Gerhart Rudolf Baum Bundesminister Ad Im Gespräch Mit Werner
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 18.04.2000 Gerhart Rudolf Baum Bundesminister a.D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Herzlich willkommen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, bei Alpha- Forum. Zu Gast ist heute Gerhart Rudolf Baum, ehemals Bundesinnenminister im Kabinett von Kanzler Helmut Schmidt. Herzlich willkommen, Herr Baum. Herr Baum, Sie waren über drei Jahrzehnte in der Politik aktiv: Sie waren von 1972 bis 1994 Mitglied im Deutschen Bundestag, Sie waren parlamentarischer Staatssekretär und Bundesinnenminister, und Sie waren lange Jahre stellvertretender FDP- Bundesvorsitzender. Was macht Gerhart Rudolf Baum denn heute? Baum: Er gewinnt Abstand von der Politik: Das war zunächst einmal ganz wichtig. Ich bin 1994 aus dem Bundestag ausgeschieden und hatte noch die Kraft und die Lust, etwas Neues zu beginnen. Ich hatte zunächst einmal doch die Sorge, dass ich Entfremdungsschmerzen, Ablösungsschmerzen, haben und dass mir etwas fehlen würde. Natürlich ist der Abschied aus der Politik nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen, zumal ich ja versucht hatte, noch einmal ein Mandat zu gewinnen. Danach habe ich dann jedoch ganz konsequent gesagt, dass jetzt Schluss sei mit Politik und dass ich mir etwas Neues aufbauen möchte. Ich habe dabei dann doch gemerkt, wie sehr diese Jahrzehnte in der Politik an mir gezehrt haben: Ich habe ein Leben geführt, dass viel zu stark auf die Politik hin ausgerichtet war. Es fehlte daher vieles in meinem Leben: z. B. Freundschaften, Neigungen und Interessen. Aber es fehlte mir auch der Beruf. Jetzt habe ich einen Beruf: Das ist etwas, das ich jahrzehntelang nicht gehabt habe, weil ich Berufspolitiker war. Ich finde also, dass man das jedem Berufspolitiker nur empfehlen kann: Es muss irgendwann einmal Schluss sein damit. Man muss Jüngeren den Weg frei machen. Wenn man das rechtzeitig tut, dann kann man auch neugierig bleiben. Für mich ist das Neugierig-Bleiben ein Schlüssel für mein jetziges Leben: Ich nehme sehr starken Anteil an dem, was in der Politik geschieht, aber ich wirke nicht mehr mit. Reuß: Sie haben einmal gesagt, die Politik sei eine Droge: Was macht einen denn an der Politik süchtig, und hatten Sie in der Tat Entzugserscheinungen? Baum: Ich habe tatsächlich gesagt, dass die Politik eine Droge sei. Denn es gibt dabei eine wirklich sehr starke Droge: Das ist die Droge der Macht, des Einflusses, der Geltung, der Bedeutung. Reuß: Spielt auch Eitelkeit eine Rolle? Baum: Natürlich, es geht schon auch darum, dass man wahrgenommen wird. Ich bin jahrelang quasi immer auf dem Sprung gestanden, ob ich denn nun öffentlich etwas sagen müsste zu bestimmten Dingen, ob ich mich dazu äußern müsste. Es ging darum, darauf zu achten, was die anderen machen und wie man selbst im Spiel bleiben könne. Es herrscht also eine ständige Anspannung, um die politische Position, aber auch um die persönliche Position halten zu können. Das ist alles sehr verführerisch. Ich hatte diese Bemerkung einmal im Zusammenhang mit meinem Privatleben gemacht: Es war eben so, dass ich die Familie vernachlässigen musste, aber dann schon auch über dieses "Muss" hinaus die Politik vorgeschoben habe, um unbequemen Situationen im persönlichen Bereich ausweichen zu können. Ich habe mich also immer wieder in politischen Aktivitäten selbst bestätigt: Dabei habe ich meine Identität gewonnen. Reuß: "Für mich war Politik immer auch eine Frage der Leidenschaft und nie allein eine Frage der kalten Vernunft. Politik ist für mich auch immer eine Sache, mit Verlaub gesagt, der Utopie." So haben Sie das einstmals formuliert. Heute hat man den Eindruck, dass die Politik von Pragmatismus bestimmt wird. Gibt es in der Politik heute überhaupt noch Raum für Utopien? Baum: Das glaube ich schon. Ich habe nach dem Krieg angefangen mit der Politik. Ich bin ein Angehöriger der so genannten "Weißen Generation": Das heißt, ich war im Krieg nicht mehr Soldat, weil ich dafür zu jung war, und danach war ich dann nicht mehr in der Bundeswehr, weil ich dafür wiederum schon zu alt gewesen bin. Aber ich bin durch die Nachkriegsereignisse schon sehr geprägt worden. Ich erlebte den Krieg übrigens auch hier in München, denn ich habe als Flüchtlingskind aus Dresden hier in München auch noch Bombenangriffe miterlebt. Ich finde, dass die Politik zwar schon auch immer etwas zu tun hat mit einer Lebensplanung. Es gibt Leute, die sagen sich: "Ich gehe jetzt in die Politik und habe bestimmte Ziele dabei. Ich will ein bestimmtes Mandat erreichen usw." Aber damit allein ist es natürlich nicht getan. Ich finde, man muss schon auch eine politische Vorstellung haben. Ich frage mich heute allerdings sehr wohl bei vielen Politikern, was ich an denen eigentlich festmachen kann: Was treibt sie? Warum sind sie in dieser oder jener Position? Warum wurde Herr X Bundeskanzler? Was will er? Politik heißt also auch, das im Moment scheinbar Unmögliche, also das Utopische, umsetzen zu wollen. In meinem Leben gab es sicherlich viele Dinge, die politisch gescheitert sind, aber einige von den Dingen, von denen alle gesagt haben: "Das geht doch nie!", waren dann plötzlich doch machbar. Das betrifft meinetwegen Bereiche im Umweltschutz usw. Dieses scheinbar Unmögliche zu wollen und zu versuchen, halte ich wirklich für ganz wichtig. Reuß: Es gibt noch ein anderes schönes Zitat von Ihnen. Sie sagten, Sie seien froh, heute in diesem Gewürge nicht mehr dabei zu sein. Hat sich die Politik selbst verändert, oder hat sich die Vermittlung von Politik verändert? Baum: Sicherlich hat sich auch die Vermittlung von Politik verändert. Obwohl ich eigentlich mit diesen neuen Formen der Vermittlung durchaus zurechtkommen würde: Das an sich hätte mir keine Schwierigkeiten gemacht. Es hat sich aber in der Gesellschaft etwas verändert: Bestimmte Themen, die für mich wichtig waren, finden kein Echo mehr. Der ganze Bereich des Rechtsstaatlichen, die potentielle Verletzung der Bürgerrechte: Dafür war in den siebziger Jahren eine ganz andere Öffentlichkeit vorhanden. Ich konnte mich also bei dem, was ich politisch durchgekämpft habe, auf eine kritische öffentliche Meinung stützen – jedenfalls auf einen Teil der öffentlichen Meinung. Das ist heute nicht mehr so. Heute muss man, wenn man aus welchen Gründen auch immer die Freiheit oder die Bürgerrechte einschränken will, dafür keine Gründe mehr angeben. Demgegenüber muss heute derjenige, der das nicht will, sagen, warum er das nicht haben möchte. Das war damals anders. Reuß: Das hat etwas mit Liberalismus zu tun. Wie würden denn Sie den Liberalismus heute griffig definieren? Baum: So wie immer. Ich bin in die Politik mit einem bestimmten Freiheitsverständnis gegangen: Ich wollte nicht abhängig sein von großen gesellschaftlichen Gruppierungen. Ich wollte, dass jeder die Möglichkeit bekommt, im Zweifel für die Freiheit zu sein: mit aller Verantwortung, die damit zusammenhängt. Ich wollte also, dass sich die Bürgergesellschaft entfaltet: mit einem Staat, der sie nicht gängelt. Diese Vorstellung bezog sich auf alle Gebiete des Lebens. Heute bemängle ich an meiner Partei, dass sie zumindest den Eindruck macht, als sei ihr nur die Freiheit in der Wirtschaft wichtig und nicht auch alle anderen Bereiche. Reuß: Sie haben einmal gesagt, dass der Preis für vier Jahrzehnte Politik sehr hoch sei, denn ein solches Leben würde über kurz oder lang zu Deformationen führen. Welche Deformationen waren das? Baum: Eine ganz schlimme Deformation bestand darin, dass man überhaupt keine Zeit mehr hatte, Freundschaften zu pflegen. Man ist in diesem Punkt einfach verödet. Man konnte sein Leben auch nicht mehr lang- bzw. mittelfristig planen. Das ist doch einer der höchsten Preise, die man da bezahlt: Ob man das nun will oder nicht, aber die menschlichen Beziehungen kommen dabei unter die Räder. Reuß: Ich würde unseren Zuschauern gerne den Menschen Gerhart Rudolf Baum näher bringen. Sie sind am 28. Oktober 1932 in Dresden geboren. Ihr Urgroßvater war Schmied, Ihr Großvater und Ihr Vater waren dann ebenso wie Sie bereits Rechtsänwalte. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre ganz frühe Jugend? Baum: Wunderbare. Ich bin ja in Dresden aufgewachsen: Das war damals meiner Ansicht nach eine der schönsten Städte der Welt. Sie hieß ja nicht umsonst auch "Elb-Florenz". Diese Stadt war ja auch lange Zeit vom Krieg weitgehend verschont geblieben. Mein Vater war im Krieg: Das war die erste Zäsur, die unser Familienleben betraf. Dann kam dieser fürchterliche Angriff im Jahr 1945: Kurz vor Beendigung des Krieges haben die Alliierten in einer Nacht, in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, Dresden zerstört. In diesem Flammenmeer haben wir mit Mühe und Not unser Leben gerettet. Das ist die Erinnerung, die sich bei mir eigentlich noch bis heute in sehr traumatischer Weise mit Dresden verbindet: jedes Mal, wenn ich dort bin. Reuß: Sie denken häufig an diesen Bombenangriff? Baum: Ja. Im Grunde war da in einer Nacht alles weg, nicht nur das persönliche Hab und Gut, sondern auch die ganze Umgebung: die Schule, die Schulfreunde usw. Diese bis dahin ja noch geordnete Welt wurde mit einem Schlag zerstört. Dazu kam natürlich dieses schreckliche Grauen, das Sterben, diese vielen toten Menschen: Diese zerstörte, brennende Stadt werde ich nie vergessen. Das besonders Schlimme daran ist ja, dass Dresden nicht wieder aufgebaut worden ist. Das was man heute als Dresden kennt, ist sicherlich sehr schön: Die Stadt liegt an der Elbe, und es gibt dort auch restaurierte Gebäude. Aber die Urbanität dieser Stadt ist nie wieder hergestellt worden. Reuß: Ihr Vater ist im Krieg gefallen, und Sie sind aus Dresden geflohen mit Ihrer Mutter und Ihrem Bruder. Wie muss man sich das vorstellen? Wie ist diese Flucht vonstatten gegangen? Wohin sind Sie gegangen? Baum: Wir hatten ein paar Koffer und sind dann eben aus dem brennenden Dresden irgendwie herausgekommen bis wir in einem Nachbarort ankamen. Da wir in Bayern Freunde hatten, sind wir in den Zug gestiegen und nach München gefahren. Bei dieser Fahrt erinnere ich mich vor allem an die Tieffliegerangriffe: Der Zug stoppte, und wir stürzten alle raus aus dem Zug und in irgendeine Bahnunterführung hinein.