetzt waren, galt es nun, die islamwissenschaftliche Forschung auch tatsächlich stärker mit Wissenschaftlern und Institutionen außerhalb der Islamwissen- schaft zu verbinden und gezielt Impulse zu geben über das eigene, regional definierte Wissensfeld hinaus. Der zweite Arbeitskreis Moderne und Islam stellte so das Bemühen in den Mittelpunkt, die islamwissenschaftliche For- schung mit anderen Disziplinen zu verzahnen und sie einzubeziehen in einen allgemeinen kultur- und sozialwissenschaftlichen Diskurs. Er verzich- tete daher auf die Beschränkung der inhaltlichen Fragestellung, wie sie sein Vorgänger mit dem Thema Moderne und Islam hatte, und verstand sich statt dessen als Plattform, um verschiedene eigenständige Projekte zu ermöglichen, die geeignet waren, die Barrieren zwischen der Islamwissenschaft und ande- ren Disziplinen aufzuheben. Die wichtigsten Einzelprojekte, die sich wechsel- seitig personell und thematisch ergänzten, waren: – Kulturelle Mobilität in nahöstlichen Literaturen: In sachlicher Nähe zum Schwerpunkt Cultural Mobility, den der Literaturwissenschaftler Ste- phen Green blatt am Wissenschaftskolleg entworfen hat, entstand in Zusam- menarbeit mit dem Institut für Arabistik der Freien Universität ein eigener literaturwissenschaftlicher Schwerpunkt für kulturelle Transfers in und aus dem Nahen Osten. Die Leitung hat Friederike Pannewick. – Jüdische und islamische Hermeneutik als Kulturkritik: Kritische islami- sche und jüdische Intellektuelle stellten ihre Arbeit an der je eigenen Tradi- JACQUES WAARDENBURG · ROBERT WADE · HANS-JÜRGEN WAGENER · ANDREAS WAGNER ·

236 tion in den Rahmen eines geteilten hermeneutischen und kulturtheoretischen Interesses, das eine jüdische beziehungsweise islamische säkulare Selbst be- N

AVID AVID stimmung zum Ziel hat. Die Leitung hatten Almut Sh. Bruckstein und ich. Nach meinem Ausscheiden aus dem Wissenschaftskolleg im Jahr 2003 über- K ER nahm Angelika Neuwirth meine Position innerhalb des Projekts. M

ANI – Museumsforum – Die Ausstellung außereuropäischer Kunst und Kultur in europäischen Metropolen: Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Umwälzungen innerhalb der Berliner Museumslandschaft, von denen insbe- sondere die bedeutenden ethnologischen Sammlungen betroffen sind, kon- stituierte sich ein Gesprächsforum, das sich in regelmäßigen Abständen am Wissenschaftskolleg oder in einem Museum traf. Führende internationale Kulturwissenschaftler, die mit Arbeiten über die Repräsentanz außereuropäi- scher Kulturen hervorgetreten sind, tauschten sich dabei mit Vertretern Berli- ner Museen über gemeinsame Fragestellungen aus. Die Leitung lag bei der Direktorin des Berliner Ethnologischen Museums, Viola König, und mir, nach meinem Ausscheiden bei Viola König und Horst Bredekamp. – West-östlicher Diwan: Um ein Porträt des jeweils anderen zu schreiben, besuchen sich deutsche und orientalische Schriftsteller gegenseitig in ihrem privaten Umfeld, leben eine Zeit zusammen, reisen durch das Land, halten gemeinsame Lesungen und schreiben übereinander. Das von mir anfangs ge- leitete und von Thomas Hartmann noch immer organisierte Projekt wird in- zwischen in einer zweiten, von der Bundeskulturstiftung geförderten Phase von den Berliner Festspielen weitergeführt. – Geschichte von Handelsstädten im Osmanischen Reich: In Kooperation mit dem Interdisziplinären Zentrum Vorderer Orient der Freien Universität, dem Zentrum Moderner Orient und dem Orient-Institut der Deutschen Mor- genländischen Gesellschaft in Istanbul beschäftigte sich dieses Projekt mit neuen Ansätzen zur Sozialgeschichte von Handelsstädten im Osmanischen Reich und seinen Nachfolgestaaten. Geleitet wurde es von Ulrike Freitag und Gudrun Krämer. Mit den Berliner Seminaren, den Sommerakademien, den Stipendien an junge Forscher vorzugsweise aus den Ländern der islamischen Welt sowie den vielen Einladungen renommierter Wissenschaftler und Schriftsteller wurde ein Modell der islamwissenschaftlichen Forschung erprobt und angewandt, das die bekannten Formen und Foren nicht völlig ersetzen, aber in Zukunft doch signifikant ergänzen muss, damit die Islamwissenschaft Anschluss an die übrigen Disziplinen findet. Die bestehenden methodischen wie personel- len Grenzen der Islamwissenschaft wurden für geeignete, eng umrissene For- schungsvorhaben geöffnet, so dass ein intensiver und bis heute anhaltender Austausch zwischen ihr und den Vertretern der jeweils zuständigen Haupt- disziplin entstand. Besonderen Wert legte der Arbeitskreis in den letzten MONIKA WAGNER · NIKE WAGNER · RUDOLF WAGNER · RAINER WAHL · ARKADIJ WAKSBERG ·

Jahren auf die Verbindung von Wissenschaft und Kunst, insbesondere der 237 Lite ratur. Glücklich fügte sich vor allem das Neben- und Miteinander des lite- ra turwissenschaftlichen Projektes Cultural Mobility mit dem literarischen MODERNE UND Austausch- und Begegnungsprogramm West-östlicher Diwan. Aber auch die Gruppe zur jüdischen und islamischen Hermeneutik profitierte regelmäßig von der Anwesenheit arabischer Dichter und Intellektueller. Durch eine Vor- I

trags- und Diskussionsreihe in der Berliner Volksbühne ebenso wie durch SLA

zahl reiche Beiträge in überregionalen Medien gelang es zuletzt auch immer M häufiger, selbst mit abgelegen exegetischen Fragen eine interessierte Öffent- lichkeit außerhalb der eigenen Fachwelt zu erreichen und so auch politische Diskussionen zu stimulieren. Die Islamwissenschaft in den allgemeinen kultur- und sozialwissen- schaftlichen Wissenschaftsdiskurs einzubringen, sollte eigentlich eine Selbst- verständlichkeit sein. Weil es das nicht ist, bot sich der neue Arbeitskreis als Forum an, um interdisziplinäre Vorhaben gezielt zu fördern und damit die Konturen der Islamwissenschaft zu erweitern. Das übergeordnete Ziel war eine langfristige Neubestimmung nicht bloß der Islamwissenschaft, sondern überhaupt der geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen: So sollte die arabische Literatur nicht zuvörderst im Zusammenhang mit dem Islam, son- dern im Zusammenhang mit anderen Weltliteraturen studiert werden und ihren Ort daher perspektivisch an den literaturwissenschaftlichen Semina- ren finden, die sich umgekehrt natürlich Arabisten (und anderen Regional- wissenschaftlern) öffnen müssten. Analog wäre die Geschichte der arabischen Welt, würde man sie endlich säkularisieren, ein ureigenes Thema der Ge- schichtswissenschaft und dann erst der Islamforschung. Der Arbeitskreis Moderne und Islam sah sein eigenes Anliegen auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Situ- ation in Europa. Projekte, die die religiöse Determination von Phänomenen innerhalb der islamischen Welt nicht mehr nur implizit, sondern offen und konsequent hinterfragen und beispielsweise die Literatur als autonome Größe und nicht in ihrer Abhängigkeit von der Religion behandeln, stellen sich quer zur Erwartungshaltung einer breiten Öffentlichkeit, die im Orient exempla- risch den Ort der Religion sieht. Eine säkulare Wahrnehmung würde die reli- giöse Dimension von Vorgängen und Entwicklungen innerhalb der islamischen Welt nicht übersehen, sie jedoch mit denselben Begründungszusammen- hängen konfrontieren und damit erst rational erklärbar machen, wie dies in bezug auf andere Regionen selbstverständlich ist. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 wandten sich Medien und Politik mit dringlichen Fragen an die Islamwissenschaftler. Auch der Arbeits- kreis Moderne und Islam konnte sich dem nicht entziehen. Kurzfristig ge- schah das durch die Präsenz seiner Berliner und auswärtigen Mitglieder in MACK WALKER · GYÖRGY WALKÓ · HUI WANG · PETER WAPNEWSKI ·

238 den Medien und auf zahlreichen Podien. Langfristig wichtiger aber ist sein wissenschaftliches Programm, das sich schon seiner Entstehung nach nicht N

AVID AVID zu einer Reaktion auf den Terrorismus verkürzen lässt – und dennoch rele- vant ist auch für aktuelle politische Debatten. Allem Anschein nach vertraten K ER die Attentäter eine radikal-islamistische Ideologie, innerhalb derer die sozi- M

ANI ale, kulturelle und ökonomische Gegenwart vor allem unter dem Paradigma einer grundlegenden Polarität zwischen dem Westen und der islamischen Welt wahrgenommen wird. Ganz in ihrem Sinne wurden die Anschläge in der westlichen Öffentlichkeit immer wieder als Angriff auf die eigene Zivilisation interpretiert. Zahlreiche Kommentatoren und insbesondere Vertreter der Mus lime in Deutschland wie in der islamischen Welt haben sich dagegen ge- wandt, die terroristischen Verbrechen in den Zusammenhang eines clash of civilizations zu stellen, und betont, dass die Attentate den grundlegenden Werten aller Zivilisationen widersprechen. Tatsächlich lässt die Ausführung der Taten und das bisher bekannte Profil der Attentäter auf eine tiefe Ver- trautheit mit der westlichen Gegenwartskultur, ihren Mythen und Zukunfts- phantasien schließen. Der Arbeitskreis Moderne und Islam hatte sich in den fünf Jahren vor 2001 bemüht, die neuzeitlichen gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb der islamischen Welt im Kontext derselben Moderne zu verstehen, von der auch die westliche, aber auch die japanische oder südamerikanische Welt ge- prägt ist. Auch jene muslimischen Bewegungen und gegenaufklärerischen Ent würfe, die sich gegen geistige und politische Phänomene der westlichen Zivilisation wandten, wurden nicht als prä-modern gedeutet, sondern als inte- graler Bestandteil der Moderne selbst. Mit dem zweiten Arbeitskreis Moderne und Islam verlagerte sich der Fokus: die Polarisierung zwischen einer islami- schen und einer westlichen Zivilisation, die sich vergleichbar auch im Studium anderer Regionalwissenschaften aufweisen ließe, wurde als sinnvolles Deu- tungsmuster grundsätzlich relativiert, um den Blick auf die allen Kulturen gemeinsamen Fragestellungen und Phänomene zu richten. So verschieden die Antworten und Entwicklungen sind, die in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten auftreten, so wenig lassen sich die Unterschiede allein anhand eines Schemas von islamisch/westlich oder europäisch/außereuro pä- isch erklären. Im Gegenteil: Nivellierend ist die Reduktion der Entwicklungen und Phänomene innerhalb muslimischer Gesellschaften auf eine isla misch- religiöse Urbegründung. Erst mit Blick auf die zahlreichen Verflech tungen, Parallelen, wechselseitigen Bezüge zwischen der westlichen und der islami- schen Welt tritt auch das je eigenständige Profil deutlich hervor. Der Ar beits- kreis konzentrierte sich daher in den zweiten fünf Jahren im Rahmen der eng umrissenen konkreten Forschungsprojekte auf diese Verflechtungen und viel- fältigen Wechselbeziehungen, die sich einfachen Dichotomien entziehen. FRANÇOISE WAQUET · GABRIEL R. WARBURG · MARTIN WARNKE · ERIC J. WARRANT ·

Der 11. September 2001 hat die Gefahr deutlich gemacht, die aus einer 239 vereinfachend polaren Weltsicht, wie sie offenkundig den Attentaten zu- grunde lag, herrührt. Die Antwort darauf kann nicht sein, sich diese simple MODERNE UND Weltsicht zueigen zu machen und die gegenwärtige politische Lage im Sinne eines Kulturkampfes zu deuten. Die Wissenschaft muss, um ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, grundsätzlich auf der Komplexität politischer, I

kultureller und sozialer Phänomene und Entwicklungen beharren. In Zu- SLA

kunft steht sie vor der Aufgabe, noch stärker als bisher auch in der Öffentlich- M keit zu vertreten, warum die verschiedenen Zivilisationen der heutigen Welt viel zu sehr ineinander verflochten sind, als dass sich die politische, kultu- relle und ökonomische Realität allein mit Hilfe eines rein kulturalistischen Modells beschreiben ließe. Das gilt auch und vor allem für die islamische Welt. Zum gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund der heutigen Islam- wissenschaft gehört aber nicht nur die Wahrnehmung des Islams in der euro- päischen Öffentlichkeit, sondern ebenso das eigene europäische Selbstver- ständnis, das die eigenen, von Judentum und Islam mitgeprägten Traditionen ignoriert und heute außerdem die – durch die Migration entstandene – fak- tische Teilhabe an zahlreichen weiteren Kulturen verkennt. Damit wird ein Wesensmerkmal und das eigentliche Erfolgsgeheimnis des europäischen Pro- jektes, wie es sich in der Französischen Revolution normativ herausgebildet hat, ins Gegenteil verkehrt: seine radikale Offenheit, sein ebenso anmaßender wie utopischer Universalismus. Auf der expliziten Glaubensneutralität des Projektes zu beharren, bedeutet nicht, den religiösen (allerdings keineswegs ausschließlich christlichen) Ursprung vieler europäischer Werte zu verleug- nen. Aber es sind Werte, die säkularisiert, also im Laufe der Zeit innerweltlich begründet worden sind. Von nichts anderem sprechen die muslimischen Teil- nehmer des Hermeneutik-Projektes, die sich zum Beispiel nicht mehr mit der Frage aufhalten, ob die Menschenrechte islamisch sind oder nicht, sondern sie aus der menschlichen Vernunft ableiten und also implizit oder explizit deutlich machen, dass es Lebensbereiche außerhalb des Religiösen gibt. Ge- rade weil die europäischen Werte säkular sind, sind sie an keine bestimmte Herkunft oder Religion gebunden, sondern lassen sich prinzipiell übertragen. In allen Kulturen gibt es führende geistige Bewegungen, die genau diese Über- setzung immer wieder neu leisten, etwa indem sie die Demokratie oder die Menschenrechte in ein chinesisches, schwarzafrikanisches oder eben islami- sches Vokabular überführen, ohne doch die Verbindung mit den eigenen Tra- ditionen preiszugeben. Wer heute als Historiker die Muslime wegen ihres Glaubens zu Uneuropä- ern erklärt, verkennt nicht nur die europäische Geschichte, die mit dem Os- manischen Reich einen zentralen Akteur hatte und zu immerhin zwei musli- BERNARD M. J. WASSERSTEIN · DAVID J. WASSERSTEIN · HELEN WATANABE-O‘KELLY · ELKE U. WEBER ·

240 mischen Ländern auf europäischem Boden geführt hat. Er macht aus Europa eine Religion, beinahe eine Rasse und stellt damit das Vorhaben der europä- N

AVID AVID ischen Aufklärung auf den Kopf, das seine Spezifität gerade dadurch gewinnt, dass es eine weltliche, prinzipiell allen Bürgern offene Willens- und Werte- K ER gemeinschaft darstellt. Ein wirklich säkulares Europa würde sich nicht reli- M

ANI giös-genealogisch definieren, sondern durch Ideen, zu denen man sich unge- achtet seines Glaubens oder seiner Abstammung bekennen kann oder eben nicht bekennt (auch dieses letztere ist Europäern, wie nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch die Ereignisse der letzten Jahre auf dem Balkan oder innerhalb der ehemaligen Sowjetunion lehren, sehr wohl möglich). Erst wenn man die außereuropäischen und speziell die islamisch gepräg- ten Kulturen in einem Zusammenhang mit der eigenen Vergangenheit und Gegenwart studiert, wenn sie nicht länger als Exotikum begriffen werden, das positiv in seiner faszinierenden Kuriosität, negativ in seiner Bedrohlichkeit zu studieren ist, finden die Geisteswissenschaften zu einem angemessenen Ver ständnis auch der eigenen, europäischen Geschichte, Literatur und Kultur; gleichzeitig würden sie jene Entwicklung einholen, die sich durch die Mi- gration der letzten Jahrzehnte längst vollzogen hat, ohne sich allerdings im öffent lichen Bewusstsein adäquat niedergeschlagen zu haben. Wegen ihrer engen Verflechtung mit der europäischen Kultur und Geschichte ist die Erfor- schung der islamischen Welt in besonderer Weise geeignet, die Dominanz zu brechen, die der Mechanismus der Exklusion in der Beschäftigung mit nicht christlich oder nicht westlich geprägten Traditionen weiterhin ausübt. Damit könnte die Erforschung der nahöstlichen Kulturen, wäre sie in die übrigen Kulturwissenschaften integriert, eine Vorreiterrolle auch für andere Regional- wissenschaften spielen. Die religiösen Traditionen, Literaturen, performati- ven und bildenden Künste aus dem Nahen Osten würden in einem solchen Diskurs der europäischen Kultur nicht entgegengesetzt, sondern als Bestand- teil einer Kultur verstanden, die den Nahen Osten und Europa gemeinsam prägt. Das häufig beschworene, nicht selten zur Floskel erstarrte Wort vom Dialog würde sich dann schon deshalb relativieren und zugleich neu beleben, weil man wahrnimmt, dass die Trennlinien quer durch die Kulturen und Reli- gionen verlaufen und ‚man selbst‘ immer auch schon zu ‚den anderen‘ ge- hört. Als jemand, der den zweiten Arbeitskreis Moderne und Islam mitkonzi- piert und ihn zwei Jahre geleitet hat, bin ich der Falsche, um ihn abschlie- ßend zu bewerten – zumal nach einer finanziellen Zusage der Thyssen-Stif- tung die Fortsetzung gesichert ist. Erstaunlich viele Tagungen, Forschungen und halb-öffentliche Debatten sind durch Berichte, Zeitungsartikel, Bücher und – im Falle des Hermeneutik-Projekts – eine eigene Buchreihe dokumen- tiert worden. Dass es auch Misserfolge gegeben hat, Ideen, die sich als unrea- HANNELORE WECK-HANNEMANN · HERMANN VAN DER WEE · PETER PAUL WEGENER · listisch, Konstellationen, die sich als wenig fruchtbar erwiesen haben, ver- 241 steht sich angesichts der Fülle von Aktivitäten von selbst. Zuversichtlich bin ich, dass man die Spuren des Arbeitskreises noch in vielen künftigen Veröf- MODERNE UND fentlichungen finden wird, so wie sie in meinen eigenen Büchern offensicht- lich sind, ohne dass ich ständig auf die Zeit in Berlin rekurrierte. Diese not- wendig individuelle Folge eines solchen Projekts – dass Bücher anders, besser, I

ihrem Gegenstand angemessener geschrieben werden – ist freilich am schwie- SLA

rigsten zu bemessen. M Wenn ich mich selbst frage, was am Wichtigsten war, sind es die akademi- schen und persönlichen Begegnungen von Menschen, die sich in ihren je un- terschiedlichen Kontexten mit ähnlichen Fragen beschäftigten, aber kaum je aufeinandergetroffen wären. Die Konferenzen, die Gespräche oder auch die gemeinsame Lektüre der jeweiligen Quellentexte haben zu Verbindungen ge- führt, die über den Arbeitskreis hinausweisen und längst in neue Vorhaben gemündet sind. Innerhalb des Arbeitskreises waren die akademischen oder politischen Grenzen oft so durchlässig, wie es die Kulturen Europas und die des Nahen Ostens sind. Das mögen die Grenzen zwischen Arabisten und ande- ren Literaturwissenschaftlern gewesen sein oder zwischen Kulturtheoreti - kern und Museumspraktikern, die Grenzen zwischen deutschen und arabi- schen Schriftstellern, jüdischen und muslimischen Gelehrten oder iranischen und israelischen Intellektuellen. Im Falle von Mahmud Darwisch und Adonis, den beiden prominentesten arabischen Dichtern der Gegenwart, waren es Grenzen innerhalb der gleichen Literatur, die sich erstmals nach vielen Jah- ren öffneten, als sie sich im Wissenschaftskolleg trafen, um über das Verhält- nis zwischen Poesie und Erinnerung zu diskutieren, auch mit Blick auf die Literatur ihrer jüdischen Nachbarn. Ein anderer Dichter, Abbas Beydoun, hat in Berlin einen bewegenden Essay geschrieben über den Versuch, den un - garischen Nobelpreisträger für Literatur Imre Kertész nicht nur zu bewun- dern, sondern auch zu verstehen – die erste ernsthafte Veröffentlichung eines Arabers über diesen jüdischen Schriftsteller. Zwischen den Schriftstellern Joachim Helfer und Rashid Al-Daif entspann sich ein schriftlicher Dialog über Homosexualität und die Missverständnisse zwischen den Kulturen, wie er in solcher Offenheit in beiden Kulturen noch nicht zu lesen gewesen sein dürfte. Der iranische Theologe Hodschatoleslam Mohammed Schabestari verblüffte die Zuhörer in Adonis’ arabischem Salon mit seiner progressiven Lesart des Islams so sehr, dass mancher arabische Intellektuelle plötzlich als Hüter der Überlieferung auftrat. Die jüdischen und muslimischen Teilnehmer des Her- meneutik-Projektes stifteten sich mit ihrer radikalen Selbstkritik immer wie- der gegenseitig an, überlieferte Positionen und Geschichtsbilder noch grund- sätzlicher in Frage zu stellen. Wie oft wurden Gemeinsamkeiten entdeckt, wo man sie nicht erwartet hätte, und Unterschiede, wo man sich in trauter HANS-ULRICH WEHLER · RÜDIGER WEHNER · HANS A. WEIDENMÜLLER · PETER WEINGART ·

242 Gemeinsamkeit hielt. Das ‚Wir‘, das sich in den Diskussionen ergab, war selten ein rein jüdisches oder muslimisches, ein germanistisches oder arabis- N

AVID AVID tisches, ein literarisches oder wissenschaftliches, ein iranisches oder arabi- sches, ein islamisches oder islamwissenschaftliches, ein westliches oder orien- K ER talisches. Es war ein ‚Wir‘, das im besten Fall so komplex war, wie es die M

ANI Moderne ebenso wie der Islam tatsächlich sind. Michael Maar Exotische Vögel und platonische Ideen Writers in Residence

Beim Abschied kam es zum Moment der Wahrheit. Er wählte die Form eines kleinen Glucksens. Wie gut er es finde, versicherte der Wirtschaftswissenschaft- ler dem freien Autor beim letzten Händedruck, dass auch so jemand wie er, sein Gegenüber, in ihrer Runde dabeigewesen sei. Wie das belustigte Glucksen in seiner Stimme verriet, meinte er damit: Auch so ein exotischer Vogel! Das Wissenschaftskolleg leistet sich den Luxus, jedes Jahr einen solchen exotischen Vogel zu berufen, einen freien Autor oder Writer in Residence. Wie schwer es ist, das Türchen zu diesem Bauer geöffnet zu bekommen, lässt sich leicht ausrechnen. Biologen, Islamforscher oder Soziologen können den Jahr- gang auch im halben Dutzend bevölkern – Schriftsteller wird man in der Wallotstraße pro Jahr immer nur einen sehen. Wer oder was genau entscheidet darüber, wem das Glück der Einladung lacht? Diese Frage, die sich bei Durchsicht der Namenslisten stellt, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Die Einladung des Writers in Residence gilt tra- ditionell als Ehrensache des Rektors, der kein Mensch wäre, würde er dabei nicht seinen Vorlieben und Abneigungen folgen. Das erste Gesetz der Beru- fungspolitik ist also, dass es ein solches Gesetz nicht gibt. Dennoch kann man sagen, wer statistisch gesprochen die größten Chancen hat, als Fellow berufen zu werden. Beschäftigt sich der Kandidat nebenbei als Hochschullehrer, ist er also ein Germanist, der auch literarische Prosa verfasst oder ein Autor, der unterrichtet, wachsen seine Chancen. Ist er Amerikaner, muss er sich Sorgen machen – außer einem Einzigen, der dann verhindert war, wurde kein einziger bis heute ernannt, ebenso wenig wie Franzosen oder Italiener. Die Deutsch- sprachigkeit scheint eine unausgesprochene Berufungsvoraussetzung zu sein. Es sei denn, der Kandidat wäre Ungar oder Libanese, dann wiederum stie- gen seine Chancen sprunghaft an. Der Grund für diese statistische Doppel- häufung ist institutioneller Natur: Der Ungarn-peak des letzten Jahrzehnts verdankt sich nebst der natürlichen Talenthäufung dieser großen Literatur- nation auch der Zusammenarbeit, die das Wissenschaftskolleg mit seinem HARALD WEINRICH · DAVID E. WELLBERY · DIETER WELLERSHOFF · TOM H. WENSELEERS ·

244 Schwesterinstitut, dem Collegium Budapest, unterhält. Die gezielte Einladung nahöstlicher Autoren verdankt sich dem von Navid Kermani angeregten und MI

C der Kulturstiftung des Bundes mitgeförderten Programm West-östlicher Di- HAEL MAAR wan, das deutsche mit nahöstlichen Autoren zusammenbringt. Libanesen, Araber, Türken und Iraner wurden in den letzten Jahren darum häufiger als Gäste ins Kolleg geladen, als es der Würfelfall der Statistik erlaubt hätte. Sel- tener, als es sich statistisch gesehen gehörte, wird eine Gruppe berufen, die Anspruch auf die glatte Hälfte des Kontingents anmelden dürfte. Ist der Kan- didat eine Kandidatin, sinken ihre Chancen beträchtlich: Seit 1981 wurde ge- rade eine Handvoll Frauen ins Kolleg gebeten. Wenn Zufall und Notwendigkeit auf diese verschlungene Weise zusam- mengewirkt haben, um dem Poeten des Jahres die Pforten des Kollegs zu öff- nen, was erwartet ihn im Innern? Ein knappes Jahr der ungestörten, wirt- schaftlich abgesicherten, von äußeren Zwängen befreiten und durch tausend Zuträgerdienste beförderten Arbeit. Das ist der Weinpokal, wie er funkelnd vor aller Augen steht. Die Tröpfchen Essig darin sind weniger offensichtlich und darum einiger Bemerkungen wert. Sie hängen alle mit dem sonderbaren Beruf des Autors zusammen. Er unterscheidet sich von dem des Professors nicht nur im Detail, sondern im Wesenskern. Freie Autoren haben immer und nie sabbatical. Der Hochschulprofessor kann im amtsfreien Jahr etwas anfangen oder fertigstellen, was er unter der Last seiner täglichen Pflichten immer wieder liegenlassen musste. Der freie Autor kann sich allenfalls von den Brotarbeiten abwenden und das eigentli- che Hauptgeschäft vorantreiben. An der Art seiner täglichen Arbeit ändert sich aber viel weniger als bei dem aus dem Joch geschlüpften Professor, der sich in neuer Freiheit suhlt. In Wahrheit, en passant, braucht auch der Profes- sor oft ein halbes Jahr, bis ihm das Joch ganz entglitten und keine Prüfung mehr abzunehmen, kein Gutachten mehr zu verfassen und keine Kommis- sionssitzung mehr zu regieren ist. Einige sind das Joch so gewöhnt, dass sie genauso gespielt darüber stöhnen wie die Kinder nach den Sommerferien über den Schulanfang. Der Autor ist ein anderes Joch gewöhnt. Es ist nicht weniger drückend, nur weil es aus unsichtbaren Fädchen besteht. Der Autor muss schreiben, das ist sein liebens- wie hassenswertes Geschäft. Oft starrt ihn das weiße Blatt oder der freundliche Bildschirmschoner an, und er starrt entmutigt zurück. Der Biologe kann auch lustlos ein Fischauge fürs Mikros- kop präparieren. Der Ökonom kann auch uninspiriert den neuesten Aufsatz über Kondratjew-Zyk len durchblättern. Der Soziologe kommt in der Regel ohnehin mit wenig Ins piration zurecht (wenn er nicht Wolf Lepenies heißt). Der freie Autor aber ist nicht frei, sondern das genaue Gegenteil. Legt sich ihm der writer’s block als Succubus auf die Brust, ist er machtlos und kann sich wohl beschäftigen, aber nicht arbeiten. L.R.J. ZWI WERBLOWSKY · OTTO KARL WERCKMEISTER · MICHAEL WERNER · HENK WESSELING ·

Daran ist das Wissenschaftskolleg nun wahrhaftig nicht schuld. Das Pech 245 kann den Künstler überall ereilen, nicht nur im Grunewald. Dort kommen aber ein paar Eigenheiten hinzu, die den Gewohnheiten des Autors hinder- WRITERS IN lich entgegenstehen. Der rituelle Tagesablauf im Wissenschaftskolleg ist dem Dichter nicht günstig. Einmal durch das Mittagessen unterbrochen, wird er R

nur schwer wieder in den morgendlichen Schreibfluss einsteigen können; ESIDEN den gemeinsamen Lunch zu schwänzen wiederum wäre unguter Stil. Péter

Nádas, Kollegjahrgang 2002/03, deutet diese Einschränkung an, wenn er C davon schreibt, dass die vorzüglichen Mittagessen und Tischgespräche ihn E doch in der Regelmäßigkeit seines Arbeitens behindert und zum Frühaufste- hen genötigt hätten. „Extrem früh an Dienstagen“, wie er anfügt; denn der Dienstag ist in der Wallotstraße bekanntlich ein besonderer Tag. Auch wegen dieser Arhythmien, die den ohnehin zum Stolpern neigen- den Puls des Poeten stören, gilt es als eine Art Binsenweisheit, dass im Kolleg- jahr die literarischen Werke weniger verfasst als empfangen werden. Wolf Biermann goss es in die Formel des „Schönen Scheiterns“, und sie gilt für viele Fälle. Selbst der ordentliche Kunsthistoriker Horst Bredekamp stürzte in eine Sinnkrise, als er in Berlin endlich Zeit zum Nachdenken über die eigene Ge- lehrsamkeit fand: „Ich entschied, das Schreiben in Zukunft sein zu lassen.“ Zum Glück schrieb er dann doch weiter, und heute ist er Permanent Fellow. Ähnlich glücklich enden die meisten Krisen, die vom Kolleg ausgelöst werden. Dessen Regeln haben ja auch eine andere Seite. Die Zugehörigkeit zu einer Institution wie dem Wissenschaftskolleg sei dem freien Autor sogar noch notwendiger als den Professoren, bekannte Rolf Hochhuth, Fellow des Jahres 1986/87, in seinem Arbeitsbericht. Wer Studenten habe, stehe im Leben, aber der Verfasser umfangreicher Manuskripte kämpfe beständig gegen seine Iso- lation, und zwar um so stärker, je namhafter er sei. Die wenig erfolgreichen Autoren müssen noch hinaus ins feindliche Leben, die materiell unabhängi- gen nicht. Für eben diese bietet das Kolleg die anti-solipsistische Arznei. Nicht übrigens, dass die andern davon frei wären, also vom Solipsismus. Am besagten Spezialtag, dem Dienstag, kommt es ab elf Uhr vormittags im mer wieder ans Licht. Es war der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der die Dienstagsdebatten treffend beschrieb. Die Fragen von deutscher Seite seien keine Fragen, sondern Gegenreferate, in zögerndem, aber platzgreifendem Englisch vorgetragen, „deren Botschaft manchmal nichts weiter sagte als Richard III. ‚I am I‘“. Was zu unserer Überraschung wissen- schaftler- und nicht schriftstellertypisch ist. Für den Schriftsteller, selbst wenn er früh aufstehen muss, haben die Dienstage einen unbestreitbaren Vorteil. Genauer gesagt: einer dieser Diens- tage, nämlich derjenige, an dem er selbst an der Reihe ist. Wie viele gestan- dene Professoren sah man nicht vor diesem Vortrag längst entwöhnte Nervosi- ANNA WESSELY · JÖRG WIDMANN · CONRAD WIEDEMANN · STEFAN WILD · BERNHARD A. O. WILLIAMS ·

246 tät an den Tag legen. Wie viele haderten nicht schon Monate vorher mit der Wahl ihres Themas. Wie viele schließlich präsentierten am Ende, um es italie- MI

C nisch zu sagen, die Erfindung des kochenden Wassers. Mit Wasser kocht auch HAEL MAAR der residierende Poet. Aber an seinem Dienstag hat er es leicht: Er muss sich nicht vorbereiten, er liest einfach aus dem entstehenden Werk. Dieses Werk entsteht denn in der Regel doch, wenn auch manchmal zeit- versetzt. Aus den multiplen Anregungen, die der Writer in Residence erfährt, schließt sich etwas zusammen, das er vielleicht erst später als poetisches Ma- terial erkennt. Längerfristig ist die Ernte bedeutend, die sich im Schuber des Kollegs, sprich: der Fellow-Bibliothek in den Gesellschaftsräumen, aufhäuft. Shakespeares Sonette wurden gleich zweimal übersetzt, von Biermann und von Klaus Reichert. Adonis schrieb an seinem Buch ‚The Book‘ weiter, das ihm die Verehrung der arabischsprachigen Welt einträgt. Oder nehmen wir Péter Esterházy. Der ungarische Autor, der 1996/97 im Wissenschaftskolleg war, ar- beitete an einem Familienroman, von dem er nicht viel Aufhebens machte. Es folgte eine kleine Karenzzeit. Und dann drehte sich die sanft ansteigende Linie seiner Karriere plötzlich und schoss nach oben. Binnen weniger Monate wurde er vom geschätzten, aber wenig bekannten Autor zum Aufmacher aller Feuilletons. Der Familienroman ‚Harmonia Caelestis‘ wurde von der Kritik, wie der Titel es anbot, in den Himmel gehoben. 2004 bekam Esterházy nach etlichen anderen Ehrungen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Der Weg von der Wallotstraße führte in die Paulskirche. Der Höhepunkt, was die Ernten betrifft, ereignete sich am 10. Oktober 2002 um 13.00 Uhr. Imre Kertész war gebeten worden, in der Nähe des Telefonappa- rats zu bleiben. Mit seiner Frau ging er ins Kolleg und sperrte sich in seinem Arbeitszimmer ein. „Das Haus wimmelte schon von Journalisten und Foto- grafen, die uns, während wir durch den Garten ins Haus eilten, von allen Sei- ten ansprachen.“ Da wurde es dem Autor zum erstenmal mulmig; offenbar mussten diese Vorzeichen doch ernst genommen werden. Und dann kam er, der Anruf aus Stockholm. Ohne den Schutzschirm des Wissenschaftskollegs hätte der Nobelpreisträger, wie er dankbar vermerkt, den Ansturm nicht bewältigen können. Die dicken Mauern des Kollegs und die hilfreichen Geister in ihm bewahrten ihn vor dem Chaos, dem er hilflos ausgesetzt gewesen wäre. Durch diesen Schutz gelang es ihm, selbst in seinem Heureka- und Spektakeljahr einen Roman zu beenden. ‚Liquidation‘ erschien im Herbst 2003 und wurde allgemein als Bestätigung dafür angesehen, dass das Nobelpreiskommittee mit Kertész den richtigen Griff getan hatte – was bekanntlich nicht unbedingt die Regel ist. Glück, Glanz, Ruhm, um den Ex-Poet in Residence Robert Gernhardt zu zitieren, wären nun noch keine hinreichende Begründung dafür, Literaten- volk ins Kolleg einsickern zu lassen. Ein Nobelpreisträger ist eine Ehre und PAUL H. WILLIAMS · KRZYSZTOF WILMANSKI · MARGO WILSON · ANDREAS WIMMER · PAUL WINDOLF ·

Zierde des Hauses, wer will es leugnen. Aber die künftigen Nobelpreisträger 247 sind nicht so rar unter den Fellows auch der soliden Provenienz. Die Frage wäre, wie sich die Rolle der Literatur in einer Einrichtung wie dem Wissenschafts- WRITERS IN kolleg überhaupt darstellt. Sie ist, in aller Bescheidenheit, die Königsdisziplin. Sie ist es nicht nur R

deshalb, weil Literatur im weitesten Sinn alle Disziplinen überwölbt, die im ESIDEN Kolleg vertreten sind; auch der Naturwissenschaftler verfasst sie in seinen

papers, so wie Molières Monsieur Jourdain sein Leben lang in Prosa spricht, C ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen. Sie ist es vor allem aus dem E Grund, den indirekt Péter Esterházy benennt. Der Romanschreiber, zumeist eine simp le Seele, sei „aus Nichtwissen zusammengesetzt“, darum sei es für ihn ein großes Erlebnis, mit Leuten beisammen sein zu können, die etwas wissen. Das Negativ dieser Seite verweist auf die Eigenschaft, die den Writer in Residence zum geheimen Mittelpunkt der Fellows macht. Er verkörpert, wenn man so will, diese Fellowschaft als platonische Idee. Der Autor weiß nichts, aber er sollte alles wissen. Er ist mit der gleichen Selbstverständlichkeit interdisziplinär, mit der die Biene herumsummt und Nektar schlürft. Es gibt nichts, was ihm nicht irgendwann nützlich werden kann, nichts, was nicht seine Sporen abwerfen und späte Blüten treiben las- sen könnte; nichts, was ihm menschlich-schriftstellerisch von vornherein fremd sein darf. Kann man wissen, was der Kunst nicht noch dienen mag? Hans Magnus Enzensberger schrieb ein schönes Gedicht über eine Fliege, in dem alle anatomischen Details akkurat sitzen, die dreigliedrigen Taster, die fleischigen Endlippen und die zweimal viertausend Linsen – kein Wunder, wurden sie ihm doch beim Lunch von der Koryphäe aus Cornell zugespielt. Und dann erst der Roman, dieser Haifischmagen als Form, nach Musils Wort über den ‚Zauberberg‘, der schlechterdings alles aufnehmen und assimilieren kann. Der Romancier erfüllt alles, was sich das Wissenschaftskolleg als Ziel in die geistige Verfassung geschrieben hat. Seine Neugier ist fächer- und gren- zenübergreifend. Er muss das Wesentliche an jeder Sache sehen. Er muss die Oberfläche würdigen und das Detail wertschätzen, aber es zieht ihn zur Tiefe. Wovor es ihn graust, ist das Seichte und die Trivialität. Er ist ein Wort-Impe- rialist und will das Reich des Sagbaren vergrößern, darum hat er Ehrfurcht vor dem Numinosen. Er hält Kunst für eine Erkenntnisform, aber bewundert die Naturwissenschaft für die ihre. Wenn er ins Kolleg geladen wird, ist es nicht Luxus, sondern Notwendigkeit. So ist es zumindest in der Theorie. Wie egozentrisch der Romancier dann in der Praxis auftreten mag und in welches Gefieder der exotische Vogel sich jeweils hüllt, das steht freilich auf einem andern Blatt.

Dominique Jameux Les Plaisirs de l’Île enchantée

Ce Serait une Utopie …

... un lieu où les problèmes rencontrés dans le champ musical coutumier, l’institution musicale ordinaire, trouveraient leur résolution, ou au moins l’esquisse de leur traitement. A hypothèse naïve, questions simples. Par exemple: qu’est-ce que créer ? Quelle part réserver à la gratitude, quelle part à l’insolence, par rapport à l’héritage reçu, tellement important en musique ? Un compositeur est ‚élève de’. Il trouve dans son berceau ‚Beethoven‘ – pris comme chiffre de toute mu- sique à toutes époques: un langage constitué, un ensemble de règles et d’inter- dits, des exemples fameux. Puis il a trente ans : c’est pour lui l’âge des chefs d’œuvre de rupture (ou jamais). György Ligeti bouleverse le monde musical avec ‚Atmosphères‘ (1959), Pierre Boulez avec ‚Le Marteau sans Maître‘ (1953). A soixante ans, le composi- teur écrit des chefs d’oeuvres d’exploitation : des ‚Etudes pour piano‘, ou ‚Ré- pons‘. De bien belles oeuvres. Il sait enfin comment écrire sa musique, com- ment elle sonnera, comment les interprètes, voire le public, l’accueilleront. Mais jeune ou moins jeune, il se heurte aujourd’hui à un obstacle capital : la disparition de l’obstacle constitué jadis ou naguère par la présence de tabous d’écriture à respecter. Plus de tabous ? Que de possibilités en moins ! La ques- tion initiale se reformule: qu’est-ce que créer ? On en est là.

Le compositeur a entre-temps traversé des cercles de notoriété successifs : A) Ses parents, amis et condisciples d’abord, quelques dizaines B) Son milieu de référence (celui qui suit la musique contemporaine, quel- ques centaines) C) Le cercle des mélomanes (classiques, quelques milliers) D) Le grand public enfin – qui par dizaines de milliers ou plus peut connaître son nom sans connaître sa musique. LUTZ WINGERT · GABRIELE WINKLER · HEINRICH A. WINKLER · ANDRZEJ WIRTH · NORTON WISE ·

250 On pourrait se saisir de ce schéma, en l’adaptant au besoin aux cas de chacun, pour jauger la carrière des grands créateurs de la nouvelle musique à D

O partir de 1945 : Luciano Berio, Pierre Boulez, Luigi Nono, Karlheinz Stockhau- M

INIQUE JA sen … Rapporté aux compositeurs invités au Wissenschaftskolleg, le schéma suscite la question : à quel stade de notoriété un compositeur vient-il passer plusieurs mois Wallotstrasse 19 ? De façon empirique, on aura envie de répon- M dre : entre B et C pour les ‚jeunes compositeurs‘ (avant cinquante ans), entre C EUX et D pour la génération antérieure. Wolfgang Rihm (1984/85), Luca Lombardi (1988/89), Isabel Mundry (2002/03), Jörg Widmann (2003/04, 2004/05), d’un côté ; Josef Tal (1982/83), Luigi Nono (1988/89), Alfred Schnittke (1989/90), Hans-Werner Henze (1991/92), György Kurtág (1993/94, 1994/95, 1998/99), György Ligeti (2000/01), Helmut Lachenmann (2001/02), Hans Zender (2005/96), de l’autre. Une question subsidiaire, dont on laissera la réponse aux intéres- sés, serait de se demander quel rôle un séjour au Wissenschaftskolleg joue pour chacun en ce domaine. En tous cas, les autres Fellows- chercheurs de toutes disciplines ne jouent pas ce jeu-là. Voilà qui discrimine sensiblement la catégorie des Fellows-com- positeurs, dont le recrutement est par ailleurs davantage un privilège discré- tionnaire du Recteur du Wissenschaftskolleg.

On parle de musique classique. De quoi s’agit-il au juste ? D’une double articu- lation. La musique classique est celle dont le compositeur n’est pas normale- ment l’interprète, dont l’interprète le plus souvent n’est pas l’auteur. Si bien que l’un et l’autre sont constitutifs à parts égales du concept ‚musique clas- sique‘. C’est par l’interprète (présent) que la musique classique est présente. Les autres musiques (pop, rock, jazz, impro, techno …) se contentent d’être ‚actuelles‘. Mais de quoi, de qui, l’interprète est-il l’interprète ? Des goûts du public ? Ceux–ci ne le porteront pas vers la création. Certains, peu, sont plus exigeants : un Maurizio Pollini (surtout hier), un Quatuor Artemis aujourd’hui. Ils consti- tuent le premier public du compositeur, celui qu’il doit séduire, convaincre, enrôler. La musique contemporaine progresse par le nombre et la qualité de ses interprètes. C’est dire qu’elle progresse peu. Malgré la formida ble assis- tance qu’elle reçoit de la puissance publique et des médias militants, elle reste minoritaire dans une minorité (les amateurs de musique moderne) d’une mi- norité (amateurs de musique classique) d’une minorité (amateurs de musique) d’une majorité (indifférente à celle-ci). Aucun compositeur conscient n’ignore ce fait. Il peut poursuivre dans l’exploration impitoyable de cette analyse. Le com- positeur de musique ne peut aujourd’hui ignorer que sa musique ne répond à aucune demande sociale, que l’achèvement ou non de sa partition en cours ne LAURENZ WISKOTT · EDMUND WNUK-LIPINSKI · ULRICH WOLF · KURT WÖLFEL · JOACHIM R. WOLFF · troublera même pas le public qu’il vise. En même temps, même jeune encore, 251 a fortiori quand l’âge et la notoriété sont venus, il constate souvent qu’on le L demande de partout! Commandes multiples, résidences flatteuses ici et là, ES PLAISIRS sessions professorales, supervision de ses oeuvres jouées, direction d’une insti- tution de concerts … : le compositeur d’aujourd’hui, une fois franchi le seuil de la reconnaissance institutionnelle, est un compositeur débordé, toujours en retard, sollicité de toutes parts. Il est à la fois ignoré et célèbre.

Entre la musique – compositeurs et interprètes dans le même bateau – et son public, il y a les entremetteurs, qui organisent les plaisirs musicaux tarifés de leurs contemporains, en faisant se rencontrer la Musique et les clients mélo- manes. Moue distinguée des Beaux esprits. Il est des entremetteurs sinon de bas étage, du moins de moyen étiage: journalistes, critiques musicaux, anima- teurs, rédacteurs de notes de programme ou pochettes de disques. Ils écrivent sur la musique: ce sont des musico-graphes, à peine mieux considérés que les porno-graphes ! Mais la profession a ses élites: ceux qui non seulement écri- vent sur la musique mais accumulent du Wissen sur la Musik: des Musikwis- senschaftler. Ils sont en principe titulaires d’une chaire de Musikwissenschaft. Ils se situent sur le même plan de recherche que des historiens ou des linguis- tes, et souvent dans le même cadre universitaire – et à ce titre peuvent à l’occa- sion séjourner dans quelque Wissenschaftskolleg qui aurait ses murs à Ber- lin. Celui-ci aura ainsi reçu tels spécialistes de Johann Sebastian Bach (Joshua Rifkin et Ludwig Finscher, 1984/85), de la musique française à la fin du XIXème siècle (Jane Fulcher, 1986/87), de la voix dans l’opéra (Carolyn Abbate, 1994/95), de la musique roumaine contemporaine (Valentina Sandu-Dediu, 1999/2000). Mais au Kolleg, le Musikwissenschaftler est le plus souvent un être compo- site, épistémologiquement hybride! Il s’occupe de musique (sérieusement), mais s’en occupe d’autant mieux qu’il la quitte volontiers du regard. Il est spécialiste de littérature médiévale (Peter Wapnewski), ‚Theatermann‘ (Ivan Nagel, 1988/89), spécialiste de l’histoire du théâtre (Jens Malte Fischer, 1996/ 97), producteur de radio (Dominique Jameux, 1996/97), politologue (Udo Bermbach, 1999/2000), directeur d’opéra (Gérard Mortier, 2001/02), phil- osophe et spécialiste d’Adorno (Lydia Goehr, 2002/03), Kulturhistorikerin (Ruth HaCohen, 2004/05), – et tous Musikwissenschaftler à leur manière. Car aucun Fellow n’échappe à la règle édictée par Stéphane Mallarmé : „Tout, au monde, existe pour aboutir à un Livre.“ Et une industrie existe : le livre-sur-la-musique, qui perdure et constitue un secteur quantitativement (et qualitativement souvent) respectable (notamment en … France) : parce qu’il atteste que la musique, avant ou après être une dilection, est un savoir. DIETER WUNDERLICH · ISRAEL WYGNANSKI · ZWI YAVETZ · ALLAN YOUNG · LUCIANO ZAGARI ·

252 Celui-ci pourrait intéresser compositeurs et interprètes, mais ce n’est guère le cas : le compositeur est un prédateur, qui ne retient du savoir musical et de D

O l’histoire de la musique que ce dont il a besoin pour avancer ; l’interprète est M

INIQUE JA aux prises avec des problèmes que le seul savoir ne résout pas, et vise à une expressivité que ce savoir ne contrôle pas. Seuls peut-être les interprètes de musique baroque, parce que confrontés moins à une Musikwissenschaft géné- M rique qu’aux problèmes visant l’écriture du texte musical (la Musico-logie), EUX peuvent situer leurs préoccupations à même hauteur que celles d’un cher- cheur en sciences historiques ou sciences de la nature. De tout cela émane la conclusion que les différentes populations qui habi- tent cet art de communication qu’est la musique communiquent assez peu dans leur activité séculière.

Ce Serait une Île …

… l’Île d’Utopie, qui abriterait celle-ci. L’image de l’Île revient souvent sous la plume des Fellows. Ils n’hésitent pas longtemps pour la situer sur une carte. C’est d’abord l’île Berlin. Le savant n’est pas obligé de conférer au fait berli- nois une importance particulière ; le musicien, si. Il sait ce qu’il lui doit: une capitale musicale du monde, comme Vienne, Paris, ou Londres. Il arrive Wal- lotstraße : tout à côté de la Philharmonie, de l’Opéra Unter den Linden, du théâtre de Schinkel où fut donné (parce qu’on y parle beaucoup) un des tous premiers opéras allemands: le ‚Freischütz‘. Selon ses goûts ou manies, il de- vient un concitoyen, à travers les âges, de Felix Mendelssohn-Bartholdy, de Hans von Bülow ou de Arnold Schönberg. Berlin est bien pour lui une île: enchantée. L’Île d’Utopie prend naturellement un aspect vite familier : c’est le Wis- senschaftskolleg lui-même, île de savoir et de courtoisie dans un monde de brutes et d’ignorance ; île d’où sont bannis les arias de l’existence ordinaire (gagner sa vie, faire de l’administration, courir après une photocopie …). Privi- lège partagé par tous les Fellows ? Certes, mais les musiciens, compositeurs en tête, qui vivent couramment dans une île mentale constamment envahie de mille traverses, retrouvent l’île déserte propice à leur ascèse. Le Siècle les dis- trayait : la Règle va les recueillir. Ils vont certainement pouvoir enfin terminer cette partition qu’organisateurs de concerts et interprètes, moins patients qu’un éditeur, attendent dans l’angoisse d’une échéance annoncée urbi et orbi ! … Une île, enfin, peuplée de Bons Sauvages – ils sont une quarantaine – avec lesquels il est possible d’oublier les paradoxes douloureux de sa condition. Leur hospitalité mentale tient à une pa rt de naïveté. Le Fellow-compositeur PAOLA ZAMBELLI · PAUL ZANKER · ROBERTO ZAPPERI · FRANZ ZELGER · HANS ZENDER · FU SAN ZHAO · est d’abord accueilli comme un Fellow, pas comme un compositeur sur lequel 253 il conviendrait d’exercer une suspicion. Sa présence est légitime. Il se livre à L une activité guère plus ésotérique que les recherches particulières des autres ES PLAISIRS Fellows. Tel d’entre eux va s’apercevoir, non sans surprise parfois, qu’un homme de son âge a passé sa vie à chercher (comme lui) et à trouver: ce qu’atteste son catalogue. Et qu’il continue ! Le chercheur se sent un peu frère du créateur : et partage avec lui, dans le souterrain du Kolleg, sur une table disposée à cet effet, la pomme des Hespérides. Au Wissenschaftskolleg, on ra- jeunit. Le Fellow chercheur constate que cette activité mystérieuse, à laquelle naturellement il ne connaît et ne comprend rien, est appréciée d’une part non négligeable de ses contemporains, puisque son collègue est joué. Un soir, on va aller entendre, nombreux, la pièce d’Alfred Schnittke à la Philharmo- nie !

La présence d’un compositeur, pendant dix mois, est une basse continue ; la survenue d’un interprète, une arabesque. Mais que retiendra-t-on le plus ? Ste- fan Litwin (2003/04, 2004/05) aura pris l’habitude d’ouvrir régulièrement les oreilles des Fellows à la musique d’hier et d’aujourd’hui. Voilà (1996) ce qua- tuor à cordes, qui va être célèbre (2006). Il n’est pas là pour jouer (le Wissen- schaftskolleg n’est pas une institution de concerts), ni pour parler de la mu- sique, ce qui n’est pas son métier. Lequel est en grande partie de répéter, de travailler, de se colleter avec le texte. C’est donc ce qu’il fait, mais en rendant les Fellows témoin de ce labeur, qui leur est expliqué non par un entremet- teur, mais par un prêtre, voire un accoucheur. Le Quatuor est le Quatuor Arte- mis; l’accoucheur Walter Levin (1991/92), qui l’aura propulsé dans la carrière armé de façon idoine. Cela s’appelle un ‚Gesprächskonzert‘, et n’a lieu qu’une fois dans l’année. Il s’agit d’une musicologie pratique du traitement du texte. Voilà que dans le colloque entre les quatre instrumentistes et leur mentor, dont le texte d’un Alban Berg ou d’un György Ligeti constitue ce soir le sujet de conversation musicale, les Fellows soudain découvrent simplement la mu- sique, la vraie. Une inextinguible, une inextricable source de joie et de labeur. Un domaine où se vit, concrètement, l’exigence, la logique, voire la Vérité: toutes qualités propres aux chercheurs qu’ils sont. L’expérience est unique, mais violente. Tous s’en montrent frappés – et enchantés. L’interprète, ce paon si souvent vain et suffisant, apparaît alors sous le jour de sa plus haute vertu. LEONID ZHMUD · KHALED ZIADÉ · KRZYSZTOF ZIELNICA · SUSAN ZIMMERMANN · MARTIN ZIRNBAUER ·

254 Ce serait une Île d’Utopie. Et un Miroir Aussi ... D

O ... tendu aux Fellows eux-mêmes. La chambre sourde que le Wissenschaftskol- M

INIQUE JA leg représente à bien des égards, en éloignant des Fellows toutes les contingen- ces de la vie séculière, les met en face de leur projet, parce que la vie régulière oblige au face à face avec soi-même. Ce n’est pas un cadeau. Le com positeur M était sans doute harcelé chez lui par mille sollicitations qui le détournaient de EUX sa page blanche : autant d’alibis à cette partition qui n’avançait pas, à cette création en panne. A Berlin, il ne peut exciper de rien de semblable. L’extra- ordi naire harnais, tenu par la main de fer des échéances dictées par l’insti- tution musicale, l’obligera à avancer. Les compositeurs, de Josef Tal (1982/83) à Hans Zender (2005/06), composent au Wissenschaftskolleg. Et parfois sur le Wissenschaftskolleg, de façon métaphorique, par exemple à la faveur d’un liv- ret d’opéra qui reprend l’image de l’Île: de façon opportune s’il s’agit d’un opéra sur l’Odyssée (Isabel Mundry, 2002/03). C’est moins vrai pour le Musikwissenschaftler, venu à Berlin dans l’espoir déraisonnable de terminer enfin ce livre qu’on lui réclame depuis tant d’an- nées. Le calendrier de la désillusion est la chose la plus partagée entre les Fel- lows, et constitue un premier point de rencontre entre eux. Chevauchée de- puis trop longtemps, et un peu fourbue déjà, réenfourchée en octobre lors que la nef à fond plat glisse à travers Berlin avec d’étranges touristes à bord, la Chimè re d’un accomplissement rapide est doucement abandonnée vers fév- rier, quand le Fellow se rend compte que le succès de son séjour berlinois n’y est en fait pas indexé. Il a découvert Berlin, découvert le vol des mouches, dé- couvert le monde entier et ses questionnements. Il repart sans doute avec la perspective d’un coup de téléphone anxieux de son éditeur. Tant pis. Quel- ques temps (années ?) après, le livre est là, autre qu’il se le figurait avant – mais qui lui ressemble davantage aujourd’hui.

A tous, à tous les musiciens en particulier, le Wissenschaftskolleg propose donc de vivre deux valeurs antagonistes à la fois : l’idéal de réclusion, et celui de la convivialité. Plus que la convivialité : l’échange, le partage, l’apport réci- proque. Selon la formule-maison : „arbeiten mit“ davantage encore que „über“. Bel idéal, difficile à atteindre. Les musiciens, placés devant ce dilemme, réa- gissent comme ils peuvent. Ils arrivent dans le Paradis – ou l’Enfer ! – du Wis- senschaftskolleg sur tel ou tel cercle de la notoriété, parfois à l’ âge des ruptu- res, plus souvent à celui des exploitations. Le compositeur a surtout en tête le modèle de la réclusion. Il ne lui appartient cependant pas d’être indemne des autres. Une subtile alchimie se produit, par laquelle la seule coexistence d’un créateur et d’une communauté de chercheurs devient réciproquement poreuse. Parfois le com- PETER ZOGRAF · MOSHE ZUCKERMANN · INES ZUPANOV · HARTMUT ZWAHR positeur en a conscience. Il était dans la vie séculière à la fois isolé et harcelé : 255 il est dans la vie régulière entouré et tranquille. Il peut (György Ligeti, 2000/01) L s’intéresser au système auditif des chauve-souris : pour qui a écouté jadis son ES PLAISIRS ‚Continuo‘ pour clavecin, il n’est nulle surprise à le voir sensible aux insectes (l’animal a grossi). Mais ce qu’il cherche surtout, au delà de telle ou telle conni- vence, c’est le contact avec cette communauté même – qui le lui aura bien rendu. Dans d’autres cas, l’imprégnation réciproque est plus difficile à mesu- rer, mais s’établit avec le temps d’autant plus fermement : György Kurtág. Ses élèves auront au Wissenschaftskolleg même et attesté son magistère, et souli- gné sa jeunesse. Il n’y a pas de règle. A chaque fois il faut suivre le sage pré- cepte de Hans Sachs : établir la règle soi-même – puis la suivre. Alors: résolution des problèmes ? Non, bien sûr. Le séjour a un apport plus subtil : à la fois les éloigner et les reformuler. Le Fellow quitte le Wissenschafts- kolleg. La parenthèse se referme, mais mal. C’est cette imperfection qui atteste le succès du séjour.

Anhang

Chronik des Wissenschaftskollegs zu Berlin 1981–2006

1978 Das Berliner Abgeordnetenhaus beschließt am 6. 10. 1978 im Gedenken an den Ersten Regierenden Bürgermeister der Stadt und auf Vorschlag des Sena- tors für Wissenschaft und Forschung Peter Glotz die Errichtung eines Ernst- Reuter-Zentrums für internationale wissenschaftliche Begegnung (Center for Advanced Study). Im Beschlusstext heißt es: „Um Initiativen der großen Wis- senschaftsstiftungen aufzunehmen, um die durch Nationalsozialismus und Krieg unterbrochenen Verbindungen zu wichtigen geistigen Strömungen wie- der zu knüpfen, die teilweise bis heute in Deutschland unterrepräsentiert sind, um die Stadt fester in die internationale Kommunikation der Wissen- schaften einzubeziehen und bedeutende Gelehrte nach Berlin zu bringen, hat der Senat beschlossen, eine internationale Wissenschaftsstiftung zu errich- ten, die aus Anlass des 25. Todestages Ernst Reuters, der wie viele andere das Schicksal von Verfolgung und Emigration tragen musste und nach der Beseiti- gung der nationalsozialistischen Herrschaft entscheidend zu einer freiheitli- chen Entwicklung dieser Stadt beitrug, dessen Namen tragen soll. Aufgabe dieses Ernst-Reuter-Zentrums für internationale wissenschaftliche Begegnung soll es sein, die internationale wissenschaftliche Kommunikation zu fördern, Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt, insbesondere Gelehrte, die durch den Nationalsozialismus zur Emigration gezwungen wurden, und ihre Schü- ler als Gäste nach Berlin zu bringen, durch Kontakte zwischen ausländischen Gästen und deutschen, insbesondere Berliner Wissenschaftlern, das geistige Leben Berlins zu fördern und auszubauen.“ – Ein Arbeitsausschuss ‚Institut für Fortgeschrittene Studien, Berlin‘, der sich aus Vertretern Berliner Wissen- schaftseinrichtungen zusammensetzt (Institutsleiterkreis) und von Shepard Stone (Aspen Institute Berlin) koordiniert wird, ist mit der Planung der Umset- zung dieses Beschlusses betraut. Er tagt erstmals im Oktober. 260 1979 Senator Peter Glotz beruft Peter Wapnewski, Ältere Deutsche Philologie, TH CHRONIK Karls ruhe, als Gründungsrektor. Dieser leitet von Dezember an die weiteren Planungen.

1980 Nach einjährigen Vorarbeiten wird das ‚Memorandum zur Gründung eines internationalen Institute for Advanced Study in Berlin‘ fertiggestellt. Der Se- nat macht sich am 11. März 1980 die in der Gründungsdenkschrift dargelegte Konzeption zu Eigen. Auch das Berliner Abgeordnetenhaus billigt sie mit den Stimmen aller Fraktionen (11. Juni 1980). Am selben Tag tritt die Gründungs- versammlung des Vereins Wissenschaftskolleg zu Berlin zusammen, beste- hend aus den Präsidenten und Vorsitzenden der beiden West-Berliner Uni - versitä ten (Freie Universität Berlin und Technische Universität Berlin), der Stif tung Preußischer Kulturbesitz, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck- Gesellschaft, der Westdeutschen Rektorenkonferenz, des Wis- senschafts rates und der Alexander von Humboldt-Stiftung. Peter Wapnewski wird zum Rektor gewählt. – Die Stiftung Volkswagenwerk erklärt sich im Juni bereit, gemeinsam mit dem Land Berlin die Finanzierung des Wissenschafts- kollegs in der Startphase durch die Übernahme der Stipendienmittel zu tra- gen. – Das Land Berlin und das Wissenschaftskolleg zu Berlin e.V. gründen am 12. Dezember 1980 die Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter, deren Aufgabe die finanzielle Förderung des Wissenschaftskollegs ist. – Das Land Berlin stellt dem Wissenschaftskolleg die Villa Franz und Erika Linde (benannt nach den ersten Eigentümern 1910) in der Wallotstraße 19 als Hauptgebäude zur Verfü- gung. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat die Trägerschaft beim Umbau der Villa (Architektin: Dorothea Haupt).

1981 Im Januar tagt erstmals der Wissenschaftliche Beirat, der künftig jeweils zwei Mal im Jahr (im November und im Mai) zusammenkommt, um über die Einla- dung von Fellows zu beraten. – Joachim Nettelbeck wird als Sekretär des Wis- senschaftskollegs berufen. – Die ersten Fellows treffen am 1. Oktober ein, die offizielle Eröffnung findet im Rahmen einer Festveranstaltung am 6. Novem- ber statt.

1982 Im Mai stellt der Wissenschaftsrat fest, dass „die Aufgabenstellung des Kollegs von überregionaler Bedeutung“ und von „gesamtstaatlichem wissenschafts- politischem Interesse“ ist und empfiehlt, die „Wissenschaftsstiftung Ernst Reu ter in die gemeinsame Förderung durch Bund und Länder nach Artikel 91b des Grundgesetzes aufzunehmen“. – Am 26. Oktober 1982 wird die ‚Koopera- 261 tionsvereinbarung zwischen den Universitäten des Landes Berlin (Freie Uni- versität Berlin und Technische Universität Berlin) und dem Wissenschafts- CHRONIK kolleg zu Berlin – Institute for Advanced Study‘ unterzeichnet. Sie regelt die gemeinsame Berufung von Permanent Fellows und die administrative Unter- stützung der Fellows durch die Universitäten. – Die Stiftung Volkswagenwerk stellt der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter anlässlich ihres 20-jährigen Arbeitsjubiläums das Haus Koenigsallee 21 (Weiße Villa) für das Wissen- schaftskolleg zur Verfügung. Mit Mitteln der Berliner Klassenlotterie wird das Haus für die Zwecke der Fellow-Betreuung (Bibliothek, Fellow-Dienste und Gästezimmer) umgebaut.

1983 Bundespräsident Karl Carstens besucht das Wissenschaftskolleg anlässlich der Übergabe der Weißen Villa am 28. 01. 1983. – Ein Fellow-Club e. V. für die ehemaligen Fellows wird gegründet. Die Stiftungsratsmitglieder E. H. Bern- hard Plettner und Edzard Reuter rufen den Freundeskreis des Wissenschafts- kollegs zu Berlin ins Leben.

1984 Wolf Lepenies, Soziologie, Institute for Advanced Study (Princeton) und Freie Universität Berlin, wird als Permanent Fellow (Ständiges Wissenschaftliches Mitglied) berufen.

1985 Nachdem die Stiftung Volkswagenwerk zusammen mit dem Land Berlin die Startphase des Wissenschaftskollegs finanziell gesichert hat, tragen das Bun- desministerium für Forschung und Technologie und das Land Berlin künftig jeweils 50 Prozent der laufenden Kosten des Wissenschaftskollegs. – Die Kul- tusministerkonferenz der Länder verabschiedet eine Empfehlung, deutsche Hochschullehrer, die eine Einladung als Fellow ans Wissenschaftskolleg er- halten, zu beurlauben. – Der Wissenschaftsrat evaluiert das Kolleg erneut positiv. – Der Biologe Gunther S. Stent, Berkeley, wird als Non-Resident Perma- nent Fellow berufen.

1986 Am 1. 10. 1986 übernimmt Wolf Lepenies das Amt des Rektors. Peter Wap- news ki bleibt dem Wissenschaftskolleg als Permanent Fellow verbunden. – Ne- ben dem Hauptgebäude wird auf dem Nachbargrundstück (Wallotstraße 21) mit Mitteln des Landes Berlin ein Neubau mit drei Appartements und 18 Büros für Fellows errichtet (Architekt: Burckhardt Fischer). 262 1987 In der Villa Walther, fünf Minuten Fußweg vom Hauptgebäude des Wissen- CHRONIK schaftskollegs entfernt, werden 25 Wohnungen für Fellows und ihre Familien angemietet. – Yehuda Elkana, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschafts- philosophie, Tel Aviv, wird als Non-Resident Permanent Fellow berufen. – Ein Berliner Forschungsverbund Wissenschaftsgeschichte wird gegründet, der mit Postdoc-Stipendien, einem Berliner Seminar und Sommeruniversitäten eine wissenschaftstheoretisch fundierte Wissenschaftsgeschichte zu etablie- ren versucht.

1989 Im Oktober wird mit dem Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissen- schaften der Plan zur Gründung eines Institute for Advanced Study in Mittel- und Osteuropa entwickelt, des späteren Collegium Budapest, an dem ein Konsortium aus sieben deutschen und westeuropäischen öffentlichen und privaten Geldgebern mitwirkt.

1990 Jürgen Kocka, Geschichte der Industriellen Welt, Freie Universität Berlin, wird als Permanent Fellow und Rüdiger Wehner, Zoologie, Theoretische Biolo- gie, Universität Zürich, als Non-Resident Permanent Fellow berufen.

1991 Wiederwahl von Wolf Lepenies als Rektor. – Vereinbarung zur Errichtung des Collegium Budapest in Anwesenheit des Baden-Württembergischen Minister- präsidenten. – Walter Levin, der frühere Primarius des LaSalle-Quartetts, be- ginnt seine jährlichen Lecture-Recitals mit jungen Streichquartetten.

1992 Das Collegium Budapest wird in Anwesenheit von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und dem ungarischen Präsidenten Arpad Göncz offiziell er- öffnet. – Die Anna Krüger Stiftung im Wissenschaftskolleg wird gegründet. Ent- sprechend dem Willen der Namensgeberin soll mit dem Anna-Krüger-Preis ein Wissenschaftler ausgezeichnet werden, „der ein hervorragendes Werk in einer guten und verständlichen Wissenschaftssprache geschrieben hat“.

1993 Beginn eines Zyklus von Ernst Reuter-Vorlesungen im Gedenken an den Ers- ten Regierenden Bürgermeister, erster Redner ist Jean François-Poncet. – Aus Mitteln der amerikanischen Andrew W. Mellon Foundation werden künftig jüngere ost- und mitteleuropäische Geistes- und Sozialwissenschaftler ans Wissenschaftskolleg eingeladen. – Informeller Zusammenschluss von ‚Some 263 Institutes for Advanced Study‘ aus Europa und den USA. Diese verleihen den New Europe Prize für ost- und mitteleuropäische Wissenschaftler, erste Preis- CHRONIK A. Gavrilov die Bibliotheca Classica in Sankt Petersburg.

1994 Am Van Leer Jerusalem Institute in Jerusalem fördert das Wissenschaftskolleg aus Mitteln der VolkswagenStiftung von 1994–1998 das Projekt Europe in the Near East, in dem junge Israelis, Palästinenser und Deutsche gemeinsam die politisch-kulturelle Bedeutung der Aufklärungstraditionen in Europa und im Nahen Osten untersuchen.

1995 Bundespräsident Roman Herzog besucht die Fellows des Wissenschaftskol- legs. – Gründung des Arbeitskreises Moderne und Islam am Wissenschaftskol- leg mit Unterstützung durch das Land Berlin und das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Berater für diesen Bereich sind der Philosoph und Islamwissenschaftler Aziz Al-Azmeh (1996–1998) und der Islamwissen- schaftler und Schriftsteller Navid Kermani (2001–2003). – Die Villa Jaffé (Wal- lotstraße 10) wird für weitere Fellow-Büros und -Apartments und für Projekte, insbesondere für den Arbeitskreis Moderne und Islam, mit Mitteln der Klas- senlotterie umgebaut und langfristig angemietet.

1996 Wiederwahl von Wolf Lepenies als Rektor. – Daimler-Benz und Schering för- dern für jeweils fünf Jahre Fellows im Bereich der Theoretischen Biologie.

1997 Das Wissenschaftskolleg unterstützt mit Hilfe der VolkswagenStiftung die Gründung von Point Sud – Muscler le Savoir Local in Bamako (Mali) durch den früheren Fellow Mamadou Diawara. – Zusammen mit der Berlin-Brandenbur- gischen Akademie der Wissenschaften wird eine nach dem Biologen Ernst Mayr, Harvard, benannte Vorlesungsreihe im Bereich der Theoretischen Biolo- gie begründet. Erster Redner ist Ernst Mayr.

1998 Das Wissenschaftskolleg strebt eine Europäisierung seiner institutionellen Grundlagen an. Die Schweizer Regierung schließt einen Vertrag mit dem Wis- senschaftskolleg und beteiligt sich fortan an dessen Grundfinanzierung. 264 1999 Neben der Schweiz beteiligt sich auch die schwedische Stiftung Riksbankens CHRONIK Jubileumsfond an der Finanzierung des Wissenschaftskollegs.

2000 Jürgen Kocka scheidet als Permanent Fellow aus, um das Amt des Präsidenten des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zu übernehmen. Dieter Grimm, Öf- fentliches Recht, Humboldt-Universität, wird Permanent Fellow. – Dritte Eva- luierung durch den Wissenschaftsrat mit dem Ergebnis, dass das Wissen- schaftskolleg in die gemeinsame Förderung von Bund und Ländern als geson- derte Einrichtung aufgenommen wird.

2001 Dieter Grimm wird zum dritten Rektor des Wissenschaftskollegs gewählt, er tritt sein Amt am 1. 10. 2001 an. Der Rektoratsübergabe wohnt Bundespräsi- dent Johannes Rau bei. Wolf Lepenies bleibt Permanent Fellow im Wissen- schaftskolleg. – Stephen Greenblatt, Humanities, Harvard, wird als Non-Resi- dent Permanent Fellow berufen. – In Sofia unterstützt das Wissenschaftskolleg die Gründung des Center for Advanced Study (CAS), das von der Historikerin Diana Mishkova (Mellon Fellow 1998/99) geleitet wird.

2002 - losophie, Bukarest, werden als weitere Non-Resident Permanent Fellows beru- fen. – Der ungarische Schriftsteller Imre Kertész erhält während seines Auf- enthalts als Fellow am Wissenschaftskolleg den Literaturnobelpreis. – Das Wissenschaftskolleg unterstützt die Gründung des von der Studienstiftung des Deutschen Volkes und der Hertie-Stiftung getragenen Studienkollegs zu Berlin.

2003 Horst Bredekamp, Kunstgeschichte, Humboldt-Universität, wird als Perma- nent Fellow berufen.

2006 Sybille Krämer, Philosophie, Freie Universität Berlin, wird als Permanent Fel- low berufen. – Die Thyssen Stiftung beschließt zusammen mit dem Wissen- schaftskolleg und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaf- ten eine fünfjährige Förderung des Projekts ‚Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa‘. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats 1981–2006

Hubert Curien, Paris (Kristallographie) 1981–1983 Yehuda Elkana, Jerusalem (Wissenschaftsgeschichte) 1981–1987 Brian Flowers, London (Kernphysik) 1981–1983 Kurt W. Forster, Stanford (Kunstgeschichte) 1981–1983 Philip Handler, Washington D.C. (Biochemie) 1981–1983 Wilhelm A. Kewenig, Kiel (Internationales Recht) 1981 Walther Killy, Wolfenbüttel (Germanistik) 1981–1986 Hubert Markl, Konstanz (Biologie) 1981–1986 Christian Meier, Bochum (Alte Geschichte) 1981–1984 Fritz Scharpf, Berlin (Politische Wissenschaft) 1981–1983 Jurij Striedter, Cambridge M.A. (Slawistik) 1981–1983 Harry Woolf, Princeton (Wissenschaftsgeschichte) 1981–1987 Steven Muller, Washington D.C. (Politologie) 1981–1984 Wolf Lepenies, Princeton/Berlin (Soziologie) 1982–1984 Hermann Bondi, London (Physik) 1982–1988 Kurt Rothschild, Linz (Ökonomie) 1982–1988 Rudolf Cohen, Konstanz (Psychologie) 1982–1988 Lorenz Krüger, Berlin/Bielefeld (Philosophie) 1982–1987 Oskar Mahrenholtz, Hannover (Ingenieurwissenschaft) 1982–1988 Sigrid Peyerimhoff, Bonn (Chemie) 1982–1988 René Thom, Bures-sur-Yvette (Mathematik) 1982–1988 Jochen Frowein, Heidelberg (Rechtswissenschaft) 1982–1984 Heinrich Ursprung, Zürich (Biologie) 1982–1987 Willibald Sauerländer, München (Kunstgeschichte) 1983–1989 Ilya Prigogine, Brüssel (Chemie/Physik) 1983–1986 Reinhart Koselleck, Bielefeld (Geschichte) 1984–1987 Shosaku Numa, Kyoto (Biochemie) 1984–1987 Jürgen Aschoff, Andechs (Verhaltensphysiologie) 1985–1987 Ralf Dahrendorf, London (Soziologie) 1986–1992 266 Werner Maihofer, Florenz (Rechtswissenschaft) 1986–1989 Victor Urquidi, Mexico (Ökonomie) 1986–1989 B EIRAT Norbert Miller, Berlin (Germanistik) 1987–1993 Richard McKay Rorty, Charlottesville (Philosophie) 1987–1990 Rüdiger Wehner, Zürich (Biologie) 1987–1990 Abraham Pais, New York (Physik) 1987–1993 Fritz Stern, New York (Geschichte) 1987–1993 Paul J. Crutzen, Mainz (Chemie) 1988–1991 Sudhir Kakar, Neu Delhi (Psychologie) 1988–1994 Lea Ritter-Santini, Münster (Komparatistik) 1988–1991 Melitta Schachner, Heidelberg (Neurobiologie) 1988–1991 Friedrich Hirzebruch, Bonn (Mathematik) 1988–1994 Thomas Gaehtgens, Berlin (Kunstgeschichte) 1989–1995 Dieter Grimm, Karlsruhe (Rechtswissenschaft) 1989–1995 Lutz Hoffmann, Berlin (Ökonomie) 1989–1995 Karl Alexander Müller, Zürich (Informatik/Physik) 1989–1992 Nancy Cartwright, London (Philosophie) 1991–1996 Martin Fontius, Berlin (Romanistik) 1991–1994 Benno Parthier, Halle (Biochemie) 1991–1994 Werner Stumm, Dübbendorf/Schweiz (Wasserchemie) 1991–1994 Klaus von Beyme, Heidelberg (Politologie) 1992–1998 Horst Kern, Marburg (Zellbiologie) 1992–1998 Peter Mathias, Cambridge (Wirtschaftsgeschichte) 1992–1998 Philip Fisher, Cambridge M.A. (Anglistik) 1993–1999 Hans A. Weidenmüller, Heidelberg (Physik) 1993–1999 Brian Stock, Toronto (Geschichte/Komparatistik) 1993–1999 Robert Darnton, Princeton (Geschichte) 1994–2000 Ashok V. Desai, Neu Delhi (Ökonomie) 1994–1997 Rainer Münz, Berlin (Sozialwissenschaften/Soziologie) 1994–2000 Hans Oeschger, Bern (Physik) 1994–1997 John R. Krebs, Swindon (Biowissenschaften) 1995–2001 Janusz Reiter, Warschau (Germanistik/Philosophie/Soziologie) 1995– 2001 László Sólyom, Budapest (Rechtswissenschaft) 1995–2001 Onora O‘Neill, Cambridge (Philosophie) 1996–2002 Horst Bredekamp, Berlin (Kunstgeschichte) 1997–2003 Olaf Kübler, Zürich (Theoretische Physik/Informatik) 1997–2003 Gudrun Krämer, Berlin (Islamwissenschaft) 1998–2004 Barry Eichengreen, Berkeley (Ökonomie) 1998–2000 Peter Katzenstein, Ithaca (Politologie) 1998–2004 Stephen Greenblatt, Cambridge M.A. (Anglistik) 1999–2001 Christoph Markschies, Jena/Berlin (Theologie/ 267 Kirchengeschichte) 1999–2005 B Jan-Michael Rost, Dresden (Physik) 1999–2005 EIRAT Ian Baldwin, Jena (Biowissenschaften) 2000–2003 Jacques Revel, Paris (Geschichte) 2000–2006 Björn Wittrock, Uppsala (Soziologie) 2000–2006 John Langbein, New Haven (Rechtswissenschaft) 2001– Gerhard Neuweiler, München (Zoologie) 2001–2004 Igor Aleksander, London (Informatik) 2001–2004 János Kornai, Cambridge M.A./Budapest (Ökonomie) 2001–2004 Claudio Magris, Triest (Germanistik) 2001–2004 Luca Giuliani, München (Klassische Archäologie) 2002– Lorraine Daston, Berlin (Wissenschaftsgeschichte) 2002– Gertrude Lübbe-Wolff, Karlsruhe (Rechtswissenschaft) 2003– Gottfried Schatz, Bern (Biochemie) 2003–2005 Heinrich Detering, Kiel/Göttingen (Germanistik) 2004– Herfried Münkler, Berlin (Politologie) 2004– Robert Pippin, Chicago (Philosophie) 2004– Peter Stucki, Zürich (Informatik) 2004– Carl Christian von Weizsäcker, Köln (Ökonomie) 2004– Ayse Çaglar, Budapest (Soziologie/Sozialanthropologie) 2005– Felix von Oppen, Berlin (Physik) 2005–

Vom Stiftungsrat entsandte Mitglieder

Hellmut Becker, Berlin (MPI für Bildungsforschung) 1983–1993 Paul Mikat, Bonn (Minister a.D.) 1983–1987 Wolf Jobst Siedler, Berlin (Verleger) 1983–1993 Heinrich Ursprung, Zürich (Biologie) 1987–1995 Peter Glotz, Erfurt/St. Gallen (Publizistik) 1998–2005

Zu den Autoren

Horst Bredekamp Professor der Kunstgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin; Fellow des Wis- senschaftskollegs 1991/92; Mitglied des Wissenschaft lichen Beirats 1997–2003; Permanent Fellow seit 2003.

Lorraine Daston Professorin der Wissenschaftsgeschichte, Direktorin am Max- Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin; Fellow des Wissenschaftskollegs 1987/88; Mit glied des Wissenschaftlichen Beirats seit 2002.

Yehuda Elkana Professor der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsphilosophie, Präsi- dent und Rektor der Central European University, Budapest; Mitglied des Wis- senschaftlichen Beirats 1981–1987; Fellow des Wissenschaftskollegs 1988/89; Non-Resident Permanent Fellow 1987–2006.

Wolfgang Frühwald Professor für Neuere Deutsche Literatur (em.), Ludwig-Maximilians-Universi- tät München; Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung; Mitglied der Mitgliederversammlung des Wissenschaftskollegs, von dort entsandt in den Stiftungsrat der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter.

Raghavendra Gadagkar Professor der Ökologie, Leiter des Centre for Ecological Studies am Indian Insti tute of Science, Bangalore; Fellow des Wissenschaftskollegs 2000/01 und 2001/02; Non-Resident Permanent Fellow seit 2002. 270 Peter Glotz Professor der Kommunikationswissenschaft, Universität St. Gallen; Senator A

UTOREN für Wissenschaft und Forschung in Berlin (1977–1980); vom Stiftungsrat der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter entsandtes Mitglied des Wissenschaftli- ches Beirats 1998–2005; gestorben am 25. 8. 2005.

Stephen Greenblatt The Cogan University Professor of the Humanities, Harvard University; Fellow des Wissenschaftskollegs 1996/97; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats 1999–2001; Non-Resident Permanent Fellow seit 2001.

Dieter Grimm Professor (em.) des Öffentlichen Rechts, Humboldt-Universität zu Berlin; zu- nächst Mitglied, dann Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats 1989–1995; Fellow des Wissenschaftskollegs 1999/2000; Permanent Fellow seit 2000; Rektor des Wissenschaftskollegs seit 2001.

Otto Häfner Leiter der Abteilung Geistes- und Gesellschaftswissenschaften der Volkswagen- Stiftung, Hannover, 1976–2000.

Dominique Jameux Musikwissenschaftler und Musikkritiker, Paris; Fellow des Wissenschaftskol- legs 1996/97.

Navid Kermani Orientalist und Schriftsteller, Köln; Fellow des Wissenschaftskollegs 2000/01; Long Term Fellow 2001–2003.

Jürgen Kocka Professor der Geschichte, Freie Universität Berlin, Präsident des Wissenschafts- zentrums Berlin für Sozialforschung; Fellow des Wissenschaftskollegs 1988/89; Permanent Fellow 1991–2000.

Wolf Lepenies Professor der Soziologie (em.), Freie Universität Berlin; Mitglied des Wissen- schaftlichen Beirats 1982–1984; seit 1984 Permanent Fellow; Rektor 1986–2001.

Michael Maar Schriftsteller, Berlin; Fellow des Wissenschaftskollegs 1997/98. Joachim Nettelbeck 271 Sekretär des Wissenschaftskollegs seit 1981. A UTOREN Robert Pippin The Raymond W. and Martha Hilpert Gruner Distinguished Service Professor of Philosophy, University of Chicago; Fellow des Wissenschaftskollegs 2003/04; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats seit 2004.

Professor der Religionsphilosophie, Rektor des New Europe College, Bukarest; Fellow des Wissenschaftskollegs 1991/92; Non-Resident Permanent Fellow seit 2002.

Christoph Schneider Senatsreferent und später Abteilungsleiter Wissenschaft der Deutschen For- schungsgemeinschaft (DFG) 1973–2005.

Jochen Stoehr Leitender Senatsrat und Leiter der Abteilung Forschung beim Senator für Wis- senschaft und Forschung in Berlin bis 2002.

Peter Wapnewski Professor (em.) der Älteren Deutschen Philologie, Technische Universität Ber- lin; Gründungsbeauftragter und später Gründungsrektor des Wissenschafts- kollegs (1980–1986), Permanent Fellow seit 1980, Permanent Fellow (em.) seit 1990.

Rüdiger Wehner Professor der Biologie (em.), Universität Zürich; Mitglied des Wissenschaft- lichen Beirats 1987–1990; Non-Resident Permanent Fellow seit 1990.

Bild- und Textnachweise

Fotos

Heiner Wessel: S. II, S. 28 oben, unten; S. 29 unten; S. 30 unten; S. 31 oben, unten; S. 32 oben links, oben rechts, unten

Privat/Wissenschaftskolleg: S. 29 oben; S. 30 oben rechts und links; S. 67 oben

Jochen Stoehr: S. 62 oben

Klaus Lehnartz: S. 62 unten

E. P. Thonke: S. 63 oben links, unten links, unten rechts; S. 64 oben links, oben rechts, unten; S. 65 oben

Landesbildstelle Berlin: S. 63 oben rechts; S. 66 oben

Olivier Menanteau: S. 65 unten (Original: print in color, 85 × 120 cm)

Marc Darchinger: S. 66 unten

Julia Sörgel: S. 67 unten

Texte Der Text des 2. Kapitels ‚Dieses Haus hatte Fortune …‘ beruht auf zwei Gesprä- chen, die am 25. 2. 2004 und 23. 4. 2004 im Wissenschaftskolleg geführt wur- den. Reinhart Meyer-Kalkus hat ihn redigiert.

Der Text von Peter Glotz stammt aus dessen Buch ‚Von Heimat zu Heimat. Er- innerungen eines Grenzgängers‘ (Econ-Verlag Berlin 2005). Wir danken dem Econ-Verlag für die freundliche Erlaubnis zum Wiederabdruck.

Nichtausgewiesene Zitate von Fellows beziehen sich in der Regel auf deren Berichte in den Jahrbüchern des Wissenschaftskollegs.

Personenregister

Abbate, Carolyn 251 Beardsley, Monroe 211 Abel, Günter 226 Becker, Carl Heinrich 60 Adonis 24 f., 216, 232, 241, 246 Becker, Gerhard W. 62 Aischylus 215 Becker, Hellmut 5, 37, 42, 46, 60 f., Al-Azmeh, Aziz 133, 231, 263 62, 128, 267 Al-Daif, Rashid 241 Beethoven, Ludwig van 249 Aleksander, Igor 267 Belting, Hans 92 f., 222, 223 f., 225 Alewyn, Richard 35 Benjamin, Walter 60, 94, 228 Al-Farabi 232 Berend, Iván 95 f. Alpers, Svetlana 222 Berg, Alban 253 Amin, Shahid 206 Berghoff, Hartmut 205 Amsterdamski, Stefan 96 Berio, Luciano 250 Ardenne, Manfred von 94 Bermbach, Udo 251 Ariès, Philippe 75, 203, 204 Bernhard, Silke 36, 51 f. Aristoteles 184, 196 Bethmann-Hollweg, Theobald von 4 Arkoun, Mohammed 103 Beydoun, Abbas 241 Arnim, Christine von 11 Beyme, Klaus von 266 Artemis-Quartett 8 f., 250, 253 Biermann, Wolf 7 f., 216, 245, 246 Aschoff, Jürgen 265 Bierwisch, Manfred 15 Aviléz, Leticia 1, 6, 8 Bishara, Azmi 103 Biskup, Marian 203 Bach, Johann Sebastian 251 Bismarck, Otto von 103 Bachelard, Gaston 91 Bloch, Ernst 229 Bade, Klaus 205 Blorr, David 143 Baldwin, Ian 267 Boehm, Gottfried 92, 225 Barnes, Barry 143 Boerner, Peter 2 Bartels, Andreas 226 Bollack, Jean 4 Bondi, Hermann 265 Baxandall, Michael 222 Böning, Eberhard 51 276 Bopp, Franz 187 Crutzen, Paul J. 266 Borst, Walter 51 Curien, Hubert 265 PERSONENREGISTER Bottomley, Gesine 55 Boulez, Pierre 249 f. Dahrendorf, Ralf 41, 99, 265 Bourdieu, Pierre 90 Dalheim, Werner 3, 8 Boyle, Nicholas 187 Darnton, Robert 95, 199, 204, 208, Brand, Gerd 35 219, 266 Brandom, Robert 194 Darwin, Charles 152, 155, 173 Brandström, Dan 108 Darwisch, Mahmud 241 Brandt, Willy 66, 101 f. Daston, Lorraine 92, 267, 269 Braun, Rudolf 204 Delft, Louis van 214 Bredekamp, Horst 92, 133, 236, Dennett, Daniel 156 245, 264, 266, 269 Derenthal, Ludger 223 Broszat, Martin 202 f. Desai, Ashok V. 205, 266 Bruckstein, Almut Sh. 236 Descartes, René 184, 187 Brunschvig, Léon 183 Detering, Heinrich 267 Buddensieg, Tilmann 222 Diawara, Mamadou 93, 102, 223, Bülow, Andreas von 70 263 Bülow, Hans von 252 Dieckmann, Friedrich 94, 95 Burckhardt, Jacob 96, 187 Dierkes, Meinolf 41, 62 Burke, Peter 205 Dilthey, Wilhelm 184, 187 Buschbeck, Malte 54 Döblin, Alfred 17 Bütler, Hugo 108 Donne, John 215 Droysen, Johann Gustav 187 Çaglar, Ayse 267 Du Bois-Reymond, Emil 149 Camartin, Iso 107 Dürrenmatt, Friedrich 8 Canguilhem, Georges 91 Cardano, Gerolamo 213 Eichengreen, Barry 266 Carstens, Karl 76, 63 f., 261 Einstein, Albert VII, 15, 43, 133, 228 Cartwright, Nancy 266 Eliade, Mircea 183 Cassirer, Ernst 19 f., 127 f., 129, 133 Elias, Norbert 75 Elkana, Yehuda 10, 19 ff., 42, 46, Celan, Paul 215 60, 67, 89 f., 103, 199, 204, 262, Cicero 186 265, 269 Cioran, Emile Michel 183 Emmer, Pieter C. 205 Clausberg, Karl 225, 228 Engel, Andreas 226 Clausen, Lars 4 Engert, Jürgen 66, 265 Cohen, Rudolf 265 Enzensberger, Hans Magnus 6, 45, Comte, Auguste 186 57, 216, 247 Conant, James B. 98 Erhardt, Manfred 105 Conrad, Sebastian 206 Ernst, Max 222, 223 Esterházy, Péter 2 f., 10, 11 f., 22 f., Gauger, Hans-Martin 51 277 216, 246 f. Gaus, Günter 54 Etkind, Efim 214 Gavrilov, Alexander 100, 263 PERSONENREGISTER Ewald, François 91 Geertz, Clifford 88 Gernhardt, Robert 246 Fehr, Ernst 162 Gilbert, Felix 87 Feldhay, Rivka 103 Gilbert, Walter 153 Feldman, Gerald 205 Gilcher-Holtey, Ingrid 205 Fetz, Eberhard 226 Ginzburg, Carlo 205, 217, 218 Finscher, Ludwig 251 Giuliani, Luca 225, 267 Fischer, Burckhardt 81, 261 Glotz, Peter VIII, 5, 33 f., 35, 36, f., Fischer, Jens Malte 23, 214, 251 38, 39, 40 f., 49, 50 f., 52, 54, 56, Fischer, Wolfram 62 62 f., 87, 101, 128, 130 f., 259 f., Fisher, Philip 266 267, 270 Fisher, Ronald 173 Gödel, Kurt 133 Flaig, Egon 208 Goehr, Lydia 251 Flexner, Abraham 87, 133, 134 Goethe, Johann Wolfgang von 2, Flowers, Brian 265 25, 129, 130, 184, 214 ff., 219 Fontius, Martin 266 Göncz, Arpad 262 Forster, Kurt W. 265 Göring, Hermann 52 Foucault, Michel 91, 147 Gould, Stephen Jay 150 François-Poncet, Jean 262 Grafen, Alan 174 Frege, Gottlob 195 Grafton, Anthony 205 Freitag, Ulrike 236 Greenblatt, Stephen 133, 205, 235, Freud, Sigmund 156 264, 266, 270 Freund, Gisèle 94 Grimm, Dieter 22 f., 26, 66 f., 129, Frevert, Ute 25 f., 204 199, 225, 264, 266, 270 Friedländer, Saul 83, 202 Grimm, Jacob 187 Frisch, Karl von 175 f. Groebner, Valentin 217 Frisch, Max 8 Grünbein, Durs 17 Frowein, Jochen 265 Guha, Ramachandra 206 Frühwald, Wolfgang 269 Gutzkow, Karl 87 Fulcher, Jane 251 Füllgraff, Georges 41 Haarmann, Ulrich 106 Habermas, Jürgen 15, 17, 193, 194 Gadagkar, Raghavendra 109, 188, HaCohen, Ruth 251 264, 269 Hafis 25 Gadamer, Hans Georg 193 Häfner, Otto 50, 59, 270 Gaethgens, Thomas 266 Hagenguth, Edith 35, 50, 62 Galilei, Galileo 187, 228 Handler, Philip 265 Galison, Peter 138 Harnack, Adolf von 43 278 Hartmann, Thomas 236 Husserl, Edmund 186 Hartung, Klaus 101 PERSONENREGISTER Hauff, Volker 50, 59 Ibn Yunus, Matta 232 Haupt, Dorothea 53, 260 Ibsen, Henrik 195 Hegel, Georg Wilhelm Illich, Ivan 7 Friedrich 196, 203, 221, 231 Ionescu, Eugen 183 Heidegger, Martin 183, 193 Irrlitz, Gerd 14 Heldrich, Andreas 45 Helfer, Joachim 241 James, Henry 26 Heller, Clemens 91 f. Jameux, Dominique 251, 270 Heller, Eric 226 Helmholtz, Hermann von 149 Jelavich, Peter 204 Henrich, Dieter 107 Joshi, Amitabh 168 Henshilwood, Christopher 222 Hentig, Hartmut von 3, 5, 7, 51 Kacelnik, Alex 162 Henze, Hans Werner 250 Kakar, Sudhir 266 Herbert, Ulrich 203 Kant, Immanuel 135, 184, 187, 193, Herder, Johann Gottfried 227 194 ff. Hertach, Heinz 107 Karalus, Paul 5 Herzog, Roman 263 Kästner, Erich 18 Heyne, Christian Gottlob 187 Katzenstein, Peter 266 Hildesheimer, Wolfgang 8 Keller, Gottfried 96 Hillebrand, Bruno 51 Kemp, Wolfgang 222 Hillgruber, Andreas 202 Kermani, Navid 24 f., 106, 133, 244, Hirschman, Albert O. 87, 90 f. 263, 270 Hirzebruch, Friedrich 266 Kern, Horst 266 Hitler, Adolf 15 Kershaw, Ian 207 Hobbes, Thomas 228 Kertész, Imre 10, 67, 216, 241, 246, Hochhut, Rolf 216, 245 264 Hoffmann, Ernst Theodor Kewenig, Wilhelm A. 49, 54, 60, 63, Amadeus 70 70, 265 Hoffmann, Lutz 266 Khalil, Georges 235 Hofmann, Hasso 94 Kiesel, Helmuth 6 Hogrebe, Wolfram 134, 227, 228 Killy, Walther 35, 265 Holthusen, Hans Egon 51 Kleiber, Charles 108 Honneth, Axel 193 Kleist, Heinrich von 215 Horn, Christoph 217 Klimburg-Salter, Deborah 224 Hughes, Thomas P. 24, 92, 131 Klix, Friedhart 14, 94 Hugo, Victor 186 Klöhn, Christine 55 Humboldt, Alexander von 129 Klonk, Charlotte 227 Humboldt, Wilhelm von 129 Knopp, Werner 62 Koch, Dorothea 27 Leibniz, Gottfried Wilhelm 228 279 Kocka, Jürgen 132, 262, 264, 270 König, Viola 236 Lenin, Wladimír Iljítsch 14 PERSONENREGISTER Konrád, György 47 Lenoir, Timothy 24 Kopernikus, Nicolaus 156 Leonardo da Vinci 93 Kornai, János 99, 267 Leopardi, Giacomo 195 Koselleck, Reinhart 21, 199, 204, Lepenies, Wolf 3, 5, 9, 11, 14, 16, 19, 265 20, 22 f., 24, 26, 42, 47, 60, 64, 66, Kovács, Kázmér Tamás 23 82, 84 f., 124 f., 128 f., 132, 139, Krämer, Gudrun 236, 266 186 f., 199, 204, 219, 230, 244, Krämer, Sybille 264 261 ff., 265, 270 Krebs, John R. 266 Lessing, Gotthold Ephraim 11, 215 Krippendorf, Ekkehard 59 f. Levin, Walter 8 f., 133, 253, 262 Kröber, Günther 94 Lewontin, Richard 177 Krockow, Christian Graf von 2 Ligeti, György 9, 45, 57, 117, 249 f., Krois, John M. 129, 227 253, 255 Krüger, Anna 262 Linde, Franz 51, 260 Krüger, Hans-Peter 14 Lippe, Rudolf Prinz zur 7 Krüger, Lorenz 92, 148, 265 Litwin, Stefan 253 Kübler, Olaf 266 Lombardi, Luca 250 Küchler, Susanne 227 Löwenthal, Richard 35, 43 Kuczynski, Jürgen 92 Lübbe-Wolf, Gertrude 267 Kuhn, Thomas 143 Lukrez 217 Kurtág, György und Márta 9, 133, Lüst, Reimar 39 f., 46, 59, 63 250, 255 Maar, Michael 270 Labuda, Adam 222 MacIntyre, Alasdair 194 Lacan, Jacques 227 Magris, Claudio 267 Lachenmann, Helmut 250 Mahrenholtz, Oskar 265 Lachmann, Renate 11 Mahrenholz, Simone 226 Lakatos, Imre 127, 143 Maihofer, Werner 266 Lämmert, Eberhard 38, 49 Maimonides 232 Landfried, Christine 11 Mallarmé, Stéphane 251 Langbein, John 267 Mangold, Ijoma 3 Langewiesche, Dieter 209 Mann, Thomas 130, 143, 215 Langner, Gerhard 53 Markl, Hubert 45, 265 Langton, Chris 164 Markovits, Andrei S. 11 Latour, Bruno 146 Markschies, Christoph 267 Lavoisier, Antoine Laurent de 187 Marosi, Ernö 222 Ledderose, Lothar 221, 223 f. Marquard, Odo 20, 187 f., 193 Ledeberg, Joshua 139 Marx, Karl 203 280 Mathias, Peter 266 Nettelbeck, Joachim 9, 19, 42, 60, Maugin, Gérard 182 64, 91, 96, 112, 129, 139, 200, 230, PERSONENREGISTER Mayr, Ernst 263 260, 271 McDowell, John 194 Neuweiler, Gerhard 267 McNamara, Robert S. 101 Neuwirth, Angelika 106, 236 Meier, Christian 199, 265 Newton, Isaac 187 Meiering, Gregor 235 Niebuhr, Barthold Georg 187 Mendelssohn Bartholdy, Felix 252 Nitschke, August 204 Merleau-Ponty, Maurice 227 Noica, Constantin 183 f. Mernissi, Fatema 223 Nolte, Ernst 203 Merton, Robert 139 Nono, Luigi 94, 250 Mestmäcker, Ernst-Joachim 35 Novalis 2 Meyer-Kalkus, Reinhart 9, 27, 104, Nowotny, Helga 7 139, 219, 227 Numa, Shosaku 265 Mikat, Paul 267 Miller, Norbert 38, 266 Oe, Kenzaburo 216 Mishkova, Diana 264 Oeschger, Hans 266 Mitchell, W. J. Thomas 225 O’Neil, Onora 266 Molière, Jean Baptiste 247 Onians, John 222 Momper, Walter 101 Oppen, Felix von 267 Monod, Jacques 24, 155 Osterhammel, Jürgen 206 Montaigne, Michel de 129 Oz-Salzberger, Fania 16 ff., 208 Montinari, Mazzino 7 Moos, Peter von 214 Pais, Abraham 266 Moos, Stanislaus von 222 Pamuk, Orhan 232 Mozart, Wolfgang Amadeus 9 Pannewick, Friederike 235 Müller, Johannes 149 Panofsky, Erwin VII, 15, 133 Müller, Karl Alexander 266 Parthier, Benno 266 Muller, Steven 265 Pascal, Blaise 184 Müller, Tim 105 Passerini, Luisa 205 Mundry, Isabel 250, 254 Pasteur, Louis 186 f. Münkler, Herfried 267 Paz, Octavio 25 Münz, Rainer 266 Peirce, Charles Sanders 227 Murakami, Haruki 232 Petters, Sunday W. 102 Musil, Robert 215, 247 Peyerimhoff, Sigrid 265 Pippin, Robert 219, 267, 271 Nádas, Péter 10, 245 Platon 147, 192 Nagel, Ivan 251 Nehls, Hans-Joachim 53 Plettner, E.H. Bernhard 82, 261 Poeppel, David 226 Polakoff, Michael 176 Polanyi, Michael 138 Sauerländer, Willibald 265 281 Pollini, Maurizio 250 Schabestari, Mohammed 241 Pörksen, Uwe 51 Schachner, Melitta 266 PERSONENREGISTER Praßer, Reinhard 53 Scharpf, Fritz 265 Prigogine, Ilya 265 Schatz, Gottfried 267 Schelsky, Helmut 35 Radek, Karl 14 Scherrer, Jutta 204 Randeria, Shalini 206 Schieder, Wolfgang 202 Ranke, Leopold von 187 Schiller, Friedrich 195, 211 f, 215 Rapp, Christof 217 Schinkel, Karl Friedrich 252 Rathenau, Walther 92 Schlicht, Ekkehard 205 Rau, Johannes 264 Schmarsow, August 227 Rawls, John 193 Schmitt, Carl 188 Raychaudhuri, Tapan 206 Schneider, Christoph 15, 19, 39 f., Reichert, Klaus 245 f. 41, 44, 59, 131, 271 Reiter, Janusz 266 Schnittke, Alfred 250, 253 Remmers, Werner 54 Scholem, Gershom 3, 7, 17, 46, 51, Renn, Jürgen 92 53, 60, 63, 70, 87 Rentschler, Ingo 226 Schönberg, Arnold 252 Reuter, Edzard 48, 82, 261 Schöpp-Schilling, Hanna-Beate 62 Reuter, Ernst 13 ff., 33 f., 58 f., 60, Schrödinger, Erwin 150, 151 f. 101, Sellars, Wilfrid 194 Revel, Jacques 199, 267 Seneca 186 Rheinberger, Hans-Jörg 92 Shakespeare, William 215, 218, 231, Richter, Horst-Eberhard 62 246 Rickert, Heinrich 184 Shapin, Steven 143 Riedel, Gerd 55 Sheehan, James 204 Rifkin, Joshua 251 Shulman, David 129 Rihm, Wolfgang 250 Sidney, Philip 212 Ritter-Santini, Lea 266 Siedler, Wolf Jobst 267 Roessler, Beate 219 Siegenthaler, Hans-Jörg 205 Rorty, Richard 90, 194, 225, 266 Simmel, Georg 1 Rost, Jan-Michael 267 Sinha, Somdatta 168 Rothschild, Kurt 265 Smith, John Maynard 174 Rumi, Dschelaleddin 24 Snow, Charles Percy 109, 184 f., 187 Rüttgers, Jürgen 105 Sólyom, Lázló 266 Sombart, Nicolaus 3 f. Said, Edward 104 Soros, George 96 Sakar, Sahotra 225 Soroush, Abdolkarim 24 f. Sandu-Dediu, Valentina 251 Srinivasan, Mandyam V. 22 f. Sauerbrey, Günter 62 Stafford, Barbara 227 282 Stalin, Josef 17 Wagener, Hans-Jürgen 205 Starnick, Jürgen 38 Wagner, Monika 223, 227 PERSONENREGISTER Steinhauser, Monika 222 Wagner, Richard 54, 61, 214 Stent, Gunther S. 45, 82, 92 f., 150, Walker, Mack 203 182, 261 Wallenberg, Raoul 109 Stern, Fritz 199, 266 Wapnewski, Monica 37, 57 f. Stobbe, Dietrich 33 Wapnewski, Peter 3, 4 f., 6, 11, 14, Stock, Brian 266 15, 19, 22, 36 f., 38, 39, 40 f., 42, Stockhausen, Karlheinz 250 43, 44, 51, 54, 57 ff., 60, 62–64, Stoehr, Jochen 15, 19, 39 ff., 43 f., 87, 111, 129, 130 f., 136, 139, 199, 53, 58 f., 62, 271 251, 260 f., 271 Stone, Shephard 41 f., 50, 59 f., 62 f. Warnke, Martin 8, 221 f., 223 Strauss, Herbert 18 Wasserstein, Bernard 65 Striedter, Jurij 265 Weber, Carl Maria von 252 Stucki, Peter 267 Weber, Max 188, 212 Stumm, Werner 266 Wee, Hermann van der 205 Wehler, Hans-Ulrich 207 Tal, Josef 45, 250, 254 Wehner, Rüdiger 22, 24, 45, 93, Thackeray, Arnold 139 132, 167, 262, 266, 271 Thom, René 265 Weidenmüller, Hans A. 266 Thomas von Aquin 196 Weinberg, Steven 178 Tiepolo, Giovanni Battista 222 Weizsäcker, Carl Christian von 267 Torricelli, Evangelista 187 Weizsäcker, Richard von 66, 70, 99, Trautner, Thomas A. 62 261 Wells, Patrick 176 Uexküll, Jakob von 228 Wenner, Adrian 176 f. Ulbricht, Walter 17 Werner, Michael 205 Ullmann, Hans-Peter 205 Widmann, Jörg 250 Urquidi, Victor 266 Widmer, Paul 108 Ursprung, Heinrich 108, 265, 267 Williams, Bernard 217, 219 Wimsatt, William 211 Vargas Llosa, Mario 45, 57, 216 Winckelmann, Johann Joachim 187 Vékás, Lajos 99 Wind, Edgar 227 Venturi, Roberto 222 Windelband, Wilhelm 187 Verdi, Giuseppe 9 Winkler, Heinrich August 202 Vico, Giambattista 129, 187 Wirsing, Sybille 46 Vierhaus, Rudolf 200 Wittgenstein, Ludwig 186, 192 Virchow, Rudolf 149 Wittrock, Björn 108, 267 Voegelin, Eric 33 f., 128 Wolf, Christa 4, 17 Volck, Felix 55 Wolf, Hugo 9 Volkov, Shulamit 203 Wolfram, Stephen 150 Woolf, Harry 58, 62, 265 Zender, Hans 250, 254 283 Ziegler, Hansvolker 50 Zahavi, Amotz und Avishag 173 ff. Zuckerman, Harriet 139 PERSONENREGISTER Zelter, Carl Friedrich 2, 214 Zwahr, Hartmut 203