inhalt 4 La Resistenza – der Widerstand in Italien 1943 - 45 von Nadja Bennewitz und Heike Herzog 8 „In den Untergrund zu gehen, war wie eine Beförderung“ Laura „Mirka“ Polizzi war Politkommissarin in der Resistenza von Heike Demmel 10 Deckname: „Toni“ Aus der Arbeit eines Saboteurs 12 „Die Arbeit der Frauen war das Rückgrat der Resistenza“ Frauen im Widerstand - von Nadja Bennewitz 16 „Einen Strich für jedes Militärfahrzeug“ Annita Malavasi, Mitglied der 144. Brigade Garibaldi von Heike Demmel 18 „Wir werden die Stadt nicht verlassen“ Der Frauenaufstand von Carrara am 7. Juli 1944 von Nadja Bennewitz 20 „Wir wollten ein anderes Leben“ Giacomo Notari: Die Hauptbotschaft war der zivile Aspekt 21 „Als Kommandant brauchte man kein Abitur“ Camillo Marmiroli: Anfangs waren wir politische Analphabeten 22 Agitation, Sabotage, Attentat GAP und SAP in italienischen Städten von Matthias Brieger 24 Der schmale Grat zwischen Verweigerung und Widerstand Deutsche Deserteure in der Resistenza von Matthias Brieger 26 Widerstand in der Lagune impressum Venedig und das venezianische Festland - von Giulio Bobbo 28 ‘’Das Bataillon Lucetti ist libertär und sonst nichts ...’’ la resistenza Carrara – Zentrum des anarchistischen Widerstands Beiträge zu Faschismus, deutscher von Wolfgang Most Besatzung und dem Widerstand in Italien (3) 30 Gino Lucetti Schriftenreihe des Vereins zur und das Attentat auf Mussolini Förderung alternativer Medien e. V. von Marianne Wienemann Bd. 2, Erlangen 2006 ISSN 1612-5223 31 „Giorgio kam nicht mehr zum Unterricht“ Die Verfolgung jüdischer Menschen in Parma Herausgeberin: von Stefania Campanini und Guido Pisi limovobi - Verein zur Förderung 34 Die Kinder der Villa Emma alternativer Medien e.V. Eine längst vergessene Geschichte Feldstr. 22, 91052 Erlangen, von Dieter Binz Fax 09131 - 205020 [email protected] www.feld22.de 36 Keines der jüdischen Kinder wurde entdeckt V.i.S.d.P.: Wolfgang Most Disma Picinini erinnert sichan die Kinder der Villa Emma Erscheinungsdatum: 8. Sept. 2006 37 Teil des deutschen Lagersystems Das Polizei- und Durchgangslager Fossoli Die Broschüren la resistenza können von Dieter Binz kostenlos bestellt werden: 38 „Wir hätten uns alle selbst umgebracht“ www.resistenza.de Lageralltag in Fossoli 39 „Diese Leute morgen früh kein Brot“ Der italienische Militärinternierte Carlo Porta erinnert sich 40 Deportation und Zwangsarbeit von Heike Herzog 2 Acht Pferde oder 40 Männer 41 Roberto Torelli war Zwangsarbeiter Fotos: in einer mittelfränkischen Munitionsfabrik Alberto Custodero: S. 57 links Die Angst war enorm...“ 42 Die Verfolgung Homosexueller im Faschismus Andrea Pomplun/Rom: S. 42, 43 von Heike Herzog A.N.P.I. Carrara: S. 6, 29 unten „Von Massakern wurde nie etwas erzählt“ 44 Archiv Giulio Nicoletta: S. 60 rechts SS-Karstwehr ermordete in Avasinis 51 Einwohner Archiv Prof. F. Burdino: S. 57 rechts von Peter Engelbrecht Austellungskatalog Partigiani der Institute für Widerstand u. Zeitgeschichte Modena, „Bedenkenlose Totalität des Vernichtungswillens“ 45 Parma, Reggio Emilia 2001: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien S. 4, 5, 25, 45, 47, 48, 49, 50 von Gerhard Schreiber Circolo Culturale Anarchico Gogliardo Fiaschi, Carrara: S. 29 oben Wie war das alles möglich? 49 Eine Betrachtung von Gerhard Schreiber Dieter Binz: S. 14, 19 oben, 26, 28, 34, 35, 36, 37, 38, 52, 53, 74, 75 Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema 51 Fernando Cavazzini: S. 10 Schleppende Ermittlungen in Deutschland gegen Kriegsverbrecher Gemeindebücherei Cumiana: von Heike Demmel S. 58, 59 oben „Sie haben sich nicht wie Menschen Verhalten” Giampietro Lippi: La Stella Rossa – Monte 52 Sole, Bolgna 1989: S. 55 Erinnerungen des Überlebenden Enio Mancini aus Sant’Anna Heike Herzog: 63, 72, 73 Zivile Opfer waren grausames Kalkül 54 Istituto Piemontese della storia della Das Massaker von Marzabotto Resistenza: S. 15, 17 Istituto storico della resistenza e dell’età „Er wurde sofort niedergeschossen“ 56 contemporanea di Parma (Sentieri Francesco Pirini, ein Überlebender aus Marzabotto erinnert sich Partigiani della Provincia di Parma): S. 6, 7, 40, 44 Der Schrank im Palazzo Cesi 57 Späte Prozesswelle gegen ehemalige deutsche Soldaten in Italien Istituto veneziano per la storia von Wolfgang Most della Resistenza e della societá contemporanea: S. 1, 27 Covo di banditi – Höhle der Banditen 58 Lars Reissmann: S. 51 Das Massaker von Cumiana im Piemont Laura Polizzi: S. 8 von Heike Herzog Le Montagne Della Libertà, Comune di „Sie sollten wissen, dass wir sie nicht in Ruhe lassen würden“ Montefiorino e Istituto Storico della 60 Resistenza e di Storia Contemporanea di Ein Unterhändler der Partisanen in Cumiana erinnert sich Modena 1994: S. 12, 13, 76 „Obenauf die Kartoffeln, darunter die Munition“ 61 Luigi Longo: Viva L’Italia Libera! Berlin Vom täglichen Widerstand der Partisanin Giacomina Castagnetti (DDR) 1963: S. 22 Marco Minardi: I bambini di Parma nel Der Widerstand in Italien 62 lager di Auschwitz (Materiali per la Zwischen Tradition und Konflikt didattica della storia), Parma 2003: von Massimo Storchi S. 31, 32, 33 Museo Monumento al Deportato Politico „Du musstest Hausfrau, Parteifunktionärin und Mutter sein“ 64 e Razziale, Carpi/Marco Ravenna: Laura Polizzi über das Frauenbild nach 1945 S. 22 (oben) Die verratene Resistenza 65 Nadja Bennewitz: S. 56, 68, 69, 70, 71, Die Bedeutung der Resistenza für die Sui Sentieri Dei Partigiani, Edizioni CDA, italienische Nachkriegsgesellschaft und die Neue Linke Torino 1995: S. 7 unten von Dario Azzelini Wolfgang Most: S. 1 (oben), 9, 11, 16, 19 mitte u. unten, 20, 21, 23, 29, 39, 40 Der rote Faden der Geschichte 68 unten, 41, 54, 56 unten, 60 links, 61, 62 Kommentar zur aktuellen Debatte um die Bedeutung der Resistenza 1977 - l’anno della grande rivolta (CD- von Francesco Rocchetti ROM), Castelvecchi Edidoria & Comunicazione 1997: S. 65, 66, 67 Wenn Steine reden könnten ... 72 Der Soldatenfriedhof in Costermano von Matthias Brieger layout:

Auswahlbibliographie 74 Wolfgang Most von Nadja Bennewitz [email protected] 3 Das faschistische Italien unter Benito Mussolini trat am 10. Juni 1940 an der Seite Nazideutschlands in den 2. Weltkrieg ein. Die italienische Kriegsmaschinerie war jedoch schlecht ausgerüstet, der Militärhaushalt durch Friedensdemonstration am 25. Juli 1943 in Mailand den Kriegseinsatz in Äthiopien (Oktober 1935 – Mai 1936) erschöpft. Die italienischen Angriffe gegen Frankreich, Griechenland und Jugoslawien blieben nahezu erfolglos. Als Italien 1941 La Resistenza Deutschland bei seinem Angriffskrieg gegen die UdSSR unterstützte, war die – der Widerstand in Italien 1943 – 45 Stimmung innerhalb der italienischen Truppen bereits gespalten, der Sinn des Krieges vielen unklar. Auch in der Zivilbevölkerung wuchs der Unmut Die Macht Mussolinis war am Schwin- Krieg an der Seite Deutschlands werde gegen den Krieg angesichts täglicher den. Am 25. Juli stellte sich der Faschis- auch nach dem Machtwechsel weiter Entbehrungen, verstärkt durch die tische Großrat gegen ihn. Die Monar- gehen. Doch diese Doppelstrategie ging einsetzenden Bombardierungen. Anfang chie sah Handlungsbedarf und setzte nicht auf. Unter dem Vorwand kriegsbe- 1943 schien für Italien der Krieg bereits Mussolini kurzerhand ab und gefangen. dingter Notwendigkeiten verlegte verloren. Im März wurden in den Die Bevölkerung feierte und demon- Deutschland ab dem 25. Juli verstärkt norditalienischen Fabriken die ersten strierte für den Frieden. Die Symbole Truppen über den Brenner – unter Pro- Streiks organisiert, an denen des Faschismus wurden zerstört: Die test der italienischen Regierung. Hunderttausende teilnahmen. „So Absetzung Mussolinis war für die mei- Die „Achse Rom-Berlin“, von Mussoli- etwas hatte man noch nie gesehen! Es sten gleichbedeutend mit dem Ende von ni 1936 als Begriff für die enge Verbin- war ein deutliches Zeichen, dass die Faschismus und Krieg. Die bisher im dung beider Länder eingeführt, war Dinge sich änderten”, berichtete die Untergrund arbeitenden antifaschisti- gebrochen. schen Parteien, in erster Linie die Kom- In der zweiten Augusthälfte 1943 legten Lehrerin Ines Barone, die sich später als munistInnen, begannen sich neu zu for- Churchill und Roosevelt unter Geheim- Verbindungsfrau, als Stafette, dem mieren. haltung die Landung der Alliierten auf Widerstand anschließen sollte. Im Mai dem italienischen Festland für den 9. 1943 kapitulierten die deutsch- Neuer Regierungschef nach der Abset- September fest, während über den Waf- italienischen Truppen in Afrika, und am zung Mussolinis wurde der ehemalige fenstillstand immer noch verhandelt 10. Juli landeten die Alliierten auf Generalstabschef Pietro Badoglio, der wurde. Die italienische Regierung for- Sizilien, wo sie kaum auf Widerstand eine autoritäre Militärregierung errich- derte zu ihrem Schutz die Landung star- stießen. tete. Sofort bei Regierungsantritt nahm ker alliierter Truppenverbände entlang er geheime Verhandlungen mit den Alli- der Küstenlinie zwischen Civitavecchia, ierten über einen separaten Waffenstill- nordwestlich von Rom, und La Spezia. stand auf. Dem Bündnispartner Des Weiteren wollte sie eine Garantie 4 Deutschland gegenüber betonte er, der für den Fortbestand des monarchisti- schen Staates und die Wiedereinsetzung Überall wurden flüchtende Soldaten lakrieg führen konnten, bei dem sie auf Italiens als Kolonialmacht. Die Alliier- von deutschen Truppen gefangen Überraschungsangriffe setzten. Zu die- ten versprachen lediglich eine Landung genommen und in Internierungslager sen Banden stießen ebenfalls militärisch und die Verkündung des Waffenstill- nach Deutschland verschleppt. Insge- ausgebildete, entflohene angloamerika- stands nicht früher als sechs Stunden samt waren es 730.000 italienische Sol- nische, sowjetische und jugoslawische vor der Invasion. Die italienische Seite daten, von denen über 16.000 in den Kriegsgefangene, nachdem sie zuvor akzeptierte. Am 3. September wurde der Lagern starben. Um die Soldaten vor meist von Frauen aus der Gegend auf- Waffenstillstand geschlossen. der Deportation zu schützen, initiierte genommen, versteckt und in die Wider- die Zivilbevölkerung die „größte Ver- standsbewegung eingeführt worden Am Abend des 8. September wurde er kleidungsaktion der italienischen waren. Auch einige Deserteure der verkündet und die Alliierten begannen Geschichte”. Es waren vor allem die Wehrmacht schlossen sich den Partisa- am 9. September ihre Landung im Golf Frauen, die nun auf den Plan traten. Sie nen an. von Neapel – viel weiter südlich als von beschafften den Soldaten zivile Klei- Frauen war es zwar aufgrund des herr- italienischer Regierung und Krone dung und versteckten ihre Waffen für schenden Frauenbildes nicht ohne wei- erhofft. Die Regierung Badoglio und den bevorstehenden Kampf gegen die teres möglich, sich dem bewaffneten das Königshaus flüchteten daraufhin Besatzer. Tausende wurden auf diese Widerstand anzuschließen. Dennoch hinter die Linien der Alliierten nach Weise verkleidet, versteckt, versorgt kämpften einige mit der Waffe, lebten Brindisi und etablierten dort mit deren und auf den Weg nach Hause gebracht. mit in den Formationen und übernah- Billigung eine Monarchie. „In diesen Tagen Anfang September men dort politische Aufgaben. Durch die Bekanntmachung des Waf- 1943 ging es darum, versteckte Solda- fenstillstandsabkommens mit den Alli- ten aus den Wohnungen wegzubringen ierten entstand für die italienischen – das war unsere erste Stafettentätig- Auch einige Deserteure der Streitkräfte eine unklare Situation. Mili- keit. Wir erkundeten, wo Kontrollpo- tärische Befehle blieben aus, was viele sten und Straßensperren waren und ver- Wehrmacht schlossen sich Soldaten als Aufforderung auffassten, suchten alles an Informationen einzuho- den PartisanInnen an nach Hause zurückzukehren. Die Situa- len, was wichtig war.“ So berichtet die tion eskalierte: Innerhalb weniger Tage Stafette Annita (Laila) Malavasi von besetzte Nazideutschland Italien bis den ersten Tagen des Widerstands. weit in den Süden. Doch unter Resistenza war nicht nur Die deutsche Führung hatte einen mög- Um der Deportation nach Deutschland bewaffneter Widerstand zu verstehen, lichen Kriegsaustritt Italiens seit zu entgehen, zogen sich viele Männer in sondern grundsätzlich eine resistenza November 1942 einkalkuliert und, trotz die Gebirgsgegenden der Regionen civile, der zivile Widerstand, als Ant- der anders lautenden Beteuerungen Emilia Romagna, Piemont und Ligurien wort auf die Ausbeutung menschlicher Badoglios, Maßnahmen für diesen Fall zurück. Sie bildeten die ersten Partisa- und materieller Ressourcen durch den ergriffen. 600.000 Soldaten standen zur nengruppen als Reaktion auf den Ver- Nationalsozialismus. Unabhängig von Umsetzung des Befehls „Achse“ bereit. such Deutschlands, das Land für seine Parteien oder Organisationen waren es So war es Deutschland möglich, binnen Kriegsführung auszunutzen. Vielen Sol- meist Frauen, die Verfolgte schützten, weniger Stunden nach Verkündung des daten aus dem Süden war es zudem gar Einrichtungen und soziale Zusammen- Waffenstillstands den Einmarsch in Ita- nicht möglich nach Hause zurückzukeh- hänge frei von faschistischen Einflüssen lien zu beginnen. Zeitgleich wurden die ren, da sie dafür über die Frontlinie hät- hielten und den ökonomisch-politischen italienischen Besatzungstruppen auf ten gelangen müssen. Für sie eröffneten Kampf gegen die Besatzer führten. dem Balkan, in Griechenland und sich drei „Möglichkeiten“: ihre Gefan- Frankreich von deutschen Soldaten ent- gennahme durch die Deutschen, ihr Italien wurde bis südlich von Neapel waffnet und nach Deutschland depor- Weg in den Widerstand oder ihre Ein- von deutschen Truppen besetzt, die in tiert. Traurige Berühmtheit erlangte in gliederung in die faschistische Armee den darauf folgenden Wochen auf die so diesem Zusammenhang die griechische der Ende September neu errichteten genannte Gustavlinie zurückgedrängt Insel Kephallonia, auf der ungefähr Republik von Salò. So bildeten sich die wurden, die das Land circa 50 km nörd- 5.000 italienische Soldaten, die sich ersten losen Widerstandsgruppen. Meist lich von Neapel in West-Ost-Richtung ihrer Entwaffnung widersetzten, von waren es die Ortskundigen, die von teilte. Im Mai 1944 rückten die anglo- deutschen Gebirgsjägern erschossen ihren Verstecken in den Bergen aus die amerikanischen Truppen weiter vor, im wurden. Bewegungen der deutschen Truppen Juni 1944 wurde Rom befreit, im beobachteten und dadurch einen Gueril- August Florenz. Die Deutschen errich- teten daraufhin im Sommer 1944 eine neue Verteidigungslinie 350 km weiter Sechs Soldaten in Zivilkleidung auf der Flucht nördlich – die Gotenlinie. Die Ausbil- dung langfristiger Widerstandsstruktu- ren auf militärischer und ziviler Ebene fand demnach vor allem in Mittel- und Norditalien statt.

In den 45 Tagen der Regierung Bado- glio hatte der antifaschistische Wider- stand im Untergrund Aufwind bekom- men. Dadurch war es möglich, bereits am 9. September in Rom den CLN – das Komitee zur nationalen Befreiung – als Reaktion auf die Besetzung zu gründen. In ihm waren die unter dem Faschismus 5 Nach der Erstürmung der Gotenlinie in den Alpi Apuane: Gruppenbilder mit US-Soldaten. Die US-Armee setzte vor allem Migranten in vorderster Front ein - hier “japanische” GI’s.

verbotenen Parteien (Kommunisten und tember 1943 Mussolini aus seinem Sozialisten), die neu entstehenden Libe- Gefängnis in den Abruzzen. 11 Tage Die Vielschichtigkeit der Resistenza ralen und andere antifaschistische Orga- später wurde er als Regierungschef der wurde in ihrer politischen Struktur am nisationen vertreten. Man schuf eine Repubblica Sociale Italiana (RSI) ein- stärksten deutlich. Neben einem geheime politische Führung. Durch gesetzt. Auf Grund ihrer Regierungssit- gemeinsamen Oberkommando - dem ihren militärischen Arm und die regio- ze Gardone und Salò am Gardasee wur- CLN - stellten die Parteien einzelne Par- nalen Gruppen gelang es, die in den de diese auch Republik von Salò tisanInneneinheiten auf. Die Einheiten ersten Monaten vereinzelt operierenden genannt. Damit war das alltägliche Giustizia e Libertà (Gerechtigkeit und Partisanengruppen und deren Aktivitä- Leben wie vor dem 25. Juli wieder von Freiheit) standen der neu gegründeten ten zu koordinieren. faschistischen Strukturen durchsetzt. liberalen Aktionspartei (Partito d’Azio- Man hatte also nicht nur einen äußeren, ne) nahe und machten etwa 20 Prozent sondern auch einen inneren Feind zu aus. Die mitgliederstärksten Verbände Die Resistenza: bekämpfen. waren die Garibaldi-Einheiten, die Befreiungskampf, Außerdem trug der Widerstand Züge hauptsächlich auf Initiative der kommu- eines Klassenkampfes. Die Agitierung nistischen Partei Italiens entstanden Bürgerkrieg und und Beteiligung der ArbeiterInnen an waren und 50.000 PartisanInnen stell- Klassenkampf der Resistenza – durch Streiks in der ten. Die drittstärksten Formationen Rüstungsindustrie beispielsweise – trägt waren die so genannten Autonomen deutlich diese Züge. Der Feind – innerer Einheiten, die keiner politischen Rich- Die Resistenza war in erster Linie ein wie äußerer – wurde mit dem Klassen- tung nahe standen. In ihnen waren vor Befreiungskampf gegen eine fremde feind gleichgesetzt. Tatsächlich hatten allem „versprengte“ Soldaten und Besatzungsmacht. In diesem Aspekt lag große Teile der italienischen Großindu- Anhänger der Monarchie organisiert, der (kleinste) gemeinsame Nenner zwi- strie mit den Faschisten sympathisiert weshalb sie von anderen Partisanen schen militanten KommunistInnen, und ihnen zum Aufstieg verholfen. auch (verächtlich) „Badoglio-Partisa- liberalen AntifaschistInnen und monar- nen“ genannt wurden. Daneben entstan- chistisch eingestellten Militärs. Im Frühjahr 1944 mobilisierte die den Formationen, die anderen antifa- Den Charakter eines Bürgerkrieges faschistische Regierung abermals für schistischen Organisationen, z. B. erhielt die Resistenza durch die Einset- den Krieg. Um sich dem Kriegsdienst katholischen Kreisen oder der republi- zung einer faschistischen Marionetten- zu entziehen, schlossen sich erneut vie- kanischen Partei nahe standen, sowie regierung. Die SS befreite am 12. Sep- le Männer der Resistenza an. In dieser die Mazzini-Einheiten, die von den Phase führte der den Männern drohende Sozialisten organisiert wurden. Wer Kriegseinsatz zu jeweils geschlechts- welcher Einheit beitrat, richtete sich spezifischen Motivationen, sich dem nicht nur nach der politischen Einstel- Widerstand anzuschließen. So machte lung, sondern wurde oft durch prakti- Carla Badiali, die Dokumente für die sche Begebenheiten – welche Einheit Partisanenbewegung fälschte, gegenü- kämpfte in der nächsten Umgebung, ber ihrem Mann deutlich: „Ich mache welche persönlichen Kontakte bestan- das alles, weil ich es mir ausgesucht den – gelenkt. habe. Du hattest keine Wahl, ich ja.” Neben den PartisanInnen in den Bergen Etliche jüdische Menschen, wie etwa operierten in den Städten die GAP- oder der bekannte Schriftsteller Primo Lévi, SAP-Einheiten – von der kommunisti- gingen zum Widerstand in die Berge schen Partei gegründet und unterstützt. oder konnten sich in von PartisanInnen Ihre Mitglieder betrieben geheime Pres- kontrollierten Gebieten verstecken. Ihr se- und Informationsstrukturen und Risiko war es, bei der Gefangennahme führten Sabotageakte gegen die feindli- nicht nur als PartisanInnen bestraft zu che Infrastruktur und Attentate gegen werden, sondern zudem als Jüdin oder Exponenten der Besatzer und der Deutsche Truppen bei der “Durchkämmungsaktion Jude. Wallenstein” 1944 Faschisten durch. Oft bestanden sie nur aus kleinen Zellen von zwei bis drei Schon die Nicht-Kollaboration mit den Personen. Deutschen und das Verschweigen von Informationen über die Resistenza Frauen nahmen keine Führungsposition konnte als Unterstützung gelten und mit im CLN ein, obgleich sie wichtige Ver- dem Tode bestraft werden. Zum anderen bindungsfunktionen innehatten. Sie wurde die Bevölkerung als Druckmittel gründeten im November 1943 die GDD, gegen die PartisanInnen eingesetzt, die Frauenbefreiungsgruppen, die eigene damit rechnen mussten, dass jede Zeitschriften herausgaben, in den Fabri- Widerstandshandlung mit Repressalien ken für den antifaschistischen Kampf gegen umliegende Dörfer geahndet agitierten, gleichen Lohn für Frauen wie wurde. Männer forderten, Material und Klei- Im so genannten „heißen Sommer“ dung für die kämpfenden Truppen pro- 1944 verschärfte der Oberbefehlshaber duzierten und Geld von Fabrikbesitzern Kesselring die möglichen Repressions- besorgten. In der Forschung wird heute maßnahmen gegen die Bevölkerung. von 150.000 bewaffneten PartisanInnen Der bewaffnete Widerstand war zu die- ausgegangen. Der Partisanenkampf sem Zeitpunkt deutlich erstarkt, und die benötigte die Unterstützung der Zivilbe- militärische Lage der Deutschen ver- völkerung. Es ist von 14 Unterstützen- schlechterte sich zusehends – die anglo- den pro Kämpfendem/r auszugehen. amerikanischen Truppen befanden sich auf dem Vormarsch. Für diesen Zei- Ab Frühjahr 1944 gelang einigen Parti- traum galt beispielsweise die Anord- sanInnenformationen die Schaffung nung, in Gebieten mit starker Partisa- befreiter, selbst verwalteter Republiken, nenpräsenz präventiv Geiseln zu neh- so u. a. in Montefiorino/ Emilia-Romag- men, die dann im Fall von Angriffen na oder im Ossola-Tal/ Piemont. Hier durch PartisanInnen hätten getötet wer- wurden kleine „Parlamente” eingerich- den dürfen. tet, in denen männliche Dorfräte die Weg in die Berge politische Verantwortung übernahmen. In diesen Zeitraum fällt auch das tragi- sche Massaker in Marzabotto im emili- Die Bekämpfung des bewaffneten anischen Apennin, bei dem 770 Men- Der bewaffnete Widerstand Widerstands wurde in Italien nach den schen getötet wurden. Dieses von SS Richtlinien der so genannten Bandenbe- und Wehrmacht verübte Massaker ent- war 1944 erstarkt, und die kämpfung durchgeführt, wie sie schon sprang einer „Politik der verbrannten militärische Lage der im Osten gegen PartisanInnen angewen- Erde“. Die Deutschen „säuberten“ dabei Deutschen verschlechterte sich det worden waren. Die Befehlsstruktur das Hinterland entlang der Frontlinie zeigt sehr deutlich, dass die Aufteilung von PartisanInnen – aber auch von Zivi- in eine Wehrmacht, die einen angeblich listInnen. xanderbefehl“, der praktisch nicht „sauberen“ Krieg in Italien geführt umzusetzen war, bzw. einer Auflösung habe, während die Verantwortung für Im Winter 1944 „ordnete“ der britische der PartisanInneneinheiten gleich ge- die Massaker allein der SS zuzuschrei- General Alexander an, dass die Partisa- kommen wäre, wurde von vielen Kom- ben sei, nicht die Realität widerspiegelt. nInneneinheiten ihre Aktivitäten einzu- mandantInnen der Partisanen bewusst Es war erklärtes Ziel, die Bevölkerung stellen hätten, bis im Frühjahr 1945 die missachtet. Der alliierte Rückzug durch massive Drohungen von jeder Alliierten ihre Kampfhandlungen wie- bedeutete für die Wehrmacht eine ent- Unterstützungsleistung abzuhalten. der aufnehmen würden. Dieser „Ale- scheidende Erleichterung, und so richte- te man von deutscher Seite im Winter 1944/45 sein Augenmerk auf die Warnung vor PartisanInnenaktivitäten Bekämpfung der Partisaneneinheiten. Im Frühjahr 1945 gelang den Partisane- neinheiten zusammen mit den Einwoh- nerInnen die Befreiung zahlreicher Städte noch vor Ankunft der Alliierten. Am 25. April übernahm das CLN in den befreiten Gebieten die Macht. Benito Mussolini und seine Geliebte Claretta Petacci wurden drei Tage später hinge- richtet. Die Deutschen mussten bedin- gungslos in Italien kapitulieren.

Die Partisanen zogen als Sieger durch die Straßen, meist ohne die zuvor an ihrer Seite kämpfenden Partisaninnen, die lediglich mit der Binde der Kran- kenschwester am Arm marschieren durften, um sich vor übler Nachrede zu schützen.

Nadja Bennewitz, Heike Herzog 7 Zeitzeugnisse "In den Untergrund zu gehen, war wie eine Beförderung" Laura "Mirka" Polizzi war Politkommissarin in der Resistenza

Laura Polizzi stammt aus einer antifaschistischen Familie aus ihr und habt Angst? Ich habe keine Parma. Politisiert wird sie durch Angst, wo ich doch ein Mädchen bin!' ihre Onkel, die Die Leute bleiben verwundert stehen. Führungspositionen in der Der Onkel Porcari umarmt mich und Kommunistischen Partei (PCI) sagt: ‚Du musst jetzt in die Resistenza einnehmen. Sie selbst tritt als eintreten.'" Partisanin unter dem Decknamen "Mirka" der Das tut sie, ohne zu zögern. Tagsüber arbeitet sie weiterhin als Schuhverkäu- Resistenza bei. ferin. Gleichzeitig ist sie Kurierin für die PartisanInnen und die kommunisti- sche Partei. Sie arbeitet für die antifa- schistische Agitation und baut die Laura Polizzi 1944 auch noch andere aus der Familie mit rein.'" "Frauenverteidigungsgruppe" in Parma Doch sie gibt nicht auf und löchert die auf . "Diese Aktivität dauerte für mich "Ich habe mich der Resistenza ange- Männer in ihrer Familie weiter. Bis ihr nur kurz, denn in den ersten Tagen des schlossen, da war ich noch keine 18 Onkel sagt: Ich schule dich politisch. Februar 44 - ich war mittlerweile 18 - Jahre alt. Wie alle Mädchen wollte ich "Er unterrichtete mich in der Geschich- denunzierte mich eine Frau bei der Poli- alles andere werden als eine Guerillera. te des Kommunismus, in Ökonomie, zei. Ich musste meine politische Akti- Aber am 25. Juli, dem Niedergang des und ich wurde dadurch Kommunistin. vität in eine andere Gegend verlegen, italienischen Faschismus, gab es keinen Der andere Onkel hatte weniger Skrupel musste untertauchen. Ich wechselte Zweifel darüber, dass mich die Diskus- und gab mir kleine illegale Aufgaben, meinen Namen und erhielt falsche sionen und Gespräche in meinem diesen und jenen Genossen Dinge zu Dokumente. Ich verließ meine Familie, Elternhaus sehr geprägt haben." überbringen. Es wurde September. Der meine Stadt, meine Genossen und wur- Laura Polizzi kommt aus einer antifa- Onkel brachte mich zum Fluss und zeig- de zuerst nach Piacenza, dann nach schistischen Familie. Ihr Vater ist Tisch- te mir eine Pistole, nahm sie in die Reggio Emilia geschickt." Dort hat sie ler, die Familie arm. Dennoch gibt es in Hand, lud sie, leerte sie wieder und sag- viel gelernt und ist politisch gewachsen, ihrem Elternhaus jede Menge Bücher, te zu mir: 'Bald wirst du sie nutzen müs- blickt sie heute zurück. Laura Polizzi sen, denn bald müssen wir zu den Waf- wird Anführerin der Frauenverteidi- fen greifen.'" gungsgruppen und ist in Kontakt mit der "Eben habt ihr versprochen Er behält Recht. Am 8. September 1943 Führungsspitze der politischen Resi- zu kämpfen und jetzt marschieren nationalsozialistische stenza in der Provinz Reggio Emilia. Truppen in Italien ein. In Parma rufen flüchtet ihr? Ich habe keine fast alle Parteien die versammelten Ich wollte kämpfen, wollte in Angst, wo ich doch ein BewohnerInnen zum Widerstand gegen die Berge gehen. Mädchen bin!" die deutsche Besatzung auf. Auch Laura Polizzi ist auf der Piazza Garibaldi. "Dieses illegale Leben, wie war es? Vie- "Plötzlich hört man einen Knall, viel- le Genossen, die aus anderen Gegenden vor allem solche, die im Faschismus leicht war es nur ein geplatzter Fahrrad- kamen, hatten wie ich keinen festen verboten sind. Zwei Onkel sind in der schlauch. Doch die Leute, die eben noch Wohnort. Wir hatten falsche Papiere, kommunistischen Partei, Laura Polizzi gesagt haben, sie seien für den Kampf einen Kampfnamen, der wiederum kennt die Besuche im Gefängnis. Doch bereit, flüchten total aufgeschreckt. Da anders war als der, der im Dokument sie stößt auf Ablehnung, als auch sie kommt ganz spontan eine Wut in mir stand. Wir schliefen und aßen in den sich dem Widerstand anschließen möch- hoch, und ich steige auf das Denkmal Häusern, die uns die legalen Kämpfer te. von Garibaldi, von dem aus gerade noch zur Verfügung stellten. Wir wussten am "Ich fragte die Männer in meiner Fami- die Männer gesprochen hatten, und ich Morgen nicht, wo wir am Abend schla- lie, ob ich mitmachen könnte, die Ant- rede in der Öffentlichkeit. Ich rede und fen würden. wort war: Nein. Ich sei ein Mädchen. lade die Mädchen und Frauen ein, und Meine politische Arbeit war sehr wich- Onkel Remo sagte etwas ernster: 'Wir schreie: 'Ja wie, eben habt ihr noch ver- tig. Doch es war mir immer noch zu 8 sind doch schon dabei, wir ziehen nicht sprochen zu kämpfen und jetzt flüchtet wenig. Ich wollte kämpfen, wollte in die Berge gehen. Und zusammen mit einem Formation verlassen und auf meinen anderen jungen Mann, der die illegale früheren Posten in die Ebene zurück- Bewegung der Jugend anleitete, bat ich kehren, oder ich konnte in den Bergen darum." Vergeblich. Ihm wird es gestat- bleiben, aber nur außerhalb des Kom- tet, ihr verwehrt. Doch er verrät ihr das mandos, und die Stafetten und die Frau- Losungswort und Mirka - so ihr Dek- en in den Bergen anführen. Alle Anwe- kname in der Resistenza - zieht auf senden teilten nicht diese Meinung, sie eigene Faust los, ohne den Segen ihrer alle hielten es für irrelevant, dass wir Partei. Nach zwei Tagen Fußmarsch verliebt waren. Es hatte tatsächlich nie kommt sie zusammen mit Anderen bei irgendeine Auswirkung gehabt. Aber den PartisanInnen an, wo alle vom poli- der Beschluss der Partei ließ mir nur tischen Kommisar befragt werden. "Als diese zwei Möglichkeiten zur Auswahl. ich an die Reihe kam, fragt er mich: Ich fand das nicht richtig, völlig unge- 'Und wer schickt dich?` Ich habe dann recht. Doch ich hätte nie zugestimmt, in die Wahrheit gesagt, weil ich wusste, den Bergen zu bleiben ohne meine Auf- mit der Partei scherzt man nicht. Und gabe als Politkommissarin ausüben zu dann schaut er mich an und sagt: 'Du dürfen, in die ich gewählt worden war. solltest für deinen Mut ausgezeichnet Also habe ich mich entschlossen, in die werden, aber du solltest erschossen wer- Ebene zurückzukehren und dort die den dafür, dass du deine dir zugeordne- Frauen anzuleiten, wie ich es auch te politische Position verlassen hast.'" schon zuvor gemacht hatte." Laura Polizzi wird nicht erschossen. Nach langem hin und her darf sie blei- Kommando für zwei ben, wird sogar - mit 18 Jahren - Polit- Abteilungen der kommissarin, da sie mehr politisches Frauenverteidigungsgruppen Wissen und Erfahrungen hat als die meisten anderen. 512 Frauen haben es Laura Polizzi erfährt nach und nach, laut offiziellen Zahlen in die Position dass ihre Mutter, ihr Vater und ihre jün- einer Kommandantin oder Kommissarin gere Schwester verhaftet sind, dass ihr geschafft. Laura Polizzi ist eine davon. Bruder, auch Partisan, verwundet ist. "Als Politkommissarin hatte ich die "Ich trug also einen immer größer wer- ... und heute Aufgabe, die Genossen politisch und denden Hass in mir, und wenn ich frü- moralisch zu unterstützen, diese jungen her 100prozentig kämpfte, so setzte ich Männer, die zum Widerstand gekom- mich nun 200prozentig für die Resisten- men waren vor allem aus Ablehnung za ein. Der Kampf in den Bergen hatte ter, die erzählte, wie sie in Mauthausen des Faschismus und des Nazismus her- mich auch gestärkt, hatte mich wider- erfahren habe, dass dort auch ihr Sohn aus. Aber sie hatten keinerlei ideologi- ständiger gemacht." inhaftiert sei. Und ich dachte, die Arme, sche Basis und Schulung erhalten, sie Ihre wichtige Rolle in der Resistenza sie weiß noch nicht, dass er erschossen wussten nichts von Politik, aber wirk- bleibt auch den Deutschen nicht verbor- wurde - was ich wiederum gehört hatte. lich nichts. Im Faschismus lernte man gen. Sie wird gesucht, die Polizei findet nichts, es war eine Diktatur. Das, was ihre Spur, der Kreis schließt sich immer ich von den Onkeln und den Genossen enger um sie. "Eines Morgens war sogar 512 Frauen haben es in die in Reggio gelernt hatte, nutzte mir nun das Haus umstellt, in dem ich oft Position einer Kommandantin bei den Partisanen. Ich habe dort schlief, zum Glück war ich just in die- oder Kommissarin geschafft. gemacht, was alle gemacht haben, habe sem Moment nicht dort. Man versetzte an Kämpfen teilgenommen, an bewaff- mich also - glücklicherweise, sonst Laura Polizzi ist eine davon neten Aktionen usw." wäre ich heute nicht hier - nach Mai- "Wir haben in dieser Zeit hassen land. Ich trat in den Mailänder Wider- gelernt", sagt Laura Polizzi heute. "Als stand ein und übernahm das Kommando Ich sagte es ihr nicht, zum Glück, denn Kommissarin musste ich auch Spitzel für zwei Abteilungen der Frauenvertei- im Juli kam er wieder nach Hause, mein ausfindig machen, musste Verhöre über- digungsgruppen. Die Aufgaben dort Bruder, natürlich mehr tot als lebendig, nehmen. Ich wandte dabei zwar nicht waren ähnlich, aber für mich auch eine er wog nicht mal 40 kg bei 1,82 Größe. die Methoden der Deutschen an, doch neue Erfahrung. Denn im Reggiano hat- Im September kam meine Schwester, was man den Frauen so nachsagt, sie te ich unter den Bäuerinnen gearbeitet, aber von meinem Vater haben wir nie seien zartfühlend und weich, davon ver- in Mailand hatte ich mit Arbeiterinnen offizielle Nachrichten erhalten. Wir spürte ich während dieser Arbeit über- zu tun, war in den Fabriken tätig, mach- haben nur indirekt davon erfahren, dass haupt nichts." te illegale Aktivitäten mit den Arbeiter- er in Mauthausen ermordet wurde." innen." Doch dann verlieben sich der Komman- In Mailand ist Laura Polizzi an der Heike Demmel dant und sie ineinander. Eine ganze Befreiung beteiligt. Doch es gelingt ihr Weile stört das niemand, dann nimmt nicht recht sich zu freuen. Eine befreun- Die Gespräche mit Laura Polizzi fanden statt die Partei daran Anstoß. "Es war nach dete Genossin wird an diesem Tag getö- im Rahmen der jährlich veranstalteten "Sen- der damaligen Moral der kommunisti- tet, von ihrem Gefährten in den Bergen tieri Partigiani" von ISTORECO Reggio schen Partei nicht tragbar, dass wir ein hat sie keine Nachricht. Ebenso wenig Emilia (www.istoreco.de) und der 2001 vom Verhältnis miteinander hatten, zwei von ihrer verhafteten und nach Deutsch- Verein zur Förderung alternativer Medien in Kommandanten im Krieg, die ineinan- land deportierten Familie. Parma durchgeführten Interviews. der verliebt waren. Man müsse eine "Nach und nach ist meine Familie wie- Lösung finden. Entweder sollte ich die der zurückgekehrt. Zuerst meine Mut- 9 26. Juli 43: Demonstration und Befreiung von politischen Gefangenen in Reggio Emilia nach dem Sturz Mussolinis (Toni im Bild rechts)

Zeitzeugnisse Deckname: ''Toni'' Aus der Arbeit eines Saboteurs

Fernando Cavazzini, Deckname ''Toni'', 8.3.1944: Toni (links) und Visser treten der Resistenza bei und gehen in die Berge ist ein ehemaliger Partisan aus dem Emilianischen Apennin. Er berichtet von seiner Partisaneneinheit und den wir den Faschisten eine schwere 30. Juli eine große Durchkämmungs- Aktionen der Sabotagegruppe ''Demonio'' Niederlage zufügen. Das gab uns so aktion in diesem Gebiet durch und einen Motivationsschub, dass wir dar- zerstörten die Partisanenrepublik. aufhin fast alle kleineren Kasernen und Polizeistationen in dieser Gegend Zwei von der Front abgezogene deut- angriffen und entwaffneten. sche Divisionen kamen von drei Sei- Fernando Cavazzini: In den Bergen Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer, ten und versuchten uns in eine Sack- waren Waffen anfangs Mangelware. dass diese relativ kleine Partisanenein- gasse zu treiben. Unsere Verbände An einem der ersten größeren Gefech- heit plötzlich große Erfolge zu haben lösten sich auf, und wir schlugen uns te bei Ceresologno im Frühjahr 1944 schien. Das führte dazu, dass im Laufe in Kleingruppen durch. Es gibt hier waren 130 Partisanen beteiligt, davon des Monats Juni unsere Einheit bis auf sehr viel Wald, die Deutschen konnten hatten nur 30 eine Schusswaffe. Wir 2.000 Leute anwuchs. Wir hatten enor- nicht das ganze Gebiet überblicken, waren also dringend auf die Fall- me Schwierigkeiten, die Neuzugänge und so sind viele durch die deutschen schirmabwürfe durch die Alliierten ein bisschen auszubilden, auszurüsten Linien weggekommen. Unsere Grup- angewiesen. und in unsere Formationen einzuglie- pe, um die 60 Leute, hat 24 Stunden dern, weil fast täglich neue Gruppen lang Widerstand leisten können, da zu uns stießen. wir gut versteckt waren. Uns ist es Mitte Juni 1944 haben wir im auch noch gelungen, eine Brücke zu Hochapennin zwischen Reggio Auch die Einheiten in der Gegend von sprengen. Irgendwann waren wir ein- Modena wuchsen innerhalb kurzer gekreist, und unsere Gruppe zog sich Emilia und Modena eine Zeit auf 5.000 Partisanen an. So konn- 12 Tage lang unter Gefechten in die Partisanenrepublik ausgerufen ten wir insgesamt ungefähr 7.000 Leu- Toskana zurück. Die Wälder lagen te hier in den Bergen zusammenzie- ständig unter Mörserbeschuss, jedoch und organisiert hen. Mitte Juni 1944 haben wir im meist nach dem Zufallsprinzip, und so Hochapennin zwischen Reggio Emilia haben sie uns nicht gekriegt. und Modena eine sieben Gemeinden Funkkontakte zu den Alliierten gab es umfassende Partisanenrepublik, ein Bei den Rückzugsgefechten gab es auf über einen Priester bereits im Oktober zusammenhängendes befreites Gebiet, beiden Seiten erhebliche Opfer. Die 1943. Aber erst im Mai 1944 warfen ausgerufen und organisiert. Eine große Deutschen brannten als Vergeltungs- die Alliierten die ersten Waffenkisten Fläche, circa 40 Kilometer breit, wo aktion eine Kleinstadt und andere klei- in unserer Gegend ab. Wir waren nur erstmals seit zwanzig Jahren wieder ne Dörfer ab, töteten ca. 10 Zivilisten um die 100 Personen und sind dadurch Bürgermeister und Gemeinderat und deportierten mehrere 100 Leute gut ausgerüstet worden. Daraufhin gewählt wurden. Wir hatten gute Ver- zur Zwangsarbeit nach Deutschland. konnten wir einen Angriff von mehre- bindungen zu den Alliierten, sie haben All das konnten wir nicht verhindern. ren hundert Schwarzhemden abweh- uns fast täglich aus der Luft versorgt. Die Deutschen haben sich dann nach ren, obwohl von uns nur 12 Leute Wir hatten begonnen, eine Landebahn 15 Tagen zurückgezogen. Kurz darauf beteiligt waren, aber gut postiert und für kleine Flugzeuge zu bauen. Das sind unsere Kleingruppen nach und bewaffnet. Gemeinsam mit den nach- brachte wahrscheinlich das Fass zum nach zurückgekehrt, wir fanden uns 10 rückenden Partisanengruppen konnten Überlaufen. Die Deutschen führten am wieder zusammen. Als wir zurückka- men, gingen wir nicht wieder in die sechs Personen in einer Spezialgruppe, gleichen Dörfer, sondern hielten uns in davon sind am Ende nur zwei übrig Zelten aus Fallschirmen auf dem Land geblieben. Daraufhin stellte ich eine auf. Wir konnten erst wieder ganz lang- neue Gruppe mit 12 Leuten zusammen, sam Kontakte in die Dörfer knüpfen, die die darauf spezialisiert war, Brücken, in der Zwischenzeit abgebrannt, zer- Straßen, Eisenbahnlinien etc. zu spren- stört, halb deportiert waren. Es hat lan- gen. Wir waren direkt dem Zentralkom- ge Zeit gedauert, bis wir wieder auf mando der Partisanen unterstellt und 1.500 bis 2.000 Partisanen angewachsen wurden als flankierende Maßnahme ein- waren. Doch dann haben wir das Gebiet gesetzt, wenn die Infrastruktur lahm der vorherigen offiziellen Partisanenre- gelegt werden musste, um die ent- publik wieder unter eigene Kontrolle sprechenden Voraussetzungen für bekommen. Ab Winter 1944/45 war es Angriffe zu schaffen. faktisch durchgehend befreites Gebiet. Zwar sind die Deutschen ab und zu Es gab noch eine zweite wichtige Sabo- noch gekommen, aber nicht in so großer tage-Gruppe, das waren sowjetische Anzahl und nicht für lange Zeit. Sie Partisanen mit dem Gruppennamen führten Angriffe über ein, zwei Tage aus “Der blaue Hund”. und zogen dann wieder ab. So war unse- re Taktik, zusammen mit den uns Manchmal zog unsere Gruppe zusam- ''Toni'' im Jahr 2001 bekannten und von uns eingesetzten men los, manchmal gingen nur zwei Bürgermeistern: Man zog sich zurück oder drei. Wir waren ständig auf den und kam wieder. Beinen. Auch in der Poebene und auf der anderen Seite der Berge, in der Bei uns waren auch Deutsche mit dabei, Der Winter 1944/45 war fürchterlich. Toskana, waren wir im Einsatz. Wir ein Berliner zum Beispiel. Eines Tages Die Alliierten haben aufgrund des “Ale- umgingen Kampfgebiete, um hinter hatten wir Spione verhaftet. Einer von xander-Befehls” die Abwürfe von Waf- dem Rücken der Deutschen Brücken zu ihnen beteuerte seine Unschuld. Den fen und Hilfsgütern gestoppt, was die sprengen, die Munitionszufuhr zu un- sperrten wir mit unserem Deutschen aus Deutschen natürlich bemerkten. Gene- terbrechen oder Verwirrung zu stiften. Berlin zusammen, der sich auch als ral Alexander ließ verkünden: Partisa- Während des massenhaften Rückzugs Gefangener ausgab. Ihm erzählte er nen, geht nach Hause, wir nehmen den der deutschen Truppen stellten wir deut- bereitwillig, dass er ein Spion war. Dar- Kampf im Frühjahr wieder auf. Für die sche Wegausschilderungen in die fal- aufhin haben wir ihn erschossen. Deutschen war das ein großer Vorteil. sche Richtung auf. Dadurch verlief sich Da sich an der Front nichts mehr eine große Wehrmachtseinheit, mehrere bewegte, konnten sie von dort immer tausend Soldaten, in eine Sackgasse und wieder Kräfte zur Bekämpfung der Par- konnte von den Alliierten gefangen tisanen abziehen. genommen werden. Mein Job war Sabotage. Wir waren sechs Personen in einer Sabotage Überläufer und Gefangene Spezialgruppe, davon sind am Das Gebiet der ehemaligen Partisanen- Viele Deutsche sind zu uns übergelau- Ende nur zwei übrig geblieben republik war dann unsere Basis. Von da fen. Manche sind als Einzelpersonen aus gingen unsere Gruppen los, um z. B. gekommen, andere haben sich in Grup- die beiden großen Bundesstraßen anzu- pen gestellt. Sie mussten ihre Waffen greifen, Brücken zu sprengen und die abgeben und waren ein paar Tage bei Ich kann mich nicht erinnern, dass Infrastruktur zu zerstören. Das hat die uns, bevor sie vielleicht wieder welche unsere Gefangenen schlecht behandelt Deutschen sehr in Rage versetzt, denn bekamen; darüber entschied das Kom- wurden. Auch nicht die deutschen Offi- es waren ihre wichtigen Verbindungs- mando. Das Kommando hat sie natür- ziere, denn die wollten wir ja austau- wege: für Nachschub in die eine und lich befragt. Wir hatten eigentlich nie schen. Rückzug in die andere Richtung. So Probleme. versuchte die Besatzungsmacht gegen Aber auch Faschisten, die wir gefangen Ende des Krieges, kurz vor den Tagen Von Januar 1945 bis zur Befreiung nahmen, behandelten wir nicht der Befreiung nochmals mit schlagkräf- kamen täglich 50 - 100 zu uns, um sich schlecht. Wir schickten viele wieder tigen, schnellen Aktionen die Straße frei zu ergeben, Deutsche und Italiener. Wir nach Hause und sagten, sie sollten sich zu kriegen, um sich über die Toskana brachten sie über die Frontlinie in den nicht wieder blicken lassen, beim näch- und die Emilia Romagna in Richtung befreiten Teil Italiens. Einmal haben wir sten Mal würden wir sie schlechter Brenner und ‘heim ins Reich’ zu- bei Viano drei Deutsche gefangen behandeln. Wir machten damit auch rückziehen zu können. Das hat aber genommen, die wir mitnahmen. Irgend- Propaganda: Wir wollten ja, dass Leute zum großen Teil nicht geklappt, weil wann wurde Tabak verteilt. Obwohl es überliefen, um das Heer zu schwächen. wir sämtliche Brücken hier in der selten Tabak gab, haben wir auch mit Gegend gesprengt hatten. In der Gegend denen geteilt. Sie sind sogar unsere von Reggio nahmen wir große Teile der Freunde geworden. Diese Deutschen durchziehenden deutschen Truppen kamen aus dem Grenzgebiet zu Frank- gefangen. Inzwischen waren wir so reich, das bereits von den Alliierten Die Gespräche mit Fernando Cavazzini und kampferprobt, ausgerüstet und moti- befreit worden war. Sie wussten das Giacomina Castagnetti (S. 61) fanden statt im viert, dass wir Gegenangriffe durch- noch gar nicht. Wir haben auch sie über Rahmen von "Sentieri Partigiani", veranstaltet führten und die Deutschen auch durch- die Frontlinie zu den Alliierten vom ISTORECO Reggio Emilia aus Niederlagen einstecken mussten. gebracht. www.istoreco.re.it Mein Job war Sabotage. Wir waren 11 PartisanInnengruppe im Appennino modenese "Die Arbeit der Frauen war das Rückgrat der Resistenza" Frauen im Widerstand

geschaffenen Sondergerichtes schnellte orientierten Elternhaus: "Obwohl meine "...als Intellektuelle kamen die Zahl der Verurteilten in die Höhe. Familie arm war und wir manchmal kei- sie heraus." Die Gefängnisse füllten sich mit Antifa- ne Schuhe hatten, kaufte mein Vater Die antifaschistische schistInnen, die Mehrzahl davon kom- doch Bücher, die vom Faschismus ver- Generation der 20er Jahre munistisch orientiert. boten waren, darunter ausländische Werke, z. B. Victor Hugo u. a." Sie "Aus dem Gefängnis erhielt ich Briefe Die in den Gefängnissen bald organi- selbst jedoch nahm an der regen Diskus- von meinem Onkel. Wie viele Gefange- sierten politischen und ideologischen sion der Männer in ihrer Verwandtschaft ne bildete auch er sich dort weiter, die Schulungen waren bei den mehrjährigen vorerst nicht teil, denn: "Ich dachte, ich Inhaftierten studierten gemeinsam. Als Haftzeiten von hohem Wert. Man bin eine Frau und diese Dinge haben Ungebildete kamen sie ins Gefängnis, schmuggelte antifaschistische und mar- mich nicht zu interessieren." als Intellektuelle kamen sie heraus." Die xistische Literatur hinein, Bücher, die in Doch in den Gefängnissen saßen durch- Partisanin Laura Polizzi aus Parma, Jg. Italien nicht mehr erhältlich waren, son- aus auch Frauen, die aufgrund ihrer 1926, schildert hier den Erfahrungshori- dern aus dem Ausland eingeschleust antifaschistischen Arbeit verhaftet wor- zont derjenigen antifaschistischen werden mussten. Gelang eine Vereinba- den waren. rung mit dem Wärter, der die Buchein- Camilla Ravera, Jg. 1889, die sofort bei gänge überwachte, konnten "verdächti- ihrer Gründung Mitglied in der kommu- ge" durch "harmlose" Buchtitel ausge- nistischen Partei geworden und ihren tauscht werden und in das Innere wurde GenossInnen in die Emigration nach Ich dachte, ich bin eine Frau, ein Blatt mit dem Stempel der Zensur- Frankreich gefolgt war, wurde bei und diese Dinge haben mich behörde und der Unterschrift des einem Auftrag in Italien 1930 gefasst nicht zu interessieren Gefängniswärters geklebt, das man und vom Sondergericht zu 15 Jahren einem erlaubten Buch entnommen hat- Haft verurteilt, von denen sie fünf in te. Dieses Vertauschspiel erkannten die dem von Nonnen geleiteten Frauenge- Gefängniswärter selten, zumal viele fängnis von Perugia abbüßte. Sie kam Generation, die Opfer des faschisti- Bücher nicht auf italienisch, sondern in hier in Einzelhaft und durfte nur selten schen Sondergesetzes vom 25. Novem- einer Fremdsprache verfasst waren. Besuch empfangen; auf ihrem Hofgang ber 1926 zur "Verteidigung des Staates" Auch Laura Polizzi berichtet von sol- begleitete sie nur die zuständige Nonne. 12 geworden waren: Aufgrund des dabei chen Büchern in ihrem antifaschistisch Camilla Marcella Oriani, Jg. 1908, aus Cusano Milanino, arbeitete in der kom- wegs abgeschafft wurden. In der Fami- munistischen Untergrundorganisation lie von Laura Polizzi ging somit der "Massen-Maternage" Mailands mit. 1935 aufgrund kompro- antifaschistische Kampf weiter, doch - so fing der Widerstand an mittierenden Materials gefangen noch immer ohne ihre Beteiligung: "Ich genommen, wurde auch sie vor dem fragte die Männer in meiner Familie, ob Frauen aus den unterschiedlichsten Sondergericht wegen Gründung eines ich mitmachen könnte. Ihre Antwort Zusammenhängen ließen den sich selbst kommunistischen Zirkels und subversi- war nein. Ich sei ein Mädchen. Eines überlassenen Soldaten des italienischen ver Propagandatätigkeit zu 10 Jahren Tage kam ein etwas älteres Mädchen als Heeres jede erdenkliche Unterstützung Haft in Perugia verurteilt. Dort versuch- ich zu uns, Lucia Sarzi. Sie arbeitete als zukommen. Diese in der italienischen ten die politischen die unpolitischen, Stafette für die Brüder Cervi und die Forschung als "Massen-Maternage" "kriminellen" Häftlinge zu politisieren kommunistische Partei 1. Sie wurde von bezeichneten Aktivitäten werden durch und auch diejenigen Frauen zu errei- den Männern gleichberechtigt behan- Tausende Aussagen bezeugt. Annita chen, die ab dem 8. September 1943 delt. Das hat mich neugierig und nei- Malavasi, Jg. 1921, die sofort mit der anstatt ihrer Männer als Geiseln verhaf- disch gemacht: Warum sie und ich Untergrundorganisation der PCI (kom- tet worden waren, weil diese sich nicht nicht? Wir wurden Freundinnen, disku- munistische Partei Italiens) in Reggio zum Militärdienst gemeldet hatten. tierten über Politik, über Faschismus, Emilia in Kontakt trat, berichtet: "Um Gerade weil in diesem von Nonnen über die Bücher, die wir beide gelesen den 8. September herum gab es die geführten Frauengefängnis von Perugia hatten. Lucia war verwundert darüber, ersten Aktionen, mit denen sich die die Insassinnen durch monotone religiö- dass ich so viel wusste, aber nicht im Frauen an der Resistenza beteiligten. In se Übungen abgestumpft wurden, waren Widerstand tätig war, und sie fragte diesen Tagen mussten viele Soldaten diese politischen Sensibilisierungsmaß- mich, weshalb. Ich sagte ihr, das wäre, versteckt werden, wenn sie nicht an der nahmen umso wichtiger. Viele, die nach weil ich eine Frau sei und die Männer faschistischen Republik von Salò betei- dem 25. Juli 1943 - dem Sturz des ita- aus der Familie meine Beteiligung ligt sein wollten. Es blühte ihnen dann lienischen Faschismus - aus den ablehnten. Das konnte sie gar nicht ver- nämlich die Deportation in deutsche Gefängnissen kamen, schlossen sich stehen und auch nicht gutheißen und so Lager. Die Reaktion von sehr vielen sogleich dem Befreiungskampf, der sprach ich abermals mit meinem mitt- Frauen war in diesen Tagen, Anziehsa- "Resistenza" an. Giacomina Castagnet- lerweile aus dem Gefängnis entlassenen chen rauszusuchen und zu verschenken, ti, Jg. 1925, die als junges Mädchen der Onkel." Er begann nun tatsächlich damit sich die Soldaten umziehen und Resistenza beitrat, sah ihre Wider- damit, sie in der Geschichte von Kom- von der Bildfläche verschwinden konn- standstätigkeit auch als Teil einer schon munismus und Ökonomie zu unterrich- ten. Ich selbst bin mit meinen Geschwi- länger bestehenden antifaschistischen ten: "Ich wurde dadurch Kommunistin. stern in die Kaserne von Reggio gegan- Haltung unter Frauen: "Tatsächlich Der andere Onkel gab mir kleine illega- gen. Wir hatten uns doppelt angezogen, waren es in Italien mehrere Frauen, die le Aufgaben und eines Tages bringt er so dass wir einen Teil unserer Kleidung aufgrund ihrer antifaschistischen Arbeit mich zum Fluss und zeigt mir einen den Soldaten überlassen konnten. Sie vom faschistischen Sondergericht ange- Revolver. Er lädt und leert ihn wieder: warfen ihre Uniformen weg und sind klagt und verurteilt worden sind. Es gab ‚Bald wirst du ihn nutzten müssen, Lau- bereits eine Tradition unter den Frauen, ra, denn bald müssen wir zu den Waffen sich für Freiheit und Demokratie einzu- greifen.'" Man hat so manche setzen, gegen den Faschismus zu kämp- fen, was dann in ihrer Beteiligung am Mit dem Waffenstillstandsabkommen Partisanin misstrauisch Befreiungskampf mündete." vom 8. September verschärfte sich tat- beäugt, gerade wenn es ein sächlich die Situation. Neben den junges Mädchen mit einem "Weil ich ein Mädchen bin" bereits politisch geschulten GenossIn- - von der Schwierigkeit, nen erkannten auch andere Frauen, dass Gewehr in der Hand war Partisanin zu werden der Krieg damit keineswegs zu Ende war, sondern dass man sich im Gegen- Der nach dem Sturz Mussolinis einge- teil auf einen harten Kampf gegen die setzten Regierung Badoglio misstrauten deutschen Besatzer und ihrer faschisti- die meisten zutiefst, zumal beispiels- schen KollaborateurInnen würde mit uns als ziviles Personal, das in den weise die rassistischen Gesetze keines- gefasst machen müssen. Kasernen zur Verpflegung arbeitete, an den Wachposten vorbeigekommen. Wir Partisaninnen gingen auch zu den Familien mit Söh- nen im wehrpflichtigen Alter und ver- suchten sie zu überzeugen, sich nicht zum Wehrdienst zu melden, obwohl darauf Gefängnisstrafe, Deportation oder sogar die Todesstrafe stand. So haben wir viele aufwiegeln können." Über die Ereignisse des 8. September in Parma berichtet Laura Polizzi: "Die Antifaschisten gingen auf die Piazza Garibaldi und sagten der Bevölkerung, dass das Land besetzt werden würde. Sie sollten sich auf einen bewaffneten Kampf vorbereiten. Es sprachen die Christdemokraten, die Kommunisten und Sozialisten - alle vereint. Plötzlich hörte man einen Knall, wahrscheinlich war es nur ein geplatzter Fahrrad- 13 schlauch. Die Leute, die eben noch Untergrundorganisation von Parma ein- dass die Arbeit der Frauen wichtig war, beteuert hatten, für den Kampf bereit zu gesetzt. "Die einzige Kommunikation, denn wenn es die Stafetten nicht gege- sein, flüchteten alle total aufgeschreckt. die die Widerstandsgruppen miteinan- ben hätte, wären die Partisanengruppen Da kam ganz spontan eine Wut in mir der hatten, lief über unsere Beine", völlig voneinander isoliert gewesen." hoch und ich stieg auf das Denkmal von erläutert Annita Malavasi, die den Unter dem von Stafetten beförderten Garibaldi, von wo eben noch die Män- Kampfnamen "Laila" trug. Material befanden sich auch Munition, ner gesprochen hatten. Ich sprach an die Waffen, Sprengstoff: "Wir trugen in Öffentlichkeit und rief, gerichtet Hinter den zeitgenössischen Berichten, unserem Einkaufskorb obenauf die Kar- besonders an die Mädchen und Frauen: in denen lapidar von Stafettenarbeit die toffeln und versteckt darunter die Muni- ‚Ja wie, eben noch habt ihr versprochen Rede ist, verbirgt sich eine äußerst tion." (Giacomina Castagnetti) Die Par- zu kämpfen und jetzt flüchtet ihr und gefährliche, anstrengende und unver- tisaninnen leugnen dabei nicht ihre habt Angst? Ich habe ja keine Angst, zichtbare illegale Arbeit: "Die Arbeit Angst. "Einmal war ich mit einer Tasche obwohl ich ein Mädchen bin!' Die Leu- der Frauen war letztendlich das Rück- voller Handgranaten unterwegs, die wir grat der Resistenza", resümiert Laila, zur Tarnung in Glühbirnenkartons ver- die Unteroffizierin in der 144. Brigade packt hatten. Ich habe die Tasche weit Was man den Frauen Garibaldi wurde: "Das liegt nicht daran, von mir gehalten - als ob das etwas nachsagte, sie seien dass die Frauen irgendwas besonderes genützt hätte!" wären, was die Männer nicht sind. Es Stafetten halfen, Verletzte und Kranke zartfühlend und weich, ging lediglich darum, dass die Frauen an sicheren Orten zu verstecken und zu davon verspürte ich nichts eine relative Bewegungsfreiheit genos- kurieren, sie beschafften Geld, Lebens- sen und Arbeiten und Aktionen durch- mittel und Kleidung für die kämpfenden führen konnten, die den Männern PartisanInnen in den Bergen. Bei ihrer te blieben verwundert stehen. Mein unmöglich waren. Das ist natürlich dem Arbeit mussten sich die Frauen über Onkel umarmte mich und sagte: ‚Du Feind bald klar geworden und es hat weite Strecken hinweg bewegen, mit musst jetzt in die Resistenza eintreten!'" erhebliche Nachforschungsarbeiten dem Fahrrad, auf dem Lastwagen mit Was dann folgte, erzählt sie heute, 60 gegen unsere Organisation gegeben. Es Nazifaschisten, in überfüllten Zügen Jahre später, mit einem Lachen: "Ich gab Verhaftungen, Folterungen und den Bombardements ausgesetzt, doch antwortete: ‚Ja, gerne. Aber erst muss Tötungen in unseren Reihen." meistens zu Fuß, bei jeder Witterung. ich die Erlaubnis von meinem Vater ein- Die Stafetten verbanden die bewaff- Laila erinnert sich an einen Tag im holen.' Damals war man erst mit 21 neten Formationen in den Bergen mit November '44: "In unserer Gegend gibt volljährig." Der Vater erklärte sich den Führungszentren im städtischen es oft Nebel, wir waren zwölf Stunden jedoch einverstanden. Untergrund, sie übermittelten Nachrich- unterwegs und es hat ununterbrochen geregnet. Der Nebel war so dicht, dass man keine Handbreit sehen konnte. Wir hatten einen Partisanen dabei, der ehe- mals Armeeoffizier war. Er hatte damals die Fähigkeit erworben, sich auch im Nebel zu orientieren. Anhand der Wet- terseite der Bäume, indem er die Rinde fühlte, erkannte er, wo Norden war. So haben wir uns einen Tag lang durchge- schlagen, im Nebel, im Regen, das Was- ser lief dir im Nacken rein, den Körper runter, in die Schuhe. Wir kamen abends an einen Stützpunkt. Ich war völlig fer- tig und habe rheumatisches Fieber bekommen. Wir hatten eben keine beheizten Häuser, nur schlechte Ver- pflegung, unsere Körper waren geschwächt. Ich wurde sehr krank und habe 15 Tage lang in einem Stall gele- gen, mein Körper musste das ganz allein machen."

"Das erste Mal eine Organi- sation von Frauen" - die Partisaninnendenkmal in Venedig Frauenverteidigungsgruppen

ten, Befehle, transportierten illegale Organisiert waren die Stafetten und all Drucksachen, gefälschte Dokumente, die unzähligen Frauen, die ihnen zuar- "Die Kommunikation lief Lebensmittel und Geld. "Die Frauen beiteten, indem sie z. B. in deutsche Mi- über unsere Beine" - selbst wussten, wie bedeutsam ihre litärlager einbrachen und Stoffe besorg- Stafetten Arbeit war, schließlich haben es auch ten, die anschließend von Näherinnen in die Männer verstehen müssen. Denn getarnten Werkstätten für die Kämpfen- Laura Polizzi, die nun den Kampfna- natürlich gab es Rückwärtsgewandte, den illegal hergestellt wurden, in den men "Mirka" annahm - ihren bürger- man hat so manche Partisanin misstrau- GDD, den ‚Gruppen zur Verteidigung lichen Namen durfte von nun an nie- isch beäugt, gerade wenn es ein junges der Frau und zur Unterstützung der 14 mand mehr erfahren -, wurde zunächst Mädchen mit einem Gewehr in der bewaffneten Kämpfer' (Gruppi di difesa als Stafette für die kommunistische Hand war. Aber sie mussten einsehen, della donna e di assistenza ai combat- tenti). Diese Frauenverteidigungsgrup- pen wurden zwischen Winter 1943 und Sommer '44 in Mailand, Turin, Bologna und Florenz und vielen anderen Städten gegründet. Allerdings wurden sie offi- ziell erst im Sommer '44 von dem CLN, dem Nationalen Befreiungskomitee anerkannt und erhielten Geld für ihre Aktivitäten: Für die Redaktion diverser Frauenzeitungen, mit denen sie unter den noch nicht politisierten Frauen agi- tieren konnten, für die materielle Unter- stützung, die sie schon lange den Gefan- genen und deren Angehörigen zukom- men ließen. In der Emilia Romagna waren die GDD extrem gut organisiert: "Es war das erste Mal eine Organisation von Frauen. In der Zeit, in der wir geheim und illegal leben mussten, trafen wir uns häufig und sprachen darüber, dass wir das Frauenwahlrecht und andere Rechte für Frauen forderten. Die Frauenverteidi- gungsgruppen sind nach dem 8. Sep- tember eine große, eine wichtige Bewe- gung geworden. Es waren für mich die wichtigsten Organisationen, denn viel- leicht war dies das erste Mal in der Die 41. Brigade Garibaldi "Carlo Carli" war die einzige Partisanenformation in den Geschichte Italiens, dass Frauen eine Bergen um Turin, in der die Frauen wie die Männer in den Bergen lebten. eigene Organisation hatten, deren erstes Ziel es war, gegen den Krieg zu kämp- fen, aber man dachte auch schon an die te, einen Kampfnamen, der wiederum Jahren hier herrschte": "Die untergeord- Nachkriegszeit." (Giacomina Castag- ein anderer war, als der der im Doku- nete Rolle der Frau als ‚Engel des Herd- netti) Eine weitere wichtige Funktion ment stand. Wir schliefen und aßen in feuers' war nicht einfach zu verändern dieser GDD war es, Radio London Häusern, die uns die legalen Kämpfe- und es dauerte sehr lang. Man musste ja abzuhören und die Absichten der Deut- rInnen zur Verfügung stellten. Wir wus- nicht nur die Frauen anregen, ihre schen und FaschistInnen zu erkunden: sten am Morgen nicht, wo wir am Denkweise zu verändern, sondern es "Ich habe eine Frauengruppe von der Abend schlafen würden." war auch nicht einfach, den Männern Antispionageeinheit kommandiert. Wir klar zu machen, dass sie ihr Denken waren ungefähr 40 Frauen. Es gab viele, Vom "Engel des Herdfeuers" verändern mussten, denn sie waren ja die vor dem Haus sitzend aufschrieben, keine Spur die Herren und wir oft nur ihre Sklavin- wie viele Militärwagen der Wehrmacht nen. Es gibt heute viele Leute, die die vorbeifuhren, welche Art der Bewaff- Die Frauen, die in den Befreiungskampf Resistenza klein reden wollen, die auch nung sie hatten, usw. Diese Informatio- involviert waren - als Produzentinnen die Beteiligung der Frauen und die nen wurden von den Stafetten an die von Kleidung und Lebensmitteln, als Wichtigkeit ihrer Arbeit klein reden Partisanen oder auch an die Alliierten "Gastgeberinnen" für Illegale und Ver- wollen. Doch der Faschismus hat uns weiter gegeben. Dadurch wussten wir folgte, als Stafetten, Kommissarinnen lediglich Armut, Hunger und Krieg oft sehr schnell, wo sich der Feind oder mit der Waffe in der Hand - sie alle gebracht. Für den Fall, dass es diese befand und es konnten entsprechende machten Erfahrungen, die weit über gesellschaftliche Negativentwicklung Aktionen durchgeführt werden. In eini- ihren ihnen bislang zugestandenen und Rückentwicklung wieder gibt, wer- gen Fällen haben ganze Familien mitge- Horizont hinausgingen. den wir Frauen die allerersten sein, die arbeitet, bzw. alle Frauen der Familie, die Zeche zu bezahlen haben." die Großmutter, Mutter, Schwiegertoch- Mirka, die schließlich - ohne Erlaubnis ter und Tochter. Kesselring hat einmal von der Partei - zu den kämpfenden Par- Nadja Bennewitz gesagt, der italienische Widerstand hät- tisanenformationen in die Berge ging, te ein effektiveres Informations- und wurde dort aufgrund ihrer politischen Antispionagesystem gehabt als die Kenntnisse zur Politkommissarin für Wehrmacht. Er wusste nicht, dass es oft die Schulung der jungen Partisanen 1 Die Arbeit und Verbindung dieser beiden Analphabetinnen waren, die lediglich ernannt. In dieser Funktion war sie auch Frauen wird u.a. in dem Museum der Striche machten, um zu zählen, wie vie- zuständig für das Verhör von Spitzeln: Brüder Cervi benannt: Via F.lli Cervi, 9 42043 Gattatico (RE) "Ich musste auch die Verhöre überneh- le LKWs an ihrem Haus vorbeigefahren www.fratellicervi.it waren." (Laila) men und wandte dabei zwar nicht die Mirka wurde von der kommunistischen Methoden der Deutschen an, doch was Partei beauftragt, in der Gegend um man den Frauen nachsagte, sie seien Weitere Beiträge auf deutsch über Frauen Reggio die GDD anzuleiten: "Dieses zartfühlend und weich, davon verspürte im italienischen Widerstand unter: illegale Leben, wie war es? Viele ich während dieser Arbeit überhaupt www.frauen.resistenza.de Genossen, die aus anderen Gegenden nichts." Die Partisanin Laila resümiert kamen, hatten wie ich keinen festen mit einem kurzen Blick zurück auf den Wohnort. Wir hatten falsche Dokumen- "Kulturgeist, der seit Tausenden von 15 Annita Malavasi übernahm in der Resistenza viele Aufgaben: Erst war sie als Stafette unterwegs, dann bewachte sie Faschisten im Partisanengefängnis und war 9 Monate lang als Partisanin in den bewaffneten Einheiten in den Bergen. Später wurde sie Kommandantin einer Antispionageeinheit.

"Laila" (links) mit anderen Frauen der Resistenza im September 2001 beim Denkmal für die Frauen in der Resistenza in Castelnovo Monti Zeitzeugnisse Waffen kennen lernen, wie man sie ein- setzt, wie man sie pflegt, du wirst das tun, was alle machen, es gibt keine Unterschiede. Es gibt hier keine Hosen und Röcke, hier gibt es nur Partisanen.’ "Einen Strich für Stellt euch das mal vor! Ich bin groß geworden und mir wurde immer gesagt: jedes Militärfahrzeug" ‘Sei still, du bist eine Frau.’ Denn in unserer Kultur war die Frau ein Objekt, Annita Malavasi aus der 144. Brigade Garibaldi sie hatte kein Recht, selbst Ideen zu ent- wickeln. Wer kommandierte, war der Mann. Du warst abhängig vom Vater, vom Bruder, vom Verlobten und vom Annita Malavasi war Hausfrau, als sie eben meine ersten Aktionen.“ Ehemann. Diese für mich neue Situa- durch ihre Brüder in Kontakt zu den Da ihr damaliger Freund aus der Berg- tion zwischen Frauen und Männern in PartisanInnen kam. Ihre Eltern region kommt, ist Annita Malavasi oft den Partisanenformationen machte mir beschreibt sie als AnhängerInnen sozia- dorthin unterwegs. Den PartisanInnen, auch bewusst, welche Verantwortung listischer Ideen, aber nicht politisch die sich in diesem Gebiet aufhalten, fällt ich zu tragen hatte. Denn in der Zeit aktiv. „Wir wohnten aber in einem das auf, und sie tragen ihr erste Aufträ- zuvor bestimmte der Mann, aber umge- Arbeiterviertel, wodurch ich mit Leuten ge an. „Sie fragten mich, ob ich Waffen, kehrt hast du dich auch auf ihn verlas- in politische Diskussionen geriet, die Informationen, Lebensmittel usw. trans- sen. Jetzt musstest du auf eigenen Bei- viel weiter entwickelte Ideen hatten und portieren könnte. Das habe ich dann nen stehen. schon viel stärker politisiert waren. auch gemacht. Einmal habe ich eine Einen Monat später habe ich meinen Pistole in meinem BH transportiert, und Verlobten getroffen und es kam zu genau in dem Moment, als ich von schweren Auseinandersetzungen, die Wenn wir Stafetten zurück Deutschen kontrolliert wurde, ist der dann zum Bruch führten. Denn er hat BH aufgesprungen. Ich tat als wäre mir gesagt: ‘Wie, du bist hier, inmitten die- kamen, wenn die militärische schlecht, als müsste ich brechen. Sie ser Gesellschaft, inmitten all dieser Par- Aktion dann anfing, also boten mir Hilfe an, aber ich sagte: Nein, tisanen? Du wirst ja eine Frau, die nicht Angriffe gemacht wurden, ich gehe zu meinem Freund, der ist ein würdig ist, meine Kinder zu erziehen.’ “ toller Arzt, es geht schon. Ich hatte vermint wurde, Sabotage immer diese Fähigkeit im Augenblick Aus Annita Malavasi wird „Laila“ - so gemacht wurde, waren wir großer Gefahr einigermaßen die Ruhe ihr Kampfname im Untergrund. Zusätz- oft dabei bewahren und mich selbst kontrollieren lich zu den normalen Aufgaben einer zu können.“ Partisanin übernimmt sie Verbindungs- tätigkeiten. Oft geht sie alleine oder Meine ersten Aktionen waren Flugblät- Mehrere Monate lang, bis August 1944, zusammen mit anderen Frauen in das ter und Artikel für antifaschistische Zei- ist Annita Malavasi als Stafette unter- feindliche Gebiet, um die militärischen tungen schreiben, Waffen überbringen wegs. Doch dann wird sie denunziert. Einheiten abzusichern und gegnerische und ähnliches. Ich habe immer Angst Sie wird verhaftet, übersteht 6 Stunden Ziele auszumachen. „Wenn wir zurück vor Sprengstoff gehabt. Einmal war ich Verhör ohne etwas preiszugeben und kamen, wenn die militärische Aktion mit einer Tasche voller Handgranaten, kann fliehen. Schnurstracks geht sie in dann anfing, also Angriffe gemacht die wir in Glühbirnenkartons getarnt die Berge und taucht unter. Ein Dop- wurden, vermint wurde, Sabotage hatten, unterwegs. Ich habe die Tasche pelleben ist nicht mehr möglich. „Der gemacht wurde, waren wir oft dabei. weit weg von mir gehalten, als ob das Kommandant hat mich befragt, warum Daran habe ich sehr oft auch selbst teil- etwas nützen würde, aber das waren ich hier sei und mir dann gesagt, ‘Gut, genommen. Das war bei vielen Stafetten du bist hier nicht eine Frau und nicht ein so, dass sie im Prinzip eine Doppel- 16 Mann, du bist ein Partisan. Du musst die oder eine Mehrfachfunktion hatten. Diese Antispionage und die Losungs- gend. Und danach konntest du dich wörter, die Versorgung, aber eben auch nicht in einem geheizten Haus ausru- diese Vorhut und der direkte Kampf.“ hen. Wir haben uns oft in den Ställen zu den Schafen, Ziegen und Kühen gelegt, 9 Monate lebt Annita Malavasi als Par- um von deren Körperwärme geschützt tisanin in den Bergen. Monatelang ist zu werden und nicht zu erfrieren.“ sie die einzige Frau in ihrer Einheit. Sie Ein Tag im November 1944 hat für betont nachdrücklich die große Solida- Annita Malavasi drastische Folgen. 12 rität, den starken Zusammenhang unter Stunden lang waren sie gelaufen, es war den PartisanInnen. Doch die Frauen kalt und es hatte ununterbrochen gereg- seien auch immer wieder angegriffen net. „Das Wasser lief dir in den Nacken worden. „So ist zum Beispiel mal die rein, den Körper runter in die Schuhe. Idee entstanden, bei all dem Schnee,der Wir kamen völlig durchnässt und halb lag, wir sollten keine Hosen mehr anzie- erfroren an. Ich habe rheumatisches Fie- Stafetten aus dem Piemont von links nach rechts: hen dürfen, weil wir sonst unsere Weib- ber bekommen, wir hatten eben keine Assunta und Marcella Versino, Reginalda lichkeit verlieren würden. Es war geheizten Häuser. Das war auch deshalb Santacroce, die bei ihrer Gefangennahme durch die absurd.“ schlimm, weil wir schlechte Verpfle- Deutschen schwer gefoltert wurde. Annita Malavasi zieht die Hosen wieder gung hatten und unsere Körper an. Dann kommt die Anweisung, Frauen geschwächt waren. 15 Tage lang habe sollen keine Waffen mehr tragen. Anni- ich in einem Stall gelegen. Wir hatten Der Oberbefehlshaber der deutschen ta Malavasi, eine resolute Frau, gerät keinen Arzt und nicht mal ´ne Aspirin Streitkräfte in Italien, Kesselring, hat noch heute in Empörung, wenn sie gegen das Fieber.“ einmal gesagt, der italienische Wider- davon erzählt: „Wenn wir in die gefähr- Ihr Körper schafft es und sie wird wie- stand hätte ein effektiveres Informa- lichen Gebiete vordringen, sollte ich der gesund. Annita Malavasi übernimmt tionsnetz als sie selbst. Er wusste nicht, ohne eine Waffe gehen? Aber was bin in der Zeit der Resistenza viele Aufga- dass das oft Analphabetinnen waren, die ich, ein Karnickel? Wer so etwas for- ben: zunächst Verbindungstätigkeiten, einfach Striche machten für jedes Mili- dert, der soll persönlich kommen und später bewacht sie Faschisten im Parti- tärfahrzeug, dass sie es waren, die die versuchen, mir die Waffe abzunehmen. sanengefängnis. Dann wird sie beauf- Besatzung beenden wollten und sich für Ich war immer bewaffnet und niemand tragt, eine Frauengruppe einer Informa- ihre Freiheit und Unabhängigkeit ein- hat es gewagt, mir meinen Revolver tionseinheit zu bilden und zu komman- setzten.“ abzunehmen.“ dieren. „Ich war die Kommandantin der Trotz aller Kämpfe gegen männliche Stafetten des Nachrichtendienstes. Wir Vorurteile und frauenfeindliches Verhal- waren ungefähr 40 Frauen in dieser Ein- ten auch bei den Partisanen vergisst heit. In einigen Fällen waren die Frauen Ich war die Kommandantin Annita Malavasi nicht, dass sie in einem der ganzen Familie dabei, Großmutter, der Stafetten des vergleichsweise geschützten Raum lebt, Mutter, Schwiegertochter, Tochter, bis Nachrichtendienstes. in dem sie Freiheiten genießt, von zum 9jährigen Mädchen, das mal mit denen sie im Faschismus nicht zu träu- uns gekommen ist. Die Frauen mussten Wir waren ungefähr 40 men gewagt hätte: „Zum Beispiel in der oft sehr weite Entfernungen überwin- Frauen in dieser Einheit ersten Nacht in den Bergen. Die anderen den. Es gab damals keine Handys und Partisanen waren um die 25 junge Män- auch keine Telefonzellen, es gab damals ner zwischen 19 und 25. Ich lag zwi- in jedem Dorf maximal ein Telefon bei Annita Malavasi war eine der 11 weib- schen einem Ex-Carabiniere und zwei der offiziellen Poststation. Die einzige lichen Kommandantinnen von Partisa- anderen und wir haben fast die ganze Kommunikation, die die Widerstands- neneinheiten in der Region Emilia- Nacht geredet, so als Gefährten. Keiner gruppen miteinander hatten, lief über Romagna. Für sie – und viele andere der Männer hat mich in Verlegenheit unsere Beine. Danach war man sehr Frauen – bedeutete die Resistenza einen gebracht. Wenn ich so was außerhalb müde und froh, wenn man Häuser fand, riesigen Einschnitt in ihrem Leben. Sie einer Partisanenformation gemacht hät- die einen beherbergten und versteckten. weiß genau, was sie geleistet hat, und te, kannst du sicher sein, dass der eine Mehr als einmal haben die Leute uns will sich die mühsam erkämpften Frei- oder andere sein Hand hätte spielen las- gestützt, richtig mit den Händen, und heiten keinesfalls wieder nehmen las- sen. Aber hier war ich eine Partisanin.“ uns dabei geholfen die Treppe zu den sen. „Die Arbeit der Frauen war letz- Schlafräumen hinauf zu gehen, weil wir tendlich das Rückgrat der Resistenza. Das Leben in den Bergen ist hart. Die nicht mehr konnten, weil unsere Beine, Es gibt heute viele Leute, die das klein- PartisanInnen sind ständig in der Gefahr die alles machen mussten, einfach fertig reden wollen. Die die Partisanenbewe- entdeckt und angegriffen zu werden. Oft waren.“ gung insgesamt und die Wichtigkeit der gibt es bewaffnete Auseinandersetzun- Die Frauen dieser Einheit überbringen Rolle der Frauen kleinreden wollen. gen. Die KämpferInnen sind schlecht Nachrichten, Informationen und Befeh- Das ist sehr gefährlich. Wir haben 20 ausgerüstet, bei Wind und Wetter unter- le. Sie begeben sich oft in feindliches Jahre Diktatur durchgemacht, die uns wegs. „Oft mussten wir uns im Stall zu Gebiet, um die Situation auszukund- Armut, Hunger, Krieg und Besatzung sechst oder siebt eine Decke teilen. Wir schaften. „Wir beobachteten auch die gebracht hat. Für den Fall, dass es diese haben uns zusammengelegt, damit wir Truppenbewegungen der Deutschen. Im gesellschaftlichen Negativentwicklun- nicht erfroren, denn der Winter 44/45 Zusammenhang mit Gegenmaßnahmen gen und Rückschritte wieder gibt, wer- war extrem kalt. Es lag ein Meter und Durchkämmungsaktionen war das den wir Frauen die allerersten sein, die Schnee. Für uns war es ein großes Pro- sehr wichtig. Die jungen Frauen legten wieder die Zeche zu bezahlen haben.“ blem diese Kälte und diese Schneemas- die langen Wege zurück. Es gab aber sen auszuhalten. Es gab keine Straßen auch viele ältere Frauen, die vor dem Heike Demmel und schon gar keine Schneeräumer. Wir Haus sitzend aufschrieben, wie viele mussten die Wege mit unseren Beinen Militärwagen der Wehrmacht vorbei- anlegen und das war enorm anstren- fuhren und wie sie bewaffnet waren. 17 Scheitert die Umbenennung von Straßen oftmals am hartnäckigen Widerstand alter Gewohnheiten, war man sich in Carrara schnell einig. Hier wurde die sonst in nahezu jeder italienischen Stadt unverzichtbare “Via Garibaldi” schon vor langer Zeit zum Gedenken an diesen Aufstand in “Via 7 luglio” umbenannt. Am Marktplatz „Piazza delle Erbe“ von dem der Aufstand der Bewohnerinnen gegen die deutsche Besatzung seinen Ausgang nahm, findet sich heute eine Gedenktafel “für den siegreichen Protest der Frauen von Carrara”, die “es gewagt hatten, den Feind herauszufordern”. Auch ein Monument, seit 1974 im Zentrum der Stadt, mit dem Titel “Die Frau im Widerstand”, ist den Aktivistinnen des zivilen Widerstands gewidmet: Wo sonst manifestiert sich Frauengeschichte derart offensiv in der Öffentlichkeit, wie in diesem als Stadt des Marmors bekannt gewordenen Ort an der toskanischen Mittelmeerküste? "Wir werden die Stadt nicht verlassen!" Der Frauenaufstand von Carrara am 7. Juli 1944

gegen die Räumung. Der Zug war mitt- Gemeinsam den lerweile auf mehrere hundert Personen Räumungsbefehl verhindern angewachsen, die Transparente mit Auf- schriften wie “Wir werden die Stadt Hält man sich die Tragweite des Auf- Noch heute erinnern sich die nach wie nicht verlassen!” mit sich trugen. standes vom Juli 1944 vor Augen, vor politisch aktiven Zeitzeuginnen aus Die Schilderungen der beteiligten Zeit- braucht das Andenken an diesen Frau- Carrara an diese Tage im Juli: “Am 7. zeuginnen machen deutlich, wie sich enprotest nicht weiter zu verwundern: Juli gab das deutsche Kommando, das die Frauen in diesem Moment ihrer Dass die Frauen die geplante Evakuie- Carrara besetzt hatte, den Befehl, die Stärke bewusst wurden: “Die Frauen rung Carraras durch die deutsche Besat- Stadt zu evakuieren. Wir aktiven Frauen waren fest entschlossen, gemeinsam zungsmacht verhindert hatten, ermög- waren schon vorab vom Nationalen den Räumungsbefehl zu verhindern. lichte den militärischen Widerstand in Befreiungskomitee darüber informiert Unser Vorgehen beeindruckte nicht nur dieser Gegend bis zur endgültigen und aufgefordert worden, uns dagegen die ganze Stadt, sondern auch die Deut- Befreiung im April 1945. Wäre die zur Wehr zu setzen. In Carrara wohnten schen. Die Verhaftung von einigen aus Stadt geräumt worden, hätten die Parti- damals rund 100.000 Menschen, die, unseren Reihen konnte uns nicht mehr wenn es nach den Deutschen gegangen aufhalten, im Gegenteil: Dies bestärkte Dass die Frauen die wäre, wie die Schafe über den Apennin uns nur in unserem Vorgehen.” Verge- hätten getrieben werden sollen. Wir blich versuchten die Deutschen mit Evakuierung Carraras haben uns in verschiedene Gruppen auf- Gewalt die Frauen zu verjagen. Schließ- verhindert hatten, ermöglichte geteilt und sind sofort am nächsten lich wurde eine Abordnung aus den Rei- den militärischen Widerstand Morgen zwischen 7 und 8 Uhr von Haus hen der Protestierenden zum deutschen zu Haus gegangen und haben die Frau- Kommando vorgelassen. Sie erhielt das bis zur endgültigen Befreiung en aufgefordert auf die Straße zu gehen Versprechen, dass der Räumungsbefehl und alle zusammen vor das deutsche aufgehoben werde. Doch schon am Kommando zu ziehen.”, erzählt eine nächsten Morgen wurde der deutsche sanInnen nicht länger Widerstand lei- Zeitzeugin. Befehle zur Evakuierung der Stadt wie- sten können. Ohne Rückhalt und Unter- Francesca Rolla, heute Präsidentin der der plakatiert. Auf den neuerlichen Pro- stützung durch die Zivilbevölkerung Frauensektion im Partisanenverband test der Frauen vorbereitet, hatte man an beispielsweise in Form von Lebens- ANPI der Provinz Carrara, berichtet den Straßenecken Soldaten mit Maschi- mittel- und Kleiderlieferungen oder der weiter: “Wir warnten alle, dass die nengewehren aufgestellt. Doch dies Informationsübermittlung konnte sich Deutschen ihre Lastwagen schon auf brachte die Frauen nur noch mehr auf. der bewaffnete Widerstand nicht lange der Piazza Farini bereitgestellt hätten. Erneut kam es zu einem Massenauflauf, halten. Doch genau diesen Widerstand Die Frauen, die sich uns anschlossen, dessen Ausmaß die Deutschen überrum- zu brechen hatten die Deutschen mit wurden in Gruppen aufgeteilt und pelte. Stundenlang blockierten die Frau- ihrem Räumungsbefehl vom 7. Juli jeweils von einer Partisanin angeführt. en die Straße. “Endlich, da wir nicht 1944 bewirken wollen, und genau das So fanden wir uns alle auf der Piazza aufgaben, kapitulierte das deutsche war von den Bewohnerinnen verhindert delle Erbe ein. Von dort aus bewegte Kommando am 11. Juli”, so eine der worden. sich unserer Zug zum alten Rathaus.” Beteiligten. Das Räumungsvorhaben 18 Vor dem deutschen Kommando ange- der Deutschen wurde endgültig aufge- kommen, riefen die Frauen Sprechchöre geben. Als es im Sommer 1944 zu diesem Gegenteil von dem, was wir wollten. Frauenaufstand von Carrara gegen die Lesen, studieren, uns ausbilden, etwas deutsche Besatzung kam, waren viele über die Welt erfahren ...” der daran Beteiligten schon vorab poli- tisiert gewesen. Wie Marisa Ombra, die Eine Besonderheit der Kriegssituation in einer PartisanInneneinheit mitkämpf- in den Apuanischen Alpen an der Gren- te, erklärt, hatten die meisten Frauen ze zwischen der Toskana und Ligurien bereits durch eine familiäre antifaschi- war die Lebensmittelknappheit, da in stische Prägung klar gegen Faschismus dieser Gegend kaum Landwirtschaft und nationalsozialistische Gewaltherr- möglich ist. In allen Erinnerungen, ob schaft Position bezogen. Anders als im von Frauen oder Männern, tauchen die restlichen Norditalien war in Carrara die Züge der Frauen auf, die mit dem Fahr- anarchistische Bewegung sehr stark. rad und zu Fuß den Apennin überquer- Maria Marconi erzählt: “Ich bin 1922 ten, um in der landwirtschaftlich reiche- als siebtes Kind geboren. Mein Vater ren Region Emilia Romagna Salz gegen war Anarchist, meine Mutter ebenso. Mehl einzutauschen. Auch diese Züge Ich musste ganz einfach auch aktiv wer- wurden von den Frauenverteidigungs- den, verstehst du?” So stark die anarchi- gruppen organisiert. Angriffe von Die- Francesca Rolla , Jg. 1915, Partisanin (siehe stische Bewegung unter den Marmorar- besbanden und Beschlagnahmung der auch Foto S. 29 unten): beitern war, so stark wurde in Carrara Ware auf dem Nachhauseweg durch die “Dann sind wir schließlich weiter auf den umgekehrt der Faschismus von den Marktplatz (Piazza delle Erbe) gezogen, um Faschisten erschwerte diese ohnehin dort alles aufzumischen und die Marktfrauen Unternehmern der Marmorindustrie mühsame und schwierige Form der zum Mitgehen zu bewegen; wir haben die finanziert. Nahrungsmittelbeschaffung. Pina Men- Schulen schließen lassen, die Geschäfte, alles, coni musste während der mehrtägigen denn wir sagten den Leuten: Heute ist der "Wir wurden von einer Abwesenheit ihrer Mutter Lea Ciolli als Tag, an dem Carrara geräumt werden soll. inneren Notwendigkeit Älteste auf ihre kleineren Geschwister Wenn ihr nicht gehen wollt, dann müsst ihr getrieben" aufpassen. Sie erinnert sich, wie sie mit uns kommen. nach einigen Tagen immer an der Straße Und dann sind sie mitgekommen, die Die Aktivstinnen unter den Antifaschi- auf ihre Mutter wartete und die zurück- meisten zumindest. Andere haben erst noch stInnen waren auch hier, wie im rest- kehrenden Frauen ängstlich nach ihr überzeugt werden müssen, haben sich uns lichen von den Deutschen seit Septem- aber kurze Zeit später angeschlossen. Die fragte. Die Frauen konnten durch die Deutschen haben es dann wirklich mit der ber 1943 besetzten Italien, in den so beschwerlichen Märsche die Versor- Angst zu tun bekommen.” genannten Frauenverteidigungsgruppen gung von bis zu 120.000 Menschen in (gruppi di difesa della donna) organi- Carrara gewährleisten und so auch den siert. Aufgabe der Gruppen war es, poli- Widerstand über den harten Winter tische und strategische Informationen 1944/45 hinweg ermöglichen. Frauen an die PartisanInneneinheiten weiterzu- wie Lea Ciolli ist das bereits erwähnte leiten und die Verbindungen untereinan- Denkmal “Die Frau im Widerstand” in der aufrechtzuerhalten. Auch Sabotage Carrara gewidmet. wurde von ihnen betrieben, indem sie z. B. Proklamationen oder Einberufungs- Nadja Bennewitz plakate der faschistischen Republik von Salò, sich zum Militär zu melden, über- tünchten und unkenntlich machten oder Die Berichte der Zeitzeuginnen sind folgenden Straßenschilder verstellten, um die geg- Büchern entnommen und von N. B. übersetzt nerischen Truppenbewegungen zu worden: behindern. Die Mittel dieser in der Amministrazione Provinciale di Massa-Carra- Regel unbewaffneten Frauen im Wider- ra: A Piazza delle Erbe! L’amore, la forza, il stand gegen die Nazibesatzung waren corraggio delle donne di Massa-Carra, 1996; Irreführung und Verkleidung. Dina Bac- Lindi, Letizia/ Rasetto, Maria Rita: Le donne ciola erinnert sich: “Eine Frau, die uns del VII luglio, in: A.N.P.I. Carrara: La meglio Waffen für den Weitertransport an die gioventú. La memoria che resiste, 2004. Partisanen überbrachte, hatte das Pina Menconi Gewehr wie ein Baby in Windeln gewickelt, sogar ein Mützchen hatte sie übergezogen und alles mit einer Decke zugedeckt.” Die Motivation dieser aktiv am Wider- stand beteiligten Frauen erklärt Fran- cesca Rolla folgendermaßen: “Nein, Elena Pensierini, Jg. 1924: Heldinnen waren wir nicht. Wir wurden “Unter den Frauen hatte sich schon von einer inneren Notwendigkeit getrie- tiefe Kriegsmüdigkeit breit gemacht ben. Denn es ist - für viele - eine Not- und so war es nicht schwer, sie auf wendigkeit, sich frei zu fühlen und für unsere Seite zu ziehen. Es wäre die vorenthaltenen Freiheiten zu kämp- schließlich für uns alle ein Drama fen. Und wir Frauen hatten noch mehr gewesen, unsere Häuser, unseren persönlichen Bezugspunkt im Leben Gründe dazu. Der Faschismus war das verlassen zu müssen, schlimmer noch als die Bomben und der Hunger.” auch Regeln gegeben. Diese wurden allerdings nicht einfach von oben vorge- schrieben, sondern wurden diskutiert. Es gab immer einen demokratischen Umgang zwischen den einzelnen Parti- sanen und Partisaninnen und den einzel- nen Kommandanten. Und dann gab es den politischen Kommissar. Dieser war absolut keine militaristisch-hierarchi- sche Figur, sondern er gab Politik- unterricht. Es wurde nicht nur darüber gesprochen, was wir morgen mit den Deutschen machen, sondern auch: Wofür wir eigentlich kämpfen? Was wir nach dem Krieg in Italien verändern wollen? Insofern wird der militärische Faktor oft überbewertet. Und wir haben fast alle 1945 die Waffen abgegeben. Damit war aber unser Engagement nicht Giacomo Notari zu Ende. Ich bin wie viele ehemalige Partisanen lange Jahre Bürgermeister Zeitzeugnisse und Kreisrat gewesen. Im Laufe des Krieges haben uns die Engländer und die Amerikaner massiv mit Waffen unterstützt, so dass wir ''Wir wollten durchaus zu ernst zu nehmenden militä- rischen Gegnern wurden. Ein Erfolg ein anderes Leben'' unserer Bewegung waren die Partisa- nenrepubliken: Sieben, acht Gemein- den, die ein zusammenhängendes Giacomo Notari (Deckname: “Willi”) den angegriffen und alles vernichtet befreites Gebiet bildeten. Wichtig für schloss sich im Mai 1944 der Resistenza oder mitgenommen. Das wurde von vie- die Republiken war der zivile Aspekt. an und war Partisan in einer len Leuten meines Alters als himmel- Nach 20 Jahren Diktatur gab es Wahlen, kommunistischen Garibaldi-Einheit schreiende Ungerechtigkeit empfunden. Lebensmittel und Medikamente wurden Letztendlich musste man eine Entschei- gerecht verteilt, Schulen für die Kinder dung fällen: Setzte man sich zur Wehr organisiert. Dies war eigentlich die und versucht diesen Krieg zu bekämp- Hauptbotschaft, die diese Partisanenre- Giacomo Notari: Ich komme aus einem fen oder zog man wieder für die Faschi- publiken verbreiteten. Hier wurde schon Bergdorf im Apennin, aus einem sehr sten, die mit den deutschen Besatzern in kleinem Rahmen die Demokratie aus- katholisch geprägten Umfeld. Insofern kollaborierten, in den Krieg. probiert, die erst 1946 in Italien einge- hatten wir keine besondere antifaschi- Eine kleine Partisanengruppe verminte führt wurde. stische Vorbildung. Wir lebten in ganz die Brücke, die zu unserem Dorf führte. Aber auf dem Weg dahin gab es natür- ärmlichen Verhältnissen und betrieben Dadurch kam ich in Kontakt mit der lich Schwierigkeiten. Es hat sehr bald Landwirtschaft. Wir erwirtschafteten Resistenza. Anfangs waren wir sehr Vergeltungsmaßnahmen gegeben. Nach gerade so viel, dass es zum Überleben wenige und schlecht ausgerüstet. Später den Massakern in Cervarolo, in Mar- reichte. Unsere faschistische Regierung sind wir mehr geworden und hatten bes- zabotto und in verschiedenen Dörfern ging zwar in Nordafrika Länder beset- sere Waffen und Ausrüstung. So wurden der Toskana war es schwierig die Deut- zen und führte in Spanien Krieg, aber in wir zu einem ernsthaften Störfaktor und schen anzugreifen. Und das bringt einen unseren Dörfern gab es nicht einmal haben versucht unseren Beitrag zur Widerstandskämpfer natürlich in eine fließend Wasser oder Elektrizität. Und Befreiung zu leisten. schwierige Situation. Ein Beispiel: dann kam noch der Eintritt in den Zwei- Unsere Motivation war nicht nur gegen Eines Tages hatten wir kein Brot mehr. ten Weltkrieg dazu. die Deutschen zu kämpfen, sondern den Wir beschlossen in meinem Dorf Brot Krieg so schnell wie möglich zu been- zu holen. Während wir warteten, kamen den. In den Partisaneneinheiten haben Deutsche, die Lebensmittel für ihre wir uns schon bald einen Kopf darüber Truppen beschlagnahmten. Wir haben Man musste sich gemacht, was aus dem Land nach dem uns auf dem Dachboden versteckt, von entscheiden: Setzte man Krieg werden soll. Wir wollten ein wo aus wir die Deutschen beobachten sich zur Wehr oder zog man anderes Land aufbauen, das niemandem konnten und auch hätten erschießen mehr den Krieg erklärt, in dem die Dör- können. Sie haben alles Brot, eine Fuh- mit den Faschisten fer Wasser und Licht haben und die Kin- re Heu und ein Rind mitgenommen. der zur Schule gehen können. Wir woll- Wenn wir diese Deutschen erschossen ten die Monarchie abschaffen und eine hätten, hätten andere Deutschen alle im demokratische Republik errichten, in Dorf umgebracht. So haben wir sie mit Mit der deutschen Besatzung ab 1943 der Frauen auch wählen dürfen und dem Brot ziehen lassen. Und mein Vater wurde alles nur noch schlimmer. Es nicht nur Kinder für den Krieg gebären. hat neues gebacken - aber wir haben ein wurden Leute aus unseren abgelegenen Die Partisaneneinheiten waren am Massaker im Dorf verhindert. Bergdörfern deportiert und es gab Mas- Anfang sehr kleine Gruppen, zuerst fast saker an Zivilisten mit vielen Toten. ausschließlich Männer. Trotzdem hat es 20 Auch die ärmsten Apennindörfer wur- immer eine Organisationsstruktur und Zeitzeugnisse ''Als Kommandant brauchte man kein Abitur''

uns ein paar Monate versteckt. Wir wur- den ja als Deserteure gesucht, die eige- nen Leute wollten uns erschießen, die Camillo Marmiroli “Mirko” Deutschen deportieren. schloss sich Anfang Mai 1944 Durch Kontakte zum Widerstand wurde der Resistenza an und war ich im April 1944 in die "Casa Roma" gebracht. Von dort begleiteten uns Sta- Vizekommandant einer fetten immer ein paar Kilometer, dann Garibaldi-Brigade. Vorher nahm übernahm eine andere. Wir waren 45 er als Leutnant junge Männer mit 7 Gewehren und einer der Infanterie in der Jagdwaffe - das war unsere glorreiche italienischen Armee am Balkan- Bewaffnung. Wir waren politische Anal- Feldzug teil. phabeten und wussten zunächst nicht, was man eigentlich hätte tun sollen, tun können. Einige Tage später sind wir zu einer Camillo Marmiroli: Beim Waffenstill- Gruppe von 7 Partisanen in der Provinz “Mirko“ (rechts) und “Volpe“, der eine Garibaldi- stand war ich Soldat in Jugoslawien. Modena gebracht worden. Alles hat sich Einheit kommandierte Die Deutschen besetzten nicht nur Ita- sehr langsam entwickelt. Zuerst mus- lien, sondern auch andere Länder und sten wir Überfälle durchführen um an gerottet. Über 300 Zivilisten wurden deportierten italienische Soldaten. Es Waffen zu kommen. Im Mai bekamen getötet, weil jemand auf die italieni- war eine schreckliche Zeit, ich dachte wir erstmals Unterstützung durch Fall- schen Besatzer geschossen hatte. Daran damals oft an meine Mutter. Zu der schirmabwürfe der Engländer. kann ich mich noch genau erinnern. Ich schwierigen Lage, der Arbeit und dem Viele von uns waren jung und konnten war nicht zum Exekutionskommando Hunger, kam für sie noch die Sorge um mit Waffen nicht umgehen. Bei mir war eingeteilt, sondern bei denen, die das mich und meine Brüder, die in Deutsch- das anders, ich hatte ja - leider - den Gebiet abgesperrt haben. Aber im Prin- land gelandet waren. Krieg in Jugoslawien erlebt. Einmal zip war ich mit dabei. Die Verbrecher, Wir hatten ein Schiff organisiert mit warfen die Engländer über 130 Sten- die das Kommando führten, haben Leu- über 500 italienischen Soldaten, die aus Maschinenpistolen und 4 schwere te für Erschießungen eingeteilt und sind Jugoslawien abhauen und zurück nach Maschinengewehre ab. Aber am Anfang dann weggegangen, haben andere die Italien wollten. Wir schipperten die hatten wir nicht mal genug Leute, um Drecksarbeit machen lassen. Der Krieg Küste entlang, aber niemand wollte uns. sie einzusetzen. Also mussten wir die war eine große Schweinerei. Am Ende sind wir in Ancona an Land Waffen erst einmal verstecken und ler- In der Partisanenzeit habe ich auch viel gegangen - unbewaffnet und ausgehun- nen, damit umzugehen. geschossen, aber da konnte man sich gert. Später wurden Untergruppen gebildet. nicht rausziehen. Als wir in die Berge Untergebracht wurden wir in einer alten Wir sind ins Enza-Tal gegangen, haben gegangen sind, haben wir das nicht aus Fabrik. Ich durfte raus und bin losgezo- unsere eigene Brigade aufgezogen und Lust zu töten getan. Mein Gewissen ist gen, weil ich schrecklichen Hunger hat- sie nach Antonio Gramsci benannt. Die- rein, ich habe niemanden misshandeln te. Ich hatte Weintrauben gesehen, und se Brigade hatte vier Bataillone, eines oder hinrichten lassen. Natürlich haben wie ein kleines Kind bin ich hinter davon kommandierte ich. Man brauchte wir geschossen. Wir haben auch Leute denen her gewesen. Die Obstverkäufe- dazu kein Abitur. Ich habe die Grund- rin erzählte mir, wie man abhauen könn- schule besucht und als Handwerker te. Auf dem Schiff waren sieben aus gearbeitet, aber darauf kam es nicht an. Wir waren ja zuerst politische Reggio Emilia. Drei haben sich mit mir Es ging darum, dass man ruhig blieb, in Analphabeten gewesen nach Hause durchgeschlagen. Die ande- einigen Situationen ein bisschen Mut ren drei fanden es zu riskant und haben hatte und Erfahrung. das mit der Deportation nach Deutsch- Bevor ich Partisan geworden bin, war gebracht bekommen um sie hinzurich- land bezahlt. ich 42 Monate Soldat, habe kistenweise ten, die uns als Faschisten präsentiert Wir haben von den Leuten Zivilkleider Munition verschossen. Normalerweise wurden. Einmal wurde uns ein 19-jähri- bekommen. Seine Sachen hergeben war siehst du im Krieg nicht, auf wen du ger gebracht. Da meinte ich: Da ich nun damals ein großer Akt, die Kleider- schießt, du schießt irgendwohin, weißt mal Kommandant bin, wird er nicht auf- schränke waren nicht so gut bestückt letztlich nie, ob du getötet hast. gehängt. Das war ein Junge, der mitge- wie heutzutage. Und natürlich waren Man muss auch sagen, wie wir Italiener macht hat, aber als er konnte, abgehauen das Sachen, die zu klein oder zu groß uns auf dem Balkan aufgeführt haben. ist. Später kämpfte er mit uns, und wir waren. Aber so haben wir es geschafft Von Gebirgsjägern und faschistischer haben gemeinsam die Befreiung nach Reggio zu kommen. Wir hielten Miliz wurde z. B. ein ganzes Dorf aus- gefeiert. 21 Agitation, Sabotage, Attentat GAP und SAP in italienischen Städten

Ein großer Teil der bewaffneten Widerstandsgruppen befand sich in den Bergen, wo den deutschen Truppen der Zugriff erschwert war. Doch auch in den Städten bildeten sich Gruppen, die mit allen Mitteln Widerstand leisteten: die Aktionsgruppen der PartisanInnen GAP oder SAP ("gruppo" bzw. "squadra di azione partigiana"). Mario Rovinetti war bei der GAP in Bologna, Renzo Bianchi bei der SAP in Parma.

GAP und SAP setzten sich aus Frauen und Männern zusammen, die tagsüber ihrer Arbeit nachgingen und nachts im Widerstand aktiv wurden. Dabei arbei- teten die SAP eher näher an der Mas- senbasis, waren für Verpflegung und Organisation von Waffen, Agitation in den Stadtteilen und Fabriken zuständig, versuchten laut Rovinetti das, was an GAP-Gruppe will Eisenbahngleise sprengen Organisation noch da war, zu schützen und zu entwickeln. Vor allem die GAP Renzo Bianchi berichtete über die hatten im engeren Sinne klandestine Bedingungen in Parma, unter denen die Kleingruppenstrukturen. In den Sektio- PartisanInnen in der Stadt arbeiteten. nen des Nationalen Befreiungskomitees Immer wieder mussten sie sich wegen nischen Wehrpflichtigen erleichtert (CLN) zugeteilten, aber weitgehend Spitzeln neue Aufenthaltsorte suchen. wurden. Bei einer dieser Aktionen selbstverantwortlich agierenden Grup- Dann wurde meistens auch der Deckna- erbeutete Waffen wurden bei einem pen waren je 5-6 Personen organisiert. me gewechselt. Blumenhändler an einem der Friedhöfe Zum Schutz vor Infiltration durch Spit- Die italienischen Behörden übergaben von Parma verborgen, bis sie verteilt zel waren die Gruppen streng separiert; politischer Aktivitäten verdächtigte oder zu den PartisanInnen in den Ber- kein Mitglied sollte zu viel über andere Gefangene an die . Dort wurden gen gebracht werden konnten. Besagte Gruppen wissen. Den Berichten von diese in provisorischen Zellen zusam- Aktion habe keine Repressalien nach Renzo Bianchi und Mario Rovinetti mengepfercht und gefoltert. Zeugenaus- sich gezogen: Sie sei - gleich anderen - sagen dokumentieren den Einsatz von totgeschwiegen worden, weil die deut- Elektroschocks an allen Körperteilen. schen Besatzer und die Salò-Faschisten Folgt dem Einberufungsbefehl, Im Februar 1945 seien über 70 Partisa- keine schlechte Figur machen wollten. lasst euch einkleiden, nehmt nInnen in Parma durch Spitzel verraten Immer wieder schlossen sich italieni- worden, darunter Bruno "Andrea" sche Polizei- und Armeeangehörige den die Waffen und setzt euch in Longhi, ein kleiner, stets unbewaffneter PartisanInnen an. Die Empfehlung der die Berge ab Agitator von hoher konspirativer In- Untergrundorganisationen an die Wehr- telligenz und der militärische Komman- pflichtigen habe damals gelautet: Folgt deur der SAP Eugenio "Cecio" Biaggi. dem Einberufungsbefehl, lasst euch ein- Longhi überlebte die Folter nicht, Biag- kleiden, nehmt die Waffen und setzt zufolge agierten SAP und GAP ähnlich: gi wurde danach ins Konzentrationsla- euch in die Berge ab. Sie verteilten Flugblätter und Plakate, ger Bozen verschleppt. Zu den Mitar- Bianchi, ein gelernter Drucker, stellte sammelten Informationen über die Akti- beitern der Gestapo in Parma gehörte mit einem Matrizendrucker in der Via vitäten des Gegners, raubten Geld für auch Otto Alberti. Er war an der Liqui- Garibaldi viele Flugblätter und Be- die politische Arbeit, sabotierten Tele- dierung des Ghettos von Bialystok kanntmachungen der PartisanInnen her. fonlinien und Verbindungswege, störten beteiligt und arbeitete bei Kriegsende in Er berichtete auch über die Vorsichts- Truppenbewegungen und Durchkäm- einem Sonderkommando, das die Spu- maßnahmen, die beim Verteilen zu tref- mungsaktionen, griffen deutsche Besat- ren der Massenvernichtung verwischen fen waren: Mehrere Gruppen vereinbar- zungstruppen und italienische faschisti- sollte. 1963 war er Hauptkommissar der ten einen festen Zeitplan und versteck- sche Verbände an und verübten Attenta- Kripo in Kiel. ten Flugblätter im Futter ihrer Jacken. te auf faschistische Funktionsträger und Trotz der brutalen Repression schreck- Dann wurde zum vereinbarten Zeit- Spione. ten die SAP auch vor Angriffen auf punkt für etwa 15 Minuten verteilt, Kasernen nicht zurück, die zum Teil danach gingen alle ihrer Wege. 22 durch Sympathisanten unter den italie- Oft war Improvisationsvermögen stecke. Eines der größten befand sich in gefragt. Beim Versuch eine internatio- den Kellern des zentralen Krankenhau- nale Telefonverbindung zu sabotieren, ses von Bologna. Als diese Basis auf- erwies sich der Schaltkasten als zu hart flog, wurde sie von deutschen Truppen für die Äxte. So entschloss man sich, mit Artillerie angegriffen. Trotz großer durch die entstandenen Löcher zu pin- Verluste konnten sich die meisten Parti- keln und auf diese Weise einen Kurz- sanInnen zurückziehen und andernorts schluss zu erzeugen. den Kampf wieder aufnehmen. Als typische Aktion schildert Rovinetti Am 31. August 1944 erschossen die den Angriff auf die deutsche Komman- Partisanen zwei berüchtigte Mitglieder dantur in Bologna. Partisanen drangen der faschistischen schwarzen Brigaden mit Benzinkanistern in das Hotel in der (Brigate Nere, BN). Darauf wurden 7 zentral gelegenen Via dell´Indipendenza politische Gefangene, die sich in deren ein und setzten das Treppenhaus von Gewahrsam befanden, von den Faschi- oben bis unten in Brand. Draußen waren sten zu Tode gefoltert. Die Leichname Posten aufgestellt, die Deutsche, die waren so entstellt, dass die Angehörigen fliehen wollten unter Beschuss nahmen. sie kaum identifizieren konnten. Einer Die siebte Brigade der GAP, der auch der zu Tode gefolterten war Otello Mas- Rovinetti angehörte, war auch in der sani. Seine Tante hatte immer wieder Poebene aktiv. vor dem Hauptquartier der BN seine Truppentransporte wurden angegriffen, Freilassung verlangt, bis sie mit Schüs- Panzer wurden mit Spezialsprengkör- sen verjagt wurde. Als die Faschisten pern mit zeitverzögerter Zündung, die die Leichen ihrer Opfer auf den Fried- von den Alliierten abgeworfen wurden hof warfen und alle bedrohten, die diese und in die Kanonen deutscher Panzer begraben wollten, ließ sich Massanis passten, gesprengt. Solche Aktionen Tante nicht einschüchtern. Sie holte zogen oft auch Massenerschießungen ihren toten Neffen am helllichten Tag von ZivilistInnen nach sich. nach Hause, bei der Totenwache wurde ihm das rote Halstuch umgelegt. Die GAP setzten sich überwiegend aus Die 7 Opfer der BN sollen von einem Frauen und Männern zusammen, die Mario Rovinetti (oben) im September 2002 in Spitzel namens Rosi verraten worden schon vor dem Waffenstillstand im anti- Marzabotto. Renzo Bianchi (unten links) während sein, der sich später den Faschisten faschistischen Widerstand aktiv waren. einer Stadtführung in Parma zu den Aktivitäten anschloss. Ein weiteres Opfer war der Die Wurzeln dieses Widerstandes lagen der SAP (Sommer 2002). Renzo Binachi ist im 19-jährige Bruno Vescovi. Dessen Bru- vor allem im seit den zwanziger Jahren August 2003 gestorben. der war nach dem Krieg in Parma poli- bestehenden kommunistischen Wider- tisch sehr aktiv, auch um das Andenken stand. Frauen gab es laut Mario Rovi- an Bruno zu wahren. Als Rosi 1996 netti sowohl in der GAP als auch in der starb und in Parma begraben wurde, SAP; sie konnten sich auf den Straßen habe Vescovi den Blumenschmuck auf freier bewegen als die Männer. dem Grab zerstört und sei bald nach dem Verhör durch die Polizei an einem Rovinetti hatte das Glück, dass seine Herzinfarkt gestorben. Fast sei es so, als Eltern Antifaschisten waren. Während ob der Faschismus 50 Jahre später auch es in der Schule nur Gehirnwäsche gab, den Bruder getötet habe, erklärt Bian- konnte der Vater zu Hause den Mund chi. nicht halten, so dass er als Junge von In der Straße des heutigen Unigeländes, Lenin und der Sowjetunion gehört hatte. in der sich der Sitz der BN befand, war Aus der Arbeit in der Fabrik kannte er auch ein Büro der faschistischen Partei. Kollegen, die organisiert waren und Die Straße war damals nach einem über die er sich einer kommunistischen Faschisten benannt, der beim Marsch GAP-Brigade anschloss. auf Rom gestorben war. Doch mehrfach Während viele seines Jahrganges einbe- wurden die Straßenschilder mit Scha- rufen worden waren und vor dem fa- blonen übermalt, die Straße nach dem schistischen Heer in die Berge flüchte- gefallenen Partisanen Giordano Cave- ten, konnte Rovinetti zunächst in der stro benannt und so heißt sie heute Stadt bleiben: Er war freigestellt, weil noch. Bianchi merkt vergnügt an, dass er tagsüber für eine deutsche Luftwaf- die Faschisten es damals mit der Angst feneinheit "kriegswichtige Arbeiten" zu tun bekommen hätten, da diese leistete; nachts beteiligte er sich an Aktion wiederholt direkt vor ihrer Nase Aktionen. Erst als die Deutschen abzo- durchgeführt worden sei. gen, wurde sein Passierschein ungültig. Mario Rovinetti verließ Bologna und In Parma wie in Bologna war es von schloss sich einer GAP-Brigade in der größter Wichtigkeit, Straßen, Hinterhö- Gegend von Marzabotto an, wo er seine fe und Abkürzungen, ja sogar die Arbeit im Untergrund fortsetzte. Abwasserkanäle wie seine Westenta- sche zu kennen - alles das also, so Matthias Brieger Mario Rovinetti, "was der Feind nicht so gut kannte". In Kellern gab es Ver- Der schmale Grat zwischen Verweigerung und Widerstand Deutsche Deserteure in der Resistenza

Einer der bekannteren Deserteure in Ita- Kampf gegen italienische Faschisten. lien dürfte der Schriftsteller Alfred Von der Gemeinde Sarzana wurde ihm Über 100.000 deutsche Soldaten Andersch sein, der sich im April 1944 die Ehrenbürgerschaft verliehen, seine desertierten im Zweiten Weltkrieg. von seiner Truppe absetzte und sich bei Geschichte wurde in Büchern und auf Gegen Deserteure, derer sie habhaft Rom von Partisanen festnehmen ließ. Symposien dokumentiert und der italie- wurde, ging die Wehrmachtsjustiz mit Über seine Entscheidung zu desertieren, nischen Öffentlichkeit zugänglich erbarmungsloser Härte vor: 22.750 so seine Überlegungen und Ängste berich- gemacht. In Deutschland ist Jacobs genannte Fahnenflüchtige wurden zum tet er in seinem Buch „Die Kirschen der dagegen weit gehend unbekannt. Tode verurteilt. Viele wurden noch in Freiheit”, das zuerst 1952 erschien. Er gelangte nach seiner Desertion in US- den letzten Kriegstagen umgebracht. Heinz Riedt (Jahrgang 1919) fand sei- amerikanische Kriegsgefangenschaft, nen eigenen Weg, sich dem Dienst in kam in ein Camp für ”Considered Anti der Wehrmacht zu entziehen. Er über- Nazis” und engagierte sich von dort aus zeugte einen Militärarzt davon, ihn gegen Nazideutschland. dienstuntauglich zu schreiben. Danach ging Riedt an die Universität Padova. Er Der Verfolgungswille gegen Deserteure Vom Deserteur zum Partisan schloss sich der Giustizia e Libertà (Gl) hatte seine Grundlage auch im sozial- nahe stehenden PartisanInnengruppe darwinistischen Bild vom Deserteur als Battaglia kam bei seiner Befragung um Otello Pighin an und erhielt den ”Wehrmachtsschädling”. Einem Geset- ehemaliger PartisanInnen zu dem Decknamen Marino. Er nahm nicht an zeskommentar des Marburger Militär- Schluss, “dass sich der Übergang von Kampfhandlungen teil, sondern sam- strafrechtlers Erich Schwinge zufolge, Deutschen in die Reihen der italieni- melte Informationen und bereitete den der später in der Bundesrepublik gegen schen Widerstandsbewegung nicht auf Austausch von Gefangenen vor, wäh- die Rehabilitierung der Deserteure ein- Einzelfälle beschränkt, sondern ein rend er im Alltag weiter als Student auf- trat, bestünden ”Fahnenflüchtige zum bedeutendes Ausmaß erreicht” habe. „In trat. Die SS, die nach ihm fahndete, größten Teile aus psychopathischen allen Gegenden Norditaliens, ohne Aus- kannte nur seinen Decknamen. Minderwertigen”. nahme, ist die Anwesenheit von Deut- Riedt bezeichnete sich 50 Jahre nach So wurde von Wehrmacht, SS und schen in den Hauptverbänden der Parti- Kriegsende als einen anormalen Deut- Zivilbevölkerung bis in die letzten sanen (...) nachgewiesen.“ Der Partisan schen in dem Sinne, dass er kein Natio- Kriegstage Jagd auf Deserteure Alberto Qualierni erzählte Battaglia: nalist gewesen sei. Über seine Aktivitä- gemacht. In einem alliierten Kriegsge- “An ihre Namen erinnere ich mich nicht ten für die PartisanInnen macht er kein fangenenlager bei Amsterdam wurden mehr. Was den Grund ihrer Desertion Aufhebens, betrachtet vielmehr sein noch am 13. Mai 1945 zwei Deserteure betrifft, so erinnere ich mich, dass sie, Verhalten als selbstverständlich. von ihren Kameraden hingerichtet. wenn sie überhaupt etwas sagen woll- Bekannt wurde Riedt durch die Überset- ten, erzählten, dass die Trennung (...) zung von Primo Levis Buch „Ist das ein Abscheu gegen den Krieg und oder das Zugrundegehen ihrer Familie Mensch?“. Levi berichtet darin wie er unter den Bomben sie davon überzeugt das Vernichtungslager Auschwitz über- dessen Sinnlosigkeit, hatte, dass dieser unerträgliche Zustand, lebte. Levi war selbst in einer der Gl antifaschistische dieser Krieg, (...) beendet werden müs- nahe stehenden PartisanInneneinheit se”. aktiv gewesen als er verhaftet und Überzeugung: vom Deserteur deportiert wurde. 1995 hat Riedt in zum Partisan Andere, wie der in Berlin geborene einem Interview in der italienischen Aktivist der „gruppi di azione patriotti- Zeitung „La Stampa“ erstmals öffent- ca” (GAP) mit dem Kampfnamen Enz, lich über seine Zeit als Partisan gespro- Deserteure in Italien kamen aus antifaschistischen Milieus. chen. In Deutschland jedoch, so musste Enz, dessen Familie in deutschen Riedt erfahren, war es besser zu schwei- Die Zahl der in Italien desertierten Sol- Lagern ermordet worden war, geriet in gen: “Sie rückten mir auf den Leib”. daten hatte bereits im Sommer 1944 ein die Fänge der SS, wo er zu Tode gefol- Diese Erfahrung teilte er mit vielen erhebliches Ausmaß erreicht. Laut tert wurde ohne die Stellungen der Par- anderen deutschen Deserteuren und einem Bericht der Geheimen Feldpoli- tisanInnen verraten zu haben. Widerstandskämpfern. zei vom Juli 1944 desertierten in der Gegend von Civitella 721 Soldaten. Ins- In La Spezia hatte sich der Kapitän zur Dies führte dazu, dass Deserteure bis gesamt finden sich zur Häufigkeit von See Rudolf Jacobs wegen der Massaker heute ihre Geschichten eher für sich Desertion in Italien nur vereinzelte von deutschen Truppen zur Zusammen- behalten. Die einen wollen ihre Namen Dokumente. Verlässliche Zahlenanga- arbeit mit den PartisanInnen entschlos- nicht preisgeben, andere erzählen nur ben zum Ausmaß der Beteiligung deut- sen. Bereits vor seinem Übertritt liefer- widerstrebend und beiläufig ihre Erleb- scher Deserteure auf Seiten der Partisa- te er Informationen. Im Spätsommer nisse. In einer kleinen Gemeinde im nInnen gibt es überhaupt nicht. 1944 setzte er sich nahe Lerici ab, fiel Piemont wissen zumindest die älteren 24 aber schon am 3. November 1944 im EinwohnerInnen heute noch alle, dass teilnehmen. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn wir irgendwelche besonderen Nazieinheiten hätten angreifen müssen.”

Viele Deserteure wurden von den Parti- sanInnen auf die andere Seite der Front geschleust, wo sie sich in alliierte Kriegsgefangenschaft begaben. Stafet- ten wiesen den Deserteuren den Weg. Manchmal leisteten die PartisanInnen auch aktive Hilfe zur Desertion. Deser- teure wurden durch Agitation von anti- faschistischen Kräften in den eigenen Reihen, aus der Resistenza oder von den Alliierten in ihren Entscheidungen beeinflusst; zum Teil spielten die Faszi- nation des Landes, Kenntnis der Spra- che, Kontakte zu einheimischen Män- nern und Frauen oder Kontakte zu Par- tisanInnen eine wichtige Rolle. Ob die Entscheidung zur Desertion nun als Akt des Widerstandes, aus Einsicht in die Sinnlosigkeit oder gar den verbrecheri- schen Charakter des deutschen Vernich- tungskrieges gefällt wurde oder aus eher individuellen Motiven, erscheint von zweitrangiger Bedeutung. Jeder, der sich dem Unrecht dieses Krieges ver- weigerte, verdient auf seine Art Aner- kennung.

Hans Schmidt Deserteure bis heute: geächtet, spät oder nie rehabilitiert, "Kriegsverräter" Carlo (Name geändert, M. B.) aus der den Tag in die Kommandantur bestellt. Wehrmacht desertiert ist. Als er auf Par- Als man ihn dort festnehmen wollte, lei- tisanInnen traf, schloss er sich diesen stete er Widerstand und wurde erschos- Zweckorientierte Kriegsinterpretatio- an. Von einer anderen PartisanInnenein- sen. Bucher wurde auf der Flucht nen und verklärende Kriegserinnerun- heit wäre er beinahe erschossen worden. erschossen, die drei anderen hingerich- gen führten in der deutschen Nach- Eine Waffe wollte er nicht mehr anfas- tet. Schmidt ist heute Ehrenbürger der kriegsgesellschaft zu einer Ächtung der sen: er half beim Küchendienst. Carlo Gemeinde Albinea. Deserteure. Ihren Witwen wurden bis in blieb nach dem Krieg in Italien. die 90er Jahre Renten verweigert. Die Zwischen Verweigerung Bundesregierungen ließen sich bis 2002 Hans Schmidt aus Berlin war Mitglied und Widerstand Zeit, Deserteure zu rehabilitieren. Wer der Sozialistischen Arbeiterjugend sich jedoch den PartisanInnen gewesen und 1935 für einige Monate im Man kann nicht mit Sicherheit behaup- anschloss, bleibt als “Kriegsverräter” KZ Columbia bei Berlin inhaftiert. 1944 ten, dass die Deserteure mit gefestigtem von der Rehabilitation ausgeschlossen. unterstand er als Funker der Widerstandswillen repräsentativ sind. Auf die Seite der gegen den Nationalso- in Albinea/Reggio Emilia. Schmidt hat- Fernando Cavazzini, Kampfname Toni, zialismus Kämpfenden zu wechseln, te seit Monaten Kontakt zu den Parti- war Partisan im Emilianischen Apennin. gilt weiter als Straftatbestand. sanInnen. Gemeinsam mit Oddino Cat- Auch in seiner Einheit gab es Deserteu- tini plante er die Gründung einer Parti- re: “Diejenigen, die bei uns waren, Matthias Brieger sanInneneinheit, die deutsche Deserteu- waren alles ehemalige Wehrmachtsol- re aufnehmen sollte. Schmidt wollte den daten, keine überzeugten Nazis. Leute, PartisanInnen die Funkanlage überge- die keine Lust auf den Krieg hatten. Das Roberto Battaglia: Deutsche ben und zwei Luftwaffenoffiziere aus- war auch der Grund, weshalb sie bei uns Partisanen in der italienischen liefern, die verbrecherische Befehle zum großen Teil nicht an bewaffneten Widerstandsbewegung, in: Internationale Hefte der gegeben hatten. Andere Wehrmachtsan- Aktionen gegen deutsche Wehrmacht- Widerstandsbewegung 2, (1960), gehörige - Erwin Bucher, Erwin Schlun- seinheiten teilnehmen wollten. Sie Heft 4, S. 73-82 der, Karl-Heinz Schreyer und Martin kannten die Leute, bis vor kurzem Koch - unterstützen ihn. Die Aktion war waren das ihre Kollegen gewesen und bereits angelaufen, als ein alliiertes sie wollten sich da raushalten. Sie haben Flugzeug Leuchtfeuer abwarf und in der zwar bei uns mitgearbeitet, waren wich- Stellung Alarm auslöste. So flog alles tige Unterstützer, aber wollten an den auf. Schmidt wurde am darauf folgen- direkten bewaffneten Aktionen oft nicht 25 Der Widerstand in Venedig war durch seine einzigartige städtebauliche Situation gekennzeichnet. Das Stadtzentrum von Venedig bot nur begrenzt Raum. In den vierziger Jahren wohnten hier über 100.000 Menschen. Ab Sommer 1943 stieg die Anzahl der Einwohner weiter an, da immer mehr Menschen vor Krieg und Bombardierung flüchteten. Alle gingen davon aus, dass Venedig aufgrund seiner Kulturgüter von den Alliierten nicht bombardiert werden würde. Auch die Deutschen waren aus diesem Grund massiv in Venedig präsent. Im Sommer 1944 lebten bereits Am Riva dei sette martiri ist am Haus zur Via Garibaldi eine Gedenktafel für die sieben von über 200.000 Personen in der Stadt. den Deutschen erschossenen Partisanen angebracht. Widerstand in der Lagune sanen unter dem Kommando von Alfre- Venedig und das venezianische Festland do Vivian ihre Aktivitäten auf das Gebiet um San Donà di Piave. Die Gruppe, die in Venedig blieb, hatte Zudem waren in Venedig die Zweigstellen gefährlichen, wenn nicht selbstmörderi- immer mehr Zulauf und widmete sich verschiedener Behörden und Ministerien schen Unternehmen. Ebenso gefährlich hauptsächlich der Flugblattverteilung der “Repubblica Sociale Italiana” unter- war es, durch die Lagune zu flüchten, und Gegenpropaganda. gebracht, des Marionettenstaats, der nach denn auch diese war von den Deutschen dem 8. September mit Mussolini an der relativ leicht zu kontrollieren. Diese Bewaffnete Aktionen und Spitze geschaffen worden war und unter Situation ließ den Anführern der lokalen faschistische Reaktion der Kontrolle des Botschafters Von Rahn Widerstandsbewegung wenig Spiel- stand, dem Bevollmächtigten der Natio- raum, und so wurde die offene Ausein- In Venedig waren bis Juli 1944 keine nalsozialisten. Die Angestellten und andersetzung zwischen der Resistenza bewaffneten Auseinandersetzungen Funktionäre in der Stadt waren somit eng und den Besatzern in der Lagunenstadt zwischen den nazifaschistischen Trup- mit dem faschistischen Regime verbun- bis auf wenige Ausnahmen vermieden. pen und den Partisanen zu verzeichnen: Der Kommissar der Partisanenforma- Der Widerstand formiert sich tion in Venedig, Giuseppe Turcato, wus- Sieben Männer wurden ste nur zu gut, dass die faschistische vor den Augen hunderter Wie überall in Italien setzten die ersten Nationalgarde in kürzester Zeit jegliche Aktionen nach dem 8. September 1943 konspirative Tätigkeit hätte auslöschen eigens zu diesem Anlass ein, als es in erster Linie darum ging, können. Deshalb versuchte man durch herbeigeschaffter die italienischen Soldaten davor zu indirekte Aktionen die Präsenz des Menschen erschossen schützen, von den Deutschen gefangen Widerstands zu manifestieren. genommen und getötet oder deportiert Doch im Juli 1944 änderte sich das. zu werden. Gleichzeitig wurden Waffen Einer bewaffneten Gruppe, die vom so den, und die hohen Sicherheitsvorkehrun- aus unbewachten Depots entwendet und genannten “Roten Grafen” Giovanni gen stellten eine Gefahr für die Wider- an sicheren Orten versteckt. Tonetti finanziert wurde, gelang unter standsbewegung dar. Trotzdem gelang es, Nach dem 8. September wurde Italien der Führung des Partisanen Aldo Vari- ein konspiratives Netz aufzubauen, zwar vollständig von deutschen Truppen und sco eine Serie von Attentaten gegen die klein, aber überaus tatkräftig, das unter den italienischen Faschisten kontrol- faschistischen Truppen in der Stadt. Am der Aufsicht des lokalen CLN (Comitato liert, und es galt, die wenigen zur Verfü- 6. Juli tötete Vittorino Boscolo den Liberazione Nazionale) stand, des Natio- gung stehenden Ressourcen sorgfältig Marinefeldwebel Bartolomeo Asara, der nalen Befreiungskomitees. einzusetzen. die Rekrutierung der Soldaten für das Die Resistenza musste auch die geografi- Im Oktober 1943 gründete sich die Par- faschistische Regime befehligte. In der sche Lage Venedigs berücksichtigen, tisanenformation “Venezia” mit etwa 30 Nacht davor waren zwei Mitglieder der denn es gibt kein eigentliches Stadtrand- aktiven Mitgliedern. Sie war die bedeu- faschistischen Partei im Stadtteil Dorso- gebiet, weil die Stadt vom Wasser der tendste Einheit Venedigs. duro getötet worden. Lagune umgeben ist. Der einzige Flucht- Die ersten Aktionen fanden auf dem Die Reaktion der Faschisten erfolgte weg zu Land, die Eisenbahn- und Auto- Festland statt und richteten sich vor sofort: Angeführt vom Kommandanten brücke, war leicht zu kontrollieren und allem gegen das Eisenbahnnetz um die der faschistischen Nationalgarde Salva- 26 machte jeden Rückzugsversuch zu einem Stadt Mestre. Später verlegten die Parti- tore Morelli töteten sie zwei Nächte später fünf Antifaschisten im Stadtteil schaffter Menschen erschossen. Wenige bereits befreite Venedig am Nachmittag des fol- Cannaregio. Diese Racheaktion wurde Tage später wurde der Körper des genden Tages. nach Kriegsende von einem Gericht für Wachpostens gefunden. Er war betrun- illegal erklärt und gegen zwei der Betei- ken ins Wasser gefallen und dabei Die Situation in Mestre ligten wurde die Todesstrafe verhängt. gestorben. Im Oktober 1943 stellte der bedeutende Eisen- Am 26. Juli zündete eine Gruppe unter In den Herbst- und Wintermonaten bahnknoten in Richtung Brenner in der Stadt dem Kommando von “Kim” Arcalli eine 1944/45 war es ruhig in der Stadt, die Mestre das primäre Angriffsziel der Wider- Bombe im Palast Ca’ Giustinian, der Widerstandsbewegung arbeitete daran, standsbewegung von Venedig dar. Ab Anfang Bezirkskommandozentrale der faschisti- mit ihren Verlusten fertig zu werden und 1944 waren Sabotageaktionen angesichts der schen Nationalgarde. Das Gebäude wur- den Aufstand zu organisieren. Um zu massiven Präsenz und Kontrolle der Wehrmacht de fast vollkommen zerstört, und 14 zeigen, dass sie dennoch präsent war, nicht mehr möglich. Die Widerstandsbewegung Menschen starben unter den Trümmern. organisierte Turcato die so genannte verlagerte daher ihren Schwerpunkt in Richtung Die Vergeltungsmaßnahme erfolgte nur “Beffa del Goldoni”, den Streich des der Cansiglio-Berge und des Cellina-Tals, wo es zwei Tage später: Am 28. Juli wurden 13 Goldoni. Hierbei wurde das nach dem der Resistenza gelang, einige Gebiete zu Partisanen aus dem Gefängnis geholt und berühmten venezianischen Schriftsteller befreien und Partisanenrepubliken auszurufen. auf den Trümmern des Palastes erschos- Carlo Goldoni benannte Theater im Die Lage änderte sich Ende 1944, als sich die sen, der jüngste war der 18-jährige Fran- März 1945 während einer Aufführung deutschen Truppen den aktiven Partisanengrup- cesco Biancotto. Nach seinem Tod wurde von Partisanen besetzt und die anste- pen in der Alpenregion zuwandten und groß die Partisanenformation „Venezia“ in hende Befreiung verkündet – vor den angelegte Durchkämmungsaktionen durchführ- Brigade „Biancotto“ umbenannt. Augen der nationalsozialistischen und ten. Die Partisanen mussten das Gebirge verlas- Daraufhin waren die Widerstandsstruktu- faschistischen Repräsentanten, denen sen. Dies geschah auch im Umland von Vene- ren in Venedig erst einmal zerschlagen, auf Grund der spontanen und schnellen dig. Vielen gelang es, diesen Aktionen zu ent- und allein schon der Aufenthalt in der Aktion eine Reaktion nicht möglich kommen und sich in ihren ursprünglichen Stadt war äußerst gefährlich. Die Resi- war. Wohnorten zunächst in Sicherheit zu bringen. stenza hatte einen Schlag erlitten, von Auch Erminio Ferretto, ein Veteran aus dem dem sie sich erst Anfang 1945 wieder Die Befreiung Venedigs spanischen Bürgerkrieg, kam so nach Mestre. erholen sollte. Zusammen mit seinen Gefolgsleuten der Briga- Der Partisanenaufstand in Venedig de Garibaldi gründete er das Bataillon „Felisa- Deutsche Repressalien: Die begann am 26. April 1945 mit der Ein- ti”, das den Namen eines der Ermordeten Parti- Erschießungsaktion an der nahme des Gefängnisses von Santa sanen von Ca’ Giustinian trug. Sie operierten Riva dei sette martiri Maria Maggiore durch die politischen auf dem Festland um Venedig und führten Gefangenen und die Gefängniswärter. Anschlägen gegen Kasernen der faschistischen Die Serie der Vergeltungsmaßnahmen Daraufhin besetzten die bewaffneten Truppen durch. In der Nacht zwischen dem 5. riss jedoch nicht ab: Ein Wachposten der Einheiten der Partisanen die Zentren der und 6. Februar 1945 wurde Ferretto von Faschi- deutschen Marine, die an der Riva dell’ faschistischen Macht, deren Vertreter sten ermordet. Die Überlebenden seiner Gruppe Impero am Markusbecken ankerte, sich nahezu kampflos ergaben. Nur die nannten sich nun Brigade „Ferretto” und erschien am Morgen des 2. August 1944 deutschen Besatzer zogen sich nicht kämpften zwischen dem 27. und 29. April in nicht zum Appell. zurück und drohten vielmehr damit, die Mestre und Marghera, das schließlich vor dem Das deutsche Kommando vermutete Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Eintreffen der alliierten Truppen befreit wurde. sofort einen Anschlag und leitete sogleich Nach langen Verhandlungen wurde am die entsprechenden Repressalien ein. Am 28. April eine bedingte Kapitulation Giulio Bobbo Morgen des 3. August wurden sieben vereinbart, was bedeutete, dass die deut- (Übersetzung Beate Bennewitz-Carpino) Männer, darunter Alfredo Vivian, ans schen Truppen die Stadt verließen, ihre Ufer gebracht und vor den Augen hunder- Waffen jedoch behalten konnten. Die ter eigens zu diesem Anlass herbeige- Truppen der Alliierten erreichten das Hinweise für Venedigreisende: Der Palast Ca´Giustinian stand im Stadtteil San Marco, westlich vom Markusplatz am Campo San Moisè. Heute steht an seiner Stelle der PartisanInnen nach der Befreiung Venedigs auf dem Markusplatz am 5. Mai 1945. Neubau des Nobelhotels Bauer. Die Gedenktafel für die Im Hintergrund ist der von einem Bretterverschlag geschützte Markusdom zu sehen. 13 Ermordeten befindet sich in der angrenzenden Calle dei 13 martiri, links vom Hotel. Im Stadtteil Cannaregio gibt es für jeden der am 8. Juli 1944 ermordeten Antifaschisten am Ort ihrer Ermordung eine Gedenktafel. Sie sind in der Calle dei Sartori, in der Calle Colombina (heute auch nach dem ermordeten Piero Favretti benannt), in der Calle delle Vele und am Fondamenta delle Chiesa/Fondamenta San Felice. Im Foyer des Teatro Goldoni in der Calle Teatro am Campo San Lucca befindet sich eine Tafel zur Erinnerung an die im März 1945 durchgeführte Aktion der PartisanInnen. An der vaporetto-Haltestelle „Giardini“ befindet sich ein Denkmal für die Partisaninnen in der Region Veneto aus den 70iger Jahren. Das erste Denkmal für die Frauen im Widerstand wurde 1961 durch einen neofaschistischen Anschlag zerstört, nur der Betonsockel mit Inschrift steht noch, zu sehen in den dahinter liegenden Gärten. Eine Kopie der damaligen Figur befindet sich heute im Museum für Moderne Kunst im Ca´Pesero am Canal Grande. 27 ''Das Bataillon Lucetti ist libertär und sonst nichts ...'' Carrara – Marmorstadt und Zentrum des anarchistischen Widerstands Der Friedhof Turigliano in Carrara hat eine Besonderheit: Er ist die letzte Ruhestätte der Anarchisten. Anfangs war dort nur das Grab des Mussolini- Attentäters Gino Lucetti (siehe Randspalte) . Als sein Genosse, der an der Vorbereitung des Attentates beteiligt war, später eines natürlichen Todes starb, wollte er an Lucettis Seite beigesetzt werden. So haben sich im Laufe der Zeit einige Persönlichkeiten der anarchistischen Bewegung in einer Ecke des Friedhofs eingefunden. Beispielsweise Giuseppe Pinelli, der sich als Jugendlicher der Resistenza anschloss und Anfang der sechziger Jahre die Gruppe Sacco und Vanzetti ins Leben rief. Deren Lokal war der erste Treffpunkt der Mailänder AnarchistInnen. 1969 kam Pinelli ums Leben, als er während eines Verhörs aus dem vierten Stock des Mailänder Polizeipräsidiums „fiel“. Die Polizei suchte die Verantwortlichen für das Massaker der Piazza Fontana, das sich später als Werk der Faschisten herausstellte, zielsicher im linken Spektrum und beschuldigte Pinelli. Dario Fo widmete seine weltbekannte Farce diesem „zufälligen Alfonso Nizolazzi hisst die schwarz-rote Fahne. In diesem Ende des 19 Jahrhunderts errichteten Theatergebäude ist seit 1945 eines der beiden Zentren der F.A.I. in Carrara. Tod eines Anarchisten“. 1989 wurde es ein Jahr lang von AnarchistInnen besetzt, um einen Rausschmiss der F.A.I. und eine Umwandlung in private Büroräume zu verhindern. Bisher konnte die F.A.I. ihr „historisches Recht“ behaupten, im Haus zu bleiben – wohl auch weil sie alte Carrara liegt nordwestlich von Pisa in Dokumente auftreiben konnte, wonach das Theater damals ohne entsprechende den Apuanischen Alpen und ist weltweit Baugenehmigung auf gemeindeeigenen Grund errichtet wurde. bekannt als „Stadt des Marmors“. Michelangelos Skulpturen in Rom und Florenz sind aus feinstem Carrara-Mar- dert löste Schwarzpulver einen sehr Aufstände gab es in Carrara bereits im mor. Feiner Carrara-Marmorstaub ist unkontrollierten und wenig effektiven 19. Jahrhundert. „Dabei hat es Tote auch als Putzkörperchen in Zahnpasta. Abbau aus. Unter den Großgrundbesit- gegeben und über 700 Leute sind zu zern im 19. Jahrhundert sägten die 2.500 Jahren Gefängnis verurteilt wor- Zu dieser Zeit drohte Arbeiter mit der Hand und schafften ein den“, bilanziert Alfonso Nicolazzi über paar Zentimeter pro Tag. Besonders der einen 1894 von der Armee niederge- ständig Gefahr von allen Abtransport der großen Blöcke war eine schlagenen Aufruhr gegen die Erhöhung Seiten: von der deutschen halsbrecherische Angelegenheit: Auf der Getreidemahlsteuer. Besatzungsmacht, den eingeseiften Holzstämmen rollend, die Wer Carrara einen Besuch abstattete immer wieder vorne untergelegt wur- und sich nach der Geschichte des italienischen Faschisten und den, ließ man die großen Quader mit Widerstands vor Ort erkundigte, wurde den alliierten Luftangriffen Seilen “gesichert” den Hang hinabrut- meistens an Alfonso Nicolazzi verwie- schen. Häufig wurden dabei Arbeiter sen. Bis zu seinem Tode war er auch durch rutschende Marmorblöcke regel- außerhalb Italiens eine bekannte Per- Die Geschichte der Stadt ist maßgeblich recht zerquetscht sönlichkeit der anarchistischen Bewe- von den harten Arbeitsbedingungen Heute werden die Blöcke mit Diamant- gung und in der Internationale der Anar- beim Abbau des kostbaren Steins draht geschnitten und mit großen LKWs chistischen Föderationen (IAF) aktiv. geprägt. Bereits die Sklavenarbeiter in engen Serpentinen hinabgefahren. Vor Ort organisierte er sich – wie viele Roms mussten die Marmorblöcke aus Kleine autonome Gruppen von Arbei- in Carrara – in der “Federazione Anar- dem Fels brechen. Sie trieben dazu auf- tern bedienen den Maschinenpark der chica Italiana” (FAI). Anfang der 70er quellende, weil mit Wasser übergossene Steinbrüche, die sich zum Teil in Privat- Jahre schmiss er seinen Beruf als Flug- Holzkeile in Ritzen oder mühsam besitz befinden oder von Kollektiven lotse bei AlItalia. Mit der Abfindung, 28 geschlagene Schlitze. Im 18. Jahrhun- verwaltet werden. die er als aktiver Gewerkschaftler her- aushandeln konnte, baute er ein neues Projekt auf: „Nach der 68er und 69er Bewegung waren wir voll von Enthusias- mus. In Italien gab es keinen Ort, wo die anarchistische Bewegung sich entspre- chend organisieren und ausdrücken konnte. Also haben wir angefangen diese Druckerei zu gründen“. Viele Leute haben im Laufe der Zeit im Druckkollektiv mitgearbeitet. “Einige sind nur Tage geblieben, einige Monate, einige Jahre...“. Nicolazzi blieb bis zum Schluss und war die letzten 30 Jahre mit der redaktionellen und technischen Pro- duktion der wöchentlichen FAI-Zeitung Umanità Nova“ beschäftigt. Während er am 24. September 2005 die Zeitung zur Gogliardo Fiaschi (mit Fahne) beim Einmarsch in Modena Post bringen wollte, erlag er seinem Herz-Kreislaufleiden. Nun liegt auch er fe in den Marmorsteinbrüchen und der anarchistische Gruppen. Die zahlenmäßig in Turigliano. Es war eine riesengroße Arbeiter der Versilia. Als der Faschis- stärkste, in die sich auch Fiaschi zuerst Beerdigung mit vielen Leuten. mus in Italien aufkam, wanderte er nach eingereiht hatte, nannte sich nach Gino mehreren gegen seine Person gerichte- Lucetti. „Von den Bergen Sarzanas wer- Eineinhalb Jahre vor seinem Tod trafen ten Übergriffen der Faschisten Anfang den wir eines Tages hinabsteigen - aufge- wir ihn zum Auftakt eines Stadtrund- der 20er Jahre nach Frankreich aus. In passt Partisanen des Bataillon Lucetti. gangs im „Circolo Culturale Anarchico Paris war er einer der Gründer der anti- Das Bataillon Lucetti ist libertär und Gogliardo Fiaschi“. Gogliardo Fiaschi faschistischen Sammelbeweung und der sonst nichts ...“, lautet der Refrain eines war der wohl jüngste Partisan von Carra- italienischen Liga für die Menschen- Liedes, das noch heute gesungen wird - ra. Im Alter von 13 Jahren, er frisierte rechte. Für die spanische Republik zumindest im Circolo Anarchico Gragna- aber seine Dokumente auf 15, schloss er kämpfte er in der Kolonne Rosselli. na. Auch dieses Lokal, etwas außerhalb sich im September 1943 dem Widerstand Wieder in Frankreich wurde er bis zum von Carrara gelegen, ist seit 1945 ein an. Mitten im darauf folgenden Winter Ende des Jahres 1943 interniert. Dann anarchistischer Treffpunkt. Früher machte sich er auf den Weg durch die kehrte er nach Italien zurück, leitete köchelte hier eine Volksküche, eingerich- deutsche Gotenlinie zu den Alliierten an nach der Befreiung im Auftrag der CLN tet 1913 während einer Aussperrung der der Seravezza-Front. Die standen zwar den Gewerkschaftsbund in Carrara und keine 20 Kilometer weiter südlich, hatten gab das libertäre Gewerkschaftsblatt ihre Offensive aber bis April aufgescho- “Der Mamorarbeiter” heraus. Anarchistische Kooperativen ben. Zu dieser Zeit drohte ständig Gefahr von allen Seiten: von der deutschen Die meisten anarchistischen Parti- bewältigten das alltägliche Besatzungsmacht, den italienischen Fa- sanInnen Italiens organisierten sich in Überleben, besorgten schisten und den alliierten Luftangriffen. gemischten Einheiten, den “guistizia e Nahrungsmittel und Fiaschi schaffte es nach Seravezza. Die libertá”, “matteotti”, “autonomen” For- Alliierten schickten ihn weiter zur Abeto- mationen und auch den kommunisti- kümmerten sich um Arbeit ne-Front. Als im April die Offensive schen “garibaldi”. In der Gegend von gegen die deutschen Stellungen wieder Carrara gab es auch fast ausschließlich Marmorarbeiter. Jemand erzählte dort anlief, rückte er mit der PartisanInnendi- von der Kampfgruppe “Elio”, die für ihre vision "Modena" vor bis zum Einmarsch rebellischen und spontanen Aktionen in die Stadt am südlichen Rand der Poe- berühmt war. Im Kampf bei Torrione bene. konnte “Elio” 82 Deutsche gefangen neh- men und gegen Partisanen austauschen. An der Piazza Gramsci erinnert ein “Aliberti”, “Pelliccia” und “Schirru” Denkmal an den Anarchisten Alberto nannten sich die anderen anarchistischen Meschi (1879-1958). 1905 wanderte er Formationen, die in der Gegend aktiv nach Argentinien aus und wurde dort waren. Die Waffen stammten wohl zum einer der Anführer der libertären und Teil aus den Beständen der aufgelösten gewerkschaftlichen Bewegung. Vier Jah- italienischen Armee. Noch bevor die re später wurde er ausgewiesen, kehrte Deutschen Carrara besetzt hatten, begann nach Italien zurück. In Carrara begleitete man mit der Entwaffnung der dort statio- er als Gewerkschaftler die Arbeitskämp- nierten Garnisionen. Nur ein einziger Soldat leistete geringfügigen Widerstand.

“Am Morgen des 9. September mar- schierten die deutschen Truppen in der Die notwendige Unterstützung für den Marmorstadt ein”, erinnert sich Sergio PartisanInnenkampf haben die Frauen Ravenna, “und positionierten ca. 150 von Carrara geschaffen, weil sie die geplante Evakuierung ihrer Stadt Meter von uns entfernt einen Panzer. verhindert haben. Vielleicht wäre es nicht angebracht gewe- sen, das Feuer zu eröffnen. Doch Alfonso Gruppenbild mit Partisanin Cacciatori, der aus einem Konzentra- Francesca Rolla (siehe Artikel S. 18/19). tionslager hatte flüchten können, war vol- 29 bauleistungen. 1945 sprengten deut- sche Truppen auf dem Rückzug die Brücke – nicht aus strategischen Gründen, meint Alfonso Nicolazzi, Gino sondern „als Vergeltungsmaßnahme für den Widerstand der letzten Mona- Lucetti te und Jahre“. Eine kleine Gedenkta- und das Attentat auf fel weist darauf hin, dass die F.A.I. und das lokale Gewerkschaftshaus Mussolini diese “unverzichtbare Lebensader für den Fortschritt unserer Stadt“ zehn 11. September 1926, 9.30 Uhr. Ein jun- Jahre nach ihrer Zerstörung wieder ger Mann wartet in Rom auf der Piazza errichtet haben. Sie war dann wieder Porta Pia im Schutz eines Zeitungs- die Hauptverkehrsader für den kiosks auf das Auto des faschistischen Abtransport des Marmors, bis die Diktators Mussolini. Eine halbe Stunde Eisenbahnlinie Mitte der 60er Jahre später fährt der Fiat 519 auf die Piazza eingestellt wurde. Pia zu. Gino Lucetti springt hervor und schleudert eine Handgranate gegen die Alfonso Nicolazzi vor der Druckerei im Jahre 2004. Gogliardo Fiaschi kehrte nach der gepanzerten Fenster des Autos. Die Gra- Die Fassade der Druckerei-Kooperative ist heute Befreiung in die Steinbrüche der nate prallt jedoch ab und explodiert hin- bunt bebildert. Nach den Protesten in Genua Marmorstadt zurück – dort musste er ter dem Wagen auf der Straße. Mussoli- brachten KünstlerInnen aus der Ukraine, Sardinen, bereits seit seinem achten Lebensjahr ni ist unverletzt. Gino Lucetti flieht die Großbritannien, Polen und Deutschland die Fresken arbeiten. Anfang der 50er Jahre lernte Via Nomentana hinauf, wird aber gefan- an: Der Transport der Marmorblöcke, eine er José Lluis Facerías kennen. Der gen und in das Regina Coeli-Gefängnis Kooperative usw. – Facetten der kommunalen spanische Anarchist und Veteran der gebracht. Arbeitskultur. Ascaso-Kolonne im spanischen Bür- Gino Lucetti ist 1900 in Carrara-Avenza gerkrieg war 1945 aus einem Franco- geboren. Sein Vater arbeitet als Stein- Gefängnis entkommen und hielt sich metz in der Marmorindustrie und stirbt ler Hass gegen die Deutschen, so dass illegal in Carrara auf. Nach einiger als Gino 10 Jahre alt ist. Fast noch ein es kein Halten gab. Es begann ein ca. Zeit beschlossen sie, den bewaffneten Kind muss Gino in den Marmorstein- eine Stunde dauernder Kampf. Mar- Kampf gegen das Franco-Regime brüchen von Carrara arbeiten: als „Liz- cello Grassi wurde vom Panzer in aufzunehmen. Mit dem Fahrrad über- zatore“, zuständig für den äußerst Stücke gerissen, andere nur leicht ver- querten sie 1957 die Pyrenäen, flogen gefährlichen Transport der Marmor- letzt. Wenigen von uns gelang es jedoch nach kurzer Zeit auf. Facerías blöcke hinunter zu den Verladestatio- noch, die Waffen einzusammeln und wurde in Barcelona von der Guardia nen. In dieser Zeit schließt sich Gino der sie mit Mühe in eine Höhle zu brin- Civile in einen Hinterhalt gelockt und anarchistischen Bewegung an, die in der gen. Dort blieben wir 3 Tage lang und ermordet. Fiaschi wurde verhaftet, Region bis heute eine politisch-zentrale hofften auf Nachrichten. Irgendeine gefoltert und von einem Militärge- Rolle einnimmt. Versorgung hatten wir nicht” (Zitat richt zu 20 Jahren Haft verurteilt. Nach seinem Pflichtdienst beim italieni- übersetzt aus: Gianluca Attuoni und Pie- Mehr als 10 Jahre hatte er in ver- schen Militär, der mit einer Verurteilung tro Volpi: Anarchici Nella Resistenza. schiedenen spanischen Gefängnissen als Deserteur endet, emigriert Gino A.N.P.I Carrara 2004). gesessen, bis er 1966 nach einer 1922 nach Frankreich, wo er im anarchi- Amnestie entlassen – und nach seiner stischen Milieu Arbeit, Hilfe und einen Rückkehr in Italien gleich wieder ein- politischen Zusammenhang findet. 1925 Sein Pflichtdienst beim gesperrt wurde. Ohne sein Wissen kehrt er nach Italien zurück, wohnt bei italienischen Militär endet mit hatte ihn ein Gericht in Abwesenheit anarchistischen Freunden in verschiede- zu 10 Jahren Gefängnis wegen Bank- nen Städten. Nach einem Schusswechsel einer Verurteilung raub verurteilt. Den soll er mit Facerí- mit Faschisten in Carrara flieht er erneut als Deserteur as 1957 in Monferrato begangen nach Frankreich, kehrt im Mai 1926 haben. Eine internationale Kampagne nach Italien zurück und beginnt nun, das forderte seine Freilassung. Im März Attentat auf Mussolini gezielt vorzube- Nach dem Krieg und der langen Zeit 1974 – nach insgesamt 17 Jahren Haft reiten. des italienischen Faschismus schlos- – öffneten sich für ihn die Gefängnis- Von einem Spezialgericht wird Gino sen sich Italiens AnarchistInnen in der tore. Lucetti am 11. Juni 1927 zu 30 Jahren neuen F.A.I. zusammen. Die Födera- Haft und Geldstrafen verurteilt. Den tion gab rund fünfzehn Zeitschriften Nach längerer Krankheit starb Gogli- Prozess nutzt er als politische Bühne heraus und hatte ihren größten Ein- ardo Fiaschi am 29. Juli 2000. Seinen gegen den Faschismus. Seine Haftzeit fluss in Mailand und Genua. Carrara Trauerzug durch die Stadt begleiteten verbringt er überwiegend im berüchtig- wurde zu ihrem Zentrum. Anarchisti- AnarchistInnen aus ganz Italien. Bei- ten Gefängnis auf der kleinen Insel San- sche Kooperativen bewältigten das gesetzt wurde er standesgemäß neben to Stefano im pontinischen Archipel. alltägliche Überleben, besorgten Nah- Lucetti und Pinelli. Am 11. September 1943 befreien ihn die rungsmittel und kümmerten sich um An diesem Tag vor hundert Jahren Alliierten bei ihrem Vormarsch Rich- Arbeit. Die Infrastruktur war zerstört hatte der Anarchist Gaetano Bresci tung Rom aus dem Gefängnis und brin- – Trümmer und Minen mussten den italienischen König Umberto I. gen ihn nach Ischia. Sechs Tage später geräumt und alles wieder aufgebaut umgebracht. Auch an den Königs- wird Gino Lucetti bei einer deutschen werden. Die Marmorbrüche waren mörder erinnert ein Denkmal beim Bombardierung der Insel von einem geschlossen und alle arbeitslos. Friedhof. Splitter tödlich getroffen. Die ehemalige Eisenbahnbrücke ist 30 eine der anarchistischen Wiederauf- Wolfgang Most Marianne Wienemann Mit diesen Worten beschrieb Elena Foà Levi kurz nach dem Ende des Zweiten "Alles begann an diesem Weltkrieges den Tag, an dem sie das schicksalsschweren 2. erste Mal mit den antijüdischen Ge- September 1938, als ich auf setzen des faschistischen Regimes der Straße die furchtbare Bekanntschaft machen musste und sie Nachricht aus dem eine erste Ahnung von der Tragödie, die Lautsprecher erfuhr: ‚Die sich bald darauf ereignen sollte, ergriff. jüdischen Lehrkräfte und Im Jahr 1938 bestand die kleine jüdi- Schüler sind ab dem sche Gemeinde in Parma laut der kommenden Schuljahr von "Judenkartei", einer aufgrund der "Ras- den öffentlichen Schulen sengesetze" angelegten Sonderdatei, ausgeschlossen.' Für einen gerade einmal aus 134 Personen, darun- ter Elenas Ehemann Mosè Renzo Levi Moment wurde der Himmel (deportiert und ermordet in Mauthau- pechschwarz und alles um sen) und ihre beiden Söhne Bruno und mich herum und in mir brach Fausto. zusammen." Seit dem 14. Jahrhundert waren in Par- ma und der Umgebung jüdische Gemeinden ansässig. Die Assimilierung jüdischer Glaubensangehöriger ab dem 19. Jahrhundert hatte die Zahl der Ge- meindemitglieder kontinuierlich abneh- Liliana und Luciano Fano am men lassen. 7.12.1943 in Parma. Sie wurden Angekündigt durch das "Manifest der am 10.4.1944 in Ausschwitz Rasse" vom 14. Juli 1938 und begleitet ermordet. von einer aggressiven Pressekampagne wurden Anfang September 1938 die ersten antisemitischen Erlasse vom Ministerrat bekannt gegeben. Im Giorgio kam nicht November trat eine weitere Reihe legis- lativer und administrativer Bestimmun- gen in Kraft, die die jüdische Minder- mehr zum Unterricht heit an den Rand der Gesellschaft drängte. Auch in Parma wurden Jüdin- Die Verfolgung jüdischer Menschen in Parma: nen und Juden aus den öffentlichen von den "Rassegesetzen" 1938 bis zur Shoa Schulen, aus der Universität und den staatlichen Behörden ausgeschlossen. Es wurde ihnen der Besitz von Grund- stücken und Häusern verboten, sie durf- ten sich nicht mehr freiberuflich nieder- berührt? (...) Ich fürchte, ich muss der in denen die Rassengesetzgebung Gül- lassen, konnten keine Handelszulassung Ehrlichkeit halber zugeben, dass wir tigkeit hat", in Konzentrationslagern zu erwerben oder nichtjüdische Hausange- damals eher von Indifferenz und Apa- internieren. In den folgenden zwei Jah- stellte einstellen. Somit wurden sie aus thie beherrscht waren." ren beschloss das faschistische Regime, dem politischen und gesellschaftlichen bereits internierte Jüdinnen und Juden Leben ausgeschlossen. Auch wenn aus Italien im Krieg und die aus den annektierten Mittelmeergebie- Parma, anders als aus Triest, Padua oder Internierung nicht ten auf die Halbinsel zu verlegen - dar- Pisa, keine tätlichen Angriffe auf Perso- italienischer Jüdinnen nen jüdischen Glaubens bekannt wur- und Juden den, so empfanden doch auch hier die "Für einen Moment wurde jüdischen StadtbewohnerInnen die anti- Die Entscheidung der faschistischen der Himmel pechschwarz semitischen Hetzkampagnen, besonders Regierung, den Zuzug verfolgter jüdi- der Tageszeitung "Corriere Emiliano - scher Personen aus Europa zu stop- und alles um mich herum Gazetta di Parma", und die bestehenden pen, fiel zeitlich mit den Vorbereitung und in mir brach zusammen" rassistischen Gesetze als einen Akt der zum Kriegseintritt Italiens zusammen. Gewalt. In der öffentlichen Meinung Mitte Mai 1940 beschloss Mussolini, hingegen fehlte völlig das Bewusststein die nicht italienischen Jüdinnen und unter ca. 3.000 Menschen aus Jugosla- über das Ausmaß dessen, was da an Juden, zwischen 5.500 und 6.000 Per- wien und 1.000 aus Libyen. Im Frühjahr Ungeheuerlichkeiten geschah. In die- sonen, in speziellen Lagern zu inter- 1943 waren es in Italien an die 6.400 sem Sinne äußert sich auch der Zeitzeu- nieren. Für die Männer war die Jüdinnen und Juden, die von dieser ge Giovanni Timossi, der sich an den Gefangenschaft in Lagern vorgese- Freiheitsberaubung betroffen waren: Ausschluss seines jüdischen Schulka- hen, während Frauen und Kinder in 2.000 von ihnen waren in die Lager ver- meraden Giorgio Foà aus dem Lyzeum den Kommunen festgehalten und bracht worden, während die restlichen erinnerte: "Zu Beginn des dritten Schul- nach und nach in Tarsia in der Provinz in den einzelnen Kommunen interniert jahres kam Giorgio nicht mehr zum Cosenza konzentriert werden sollten. waren. Unterricht. Durch die Rassengesetze Fünf Tage nach Kriegseintritt verkün- In der Provinz von Parma waren im Juni war ihm der Schulbesuch verboten, den dete das Innenministerium, alle nicht 1940 ebenfalls zwei "polizeiliche Kon- er bis dato mit viel Erfolg absolviert italienischen Jüdinnen und Juden, zentrationslager" eingerichtet worden, hatte. Wurden wir dadurch besonders "die Angehörige solcher Staaten sind, in denen die jüdischen Gefangenen 31 inhaftiert waren, die meisten von ihnen Die deutsche Besatzung und nen und Juden zusammen, deren aus dem Ausland, häufig aus Jugoslawi- die Lager in der Republik gemeinsames Schicksal die Vernichtung en. Bei ihrer Ankunft mussten sie eine von Salò in den Todeslagern werden sollte. Erklärung unterschreiben, mit der sie Einige der Lager wurden im März 1944 derart viele Regeln und Verbote akzep- Die Besetzung Zentral- und Nordita- aufgelöst, nachdem die Gefangenen in tieren sollten, dass eine der Internierten liens durch die Deutschen und die das Durchgangslager von Fossoli bei schrieb: "Ich halte es für überflüssig, Errichtung der Repubblica Sociale Ita- Carpi verbracht worden waren. (Vgl. dass sie uns die Dinge mitteilen, die liana (RSI) ab September 1943 ver- "Teil des deutschen Lagersystems"). verboten sind: Es sind zu viele. Es wäre schärften die Lage der politischen und Das Konzentrationslager von Scipione einfacher, uns zu sagen, was gestattet jüdischen Gefangenen. Mit dem Poli- bei Parma dagegen, aus dem ebenfalls ist." Die ausländischen Internierten, zeigesetz Nr. 5 vom 30. November Gefangene im März 1944 nach Fossoli größtenteils waren es ganze Familien, 1943, erlassen vom faschistischen gebracht worden waren, wurde erst im lebten in einer materiell äußerst prekä- Innenministerium der RSI durch Guido September 1944 aufgelöst, nachdem ren Situation. Manches Mal kam die Buffarini Guidi, wurde bestimmt, alle Partisaneneinheiten dort die letzten italienischen Jüdinnen und Juden vor- Gefangenen befreit hatten. erst in örtlichen Konzentrationslagern "Es wäre einfacher, uns zu zu sammeln, bis sie in Sonderlagern Die Vernichtungslager sagen, was gestattet ist." zusammengelegt würden. Drei Tage später ließ der stellvertretende Kommis- Die nach Fossoli gebrachten Gefange- sar der faschistischen Partei von Parma nen blieben dort nur ca. drei Wochen. Guglielmo Ferri verlauten, dass die Am Morgen des 5. April 1944 wurden ansässige Bevölkerung zu Hilfe und gab bereits bestehenden Konzentrationsla- die jüdischen BewohnerInnen Parmas in Lebensmittel, Kleidung und spendete ger wieder in Betrieb genommen wer- verschlossene Viehwagons verfrachtet Trost. Es sind einige Episoden doku- den sollten - eines der zwei Lager in und mit dem Konvoi Nr. 9 nach mentiert, bei denen BewohnerInnen des Parma war auf Grund der Flucht aller Auschwitz deportiert. Der Zug trug die Ortes mit den Internierten vertraut wur- Gefangenen nach dem 8. September Aufschrift RSHA, "Reichssicherheits- den und Freundschaft schlossen, geschlossen worden, in dem anderen hauptamt", das für die Deportation in obwohl es dagegen ein striktes Verbot befanden sich allerdings noch immer die Vernichtungslager zuständig war. der öffentlichen Sicherheitsbehörden Gefangene. Die erwachsenen jüdischen Die Fahrt dauerte mit Stopps in Mantua gab. Nach dem 8. September 1943 ver- Männer wurden dort interniert, während und Verona fünf Tage. In Verona wur- suchten viele aus der Internierung zu die Frauen und Kinder in örtliche den weitere Wagen angehängt, die nahe- entkommen, um der Verhaftung durch Gasthöfe verbracht wurden. Hier kamen zu ganz Europa durchquerten, bis sie in die deutsche Polizei zu entgehen, doch italienische und nicht italienische Jüdin- Polen ankamen. Es waren fünf leidvolle der Großteil von ihnen wurde abermals Tage einer Reise, die nie zu enden verhaftet und erneut in Lagern bis zur schien. Deportation festgehalten. Laut den Akten des Archivs der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz entgingen von den insgesamt 600 Personen aus dem Zug Nr. 9 nur 80 Frauen und 154 Männer nach der Ankunft der Gaskammer. Von den Frau- en überlebten in der Folgezeit nur weni- ge die Strapazen und die Gewalt im Lager. 51 von ihnen kehrten nach dem Kriegsende nach Hause zurück. Die genaue Zahl der ermordeten Jüdinnen und Juden, die aus Parma stammten, lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit nennen. Aufgrund der bislang zumeist von der israelitischen Kultusgemeinde in Parma gesammelten Nachrichten wird die Zahl der Opfer aus Parma auf 22 bis 24 Menschen geschätzt. Nur wenigen Menschen aus Parma gelang es, sich dank der Hilfe einiger Institutionen und Einzelpersonen der Deportation zu entziehen. Von diesen unterschiedlichen Helfern sei nur Ric- cardo Pellegrino herausgegriffen, Amts- richter aus Fornovo Taro, der die Aus- wanderung zahlreicher Jüdinnen und Juden aus Parma ermöglichte. Er beschaffte falsche Papiere und schuf wichtige Kontakte, sodass den Verfolg- ten die Flucht in die Schweiz und damit ihre Rettung gelang. 32 Einzelschicksale

Die Familie Della Pergola- Camerini

Donato und Cesare waren die Söhne des Rabbiners Enrico Della Pergola Von links: Donato und Cesare Della Pergola wurden am Tag ihrer Ankunft in und Emilia Camerini aus Parma. Als Auschwitz mit allen anderen Kindern aus dem selben Deportationszug in den die antijüdischen Gesetze in Kraft tra- Gaskammern ermordet. Mutter Emilia Camerini wurde auch nach Auschwitz ten, musste der 6-jährige Donato, sein deportiert. Bruder war erst drei, die öffentliche Schule verlassen. In den Jahren von 1938 bis 1943 bewegte sich das Leben Fossoli nach Auschwitz. Die Großeltern der Familie zwischen dem Ausschluss Die Familie Fano kamen in andere Lager. Aus den Ver- aus dem öffentlichen Leben und der nichtungslagern kehrte niemand von gleichzeitigen Hoffnung, dass sich die Liliana und Luciano Fano waren in Pel- ihnen zurück. Dinge eines Tages wieder einrenken legrino Parmense zur Welt gekommen, würden. Diese Hoffnung, die mit dem wohin ihre Eltern schon 1931 gezogen Partisanen Sturz Mussolinis im Juli 1943 Wirk- waren. Der Vater Ermanno, Doktor der lichkeit zu werden schien, wurde Chemie, führte dort die Ortsapotheke. Nach dem 8. September 1943 wählte jedoch bald zerschlagen. Anstatt dass 1938 erhielt er aufgrund der "Rassenge- eine kleine Minderheit der Italiener den Krieg und Diskriminierungen ein Ende setze" Berufsverbot. Er war gezwungen Weg in den Widerstand gegen die deut- fanden, kam die deutsche Besatzung. mit seiner Familie nach Parma zu zie- sche Besatzung und den Faschismus der Während der Vater und andere Männer hen, um dort bei den Großeltern unter- RSI und gründete die ersten Partisanen- in die Schweiz flüchteten, weil sie als zukommen. formationen. Auch einige Juden haben Gemeindevertreter stark gefährdet Der Vater arbeitete nun als Angestellter daran teilgehabt, wobei zu bedenken waren, zog sich die Mutter mit den bei- in einer Apotheke, während der kleine bleibt, dass "ein jüdischer Partisan zwei den Söhnen, den Tanten, der Großmut- Luciano, der nicht mehr die Schule Mal so viel riskiert hat wie ein anderer." ter und anderen jüdischen Familien in besuchen durfte, in das Privatinstitut Davon ließen sich jedoch Remo Coen den Apennin zurück in dem Glauben, "De La Salle" geschickt wurde. Im und Cesare Bassani nicht abschrecken. somit der Gefangenschaft zu entgehen. März 1942 kam noch der kleine Bruder Am 12. Dezember 1943 wurden sie von Roberto zur Welt. einem faschistischen Trupp gefangen Am 7. Dezember 1943 wurde die genommen und in das Frauenkonzen- gesamte Familie einschließlich der ''Ein jüdischer Partisan hat trationslager von Monticelli Terme ver- Großmutter Giulia Bianchini und des zwei Mal so viel riskiert frachtet, wo sie nahezu drei Monate Großvaters Enrico Fano von zuhause wie ein anderer'' blieben. Von dort aus kamen sie in das abgeholt und eingesperrt. Die Großel- Lager von Fossoli und wurden alle, bis tern kamen in das Gefängnis San Fran- auf die Großmutter, nach Auschwitz cesco, die Mutter Giorgina Padova mit Coen, der den Kampfnamen "Raffaello" deportiert. Am Tag der Ankunft wurden den drei Kindern in das Lager Monti- erhielt, war 1916 in Parma geboren und Donato und Cesare zusammen mit allen celli, der Vater Ermanno nach Scipione. hatte seinen Militärdienst geleistet. Im anderen Kindern, die mit ihnen im sel- Die Kinder mussten denselben Weg mit Frühjahr 1944 wurde er Mitglied in der ben Zug deportiert worden waren, in ihren Eltern gehen wie die anderen 47. Brigade Garibaldi und erreichte den den Gaskammern von Auschwitz Jüdinnen und Juden aus Parma: von Grad eines Majors. Am 20. November ermordet. Es war der 10. April 1944. 1944 fiel er einer deutschen Durchkäm- mungsaktion, der "Operation Regen- Das Privatinstitut “De La Salle di Parma“ - Schuljahr 1942/43. wetter", zum Opfer. Vom italienischen 1. Reihe, fünfter v. links: Luciano Fano. Staat wurde er nach dem Krieg für seine Widerstandstätigkeit mit einer Silber- medaille ausgezeichnet. Cesare Bassani, Kampfname "Sam", war in Carrara zur Welt gekommen, wo der Vater eine Druckerei hatte. Cesare unterbrach sein Medizinstudium, um in der Resistenza zu kämpfen und schloss sich der 1. Brigade Julia an. Während eines Bombardements wurde er am 2. Juli 1944 verwundet. Kurz nachdem er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, erlag er seinen Verletzungen.

Stefania Campanini, Guido Pisi (Parma)

(Übersetzung Nadja Bennewitz) 33 73 jüdische Kinder, teils aus Deutschland und Österreich, teils aus Kroatien konnten durch jüdische Hilfsorganisationen, den Einsatz Einzelner sowie die Bevölkerung des italienischen Ortes Nonantola gerettet werden. Eine Geschichte, die lange Zeit in Vergessenheit Die Villa Emma im Oktober 2004 geraten war. Die Kinder der Villa Emma Eine längst vergessene Geschichte Juli 1942, und wurde überwiegend von der italienischen Hilfsorganisation Delasem finanziert. Die zur Verfügung gestellten Mittel waren aber sehr knapp Recha Freier lebte seit 1926 in Berlin, dort die Weiterreise nach und oft gab es nicht genügend zu essen. wo sie bereits zwei Jahre vor der Macht- Palästina/Israel zu ermöglichen. Recha Indig und die am Ende neun BetreuerIn- übernahme der Nationalsozialisten Freier vertraute vor ihrer eigenen Aus- nen führten einen Tagesplan ein, und die erkannte, dass es für Juden keine reise die noch in Zagreb befindlichen Jugendlichen bekamen seit langem wie- Zukunft in Deutschland geben würde. Mädchen und Jungen drei jungen Zioni- der Schulunterricht, der sie vor allem Sie begann das zu organisieren, was die sten an. Einer von ihnen war Josef auf das Leben in Palästina/Israel vorbe- Jugend-Alija werden sollte. Alija Indig, selbst erst 20 Jahre jung. reiten sollte. bedeutet auf Hebräisch Einwanderung und bezeichnet die „illegale“ Einwande- Flucht in die italienische Die Villa Emma in Nonantola rung nach Palästina/Israel während der Besatzungszone britischen Mandatszeit. Als im Frühjahr 1942 der Partisanen- Als nach dem Novemberpogrom von Nach der Besetzung durch deutsche und kampf der Slowenen gegen die italieni- 1938 an die 30.000 jüdische Männer in italienische Truppen im April 1941 wur- sche Besatzungsmacht begann, war die den Konzentrationslagern Dachau, de Jugoslawien aufgeteilt. Zagreb und Situation der Gruppe erneut gefährdet. Kroatien fielen unter deutsche Besat- Mit den italienischen Behörden musste zung, die Lage war damit für die Grup- man sich gut stellen, da sie den Aufent- Recha Freier erkannte bereits pe lebensbedrohlich geworden. Dies halt genehmigten, aber eigentlich sym- zwei Jahre vor der verdeutlicht der Fall einer Flüchtlings- pathisierten alle mit den Partisanen. In Machtübernahme der gruppe, die in der Ortschaft Kladovo, dieser Situation beschloss die Delasem, südöstlich von Belgrad, gestrandet war. die Gruppe nach Italien zu holen. Nach Nationalsozialisten, dass es Die Deutschen entdeckten sie im Herbst der Genehmigung durch das italienische für Juden keine Zukunft in 1941 und ermordeten sie auf der Stelle. Innenministerium wurde dazu am Ran- Indig gelang es, für 43 aus Deutschland de von Nonantola, wenige Kilometer Deutschland geben würde und Österreich geflüchtete Mädchen nördlich von Modena, die Villa Emma und Jungen sowie deren BegleiterInnen gemietet, die ihren Namen der Ehefrau Buchenwald und Sachsenhausen inter- eine Einreisegenehmigung der italieni- des Erbauers verdankte. Über Triest, niert wurden, besuchte sie zurückge- schen Behörden in den von Italien Venedig und Bologna kam die Gruppe bliebene Familien, trieb Geld für die annektierten Teil Sloweniens zu bekom- am 17. Juli 1942 am Bahnhof von Non- Unterstützung bei jüdischen Organisa- men. In Lesno brdo in der Nähe von antola an, wo sie von einer neugierigen tionen auf und bereitete die illegale Ljubljana fand die Gruppe in einem Menge erwartet wurde. Viel zu früh, Auswanderung vor. Als Recha Freier im Jagdschloss Unterschlupf. Die Enttäu- wie sich zeigte, denn auch hier stand Juli 1940 selbst flüchten musste, über- schung der Jugendlichen bei der das Haus vollkommen leer und die erste querte sie mit Hilfe von Schmugglern Ankunft war aber groß, denn was sich Nacht schliefen alle auf dem Boden. die Grenze nach Jugoslawien. In Zagreb wie ein Märchen anhörte entpuppte sich Die Delasem hatte mit einer späteren konnte sie jüdische Hilfsorganisationen als altes, völlig leeres Gebäude ohne Ankunft gerechnet und noch keine Vor- von ihrem Plan überzeugen, möglichst Strom und fließend Wasser. bereitungen getroffen. Wieder vergin- viele Kinder aus Deutschland nach Der Aufenthalt in Lesno brdo dauerte gen mehrere Wochen, in denen die Villa 34 Jugoslawien zu holen, um ihnen von etwas über ein Jahr, von Juli 1941 bis Emma von den Jugendlichen hergerich- tet wurde, bevor der strenge Tagesplan obwohl ihnen bei der Entdeckung die mit morgendlicher Hausarbeit und Todesstrafe gedrohte hätte. Die Mäd- nachmittäglichem Schulunterricht chen und Jungen blieben ungefähr fünf beginnen konnte. Wochen versteckt. In dieser Zeit such- Anfangs blieb die Gruppe unter sich, ten Josef Indig und Goffredo Pacifici, denn es gab eine Ausgangsbeschrän- ein Betreuer, nach einer Fluchtmöglich- kung – die Delasem befürchtete auf keit. Zusammen machten sich die bei- Grund der 1938 in Italien erlassenen den auf den Weg an die Schweizer Rassengesetze bei engerem Kontakt mit Grenze, wo sie in Ponte Tresa Kontakt den BewohnerInnen den Unmut der mit Schmugglern aufnahmen. Beiden Behörden. Diese war aber nicht lange wurden von den Behörden in Nonantola aufrecht zu erhalten. In Nonantola fehl- Dokumente ausgestellt, in denen der ten Arbeitskräfte und so arbeiteten die seit den Rassengesetzen von 1938 auch Jugendlichen bald überall mit, wodurch in Italien verpflichtende Zusatz ebreo, viele Freundschaften entstanden. Da die Jude, fehlte. Auch die Mädchen und Behörden keinen Einspruch erhoben, Jungen erhielten solche Dokumente, waren die Mädchen und Jungen der Vil- was eine Reise um vieles erleichterte. la Emma bald ständig und überall im Auch Recha Freier, die immer Kontakt Dorf zu sehen. Dies ist sicher mit ein zu der Gruppe hielt, half bei der Flucht Grund, warum viele der ehemaligen in die Schweiz mit. Sie kontaktierte Kinder von Nonantola heute erzählen, Schweizer Hilfsorganisationen, die die dass sie hier einen ganz normalen Alltag Unterstützung der Kinder in der und ein glückliches Leben geführt hät- Schweiz zusicherten und bei der ten. Schweizer Regierung intervenierten. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen Im April 1943 kamen 33 Kinder aus worden waren, überquerten die Kinder Split in die Villa Emma. Es waren über- in drei Gruppen mit Hilfe der Schmug- Führung durch die Ausstellung "Die Kinder der Villa Emma" in der Fondazione Villa Emma in Nonantola wiegend Waisen, deren Eltern in deut- gler bei niedrigem Wasserstand den in deutscher Sprache von Giennea Sighinolfi schen und kroatischen, vom nationali- Grenzfluss Tresa. stischen und rassistischen Ustascha- Neun der älteren Mädchen und Jungen Regime geführten Lagern ermordet versuchten die Alliierten im Süden zu worden waren. Nun lebten 73 Kinder erreichen. Dreien von ihnen gelang es, und 13 BetreuerInnen in der Villa die Frontlinie zu überschreiten. Max Für Recha Freier, „die unzählige Kinder Emma. Dafür war das Haus viel zu Federmann dagegen blieb bei einer vor der Vernichtung durch das Nazi- klein, es gab kaum Platz für alle. Aber Gruppe von Partisanen in der Region Regime nach Palästina rettete“, wurde auch die Sprachbarriere – die einen Marken und kämpfte an ihrer Seite bis in ihrem Todesjahr 1984 im Jüdischen sprachen deutsch, die anderen kroa- zur Befreiung. Vier Jungen und das Gemeindehaus, Fasanenstraße 79/80 in tisch, untereinander konnte man sich Mädchen kamen nur bis Rom. Von dort Berlin eine Gedenktafel enthüllt. nur auf italienisch unterhalten – und der kehrten sie im November nach Modena Umstand, dass die eine Gruppe schon so zurück um sich mit Goffredo Pacifici zu Dieter Binz lange zusammen lebte, sorgten für Pro- treffen. Er war nach der erfolgreichen bleme. Flucht der anderen wieder nach Italien zurückgekehrt, um weiteren Menschen Alle wurden innerhalb von bei der Flucht in die Schweiz zu helfen. Die Mädchen und Jungen 24 Stunden versteckt So führte er die fünf mit einer Gruppe der Villa Emma waren Juden über die Schweizer Grenze, wo bald ständig und überall Als am 25. Juli 1943 Mussolini abge- ihnen Aufenthalt gewährt wurde. Pacifi- setzt wurde, änderte sich in der Villa ci bezahlte sein Engagement mit dem im Dorf zu sehen Emma erst einmal nichts. Doch die Ein- Tod. Auf einem der vielen, von ihm richtung eines deutschen Militärkran- organisierten Flüchtlingstransporte in kenhauses in Nonantola und immer die Schweiz wurde er im Zug verhaftet, mehr deutsche Soldaten in den Straßen nach Auschwitz deportiert und dort ließen nichts Gutes ahnen. Als am ermordet. Professor Dr. Klaus Voigt hat in 3-jähriger Abend des 8. September der Waffen- Bis auf Salomon Papo aus Sarajevo Arbeit diese Informationen zusammengetragen und in dem Buch „Villa Emma. Jüdische stillstand Italiens mit den Alliierten ver- wurden alle Kinder aus der Villa Emma Kinder auf der Flucht 1940-1945“ (siehe kündet wurde, war allen schnell klar, gerettet. Er war nach einem kurzen Auf- Literaturliste) veröffentlicht. Mit den bei dass damit erneut ihr Leben bedroht enthalt in der Villa in eine Lungenheil- seinen Recherchen wieder entdeckten war. Josef Indig gelang es gemeinsam anstalt im Modeneser Apennin gebracht Dokumenten und dem Bildmaterial hat er eine mit dem Arzt Giuseppe Moreali, einem worden. Sein Name taucht das letzte Fotoausstellung erstellt, die seit 2002 in vielen Antifaschisten und dem Priester Don Mal im März ´44 auf einer Transportli- Städten zu sehen war. Als permanente Arrigo Beccari 30 der jüngeren Kinder ste vom Lager Fossoli nach Auschwitz Ausstellung ist sie inzwischen in Nonantola, in den Seminarräumen der Abteikirche auf. und zwar in einem der Häuser, die den unterzubringen. Die Räume standen Die geflüchteten Mädchen und Jungen Kindern nach dem 8. September Unterschlupf wegen der Sommerferien leer. Die blieben bis zum Ende des Krieges in der boten, zu sehen. Geführte Besichtigungen, auch auf deutsch, können dort unter der anderen Kinder und die meisten Betreu- Schweiz. Am 29. Mai 1945 schloss sich Telefonnummer 0039 333 8312306 gebucht erInnen wurden von ihnen innerhalb der Großteil mit Indig der ersten Fahrt werden. von nur 24 Stunden auf Familien in nach Palästina/Israel an. Nonantola verteilt. Die BewohnerInnen Nonantolas stimmten spontan zu, 35 Zeitzeugnisse Keines der jüdischen Kinder wurde entdeckt Disma Piccinini erinnert sich an die Kinder der Villa Emma

zusammen, aber dann schlossen wir später mitgeholfen. Wir waren ständig Freundschaft. Durch ihn lernte ich auch mit den jüdischen Kindern zusammen andere Kinder kennen, und wir spielten und haben ihnen so Schutz gegeben, dann immer zusammen. Aber auch haben ihnen Wege gezeigt, um den unter den Erwachsenen entwickelten Deutschen nicht zu begegnen, und sich enge Kontakte. haben nicht darüber gesprochen. Natürlich waren wir erst einmal über- rascht von ihrer Ankunft, aber auch sehr Praktisch der ganze Ort war beteiligt. neugierig. Wir Kinder wussten damals Nonantola hatte damals ungefähr 1.000 nichts über die Judenverfolgung. Non- EinwohnerInnen. Die Kinder wurden antola war ein sehr isoliertes Dorf und auf Familien verteilt, und da wir selbst Radio gab es keines. Die Presse unter- kaum etwas zu essen hatten, bereiteten lag der faschistischen Zensur, und in der die Nonnen zusätzliche Essensrationen Schule gab es nur faschistische Propa- und transportierten diese mit Schubkar- Disma Piccinini in der "Fondazione Villa Emma" in ganda. Vor allem nach der Einführung ren zu den Familien. Es wurden ja nicht Nonantola, Oktober 2004 der italienischen Rassengesetze 1938 nur die Kinder vor den Deutschen ver- wurde uns gelehrt, dass wir Juden has- steckt, sondern auch flüchtende italieni- sen sollten. Es hieß, wir Italiener wären sche Soldaten. Auch englische Solda- besser als Juden. Doch als die Kinder ten, die aus einem nahe gelegenen Mili- Disma Piccinini lebt in dem kleinen Ort der Villa Emma hier ankamen, habe ich tärgefängnis geflohen waren, mussten Nonantola in der Nähe von Modena in gemerkt, dass das gar nicht stimmte. versteckt werden. Es gab also in jeder Norditalien. Als im Sommer 1942 die Familie Personen, die versteckt wurden ersten der 73 jüdischen Kinder ankamen, Vor der Besetzung Italiens durch die und miternährt werden mussten. war er 12 Jahre alt. Deutschen war der Aufenthalt der Kin- Keines der jüdischen Kinder wurde ent- der durch das italienische Innenministe- deckt. Das ganze Chaos nach dem 8. rium genehmigt. Aber mit dem 8. Sep- September begünstigte diese Aktion. tember 1943 änderte sich alles. Jetzt Der italienische Staat existierte nicht waren alle akut bedroht. Mit dem Ver- mehr. Die Carabinieri hatten kein Inter- Disma Piccinini: In den ersten Tagen stecken der Kinder aus der Villa Emma esse an dem, was da passierte, die italie- nach der Ankunft gab es nur wenig begann in Nonantola der Widerstand, nischen Soldaten waren auf der Flucht Kontakte. Es gab zunächst ein Sprach- die Resistenza. Als diese dann geflohen und die deutschen waren als Besatzung problem. Die Kinder sprachen alle waren, gab es auch die ersten bewaffne- zwar anwesend, kannten sich aber noch deutsch und wir italienisch bzw. Dia- ten Widerstandsaktionen. Mit der Sta- nicht aus. Diese Zwischenzeit hat lekt. Die ersten Begegnungen entstan- tionierung von SS-Soldaten wuchs dann sicherlich den jüdischen Kindern zur den bei der Arbeit. Einige der Kinder nochmals der Widerstand. Flucht verholfen. waren in der Weingenossenschaft tätig, Die Leute hier wussten, dass die jüdi- Nach dem Krieg geriet die ganze die Mädchen arbeiteten außerdem bei schen Kinder gefährdet waren. Wir Kin- Geschichte in Vergessenheit. Erst als in einer Näherin und die Jungen bei einem der erfuhren nun hin und wieder etwas den 60er Jahren Josef Indig wieder nach durch Erzählungen der Erwachsenen Nonantola kam und unser Priester von über Konzentrationslager, über der Gedenkstätte Yad Vashem den In jeder Familie wurde Auschwitz, auch wenn wir nicht genau Ehrentitel eines „Gerechten unter den wussten, was das hieß. Die ganze Wahr- Völkern“ verliehen bekam, haben die nach dem 8. September heit haben wir erst später erfahren. In Kontakte wieder angefangen. Als Klaus jemand versteckt der Nacht zum 9. September 1943 wur- Voigt im Oktober 2001 dann diese Aus- den alle Kinder aus der Villa Emma stellung hier in Nonantola eröffnete, geholt und in Sicherheit gebracht. 32 kamen alle Überlebenden. Daraus sind Bauern. So waren sie eingebunden in Kinder wurden in den Räumen des Prie- dann auch wieder Freundschaften ent- die verschiedenen Bereiche des Dorfes. sterseminars versteckt, die anderen in standen. Ich war im gleichen Alter wie die Kin- den Familien von Nonantola. Dazu habe der aus der Villa Emma. Besonders an ich nicht viel beigetragen, ich war erst Fritz erinnere ich mich noch genau. Er 12 Jahre alt. Das waren die Erwachse- sah typisch deutsch aus: groß, blond mit nen hier vom Ort, hauptsächlich der 36 blauen Augen. Zuerst arbeiteten wir nur Priester und der Arzt. Wir Kinder haben Mit der Besetzung Italiens durch die Deutschen nach dem 8. September 1943 verschärfte sich die Situation jüdischer Menschen auf der Halbinsel. Bis dahin waren sie zwar aufgrund der 1938 erlassenen Rassengesetze starken Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, aber keiner Verfolgung. Nun führten die Deutschen auch in Italien eine Politik der Vernichtung ein.

Am 14. November 1943 verabschiedete Fossoli Oktober 2004 das von den Deutschen eingesetzte neue faschistische Regime sein Regie- rungsprogramm, mit dem Jüdinnen und Juden zu NichtitalienerInnen und zu Teil des deutschen Angehörigen einer feindlichen Natio- nalität erklärt wurden. Damit begann die systematische Verfolgung aller ita- Lagersystems lienischen und in Italien lebenden Jüdinnen und Juden. Bei diesem mör- Das Polizei- und Durchgangslager Fossoli derischen Projekt wurde die nach der bereits rassistisch ausgerichteten Volks- Das Lager wurde jetzt in zwei Blöcke erinnert. Das Lager Fossoli ist mittler- zählung im August 1938 angefertigte unterteilt: ein Block für jüdische Fami- weile zerfallen und von Bäumen und "Judenkartei" genutzt, um die nazifa- lien, der zweite für politische Gefange- Sträuchern überwachsen. Seit 2002 schistischen Razzien und Vergeltungs- ne (PartisanInnen, Oppositionelle, wird das Lager in kleinen Schritten als maßnahmen schneller durchführen zu Wehrdienstverweigerer, Streikende aus Gedenkstätte eingerichtet. Bisher hält können. Es trat eine Verordnung in Mailand und Turin... ). Während die Kraft, die vorsah, jüdische Menschen in jüdischen Menschen - zwei Drittel aller Konzentrationslagern zu sammeln. Von jüdischen Deportierten aus Italien wur- Mit absurder Präzision nahmen den ca. 40.000 Jüdinnen und Juden, die den über Fossoli "verbracht" - haupt- vor dem Zweiten Weltkrieg in Italien sächlich nach Auschwitz kamen, so die Deutschen den Appell vor. gelebt hatten, wurden 8.500 verhaftet auch der Schriftsteller und Partisan Pri- ''Wieviel Stück?'' ''660 Stück!'' und deportiert. 7.500 starben in deut- mo Levi, wurden die politischen Gefan- am Vorabend seiner Deportation schen Lagern. Die größten Lager in Ita- genen in unterschiedliche Vernichtungs- nach Ausschwitz lien waren neben Fossoli die von San lager gebracht: Mauthausen, Bergen- Sabba di Trieste, Bozen und Borgo San Belsen, Buchenwald, Ravensbrück oder das 1973 eröffnete, sehr sehenswerte Dalmazzo. Dachau. und beeindruckende Museo Monumen- Das Durchgangslager Fossoli war kein to al Deportato im historischen Zentrum 19. Februar 1944: Vernichtungslager. Es gab keine Ein- von Carpi die Erinnerung wach. der erste Transport richtungen zur organisierten Zwangsar- beit oder zur organisierten Tötung. Dieter Binz 1942 beschloss die italienische Regie- Trotzdem war es Schauplatz von Miss- rung, in Fossoli ein Kriegsgefangenen- handlungen, Folter und Hinrichtungen. Museo Monumento al Deportato lager einzurichten. Hier wurden ab Mai Am 2. August 1944 fand die letzte Im Palazzo Pio, Piazza dei Martiri, Carpi 1942 vor allem britische, neuseeländi- Deportation statt. Danach lösten die Öffnungszeiten: Do/Sa/Sonn- und Feiertags sche und australische Soldaten aus dem Deutschen Fossoli aus Sicherheitsgrün- 10 - 12.30 h und 15.30 - 19.00 h www2.comune.carpi.mo.it/musei/sito/depo/ Nordafrika-Krieg in Zelten interniert. den auf und deportierten die verbliebe- Anfang 1943 ersetzte man diese durch nen Gefangenen nach Bozen. 70 politi- Campo di Fossoli Baracken. Nach dem 8. September sche Gefangene, deren Transport als zu Das Lager Fossoli liegt ca. 6 km nördlich 1943 wurde Fossoli Teil des deutschen unsicher erschien, waren einen Monat von Carpi (im Museum ist eine Lagersystems. Ab Januar 1944 über- zuvor in der Nähe von Carpi erschossen Wegbeschreibung erhältlich). Es ist nahmen SS-Untersturmführer Karl worden. Zwei Gefangenen gelang auf umzäunt und von außen einsehbar. Titho und SS-Hauptscharführer Hans dem Weg zur Hinrichtung die Flucht. Geöffnet Sonntagnachmittag (Stand Haage mit einer 40 Mann starken SS- In den knapp sieben Monaten, in denen September 2002). www.fondazionefossoli.org Einheit das Kommando. Fossoli lag an Fossoli von der SS geführt wurde, ver- der Nord-Süd Verbindung der Eisen- ließen sieben Deportationszüge das Die Stadt Carpi erreicht man mit dem Auto bahnstrecke über den Brenner und bot Lager, davon fünf nach Auschwitz. Ins- von Norden kommend auf der somit logistische Voraussetzungen als gesamt wurden von hier etwa 5.000 Brennerautobahn A 22, letzte Ausfahrt vor Durchgangslager zur Deportation. Am Menschen deportiert. dem Autobahnkreuz mit der A 1 bei 19. Februar 1944 verließ der erste Modena. Mit dem Regionalzug Verona - Transport Fossoli in Richtung Bergen- Am Bahnhof von Carpi, von dem die Modena, Bahnhof Carpi. Belsen. Deportationszüge losfuhren, steht heute Literaturtipp: Primo Levi: Ist das ein ein Gedenkstein, der an das Geschehene Mensch? München 1998 37 Lageralltag Die Venezianerin Amalia Navarro ist 27 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter in Fossoli und ihren Geschwistern im Mai 1944 Odoardo Focherini, Journalist aus von den Deutschen in das Carpi, wurde in Fossoli inhaftiert. Er Durchgangslager Fossoli bei Carpi hatte 105 jüdischen Menschen zur deportiert wird. Flucht in die Schweiz verholfen. In Fossoli konnte ihn seine Frau besu- chen. Es gab dafür nach Aussage von Frau Focherini sogar eine eigene Die ehemalige Besuchsbaracke im Durchgangslager Fossoli Besuchsbaracke. Diese Aussagen von ZeitzeugInnen und Überlebenden sind nahezu die einzige Möglichkeit, Zeitzeugnisse den Alltag in Fossoli zu rekonstruie- ren. Es gibt kaum Unterlagen über dieses Durchgangslager, da sie alle "Wir hätten uns alle von den Nazi-Truppen bei ihrem Abzug vernichtet wurden. Auch konnten die Inhaftierten Briefe selbst umgebracht" und Päckchen empfangen. Diese unterlagen zwar der Zensur, die aber „Der Eindruck, den wir am Lagereingang mit einer Decke in der Nacht etwas Ruhe nicht sehr streng gewesen sein muss. erhielten, war entsetzlich. Schließlich hat- finden. (...) Vor allem Lebensmittel, aber auch ten wir bis dahin noch nichts Schlimmeres Wir wurden zu keiner Arbeit gezwungen, Geld wurden geschickt, denn für gesehen. Aber nachdem wir nach einiger und es gab auch keine Appelle. Wir konnten Essen musste im Lager bezahlt wer- Zeit alte Bekannte wieder getroffen und alle zusammen bleiben, und das war uns ein den. mit den anderen Gefangenen neue Freund- großer Trost. Morgens konnten wir selbst Die Baracken im jüdischen Block des schaften geschlossen hatten, konnten wir bestimmen, wann wir aufstanden, und bis Lagers waren in kleine Zimmer unter- uns dort etwas einleben. nachts um 10 Uhr konnten wir uns ungehin- teilt, in denen die Familien zusammen Zum Glück war das deutsche Kommando dert innerhalb des Lagers bewegen. Wenn leben konnten, um einen relativ nor- nicht in unserem Lager stationiert. Wir die Sonne schien, sonnten wir uns, und malen Alltag vorzutäuschen. Dies wurden von italienischen Aufsehern abends trafen wir Jungs (wir lebten nicht gelang nur bedingt, denn die Häftlin- bewacht, die human waren und uns gut getrennt von den Männern). Manchmal ge mussten im Januar und Februar behandelten. Es waren Kriegsgefangene, tanzten wir sogar etwas, um für einen 1944 in Ermangelung von Feuerholz die aus Deutschland kamen. Sie hatten Moment unser ungewisses Schicksal zu ihre Betten verheizen um nicht zu unter der Voraussetzung nach Italien vergessen. Trotzdem empfanden wir diese erfrieren. zurückkehren können, dass sie in den Gefangenschaft als sehr hart. (...) Die Menschen bekamen bei ihrer Ein- Konzentrationslagern die Überwachung Als wir erfuhren, dass Rom von den Alliier- lieferung eine Nummer. Sie wurde ten eingenommen worden war, gaben wir nicht tätowiert, sondern musste auf uns der Illusion hin, dass wir bald befreit einem Band um den Arm getragen werden würden. Wir lebten von dieser werden. Sie sollte angeblich dazu die- "Wenn du wie ich gesehen Hoffnung, denn wenn wir uns nur annä- nen, den Verwaltungsaufwand für den hättest, was sie die Juden hernd hätten vorstellen können, was uns Lohn zu vereinfachen, den die Häft- erleiden ließen, würdest du noch erwartete, wir hätten uns alle in Fos- linge nach ihrer Deportation nach soli selbst umgebracht.“ Deutschland für ihre dort zu leistende nichts bereuen, außer dass du Arbeit bekommen sollten. Dies wurde nicht mehr retten konntest ..." Bei der Ankunft in Auschwitz wird ihre den jüdischen Menschen auch als Grund für ihre Inhaftierung genannt. Odoardo Focherini Mutter sofort ermordet. Sie ist erst 48 Jahre alt. Auch Amalias Bruder wird getötet. Mit dieser Lüge, den geschilderten Amalia Navarro überlebt die Konzentra- Lagerbedingungen und der Tatsache, übernahmen. Sie hatten tatsächlich nichts tionslager Auschwitz, Bergen-Belsen, dass die meisten nur ein bis maximal mit den deutschen Wachen gemeinsam. Buchenwald und Theresienstadt. Nach der zwei Monate im Lager verbrachten, (...) Befreiung gelingt ihr die Rückkehr nach wurden die Häftlinge ruhig gehalten Nachdem wir die erste Woche auf den Stu- Venedig. Am 20. September 1945 schreibt und die Transporte in die Vernich- fen der Baracken hatten übernachten müs- sie ihre Erinnerungen auf. 2002 werden die- tungslager gezielt verschleiert. sen, weil kein anderer Platz vorhanden se Aufzeichnungen erstmalig unter dem Odoardo Focherini wurde nach Flos- war, konnten wir uns mehr schlecht als Titel „Siamo ancora vive!“ (Wir leben senbürg deportiert und starb im recht im Inneren einrichten. Die Baracken noch) veröffentlicht. Außenlager Hersbruck an Blutvergif- bestanden aus jeweils zehn Räumen, und Nadja Bennewitz tung auf Grund einer unbehandelten einen Raum mussten sich sechs bis sieben Beinverletzung. Menschen teilen; obwohl es keine Betten Amalia Navarro: Siamo ancora vive! Mit einem gab, konnten wir doch auf den Strohlagern Vorwort von Moni Ovadia, Edizioni Messaggero Dieter Binz 38 Padova 2002, ISBN 88-250-1032-X Zeitzeugnisse "Diese Leute morgen früh kein Brot" Der Militärinternierte Carlo Porta

Carlo Porta: Am 8. September feierte große Batteriefabrik - dort wurden auch meine Einheit gemeinsam mit etwa 150 Batterien für Panzerfahrzeuge gebaut - deutschen Soldaten das Kriegsende. wurde ständig bombardiert und wir Italiener und Deutsche legten ihre Uni- mussten immer wieder aufräumen. Ich formen weg. Kurz darauf erhielten die musste dann auch während der Luftan- deutschen Soldaten jedoch den Gegen- griffe arbeiten. Irgendwann habe ich befehl, sie zogen ihre Uniformen wie- aufgehört mich vor den Bomben zu der an und nahmen uns fest - alle, vom verstecken und nur gehofft, dass alles einfachen Soldaten bis zum Offizier. gut geht. Unser Tag begann sehr früh. Zu Fuß und mit Karren mussten wir Man wurde um 5 Uhr geweckt, danach Carlo Porta Richtung griechischer Grenze zu einem ging es 2 km zu Fuß zum Bahnhof. Bahnhof laufen. Dort wurden wir in Zurück kamen wir oft erst abends um 9 Eisenbahnwagons gepfercht und nach Uhr. Mittags aß man dort, wo man gera- Carlo Porta musste die Jahre 1939 bis 1942 Deutschland deportiert. 17 Tage ver- de arbeitete. Es gab gestampfte Kartof- aufgrund seiner antifaschistischen brachten wir in diesen Wagons auf dem feln mit etwas Margarine. Für den rest- Oppositionstätigkeit in einem süditalieni- Weg über Berlin ins Durchgangslager lichen Tag blieb uns nur Brot, das man schen Straflager verbringen. Nach seiner Neubrandenburg. sich in Portionen schnitt, um jede Stun- Entlassung wurde er vom örtlichen Über 30.000 Häftlinge waren dort de ein winziges Stück davon zu essen. inhaftiert. Gleich zur Begrüßung er- Und abends, wenn wir Brot schnitten faschistischen Parteisekretär als Wehr- wähnte der Lagerführer das Massen- und die Krümel auf dem Tisch lagen, pflichtiger gemeldet und zum Militär grab hinter dem Lager, in dem bereits rissen sich alle darum, den Tisch sauber eingezogen, dem er sich eigentlich hatte 16.000 Häftlinge begraben seien. Wenn zu machen. Das schlimmste war der entziehen wollen. Nach den Vorschriften wir uns entsprechend benähmen, wür- abendliche Zählappell. Einer fehlte hätte er als "unzuverlässiger" Soldat gar den wir überleben - wenn nicht, würden immer, manche waren einfach schon auf nicht in Albanien stationiert werden wir uns bei den 16.000 wieder finden. ihren Lagern eingeschlafen. Wir mus- dürfen. Wenige Tage vor dem 8. Septem- Aber wir waren jung und konnten auch sten dann oft eine Stunde Gymnastik ber erging ein Befehl des italienischen über manche Dinge lachen. Am ersten machen, auch im Regen. Ministeriums, dass er unter Bewachung Morgen kamen Soldaten und riefen Den härtesten Kampf mussten wir Mili- nach Italien zurück zu schicken sei. Aber "Aufstehen! Aufstehen!" Und wir sag- tärdeportierte austragen, als Hitler zwischen der albanischen und italienischen ten: "Ah, auf geht's zum Kaffeetrin- beschloss, unseren Status als Kriegsge- ken." Bloß, dass den Kaffee nur sie fangene aufzuheben. Man forderte uns Küste operierten bereits englische U- tranken. Wir verstanden, dass dies der auf, in die Division Monterosa einzutre- Boote, so wurde der Abfahrtstermin über Weckruf war, und diese Worte habe ich ten - eine Einheit der faschistischen den 8. September hinaus verschoben. nie verlernt. Schwarzhemden. Man hätte also zumin- Schließlich wurde er von dort als In Neubrandenburg blieb ich ungefähr dest nach Italien zurückkehren können. Militärinternierter nach Deutschland drei Monate lang. Wir mussten in einer Ein Offizier aus Sardinien und ich deportiert. Ziegelfabrik fertige Steine auf LKW's kämpften dafür, dass niemand sich dazu und Züge verladen. bereiterklärte. Wir glaubten nicht, dass Im Lager war auch jemand von der sie uns nach Italien zurückschicken waltung. Mehrere Monate musste ich faschistischen Miliz und ein Soldat der würden, sondern an die russische Front. auf eine Transportmöglichkeit nach Ita- Armee, beide hätten mich eigentlich Der Lagerführer befahl daraufhin: "Die- lien warten. Am 12. September 1945 vor dem 8. September von Albanien se Leute morgen früh kein Brot" [diese kam ich dann als einer der Letzten nach nach Italien zurückbegleiten sollen. Sie Worte sind Carlo Porta heute noch auf hatten deshalb meine gesamten Unter- Deutsch im Gedächtnis]. Die Ausein- lagen. Sogar diese beiden überzeugten andersetzung dauerte zwei bis drei Ich habe nie den Mut Faschisten wurden deportiert. Ich hatte Monate, aber 300 Häftlinge haben nicht verloren und mir gesagt, also die ganze Zeit große Angst, dass unterschrieben. Irgendwann haben sie meine Vorgeschichte als politischer aufgegeben, aber wir bekamen viele bevor ich sterbe, sterben der Gefangener herauskommen würde. Abende kein Brot. Es gab auch Lager, in Führer und Mussolini - und Zum Glück wurden sie mit Arbeitskom- denen die Unterschriften mit Gewalt so war es dann auch mandos in andere Städte geschickt. So erzwungen wurden. verloren wir uns aus den Augen und Eines Tages standen amerikanische meine Unterlagen sind nie mehr aufge- Panzer da, es war soweit, wir waren Hause zurück. Seit zweieinhalb Jahren taucht. befreit. Wir sind dann in verschiedene wussten wir nichts mehr von unseren Mit dem Vorrücken der Sowjets musste Gefangenenlager hin und her geschoben Angehörigen und waren in großer Sor- ich für ein Jahr ins Ruhrgebiet, unge- worden, mal unter amerikanischer, mal ge, was wir vorfinden würden, wenn wir fähr 30 km von Essen entfernt. Eine unter sowjetischer oder englischer Ver- zurückkehrten. 39 Roberto Torelli wurde bei der Deportation Operation "Wallenstein", einer großangelegten und Zwangsarbeit Durchkämmungsaktion gegen Partisanen und zur Nach der Besetzung Italiens wurden die Gefangennahme von Zwangs- arbeitern, "vom Feld weg" vormalig freiwilligen italienischen Zivilisten verhaftet und nach Deutsch- "Arbeitsbrüder" in Deutschland zu verhaftet und nach Deutschland land deportiert. deportiert. Gefangenen. Auch innerhalb Italiens Etwa 600.000 italienische Soldaten, die wurden Menschen von den Nazis auf dem Balkan und in Frankreich sta- verschleppt und zur Arbeit in Industrie, tioniert waren oder von deutschen Trup- Landwirtschaft oder an der Front pen nach dem 8. September in Italien gezwungen. Die Organisation dieser entwaffnet wurden, wurden nach Zeitzeugnisse Sklaverei lag in der Hand der Deutschland deportiert. Sie sind nach Organisation TODT. Zu Beginn des den momentanen Bestimmungen von Jahres 1945 mussten 240.000 Menschen Entschädigungszahlungen ausgeschlos- sen, da die Stiftung der Industrie und Acht Pferde Frontbefestigungsarbeiten leisten. das Bundesfinanzministerium sie als Kriegsgefangene deklariert, was sie Zwangsarbeit in einer 1938 lief die deutsche Kriegsproduktion damals faktisch nicht waren. Die Nazis auf Hochtouren. Das Deutsche Reich hat- erkannten ihnen diesen Status ab und te hohen Bedarf an Arbeitskräften. Ab zogen sie zu Zwangsarbeit in der Indu- Roberto Torelli: Ich bin Jahrgang März des selben Jahres kamen "freiwilli- strie und zu Aufräumarbeiten heran. Ein 1927. Wenn man in dieser Zeit gebo- ge" ArbeiterInnen aus Italien nach bestelltes Gutachten des Völkerrechtlers ren wurde und zur Schule ging, war Deutschland. Sie wurden in Italien von Christian Tomuschat sollte die Haltung es schwierig ein antifaschistisches den Faschisten mit Fahnen und Musik der Geldgeber untermauern. Tomuschat Bewusstsein zu entwickeln. Ich habe verabschiedet und in Deutschland von den argumentiert damit, dass das Vorgehen die italienische Balilla-Jugend mitge- Nazis offiziell und feierlich begrüßt. Die- der Nazis völkerrechtswidrig gewesen macht, das entspricht etwa der Hitler- se Menschen, die zum Arbeiten nach sei, also müssten die italienischen Inter- jugend. Dort wurde mir was geboten, Deutschland kamen, waren neben Faschi- nierten rechtlich heute als Kriegsgefan- deren Freizeitangebot nahm ich ger- sten, die den Bündnispartner unterstützen gene betrachtet werden. Dieser Argu- ne an, denn ich komme aus einer sehr wollten, arme BäuerInnnen und Arbeiter- mentation folgte letztendlich auch das armen Familie. Mein Vater emigrier- Innen. Die Arbeitslosigkeit in Italien war Bundesverfassungsgericht. Durch des- te in den 30er Jahren als Arbeiter hoch und vor allem auf dem Land und im sen Entscheidung von 2004 ist wohl nach Deutschland, kehrte aber wegen Süden herrschte Hunger. Doch mit der endgültig ausgeschlossen, dass italieni- seiner Gesichtslähmung Anfang der Absetzung Mussolinis am 25. Juli 1943 sche Militärinternierte eine Entschädi- 40er Jahre zurück. Er war politisch wurden aus den "Arbeitsbrüdern" Gefan- gung erhalten können. nicht sehr interessiert und hatte gene. Für mehr als 100.000 italienische nichts gegen meine Aktivitäten bei ArbeiterInnen wurde damit Deutschland Heike Herzog der Balilla-Jugend. zum Gefängnis. Die Besetzung Italiens bot Nazi-Deutsch- land die Möglichkeit, die dortigen Postkarte von Roberto Torelli aus dem Lager an seine Familie menschlichen Ressourcen auszubeuten. Die Pläne des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel sahen vor, im Herbst '43 über 300.000 italieni- sche Arbeitskräfte für die deutsche Indu- strie und Landwirtschaft zu rekrutieren. Im Jahr 1944 sollten sogar 1,5 Millionen ItalienerInnen zur Verfügung stehen. Man versuchte auf der einen Seite, durch Prä- mien und Appelle "Freiwillige" anzuwer- ben, was in einem bestimmten Umfang auch gelang, da die materielle Situation sich seit 1938 durch den Kriegseintritt Ita- liens noch weiter verschlechtert hatte. Zum anderen wurden bei Razzien und Vergeltungsmaßnahmen gegen die Bevöl- kerung im Zuge der PartisanIn- 40 nenbekämpfung - zumeist männliche - wir die Munition auf Lastwagen verla- den, die oben deutlich mit einem Roten Kreuz gekennzeichnet waren. Noch vor Tagesanbruch mussten die 30-40 Rot- Kreuz-LKW´s den Ort verlassen haben, damit sie nicht so leicht mit der Muni- tionsfabrik in Verbindung gebracht wer- den konnten. Die hygienischen Bedingung waren miserabel. Die Schlafbaracken und die Wagons, aus denen wir das Schießpul- ver ausladen mussten, waren voller Ungeziefer. Wir durften nur einmal in der Woche duschen. Für 75 Leute gab es nur fünf Duschen. Da waren wir unter- einander nicht immer solidarisch und haben uns auch schlecht behandelt. Ostern 1945 mussten wir zusammen mit einer deutschen Sprengmeistereinheit das ganze Gelände verminen. Ein paar Roberto Torelli Tage später traten alle Zwangsarbeiter unter deutscher Bewachung den Evaku- ierungsmarsch an. Aus der Ferne hörten wir ein Erdbeben - das waren unsere 80 oder 40 Männer Bunker, die nun in die Luft flogen. mittelfränkischen Munitionsfabrik Wir schliefen unter Bäumen und Brü- cken. Unsere Bewachung war der Über- setzer aus dem Lager - ein noch rüstiger Mit 17 Jahren arbeitete ich gegen Ver- Wiesbaden gebracht. Dort wurden auch 80-jähriger Mann aus dem Friaul, der pflegung auf einem Bauernhof im Italiener ausgebildet, die sich dem deut- Italiener hasste. Irgendwer hatte schon Apennin. Am 6. August 1944 kamen schen Militär anschlossen, um nicht alliierte Panzer gesehen. Der alte Mann deutsche Soldaten und befahlen: "Schu- Zwangsarbeit leisten zu müssen. Für bekam Angst und wollte nicht mehr he anziehen und mitkommen". Ich war Kollaborateure gab es dort Toiletten, für weiter: "Die älteren bleiben besser mit barfuß, denn bei der Arbeit wollte man die anderen nur ein großes Erdloch mit mir hier und die jüngeren, die Rachege- sich nicht die guten Schuhe ruinieren. In Baumstamm. danken haben, gehen alleine weiter." 60 Unterhemd und kurzer Hose wurde ich Die gefangenen italienischen Soldaten Deportiere und ich gingen. Unsere Stra- mitgenommen. Die Deutschen schlepp- wurden ein wenig besser behandelt als tegie war, uns nicht wie ein Haufen zu ten uns dann von Bauernhof zu Bauern- wir Zivilisten. Die Deutschen hofften, hof und zwangen uns, ein Drittel des dass sie sich doch noch zum Militär- Viehbestands einzusammeln. Unsere dienst bereit erklären würden. Wenn die Eisenbahn Gruppe wurde schließlich getrennt, die bombardiert wurde, politischen Leute wurden nach Fossoli Danach kam ich mit 120 anderen nach und wir unpolitische Jungs nach Verona Berlin. Wir mussten nach Bombenan- mussten wir die Munition in eine Kaserne gebracht. Ein Woche griffen die "Krümel" auflesen: Eisentei- auf Lastwagen verladen, die später sperrten sie uns in Viehwagons. le von zerstörten Fabriken einsammeln, deutlich mit einem Roten Ich erinnere mich noch an die Schilder die dann wohl wieder verwertet werden an den Türen: "Acht Pferde oder 40 sollten. Dann wurde ich in das Lager Kreuz gekennzeichnet waren Männer". So standen wir zu vierzigst im einer Munitionsfabrik in Langlau bei Viehwagon und bekamen einen Ballon Gunzenhausen (Mittelfranken) ge- mit 30 Litern Wasser für drei Tage bracht. 225 ZwangsarbeiterInnen arbei- bewegen, sondern kolonnenartig tags- Eisenbahnfahrt. Ich hatte ein kleines teten dort. Etwa 150 Frauen aus der über auf der Straße zu gehen. Kamen Anspitzermesserchen für Bleistifte Ukraine und 75 Italiener. Daneben gab uns Deutsche entgegen, sagten wir, dass dabei. Da kam mir die Idee, eines der es viele einheimische Arbeitskräfte aus wir nur zum nächsten Ort unterwegs Bretter im Fußboden durchzusägen, der ganzen Umgebung. sind, dessen Namen ich auch immer nach unten zu gleiten und den Zug über Wir wurden hauptsächlich zum Be- und nennen konnte. Das hat auch funktio- mich hinweg fahren zu lassen. Die Entladen von Munitionstransporten ein- niert, ein bisschen, weil wir uns eine Bodenbretter waren sehr dick. Niemand gesetzt. Es war eine sehr große Anlage, Form gaben, und natürlich auch, weil hat mir geholfen, niemand hat daran ca. 80 Bunker mit Eisenbahnanbindung sich die Deutschen inzwischen völlig im geglaubt, dass man dieses Brett mit so in einem Waldstück. Fast jede Nacht Auflösungsprozess befanden. Am 1. einem Messerchen durchschneiden kön- verließen Munitionstransporte die Mai überquerte ich den Brenner. Es fie- ne. Meine Hände bluteten, aber ich Fabrik. In der Regel mussten wir 10-12 len riesige Schneeflocken und die Deut- schaffte es. Als ich den Kopf rausstreck- Stunden pro Tag arbeiten, außer am schen dachten nur noch daran wegzu- te, sah ich am Ende des Konvois die Sonntag. Normalerweise kommandier- kommen. Anhängerkupplung baumeln, die mich ten uns ältere und auch invalide zivile erschlagen hätte. So gab ich meinen Vorarbeiter. Aber manchmal befehligten Fluchtversuch auf. uns auch Luftwaffensoldaten: Wenn die Ich wurde in eine große Kaserne nach Eisenbahn bombardiert wurde, mussten 41 Denkmal für die Verfolgung Homosexueller in Rom. Die fünf Metall-Silhouetten symbolisieren fünf Häftlingsgruppen. Die erste Silhouette trägt den Rosa Winkel. Der Platz auf dem das Denkmal steht, wurde von den Nazis verwendet, um bei Razzien gegen die Zivilbevölkerung Verhaftete zusammenzutreiben und von hier aus zu deportieren.

Abwesenheit keinesfalls Toleranz oder gar die Anerkennung der Rechte Homo- sexueller. Der Gesetzgeber negierte vielmehr die Existenz von Homosexuel- len und wählte damit eine Strategie, die dem Verschweigen und Negieren mehr Erfolgsaussichten beimaß als der offe- nen Androhung und Anwendung von Repression. Im Entwurf des faschistischen Geset- zeswerkes war ein entsprechender expliziter Antihomosexuellen-Para- graph allerdings noch vorgesehen und fand damals Beifall in breiten gesell- schaftlichen Kreisen. In der Endfassung fiel er dann aber zugunsten der Strategie der „Repressiven Toleranz“ (Giovanni ''Die Angst war enorm ...'' Dall’Orto) weg. Man erinnerte sich an die Diskussionen Die Verfolgung Homosexueller im Faschismus um Oscar Wilde in England oder Mag- nus Hirschfeld in Deutschland, beides Länder, in denen ein entsprechender Antihomosexuellen-Paragraph existier- te, und beschloss den Weg des maximal „Sie kamen nach Mitternacht an meine möglichen Schweigens zu wählen. Man Tür. Sie klopften und riefen: Sind Sie es betitelte Homosexualität nicht, um "Nur eine einzige Frau fühlte sich in L. G.? Kommen Sie, der Kommissar Homosexuelle in die Einsamkeit und der Lage, sich für meinen will mit Ihnen reden. Und so haben sie Isolierung zu treiben und jedes Gefühl Dokumentarfilm offen vor die Kamera uns ins Gefängnis gebracht, wo wir 15 von Solidarität zu ersticken. zu stellen", erzählt die italienische Tage eingesperrt waren.“ Der italieni- Filmemacherin Gabriella Romano. sche Faschismus, wie der deutsche Die Negierung und Pathologisierung Nationalsozialismus, verfolgte in den traf Lesben noch stärker als homose- Und Giuseppe B., 74 Jahre, aus Jahren seiner Herrschaft Homosexua- xuelle Männer. „Ich habe das Wort Les- Salerno ist etwas verwundert, dass lität als „gemeinschaftsschädliches Ver- be das erste Mal in den 50er-Jahren nach so vielen Jahren jemand etwas gehen“, später als „Verunreinigung der gehört“, erinnert sich eine Zeitzeugin, über seine Geschichte wissen will, Rasse“. Auch wenn in Italien nicht das die anonym bleiben will. Lesben wur- aber auch er will nicht, dass eine gleiche Ausmaß bezüglich der Anzahl den im Faschismus für hysterisch Tonaufnahme des Interviews oder der Verfolgten sowie der Schwere der erklärt, als psychisch gestört abgestem- Fotos gemacht werden. Repression wie in Nazi-Deutschland pelt oder Exorzismen und Teufelsaus- Die Angst war enorm, die Angst erreicht wurde, so gab es auch unter treibungen unterzogen. entdeckt zu werden, als psychisch Mussolini Maßnahmen der Freiheitsbe- „Das Modell der arbeitsamen und gestört erklärt oder verraten zu raubung für Hunderte von Personen auf- gehorchenden Frau, des jungen Mäd- werden. Die Angst vor Verhaftung, grund ihrer sexuellen Präferenz. Die chens, das in den Duce (Mussolini) ver- Faschisten griffen die vorherrschende liebt ist, der heroischen Mutter, die vor Exorzismen oder vor der Homophobie auf und verstärkten das immer die männliche Autorität aner- Verbannung. Und die Angst blieb, Klima von Angst, Intoleranz und kennt, verstärkt durch eine einengende, zusammen mit der Scham, zugedeckt Schweigen, das, wie oben beschrieben, die Luft abdrückende Propaganda ver- durch das Schweigen und die bis heute seine Auswirkungen hat. folgte die Frauen.“, beschreibt die Ignoranz der Gesellschaft - bis heute. Regisseurin Gabriella Romano die Situ- Das faschistische Gesetzeswerk hatte ation von Frauen und Mädchen im keine speziellen Gesetze gegen Homo- Faschismus. „Es war eine verdeckte sexualität, keinen § 175 wie etwa Nazi- aber minutiöse und sehr effektive Form 42 Deutschland. Allerdings bedeutete diese der Repression“. Diese äußerte sich zwar kaum in Strafmaßnahmen (In den auf lokaler, administrativer Ebene sehr den zwischen 1938 und 1943 in die Ver- örtlichen Polizeiakten findet sich die wohl möglich, mit dem Vorwurf der bannung geschickt. Eine Zahl, die noch Akte einer einzigen Frau, die unter dem Päderastie und dem Vorwurf der Erre- sehr ungenau ist, da aufgrund des italie- Vorwurf der Homosexualität eingesperrt gung öffentlichen Ärgernisses homose- nischen Archivgesetzes noch nicht alle wurde. Sie war vom Ehemann einer xuelle (Männer) zu verfolgen. In Giu- Akten einsehbar sind. Freundin denunziert worden), aber sie seppe B.’s Akte ist zu lesen, er habe eine Die Maßnahme der Verbannung wurde traf Frauen überall. ernste Gefahr für die Gesellschaft dar- vor allem ab 1938 angewendet. 1938 „Eines ihrer Resultate war die Selbstbe- gestellt, da er häufig zu Skandalen wurden in Italien die Rassengesetze ein- schränkung, die bis heute überlebt hat“, Anlass gebe, wenn er geschminkt auf geführt, begleitet von zahlreichen rassi- so Romano weiter. „Mir gefiel ein Mäd- der Straße erscheine, ein Anblick, von stischen Texte und Arbeiten. Diese ide- chen, und deswegen hatte ich immer dem sich die Passanten angeekelt fühl- ologische Verschärfung in Italien schlug Angst vor meiner Mutter und dem Pfar- ten. sich auch in der Verfolgung Homose- rer, der zu uns ins Haus kam. Erst Jahre Als Repression gegen (männliche) xueller nieder, da es nun um den später, nach dem Tod meiner Mutter, Homosexualität wurden Verwarnungen „Schutz der Rasse“ ging. Die italieni- gelang es mir meine Lähmung zu über- ausgesprochen, die signalisieren sollten, sche Politik näherte sich schon ab 1936 winden“, konkretisiert eine Zeitzeugin. dass die betreffende Person in Zukunft dem nationalsozialistischen Bündnis- Für viele Frauen und junge Mädchen unter Kontrolle stehe – eine polizeiliche partner an. Homosexuelle wurden nun blieb nur die Isolierung und die Einsam- Maßnahme, die ohne Anhörung des als antifaschistisch, und damit als poli- keit. „Die Männer hatten wenigstens Betroffenen angeordnet wurde. Eine tisch eingestuft. Gegner, die die Bestim- heimliche Treffpunkte.“ (Romano) weitere Repressalmaßnahme war eine mung der Männlichkeit innerhalb der Art Hausarrest, bei der die beschuldigte Rasse nicht respektierten und somit eine Auch wenn die faschistische Gesetzge- Person nur zu bestimmten Zeiten das Gefahr der „Degeneration” darstellten, bung keinen expliziten Antihomose- Haus verlassen konnte, keine öffent- bzw. sich einer „Verbesserung der Ras- xuellen-Paragraphen beinhaltete, war es lichen Orte aufsuchen durfte und sich se” widersetzten. täglich bei den Behörden melden mus- ste. Ein anonymer Zeitzeuge erzählt: „Nein, wir konnten nicht mehr ohne Die Faschisten griffen die weiteres das Haus verlassen, wir wur- vorherrschende den kontrolliert. Man verurteilte uns zu zwei Jahren Hausarrest. (...) Wir mus- Homophobie auf und sten sehr vorsichtig sein. Man hat uns verstärkten das Klima von auch gedroht, wenn sie uns wieder fest- Angst, Intoleranz und nähmen, würden sie uns diesmal nie wieder gehen lassen. Die Angst war Schweigen, das bis heute enorm.“ Er war aus der Verbannung ent- seine Auswirkungen hat lassen worden, als Italien 1940 in den 2. Weltkrieg eintrat. Seine Reststrafe mus- ste er als Hausarrest absitzen. Eben jene Verbannung (confine) war die härteste Strafe, die gegen Homosexuel- In Italien gelingt es in den letzten Jahren le angewendet wurde. Man verbannte Schritt für Schritt, die Verfolgung von sie, wie auch andere Verurteilte oder Schwulen und Lesben im Faschismus politische Gegner, auf eine Insel oder in und ihre Auswirkung in die herrschende einsame, unwirtliche Bergregionen Gedenkkultur einzufügen. Erstmals war innerhalb Italiens. „Wir versuchten so dieses Jahr bei den offiziellen Gedenk- gut wie es eben ging zu leben. Wir lach- feiern der Stadt Turin anlässlich des 27. ten, wir spielten Theater (...) Wenn ein Januar (Jahrestag der Befreiung des KZ neuer Schwuler angekündigt wurde, gab Auschwitz durch die Rote Arme) auch jeder von uns eine Lire, um eine Tisch- ein Vertreter des Bündnisses Turin Pride gesellschaft zu organisieren. (...) Im vertreten. Dieses Bündnis, bestehend Prinzip ging es uns dort besser als aus schwulen, lesbischen, bisexuellen daheim. Zu meiner Zeit durftest du als und Transgender-AktivistInnen, organi- Schwuler nicht auffallen, sonst wurdest siert die Pride-Demonstration 2006 in du sofort von der Polizei verhaftet. In Turin. In Rom und Bologna existieren der Verbannung hingegen feierten wir, Gedenksteine zur Erinnerung an homo- wenn einer von uns Namenstag hatte, sexuelle Opfer, an denen zum 25. April, wir feierten, wenn ein Neuer ankam. dem Jahrestag zur Erinnerung an die Das diente natürlich auch dazu, die Zeit Resistenza, an den italienischen Wider- rumzubringen.“ stand gegen die deutsche Besatzung, Auch wenn manche Zeitzeugen, wie Gedenkfeiern stattfinden. etwa Giuseppe B., die Zeit der Verban- nung aus spezifischen Gründen nicht Heike Herzog nur negativ erinnern, war sie ein Mittel der Stigmatisierung und Ausgrenzung aus der Gesellschaft mit anhaltender Wirkung. Etliche, so auch Giuseppe B., verließen nach dem Krieg erst einmal ihre Städte und Dörfer. Mindestens 300 schwule Männer wur- 43 Die Recherchen sind aufwändig, sie führen bis nach Norditalien in die Provinz Udine. Dort liegt das Bergdorf Avasinis, ein 800-Seelen-Ort an den Hängen des Monte Cuar. Die Spuren weisen auch in die von vielen Urlaubern geliebte Fränkische Schweiz im Städtedreieck Bayreuth-Bamberg-Nürnberg. Hier wurde im bekannten Urlaubsort Pottenstein 1942/43 die so genannte SS-Karstwehr gedrillt, die bei der Partisanen- bekämpfung in Italien und Slowenien eine blutige Spur zog. Das SS- Karstwehrbataillon wurde im August "Von Massakern wurde 1943 nach Kärnten verlegt und war anschließend bei Tarvis im Einsatz. Im November 1943 wurde die Elitetruppe nie etwas erzählt" dem Höchsten SS- und Polizeiführer SS-Karstwehr ermordete in Avasinis Italiens, , zur Partisanen- bekämpfung im Adriatischen 51 EinwohnerInnen Küstengebiet unterstellt.

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. schaft wurde das Verfahren schließlich Die Staatsanwaltschaft in Würzburg im Juli 1997 zugeteilt. Parallel dazu ermittelt seit Juli 1997 gegen unbekann- ermittelte Würzburg wegen zahlreicher Heute erinnert in Avasinis ein mächtiger te Angehörige der SS-Karstwehrdivi- weiterer Massaker durch die Pottenstei- Gedenkstein, auf dem die Namen der sion wegen eines Massakers an 51 Ein- ner Karstwehr in Slowenien 1943 und Opfer eingemeißelt sind, an den 2. Mai wohnern von Avasinis am 2. Mai 1945 - 1944 - ergebnislos. Geschichtsprofessor 1945. Die Gemeinde Trasaghis, zu der dem Tag, als die Kapitulation der deut- Tone Ferenc von der Universität Ljubl- das Dorf gehört, veröffentlichte 1995 schen Streitkräfte in Italien in Kraft trat. jana fällte ein klares Urteil: Es habe eine Gedenkschrift, in der Lokalhistori- Die arglose Bevölkerung glaubte, der wahrscheinlich keine Truppe gegeben, ker Pieri Stefanutti den "grausamen Krieg wäre vorbei und wähnte sich in die so viele Verbrechen an der Zivilbe- Rachefeldzug" rekonstruierte und Sicherheit. "Die Glocken der Kirchtür- völkerung beging wie die Karstwehr Augenzeugen zu Wort kommen ließ. me der umliegenden Dörfer läuteten unter fast einjähriger Führung von SS- Bürgermeister Ivo Del Negro will die zum Tag unserer Befreiung", erinnerte Standartenführer Hans Brand. Erinnerungen wach halten, um damit sich eine Zeitzeugin. Der renommierte "bei einer wahrhaften Förderung des Militärhistoriker Gerhard Schreiber Wie der Leitende Oberstaatsanwalt Cle- Friedens mitzuwirken". schilderte in seinem Buch "Deutsche mens Lückemann in Würzburg auf Kommandeur der Karstwehr war bis Kriegsverbrechen in Italien" den Über- Anfrage erklärte, wurden im Zuge bei- Juni 1944 der Pottensteiner Höhlenfor- fall: "Am Morgen jenes Maitages grif- der Verfahren insgesamt 134 ehemalige scher Hans Brand. Das erste SS-Treffen fen Partisanen einen SS-Verband an, der SS-Karstwehrsoldaten vernommen. fand 1975 in Pottenstein statt, sieben sich in nördlicher Richtung absetzte. Im Lückemann hat "keinen Zweifel an der Mal bis 1987 zog sich der Spuk hin. Anschluss an das kurze Gefecht begab Richtigkeit der Schilderungen" über das Heute feiern die alten Kämpfer nahe sich die Truppe ins nahe gelegene Ava- Blutbad. Zwar konnten sich die Vetera- Salzburg alle zwei Jahre ihre Taten. sinis und metzelte erbarmungslos 51 nen unisono daran erinnern, in diesem "Von Massakern wurde nie etwas Bewohner nieder, darunter fünf Kinder Gebiet gewesen zu sein, doch keines- erzählt", erinnerte sich ein Teilnehmer, im Alter von zwei bis zwölf Jahren und falls in Avasinis selbst. Für die deutsche vielmehr wurde in "alter Kamerad- zwei Frauen, die 75 und 81 Jahre zähl- Justiz steht aber fest, dass Teile der schaft" geschwelgt. ten." Division zum betreffenden Zeitpunkt beim Dorf vorbeigekommen sind. Peter Engelbrecht "Ermittlungen sprechen sich in diesen Es habe wahrscheinlich keine Kreisen schnell herum", meinte ein Kri- Peter Engelbrecht ist Tageszeitungs- Truppe gegeben, die so viele minaler, der auch Absprachen der SS- redakteur in Bayreuth und veröffent- Leute untereinander vermutete. Vieles lichte 1997 das Buch "Touristenidylle Verbrechen an der deutet darauf hin. und KZ-Grauen. Vergangenheits- Zivilbevölkerung beging bewältigung in Pottenstein". wie die Karstwehr Die letzte Hoffnung setzt Lückemann auf ein Rechtshilfeersuchen an Italien, Anmerkung des Vereins zur Förderung das im August 1999 gestartet wurde. alternativer Medien: Nach Auskunft Jahrzehntelang blieben die Mörder in Die Militärstaatsanwaltschaft Padua von Oberstaatsanwalt Lückemann habe Uniform im Dunklen. Erst das Wiesen- hatte lange vorher wegen der Gräuel in das Rechtshilfeersuchen an Italien zwar thal-Dokumentationszentrum in Wien, Avasinis ermittelt und auch heimische, ein gutes Bild über die Vorgänge bei das weltweit NS-Verbrechen recher- zivile Augenzeugen vernommen. Die Avasinis ergeben, aber keine chiert, wies die deutsche Justiz im deutschen Fahnder erbaten Aktenein- weiterführenden Hinweise auf die August 1995 schriftlich auf das Massa- sicht, um vielleicht doch noch auf Tatbeteiligten. Das Verfahren wird wahrscheinlich demnächst eingestellt. 44 ker hin. Der Würzburger Staatsanwalt- Täterhinweise zu stoßen. Bezeichnend für die deutsche Besatzungsherrschaft und Kriegsführung in Italien ist eine Feststellung des Ministerrates von Mussolinis sogenannter REPUBBLICA SOCIALE ITALIANA im Januar 1945: Die Deutschen sollten endlich aufhören, das „Territorium der Republik, deren Bürger und Güter“ als ihre „Kriegsbeute“ zu betrachten. Das Diktum des faschistischen Führungsgremiums widerspricht der bei uns gern geglaubten Behauptung, dass dem „Bruch kriegsvölkerrechtlicher Einhegungen und der Menschen- vernichtungsmaschinerie im Osten eine überwiegend penibel anständig agierende Wehrmacht im Westen“ gegenüberstand. In Wahrheit gab es, das zeigt sich am polnischen, jugosla- wischen, griechischen, französischen und italienischen Beispiel, bei der Missachtung des Kriegsrechts lediglich ein quantitatives Ost-West-Gefälle.

Vom 8. September 1943 bis zum 2. Mai 1945 starben im Durchschnitt - ohne Berücksichtigung der knapp 45.000 getöteten PartisanInnen, der gefallenen regulären Soldaten sowie der durch Kriegseinwirkungen (etwa Luftangrif- fe) umgekommenen Personen - täglich Nach dem 8.9.1943 hergestelltes deutsches Plakat über 160 italienische Kinder, Frauen und Männer jeden Alters durch deut- sche Hand.

Massaker an italienischen "Bedenkenlose Totalität Soldaten des Vernichtungswillens" Zu den ersten Opfern nach dem italieni- schen Kriegsaustritt zählten die Ex- Deutsche Kriegsverbrechen in Italien Waffenbrüder. Am 10. und 12. Septem- ber 1943 gab das Oberkommando der Wehrmacht zwei Führerweisungen her- aus: Bei Truppen, die sich - wie von

So sah das auch der Philosoph Karl italienische Militärangehörige, denen Jaspers, der schon 1945 klarstellte, dass die Reichsführung den Kriegsgefange- Es starben im Durchschnitt der vom Deutschen Reich entfesselte nenstatus und damit die im Genfer Krieg in „Ursprung und Durchführung Abkommen vom 27. Juli 1929 festge- täglich über 160 italienische verbrecherische Tücke und bedenkenlo- schriebenen Rechte verweigerte. Kinder, Frauen und Männer se Totalität des Vernichtungswillens“ Völkerrechtswidrig machte das NS- jeden Alters durch deutsche bedeutete. Genau das bestätigt das Regime das Gros dieser jeder Willkür Kriegsgeschehen in Italien. ausgesetzten, extrem schlecht behandel- Hand Dafür stehen ungefähr 17.000 getötete ten Männer im Sommer 1944 zu zivilen Zivilpersonen, rund 37.000 politische Zwangsarbeitern. Sie hätten damit ihrer Regierung befohlen - gegen die Gefangene, die nicht mehr heimkehrten, Anspruch auf Entschädigungszahlun- Entwaffnung und Besetzung des Lan- etwa 12.000 aufgrund verbrecherischer gen der Stiftung „Erinnerung, Verant- des wehrten, sollten die Offiziere nach Befehle umgekommene Soldaten und wortung und Zukunft“. Tatsächlich aber der Gefangennahme erschossen und die nicht weniger als 46.000 tote „Militärin- wurden die Militärinternierten aus dem Unteroffiziere sowie Mannschaften ins ternierte“. Kreis der Entschädigungsberechtigten Operationsgebiet des Heeres im Osten Bei letzteren handelte es sich um mehr ausgeschlossen. verbracht werden. als 620.000 in Gefangenschaft geratene 45 Deutschland verstieß damit gegen die Straffreiheit bei ten mindestens 580 italienische Kinder Haager Landkriegsordnung vom 28. „Bandenbekämpfung“ unter 14 Jahren ihr Leben nicht verlo- Oktober 1907. Denn dieses internatio- ren. nale Abkommen, das nicht alle, aber Mit dem Rekurs auf Zwang, Terror, das Weisungen für die Partisanenbekämp- einen großen Teil der Regeln des Krie- Prinzip von Befehl und Gehorsam, die fung, bei der es in aller Regel zu den ges zwischen Landstreitkräften kodifi- Empörung über den angeblichen Verrat Verbrechen an der - großzügig zu Mit- ziert, verbietet in Artikel 23c „die oder die schwierige Lage der deutschen läufern, also Mitschuldigen erklärten - Tötung oder Verwundung eines die Truppen in Italien ist besagter Massen- Zivilbevölkerung kam, lassen vermu- Waffen streckenden oder wehrlosen mord nicht zu erklären. Es mangelte vor ten, dass sich Hitlers „Bandenbekämp- Feindes, der sich auf Gnade oder allem an Zivilcourage. Nicht zuletzt fungsbefehl“ normativ auswirkte. Signi- Ungnade ergeben hat“. deshalb hinterließen die deutschen fikanterweise wurden die Unterführer Eine weitere verbrecherische Weisung Divisionen bei ihrem Rückzug von Süd- fast durchgehend mit einer Carte blan- Hitlers für den italienischen Kriegs- nach Norditalien eine breite Blutspur. che ausgestattet. Und nicht nur General- schauplatz befahl am 18. September Allein in der Provinz Caserta ermorde- feldmarschall Kesselring, der Oberbe- 1943, dass unter den auf der Insel Kefa- ten deutsche Soldaten vom 9. Septem- fehlshaber in Italien, dem dort seit April lonia Widerstand leistenden Angehöri- ber bis zum 27. Dezember 1943 knapp 1944 zugleich die oberste Leitung der gen der Infanteriedivision „Acqui“ kei- 700 Menschen. Und in Caiazzo, einer Partisanenbekämpfung oblag, erklärte ne Gefangenen gemacht werden sollen. kleinen Stadt unweit von Neapel gele- wiederholt, dass „zu scharfes Durch- Der Befehl war völkerrechtswidrig gen, brachten Angehörige der 3. Panzer- greifen niemals Grund zur Strafe“ sein gemäß Artikel 23 d der Haager Land- grenadierdivision am 13. Oktober 1943 würde, wohingegen „schlappe und kriegsordnung, der „die Erklärung, daß zehn Kinder unter 14 Jahren, eine unentschlossene Führer“ rigoros „zur kein Pardon gegeben“ werde, „unter- Jugendliche, sieben Frauen und vier Rechenschaft“ gezogen werden sollten. sagt“. Dennoch führte man ihn aus: Bis Männer auf allerscheußlichste Weise Für die Auswirkungen derartiger Befeh- zu 5.326 Offiziere, Unteroffiziere und um. Die Mörder gaben später zu Proto- le auf die Zivilbevölkerung stehen Hun- Mannschaften wurden (oft auf grausam- koll, es habe sich um Bandenbekämp- derte italienischer Ortsnamen. Beim ste Weise) umgebracht, als sie ihre Waf- fung gehandelt. Das traf objektiv nicht Lesen der Berichte von Augenzeugen fen niederlegen wollten oder niederge- zu. Doch die Behauptung hätte ihnen entstehen Bilder, die exakt jenen glei- legt hatten. bei einer Untersuchung der Tat durch chen, die uns aus dem „Vernichtungs- die Wehrmachtsgerichtsbarkeit Straf- krieg im Osten“ überliefert sind (siehe freiheit verschafft. Denn nach dem 8. auch die Artikel Marzabotto und Sant’ Hitler wollte den Soldaten mit September 1943 galt Hitlers - ursprüng- Anna di Stazema in dieser Broschüre). dem "Bandenbekämpfungs- lich für den russischen und den balkani- schen Kriegsschauplatz herausgegebe- Protest vom „Duce“ gegen befehl" jede Scheu vor ner – „Bandenbekämpfungsbefehl“ vom „blindwütige Repressalien“ Exzesstaten nehmen 16. Dezember 1942 auch in Italien. Die- ser verpflichtete die Truppe, „ohne Ein- Da sich solche Zustände für Mussolini schränkungen auch gegen Frauen und innenpolitisch negativ auswirkten, pro- Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn testierte er im Mai und August 1944 Keine Lebensgefahr bei es nur zum Erfolg“ führte. Zugleich ent- gegen „verbrecherische Handlungen“ Befehlsverweigerung hielt der Befehl ein totales Strafverfol- deutscher Truppen. Kesselring mahnte gungsverbot: Kein Deutscher durfte daraufhin eine gewisse Disziplin an, Für die wenigen Offiziere, die solche wegen „seines Verhaltens im Kampf beharrte aber auf der „Bandenbekämp- Befehle nicht ausführten, hatte ihre Ver- gegen die Banden und ihre Mitläufer fung mit schärfsten Mitteln“ - so blieb weigerung in keinem Fall nachteilige disziplinarisch oder kriegsgerichtlich im Grunde alles beim Alten. Folgen. Das überrascht nicht, denn jeder zur Rechenschaft“ gezogen werden. Der „Duce“ schrieb deshalb Mitte Sep- Wehrmacht- oder SS-Angehörige konn- Dass Hitler den Soldaten mit dem „Ban- tember an Botschafter Rahn, er habe te sich auf § 47 Militärstrafgesetzbuch denbekämpfungsbefehl“ jede Scheu vor geglaubt, das von Kesselring verschick- berufen, der es verbot, wissentlich einen Exzesstaten nehmen wollte, hatte sich te Rundschreiben würde den „blindwü- Befehl zu befolgen, der ein „bürgerli- bereits am 1. Dezember 1942 gezeigt, tigen Repressalien ein Ende“ setzen. ches oder militärisches Verbrechen oder als er mit Generalfeldmarschall Keitel, Hingegen müsse er „feststellen, daß Vergehen bezweckte“. Außerdem durfte dem Chef des Oberkommandos der man in derselben Art weitermacht“. gemäß den „Zehn Geboten für die Wehrmacht, und General Jodl, dem Kesselrings Reaktion vom 24. Septem- Kriegführung des deutschen Soldaten“, Chef des Wehrmachtführungsstabes, die ber bezweckte Schadensbegrenzung. die jeder Wehrmachtangehörige in den endgültige Fassung des Befehls disku- Bemerkenswert erscheint sie vor allem Händen hatte, „kein Gegner getötet tierte. Hitler bestand darauf, dass selbst deshalb, weil der Generalfeldmarschall werden“, der sich ergab, nicht einmal die Tötung unschuldiger Frauen und das „Erschießen von Frauen, Greisen der „Freischärler und der Spion“. Das Kinder erlaubt sein müsse. Nach Gene- und Kindern“ durch seine Soldaten mag erklären, warum sich bis heute - ral Jodl war nicht nur das gewährleistet. zugab und erkennen ließ, dass er davon bei rund 1.600 untersuchten Fällen - Denn die Männer durften „im Kampfe gewusst hatte. Doch praktisch tat Kes- kein einziger Fall nachweisen ließ, in machen, was sie wollten“. Sie konnten selring auch in der Folgezeit nichts dem ein Soldat oder SS-Mann wegen ihre Gegner, weibliche offensichtlich gegen derartige Verbrechen. Kein einzi- der Nichtausführung eines verbrecheri- eingeschlossen, sogar „aufhängen, ver- ger Fall ist bekannt, in dem ein deut- schen Befehls in Befehlsnotstand geriet, kehrt aufhängen oder vierteilen“. scher Befehlshaber einen deutschen das heißt, in eine Lage, in der ihm eine Dessen ungeachtet behauptete Keitel im Täter wegen solcher Verbrechen zur „gegenwärtige Gefahr für Leib oder Nürnberger Prozess, „daß es niemals Verantwortung zog. Leben drohte“. nötig gewesen wäre, deutschen Solda- Auch nach dem Kriegsende 1945 wurde ten zu sagen, daß sie Frauen und Kinder nur eine Handvoll deutscher Täter von 46 nicht töten können und nicht töten dür- alliierten oder italienischen Gerichten fen“. Wenn dem so gewesen wäre, hät- zur Rechenschaft gezogen, was in erster Linie im Zusammenhang mit dem sich tung für ein Attentat in der Via Rasella, einem verwundeten Deutschen 50 und anbahnenden Kalten Krieg und unter bei dem das Polizeiregiment „Bozen“ bei einem toten 100 männliche Einwoh- Berücksichtigung der innenpolitischen am 23. März 1944 33 Tote und 67 Ver- ner des Ortes hingerichtet würden, in Verhältnisse in Italien gesehen werden wundete beklagte. dessen Nähe sich der Anschlag ereignet muss. Im Juni 1944, als die Partisanentätig- hatte. Bei mehreren deutschen Verwun- keit deutlich zunahm, ging Kesselring deten oder Toten sollten „sofort alle Kesselrings blutiger Terror bei der Geiseltötung erheblich weiter. Männer des Bereichs erschossen, die Er gab bekannt, dass „Orte, in denen Frauen interniert und das Vieh requi- Im zitierten Brief Mussolinis war auch sich Banditen nachweisen“ ließen, in riert werden“. von Repressalien die Rede. Der faschi- welchen es zu „Anschlägen auf deut- stische Regierungschef bezog sich hier- sche oder italienische Soldaten bezie- Geiseltötung und bei auf Geiselerschießungen. Dazu kam hungsweise [zu] Sabotageaktionen“ Völkerrecht es in Italien zwar weniger häufig als in kam, völlig niedergebrannt und „alle Frankreich, wo im Gesamtzeitraum des männlichen Einwohner“ über 18 Jahre Bis 1945 erfuhr die Geiselfrage im Völ- Krieges - gemäß den Nürnberger Pro- erschossen würden. Die Frauen waren kerrecht keine kodifizierte Regelung. zessakten - 29.660 Personen als Geiseln in Arbeitslagern zu internieren. Das Folglich wird die Frage nach der Recht- exekutiert worden sind. Aber spätestens Schicksal der Kinder blieb offen. mäßigkeit der Geiselnahme und Geisel- seit dem Januar 1944 verfuhr man in Der Ortskommandant von Cóvolo, in tötung (in der Zeit vor dem Ende des Italien nicht weniger rigoros. der Provinz Vicenza, der sich augen- Zweiten Weltkrieges) unterschiedlich Traurige Berühmtheit erlangte die grau- scheinlich an der zitierten Anordnung beantwortet. same Erschießung von 335 Menschen in Kesselrings orientierte, informierte am Die amerikanischen Richter im Fall den Fosse Ardeatine in Rom als Vergel- 11. Juli 1944 die Bevölkerung, dass bei VII, einem der 12 Nürnberger Nachfol- geprozesse, befassten sich detailliert mit dem Problem der Vertrags- und Repressalgeiseln. Erstere hafteten in Das 1944 verteilte Plakat wirbt für den Eintritt in die Spezialeinheit einem besetzten Land mit ihrem Leben für das Wohlverhalten des Bevölke- rungsteils, dem sie angehörten. Letztere wurden nach Attentaten oder Sabotage- aktionen genommen und im Extremfall zur Vergeltung und Abschreckung getö- tet.

Kein einziger Fall ist bekannt, in dem ein deutscher Befehlshaber einen deutschen Täter wegen solcher Verbrechen zur Verantwortung zog

Besagte Richter, die ausführlich begründeten, dass die von ihnen als Kriegsverbrechen anerkannten Taten Verbrechen gemäß dem zur Tatzeit ver- einbarten Recht oder dem Gewohn- heitsrecht darstellten, verdammten Gei- seltötungen als ein „Greuel“ und „bar- barisches Überbleibsel aus der Vorzeit“. Trotz dieser moralischen Verurteilung bejahten sie jedoch das Recht auf Gei- selnahme und Geiseltötung. Hierbei stützten sie sich zum einen auf die gewohnheitsrechtlich begründete Gehorsamspflicht der Zivilbevölkerung in einem besetzten Land; und zum anderen bezogen sie sich auf die Theo- rie von der Kollektivverantwortlichkeit. Beide Rechtfertigungen sind heftigst umstritten und lassen sich nicht mit Artikel 50 der Haager Landkriegsord- nung harmonisieren. In diesem heißt es nämlich: „Keine Strafe in Geld oder anderer Art darf über die ganze Bevöl- kerung wegen der Handlungen einzel- ner verhängt werden, für welche die 47 Untersagt waren Befehle, die feste Quo- Um die Verurteilung schuldig geworde- ten für Geiseltötungen in allgemeiner ner Uniformträger zu verhindern, grif- Form vorschrieben. Die Behauptung, fen die Autoren auf die „Alle-Macht- das Völkerrecht billige generell die dem-Führer-Erklärung“ des Deutschen Repressalquote 1:10, ist frei erfunden. Reichstags vom 26. April 1942 zurück Hinzu kamen der Ausschluss von Süh- und behaupteten, Hitlers Befehle wären nemaßnahmen, die von der Schuld einer nach jener Erklärung in der Wehrmacht besonderen „Rasse“, Klasse oder „bindendes Gesetz“ gewesen. Zudem Bevölkerungsgruppe ausgingen, und habe ein Führerbefehl die Soldaten das Erfordernis, dass der Befehl zur „jeder strafrechtlichen Verantwortung“ Geiseltötung auf dem Spruch des enthoben, „da durch ihn entgegenste- zuständigen Kriegsgerichts beruhte, mit hende gesetzliche Normen ihre Wirk- dem dieses bestätigte, dass die für die samkeit verloren“ hätten. Selbst Wei- Hinrichtung erforderlichen Vorausset- sungen, die ein „allgemeines oder mili- zungen erfüllt waren. tärisches Verbrechen oder Vergehen“ bezweckten, mussten angeblich befolgt Die meisten der von den amerikani- werden. Man wollte unter anderem schen Richtern gestellten Bedingungen glauben machen, dass Paragraph 47 wurden bei den von deutschen Befehls- Militärstrafgesetzbuch, der das Befol- habern auf dem italienischen Kriegs- gen von als verbrecherisch oder rechts- schauplatz befohlenen Geiseltötungen widrig erkannten Befehlen mit Strafe nicht erfüllt. Deshalb ist nach dem belegte, nach dem April 1942 nicht Unrechtsbewusstsein der verantwort- mehr galt. lichen Offiziere zu fragen. Es geht dabei Das ist nachweislich falsch. Denn zum um die Einsicht in die Rechtswidrigkeit einen gab es weiterhin folgenlose Ver- ihres Tuns, die sie besaßen oder besit- weigerungen verbrecherischer Befehle, zen konnten. etwa 1943 in Italien, und zum anderen Befehle aus dem Herbst 1943, die in steht seit dem Auschwitz-Prozess von etwa den von den Nürnberger Richtern 1964 fest, dass verbrecherische Befehle Anlässlich des Überfalls auf die UdSSR 1941 aufgestellten Bedingungen genügten, selbst dann nicht allgemeinverbindlich veröffentlichtes Plakat lassen erkennen, dass die Wehrmachts- wurden, wenn sie Führerbefehle waren führung in Italien zur Tatzeit wusste, oder auf solche zurückgingen. welche Bedingungen bei Geiseltötun- Zudem konnte die Reichsregierung gen erfüllt sein mussten. internationales Recht nicht außer Kraft Bevölkerung nicht als mitverantwort- Zu bedenken ist ferner, dass die Alliier- setzen. lich angesehen werden kann.“ ten das Töten von Geiseln 1942 und Alles in allem gab die Rechtsabteilung Ansonsten aber machten die Richter die 1944 zum Kriegsverbrechen erklärten. des Oberkommandos der Wehrmacht in Rechtmäßigkeit der Geiselnahme und - Außerdem erließ der Oberbefehlshaber ihrer Studie zu, dass staatlich legitimier- exekution von bestimmten, genau defi- der alliierten Landstreitkräfte in Italien, te Verbrechen wissentlich ausgeführt nierten Voraussetzungen abhängig. General Alexander, am 20. Oktober wurden. Nur wollte dafür nach dem 8. Dazu gehörten: das Verbot, Geiseln aus 1944 einen Aufruf an die deutschen Mai 1945 niemand die Verantwortung Rache oder militärischen Zweckmäßig- Truppen, in dem er unter Nennung von übernehmen. keitsgründen zu töten; die Verpflich- Beispielen bekannt machte, dass Offi- Die Richter in Nürnberg wiesen die tung, nachzuweisen, dass die Bevölke- ziere und Soldaten, die solche „Geisel- Argumentation des Oberkommandos rung aktiv oder passiv an dem zu süh- morde“ und „Massenvergeltungen der Wehrmacht zurück. Sie bestanden, nenden Vergehen Anteil genommen hat- gegen unschuldige Zivilisten“ sowie auch unter einem Unrechtsregime, auf te; die Gewähr, dass vor der Geiselnah- „Folterungen und andere ähnliche Bar- der Verantwortung des einzelnen. me oder Geiseltötung alle anderen Mög- bareien“ befahlen oder ausführten, nach lichkeiten zur Wiederherstellung von dem Krieg als „Kriegsverbrecher“ abge- Ruhe und Ordnung erschöpft waren; das urteilt werden würden. Diesem Artikel liegt ein 2002 in Detmold Gebot, dass die Anzahl der getöteten gehaltener Vortrag von Gerhard Schreiber zu „Alle-Macht-dem-Führer- Grunde. Erklärung“ Um die Verurteilung schuldig Gerhard Schreiber ist Militärhistoriker und Autor u. a. des Buches Deutsche Kriegsver- gewordener Uniformträger zu Was die deutschen Täter angeht, so brechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfol- verhindern, griffen die Autoren zeigte sich ihr Unrechtsbewusstsein gung, München 1996. besonders deutlich bei Kriegsende, als auf die „Alle-Macht-dem- ihnen die alliierterseits angekündigte Führer-Erklärung“ zurück Bestrafung drohte. Die militärische Führung suchte deshalb nach einem alle Geiseln der Schwere der Tat, von deren entlastenden Ausweg. Bis Mitte Mai Wiederholung die Hinrichtung 1945 entstand in der Rechtsabteilung abschrecken sollte, angemessen war, des Oberkommandos der Wehrmacht, man spricht von einer „Proportionali- das nach der Kapitulation noch eine tätsschranke“. Weile funktionierte, eine Ausarbeitung Nachgewiesen werden musste ferner, zur „Rechtslage der sogenannten dass es unmöglich gewesen ist, die Kriegsverbrecher“. 48 Täter zu ergreifen. Wie war das alles möglich? Eine Betrachtung von Gerhard Schreiber

fung humanitären Denkens im Offizier- korps. Im Nationalsozialismus erreichte all das einen Höhepunkt. So behauptete etwa Werner Best, promovierter Jurist und SS-Obergruppenführer, im August 1939, dass das Völkerrecht - im völki- schen Verständnis gar kein Recht dar- stelle. Seine Begründung: „Jedes Volk hat nur den Zweck der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung und kennt nur Maßstäbe des Handelns, die auf diesen Zweck ausgerichtet sind.“ Und was das humanitäre Denken anbe- traf, so durfte es gemäß der Auffassung von Hitler bei der Bestimmung der Kampfformen keine Rolle spielen. Hier liegt der Ursprung der verbrecherischen Befehle. Sobald es um die Machterhal- tung oder Machtsteigerung des Reichs Zum Kriegseintritt 1940 veröffentlichtes Propagandaplakat zur Freundschaft Italien/Deutschland ging, war der Einsatz sämtlicher Mittel nicht nur gestattet, sondern verpflich- tend.

Prinzipiell bin ich der Auffassung, dass handelt es sich freilich um kein spezi- man im Kontext der Täterforschung, fisch deutsches, sondern um ein Die Gegenwart des Todes wenn es um die Ursachen von Kriegs- menschheitliches Phänomen. Deshalb scheint bei Militärangehörigen verbrechen geht, als einen maßgebenden vermag die Bezugnahme auf diese zu moralischer Gleichgültigkeit Faktor, unter vielen anderen Faktoren, Beziehungsstörung oder Irritation letzt- die besondere Mentalität zu berücksich- lich auch nicht zu erklären, wie und und moralischer Verwüstung tigen hat, die sich bei Männern im Krie- warum der Zweite Weltkrieg im Hin- im Menschenbild zu führen ge ausformt. blick auf die deutsche Kriegsführung zum präzedenzlosen Verbrechen gewor- Die direkte und ständige Gegenwart des den ist. Eine wichtige Rolle spielten zudem die Todes scheint, so mein Eindruck, bei Als deutsche Besonderheit, die wesent- Dominanz so genannter Kriegsnotwen- Militärangehörigen allmählich zu mora- lich zur Ermöglichung der auf dem ita- digkeiten gegenüber dem jus in bello lischer Gleichgültigkeit, ja zu einer lienischen Kriegsschauplatz und (Kriegsvölkerrecht) und der willkürli- moralischen Verwüstung im Menschen- anderswo verübten Kriegsverbrechen che Rückgriff auf beliebig definierbare bild als solchem zu führen. Anders beigetragen haben dürfte, wäre eine bis Kriegszwecke. Ließ sich doch im Ver- gewendet, als Folge der permanent ins 19. Jahrhundert zu verfolgende ständnis deutscher Militärs mit solchen erlebten Begrenztheit der eigenen Exi- Relativierungstendenz gegenüber dem Kriterien jeder Terror im Rahmen der stenz nimmt die Achtung vor dem Leben internationalen Recht zu benennen. Die- Besatzungspolitik rechtfertigen. Recht ganz generell, aber insbesondere der se fand zum Beispiel Ausdruck in der war, was dem deutschen Volk bezie- Respekt gegenüber dem Leben des verbreiteten theoretischen Abwertung hungsweise dem Reich nutzte. Oder mit anderen kontinuierlich ab. Bei alldem des Völkerrechts oder in der Bekämp- den Worten Hitlers, das „Recht“ lag im 49 stischen Weltanschauung stehende stammten einem alltäglichen Ras- Offiziere“ verlangten. Niemand sismus, der seit Dezember 1940 auf musste der Front den „politischen der höchsten nationalsozialistischen Soldaten“ aufdrängen, sie wollte Führungsebene - aber ebenso auf den diesen von sich aus. nachgeordneten Ebenen - um sich griff und jedwede Solidarität erstickte. Außerdem ist es eine Tatsache, dass Mussolini erkannte das hin und wie- das im militärischen Leben zentrale der. Beispielsweise stellte er schon Prinzip von Befehl und Gehorsam Anfang Juni 1941 fest, dass die Deut- dazu angetan ist, beim einzelnen schen die Italiener als „Sklavenvolk“ Soldaten das Bewusstsein dafür zu und sich selbst als „Herrenvolk“ verdunkeln, dass er selbst bei befoh- betrachteten. Doch zog er daraus keine lenen politischen und militärischen Konsequenzen. Handlungen eine persönliche Rest- verantwortung trägt. Wie recht der „Duce“ im übrigen hat- Zu berücksichtigen wären zudem te, zeigte sich im Juli desselben Jahres, alle diejenigen Faktoren, die aus der als das Rassenpolitische Amt der militärischen Lage oder der indivi- NSDAP erstmals ganz offiziell ein duellen psychologischen Situation deutsch-italienisches Heiratsverbot resultierten. Nicht zu vergessen ist vorschlug, weil Ehen zwischen Deut- ferner der Einfluss der Propaganda, schen und Italienern - wie es später die zum Beispiel nach Italiens hieß - die „Reinerhaltung [des] deut- Kriegsaustritt ein ganzes Volk zu schen Blutes“ gefährdeten. Verrätern stempelte. Gewiss, jener alltägliche Rassismus Mit der Propaganda gingen Befehle bezweckte nicht den Genozid, den einher, welche die Soldaten mit Völkermord, sondern die nationale Hassgefühlen indoktrinierten, um Deklassierung. Nichtsdestoweniger sämtliche Hemmungen von Moral kostete er, da durch ihn die Hemm- Plakat der Schwarzen Brigaden Sommer 1944 und Gewissen auszuräumen. Als schwelle gegenüber der Tötung von exemplarisch erscheint mir hierfür Italienern erschreckend tief abgesenkt eine gemeinsame Anordnung der wurde, Tausende das Leben. Generalfeldmarschälle Rommel und Meines Erachtens bieten der alltägli- Kesselring. In ihr bezeichneten die che antiitalienische Rassismus und der Siege. Jene nationalsozialistische Maxime, beiden Oberbefehlshaber (am 23. blinde Gehorsam, mit dem sich die gemäß der Macht Gewaltanwendung recht- September 1943) die regulären ita- Täter jeder ethisch-moralischen Ver- fertigte, wurde vom Militär anerkannt und lienischen Soldaten, die auf alliierter antwortung zu entheben versuchten, gewöhnlich handelte seine Führung danach, Seite kämpften, als „Gesindel“, das die überzeugendste Erklärung für die nicht nur in Italien. „jedes Anrecht auf Schonung verlo- Ursachen der an Italienern verübten ren“ habe. Da der Erlass im truppen- Gräueltaten. In Bezug auf das Ermöglichen von Kriegs- dienstlichen Unterricht behandelt Die Opfer der Verbrechen sind bei uns verbrechen ist auch das Idealbild des politi- werden musste, dürfte er den mei- vergessen, wir haben die Erinnerung schen Soldaten anzusprechen, das keines- sten damals in Italien eingesetzten an sie bislang erfolgreich verdrängt. wegs allein für die SS oder Waffen-SS ver- Wehrmachtangehörigen vertraut Für mich ist das ein unwürdiger bindlich war. Vielmehr verstand man darun- gewesen sein. Zustand, der endlich beseitigt werden ter einen Wehrmachtangehörigen, der sich In Befehlen dieser Art kam eine weit sollte. Dazu erscheint es mir notwen- mit der NS-Ideologie und den politischen verbreitete Geringschätzung des ita- dig, dass wir, ohne Beeinträchtigung Zielen des Regimes identifizierte. In diesem lienischen Menschen zum Ausdruck. der nach wie vor unverzichtbaren Aus- Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Ein Kompaniechef der Division einandersetzung mit dem singulären Hitler Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine „Brandenburg“, der in Albanien Verbrechen der Ermordung der euro- befehlsgemäß 52 an Malaria er- päischen Juden und dem Vernich- krankte, unschuldige Offiziere tungskrieg im Osten, die Problemstel- Niemand musste der Front eigenhändig durch Genickschuss lung erweitern und uns um schonungs- den „politischen Soldaten“ tötete, kommentierte seine Untat lose Antworten auf die Frage bemü- aufdrängen, sie wollte diesen lapidar: „Das sind doch nur Italie- hen, warum und wie es dazu kam, dass ner.“ nicht nur die Achtung vor jüdischem, von sich aus sondern der Respekt vor nichtdeut- Und General Westphal, Kesselrings schem Leben ganz allgemein verloren Chef des Stabes, wies im April 1944 ging. bereits im Mai 1936 zur intensiven „Pflege den Oberst Berlin vom Armeeober- des Rassegedankens“ als Kernpunkt der kommando 10 an, er solle alle Italie- Gerhard Schreiber „nationalsozialistischen Staatsauffassung“ ner, die verbotenerweise in die von verpflichtete. So gesehen überrascht es der Zivilbevölkerung geräumten nicht, dass hohe Offiziere in Italien Ende Zonen zurückkehrten, „umlegen“ 1943, um einen qualifizierten Personaler- lassen. Auf die Frage, ob man das so satz zu garantieren, nicht nur die „drillmä- einfach machen könne, beschied er ßige Ausbildung im Ersatzheer“ forderten, den Obristen: „Man muß nicht sondern zugleich die „regelmäßige politi- soviel darüber sprechen.“ 50 sche Erziehung“ der jungen Soldaten Dermaßen menschenverachtende „durch auf dem Boden der nationalsoziali- Äußerungen und Anordnungen ent- Am 12. August 1944 überfiel die 16. SS-Panzergrenadierdivision “Reichsführer SS” das kleine norditalienische Dorf Sant’ Anna di Stazzema. Unter dem Vorwand, Partisanen zu bekämpfen, trieb sie die BewohnerInnen zusammen, warf Handgranaten in die Menge und erschoss wahllos alle, auf die sie traf. 560 BewohnerInnen von Sant’ Anna wurden ermordet, nur wenige entkamen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges leben die Täter unangefochten in der Bundesrepublik Deutschland. Gedenken am Kirchplatz - ein Ort des Massakers Erst 60 Jahre später begann in La Spezia der Prozess gegen die Verantwortlichen. Das Urteil, am Das Massaker von 23. Juni 2005 gefällt, lautete: lebenslänglich für alle Sant’Anna di Stazzema 10 Angeklagten. Schleppende Ermittlungen in

Deutschland gegen Kriegsverbrecher Gesichter sie sich kaum in Ruhe einprä- gen konnten. Weitere mögliche Zeugen sind Angehörige der Division. Doch Weshalb wurde die Anklage so spät, nach äußerte der inzwischen gestorbene Ger- nur, wenn sie selbst nicht beteiligt sechs Jahrzehnten erhoben? Eine wichti- hard Sommer gegenüber dem Fernseh- waren, können sie aussagen. Und der ge Rolle dabei spielt der “Schrank der magazin “Kontraste”. Nicht erledigt Treueschwur der SS überdauert die Schande”. Jener Schrank stand, mit Sie- sind seine Taten in Italiens Öffentlich- Jahrzehnte: Fast nie kam es vor, dass geln zugeklebt und mit den Türen der keit, wo der Prozess auf breites Interes- ein SSler einen “Kameraden” belastete. Wand zugekehrt, bis 1994 unbeachtet in se stieß und das Urteil mit großer Weiterhin rechtfertigt die Stuttgarter der Militärstaatsanwaltschaft in Rom. Befriedigung aufgenommen wurde. Staatsanwaltschaft die schleppenden Sein brisanter Inhalt: knapp 700 Akten- Ermittlungen damit, dass den Verdäch- bündel der Alliierten, die äußerst detail- Ermittlungen in tigen so genannte Mordmerkmale, also lierte Informationen über Mordtaten der Deutschland: besondere Grausamkeit oder niedrige SS und der Wehrmacht während der Eine zähe Veranstaltung Beweggründe nachgewiesen werden deutschen Besatzung Italiens enthalten. müssen. „Das heißt, wir müssen nach- Mit dem Auftauchen des Schranks In Deutschland wird erst seit Herbst weisen, dass er entweder einen eigenen begann eine Prozesswelle gegen mut- 2002 wegen des Massakers gegen ein Handlungsspielraum hatte und nicht maßliche Kriegsverbrecher. (s. auch Arti- gutes Dutzend Verdächtige ermittelt. nur bloßer Befehlsempfänger war“, so kel „Der Schrank im Palazzo Chesi” S. Eine Anklage kam bis jetzt nicht 57). Auch gegen die Verantwortlichen zustande. “Eine zähe Veranstaltung” des Massakers in Sant’Anna, das “nur” seien die Ermittlungen, meinte ein Das Urteil wurde mit großer ein Massaker unter vielen war. Das Aus- Sprecher der Stuttgarter Staatsanwalt- Befriedigung aufgenommen maß der deutschen Verbrechen an italie- schaft, Eckhard Maak. Und: man wolle nischen ZivilistInnen macht der Militär- das Urteil in La Spezia abwarten. Als es die Stuttgarter Staatsanwältin und Pres- historiker Gerhard Schreiber deutlich: schließlich erfolgte, äußerte man sich in sesprecherin Tomke Beddies, „oder Zwischen dem Beginn der Besatzung Stuttgart abfällig über das Urteil der ita- aber dass er bewusst eine andere Art zu und Kriegsende “starben - ohne Berük- lienischen KollegInnen. Als “schnellen handeln außer Acht gelassen hat.“ ksichtigung der gefallenen Partisanen Schuss aus der Hüfte” bezeichnete es Weshalb das so fraglich und schwierig und regulären Soldaten sowie der durch Staatsanwalt Gernot Blessing. Die zu klären ist, bleibt das Geheimnis der Kriegseinwirkung getöteten Staatsbürger Richter hätten sich zehn SS-Schergen Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Schließ- - täglich über 160 italienische Kinder, “herausgepickt”, die in der Einheit lich berichten ZeugInnen von einer Frauen und Männer jeden Alters durch Dienst taten, und pauschal verurteilt. In schwangeren Frau, der der Bauch auf- deutsche Hand, sei es auf direkte, sei es Stuttgart dagegen versuche man aus geschlitzt wurde, von Menschen, die auf indirekte Weise”, so Schreiber. einer größeren Anzahl von Leuten die mit Flammenwerfern getötet wurden, Konkret vorgeworfen wurde den Ange- maßgeblichen Befehlsgeber herauszu- von einer 5-Jährigen, die so lange mit klagten in La Spezia Mord. Die einzige filtern. dem Kopf gegen die Wand geschlagen Möglichkeit, die Schuldigen noch juri- Deutsche Gründlichkeit oder Ver- wurde, bis der Schädel zertrümmert stisch zu belangen, denn Mord verjährt schleppung der Ermittlungen? Deutlich war. Keine andere Handlungsmöglich- nicht. Verhandelt wurde ohne die Ange- unwahrscheinlicher jedenfalls, damit zu keit? Ein ehemaliger SS-Mann hat mitt- klagten, die nicht vor Gericht erschienen. einer Verurteilung zu kommen. Die lerweile zugegeben, auf eine Gruppe “Für mich ist diese Zeit erledigt, ich habe wenigen Überlebenden waren Kinder von über 20 Frauen und Kinder 51 mir keinerlei Vorwürfe zu machen”, und sollen Täter erkennen, deren geschossen zu haben “bis der Patronen- gurt leer war”. Trotzdem zieht sich die mehr zur Rechenschaft ziehen zu müs- Stuttgarter Staatsanwaltschaft bei jeder sen, die dann verhandlungs- oder haft- Nachfrage einsilbig auf immer die glei- unfähig sind - oder dazu erklärt werden. che Position zurück: „Es ist im einzel- Doch der Druck auf die Stuttgarter In Sant’Anna di Stazzema existiert ein nen zu klären, wer in welcher Art und Staatsanwaltschaft wächst: Mit Aktions- Museum und eine Gedenkstätte, die Weise gehandelt hat und welche ande- tagen und Kundgebungen vor den Dienstags bis Sonntags besucht werden ren Alternativen er gehabt hätte“, Wohnorten der Verantwortlichen für das können. Sant’Anna liegt ca. 10 km von der wiederholt Beddies auf Nachfragen Massaker in Sant’Anna wollen ver- Stadt Pietrasanta an der toskanischen Küste gebetsmühlenhaft und hält sich zu Ein- schiedene Initiativen die Täter nicht in entfernt. Tel: 0039 0584 772286 zelheiten der Ermittlungen ausgespro- Ruhe lassen und die Stuttgarter Behörde chen bedeckt. dazu zwingen, endlich Anklage zu erhe- ben. Der Druck wächst: Die Täter Heike Demmel zur Verantwortung ziehen

In Sant'Anna will man nicht länger war- ten. Denn Konsequenzen hat das Urteil Zeitzeugnisse von La Spezia nicht, Deutschland liefert seine Staatsbürger nicht aus. Deshalb hat Enrico Pieri, der das Massaker als 10-Jähriger überlebt hat, in Stuttgart "Sie haben sich nicht Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Lan- ge Zeit vergeblich. Pieris Anwältin wie Menschen verhalten" Gabriele Heinecke wurde wiederholt vertröstet und gelangte zu der Einschät- Erinnerungen des Überlebenden Enio Mancini zung, „dass es eine Umkehrung der Rol- lenverhältnisse gibt, nämlich dass die aus Sant’Anna Nebenklage, also die Opfer, ein bis- schen als die Schuldigen, als die, die stören gesehen werden, während die Enio Mancini: “Ich war damals noch Aktionen waren zunächst gegen die Staatsanwaltschaft ein Schutzbedürfnis keine sieben Jahre alt, als das Massaker Vertreter der Mussolini-Regierung gegenüber den Beschuldigten an den in Sant’Anna am 12.8.1944 stattfand. (RSI) gerichtet, die in diesem Sommer Tag legt“. Erst nach Mahnungen und Meine Erinnerung, die eines Kindes, immer mehr an Bedeutung verloren. einem Antrag auf Erzwingung der habe ich aber mit der von anderen ver- Die Wehrmacht und Waffen-SS beka- Akteneinsicht erhielt Heinecke Anfang glichen. men zeitgleich stärkeren Einfluss. Die Juni die ersten Aktenordner zum Ermitt- Unser kleines Dorf hatte zu dieser Zeit Angriffsziele der Partisanen änderten lungsverfahren. ca. 400 Einwohner. Es galt als relativ sich damit; es waren auch relativ viele sicher im Gegensatz zu den Städten, die Soldaten an der letzten Verteidigungsli- Der Treueschwur der SS bombardiert wurden. Es kamen deshalb nie Gotenlinie, also in unserer Gegend etwa 1.000 Flüchtlinge, die dort aufge- mit der Verteidigung beschäftigt. überdauert die Jahrzehnte nommen wurden; das Dorf war zu der Ende Juli versuchte Divisionskomman- Zeit nur über Bergpfade erreichbar. Die deur Simon, der den Einsatz leitete, die- Eine Anklage ist nicht in Sicht. Noch im meisten Flüchtlinge kamen aus der se Partisanen zu umzingeln, um sie aus- März 2006 wollte Pressesprecherin Umgebung, aber auch z. B. aus Livorno, zurotten. Sie kannten aber die Umge- Beddies keine Prognose zum Ende der Genua und Neapel. bung besser als die deutschen Truppen Ermittlungen abgeben: „Das lässt sich und zogen sich nach Süden in Richtung zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht Im Sommer 1944 war unsere Gegend, Lucca zurück. sagen, gerade in diesem Fall, in dem das Tal der Versilia, zu einem Schlacht- Infolge dieses Rückzugs ging die immer wieder Folgeermittlungen erfor- feld geworden. Die Alliierten waren bis Bevölkerung davon aus, dass die Zone derlich sind.“ nach Pisa und Livorno gekommen um Sant’Anna sicherer war als zuvor, Das Verschleppen von Verfahren hat in (23.7.1944). Die Küstenregion bei Pie- da der “Anreiz” für die Deutschen fehl- der bundesdeutschen Justiz Tradition. trasanta wurde zum Stützpunkt der 16. te. Als Konsequenz kamen noch mehr Nach etwa 106.000 Vorermittlungsver- SS-Panzergrenadierdivision unter Max Flüchtlinge in das Dorf. fahren wurden seit 1958 gerade einmal Simon. In der Nacht zum 12.8.1944 machte sich 6.500 NS-TäterInnen verurteilt, davon Seit Beginn des Jahres 1944 hielten sich gegen 3.00 Uhr das Bataillon mit dem lediglich 160 zu lebenslänglicher Haft. Partisanen in der Region auf. Ihre Kommandanten Anton Galler (Waffen- Wegen im Ausland begangener NS- SS) - das wissen wir erst seit den 90er Kriegsverbrechen mit Todesfolge wur- den bis 1997 in der BRD sogar nur 71 Gedenktafel im Museum Verfahren eingeleitet, von denen nur die Hälfte mit einer Verurteilung endete. „Tot ermittelt“ hat die bundesdeutsche Justiz schon viele NS-Kriegsverbre- chen. Und auch für die Ermittlungen zum Massaker in Sant’Anna ist das „irgendwann“ der Stuttgarter Staatsan- waltschaft zu spät. Zu spät für viele Überlebende oder Angehörige der 52 Opfer. Spät genug, um die Täter nicht Jahren - in Richtung Dorf auf; sie wur- nachdem sie an unserem Haus vorbeika- den von einigen italienischen Kollabo- men, nicht nach Valdicastello zu gehen, rateuren aus der Region begleitet. Dies sondern sich in der Nähe, im Wald zu muss ich zu meinem großen Bedauern verstecken. Unser Gedanke war, so bemerken. schnell wie möglich zum Haus zurück Es war also so: gegen 6.00 umzingelten zu gelangen, um dann noch retten zu vier Kolonnen das Dorf Sant’Anna. Von können, was zu retten war. Etwa 150 drei Seiten aus kamen sie über die nahen Meter entfernt versteckten wir uns im Berghänge. Von der vierten Seite her Kastanienwald, um die Kuh zu retten. wurde die Dorfstraße abgesperrt, um die Die Milch der Kuh sicherte unser Über- Flucht zu verhindern. leben. Nach einer halben Stunde oder Als sie die Berggipfel erreicht hatten, auch etwas länger hörten wir deutsche schossen sie Leuchtraketen ab um sich Stimmen im Wald, die näher kamen. gegenseitig Signale zu geben. Dies wur- Eine Patrouille fand uns, es waren etwa de im Dorf bemerkt. Die Männer gingen 7 bis 8 Soldaten; wir wurden von ihnen davon aus, es würden wie üblich wieder in Richtung Kirchplatz getrieben, die Zwangsarbeiter rekrutiert. Sie ver- Hälfte vorne, die anderen dahinter. Wir schwanden in die nahen Wälder. Es blie- sollten schnell gehen, das konnten wir ben also Frauen, Kinder und Ältere aber nicht, wir waren barfuß im Wald, zurück, die dachten, für sie bestünde und mit uns Kindern ging es nicht so keine Gefahr. schnell. Um 6.30 morgens begann das Massaker. Die Patrouille hatte einen festen Zeit- Enio Mancini führt durch das Museum von Sant’ Anna di Stazzema Drei der vier Kolonnen haben jeden plan, den sie einhalten wollte. Die Sol- getötet, den sie antrafen. Es wurde über- daten gingen also voraus, ließen aber all getötet, in den Häusern, in den Stäl- einen jungen Deutschen von ca. 17 oder lagen, und vermutlich zuvor vergewaltigt len, auch auf dem Kirchplatz. Gegen 18 Jahren bei uns, so etwa schätzten worden waren. 9.30 war alles vorbei, es blieben ca. 560 unsere Frauen das Alter des Mannes. Ein Beispiel, das der Rabbi Elio Duaff, Tote zurück. Es wurden fast alle Häuser Als die anderen verschwunden waren, Ober-Rabbi von Rom mir berichtet hat, zerstört, auch die landwirtschaftlichen sagte dieser etwas zu uns auf deutsch, ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Gebäude niedergebrannt, die Tiere getö- wir verstanden jedoch nichts. Seine Er hielt sich wie die anderen Männer im tet. So sah die Strategie der “verbrann- Gesten gaben uns zu verstehen, dass wir Wald versteckt, und als sie dachten, dass ten Erde” des General Kesselring aus. ruhig sein und uns entfernen sollten. alles vorbei wäre, kam er am späten Dies war die Arbeit der drei Kolonnen. Wir kehrten also um, liefen aufwärts, Nachmittag zu den Häusern. Auf dem Ich hatte das Glück, dass die vierte und hinter uns hörten wir Salven aus Kirchplatz sah er einen großen Haufen Kolonne mit unserer Gruppe, die aus einer Maschinenpistole. Erst dachten toter Körper, die erschossen und ange- etwa 100 Menschen bestand, anders wir, er schießt auf uns. Dann aber sahen zündet worden waren. umging. wir, dass er in die Luft schoss. Wir ver- Ich berichte nun aus meinen eigenen standen, dass dieser junge Mann uns das Erinnerungen. Die italienischen Faschi- Leben gerettet hat. Ich habe noch heute sten, die maskiert waren, führten die Wir haben aus dem Tal viele Schüsse Schwierigkeiten zu deutschen Soldaten etwa gegen 6.30 gehört, konnten jedoch das ganze Aus- beschreiben, Uhr ins Dorf. Um uns einzuschüchtern, maß der Tragödie noch nicht erkennen, haben sie um sich geschossen. Wir hat- da wir auch dachten, es gebe mehrere was ich dort sah ten uns eingeschlossen. Wenn man die solcher Verhaltensweisen wie bei uns. Tür nicht aufmachte, wurde diese aufge- Der Einsturz brennender Häuser und Die schrecklichste Erinnerung war für brochen. Es kamen 4 bis 5 Soldaten in viele Schüsse waren zu hören. Wir woll- ihn, wie er in einem Haus eine junge Frau jedes Haus, bis oben hin bewaffnet, mit ten jedoch so schnell wie möglich bemerkte, die noch lebend aussah. Sie Flammenwerfern ausgerüstet, um zurück, um zu wissen, was mit unserem sollte gerade an diesem Tag ihr Kind anschließend die Häuser niederzubren- Haus geschehen war. Von ca. 10 Uhr bis gebären, die Wehen hatten begonnen. Er nen. gegen 4 Uhr nachmittags haben wir ging zur Tür, die angelehnt war, um mit Einige Soldaten durchsuchten die Häu- gearbeitet, um dort unser Hab und Gut ihr zu sprechen. ser, andere trieben die Menschen auf zu retten. Wir trafen dann andere Leute, Aber die Frau lebte nicht mehr. Ihr war dem Platz zusammen. Unsere Leute die sich frühmorgens in die Wälder der Bauch aufgeschlitzt worden. Das wurden gegen die Hauswand gestellt, geschlagen hatten. Sie berichteten uns, noch nicht geborene Kind lag auf dem etwa zehn Minuten mussten wir stehen. was im Dorf vorgefallen war. Wir gin- Küchentisch, noch mit der Nabelschnur Vor uns waren Maschinengewehre auf- gen zu den Häusern unserer Verwand- verbunden, noch mal extra mit der gestellt. Wir dachten, das ist das Ende. ten, ich lief hinter meiner Mutter und Maschinenpistole erschossen. Seitdem Zu unserer völligen Überraschung Großmutter zuerst zum Haus der Fami- war Duaff nie wieder in Sant’Anna befahl uns aber ein Offizier, “Raus, lie Pieri. gewesen. schnell - Valdicastello”. Wir konnten dies zunächst nicht verstehen, aber die Ich habe noch heute Schwierigkeiten zu Ich möchte das hier nicht ausweiten. Ich ital. Faschisten übersetzten, wir sollten beschreiben, was ich dort sah. Ich sah bitte um Entschuldigung, diese Grausam- verschwinden. im Haus verbrannte Menschen, der keiten hier berichtet zu haben. Ich möch- Während wir in kleinen Gruppen in Geruch von verbranntem Fleisch war te jedoch darauf aufmerksam machen: Es Richtung Valdicastello zu entkommen extrem. Auch die Menschen, die auf waren wohl Menschen, die hier am Werk versuchten, sahen wir zurück, und konn- offener Straße getötet wurden, waren waren. Sie haben sich jedoch nicht wie ten erkennen, dass die Häuser, auch nachträglich mit Stroh, Holz oder Flam- Menschen verhalten.” unseres, angezündet wurden. Meine menwerfern angezündet worden. Es Familie - die Frauen - entschieden, waren viele Frauen, die dort nackt 53 Zivile Opfer waren grausames Kalkül Das Massaker von Marzabotto

im benachbarten Cadotto, dort befand sche Verteidigungslinie in Norditalien, sich der Kommandostand. Hier wurden Heute leben kaum mehr Menschen auf waren die beiden Berge Monte Caprara in den folgenden Gefechten die meisten dem Monte Sole südöstlich von und Monte Sole für die Deutschen die PartisanInnen getötet, darunter auch ihr Marzabotto. Nur wenige überlebten das letzten natürlichen Bollwerke vor Kommmandant "Lupo". Den Überle- benden gelang es, sich im Wald zu ver- Nazi-Massaker zwischen 29. September Bologna. Die dortigen PartisanInnen gerieten deshalb besonders ins Visier. stecken und - vermutlich in einer und 1. Oktober 1944. Diejenigen, die in Im September 1944 wurde die 16. Pan- Kampfpause - der Einkesselung durch die zerstörten Ortschaften zurück zergrenadierdivision "Reichsführer SS" die Deutschen zu entkommen. kehrten, fanden noch Monate nach an diesen Frontabschnitt verlegt. Diese Kriegsende den Tod durch von Division zog eine regelrechte Blutspur Überlebende berichten deutschen Soldaten gelegte Minen. Das quer durch die Toskana und tötete nach Massaker war von einem gemischten Erkenntnissen des Historikers Carlo Zum Zeitpunkt des Massakers lebten Verband aus SS und Einheiten der Gentile etwa 2500 ZivilistInnen und nicht nur Einheimische auf dem Berg, Wehrmacht verübt worden. Was als schickte mindestens 10.000 Italiener sondern auch Flüchtlinge aus Bologna, militärische Aktion geplant war - endete zwangsweise zum Arbeitseinsatz nach die in den Bergen Schutz vor Bombar- in einer Reihe grausamer Massaker an Deutschland. Am 28. September wurde dements gesucht hatten. Andere waren der Befehl erteilt, das ganze Gebiet von den Deutschen aus der Toscana der Zivilbevölkerung. "von Partisanen zu säubern", um die hierher verschleppt worden. Verteidigung und den Rückzug der Nur durch glückliche Zufälle gelang es Deutschen zu sichern. einigen wenigen, dem Massaker zu ent- kommen, so Lidia Pirini aus Cerpiano: Die Ereignisse "Es war der 29. September um neun Uhr Im Winter 43/44 scharte Mario Musole- morgens. Als ich vom Herannahen der si aus Marzabotto, Kampfname "Lupo", Am frühen Morgen des 29. September Deutschen erfuhr, flüchtete ich nach eine PartisanInnengruppe um sich. wurde das Gebiet von Einheiten der SS Casaglia. Ich habe meine Familie ver- Nach dem Vorbild der jugoslawischen und der Wehrmacht umstellt. Sie erhiel- lassen und war nicht bei ihnen, als sie PartisanInnen unter Tito, die unter dem ten Unterstützung von einzelnen orts- ermordet wurden. Meine Mutter und roten Stern kämpften, nannte er die Ein- ansässigen Faschisten, die, getarnt meine 12-jährige Schwester, acht Cou- heit "Stella Rossa". Zur Zeit des Massa- durch SS-Uniformen, den Deutschen sins und vier Tanten wurden am 29. und kers bestand sie aus ca. 800 Leuten, dar- Wege, Häuser und mögliche Verstecke 30. September in Cerpiano ermordet. unter 90 Frauen und eine größere Grup- zeigen sollten. Die Einheiten ermorde- Am 29. haben sie sie verletzt. Am 30. pe geflohener Kriegsgefangener. ten in den folgenden Tagen 770 Zivil- Das Gebiet zwischen den Flüssen Reno personen auf brutale und sadistische und Setta, das zu den Gemeinden Mon- Weise. Kampfhandlungen gegen Parti- zuno, Grizzana und Marzabotto gehört, sanInnen fanden nur wenige statt. lag zwischen den Fronten: Die Alliier- Bei Scope kam es zu einem ersten kur- ten waren von Süditalien bereits bis zen Gefecht. Doch den PartisanInnen zum benachbarten Gebirgszug vorge- gelang es, sich auf den Monte Sole drungen, die Deutschen belagerten die zurückzuziehen. In Ca di Derino hielten gegenüberliegende Bergkette. Auf zwei sich ca. 30 PartisanInnen auf und ca. 20 wichtigen Verkehrsstraßen und zwei Eisenbahnlinien, darunter die direkte Zugverbindung zwischen Bologna und

Mauerreste des Ostchores Diese Division zog eine der Kirche von Casaglia. In regelrechte Blutspur den Tagen vom 29. September bis zum 1. quer durch die Toskana Oktober fanden die Massaker statt. Von überall her flüchten sich die BewohnerInnen des Monte Sole in die Kirche von Mittelitalien, transportierten die Nazifa- Casaglia, in der Hoffnung, schisten Truppen, Waffen und Waren. dort in Sicherheit vor der Dies machte die Gegend zu einem deutschen Razzia zu sein. wichtigen Aktionsgebiet der "Stella Doch alle - mit Ausnahme Rossa", die Sabotageaktionen und eines Priesters, einer Überraschungsangriffe gegen deutsche gelähmten Frau und zwei und faschistische Einrichtungen und Kindern, die sofort erschossen werden - werden Einheiten durchführte. von den Soldaten aus der Seit dem Angriff der Alliierten im Som- Kirche getrieben und später 54 mer 1944 auf die "Gotenlinie", die deut- auf dem Friedhof erschossen. kamen die Nazis zurück, um sie umzu- den Maschinengewehren zielten, warf bringen. ich mich den Bergrücken hinunter und In Casaglia hörten wir die Schüsse der schrie die Namen der meinigen, (...). Ich Deutschen immer näher kommen. Wir konnte sehen, wie sie mit Maschinenpi- konnten den Rauch der in Brand gesetz- stolen und Gewehren mitten in die ten Häuser sehen. Niemand wusste Unschuldigen schossen. Sie warfen wohin und was machen. Letztendlich Handgranaten und die Soldaten töteten flüchteten wir in die Kirche. Als die Einzelne, die noch am Leben waren und Deutschen dorthin kamen, hatte ich klagten." Angst, ihnen ins Gesicht zu sehen. Sie Nicht weit von der Kirche von Casaglia schlossen das Kirchentor und alle im entfernt befand sich der Andachtsraum Inneren schrien vor Entsetzen. Wenig von Cerpiano. Hier hatte die SS 49 Per- später kamen sie zurück und führten uns sonen eingesperrt, darunter 19 Kinder. zum Friedhof. Wir mussten uns vor der Kurz nach ihrer Ankunft warf die SS Kapelle aufstellen; sie platzierten sich Handgranaten in den Andachtsraum. 30 in der Hocke, um gut zielen zu können. Menschen waren sofort tot. Der achtjäh- Sie schossen mit Maschinenpistolen rige Fernando Piretti war am Leben und Gewehren. Ich wurde von einem geblieben. Weil er glaubte, die Nazis Maschinengewehr am rechten Ober- seien abgezogen, zog er die sechsjähri- schenkel getroffen und fiel ohnmächtig ge Paola Rossi unter dem toten Körper zu Boden. 1" ihrer Mutter hervor, der sie vor dem Tod Elena Ruggier gelang es, sich zusam- bewahrt hatte. Doch die Nazis kamen men mit ihrer Tante, einem Cousin und am nächsten Morgen zurück, um die einem Bekannten in der Sakristei zu Überlebenden durch gezielte Schüsse zu verstecken, von wo aus sie das weitere töten. Die dritte Überlebende, die Leh- Geschehen beobachten konnten: "Der rerin Antonietta Benni, schaffte es gera- Priester konnte deutsch und redete mit de noch rechtzeitig, die beiden Kinder zweien von ihnen. Sie lachten ständig unter einer Decke zu verstecken. Sie und zeigten auf ihre Gewehre und weil berichtet: "Wir hatten gehofft, dass sie der Priester beharrlich blieb, erschossen uns nichts antun würden. Stattdessen sie ihn vor dem Altar. Ich hatte eine öffnete sich nach kurzem die Tür und Indischer Partisan der Formation Stella Rossa. Als Hand auf den Mund meines Cousins einige Nazis tauchten mit furchteinflö- Soldat der Commonwealth-Truppen geriet er in Giorgio gepresst, aus Angst, er würde ßenden Gesichtern auf. In ihren Händen Kriegsgefangenschaft, konnte fliehen und schloss sich der Resistenza an. schreien. Sie ermordeten auch eine trugen sie Handgranaten und sie sahen Frau, die gelähmt war und sich nicht uns an, als würden sie ihre Beute aussu- rühren konnte." chen (...). Dann flogen Handgranaten Der Partisan Adelmo Benini von der durch die Tür und die Fenster: Wir 1 "Stella Rossa" verlor bei dem Massaker schrieen, weinten, flehten, die Mütter Alle ZeitzeugInnenberichte stammen aus: seine Frau und beide Kinder. Er erfuhr hielten ihre Kinder fest, schützten die Giorgi, Renato: Marzabotto parla, Marsilio Editori, Venezia 1999 in der Nacht vom 28. auf den 29. Sep- Gesichter und suchten verzweifelt tember vom Anrücken der Deutschen Schutz. Ich fiel ohnmächtig zu Boden." Gedenkstätte Parco Storico Monte Sole in und warnte seine Frau, die mit den bei- der Emiglia Romagna, südlich von Bologna: den Mädchen fluchtartig das Haus ver- Anerkennung von Kesselring Autobahn Bologna - Florenz, Ausfahrt ließ und nach Casaglia flüchtete. Nach Sasso Marconi: Bundesstraße 64 den bisher gemachten Erfahrungen ging "Bandenaktion beendet, mit Vernich- (Superstrada SS 64) entlang des Flusses man davon aus, dass die "männliche tung der Bande Roter Stern." Dafür gab Reno in Richtung Porretta; Marzabotto Matrix des Krieges" respektiert werde: es eine Anerkennung von Kesselring. durchfahren bis zum Ortsteil Pián di Bei vorangegangenen Razzien, waren Doch nur zwei Tage später klagten die Vénola; dort links abbiegen in Richtung die Männer zu Zwangsarbeit ver- Deutschen wieder über eine Zunahme "Parco Storico di Monte Sole/Casaglia", schleppt worden, den Frauen, Kindern hinter Bahnübergang nach der “Bandentätigkeit”. Lediglich die Flussüberquerung rechts halten. Dann und Alten war jedoch nichts geschehen. logistische Struktur der "Stella Rossa" kleine Bergstraße hoch bis zur Hochebene So glaubte sich die Zivilbevölkerung in war zerstört worden. Lutz Klinkhammer des Monte Sole. der Kirche von Casaglia sicher. Die zieht den erschreckenden Schluss: Da Sede legale: Via San Martino 25, 40043 Kämpfenden zogen sich in die angren- den durchführenden Einheiten schnell Marzabotto (Bo) zenden Wälder zurück, um keine Zivili- klar gewesen sein dürfte, dass sie die Sede Ufficio: Via Porrettana Nord 4 d/e/f, stInnen zu gefährden. "Stella Rossa" nicht vernichten konn- 40043 Marzabotto (Bo) Adelmo Benini musste vom Berg aus ten, sei die Tötung der ZivilistInnen zusehen, was unten in Casaglia grausames Kalkül gewesen. Man habe Joachim Staron: Fosse Ardeatine und geschah: eine möglichst große Zahl von Opfern Marzabotto: Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza, Paderborn u. a. 2002 "Voller Panik stellten wir fest, dass die gebraucht, um eine erfolgreiche Aktion Nazis keineswegs Frauen und Kinder melden zu können. Friedrich Andrae: Auch gegen Frauen und verschonten. Das sah man, als sie sie Kinder. Der Krieg der deutschen mit Stößen und Fußtritten zum Friedhof 1989 wurde das betroffene Gebiet zum Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in jagten. Wir sahen, wie sie das Tor zum "Parco Storico di Monte Sole", zum Italien 1943 - 1945, München/Zürich (2) Friedhof aufschossen und sie alle auf historischen Park von Monte Sole 1995 den Stufen zur Kapelle zusammen- erklärt. pferchten, die Großen hinten, die Klei- nen vorne; als ich merkte, wie sie mit Nadja Bennewitz und Dieter Binz 55 Zeitzeugnisse "Er wurde sofort niedergeschossen"

Francesco Pirini, ein Überlebender von Marzabotto erinnert sich Francesco Pirini Maschinengewehren beschossen wurde. zu mustern. Ein Onkel von mir war Francesco Pirini ist einer der wenigen Meine Schwester bekam einen Schuss einer der Überlebenden. Er hatte seine Überlebenden von Marzabotto. Nachdem in ihr Hüftgelenk. Sie knickte ein und Frau und sechs Kinder die Woche zuvor er fast 50 Jahre nicht über seine fiel, starb aber nicht an der Verletzung. verloren. Er bemerkte die seltsame Erlebnisse sprach, berichtet er heute als Sie blieb verletzt auf der Erde liegen Musterung und versteckte ein Mädchen Zeitzeuge über die damaligen Ereignisse. und die anderen fielen tot auf sie. Das mit meiner Schwester unter einem war am 29. September 1944, einem umgedrehten Holzkübel. Dadurch ent- Freitagvormittag. Sie blieb dort bis zum gingen die beiden dem Schicksal der Francesco Pirini: Am 29. September Samstagnachmittag liegen, als ein Bau- anderen Frauen. Kurz darauf wurden 1944 bekamen wir in Cerpiano mit, dass er aus der Gegend kam, der verzweifelt alle, einschließlich einer Ordensschwe- es eine deutsche Durchkämmungsaktion seine Familie suchte. Er fand seine ster, von Reder und seinen Soldaten ver- gab. Meine Mutter hat mich fortge- Angehörigen tot unter dem Berg von gewaltigt. Dann mussten sie das Haus schickt. Mit 17 Jahren befand ich mich Leichen. Er hörte meine verletzte verlassen. Die Gruppe der Überleben- im "Risikoalter" zum Militär eingezo- Schwester und befreite sie. Trotz des den zog nach Bologna und brauchte gen zu werden. Es war schon häufiger Steckschusses machte sie sich in Rich- über einen Monat, bis sie dort Mitte vorgekommen, dass die Deutschen hier- tung Cerpiano auf. Sie wollte nach Hau- November ankamen. her kamen und Häuser ansteckten oder se gehen, um zu sehen, was mit den Ich hielt mich die ganze Zeit über im jemanden suchten. anderen geschehen war. Auf ihrem Weg Wald versteckt. Als die Soldaten ihr sah sie in einiger Entfernung deutsche Lager aufbauten, hatte ich die Hoffnung Soldaten. Da sie offensichtlich auf sie aufgegeben, nach Cerpiano zurückkeh- schießen wollten, ließ sie sich in einen ren zu können. Im Wald war ich auf Meine Schwester blieb verletzt Straßengraben die Böschung herunter- andere Leute gestoßen. Wir hatten auf der Erde liegen und die fallen. Somit entging sie den Schüssen. gemeinsam den Fluss überquert und Im Graben stieß sie auf drei andere waren unterhalb eines Dorfes heraus- anderen fielen tot auf sie Frauen, die sich dort bereits versteckt gekommen. Wir waren durchnässt und hielten. Vorerst blieben sie zusammen. dreckig und versuchten Unterschlupf Die Frauen behandelten ihre Wunde bei ein paar Bauernhäusern zu finden, Ich versteckte mich auch diesmal in durch Waschungen mit eigenem Urin was uns jedoch verwehrt wurde. Eine einem Waldstück, von dem aus ich Cer- und brachten ihr bei, wie man Wunden der Bäuerinnen, Margarita Janelli, hat piano sehen konnte. Um beobachten zu desinfiziert. sich jedoch dazu überreden lassen, Brot können, was dort vor sich ging, legte ich Nach ein paar Tagen kamen alle aus zu backen und uns Essen in den Wald zu mich in unmittelbarer Nähe flach auf ihrem Versteck. Sie suchten nach ihren bringen. Durch ihre 5 Brotlaibe konnten den Waldboden. Familien und fanden Leichenberge. Sie wir 10 Tage überleben. Ungefähr 16 Soldaten der SS waren setzten die Toten in einem Massengrab Später sahen wir ein Gefecht zwischen angekommen. Sie hatten die älteren bei. Deutschen und anderen Soldaten. Da sie Männer, Frauen und Kinder in unser In Cerpiano war das große Steinhaus gegen die Deutschen kämpften, waren Kirchlein getrieben. Dann folgte eine nicht zerstört worden. Aus diesem wir der Meinung, dass das diejenigen Explosion. Ich hörte Schreie und Stöh- Grunde fanden sich die Überlebenden waren, auf die wir warteten. In der fol- nen aus dem Inneren der Kirche, das hier ein. Plötzlich tauchten Reder und genden Nacht machten wir uns in Rich- nach und nach abflachte und schließlich seine Leute wieder auf, die alle im Haus tung dieser Soldaten auf. Dabei über- aufhörte. Plötzlich wurde versucht, die in den Keller einsperrten. Sie benutzten schritten wir die damalige Front und Tür von innen zu öffnen. Ein älterer die Küche, wärmten sich an dem bren- befanden uns im schon befreiten Gebiet Mann kam raus. Er wurde jedoch von nenden Ofen und fingen an, die Frauen der Alliierten. zwei Soldaten sofort niedergeschossen. Diese Ereignisse habe ich selbst beob- achtet, andere wurden mir von den Überlebenden erzählt. Meine Schwester war mit unserem Cou- sin und anderen Jugendlichen in die Pfarrkirche nach Casaglia gegangen. Als sie ankamen, war die Kirche bereits mit ca. 90 Personen gefüllt. Die Solda- ten trieben die Leute dann zum Fried- 56 hof, wo die gesamte Gruppe mit Persönliches Gedenken in den Ruinen am Monte Sole Mit der Faust habe Renninger auf den Tisch geschlagen und entschieden “no” gesagt. Nein, den Befehl habe er nicht verweigern können, er sei nur der Ausführende gewesen und habe nicht entschieden, Geiseln zu erschießen. 1998: Alberto Custodero zu Besuch bei Anton Renninger (links) auf einem Volksfest bei Anton Renninger in Erlangen Pinerolo Gerne erzählt Alberto Custodero, Journa- list aus Turin, von seinem Besuch bei Anton Renninger, den er 1998 in Erlan- gen mit Hilfe eines alten Fotos ausfindig Der Schrank im Palazzo Cesi machte. Ein gutes Jahr später, also erst über ein halbes Jahrhundert nach Krieg- Späte Prozesswelle gegen ehemalige sende, erhob die Militärstaatsanwalt- deutsche Soldaten in Italien schaft Turin Anklage gegen den mutmaß- lichen Verantwortlichen für ein Massaker im italienischen Cumiana wegen Mordes wegen der Erschießungen von 15 Män- Ermittlungen gegen die Verurteilten von an 51 Geiseln (siehe auch S. 58/59). nern auf dem Mailänder Loretoplatz in Sant’ Anna in Deutschland aufgenommen Abwesenheit zu lebenslanger Haft ver- hat. Auch 2006 sind diese Ermittlungen Auf den Schreibtischen der italienischen urteilt. noch nicht abgeschlossen, die Staatsan- StaatsanwältInnen stapelten sich plötz- Im letzten Jahr wurde auch das Massa- waltschaft sei bei jedem einzelnen noch lich Berge ähnlicher Akten über ehemali- ker von Sant’ Anna neu aufgerollt. Am auf der Suche nach den sogenannten ge Wehrmachtssoldaten oder SS-Angehö- 22. Juni 2005 verkündet der Präsident Mordmerkmalen. rige, denen die Beteiligung an Kriegsver- des italienischen Militärgerichts in La In Italien prüfte über drei Jahre lang eine brechen in Italien zur Last gelegt werden. Spezia das Urteil: lebenslänglich für alle parlamentarische Untersuchungskommis- Während der 20 Monate dauernden deut- 10 Angeklagten, ehemalige Soldaten der sion, wie der Inhalt des Schrankes im schen Besatzung wurden etwa 10.000 16.SS-Panzergrenadierdivision “Reichs- Palazzo Cesi bis 1994 unter Verschluss Zivilpersonen umgebracht, nicht einge- führer SS”, die bisher unbehelligt in hatte bleiben können. Das Gremium, des- rechnet sind Militärangehörige und Deutschland leben. sen Einrichtung von Vertretern der vorhe- WiderstandskämpferInnen. Solche Urteile haben für die Betroffenen rigen Regierung monatelang blockiert Anlass für das späte juristische Vorgehen jedoch kaum Folgen, denn nach dem wurde, hat im Juni 2006 seinen 430 Seiten war ein alter Aktenschrank im Palazzo Grundgesetz dürfen Deutsche nicht an langen Bericht vorgelegt. Er enthält ein Cesi, dem Sitz der Militär-Generalstaats- andere Staaten ausgeliefert werden. Die Mehrheits- und ein Minderheitsvotum. anwaltschaft im Rom. Dort wurden in deutschen Staatsanwaltschaften müssten Die Mehrheit stellt keine Schuld der ita- den 50er bis Anfang der 60er Jahre noch die Akten anfordern und eigene Verfah- lienischen Behörden an der Verschlep- von den Alliierten angelegte Akten über ren einleiten, wie im Fall Siegfried pung der Strafverfahren fest, die Minder- Kriegsverbrechen gestapelt, die an die Engel geschehen: Ebenfalls in Turin heit ist anderer Meinung. zuständigen Militärstaatsanwaltschaften wurde der ehemalige SS-Offizier zu hätten verschickt werden müssen. Doch lebenslanger Haft verurteilt. Er soll für Während des Kalten Krieges die Unterlagen verblieben im Schrank, den Tod von 246 Geiseln verantwortlich der verschlossen und mit der Tür zur sein, darunter die 59 Opfer einer “Süh- wollte man auf Deutschland Wand gestellt wurde. Während des Kal- nemaßnahme” am Turchino-Pass. Das Rücksicht nehmen ten Krieges wollte man auf den NATO- Hamburger Landgericht verurteilte den Partner Deutschland Rücksicht nehmen. “Todes-Engel”, wie ihn die Häftlinge Im Prozess gegen Anton Renninger konn- Auf deutscher Seite sind in jener Zeit von von Genua nannten, 2002 wegen Mor- te in Turin kein Urteil gefällt werden. Der den Staatsanwälten, die häufig schon vor des zu sieben Jahren Haft. Lediglich auf ehemalige SS-Obersturmführer starb im 1945 im Dienst waren, Ermittlungsakten das Massaker am Turchino-Pass bezog Jahr 2000 vor dem Ende seines Verfah- über deutsche Kriegsverbrechen ohnehin sich das Urteil, seine weiteren Kriegs- rens. Bevor seine Vergangenheit in Erlan- schnell wieder geschlossen worden. So verbrechen blieben unerwähnt. Doch gen bekannt wurde, war er Ehrenvorsit- staubten die Unterlagen unberührt im Engel musste auch diese Haftstrafe nie zender eines Reitsportvereins und ein “Schrank der Schande” vor sich hin. antreten. Der Bundesgerichtshof hob angesehener Mann im öffentlichen Leben Erst Mitte der 90er Jahre öffnete ein das Urteil im Jahr 2004 auf, da nicht der Stadt. Justizbeamter auf der Suche nach Unter- ausreichend geprüft worden sei, ob “Dass die Gerechtigkeit wenigstens for- lagen für das Verfahren gegen Erich Engel bewusst die Möglichkeit einer mal stattfindet und Renninger im Prozess Priebke den Schrank. Nahezu 700 Akten weniger brutalen Durchführung der in Turin verurteilt wird”, hätte sich Giulio kamen wieder zum Vorschein und wur- Tötungshandlungen außer Acht gelassen Nicoletta gewünscht. Nicoletta war den diesmal an die zuständigen Militär- habe oder aufgrund der Auswahl der Anführer einer Partisaneneinheit und ver- staatsanwälte verschickt. Nun konnte Opfer das Mordmerkmal des niedrigen handelte mit Renninger über die Freilas- jede Staatsanwaltschaft entscheiden, ob Beweggrundes gegeben sein könnte, sung der Geiseln: “Ich sagte, beschließen Ermittlungen aufgenommen werden soll- und stellte das Verfahren ein. wir das ganze. Sagen Sie mir, was wir tun ten. Es folgte eine Reihe von Prozessen Nichts überstürzen und sich an diesem müssen. Daraufhin hat er mir mitgeteilt, und Verurteilungen. Zum Beispiel wurde Urteil des Bundesgerichtshofes orientie- dass bereits 51 Zivilisten erschossen der deutsche Kripo-Beamte und ehemali- ren will auch die Stuttgarter Staatsan- waren.” ge SS-Hauptsturmführer Theo Saevecke waltschaft, die seit Oktober 2002 Wolfgang Most 57 Höhle der Banditen Das Massaker von Cumiana

Als im Frühjahr 1944 die Deutschen in re mich, dass sein Name ‘Renningen’ ganz Italien die Bekämpfung des war. Zusammen mit Don Felice Pozzo Widerstands forcieren, wird auch und einem anderen Pfarrer ging ich zu Cumiana Zielort der Repression: den Partisanen. Sie schrieben den Brief Anfang März wird das VII. Bataillon ab und brachten ihn in ihr Hauptquar- 1944: Niedergebrannter Straßenzug in Cumiana der italienischen SS in der Ebene fünf tier.” Kilometer vor Cumiana stationiert. Dieser Brief ist das Ultimatum Rennin- Unterstützt von anderen Einheiten gers, in dem gedroht wird, die Geiseln beginnt die SS mit Durchkämmungsak- zu erschießen und Cumiana niederzu- In seinem Buch Covo di banditi tionen und Verhaftungen. brennen, wenn die PartisanInnen ihre beschreibt der Politikwissenschaftler Bei einer Razzia am 30. März werden Gefangenen nicht “heil und unversehrt” Marco Comello aus Cumiana eines der 80 Personen verhaftet, eine unbekannte freiließen. größten Massaker während der Anzahl von ihnen verschwindet in In einer ersten Entscheidung lassen die deutschen Besetzung Italiens: 51 Arbeitslagern in Deutschland. Einen PartisanInnen mitteilen, dass sie nur Zivilisten werden in Cumiana als Tag später bringt ein Lastwagen, gefah- bereit seien, acht Gefangene gegen acht Vergeltung für eine Partisanenoperation ren von einem der Gefangenen des Vor- Partisanen, die am 30. März in die Hän- erschossen. tages, die Lebensmittelzuteilung für de der Deutschen gefallen waren, zu Im Herbst 1999 erhob die Turiner Cumiana. Eskortiert wird er von 40 ita- tauschen. lienischen SS-Männern unter dem “Diese Entscheidung entstand aus dem Militärstaatsanwaltschaft in dieser Sache Kommando deutscher Unteroffiziere. militärischen Charakter der Situation: Anklage wegen Mord, begangen an Die Eskorte bleibt über Nacht mit dem Wäre man auf die Erpressung einge- italienischen Zivilisten durch feindliche Lastwagen im Zentrum von Cumiana, gangen, hätten die Partisanen in Militärangehörige. Angeklagt war Anton da die Verteilung an die Händler erst am Zukunft bei ähnlichen Geschehnissen Renninger aus Erlangen. Nach nächsten Morgen erfolgen kann - eine keinerlei Handlungsspielraum mehr Zeugenaussagen war er damals mit einer Provokation für die PartisanInnen. gehabt. Außerdem schien es in diesem italienischen SS-Einheit unter deutschem Moment legitim, den Deutschen einen Kommando in Cumiana. Im Morgengrauen beschließen die Gegenvorschlag zu unterbreiten. Die Anton Renninger starb im April 2000, Kommandanten dreier PartisanInnen- Bevölkerung sollte aus dem Kriegsge- bevor der Prozess beendet werden gruppen, darunter Franco Nicoletta, den schehen herausgehalten werden” (Covo konnte. Lastwagen an sich zu bringen. Die di banditi, S. 88). Aktion beginnt am 1. April um 11 Uhr. Dieses Angebot der PartisanInnen wird An ihr nehmen 60 PartisanInnen teil, von den Deutschen abgelehnt. In den die aus den umliegenden Häusern die nächsten Stunden trägt Doktor Ferrero Eskorte des Lastwagens unter Beschuss immer wieder Angebote und Antworten Circa 40 Kilometer westlich von Turin nehmen. Nach heftigen Gefechten zwischen den PartisanInnen und der SS liegt die Gemeinde Cumiana. Für die bemächtigen sich die PartisanInnen des hin und her. Die PartisanInnen schlagen Deutschen galt diese Gegend am Fuß LKWs. Sie nehmen 31 SS-ler als eine Unterredung vor, Renninger will der Berge als “rifugio di banditi” - als Gefangene mit in die Berge. Zwei Par- dem nur zustimmen, wenn diese im ein Rückzugsgebiet der PartisanInnen, tisanen kommen ums Leben. Umkreis von 500 Metern von Cumiana von dem aus diese operierten und Die Vergeltungsaktion beginnt zwei stattfindet. Dies wiederum lehnen die Zugang zur Ebene um Turin hatten. In Stunden später. Einige 100 Soldaten, PartisanInnen aus Sicherheitsgründen den Februartagen des Jahres 1944 Deutsche und Italiener, beginnen die ab. gelingt es den PartisanInnen des Val Häuser zu räumen, zu plündern und Dazu Ferrero: “Am frühen Nachmittag Sangone (nahe Cumiana), die Kontrolle niederzubrennen. 135 ZivilistInnen des 3. April ging ich das vierte Mal zu über die umliegenden Berge und Dörfer werden am Dorfeingang zusammenge- den Partisanen. Die Partisanen schlu- trieben und am Nachmittag als Geiseln gen Giaveno als Ort der Unterredung in die SS-Kaserne gebracht. vor. Giaveno liegt 9 Kilometer von Der italienische Unteroffizier Aus dem Augenzeugenbericht des Arz- Cumiana entfernt. Oberleutnant Ren- tes von Cumiana, Michelangelo Fer- ninger lehnte dies ab und sagte: ‘Ent- sagte: ''Es ist jetzt 17.38; ihr rero: “Am 2. April gegen 9 Uhr wurde weder innerhalb von 500 Meter oder habt 5 Minuten um die ich gefragt, ob ich den Partisanen eine gar nicht.’ Gegen 16 Uhr ging ich das heiligen Sakramente zu Mitteilung des deutschen Offiziers fünfte Mal zu den Partisanen mit dem überbringen würde. Ich bejahte. Der Ziel, sie dazu zu bewegen, einem Tref- empfangen, um 17.43 wird Offizier diktierte mir mit Hilfe eines fen in nächster Nähe von Cumiana begonnen'' Dolmetschers einen Brief, den ich zuzustimmen. Die Partisanen willigten niederschrieb. Ich habe am 8. Januar schließlich ein, dass aus ihren Reihen 1946 dem Oberleutnant Fairley eine Giulio Nicoletta mit mir nach Cumiana zu erlangen. Cumianas faschistischer Kopie des Briefes übergeben, der in zurückkehrte. Wir kamen gegen 19 Uhr Bürgermeister macht sich aus dem meiner Anwesenheit unterschrieben nach Cumiana. Nicoletta blieb am Staub. wurde. Ich sah den deutschen Offizier Dorfeingang, und ich machte mich auf 58 diesen Brief unterschreiben und erinne- die Suche nach Oberleutnant Rennin- ger. Entlang der Straße lagen die Lei- sich lieber von ihm erschießen, als von chen von vielen Menschen, und ein einem Maschinengewehr getroffen zu faschistischer Offizier sagte mir, dass werden. Der deutsche Unteroffizier die Befehle des Generals inzwischen wurde durch die Schüsse überrascht ausgeführt worden sind.” und erschoss eilig diese drei Geiseln. Die Leichen entlang der Straße sind die Während er dies tat, warf ich mich auf Leichen von 51 Dorfbewohnern, haupt- den Leichenberg. Der deutsche Unter- sächlich Männer im mittleren Alter und offizier, besorgt wegen der Schreie und acht Partisanen. Gioacchino Mollar, der Schüsse, lief an die Ecke der Mauer um selbst unter den Geiseln war, erinnert zu beobachten, was geschah, und sich, dass diese Gruppe schon am Vor- begann zu schießen. Als er mir den tag aus den anderen Geiseln, ältere Rücken zukehrte, sprang ich von dem Männer und Evakuierte aus Turin, aus- Leichenberg auf und rannte auf eine gesondert worden war. Tür in der Mauer zu. Ich kam in das Augenzeugenbericht von Gioacchino Haus und befand mich vor der Tür zum Pietro Mollar, Schuster von Cumiana: Keller, in dem ich mich dann versteck- “Der italienische Unteroffizier sagte: te. Einige Minuten später kam dorthin ‘Es ist jetzt 17.38; ihr habt 5 Minuten auch der Lehrer Luigi Losano, und wir um die heiligen Sakramente zu empfan- versteckten uns zusammen hinter einem gen, um 17.43 wird begonnen.’ Dann Weinfass.” befahl der italienische Unteroffizier je drei Geiseln vorzutreten und führte die- Nach neuen Verhandlungen werden se um die Ecke der Mauer. Wir konnten zwei Tage später die übrigen Geiseln die Schüsse hören. Ungefähr die Hälfte gegen die Gefangenen der PartisanIn- Michelangelo Don und Ferrero Felice Dr. Pozzo nach dem Krieg der Geiseln war schon liquidiert, als ich nen ausgetauscht. an der Reihe war vorzutreten. Ich ging Am selben Tag schreibt Doktor Ferrero auch eines der Elemente, das wir ver- gerade mit meinen zwei Kameraden in auf Geheiß des deutschen Kommandos sucht haben zu widerlegen. Diese ganze Richtung der Ecke, als eine der noch eine Proklamation an die Bevölkerung Reise nach Deutschland erschien zurückgebliebenen Geiseln schrie: von Cumiana: “Jede Feindseligkeit ist unglaubwürdig.” Des Weiteren führt er ‘Lasst uns fliehen.’ Als ich diese Worte beendet. Die Bevölkerung wird aufge- zur Beweislage gegen Renninger aus: hörte, blieb ich stehen, genau an der fordert zu den alltäglichen Arbeiten “Die Schlüsselfigur für diese Verhand- Ecke der Mauer und sah den deutschen zurückzukehren, da es nun keinen lungen war der Partisan Giulio Nicolet- Unteroffizier, der neben den Leichen Grund mehr für Auseinandersetzungen ta. Er wurde dreimal vernommen und stand und mich ansah. Ich tat so, als und Aufruhr gibt” (Covo di banditi, S. hat sich mit großer Klarheit an Rennin- wollte ich noch einmal den Priester grü- 114). ger erinnert.” ßen und drehte mich um, um zu sehen, was die anderen Geiseln taten. Als ich 55 Jahre später In Cumiana ist diese Geschichte, wie mich wieder zu dem deutschen Unterof- Marco Comello ausführt, noch heute fizier wandte, sah ich, dass er schon Anton Renninger wird in der Anklage- gegenwärtig: “Auch wenn seitdem fast einen meiner beiden Kameraden getötet schrift vorgeworfen, “ohne Notwendig- 60 Jahre vergangen sind, hat sie nie- hatte und gerade dabei war, auch den keit” den Tod dieser 51 Personen mand vergessen. 51 Bewohner einer anderen zu töten. In diesem Moment bewirkt zu haben. Der 81-jährige Erlan- schleuderte eine der Geiseln eine Fla- ger reagierte anfänglich mit der Recht- sche gegen die Soldaten, die die Geiseln fertigung, er habe nur Befehle ausge- ''Der deutsche Unteroffizier in einem engen Kreis umzingelten. Die- führt. Später teilte sein Anwalt mit, wurde durch die Schüsse über- se begannen daraufhin mit ihren dass Renninger zur Zeit des Massakers Maschinengewehren zu schießen. Kurz nicht in Italien, sondern in Deutschland rascht und erschoss eilig diese bevor das Feuer eröffnet wurde, rannten in einem Krankenhaus gewesen sei. Für drei Geiseln. Während er dies drei Geiseln zur Mauerecke in Richtung den Staatsanwalt Pier Paolo Rivello des deutschen Unteroffiziers. Sie ließen klingt dies nicht plausibel: “Dies war tat, warf ich mich auf den Leichenberg''

In das Deutsche übersetzte Kommune mit 5000 Einwohnern sind Neuauflage des Buches über das relativ gesehen ungeheuer viele. Das Massaker von Cumiana und die wäre ungefähr so, als wenn in Turin, Geschichte des Widerstands gegen einer Stadt mit 1 Million Einwohnern, die deutsche Besatzung im Piemont 10.000 Einwohner auf einmal erschos- 1943 - 1945. sen würden. Es ist vielleicht ein bis- schen hässlich, solche Vergleiche anzu- 236 Seiten, 34 Abbildungen, stellen, aber es dient dazu, besser zu 16,90 Euro ISBN 3-00-011977-9 verstehen, was dies für ein Schock war, der auch heute noch - nach bald 60 Jah- Bestelladresse: ren – anhält. Deswegen ist diese Verein zur Förderung alternativer Medien Geschichte nie vergessen worden.” Feldstr. 22, 91052 Erlangen fax 09131-205020, [email protected] Heike Herzog www.resistenza.de M. Comello: Covo di banditi, Pinerolo 1998 59 Zeitzeugnisse ''Sie sollten wissen, dass wir sie nicht in Ruhe lassen würden'' Ein Unterhändler der Partisanen in Cumiana erinnert sich

Giulio Nicoletta im Jahr 2000 .... und 1945 Warum wurde der Lebensmitteltran- Sie sind nach Forno di Coazzo gegan- sport in Cumiana angegriffen? Giulio Nicoletta war Partisan im Val gen, wo die Kommandozentrale der Partisanen war, und baten um den Aus- Sangone in der Umgebung von Cumiana. Nicoletta: Die Partisanen sahen die tausch. Irgendwann war klar: Die eine Er verhandelte mit Anton Renninger über Zone um Cumiana als befreites Gebiet Hälfte von uns ist dafür, die andere an. Die Tragödie von Cumiana bedeute- den Austausch der Soldaten gegen die dagegen. Ich war einer der vielen te, dass die Deutschen befreite Gebiete zivilen Geiseln der Deutschen. Der Verein Anführer kleiner Partisanengruppen, nicht mehr zulassen wollten. zur Förderung alternativer Medien und wegen einer Verwundung war ich Wir haben in dieser Zeit einige hundert sprach im September 2000 mit Nicoletta zu der Zeit in den Bergen. Mein Bruder Tote gehabt. Von da an war die Resi- in Turin, wo der 76-Jährige heute lebt. bat mich, hinunter zu kommen. Er hatte stenza eine andere Sache. Man musste die Befürchtung, dass in Cumiana gro- denen, die zu uns kamen, sagen: Schaut ßes Unheil geschehen könnte. In dieser her, wir haben viele Tote gehabt. Wer Giulio Nicoletta: Ich stamme aus Kala- unentschiedenen Situation stimmte ich trotzdem blieb, wusste, was auf ihn brien und wurde im Krieg zum Militär- also für den Austausch und hörte auf zukommen würde. dienst eingezogen. Ab und an konnte ich die Befürchtungen meines Bruders, der Wir wollten den Deutschen und den nach Hause fahren, wo mein Onkel lebte, in Kroatien schreckliche Sachen gese- Faschisten zeigen, dass wir sie nicht ein Sozialist. Wir diskutierten viel. Mein hen hatte. Mein Votum war entschei- mehr in Ruhe lassen würden. Es ging älterer Bruder, ein überzeugter Antifa- dend. Damit war klar, dass ich mit den nicht um die Zerstörung des Feindes, schist, war mit der Finanzpolizei in Kroa- Deutschen verhandeln musste. Also bin sondern um Einschüchterung. Wir bil- tien. Bei seiner Rückkehr schlug er sich ich mit dem Arzt und dem Priester nach deten uns nicht ein, in Italien den Krieg zu mir nach Turin durch. Mein Bruder Cumiana gegangen. beenden zu können, es war ja ein Welt- war überzeugt, dass das Land bald von Ich traf dort jemanden, der sich als Ren- krieg. Deutschen besetzt werden würde. Darauf- ninger vorgestellt hat. Am Anfang war hin fuhren wir in Zivil mit einem Lastwa- er sehr aufgebracht: “Die Partisanen War die Aktion gegen den Transport gen in Richtung Berge. Wir wussten, dass haben angegriffen, wir haben darauf umstritten? es dort Partisanen gab. reagiert”, schrie er mehrmals. Ich sagte: “Sagen Sie mir, was wir tun müssen”. Nicoletta: Es gab eine Diskussion, ob Welcher Einheit schlossen Sie sich an? Daraufhin hat er sich ein bisschen beru- der Angriff falsch war, aber die war higt und mir mitgeteilt, dass bereits 51 nicht sehr heftig. Später war das Natio- Nicoletta: Meine Einheit war autonom. Zivilisten erschossen worden waren. nale Befreiungskomitee der Partisanen, Es gab auch einige kommunistische For- Angesichts dessen konnte ich natürlich der CLN, der Meinung, dass der Kampf mationen im Tal sowie katholische und nicht weiter verhandeln, sondern mus- nicht ohne einen Kommandanten für monarchistische. Als ich später Komman- ste fragen, was nun geschehen sollte. alle Gruppen weitergehen könne. Wir Renninger teilte mir mit, dass er bis waren zwar nicht abhängig vom CLN, Daraufhin hat er sich ein morgen eine Antwort erwarten würde. aber alle waren damit einverstanden. Zu Wir entschieden uns, die Gefangenen meiner großen Überraschung wurde ich bisschen beruhigt und mir auszutauschen. Doch Renninger sagte als Kommandant vorgeschlagen, weil mitgeteilt, dass bereits mir am nächsten Morgen, ab jetzt sei ich damals Ausgewogenheit gezeigt hat- 51 Zivilisten erschossen General Hansen in Pinerolo zuständig. te. Wir haben den Krieg fortgeführt. Es Zusammen mit dem Arzt und dem Pfar- ging darum, Europa vom Nationalsozia- worden waren rer bin ich dorthin gegangen. Der Gene- lismus und vom Faschismus zu ral gab zu verstehen, dass er nichts mit befreien. dieser Sache zu tun haben wolle. Statt dant all dieser Gruppen war, habe ich dessen sprach ich mit Alois Schmidt, Haben Sie sich vom Prozess gegen Wert darauf gelegt, dass alle zusammen Führer des Sicherheitsdienstes in Turin, Renninger etwas erwartet? arbeiteten. der eigentliche Chef dieser Operation. Schließlich haben wir uns geeinigt: Wir Nicoletta: Natürlich habe ich mir Sie waren damals in Cumiana als geben die deutschen Gefangenen frei, gewünscht, dass wenigstens formal die Vergeltungsaktion der SS und sie sollten die Truppen aus Cumia- Gerechtigkeit stattfände, und Renninger begann? na abziehen. in Turin verurteilt würde. Der wahre Am nächsten Tag in Cumiana vergewis- Teufel aber war Schmidt, der den Befehl Nicoletta: Das deutsche Heer hatte serte ich mich bei Renninger, ob die erteilt hatte. Renninger hat den Fehler Cumiana besetzt. Der Priester und der Vereinbarung eingehalten werde. Auf begangen zu gehorchen, eine typisch 60 Arzt von Cumiana versuchten, über den mein Zeichen hin kam jemand mit den deutsche Tradition. Austausch der Geiseln zu verhandeln. 30 Gefangenen, die wir austauschten. Giacomina Castagnetti stammt aus einer antifaschistischen Familie. Schon als Kind wird sie somit politisiert. Als 1940 Italien an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg eintritt, schreibt sie sich - 15jährig - in die Kommunistische Partei ein. Nach dem Waffenstillstand mit den Alliierten am 8. September 1943 schließt sie sich dem Widerstand an.

Giacomina Castagnetti: Mit der Resi- stenza wurden die sogenannten Frauen- befreiungsgruppen gegründet, denen ich beitrat. Natürlich war unser erstes Ziel, gegen den Krieg zu kämpfen, aber selbst in der Zeit, in der wir illegal leben mussten, trafen wir uns und Giacomina Castagnetti vor dem Denkmal für die Frauen der Resistenza diskutierten über das Frauenwahlrecht in Castelnovo Monti und andere Rechte, die wir für Frauen einforderten. Unsere Zusammenkünfte haben wir mitten auf dem Land abge- Zeitzeugnisse halten, um nicht die Familie und den Hof, in deren Nähe wir uns trafen, in Gefahr zu bringen. Es waren sehr viele Frauen in diesen Gruppen organisiert. ''Obenauf die Kartoffeln, Ich war ja schon vorher aktiv, aber vie- le andere haben sich erst 1943 für den darunter die Munition'' Widerstand entschieden. Nach dem 8. September musste man sich entschei- Vom täglichen Widerstand einer Partisanin den: Entweder gingst du in die Berge oder du hast dich der faschistischen Republik von Salò angeschlossen. Es Als Stafetten übermittelten wir Nach- nicht mehr anders sein können. Der gab keine dritte Möglichkeit. Das wich- richten und transportierten Flugschrif- Faschismus hatte die Frauen, die bis- tigste Ziel, das muss man sich klar ten und Waffen. So trugen wir in unse- her immer im Haushalt oder auf dem machen, war das Ende des Krieges. rem Einkaufskorb beispielsweise oben- Hof gearbeitet hatten, in den Fabriken Die Arbeit dieser Frauenbefreiungs- auf die Kartoffeln und versteckt darun- gebraucht, weil die Männer an der gruppen bestand darin, in die Familien ter die Munition und den Revolver. Um Front waren. Wir waren daher keine zu gehen, um für die Partisanen zu sam- Informationen weiterzugeben war das voneinander isolierten Frauen mehr, meln oder andere Familien in den Fahrrad das schnellste Mittel. Wir mus- nicht mehr jede für sich hinter ihrem Kampf mit einzubeziehen, sie für den sten oftmals flüchten oder uns verstek- Herd, abgeschieden von anderen Frau- Widerstand zu gewinnen. Wir sprachen ken. Heute kauft man einfach eine Zei- en. Wir waren Frauen geworden, die in mit Familien, ob sie Partisanen beher- tung am Kiosk, aber damals bedeutete der Gesellschaft präsent waren. bergen würden. Diese Arbeit war natür- eine Zeitung gegen den Krieg in der Trotzdem aber mussten wir nach dem lich nicht ungefährlich. Wir wussten ja Tasche zu haben, sich in Lebensgefahr Krieg tausend Widerstände brechen. nicht immer, mit wem es diese Leute zu befinden. Uns gegenüber stand die hielten, wie sie politisch eingestellt deutsche Streitkraft, sehr gut ausgerü- waren. Aber der Widerstand hätte sich stet und versorgt. Wir waren mit Sicher- Mit der Resistenza wurden nicht vergrößert, wenn wir uns nur in heit etwas unbedacht, die Gefahren die sogenannten unserem Kreis von Antifaschisten aus waren uns nicht so bewusst. Hier wur- den Jahren zuvor verschanzt hätten. den Mechanismen ausgelöst, die uns Frauenbefreiungsgruppen Außerdem war jeder Truppenabteilung zum Handeln bewegten, die heute im gegründet, denen ich beitrat eine Stafette zugeteilt, es sollten und Nachhinein sehr schwer zu erklären durften nicht mehr sein. Wir kannten sind. immer nur eine oder maximal zwei Per- Bei Kriegsende war uns bewusst, dass Denn natürlich gab es Rückwärtsge- sonen. Wenn ich alle Personen gekannt wir einen erheblichen Beitrag zur wandte. Man hat so manche Partisanin hätte, die wie ich an derselben Aktion Befreiung des Landes geleistet hatten. misstrauisch beäugt. Aber letztendlich beteiligt waren, und sie mich gefangen Als die Frauen nach dem Krieg das mussten die Männer einsehen, dass die hätten, wäre es einfacher gewesen, alles Wahlrecht erhielten, war es letztendlich Arbeit der Frauen wichtig war, denn aus mir herauszubekommen. Vielleicht auch hier so, dass die Parteien, gleich wenn es z.B. die Stafetten nicht gegeben hätte ich dem Druck und dem Terror welcher Couleur, die Frauen brauchten. hätte, wären die Partisanengruppen völ- standhalten können, aber ich hätte auch Deshalb hat sich niemand auf politi- lig isoliert voneinander gewesen. Es gab Namen preisgeben und dadurch die scher Ebene getraut, sich gegen das natürlich immer wieder Männer, die die ganze Gruppe und unsere Organisation Frauenwahlrecht zu stellen. Es war klar Frauen genauso wie in vergangener Zeit in Gefahr bringen können. Deswegen für uns, dass wir jetzt auch mehr Rech- gering geschätzt haben, aber als Partisa- musste diese Reihe unterbrochen wer- te und Freiheiten erhalten wollten, und nen konnten sie das nicht mehr tun. den, indem man nichts wusste, niemand dass dies auch unser gutes Recht war. weiteren kannte. Es hätte nach dem Geschehenen einfach 61 Die Resistenza in Italien ist heute wieder - was sie lange Zeit nicht mehr war - zu einem Symbol geworden. Wie sich die Auslegung der Resistenza im Laufe der Jahre entwickelte und veränderte: kein einfaches Thema, denn trotz seiner geringen Dauer (20 Monate zwischen September 1943 und April 1945) und obwohl er nur einen Teil Italiens betraf, ist dieser bewaffnete Befreiungskampf ein äußerst komplexes Phänomen. Zudem besteht eine enge Verknüpfung zwischen der Interpretation der Resistenza und den politischen Ereignissen in Italien von 1945 bis heute. Im Folgenden soll die Entwicklung dieser Interpretation anhand wichtiger Daten rekonstruiert werden.Partisanendivision "Modena"

Der Widerstand in Italien: Zwischen Tradition und Konflikt

Das erste wichtige Datum ist das Jahr Resistenza die identitätsstiftenden Ele- 1946. Nach einem ruinösen Krieg stellt mente sind, während der Faschismus als Das Jahr 1960 bringt eine zweite Wende sich Italien die Frage nach der Zukunft. reine Episode ausgeklammert wird. im Verständnis der Resistenza: Am 25. Das Land wird von einer großen Koali- Diese erste Phase geht 1947 durch das März bildet der Christdemokrat Tam- tion aller Parteien regiert, die am Wider- Auseinanderfallen der großen Koalition broni eine Regierung, die von Monar- stand beteiligt waren. Am 2. Juni, beim abrupt zu Ende: Es war die kommunisti- chisten und den Neofaschisten der MSI Referendum über die künftige Staats- sche Partei, die die Koalition aufgrund unterstützt wird. Dies sorgt für neue form, entscheidet sich eine knappe des Beitritts zur NATO verließ. Dieser Einigkeit innerhalb der ehemaligen Mehrheit für die Republik und gegen Bruch wird 1948 durch den Wahlsieg Resistenza, die gemeinsam Streiks und die Monarchie. Nationalfeiertag wird der Christdemokraten bestätigt: erste Großdemonstrationen organisiert (in der 25. April. Dies ist besonders interes- Folgen des beginnenden Kalten Krie- Reggio Emilia werden bei den Unruhen sant: Der 25. April war nicht das Krieg- ges. 5 Menschen getötet). Am 22. Juli tritt sende selbst, sondern das Datum des Im selben Jahr spaltet sich auch die Par- Tambroni zurück: Trotz des Wider- großen Partisanenaufstands in den tisanen-Vereinigung ANPI (Associazio- stands durch Großteile der DC, der Großstädten Norditaliens. Von Anfang ne Nazionale Partigiani d'Italia), aus der Wirtschaft und des Vatikans ist der Weg die katholischen und liberalen Gruppen frei für eine Öffnung nach links. austreten. Die neuen "Mitte-Links"-Regierungen Zwischen 1948 und 1955 wird die Resi- (mit Unterstützung der sozialistischen Der 25. April war nicht das stenza von beiden politischen Fronten Partei PSI, die seit 1956 jede Zusam- Kriegsende, sondern das (der christdemokratischen DC und ihren menarbeit mit der kommunistischen Datum des Partisanen- Koalitionspartnern auf der einen, den Partei aufgekündigt hat) tragen weiter Kommunisten auf der anderen Seite) als zur Legitimation der Resistenza bei. aufstands in den Großstädten Grundlage ihrer so unterschiedlichen Das Staatsfernsehen bringt Berichte und Identität in Anspruch genommen. Der historische Dokumentationen, das Kul- politische Kampf ist besonders hart; tusministerium macht die Geschichte an wird der Widerstand zur legitimie- staatliche Organe starten eine regelrech- bis 1947 zum obligatorischen Lernstoff renden Grundlage der neuen Republik te Verfolgungskampagne gegen die ehe- für die Schule, neue Filme über den gemacht (die Verfassung tritt erst 1948 maligen kommunistischen Partisanen. Widerstand werden gedreht. in Kraft). Dadurch wird auch eine histo- Zehn Jahre nach Kriegsende wird die rische Kontinuität angestrebt: Die Resi- Resistenza von der Zentrumskoalition Zum Anlass des 20. Jubiläums wird stenza ist ein zweites "Risorgimento", unter Scelba noch direkter zur Grundla- 1965 versucht, durch große zentrale sie hat das Werk vollendet, das mit der ge des neuen Staats ernannt; anderer- Feierlichkeiten die Einheit der Resisten- italienischen Einheit 1861 begonnen seits werden die Partisanenvereinigun- za zu betonen und sie als gemeinsame wurde. Es wird eine Entwicklungslinie gen ausgeschlossen und die Rolle der Aktion von Bauern, Arbeitern, Ange- 62 gezeichnet, in der Risorgimento und Armee stärker betont. stellten, Männern und Frauen darzustel- len. Der Antifaschismus soll die legiti- 1985 wird bei den Gedenkveranstaltun- identifizierte, ist dies ein echter Schock: mierende Grundlage des demokrati- gen zur Resistenza der Höhepunkt der Am 25. April 1994 findet in Mailand die schen Staates werden und einen Orien- Historisierung erreicht. Gerade als zum größte Demonstration seit 1946 statt, tierungspunkt im sozialen und kulturel- ersten Mal ein Sozialist Ministerpräsi- bei der über 400.000 Menschen gegen len Wandel bieten. Einmal mehr wird dent wird (Bettino Craxi) und ein Anti- die Regierung demonstrieren. Die Resi- der Faschismus als "Feind im Inneren", faschist und Partisan wie Sandro Pertini stenza wird wieder zu einem starken, als Episode oder Unfall in der zum Staatspräsidenten gewählt wird, generationenverbindenden Element der Geschichte angesehen. Eine Besonder- wird die Resistenza zum "Museumsex- kollektiven Identität. In diesen Jahren heit in diesem Kontext stellt die Rolle ponat" der nationalen Geschichte, zu erscheint auch das wichtigste Essay von der kommunistischen Partei PCI dar, die einer historischen und unproblemati- Claudio Pavone, "Una guerra civile. als starke, auf die Resistenza gegründe- schen Selbstverständlichkeit. Der 25. te Partei das Recht reklamiert, zusam- April wird zu einem formellen Feiertag, men mit den anderen antifaschistischen der den jüngeren Generationen kaum Kräften an der Regierung beteiligt zu noch etwas vermitteln kann. 1985 wird die Resistenza werden. zum Museumsexponat Diese Tendenz zur "Einmottung" findet "Ora e sempre - resistenza" - "Jetzt und mit dem Fall der Mauer in Berlin 1989 immer - Widerstand" war 1968 der Slo- ein Ende. Die Resistenza wird zum Sazio storico sulla moralitá della Resi- gan der Studentenbewegung. Eine neue Konfliktelement in der Auseinanderset- stenza" (Ein Bürgerkrieg. Historische Generation tritt auf den Plan. Sie kriti- zung der Linken. Vor allem von Seiten Abhandlung über die Moralität der siert zwar die Väter und die Art und der sozialistischen Partei, 1989 noch an Resistenza). Der Autor spricht von der Weise, wie sie den 25. April feiern, aber der Regierung, wird sie als Mittel zum Resistenza als von einem dreifachen gleichzeitig will sie auch mit ihren Angriff gegen die kommunistische Par- Krieg: Bürgerkrieg, Befreiungskrieg, "alternativen" Demos dabei sein. Die tei benutzt. Die Legitimierung der PCI Klassenkampf. Partisanenbande als kleine Einheit der als tragende Kraft der Resistenza wird demokratischen Selbstverwaltung wird in Frage gestellt, man unterscheidet den Institutionen und dem "Compro- jetzt zwischen einer "guten", demokrati- Der Text basiert auf einem Vortrag von messo storico", dem "historischen schen, westlich orientierten Resistenza Massimo Storchi zur Ausstellungseröffnung "Partigiani" in Freiburg und einem Gespräch, Kompromiss" zwischen DC und PCI und einer "roten" Resistenza, die angeb- das im September 2002 im istituto storico in entgegengesetzt. Auch in den späteren lich die kommunistische Revolution als Reggio Emilia mit ihm geführt wurde. "bleiernen Jahren" zwischen 1975 und Ziel verfolgte. Massimo Storchi (Jg. 1955) ist Historiker am 1980 bleibt diese Spaltung zwischen "Istituto storico della Resistenza". dem offiziellen Bild der Resistenza und Diese Instrumentalisierung der Ge- Forschungsgebiete: Faschismus in der Emilia dem Versuch der sozialen Bewegungen, schichte findet ihre Fortsetzung nach Romagna, Resistenza und Nachkriegszeit. sich als die richtigen Erben der Resi- 1992, als die Korruptionsskandale in Veröff. in Auswahl: stenza darzustellen, weiterhin bestehen. wenigen Monaten zur Auflösung der Uscire dalla guerra. Ordine pubblico e In den links regierten Regionen, in alten Mitte-Links-Parteien führen. dibattito politico a Modena. 1945-46, Franco denen die Führungsklasse direkt aus der Angeli 1995; Combattere si può, vincere bisogna. La scelta Resistenza stammt, wird der Widerstand 1994 kommt eine Mitte-Rechts-Koali- della violenza tra Resistenza e dopoguerra. immer mehr zu einem wesentlichen tion an die Regierung, die neben einer Reggio Emilia 1943-46, Marsilio 1998. Faktor der kollektiven Identität. Vie- ganz neuen Organisation (Forza Italia) lerorts wird die lokale Geschichte neu auch die neofaschistische Partei Allean- geschrieben, in dem die Zeit 1943-45 za Nazionale und die demagogisch- als Ziel und Endpunkt einer hundertjäh- fremdenfeindliche Lega Nord umfasst. rigen Entwicklung dargestellt wird. Für die politische und soziale Welt, die sich mit den Werten der Resistenza Demonstration zum 25. April 2005 in Parma Zeitzeugnisse ''Du musstest gleichzeitig Hausfrau, Parteifunktionärin, Mutter sein ...'' Laura Polizzi über das Frauenbild nach 1945

Laura Polizzi kämpfte in der Resistenza, mich den Sitten anzupassen. So haben dann arbeitete sie als Funktionärin der wir eben geheiratet. Dann hat mir der Kommunistischen Partei (PCI). Der PCI PCI das Gehalt gestrichen, weil “zwei hatte den höchsten Frauenanteil unter Gehälter in einer Familie zuviel sind”. den Parteien, auch innerhalb der Aber weil wir es wirklich nicht schaff- Führungspositionen. Dennoch hielt er am ten, habe ich einen Brief an die Partei geschrieben. Doch sie antwortete nur, traditionellen Frauenbild und ich müsse ein Beispiel geben. Immer bürgerlichen Geschlechterverhältnis fest. wieder das mit dem Beispiel, ich arbei- Laura Polizzi vor dem A.N.P.I.-Büro in Heute ist Polizzi Vorsitzende der tete, schuftete und bekam kein Gehalt. Parma im Jahr 2001 Frauensektion im Partisanenverband Ich erklärte ihnen meine Situation, und ANPI und berichtet über ihre politische sie gaben mir wenigstens das halbe dass mein Unwohlsein daher kam. Und Arbeit in der Nachkriegszeit. Gehalt. es blieb das Drama der Abtreibungen, Dann ist das Kind zur Welt gekommen, heimlich, ohne Geld. meist hat meine Mutter darauf aufge- Bis es zur Legalisierung kam, habe ich passt. Aber es war wirklich ein Hunde- nie jemandem davon erzählt, da war die Laura Polizzi: In die Politik einzusteigen leben, denn du musstest gleichzeitig Angst vor dem Gefängnis. Es gab kein war eine ideelle Entscheidung. Es ging Hausfrau, Mutter und Parteifunktionä- Geld für einen Arzt, sondern Strickna- darum, eine Revolution vorzubereiten, an rin sein, und bei der Partei waren sie deln bei der Engelmacherin. Auch wenn die wir alle im tiefsten Inneren glaubten. nicht besonders verständnisvoll, wenn sie weniger kostete als ein Arzt, war es Nach dem Krieg war es wahrscheinlich du mal zu spät kamst oder unvorbereitet ein Problem. Es gab ja keinen Posten auch für die Männer hart. Aber für uns erschienst. Du hattest eine Wahl getrof- “Abtreibung” in der Familienbilanz. war es genauso hart. In der Tat hatte ich fen, und nur das zählte. Zudem war ich Zudem war eine Abtreibung eine mora- enorme Hindernisse zu bewältigen. Als lange die einzige Funktionärin, die ein lische Belastung. Und sie endete unwei- Verkäuferin zu arbeiten und den Haushalt Kind hatte. Es gab anfangs noch weni- gerlich mit Infektionsfieber und Aus- zu erledigen war schon doppelte Arbeit, ge Funktionärinnen, dann kamen immer schabung in der Entbindungsstation bei aber zudem Berufsrevolutionärin zu mehr. vollem Bewusstsein. Es war nicht sein... Beim UDI (Vereinigung der italie- Wir waren alle so voller Idealismus. Du leicht, nicht zu schreien. Wir wurden nischen Frauen) gab es lange kein Gehalt. warst mit dem Wiederaufbau beschäf- dort sehr schlecht behandelt, weil du Jedenfalls mussten wir als Frauen wirk- tigt, damit, den Frauen zu einem demo- sagtest, dass du von nichts wusstest, um lich sehr viel ertragen, auch innerhalb der kratischen Bewusstsein zu verhelfen (in Himmels Willen, sonst landest du im Partei. Italien wird das Frauenwahlrecht erst Gefängnis. Ich konnte schon wegen der 1945 eingeführt) und den Grundstein Partei nicht ins Gefängnis, ich hätte für den Sozialismus zu legen, denn wir meine Ehre verloren. Es war sehr uneh- Da ich Kommunistin sei, dürfen nie vergessen, dass genau der die renhaft, aus nicht politischen Gründen stünde ich im Rampenlicht treibende Kraft war. Das war nicht inhaftiert zu werden. gerade eine Kleinigkeit! Als Kommunistin fühlte ich mich nicht und solle deswegen heiraten Und dann gab es für mich wie auch für schuldig abzutreiben, sondern weil ich viele andere das Problem der Abtrei- danach krank wurde und immer fehlte. Eine Frau, die öffentlich sprach, erregte bung. Erst mal die Sitten und von der Ich habe damals ein elendes politisches viel Neugierde und zog sogar Leute an. Sexualerziehung ganz zu schweigen. Leben geführt, weil ich zu etlichen Ich erinnere mich an eine Versammlung, Innerhalb der Partei und in der Gesell- Kongressen und Versammlungen nicht die ich in Parma abhielt, der Platz war schaft war die Moral rigide. Ich bin gehen konnte. Es war nicht so, dass ein brechend voll, einfach grandios, und die sicher, dass es Geschwätz über mich Genosse dich wegen der Abtreibung kri- Leute waren neugierig darauf, mich als gab, wenn ich erst um zwei, drei Uhr tisiert hätte, wenigstens hoffe ich das Frau zu hören. Bestimmte Genossen aber nachts heimkam, in Begleitung von doch. Ich, Stadträtin, Parteimitglied, die wollten nichts davon wissen, dass ich Vor- Genossen. Oft haben Genossen zu mei- auf den Plätzen lautstark die Familie träge hielt, da “eine Frau nicht sprechen nem Mann gesagt: “Also ich hätte es ja verteidigte und so weiter, und die dann kann”. nicht gern, wenn meine Frau so ein wegen Abtreibung ins Gefängnis (...) Mein Gefährte und ich wollten aus Leben führen würde.” gemusst hätte, so was war nicht vor- Prinzip nicht heiraten, auch dann nicht, Zudem hatten weder ich noch mein stellbar. als ich schwanger wurde. Aber mein Mann große Erfahrung mit Sexualität, Onkel war Sekretär des PCI. Er sagte, er so dass ich oft schwanger wurde, mit Bearbeitete Übersetzung aus: selbst hätte nichts dagegen, aber da ich sehr schmerzhaften Schwangerschaf- M. Minardi: Ragazze dei Borghi in Tempo di 64 Kommunistin sei, stünde ich im Rampen- ten. Ich habe nicht mal der Partei Guerra, Parma 1991 licht und solle deswegen heiraten, um gesagt, dass ich schwanger war und Die verratene Resistenza Die Bedeutung der Resistenza für die italienische Nachkriegsgesellschaft und die Neue Linke

Der zahlenmäßig größte Anteil der Par- ihr wieder. In der PCI bestand ein deut- Opfer, der vom PCI ebenfalls aufgege- tisanen war in Verbänden wie den Gari- licher Unterschied zwischen dem PCI- ben wurde. baldini organisiert, die der Kommunisti- Überbau, der auf Machtbeteiligung und Sozialrevolutionäre Veränderungen schen Partei (PCI) nahestanden. Viele nationale Einheit setzte, und der Basis, waren nicht nur die Idee einer Hand voll erwarteten nach dem Sieg über die deut- die auf eine soziale Revolution drängte. Linksradikaler. Dies zeigte sich auch an sche Besatzungsmacht und den italieni- Die Alliierten standen schon früh vor Streiks, die 1943 in Norditalien stattfan- schen Faschismus eine revolutionäre dem Dilemma, militärisch nicht auf die den, oder dem Vorgehen der Polizei der Umwälzung der alten Gesellschaft. Der Partisanen im Kampf gegen die Nazis Regierung Badoglio gegen Arbeiter, das PCI verfolgte jedoch, wie Rossana Ros- verzichten zu können, aber auch kein zwischen Juli und September 1943 95 sanda in den ”Verabredungen zum Jahr- Interesse an bewaffneten Kommunisten Tote forderte. Stets vermischten sich hundertende” feststellt, seit Kriegsende oder sozialen Reformen zu haben. So Elemente des Klassenkampfes mit dem kein revolutionäres Projekt mehr. waren sie bestrebt, sich noch während antifaschistischen Widerstand. Diese des Krieges vieler Partisanen zu entledi- Tendenzen verstärkten sich bis zum Den Kampf der Partisanen als rein gen, und versuchten Waffenlieferungen Höhepunkt der durch die Partisanen nationalen Befreiungskrieg zu interpre- zu steuern. ausgelösten Volksaufstände und setzten tieren, verklärt den Blick auf die Ereig- Die Wiedereinsetzung ehemals faschis- sich auch nach Kriegsende fort. nisse und macht es unmöglich, den wei- tischer Eliten nach 1945 durch die USA teren Verlauf der italienischen Ge- beruhte auf dem Problem der Alliierten, schichte zu verstehen. Nur ein genauer keine anderen bürgerlichen Eliten vor- Den Kampf der Partisanen als Blick auf die Rolle des PCI ab 1944 ver- gefunden zu haben. Deswegen bauten mag die ab 1960 auftretenden Kämpfe sie bei der Landung in Süditalien 1943 rein nationalen Befreiungs- und ihre Radikalität zu erklären. auf die Mafia als Garantin stabiler Herr- krieg zu interpretieren, Bei der Zerschlagung des Faschismus schaftsverhältnisse und unterstützten verklärt den Blick auf die und dem Sieg über die deutschen Besat- sogar die Kandidatur des Mafia-Bosses zer in Nord- und Mittelitalien spielten der Provinz Trapani für den Posten des Ereignisse und macht es die Partisanen eine entscheidende Rolle. Hochkommissars von Sizilien. Der unmöglich, den weiteren Doch ein einheitlicher Block waren die soziale Druck war auch in Süditalien Verlauf der italienischen mehr als 250.000 Angehörigen der Par- groß, 1944 begannen Landarbeiter vie- tisanenarmee nicht. Neben den Kom- lerorts mit der Besetzung und Bestel- Geschichte zu verstehen munisten, die die Mehrheit bildeten, den lung von brachliegendem Großgrundbe- Sozialisten und den Konservativen sitz. waren auch kleinere Gruppen von Als die Alliierten schließlich im April Der PCI jedoch fügte sich Ordern aus Linkskatholiken und Monarchisten Teil 1945 in die Poebene vorrückten, waren Moskau, die von den Alliierten festge- der Resistenza. Nachdem Mussolini die meisten Städte bereits durch von den legten Einflusssphären zu respektieren, verhaftet und am 8. September die Partisanen ausgelöste Volksaufstände und strebte nach Anerkennung des CLN Kapitulation bekannt gegeben worden befreit und besaßen eine vom CLN durch die Alliierten. Im Januar 1944 war, kämpfte die Armee offiziell auf (Komitee der nationalen Befreiung) auf- reduzierte er seine Forderungen auf die Seiten der Alliierten. Viele ehemalige gebaute Verwaltung. Nachdem sich Abdankung des Königs und vertagte die Militärs schlossen sich der Resistenza dann die bürgerliche Demokratie unter Frage einer neuen Verfassung auf späte- an. Die italienische Bourgeoisie hatte Beteiligung des PCI als Kompromiss re Zeiten. Im März erkannte die UdSSR Mussolini und die Faschisten fallenge- herausgeschält hatte, kostete es die ita- die Regierung Badoglio an und der PCI lassen, woraufhin dieser, von deutschen lienische Bourgeoisie und die PCI-Füh- verzichtete auf die Abdankung des Truppen aus dem Gefängnis befreit, mit rung viel Kraft, die breite Basis mit Königs. Der PCI hatte sich für einen deutscher Protektion die “Republik von sozialrevolutionären Interessen wieder konstitutionellen Pakt mit den Indu- Salò” gründete. zurückzudrängen. Dem fiel auch der striellen entschieden. Der aus dem Durch die Breite der Resistenza fanden radikaldemokratische antifaschistische sowjetischen Exil zurückgekehrte PCI- sich viele Widersprüche der italieni- Parlamentarismus, wie ihn der CLN in Vorsitzende Togliatti schrieb der kom- schen Nachkriegsgesellschaft auch in Norditalien durchgesetzt hatte zum munistischen Leitung des Nordens am 65 und rechten Kräften in der Regierung einem Generalstreik 1949 in Modena zu. Der PCI beugte sich auf der Suche tötete die Polizei sechs kommunistische nach der viel beschworenen “nationalen Arbeiter. Im gleichen Jahr setzte sie in Einheit” den Interessen der Bourgeoisie Kalabrien Handgranaten und Maschi- und wurde im Mai 1947, als die konser- nengewehre gegen unbewaffnete Land- vativen Kräfte ihre Position gefestigt besetzer ein. Jedweder Protest wurde hatten, gemeinsam mit den Sozialisten mit gnadenloser Repression überzogen. aus der Regierung ausgeschlossen. Nachdem die Christdemokraten bei den Die Enttäuschung bei einem Teil der Wahlen 1953 zwei Millionen Stimmen Die verratene Ex-Partisanen war bereits durch die verloren hatten, wuchs in Italien und Resistenza ... “ausgebliebene Revolution” groß. Aus den USA die Angst vor der erstarkenden dieser “verratenen Resistenza” des Nor- Linken weiter an. Der PCI hatte 5 Milli- dens gingen in der unmittelbaren Nach- onen Wählerstimmen und 2,5 Millionen kriegszeit verschiedene bewaffnete Mitglieder. Aber die Togliatti-Linie - 6. Juni 1944: “Man muss immer daran Gruppen hervor, die Strafaktionen “Ja zur demokratischen Machtergrei- denken, dass der Aufstand, den wir wol- gegen Faschisten durchführten. In der fung, Nein zum revolutionären Prozess” len, nicht den Zweck sozialer oder poli- Region Emilia Romagna wurden in den - war von der Funktionärsebene durch- tischer Transformationen im sozialisti- ersten 18 Monaten nach der Befreiung gesetzt worden. Der PCI und seine schen oder kommunistischen Sinne hat, 1.496 Kommunisten zugeschriebene Organisationen hüteten sich, die lokal sondern den Zweck der nationalen “politische Straftaten” gezählt. Allein stattfindenden Streiks zu koordinieren. Befreiung und der Zerstörung des im Kreis Bologna gab es 615 Tote, 75 Der von ihnen propagierte Arbeitsethos, Faschismus. Alle anderen Probleme Faschisten “verschwanden”. Neben der den antifaschistischen und qualifi- werden vom Volk gelöst, morgen, wenn spektakulären Aktionen wie der Stür- zierten Fabrikarbeiter des Nordens als - einmal ganz Italien befreit ist, durch mung eines Gefängnisses und der im Gegensatz zur parasitären Bourgeoi- eine freie Volksbefragung und die Wahl Erschießung von 54 inhaftierten Faschi- sie stehenden - produktiven und gesun- einer konstituierenden Versammlung.” sten durch eine kommunistische Einheit den Teil der Nation ansah, propagierte Dieser Hinweis war auch nötig, denn in Schio im Juli 1945, spitzten sich auch die ständige Weiterentwicklung der Pro- ein Teil der Resistenza hatte mehr als die Konflikte auf dem Land zu. Im duktivkräfte als historische Aufgabe der die “nationale Einheit” im Kopf. Kreis Bologna wurden 21 Großgrund- Arbeiterschaft. Denn eine fortschrittli- Spannungen innerhalb der Resistenza besitzer aufgrund von Landkonflikten che Demokratie wäre unvereinbar mit werden an Vorkommnissen wie der getötet oder schwer verletzt, im Kreis den Unternehmerinteressen und damit Hinrichtung von 14 rechten Partisanen Ravenna kamen 15 Großgrundbesitzer auch die Vorbereitung für die - friedli- durch kommunistische Partisanen am 7. ums Leben, weitere zwölf wurden ver- che - Übernahme der Fabriken. So zeig- Februar 1945 deutlich: Die Erschosse- schleppt, ohne dass sie jemals wieder ten PCI und Gewerkschaften bei den nen hatten sich geweigert, sich den auftauchten. Als Togliatti 1945 und nach 1958 sporadisch auftauchenden Tito-Partisanen unterzuordnen. Nach 1946 als Justizminister vage formulierte Landkämpfen im Süden und bei Fabrik- dem Krieg verweigerte ein Teil der Par- Amnestien erließ, die praktisch zur besetzungen im Norden Zurückhaltung. tisanen die Abgabe der Waffen. Unter- Freilassung aller verurteilten Faschisten schiedlichen Schätzungen zufolge und zum Abbruch laufender Verfahren Es sollten schließlich die Ereignisse des führten, verursachte dies starken Jahres 1960 sein, die eine neue Dyna- Unmut. Insgesamt begaben sich über mik in die politischen und sozialen Aus- 500 Bewaffnete wieder in die Berge. Es einandersetzungen brachten. Die Regie- gelang erst 1947 diese Gruppen wieder rung Tramboni genehmigte, unterstützt Die kapitalistische zu zerschlagen. Viele andere enttäusch- durch MSI-Abgeordnete, einen Kon- Restauration Italiens wurde te Ex-Partisanen zogen sich aus der gress der Faschisten in Genua. Die aktiven Politik zurück. Regierung wollte mit der Genehmigung zügig vorangetrieben und die Auch erhalten gebliebene faschistische des Kongresses in der linken Hochburg Polizei ging mit äußerster Verbände führten in der direkten Nach- Genua testen, ob eine Öffnung zu den Brutalität gegen Land- und kriegszeit Anschläge und Angriffe auf Faschisten möglich ist. Linke durch. Die Alliierten übten Druck Während sich die Organisationen der Industriearbeiter vor auf die italienische Polizei aus, jene auf- offiziellen Linken darauf beschränken, zulösen - einige wurden in die Geheim- ein Verbot des Kongresses zu fordern, dienststrukturen der jungen Republik organisieren Studierende, Angestellte integriert. Die Angst vor dem gemeinsa- und Jugendliche für den 25. Juni eine waren 1947 noch bis zu 80.000 linke men Feind, der Linken, einte Alliierte, Protestversammlung. Als die Polizei die Ex-Partisanen bewaffnet. Konservative und Faschisten schnell Kundgebung angreift, stürmen Arbeiter Aufgrund seiner faktischen Macht wur- wieder. Der Kompromiss zwischen vom nahen Hafen und aus Fabriken mit de der CLN im Dezember 1944 von der Faschisten und Konservativen auf der Stahlhaken und Eisenstangen herbei italienischen Regierung und den Alliier- Grundlage einer streng antikommunisti- und kämpfen an der Seite der Protestie- ten als Regierungsvertreter in den von schen Ideologie im Geist des kalten renden. Tags drauf werden Kontakte zu den Deutschen besetzten Gebieten aner- Krieges bestimmte den weiteren Verlauf Ex-Partisanen, die wegen ihrer Kritik an kannt. Der CLN trat in die Regierung in der italienischen Politik. der Linie der offiziellen Linken aus der Rom ein, wo es zu Spannungen kam, da Die kapitalistische Restauration Italiens aktiven Politik ausgeschieden waren, die Bourgeoisie mit Unterstützung der wurde zügig vorangetrieben und die geknüpft. Die Studenten wenden sich USA ihre Macht ausbauen und festigen Polizei ging mit äußerster Brutalität direkt an die Arbeiter, ohne den Umweg wollte, während die Bevölkerung mit gegen Land- und Industriearbeiter vor: über die Gewerkschaft zu gehen. Streiks und Landbesetzungen auf sozia- Von Juni 1947 bis Januar 1951 starben Die linken Gewerkschaften und Par- le Reformen drängte. Die Konflikte 81 Protestierende durch Polizeieinsätze, teien rufen für den 30. Juni zum Gene- 66 spitzten sich auch zwischen den linken weitere durch Großgrundbesitzer. Bei ralstreik in Genua und Savona auf, um die Protestbewegung wieder unter Kon- greifen. In Genua werden die Aktionen streik, die Regierung wird kurze Zeit trolle zu bekommen. Während sie beto- am nächsten Tag, ohne die offizielle später umgebildet. nen, dass es sich um einen friedlichen Linke, wieder aufgenommen. Der Vor- Neben dem konkreten politischen Protest handelt, greifen Tausende von sitzende der ANPI distanziert sich von Erfolg stellen die Kämpfe vom Juni und Studierenden, proletarischen Jugend- den Kämpfen und fordert öffentlich, die Juli 1960 die Geburtsstunde der neuen lichen, kommunistischen Dissidenten Verhafteten nicht zu unterstützen. Den- Linken und neuer Kampfformen dar. In und Anarchisten die 15.000 aufmar- noch strömen Tausende Jugendliche den Kämpfen von 1960 in Genua trat schierten Ordnungskräfte an. Die Funk- und bewaffnete Ex-Partisanen nach eine Dissidenz zur klassenversöhnleri- tionäre des PCI sowie die Gewerkschaf- Genua. Vertreter der offiziellen Linken schen Haltung der PCI an den Tag, die ten und der PCI-dominierte Partisanen- werden ausgepfiffen und angegriffen. bis in die Tage der Resistenza zurück- verband ANPI mahnen zur Ruhe, die Der Kongress wird abgesagt. Die offi- verfolgt werden kann. Demonstranten hingegen beklagen den zielle Linke organisiert für die folgen- Die revolutionären und antifaschisti- Mangel an Waffen und fordern eine den Tage “friedliche” Demonstrationen schen Ideen der Partisanen lebten wei- Intervention der Ex-Partisanen. In Turin in ganz Italien, doch diese münden in ter, und sie kamen in den Klassenkämp- findet ein spontaner Solidaritätsstreik massiven Zusammenstößen mit den fen am Ende der 60er und 70er Jahre statt, bei dem die kommunistische Ordnungskräften, die in der ersten Juli- immer wieder zum Durchbruch. 1969 Gewerkschaft CGIL Arbeiter und Stu- woche landesweit zehn Arbeiter bildeten sich bewaffnete Gruppen als denten davon abhält die Polizei anzu- erschießen. Es kommt zum General- Reaktion auf die Kämpfe in den Stadt- teilen und Fabriken, die sich in eine direkte Nachfolge der Resistenza stell- ten. Die Partisanenaktionsgruppe GAP

Die Ideen der Partisanen lebten weiter, und sie kamen in den Klassenkämpfen am Ende der 60er und 70er Jahre immer wieder zum Durchbruch

um den Verleger Feltrinelli teilte sich mit den städtischen Sabotagegruppen der Resistenza nicht nur das Namens- kürzel: An ihr sollen auch ehemalige Partisanen beteiligt gewesen sein. Am 25. April, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, werden 1971 und 1972 in Mailänder Arbeitervierteln hunderte von Fahnen der Brigate Rosse gehisst. Aktionen der Autonomia richteten sich in den Jahren um 1977 auch gegen die faschistische MSI, die sich nach Musso- linis Marionettenrepublik benannt hatte: Immer wieder kam es zu Überfällen auf Faschisten, Parteilokale der MSI wur- den aus Demos heraus beschossen. Die schärfer werdenden Auseinander- setzungen der Jahre nach 1960 sind in gewisser Weise auch ein Kampf um das verratene Erbe der Resistenza.

Dario Azzellini

Literaturtipp: P. Moroni & N. Balestrini: Die goldene Horde. Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien, Berlin & Göttingen 1994

67 Es gibt einen roten Faden, der Männer und Frauen durch die Geschichte hindurch und über die ganze Welt hinweg verbindet. Auch wenn jede Generation den Sinn der Geschichte auf ihre Weise auslegt, auch wenn junge Menschen entscheiden, auf welcher Seite sie stehen und agieren möchten, so gibt es doch Kommunikation und Austausch zwischen den Generationen. Jede freie Gesellschaft sollte jedem die Möglichkeit geben, sich Ereignisse und Werte, die für die Konstituierung der eigenen Identität notwendig sind, auszuwählen. In unserer heutigen globalen Welt erscheint es abwegig, Antifaschismus und Widerstand als Werte zu betrachten, die die Identität junger Menschen formen Die "Marcia della memoria", der Marsch der Erinnerung zu Orten von könnten. Eine Ablehnung des Faschismus Partisanenkämpfen und deutschen und faschistischen Massakern, wurde in der bedeutet heute aber oft den ersten, Region der Marken zum 25. April 2006 zum dritten Mal organisiert. schüchternen Schritt hin zu einer Politisierung: Das Zugehörigkeitsgefühl zu einem weit zurückliegenden Kampf ist einfacher herzustellen, als das Interesse an Der rote Faden den konfusen politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart. der Geschichte Ein Kommentar zur aktuellen Debatte um

Seit Anfang der 90er Jahre kann ein die Bedeutung der Resistenza in Italien neues Interesse von Teilen der jungen Generation an der Resistenza beobach- tet werden. Jugendliche wenden sich in geht die „neue” Rechte als Siegerin her- es der äußerst stabilen Berlusconi-Koa- dem Moment der Politik zu, in dem die vor. Sie erreicht die Mehrheit im Parla- lition wichtige Reformen im Hinblick Demokratie in Italien in einer Krise ment, Berlusconi wird Ministerpräsi- auf eine Machtkonzentration durchzu- steckt, die durch die Korruptionsaffäre dent und die politischen Erben des setzen. Gleichzeitig wird mit der Legiti- „Mani pulite” (Saubere Hände) in Mai- Faschismus sind auf einmal stark im mierung der faschistischen Nachfolge- land zum Ausbruch kam. Bis zu diesem Parlament vertreten und bemühen sich, partei AN eine Regierungskampagne in Zeitpunkt fanden Widerstand und Anti- zusammen mit der Partei des Mailänder die Wege geleitet, die darauf abzielt, die faschismus in der öffentlichen Debatte Milliardärs eine Regierung zu bilden. Geschichte umzuschreiben. Die Resi- nur wenig Interesse. Diese nie da gewesene Machtkonzentra- stenza wird nun als historischer Aus- In dem Moment, in dem in der italieni- tion (Wirtschaft, Medien, Politik) auf druck vor allem kommunistischer schen Politik die traditionellen Parteien nur eine Person hat zur Folge, dass sich Oppositioneller und einfacher Regie- wegbrachen, sei es, dass sie sich in Fol- ein erstes breites antifaschistisches rungsgegner diffamiert und nicht mehr ge der Skandale (DC, PSI) auflösten Bewusstsein regt. L’Italia che resiste, als ein der gesamten italienischen oder nach dem Einbruch der Berliner das Italien, das Widerstand leistet, lässt Bevölkerung gemeinsamer Wertebegriff Mauer (PCI) neu strukturierten, sofort lautstark von sich hören. An der verstanden. Viele Angriffe sind zu ver- erscheint im Herbst 1993 Silvio Berlu- Demonstration zum 25. April 1994 zeichnen, von Vorschlägen zur Abschaf- sconi auf der Bildfläche. Er bekundet (dem Nationalfeiertag der Befreiung fung des Nationalfeiertags der Befrei- vom Faschismus) in Mailand, nahmen ung am 25. April, von der Schuldzuwei- 4oo.ooo Menschen jeden Alters, darun- sung gegenüber den Partisanen für 400.000 Menschen ter auch ehemalige Partisanen, bei strö- Repressalien der Nazis bis hin zur demonstrierten gegen mendem Regen teil. Negierung der Rolle, die die Resistenza Berlusconi Die erste Berlusconi-Regierung dauert bei der Befreiung Italiens vom Nazifa- nur wenige Monate und nach der Über- schismus gespielt hat, zugunsten einer gangsphase einer bürokratischen Regie- Aufwertung der Alliierten (eine Argu- zuerst einmal seine Sympathie für Gian- rung gewinnen die progressiven Kräfte, mentation, die als Instrument verwendet franco Fini (den jungen Vorsitzenden die mit dem fortschrittlichen Teil der wurde, um den Irakkrieg vor der demo- der ehemaligen MSI, Nachfolgerin der Katholiken koalieren, 1996 die Wahlen. kratischen und progressiven Öffentlich- faschistischen Partei, die sich in Die Koalition trifft jedoch auf diverse keit zu legitimieren). Symbolträchtig ist Rekordzeit zur Partei „Alleanza Nazio- Schwierigkeiten und bildet in 5 Jahren in diesem Zusammenhang die Tatsache, nale” wandelt). Dann baut er mit den drei Regierungen. Bei den Wahlen im dass Berlusconi als Ministerpräsident Führungsspitzen seines Unternehmens Jahr 2001 übernimmt die Rechte, wie- den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Fininvest die Partei „Forza Italia” auf. der mit Berlusconi als Ministerpräsi- Befreiung fern bleibt. 68 Bei den Wahlen am 27./28. März 1994 dent, erneut die Macht. Ab 2001 gelingt Berlusconis Politik gegen die sterpräsidenten Berlusconi in einer rung zu kämpfen, für die Verteidigung Verfassung Weise als defätistisch beschimpft wur- der Verfassung, für die Wiederherstel- de, die doch stark Erinnerungen an lung wirklicher demokratischer Verhält- In der Politik Berlusconis und seiner Mussolini wach werden ließ. nisse, für den Schutz des Andersartigen, Verbündeten sind ganz klar Versuche zu gegen die Gleichgültigkeit. Aus dieser erkennen, die Grundlage für die Konsti- Bedeutsam ist die Tatsache, dass die neu entdeckten und neu verstandenen tution und Einheit der italienischen Parteien, die an der Regierung waren, Bedeutung des Partisanenkampfs ent- Republik zu verschleiern: den Antifa- keine Bindung zu den Kräften hatten, steht auch ein ganz neues Interesse an schismus. Dieser Versuch erfolgte auf die die Verfassung geschrieben haben der Resistenza, das sich bis vor wenigen verschiedenen Ebenen: und an der Resistenza beteiligt waren. Jahren auf den etwas verstaubten - im institutionellen Bereich: eine Ver- Es kann somit von einer symbolischen Mythos der Gründungsgeschichte der fassungsänderung, durchgesetzt durch Distanz zwischen den Regierungskräf- Republik beschränkte. eine einfache Mehrheit, stärkt die ten und dem demokratischen Gedächt- Macht des Ministerpräsidenten und nis der italienischen Republik gespro- Antifaschismus heute schwächt die Rolle des Parlaments. Die chen werden. Um dies noch zu verdeut- Eigenständigkeit der Justiz wird in Fra- lichen, ist anzumerken, dass mit dem Das antifaschistische Spektrum in Ita- ge gestellt. Die italienische Verfassung Verschwinden der so genannten „ersten lien ist heute ziemlich komplex: Die entstand vor dem Hintergrund der Republik” in Folge der Bestechungsaf- antifaschistische Tradition wird zum Erfahrungen mit dem Faschismus. Sie fären im Chaos der ‘90 Jahre, nicht etwa Instrument der Identitätsfindung und verlieh dem Parlament, das noch vor der die Linksparteien nach oben kamen, somit zum Sammelbecken aller linken Regierung steht, maximale Souverä- sondern zwei Kräfte, die praktisch aus Bewegungen, für die Gemäßigten gilt nität. Mit der Verfassungsänderung hin- dem Nichts entstanden, AN und FI. Der dies weniger. Die Rechte dagegen, wie gegen hat der Ministerpräsident sogar AN war es in der Tat gelungen, alle gesagt, bekämpft diese Tradition. Ange- die Macht, die Parlamentskammern auf- Stimmen des faschistischen Wahlvolks sichts dieser Situation verstehen sich zulösen. auf sich zu vereinen, Stimmen, die nach Kräfte, die von ihrer Tradition, ihrer - in kultureller Hinsicht: Führungspo- der Befreiung vom Faschismus von der Ideologie und Geschichte weit von ein- sten in den nationalen Geschichtsfor- katholischen DC (Democrazia Cristia- ander entfernt sind, als Teil einer einzi- schungsinstituten und bei öffentlichen na) als Gegenpol zu den Kommunisten gen Kraft, dem antifaschistischen Erbe. Fernsehsendern und Zeitungen wurden eingefangen wurden. Nun haben diese Katholiken, Republikaner, Sozialisten an Personen, die der Alleanza Naziona- Wähler, die sich noch vor kurzem als und Kommunisten haben sich heute in le (AN) nahe stehen vergeben; des Wei- „gemäßigt” definiert hatten, keine Italien zusammengeschlossen, um das teren mit einer Revision von Schulbü- Schwierigkeiten mehr, sich als „rechts” Land nach den Schäden, die ihm durch chern, in deren Folge richtige Verbotsli- und als Erben des faschistischen Gedan- den rechten Komplex Berlusconis zuge- sten erstellt wurden; kenguts zu verstehen. fügt wurden, wieder zurück zur Demo- - ganz allgemein gesehen mit dem So kann das politische Klima der letzten kratie zu führen. In dieser Situation Frontalangriff auf die Friedensbewe- Jahre dargestellt werden. Und trotzdem stellt der größte Partisanenverband Ita- gung, die sich offen gegen den Krieg im ist es nicht leicht, die heutige Bedeu- liens, der ANPI, (gegründet 1944 in Irak ausgesprochen hat (in der Verfas- tung von Antifaschismus zusammenzu- Rom) das gemeinsame Terrain dar, auf sung verpflichtet sich Italien zur Oppo- fassen. Heute in unserem Land Antifa- sition gegen den Krieg), die vom Mini- schist zu sein bedeutet, für die Erinne- Die faschistische Nachfolgepartei AN ist stark im Parlament vertreten

dem sich sämtliche progressiven und demokratischen Kräfte zusammenfin- den und gegenseitig anerkennen. Aber auch außerhalb der traditionellen Ver- bände entstehen immer mehr Gruppen, die sich explizit auf den Antifaschismus beziehen: von den centri sociali, den unterschiedlichen Gruppen der Antiglo- balisierungsbewegung, den Umwelt- schützern bis hin zur politisch aktiven Homosexuellenbewegung. Die Homosexuellengruppen Italiens bekennen sich ausdrücklich zur Idee der Resistenza, die als Kampf zur Verteidi- gung der Diversität ausgelegt wird, und an die die Bewegung ihre Forderungen nach Anerkennung von Rechten und ihren Kampf gegen die gewaltsame Unterdrückung anknüpft. Heute ist für politisch aktive Homosexuelle in Italien klar, dass Gay Pride mit antifaschisti- schem Selbstbewusstsein gleichzuset- zen ist. (Im Faschismus war Homosexu- alität keine Straftat, sondern das Phäno- 69 auch mit dem Kampf gegen prekäre Lebens- und Arbeitssituationen.

Die Politik des ANPI

Der italienische Partisanenverband ANPI steht im Dialog mit all diesen Gruppen und nimmt an ihren Kämpfen teil. Ausgehend von der Tatsache, dass der ANPI kein Verband von ehemaligen Partisanen, sondern ganz einfach von Partisanen ist, und dass man nicht nur Partisan sein oder gewesen sein kann, sondern auch werden kann, hat er sich seit 2001 zum Ziel gesetzt, sich zu erweitern und zu verjüngen. So wurden beim XIV. Nationalen Kongress, der im Februar 2006 in der Toskana abgehalten wurde, im Zusammenhang mit der Änderung des Verbandsstatuts auch die- Wandbemalung in dem Dorf Vestignano, Marken jenigen zu Führungspositionen zugelas- sen, die nicht im Krieg als Partisanen gekämpft haben. In diesem politischen men wurde einfach durch Verbannung, lichen Bauherrn und unterliegen über- Klima und im Rahmen dieser Entwik- Gewalt und Negierung unterdrückt.) haupt keinen Umweltschutzkontrollen klung des ANPI entstand meine persön- Der Stolz auf die eigene Identität und mehr. Die Baugebiete werden enteignet liche Erfahrung als „neuer Widerstand- die Kraft, Rechte für sich und für alle und die Bewohner haben keine Mög- leistender“, der in der Vergangenheit anderen Rechtlosen einzufordern, lichkeit einzugreifen. Beim Kampf nachfragt, weil er in der Gegenwart lebt bedeutet für das Bewusstsein von gegen diese veraltete Vorstellung einer und die Zukunft plant. Den uralten Pro- Homosexuellen die stärkste Resistenza territorialen Entwicklung, an der sich zess der menschlichen Emanzipation (Widerstand) gegen jede Form der nur Wenige bereichern, und gegen diese wieder aufzunehmen und Teil dessen zu Gewalt. Gay Pride steht für die Verteidi- Form der Abschaffung der Kontrolle werden, bedeutet, sich mit dem sozialen gung der Freiheit, für Zivilcourage durch die Bevölkerung haben die Um- Drama zu beschäftigen, das in Italien gegen körperliche Gewalt, gegen Aus- weltschutzbewegungen starke basisde- und in der ganzen Welt stattfindet: von grenzung und gegen jede Kriminalisie- mokratische Profile angenommen. Die der Sklaverei, in der Migrantinnen und rung von Opposition und Protest. Umwelt wird im allgemeinen Bewusst- Migranten allzu oft leben müssen, bis Vor kurzem hat auch die Umweltschutz- sein nicht mehr nur unter dem Gesichts- hin zu den neuen prekären Arbeitsbe- bewegung antifaschistische Züge ange- punkt der Ästhetik oder der Gesundheit, dingungen; es bedeutet, sich einem nommen und bei ihren Demonstrationen sondern auch der Demokratie gesehen. Gesellschaftsentwurf entgegen zu stel- war das Partisanenlied „Bella Ciao” zu In der Antiglobalisierungsbewegung hat len, in dem Sklaverei nicht mehr nur sich in den letzten Monaten ein Netz- durch Armut bedingt wird, sondern Das antifaschistische werk der so genannten „Comunità resi- auch durch Mangel an Zeit entsteht. stenti” (Widerstandsgemeinschaften) Zeit, um seine Leidenschaften und kul- Spektrum ist heute in Italien herausgebildet, die der bereits älteren turellen Interessen zu pflegen, erdrückt sehr komplex und besser strukturierten Bewegung der vom Arbeitsrhythmus und von der pre- „Disobbedienti” (Ungehorsamen) nahe kären Arbeitssituation, die die Planung stehen. Sie setzten sich in ihren dezen- und das Denken an die Zukunft zunich- hören. Dies gilt zum Beispiel für die tralen Anlaufstellen, den „Ambasciate te macht: gefangen in einer Gegenwart, Bewegung NO TAV. Diese Bewegung dei diritti” (Botschaften der Rechte) mit die nur Konsum und Oberflächlichkeit entstand in den letzten Monaten, um Problemen der Einwanderungspolitik bedeutet. Es liegt an uns, in den neuen gegen den Neubau der Hochgeschwin- auseinander (z.B. der Abschaffung der geschichtlichen Bedingungen den Weg digkeitsstrecke der Bahnlinie Turin – Übergangslager für Einwanderer), aber nach einer neuen Umsetzung der demo- Lyon zu mobilisieren. In diesem Fall ergibt sich eindeutig ein Zusammen- hang mit Antifaschismus, wenn man etwas genauer hinschaut: Die Regierung Berlusconi übergeht bei der Realisie- rung von Infrastrukturen einige bereits vor Jahren entwickelte Richtlinien, mit denen die demokratische und dezentrale Kontrolle über Gebiets- und Umwelt- schutzaspekte beibehalten werden soll- te. Im Rahmen des so genannten „Ziel- gesetzes” hat sich die Regierung einige riesige Bauvorhaben zum Ziel gesetzt, die von privaten Unternehmen projek- tiert, jedoch durch öffentliche Gelder finanziert werden. Diese Privatunter- 70 nehmen ersetzen den Staat als öffent- Jüngere und ältere Partisanen aus den Marken bei der dritten "Marcia della memoria", dem Marsch der Erinnerung, 2006 in Montalto kratischen Wertvorstellungen zu Gefängnisse oder in die Verbannung Berlusconi-Regierung erzeugten, in suchen, um wieder anfangen zu können, schickte, denn das Regime hatte Angst politische Aktion umgewandelt werden. an die Zukunft zu denken. vor Köpfen, die denken und vor den Dazu aber muss Einigkeit herrschen und Die Befreiung vom Faschismus barg schönen Dingen. Dann brach der Krieg dies ist die Herausforderung, die die auch den Traum in sich, dass „Das aus. Ihr Gewissen, das bis dahin durch Partisanen und Gründer der Republik Böse“ eigentlich nur ein geschichtliches die Lautsprecher taub war, trieb die Konstrukt sei, und dass die Menschen Jugend in die Berge, wo die schwache ihm Einhalt gebieten könnten. Als Anti- Stimme derjenigen, die Nein sagten, zu Öffentliches Auftreten hat nur faschist glaube ich noch an diesen einer kämpferischen Stimme wurde, Sinn, wenn man sich nicht Traum, und bis heute glaube ich an eine über die es nachzudenken lohnte und gerechtere Welt, in der niemand mehr auf der sich ein neues Italien und eine konform verhalten muss wegen Waffen oder Hunger stirbt. Resi- neue Welt aufbauen konnte. stenza bedeutete die Wideraneignung Voraussetzung für die Demokratie ist menschlicher Werte, die Berufung der also, dass die Stimmen der anderen für unsere Generation bereithalten: die einzelnen Person auf ihre Grundrechte, nicht mehr durch Lautsprecher übertönt Herausforderung, dass alle demokrati- das erneute Aufleben des Begriffs „Frie- werden. Demokratie bedeutet, der schen und progressiven Kräfte in der den” im öffentlichen Bewusstsein als Geschichte endlich wieder freien Raum Lage sind, gemeinsame Ziele zu finden Voraussetzung für alle weiteren Errun- zu lassen, um sich weiter zu entwickeln und einen wirklichen Dialog zu führen. genschaften. Mit anderen Worten, Resi- und der Gesellschaft das volle Recht Die größte Errungenschaft der Resisten- stenza bedeutete und bedeutet, wieder zuzugestehen, ihre Konflikte ausleben za war die Erschaffung einer demokrati- damit zu beginnen, Wichtiges von zu können, jedoch die einfache Regel schen Republik, in der die Freiheit und Unwichtigem zu unterscheiden und dies des gegenseitigen Respekts zu befolgen, Gleichheit der Einzelnen respektiert laut zu sagen, auch wenn dies gegen all ohne Gewalt anzuwenden, ohne zu ver- wird, in der Frauen und Männer die Pro- das steht, was uns bisher gelehrt wurde. langen, dass andere stumm bleiben. Um tagonisten der Öffentlichkeit sind. Die In Zeiten, in denen die „Barmherzigkeit allen zur ihrer Stimme zu verhelfen, hat Teilnahme am öffentlichen Geschehen gestorben” war, in denen das Recht auf sich die Republik, die aus der Resisten- hat jedoch nur dann Sinn, wenn man Leben, auf Gesundheit und auf Bildung za entstand, verpflichtet, allen eine Aus- sich nicht konform verhalten muss. ein Privileg Einzelner war, begannen bildung zu garantieren, unabhängig von Ich habe versucht, von befreundeten die Menschen, die zu „Dingen” redu- ihrer wirtschaftlichen Situation: damit Partisanen zu lernen, wie man die Laut- ziert und zu einem Instrument der auch die Armen ihre Poeten haben, die sprecher überhören kann, zu lernen wie Bereicherung weniger gemacht worden von ihrem Leben erzählen können, und wo man die schwache Stimme hört, waren, von einer neuen Welt zu spre- damit auch die Armen ihre Politiker die sie uns nicht hören lassen wollen. chen, in der es um Frieden, Gleichheit haben, die die Bedürfnisse der und Freiheit ging. Die lärmenden Schwächsten repräsentieren, damit auch Francesco Rocchetti Radio- und Kinolautsprecher, die die Kinder der Armen zu Ärzten wer- Gewalt und Rhetorik der Propaganda den, um die Krankheiten zu heilen, an übertönten in jenen Jahren den nie wirk- denen ihre Eltern in den Fabriken ster- Der Autor Francesco Rocchetti ist 30 Jahre lich verstummten, jedoch schwachen ben. alt. Er ist in der Organisation "Gay Left" Ruf derjenigen, die die Gewalttaten und Italien hat in diesen letzten Jahren wie- engagiert, arbeitet im Insitut für Intrigen des Regimes anklagten. Die ein der damit angefangen, den Lautspre- Zeitgeschichte in Macerata mit und ist Regime anklagten, das Menschen, die chern zuzuhören. Deshalb muss die Mitglied im ANPI. sich mit Poesie beschäftigten, in Bestürzung, die die Handlungen der 71 Soldatenfriedhof in Costermano Die Initiative „Für die Erinnerung in Costermano“ fordert eine Gedenktafel für Deserteure Wenn Steine reden könnten ... Auf dem Soldatenfriedhof in Costermano werden die Spuren von Widerstandskämpfern und Kriegsverbrechern verwischt

Volkstrauertag weiterhin teilzunehmen. Die Initiative „Für die Erinnerung in Alljährlich erinnern am Volkstrauertag Zuvor war bekannt geworden, dass in Costermano“ fordert bereits seit 2003 PolitikerInnen an die in den Weltkriegen Costermano hochrangige SS-Offiziere die Anbringung einer Gedenktafel auf gefallenen deutschen Soldaten. Dies bestattet sind, die sich nachweislich an dem Friedhofsgelände. Sie stellt den geschieht auch auf dem deutschen Verbrechen gegen die Menschheit betei- öffentlichen Feirstunden zum Volks- Soldatenfriedhof in Costermano, auf dem ligt hatten. Auch ihnen galt das ehrende trauertag seit 2004 international besetz- sich die Grabsteine für 22.000 Angehö- Gedenken, für das der Volksbund bis te Tagungen entgegen. Dort diskutieren rige der Wehrmacht und der SS finden, 2004 sogar in Metall gravierte „Ehren- HistorikerInnen und Zeitzeugen wie der bücher“ in einem kapellenähnlichen die in Norditalien umgekommen sind. Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann Gedenkraum, der sogenannten „Ehren- und Angehörige von Widerstandskäm- halle“, auflegte. pferInnen. Der von der Initiative vorge- Der oberhalb des Lago di Garda unweit Diesen Gedenkraum ziert bis heute ein schlagene Text soll auf historische Tat- von Verona gelegene Soldatenfriedhof Steinkreuz, das dem Balkenkreuz der sachen wie Verbrechen gegen die wird gleich 13 anderen Gräberanlagen Wehrmacht ähnelt. Auf diesem steiner- Menschheit, Kriegsverbrechen, aber in Italien vom Volksbund deutsche nen Balkenkreuz findet sich die auch auf den Widerstand von Deserteu- Kriegsgräberfürsorge (VdK) unterhal- Inschrift 1939-1945, darüber ist ein ren hinweisen: ten, der sich mit dem Motto "Versöh- Lorbeerkranz angebracht – eine Bilder- sprache, die dem Konzept des ehrenden NIE WIEDER KRIEG Gedenkens Ausdruck verleihen sollte Auf diesem Friedhof sind einige Den Gedenkraum ziert bis und das bis heute tut. Verantwortliche der Judenvernichtung heute ein Steinkreuz, das in Europa und der Tötung von dem Balkenkreuz der Anfang der 90er Jahre entschloss sich Schwachen und Kranken beerdigt. der Volksbund, die Namen dreier Wir gedenken ihrer Opfer. Wehrmacht ähnelt bekannter Kriegsverbrecher aus den Ehrenbüchern schleifen zu lassen: Die Wir gedenken auch der Männer, nung über den Gräbern" als Träger von Namen von Christian Wirth, Franz Frauen und Kinder, die in Italien von Gedenk- und Friedensarbeit präsentiert. Reichleitner und Gottfried Schwarz ver- den deutschen Besatzern ermordet Der VdK ist von der Bundesregierung schwanden. Die drei SS-Führer, die am wurden, und der Hunderttausende mit der Grabpflege beauftragt. Form “Euthanasieprogramm T4“ beteiligt italienischer Zivilisten und Soldaten, und Inhalt des Gedenkens in Costerm- gewesen waren und später in leitender die unter unmenschlichen Bedingungen ano werfen freilich die Frage auf, ob der Funktion in den Vernichtungslagern in Deutschland Zwangsarbeit leisten VdK nicht sogar hinger der offiziellen Belzec, Sobibor, Treblinka oder der mussten oder in den Gedenkpolitik Bundesrepublik seit (dem einzigen Ver- Konzentrationslagern starben. 1997 zurück bleibt. nichtungslager auf italienischen Boden) waren. Erst nach Protesten der deutsch- Auf diesem Friedhof liegen auch Schwierigkeiten mit der italienischen Initiative „Für die Erinne- deutsche Soldaten, die den Wahrheit rung in Costermano“ wurde 2004 das nationalsozialistischen Krieg Deckblatt mit der Aufschrift “Ehren- ablehnten. Sie wurden als Verräter Bereits Ende der 80er Jahre weigerte buch” entfernt; die Bücher, die Halle oder Deserteure von der Wehrmacht sich der damalige Generalkonsul der nebst der eindeutigen – ehrenden - Sym- erschossen. Einige hatten mit den Bundesrepublik in Mailand, Manfred bolsprache blieben. italienischen Partisanen 72 Steinkühler, an der Gedenkfeier zum weitergekämpft. Sie alle werden wir dankbar in Costermano nicht nur die drei oben Heinz Schreyer und Martin Koch wur- Erinnerung behalten. genannten Kriegsverbrecher. Unter den den nach Aufdeckung des Plans hinge- 31 Offizieren und mehr als 500 Unter- richtet. Für diese Inschrift machten sich in einer offizieren der SS sind einige, die sich Unterschriftenliste zahlreiche Historike- mit an Sicherheit grenzender Wahr- Im August 2005 waren wieder Jugendli- rInnen, ehemalige PartisanInnen, Initia- scheinlichkeit in Kliniken und Lagern che auf einem Workcamp in Costerm- tiven und Einzelpersonen aus Italien an der Vernichtung von Menschen ano. Diese Workcamps finden in ganz und der Bundesrepublik stark. Der VdK beteiligt haben, die den Nazis als Europa statt und laufen unter dem Mot- sieht sich bis heute nicht in der Lage, “lebensunwert“ galten. Auch liegen eine to „Gemeinsam aktiv für Frieden und eine solche Inschrift anzubringen. Reihe von Angehörigen von Verbänden Verständigung“. Versprochen wird den So findet sich auf dem gesamten Solda- dort, die an Massakern gegen die Zivil- TeilnehmerInnen vom VdK folgendes: tenfriedhof bis heute keinerlei Hinweis bevölkerung beteiligt waren. Friedrich „Kritische Fragen stellen, die Spuren für eine differenzierte Geschichtsbet- Schmidkonz etwa gehörte dem 16. Pan- der Geschichte suchen, Eindrücke ver- rachtung; die Beteiligung der deutschen zergrenadierbataillon der Waffen-SS an, arbeiten und zusammen darüber nach- Wehrmacht und der SS an der Deporta- das für die Massaker von Valla, Vinca denken: Wie konnte das damals passie- tion von jüdischen Menschen in die Ver- und Marzabotto verantwortlich ist. ren? Welchen Bezug habe ich zu jener nichtungslager, die Verschleppung Zeit? Welche Verantwortung können Zehntausender italienischer ZivilistIn- Wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir heute übernehmen?“. nen zur Zwangsarbeit inner- und außer- etwa 70% der zivilen Opfer in Italien halb Italiens oder die massenhafte Hin- auf das Konto der Wehrmacht gehen, richtung bzw. Internierung und Ver- dürfte der Anteil an Kriegsverbrechern, Die Jugendlichen wurden zur schleppung italienischer Kriegsgefange- derer in Costermano jedes Jahr gedacht ner durch deutsche Soldaten finden kei- wird, noch viel höher sein. Hier könnte Gräberpflege eingesetzt und ne Erwähnung. der Volksbund selber mit Recherchen dabei von Bundeswehr- Auch die Verbrechen der deutschen tätig werden. Stattdessen hält er die für angehörigen befördert Wehrmacht an der italienischen Zivilbe- die Recherchen wichtigen Daten über völkerung bleiben unerwähnt. Ohne die die Truppenzugehörigkeit der Gefalle- und angeleitet gefallenen Soldaten und PartisanInnen nen als Geheimsache unter Verschluss. zu berücksichtigen, fielen den direkten Die Jugendlichen wurden zur Gräber- und indirekten Auswirkungen der deut- Der VdK weigert sich bis heute, die pflege eingesetzt und dabei von schen Besatzung nach Einschätzung von Friedhofsbesucher auf derlei hinzuwei- Bundeswehrangehörigen befördert und ExpertInnen täglich nicht weniger als sen. Während der Bundestag nach lan- angeleitet. Über die öffentliche Ausein- 160 Menschen zum Opfer. gem und zähem Widerstand in seiner andersetzung um das Gedenken auf dem Entschließung vom 15. Mai 1997 fest- Soldatenfriedhof in Costermano wurden Die metallenen „Ehrenbücher“ heißen stellte, dass der „Zweite Weltkrieg ... sie nicht informiert. Auf die Existenz heute „Namensbücher“. Doch darin fin- ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein der Gräber von Massenmördern auf den sich weiterhin die Namen von vom nationalsozialistischen Deutsch- dem Friedhof wurden die ehrenamtlich Angehörigen der SS- und der Wehr- land verschuldetes Verbrechen“ war, tätigen jungen Leute ebenso wenig hin- machtsverbände, die Krieg “auch gegen weigert sich der Volksbund, Art und gewiesen wie auf die der Deserteure. Frauen und Kinder” führten. Diese For- Umfang der Kriegsverbrechen in seiner Ein junger Mann ging davon aus, dass mulierung stammt aus dem berüchtigten Arbeit in Costermano zum Thema zu in Costermano überwiegend rangniede- Befehl von Generalfeldmarschall Kes- machen. Auch SS-Angehörige sollen re Soldaten liegen: “Ich habe, als ich selring, der viele Massaker an der Zivil- nicht eigens benannt werden. Sie wer- hier durchlief, kaum irgendeinen hohen bevölkerung wie das in Sant’Anna di den in einem im November 2005 veröf- Dienstgrad gesehen, und schon gar kei- Stazzema zur Folge hatte. fentlichten Textentwurf für eine nen hohen SS-Dienstgrad“. Gedenktafel den „22.000 Soldaten und Das verwundert nicht: Auf dem Grab Nach Erkenntnissen der italienischen anderen Kriegstoten“ zugerechnet. In von Hauptsturmführer Christian Wirth, Tageszeitung il manifesto (Ambrosino, einer auflagenstarken Gratis-Broschüre der an der Vergasung psychisch kranker G.: L´onore perduto di Costermano. il zu den Soldatenfriedhöfen in Italien Menschen und an der Organisation und manifesto, 12.11.2005: S. 18) liegen in werden die deutschen Kriegsverbrechen Leitung von Vernichtungslagern in Ost- ebenfalls nicht erwähnt. In den dort und Südeuropa beteiligt war, findet sich angeführten Einzelschicksalen finden der Dienstgrad nicht: Der Grabstein sich zwar Hinweise auf deutsche Solda- zeigt, anders als die meisten anderen, ten, die von PartisanInnen erschossen lediglich den Namen und das Geburts- worden waren, die Opfer der deutschen datum. Besatzung aber finden dort mit keinem Wort Erwähnung. Wenn Steine reden könnten – wie es oft in den Veröffentlichungen des Volks- Auch an den Gräbern von Wehrmachts- bundes heißt – dann würden sie den jun- deserteuren und Widerstandskämpfern gen Leuten wahrscheinlich mehr erzäh- fehlt jeglicher aufklärende Hinweis. Am len. Rand des Gräberfeldes befinden sich z. B. die Gräber von Hans Schmid und sei- Matthias Brieger nen Mitstreitern, die im August 1944 die Funkanlage ihrer Einheit samt zwei Offizieren, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren, bei Albinea den Partisa- nInnen übergeben wollten. Schmid, Erwin Bucher, Erwin Schlunder, Karl- 73 Auswahlbibliographie in deutscher Sprache: Für eine weitergehende Literaturliste auch mit italienischen Titeln siehe: www.resistenza.de

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