Plenarprotokoll 10/143

Deutscher

Stenographischer Bericht

143. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 10541A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über den Ausbau des Schienen- Absetzung zweier Punkte von der Tages- wegenetzes der Deutschen Bundesbahn 10541 B ordnung (BbSchwAbG) — Drucksache 10/3010 — Begrüßung einer Delegation des Aus- schusses für Verteidigung und nationale Sicherheit des ägyptischen Parlaments . 10575A in Verbindung mit

Zweite und dritte Beratung des von der Beratung des Antrags des Abgeordneten Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜ- Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der NEN Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhö- hung der Wettbewerbsfähigkeit der Deut- Einstellung der U-Bahn-Förderung aus schen Bundesbahn (Bundesbahnsanie- Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzie- rungsgesetz) rungsgesetzes — Drucksache 10/808 — — Drucksache 10/2092 — Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr in Verbindung mit — Drucksache 10/2218 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Beratung der Beschlußempfehlung und des § 96 der Geschäftsordnung Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktion — Drucksache 10/2219 — der SPD zur Großen Anfrage der Abgeord- neten Straßmeir, Dr. Jobst, Milz, Bohlsen, in Verbindung mit Bühler (Bruchsal), Fischer (Hamburg), Hanz (Dahlen), Haungs, Pfeffermann, Schemken, Tillmann, Hinsken, Lemmrich, Erste Beratung des von der Fraktion der Hoffie, Kohn, Dr. Weng und Genossen und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten der Fraktion der CDU/CSU und FDP Gesetzes zur Änderung des Bundesbahn- gesetzes Deutsche Bundesbahn — Drucksache 10/3009 — — Drucksachen 10/1234, 10/2271 — in Verbindung mit in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Beratung des Antrags der Abgeordneten rung zum Ergebnis der NATO-Konferenz Vogel (München), Senfft und der Fraktion am 9./10. Juni 1983 DIE GRÜNEN — Drucksachen 10/151, 10/3074 — Aufnahme der Bundesbahnlinie Ingol- Francke (Hamburg) CDU/CSU 10602 B stadt—Landshut in den Bundesverkehrswe- geplan Dr. Scheer SPD 10605A — Drucksache 10/3459 — Ronneburger FDP 10608 A Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 10611 D in Verbindung mit Berger CDU/CSU 10615A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klejdzinski SPD 10618 B Vogel (München), Senfft und der Fraktion Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 10620 B DIE GRÜNEN Horn SPD 10625 C Behindertengerechter Ausbau der Münch- Wimmer (Neuss) CDU/CSU 10628A ner S-Bahnhöfe Dr. von Bülow SPD — Drucksache 10/3460 — 10630 D Daubertshäuser SPD 10542 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Straßmeir CDU/CSU 10546 A eines Gesetzes zur Verbesserung der Per- Senfft GRÜNE 10548A, 10563 B sonalstruktur in den Streitkräften (Pers- Hoffie FDP 10550 C StruktG — Streitkräfte) Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 10553 D — Drucksache 10/2887 — Haar SPD 10556 C Beschlußempfehlung und Bericht des Ver- teidigungsausschusses Dr. Jobst CDU/CSU . . . . 10560 B — Drucksache 10/3439 — Kohn FDP 10564 C Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Ibrügger SPD 10567 A § 96 der Geschäftsordnung Milz CDU/CSU 10569 A — Drucksache 10/3469 — Bamberg SPD 10570 D Wilz CDU/CSU 10634 A Hinsken CDU/CSU 10572 D Jungmann SPD 10636 B Bohlsen CDU/CSU 10575 A Ronneburger FDP 10639 D Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU (Erklä Suhr GRÜNE 10642 A rung nach § 31 Abs. 1 GO) 10577 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 10643 B Namentliche Abstimmung 10577 B Lutz SPD (Erklärung nach § 31 Abs. 2 GO) 10645 B Ergebnis 10577 B Namentliche Abstimmung 10646 D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Ergebnis 10646 D eines ... Gesetzes zur Änderung dienst- Frau Steinhauer SPD (Erklärung nach § 31 rechtlicher Vorschriften Abs. 1 GO) 10648 C — Drucksachen 10/2114, 10/2970 — Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Beschlußempfehlung und Bericht des In- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- nenausschusses setzes zur Änderung des Wehrpflichtgeset- — Drucksache 10/3422 — zes und des Zivildienstgesetzes Bericht des Haushaltsausschusses gemäß — Drucksache 10/1727 — § 96 der Geschäftsordnung Beschlußempfehlung und Bericht des Ver- — Drucksache 10/3450 — teidigungsausschusses Dr. Laufs CDU/CSU 10579 C — Drucksache 10/3088 — Bernrath SPD 10580B, 10581 A Hauser (Esslingen) CDU/CSU 10649 B Dr. Hirsch FDP 10580C, 10582 C Steiner SPD 10650 B Dr. Olderog CDU/CSU 10581 C Ronneburger FDP 10651 A - Lange GRÜNE 10651 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu Erste Beratung des von den Fraktionen der dem Entschließungsantrag der Fraktion CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten der SPD zur Erklärung der Bundesregie Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Ände- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 III rung des Abgeordnetengesetzes und des Erste Beratung des von den Abgeordneten Europaabgeordnetengesetzes Jaunich, Frau Fuchs (Köln), Frau Schmidt (Nürnberg), Egert, Hauck, Delorme, Gilges, — Drucksache 10/3453 — Müller (Düsseldorf), Sielaff, Witek, Dr. Vo- Dr. Bötsch CDU/CSU 10652 D gel und der Fraktion der SPD eingebrach- Becker (Nienberge) SPD 10653 C ten Entwurfs eines Gesetzes über den Be- ruf der Orthoptistin/des Orthoptisten Beckmann FDP 10654 B — Drucksache 10/3163 — 10666 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 10654 D

Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Erste Beratung des von der Bundesregie- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- setzes zur Änderung des Forstschäden zes zur Änderung des Fleischbeschauge- Ausgleichsgesetzes setzes — Drucksache 10/1394 — — Drucksache 10/3279 — 10666 D Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft Erste Beratung des vom Bundesrat einge- und Forsten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä n- derung des Einkommensteuergesetzes — Drucksache 10/3271 — — Drucksache 10/3296 — 10666 D Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 10656 C 10657 B Wimmer (Neuötting) SPD Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr. Rumpf FDP 10658 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Werner (Dierstorf) GRÜNE 10659 A zes zur Durchführung der Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäi- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär . 10660 B schen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts Erste Beratung des von der Bundesregie- — Drucksache 10/3440 — 10666 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivge- Erste Beratung des von den Fraktionen der setz) CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten — Drucksache 10/3072 — Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ä n- derung des Bundesvertriebenengesetzes Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär . 10661 B — Drucksache 10/3407 — 10667 A Duve SPD 10662 B Weiß CDU/CSU 10663 A Erste Beratung des von den Fraktionen der Ströbele GRÜNE 10663 D CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Dr. Hirsch FDP 10664 D des Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcher- Zweite und dritte Beratung des von der zeugung für den Markt Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Saatgutverkehrsgesetzes — Drucksache 10/3454 — 10667A — Drucksache 10/700 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Berichts des Ausschusses für Forschung schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Technologie zu der Unterrichtung und Forsten durch die Bundesregierung — Drucksache 10/3223 — Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rode (Wietzen) CDU/CSU 10665 D Rates über ein Programm zur Unterstüt- zung der Technologischen Entwicklung im Zweite und dritte Beratung des von der Bereich der Kohlenwasserstoffe Bundesregierung eingebrachten Entwurfs — Drucksachen 10/2751 Nr. 27, 10/3278 — 10667 B eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren sowie anderer wertpapier- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu rechtlicher Vorschriften - der Unterrichtung durch die Bundesregie- — Drucksache 10/1904 — rung Beschlußempfehlung und Bericht des Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Rechtsausschusses Änderung der Ersten Richtlinie des Rates — Drucksache 10/3443 — 10666 B vom 23. Juli 1962 über die Aufstellung ge- IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 meinsamer Regeln für bestimmte Beförde- ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 10588A rungen im Güterkraftverkehr zwischen ZusFr Vosen SPD 10588 A den Mitgliedstaaten (Beförderung der auf dem Seewege ein- oder ausgeführten Gü- ZusFr Catenhusen SPD 10588 C ter von oder nach einem Seehafen der Ge- ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10588 C meinschaft) ZusFr Roth SPD 10588 D Vorschlag für eine Verordnung des Rates ZusFr Berger CDU/CSU 10589 A zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. ZusFr Stahl (Kempen) SPD 10589 C 3568/83 hinsichtlich der Liberalisierung der Bildung der Entgelte für Beförderun- ZusFr Fischer (Homburg) SPD 10589 D gen der auf dem Seewege ein- oder ausge- ZusFr Dr. von Bülow SPD 10590 A führten Güter von oder nach einem Seeha- ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 10590 B fen der Gemeinschaft Information der Bundesregierung über die Vorschlag für eine Richtlinie des Rates Standorte der atomar bestückten Pershing- über die Ordnung der Märkte für die Be- II-Raketen; Unfallfolgen bei einem Brand förderung der auf dem Seewege ein- oder MdlAnfr 59, 60 07.06.85 Drs 10/3448 ausgeführten Güter von oder nach einem Antretter SPD Seehafen der Gemeinschaft Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 10590 C — Drucksachen 10/2952 Nr. 19, 10/3102 — 10667 C ZusFr Antretter SPD 10590 C Fragestunde ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 10590 D — Drucksache 10/3448 vom 7. Juni 1985 — ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10591A ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 10591 C Zeitpunkt einer Entscheidung über eine deutsche Beteiligung am SDI-Programm ZusFr Berger CDU/CSU 10591 D MdlAnfr 50 07.06.85 Drs 10/3448 Transport der atomaren Sprengköpfe zu Fischer (Homburg) SPD den Stellungen der Pershing-II-Raketen; Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 10583 C Freisetzung von Plutonium bei Absturz und Brand eines Hubschraubers ZusFr Fischer (Homburg) SPD 10583 C MdlAnfr 61, 62 07.06.85 Drs 10/3448 Frau Fuchs (Verl) SPD Finanzierung einer deutschen Beteiligung am SDI-Programm Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 10592 A MdlAnfr 51, 52 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 10592 A Grunenberg SPD ZusFr Horn SPD 10592 D Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 10583 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 10593 A ZusFr Grunenberg SPD 10584 A ZusFr Antretter SPD 10593A ZusFr Vosen SPD 10584 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 10593 B ZusFr Dr. von Bülow SPD 10584 C Zahl der in Kliniken aufbewahrten be- ZusFr Würtz SPD 10584 C fruchteten menschlichen Eizellen ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10584 D MdlAnfr 65 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Fischer (Homburg) SPD 10585A Catenhusen SPD ZusFr Catenhusen SPD 10585 C Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10593 D ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 10585 D ZusFr Catenhusen SPD 10594A ZusFr Roth SPD 10586 B ZusFr Vogel (München) GRÜNE . . . 10594 B ZusFr Berger CDU/CSU 10586 C Angabe des Alters, von dem an Spielfilme ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 10586 D für Kinder und Jugendliche zulässig sind, in den Fernsehprogrammen Deutsche Beteiligung an einer europäi- MdlAnfr 70 07.06.85 Drs 10/3448 schen Technologieagentur Dr. Weng (Gerlingen) FDP MdlAnfr 53 07.06.85 Drs 10/3448 Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 10594 B Dr. von Bülow SPD ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP . . . . 10594 C Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . . 10587 C Innovationsschub durch zivile Forschung ZusFr Dr. von Bülow SPD 10587 C und Entwicklung bei Nichtbeteiligung am ZusFr Horn SPD 10587 D SDI-Programm Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 V

MdlAnfr 76 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Berger CDU/CSU 10599 A Roth SPD ZusFr Catenhusen SPD 10599 B Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . 10595A Forschungsmittel zur Erreichung eines In- ZusFr Roth SPD 10595 B novationsschubs ohne deutsche Beteili- ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10595 C gung am SDI-Programm ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 10595 D MdlAnfr 83 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Catenhusen SPD 10596 A Zander SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10599 C Zivile Forschungs- und Entwicklungspro- jekte der Bundesregierung zur Schaffung ZusFr Zander SPD 10599 C eines „Europas der Technologie" ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 10599 D MdlAnfr 77 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10599 D Roth SPD Deutsche Forschungsaktivitäten entspre- Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10596 B chend den Themenbereichen des SDI-Pro- ZusFr Roth SPD 10596 B gramms ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10596 C MdlAnfr 85 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Fischer (Homburg) SPD 10596 D Vosen SPD ZusFr Vosen SPD 10597 A Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10600 A ZusFr Vosen SPD 10600 B Einsatz optischer Sensoren in der physika- ZusFr Zander SPD lischen Forschung und in der industriellen 10600 C Anwendung ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10600 D MdlAnfr 78 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Catenhusen SPD 10601A Dr. Jens SPD ZusFr Hansen (Hamburg) SPD 10601 B Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . . 10597 B Technologiepolitische Bedingungen für ZusFr Dr. Jens SPD 10597 B eine deutsche Beteiligung am SDI-Pro ZusFr Catenhusen SPD 10597 D -gramm MdlAnfr 86 07.06.85 Drs 10/3448 Rechtliche Beschränkungen bei einer Be- Vosen SPD teiligung deutscher Firmen am SDI-Pro- gramm Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10601 C MdlAnfr 79 07.06.85 Drs 10/3448 ZusFr Vosen SPD 10601 C Catenhusen SPD ZusFr Frau Dr. Timm SPD 10602 A Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10597 D Nächste Sitzung 10667 D ZusFr Catenhusen SPD 10598 A ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10598 A ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 10598 B Anlage 1

Haushaltsmittel des Bundesministeriums Liste der entschuldigten Abgeordneten 10668* A für Forschung und Technologie für For- schungs- und Entwicklungsprojekte im Zu- sammenhang mit der Eureka-Initiative Anlage 2 MdlAnfr 82 07.06.85 Drs 10/3448 Zander SPD Erklärung des Abgeordneten Dr. Schier- Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 10598 C holz (GRÜNE) nach § 31 GO zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur ZusFr Zander SPD 10598 C Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des ZusFr Vosen SPD 10598 D Zivildienstgesetzes 10668* C

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10541

143. Sitzung

Bonn, den 13. Juni 1985

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Jenninger: Die Sitzung ist eröffnet. Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhö- hung der Wettbewerbsfähigkeit der Deut- Meine Damen und Herren, nach einer interfrak- schen Bundesbahn (Bundesbahnsanie- tionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesord- rungsgesetz — BbSanG) nung um vier Zusatzpunkte erweitert werden. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur — Drucksache 10/808 — verbundenen Tagesordnung", die Ihnen vorliegt, un- ter Nr. 2 bis 5 aufgeführt: aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (14. Aus- Beratung des Antrags der Abgeordneten Vogel (Mün- schuß) chen), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN — Drucksache 10/2218 — Aufnahme der Bundesbahnlinie Ingolstadt-Landshut in den Bundesverkehrswegeplan — Drucksache 10/3459 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst Beratung des Antrags der Abgeordneten Vogel (Mün- chen), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN bb) Bericht des Haushaltsausschusses Behindertengerechter Ausbau der Münchner S-Bahnhöfe (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- — Drucksache 10/3460 — schäftsordnung Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Ge- — Drucksache 10/2219 — setzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes Berichterstatter: — Drucksache 10/3453 — Abgeordnete Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und Hoffmann (Saarbrücken) FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Metz Änderung des Gesetzes über die Gewährung einer Vergü- Dr. Weng tung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt — Drucksache 10/3454 — (Erste Beratung 64. Sitzung) Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung die- ser Tagesordnungspunkte — soweit erforderlich — b) Erste Beratung des von der Fraktion der gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Bera- SPD eingebrachten Entwurfs eines Vier- tung abgewichen wird. — Ich sehe, Sie sind damit ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- einverstanden. bahngesetzes (4. BbÄndG) Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinba- — Drucksache 10/3009 — rung sollen die Punkte 2f — Einstellung der Bauar- beiten zur Kanalisierung der Saar — und 2 h — S- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Bahnverbindungen im mittleren Ruhrgebiet — ab- Ausschuß für Verkehr (federführend) Innenausschuß gesetzt werden. Sind Sie auch damit einverstanden? Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städte- schlossen. bau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von der Fraktion der Ich rufe sodann die Tagesordnungspunkte 2 a bis SPD eingebrachten Entwurfs eines 2 e und 2g sowie sie Zusatzpunkte 2 und 3 auf: Gesetzes über den Ausbau des Schienen- 2. a) Zweite und dritte Beratung des von der wegenetzes der Deutschen Bundesbahn Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten (BbSchAbG) Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der — Drucksache 10/3010 — 10542 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Präsident Dr. Jenninger Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Zu Tagesordnungspunkt 2 a liegt ein Entschlie- Ausschuß für Verkehr (federführend) ßungsantrag des Abgeordneten Senfft und der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städte- Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3457 bau Haushaltsausschuß vor. d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Es sind eine gemeinsame Beratung dieser Tages- Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜ- ordnungspunkte und eine Aussprache von drei NEN Stunden vereinbart. Ist das Haus damit einverstan- Einstellung der U-Bahn-Förderung aus den? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzie- beschlossen. rungsgesetzes Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Be- — Drucksache 10/2092 — gründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort Innenausschuß hat der Herr Abgeordnete Daubertshäuser. e) Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜ- NEN Daubertshäuser (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Erhalt der Bundesbahnstrecke Kempten- men und Herren! Unsere heutige Bundesbahnde- Isny batte findet vor dem Hintergrund der Feierlichkei- — Drucksache 10/2507 — ten des Jubiläumsjahres der Bahn statt. Die Deut- sche Bundesbahn feiert zu Recht, denn sie hat viel Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: geleistet. Sie hat die wirtschaftliche Entwicklung Ausschuß für Verkehr und die Industrialisierung unseres Landes erst er- g) Beratung der Beschlußempfehlung und möglicht. Sie ist ein Verkehrsmittel für alle Schich- des Berichts des Ausschusses für Verkehr ten und Gruppen der Bevölkerung. Sie transportiert (14. Ausschuß) zu dem Entschließungsan- alle Arten von Gütern, und damit leistet sie einen trag der Fraktion der SPD zur Großen An- wichtigen Beitrag für das wirtschaftliche Wohlerge- frage der Abgeordneten Straßmeir, Dr. hen unserer Gesellschaft. Jobst, Milz, Bohlsen, Bühler (Bruchsal), Fischer (Hamburg), Hanz (Dahlen), Insgesamt, meine Damen und Herren, ist auch Haungs, Pfeffermann, Schemken, Till- heute die Bahn für unsere Bürger und für die Wirt- mann, Hinsken, Lemmrich, Hoffie, Kohn, schaft unverzichtbar. Zwei Milliarden Menschen Dr. Weng und Genossen und der Fraktio- werden jährlich von der Bundesbahn befördert. Im nen der CDU/CSU und FDP Gütertransport transportiert sie im Jahresdurch- schnitt mehr als 300 Millionen Tonnen. Deutsche Bundesbahn — Drucksachen 10/1234, 10/2271 — Dies alles sind beachtliche Leistungen. Dem Un- Berichterstatter: Abgeordneter Kohn ternehmen und seinen Beschäftigten, die diese Lei- stungen manchmal unter sehr schweren Bedingun- gen erbringen — ich denke hier insbesondere an den schwierigen Schicht- und Wechseldienst — ge- Zusatzpunkt 2: bührt unsere Anerkennung. Beratung des Antrags der Abgeordneten Vo- gel (München), Senfft und der Fraktion DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN Diese 300 000 Eisenbahner, die tagtäglich mehr als Aufnahme der Bundesbahnlinie Ingolstadt ihre Pflicht erfüllen, haben allen Grund, im Jubi- Landshut in den Bundesverkehrswegeplan läumsjahr zu feiern und stolz zu sein auf die Lei- — Drucksache 10/3459 — stungen, die sie in der Vergangenheit und in der Gegenwart erbracht haben. Dafür sagt die SPD Überweisungsvorschlag: Bundestagsfraktion ausdrücklich herzlichen Dank. Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, der Unternehmens- Zusatzpunkt 3: vorstand hat das Jubiläumsjahr genutzt, um einmal Beratung des Antrags der Abgeordneten Vo- mehr die Leistungen der Deutschen Bundesbahn in gel (München), Senfft und der Fraktion DIE der Öffentlichkeit positiv herauszustellen. Ihm ist GRÜNEN es hervorragend gelungen, die Bundesbahn als dy- namisches, kreatives Dienstleistungsunternehmen Behindertengerechter Ausbau der Münchner darzustellen, das um den Kunden wirbt und das die S-Bahnhöfe - Zusammenarbeit mit anderen Verkehrsträgern — Drucksache 10/3460 - sucht. Dies ist wichtig. Die Bahn braucht ein positi- Überweisungsvorschlag: ves Image. Sie ist auch leistungsfähig. Die Kunden Ausschuß für Verkehr müssen aber auch von der Leistungsfähigkeit des Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Unternehmens anhaltend überzeugt sein. Das heißt: Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10543

Daubertshäuser Die Produkte der Bahn müssen stimmen. Es wäre Mit der dritten Novelle von 1981 sind die Aufga- mittelfristig und langfristig gefährlich, wenn sich ben und die Führungsstruktur des Bahnvorstandes Image und Marketing des Unternehmens allzuweit an die Regelungen der Wirtschaft angepaßt worden, von der Produktenrealität entfernten. wie wir heute sehen: mit gutem Erfolg. Diese dritte Novelle ist ja auch die Grundlage des heute günsti- Meine Damen und Herren, wir haben 1981 mit geren Erscheinungsbildes der Bahn. Die von uns dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesbahn- vorgelegten Gesetzentwürfe setzen den mit der drit- gesetzes die Weichen für dieses neue Bahnmanage- ten Bahn-Novelle eingeschlagenen Weg fort. Dies ment, das sich heute erfolgreich darum bemüht, alte ist notwendig, weil der rechtliche und finanzielle Klisches abzubauen, gestellt. Wir haben 1981 postu- Rahmen der Bahn im Hinblick auf die geänderten liert: Die Bahn ist keine staatliche Abfertigungsbe- wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedin- hörde mit Alleinbeförderungsanspruch. — Wir gungen fortgeschrieben werden muß. freuen uns darüber, daß der neue Bahnvorstand Meine Damen und Herren von den Koalitions- diese Maxime unternehmenspolitisch umgesetzt fraktionen, wir sehen als Opposition unsere Auf- hat. gabe auch darin, dem Unternehmen Deutsche Bun- Meine Damen und Herren, ich muß allerdings desbahn und seinen Beschäftigten durch ein zu- auch daran erinnern, daß diese dritte Novelle, die kunftsgerechteres und nachvollziehbares, d. h. reali- stisches Konzept noch mehr Motivation und die neue Management-Struktur erst ermöglicht, von der CDU/CSU damals aufs heftigste bekämpft Schwung zu geben. Die Bahn muß weg von dem wurde. Sie haben in der damaligen Debatte über Schrumpfkurs, den der Bundesfinanzminister und diesen Gesetzentwurf harte und herabwürdigende der Bundesverkehrsminister mit ihren Leitlinien Urteile formuliert. Heute — vier Jahre später — verordnet haben. müssen auch sie einsehen, daß die Wirklichkeit Ihre (Beifall bei der SPD) damalige Polemik widerlegt hat. Meine Damen und Wir wollen die Weichen nicht in Richtung auf eine Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie profitie- Kahlschlagsanierung stellen. Unsere Gesetzes- ren sogar von der von uns vorgenommenen Wei- initiativen zielen auf eine attraktive und leistungs- chenstellung. fähige Bahn, die den Rückhalt der Politik hat. Das heißt: Unsere Gesetzesvorschläge eröffnen der (Zustimmung bei der SPD und den GRÜ Bahn die Perspektiven für eine bessere Zukunft. NEN — Zuruf von der SPD: Eine positive Erblast! — Straßmeir [CDU/CSU]: Haben Ich will die Hauptziele unserer Gesetzentwürfe wir da nicht mitgestimmt? — Weitere Zu in vier Punkten zusammenfassen. rufe von der CDU/CSU) Erstens. Wir wollen die Unternehmensverfassung weiter reformieren. Das Unternehmen braucht den — Herr Kollege Straßmeir, ich möchte nicht zitie- notwendigen Handlungsspielraum für eine gesunde ren, was Ihre Kollegen damals über den sogenann- Weiterentwicklung. ten Winzling, der nicht einmal das Bein hebe, um einen Schritt nach vorn zu machen, gesagt haben. Zweitens. Wir wollen die Bundesbahn finanziell von den ihr auferlegten gemeinwirtschaftlichen (Straßmeir [CDU/CSU]: Wir haben mit Ih Verpflichtungen und den historisch bedingten La- nen gemeinsam gestimmt!) sten befreien. Drittens. Wir wollen die notwendigen Investitio- — Herr Kollege Straßmeir, ich hoffe ja nur, daß Sie nen zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Schie- diese Rückbesinnung dazu bringt, unsere heute vor- nenverkehrs absichern. gelegten Gesetzentwürfe einer ernsthaften Würdi- gung zu unterziehen, damit Sie vielleicht auch noch Viertens. Wir wollen eine schrittweise Kapitalbe- ein bißchen davon profitieren können. reinigung, um damit schließlich die wirtschaftliche Situation der Bundesbahn zu verbessern. (Beifall bei der SPD) (Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, die letzten Jahre ha- — Herr Kollege Lemmrich, eine rückwärts gerich- ben deutlich gemacht, daß der Straßenverkehr die tete Klagemauerpolitik mit gegenseitigen Schuldzu- Grenzen seines Wachstums erreicht hat. Die Vor- weisungen löst doch die DB-Probleme nicht. teile des Verkehrssystems Schiene sind wieder stär- (Beifall bei der SPD) ker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. In Die Ursachen für diese Entwicklung müssen besei- dem Spannungsfeld von Verkehr und Umwelt tigt werden. Zur Stabilisierung der Situation der nimmt die Bahn eine positive Sonderstellung ein. Das gilt für die Faktoren Energieverbrauch, Flä- Bundesbahn und zu ihrer schließlichen Gesundung sind eben einschneidende politische Entscheidun- chenbedarf, Verkehrslärm, Luftverschmutzung und gen erforderlich. Denn nur die Politik kann die über letztlich auch Verkehrssicherheit. Diese Quer- Jahrzehnte gewachsenen Strukturprobleme der schnittsaufgaben unterstreichen eindrucksvoll: Wir - alle — die Bürger und die Wirtschaft — brauchen Bundesbahn lösen. die Bahn. Weil das so ist, müssen wir die Bahn so Weil das so ist, meine Damen und Herren, sind modern, so leistungsfähig und attraktiv gestalten, die Probleme der Bundesbahn ein Prüfstein, ein daß sie einen sicheren Platz im Wettbewerb der Prüfstein für Regierung und Opposition. Hier müs- Verkehrsträger behält. sen beide Seiten des Hauses ihre Fähigkeit zur Pro- 10544 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Daubertshäuser blemlösung unter Beweis stellen. Unsere Gesetzent- dieser Vermischung der Verantwortung von Staat würfe sind deshalb auch ein Signal an Sie, an die und Unternehmen. Im November 1981 hat Herr Regierungsfraktionen, daß wir bereit sind, unseren Dr. Schulte von dieser Stelle gesagt, die Union Anteil zu dieser Problemlösung zu leisten. werde eine klare Abgrenzung der eigenverantwort- (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Unsere Signale ste lichen Unternehmensbereiche und der Bereiche der hen auf Grün!) staatlichen Unternehmensvorsorge herbeiführen. Meine Damen und Herren, halten Sie sich doch an — Herr Kollege Jobst, der Gesetzgeber und die diese Erkenntnis, und drehen Sie sich nicht wie Bundesregierung müssen jetzt die Weichen richtig eine Wetterfahne! stellen. Dr. Gohlke, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, hat erst kürzlich öffentlich gewarnt. (Beifall bei der SPD) Er sagte: Durch die gezielten Imageverbesserungen Wir alle, die Eigentümer des Unternehmens, müs- in Verbindung mit den verringerten Fehlbeträgen sen uns klar zur Verantwortung bekennen. Diese in den letzten Jahren dürfe sich niemand zu der Vermengung der gemeinwirtschaftlichen und der Folgerung verleiten lassen, die Bahn könne sich aus eigenwirtschaftlichen Aufgaben ist ein politisches eigener Kraft konsolidieren oder gar sanieren. — Erbe aus der Nachkriegszeit, aber unternehmens- Ich kann dem nur zustimmen. politisch aus heutiger Sicht eine höchst fragwürdi- Bei allen Feierlichkeiten dürfen die nach wie vor ge, ja schädliche Konstruktion. Hier liegt auch der bestehenden Probleme nicht verdeckt und auch schwergewichtige Grund für die roten Zahlen des nicht übertüncht werden. Auch Ihnen, meine Da- Unternehmens. men und Herren von der Koalition, sollte bewußt Notwendig ist aber auch ein besseres Rechnungs- sein: Die Politik ist gefordert; die langfristig für das wesen. Das heißt, das Rechnungswesen der Bahn Unternehmen überlebensnotwendigen Rahmenda- muß so angepaßt werden, daß die Ergebnisse des ten werden von der Politik vorgegeben. Die Bundes- Infrastrukturbereichs, der gemeinwirtschaftlichen regierung hat sich bisher an diesem politischen Aufgaben und des eigenwirtschaftlichen Bereichs Entscheidungsbedarf vorbeigedrückt. ersichtlich sind. Hierdurch wird die notwendige (Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!) Transparenz geschaffen, die es dann erst ermög- licht, Kosten und Erträge entsprechend zuzurech- Auch Sie von den Koalitionsfraktionen, Herr Kol- nen. Das Unternehmen fordert dies seit langem. lege Dr. Jobst, haben bisher gekniffen. Sie haben Alle europäischen Eisenbahnen sind auf dem Weg, die Inhalte Ihrer früheren Entschließungsanträge die Trennungsrechnung einzuführen. Die EG-Kom- verdrängt. Unsere Gesetzentwürfe geben Ihnen die mission verfolgt dieses Thema mit Nachdruck. Des- Möglichkeit, zu Ihren alten Positionen zurückzu- halb ist es unverständlich, daß sich die Bundesre- kehren. gierung hier weiter sperrt. Die Trennungsrechnung (Beifall bei der SPD — Dr. Jobst ist das geeignete Instrument, um die einzelnen Auf- [CDU/CSU]: Wie freundlich!) gabenbereiche der Bundesbahn transparent zu ma- chen. Die Arbeitsgruppe von Herrn Abs hat deshalb Hermann Josef Abs hat uns allen, vor allem aber die Einführung der Trennungsrechnung empfohlen, Ihnen, ins Stammbuch geschrieben, es sei unver- und Sie haben sie in der Vergangenheit auch wie- zichtbar, daß die Bundesregierung ihrerseits die derholt gefordert. Deshalb, meine Damen und Her- Rahmenbedingungen für die Bundesbahn entschei- ren von den Koalitionsfraktionen, bleiben Sie bei dend verbessere. Er sagt, zögerliches und kompro- dieser Politik, handeln Sie mit Kontinuität und re- mißhaftes Handeln sei nicht vertretbar, ohne der den Sie nicht nur davon. Bekennen Sie sich zu der Bahn und der deutschen Verkehrswirtschaft einen Verantwortung des Eigentümers Bund für sein Un- dauerhaften und nicht wiedergutzumachenden ternehmen Deutsche Bundesbahn. Durchbrechen Schaden zuzufügen. Nehmen Sie diesen Appell von Sie mit uns diese Handlungsblockade, die durch ein Abs auf, und lassen Sie uns gemeinsam die notwen- Geflecht widerstreitender Interessen und Positio- digen Entscheidungen vorbereiten und durchfüh- nen entstanden ist. ren. Meine Damen und Herren, mit unseren Gesetz- Auch der Kollege Jobst hat in früheren Jahren entwürfen bringen wir die Verkehrsfinanzpolitik in hier erklärt, die politischen Entscheidungsdefizite den Einklang mit den verkehrspolitischen, den seien für die Fehlentwicklung der Bahn verantwort- lich. raumordnungspolitischen und strukturpolitischen Erfordernissen. Sie sollten endlich auch die Ver- (Dr. Jobst [CDU/CSU]: So ist es!) kehrspolitik als die Querschnittsaufgabe begreifen, Bekennen wir uns deshalb doch endlich zu unserer die fachübergreifend politisch gestaltet werden gemeinsamen politischen Verantwortung. Helfen muß. Sie mit, die Bahn vernünftig zu sanieren und sie (Beifall bei der SPD) nicht politisch zu ruinieren, meine Damen und Her- ren. Wir vermissen noch bis heute Ihr Gesamtverkehrs- konzept, in dem Sie dann auch die Rolle der Deut- (Beifall bei der SPD) - schen Bundesbahn definieren, obwohl dies ange- Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang die kündigt war. klare Abgrenzung der unternehmerischen von den Die Trennungsrechnung, die wir mit unserem Ge- gemeinwirtschaftlichen, staatlich beeinflußten Auf- setzentwurf vorschlagen, ist auch die Vorausset- gaben der Bundesbahn. Es muß Schluß sein mit zung dafür, daß im Infrastrukturbereich gleichwer- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10545

Daubertshäuser tige Wettbewerbsbedingungen für die konkurrie- Dies ist jedoch auf Dauer gesehen kein haltbarer renden Verkehrsträger hergestellt werden. Wir wol- Weg zur Gesundung des Unternehmens. len die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträ- (Beifall bei der SPD) ger Schiene, Straße und Wasser angleichen. Des- halb schlagen wir vor, daß der Bund auch die In- Meine Damen und Herren, ich wehre mich auch vestitionskosten des Schienennetzes zu überneh- gegen die irreführenden Äußerungen, die Bundes- men hat. Wir wollen den Ausbau des Schienenwe- bahn erhalte im Zeitraum bis 1990 vom Eigentümer genetzes der Bundesbahn gesetzlich absichern. Er Bund 40 Milliarden DM für Investitionen. Franz soll also künftig als Bedarfsplan für einen Fünfjah- Josef Strauß hat zu Recht beanstandet, daß die In- reszeitraum vom Deutschen Bundestag beraten vestitionszuschüsse des Bundes an die Bahn real und als Gesetz beschlossen werden. Das Verfahren sinken. Von dem Investitionsvolumen der Deut- zum Ausbau des Schienenwegenetzes wird damit schen Bundesbahn in der Größenordnung von 42 dann an das Verfahren zum Ausbau der Bundes- Milliarden DM, das den aktuellen Bahnschätzun- fernstraßen angeglichen. gen von 1984 bis 1990 zugrunde liegt, erhält die Bahn nicht 40 Milliarden DM vom Eigentümer Durch die gesetzliche Absicherung der Ausbau- Bund, wie Sie es in der Öffentlichkeit darstellen, planung der Deutschen Bundesbahn erhalten deren sondern lediglich etwa 26 Milliarden DM. Planungsarbeiten dann auch eine feste Grundlage, Es ist auch nicht so, wie dieser Tage in den Me- d. h. die Kontinuität des Planungsprozesses wird dien zu lesen war, daß eine Akzentverschiebung in verbessert, die Verbindlichkeit der Planungen wird der Verkehrsinvestitionspolitik, nämlich weg von erhöht, und der vom Parlament beschlossene Aus- der Straße hin zu der Schiene, von Ihnen geplant bau des Schienenwegenetzes gibt den Planungen, sei und nun erstmals die Schiene in der Investi- Herr Dr. Jobst, ein höheres Gewicht, und erleichtert tionspolitik vor dem Straßensystem rangiert. Damit der Bahn es auch, die beschlossenen Vorhaben zu versuchen Sie dann, Ihr Nichthandeln im politi- realisieren. schen Entscheidungsbereich zu rechtfertigen. Auch dies ist nicht haltbar, weil Sie hier Äpfel mit Birnen (Beifall bei der SPD) vergleichen. Die realen Zahlen zeigen nach wie vor eine Dominanz des Verkehrssystems Straße. In Meine Damen und Herren, ohne die Steigerung dem Zeitraum von 1986 bis 1995 betragen die In- der Investitionsfähigkeit der Deutschen Bundes- vestitionszuschüsse des Bundes für die Bahn 38,5 bahn werden Sie die Wettbewerbsfähigkeit des Un- Milliarden DM und für die Straße die ungleich hö- ternehmens nicht herstellen können. here Summe von 62,2 Milliarden DM. Das ist Tatsa- che. (Beifall bei der SPD) (Zuruf des Abg. Straßmeir [CDU/CSU] — Wenn Sie heute die angeblichen Konsolidierungser- Lemmrich [CDU/CSU]: Sie vergleichen folge bei der Bundesbahn als großartiges Regie- hier Äpfel mit Birnen!) rungsergebnis darstellen werden, dann wird der — Ich habe hier schon einmal gesagt, Herr Kollege Öffentlichkeit damit Sand in die Augen gestreut; Lemmrich: Wenn Sie unser Angebot ernst nehmen denn in der Jahresrechnung 1983/84 ist sehr schnell und aufnehmen, kann dies der Beginn für größere nachlesbar, daß die angeblichen Konsolidierungser- Gemeinsamkeiten und für ein fraktionsübergrei- folge ausschließlich auf der Aufwandseite zu su- fendes Zusammenwirken in der Bahnpolitik sein. chen sind, d. h. durchschlagende Ertragssteigerun- gen sucht man vergeblich. Im Jahre 1983 sind die Die Haushaltspolitik und die Wirtschaftspolitik Erträge gegenüber dem Jahr 1982 sogar gesunken. müssen anerkennen, daß nur eine funktionierende Die Bahn hat auch keine neuen wesentlichen Ver- Verkehrswirtschaft die Basisdienstleistung ist, die kehrsanteile hinzugewinnen können. Das heißt, die unsere gesamte Volkswirtschaft benötigt. Diese Ba- Verringerung der jeweiligen Jahresfehlbeträge 1983 sisfunktion fällt in den Verfassungsauftrag des und 1984 ist fast ausschließlich auf Grund von Auf- Staates, für die Gleichheit der Lebenschancen zu wandsverringerungen zustande gekommen, und sorgen. Der Staat hat ein vernünftiges Verkehrssy- zwar durch Reduzierung der Sachausgaben für stem zu garantieren. Es muß regional umfassend Fahrzeuge mit ca. 200 Millionen DM und bei den sein, und zwar nicht nur zeitweilig, sondern ständig Löhnen mit ca. 350 Millionen DM. Hier liegt der und verläßlich, so daß der Bürger und die Wirt- Grundstock für die sogenannten Konsolidierungs- schaft darauf Entscheidungen aufbauen können. erfolge. Jedem, auch dem wenig Sachkundigen, ist Nur so sind berechenbare Zukunftsentscheidungen klar, daß ein solches Sanierungsprogramm nur überhaupt erst möglich. Rationalisierung und Mar- über einen sehr, sehr kurzen Zeitraum aufrechter- ketingkonzepte allein reichen als Unternehmens- halten werden kann. Die Unterhaltsausgaben für konzept nicht aus. Sie können erst recht kein politi- die Infrastruktur und für die Fahrzeuge lassen sich sches Gesamtkonzept ersetzen. nur temporär drosseln, und ein Personalabbau stößt Bei dem entsprechenden politischen Willen sind auch unausweichlich auf Grenzen. Dieser Kurs, be- die Probleme der Deutschen Bundesbahn zu lösen. reits zwei Jahre gefahren, zeigt, daß diese Art von Das erwarten die Eisenbahner von uns, vom Eigen- Konsolidierungsspielräumen bald ausgereizt ist. tümer Bund, zu Recht. Darauf dann so, wie Sie das tun, eine zukunftswei- sende Bahnpolitik gründen zu wollen kann nur die Wir wollen mit unseren Gesetzentwürfen den po- befriedigen, die Freude an einem Strohfeuer haben. litischen Nachholbedarf, der besteht, schließen. Wir 10546 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Daubertshäuser wollen dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn haltsrisiko Nummer eins geworden, und sie war auf umfassende politische Rückendeckung geben. Un- dem Weg, uns jede verkehrspolitische Option zu sere Gesetzentwürfe stellen die Weichen für eine nehmen. Die Bundeszuschüsse betrugen 1970 — ich neue Bahn. Wir bringen damit die Bahn auf das sage das für diejenigen, die in der Regierung geses- Überholgleis. sen haben — 3,9 Milliarden DM, im Jahre 1980 und (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ folgende 13 Milliarden DM. Heute steigen die Erträ- CSU: Bei Ihnen war sie auf dem Abstell ge, und das nicht nur auf Grund von Rationalisie- gleis!) rungseinsparungen durch Personalkosten. Es ist unredlich, Herr Kollege Daubertshäuser, das zu sa- Sie, meine Damen und Herren, haben es mit Ihrer gen. parlamentarischen Mehrheit in der Hand, im Jahr des 150. Jubiläums der Deutschen Bundesbahn mit (Daubertshäuser [SPD]: Nennen Sie die uns gemeinsam die Weichen für eine erfolgreiche konkreten Zahlen! Das ist ja unredlich! Ein Zukunft der Deutschen Bundesbahn zu stellen. Roßtäuscher!) Vielen Dank. Die Schulden stagnieren. Vor diesem Hintergrund ist das kontinuierliche Sinken des Jahresfehlbetra- (Beifall bei der SPD — Lachen bei Abge ges nicht nur eine Hoffnung für die Kunden, son- ordneten der CDU/CSU) dern zugleich auch eine Ermutigung für die Ange- hörigen der Deutschen Bundesbahn. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr (Zuruf von der SPD: Zahlen auf den Tisch, Abgeordnete Straßmeir. Butter bei die Fische!) Ich möchte allen Dank sagen, die mit sehr viel Straßmeir (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Aufopferung zu diesem Ergebnis beigetragen ha- sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den Op- ben: positionsparteien sehr dankbar, daß sie uns mit ih- ren Anträgen ermöglicht haben, sozusagen recht- (Beifall bei der CDU/CSU) zeitig zum Bahnjubiläum heute noch einmal über den Mitarbeitern der Deutschen Bundesbahn. Ih- die Deutsche Bundesbahn zu diskutieren — also nen gebührt Dank dafür, daß sie zusätzlichen Auf- wegen des Jubiläums, und nicht, weil ich in Ihren wand geleistet haben, daß sie zum Teil auch andere Anträgen einen tieferen Sinn zu erkennen vermag. Arbeit angenommen haben und daß sie weitere (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wege als bisher zu ihrer Arbeitsstätte in Kauf ge- nommen haben. Deswegen möchte ich von dieser Stelle aus so wie Sie, Herr Kollege Daubertshäuser — ich glaube, Sie Wenn Sie, meine Damen und Herren, weiter hät- hätten in unser aller Namen sprechen dürfen, und ten wursteln dürfen, wir hätten ihnen Beifall gezollt —, den Angehörigen (Lachen bei der SPD) der Deutschen Bundesbahn für die Leistungen in der Vergangenheit Dank sagen und ihnen für die hätten wir eine Verschuldung von 90 Milliarden DM Zukunft für ihre Arbeit alles nur erdenklich Gute gehabt, so wie Sie das selbst prognostiziert haben. wünschen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist bei der Verschul- dung sogar eine Trendumkehr zu erwarten. Im (Beifall bei CDU/CSU, der FDP und der Jahre 1984 hat es keine neue Nettokreditaufnahme SPD) gegeben. Im Gegenteil — stellen Sie sich einmal — Sehr liebenswürdig! vor, Sie hätten ein einziges Mal ein solches Ergeb- Die Deutsche Bundesbahn präsentiert sich als nis verkünden können —: Es hat eine Senkung der ein aktives und repräsentatives Unternehmen im Neuverschuldung um 80 Millionen DM gegeben, Jubiläumsjahr. Nun stellen Sie sich einmal vor, wir und die Erträge sind in den Jahren 1983 und 1984 hätten dieses Jubiläum unter Ihrer Regierungs- jeweils annähernd präterpropter um 500 Millionen ägide begehen müssen. Eine Trauerveranstaltung DM gestiegen. Das sind eben nicht nur — das wer- wäre das geworden. den wir in den Ausschußberatungen sehr deutlich machen — die Folgen von Rationalisierungseinspa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — rungen auf der Personalseite. Sie haben das ja auch Dr. Vogel [SPD]: Trauriger als jetzt kann zart angedeutet. es ja gar nicht sein!) Das alles zeigt, daß die Konsolidierungspolitik — Es gab doch, Herr Abgeordneter Vogel, unter vor dem Hintergrund der Leitlinien auf dem richti- Ihrer Regierungsverantwortung jene tödliche Linie gen Weg ist. Ich möchte an dieser Stelle dem Herrn von sinkenden Erträgen, rapidem Ansteigen der Bundesminister Dr. Dollinger für seine mutige Ent- Schulden. scheidung des Jahres 1983 sehr, sehr herzlich dan- (Dr. Vogel [SPD]: Unglaublich!) ken. Finanzieller Ruin stand bevor. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Roth [SPD]: Es ist doch typisch, daß Sie - Das heißt aber doch auch, Herr Kollege Dauberts- „Straß"meir heißen!) häuser, daß das Bundesbahngesetz in der jetzigen Wer hat „Kahlschlag" in die Debatte eingeführt? Fassung der Lage der Deutschen Bundesbahn und Der Kollege Hauff, nicht wir. Die Deutsche Bundes ihrer notwendigen Entwicklung gerecht wird. Sie bahn war bei unserem Regierungsantritt das Haus hätten doch der Redlichkeit halber sagen sollen, Deutscher Bundestag — 10. 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Straßmeir daß auch wir dem Änderungsgesetz zum Bundes- verantwortlichen Bundesministers für Verkehr ver- bahngesetz zugestimmt haben. Ich wünschte, Sie bunden. Es geht also nicht nur um eine Änderung wären nach einer heftigen Diskussion auch nur ein- zugunsten etwa der Arbeitnehmer, sondern hier mal in der Lage, unseren Gesetzentwürfen zuzu- geht es u. a. auch um den Wunsch von Ihnen, die stimmen. Das wäre der Bahn vielleicht dienlicher. Kompetenzen zu verlagern. Wir werden, wenn dies in die Beratungen geht, sehr auf der sein. (Zuruf von der SPD: Sie machen doch Hut nichts!) Sie, meine Damen und Herren von der Opposi- tion, sollten Ihre Zeit besser verwenden, als pausen- Jetzt, nachdem Sie 20 Jahre lang — zuerst mit los Gesetzesinitiativen hervorzubringen. uns gemeinsam, dann über 16 Jahre in der alleini- gen Verantwortung — Verkehrspolitik betrieben (Toetemeyer [SPD]: Sie haben ein merk haben, kommen Sie daher und sagen, wir müßten würdiges Demokratieverständnis, Herr endlich die Altschulden beseitigen. Sie legen dazu Kollege!) einen Gesetzentwurf vor. Ich meine, Sie werden es nie lernen und Sie können (Daubertshäuser [SPD]: Sie haben noch es wohl auch nicht lassen, zu glauben, daß man nie ein Gesetz vorgelegt!) etwas immer nur mit Reglementierungen bewegen kann. Ich sage Ihnen, das ist ein Problem, das auch uns bewegt, auch schon wegen des Erscheinungsbildes (Zuruf von der SPD: Ach, du meine Güte! — der Deutschen Bundesbahn. Aber unsere Haus- Weitere Zurufe von der SPD) haltskonsolidierung — das sage ich im Gegensatz Dieses Bündel von Gesetzen, das Sie vorlegen, wäre zu Ihnen — ist noch nicht so weit, daß wir dieses dann das siebte erfolglose Sanierungskonzept auf Problem jetzt anpacken können. dem Papier. (Zuruf von der SPD: Und die Landwirt Unsere Politik ist anderer Art. schaft?) (Zuruf von der SPD: Aha! — Weitere Zu Im übrigen, Herr Kollege, ist das nach meiner rufe von der SPD) Meinung ein rein theoretisches Problem. Es ist ja Wir setzen auf praktisches Handeln, wir setzen auf beschrieben, angepackt. In der Regierungserklä- Verständigung und Kooperation, rung heißt es: (Dr. Vogel [SPD]: Strauß/Kohl! — Weitere Es ist auch an der Zeit, daß der Bund als Eigen- Zurufe von der SPD) tümer der Bundesbahn die durch den Wieder- aufbau nach dem Krieg bei ihr entstandene wir setzen auf solide Finanzierung. Dies ist das, was Schuldenlast abnimmt. in den Leitlinien festgeschrieben ist. Diese Politik werden wir weiterverfolgen. (Roth [SPD]: Aber jetzt ist es doch nicht an der Zeit?! Sie haben sie doch nicht abge (Beifall bei der CDU/CSU) nommen!) Jetzt kommen Sie und möchten auch noch ein Es war die Regierungserklärung des Bundeskanz- Gesetz über den Ausbau des Schienenwegenetzes lers vom 28. Oktober 1969. Nun frage der Deutschen Bundesbahn. Nun, wir haben Ihnen ich Sie: Was haben Sie denn in den 15 Jahren gesagt: Der Vorstand, die Mitarbeiter der Bundes- gemacht? Jetzt, wo Sie auf der Oppositionsbank sit- bahn sind aktiv. Die Bundesregierung hat die Rah- zen, nachdem Sie uns ein trauriges Erbe hinterlas- menbedingungen abgesteckt, die Finanzierungen sen haben, wollen Sie uns auf einmal zumuten, in vorgegeben. Allein die Tatsache, daß sich die Inve- zwei Jahren das zu bewegen, was Sie während der stitionen der Bundesbahn von 4,2 Milliarden DM im ganzen Zeit verabsäumt haben. Jahre 1982 auf 5,9 Milliarden DM im Jahre 1985 erhöht haben, zeigt, mit welcher Priorität wir die (Daubertshäuser [SPD]: Wer hat die dritte Bahninvestitionen berücksichtigen. Im Entwurf des Novelle eingebracht? — Lemmrich [CDU/ Bundesverkehrswegeplanes ist auch angedeutet, CSU]: Im Gegenteil, sie haben die Schulden daß wir 34 Milliarden DM aufwenden werden. Im verdreifacht!) übrigen ist hier eine Umkehr zu verzeichnen: Im Ich darf Ihnen sagen: Wir werden Ihre Vor- Bundesverkehrswegeplan der Jahre 1976 bis 1985 schläge prüfen. Aber Sie werden doch Verständnis hatte die Straße Vorrang, im Bundesverkehrswe- dafür haben, daß wir skeptisch sind, wenn sich die geplan von 1986 bis 1995 wird die Bundesbahn das Bankrotteure plötzlich als Sanierer des Unterneh- Schwergewicht ausmachen. Deswegen glaube ich, mens anbieten und Vorschläge machen. daß es überflüssig ist, wenn Sie nun — etwa nach dem Muster des Gesetzes über den Ausbau der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesfernstraßen — einen Gesetzentwurf über Nun wollen Sie das Bundesbahngesetz erneut än- den Ausbau des Schienenwegenetzes vorlegen. dern. Sie wollen einen Aufsichtsrat schaffen. Wir Wenn die Bahn aktiv ist, wenn die Regierung han- werden darüber beraten. Aber ich sage Ihnen schon - delt, braucht man eine solche Gesetzesinitiative an dieser Stelle, daß das u. a. auch auf verfassungs- nicht. Und wenn wir im Jahre 1981 diesem Gedan- rechtliche Bedenken stößt. Die Aufstockung des ken nähergetreten sind, dann geschah das ganz ein- Aufsichtsrats auf 25 Mitglieder ist mit einer wesent- fach deshalb, weil die damalige Regierung eben lichen Verringerung der bisherigen Genehmigungs- nicht handelte. Die Situation damals war etwa ver- vorbehalte des nach Art. 65 GG verfassungsmäßig gleichbar mit der, die zur Klage des Europäischen 10548 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Straßmeir Parlaments gegen die Europäische Kommission we- Meine Damen und Herren, ich möchte einmal gen Untätigkeit geführt hat. Heute allerdings würde kurz die Realität skizzieren, damit wir von dieser eine solche Initiative die Bahn in ihrer Flexibilität rosaroten Wolkentheorie wegkommen, die im Hin- einengen. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf über- blick auf die Bahn verbreitet wird. Bis 1990 sind flüssig. 7 000 km Streckenstillegungen im Reisezugverkehr Meine Damen und Herren, es gibt im Jahr des von der Regierung geplant. Realisiert sind bis jetzt Jubiläums viel Gutes zu berichten. Aber das heißt schon über 1 000 km. Geplant sind ferner 6 000 km nicht, daß damit alle Wünsche erfüllt sind. Es muß Streckenstillegungen im Güterzugverkehr. 1 500 Lo- auch weiterhin daran gearbeitet werden, ein quali- komotiven sollen abgeschafft oder verschrottet wer- tativ hochwertiges Produktangebot hervorzubrin- den. 3 000 Reisezugwagen und 50 000 Güterzugwa- gen. Wir brauchen eine bessere Ausnutzung der Ka- gen — weg damit, auf den Schrott, Abbau. Das pazitäten, wir brauchen bedarfs- und wettbewerbs- ist der von dieser Bundesregierung geplante orientierte Angebots- und Servicestrategien, und Schrumpfkurs. wir brauchen eine selektive Preispolitik. Dies sind (Toetemeyer [SPD]: Das ist richtig!) die Aufgaben für die Zukunft. Wir werden gemein- Was sind die Folgen? Schauen wir uns einmal sam, Regierung und Koalitionsfraktionen, einen allein die an. Während Ihrer zweij äh- Beitrag dazu leisten, daß die Bundesbahn modern, Arbeitsplätze rigen Regierungszeit haben Sie schon 25 000 Ar- kundenorientiert, umweltfreundlich und sicher in das dritte Jahrtausend fährt. beitsplätze bei der Bahn abgebaut, vernichtet. Herzlichen Dank. (Toetemeyer [SPD]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kein Mensch redet darüber. Wenn auch nur für Zuruf von der SPD: Mit noch weniger Mit 1 000 Arbeitsplätze bei Ford oder irgendeiner ande- arbeitern!) ren Automobilfirma Kurzarbeit eingeführt wird, dann ist das Geschrei groß. Wenn aber innerhalb von zwei Jahren 25 000 Arbeitsplätze bei einem Das Wort hat der Abge- Präsident Dr. Jenninger: staatlichen Betrieb — es ist ja kein Unternehmen, ordnete Senfft. sondern ein Staatsbetrieb — vernichtet werden und bis 1990 weitere 60 000 Arbeitsplätze locker abge- Senfft (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen baut werden, dann kräht kein Hahn danach. und Herren! Wenn man hier so zuhört, dann hat man das Gefühl: Thema verfehlt. Es macht in einer (Beifall bei den GRÜNEN) Bahndebatte doch wohl überhaupt keinen Sinn, Da hilft auch kein verbaler Dank an die Eisen- hier nichts anderes als gegenseitige Schuldzuwei- bahner. Beispielsweise haben die Auszubildenden sungen hinsichtlich der Fehler in der Vergangen- bei der Bahn überhaupt nichts davon, wenn sie heit zu hören. Das ist völlig überflüssig und hat mit nach der Ausbildung auf die Straße geschmissen dem Thema nichts zu tun. Zudem ist es so, daß Sie werden. Dann haben sie nichts von Ihren schönen beide recht haben: Sowohl die SPD als auch die Worten. So sieht es doch aus. CDU hat mit ihren Schuldzuweisungen recht. Denn (Beifall bei den GRÜNEN — Hinsken in den letzten 30 Jahren haben alle Parteien und [CDU/CSU]: Aber sie haben eine gute Aus alle Bundesregierungen im Verkehrsbereich eine bildung! — Zuruf des Abg. Straßmeir total verfehlte Politik gegen die Bundesbahn betrie- [CDU/CSU]) ben. Lassen Sie mich jetzt dazu Stellung nehmen, wie (Beifall bei den GRÜNEN) die „neue Bahn" aussehen wird. Sie wird ein Lu- Das ist heute nicht anders als in der Vergangenheit. xusverkehrsmittel im Fernverkehr für die Lei- Die CDU/CSU macht heute in der Regierung letzten stungseliten sein, die sich das noch leisten können. Endes auch nichts anderes, als es die SPD 13 Jahre Dann gibt es Intercity-Züge mit Btx-Bildschirmplät- lang vorher getan hat. Es hat sich absolut nichts zen, mit Telefon am Platz usw. Darauf beschränkt geändert. es sich. Das Geld, das wir zur Erfüllung sozialer (Bohlsen [CDU/CSU]: Sie sagen die Un Aufgaben so nötig brauchen, verbauen Sie für Lu- wahrheit!) xusschnellbahntrassen. Meine Damen und Herren, wir haben Jubel, Tru- Das ist eine überzogene, eine überspitzte Pla- bel, Heiterkeit im Jubiläumsjahr der Bahn. Wenn nung, die wir in dieser Form ablehnen. man sich die Festreden, die Sonntagsreden anhört, (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von dann hat man den Eindruck: Ganz Deutschland ist der CDU/CSU) vehement für die Bahn, das Auto spielt keine Rolle mehr, ganz Deutschland jubelt. Aber auf wessen Neun von zehn Reisenden sind Reisende im Nah- Rücken wird das ausgetragen? Es wird auf dem verkehr. Das sind Schüler, die mit der Bahn zur Rücken der Eisenbahner ausgetragen, und es wird Schule fahren, das sind Berufstätige, die mit der auf dem Rücken der Kunden ausgetragen, denen Bahn im Nahverkehr zur Arbeit fahren, das sind immer mehr Nahverkehrszüge und Strecken aus- Familien, das sind Mütter mit Kindern, die zum ihrem Fahrplan gestrichen werden. Sie sind die ei- Einkaufen fahren, und das sind Leute, die mit der gentlich Notleidenden dieser verfehlten Bundes- Bahn in Naherholungsgebiete fahren. bahnpolitik. So sieht es aus. Darauf sollten Sie das Schwergewicht legen; (Beifall bei den GRÜNEN) denn hier liegen die wirklichen Bedürfnisse der Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10549 Senfft Menschen. Das erleben Sie überall dort, wo eine winn ein, wenn man die Rechnung mal korrekt Strecke stillgelegt werden soll, und überall dort, wo macht. Züge gestrichen werden, weil dann die Leute betrof- fen sind. Anstatt in eine Neubaustrecke für eine (Bueb [GRÜNE]: Die volkswirtschaftliche Zeitersparnis von zum Teil nur einer Minute Rechnung!) 100 Millionen DM zu investieren, sollten Sie das Geld lieber investieren, um den Personennahver- — Volkswirtschaftlich gesehen macht die Bahn kehr in der Fläche attraktiver zu gestalten. Das 2 Milliarden DM Gewinn. Aber Sie sehen das ja mit Motto der „neuen Bahn" heißt: halb so schnell wie dieser Scheuklappentheorie der Betriebswirt- das Flugzeug, doppelt so schnell wie das Auto. schaft. Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Wenn wir im (Bueb [GRÜNE]: Anders können die nicht Nahverkehr in der Fläche heute eine Geschwindig- denken!) keit halb so schnell wie das Auto und doppelt so schnell wie das Mofa hätten, wäre das schon ein Auf der anderen Seite gibt es im Straßenverkehr Fortschritt. So schlimm sieht das heute auf diesen 50 Milliarden DM soziale Folgekosten, die die Allge- Strecken aus. Dort muß endlich investiert und eine meinheit zu zahlen hat. attraktivere Gestaltung erreicht werden. (Zuruf von der CDU/CSU) (Beifall bei den GRÜNEN) — Ja, nehmen wir nur einmal das Waldsterben und Wir müssen hinzufügen, daß wir die Bundes- Ihr sogenanntes umweltfreundliches Auto. Wir ha- bahnpolitik nicht isoliert sehen dürfen. Bundes- ben doch schon gestern gehört, wie das den Bach bahnpolitik ist Verkehrspolitik. Diese Politik muß runtergeht mit Ihrem umweltfreundlichen Auto, integiert betrieben werden. das auch kein umweltfreundliches Auto sein wird, wenn da ein Katalysator eingebaut ist. (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Das ist etwas Neues!) (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie haben ja wirk lich keine Ahnung!) Wenn es stimmt, daß Sie vorhaben, der Bahn eine Renaissance zu bescheren und den Verkehr mehr — Dann darf ich Sie einmal fragen: Ist für Sie ein und mehr von der Straße auf die Schiene zu verla- Katalysatorauto umweltfreundlich, wenn es nach gern, dann frage ich Sie: Wozu brauchen Sie dann wie vor auf der Straße 8 000 Tote gibt, wenn nach noch neue Straßen? Die brauchen Sie dann nicht, wie vor der Lärm da ist, wenn nach wie vor Straßen weil Sie die Straßen entlasten würden, wenn Sie gebaut werden? Ist das umweltfreundlich? den Verkehr wirklich auf die Schiene verlagerten. Aber das haben Sie gar nicht vor. Statt dessen soll (Beifall bei den GRÜNEN) der Verkehr auf der Straße steigen, der Güterver- Die Alternative zu dem ausufernden Straßenver- kehr um 50 %. Wie stellen Sie sich das eigentlich kehr kann nur die breite und massive Förderung vor? Die Marktanteile der Bahn sollen sich bis 1990 des öffentlichen Verkehrs sein, nicht nur der Bahn, weiter zu Lasten der Bahn und zugunsten des Stra- sondern auch des übrigen öffentlichen Personen- ßengüterfernverkehrs verschieben. Dabei wäre nahverkehrs. Aber was erleben wir heute? Genau heute die Aufgabe für die Zukunft, endlich mit der das Gegenteil davon. Welch absurde Vorstellung: Forderung, die man in allen Sonntagsreden immer die Wälder sterben, und Sie bauen das umwelt- wieder hört, ernst zu machen: Wir müssen den Ver- freundlichste Verkehrsmittel, die Bahn, ab. Es ist kehr von der Straße auf die Schiene verlagern. — vollkommen absurd und unverantwortlich, daß Sie Alles schöne Worte, seit 15 Jahren. Getan wurde gar noch weitere Streckenstillegungen durchführen. nichts. — Das Gegenteil ist der Fall: Der Straßengü- terfernverkehr wächst und wächst und wächst. Und (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von den auch diese Regierung beabsichtigt in keinster Wei- GRÜNEN: Das ist Lobbypolitik par excel se, etwas dagegen zu unternehmen. lence! — Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/ CSU]) (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Dollinger hört noch nicht mal zu!) — Genau, das ist Lobbypolitik par excellence. — Das hat er nicht nötig. Er versteht wahrschein- Herr Lemmrich, ich weiß, was eine Diesellok an lich auch gar nicht, was ich hier ausführe. Abgasen von sich gibt. Die verbraucht 250 l. Und es ist ganz allein Ihre Verantwortung, daß Sie eine (Beifall bei den GRÜNEN — Fischer [Ham- 1 500-PS-Lok mit einem Reisezugwagen fahren las- burg] [CDU/CSU]: Billiger geht es nicht! — sen und keine neuen Triebwagen bestellen, die nur Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Typisch ein Fünftel der Energie verbrauchen, die diese Die- grün! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Arroganz! sellokomotive verbraucht. Das ist die Realität. Anders kann man das nicht bezeichnen!) (Lemmrich [CDU/CSU]: Herr Senfft, Ihr Meine Damen und Herren, ich möchte noch et- - Informationsstand müßte doch besser was zu den gesellschaftlichen Kosten des Autover- sein!) kehrs und zu dem sogenannten Bahndefizit sagen; denn wenn man die Rechnung einmal richtig auf- — Der Informationsstand ist: Die neuen Triebwa stellt, ist es so, daß die Bahn kein Defizit einfährt. gen der Bahn sind seit sieben Jahren in Dänemark Sie fährt vielmehr jedes Jahr 2 Milliarden DM Ge- im Einsatz. Jetzt sollen sie endlich auch hier kom- 10550 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 Senfft men. Es wäre besser, wenn Sie die früher bestellt wir brauchen eine bessere, attraktivere Bahn, und hätten. zwar nicht nur auf den Hauptstrecken und in den (Zuruf von den GRÜNEN: Lemmrich sollte Ballungsgebieten, sondern auch in den ländlichen lieber bei der Binnenschiffahrt bleiben! — Räumen. Hoffie [FDP]: Und wo kommt der Strom (Beifall bei den GRÜNEN — Schulte [Men aus der Steckdose her?) den] [GRÜNE]: Und einen neuen Verkehrs minister!) — Das ist Ihre Theorie. Sehr richtig, Herr Hoffie, das ist Ihr Niveau, wenn Sie der Meinung sind, sie müßten uns klar machen, daß der Strom aus der Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- Steckdose komme. ordneter Hoffie. (Hoffie [FDP]: Wo kommt er denn her?) Hoffie (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt, Herren! Eine dreistündige Eisenbahndebatte im auf den ich mich konzentrieren möchte, unseren Deutschen Bundestag, das ist ein Beitrag der Poli- Entschließungsantrag, der das fordert, was sowieso tik zum Jubiläumsjahr, weil alle Fraktionen dieses ganz Deutschland fordert. Hauses das ehrliche Bedürfnis haben, diesem Un- (Zurufe von der SPD: Aha!) ternehmen mit seinen über 300 000 Mitarbeitern zu gratulieren sowie Dank und Anerkennung für viel- — Auch Sie. Alle fordern einen Streckenstille- fältige Leistungen auszusprechen, die jahrelang gungsstopp. Alle fordern: Die Bahn muß bleiben. auch im Streit der Politik oft genug nicht nur zerre- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Aber nur in det worden, sondern auch untergegangen sind. ihren Wahlkreisen!) Es ist gut, daß sich die Politik darauf besinnt, daß Wir beantragen heute deshalb den Erhalt des Reise- gerade sie mit der Darstellung der Bundesbahnpoli- zugbetriebes auf allen Strecken, die bislang noch tik erhebliche Beiträge auch zur Verbesserung des nicht stillgelegt worden sind. Gott sei Dank gibt es Erscheinungsbildes und zur Akzeptanz dieses Un- noch ein paar. ternehmens in der breiten Öffentlichkeit leisten will, und da kann man nur hoffen, daß dies nicht (Beifall bei den GRÜNEN) nur im Jubiläumsjahr und nicht nur auf der Grund- Wir vertreten damit die Forderungen aller betroffe- lage von Anträgen geschieht, die — wie die hier nen Kommunen, aller betroffenen Kreise, die For- heute vorliegenden — keinen vernünftigen Beitrag derungen von Herrn Jaumann, Herrn Strauß, der zur Verbesserung der Ergebnisse der Bahn leisten Länderverkehrsminister, und wir vertreten die Auf- können. fassung, die Sie immer in Ihren Wahlkämpfen äu- (Zuruf von den GRÜNEN: Wie können Sie ßern, wo Sie mit aller Entschiedenheit und voller überhaupt etwas zur Bahn sagen?) Kraft für den Erhalt der Strecke in Ihrem Wahl- kreis kämpfen. Das ist bei fast allen Abgeordneten, Meine Damen und Herren, deshalb will ich mich die hier im Saal sitzen, der Fall. Es ist diese Doppel- zuerst mit diesen Anträgen auseinandersetzen. Ein züngigkeit, daß Sie vor Ort den Leuten eine Bahn entschiedenes Nein setzt die FDP den Antragsfor- versprechen und dafür eintreten derungen von SPD und GRÜNEN entgegen, wo es um die Kernpunkte Ihrer Forderungen geht, näm- (Zuruf von den GRÜNEN: Sankt-Florians lich darum, das Sondervermögen Deutsche Bun- Prinzip!) desbahn durch Übernahme der Altlasten mit Mit- — ja —, eine bessere Bahn, während Sie hier, an teln aus dem Bundeshaushalt zu entschulden. Das, dieser Stelle, der Bahn die politischen Rahmenbe- meine Damen und Herren, ist die Spitze der Selbst- dingungen verweigern, die sie braucht, um das verleugnung nach 13 Jahren sozialdemokratischer durchzuführen, was Sie vor Ort den Bürgern ver- Bahnpolitik, die ja Jahr für Jahr auch uns, dem sprechen. Das ist eine Doppelzüngigkeit, und das damaligen Koalitionspartner, gegenüber begründet muß endlich ein Ende haben! hat, warum es keinen Sinn hat, Schulden und Ko- sten lediglich von einem auf den anderen Haushalt (Beifall bei den GRÜNEN) zu verlagern; denn damit wäre zwar der Bahnhaus- Ich kann jetzt schon sagen — das werde ich halt zunächst saniert, aber der Bundeshaushalt gleich noch ausführlich begründen — , daß wir na- ruiniert, und im Ergebnis würde deshalb noch kein türlich eine namentliche Abstimmung herbeifüh- einziger Bundesbahner unter besseren Bedingun- ren, damit die Bürger in ihrem Wahlkreis auch ein- gen arbeiten können, würde keine einzige Tonne mal die Möglichkeit haben, zu sehen, ob Sie die Ver- Fracht mehr befördert werden, würde kein einziger sprechungen, die Sie im Wahlkreis machen, auch Bürger vom Auto auf die Bahn umsteigen, ließe sich hier in Bonn so hartnäckig, mit voller Kraft und — der Ertrag im Endergebnis um keine einzige Mark wie Sie das immer betonen — mit kämpferischem steigern. Widerstandsgeist vertreten und damit für die Bahn Meine Damen und Herren, das, was sozialdemo- eintreten. Darauf werde ich also gleich noch etwas kratische Verkehrsminister und was auch der Kol- - ausführlicher zu sprechen kommen. lege Ernst Haar hier 13 Jahre lang kontinuierlich Wie gesagt, wir fordern, daß mit den Strecken gepredigt haben, nämlich auch eine verantwor- stillegungen der Bahn endlich Schluß ist. Wir brau- tungsbewußte Finanzpolitik für die Bahn, wird chen eine Wende in der Verkehrspolitik, wir brau- nicht dadurch falsch, daß die SPD heute in der Op- chen nicht weniger Bahn, sondern mehr Bahn, und position sitzt, noch dazu in einer Zeit, in der die Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10551

Hoffie Haushaltskonsolidierung das erklärte Regierungs- dert der Vorstand, daß sich die Bahn von einer ziel ist. Behörde zu einem wettbewerbsorientierten Lei- Ein entschiedenes Nein der FDP gilt auch der stungsunternehmen wandelt, daß sich die Bahn SPD-Forderung nach einer Änderung der Unter- nicht als Bauchladen für Transportangebote, son- nehmensverfassung mit dem Ziel, die paritätische dern als Markenartikler versteht und die bahnspe- Mitbestimmung im Verwaltungsrat dieses öffentli- zifischen Vorteile zum Konzept erhebt. chen Dienstleistungsunternehmens durchzusetzen. Unser Nein, meine Damen und Herren, gilt erst (Zuruf von der SPD: Das ist keine Überra recht für die Forderung der GRÜNEN, die in ihrem schung!) vorgelegten Bundesbahnsanierungsgesetzentwurf gleich zweistellige jährliche Milliardenbeträge aus Nein sagen wir auch zu einem Schienenwegebe- dem Bundes- in den Bahnhaushalt transferieren darfsgesetz, das ja nicht mehr ist als ein Schritt zu wollen. Wer das bezahlt, ist in früheren Debatten oft neuer Bürokratisierung und mit dem nicht mehr genug gesagt und auch heute hier erklärt worden. erreicht wird, als die vorhandenen Instrumente des Das ist nämlich der Autofahrer, der dann mit mehr Haushalts, des Wirtschaftsplans und des Verkehrs- als 20 Pf Erhöhung der Mineralölsteuer zur Kasse wegeplans schon heute hergeben. Ein Bedarfsge- gebeten wird. setz für den Schienenweg ist auch deshalb unsinnig und geradezu schädlich, weil das Gesamtinteresse (Zurufe von den GRÜNEN: Aufwachen!) der Bundesbahn für künftige Neubaustrecken auf Dem liegt der Irrglaube zugrunde, die Bahn lasse keinen Fall den widerstreitenden Länderegoismen sich am besten durch Verteufelung des Autos und geopfert werden darf und es sich hier nicht wie bei Beseitigung der Arbeitsplätze in der Automobilin- Straßen um Auftragsverwaltung des Bundes han- dustrie sanieren. — Weil ich nur wenige Minuten delt. Zeit habe, in denen ich hier für meine Fraktion Andererseits, meine Damen und Herren, lassen reden kann, beantworte ich Ihre Fragen alle am die SPD-Anträge Übereinstimmung erkennen, so- Schluß der Debatte, wenn dazu dann noch Zeit ist. weit sie jetzt aus der Oppositionsrolle heraus alte Ich setze mich dann gern mit Ihnen auseinander. FDP-Forderungen übernehmen Alte Bekannte treffen wir auch bei den übrigen (Lachen bei der SPD) Anträgen der GRÜNEN wieder, die auf Einstellung der U-Bahn-Förderung zielen und sich dabei dann — ich komme gleich darauf zu sprechen; dann wer- noch an die falsche Adresse richten, weil die Pla- den wir fragen, warum das früher anders war —, nungshoheit für den kommunalen ÖPNV bei den die die SPD in der Regierungsverantwortung zu- Kommunen liegt, rückgewiesen hatte. Das gilt für die Trennungs- rechnung. Die haben wir damals gefordert, aber (Zuruf von den GRÜNEN: Und die Geset nicht bekommen. Das gilt auch für die .Abgeltung zesinitiative beim Bund!) gemeinwirtschaftlicher Lasten, soweit sie neu ent- der Verkehrsminister auf Vorschlag der Länder stehen und das Ergebnis der Bundesbahn ver- handelt und ihm kein einziger Fall genannt werden schlechtern. Das ist genau das, was die FDP 1978, kann, der die Förderungsvoraussetzungen des Ge- also vor sieben Jahren, in ihren zwölf Thesen zur meindeverkehrsfinanzierungsgesetzes nicht erfüllt. Gesundung der Deutschen Bundesbahn vorgelegt hatte. Und wieder begegnen wir in dieser Debatte ei- nem Baustoppantrag für ein Kanalprojekt — dies- Damals hatten wir die Verantwortung des Bun- mal betrifft es den Kanal an der Saar — mit der des für den Schienenweg gefordert. Wir wollten alten Begründung, die Bahn müsse vor Wettbewerb eine klare Trennungsrechnung, personelle Resul- mit der Binnenschiffahrt geschützt werden tatsverantwortung sowie Kosten- und Erfolgskon- trolle. Wir wollten den Abbau von Wettbewerbsver- (Senfft [GRÜNE]: Vor Wettbewerbsverzer zerrungen, die Abkehr von Vorstellungen, die Bahn rungen! — Weitere Zurufe von den GRÜ sei ein Universalunternehmen, das sich an jeder NEN) Art von Verkehr zu beteiligen habe. — und den gibt es ja nicht, wenn man bestimmte Damals sind wir an Ihnen, meine Damen und Verkehrsmittel nicht mehr in der Konkurrenz se- Herren von der SPD, gescheitert, die Sie sich ja hen will —, ohne Rücksicht darauf, daß der Saarka- auch nicht gescheut haben, mit Gutachten den Be- nal eine der wesentlichen Voraussetzungen für die weis dafür anzutreten, daß vor allem die Trennung Wettbewerbsfähigkeit der saarländischen Montan- von Fahrweg und Betrieb, für die wir uns stark industrie ist und eine Bauruine von mehr als 72 der gemacht hatten, wie es damals wörtlich in dem Er- insgesamt 90 km auch zu größeren Landschaftsein- gebnis des Gutachtens hieß, „nicht realisierungs- griffen und -zerstörungen führen würde als die Fer- würdig" sei. tigstellung. (Daubertshäuser [SPD]: Sie wollten die (Zuruf von den GRÜNEN: Was ist das für reale Trennung von Fahrweg und Betrieb! - eine Logik?) Dies ist ein großer Unterschied!) Die neue Bahn hat Zukunft. Aber die Existenzbe- — Herr Kollege Daubertshäuser, heute verlangt der rechtigung für das heute 150 Jahre alte Unterneh- Vorstand der Deutschen Bundesbahn genau dies, men und das Vertrauen in das traditionsreichste daß nämlich die Bahn für ihre Strecken nur inso- Stück deutscher Verkehrsinfrastruktur lassen sich weit zahlt, wie sie genutzt werden. Außerdem for- nicht mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt kaufen, 10552 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Hoffie lassen sich nicht erreichen durch ständige Fort- wir damals, vor sieben Jahren, mit unserer Forde- schreibung des Monopols der unrentablen Leistun- rung formuliert hatten: daß sich die Bahn in Ab- gen, nicht mit dirigistischer Lenkung und nicht mit kehr von der Vorstellung eines Universalunterneh- Schutzzäunen gegen Wettbewerber. Das hat Herr mens auf zukunftsträchtige Teilmärkte und bahn- Dr. Abs, den Sie, Herr Daubertshäuser, in der Bahn- spezifische Leistungsvorteile spezialisieren muß. politik zum Zeugen anrufen, in seiner Jubiläums- Hemjö Klein, der Absatzchef der Bahn, hat es rich- rede sehr treffend gesagt, in einem überzeugenden tig charakterisiert. Die Bahn hat tatsächlich mehr Appell, sich wieder auf die unternehmerischen Tu- Raum als das Flugzeug, mehr Komfort als der Bus, genden der Entstehungsjahre zurückzubesinnen, (Senfft [GRÜNE]: Aha, ist ja interessant!) den Mut zu mehr Markt und freiem Wettbewerb aufzubringen und die Eisenbahnbehörde zu einem mehr Kommunikation als der Pkw und mehr Land- Unternehmen zu machen, das wie in seinen Grün- schaft als alle zusammen. derjahren nach den Maßstäben privatwirtschaftli- (Senfft [GRÜNE]: Ich denke, der Bus sei cher Verantwortung eigendynamisch und eben besser als die Bahn? Das erzählen Sie doch nicht als Verwaltungsapparat geführt wird, verbun- immer!) den mit einer ganz klaren Absage an Diktatur, an Dirigismus und Bürokratismus, wie es Herr Abs Und es stimmt: Halb so schnell wie das Flugzeug, dort formuliert hat. doppelt so schnell wie der Pkw wird sie auch künf- Die Bahn, meine Damen und Herren, hat Zu- tig das Auto nicht ersetzen, Herr Kollege Senfft, kunft, wenn wir alle, wenn Regierung und Opposi- und das Flugzeug nicht einholen, aber mit weniger tion, aber auch Gewerkschaften Schluß machen mit Energie. Dabei sollten Sie als GRÜNE wissen, daß der Wiederholung alter Fehler, der Wiederholung schon heute 16,4 % des Bahnstroms aus Atomkraft- alter Forderungen und Rezepte, wie sie sich zu gro- werken kommt ßen Teilen auch in den vorliegenden Anträgen wi- (Senfft [GRÜNE]: Das ist aber Ihre Verant derspiegeln. Für bessere Voraussetzungen hat der wortung!) Vorstand der Bahn die Weichen gestellt. und der Rest aus Ölkraftwerken und anderen, die Daß er damit Erfolge einfährt, die man noch vor mit fossilen Brennstoffen geheizt werden, die Sie einigen Jahren für unmöglich gehalten hat, ist ein- doch am liebsten alle stillegen wollen — zum Scha- deutig bewiesen. den auch der Bahn. (Senfft [GRÜNE]: Auf wessen Kosten?) Meine Damen und Herren, weniger Energiever- 600 Millionen DM Ergebnisverbesserung im letzten brauch, weniger Lärm Jahr (Abg. Senfft [GRÜNE] meldet sich zu einer (Senfft [GRÜNE]: Auf Kosten von 25 000 Zwischenfrage) Arbeitsplätzen!) — ich habe gesagt: am Schluß —, auch weniger — nicht auf irgendwessen Kosten, nicht durch Ent- Unfälle, weniger Witterungsabhängigkeit als an- lassung von Arbeitskräften, sondern zum Nutzen dere Verkehrsträger: Das sind die spezifischen Vor- der gesamten deutschen Bevölkerung, Herr Kolle- teile, die es auf allen Gebieten mit marktgerechten ge —, schon zwei Jahre lang keine neuen Schulden, Angeboten und verbessertem Service zu nutzen gilt. Abbau der Altschulden um 80 Millionen DM, Ratio- Da muß man auch hier einmal konkret Verkaufs- nalisierung und Investitionen, verbesserte Ange- werbung machen dürfen. Da muß man sagen, daß bote und vor allem neue Ideen, klare Verantwor- es jetzt Vier-Platz-Abteile, audiovisuelle Systeme tungsbereiche, Verkürzung der Entscheidungswege und Nachrichtenübermittlung im TEE, größere Ge- und voll im Plan der Leitlinien dieser Regierung. schwindigkeit, bessere Reisebetreuung und stär- Das ist der Beweis für die Richtigkeit der Wende in kere Anbindung im IC '85 gibt, daß im Fernexpreß der Bahnpolitik. Steigerung der Produktivität um Spezialangebote für Urlaubs- und Touristikverkehr real 40 %, die Absenkung der Gesamtkosten um entwickelt werden sowie neue Preismodelle, besse- 25 % und die Reduzierung der Personalkosten um rer Service für Autoreisezüge, Schlafwagen als Ho- 30 % bis 1990 als erklärte politische Zielvorgaben, tel auf Rädern — auch am Zielort — und rosarot (Senfft [GRÜNE]: Und wie viele Arbeits- wie noch nie und künftig noch familienfreundlicher plätze wollen Sie noch kaputtmachen?) und nach Luftlinienkilometern berechnete tages- zeitabhängige Tarife. Damit wird sich die Bundes- das ist keine Utopie mehr, meine Damen und Her- bahn als eine dann wirklich echte Alternative im ren. Der Kurs stimmt, und die Bahn kommt wieder Personenverkehr nicht nur im Markt, sondern auch stärker unter Dampf, weil jetzt für dieses Dienstlei- im Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit etablie- stungsunternehmen eine Wettbewerbsstrategie ren können. Sie muß es vor allem, indem sie die Vorrang hat vor einer erfolglosen Verteidigungs- heranwachsende Generation für sich gewinnt; übri- strategie in Form des langsamen Zurückfahrens gens auch die GRÜNEN, die soviel von der Umwelt- von Serviceangeboten, freundlichkeit reden und von denen wir wissen, daß (Senfft [GRÜNE]: Wir wollen keine Vertei - sie am seltensten in den Zügen und in den Ver- digung, wir wollen eine Offensive!) kehrsmitteln des öffentlichen Personennahver- kehrs sitzen. mühsamer Konservierung der bestehenden Struk tur als der Politik der vergangenen Jahre. Jetzt (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Ich habe Sie wird, wie man sieht, dynamisch das realisiert, was noch nie im Zug getroffen, Herr Hoffie!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10553

Hoffie Die Bahn muß die junge Generation für sich ge- für diese Bahn und ihre über 300 000 Mitarbeiter winnen; denn es ist j a wohl doch erschreckend, daß hat die Zukunft in Wirklichkeit erst begonnen. erst jetzt bekannt wird, daß 96 von Hundert der (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) vier- bis elfjährigen Kinder noch überhaupt nie praktischen Kontakt mit der Bahn hatten. Als dynamisches, kreatives und kundenorientier- tes — das können wir gemeinsam feststellen, Herr (Senfft [GRÜNE]: Die gibt es ja auch kaum Kollege Daubertshäuser —, innovations- und lei- noch in gewissen Teilen!) stungsfähiges Unternehmen verdient die Bahn Damit wächst eine Generation heran, die die Eisen- breites Vertrauen der Öffentlichkeit, einen auch bahn nur vom Hörensagen oder als Spielzeug wieder neu gewonnenen Stolz seiner Mitarbeiter kennt. Deshalb gehört es zu den hervorragenden (Roth [SPD]: Liest der eine Broschüre vor Leistungen der neuen Bahn, daß jetzt z. B. Kinder- oder was?) landwagen rollen werden, und die volle Unterstützung der Bonner Politik. (Senfft [GRÜNE]: Zwei in der gesamten Herr Kollege Roth, das wird heute übrigens zu Republik! Lächerlich!) Recht in jeden Prospekt der Bahn geschrieben. Ich würde mir wünschen, daß es auch in Ihren Kopf daß nachts Tramperangebote eröffnet werden, d. h. und in die Köpfe Ihrer Kollegen hineinkommt. Liegewagen für nur 4 DM Zuschlag, die rollende (Zuruf des Abg. Roth [SPD]) Jugendherberge und daß Kinder in Begleitung von Eltern und Großeltern nur noch ganze 10 DM zah- Ich möchte für die FDP hier ausdrücklich diese len. Unterstützung zusichern und die Bahn ermutigen, den eingeschlagenen Kurs konsequent fortzuset- (Senfft [GRÜNE]: Sie verbreiten rosarote zen. Wolken!) Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ihre Aufregung darüber, gerade die Jugend an die Bahn heranzuführen, wäre ganz schnell zu been- den, wenn alle Sie in Verantwortung auch als Eltern Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile das Wort dem zu allererst bei sich selbst anfingen, Ihre Kinder Herrn Bundesminister für Verkehr. Bahn fahren zu lassen; die sind nämlich, wie die Zahlen ausweisen, nicht dabei. (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Aber bitte mal neue Zahlen, Herr Verkehrsminister!) (Senfft [GRÜNE]: Was heißt anfangen?)

Meine Damen und Herren, im Güterverkehr ste- Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Herr hen endlich die mutige Absage der Bahn an dirigi- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- stische Transportlenkung nach dem Motto ren! Ich möchte mich zunächst dafür bedanken, was „Schwere Last auf lange Schienenstrecke" und die meine Herren Vorredner gesagt haben. Der Dank Aussage „Wenn es die Bahn nicht durch Leistung gilt für den einen mehr, für den anderen weniger, schafft, Güter auf die Schiene zu bringen, dann aber ich halte es für sinnvoll, sich um Sachlichkeit schafft sie es nie" sowie die richtige Schlußfolge- zu bemühen. Herr Daubertshäuser, ich freue mich, rung „eben nicht Lkw oder Bahn, sondern Lkw und daß Sie die Probleme sachlich behandelt haben. Ich Bahn", mit dem Ziel, die Vorteile der einzelnen Ver- habe manchmal fast gedacht, Sie seien mit dem, kehrsträger optimal zu kombinieren. was Sie gesagt haben, erst zur SPD gekommen. (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Subvention (Zurufe von der SPD) des Lkw-Verkehrs!) — Beruhigen Sie sich, ich habe einen kleinen 88 Intercargo-Züge auf Nachtsprung zwischen Scherz gemacht. — Herr Kollege Vogel, warum den wichtigsten Wirtschaftszentren in der Bundes- denn nicht? Seien Sie doch nicht immer so traurig. republik, Termin- und Expreßdienst, neues Partie- (Lachen bei der SPD) frachtangebot, Großcontainer und Huckepackver- Es ist viel schöner, wenn man fröhlich ist. Sie wol- kehr mit Wechselbehältern, mit Sattelanhängern len das 150jährige Jubiläum der Bahn feiern. Dann und kompletten Lastzügen und dahinter die Philo- dürfen Sie nicht bloß an die 16 Jahre denken, in sophie einer umfassenden Problemlösung von A bis denen Sie Verantwortung für die Bahn trugen. Z mit einem System von Frachtzentren und neue Dann kann ich mir allerdings vorstellen, daß Sie Wege im Verkauf des Frachtangebots durch externe traurig sind. Partner — das kennzeichnet schon heute eine er- folgreiche Zukunft der Güterbahn. (Beifall bei der CDU/CSU) Für diese neue Bundesbahn, die den Wettbewerb Trotzdem kann man bei der ganzen Geschichte eben nicht mehr scheut, sondern ihn als Herausfor- fröhlich sein. derung begreift, die nicht produziert, was sie am Meine Damen und Herren, ich will auch gar nicht besten kann, sondern was der Markt am ehesten lange in der Vergangenheit kramen, weil ich mir verlangt, die sich auf Leistung, auf Wirtschaftlich- nicht viel davon verspreche. Sie dürfen jedoch bei keit als Handlungsmaxime besinnt, die andere all dem, was Sie heute fordern, nicht vergessen, was eben nicht kopieren können, und bei der Preis, im Jahre 1982 war. Die Zahlen sind doch bekannt. Fahrplan und Erscheinungsbild eine Einheit bilden, In zwölf Jahren ist das Defizit von 1,2 Milliarden 10554 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bundesminister Dr. Dollinger DM auf 4,1 Milliarden DM gestiegen; die Verschul- — Verzeihen Sie, es gibt bei dieser Bundesregie- dung ist von 13,5 Milliarden DM auf 35,6 Milliarden rung keinen Plan zur Stillegung von Strecken, gestiegen. Dieses Faktum muß man einfach einmal (Zustimmung bei der CDU/CSU) sehen. Ich will gar nicht weiter über die Ursachen nachdenken. aber es gibt eine Arbeit in der Richtung, das Ver- (Daubertshäuser [SPD]: Das ist aber wich- kehrsnetz modern zu gestalten, eine gute Verkehrs- tig!) erschließung voranzutreiben. — Verzeihen Sie, da sollten Sie zuerst nachdenken, (Widerspruch bei den GRÜNEN) denn Sie haben seit 1966 die Verkehrsminister ge- — Machen Sie doch nicht so großen Lärm. Lesen stellt. Meine Herren, ich finde, wir sollten hier red- Sie doch einmal, was die Deutsche Bundesbahn in lich miteinander umgehen. bezug auf die Verkehrserschließung mit dem Land Es wird z. B. behauptet, ich wolle eine Schrumpf- Schleswig-Holstein vereinbart hat. Es sollen in ver- bahn machen. Ich habe hier eine Verlautbarung aus nünftiger Zusammenarbeit mit den Ländern tat- dem Verkehrsministerium vom 11. Dezember 1974. sächliche Bereinigungen erfolgen, die nicht zur Darin steht unter Ziff. 1.3: „Langfristig konzentriert Ausdünnung in der Fläche, sondern zu einer besse- die DB sich auf ihre Aufgabe als Fernverkehrsun- ren Verkehrsbedienung führen. Das ist letzten En- ternehmen." des unser Ziel. (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Meine Damen und Herren, es wurde davon ge- sprochen, die Regierung habe politisch nicht gehan- Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- delt. Ich muß Sie auf die Leitlinien hinweisen, die statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- wir am 23. November 1983 verabschiedet haben. Es neten Daubertshäuser? wurde vielfach gesagt, sie seien überhaupt nichts. Andere sagten, diese Leitlinien seien verheerend. Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Nein, Von einem der Vorredner wurde schon erwähnt: im Moment nicht. Steigerung der Arbeitsproduktivität um 40 %, Ab- bau der Personalkosten um 30 %, Senkung der Ge- Präsident Dr. Jenninger: Das ist nicht der Fall, samtkosten um 25 % bis zum Jahre 1990. Diese Maß- Herr Kollege. nahmen haben wir ein Jahr nach der Regierungs- übernahme festgelegt. Ich bin der festen Überzeu- Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Wir gung: Wenn wir sie nicht getroffen hätten, in Über- können gerne diskutieren; ich möchte den Gedan- einstimmung mit dem Vorstand, dann wäre eine ken aber noch zu Ende bringen. — Das bedeutet klare Zielsetzung einfach nicht zu erreichen gewe- also eine Konzentration der Bahn auf den Fernver- sen. kehr. — Ich will nicht weiter aus dieser Meldung Ich darf nun sagen, daß wir in bezug auf die zitieren. Regierungserklärung vom 4. Mai 1983, in der der Nun zu den Nebenstrecken. Ich habe hier ein Herr Bundeskanzler ein klares positives Bekennt- Schreiben des Vorstandes der Deutschen Bundes- nis zur Bahn abgelegt hat — — bahn an die Direktionen vom 20. September 1981. (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Der landet Dort heißt es: mit dem Hubschrauber im Schwarzwald Daher dürfen vorerst, soweit von hier im Ein- und erzählt etwas von der Bundesbahn!) zelfall nichts anderes verfügt wird, auf schwä- cher belasteten Strecken und Streckenab- — Meine Herrschaften, welche Verkehrsmittel der schnitten nur Maßnahmen der Kleinstunter- Herr Bundeskanzler benutzt, müssen Sie ihm über- haltung (z. B. Beseitigung von Schienenbrü- lassen. Es hat keinen Wert, darüber zu diskutieren. chen und die chemische Aufwuchsbekämpfung, Ich gehe zum Haushaltsgesetz 1985: Die gesam- aber nicht Einzelschwellenauswechslung) und ten Bundesleistungen stiegen von 13,4 Milliarden DM zur Abwendung von Gefahren für Dritte ausge- um 600 Millionen DM auf über 14 Milliarden DM. führt werden. Das war ein Anstieg um 4,5 % bei einer Steigerung Warum sage ich dies? des Verkehrshaushalts um 2,1 %. Die Investitionszu- (Senfft [GRÜNE]: Weil es genauso ist wie schüsse ohne ÖPNV wuchsen von 2,9 Milliarden heute!) DM um 500 Millionen DM auf 3,4 Milliarden DM. Das ist ein Anstieg um 17 %. Wir haben Umschich- — Herr Senfft, Sie sind ein nervöser Mann. Das ist tungen durchgeführt. Ich meine also, daß hier tat- ein Fehler. Sie müssen etwas zuhören können; dann sächliche Veränderungen stattgefunden haben. wird es besser mit Ihnen. (Senfft [GRÜNE]: Das müssen Sie begrün- Nun zum Entwurf des Bundesverkehrswegepla- den!) nes. Ich darf hier feststellen, daß im Zeitraum von 1986 bis 1995 der Anteil der Investitionszuschüsse Ich darf hier aber noch einmal sagen: Wenn wir von im Schienennetz von 21,4 % auf 27,5 % steigen wird. Streckenstillegungen sprechen, sollten wir auch se- Zum Vergleich: In Zukunft werden wir für das Bun- hen, was in der Vergangenheit war. Herr Senfft, desstraßennetz einen Rückgang von 48,9 % auf wenn Sie sagen, ich wolle 7 000 km Strecken stille- 39,2 % haben. Sie sehen daraus, daß hier ein Wandel gen, dann ist das einfach falsch. in der Vorstellung, welche Investitionen notwendig (Senfft [GRÜNE]: Es sind nur noch 6 000!) sind, erfolgt ist. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10555

Bundesminister Dr. Dollinger Wir können feststellen — das ist auch ein Ergeb- eine schnelle Bahn, für eine rationelle Bahn, weil nis der Leitlinien —, daß letzten Endes in erfreuli- Sie die Lok dem Intercityzug und genausogut dem cher Weise das Jahresdefizit um 1 Milliarde DM Güterzug vorspannen können, eine Lok, die auch abgebaut worden ist. Wenn wir im letzten Jahr die für die Beschäftigungslage unserer Industrie, für Schulden bei der Bahn um 80 Millionen DM abge- den Export von großer Bedeutung ist, denn Sie kön- baut haben, verdient das Respekt. nen im Ausland nichts verkaufen, was hier nicht (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Senfft auch genutzt wird —, 75 klimatisierte Großraumwa- [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischen gen zweiter Klasse IC als Prototyp, 2 900 Güterwa- frage) gen, 120 Dieseltriebwagen der Baureihe VT 628/928 — nach einem Gespräch mit Herrn Gohlke wird der Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, Auftrag voraussichtlich auf 150 erhöht werden —, bleibt es bei Ihrer Entscheidung, keine Zwischen- 350 Straßenomnibusse, 152 Lastkraftwagen, 920 fragen zuzulassen? Pkw-Transporter Kombi, 100 Sonderfahrzeuge, 44 Anhänger. Warum habe ich das genannt? Sie sehen, Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Ja, daß die Bahn bei den Investitionen für viele Berei- Herr Präsident! che von einer entsprechenden Bedeutung ist. Wir hoffen, daß der ICE, wenn er als Prototyp im De- Präsident Dr. Jenninger: Herr Kollege, dann bitte zember vorgestellt wird, eine neue Phase des ich das zu berücksichtigen. Schnellverkehrs auch über die Grenzen hinaus ein- leiten wird. Meine Damen und Herren, selbstverständlich Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Ich sage ich auch etwas zu der Personallage. Die Dar- stelle auch fest, daß wir in der Lage waren, die stellung, daß die Bahn Arbeitsplätze vernichtet, ist Bahn anders in die Öffentlichkeit zu bringen. Das, einfach falsch. was sich die Bahn an Angeboten an die Bürger hat einfallen lassen, ist eine beachtliche Sache. (Senfft [GRÜNE]: Das ist ja unglaublich!) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Tatsache ist, daß bei der Deutschen Bundes- Herr Daubertshäuser, eines will ich nicht machen: bahn Mitarbeiter vorhanden sind, für die im das, was gut ist, dem Bahnvorstand zurechnen, und Grunde genommen kein Arbeitsplatz mehr vorhan- das, was schlecht ist, der Politik. Ich glaube, das den ist. Das ist das Problem. Entscheidende ist eine gute Zusammenarbeit. Der (Senfft [GRÜNE]: Durch Ihre Verkehrspo Erfolg, den die Bahn zu verzeichnen hat, hängt da- litik! Unglaublich! Sie klauen denen die Ar mit zusammen, daß politisch eine klare Rückendek- beit! — Zurufe von der SPD) kung vorhanden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kein Unternehmen, weder ein privates noch ein Daubertshäuser [SPD]: Das haben Sie staatliches, kann auf Dauer mehr Menschen be- exakt nicht gemacht!) schäftigen, als notwendig sind. Wir haben eine Ver- antwortung für die Steuergelder und können das Wir haben bei der Bahn nicht nur an den Perso- nicht tun. nenverkehr gedacht, sondern auch an den Güter- verkehr. Ich glaube, daß wir mit unseren Maßnah- (Beifall bei der CDU/CSU — Schulte [Men- men — Ausbau der Strecken, Neubau der Strecken, den] [GRÜNE]: Die Steuergelder brauchen dadurch auch Beschleunigung für den Güterver- Sie für den Straßenbau!) kehr einschließlich des kombinierten Verkehrs — schneller zu Ergebnissen kommen, als wenn wir Man muß dabei auch noch an etwas anderes den- mit umständlichen Gesetzen zwangsweise Verkehr ken. Ich behaupte, ein Mitarbeiter, für den kein Ar- verlagern. beitsplatz mehr da ist, der von einem Platz zum anderen geschickt werden muß, ist mit dieser Be- Ich freue mich, daß sich die Investitionspolitik schäftigung auf die Dauer auch nicht zufrieden. Sie positiv weiterentwickelt. Ich darf hier sagen, daß es sollten auch nicht vergessen, wie wir das tun: Wir noch kein Jahr der Nachkriegszeit gegeben hat, wo haben niemanden bei der Bahn entlassen, die Deutsche Bundesbahn soviel investiert hat wie in diesem Jahr, nämlich 5,9 Milliarden DM. (Zurufe von den GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — und es war eine gute Leistung des Vorstandes, der Daubertshäuser [SPD]: Real stimmt das Gewerkschaften, der Betriebsräte, daß dieser Ab- nicht!) bau durch Nicht-Wiederbesetzung von Arbeitsplät- Ich glaube, diese Zahl spricht für sich. Wir werden zen ausscheidender Kräfte, in dieser ruhigen Form, in dieser Beziehung entsprechend weiterfahren. bisher durchgeführt werden konnte. Wir werden durch diese Investitionen natürlich (Beifall bei der CDU/CSU — Schulte [Men nicht nur die Bauwirtschaft stark beeinflusen — den] [GRÜNE]: Die Arbeitslosenzahlen Neubaustrecken, Ausbaustrecken —, sondern auch - steigen so oder so!) die Industrie. Das ist nach meiner Meinung von besonderer Bedeutung. Ich darf hier einmal sagen, Auch das muß hinzugefügt werden: Wir haben bei was in diesem Jahr in Auftrag gegeben wird oder der Bahn heute schon Überlegungen, wie mir der zum Teil schon gegeben ist: 60 E-Loks Typ 120, Vorstand sagt, gewisse Bereiche, z. B. die Lokfüh- Wert: etwa 330 Millionen DM — ganz wichtig für rerlaufbahn, wieder zu öffnen. Man wird dafür sor- 10556 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bundesminister Dr. Dollinger gen, daß eine gute Ausbildung erfolgt. Sie wissen, nen wir auf vieles stolz sein, was die Verantwortli- daß alle Lehrstellen bei der Bahn besetzt sind. chen und die Mitarbeiter in 150 Jahren geleistet Ich mache ein paar Bemerkungen zum öffentli- haben, und zwar oft unter schwersten Bedingun- gen. chen Personennahverkehr. Der öffentliche Perso- nennahverkehr wird in eine zunehmende Schwie- Wir können uns daran nicht begeistern, wenn wir rigkeit, ja Krise, hineinkommen. uns nicht bemühen, das Erbe fortzuentwickeln, ich sage nicht: zu übernehmen, sondern: fortzuentwik- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Warum wohl? keln. Weil das Autofahren viel zu billig ist!) (Zuruf des Abg. Schulte [Menden] Wir haben dort 50 % Schülerbeförderung, und die [GRÜNE]) kleiner werdenden Kinderzahlen sind Ihnen be- kannt. Ich habe eine gewisse Umorganisation ge- Das bedeutet letzten Endes modernste Technik, be- macht, um die Dinge in diesem Bereich besser in ste Ausbildung, und nicht Verwaltungsdenken, son- den Griff zu bekommen. Es muß aber gesagt wer- dern unternehmerischen Mut im Hinblick auf das, den, daß nicht primär der Bund für den öffentlichen was der Bürger und die Wirtschaft, was unsere Be- Personennahverkehr verantwortlich ist. Das ist völkerung braucht. rechtlich klar. In diesem Sinn hoffe ich auf eine gute gemein- Wenn gesagt wird, wir würden nichts tun, dann same Arbeit. halte ich dem nur entgegen: Wir haben im vorigen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jahr für den öffentlichen Personennahverkehr Senfft [GRÜNE]: Das wird sofort klap 6,4 Milliarden DM ausgegeben, während es bei den pen!) Ländern und Gemeinden zusammen nur 5,9 Milliar- den DM waren. Es werden also die Tatsachen auf Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- den Kopf gestellt, wenn behauptet wird, wir würden ordneter Haar. hier nichts tun.

Meine Damen und Herren, ich behaupte, daß die Haar (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Bahn eine gute Zukunft haben wird, weil sie neue Herren! Wir haben zum Schluß der Rede des Herrn Ideen entwickelt, weil die Politik ihr den Rücken Bundesverkehrsministers so etwas wie Jubiläums- für eine entsprechende Entfaltung stärkt. atmosphäre mitbekommen. Zur Diskussion stehen (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) heute allerdings andere Positionen. Dabei denken wir nicht nur an das Bahnnetz in der (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Bundesrepublik, sondern wir versuchen, hier euro- Dabei räume ich gerne ein: 150 Jahre Deutsche Ei- päisch zu denken, etwa mit Überlegungen für die senbahnen sind ein denkwürdiges Jubiläum. Es hat Fernstrecken Paris- Brüssel- Köln oder Paris aus diesem Anlaß viele Feiern in den letzten Mona- Saarland - Rheinland-Pfalz - Mannheim/Ludwigs- ten gegeben. Der Vorstand der Deutschen Bundes- hafen. Das sind Überlegungen, die in die Zukunft bahn hat es ausgezeichnet verstanden, die Lei- weisen. Deshalb glaube ich, daß wir bei allen Über- stungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft von legungen, bei aller Kritik sagen müssen: Die Deut- Bahn und Eisenbahnern im Personen- und Güter- sche Bundesbahn ist in diesem Jubiläumsjahr bes- verkehr in seiner ganzen Vielfalt vor der Öffentlich- ser dran als vor einigen Jahren. keit darzustellen. Das Echo ist positiv. Das ist aber (Beifall bei der CDU/CSU) noch nicht Ihr Verdienst, Herr Minister. Wir sollten uns darüber im klaren sein: Am An- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten fang der Bahngeschichte, die wir heute feiern, stand der GRÜNEN) die Technik. Eine Vernachlässigung der modernen All das darf uns nicht den Blick dafür verstellen, Technik würde die Bahn zurückwerfen; sie wurde daß dabei zum Teil eine verklärte Rückschau in die durch Vernachlässigung bereits zurückgeworfen. Dampflokromantik entstanden ist, die für die Ei- senbahner selbst ja alles andere als romantisch (Beifall bei der CDU/CSU) war. Deshalb sollten wir die moderne Technik nutzen (Toetemeyer [SPD]: Sehr gut!) und Mitarbeiter mit einer guten Ausbildung verse- hen, und das schafft dann bei einer entsprechenden Wenn schon davon gesprochen worden ist, daß pri- Anpassung an den Arbeitskräftebedarf wieder si- vate Initiative damals zur Gründung der Bahn ge- chere Arbeitsplätze. Und dann Mut, auch neue führt hat, geben Sie uns bitte eine Antwort, was Wege bei der Bahn zu gehen! Ihre Leitlinien sind und was Sie eigentlich wollen, ob Sie den öffentlichen Auftrag und die Gemein- Wenn man die Geschichte von Nürnberg liest, wirtschaftlichkeit erhalten wollen oder ob Sie Pri- weiß man, wie umstritten damals die Bahn war. vatisierung anstreben. Das müssen Sie der Offent- (Zuruf des Abg. Schulte [Menden] lichkeit mal sagen. [GRÜNE]) - (Beifall bei der SPD und des Abg. Senfft Es gab Gutachten von Professoren und Widerstand [GRÜNE]) von allen Seiten. Es war damals gar keine staatliche Für alle, die die Bahn und die Eisenbahner ernst Gründung, sondern eine private Gründung. Wenn nehmen, sollte dieses Jubiläum Anlaß sein, ausge- wir von der Bahn der Vergangenheit sprechen, kön hend von der jetzigen Lage der Bahn Konzepte für Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10557 Haar ihre weitere Zukunft zu entwickeln. Darum bemü- drücklich gebilligten Plänen ist eine weitere Ver- hen wir uns ja heute. ringerung der Zahl der aktiven Eisenbahner von Das aus Gründen der Absatzförderung rosarot rund 300 000 im Jahr 1984 auf 230 000 im Jahr 1990 aufpolierte Image der Bahn darf uns nicht zu Fehl- vorgesehen. einschätzungen oder zur Selbsttäuschung führen. (Hört! Hört! bei der SPD) Wer nur sagt, es bestehe kein Handlungsbedarf, un- Herr Minister, ich muß Ihnen schon ernsthaft eine terliegt einem folgenschweren Irrtum. Frage stellen: Wie kommen Sie dazu, hier vor aller (Beifall bei der SPD und des Abg. Senfft Öffentlichkeit, vor diesem Hohen Haus einfach fest- [GRÜNE]) zustellen, die Bahn habe zu viele Mitarbeiter? Ist Ihnen nicht bekannt, daß in drei Direktionen be- Die Fakten über die tatsächliche Lage der Bahn reits Rangierarbeiter fehlen? Ist Ihnen nicht be- liegen auf dem Tisch. Sie müssen sie nur zur Kennt- kannt, daß das Lokpersonal auf Grund der Ent- nis nehmen. Der Bahnvorstand hat dem Bundesver- scheidung, die mit Ihrer Billigung gefallen ist, be- kehrsminister seine mehrjährige Unternehmens- züglich des Nachwuchses in drei, vier Jahren in vorausschau auf den Tisch gelegt. eine ganz ernste Situation gerät? Ich würde Sie bit- Wenn der Sprecher der FDP die Initiativen des ten, sich um diese Fragen einmal zu kümmern, be- Bahnvorstands in seiner Rede nach vorn stellt, vor Sie solche Pauschalformulierungen vortragen. ohne eigene Überlegungen vorzutragen (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Hoffie [FDP]: Hat er doch!) — das ist mein Urteil; außer den Empfehlungen an die Gewerkschaften, die haben wir mit Interesse Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Haar, zur Kenntnis genommen —, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Hoffie [FDP]: Nicht nur an die Gewerk Pfeffermann? schaften!) und wenn ähnlich der Minister hier argumentiert, Haar (SPD): Nein. dann muß ich sagen: Warum nehmen Sie eigentlich (Zurufe von der CDU/CSU) nicht die Mahnungen des Vorstandes der Bahn zur Wir sammeln schon unsere Erfahrungen. Kenntnis? (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Warum so aufge- (Beifall bei der SPD) regt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Sie müssen es doch auch gelesen haben. Wir auch! — Wie viele Arbeitsplätze haben Ich fasse es in vier Punkten zusammen: Sie denn in Ihrer Zeit vernichtet?) Ich will dazu noch eine zweite Feststellung tref- Angesichts der unzureichenden Leistungen des fen. Der Bundesminister für Verkehr ist über diese Bundes an die Deutsche Bundesbahn, die Sie in den Leitlinien vom November 1983 sowie in der mit- Entwicklung in allen Einzelheiten informiert. Er telfristigen Finanzplanung eingefroren und zum weiß auch, daß der Bahnvorstand im Falle einer Problem erhoben haben, hat die Bahn keinerlei weitgehenden Liberalisierung der Verkehrsmärkte Chancen, aus den roten Zahlen herauszukommen. des Güterverkehrs ohne rechtzeitige Stärkung der Gegen Ende dieses Jahrzehnts wird der Jahresfehl- Wettbewerbsposition der Bahn, d. h. ohne eine er- betrag höher sein als gegenwärtig. Das ist die Aus- hebliche Aufstockung der Bundesleistungen, bis gangssituation. 1989 mit Ertragsausfällen von über 2 Milliarden DM rechnet. Warum sagen Sie dazu nichts? (Hört! Hört! bei der SPD) (Sehr richtig! bei der SPD) Die Verschuldung der Bahn steigt in beängsti- Wer angesichts dieser Situation erklärt, es bestehe gender Weise weiter an. Bis 1990 wird nahezu die kein Handlungsbedarf, handelt im Grunde unver- 50-Milliarden-DM-Grenze erreicht sein. Kommen antwortlich, Sie bitte nicht erneut mit alten Zahlen in der Dis- kussion! Wenn wir darüber reden wollen, was sich (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) künftig entwickelt, müssen wir uns diesen Pro- und zwar unverantwortlich gegenüber Eisenbah- blemen heute stellen. Das ist der Punkt. nern und unverantwortlich gegenüber Bürgern und (Beifall bei der SPD) Wirtschaft. Niemand behauptet von uns, es seien in der Vergan- Die Finanzlage, in die die Bahn getrieben wird, genheit keine Fehler gemacht worden. führt zwangsweise zu einem immer schnelleren Rückzug der Schiene aus der Fläche. (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Aha!) (Zuruf von der SPD: Richtig!) — Alter Huster! Der gemeinwirtschaftliche Auftrag der Bahn, in al- Infolge dieser Entwicklung nimmt die jährliche - len Teilräumen des Bundesgebiets gleichwertige Zinsbelastung der Bahn von zur Zeit 3 Milliar- Lebensbedingungen zu schaffen, wird mehr und den DM auf fast 4 Milliarden DM zu. mehr vernachlässigt. Diese Entwicklung tritt ein, obwohl bei der Bahn Wir Sozialdemokraten stehen mit dieser Beurtei- weiter in großem Umfang Arbeitsplätze vernichtet lung der Bahnpolitik der jetzigen Bundesregierung werden sollen. Nach den von Herrn Dollinger aus- keineswegs allein da. Ich darf Ihnen mit freundli- 10558 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Haar cher Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal Ausgaben der Bundesbahn klafft daher Jahr für zwei Zitate vorlesen. Jahr eine größere Lücke. Dies ist einer der wesent- lichen Gründe für die ständig steigende Verschul- (Straßmeir [CDU/CSU]: Die Genehmigung dung der Deutschen Bundesbahn. Die Deutsche braucht man nicht!) Bundesbahn ist — ich glaube, hierin sind wir uns Ich zitiere — hören Sie gut zu —: alle einig — ein am Prinzip der Gemeinwirtschaft orientiertes öffentliches Unternehmen. Die Bundesbahnpolitik darf nicht in erster Li- nie darauf ausgerichtet sein, die Bahn durch (Zuruf von der SPD: Der Hoffie ist anderer Einschränkung ihres Leistungsangebots und Meinung!) Konzentration auf den Verkehr zwischen Bal- Sie produziert einerseits Leistungen wie ein Wirt- lungsräumen betriebswirtschaftlich zu sanie- schaftsunternehmen nach kaufmännischen Grund- ren. Vielmehr ist die Leistungs- und Wettbe- sätzen — hier ist sie inzwischen beweglicher als werbsfähigkeit der DB zu erhöhen. früher —, Das ist das eine Zitat. Das zweite: (Berger [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Mit einer kurzfristig orientierten Sparpolitik sie erbringt andererseits aber auch gemeinwirt- kann eine Konsolidierung der DB in Überein- schaftliche Leistungen im Rahmen der Daseinsvor- stimmung mit den öffentlichen Interessen sorge, auf die der Staat, wenn er ein Sozialstaat ist, nicht erreicht werden. Der Bund muß die DB Herr Dr. Dollinger — das gilt auch für unsere Ge- von Alt- und Fremdlasten freistellen und die spräche in den nächsten Wochen —, nicht verzich- Investitionshilfe für die DB mittelfristig deut- ten kann. lich erhöhen. (Beifall bei SPD — Zuruf von der SPD: Das Herrn Minister Dollinger müßte dieser Forde- ist der Punkt! Sehr gut!) rungskatalog gut bekannt sein. Er ist nämlich Teil einer parlamentarischen Initiative der CSU im Bay- Der Gesetzentwurf sieht eine klare Beschreibung erischen Landtag. und Zuordnung der eigenwirtschaftlichen Aufga- ben, der gemeinwirtschaftlichen Leistungen sowie (Hört! Hört! und Heiterkeit bei der SPD) des Bereichs Infrastruktur vor. Bisher fehlten ent- Dazu möchte ich Sie einmal hören. sprechende Bestimmungen, was sich als hinderlich erwiesen hat. Der Bund muß für die von der Deut- Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsiden- schen Bundesbahn im Rahmen der Daseinsvor- ten abschließend ein weiteres Zitat in Erinnerung sorge zu erbringenden Leistungen eine erhöhte rufen: Verantwortung übernehmen. Wir sehen daher vor, daß der Bund Art und Umfang dieser Leistungen in Die mit der Verschuldung der DB verbundene allgemeinen Vorgaben festlegt und gleichzeitig die Zinslast verhindert nachhaltig eine Stabilisie- volle finanzielle Verantwortung für diesen Aufga- rung der Gewinn- und Verlustrechnung. Kein benbereich übernimmt. Meine Herren von der Re- Unternehmen kann eine echte Zinslast von gierungskoalition, das haben Sie von dieser Stelle über 10% der eigenen Erlöse erwirtschaften. aus hier jahrelang gefordert. Wir bitten Sie, daß Sie Dies ist einer der Kernsätze aus dem Gutachten Ihr Wort jetzt — mit uns — endlich einlösen. einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bankiers (Beifall bei der SPD) Hermann Josef Abs; weitere ließen sich anfügen. Eine weitere Hypothek, die die Deutsche Bundes- Die wirkliche Lage der Deutschen Bundesbahn bahn belastet, sind die strukturell überhöhten Ver- kann nicht weiter mit rosaroten Sprüchen vernebelt sorgungslasten. Das Verhältnis der aktiven Beam- werden. Es besteht ein akuter Handlungsbedarf. ten zu den Versorgungsempfängern beträgt heute (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: bereits 40 :60. Es wird sich in den nächsten Jahren Wofür?) weiter verschlechtern. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Versorgungslasten der Bahn im Verhältnis zur Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat Lohn- und Gehaltssumme auf eine Größenordnung daher einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bun- wie in vergleichbaren Unternehmensgrößen der desbahngesetzes erarbeitet. Die Deutsche Bundes- Wirtschaft zu bringen. Wir haben das sehr vorsich- bahn braucht eine umfassende Verbesserung ihrer tig in Ansatz gebracht. Wir wollen diese Diskussion finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen mit Ihnen nicht mit Härte führen, sondern wir wol- sowie eine Anpassung ihrer Unternehmensverfas- len miteinander praktische Lösungsansätze finden. sung an die gewandelten wirtschaftlichen und so- (Beifall bei der SPD) zialen Verhältnisse. Wir haben mit dem jetzt in erster Lesung behandelten Gesetzentwurf im ein- Die unvertretbar hohe Verschuldung der Bahn ist zelnen aufgezeigt, welche Maßnahmen ergriffen ein entscheidendes Hindernis für die finanzielle werden sollten. Gesundung der Bahn. Der Gesetzentwurf enthält daher besondere Vorschriften über die notwendige Der zu Anfang der 50er Jahre noch mögliche Aus- Kapitalbereinigung. Die von der sozialdemokra- gleich der Fehlbeträge im Schienenpersonenver- tisch geführten Bundesregierung 1973 eingeführte kehr durch Gewinne im Güterverkehr ist seit lan- Übernahme der Zinsen der Altschulden der Bun- gem nicht mehr möglich. Zwischen Einnahmen und desbahn durch den Bund soll nun gesetzlich veran- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10559

Haar kert werden. Außerdem ist — das halte ich für gen für die Bundesfernstraßen soll künftig nicht besonders wichtig — zur weiteren Verbesserung nur der Straßenbauplan, sondern auch der weitere der Kapitalstruktur ein Abbau dieser Verbindlich- Ausbau des Schienenwegenetzes vom Deutschen keiten vorgesehen, indem der Bund diese Altschul- Bundestag durch Gesetz beschlossen werden. den entsprechend seinen Haushaltsmöglichkeiten Meine Damen und Herren, detaillierte Vor- tilgen soll. Durch die im Gesetzentwurf der SPD schläge für die Reform der rechtlichen und finan- Fraktion vorgesehenen Regelungen wird nicht nur ziellen Rahmenbedingungen der Bahn liegen jetzt ein weiterer Anstieg der Verschuldung der Deut- auf dem Tisch. Treten Sie in einen ernsthaften Dia- schen Bundesbahn verhindert, sondern auch ein log mit uns hierüber ein! Verschließen Sie nicht die schrittweiser Abbau der Verbindlichkeiten eingelei- Augen vor den offenkundigen Realitäten! Ange- tet. sichts einer immer weiter steigenden Verschuldung Eine grundlegende Reform der Rahmenbedin- der Bahn kann wahrhaft nicht von einer Konsoli- gungen der Bahn ist nicht nur im Verhältnis zwi- dierung der Bahn gesprochen werden. Eine Konso- schen Bahn und Bund, sondern auch auf dem Ge- lidierung der Bundesbahn bedeutet, daß sie auf biet der Unternehmensverfassung dringend erfor- Dauer von historischen Belastungen befreit wird derlich. Die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer- und es ihr so gelingt, erst in Teilbereichen und dann vertreter im Verwaltungsrat der Deutschen Bun- insgesamt schwarze Zahlen als Zeichen marktwirt- desbahn sind weit geringer als in der gewerblichen schaftlichen Erfolgs zu schreiben. Das wäre der Wirtschaft. richtige Sinn unserer Beratungen nach den Jubi- (Toetemeyer [SPD]: Sehr wahr!) läumsreden, die gehalten worden sind. Alle bestehenden gesetzlichen Regelungen für ver- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten gleichbare Unternehmen der Wirtschaft räumen der GRÜNEN) den Arbeitnehmern weit größere Beteiligungs- Dazu muß jedoch bald zusätzlich zu den derzeiti- rechte als bei der Deutschen Bundesbahn ein. Hier gen Abgeltungsleistungen ein starker Einstieg in ist ein Schritt nach vorn überfällig. die Entschuldung erfolgen. Außerdem ist die Frei- (Beifall bei der SPD) stellung vom Auslastungsrisiko des Fahrwegs und die volle Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Lei- Meine Damen und Herren, wir haben die Rege- stungen notwendig. lung wie im Montanbereich vorgeschlagen. Der En- kel von Herrn Adenauer, wie er sich in der Vergan- Meine Damen und Herren, ändern Sie endlich genheit gern bezeichnet hat, soll an das erinnert Ihre finanzpolitischen Prioritäten! Das ist unsere sein, wofür auch Herr Adenauer eingetreten ist. dringende Bitte an Sie. Nicht weitere Steuererleich- terungen für Wohlhabende dürfen Vorrang haben, (Beifall bei SPD) sondern die notwendigen Zukunftsinvestitionen zur Der Gesetzentwurf sieht die Umwandlung des Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Verbesse- derzeitigen Verwaltungsrats in einen echten Auf- rung der Lebensqualität der Bürger. sichtsrat vor. (Beifall bei der SPD) (Zuruf der Abg. Dr. Jobst [CDU/CSU]) Wenn Ihr Bekenntnis zur Umwelt ernstgenom- Die dritte wesentliche Säule des Gesetzentwurfs men werden soll, dann müssen Sie in jedem Fall im meiner Fraktion ist der Bereich der Investitionen. Investitionssektor etwas zusätzlich tun. Dann kön- (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Jobst [CDU/ nen Sie nicht mit der Plafondierung fortfahren wol- CSU]) len. — Ich würde an Ihrer Stelle, Herr Dr. Jobst, auf (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Dauer nicht so dreckig lachen, wie Sie es versuchen, der GRÜNEN) seit ich hier rede! Das sage ich deutlich. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bahn (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: sind kein lästiges Übel, sondern ein Gebot des So- Nicht so gallig! — Dr. Jobst [CDU/CSU]: zialstaats. Alle Regionen des Bundesgebiets haben Unverschämtheit! — Straßmeir [CDU/ ein Anrecht auf eine Grundversorgung mit öffentli- CSU]: Unglaublich! Der kann nicht an chem Personen- und Güterverkehr, Herr Dr. Dollin- ders!) ger. Das gilt auch für die Buslinien, die in den letz- — Wenn er nicht anders kann, dann sei es ihm ver- ten Monaten bereits wieder stillgelegt worden ziehen. sind. (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Wenn man Sie so (Berger [CDU/CSU]: Das waren ja Geister hört, dann sollte man traurig sein!) busse!) — Das mußte mal sein. — Wir werden die Rechnung schon aufmachen. Die künftige Leistungsfähigkeit der Deutschen - Ich darf bei dieser Gelegenheit an die Fraktion Bundesbahn wird entscheidend vom Umfang des der GRÜNEN folgendes sagen. Ihre Position „über- weiteren Ausbaus des Schienenwegenetzes be- haupt nichts mehr" entsprechend Ihrem Entschlie- stimmt. Der Gesetzentwurf sieht daher eine rechtli- ßungsantrag ist nicht real; denn volkswirtschaftlich che und finanzielle Absicherung der Zukunftsinve- sinnvoll ist selbstverständlich da und dort auch die stitionen der Bahn vor. Entsprechend den Regelun- Busbedienung in der Fläche, weil das keine Gegen- 10560 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Haar sätze sind. Das müssen Sie sich auch von uns sagen daran erinnern, was Sie damals gesagt haben, näm- lassen. lich daß der Schwerpunkt der Verkehrspolitik Stra- (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. ßenbau sei, daß die Bürger die gleichen Chancen Schulze [Menden] [GRÜNE]) bekommen müßten und noch ein erheblicher Nach- holbedarf da sei. Das Anrecht der Beschäftigten auf Mitbestim- mung in entscheidenden Fragen ihres Unterneh- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Und Sie set mens muß endlich auch für den staatlichen Bereich zen den Blödsinn fort!) anerkannt werden. Und dies steht doch in diametralem Gegensatz zu Ich appelliere an alle Mitglieder dieses Hohen dem, was Sie uns heute weismachen wollen, näm- Hauses: Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen lich daß Sie schon immer eine ganz andere Politik suchen, die die Bahn wieder nach vorn führen! Die vertreten hätten. Eisenbahner haben in den letzten Jahren vieles mit (Daubertshäuser [SPD]: Sie haben über neuem Schwung angepackt. Dies allein vermag die haupt nicht zugehört!) Probleme jedoch nicht zu lösen. Wenn die Deutsche Bundesbahn jetzt nicht die Unterstützung durch die Meine sehr verehrten Damen und Herren, die jet- Politik erhält, sind alle Anstrengungen der Eisen- zigen Gesetzesinitiativen der SPD im Verein mit bahner auch der zurückliegenden Jahrzehnte um- den GRÜNEN für die Deutsche Bundesbahn ste- sonst gewesen. Wir müssen wissen, um was es da hen, geht. (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sind hervor (Beifall bei der SPD) ragend!) Wir müssen endlich das Schattenboxen über die lieber Herr Kollege Daubertshäuser, in schroffem Vergangenheit beenden und die nötige Entschluß- Gegensatz zum Verhalten in den 13 Jahren in der kraft für nach vorn führende Lösungen aufbringen. Regierungsverantwortung. Die Eisenbahner erwarten von uns nicht schöne (Zuruf von der SPD: Man kann auch Worte anläßlich eines runden Jubiläums, sondern schlauer werden! — Schulte [Menden] konkrete Schritte, die in die Zukunft führen. Sie [GRÜNE]: Daran kann man die wichtige werden alles in ihrer Kraft stehende unternehmen Funktion der GRÜNEN ablesen!) — davon bin ich überzeugt —, um die versprochene Renaissance der Bahn Wirklichkeit werden zu las- Sie haben die Trennungsrechnung für die Bahn ge- sen. Tragen auch wir durch unsere politischen Ent- fordert. Darüber kann man reden. Nur, wenn man scheidungen den erforderlichen Teil dazu bei. heute über Trennungsrechnung debattiert und wenn man eine sinnvolle Debatte über die Zukunft Vielen Dank. der Deutschen Bundesbahn führen will — und wir (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten wollen sie führen —, der GRÜNEN) (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Fangen Sie mal an!) Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr dann muß man zunächst eine politische Trennungs- Abgeordnete Dr. Jobst. rechnung aufmachen, in dem Sinne, was Ursachen, was Verschulden waren, die zum Niedergang der Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr Deutschen Bundesbahn geführt haben. Herr Kol- verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haar, lege Daubertshäuser, es kam doch nicht von unge- ich möchte auf Ihre Entgleisungen nicht weiter ein- fähr — dafür, daß sich der Herr Haar nicht daran gehen. Wer so reagiert wie Sie, der hat ein schlech- erinnern will, habe ich Verständnis —, daß der frü- tes Gewissen. here Erste Präsident der Deutschen Bundesbahn, (Widerspruch bei der SPD) Vaerst, bei einer Anhörung im Verkehrsausschuß und Haushaltsausschuß uns allen offenbart hatte, Ich kann mir vorstellen, nachdem Sie mehrere die Eisenbahner könnten bei dieser Situation nicht Jahre Parlamentarischer Staatssekretär in SPD mehr motiviert werden. Regierungen waren, welche Jubiläumsrede Sie heute vor dem Hintergrund der besseren Situation (Zuruf von der CDU/CSU: So war es!) der Deutschen Bundesbahn gehalten hätten. Daß Das war doch damals unter Ihrer Regierungsver Sie eine Gewerkschaftsrede halten müssen, sehe antwortung! ich Ihnen nach. Da habe ich volles Verständnis. (Zuruf von den GRÜNEN: Und Ihre Lobby (Daubertshäuser [SPD]: Dummes Zeug! politik!) Überhaupt nicht zugehört!) Die Aktivitäten, meine Herren von der SPD, kom- Aber wissen Sie, was mir gegen den Strich geht, ist men zu spät. Es wäre richtig und notwendig gewe- die Heuchelei, sen, diese Gesetzesinitiative unter Ihrer Regie- (Beifall bei der CDU/CSU) rungsverantwortung in die Tat umzusetzen. - so zu tun, als wären Sie immer so gewesen. Sie haben — das war Ihr gutes Recht und Ihre Pflicht — als Parlamentarischer Staatssekretär viele Stra- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- ßen eingeweiht. Sie waren sogar bei mir im Wahl- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten kreis, dankenswerterweise. Und Sie sollten sich Daubertshäuser? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10561

Dr. Jobst (CDU/CSU): Sofort. genüber der Bahn liegt darin, daß sie die Entwick- Die Bundesbahn könnte finanziell und leistungs- lung in Wirtschaft und Verkehr, die durch das Auto mäßig ganz anders dastehen, wenn Sie richtig und eingetreten ist, nicht begriffen hat. Handlungsbe- rechtzeitig gehandelt hätten. Der Handlungsbedarf darf war Anfang der 70er Jahre gegeben. war Anfang der 70er Jahre gegeben. Der Bundes- (Daubertshäuser [SPD]: Heute nicht?) verkehrsminister hat die Schuldenentwicklung und Die gravierendste Fehlentscheidung der SPD war die Entwicklung bei den Bundesleistungen ganz die, daß Sie die Personalreduzierung, die unter der deutlich herausgestellt. CDU/CSU bei der Bahn durchgeführt worden war, Bitte schön. gestoppt haben und daß das Personal wieder aufge- stockt worden ist. Dadurch haben Sie bei der Bahn Daubertshäuser (SPD): Herr Kollege Dr. Jobst, Milliarden verschleudert, sind Sie in der Lage, mir darzulegen, welche Initia- (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ tiven gesetzgeberischer Art Sie in Ihrer dreizehn- CSU) jährigen Oppositionszeit für die Bahn hier im Par- lament unternommen haben? die besser in Rationalisierung und Modernisierung hätten gesteckt werden sollen. Dr. Jobst (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Dau- (Daubertshäuser [SPD]: Ja, darin sind Sie bertshäuser, wir haben eine Vielzahl von Entschlie- Weltmeister! Sie rationalisieren alles weg!) ßungsanträgen eingebracht. Wenn unsere Vor- Sie von der SPD haben die Deutsche Bundesbahn schläge und Forderungen in die Tat umgesetzt wor- sehenden Auges in den Bankrott getrieben. Die den wären, hätte die Bahn schon damals minde- Bahn wurde zu einer überpersonalisierten Organi- stens so dagestanden, wie sie erfreulicherweise sation mit betriebsfremden Lasten. Und Sie haben heute dasteht. die Bahn immer als politischen Spielball benutzt! (Beifall bei der CDU/CSU) Heute erbringt die Bahn mit 280 000 Eisenbahnern Die Gesundung der Deutschen Bundesbahn ist die gleichen Leistungen wie früher mit über 400 000 das zentrale Thema, die zentrale Aufgabe der Ver- Eisenbahnern. kehrspolitik. Das Ziel der Verkehrspolitik der CDU/ Herr Abgeordneter Haar, auch Sie saßen im Ver- CSU ist eine finanziell gesunde Bahn, eine im Wett- kehrsausschuß des Deutschen Bundestages, als der bewerb leistungsfähige Bahn, eine attraktive Bahn, Vorsitzende des von Ihnen neu kreierten Vorstands, die Zukunft hat, also eine moderne Bahn, kein Aus- Herr Dr. Gohlke, uns seine neuen Vorstellungen laufbetrieb und auch keine Schrumpfbahn, meine entwickelt und auch erklärt hat, daß bei der Deut- sehr verehrten Damen und Herren. schen Bundesbahn überzählige Mitarbeiter vorhan- Wir danken dem Bundesverkehrsminister — ich den seien. Das war im Mai/Juni 1982, als Sie noch in muß hier natürlich unterstreichen: dem Bundesver- der Regierung waren, kehrsminister Dollinger — dafür, daß er sofort die (Haar [SPD]: Und jetzt haben wir 1985, Initiative ergriffen und die Sanierung der Deut- Herr Kollege!) schen Bundesbahn in die Wege geleitet hat. Die Leitlinien sind ein gutes Konzept, und wir haben und damals gab es von Ihnen keinen Widerspruch. die erfreuliche Tatsache zu verzeichnen, daß es bei Aber heute führen Sie sich hier so auf! der Bahn aufwärts geht und daß der Trend nach (Haar [SPD]: Heute haben wir 1985! - Wei unten gebrochen ist. terer Zuruf von der SPD: Unverschämt (Widerspruch bei der SPD) heit!) Dies ist sicherlich ein Erfolg der Unternehmensfüh- Die Deutsche Bundesbahn ist als unentbehrlicher rung; es ist aber auch und entscheidend ein Erfolg Verkehrsträger zu erhalten und auf Dauer zu si- der Bundesbahnpolitik, denn nur durch die politi- chern. Die durch die Mißwirtschaft sowie durch po- schen Vorgaben, durch den politischen Rückhalt, litische Fehler und Versäumnisse herbeigeführte konnten die mutigen Entscheidungen getroffen ungünstige Wirtschaftslage der Deutschen Bundes- werden. bahn darf für uns nicht Maßstab für die Leistungs- (Daubertshäuser [SPD]: Es gibt überhaupt fähigkeit des Verkehrsträgers Schiene sein. Die Ge- keinen politischen Rückhalt!) setzesanträge der SPD sind ein Zeichen ihres schlechten Gewissens. Die Vorlagen der GRÜNEN Sie, meine Herren von der SPD, haben die Eisen- kommen aus dem Reich der Utopie. Das Sanie- bahn und die Eisenbahner in all den Jahren Ihrer rungsgesetz der GRÜNEN würde eine Konservie- Regierungsverantwortung schmählich im Stich ge- rung der Deutschen Bundesbahn bedeuten, das Rad lassen. der Entwicklung würde wieder zurückgedreht wer- (Straßmeir [CDU/CSU]: So ist es!) den, und das würde der Bahn nicht helfen, sondern Heute hat die Verkehrspolitik wieder ein ganz an- sie würde noch stärker aus dem Markt geworfen werden, als es in letzter Zeit der Fall ist. Die Deut- deres Gewicht. Der Verkehrshaushalt wurde aufge- - stockt; Sie von der SPD hatten ihn laufend redu- sche Bundesbahn muß sich den gewandelten Ver- ziert. Die Bahn kann gewaltig investieren. hältnissen anpassen — nicht umgekehrt. (Berger [CDU/CSU]: Tut sie auch!) (Zuruf von der CDU/CSU: Aber sicher!) Auch das muß ich Ihnen, meine Herren von der Für uns ist die freie Wahl des Verkehrsmittels ein SPD, noch sagen: Das Hauptversagen der SPD ge- unverzichtbarer Grundsatz einer zukunftsorientier- 10562 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Jobst ten Verkehrspolitik. Der Ordnungsrahmen im Ver- Die SPD hat die Bahn bei diesen wichtigen Inve- kehr hat ja auch nicht verhindert, daß die Bahn am stitionsmaßnahmen finanziell und auch bei der Markt erheblich verloren hat. Durchsetzbarkeit im Stich gelassen. Ich erinnere an die japanischen Staatsbahnen, die seit 21 Jahren mit großem Erfolg das Shinkansem-System betrei- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- ben. Die fahren 210 km in der Stunde und sind seit statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten 21 Jahren unfallfrei. Die französischen Staatsbah- Senfft? nen fahren seit 1983 auf der Strecke Paris-Lyon mit 270 km in der Stunde. Und wie schnell fährt die Deutsche Bundesbahn? Unsere IC-Züge haben eine Dr. Jobst (CDU/CSU): Nein, meine Zeit läuft all- Durchschnittsgeschwindigkeit von 110 km in der mählich ab, und ich kann keine weiteren Zwischen- Stunde. fragen zulassen. Die Erhöhung der Geschwindigkeit ist aber auch (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) für den Güterverkehr besonders wichtig. Die Bahn Meine Herren von der SPD, zu Ihren Vorlagen muß in die Lage versetzt werden, hochwertige Gü- zum Bundesbahngesetz und zum Bundesbahnstrek- ter im Nachtsprung zwischen den Wirtschaftszen- kenausbaugesetz darf ich Ihnen nur sagen: Ge- tren zu transportieren. Ein großes Innovationspo- meinwirtschaftliche Leistungen müssen bezahlbar tential liegt bei der Bahn noch in der Automatisier- bleiben. Ich erinnere Sie nur an Ihren Änderungs- barkeit der Betriebsabläufe und in ihrer hohen Ver- antrag vom 7. September 1982, als Sie noch die Re- kehrssicherheit. gierungsverantwortung trugen. Damals haben auch Das Teilnetz der Neubau- und Ausbaustrecken, Sie gefordert, die Deutsche Bundesbahn müsse von wie es jetzt konzipiert ist, muß weiter komplettiert der Notwendigkeit zur Erstellung von Leistungen werden. Auch die ländlichen Räume dürfen nicht befreit werden, die vom Markt nicht mehr akzep- völlig vergessen werden. Auch diese Gebiete müs- tiert werden. Einverständnis! sen über Anschlußstrecken von deren Knoten aus (Zuruf von der SPD: Dann macht das an das moderne Bahnnetz angebunden werden. doch!) Wir haben in unserem Land noch eine erhebliche Der negative Trend der früheren Jahre bei der Bindung von Volkswirtschaftsvermögen in den La- Bahn ist gebrochen. Dies ist eine gewaltige Lei- gervorräten der Wirtschaft. Die Experten schätzen stung. Die Defizite konnten reduziert, die Schulden dies auf 350 Milliarden DM. Hier liegen noch Ratio- entwicklung konnte gestoppt werden. nalisierungsmöglichkeiten für unsere Volkswirt- schaft, aber auch Chancen für die Verkehrsträger, Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere für die Deutsche Bundesbahn. Die es gibt bei der Deutschen Bundesbahn noch viel zu Deutsche Bundesbahn braucht Marktnähe, Sie muß tun. Die Deutsche Bundesbahn ist in ihrer heutigen das Ohr am Markt haben. Situation, wenn die Verhältnisse unverändert blie- ben, auf Dauer unbezahlbar. Da stimme ich mit Eine wichtige Funktion hat die Deutsche Bundes- dem Kollegen Daubertshäuser überein, der festge- bahn auch in der Fläche. Der Schienenverkehr in stellt hat: Die Bahn kann sich aus eigener Kraft der Fläche muß erhalten bleiben, soweit dies struk- nicht konsolidieren. Und die enorme Verschuldung turpolitisch geboten und von dem erreichbaren Ver- bei der Bahn signalisiert den Ernst der Lage. Die kehrsaufkommen her vertretbar ist. Streckenstille - Bahn muß also weiterhin ihre Kosten senken, aber gungen hat es schon früher gegeben und werden — das ist jetzt ihre wichtige Aufgabe — auch ihre auch in Zukunft nicht zu vermeiden sein, wenn Erträge steigern. diese Strecken nicht mehr angenommen werden. Bei der Reduzierung des Personals konnten Der Antrag der GRÜNEN ist wirklichkeitsfremd. große Erfolge erreicht werden. Dies war nur mit Ich gehe davon aus, daß ihn auch die SPD nicht dem Verständnis der Eisenbahner, mit dem typi- akzeptieren kann. schen Eisenbahnergeist möglich. Dafür gebührt den Die Deutsche Bundesbahn bleibt in der Fläche Eisenbahnern, den Personalräten und auch den Ge- präsent. Sie hat ihre Aufgabe auch im öffentlichen werkschaften unser Dank. Schienenpersonennahverkehr. Dazu gibt es keine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Patentrezepte, so wie Sie meinen, daß man über unser Land hinweg ein einheitliches Konzept er- Die Zukunft der Deutschen Bundesbahn liegt im großströmigen automatisierbaren Personen- und stellen könnte. Hier ist eine realistische Politik für Güterverkehr. Die Deutsche Bundesbahn hat noch den öffentlichen Personennahverkehr erforderlich. hohe Innovationspotentiale, nämlich durch ihre ho- Es muß das nachfragegerechte Verkehrsmittel ein- hen Geschwindigkeiten, durch geringen Energie- gesetzt werden. Das kann in vielen Fällen auch der verbrauch und durch die Automatisierbarkeit bei Bus sein. hohem Sicherheitsgrad. Voraussetzung dafür ist, Ein letzter Gedanke. Zur wirtschaftlichen Stabili- daß die Neubau- und Ausbaustrecken schnellstens sierung und finanziellen Konsolidierung der Bahn - fertiggestellt werden. Dazu brauchen wir keine gibt es keine Alternative. Wir wissen, daß mit der neuen Gesetze. Darauf kann die Deutsche Bundes- Sparpolitik allein die Sanierung der Bahn nicht er- bahn nicht fahren. Wichtig ist, daß die Strecken reicht werden kann. Der Deutschen Bundesbahn gebaut werden und die Bahn ihre Systemvorteile hängen die Alt- und Fremdlasten am Bein. Dieses einsetzen kann. Problem der Entschuldung muß noch angepackt Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10563

Dr. Jobst werden. Da stimmen wir überein. Auch die Investi- leute der Fraktionen von CDU/CSU und FDP samt tionshilfen müssen mittelfristig erhöht werden. dem Verkehrsminister hier erstens mit vorbereite- Aber, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, ten Konzepten ankommen und dann zweitens nicht wir können doch nicht alle Erblasten der Bahn, die einmal den Mut haben, eine Zwischenfrage zuzulas- Sie uns hinterlassen haben, auf einmal abtragen. sen. (Zuruf von der SPD: Die Platte ist abge (Dr. Jobst [CDU/CSU]: Es kommt drauf an, spielt!) wer die Zwischenfrage stellt!) Der Ruf nach Gesetzen ist auch kein Ersatz für poli- Ich erwarte von einem Verkehrsminister — er hat tisches Handeln. Die Ausgleichsleistungen, die der genug Redezeit, Zwischenfragen zuzulassen —, daß Bund heute der Bahn leistet, sind nicht, wie der er in der Lage ist, auf Zwischenfragen einzugehen. Kollege Haar behauptet hat, gesenkt worden; sie Das kann man von einem Verkehrsminister doch betragen 1985 9,6 Milliarden DM, sind erheblich an- wohl erwarten. Es ist ein Trauerspiel, muß ich sa- gehoben worden. gen. Der Ruf nach einer Trennungsrechnung zwi- (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Jobst schen dem gemeinwirtschaftlichen Teil und dem [CDU/CSU]: Es ist ein Trauerspiel, daß es betriebswirtschaftlichen Teil bei der Bahn ist ver- Sie als GRÜNE gibt! — Hinsken [CDU/ ständlich. Nur, eine Trennungsrechnung löst die CSU]: Melden Sie sich doch im Ausschuß!) Probleme nicht. Auch wenn man Kosten trennt, Ich möchte inhaltlich auf unseren Entschlie- kann man sich von Ihnen nicht verabschieden. Eine ßungsantrag und auf die namentliche Abstimmung solche Regelung ist nur dann sinnvoll, wenn die eingehen, die, von uns beantragt, gleich folgen wird. Entschlackung von alten Fremdlasten erfolgt, denn Herr Jobst, wenn Sie sagen, wir wollten mit unse- sonst würde der Manipulation Tür und Tor geöffnet ren Vorlagen die Bahn konservieren, so ist das ganz werden. einfach falsch. Die Realität ist anders. Sie konser- Die neue Politik, das neue Selbstverständnis der vieren mit Ihrer Politik die Bahn, und das seit 30 Deutschen Bundesbahn zeigen ihre Wirkungen. Ich Jahren. Seit 30 Jahren haben Sie dieselben Fahrplä- freue mich mit den Eisenbahnern und mit der Bun- ne, wenn nicht schon gestrichen wurde, dieselben desbahnführung über diesen Erfolg. Es ist eine gute alten Fahrzeuge, die alten Lokomotiven. Sie haben Arbeit in kurzer Zeit geleistet worden. überhaupt nichts modernisiert. Sie haben die Bahn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) konserviert. Das wollen wir nicht. Wir wollen das Gegenteil. Wir wollen die Bahn modernisieren, at- Wir sagen unseren Dank und unseren Respekt der traktiver gestalten. Wir wollen Investitionen. Bundesbahnführung, den Eisenbahnern, und wir sagen unseren ganz besonderen Dank Herrn Ver- (Beifall bei den GRÜNEN) kehrsminister Dr. , Herr Hoffie, Sie sind doch auch so vom Unterneh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mergeist beseelt — er ist auch nicht mehr da —, von der die neue Politik eingeleitet und der der Bahn der freien Marktwirtschaft. Ich möchte Herrn Hof- entscheidend geholfen hat, daß sie die notwendigen fie mal fragen: Welche Firma kann es sich über- Maßnahmen hat treffen können. Und wir freuen haupt erlauben, das gleiche zu machen wie die Bun- uns, daß die Eisenbahner aus der Ecke, in der sie desbahn, nämlich 30 Jahre lang ein und dasselbe vorher gestanden haben, endlich herausgeholt wer- Angebot bereitzuhalten und keine Verbesserungen den konnten. zu bieten? Trotz Auto und Flugzeug hat die Deutsche Bun- (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen) desbahn eine Zukunft. Wir werden den Bundesver- Wenn VW heute noch dieselben Modelle verkaufte kehrsminister bei seiner erfolgreich in die Wege wie vor 30 Jahren, würde dieses Unternehmen ge- geleiteten Politik weiterhin unterstützen. nauso pleite gehen. Wo nichts investiert wird, kann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) keine Verbesserung erfolgen. Wir aber wollen Inve- stitionen, wollen Modernisierung. Jetzt wird hier gesagt: So pauschal geht das nicht, Das Wort hat der Abge- Präsident Dr. Jenninger: das ist einfach nicht möglich. Solche Argumente ordnete Senfft. kommen. Es gibt Beispiele, etwa aus dem CDU regierten Baden-Württemberg: Meckesheim-Agla- sterhausen. Es gibt das Beispiel Korntal—Weissach, Senfft (GRÜNE): Meine Damen und Herren, bevor die Bundesbahnstrecke Bonn—Euskirchen. Alles ich zur Sache komme, eine kurze Feststellung: hervorragende Ergebnisse von Modellversuchen! Oder von Köln nach Gummersbach! (Zurufe von der CDU/CSU) Das ist heute meine erste Debatte hier im Bundes- Schauen Sie sich das vorbildliche Eisenbahnnetz tag. Ich muß sagen: Ich bin schon ein bißchen be- in Dänemark an: Taktbetrieb, Stundentakt auch im troffen. - ländlichen Raum. In den Niederlanden finden Sie das gleiche. Schauen Sie sich den schweizerischen (Zuruf von der CDU/CSU: Über Sie Eisenbahnbetrieb an. Wenn Sie das einmal machen selbst?) und dann mit der Situation bei uns vergleichen, so Ich bin etwas betroffen darüber, daß die Verkehrs stellen Sie feest: Auch hier wäre es möglich. Das politiker, die schon jahrelang hier sitzen, die Ob Angebot im ländlichen Raum ist — das ergibt sich 10564 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 Senfft beim Vergleich mit den benachbarten europäischen einig: Die Bahn muß bleiben, die Bahn muß attrak- Nationen — nirgendwo so miserabel wie in der tiver gemacht werden. • Bundesrepublik. (Beifall bei den GRÜNEN) Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, nur nicht in Übereinstimmung mit dem Präsidenten, Wir haben einen enormen Nachholbedarf. denn Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich habe leider nur noch eine Minute und möchte (Heiterkeit) stellvertretend einmal zitieren. Dann wird auch schon deutlich, warum wir eine namentliche Ab- (GRÜNE): Das ist dann wahrscheinlich die stimmung wollen. Im Schreiben des CDU-Kollegen Senfft Minderheit. Volkmar Köhler an die GRÜNEN heißt es wie folgt: (Heiterkeit — Beifall bei den GRÜNEN) Ich versichere Ihnen, daß ich voll mit Ihnen Ich komme also zum letzten Satz. Ich hoffe, daß darin übereinstimme, daß Einschränkungen Sie diesem Entschließungsantrag deshalb zustim- des Leistungsangebotes im Schienenpersonen- men werden. nahverkehr der Deutschen Bundesbahn und Danke. besonders auf der Strecke Helmstedt-Schönin- (Beifall bei den GRÜNEN) gen-Wolffenbüttel verhindert werden müssen. Aus diesem Grund kämpfe ich seit mehr als zehn Jahren um den Erhalt dieser und anderer Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- Strecken. Außerdem stehe ich in dieser wichti- geordnete Kohn. gen Frage in stetem engen Kontakt mit den betroffenen Gemeinden, Landes- und Bundes- behörden, und ich werde selbstverständlich Kohn (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr- meine Bemühungen gegen Streckenstillegun- ten Damen und Herren! Nach diesem grünen Fort- gen der DB in unserem Raum energisch fort- setzungsroman kann ich nur sagen: Erwartungsge- setzen. mäß war der zweite Teil noch schwächer als der erste. Das ist ein Beispiel von vielen Beispielen quer durch alle Parteien, daß Sie den Bürgern vor Ort (Lachen bei den GRÜNEN) Versprechungen machen, die Sie in den letzten 20 Meine Damen und Herren, wenn man einmal un- Jahren nie eingelöst haben. Das wird endlich ein- befangen die Anträge der Opposition zur Entwick- mal Zeit. lung des Unternehmens Deutsche Bundesbahn (Beifall bei den GRÜNEN) liest, dann könnte man sich in eine Märchenstunde versetzt fühlen. Deshalb möchte ich meine Ausfüh- Wir verlangen heute eine namentliche Abstim- rungen eigentlich auch mit einem kleinen Märchen mung, damit die Bürger vor Ort in den Wahlkreisen beginnen. sehen, ob Sie die Versprechen einhalten, die Sie in Es war nämlich einmal ein alter, grauer und lah- den Wahlkreisen geben, ob sie die Versprechen mender Elefant, ein Arbeitselef ant. auch im entfernten Bonn einhalten. Sie wissen, die Realität in den letzten Jahren war nicht so. (Senfft [GRÜNE]: Ihr erzählt doch Mär chen genug!) Wir sind der Meinung, der Betrug am Bürger muß Der wurde eines Tages von einem verständnisvol- endlich ein Ende haben. Wenn Sie den Mut aufbrin- len Zauberer und einer mitfühlenden Werbefee in gen, in Ihren Wahlkreisen den Bürgern zu sagen: einen dynamischen jungen rosaroten Elefanten ver- Jawohl, die Strecke muß dichtgemacht werden, wandelt. Dieser Elefant machte eines Tages eine dann ist das okay. Aber so, wie Sie das zur Zeit Reise an den Rhein und kam dort in eine nicht machen, geht es nicht. Sie haben heute die Möglich- mehr ganz so kleine Stadt, wo der Hof zu tagen keit, sich irgendwie zu entscheiden. pflegt. Dort begegnete er zwei Höflingen, die gerade Ganz Deutschland ist zur Zeit für die Bahn, auch dabei waren, Blindekuh zu spielen. Sie tasteten den der Bundeskanzler. Er war ja beim Waldsterben so Elefanten ab. Der eine, der den Rüssel erwischt hat- erschrocken. Er hat folgendes ausgeführt: te, meinte, hier müsse es sich j a wohl um eine Schlange handeln, und der andere, der nun gerade Wir brauchen eine Renaissance der Bahn, denn ein Bein erwischt hatte, meinte, hier könne es sich der Schienenverkehr ist nicht von gestern, son- ja nur um einen Baum handeln. dern von morgen. Ökologisch und ökonomisch ist die Bahn so vernünftig, daß sie attraktiv Meine Damen und Herren Kollegen von der Op- gemacht werden muß. position, erkennen Sie sich in diesem Gleichnis wie- der? Jawohl, das ist genau unsere Auffassung. Endlich (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) herrscht einmal Übereinstimmung; bereinstim- mung auch mit dem Herrn Bundespräsidenten,- Ich möchte Ihnen einen Rat geben: Nehmen Sie Übereinstimmung mit allen Bundesländern, Über- Ihre ideologische Binde ab, und schauen Sie den einstimmung mit Jaumann, mit Strauß, mit Jochim- Tatsachen ins Auge, mit denen wir es bei der Deut- sen, Übereinstimmung mit allen Abgeordneten, mit schen Bundesbahn zu tun haben. allen Landräten, mit den Kreisen. Alle sind sich (Zustimmung bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10565

Kohn Die SPD-Fraktion — das will ich gerne einräumen Dafür gebührt dem Vorstand Dank, vor allem aber — hat zwar ihre Hausaufgaben gemacht, sie hat auch allen Eisenbahnern selbst. sich allerdings im Stundenplan geirrt, denn seit den (Zustimmung des Abg. Neuhausen [FDP]) Bahn-Leitlinien der Bundesregierung vom Novem- ber 1983 und seit dem Unternehmenskonzept '90 Was muß weiter getan werden? Erste Stoßrich- der Bahn steht eine marktwirtschaftlich operie- tung: Wir brauchen eine weitere Verbesserung der rende Bundesbahn auf der Tagesordnung, nicht Produktpalette der Bundesbahn. Ich kann in die- aber die Fortsetzung der Funktionärswirtschaft mit sem Zusammenhang nur mit äußerstem Befremden anderen Mitteln. Sie fordern paritätische Mitbe- zur Kenntnis nehmen, was hier von seiten der stimmung bei der Bundesbahn. Das ist — ich sage GRÜNEN zum Thema Neubaustrecken gesagt wur- das ganz deutlich — kühle, sozialdemokratisch ein- de. Wenn Sie so argumentieren, dann haben Sie gefärbte gewerkschaftliche Machtpolitik. Wenn nicht begriffen, welche strategische Bedeutung man nämlich das SPD-Modell durchrechnet, dann Neubaustrecken für die Zukunft des Unternehmens kommt klar zum Ausdruck, was Sie wollen: Sie wol- Deutsche Bundesbahn haben werden. len durch eine rechtliche Konstruktion eine satte (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ Mehrheit für ein Bündnis Gewerkschaft—SPD CSU) schaffen und damit die Unternehmensentwicklung bei der Bahn blockieren. So sichert man sich Mehr- Dann haben Sie nicht begriffen, was es bedeutet, heiten. Wir werden dabei natürlich nicht mitma- wenn sich die Fahrtzeit von Mannheim nach Stutt- chen. gart halbiert. Dann haben Sie nicht begriffen, was Die GRÜNEN — das konnte ja auch gar nicht es auch für die Motivation der Mitarbeiter dieses anders sein — haben ihre Hausaufgaben schlecht Unternehmens bedeutet, wenn — wie z. B. vor eini- gemacht. gen Tagen bei der Eröffnung der westlichen Einfüh- rung der Ried-Bahn in den Mannheimer Haupt- (Widerspruch bei den GRÜNEN) bahnhof wieder eine Zukunftsperspektive für das Sie kommen hier mit Vorschlägen aus der Tüte des Unternehmen Bahn sichtbar wird. Abc-Schützen und tun so, als seien Sie eine Ober- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das ist doch schulleitung oder — um im Bild und beim Thema zu Quatsch!) bleiben — eine Oberzugleitung. Das sind Sie aber nicht. Mit dem Konzept IC '85 ist ein guter Erfolg errun- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das ist hier gen worden, aber was unterhalb der Ebene des IC keine bildungspolitische Debatte!) Betriebs bei der Fernbahn stattfindet, ist noch nicht ausreichend. Ich denke hier vor allem an die muffe- Sie fordern — das kann man eigentlich in zwei ligen D-Züge. Ich könnte mir sehr gut ein D-Zugsy- Punkten zusammenfassen — Zwangsverschickung stem vorstellen, das an das IC-Netz anschließt und auf die Schiene und Plünderung des Bundeshaus- das ebenfalls im Takt verkehrt. Oder könnte man halts. nicht auch prüfen, ob man auf bestimmten Strecken (Neuhausen [FDP]: So ist es!) mit vereinfachten straßenbahnähnlichen Standards Auch dies ist keine Konzeption, mit der man die und Techniken fährt, ob man in Zusammenarbeit Bahn sanieren könnte. Nein, so leicht kann man es mit Privaten und Gebietskörperschaften nicht zu sich mit einem der wichtigsten Leistungsträger un- sinnvollen Konzeptionen gelangen kann? — Das, serer Volkswirtschaft wirklich nicht machen. was Sie, Herr Kollege von den GRÜNEN, vor- hin beispielhaft in bezug auf die Strecke Meckes- (Abg. Senfft [GRÜNE] meldet sich zu einer heim-Aglasterhausen angeführt haben, hat mich Zwischenfrage) besonders gefreut, weil das in meinem Wahlkreis liegt. Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- Zweite Stoßrichtung: Wir brauchen eine Verbes- statten Sie eine Zwischenfrage? serung im Rechnungswesen, eine Verbesserung im controlling, im Prüfungswesen. Wir müssen weg Kohn (FDP): Nein, vielen Dank; zweimal Kollegen von bürokratischen und hin zu unternehmensge- von den GRÜNEN, das hat gereicht. rechten Kontrollformen. Wir Liberalen haben eine ganz klare Position. Wir Dritte Stoßrichtung: Die Mitarbeiter müssen noch wollen ein Unternehmen Bahn und keine Behörde mehr Spielraum für eigenes unternehmensbezoge - Bahn. Wir wollen keine Staatsbahn, sondern eine nes Handeln bekommen. Die Eisenbahner selbst Bahn, die am Markt operiert. sind das eigentliche Leistungszentrum der Bahn. (Senfft [GRÜNE]: Nein, ihr wollt den Bus! Sie müssen in ihrer Kreativität, in ihrer Leistungs- Das müssen Sie einmal deutlich sagen!) fähigkeit gefordert werden. Ich habe in den letzten Jahren bei der Bahn sehr viel Bereitschaft dazu Auf diesem Wege sind wir ja zu ersten Erfolgen verspürt. gekommen. Das Ergebnis des Jahres 1984 war um - eine halbe Milliarde DM besser als das Ergebnis Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein des Vorjahres. Vor allem aber ist besonders wichtig: Wort zum Thema ÖPNV sagen. Wir Liberalen ha- Dieses Unternehmen hat wieder Zuversicht, Selbst- ben von dieser Stelle aus bereits mehrfach deutlich vertrauen gewonnen. Die Mitarbeiter glauben wie- gemacht, daß wir die Konzeption der Bundesregie- der an die Zukunft ihres eigenen Unternehmens. rung und der Bahn unterstützen, daß es nicht dazu 10566 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Kohn kommen darf, daß sich die Bundesbahn aus der Flä- gaben bei der Position überwiegen, vorgesehen wer- che zurückzieht. Wir sagen aber auch überall: Es den könnte. muß zu sinnvollen Konzeptionen kommen. Der ÖPNV muß auch dort, wo er schienenbezogen blei- Ein achter Punkt wäre, die Frage der Gründung ben soll, finanzierbar sein. einer regionalisierten, dezentral nach betriebswirt- schaftlichen Erfolgskriterien arbeitenden Ver- Lassen Sie mich zum Abschluß einige Überlegun- kaufsgesellschaft der Bahn zu prüfen, die alle Ver- gen anstellen, einen 10-Punkte-Vorschlag zur Dis- kaufsaktivitäten der Bahn zusammenfaßt. kussion stellen. Ein neunter Punkt wäre die Frage der Gründung Dazu zählt aus unserer Sicht — erstens — die eines Innovationszentrums Bundesbahn als Motor Überprüfung der Genehmigungsvorbehalte des der Unternehmenskonzeption, um Ideen zu sam- Bundesverkehrsministeriums mit dem möglichen meln, Ideen zu produzieren, die den betriebswirt- Endziel eines Wegfalls. schaftlichen Erfolg der Bahn verbessern, die Kun- Dazu gehört zum zweiten die Frage, ob man den denzufriedenheit und die Bindung der Kunden an Verwaltungsrat des Unternehmens umgestalten das Unternehmen festigen und auch zur Humani- kann zu einem Aufsichtsrat, analog etwa zu einer sierung der Arbeitsplätze beitragen könnten. Aktiengesellschaft. Der zehnte und letzte Punkt, den ich hier anspre- Ein dritter Punkt, den man in diesem Zusammen- chen möchte, ist die langfristig angelegte Verbesse- hang ansprechen und diskutieren müßte, wäre die rung der Kapitalstruktur — d. h. Auslagerung nicht Frage einer Präzisierung der Unternehmensziele in bahnspezifischer marktfähiger Aktivitäten, d. h. der Präambel des Bundesbahngesetzes. Dort möglicherweise auch Umwandlung des Unterneh- könnte man als Zielsetzung etwa hineinschreiben: mens in eine Holding mit GmbHs als Profitzentren Erbringung von Bürger- und kundenorientierten und Stärkung der Kapitalbasis durch Hereinnahme Verkehrsdienstleistungen zu Marktpreisen und Er- privaten Kapitals. bringung gemeinwirtschaftlich ausgerichteter Ver- Diese zehn Punkte sind Ideen, wie man die Zu- kehrsdienstleistungen bei garantierter Abgeltung kunft der Bahn auf Dauer sichern kann. Ich glaube, der Kosten nach dem Verkehrsverursacherprinzip. wir müssen aus der rein defensiven Diskussion Ein vierter Punkt ist die Idee der gesetzlichen über Schuldzuweisungen in der Vergangenheit her- Verankerung der Trennungsrechnung im Bundes- auskommen und uns einer offensiven und innovati- bahngesetz. Um hier Mißverständnissen vorzubeu- ven Politik gegenüber diesem Unternehmen zuwen- gen: Es geht nicht darum, einen Schutzzaun um die den. Bundesbahn zu errichten, sie durch rechnerische Meine Damen und Herren, die Bahn hat in einer Tricks in die schwarzen Zahlen zu bringen, sondern sehr informativen Broschüre, die kürzlich veröf- es geht darum, deutlich zu machen, wo die Kosten fentlicht wurde, einen sehr wichtigen Satz gesagt. entstehen, um ein Instrument an der Hand zu ha- Es heißt dort: „Die neue Bahn kann nicht von heute ben, diese Kosten in den Griff zu bekommen. auf morgen entstehen, doch jeden Tag kommt ein Ein fünfter Punkt, den ich gerne ansprechen Stück neue Bahn dazu." möchte, ist die Frage des Prüfungsdienstes. Ich den- ke, daß die Prüfung des Jahresabschlusses durch (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Mit Strek- eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgenom- kenstillegungen?) men werden könnte und die Regelung des Prü- Das ist das, was wir politisch unterstützen müssen. fungsrechts des Bundesrechnungshofes analog zu Wenn Sie darüber lachen, meine Herrschaften von anderen privatwirtschaftlichen Beteiligungen des der grün angestrichenen Fraktion, kann ich Ihnen Bundes gestaltet werden könnte. Vor allem ist es nur sagen: Sie haben das Problem einfach nicht aber auch sinnvoll, so denke ich jedenfalls, das begriffen, aber das wäre von bahnpolitischen Abc- Hauptprüfungsamt der Bahn abzuschaffen, da es Schützen vielleicht auch zuviel verlangt. zum Teil die gleichen Felder abprüft wie die interne Revision und der Bundesrechnungshof. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich möchte Ihnen für Ihre weitere bahnpolitische Ar- Ein sechster Punkt, den ich zur Diskussion stel- beit angesichts der Gesetzentwürfe und Entschlie- len möchte, ist die Frage der Verbesserung der Ko- ßungsanträge, die Sie vorgelegt haben, eines als stenrechnung als Grundlage für die Kontrolle des Motto mit auf den Weg geben: more pepper, less eigenverantwortlichen Managements. Eine solche paper! Konzeption mit einer Terminierung der Arbeiten an einem neuen Rechnungswesen für die Bahn und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) einer stufenweisen Umsetzung ihrer Ergebnisse Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir könnte bis Ende des Jahres 1987 erarbeitet wer- mit den Vorstellungen, die ich hier vorgetragen den. habe, einen sinnvollen Beitrag leisten, wie wir den Siebtens. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die rosaroten Elefanten auch in Zukunft auf Trab hal- Frage der privatrechtlichen Dienstverträge, d. h. die ten können. Wir Liberalen sind dazu bereit, zusam- Umgestaltung der Laufbahn des höheren Dienstes, men mit dem Vorstand, zusammen mit dem Ver- so daß in Zukunft grundsätzlich der Abschluß pri- kehrsminister und zusammen mit den Eisenbah- vatrechtlicher Verträge für den höheren Dienst nern ein zuverlässiger und sicherer Partner der oberhalb der Einstiegsebene, soweit Führungsauf- Bahn zu sein, um ihr eine Zukunft zu sichern. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10567

Kohn Vielen Dank. 1 000 Pkws in einer 10 km langen Schlange wären (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — die Folge. Schulte [blenden] [GRÜNE]: Jawohl, Herr Mit ihren Leistungen im Schienenpersonennah- blaugelber Oberlehrer!) verkehr beweist die Bundesbahn täglich aufs neue ihren hohen gemeinwirtschaftlichen und umweltpo- litischen Nutzen. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Ibrügger. Die Begrenzung der Beteiligung des Bundes über die Deutsche Bundesbahn an Verkehrsverbänden und die gleichzeitige Plafondierung der Bundesmit- Ibrügger (SPD): Herr Präsident! Meine Damen tel für die Deutsche Bundesbahn belasten diesen und Herren! Herr Kollege Kohn, Abgeordnete des gemeinwirtschaftlichen und umweltpolitischen Nut- Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen zen, der vielen Bürgern täglich zugute kommt. Was deutschen Volkes, und ich halte es für unanständig, wären die 30 000 Züge pro Tag, umgesetzt in Kfz Kollegen des Bundestages als Abc-Schützen abzu- Leistungen? Jedermann kann sich leicht vorstellen, qualifizieren. welche immensen umweltpolitischen Belastungen (Beifall bei der SPD) damit verbunden wären. Die Leitlinien der Bundes- Es ist sicherlich keine Hilfestellung für unsere Dis- regierung zur Bundesbahnpolitik geben keine Hil- kussion, wenn jemand, der eine andere Meinung festellung zur entscheidenden Verbesserung des vertritt, so tituliert wird. Schienenpersonennahverkehrs in den Ballungsge- bieten. Im Gegenteil! Das Geschachere um die In einer Broschüre las ich vor kurzem: S-Bahn in Köln war ein nur zu gutes Beispiel. Zahlen, die aufhorchen lassen: 30 000 Züge setzt die Bahn ein — pro Tag. Mit ihnen befördert sie (Sehr richtig! bei der SPD) 3 Millionen Reisende und 1 Million Tonnen Wa- Beispiel 2: der ländliche Raum. Dort bestimmen ren und Güter — auch das pro Tag. Trotz ge- Sorgen und Unruhe über beabsichtigte Strecken sunkener Marktanteile: die Deutsche Bundes- stillegungen die örtliche Diskussion. Es ist wahr, bahn ist — und bleibt — das größte Transport- der Bahnhof befindet sich heute nicht mehr im Mit- unternehmen der Bundesrepublik. telpunkt der Ortschaft des ländlichen Raumes. Die Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Siedlungsentwicklung hat sich entlang der Straßen sind Daten, die sich sehen lassen können. Sie be- vollzogen, mit unangenehmen Folgen für eine große weisen, daß Mobilität ohne die Bahn eigentlich un- Gruppe unserer Bevölkerung, die über keinen Pkw denkbar ist. Das heißt weiter: verfügen kann. Ich spreche von den Schülern und Jugendlichen, den Ehefrauen mit Kindern in den 28 000 km Schienennetz und 140 000 km Bus Arbeitnehmerfamilien, den ausländischen Mitbür- netz erschließen Stadt und Land in der Bundes- gern und vor allem den älteren Menschen, die ein republik Deutschland. Mit 14 000 Bussen reisen befriedigendes öffentliches Nahverkehrsangebot im Tag für Tag weitere 2 Millionen Fahrgäste. ländlichen Raum suchen und kaum finden. Ohne die Bahn liefe vieles schleppender — oder gar nicht. Unsere Wirtschaft kann auf eine Ich komme aus einem Kreis im äußersten Norden funktionierende moderne Bahn nicht verzich- des Landes Nordrhein-Westfalen mit rund 290 000 ten. Einwohnern. In 125 Ortschaften verläßt im Schnitt Unsere Bevölkerung, füge ich hinzu, kann auf jeder zweite Arbeitnehmer am Morgen den Wohn- eine funktionierende Deutsche Bundesbahn ebenso ort, um in einem anderen Ort die Arbeitsstelle auf- nicht verzichten. Ich betone daher ausdrücklich zusuchen, rund 90 % davon mit dem Pkw. Trotz der noch einmal die Aussage meines Kollegen Ernst im ländlichen Raum wegen der unzureichenden öf- fentlichen Nahverkehrsverbindungen überdurch- Haar: „Alle Regionen des Bundesgebietes haben ein Anrecht auf Grundversorgung mit öffentlichem schnittlich hohen Motorisierungsziffern kann dort Personenverkehr und Güterverkehr." fast die Hälfte der Bevölkerung zur Arbeitszeit nicht über ein Fahrzeug verfügen. Sie braucht ein (Beifall bei der SPD) funktionierendes öffentliches Nahverkehrsnetz. Beispiel 1 für gemeinwirtschaftliche Aufgaben Auch hier helfen die Leitlinien der Bundesregie- der Deutschen Bundesbahn: In den Ballungsgebie- rung nicht weiter. Der Schrumpfkurs verspricht ten der Bundesrepublik Deutschland, von Hamburg keine Besserung. über Bremen, das Ruhrgebiet, Rhein-Main, Rhein- Neckar und München, um nur einige herauszugrei- (Zuruf von der CDU/CSU: Andere Vor fen, leben 50 % aller Einwohner der Bundesrepublik schläge?) auf 7 % der Fläche. Diese Bevölkerungszahlen er- Wir sollten uns für die künftige Bedienung des zeugen eine enorme Verkehrsdichte in unseren ländlichen Raums im Schienenpersonenverkehr Städten. Sie führen im Kraftfahrzeugverkehr zu er- und im Güterverkehr ständig des eigentlichen Ge- heblichen Belastungen durch Lärm, Erschütterung - heimnisses des IC-Erfolges bewußt sein. Erst die und Geruchsbelästigung. Knoten mit den Umsteigemöglichkeiten gewährlei- Ein Nahverkehrszug mit einer Länge von 250 m sten das IC-Netz. Bei 3,3 Milliarden DM, die gegen- kann 1 50Ó Reisende schnell, sicher, bequem und wärtig aufgebracht werden, um die Defizite im auf raumsparendem Fahrweg befördern. Stellen Schienenpersonennahverkehr auszugleichen, sollte wir uns die gleiche Zahl der Reisenden in Pkws vor: es uns gelingen, die jetzt schon zur Verfügung ste- 10568 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Ibrügger henden Mittel in Zusammenarbeit und Kooperation gebaut werden dürfen. Die Deutsche Bundes- intelligenter zu nutzen: durch Knotenbildung, Takt- bahn hat — wie andere Verwaltungsträger verkehr und Umsteigemöglichkeiten bei Bahn und auch — gemeinwirtschaftliche Belange zu be- Bus. achten und Aufgaben in diesem Sinne zu erfül- (Beifall bei der SPD) len. Dabei ist sie besonders an das verfassungs- rechtliche Gebot zur gleichgewichtigen Ent- Das Verkehrsangebot der Deutschen Bundes- wicklung des gesamten Bundesgebietes gebun- bahn muß das Rückgrat einer Netzbedienung in der den. Nur dies rechtfertigt die Zahlungen der Fläche für den Personenverkehr und den Güterver- öffentlichen Hand an die Bahn. kehr sein. Es ist gemeinwirtschaftlich erforderlich Recht hat er, der bayerische Ministerpräsident. und zwingend für die Daseinsvorsorge in Stadt und Land. Der Bund darf sich dem aus finanzwirtschaft (Beifall bei der SPD) lichen und betriebswirtschaftlichen Gründen nicht Dies ist auch einer der Gründe für unsere Gesetzes- entziehen. initiativen. Alle Regionen des Bundesgebiets haben Herr Dollinger, ich muß Sie kurz an ein Schrei- ein Anrecht auf Grundversorgung mit öffentlichem ben des Bundesministers für Raumordnung, Bau- Personenverkehr und Güterverkehr. Gleichwertige wesen und Städtebau vom 21. Februar 1984 erin- Lebensbedingungen und ausgewogene wirtschaftli- nern. Er weist darauf hin, daß bei kommenden Ent- che Verhältnisse herzustellen ist ein zwingendes scheidungen über Streckenstillegungen möglichst Gebot des Bundesraumordnungsgesetzes, zwingend frühzeitig sorgfältig abgewogen werden müsse zwi- für den Bundestag und die Bundesregierung. schen dem Beitrag, den eine solche Maßnahme zur (Beifall bei der SPD) notwendigen Verringerung des Defizits der DB lei- sten kann, und ihren raumordnerischen und regio- Es verpflichtet die Bundesregierung, ein bedarfsge- nalwirtschaftlichen Folgen. Ein Rückzug der Bun- rechtes und leistungsfähiges Schienennetz vorzu- desbahn aus der Fläche, so fährt er fort, wird von halten. Deshalb tritt die SPD für die Ausbau- und den betroffenen Regionen häufig so verstanden, als Neubaustrecken ebenso ein wie für die Erhaltung würden sie von der Bundesregierung „abgeschrie- eines flächendeckenden Schienennetzes. Der von ben" werden. — An diesem Eindruck läßt sich dann der SPD vorgelegte Gesetzentwurf öffnet den Weg auch wirklich nichts ändern. dazu. Die Leitlinien der Bundesregierung und die Pla- Die Bundesbahn wäre hoffnungslos überfordert, fondierung der Bundesmittel dürfen nicht zu einem wenn sie in Zukunft die Anpassung des Schienen- immer schnelleren Rückzug der Schiene aus der netzes vom Vorkriegsstand an heutige Wirtschafts- Fläche führen. Dies darf nicht das Zukunftskonzept und Siedlungsgegebenheiten selber finanzieren der Deutschen Bundesbahn sein. müßte. Deswegen unsere Gesetzesinitiative. Der bayerische Ministerpräsident Strauß ist da Die „Leitlinien zur Konsolidierung der Deutschen eigentlich völlig unserer Meinung. Er schrieb im Bundesbahn" haben einen weitgehenden Rückzug Dezember 1983 in einer Philippika gegen die im der Deutschen Bundesbahn aus dem öffentlichen Entwurf befindlichen Leitlinien der Bundesbahn Personennahverkehr vor allem in der Fläche einge- dem Bundesfinanzminister Stoltenberg: leitet. Dies widerspricht dem erklärten Ziel einer Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, seiner Die Begrenzung der Beteiligung des Bundes Einbindung in den Regionalverkehr und dem An- über die Deutsche Bundesbahn an Verkehrsko- schluß an die Fernstrecken. Der Bund muß unser operationen auf die Projekte, bei welchen si- Unternehmen Deutsche Bundesbahn mit Investitio- chergestellt ist, daß die Verluste der Bahn nicht nen so ausgestalten, daß Aufgaben und Leistungen höher steigen als die Gesamtzuwendung an sie, des öffentlichen Personennahverkehrs von der erweckt angesichts der gleichzeitigen Plafon- Bahn auch voll erfüllt werden können. Wenn die dierung aller Bundeszuwendungen genau das Deutsche Bundesbahn diesen gemeinwirtschaftli- Gegenteil. Schließlich können die vielen drin- chen Auftrag auch in Zukunft gewährleisten soll, gend notwendigen Vorhaben nicht einfach zu muß die Politik der Plafondierung beendet wer- den Akten genommen werden. Die Kommunen den. werden dadurch gezwungen, das Finanzie- rungsdefizit aufzufangen. (Beifall bei der SPD) Die Zeit reicht leider nicht, um die weiteren Vor- Es folgt eine weitere bemerkenswerte Aussage schläge zur Verbesserung des öffentlichen Perso- des bayerischen Ministerpräsidenten: nennahverkehrs in der Fläche vorzutragen. Dazu wird Gelegenheit im Ausschuß sein. Aber Umden- Das Bundesbahngesetz zeigt klar, daß zum ken tut sicherlich auf allen Seiten dieses Hauses Zielkatalog der Bundesbahn auch gemeinwirt- not. Lösen wir uns vom Schema Opposition und schaftliche Aufgaben gehören. Alle Überlegun- Bundesregierung, SPD auf der einen, CDU/CSU gen sind deshalb wider das Gesetz, die davon- und FDP auf der anderen Seite, ausgehen, daß das Unternehmensziel der Bahn allein auf erwerbswirtschaftliche Leistungsan- (Schulte [blenden] [GRÜNE]: Und wo sind gebote reduziert wird und alle darüber hinaus- wir?) gehenden Aufgaben dem politischen Ermessen Bundesregierung und christlich-demokratisch re der Bundesregierung allein unterliegen und ab- gierte Länder hier, sozialdemokratisch regierte Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10569

Ibrügger Bundesländer dort. Der Bundestag kann mit der Politik mehr versucht, in die unternehmerischen Verabschiedung der Gesetzentwürfe — wenn es Entscheidungen der Bundesbahn einzugreifen, als nachher gemeinschaftliche Gesetzesanträge sind, dies unter sozialdemokratisch geführten Regierun- ist es mir um so lieber — Voraussetzungen dafür gen der Fall gewesen ist. Meine Damen und Herren, schaffen, daß die Deutsche Bundesbahn wirklich das ist eine der Ursachen der Schwierigkeiten, mit mit begründeter Zuversicht an die Schwelle des denen wir uns heute auseinanderzusetzen haben. Jahres 2000 fahren kann. Stellen wir die Weiche, die Hätten Sie sich, hätte sich u. a. der letzte Verkehrs- wir mit den bisherigen Novellierungen doch schon minister, den Sie gestellt haben und den man übri- betätigt haben, gemeinsam in die richtige Fahrt- gens bei verkehrspolitischen Debatten im Deut- richtung. Das verspricht Arbeit und Beschäftigung, schen Bundestag überhaupt nicht mehr sieht, volkswirtschaftlichen Gewinn und umweltpoliti- meine Damen und Herren — er schämt sich wohl schen Nutzen. seiner eigenen zweifelhaften Leistungen —, aus Herzlichen Dank. dieser unternehmerischen Politik herausgehalten, meine Damen und Herren, dann wäre manches bei (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Deutschen Bundesbahn anders gelaufen. der GRÜNEN) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- aller Kürze zur Verläßlichkeit politischer Aussagen geordnete Milz. zurückkommen. Wir haben heute ein Paradebei- spiel dafür, wie verläßlich Aussagen sozialdemokra- tischer Verkehrsexperten sind. Vor der Landtags- Milz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen wahl von Nordrhein-Westfalen bringt die SPD ei- und Herren! Wenn wir uns heute mit der Deutschen nen Antrag ein, in dem sie den Bau einer S-Bahn Bundesbahn und ihrer Zukunft beschäftigen, geht Strecke im Ruhrgebiet fordert. Dieser Antrag trägt das wohl nicht, ohne ein paar Takte zur Vergangen- das Datum: 9. November 1984. Wir haben uns im heit und zur Gegenwart der Bahn zu sagen. Es geht Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages mit wohl auch nicht, ohne sich mit der Verkehrspolitik diesem Antrag im November 1984 beschäftigt. Wir der Vorgängerregierungen in den letzten 13 Jahren haben den Antragstellern klargemacht, daß es sinn- und der Verkehrsminister der SPD in den letzten 16 voll sei, diesen Antrag zurückzuziehen, weil er sach- Jahren auseinanderzusetzen. lich nicht begründet ist, zurückzuziehen, meine Da- (Sehr richtig! bei den GRÜNEN) men und Herren, weil das Land Nordrhein-Westfa- Die SPD verlangt heute ein neues Gesetz, sie ver- len schon heute 44 % der Mittel zum Bau von S-Bah- langt eine Einordnung der Entwicklung der Bahn in nen bekommt und einen noch höheren Anteil nur gesetzliche Normen. Ich fühle mich fatal erinnert zu Lasten anderer Länder bekommen könnte, an das Vorhaben der SPD unter dem im übrigen (Straßmeir [CDU/CSU]: Hört! Hört!) sehr geschätzten ehemaligen Verkehrsminister Leber, der glaubte, die Probleme der Straßenbaupo- zurückzuziehen, meine Damen und Herren, weil litik dadurch lösen zu können, daß er den Leber- das Land Nordrhein-Westfalen die planerischen Plan schuf. Damals erklärte er: In zehn Jahren wird Voraussetzungen nicht geschaffen hatte, um dies niemand weiter als 15 km von der Autobahn woh- überhaupt zu verwirklichen. Die Sozialdemokraten, nen. Damit hatte er einen Erwartungshorizont er- meine Damen und Herren, waren nicht bereit, die- richtet, von dem wir schon damals gesagt haben, sem unserem gutgemeinten Rat zu folgen. daß das nicht realisierbar sei. Es wird zu beweisen Heute nun, nachdem die Wahl in Nordrhein-West- sein, daß auch das, was Sie heute sagen und tun, falen gelaufen ist, zieht die SPD den Antrag zurück. unrealistisch ist. Es ist nicht zu realisieren, weil es Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen paßte er in sich nicht an der Wirklichkeit orientiert. die Landschaft, paßte er zum grandiosen Täu- Was die Bahn heute braucht, sind zunächst ein- schungsmanöver der SPD in Nordrhein-Westfalen, mal verläßliche Aussagen der Politiker. Diese ver- (Zurufe von der SPD) läßlichen Aussagen hat die Bundesregierung durch ihre Leitlinien am Beginn der Legislaturperiode jetzt dagegen wird er zu den Akten gelegt, um ihn auch der Deutschen Bundesbahn gegeben. Wir sind eines fernen Tages wieder aus der Schublade zu dem Verkehrsminister, wir sind der Bundesregie- ziehen. Meine Damen und Herren, das sind die ver- rung dafür dankbar, daß sie der Bundesbahn eine läßlichen Aussagen der SPD zur Verkehrspolitik. im Rahmen ihrer Notwendigkeit klar formulierte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zielvorgabe gaben, um sie in die Lage zu versetzen, ihre zukünftige Entwicklung im wesentlichen auch Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Zu Franz durch eigene Entscheidungen sinnvoll gestalten zu Josef Strauß und seinen Aussagen ist nichts zu sa- können. gen; auf ihn kann man sich verlassen. Was sie als Zweites braucht, ist eine vertrauens- (Beifall des Abg. Hinsken [CDU/CSU] — volle Zusammenarbeit zwischen der Politik einer- Lachen und demonstrativer Beifall bei der SPD) seits und der Unternehmensführung der Bundes- - bahn andererseits, hier konkret dem Bundesbahn- vorstand. Zu keiner Zeit hat sich eine Bundesregie- rung weniger in die unternehmerischen Entschei- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- dungen des Bundesbahnvorstandes eingemischt, statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten als das heute der Fall ist. Zu keiner Zeit hat die Daubertshäuser? 10570 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Milz (CDU/CSU): Nein, Herr Präsident, die Zeit ist merkungen des Vorsitzenden der Gewerkschaft der dafür zu kurz. Eisenbahner Deutschlands, Ich stelle weiter fest, meine Damen und Herren: (Toetemeyer [SPD]: Ein ehrenwerter Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-West- Mann!) falen ist — u. a. — auch auf dem Hintergrund einer für die ich sehr viel Verständnis habe, gewünscht, bewußten Wählertäuschung zum Ministerpräsiden- daß unser Kollege Haar auch einmal darauf hin- ten gewählt worden. weist, daß die Investitionen der Bahn in diesem Jahr, da sie um 1,2 Milliarden höher liegen als im (Zurufe von der SPD: Pfui! — Weitere Zu Vorjahr, ca. 10 000 Arbeitsplätze sichern und neu rufe von der SPD) schaffen. Sie sichern und schaffen neu bei den Zu- Im übrigen, meine Damen und Herren: Lesen Sie lieferern und den Versorgungsbetrieben 10 000 Ar- sich einmal die verkehrspolitischen Aussagen des beitsplätze. Das heißt per Saldo: 20 000 Arbeits- Ministerpräsidenten unseres Landes durch. Sie plätze werden pro Jahr durch die Bahn gesichert werden dann feststellen, daß in der Regierungser- und neu geschaffen. klärung ganze zwei Sätze — und nicht mehr — zu Meine Damen und Herren, dies ist doch eine For- dieser von Ihnen für so wichtig erklärten Frage wie- derung, die Sie immer wieder an die Politik stellen. derzufinden sind. Wo ist hier eigentlich die Redlich- Weshalb sagen Sie, Herr Haar, dies nicht? Weshalb keit, die Sie an den Tag legen sollten und die Sie sagt dies kein Redner der SPD? von uns zu Recht verlangen? (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Weil es nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die stimmt!) Union war es und für die Union ist es eine Selbst- Hier könnten Sie einmal deutlich machen, daß es verständlichkeit, daß die Bahn ihr Angebot nicht Ihnen nicht um billige Polemik geht, sondern um nur im Ballungsraum so attraktiv wie möglich ge- das Schicksal der Eisenbahner, um das Schicksal stalten muß — wir unterstützen die Bundesregie- der Menschen, mit denen wir uns hier auseinander- rung bei diesem Vorhaben —, sondern für uns ist es zusetzen haben. auch eine Selbstverständlichkeit, die Bahn bei der (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Verwirklichung ihrer Absicht zu fördern, auch im Wir werden die Bundesregierung auf ihrem Weg ländlichen Raum ein ausreichendes Angebot an Schienenbedienung vorrätig zu halten. Ohne ein unterstützen, mögen Sie dagegenschreien, so laut es ausreichendes Angebot der Bahn, und zwar auf der geht. Schreien ersetzt das Denken nicht, meine Da- Schiene, ist der ländliche Raum nicht zu entwik- men und Herren. keln, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schulte [Menden] [GRÜNE]: Und Reden (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Dann ma nicht das Handeln!) chen Sie bitte auch eine solche Politik!)

wird den Bedürfnissen der Menschen im ländlichen Vizepräsident Stückten: Das Wort hat der Herr Ab- Raum nicht ausreichend Rechnung getragen. geordnete Bamberg. Das aber, meine Damen und Herren, ist auch die Politik der Bundesregierung, die auch im Verkehrs- Bamberg (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- ausschuß sehr unmißverständlich zum Ausdruck ehrten Damen und Herren! Ich glaube, man sollte gebracht hat, daß sie jeden Einzelfall prüft und daß sich über die vorhergehende Rede von Herrn Milz die Entscheidung erst nach gründlicher Prüfung nicht besonders aufregen. In ihr war bereits ein des Einzelfalles fällt. Nur so, meine Damen und Hauch Oppositionsdenken spürbar. Herren, kann man eine vernünftige Politik betrei- (Beifall bei der SPD) ben. Es gibt keinen Zweifel: Das Bahnmanagement ist (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]) bemüht, der Bahn ein neues, ein besseres Image nach außen zu verschaffen. Dies ist zum Teil auch Lassen Sie mich abschließend einen dritten gelungen. Hochglanzbroschüren wie z. B. jene mit Punkt erwähnen und aufzeigen, wie erfolgreich die dem Titel „Wir über uns" sind eine moderne Wer- Politik dieser Bundesregierung in einer ganz wich- bung. Es sind gute Ideen. Sie bringen die bemer- tigen Frage ist. Die Bahn braucht auch die finan- kenswerten Angebote vom Intercity im Fernver- zielle Hilfe des Bundes. Sie braucht ebenfalls die kehr über Intercargo, Partiefracht und Termin- notwendige Unterstützung bei ihren in Aussicht ge- dienst im Güterverkehr denjenigen positiv und nommenen Investitionen. Investitionen sind nicht sympathisch nahe, für die diese Angebote bestimmt nur zur Verbesserung des Angebots der Bahn von sind, nämlich dem Kunden und dem Markt Wichtigkeit; Investitionen — das wissen in der Zwi- schlechthin. schenzeit auch die Sozialdemokraten, die davon frü- Man würde der Unternehmensleitung der Bun- her nie etwas gesagt haben — sichern auch Arbeits-- plätze. desbahn nicht gerecht, wenn man diese betriebs- wirtschaftliche Leistung des dafür zuständigen Nicht staatliche Sonderprogramme, sondern sinn- Bahnvorstands nicht positiv würdigte. Das 150jäh- volle Investitionen u. a. bei der Bahn sichern diese rige Jubiläum wurde — warum auch nicht — ge- Arbeitsplätze. Ich hätte mir bei den kritischen Be- schickt eingebaut. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10571

Bamberg Aber die selbstgestellte Frage des Bahnvorstands rung nicht verhindert hat, daß der Werkverkehr verdient überdacht zu werden: Wieso — so fragt der laufend zunimmt. Eine geringfügige Steigerung sei Bahnvorstand selbst — macht die Bahn dann kei- doch, so könnte man jetzt argumentieren, 1984 er- nen Gewinn? Diese Frage aufzugreifen, und zwar kennbar gewesen. Aber die wird in Kürze wieder in nicht betriebswirtschaftlich, wie es der Verkehrsmi- Stagnation übergehen, weil die Wettbewerbsverzer- nister tut, sondern verkehrspolitisch weiterzuden- rungen zuungunsten der Bahn auch durch bestes ken, Management kaum abgebaut werden können und (Beifall bei der SPD) das Nichtfunktionieren des Marktes auf diesem Ge- biet nur politisch gelöst werden kann. eine Antwort auf die Frage zu geben zu versuchen, ob Aufwand und Erfolg sich glaubwürdig die Waage (Zustimmung bei der SPD und den GRÜ halten, ist nach meinem Verständnis die Aufgabe NEN) des Verkehrspolitikers. Nein, es gibt auch darüber keinen Zweifel, daß, (Beifall bei der SPD und bei den GRÜ wenn wir, die Politik, nicht willens oder fähig sind, NEN) die Verkehrspolitik als zentralen Teil der Gesell- schaftspolitik, alle lobbyistischen Widerstände bre- Ich stelle die weitere Frage: Ist eine Bahnsanie- chend, radikal zu ändern, unsere Städte und Land- rung, eine Straffung, auch durch Ausbau möglich? schaften unter der Blechlawine kaputtgehen wer- Wie sähe beispielsweise die betriebswirtschaftliche den. Das steht für mich außer Zweifel. Seite der Bahn aus, wenn man dieser Bahn und ihrem Management andere politische Rahmenbe- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) dingungen setzte, als man sie etwa durch die soge- Weil die Kollegen von der grünen Fraktion klat- nannten Leitlinien der Bundesregierung gesetzt schen: Dies hat nicht ein Grüner gesagt, sondern hat? Was sind das übrigens für Leitlinien, dies hat der CSU-Bürgermeister und Vorsitzende (Senfft [GRÜNE]: Die müssen weg!) des Bayerischen Städtetages von Landshut aus ge- sagt. die Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung, die Geißeln unserer Zeit, fast völlig ignorieren? (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Vielleicht wird das noch ein GRÜNER!) Bei anderen Leitlinien, meine sehr verehrten Da- men und Herren — ich denke nicht an den soge- Und Daimer fährt fort — ich möchte hören, wenn nannten Leber-Plan für die Jahre 1968 bis 1972 —, ein Sozialdemokrat gesagt hätte, was Daimer ge- war immerhin ein verkehrspolitisches Programm sagt hat, welches Lamento veranstaltet würde —: erkennbar. Im übrigen, Herr Milz, wäre der Leber- Das sich schon jetzt abzeichnende Verkehrschaos Plan selbstverständlich realisierbar gewesen, wenn sei das Ergebnis der freien Marktwirtschaft. Des- nicht die CDU/CSU ihrer Straßenverkehrslobby halb werde man ohne Lenkungsmaßnahmen nicht nachgegeben hätte. Das war doch der Grund, auskommen. Wenn diese Regierung insgesamt in warum der Leber-Plan gescheitert ist. dem Teil, in dem Sie als Fachminister, Herr Dollin- ger, zuständig sind, schon Vorschläge und Warnun- (Beifall bei der SPD) gen der SPD ignoriert, müßten Sie doch nachdenk- Ein Schritt in eine andere, richtige Richtung ist lich werden angesichts der immer massiver wer- der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, der heute be- denden Kritik gerade in der Bahnpolitik aus den handelt wird. Er gliedert sich in drei Stufen und eigenen Reihen. Der Sache wegen wünsche ich Ih- würde die Rahmenbedingungen für die Betriebs- nen einen sensiblen Machterhaltungsinstinkt, weil wirtschaft der Bahn so erweitern, daß der Vorstand in den zwei Jahren — viel länger braucht es wahr- der Deutschen Bundesbahn sein Erfolgsbemühen scheinlich nicht mehr — nicht in Personalabbau und Streckenstillegungen (Heiterkeit bei der SPD) investieren müßte, sondern wie in expandieren- den Industrieunternehmen selbstverständlich Er- sonst noch viel zuviel kaputtginge. weiterungs- und Zukunftsinvestitionen vornehmen Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der könnte. Tat, in einer Studie, die das Ifo-Institut im Auftrag (Beifall bei der SPD) wiederum des bayerischen Wirtschaftsministers er- stellt hat, wird festgestellt: Bis zum Jahre 2000 Das ist der Grund für diesen Gesetzentwurf. wächst der Individualverkehr um 33 %, nimmt der Die richtige Meßlatte für einen Erfolg der Bahn- Straßengüterfernverkehr um 70 % zu, steigt der politik kann nach meinem Dafürhalten nur die Straßengüternahverkehr um 37 % — wenn die jet- Steigerung des Anteils am Verkehrsaufkommen zige Verkehrspolitik nicht radikal geändert wird. sein. Dies ginge im übrigen auch den Innenminister (Beifall bei der SPD) an. Aber über dessen Glaubwürdigkeit brauchen wir heute nicht mehr zu streiten. Nach der Broschüre aus dem Verkehrsministerium „Verkehr in Zahlen" bleibt die Tatsache bestehen, Wenn sich Politik, zumal Bahnpolitik, meine sehr daß der Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen von - verehrten Damen und Herren, nur in der Darstel- 1981 bis 1983 gesunken ist, im Güterverkehr auf lung einer übrigens anzweifelbaren Betriebswirt- 27,9 %, im Personenverkehr auf 6,2 %. Sind das nicht schaft erschöpft und diese nicht perspektivisch kon- alarmierende Zahlen, meine sehr verehrten Damen trolliert, sich zudem dem Diktat des Finanzmini- und Herren? Hinzu kommt, daß die Bundesregie sters bedingungslos beugt und alle sachlichen Vor- 10572 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bamberg I schläge und Warnungen auch aus den eigenen Rei- dern vor allem die Leistung der Eisenbahner am hen, lenkend einzugreifen, als abzulehnenden Diri- Fahrkarten- oder am Güterschalter, als Kundenbe- gismus abqualifiziert, muß man von einem politi- rater, als Fahrdienstleiter, oder wo immer an der schen Versagen sprechen dürfen. Verkaufsfront der Bahn gearbeitet wird. Nach meinem Dafürhalten versteht kein vernünf- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) tig denkender Mensch mehr, daß bestimmte ge- Mit der derzeitigen Politik fördert man die Ar- fährliche Güter, bestimmte Massengüter um den beitsmoral nicht, weil alle wissen, daß die in den Preis einer weiter steigenden Umweltverhunzung, Leitlinien geforderte Personalreduzierung um wie- um den Preis von jährlich 11 000 Verkehrstoten wei- derum 50 000 jeden treffen kann, Leistung hin oder terhin den Gesetzen des sogenannten freien her. Aber ich sage auch dies: Unsere Kritik richtet Marktes unterworfen werden und über unsere Stra- sich nicht an den Bahnvorstand oder an einen Ver- ßen rollen dürfen, während die umweltfreundliche, antwortlichen in der Bahnbürokratie. Wenn die Ei- potentiell arbeitsplatzfördernde Bahn, das Volks- senbahner das, was man ihrer Bahn antut, und vermögen Bundesbahn, so verstümmelt und bei die- manchmal die Welt nicht mehr verstehen, sind ser Politik letztendlich auch verschleudert wird. daran nicht Gohlke & Co. — schon gar nicht ein Nein, Lenkungsmaßnahmen für die Bahn dem kleiner Eisenbahner — schuld, sondern die Schuld Menschen zuliebe sind kein Dirigismus, sondern tragen ausschließlich die verantwortlichen Politiker marktwirtschaftliche Instrumente zum Abbau von der Wende-Regierung. Das ist die Erblast, die uns Wettbewerbsvorteilen anderer Verkehrsträger. Das hinterlassen werden wird! ist eine Tatsache! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Die Alternative zur derzeitigen Bahnpolitik ist Ich füge an, daß zum Abbau dieser Wettbewerbs- heute mehrmals klar und deutlich zum Ausdruck verzerrungen schleunigst eine Schwerverkehrsge- gekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich bühr eingeführt werden muß. zum Schluß noch ein Wort sagen. Herr Milz hat — das hat mich besonders gefreut — gemeint: Auf (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Strauß kann man sich verlassen. Ich zitiere wört- Zu dieser Schwerverkehrsgebühr hat der Kollege lich Strauß, der 1983 an Finanzminister Stoltenberg Daubertshäuser ganz konkrete Vorschläge ge- folgendes geschrieben hat: macht. Es steht z. B. der betriebswirtschaftliche Erfolg Vor allem aber möchte ich von dieser Stelle aus einer umfassenden Ausdünnung des Netzes für die Mitarbeiter der Bahn, die Kolleginnen und Kol den Schienenpersonenverkehr in keinem Ver- legen, ansprechen und ihnen von hier aus öffentlich hältnis zu den dadurch ausgelösten Schäden. Dank sagen. Ihre positive Einstellung zu ihrer Ar- Schließlich räumt die Bahn selbst ein, daß die beit ist Voraussetzung dafür, daß — welches Kon- Einstellung des Personenverkehrs auf rund zept auch immer der Bahn verordnet wird — dieser 7000 km Nebenstrecke ihren gegenwärtigen große und wichtige Verkehrsträger überhaupt funk- Zuschußbedarf nur um 3 % vermindern helfen tionieren kann. würde. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!) Sie sind es, die draußen in den Regionen den oft So Franz Josef Strauß. Was in diesem Brief sonst berechtigten Unmut der Berufspendler zu spüren noch steht, habe ich in meiner letzten Rede gesagt; bekommen. es steht noch viel Schlimmeres darin. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Die große Politik hat in den meisten Fällen den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Diese Wirklich- Noch einmal, meine sehr verehrten Damen und keit steht in einem extremen Gegensatz zum Inter- Herren von der Regierung: Auch der Verkehrsmini- city-Image, weil ja bei jedem Fahrplanwechsel das ster sollte — ich würde sagen, Herr Minister, der Angebot verschlechtert wird; neuerdings heißt das: Not, nicht dem eigenen Triebe gehorchend, und hof- ausgedünnt wird. Es heißt auch, wie ich vorhin vom fentlich, Herr Milz, durch Wahlergebnisse aufge- Verkehrsminister gehört habe, nicht mehr „Strek- scheucht — seine Politik überdenken, und der Mini- kenstillegung", sondern „Straffung", und es heißt ster sollte sie nicht nur überdenken, sondern end- auch nicht mehr „Entlassung", sondern „Umschich- lich auch verkehrspolitisch handeln. Vorschläge tung". Aber die Menschen wissen, was damit ge- sind da. Auch sollten Sie, meine Damen und Her- meint ist. ren, darüber nachdenken, daß sich 289 000 Eisen- bahner ihres Stellenwertes in unserer Gesellschaft (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) sehr wohl bewußt sind. Die Masse der Berufspendler wird — vergessen (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) wir auch dies nicht — deshalb zum Individualver- kehr getrieben, weil der Ausbau des ÖPNV nicht mit der Rationalisierung in der Fläche Schritt hält. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich- geordnete Hinsken. meine das ganz ernst und auch nicht provozierend: Nicht die Hochglanzbroschüren des Vorstands und Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr auch nicht die flapsigen Sprüche der Verkaufsma- verehrten Damen und Herren! Ich höre es immer nager prägen das Bild unserer Bundesbahn, son- gerne, wenn der bayerische Ministerpräsident Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10573

Hinsken Franz Josef Strauß, der in der Bundesrepublik und Bus weiterhin zu bieten. Am Entscheidungspro- Deutschland nicht nur im Reden Spitze ist, sondern zeß werden die Länder, die Bezirksregierungen, die auch dementsprechend zu schreiben vermag, hier Landkreise und Gemeinden beteiligt. Nichts geht positiv zitiert wird. Im besonderen ist darauf hinzu- über deren Köpfe eiskalt hinweg. Das ist gut so. Der weisen, daß es auch aus meiner Sicht hervorragend Bürger darf doch nicht für die verfehlte SPD-Politik ist, daß er sich speziell um unsere Deutsche Bun- der letzten Jahre bestraft werden. desbahn so mit kümmert. Meine Damen und Herren, mir ist zur Aufgabe Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- gestellt, hier das Thema „Bundesbahn in der Flä- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten che" anzusprechen. Kollege Senfft von den GRÜ- Senfft? NEN hat vorhin den einen oder anderen Vorredner bezichtigt, am Thema vorbeigeredet zu haben. Herr Senfft, wenn ich den Antrag der GRÜNEN sehe, der Hinsken (CDU/CSU): Nein. Ich habe nur ganz we- sich mit der Stillegung der Bundesbahnstrecke nig Zeit. Mir stehen nur zehn Minuten zur Verfü- Kempten—Isny beschäftigt, und bedenke, daß Sie gung. Ich muß mich deshalb auf das Wesentliche nicht ein einziges Wort dazu sagen, dann muß ich dessen, was ich sagen möchte, beschränken. feststellen: bei Ihnen Thema verfehlt, bei uns (Zurufe von der SPD) Thema getroffen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu- — Sie haben die Möglichkeit, mit mir im Ausschuß nächst einiges allgemein bemerken. Zur Zeit steht zu reden und zu diskutieren. Wenn Sie davon nicht unbestritten fest: Unsere Bundesbahn hat allge- Gebrauch machen, sind Sie selber schuld. mein wieder Tritt gefaßt. Ihr Image ist aufpoliert. (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Sie präsentiert sich zu ihrem 150. Geburtstag her- vorragend. Vorbei sind die Zeiten, wo sie täglich im Symptomatisch für viele solcher Fälle ist die negativen Gerede stand. Bundesbahnstrecke Kempten—Isny. Die Deutsche Bundesbahn hat für diese Strecke das Verfahren Unsere Eisenbahner — das bemerke ich mit be- zur Einstellung des Gesamtbetriebs 1983 und das sonderer Freude — sind wieder stolz auf ihren Ar- Verfahren zur Umstellung des Reisezugbetriebs auf beitgeber, die Deutsche Bundesbahn. Ich sage das Busbedienung 1984 eingeleitet. deshalb mit solchem Nachdruck, weil meine Frau selber eine Eisenbahnertochter ist, wodurch ge- (Senfft [GRÜNE]: Zum viertenmal!) wisse Beziehungen zur Deutschen Bundesbahn be- Eine erneute Behandlung im Verwaltungsrat der stehen. Bundesbahn steht an. Das Reisendenaufkommen (Zurufe von den GRÜNEN) betrug zuletzt 110 Reisendenkilometer. Meine Damen und Herren, ich meine auch fest- (Senfft [GRÜNE]: Bei dem miesen Angebot stellen zu dürfen, daß der eingetauschte neue nicht verwunderlich!) Hauptlokführer, unser Bundesverkehrsminister Meine Damen und Herren, für mich ist inter- Dr. Dollinger, wieder den Dampf gibt, den unsere essant, daß gerade hier die Einstellung des Betriebs Bahn braucht. Er gibt ihr wieder Zukunft. 40 Milli- von den Gemeinden Buchenberg, Weitnau und Wig- arden DM werden allein in den nächsten sechs Jah- gensbach nicht nur verstanden, sondern auch un- ren von Bahn und Bund als Investitionssumme zur terstützt wird. Auch der Landkreis Oberallgäu Verfügung gestellt; das ist so viel wie noch nie zu- spricht sich neuerdings für einen Verzicht der Bun- vor. Die Planung der SPD-Verkehrsminister, über desbahnverbindung aus, wenn dafür die Infrastruk- 7000 km Strecken stillzulegen, ist aus dem Verkehr tur an anderer Stelle verbessert, d. h. der Bau der gezogen. Ich finde es mehr als befremdlich, Herr B 12 neu vorangetrieben wird. Diesem Verlangen Haar, daß Sie sich hier hinstellen und so tun, als sowie dem Wunsch, eine gute Busverbindung zu wenn Sie von dem nichts wüßten, obwohl Sie ein- schaffen, wird neben anderen seitens des Bundes mal selber einem Bundeskabinett mit angehört ha- nachgekommen. Muß doch auch Einsichtigkeit, die ben, und der Kahlschlagtheorie der früheren Bun- dort geboren wird, belohnt werden. desregierung unter dem früheren Bundesverkehrs- minister das Wort mitgeredet haben. Meine Damen und Herren, gestern erreichte uns Bundestagsabgeordnete eine hervorragend neu auf- (Zuruf von der SPD: Blabla!) gemachte Broschüre der Deutschen Bundesbahn. Ich meine, daß Bundesverkehrsminister Dr. Dollin- Unter dem Titel „Unentbehrliche Bundesbahn" ger richtig liegt, wenn er sagt: Es gibt diese Theorie wird hier vermerkt, daß Tag für Tag fast 5 Millio- nicht mehr; es wird individuell, von Fall zu Fall nen Fahrgäste mit der Deutschen Bundesbahn rei- geprüft; überfallartige Lösungen gibt es nicht. sen. Ob Urlauber oder Geschäftsreisende, ob Arbei- ter oder Schüler — die Bahn bringt sie alle an ihr (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Ziel, schnell, sicher, bequem und zuverlässig, heißt Selbstverständlich müßten Neukonstellationen es da. 28 000 km Schienen verbinden Stadt und Platz greifen. Weitere Bedienung durch die Deut- Land. Täglich verkehren über 20 000 Reisezüge. Es sche Bundesbahn oder eventuelle Privatisierung wird auch darauf verwiesen, daß der Personenkilo- bzw. Gründungen von GmbHs, das alles muß ge- meter bei der Bundesbahn „nur" 18,8 Pf kostet. Dar- prüft werden, um auch dem Bürger in der Fläche auf möchte ich nachher noch ganz kurz besonders eine optimale Verkehrsmöglichkeit durch Schiene eingehen. 10574 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Hinsken Ich pflichte dem in der Broschüre zitierten Pro- gleicher Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik fessor Jung bei, der gesagt hat: „Gäbe es unsere Deutschland leisten. Bahn nicht, sie müßte erfunden werden." Sechstens. Unsere Bundesbahn ist durch das Mil- Meine Damen und Herren, von der Opposition ist liarden-Investitionsprogramm in die Lage versetzt, teilweise verlangt worden, daß die Bundesbahn in auch der Fläche einen Anteil am großen Kuchen der Fläche präsent bleibt. Die vorhandenen zukommen zu lassen, um hier die Strecken mit Be- 28 000 km können aber nur gehalten werden, wenn stand schneller zu modernisieren und z. B. auch zu eben auch in finanzieller Hinsicht das Notwendige elektrifizieren. Zudem ist dies ein Beitrag zur Ver- bereitgestellt wird, um die Bundesbahn nicht in den besserung der Umwelt auch in den Flächengebie- nächsten Jahren in der Fläche auslaufen lassen zu ten. müssen. Siebentens. Unsere Bundesbahn mit unserem Einige Ansätze sind als positiv zu verzeichnen, so Verkehrsminister Dr. Dollinger, zugleich auch „Lok- die Inbetriebnahme von 120 Triebwagen, die kürz- führer" dieses Bundesbahnunternehmens, und sei- lich bestellt wurden und in Kürze geliefert werden. nem „Triebwagenchef" Dr. Gohlke werden und Ich meine aber auch, daß unser Bundesbahnvor- müssen den Schienenverkehr in der Fläche dort stand, der heute hier vertreten ist und diese Reden erhalten und modernisieren, wo es strukturpolitisch zur Lage der Bundesbahn mit anhört, richtig liegt, geboten und vom erreichbaren Verkehrsaufkom- wenn er in der Zukunft in der Fläche Zonentarife men her vertretbar erscheint. Das heißt, daß dann einführen möchte, damit auch hier eine gewisse auch der Bürger selbst mit der Fahrkarte in der Gleichheit der Lebensqualität gegenüber den Bal- Hand über Streckenverlagerungen bzw. Stillegun- lungsräumen herbeigeführt wird. Denn dort gibt es gen mitentscheidet. Zonentarife ja schon seit eh und je. Achtens. Unsere Bundesbahn darf Verlagerungen Auch eine familienfreundliche Komponente ist bzw. Stillegungen nur vornehmen, nachdem zwi- längst überfällig. Ich habe das vor kurzem an mei- schen Bund, Ländern und Kommunen jeweils im ner eigenen Geldbörse verspürt, als ich für 22 km Einzelfall die verkehrs-, sturkturpolitischen und Hin- und Rückfahrt allein für meine Frau 19,20 DM volkswirtschaftlichen Auswirkungen überprüft bezahlen mußte. Deshalb muß ich sagen: Zum Teil sind. ist das ein teurer Luxus geworden, den sich nicht (Vorsitz : Vizepräsident Westphal) jedermann leisten kann. Deshalb auch der Appell an den Vorstand, dafür zu sorgen, daß eine familien- Dies bewirkt Entscheidungen mit Augenmaß im In- freundliche Komponente möglichst bald eingeführt teresse der Betroffenen. wird. Neuntens. Unsere Bundesbahn muß baldmög- (Beifall bei der CDU/CSU) lichst die Bürger darüber informieren, welche Strecken in der Fläche aufrechterhalten werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- Eventuelle Beschlüsse, Verlagerungen betreffend, schließend feststellen, wie ich mir die Deutsche sind bald zu fassen, damit der Bürger draußen Klar- Bundesbahn in der Fläche vorstelle. heit hat. Erstens. Unsere Bundesbahn muß auch in der Zehntens und somit letzter Punkt. Unsere Bun- Fläche erhalten bleiben und attraktiver werden. desbahn muß sich zum Gebot machen, sich nicht an Ökonomische Kriterien dürfen nicht allein den Aus- einer kurzfristigen Sparpolitik zu orientieren, son- schlag geben, wenn die Funktionsfähigkeit der dern auch in der Fläche langfristig zu investieren, Bundesbahn auf eine solche Basis gestellt wird. um den Bürger und die Wirtschaft vor Standort- Zweitens. Unsere Bundesbahn muß ihre heutige nachteilen zu bewahren. Leistungskraft als Richtschnur nehmen, um den auf Lassen Sie mich deshalb zusammenfassend fest- Grund mangelnder „Triebwagenpflege" in der Ver- stellen: Die Deutsche Bundesbahn muß im Schie- gangenheit entstandenen „Rost" zu beheben. Das nenpersonennahverkehr auch künftig an attrakti- eröffnet neue Marktchancen auch in der Fläche. veren und zugleich kostengünstigeren Angeboten Drittens. Unsere Bundesbahn muß auch in der arbeiten. Es ist dann keine Frage, daß betriebswirt- Fläche das Zonentarifsystem ähnlich wie in den schaftliche Notwendigkeiten der Bahn und die For- Ballungsgebieten einführen. Darüber hinaus will derungen des Gemeinwohls in Einklang zu bringen auch die Fläche rosarot sehen. Das heißt, rosarote sind. Dies ist der richtige Weg. Er weist auch in der Programme sollten auch im Schienennahverkehr Fläche in die Zukunft. Ich setze und verlasse mich eingeführt werden und damit eine attraktive Kon- auf unseren bewährten Verkehrsminister Dr. Dol- kurrenz zur Straße darstellen. linger und auf den Vorstand der Deutschen Bundes- bahn. Viertens. Unsere Bundesbahn muß sich eine noch Herzlichen Dank. effizientere Organisationsform geben und flexibel und offensiv die Herausforderungen in der Fläche (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) anpacken. Fünftens. Unsere Bundesbahn darf im Interesse Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- der Flächenregionen die Zielvorgaben des Zonen- ren, es war nicht gerade sehr kollegial, wie viele von randförderungsgesetzes und Raumordnungsgeset - Ihnen den Kollegen Hinsken bei seiner Rede be- zes nicht unterlaufen. Dabei kann unsere Bundes- handelt haben. Er hat einen Anspruch darauf, ge- bahn einen hervorragenden Beitrag zur Schaffung nausogut angehört zu werden wie andere, auch und Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10575

Vizepräsident Westphal gerade von den Kollegen, die erst jetzt in unseren wieder zurückgewinnen. Im Zuge der Förderung Saal kommen. des kombinierten Verkehrs wird es möglich, die Schiene an dem auch in Zukunft noch wachsenden (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Güterverkehr zu beteiligen und damit vor allem im der CDU/CSU) Transitverkehr durch unser Land zu erheblichen Ich wäre dankbar, wenn auch ich ein bißchen Entlastungen zu kommen. Aufmerksamkeit von Ihnen erfahren könnte. Ich möchte deutlich machen, daß wir mit der Ver- Ich möchte Ihnen, bevor ich dem nächsten Red- abschiedung der Leitlinien zur Konsolidierung der ner das Wort erteile, mitteilen, daß auf der Diploma- Deutschen Bundesbahn zum erstenmal ein wirksa- tentribüne eine Delegation des Ausschusses für mes Konzept vorgelegt haben, das es ermöglicht Verteidigung und nationale Sicherheit des ägypti- hat, die Talfahrt der Deutschen Bundesbahn zu schen Parlaments Platz genommen hat. bremsen und statt dessen von Jahr zu Jahr mehr (Beifall) Fahrtwind in das Transportgeschäft der deutschen Die Delegation steht unter der Leitung von Herrn Bundesbahn zu bringen. Kamal Henry Badir. Wir freuen uns sehr, daß Sie Der jährliche Verlust der deutschen Bundesbahn uns besuchen, und wünschen Ihnen einen guten sank von 4,15 Milliarden DM im Jahre 1982 auf 3,7 Aufenthalt in der Bundesrepublik. Milliarden DM im Jahre 1983 und nunmehr auf 3,12 (Beifall) Milliarden DM im Jahre 1984. Meine Damen und Herren, das ist ein Rückgang um 1 Milliarde DM Das Wort als letzter Redner in dieser Debatte hat innerhalb von nur drei Jahren Unionspolitik. Das nun der Abgeordnete Bohlsen. ist ein Erfolg. Ich wäre dankbar, wenn ich nicht zwischendurch (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf wieder unterbrechen müßte, um an das Recht des von der SPD: Das ist Quatsch!) Redners auf Gehör zu erinnern. Erstmals stagnierte der Schuldenstand. Er konnte 1984 um 80 Millionen DM zurückgeführt werden, Bohlsen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- wobei der Fehlbetrag der Deutschen Bundesbahn men und Herren! In dieser Debatte hat Ernst Haar sogar um 500 Millionen DM geringer war als im in seinem Redebeitrag den Satz formuliert: Den Vorjahr. Der gewaltige Ballast der Personalkosten künftigen Problemen müssen wir uns heute stellen. wurde unter Ausnutzung der natürlichen Abgänge — Ganz genau diese Politik versuchen wir zu be- bei strafferer Organisation um 300 Millionen DM treiben. Nur, Herr Kollege Haar, ich frage Sie: Ha- reduziert. ben Sie in der Zeit Ihrer Verantwortung diese Poli- Im Mittelpunkt unserer Deutschen Bundesbahn tik so auf die Zukunft ausgerichtet, wie Sie es heute steht der Mensch. Darum sollten wir an dieser von uns fordern? Das wäre die Frage. Stelle einen Dank an die Mitarbeiter der Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Bundesbahn aussprechen, die Verständnis für die der SPD) Umplanungen aufbrachten. So mußten in diesem Meine Damen und Herren, zwischen zwei wichti- Umstellungsprozeß vom Personal unter anderem gen Verkehrsträgern, zwischen Flugzeug und Stra- Versetzungen, artfremde Verwendung, längere ße, wird die Bahn zu einem neuen Selbstverständ- Fahrtzeiten, längere Fahrwege hingenommen wer- nis finden. Ich sage daher: Die Schiene hat Zukunft. den, galt es doch, einem erheblichen Personalüber- Zurückgehende Jahresverluste, eine straffere Orga- hang weiterhin Beschäftigung zu geben. Aber — nisation und die Senkung der Personalkosten zei- meine Damen und Herren, das versichere ich Ihnen gen entscheidende Wirkungen, die die Talfahrt der — am Ende dieser Sanierung stehen sichere Ar- Bahn beenden und eine Trendumkehr — dies sage beitsplätze. ich sehr deutlich — eingeleitet haben. Die Bahn (Zustimmung bei der CDU/CSU) wird moderner, sie wird schneller, sie wird zuverläs- siger, sie wird pünktlicher und sie wird kunden- Die von der Bundesregierung geforderte Unterneh- orientierter. mensstrategie bis 1990 basiert auf zwei Säulen. Die interne Strategie der DB zielt auf Realisierung ih- Die Realisierung der Neu- und Ausbaustrecken, res Marktanspruches durch verbesserte Marktfä- die Einführung der Drehstromlokomotive, die Ein- higkeit der Produkte, durch dementsprechende Ab- führung des Einmanntriebwagens, die Einführung satzpolitik, durch Produktivitätssteigerung, durch des Hochgeschwindigkeitszuges ICE, der noch in Kapazitätsanpassung und durch zukunftsorien- diesem Jahr in Erprobung geht, sowie neue Service- tierte Investitionen. Die externe Unterstützung lei- und Betreuungsangebote sind unerläßlich, wenn die stet der Bund durch Finanzierung des Streckenaus- Bahn im Wettbewerb der Verkehrsträger mithalten baues, durch Beiträge zur Entschuldung sowie will. Mit Geschwindigkeiten von 250 Stundenkilo- durch politische Rückendeckung. metern auf den Neu- und Ausbaustrecken Anfang der 90er Jahre läßt sich die Reisezeit zwischen Han- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch nover und Würzburg fast um die Hälfte verkürzen. noch auf ein Angebot eingehen, das die DB neu Die spezifischen Vorteile der Bahn liegen eindeutig anbietet. Das Intercargo-Angebot hat auf dem Ver- auf langen Strecken. Sowohl im grenzüberschrei- kehrsmarkt die Wende wieder hin zu steigenden tenden Personen- wie im grenzüberschreitenden Anteilen der Bahn am Gütertransportaufkommen Güterverkehr muß die Bahn verlorenes Terrain insgesamt gebracht. Zwischen den bedeutenden 10576 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bohlsen Wirtschaftszentren der Bundesrepublik verkehren vestitionen im Schienennetz die Investitionen im von Montag bis Freitag Nacht für Nacht laufüber- Straßenbau deutlich übertreffen werden. Nachdem wachte Güterzüge mit Vorrang vor anderen Zügen die Bahn bis heute zum Teil noch auf einem Schie- mit höchstzulässiger Geschwindigkeit, um gleich- nennetz aus dem vergangenen Jahrhundert fahren sam als eine Art verlängertes Fließband am näch- muß, ist dies eine Wende in den Verkehrsinvestitio- sten Morgen Materialien zuzustellen. Für 1985 rech- nen. net die Bundesbahn bereits mit rund 400 000 Wagen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — in der Intercargo-Beförderung. Senfft [GRÜNE]: O Gott, o Gott, o Gott!) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Wir haben die Verhältnisse umgedreht, Ich möchte feststellen: Schon nach kurzer Anlauf- (Lachen bei den GRÜNEN) phase läßt sich sagen, daß das neue Angebot pro- duktionstechnisch sauber geplant war und rei- weil wir eine moderne, eine attraktive und eine kon- bungslos durchführbar ist. Die zu sammelnden Er- kurrenzfähige Bahn wollen und brauchen. Daher fahrungen werden der Deutschen Bundesbahn die werden wir — die Lampe hier auf dem Rednerpult Grundlagen für eine Weiterentwicklung liefern. Das leuchtet — Spektrum der Möglichkeiten für Leistungsverbes- (Daubertshäuser [SPD]: Das ist das einzi serungen ist vielfältig. ge, was leuchtet!) Meine Vorredner — der Kolleger Hinsken, insbe- den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Denn, meine sondere aber auch Minister Dollinger — haben dar- Damen und Herren: Die Schiene hat Zukunft. auf hingewiesen, daß wir mit einer Neuanschaffung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) von 120 Leichttriebwagen der Klasse VT 628 rech- nen dürfen. Heute kam der Zusatz des Ministers, daß diese Zahl gegebenenfalls noch um 30 aufge- stockt wird. Für 1986 ist eine Anschaffung von zu- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- nächst 18 Stück geplant; danach werden pro Jahr ren, weitere Wortmeldungen zu dieser Debatte lie- weitere 36 Stück angeschafft. Der Einsatz dieser gen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Leichttriebwagen erfolgt ab 1986 in fünf Regionen. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Nur noch ein Wort zum Ordnungsrahmen, und mung über den Punkt 2 a der Tagesordnung, den zwar auch deswegen, weil meine Region davon be- von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- troffen ist. Wir wissen um den Ordnungsrahmen wurf eines Bundesbahnsanierungsgesetzes auf und die Möglichkeiten, die ihm gegeben sind. Wir Drucksache 10/808. Der Ausschuß empfiehlt, diesen wissen aber auch von der Möglichkeit der Deut- Gesetzentwurf abzulehnen. schen Bundesbahn, Güterverkehr zum Ausnahme- Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Über- tarif anzubieten. Seit dem 1. April — das ist das Bei- schrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zu- spiel aus meiner Region — werden über den Seeha- zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- fen Emden 800 000 Tonnen Eisenerz importiert und chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — in Ganzzügen mit 48stündigem Umlauf nach Dillin- Dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit gen an der Saar transportiert. Es handelt sich hier- großer Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach bei — das sei festgehalten — um eine Verlagerung § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere des Transports von Dünkirchen zu uns. Beratung. Diese Verkehrsverlagerungen sind zu begrüßen, Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- tragen sie doch zur Belebung des Emder Seehafens schließungsantrag des Abgeordneten Senfft und und zur Steigerung des Schienenverkehrs der Deut- der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache schen Bundesbahn bei. 10/3457. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Fraktion der GRÜ- Meine Damen und Herren, bei der Erweiterung NEN hat nach § 52 der Geschäftsordnung die na- des Angebots der Deutschen Bundesbahn dürfen mentliche Abstimmung verlangt. Wer dem Ent- wir nicht verkennen, daß auch Ausweitungen im IC schließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte Betrieb geschehen sind. Ich erinnere nur an die ich um die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dage- Strecke Bremen—Oldenburg, die mit Beginn des genzustimmen wünscht oder sich der Stimme ent- Sommerfahrplans jetzt eingerichtet wird. halten will, die entsprechende Karte in eine der auf- gestellten Urnen zu legen. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!) Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Lassen Sie mich abschließend feststellen, meine Ich nutze die Gelegenheit, Sie darauf aufmerk- Damen und Herren: Die Bahn rollt wieder dem Er- sam zu machen, daß es anschließend zu diesen Ta- folg entgegen. gesordnungspunkten, die wir jetzt beraten haben, (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei weitere Abstimmungen geben wird. der SPD und bei den GRÜNEN) - Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied Ein im November 1983 erfolgreich beschrittener des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht ab- Weg der Deutschen Bundesbahn kann erfolgreich gegeben hat und dies zu tun wünscht? — Ich stelle fortgesetzt werden. Der Entwurf eines neuen Bun- fest, daß kein Mitglied des Hauses mehr an der desverkehrswegeplans macht deutlich, daß die In Abstimmung teilzunehmen wünscht. Ich schließe Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10577

Vizepräsident Westphal die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Schmidt Hauser (Esslingen) Auszählung zu beginnen. (Hamburg-Neustadt) Hedrich Schulte (Menden) Freiherr Heereman Senfft von Zuydtwyck Wir können wohl die Zwischenzeit nutzen. Ich Ströbele Frau Dr. Hellwig erteile dem Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil Suhr Helmrich das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Ge- Tischer Dr. Hennig Vogel (München) schäftsordnung. Ich bitte um Aufmerksamkeit. Herkenrath Frau Wagner Hinrichs Werner (Dierstorf) Hinsken Frau Zeitler Höffkes Höpfinger Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr Präsi- fraktionslos Frau Hoffmann (Soltau) dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da Dr. Hornhues der Kollege Jäger (Wangen) und ich seit Jahren um Bastian Hornung den Erhalt der ländlichen Bahnstrecken, besonders Frau Hürland Dr. Hüsch des Isny-Bähnle, um das es heute ja auch gegangen Graf Huyn ist, kämpfen, muß ich eine Erklärung dafür abge- Nein Jäger (Wangen) ben, warum ich nicht dem an sich vernünftigen Vor- Jagoda Dr. Jahn (Münster) schlag zustimme, einen absoluten Stillegungsstopp CDU/CSU Dr. Jenninger durchzuführen. Die Stadt Isny droht im Moment im Dr. Abelein Dr. Jobst Verkehr völlig zu ersticken. Das hat die verheerend- Frau Augustin Jung (Lörrach) sten Auswirkungen auf die Bürger der Stadt Isny. Dr. Barzel Kalisch Es sind im Augenblick Bemühungen im Gange, Bayha Dr.-Ing. Kansy Dr. Becker (Frankfurt) Frau Karwatzki durch eine ortsnahe Umgehung von Isny diese Ent- Berger Keller lastung raschestmöglich in die 1. Dringlichkeit im Frau Berger (Berlin) Kittelmann Zuge der B 12 zu bekommen. Möglicherweise wird Biehle Klein (München) man dafür Stücke der Bahntrasse Isny-Kempten Dr. Blank Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. Blüm Kolb brauchen, die ja de facto im Moment stillgelegt ist Böhm (Melsungen) Kraus — da fährt also überhaupt kein Zug mehr —. Wenn Dr. Bötsch Dr. Kreile diese Notwendigkeit eintritt, liegt nach meiner Mei- Bohl Krey nung die Priorität absolut bei der Verkehrsentla- Bohlsen Kroll-Schlüter Borchert Frau Krone-Appuhn stung von Isny. Allerdings braucht man dabei nicht Boroffka Dr. Kronenberg auf die Bahnanbindung zu verzichten; denn es gäbe Braun Dr. Kunz (Weiden) die Möglichkeit, die Strecke Leutkirch-Isny wieder- Breuer Lamers zubeleben. An diesem Beispiel sehen Sie, daß man Brunner Dr. Lammert Bühler (Bruchsal) Landré im Einzelfall doch eine Ausnahme braucht. Deshalb Dr. Bugl Dr. Langner habe ich dagegen gestimmt. Buschbom Lattmann Carstens (Emstek) Dr. Laufs Carstensen (Nordstrand) Link (Diepholz) Clemens Link (Frankfurt) Vizepräsident Westphal: Wir warten, bis das Er- Conrad (Riegelsberg) Linsmeier gebnis vorgelegt wird. — Dr. Czaja Lintner Dr. Daniels Dr. Lippold Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen das Daweke Löher Frau Dempwolf Lohmann (Lüdenscheid) von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der na- Deres Dr. h. c. Lorenz mentlichen Abstimmung über den Entschließungs- Dolata Louven antrag des Abgeordneten Senfft und der Fraktion Dr. Dollinger Lowack DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3457 mit. Abgege- Doss Maaß Dr. Dregger Frau Männle ben wurden 437 Stimmen. Davon war keine Stimme Echternach Magin ungültig. Mit Ja haben gestimmt 24 Abgeordnete, Ehrbar Marschewski mit Nein 413. Es hat keine Enthaltung gegeben. Eigen Dr. Mertes (Gerolstein) Engelsberger Metz Erhard Dr. Meyer zu Bentrup (Bad Schwalbach) Michels Dr. Faltlhauser Milz Feilcke Dr. Möller Endgültiges Ergebnis Fellner Dr. Müller Frau Abgegebene Stimmen 437; davon Fischer Müller (Remscheid) Fischer (Hamburg) Müller (Wesseling) Frau Dr. ja: 24 Francke (Hamburg) Neumeister Dr. Friedmann Niegel nein: 413 Ganz (St. Wendel) Dr.-Ing. Oldenstädt Frau Geiger Dr. Olderog Dr. von Geldern Pesch Ja Frau Eid Dr. George Petersen Frau Hönes Gerlach (Obernau) Pfeffermann Horacek Gerstein Pfeifer DIE GRÜNEN Kleinert (Marburg) Gerster (Mainz) Pöppl Lange Dr. Götz Pohlmann Auhagen Mann Götzer Dr. Pohlmeier Frau Borgmann Dr. Müller (Bremen) Günther Dr. Probst Bueb Dr. Schierholz von Hammerstein Rawe Frau Dann Schily Hanz (Dahlen) Reddemann 10578 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vizepräsident Westphal Repnik SPD Lutz Dr. Vogel Dr. Riedl (München) Frau Luuk Vogelsang Dr. Riesenhuber Amling Frau Dr. Martiny-Glotz Voigt (Frankfurt) Rode (Wietzen) Antretter Frau Matthäus-Maier Vosen Frau Rönsch Bachmaier Matthöfer Waltemathe Frau Roitzsch Bahr Meininghaus Walther (Quickborn) Bamberg Menzel Wartenberg Dr. Rose Becker (Nienberge) Dr. Mertens (Bottrop) Weinhofer Rossmanith Bernrath Müller (Düsseldorf) Weisskirchen (Wiesloch) Roth (Gießen) Berschkeit Müller (Schweinfurt) Dr. Wernitz Rühe Frau Blunck Dr. Müller-Emmert Westphal Ruf Brandt Müntefering Frau Weyel Sauer (Salzgitter) Brück Nagel Dr. Wieczorek Sauer (Stuttgart) Buckpesch Nehm Wieczorek (Duisburg) Saurin Büchler (Hof) Neumann (Bramsche) Wiefel Sauter (Epfendorf) Dr. von Bülow Dr. Nöbel von der Wiesche Sauter (Ichenhausen) Buschfort Oostergetelo Wimmer (Neuötting) Dr. Schäuble Catenhusen Paterna Wischnewski Schartz (Trier) Collet Pauli Witek Schemken Conradi Dr. Penner Dr. de With Scheu Curdt Peter (Kassel) Wolfram Schlottmann Frau Dr. Däubler-Gmelin Pfuhl (Recklinghausen) Schmidbauer Daubertshäuser Porzner Würtz Schmitz (Baesweiler) Delorme Poß Zander von Schmude Dr. Diederich (Berlin) Purps Schneider Dreßler Ranker (Idar-Oberstein) Duve Reimann FDP Freiherr von Schorlemer Dr. Ehmke (Bonn) Reschke Schreiber Dr. Ehrenberg Reuter Frau Dr. Adam Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Emmerlich Rohde (Hannover) Schwaetzer Schulhoff Esters Roth Baum Dr. Schulte Fiebig Sander Beckmann (Schwäbisch Gmünd) Fischer (Homburg) Schäfer (Offenburg) Bredehorn Schulze (Berlin) Fischer (Osthofen) Schanz Eimer (Fürth) Schwarz Frau Fuchs (Köln) Dr. Scheer Dr. Feldmann Dr. Schwarz-Schilling Frau Fuchs (Verl) Schlaga Gallus Dr. Schwörer Gansel Frau Schmedt . Gattermann Seehofer Gerstl (Passau) (Lengerich) Genscher Seesing Gilges Dr. Schmidt (Gellersen) Grünbeck Seiters Glombig Schmidt (München) Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Freiherr . Grunenberg Schmitt (Wiesbaden) Dr. Haussmann Spies von Büllesheim Dr. Haack Dr. Schmude Dr. Hirsch Spilker Haar Dr. Schöfberger Hoffie Spranger Haase (Fürth) Schreiner Hoppe Dr. Sprung Haehser Schulte (Unna) Kleinert (Hannover) Dr. Stark (Nürtingen) Hansen (Hamburg) Dr. Schwenk (Stade) Kohn Dr. Stavenhagen Frau Dr. Hartenstein Sieler Dr.-Ing. Laermann Dr. Stercken Dr. Hauchler Frau Dr. Skarpelis-Sperk Mischnick Stockhausen Dr. Hauff Dr. Soell Möllemann Stommel Heimann Dr. Sperling Neuhausen Straßmeir Heistermann Dr. Spöri Paintner Strube Herterich Steiner Ronneburger Stücklen Hettling Frau Steinhauer Dr. Rumpf Stutzer Heyenn Stiegler Schäfer (Mainz) Susset Dr. Holtz Stobbe Frau Seiler-Albring Dr. Todenhöfer Horn Stockleben Dr. Solms Uldall Frau Huber Dr. Struck Dr. Weng (Gerlingen) Dr. Unland Huonker Tietjen Wolfgramm (Göttingen) Frau Verhülsdonk Ibrügger Frau Dr. Timm Vogel (Ennepetal) Immer (Altenkirchen) Toetemeyer Dr. Voigt (Northeim) Jahn (Marburg) Frau Traupe fraktionslos Dr. Voss Jansen Urbaniak Dr. Waffenschmidt Dr. Jens Verheugen Voigt (Sonthofen) Graf von Waldburg-Zeil Jung (Düsseldorf) Dr. Warrikoff Junghans Dr. von Wartenberg Jungmann Weiß Kastning Werner (Ulm) Kiehm Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Frau Dr. Wex Kirschner Frau Will-Feld Kisslinger Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Frak- Wilz Klein (Dieburg) tion der SPD auf Drucksache 10/3467 zur Abstim- Wimmer (Neuss) Dr. Klejdzinski mung auf. Windelen Klose Frau Dr. Wisniewski Kolbow (Unruhe) Wissmann Dr. Kübler Dr. Wittmann Kühbacher — Ich bitte auch die Kollegen um Aufmerksamkeit, Wittmann (Tännesberg) Lennartz - die gerade ins Gespräch vertieft sind, das jetzt aber Dr. Wörner Leonhart nicht sein sollten. Würzbach Frau Dr. Lepsius Dr. Wulff Liedtke Zierer Löffler Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache Zink Lohmann (Witten) 10/3467 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10579

Vizepräsident Westphal Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr Dann ist dieser Entschließungsantrag einstimmig geehrten Damen und Herren! Die Ihnen vorlie- angenommen worden. gende Drucksache 10/3422 faßt zwei Gesetzent- würfe zusammen, die unterschiedlichen Ursprungs Zu den Tagesordnungspunkten 2 b bis 2 e und zu sind, die aber beide das Beamtenversorgungsgesetz den Zusatzpunkten 2 und 3 wird Überweisung der betreffen. Wir haben sie deshalb im Innenausschuß Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten miteinander verbunden. Zur Novellierung des § 55 Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderwei- des Beamtenversorgungsgesetzes, die wir von tige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind CDU/CSU und FDP initiiert haben, wird für meine die Überweisungen so beschlossen. Fraktion der Kollege Dr. Olderog vortragen. Ich erläutere Ihnen die Änderungen einer schein- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ta- bar zwar unbedeutenden Bestimmung, des § 5 des gesordnungspunkt 2 g, und zwar über die Beschluß- Beamtenversorgungsgesetzes, die aber für die akti- empfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem ven Beamten und viele Versorgungsempfänger er- Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. hebliche Auswirkungen hat. Ich erwähne an dieser Stelle, daß unsere Kollegen Werner Broll und Otto Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/2271, Regenspurger, die leider gehindert sind, heute zu den Entschließungsantrag abzulehnen. Wer dieser Ihnen zu sprechen, für die Fraktion der CDU/CSU Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den maßgeblichen Anteil an dieser Gesetzesarbeit ha- bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dage- ben. Ich möchte diesen Kollegen für ihre engagierte gen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschluß- Arbeit sehr herzlich danken. empfehlung des Ausschusses mit Mehrheit ange- Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß nommen. vom 7. Juli 1982 festgestellt, daß Teile des § 5 des Beamtenversorgungsgesetzes, die zu ungerechtfer- tigten Differenzierungen führen, ohne daß sachlich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: einleuchtende Gründe dafür bestehen, mit Art. 3 Zweite und dritte Beratung des Entwurfs ei- Abs. 1 GG unvereinbar sind. Dabei handelt es sich nes ... Gesetzes zur Änderung dienstrechtli- um Ausnahmen von dem Grundsatz, daß die Dienst- cher Vorschriften bezüge des letzten Amtes nur ruhegehaltfähig sind, wenn der Beamte sie mindestens zwei Jahre lang — Drucksachen 10/2114, 10/2970 — erhalten hat. Diese Ausnahmen galten für den Fall, daß ein Beamter vor Ablauf dieser Frist verstarb a) Beschlußempfehlung und Bericht des In- oder wegen einer nicht durch seinen Dienst beding- nenausschusses (4. Ausschuß) ten Dienstunfähigkeit den Dienst vorzeitig quittie- — Drucksache 10/3422 — ren mußte. Berichterstatter: Wir hatten mehrere Möglichkeiten, die vom Bun- Abgeordnete Bernrath desverfassungsgericht verlangte Gleichbehandlung Regenspurger herzustellen. Wir haben uns entschieden, den direk- Dr. Hirsch ten Weg zu wählen, d. h.: Die Zweijahresfrist bleibt bestehen, die vom Bundesverfassungsgericht ange- b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. griffenen Ausnahmen werden gestrichen. Diese Re- Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsord- gelung gilt entsprechend auch für die Versorgung nung der Soldaten. — Drucksache 10/3450 — Wir haben die Gelegenheit der Novellierung des Berichterstatter: § 5 des Beamtenversorgungsgesetzes aber auch ge- Abgeordnete Kühbacher nutzt, eine von Bund und Ländern bisher unter- Dr. Müller (Bremen) schiedlich interpretierte Bestimmung in einem für Gerster (Mainz) alle Beamten positiven Sinne neu zu fassen. Künf- Frau Seiler-Albring tig ist völlig klar, daß ein Beamter die Versorgung aus seinem letzten höheren Amt auch dann erhält, (Erste Beratung 94., 132. Sitzung) wenn er zwar nicht schon zwei Jahre vorher beför- dert worden ist, aber seine höherwertige Funktion Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind zwei Jahre lang ausgeübt hat. Wir, die Koalitions- für die Aussprache zwei Beiträge bis zu je fünf fraktionen von CDU/CSU und FDP, halten es für Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — gerecht, auch die Versorgung eines Beamten nach Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so seiner wirklich erbrachten dienstlichen Leistung, beschlossen. Ich bitte also, bei den folgenden Bei- also nach seiner tatsächlichen Funktion, zu gestal- trägen einen Blick auf die Uhr und die anstehenden ten und nicht danach, ob nach den Gegebenheiten Termine zu werfen. eines Stellenplans mehr oder weniger zufällig eine Planstelle für diese Funktion vorhanden war. Wer Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? den Beförderungsstau in vielen Bereichen der öf- — Das ist nicht der Fall. fentlichen Verwaltung kennt, weiß, daß damit ge- rade bei den Beamten des einfachen und mittleren Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Dienstes, die die Masse der Beamten in Bund, Län- Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs. dern und Gemeinden stellen, die Ungerechtigkeit 10580 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Laufs beseitigt wird, trotz anerkannter dienstlicher Lei- der sehr günstigen beamtenrechtlichen Versor- stungen und einer Beförderung nicht die Versor- gungsregelungen. Man geht nämlich bei den Beam- gung aus diesem Beförderungsamt zu erhalten. ten im Zusammenhang mit der Altersversorgung Die Koalitionsfraktionen haben deshalb den völ- vom Endeinkommen aus, wobei sich das Endein- lig unverständlichen Antrag der Fraktion der SPD, kommen aus der letzten Beförderung bestimmt. Im jede Beförderung innerhalb von zwei Jahren vor Rentenrecht hingegen wird das versicherte Lebens- der Zurruhesetzung bei der Versorgung unberück- einkommen zugrunde gelegt. Das ist eine wesent- sichtigt zu lassen, entschieden abgelehnt. Auch die- lich ungünstigere Regelung. Gerade dann, wenn ser Vorschlag setzt nach unserer Bewertung die Li- man die aus der Verfassung abgeleiteten Grund- nie der SPD fort, sich zuerst und leichthin über die sätze für die Versorgung der Beamten gesichert se- Belange der Beamten hinwegzusetzen. hen will, setzt dies auch bezüglich der Beförderung vor Erreichen der Altersgrenze ein sachgerechtes Meine Damen und Herren, die vom Verfassungs- Vorgehen ein, gemessen an der noch zu erwarten- gericht erzwungene Neugestaltung des Versor- den Leistung, auch vertretbares Befördern durch gungsrechts hätte viele Beamte, die im Vertrauen die Dienstvorgesetzten voraus. auf das bisher gültige Recht in den Ruhestand ge- treten sind, nachträglich ganz empfindlich getrof- In diesem Sinne: Zustimmung und die Erwartung fen, wenn wir nicht eine Übergangsvorschrift ge- einer — ich wiederhole es noch einmal — sachge- schaffen hätten, die sie von dem neuen Recht aus- rechten Nutzung der neuen Regelung. nimmt. Auch dies beweist, daß sich unsere Beamten Danke schön. auf uns verlassen können. Sie führen unter oft (Beifall bei der SPD) schweren, zum Teil ständig schwerer werdenden Bedingungen unsere Gesetze aus. Ich erwähne hier Das Wort hat der Abge- stellvertretend die Polizeibeamten. Vizepräsident Westphal: ordnete Dr. Hirsch. Es ist deshalb nur recht und billig, wenn wir ihnen unseren Schutz zukommen lassen. Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ehrten Damen und Herren! Die Gesetze zur Rege- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lung dienstrechtlicher Vorschriften kommen ja jetzt mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Während wir heute den Entwurf eines zweiten Ge- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- setzes lesen, ist der Entwurf eines dritten Gesetzes ordnete Bernrath. bereits auf unseren Schreibtischen. Das alles wirkt sehr fleißig, verbessert unsere Statistik über gehal- Bernrath (SPD): Herr Präsident! Meine Damen tene Reden und ist im Grunde genommen doch und Herren! Zur Sachlage beziehe ich mich auf das, relativ unsystematisch. Ich wäre sehr dankbar und was in der Berichterstattung steht und was jetzt der auch sehr froh gewesen, wenn wir, so wie wir das Herr Kollege Laufs vorgetragen hat. Ich möchte im Ausschuß getan haben, diese beiden Gesetze, die allerdings mit wenigen Stichworten einiges hinzu- hier nacheinander behandelt werden, verknüpft fügen. hätten. Ich wiederhole: Wir haben jetzt die Zweijahres- (Zustimmung bei der SPD) frist, mit einigen Bedingungen versehen, geschaf- Inhaltlich ist das, was in dem Gesetz steht, mit fen. Wir berücksichtigen die Wahrnehmung der Ob- hinreichender Deutlichkeit dargestellt. Ich schließe liegenheiten der Wertigkeit, in die vor Ablauf von mich beiden Vorrednern an. Ich schließe mich auch zwei Jahren befördert wurde. dem Dank an, der den Beamten erstattet worden ist An sich hätten wir lieber die von Nordrhein-West- — was wir natürlich bei jeder Gelegenheit mit gu- falen vorgeschlagene Regelung gehabt: Sperre ei- tem Grund und auch zu Recht tun können. ner Beförderung innerhalb von zwei Jahren vor Man kann eigentlich nur noch anfügen, daß wir Eintritt in den Ruhestand ohne einen ausgedehnten uns bei der Verabschiedung dieses Gesetzes und Regel- und Ausnahmetatbestandskatalog. Das wäre damit der Erfüllung der Forderung des Bundesver- sehr viel eindeutiger und auch sachgerechter sowie fassungsgerichts nicht sonderlich beeilt haben; in der Praxis einfacher zu vollziehen gewesen. denn der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, Wir stimmen dennoch der jetzt vorliegenden Lö- der uns hier zum Handeln gezwungen hat, stammt sung zu, weil wir auch auf diese Weise gesichert immerhin aus dem Jahre 1972. Man sieht, daß wir sehen, daß es künftig in diesen zwei Jahren nicht uns aber immerhin nach Kräften darum bemühen, mehr zu Gefälligkeitsbeförderungen kommt, die vor die segensreichen Gedanken, die das Gericht äu- dem Hintergrund ihrer versorgungsrechtlichen ßert, in die Tat umzusetzen. Wir begrüßen in diesem Wirkungen doch bedenklich waren und in der Öf- Sinne die Verabschiedung des Gesetzentwurfs. fentlichkeit Ärger hervorgerufen haben. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch ein un SPD) gutes Schlagwort!) - Wir bitten darum im Zusammenhang mit der Zu- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- stimmung zu diesem Gesetzentwurf die Dienstvor- ordnete Dr. Olderog. gesetzten, nun auch diese Regelungen sorgfältig zu (Bohl [CDU/CSU]: Der kommt etwas spä beachten, insbesondere auch vor dem Hintergrund ter! Wir dachten, daß die GRÜNEN an die Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode - 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10581

Vizepräsident Westphal Reihe kommen! — Schäfer [Offenburg] Zwar ist das getan worden, aber mit einer günstige- [SPD]: Das ist eine Disziplin, Herr Laufs!) ren Wirkung, als wir sie jetzt über die Korrektur des § 55 erreichen. Von daher läßt es sich auch ver- — Es gibt auch Fraktionen, die mal auf einen Wort- treten, daß man vor dem Hintergrund der früheren beitrag verzichten. Zielsetzung jetzt eine Verbesserung des Gesetzes Dann rufe ich den Abgeordneten Bernrath auf. aus der Praxis heraus auch dann, wenn man auf (Bernrath [CDU/CSU]: Bin ich schon wie Grund der Vergangenheit die Verantwortung trägt, der dran?) mit vertritt und ihr zustimmt. — Wir hatten ja Sorge, nicht rechtzeitig bis zur Mit- (Beifall bei der SPD) tagspause durchzukommen. Jetzt habe ich diese Sorge nicht mehr. Herr Bernrath, Sie sind jetzt dran. Vizepräsident Westphal: Nun kann ich doch dem Abgeordneten Dr. Olderog das Wort geben. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Bekommt er Bernrath (SPD): Herr Präsident! Meine Damen noch das Wort? Das ist aber großzügig!) und Herren! Auch zu § 55 des Beamtenversorgungs- gesetzes nur einige Stichworte. Wir hätten gern eine ausführliche Orientierung an den Einzelhär- Dr. Olderog (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ten, die in der Praxis des § 55 des Beamtenversor- sehr verehrten Damen und Herren! Die Ihnen zur gungsgesetzes auftreten, gehabt. Wir haben solche Beschlußfassung vorliegende Novellierung des Härten auch geschildert bekommen. Aber die Koali- 2. Haushaltsstrukturgesetzes, d. h. die Änderung tion hat sich dann doch entschlossen, nicht auf die der Anrechnung von Renten auf die Versorgungs- im einzelnen in der Praxis festgestellten Wirkun- bezüge von Ruhestandsbeamten, ist nicht ohne ihre gen des § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes ab- Vorgeschichte verständlich. Es war die SPD-ge- zustellen, sondern diese Wirkungen pauschal zu führte Bundesregierung, die 1981 die schon beste- mindern. Das heißt: 20%ige Anrechnung der Ren- hende Rentenanrechnung rückwirkend auch auf ten. Auf diese Weise ist allerdings kurzfristig keine Beamtenverhältnisse ausdehnte, die vor dem 1. Ja- Entlastung der hier betroffenen Ruheständler zu nuar 1966 begründet worden waren. erreichen, weil es bei dieser pauschalen Regelung Damit wurde nicht nur das Vertrauen vieler älte- lediglich dazu kommt, daß erst nach weitgehendem rer Bürger, sondern ganz besonders das der ehema- Abschmelzen des Ausgleichsbetrages, den wir über ligen Beamten zutiefst enttäuscht. Das wiegt um so 12 Jahre gestaffelt zahlen, diese 20-%-Grenze wirk- schwerer, als gerade diese ehemaligen Beamten auf sam wird. Auf diese Weise wird das, was wir an Ent- Grund ihrer Tätigkeit eine besonders enge Bezie- lastung gern schaffen möchten, die meisten der hung zu Recht und Gesetz hatten und auch heute jetzt betroffenen Ruheständler nicht mehr errei- noch haben. Sie sehen in diesem von der von der chen. Von daher bedauern wir, daß die Koalition, SPD geführten Koalition geschaffenen Gesetz ei- aber auch die Bundesregierung nicht bereit waren, nen Bruch des Vertrauens in die Bestandskraft von mit uns im einzelnen darüber nachzudenken, wie Gesetzen. Es ist dieselbe Generation, die schon wir die Belastungen für Ruheständler, die gleichzei- durch Krieg und Nachkriegszeit in ihrem Vertrauen tig noch einen Rentenanspruch haben — dazu lagen auf den Staat erschüttert worden war, die nun von dem Bundestag in großer Zahl Petitionen vor —, ab- der Regierung und der sie tragenden Mehrheit im bauen könnten. Parlament eines Staates, den sie selbst aus Trüm- Ich möchte in dem Zusammenhang sagen, daß mern mit aufgebaut hatte, erneut enttäuscht wurde. das eigentlich hätte erwartet werden können, weil Hunderte von Eingaben an meine Fraktion, an den die Koalition schon vor Jahren, als sie noch nicht in Petitionsausschuß und an die zuständigen Ressorts der Regierungsverantwortung war, eine solche Ziel- sind hierfür ein deutlicher Beweis. setzung angestrebt hat. Wir möchten darum noch Wir, die Fraktion der CDU/CSU, haben damals einmal daran erinnern, daß es sicherlich über die versprochen, dieses Gesetz zu ändern, sobald die jetzt zu treffende Regelung hinaus eine einfachere Mehrheitsverhältnisse es zulassen. Wir lösen heute Regelung gegeben hätte, nämlich die Streichung unser Wort ein. des Art. 2 § 2 Abs. 4. Das hieße Einfrieren des Aus- gleichs mit dem Ziel, auf diese Weise frühzeitig, Schon einmal haben wir die Rentenanrechnung noch vor dem Ableben der meisten hier Betroffe- entschärft. 1984 schufen wir mit dem Haushaltsbe- nen, eine Verbesserung der Gesamtversorgung zu gleitgesetz eine Härteregelung, wonach jedem Be- erreichen. amten mindestens 20 % der Pension zu belassen sind. Die jetzt zur Beschlußfassung vorliegende Dennoch, wir stimmen zu. Wir fühlen uns auch zweite Härteregelung sieht vor, daß der anzurech- ein bißchen mitverantwortlich für das, was an La- nende Rentenbetrag um 20% zu mindern ist, wenn sten vermittelt worden ist. Darauf möchte ich aus- das Beamtenverhältnis vor dem 1. Januar 1976 be- drücklich hinweisen. Wir sehen es dennoch nach - gründet worden ist. wie vor als berechtigt an, daß es Begrenzungen ge- geben hat. Wir hatten damals erwartet, daß — par- Beide Härteregelungen zusammen sind genau allel zu den Begrenzungen nach § 55 des Beamten- das, was wir versprochen haben. Wir hoffen, daß wir versorgungsgesetzes — auf dem Tarifsektor ähnli- vielen von dieser Regelung betroffenen Beamten che Begrenzungen vertraglich vereinbart würden. damit ein Stück Vertrauen zurückgeben können. 10582 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Olderog Natürlich wissen wir auch, daß es Forderungen Vizepräsident Westphal: Das Wort hat Herr Abge- gibt, die gesamte Rentenanrechnung zu kassieren. ordneter Dr. Hirsch. Wir wisen auch, daß noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aussteht. Aber eine Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- vollständige Rücknahme der Rentenanrechnung ehrten Damen und Herren! Ich habe lange überlegt, scheitert an den finanziellen Bedingungen. Die jetzt ob ich zu diesem Entwurf überhaupt noch etwas geschaffene zweite Härteregelung kostet Bund, sagen sollte, nachdem er uns hier mehrfach be- Länder und Gemeinden bis 1990 geschätzt rund schäftigt hat. Aber ich glaube, man muß die bishe- 170 Millionen DM und hält sich damit auch im Rah- rige Entwicklung dieses Besoldungsthemas doch men unserer haushaltspolitischen Möglichkeiten. noch unter einer etwas anderen Facette darstellen, In 13 Jahren haben die SPD-geführten Regierun- als es der verehrte Kollege Olderog getan hat. gen es geschafft, die Schulden des Bundes von Dabei geht es mir nicht um die individuelle Ver- 45 Milliarden DM im Jahre 1969 auf über 300 Milli- antwortung des einzelnen Abgeordneten für diese arden DM hochzudrücken. oder jene Entscheidung, sondern darum, darzustel- (Zurufe von der SPD) len, daß wir gemeinsam im Interesse der Konsoli- dierung des Haushalts und der Zurückführung der Dafür zahlen täglich alle Bürger dieses Landes ins- Personalkosten eine ganze Reihe besoldungsrecht- gesamt rund 80 Millionen DM Zinsen. licher Entscheidungen haben treffen müssen, die uns außerordentlich schwergefallen sind. Das gilt (Weitere Zurufe von der SPD) für die frühere Koalition ebenso wie für die jetzi- Vor diesem Hintergrund wird überhaupt erst deut- ge. lich, um welchen Erfolg für die Versorgungsemp- Dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz, Herr Kol- fänger es sich bei der von uns vorgeschlagenen lege Olderog, haben Sie hier im Bundestag in der Härteregelung handelt. Tat nicht zugestimmt. Aber wie Sie wissen, haben Daß insbesondere die Bezieher niedriger Renten der Bundesrat und auch die CDU- und CSU-geführ- schon unmittelbar in den nächsten Jahren Nutzen ten Länder dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz davon haben werden, zeigt auch, daß sowohl die mit der Verrechnung der sogenannten Doppelver- Bundesregierung als auch die sie tragenden Koali- sorgung zugestimmt. Wir waren immer der Mei- tionsfraktionen eben nicht, wie immer demagogisch nung, daß das ein irreführendes Stichwort ist. Wir behauptet wird, Politik für die Reichen machen, haben große Sorgen gehabt, wie sich das auswirkt. sondern daß sie die Interessen der sozial Schwa- Wir haben dann gemeinsam gemerkt, daß wir in der chen beachten. Tat etwas getan haben, was ein Gesetzgeber nicht tun sollte, nämlich in bestehende Vertrauensver- Ohne unsere konsequente Haushaltskonsolidie- hältnisse zu Lasten von Leuten einzugreifen, die rung, die wir noch lange fortsetzen müssen, wäre ihre Altersversorgung auf einen neuen Tatbestand die jetzt geschaffene Härteregelung nicht möglich nicht mehr einrichten können. Ganz unabhängig gewesen. Daß dazu Opfer auch der Versorgungs- von der materiellen Bedeutung hat das ja in der Tat empfänger erforderlich waren, bestreiten wir nicht. bei vielen Betroffenen große Erbitterung — und ich Aber die Erfolge dieses Konsolidierungskurses — sage: berechtigterweise — ausgelöst. Nur sollte sich Steigen des Wirtschaftswachstums, Abbau der Neu- hier keiner einen schlanken Fuß machen; beteiligt verschuldung und insbesondere stabile Preise — an dieser Operation in Bund und Ländern waren kommen jetzt auch den Versorgungsempfängern wir alle. zugute. Nun haben wir schon seit Jahren versucht, die Ich kann heute für meine Fraktion sagen, daß es Verhältnisse durch Härteregelungen in Ordnung zu weder für die aktiven Beamten noch für die Versor- bringen. Wie Sie wissen, haben wir im Innenaus- gungsempfänger neue Sparmaßnahmen geben schuß gemeinsam versucht, die Anrechnungsvor- wird. Ob und in welchem Umfang Sparmaßnahmen schriften zu mildern. Beim ersten Aufgalopp ist das in der Zukunft reduziert werden können, hängt da- leider am Finanzminister gescheitert. Das war das von ab, daß wir unseren erfolgreichen Kurs in der Problem. Wir wollten gemeinsam sehr viel mehr Haushaltspolitik fortsetzen. Wir werden jedenfalls machen. nicht in den Fehler verfallen, wie es 13 Jahre unter Nun schaffen wir endlich gemeinsam die größere den SPD-geführten Bundesregierungen geschehen Milderung, nämlich durch die Bewahrung von 20% ist, mit Schulden vermeintliche Wohltaten zu fi- der Pension und von 20% der Rente vor der Anrech- nanzieren, die unsere Kinder und Enkelkinder be- nung. zahlen müssen oder letztlich dazu führen, daß, wie Ich finde, wir sollten bei einem solchen Gesetz es 1981 bei der SPD den Versorgungsempfängern jetzt nicht versuchen, hin- und herzuziselieren, wer geschehen ist, wohlerworbene Rechte abgebaut das eine oder andere zu verantworten hat. Vielmehr werden. sollten wir uns als Beamtenrechtler gemeinsam mit Zum Schluß danke ich meinen Kollegen Regens- den Haushaltspolitikern darüber freuen, daß es uns purger und Broll, die sich bei der Erarbeitung die- gelungen ist, hier eine schwierige, unangenehme ses Gesetzentwurfs besonders engagiert haben. und die Betroffenen belastende Regelung wenig- stens in Grenzen zurückzuschrauben. Herzlichen Dank. Wir haben — wie auch Sie — eine Fülle von (Beifall bei der CDU/CSU) Schreiben auf den Tisch bekommen von Leuten, die Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10583

Dr. Hirsch sagen: Das reicht uns nicht; das muß alles sehr viel Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung für den weiter gehen. Wir müssen Ihnen sagen, daß wir in Zeitpunkt ihrer endgültigen offiziellen Entscheidung über die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am For- der Tat beachtliche Beträge aufwenden, jährlich schungsprogramm zur Strategischen Verteidigungsinitiative steigend. 1991/92 sind es schon 54 Millionen DM pro der Vereinigten Staaten von Amerika unter Berücksichti- Jahr, und dann steigt es rapide an. Diese Zahlen zei- gung der Tatsache, daß die US-Regierung die 60-Tage-Frist gen, daß wir hier eine Regelung getroffen haben, für eine Beteiligung von interessierten Ländern nicht aufge- hoben hat? von der wir annehmen können, daß sie sich segens- reich und vernünftig auf diejenigen auswirken Bitte schön, Herr Staatssekretär. wird, die ihre Altersversorgung auf diesen Tatbe- stand, der hier zur Debatte steht, eingerichtet ha- Würzbach, Pari. Staatssekretär beim Bundesmini- ster der Verteidigung: Herr Präsident! Herr Kolle- ben. Darüber freuen wir uns, und ich denke, wir ge, die Bundesregierung wird die notwendigen nehmen uns gemeinsam vor, diesen gesetzgeberi- schen Kunstfehler nicht mehr zu machen, sondern Grundlagen zur Entscheidung über eine mögliche in Zukunft peinlich darauf zu achten, in Besitz- und Beteiligung am SDI-Forschungsprogramm mit der gebotenen Sorgfalt — ich habe darauf gestern bei vor allen Dingen Vertrauenstatbestände nicht mehr in irreparabler Weise einzugreifen. Das steht uns ähnlichen Fragen mehrfach hingewiesen — erar- gut an, und das schulden wir in der Tat jenen, die in beiten. Sie steht dabei unter keinerlei Zeitdruck, den schwierigen Nachkriegsjahren wesentlich zum zumal eine bindende 60-Tage-Frist, wie Sie sie in Aufbau unseres Staates und unserer Gesellschaft Ihrer Frage erwähnen, nicht bestanden hat. Der beigetragen haben. amerikanische Verteidigungsminister hat in sei- nem Schreiben vom April 1985 seine zuvor öffent- Vielen Dank. lich gegebene Erläuterung der Bundesregierung ge- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der genüber wiederholt, daß die ursprünglich genannte SPD) Frist den Wunsch — den Wunsch! — der amerikani- schen Seite nach einer raschen Beantwortung zum Ausdruck bringen sollte, aber keinesfalls als bin- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- dende Frist zu verstehen ist. Dies ist auch das Ver- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich ständnis der Bundesregierung. schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Fi- mung. Ich rufe die Art. 1 bis 7 sowie Einleitung und scher. Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt sehen Sie durch eine mögliche Entscheidung, sich dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die aufge- an dem Forschungsprogramm zu SDI zu beteiligen, rufenen Vorschriften bei zwei Enthaltungen ange- den Einstieg in das gesamte Programm schon vor- nommen worden. programmiert, weil Politiker und Wissenschaftler auch auf amerikanischer Seite meinen, daß mit Wir treten in die dem Einstieg der Point of no return bereits über- dritte Beratung schritten sei? ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies sehe ich Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte nicht, Herr Kollege. Ich sehe in der Entscheidung, ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — die uns manche einreden wollen, sich nämlich über- Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf bei haupt nicht darum zu kümmern, welche Möglich- zwei Enthaltungen angenommen. keiten darin bestehen, vielmehr genau das Gegen- Meine Damen und Herren, wir treten in die Mit- teil. Sie wissen, wen ich hiermit meine. tagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der (Fischer [Homburg] [SPD]: Den Außen Fragestunde fortgesetzt. minister, ja!) Ich unterbreche die Sitzung. — Den Außenminister? Ich glaube nicht, daß die (Unterbrechung von 12.57 bis 14.00 Uhr) Opposition den Außenminister stellt.

Vizepräsident Westphal: Keine weiteren Zusatz- Vizepräsident Westphal: Die Sitzung ist wieder er- fragen zu dieser Frage. öffnet. Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Grunen- Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: berg auf: Fragestunde Mit welchem Mittel-Volumen rechnet die Bundesregierung als künftige Belastung des Bundeshaushalts, falls sich die — Drucksache 10/3448 — Bundesrepublik Deutschland an dem Forschungsprogramm Zuerst stehen noch die restlichen Fragen aus zur Strategischen Verteidigungsinitiative der Vereinigten dem Geschäftsbereich des Bundesministers der - Staaten von Amerika beteiligen sollte, und in welche Einzel- pläne sollen gegebenenfalls die entsprechenden Mittel einge- Verteidigung an. Zur Beantwortung steht der Parla- stellt werden? mentarische Staatssekretär, Herr Würzbach, zur Bitte schön, Herr Staatssekretär. Verfügung. Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Fischer Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Frage finan- (Homburg) auf: zieller Aufwendungen im Rahmen einer möglichen 10584 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Würzbach Beteiligung der Bundesrepublik am SDI-Pro- Dr. von Bülow (SPD): Herr Staatssekretär, ange- gramm stellt sich, wie aus den vorher gegebenen sichts der Sorgfalt, auf die Sie sich berufen haben, Antworten deutlich geworden ist, zur Zeit noch frage ich Sie: Haben sich auf Grund der Sorgfalt bei nicht. der Überprüfung des ganzen Projekts bei Ihnen schon Vorstellungen darüber ergeben, was das Ge- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Gru- samtprojekt im Falle des erfolgreichen Abschlusses nenberg. der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten kosten würde? Stimmt es, daß sowohl amerikanische als Grunenberg (SPD): Herr Staatssekretär, kann auch russische Quellen davon ausgehen, daß die man ausschließen, daß vorhandene wissenschaftli- Kosten einen Umfang von mindestens 1 200 Milliar- che und technische Entwicklungen in diesem Pro- den Dollar bis 2 000 Milliarden Dollar haben wer- gramm angerechnet werden, d. h. bei uns praktisch den, und stimmt es, daß sich die Russen auf ameri- doppelt verkauft werden? kanische Quellen berufen, denen zufolge man mit 1 % bis 2 % der Investitionssumme für SDI die Um- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Da möchte ich gehung von SDI organisieren könnte? aber davon ausgehen, daß die Bundesregierung im Falle einer Beteiligung sehr darauf achten wird, Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von daß wir für eine Sache nicht zweimal bezahlen. Bülow, es gibt überhaupt noch keine Handhabe, für niemanden, weder für denjenigen, der etwas will, Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr noch für denjenigen, der jetzt bereits sagt — ich Grunenberg. weiß nicht, woher er die Gründe nimmt —, er wolle es auf keinen Fall, zu sagen: Was ist technisch mög- Grunenberg (SPD): Nach dem schließt sich an: lich, und was wird dies möglicherweise kosten? All Kann man auch ausschließen, daß sicherlich vor- dies ist Spekulation, und Spekulation ist nicht handene wissenschaftliche und technische Ent- Sache der Bundesregierung. wicklungen in den Vereinigten Staaten nicht auch (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Noch nie ge noch obendrein von uns bezahlt werden? wesen!)

Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies, finde ich, ist Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- in der Antwort, die ich eben gegeben habe, beinhal- geordneten Würtz. tet. Würtz (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben hier Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Vosen. davon gesprochen, daß bisher in dieser Frage nur vorbereitende Sondierungen stattfinden. Ich hätte Vosen (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben eine gern gewußt, in welchem Teil des Einzelplanes 14 Beteiligung — so entnehme ich das Ihren Worten — Sie jetzt schon entstehende Ausgaben verbuchen. ja nicht ausgeschlossen. Sie wollten sorgfältig prü- fen. Aber sicherlich ist doch eine Vorstellung vor- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege handen. Bisher ist es doch so gewesen, daß die Bun- Würtz, Sie sind alter Haushälter und kennen viele desrepublik im Rahmen dieser Projekte von einem Haushalte zurückliegender Jahre und im groben Ansatz von zirka 10 % als Faustregel ausging, was den Entwurf für das kommende Jahr. Sie wissen, bei insgesamt 80 Milliarden DM Volumen dann daß ein Programm, das bisher nur im Kopf besteht, 8 Milliarden DM ausmachen würde. Gibt es diesbe- noch nicht im Haushalt Niederschlag finden kann. züglich irgendwelche Vorstellungen, oder sind Sie Eine Zusatzfrage des Ab- völlig sorglos, was die Beteiligung der Bundesrepu- Vizepräsident Westphal: geordneten Schierholz. blik angeht, und wie stellen Sie darüber hinaus, wenn Sie sich beteiligen, dann sicher, daß die For- Dr. Schierholz (GRÜNE): Herr Staatssekretär, darf schungsergebnisse dann auch Eingang in unsere ich aus den Antworten, die Sie auf die Fragen der Industrie finden? Kollegen gegeben haben und die ich freundlich als sehr unverbindlich bezeichnen möchte, schließen, Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, daß die Haltungen innerhalb der Bundesregierung auch Sie waren gestern in der Fragestunde anwe- hinsichtlich der Frage der Beteiligung am SDI-For- send. Ich finde, daß jeder, der der Fragestunde ge- schungsprogramm immer weiter auseinanderdrif- folgt ist, inzwischen hat verstehen können, daß es ten, insbesondere wenn man sich die Position des notwendig ist, diese Fragen zu klären, daß die Zeit Bundesaußenministers ansieht? aber viel zu früh ist. Wir führen erste Vorgespräche — die gründliche Einzelgespräche vorbereiten sol- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Was Sie daraus len —, um abzutasten, welche politischen, strategi- schließen, ist Ihre persönliche Sache. Wenn Sie die schen, technischen Möglichkeiten und welche fi- Antworten sachlich wägen, dann können Sie das nanziellen, vertragsmäßigen usw. Konsequenzen nicht daraus schließen. sich daraus überhaupt ergeben. All dies kann- im Augenblick weder so noch anders beantwortet wer- Vizepräsident Westphal: Da wir so viele Fragen den. haben, bitte ich, sich bei der Formulierung der Zu- satzfragen sehr eng an die Ausgangsfrage zu hal- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- ten. Ich müßte sonst feststellen, daß sie nicht zur neten Dr. von Bülow. Sache gehören. Wir haben so viele Fragen zu dem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10585

Vizepräsident Westphal gesamten Thema, und man kann auch sehr speziali- der Bereich der Sozialausgaben von diesen Pro- siert Zusatzfragen stellen. grammen nicht in Mitleidenschaft gezogen wird? Der Abgeordnete Fischer (Homburg) möchte eine weitere Zusatzfrage stellen. Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist eine beliebte Gegenüberstellung von manchen, Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, ist die ich für hoch unsachlich halte. Es ist auch eine Ihnen die Studie bezüglich des Technologietrans- Frage der Sozialpolitik, für die Menschen in unse- fers von den USA nach Europa im zivilen Bereich, rem Lande den Frieden und die Freiheit zu erhal- die im Auftrag der Bundesregierung vergeben wor- ten. Es geht auch in den Bereich der Sozialpolitik den ist, bekannt, wonach der Technologietransfer hinein, wenn wir es schaffen, atomare Angriffsrake- von Europa nach den USA zur Einbahnstraße ge- ten durch defensive Systeme zu verringern. worden ist, und glauben Sie, daß sich der Technolo- (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) gietransfer im militärischen Bereich in beiden Richtungen entwickeln würde? Vizepräsident Westphal: Wir haben eine Zusatz- frage des Abgeordneten Catenhusen. Vizepräsident Westphal: Wir sind bei der Frage 51 des Abgeordneten Grunenberg; ich kann darin Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, können nichts von Technologietransfer entdecken. Herr Sie auch in Kenntnis der Aussagen des Bundesfor- Kollege Fischer, Sie müssen Ihre Zusatzfrage bei schungsministers über eine finanzielle Beteiligung einer anderen Frage stellen. des Bundesforschungsministeriums an SDI heute ausschließen, daß bei einer möglichen finanziellen Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Grunen- Beteiligung der Bundesrepublik am SDI-Programm berg auf: auch der Haushalt des Bundesforschungsministeri- Welche Überlegungen gibt es in der Bundesregierung, den ums zur Finanzierung herangezogen wird? für eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an dem Forschungsprogramm zur Strategischen Verteidigungs- initiative der Vereinigten Staaten von Amerika gegebenen- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich falls notwendigen finanziellen Mehraufwand zu decken (Er- wiederhole, daß wir prüfen: Was ist möglich; was ist höhung des Ausgabevolumens oder Einsparung an anderen vernünftig, daß wir von dem Möglichen umsetzen? Stellen gegebenenfalls bei welchen zivilen Forschungsauf- und daß wir dann zu entscheiden, zu untersuchen wendungen)? und auf die Haushaltsstellen aufzuteilen haben, Bitte schön, Herr Staatssekretär. was das kostet.

Würzbach, Parl. Staatssekretär: Erst wenn sich Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- die Bundesregierung in der Grundsatzfrage positiv neten Schierholz. für eine mögliche Beteiligung entschieden hätte, wären damit auch die Rahmenbedingungen festzu- Dr. Schierholz (GRÜNE): Herr Würzbach, sehen legen und die hier vorgelegten Fragen somit ab- Sie mit mir einen Zusammenhang zwischen der ge- schließend zu beantworten. stern im Ausschuß für Forschung und Technologie praktisch beerdigten Spallationsneutronenquelle — Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Gru- finanzieller Umfang: ca. 2 Milliarden DM — und nenberg. einem möglichen notwendig erscheinenden finan- ziellen Mehraufwand für eine Beteiligung der Bun- Grunenberg (SPD): Herr Staatssekretär, kann desrepublik am SDI-Forschungsprogramm? man in Anbetracht des Sparkurses, den die Bundes- regierung ja eingeschlagen hat, davon ausgehen, Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein. daß die dann vorzunehmende Finanzierung zu Ein- sparungen im gesamten Haushalt oder nur in Teil- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- bereichen — eventuell bei dem Einzelplan 30 — neten Klejdzinski. führt — mit der Folge, daß andere Maßnahmen und Projekte ausgeschlossen werden —, oder wird ledig- Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekretär, da Sie lich der Einzelplan 14 in Mitleidenschaft gezogen, vorhin sehr intensiv Formulierungen gebraucht ha- mit der möglichen Folge, daß andere Projekte kon- ben wie „Es wird geprüft, ...", „Hypothetische Fra- ventioneller Art außen vor bleiben? gen prüfen wir nicht" usw. usf., frage ich Sie: Wel- che Arbeitsergebnisse liegen aus Ihrer bisherigen Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das SDI-Arbeitsgruppe vor, wie lauten die Arbeitsergeb- sind hypothetische Fragen, Spekulationen, in die nisse, und mit welcher Tendenz gehen Sie damit ich mich nicht einlasse. Es wird gründlich, sorgfäl- möglicherweise in die Öffentlichkeit oder an die tig, alles abwägend, ohne Zeitdruck geprüft, ob und, Presse, bevor wir etwas davon erfahren? wenn ja, wie wir uns beteiligen. Dann hat dies sy- stematisch Eingang zu finden in unseren Haus- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die halt. Arbeitsgruppen haben begonnen zu arbeiten. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung eines hochrangi- Vizepräsident Westphal: Sie haben eine weitere gen Vertreters des Kanzleramtes ist jetzt im Mo- Zusatzfrage, Herr Grunenberg. ment in Amerika, um dort eine Arbeit der Unterar- beitsgruppen vorzubereiten, in denen die Fachleute Grunenberg (SPD): Herr Staatssekretär, kann sitzen, um die Details zunächst einzukreisen und man hundertprozentig damit rechnen, daß speziell sie dann zu untersuchen. Sie fragen nach der Ten- 10586 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Würzbach denz. Die Tendenz ist eine unvoreingenommene — keine einzige Passage finden, aus der das hervor- das unterscheidet uns von manchen, ich bin sicher, geht. All die, die nach ihm das gefüllt haben, als auch von Ihnen — Prüfung entsprechend der Leitli- Techniker, als Strategen, als Politiker, geben eben- nie, die der Bundeskanzler am 18. April hier in der sowenig wie er Anlaß für diese unterstellende Be- Regierungserklärung genannt hat. hauptung, die auch durch Ihre Frage deutlich wird. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Auch das stimmt Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- nicht!) neten Vosen. Noch kein Mensch weiß, wie diese Systeme mögli- cherweise, wenn sie gefunden sind, funktionieren. Vosen (SPD): Herr Staatssekretär, ich bin seit ge- stern, wie Sie sagten, dabei und bin eigentlich er- Stehen sie auf der Erde, nicht im Weltall, und gehen schüttert über die Verwendung von Sprache, die Sie sie dann auf ein bestimmtes Signal hin einer Flug- hier vorführen. bahn einer gestarteten Angriffsrakete entgegen, oder sind die oben, oder was passiert mit denen? All dies ist auch annähernd noch nicht greifbar, son- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, sie müssen fragen. dern das soll abgetastet, unvoreingenommen mit dem Ziel geprüft werden, möglicherweise, wenn man es schafft, defensive Verteidigungssysteme zu Vosen (SPD): Ich frage sofort. — Sie haben die Aufrüstung im Weltraum als ein Stück Sozialpolitik installieren, die Angriffsraketen unschädlich, sprich stumpf zu machen, sie zu reduzieren oder gar zu bezeichnet. vernichten. (Berger [CDU/CSU]: Das ist immer noch keine Frage!) Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- Das haben Sie eben hier gesagt. Ich möchte Sie fra- neten Berger. gen: Können Sie verstehen, daß Menschen in der Bundesrepublik Deutschland auch deswegen gegen die Aufrüstung im Weltraum sind, weil sie befürch- Berger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, teilen ten, daß dann keine Mittel mehr für eine echte So- Sie meine Auffassung, daß vieles dafür spricht, daß zialpolitik vorhanden sind? diejenigen, die im Zusammenhang mit SDI vom Krieg der Sterne oder von Aufrüstung im Weltall Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie sprechen, die Rede des amerikanischen Präsiden- haben über Sprache geredet. Vielleicht darf ich Sie ten ebensowenig zur Kenntnis genommen haben — Parteigrenzen hin und her — ermuntern, wirk- wie etwa die wahren Inhalte jenes Forschungspro- lich zu überlegen, welche Begriffe wir in welchem gramms, über das sie dann sprechen? Zusammenhang wählen. (Dr. Klejdzinski [SPD]: Ein geschickter (Beifall des Abg. Berger [CDU/CSU]) Entlastungsangriff! — Catenhusen [SPD]: Er lacht selbst! Sie nehmen sich selbst Kein Mensch hier im Bundestag und keiner in nicht ernst!) Amerika im Kongreß oder im Senat ist für eine Auf- rüstung im Weltall. (Fischer [Homburg] [SPD]: Was ist denn Würzbach, Parl. Staatssekretär: Bei vielen, Herr SDI?) Kollege, muß man diesen Eindruck, aus welchen Gründen auch immer, leider haben. Ich hoffe, wir alle sind dafür, das Riesenmaß an Waffen, das zu große Ausmaß an Waffen, das es gibt, hier wie da, zu reduzieren und dabei weiter die Vizepräsident Westphal: Zu dieser Frage habe ich Absicht und das Ziel zu verfolgen, einklagbar für noch zwei Zusatzfragen der Abgeordneten Immer unsere Bürger zu bewerkstelligen, auch unter der und von Bülow. Dann gehen wir zur nächsten Frage sozialen Überschrift, Frieden und Freiheit zu ge- über. Zunächst der Abgeordnete Immer. währleisten und jeden Krieg zu verhindern. Das sollte uns verbinden und nicht trennen. Immer (Altenkirchen) (SPD): Herr Staatssekretär, (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Frieden schaffen nachdem Sie zwei- oder dreimal das Wort „unvor- mit immer weniger SDI!) eingenommen" in den Mund genommen haben, frage ich Sie nach den Divergenzen, die es in den Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- Äußerungen von Regierungsmitgliedern, minde- neten Roth. stens von Koalitionsmitgliedern, gibt, einmal dafür, einmal Bedenken, einmal dagegen, wo eigentlich Roth (SPD): Herr Staatssekretär, ich habe die die Prämisse ist. Oder meinen Sie, daß es eine un- Frage: Bezweifeln Sie wirklich, nachdem Sie den voreingenommene wissenschaftliche Prüfung über- Begriff des Abgeordneten Vosen so kritisiert haben, haupt gibt, die wir wenigstens in der wissenschaftli- daß es sich um Waffensysteme im Weltall handelt chen Forschung nicht kennen? und daß das insofern eine Aufrüstung im Weltall darstellt? Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Prämisse — da Sie so konkret danach fragen — Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege darf ich im Stenogrammstil, der Länge willen, noch Roth, ich gehe davon aus, daß Sie die Rede des ame- einmal in Erinnerung rufen. Sie könnten sie nach rikanischen Präsidenten gelesen haben. Sie werden der Regierungserklärung im Kopf haben. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10587

Parl. Staatssekretär Würzbach Erstens. Weil die Sowjetunion in ähnlicher Rich- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von tung tätig und eine ganze Ecke weiter ist Bülow, die Bundesregierung steht in intensiven (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist doch ein Konsultationen mit interessierten europäischen echtes Gerücht!) Partnern über die Frage einer gemeinsamen euro- päischen Stellungnahme einschließlich einer mögli- — wer will, kennt die Einzelheiten —, ist diese For- chen europäischen Beteiligung am SDI-Programm. schung politisch notwendig, sicherheitspolitisch ge- Die Bundesregierung steht der Schaffung einer eu- rechtfertigt. ropäischen Technologiegemeinschaft grundsätzlich Die zweite Prämisse ist, daß wir eine gemein- aufgeschlossen gegenüber, um Europas eigene tech- same Haltung der Europäer anstreben, ein Thema, nologische Kapazität gegenüber den Vereinigten das uns gestern hier auch beschäftigt hat. Staaten und der Welt zu stärken. Die dritte Prämisse ist, daß wir mit den Amerika- In diesem Zusammenhang ist auch der kürzlich nern — Stichwort Zweibahnstraße — eine Koopera- von der französischen Regierung unterbreitete Vor- tion, d. h. hin und her, in fairer Form anstreben. schlag einer European Research Coordination Die vierte Prämisse ist, daß die Sicherheit Euro- Agency — gängiger Begriff: Eureka — zu sehen. pas und hier besonders der Bundesrepublik nicht Der gegenwärtige Stand der deutsch-französischen abgekoppelt wird und ein neues Feld möglicher Be- Gespräche über Eureka läßt es bislang nicht zu, die drohung dann allein für uns entsteht. Zielsetzung und Organisation einer solchen Zusam- menarbeit abschließend zu bewerten. Das fünfte ist der rüstungskontrollpolitische Aspekt, wo wir ein Höchstmaß an Stabilität auf (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Es wird ge einem möglichst niedrigen Niveau an Waffen haben prüft!) wollen. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr von Bü- Das sind die Prämissen für die ganze Bundesre- low. gierung, und niemand hat je irgendwo etwas ande- res gesagt. Dr. von Bülow (SPD): Wie stellen Sie sich, Herr Staatssekretär, nach Ablauf von vier, fünf, sechs, Vizepräsident Westphal: Letzte Zusatzfrage zu die- sieben Jahren Beteiligung sowohl an SDI als auch ser Frage, Herr von Bülow. an Eureka die Finanzierung beider Projekte vor? Könnte es sein, daß der französische Staatspräsi- Dr. von Bülow (SPD): Hängt es vielleicht auch da- dent über die Bonner Haltung deshalb so ungehal- mit zusammen, daß der Generalinspekteur, aber ten ist, weil er sich jetzt schon genau ausrechnen auch der Bundesaußenminister die Rede des Präsi- kann, daß beides nicht miteinander finanziert wer- denten vielleicht nicht sorgfältig genug gelesen ha- den kann, und die Bundesregierung nicht in der ben und daß sie dadurch zu deutlich kritischen Stel- Lage ist, klare Entscheidungen zu treffen? lungnahmen zu SDI verführt worden sind? Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, er- rung kann über diese Einzelheiten — Sie fragten stens stimmt Ihre Folgerung im zweiten Teil der hier nach der Einzelheit der Finanzen — noch Frage nicht, wie ich gerade dargelegt habe, und keine abschließende Vorstellung, geschweige denn auch den Eingang kann ich nicht bestätigen. Ich konkrete Dinge, die in Verträge einfließen könnten, wünschte, alle Ihre Kollegen und noch viele mehr angeben, weil auch bei diesem Programm wie beim (Dr. Klejdzinski [SPD]: Auch die der SDI-Programm all die Rahmenbedingungen über- FDP!) haupt noch nicht klar zu sehen sind, aus denen sich dann erst die Prüfung zusammenhängender Details hätten die Rede ähnlich gründlich gelesen wie die ergeben kann, Herr Kollege von Bülow. beiden von Ihnen soeben Erfragten. (Catenhusen [SPD]: Vielleicht gerade weil Vizepräsident Westphal: Keine weitere Zusatz- wir sie gelesen haben! — Dr. Schierholz frage von Herrn von Bülow. Herr Horn kommt als [GRÜNE]: Sprechen Sie für die Bundesre nächster. gierung oder für die CDU/CSU?) Horn (SPD): Herr Staatssekretär, nach Ihrer Vizepräsident Westphal: Ich bitte die Kollegen um grundsätzlichen Zusage für eine deutsch-französi- Verständnis: Wir haben acht Zusatzfragen zu einer sche Zusammenarbeit auf dem Gebiet frage ich Sie: Frage. Es stehen noch viele Fragen an, wobei auch Schließen Sie für den Bereich der Zusammenarbeit Ihre Namen als Fragesteller vorkommen. Sie wer- mit Frankreich auf diesem Gebiet einen ähnlichen den noch viele Möglichkeiten haben, Zusatzfragen unmotivierten Sinneswandel aus, wie ihn Verteidi- zu stellen. gungsminister Wörner vom SDI-Kritiker in Cesme Ich rufe jetzt die Frage 53 des Abgeordneten von zum SDI-Befürworter in jüngster Zeit unter Beweis Bülow auf: gestellt hat? - Wird sich die Bundesregierung, wie vom französischen Au- Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich ßenminister vorgeschlagen, an einer europäischen Technolo- Würzbach, gieagentur beteiligen, die vergleichbare europäische zivile weise nur der Sachlichkeit willen auf die fünf Forschungen und Entwicklungen auf den für SDI maßgeben- Punkte hin, die ich soeben unter Hinweis auf die den technologischen Gebieten koordinieren soll? Regierungserklärung des Kanzlers, die eine klare Bitte schön, Herr Staatssekretär. Sprache für alle Mitglieder der Bundesregierung 10588 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Würzbach und die Bundesregierung gesprochen hat, genannt Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, welche habe. Daher erübrigt sich ein Eingehen auf eine Gründe haben denn die Bundesregierung dazu be- mögliche Vermutung, wie Sie sie einleitend in Ihrer wogen, Sie als Staatssekretär aus dem Bundesver- Frage geäußert haben. teidigungsministerium auf diese Frage antworten zu lassen? Kann man dieser Entscheidung entneh- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- men, daß die Bundesregierung ein militärisches In- neten Klejdzinski. teresse der Bundesrepublik an dem Eureka-Pro- gramm heute noch nicht ausschließen kann? Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekretär, da Sie diese Frage beantworten und nicht der zuständige Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, alle Staatssekretär im Forschungsministerium und da Fragen, die aus der Mitte des Plenums kommen, ich dabei dem anderen keine Inkompetenz in dieser werden auf die Ressorts aufgeteilt. Sie wissen, daß Frage unterstellen will, frage ich: Darf ich davon einige der Arbeitsgruppen, die gebildet worden sind ausgehen, daß Sie, weil Sie die Frage beantworten, — ich habe gestern erwähnt, wie sie sich im einzel- an sich bestrebt sind, die Kompetenzen des Vertei- nen zusammensetzen —, bei uns aufgehängt sind, digungsministeriums auszuweiten? Und wenn Sie andere im Außenministerium. Wie ich aus den Un- sich zuständig glauben: Glauben Sie, daß Sie das terlagen weiß, wird mein Kollege aus dem For- alles mit 14 20 erledigen können? schungsministerium auch gleich einige Fragen zu diesem Vorgang zu beantworten haben, so daß Ihre Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auf Folgerung, die Sie daraus ziehen, daß ich heute für die Haushaltsfragen habe ich auf die Frage Ihres die Bundesregierung antworte, nicht richtig ist. Kollegen Würtz geantwortet. Ich beabsichtige nicht, das noch mal aufzunehmen. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Ich darf einen kleinen Hinweis — es steht mir geordneten Schierholz. nicht zu — zur Geschäftsordnung machen. Jeder (GRÜNE): Darf ich noch einmal auf hier antwortende Staatssekretär antwortet für die Dr. Schierholz die Frage von Herrn Klejdzinski zurückkommen Bundesregierung, Herr Kollege. und Sie fragen, ob innerhalb des Bundeskabinetts noch mehr Damen und Herren die Auffassung von Jetzt kommt eine Zusatz- Vizepräsident Westphal: Herrn Forschungsminister Riesenhuber teilen, der frage des Abgeordneten Vosen. sich ja bekanntlich sehr skeptisch über eine Verein- barkeit der Durchführung von SDI und Eureka zu- Vosen (SPD): Herr Staatssekretär, wir haben nun mehrmals von Ihnen gehört, daß Sie keine konkre- gleich geäußert hat? ten Vorstellungen über Kosten und Inhalte von Pro- Parl. Staatssekretär: Für die Bundesre- grammen — sowohl von SDI wie von Eureka — Würzbach, gierung spricht der Bundeskanzler. haben. Andererseits liegt ja seit über einem Jahr von der französischen Regierung ein Memorandum (Lachen bei der SPD) für eine neue Stufe Europas und einen gemeinsa- Er hat vor Ihnen im Plenum am 18. April 1985 ge- men Raum für Industrie und Forschung vor. Dieser sprochen. Ich glaube, die Punkte sind sehr deutlich Vorschlag, der seit einem Jahr auch der Regierung formuliert und für jeden, der will, klar verständ- vorliegt, beinhaltet im wesentlichen Teile des ge- lich. planten Programms Eureka. Daher hatten Sie ein (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist keine Jahr Gelegenheit und Zeit, sich über Inhalte und Antwort! — Catenhusen [SPD]: Meinen Sie, finanzielle Beteiligung Gedanken zu machen. daß das noch gilt?)

Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, bitte Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- fragen Sie! geordneten Roth.

Vosen (SPD): Ich frage Sie: Knüpfen Sie denn Roth (SPD): Um diese Frage noch einmal zu ver- nicht irgendwann in Ihren Überlegungen an die deutlichen: Beide betroffenen Partnerregierungen, Vorschläge des französischen Staatspräsidenten die französische genauso wie die US-Regierung, ha- an? ben ja die Dimension der Programme in Reden und Stellungnahmen dargestellt. Das sind Milliarden Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir knüpfen an und Abermilliarden. Glauben Sie auf Grund der In- eine Menge Überlegungen an. Aber der französi- formationen beider Partnerregierungen, daß wir an sche Staatspräsident kann uns bei diesem Pro- derartigen expansiven forschungs- und technologie- gramm wie der amerikanische Präsident bei dem politischen Programmen in den nächsten Jahren anderen Programm noch nicht die Daten geben, die aus Haushaltsgründen — Konsolidierung ist ja vor uns in die Lage setzen, hier ein klares Programm allem Ihr Stichwort — teilnehmen können? für die Einzelheiten dem Bundestag, der Öffentlich- keit vorzulegen. Sorgfalt, Herr Kollege, ist auch et- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich hoffe, daß was, was Sie von uns sicher zu Recht verlangen. Konsolidierung auch ein Stichwort von Ihnen sein (Vosen [SPD]: Und Plan!) könnte oder, wenn es das im Augenblick nicht ist, wieder wird, Herr Kollege Roth. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Sie selbst sprachen über die Dimension, die beide geordneten Catenhusen. Präsidenten aufgezeigt hätten. Da stimme ich Ih- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10589

Pari. Staatssekretär Würzbach nen zu. Die Dimension, die Linie, die Idee, das Ziel chen, die nicht mit nachdenken, sondern die ande- sind beschrieben. Alles auf dem Weg dahin ist über- ren machen lassen —, auf keinen Fall durch den haupt noch nicht so klar, daß wir damit etwas kon- Rost fallen dürfen und dabei unsere Sicherheit, un- kret anfangen könnten. Das gilt es abzutasten. sere Interessen — auch die, nach denen Sie soeben Wenn sich im Rahmen der Dimension Details als speziell gefragt haben — gefährden. für uns politisch, strategisch, sicherheitspolitisch, Zusatzfrage des Abgeord- technologisch wünschenswert ergeben, wenn sich Vizepräsident Westphal: neten Stahl. herausstellt, daß wir uns beteiligen sollten und die damit zusammenhängende Finanzsumme für uns, Stahl (Kempen) (SPD): Herr Staatssekretär, wir die Bundesrepublik, zu groß sein sollte — dieser nehmen sehr gerne zur Kenntnis, daß Sie hier für Riesenbrocken, der möglicherweise an Finanzen er- die gesamte Bundesregierung sprechen, also auch forderlich ist —, dann steht doch der Weg frei, mit für den Bundesforschungsminister. Deshalb ist Partnern in Europa eventuell einen Teil dieses gro- auch die Frage nach Zahlen und nach Zielsetzun- ßen Projektes zu übernehmen. Aber all die Dinge gen erlaubt. Ich frage Sie also: Wie groß sind die sind heute noch nicht zu greifen. Deshalb sage ich Volumina — in Millionen oder in Milliarden DM — noch einmal: sorgfältiges Prüfen, Abwägen, Unter- für Forschungsvorhaben, die die Bundesregierung suchen und dann konkrete Vorschläge. für das Programm Eureka auszugeben bereit ist, (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Milliarden!) und wie sieht das etwa im Verhältnis zum SDI-Pro- gramm aus, bei dem die entsprechenden Zahlen in Vizepräsident Westphal: Ich mache Sie wieder auf Milliardenhöhe ja schon in der Diskussion und die Geschäftslage aufmerksam: Wir haben jetzt schon ziemlich festgelegt sind? noch vier Zusatzfragen und eine, die dem Fragestel- ler zusteht. Dann gehe ich zur nächsten Frage Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die über. Summen, die im Augenblick im Haushalt veran- schlagt sind, können Sie den einzelnen Haushalts- Zuerst Abgeordneter Berger. plänen entnehmen. (Lachen und Zurufe von der SPD) Berger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, können wir uns darauf verständigen, das im Grunde einver- — Ich habe nicht über SDI oder Eureka geredet. nehmlich festgehalten werden müßte, erstens findet Nehmen Sie die Antwort so, wie ich sie soeben SDI statt und zweitens betrifft uns SDI, daß wir gegeben habe. — Das können Sie dann auf die mit- deshalb darauf bedacht sein sollten, auf die Ergeb- telfristige Finanzplanung hochrechnen. Für Eureka nisse so viel Einfluß zu nehmen, wie es unserer und für SDI kann darin noch überhaupt nichts sein, sicherheitspolitischen Lage entspricht, daß wir weil wir in der frühesten Vorphase der Prüfung schließlich auch gemeinsam daran interessiert sein sind, ob etwas möglich ist, ob nichts möglich ist bzw. müßten, daß deutsche Forschungskapazitäten nicht was möglich ist. Ich weiß nicht, wer in diesem Sta- aus diesem Lande abfließen, sondern hier genutzt dium der Untersuchung bereits einen Niederschlag werden können, und daß dafür Eureka eine geeig- im Haushalt haben will. nete Möglichkeit wäre? (Stahl [Kempen] [SPD]: Ich habe nach den Zahlen gefragt, die Sie in Aussicht gestellt Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die haben!) Amerikaner werden SDI vorantreiben und mit Partnern auch außerhalb der Vereinigten Staaten Vizepräsident Westphal: Als nächster hat der Ab- einiges erforschen, geordnete Fischer (Homburg) eine Zusatzfrage. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Meinen Sie SDI Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, oder das Forschungsprogramm?) Sie haben in Ihrer Antwort vorhin erklärt, daß das um dem Ziel näher zu kommen. Ich gehe davon aus, System SDI nicht einen Beitrag zur Aufrüstung, daß das gleiche für den französischen Präsidenten sondern zur Abrüstung leiste. Sie haben einen gilt, bezogen auf das andere Projekt. Punkt der Regierungserklärung erwähnt und erläu- Nun gilt es zu untersuchen: Kann man beide mög- tert, warum eine deutsche Beteiligung an der For- licherweise — auch diese Frage ist überhaupt noch schungsphase möglich sei: weil die UdSSR in die- nicht zu beantworten; Kollege von Bülow fragte ge- sem Bereich schon einen Vorsprung habe. Sind Sie stern etwas Ähnliches — miteinander verbinden? denn der Ansicht, daß die UdSSR dieses System Wo sind die Schnittstellen? Wo ergänzt das eine das eingerichtet, installiert hat, um einen Beitrag zur andere? Wo ist möglicherweise eine Investition, die Abrüstung zu leisten? die Deutschen in diesem Projekt tätigen, auch et- Parl. Staatssekretär: Hinsichtlich der was für das andere? Ich verweise, ohne sie noch ein- Würzbach, Sowjetunion bin ich dieser Meinung nicht, weil sie mal aufzuzählen, auf die Leitlinien aus der Regie- neben dieser Installation eines Antiraketensystems rungserklärung. - — ich freue mich, daß Sie es kennen und anspre- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist doch Ma chen — laufend neue Waffen, vornehmlich auch auf kulatur!) Europa, auf uns, auf Sie, auf uns alle gerichtete ato- Klar ist, daß wir bei beiden Projekten, sollten wir mare Angriffswaffen, installiert hat. Aber wir sind nein sagen — Sie zählen ja zu denen, die das im dabei, zu prüfen: Welchen Einfluß kann SDI auf die Augenblick schon tun, die auf keinen Fall mitma- Abrüstung in Ost und West, auf den Produktions- 10590 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Würzbach stopp, auf das Reduzieren, auf das Verschrotten von Nachdem schon gestern festgestellt worden ist, atomaren Angriffsraketen überall in der Welt — bei daß die Fragen 54 und 55 des Abgeordneten uns wie in der Sowjetunion — haben? Das ist eine Dr. Feldmann auf Grund des Wunsches des Frage- Komponente, von der ich hoffe, daß wir sie gemein- stellers schriftlich beantwortet werden sollen, teile sam unvoreingenommen, Herr Kollege, untersu- ich mit, daß dies auch auf die Frage 56 des Abgeord- chen und sie unterstützen, sollte sie zu diesem Ziel neten Lowack und auf die Fragen 57 und 58 des führen. Abgeordneten Pauli zutrifft. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Wir kommen nun zur Frage 59 des Abgeordneten geordneten von Bülow. Antretter: Dr. von Bülow (SPD): Herr Staatssekretär, kann es In welchem Umfang und auf Grund welcher bundesdeut- sein, daß Ihre Antwort heute dadurch beeinträch- schen Kontrolle erfährt die Bundesregierung die Standorte der ständig in Gefechtsbereitschaft befindlichen, atomar be- tigt wird, daß die Frage über das Bermuda-Dreieck stückten Pershing-II-Raketen? des Herrn Schreckenberger gezogen worden ist? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Denn anders kann man sich kaum vorstellen, daß der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Waigel, in Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege An- der Fraktionssitzung vorgestern erklärt hat, das, tretter, die Bundesregierung ist über Anzahl, Art was Außenminister Hans-Dietrich Genscher in und Standort aller Nuklearwaffen bei uns in der Sachen amerikanischer Weltraumverteidigung zum Bundesrepublik umfassend informiert. Dies gilt besten gebe, sei schließlich alles andere als eine auch für ständig einsatzbereite Pershing II. Einzel- Unterstützung des Regierungschefs. Insofern heiten der Verfahren, nach denen sich die Bundes- scheint es mir doch problematisch zu sein, wenn Sie regierung auf dem sensitiven Gebiet dieser Waffen hier sagen, Sie sprächen für die gesamte Regie- unterrichtet, werden — wie bei der Regierung vor- rung. her und den Regierungen noch davor — nicht öf- (Beifall bei der SPD) fentlich dargestellt.

Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Antret- fragen, ob dies so sein kann. Ich sage: So kann es ter. nicht sein. (Lachen und Zurufe von der SPD und den Antretter (SPD): Herr Staatssekretär, ist es Ihnen GRÜNEN — Catenhusen [SPD]: Sie mei wenigstens möglich, mir darüber Auskunft zu ge- nen, so darf es nicht sein! So ist es aber!) ben, in welcher Weise die Bundesregierung örtliche Kontrollen an den kriegsbereiten Abschußplätzen Vizepräsident Westphal: Letzte Zusatzfrage zu die- der Pershing-Il-Raketen durchführt? ser Frage vom Abgeordneten Immer. Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich teile, Herr Immer (Altenkirchen) (SPD): Herr Staatssekretär, Kollege, hier Einzelheiten nicht mit. Aber Sie dür- da Sie in Beantwortung der Frage des Kollegen von fen davon ausgehen, daß die Regularien und auch Bülow noch einmal betont haben, daß Sie für die die Instrumente, wie dies durchgeführt wurde und ganze Regierung sprechen — okay —, im entschei- wird, sich seit Oktober 1982 — ich meine damit den denden Fall aber der Kanzler für die ganze Regie- Regierungswechsel — nicht geändert haben. rung spricht: Müssen Sie nicht zugeben, daß in letz- ter Zeit deutlich geworden ist, daß zwar der Kanzler Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr für die ganze Regierung spricht, daß aber jeder ein- Antretter. zelne Minister für sich spricht und — in Divergenz zu dem, was der Kanzler will; siehe Zimmermann Antretter (SPD): Herr Staatssekretär, sehen Sie usw. — hier sehr viel Verschiedenartiges gesagt sich auch außerstande, mir die Frage zu beantwor- wird? ten, welche Vorbildung bzw. welche fachliche Quali- fikation das bundesdeutsche Personal hat, das diese Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre örtlichen Kontrollen durchführt? Partei ist ja auch einige Jahre — manche meinen: einige zu lange — in der Regierung gewesen. Ich Würzbach, Parl. Staatssekretär: Eine dafür gut ge- gehe davon aus, daß Sie alle die Geschäftsordnung eignete und den Anforderungen gerecht werdende kennen. Für die Bundesregierung spricht der Bun- Qualifikation. deskanzler. Aber der hier antwortende Staatssekre- tär — das war mein Hinweis auf die Geschäftsord- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter nung — spricht nicht für sich als Person, auch nicht Klejdzinski zu einer Zusatzfrage. allein für sein Ressort, sondern antwortet im Na- men der Bundesregierung. Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekretär, wenn (Zuruf des Abg. Catenhusen [SPD]) Sie schon an dem Grundsatz festhalten, nie be- - kanntzugeben, wo was stationiert ist, darf ich Sie Vizepräsident Westphal: Dann haben wir die Fra- dann fragen, ob Sie darüber informiert sind, wenn gen nicht nur von der Sache, sondern auch von der Bomber des strategischen Verbandes mit atomar Geschäftsordnung her völlig geklärt und können bestückten Gefechtsköpfen bzw. Bomben das Ge- weitergehen. biet der Bundesrepublik Deutschland überfliegen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10591

Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir analyse für Stellungen kriegsbereiter Pershing-II- sind im Grundsatz über die Stationierung wie über Raketen zugänglich sein sollte, wie sie für zivile regelmäßige Bewegungen informiert. Dies ist atomare Gefahrenpotentiale erforderlich ist? ebenso wie bei den Ministern und den Bundeskanz- lern aus Ihrer Partei, die hierfür Verantwortung Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nicht bezogen auf trugen, mit den militärischen und politischen Gre- einzelne Stellungen. Dies wäre ein Heranschleichen mien abgesprochen. von der anderen Seite an das Ziel der Veröffentli- chung: Wo sind welche und wo sind keine? Sollte Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- dies nicht Ihr Begehren sein, ist dies keine neue neten Schierholz. Forderung. Der Bundesminister der Verteidigung wie kürzlich aus einem nicht schönen Anlaß der (GRÜNE): Ich möchte nachfragen, Dr. Schierholz amerikanische stellvertretende Heeresminister — Herr Staatssekretär, weshalb die Bundesregierung nicht nur Politiker, sondern auch Professor der im Falle der Cruise-Missiles-Stellung in Wüschheim Physik — haben hierüber detailliert informiert. im Hunsrück eine Ausnahme von dem gemacht hat, was Sie hier gerade — aus meiner Sicht: fälschli- cherweise — gesagt haben. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage der Frau Ab- geordneten Fuchs (Verl). Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in den zuständigen Gremien ist dargestellt worden, Frau Fuchs (Verl) (SPD): Herr Staatssekretär, aus welchem Grund und wie häufig die Bundesre- wenn eine kriegsbereite, atomar bestückte Per- gierung aus wohlabgewogenen Gründen eine Aus- shing II in Brand geriete, was nicht auszuschließen nahme im Einzelfall von diesem Grundsatz ge- ist: Sagen Ihre Untersuchungen etwas darüber aus, macht hat. Wir sind nicht gewillt, diese auszudeh- bei welchem Grenzwert der Plutoniumbodenkon- nen und von der Grundsatzhaltung aller Regierun- zentration eine Evakuierung der Betroffenen aus gen generell abzuweichen. den Gebieten angezeigt wäre? Wir kommen zur Frage 60 Vizepräsident Westphal: Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es wird keine des Abgeordneten Antretter: Evakuierung erforderlich sein, weil, wie ich auf die Kann die Bundesregierung die Feststellung der Ärztever- Frage des Kollegen vorhin geantwortet habe, eine einigung IPPNW bestätigen oder widerlegen, daß beim weitreichende Verstrahlung nicht eintreten wird. Brand einer der ständig in Gefechtsbereitschaft befindlichen Pershing-II-Raketen „Plutonium freigesetzt wird" und „ein Gebiet von der Ausdehnung einer Großstadt radioaktiv ver- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- seucht werden könnte", so daß es „auf unbestimmte Zeit neten Berger. nicht mehr bewohnbar wäre"? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Berger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß anläßlich dieses schlimmen Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es gibt kein reali- stisches Szenario, das die Behauptung der Ausbrei- Unfalls der Verteidigungsausschuß — aber auch tung einer radioaktiven Verstrahlung auch nur im schon vorher — sich sehr wohl über das mögliche entferntesten rechtfertigte. Gefahrenpotential für die Bevölkerung hat infor- mieren lassen, daß dies seiner Aufgabe entspricht Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr und daß wir z. B. gestern bei einer offiziellen Sit- Antretter. zung des Verteidigungsausschusses in Heidelberg beim amerikanischen Kommando die gleichen Fra- Antretter (SPD): Herr Staatssekretär, liegen denn gen noch einmal geprüft und erfahren haben, daß dann der Bundesregierung Untersuchungsergeb- im Falle einer mechanischen Beschädigung einer nisse darüber vor, welche Folgen der Plutoniumver- Pershingrakete oder auch ihres Brandes das ato- seuchung durch einen Brandunfall mit einer kriegs- mare Potential immer unterkritisch bleibt, d. h. also bereiten Pershing-II-Rakete entstehen können? eine Reaktion ausgeschlossen ist? (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr umstrit Würzbach, Parl. Staatssekretär: Darüber hinaus gibt es Untersuchungen. Es gibt, Herr Kollege, ten!) praktische Erkenntnisse aus dem einen oder ande- ren Unfall, z. B. in Palomares in Spanien und in Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich Thule in Grönland. Glücklicherweise lautet die bestätige nicht nur dies, sondern weise darüber hin- Konsequenz, daß sowohl durch Feuer mit hoher aus darauf hin, daß die Bundesregierung, der Ver- Temperatur als auch durch einen Absturz aus gro- teidigungsminister, nicht erst der jetzige, Manfred ßer und größter Höhe — wie beispielsweise 10 000 Wörner, zusammen mit den Amerikanern daraus Fuß bei dem Unfall 1966 in Spanien — diese Schä- die nötigen Konsequenzen bezüglich Sicherheitsbe- den nicht entstehen können. reichen und anderem gezogen haben. - Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Westphal: Ich rufe nun die Frage 61 Antretter. der Frau Abgeordneten Fuchs (Verl) auf: Kann die Bundesregierung bestätigen, oder widerlegen, Antretter (SPD): Darf ich Ihre Antwort auf meine daß die atomaren Sprengköpfe der ständig gefechtsbereiten letzte Frage so verstehen, Herr Staatssekretär, daß Pershing-II-Raketen mit Hubschraubern zu den Bereit- auch dem Bundestag eine Risiko- bzw. Sicherheits- schaftsstellungen der Raketen transportiert werden? 10592 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin teidigungsminister — auch sehr persönlich und vor Fuchs, wie die Bundesregierung schon vielfach fest- Ort — sowie, von ihm ausgehend, die Medien und gestellt hat, werden nukleare Gefechtsköpfe in der schließlich der amerikanische — von uns extra her- Bundesrepublik Deutschland im Frieden nicht im übergebetene — stellvertretende Heeresminister in öffentlichen Straßenverkehr transportiert. Der diesem Zusammenhang der Bevölkerung in Bonn Lufttransport dieser Waffen beschränkt sich auf und auch vor Ort gegeben haben, Gewähr dafür bie- das erforderliche Mindestmaß. Details werden auch ten, daß derjenige, der diese Dinge wirklich unvor- hier auf Grund der verbindlichen Geheimhaltung eingenommen und objektiv hat zur Kenntnis neh- nicht mitgeteilt. Deutsche Stellen sind informiert, men wollen, inzwischen zu der Überzeugung ge- an den Sicherheitsvorkehrungen beteiligt. Und die kommen ist, daß trotz dieses unschönen, dieses Sicherheitsauflagen werden streng eingehalten. schlechten — wie ich hoffe, in Zukunft nicht wieder auftretenden — Unfalls keine Gefährdung für die Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Frau Fuchs. Bevölkerung in der Umgebung bestand. Frau Fuchs (Verl) (SPD): Herr Staatssekretär, sind Vizepräsident Westphal: Frau Fuchs! Sie nicht der Auffassung, daß es angesichts der exi- stenziellen Betroffenheit der Bevölkerung, speziell (Verl) (SPD): Herr Staatssekretär, ist nach dem Unfall in Heilbronn, nicht mehr vertret- Frau Fuchs Ihnen bekannt, daß auch in den Reihen der Bevöl- bar ist, daß der Bevölkerung a) nicht gesagt wird, kerung um Heilbronn herum immer noch große auf welchem Wege die Atomsprengköpfe transpor- Skepsis und Unsicherheit besteht und daß nach den tiert werden, und b) auch nicht detaillierte Kontroll- Informationen im Verteidigungsausschuß und in möglichkeiten der Bundesrepublik und die Weise, Heilbronn — nach Informationen von, wie Sie sa- in der die Kontrollrechte ausgeübt werden, darge- gen, kompetenter Stelle — sehr bekannte und fä- legt werden? hige Wissenschaftler zu einer ganz anderen Auffas- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- sung gekommen sind, nämlich zu der, daß sehr wohl rung, die Bundesrepublik, und damit die gewählten Gefahren im Verzug waren; Repräsentanten aller Bürger, Frau Kollegin, sind in der Form beteiligt, die soeben auf Ihre Frage und Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich weiß dies und auf die Fragen vorher dargestellt worden ist. Ich möchte Sie und uns alle bitten, daß wir in diesen sehe keine Notwendigkeit und auch keinen aktuel- Fragen zur Versachlichung — nicht zur Verschlei- len zwingenden Anlaß, von der geübten, bewährten, erung, aber zur Versachlichung — unseren Teil bei- von allen Regierungen praktizierten Art abzuwei- tragen. chen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Was diese Versachlichung und was den kritischen Vizepräsident Westphal: Zweite Zusatzfrage, Frau Dialog mit Wissenschaftlern, die zu anderen Ergeb- Fuchs. nissen gekommen sind, angeht, werden wir Ende dieses oder Ende nächsten Monats in den Vereinig- Frau Fuchs (Verl) (SPD): Kann es sein, Herr Staatssekretär, daß Ihre und meine Auffassung hin- ten Staaten auch unter Beteiligung deutscher Wis- sichtlich der gebotenen Transparenz in einer Demo- senschaftler, die eine andere Auffassung haben, zu kratie sehr unterschiedlich sind? einem Gespräch — oder nennen wir es, wie es üb- lich ist, Symposium — zusammenkommen. Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ja. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 62 der Horn. Frau Abgeordneten Fuchs (Verl) auf: Kann die Bundesregierung bestätigen oder widerlegen, Horn (SPD): Herr Staatssekretär, ist der Bundes- daß beim Absturz und Brand eines Hubschraubers, der ato- regierung — abgesehen von den eben erwähnten mare Sprengköpfe für Pershing-II-Raketen transportiert, seriösen Stellungnahmen von Wissenschaftlern, die eine Freisetzung von Plutonium erfolgen kann? zu gegenteiligen Ergebnissen kommen — auch be- kannt, daß es gerade in diesem Bereich immer wie- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Auf Grund vieler und gründlicher experimenteller und theoretischer der neue Erkenntnisse gibt, die die Bundesregie- Untersuchungen hält die Bundesregierung diese rung dazu verpflichten müssen, zum Schutz der Be- Annahme für widerlegt. völkerung immer wieder gegenüber neuen Ergeb- nissen offen zu sein und immer wieder intensiv Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Frau dazu aufzufordern, die wissenschaftlichen Erkennt- Fuchs. nisse zu vertiefen?

Frau Fuchs (Verl) (SPD): Wie will die Bundesregie- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, jede rung der Bevölkerung eigentlich überzeugend Behauptung einigermaßen seriöser Art wird dar- glaubhaft machen, daß sie — die Bevölkerung in aufhin untersucht, ob sie in der Tat eine Erkenntnis der Gegend von Heilbronn — bei dem Unfall über- neuer Art ist und ob sie uns also zum Umdenken zu haupt nicht in Gefahr war? bringen hat.

Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- aus, daß all die Informationen, die der Bundesver- geordneten Stahl. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10593

Stahl ( Kempen) (SPD): Herr Staatssekretär, Sie rungshorizont und andere Kenntnisse hat, als es in sprachen davon, daß drüben in den Staaten ein der Öffentlichkeit der Fall ist, vor der die Zusam- Symposium zu diesem Thema stattfinden wird. menhänge nur grob dargestellt werden können. Darf ich Sie fragen, wie hoch die Teilnehmerzahl (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Dann brauchen sein wird und wie viele der von Ihnen angesproche- wir doch kein Symposium mehr!) nen „kritischen Wissenschaftler" daran teilnehmen werden? Vizepräsident Westphal: Wir sind am Ende des Ge- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, schäftsbereichs des Bundesministers der Verteidi- wenn Sie mir diese Frage auf dem üblichen Wege gung. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die zuleiten, werden Sie ordnungsgemäß die entspre- Beantwortung der Fragen. chende Antwort bekommen. Meine Aussage eben war nicht auf die Grundsatzfrage bezogen, sondern Der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und war ein Ausblick auf den Tatbestand, ohne daß ich des Bundeskanzleramts braucht nicht aufgerufen jetzt Einzelheiten präsent hätte. zu werden, weil um schriftliche Beantwortung der entsprechenden Fragen gebeten worden ist. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- geordneten Antretter. bereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen Antretter (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin auf die Frage meiner Kollegin Fuchs hinsichtlich Frau Karwatzki zur Verfügung. der Gefährdung gesagt, Sie würden demnächst mit amerikanischen Wissenschaftlern ein Symposium Die Fragen 63 und 64 des Abgeordneten Müller veranstalten. Ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit (Schweinfurt) werden auf Wunsch des Fragestellers sind, auch mit deutschen Wissenschaftlern, die ähn- schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als liche Befürchtungen wie die von Frau Fuchs er- Anlagen abgedruckt. wähnten internationalen Wissenschaftlern äußern, Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Catenhu- ein Symposium zu führen? sen auf: Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ob- Wie viele „überzählige" befruchtete menschliche Eizellen Würzbach, von Frauen, die durch künstliche Befruchtung schon schwan- wohl wir uns hier kilometerweit von der Eingangs- ger geworden sind, werden z. Z. in den klinischen Zentren frage entfernt haben, habe ich erwähnt, daß deut- der Bundesrepublik Deutschland, in denen künstliche Be- sche Wissenschaftler dort beteiligt werden. fruchtungen vorgenommen werden, aufbewahrt? Bitte schön, Frau Staatssekretär. Vizepräsident Westphal: Auch mir ist deutlich ge- worden, daß wir weit von der Frage entfernt sind, aber, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, in Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundes- diesem Falle ging das von Ihrer Antwort aus. minister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Catenhusen, die genaue Zahl „überzähli- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich weiß das, Herr ger" befruchteter menschlicher Eizellen in den 12 Präsident. bis 14 Universitätsfrauenkliniken, die sich mit der künstlichen Befruchtung menschlicher Eizellen au- Vizepräsident Westphal: Zu einer Zusatzfrage der ßerhalb des Körpers befassen, ist nur durch eine Abgeordnete Klejdzinski. schriftliche Umfrage über die zuständigen obersten Landesbehörden zu erfahren. Eine solche Befra- (SPD): Herr Staatssekretär, nach- Dr. Klejdzinski gung würde allerdings einen längeren Zeitraum in dem Ihre Feststellung, daß wir uns kilometerweit Anspruch nehmen. von der Grundfrage entfernt haben, sicherlich nicht zutrifft, darf ich zumindest davon ausgehen, daß Eine Auskunft aus einer auf diesem Gebiet füh- das Grundphänomen, nämlich ein elektrostatisches renden deutschen Universitätsfrauenklinik ergab, Problem, zwar bisher als Ursache angenommen daß gegenwärtig nur so viele weibliche Eizellen ent- worden ist, daß Ihnen aber bekannt ist, daß es nam- nommen und extrakorporal befruchtet werden, wie hafte Wissenschaftler gibt, die meinen, daß genau für eine Sterilitätsbehandlung erforderlich sind. Es diese Theorie, nach der allein die Elektrostatik Ur- wurde darauf hingewiesen, daß das Aufbewahren sache dieses Unfalles war, nicht zutrifft. befruchteter Eizellen in tiefgefrorenem Zustand we- gen der ungeklärten Rechtslage mehr und mehr Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, na- unterlassen wird. Sogenannte Embryodepots wer- türlich haben wir uns damit gründlich auseinander- den abgebaut, die Anzahl der operativ entnomme- gesetzt und bleiben nicht nur bei der Behauptung, nen Eier der erforderlichen Zahl für die Einpflan- sondern befinden uns in der ganz zweifelsfrei gesi- zung angepaßt und die Aufbewahrung nur auf aus- cherten Erkenntnis, daß es genau diese elektrostati- drücklichen Wunsch des Ehepaares für den Fall des schen Vorgänge und nichts anderes gewesen sind, Versagens — oder der Wiederholung der Sterilitäts- die zu dem Unfall geführt haben. Dies wird in dem behandlung nach Jahren — vorgenommen. Zusammenkommen erläutert, dargestellt und wis- senschaftlich klarer und näher ins Detail gehend behandelt werden. Das ist logisch, weil man dort Vizepräsident Westphal: Zu einer Zusatzfrage eine andere Sprache spricht, einen anderen Erfah- Herr Catenhusen. 10594 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Catenhusen (SPD): Gehe ich richtig in der Annah- Lowack —, daß sie einen wirksamen Jugendschutz me, daß diese Antwort — die ich nicht für repräsen- auch in Rundfunk und Fernsehen für unerläßlich tativ halte — von der Universitätsfrauenklinik in hält. Die Bundesregierung unterstützt daher jede Kiel kommt? Maßnahme, die geeignet erscheint, diesen Schutz zu verbessern. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, Sie ge- Zu Altersangaben bei Spielfilmen im Fernsehen hen nicht richtig. hat die Konferenz der Jugendminister und -senato- ren der Länder mit Beschluß vom 1. Juni 1984 die Vizepräsident Westphal: Zweite Zusatzfrage. zuständigen Organe und Gremien der Fernsehan- Catenhusen (SPD): Frau Staatssekretär, halten stalten gebeten, darauf hinzuwirken, daß in der Pro- Sie es in Anbetracht der öffentlichen Bedeutung grammvorschau, in den Programmhinweisen und möglicher Experimente an befruchteten menschli- Programmansagen die Fernsehteilnehmer bei chen Eizellen für sinnvoll, die von Ihnen für mög- Spielfilmen auf die Altersfreigabeentscheidungen lich gehaltene schriftliche Anfrage bei den deut- der Freiwilligen Filmselbstkontrolle hingewiesen schen Zentren, die diese Behandlung durchführen, und bei eigenen Fernsehprodukten auf die Eignung zu unternehmen, um auch hier mehr Klarheit in der oder Nichteignung der Sendungen für Kinder und Öffentlichkeit herzustellen? Jugendliche aufmerksam gemacht werden. Die Dis- kussion über die Frage, welche Konsequenzen aus Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege diesem Beschluß zu ziehen sind, ist zwischen den Catenhusen, muß ich das so verstehen, daß Sie die Fernsehanstalten und den obersten Landesjugend- Universitätsfrauenkliniken meinen? behörden noch nicht abgeschlossen. Die Bundesre- (Catenhusen [SPD]: Ja, die Zentren! Das gierung hält es jedoch für bemerkenswert, daß je- sind im wesentlichen Frauenkliniken, wie denfalls grundsätzliche Übereinstimmung darüber Sie wissen!) besteht, daß Sendungen, die für Kinder und Jugend- liche nicht geeignet sind, zu Zeiten ausgestrahlt Ich sagte eben schon: Das dauert eine Zeit. Aber werden, in denen Kinder und Jugendliche üblicher- wenn Sie die Informationen dringend erwünschen, weise nicht fernsehen. sage ich Ihnen zu, Entsprechendes zu veranlassen, bitte allerdings um Verständnis, daß es etwas län- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des ger dauern wird. Herrn Dr. Weng.

Vizepräsident Westphal: Zu einer Zusatzfrage Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Frau Staatssekretär, Herr Abgeordneter Vogel (München). wenn ich Sie richtig verstehe, kommt das Fern- sehen dieser Empfehlung bisher nicht nach. Wür- Vogel (München) (GRÜNE): Frau Staatssekretä- den Sie mir dann recht geben in der Auffassung, rin, in Anbetracht der möglichen Experimente mit daß das Fernsehen in dieser Beziehung in allen sei- künstlich befruchteten menschlichen Eizellen frage nen Programmen nicht sehr verantwortungsvoll ich: Existieren in Ihrem Hause Überlegungen, dafür handelt? eine verbindliche Nachweispflicht einzuführen? Nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, schaut es ja Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, das so aus, daß diese nicht gegeben sind. Also konkret: kann man eigentlich nicht sagen, weil gerade bei Bestehen in dieser Richtung Überlegungen? der Fernsehproduktion noch strengere Maßstäbe in bezug auf Sendungen als z. B. in der Freiwilligen Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: In unserem Selbstkontrolle angesetzt werden. Haus gibt es in diesem Bereich keine Überlegun- gen. Ich darf aber darauf verweisen, daß der Kol- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr lege Catenhusen, der in diesem Hause eine ganz Weng. wichtige, entscheidende Kommission leitet, dort si- cherlich solche Überlegungen anstellen wird. Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Frau Staatssekretär, die Bundesregierung ist sich ja sicherlich darüber Vizepräsident Westphal: Die Fragen 68 und 69 des im klaren, daß die Sendezeit alleine heute keine Abgeordneten Broll werden entsprechend der Ge- genügende Grundlage dafür ist, anzunehmen, daß schäftsordnung behandelt, da der Fragesteller nicht Kinder diese Sendungen nicht sehen. Sehen Sie im Saal ist. keinen Grund, hier weitergehende Bemühungen zu Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Dr. Weng starten? (Gerlingen) auf: Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, auf die Pro- gramme des Deutschen Fernsehens dahin gehend hinzuwir- Kollege Weng, ich glaube, eine wie auch immer ver- ken, daß diese bei gezeigten Filmen (Spielfilmen) zur Unter- antwortete Bundesregierung kann nicht alles re- richtung der Eltern das Alter angeben, von dem an diese geln. Hier muß viel stärker an die Verantwortung Filme für Kinder bzw. Jugendliche zulässig sind? der Eltern appelliert werden, dafür zu sorgen, daß Bitte schön, Frau Staatssekretär. Kinder im Alter unter 14 Jahren nach 21 Uhr nicht fernsehen. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weng, die Bundesregierung hat wiederholt aus- Vizepräsident Westphal: Da die Fragen 71 und 72 drücklich erklärt — zuletzt in der Antwort vom des Abgeordneten Kirschner auf Wunsch des Fra- 24. Mai dieses Jahres auf eine Frage des Kollegen gestellers schriftlich beantwortet werden sollen — Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10595

Vizepräsident Westphal die Antworten werden als Anlagen abgedruckt —, insbesondere in der Bundesrepublik und in Europa sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich haben? danke Ihnen, Frau Karwatzki, für die Beantwor- tung dieser Fragen. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Diese Frage wird Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- insofern geprüft, als es sich um die Prüfung konkre- ministers für Forschung und Technologie. Zur Be- ter, anwendungsbezogener Projekte handelt; denn antwortung steht der Parlamentarische Staatsse- die Lösung einer spezifischen Aufgabe bringt eine kretär Dr. Probst zur Verfügung. spezifische technologische Lösung. Erst, wenn das Die Frage 73 von Herrn Peter und die Fragen 74 bekannt ist, weiß man, ob das parallel zu SDI ver- und 75 von Herrn Carstensen (Nordstrand) sollen läuft. Das steht heute nicht fest. schriftlich beantwortet werden. Die Antworten wer- den als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident Westphal: Darf man als Präsident auch einmal eine Frage äußern? Ist es nicht mög- Wir kommen also zur Frage 76 des Abgeordneten lich, wenigstens einmal für unsere Zuhörer den Be- Roth: griff Spin-off zu erklären? Dann haben sie ihn alle Welche Überlegungen werden in der Bundesregierung dar- begriffen, und dann können wir wieder zum Spin- über angestellt, wie es durch zivile Forschungs- und Entwick- lungsanstrengungen gelingen kann, die aus dem Forschungs- off zurückkehren. programm zur Strategischen Verteidigungsinitiative der Ver- Herr Schierholz ist der nächste. einigten Staaten von Amerika erwarteten zivilen Spin-offs ohne Umweg über die militärische Forschung im direkten Wege anzugehen, und welche Themenfelder eignen sich nach Dr. Schierholz (GRÜNE): Soll ich das jetzt erklä- Ansicht der Bundesregierung hierzu besonders? ren, oder soll ich fragen?

Bitte sehr, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Westphal: Das ist nicht Ihre Aufga- be. Ich hatte nur die Hoffnung, daß es einmal einer Dr. Probst, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- tut. ster für Forschung und Technologie: Die Frage 76 (Berger [CDU/CSU]: Die GRÜNEN können des Kollegen Roth beantworte ich wie folgt. Die doch alles erklären!) Bundesregierung erwartet, daß das Forschungs- programm der USA zur SDI Auswirkungen auf den künftigen Wettbewerb auf dem kommerziellen, zivi- Dr. Schierholz (GRÜNE): Ich wollte etwas ganz len Markt haben wird. Ob bestehende Förderkapa- anderes fragen. In der Annahme, daß wir uns bei zitäten der Bundesregierung ausreichen oder er- der Frage 76 des Abgeordneten Roth und nicht bei gänzt werden müssen, kann erst geklärt werden, der Frage 77 des Abgeordneten Roth befinden, wenn sich eine Gruppe von Experten in den USA möchte ich Sie fragen, ob Sie mit der Antwort, die genauer informiert hat. Sie gerade auf die Ausgangsfrage von Herrn Roth gegeben haben — Herr Staatssekretär, einmal Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Roth. Hand aufs Herz — sagen: Es gibt keine Überlegun- gen innerhalb der Bundesregierung. Roth (SPD): Herr Staatssekretär, der Sinn meiner Frage war — er ist offenbar nicht aufgenommen Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich möchte die worden —, ob die Bundesregierung in Eureka eine Antwort nicht so verstanden wissen. Alternative sieht, um vergleichbare Forschungsan- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wie denn? Ant strengungen ohne den Umweg über die Militärfor- worten Sie doch einmal!) schung zu betreiben. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Eureka und SDI geordneten Klejdzinski. sind keine Alternativen. Die Schwierigkeit des so- genannten Spin-off, der hier eine große Rolle spielt, Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekretär, da ist, daß man den Spin-off vorher nicht definieren Spin-off-Effekt ja bedeutet, bekannte Forschungser- kann. Es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, gebnisse auf ein anderes Forschungsgebiet zu über- daß sich erst im nachhinein herausstellt, wo ent- tragen, beispielsweise aus dem militärischen Be- sprechende Anwendungsgebiete liegen. Ich erin- reich in den zivilen Bereich, frage ich Sie, wie hoch nere nur an die großen Weltraumprogramme der Sie, wenn Sie die Erfahrungswerte, die aus der Ver- Vereinigten Staaten von Amerika, die vielfältigsten gangenheit gegenwärtig vorliegen, zugrunde legen, Spin-off im Bereich der Datentechnik, der Informa- den Prozentsatz ansetzen, den Sie erwarten, spe- tions- und Kommunikationstechnologien ergeben ziell bezogen auf die einzelnen Grundlagenbereiche, haben. die in diesem Forschungsprogramm im Grundla- genbereich von SDI angesprochen sind? Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Roth. - Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Solche Prozent- Roth (SPD): Ich will meine Frage noch einmal sätze zu errechnen ist nicht möglich, weil es sich bei wiederholen: Sehen Sie in der Diskussion über wichtigen Anwendungsfeldern eher um Ausnah- Eureka Themenfelder, bei denen Sie ohne den Um- meerscheinungen handelt. weg über die Militärforschung direkte Chancen für (Dr. Klejdzinski [SPD]: Ich kann sie Ihnen die private und soziale Entwicklung der Wirtschaft nennen!) 10596 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Probst Ich darf ein Beispiel noch einmal in Erinnerung trales Anliegen angesehen wird. Es gibt in anderen bringen. Wir haben heute in der Medizin eine au- Bereichen — ich nenne die Forschungen auf dem ßerordentlich wirksame Maschine, den Nierenstein- Gebiet der Biogenetik — mit Sicherheit eine Reihe zertrümmerungsapparat. Das ist das Abfallprodukt von Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der einer Prüfung bei Flugzeugen in bezug auf Regen- Fokussierung der Kräfte in Europa. erosion bei hohen Geschwindigkeiten; es geht um den Stoßwelleneffekt. Niemand hätte voraussehen Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage, können, daß daraus einmal ein Nierensteinzertrüm- Herr Roth. merungsapparat abgeleitet wird, aber es ist so. Pro- pheten können wir natürlich nicht sein. Roth (SPD): Zu welchem Zeitpunkt dieses Jahres ist die Bundesregierung bereit, dem Bundestag oder Vizepräsident Westphal: Ich bedanke mich aus- den entsprechenden Ausschüssen konkrete Pro- drücklich für die Bildungshilfe. — Eine Zusatzfrage jektideen, die sich in Auseinandersetzung mit dem des Abgeordneten Catenhusen. französischen Partner ergeben haben, bekanntzu- geben? Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung des Finanzmini- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- sters Stoltenberg, die er als Bundesforschungsmini- rung hat den bekannten Brief erst am 15. April über ster in den 60er Jahren geäußert hat, daß nämlich den Außenminister erhalten. Es ist nicht zu erwar- der Versuch, Technologieförderung durch Militär- ten, daß die Prüfungen in zwei Monaten abgeschlos- forschung voranzutreiben, einen Umweg darstelle, sen sein werden. Die Bundesregierung legt sich und zwar einen sehr kostenaufwendigen? auch nicht auf einen Zeitpunkt fest. Es ist wichtig, daß bei diesen Programmen sehr sorgfältig abgewo- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mit Sicherheit gen wird und daß hinterher klare, gemeinsam ge- wird militärische Forschung nicht um des technolo- tragene Entscheidungen bestehen. gischen Fortschritts im zivilen Bereich willen be- trieben. Aber es gibt einen Abfall, der natürlich Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- erheblich ist. Wenn Sie sehr viel Geld in einen Be- geordneten Schierholz. reich hineingeben — nehmen Sie einen nichtmili- tärischen, nehmen Sie die amerikanische Welt- Dr. Schierholz (GRÜNE): Herr Probst, darf ich das raumfahrt, in die viele Milliarden Dollar gegangen so verstehen, daß die von Herrn Riesenhuber in sei- sind —, dann haben Sie natürlich einen erheblichen ner Presseerklärung am 31. Mai sehr detailliert ge- technologischen Abfall, den Sie auch im zivilen Be- nannten Bereiche entweder unverbindlich oder Ma- reich nutzen können. Mit solchen Innovationsschü- kulatur sind oder aber daß er nur seine persönliche ben müssen Sie natürlich bei großen öffentlichen Auffassung wiedergegeben hat? Förderprogrammen rechnen. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Solange Pro- Vizepräsident Westphal: Jetzt kommen wir zur gramme haushaltsrechtlich nicht abgesichert sind, Frage 77 des Abgeordneten Roth: existieren sie nicht. In einer Diskussion über so Welche zivilen Forschungs- und Entwicklungsprojekte er- eine Frage, die sehr viele Elemente enthält, gibt es wägt die Bundesregierung in Angriff zu nehmen, um zusam- naturgemäß eine Fülle von Auffassungen, Meinun- men mit Frankreich den Kern für ein „Europa der Technolo- gen und Diskussionsbeiträgen, gie" auf den Weg zu bringen? (Catenhusen [SPD]: Das ist in der Bundes Bitte schön, Herr Staatssekretär. regierung immer so!) Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Überlegun- die mehr oder minder starkes Gewicht für die künf- gen der Bundesregierung, welche zivilen For- tigen Entscheidungen haben. schungs- und Entwicklungsarbeiten im Zusammen- hang mit der von Frankreich vorgeschlagenen Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Eureka-Initiative durchgeführt werden können, geordneten Fischer (Homburg). sind einfach noch nicht abgeschlossen, Herr Roth. Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Sie haben soeben gesagt, Sie beabsichtigten, im Roth. Rahmen der deutsch-französischen und europäi- schen Zusammenarbeit den Schwerpunkt auf sol- Roth (SPD): Würden Sie in diesem Stadium dem che Forschungsmaßnahmen zu legen, die industrie- Deutschen Bundestag verweigern, Beispiele von politisch von Bedeutung sind. Glauben Sie nicht Forschungsschwerpunkten zu nennen? auch, daß es sehr sinnvoll wäre, gerade im Bereich der Grundlagenforschung und nicht nur im Bereich Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Forschungs- der Industriepolitik auf europäischer Ebene eng zu- schwerpunkte sind die Bereiche, die industriepoli- sammenzuarbeiten? tisch von großer Bedeutung sind. Das ist nach wie - vor der Bereich der Informations- und Kommunika- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich tionstechnologien. Hier gibt es ja ein europäisches habe das deshalb nicht erwähnt, weil das ja in Programm, das sogenannte ESPRIT-Programm. vollem Umfange geschieht. Ich bin ganz und gar Mit Sicherheit ist die Materialforschung von großer Ihrer Meinung. Vor allem dann, wenn es sehr teuer Bedeutung, die heute weltweit als ein solches zen- ist, so daß eine Nation allein überfordert wäre, ist Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10597

Parl. Staatssekretär Dr. Probst Kooperation in der Grundlagenforschung selbstver- möglich, weil Sie Sensoren selbstverständlich so ständlich geboten. oder so verwenden können. Das gilt fast für jede (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Beim Schnellen Hochtechnologie. Ihre Frage läuft einfach darauf Brüter!) hinaus, einen Zwiespalt zwischen dem, was militä- risch aufgewandt wird, und dem, was zivil aufge- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- wandt wird, zu finden. Leider ist das nicht so ein- geordneten Vosen. fach. Ich bin der Meinung, daß die besten Technolo- gien für Verteidigung bei uns angewandt werden Vosen (SPD): Herr Staatssekretär, ich möchte Ih- müssen. nen die Frage stellen, die Herr Staatssekretär Würzbach nicht beantworten konnte oder wollte. — Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Die französische Regierung hat vor gut einem Jahr Dr. Jens. mit ihrem EG-Memorandum „Eine Stufe Europas — ein gemeinsamer Raum für Industrie und For- Dr. Jens (SPD): Können Sie mir vielleicht einige schung" wertvolle und konkrete Anregungen gelie- Institute in der Bundesrepublik Deutschland be- fert. Wie sind diese Anregungen Ihrer Meinung nennen, die sich mit diesem Thema befassen und nach mit dem in Frage 77 angesprochenen „Europa möglicherweise auf meine Frage zumindest eine ab- der Technologie" in Zusammenhang zu bringen? geschätzte Antwort geben können?

Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die letzte Anre- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gung Frankreichs ist in dem Brief vom 15. April ent- ist so, daß wir heute in besonderer Weise auf dem halten. Das ist für uns verbindlich. Mit dieser Frage Gebiet der Mustererkennung und Bildverarbeitung befassen wir uns derzeit. In diese Prüfungen wer- bei optischen Sensoren und auch die Technologie den selbstverständlich mögliche Felder der Zusam- der integrierten Optik für Sensoren und der faser- menarbeit — auch mit den Vereinigten Staaten von optischen Sensoren fördern, ein Bereich, der in der Amerika — einbezogen. Das braucht sich nicht nur Mikroperipherik, in diesem Spezialgebiet der Elek- auf SDI zu beziehen. Da immer nur begrenzt Mittel tronik, eine besondere Rolle spielt. Diese ist univer- zur Verfügung stehen, muß sehr sorgfältig abgewo- sell einsetzbar, selbstverständlich auch militärisch. gen werden, wo sich Felder für eine Zusammenar- beit ergeben, wo Geld eingespart werden kann, wie Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- effizienter gearbeitet werden kann. Dieser Abwä- geordneten Catenhusen. gungsprozeß ist derzeit in vollem Gange. Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, um Ih- Vizepräsident Westphal: Ich rufe Frage 78 des Ab- nen die Antwort auf diese Frage etwas zu erleich- geordneten Dr. Jens auf: tern: Wie viele Institute forschen im Bereich der Wieviel optische Sensoren die zivil, und wieviel optische optischen Sensoren mit Unterstützung des BMFT Sensoren, die militärisch entwickelt wurden, werden derzeit oder anderer Ministerien, und wie viele davon ar- nach der Kenntnis der Bundesregierung in der diesbezügli- chen physikalischen Forschung und in der industriellen An- beiten auch für das Bundesverteidigungsministe- wendung, insbesondere bei der Fertigung mittels Handha- rium? bungsautomaten, eingesetzt? Bitte sehr, Herr Staatssekretär. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Zahl dieser Institute nicht vorliegen. Ich Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Jens, ich kann Ihnen heute keine endgültige Antwort geben. beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregie- Ich kann Ihnen nur zusagen, daß wir versuchen rung liegen keine Zahlen vor, wie viele optische können, diese Zahlen für Sie zu ermitteln. Die Ant- Sensoren zivil und wie viele optische Sensoren, die wort können Sie nachgereicht bekommen. militärisch entwickelt wurden, derzeit in der physi- (Catenhusen [SPD]: Tun Sie das bitte!) kalischen Forschung und in der industriellen An- wendung eingesetzt werden. Die Typenvielfalt Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 79 reicht hier von der einfachen Lichtschranke bis des Abgeordneten Catenhusen: zum kompletten Mustererkennungssystem. Die An- wendungsfelder reichen von dem Sondermaschi- Welche auf der Grundlage von innerstaatlichen Gesetzen oder international bindenden Verträgen bestehenden Be- nenbau, den fertigungstechnischen Anlagen bis zu schränkungen müssen von der Bundesregierung auf die Be- speziellen Anwendungen in der Medizin. achtung geprüft werden, falls sich deutsche Firmen an den Forschungsarbeiten zur Strategischen Verteidigungsinitia- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr tive der Vereinigten Staaten von Amerika beteiligen wol- Dr. Jens. len? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Jens (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie viel- leicht bereit, einmal eine derartige Erhebung durch- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege zuführen, damit man weiß, wieviel optische Senso- Catenhusen, die Bundesregierung hat die gleichen ren zivil und wieviel optische Sensoren militärisch internationalen Verträge zu beachten wie auch die entwickelt worden sind? Vereinigten Staaten von Amerika. Zweifellos spielt der ABM-Vertrag für die SDI eine dominante Rolle. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Eine solche Un- Die Forschung ist vom ABM-Vertrag jedoch nicht tersuchung ist meines Erachtens überhaupt nicht erfaßt. Deshalb besteht für eine Beteiligung der 10598 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Probst deutschen Firmen am Forschungsprogramm ein gierung ergreift, in diesem oder in einem anderen weitgehender Gestaltungsspielraum. Fall rechtsstaatlicher Natur sein werden. (Catenhusen [SPD]: Das ist ein guter Vor Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr satz!) Catenhusen. Vizepräsident Westphal: Die Fragen 80 und 81 des Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, brauchen Abgeordneten Vahlberg sollen auf Wunsch des Fra- deutsche Firmen, die sich am SDI-Programm betei- gestellers schriftlich beantwortet werden. Die Ant- ligen wollen, irgendwelche Genehmigungen deut- worten werden als Anlage abgedruckt. scher Behörden? Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Zander Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sofern es sich um auf: Forschungsprogramme handelt, sind Genehmigun- Welche Mittel sind zur Zeit im Einzelplan 30 für die im gen meines Wissens nicht erforderlich. Zusammenhang mit der französischen Eureka-Initiative dis- kutierten zivilen Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesen, Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage, bzw. welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, hier- Herr Catenhusen. für Beträge vorzusehen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Catenhusen (SPD): Brauchen öffentliche For- schungseinrichtungen wie Universitäten, Max- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Planck-Institute oder Institute der Fraunhofer-Ge- Zander, im Zusammenhang mit der französischen sellschaft irgendwelche Genehmigungen deutscher Eureka-Initiative werden zahlreiche mögliche For- Behörden, wenn sie sich an Forschungsprojekten schungs- und Entwicklungsprojekte diskutiert. Bis- im Rahmen des SDI-Programms beteiligen wollen? her sind noch keine Entscheidungen getroffen, wel- che Projekte gemeinsam durchgeführt werden. Da- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Derartige Insti- her kann derzeit auch noch nichts zur finanziellen tute brauchen bei Forschungsprogrammen aller Art Seite gesagt werden. keine spezielle Genehmigung von deutscher Seite. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Zander. Abgeordneter Schierholz. Zander (SPD): Herr Staatssekretär, nachdem der Dr. Schierholz (GRÜNE): Wie beurteilen Sie, Herr Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung schon Staatssekretär, den Tatbestand, daß die bereits jetzt durch das Projekt Columbus für die nächsten Jahre im amerikanischen Haushalt des DoD, also des Ver- überschritten ist, frage ich Sie: Woher wollen Sie teidigungsministeriums, ausgewiesenen Mittel für künftig auch nur eine müde Mark für dieses Pro- das SDI-Forschungsprogramm ausdrücklich als jekt nehmen? Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Test ausgewiesen sind? Sehen Sie hierin mit mir erhebli- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, che Kollissionen mit dem ABM-Vertrag? selbstverständlich aus dem Bundeshaushalt. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die einzelnen (Beifall des Abg. Biehle [CDU/CSU]) Zielpunkte der Absichten der Regierung der Verei- nigten Staaten von Amerika sind mir nicht be- Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage kannt. des Abgeordneten Zander. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Der Bundesre Zander (SPD): Sind Sie in der Lage zu quantifizie- gierung?) ren, wo und in welcher Größenordnung Sie den Ich möchte sie namens der Bundesregierung hier Bundeshaushalt belasten wollen, wonach hier im Deutschen Bundestag auch nicht bewerten. schon stundenlang gefragt wird? (Beifall des Abg. Biehle [CDU/CSU]) Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Diese Frage ist Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Frau genausowenig durch mich zu beantworten, wie das Fuchs (Verl). durch den Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung möglich war, weil wir keine Pro- Frau Fuchs (Verl) (SPD): Herr Staatssekretär, da pheten sind, Herr Kollege. Sie gerade den ABM-Vertrag erwähnten: Sind Sie der Auffassung, daß der Zusatz zu § 9 des ABM-Ver- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr trags, der besagt, daß auch blueprints, Blaupausen, Vosen. nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen — der Vertrag wurde zwischen den Vereinigten Staaten Vosen (SPD): Herr Staatssekretär, Sie waren ge- und der Sowjetunion geschlossen —, eine Mitarbeit rade sehr mutig in der Aussage, daß die Mittel für deutscher Firmen am Forschungsprogramm von- Eureka aus dem Bundeshaushalt zu nehmen wären. SDI ausschließt? Andererseits sagen Sie aber: Im Moment bin ich nicht in der Lage zu beantworten, woher diese Mit- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon tel kommen sollen. Ich frage Sie: Wollen Sie die aus, daß sämtliche Maßnahmen, die die Bundesre- Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10599

Vosen Bundesrepublik Deutschland auf solch vage Andeu- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege tungen hin gestalten? Zander, es ist eher die Ausnahme, daß durch For- schungsvorhaben, die auf ganz bestimmte Ziele ge- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Zusammenar- richtet waren, Problemlösungen für andere Anwen- beit zwischen Deutschland und Frankreich gestal- dungsgebiete anfallen, auf die dort schon jeder- tet sich an Hand ganz konkreter Beispiele und Pro- mann gewartet hat. Meist haben diejenigen, die jekte der Zusammenarbeit, Herr Kollege. Bei Eu- eine interessante technische Lösung anzubieten ha- reka ist es so, daß das Geld, wenn es sich um Bun- ben, sich im begreiflichen Bemühen um die Renta- desabsichten und -vorhaben dreht — es kann nicht bilität ihrer Forschungsaufwendungen nach ande- nur eine Zusammenarbeit im Bereich der Technolo- ren Anwendungsmöglichkeiten umgesehen. Oft gie, sondern auch eine wirtschaftliche Zusammen- stellte sich erst hier ein Bedarf nach neuen Gegen- arbeit sein —, wenn es sich also um staatliche In- ständen und Verfahren heraus. itiativen handelt, aus dem Bundeshaushalt kom- Dieser dynamische Prozeß läßt sich an zahlrei- men wird. chen Beispielen wieder des sogenannten Spin-offs, Herr Präsident, als Foschungsvorhaben belegen, Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des vor allem in technologisch anspruchsvollen Gebie- Herrn Abgeordneten Berger. ten, z. B. der Weltraumfahrt. Forschungsanstren- gungen zur bloßen Gewinnung von sogenannten Berger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, würden Spin-offs sind wirkungslos, weil nur konkrete Fra- Sie bitte noch einmal bestätigen, daß dieses SDI- gestellungen mit hohen technologischen Anforde- Programm ein langfristiges Programm ist, das erst rungen erfolgversprechende Ergebnisse liefern in Jahren überhaupt Ergebnisse zeitigen wird und können. wahrscheinlich über mehr als 10, 15, ja 20 Jahre lau- fen wird, und daß es deswegen illusorisch ist, heute Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr die Frage zu beantworten, wo in den nächsten 5, 6 Zander. oder 8 Jahren die Mittel dafür hergenommen wer- den und wie und in welchem Umfang sie in den Zander (SPD): Herr Staatssekretär, würden Sie Haushalt eingestellt werden? mir widersprechen, wenn ich feststelle, daß die Bundesregierung bei Vorhaben von enormer tech- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich möchte Ihnen nologischer Bedeutung und unübersehbaren, in die das bestätigen und kann eigentlich nicht verstehen, Milliarden gehenden Folgen mit der Stange im Ne- daß man heute Einzelheiten in so ausgedehnter bel herumstochert? Form hier dingfest machen möchte. Wir können nur sagen, was wir wissen. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das würde ich (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und Sie wissen Ihnen nicht bestätigen können. offensichtlich nichts!) (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die Regierung sieht immer klar!) Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Catenhusen. Vizepräsident Westphal: Frau Fuchs, bitte schön.

Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, auch Frau Fuchs (Verl) (SPD): Herr Staatssekretär, ist wenn man davon ausgehen muß, daß das Eureka- Ihnen bekannt, daß der militärische Spin-off ziviler Programm bisher mehr aus Überschriften als aus Forschung größer ist als der zivile Spin-off militä- ausformulierten Kapiteln besteht: rischer Forschung? (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Reines Luft schloß!) Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: In einzelenen Be- reichen: selbstverständlich. Können Sie dennoch die Frage beantworten, ob die Bundesregierung es für möglich hält, daß Mittel für Eine Zusatzfrage, Herr die Eureka-Initiative aus dem Einzelplan 30 gezahlt Vizepräsident Westphal: Schierholz. werden können, ohne daß die in der mittelfristigen Finanzplanung für die Forschung vorgesehenen Ge- Dr. Schierholz (GRÜNE): Da ja nun zwei sehr mar- samtmittel aufgestockt werden? kante Zahlen durch die Öffentlichkeit geistern, nämlich die von Herrn Späth, der von 50% Spin-off Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- Dr. Probst, bei militärischer Forschung im Zusammenhang mit rung kann sich auch das vorstellen, wenn sie es dem SDI-Forschungsprogramm gesprochen hat, auch nicht für wahrscheinlich hält. und die von anderen Experten, wenn ich es richtig sehe: auch vom Bundesforschungsminister, die von Wir kommen zur Frage 83 Vizepräsident Westphal: 10% gesprochen haben, frage ich Sie, welche Posi- des Abgeordneten Zander: tion denn die Bundesregierung hat. Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über die - Kosten von zivilen Forschungs- und Entwicklungsanstren- gungen, die darauf abzielen, die aus dem Forschungspro- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gramm zur Strategischen Verteidigungsinitiative der Verei- kann zwar verstehen, daß Sie sehr genaue Auskunft nigten Staaten von Amerika erwarteten Spin-offs ohne Um- über diesen sich j a erst in der Zukunft vielleicht weg über die militärische Forschung anzugehen? abspielenden Bereich haben möchten. Aber Sie Bitte schön, Herr Staatssekretär. können das aus mir einfach nicht herausholen. Es 10600 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Probst handelt sich auch um Spekulationen, um reine Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage, Schätzungen, die in diesem oder jenem Bereich lie- Herr Vosen. gen. Ich muß mich präzisieren: Es handelt sich um Aussagen, die einen sehr, sehr starken Schätzcha- Vosen (SPD): Herr Parl. Staatssekretär, wenn Sie rakter haben, und ich möchte nicht eine weitere zur Zeit ermitteln, welches die interessanten The- Schätzung hinzufügen. menfelder sind, könnten Sie dann mit ermitteln las- sen, ob die Forscher, die ja jetzt freie Forscher sind, (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Also: Beide Zah in den Großforschungseinrichtungen, in den einzel- len sind falsch!) nen Instituten überhaupt bereit sind, ihre For- — Das habe ich nicht gesagt. schungsergebnisse, über die sie jetzt noch publizie- ren dürfen, in ein von Geheimhaltung überlagertes Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 84 Projekt SDI einzubringen? Zwingen wir denn nicht des Abgeordneten Dr. Kübler. — Er ist nicht im unsere Forscher, in ein solches Projekt ihre Frei- Saal, so daß die Frage der Geschäftsordnung gemäß heit der Wissenschaft einzubringen und auf dem behandelt wird. Altar dieser Militärforschung zu opfern?

Nun kommt die Frage 85 des Abgeordneten Vo- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sen: weiß nicht, an welchen konkreten Fall Sie denken. In welchen Großforschungseinrichtungen, Instituten der Aber unsere Verfassungslage ist doch klar: Gewis- Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft sensfreiheit und auch die Freiheit der Forschung werden mit grundfinanzierten Mitteln aus dem Bundesmini- sterium für Forschung und Technologie und der jeweils kor- und Lehre gehen hier doch vor staatlichen Zwän- respondierenden Länder-Förderung Themenbereiche bear- gen, die es vielleicht gibt. Wenn jemand irgendeine beitet, die für die Themenfelder des Forschungsprogramms Arbeit nicht tun mag, kann doch in unserem Land zur Strategischen Verteidigungsinitiative der Vereinigten keiner dazu gezwungen werden. Staaten von Amerika von besonderem Interesse sind? Bitte schön, Herr Parl. Staatssekretär: Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- geordneten Zander. Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vo- Dr. Probst, (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben sen, der Bundesminister für Forschung und Tech- Zander eine Delegation erwähnt, die sich zur Aufklärung nologie finanziert gegenwärtig keine Arbeiten in offener Fragen in den USA aufhält. Würden Sie den Großforschungseinrichtungen, der Max- bitte sagen, welche Ressorts daran beteiligt sind Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesell- und wer die Federführung hat? schaft, die im Zusammenhang mit SDI stehen. Die geförderten Arbeiten zielen ausschließlich auf den Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Federführung zivilen Bedarf und zivile Anwendungen. hat das Bundeskanzleramt. Wenn ich recht infor- miert bin, sind das Auswärtige Amt, der Bundesmi- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr nister für Verteidigung, der Bundesminister für Abgeordneter Vosen. Bitte. Wirtschaft, der Bundesminister für Foschung und Technologie beteiligt. Vosen (SPD): Herr Parl. Staatssekretär, ich hatte (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Der Bundesmi Sie nicht danach gefragt, ob der Bundesminister für nister der Finanzen; das wurde gestern in Forschung und Technologie in diesen Einrichtun- der Fragestunde gesagt!) gen Projekte finanziert, die mit SDI in Verbindung — Vielleicht auch der Bundesminister der Finan- stehen, sondern ich hatte Sie gefragt — das können zen. Darüber bin ich aber nicht im Bilde. Das ist Sie aus meiner Fragestellung ersehen — ob es The- etwa das Spektrum. menfelder gibt, die für das Projekt SDI interessant sein könnten, z. B. Laser-Forschung oder anderes Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- mehr. Das war meine Frage. geordneten Schierholz. Dr. Schierholz (GRÜNE): Ich komme aus dem Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Diese Frage zu Staunen nicht mehr heraus und möchte Sie fragen, erkunden — damit sind Experten derzeit befaßt. Sie Herr Staatssekretär, ob es richtig ist, daß bei dem wissen, eine vorbereitende Delegation befindet sich Gespräch im Kanzleramt am 13. Mai 1985 auch Ver- in dieser Woche in den Vereinigten Staaten von treter von Großforschungseinrichtungen — etwa Amerika. Es wird in Zukunft — im Herbst, etwa im der Fraunhofer-Gesellschaft, der Deutschen For- September — eine Expertendelegation in der Grö- schungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raum- ßenordnung von vielleicht 15 Personen in die Verei- fahrt, der Kernforschungsanlage Jülich — zugegen nigten Staaten von Amerika reisen, um die Felder waren, ob Sie diese dann gegenwärtig nicht mehr zu definieren. Es sind einzelne Bereiche offensicht- zu den grundfinanzierten Einrichtungen zählen, die lich — der gesamte Bereich der Mikroelektronik ist aus dem BMFT-Haushalt — Einzelplan 30 — fi- hier sehr einbezogen —, wo wir uns damit befassen:- nanziert werden, und welche weiteren Großfor- Ist das relevant? Es wird mit Sicherheit Material- schungseinrichtungen bei diesem Gespräch im forschung involviert sein. Verlangen Sie von mir Kanzleramt vertreten waren. heute aber nicht ein vollständiges Konzept über das, was an einzelnen Möglichkeiten, die es auch in Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mir ist bekannt, Deutschland gibt, hier relevant ist. daß Vertreter der Deutschen Forschungs- und Ver- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10601

Parl. Staatssekretär Dr. Probst suchsanstalt für Luft- und Raumfahrt dabei waren. Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vo- Das ist das, was mir bekannt ist. Aber das halte ich sen, das Forschungsprogramm zur SDI der USA ist für eine ganz natürliche Angelegenheit, weil es sich ein rüstungstechnisches Programm. Dem freien um besondere Fachleute handelt. Transfer von Technologien, die für Zwecke der Ver- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und die Fraun teidigung entwickelt werden, in den zivilen Bereich hofer-Gesellschaft?) sind aus Gründen der Geheimhaltung prinzipielle Grenzen gesetzt. Die Frage nach geeigneten Verträ- — Das ist mir nicht bekannt, weil ich die Einla- gen stellt sich aber erst, wenn wir über eine Beteili- dungsliste nicht dabeihabe. Aber es ist doch selbst- gung und deren Art und Umfang entschieden ha- verständlich, daß zu so einem Expertengespräch ben. erstrangige Fachleute hinzugezogen werden. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Vosen. geordneten Catenhusen. Vosen (SPD): Hier schließe ich wieder meine Catenhusen (SPD): Herr Staatssekretär, da Ihnen Frage an, die auch hierhin paßt. Wie bringen Sie sicherlich bekannt ist, daß in den Satzungen einiger Ihre Feststellung, es handele sich um ein militä- Großforschungseinrichtungen wie etwa der GMD, risches Programm bei der SDI-Forschung, und die der Gesellschaft für Mathematik und Datenverar- Möglichkeit in Einklang, daß Wissenschaftler, die beitung, und der Kernforschungsanlage Jülich aus- ihrem Gewissen — wie Sie eben sagten — verant- drücklich Forschung für friedliche Zwecke vorgese- wortlich sind, nicht mitforschen wollen? Denn die hen ist, frage ich Sie: Können Sie sich vorstellen, Forschungsergebnisse, die bisher frei gefunden daß sich solche Großforschungseinrichtungen auch wurden, sollen ja in dieses militärische Programm in Kenntnis dieser Präambeln ihrer Satzungen an einfließen. Wie sieht es dann mit der Freiheit der Forschungen im Bereich SDI beteiligen? Wissenschaftler aus, die auf dem Gebiet schon ge- forscht haben? Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich hier nicht um ein militärisches Unternehmen, eine Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, militärische Planung oder die Installierung eines wenn man Ihren Gedanken zu Ende denken würde, Waffensystems, sondern um ein Forschungspro- dann dürften wir keine Technik, die sich aus einem gramm zur Erkundung einer Möglichkeit. zivilen Bereich ergeben hat, militärisch, d. h. zur (Catenhusen [SPD]: Das ist auch Waffen Verteidigung, nutzen. Das aber wäre im Sinne einer entwicklung!) vernünftigen Sicherheitspolitik ein totaler Non- sense. Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- geordneten Hansen. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- neten Vosen. Hansen (Hamburg) (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie uns eine Auskunft darüber geben, an Vosen (SPD): Wenn wir diese zivilen Forschungs- welchen Forschungseinrichtungen, an welchen For- ergebnisse in die militärische Planung einbringen schungsbereichen die USA anläßlich der Vorbespre- wollen und die Forscher nicht zwingen, dort mitzu- chungen ein besonderes Interesse gezeigt haben? machen, weil sie das ihrem Gewissen gegenüber nicht verantworten können: Müssen die zivilen For- scher dann ausscheiden, und werden die weiteren Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ih- nen leider nicht sagen. Soweit mir das bekannt ist, Forschungen auf diesem Gebiet von Militärfor- habe ich das wie Sie in den Zeitungen gelesen. schern durchgeführt? Entscheidend ist für uns, welche konkreten An- Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vo- sätze wir in den Vereinigten Staaten von Amerika sen, Ihre Frage befindet sich so weit von der Reali- finden werden. Das ist in Arbeit. Es ist ganz sinnlos, tät, daß man auf sie derzeit gar nicht eingehen jetzt in Hektik zu machen und zu glauben, alles in kann. Solche Fälle gibt es nicht, die gibt's auch in der jetzigen Phase schon klären zu können. Ich der Zukunft nicht. Wir haben in der Bundesrepu- bitte Sie um ein wenig Geduld. Vielleicht wissen wir blik, in Europa, in den Vereinigten Staaten von im Herbst dieses Jahres erheblich mehr. Amerika ein großes geistiges Potential, das sehr wohl einsieht, daß wir für unsere Sicherheit nach Vizepräsident Westphal: Wir kommen jetzt zur bestem Gewissen arbeiten müssen. Und da gibt es Frage 86 des Abgeordneten Vosen. selbstverständlich Menschen, die ihren Geist zur Welches sind die technologiepolitischen Bedingungen und Verfügung stellen, um unseren freiheitlichen Kriterien, unter denen die Bundesregierung die Beteiligung Rechtsstaat zu sichern. der Bundesrepublik Deutschland an dem Forschungspro- (Catenhusen [SPD]: Also, jeder arbeitet gramm zur Strategischen Verteidigungsinitiative der Verei-- nigten Staaten von Amerika vorsehen wird, und ist insbeson- freudig in der Rüstung mit?) dere beabsichtigt, über den freien Transfer von für zivile Zwecke geeigneten Technologien eine formelle Regierungs- Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. vereinbarung zwischen den zuständigen Forschungsmini- stern zu treffen? Vizepräsident Westphal: Letzte Zusatzfrage, Frau Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Timm. 10602 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Frau Dr. Timm (SPD): Herr Staatssekretär, habe Francke (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsident! ich Ihre Antwort auf die erste Frage des Kollegen Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß in Vosen vorhin richtig verstanden, daß es sich bei unserem Land über Fragen der Strategie und der SDI um ein rüstungstechnisches Programm han- außenpolitischen Konzepte frei, offen und kontro- delt, und wie verträgt sich das — es ist in der Frage- vers debattiert werden kann, ist ein Privileg, das stunde heute ja immer wieder gesagt worden, die wir nicht mit allzuvielen Ländern teilen. Das ist ins- Bundesregierung spreche mit einer Zunge — mit besondere vor dem Hintergrund der deutschen Ge- der Antwort des Herrn Würzbach, daß es sich bei schichte mit der Zäsur von 1945 eine Entwicklung, SDI nicht um ein Aufrüstungsprogramm im Welt- mit der damals niemand rechnen konnte. raum handelt? Die Bundesrepublik Deutschland hat sich diesen Freiraum der Diskussion erarbeitet, indem sie den Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich möchte mich Weg der Westintegration eingeschlagen und als mit der Frage Aufrüstungsprogramm nicht mehr Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft stets auseinandersetzen. Hier hat der Herr Kollege eine berechenbare, bündnisloyale Politik betrieben Würzbach eingehend Auskunft gegeben. hat. An dieser Grundorientierung, die von der gro- ßen Mehrheit unserer Bevölkerung bejaht wird, (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Er hat Sand ge wird es auch künftig keine Änderung geben. streut!) Strategiedebatten waren in der Vergangenheit in Es ist überhaupt keine Frage, daß es sich bei SDI aller Regel auf Expertenkreise beschränkt. In den um die Perfektionierung eines Abwehrsystems han- vergangenen Jahren hat sich jedoch eine breitere delt, das logischerweise dazu führen kann — aber Öffentlichkeit in die Diskussion eingeschaltet. Die das soll ja alles erst geprüft werden —, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt diesen Wan- Potentiale verringert werden können. del, auch wenn dadurch einer Emotionalisierung der Themen neue Chancen eröffnet werden. Was Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- wir fördern wollen und sollen, ist eine informierte ren, wir sind am Ende der Fragestunde*. Ich danke Diskussion, die nicht der Versuchung erliegt, Fak- dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fra- ten durch Meinungen oder gar Glaubensbekennt- gen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers nisse zu ersetzen. für Forschung und Technologie. Der Verteidigungsausschuß hat seine öffentliche Wir kommen nun zu unserer übrigen Tagesord- Anhörung zu alternativen Verteidigungsstrategien nung zurück. zu einer Zeit durchgeführt, als die Auseinanderset- zung um den NATO-Doppelbeschluß sich auf waf- fentechnische Probleme zu reduzieren begann. Da- Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: her möchte ich am Anfang positiv vermerken, daß Beratung der Beschlußempfehlung und des die Anhörung ein wertvoller Anstoß zur Repolitisie- Berichts des Verteidigungsausschusses (12. rung der Debatte war. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der In folgendem Punkt dürfte es zwischen den Frak- Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundes- tionen in diesem Hause Übereinstimmung geben: regierung zum Ergebnis der NATO-Konfe- Strategie ist nicht mehr wie im vornuklearen Zeital- renz am 9./10. Juni 1983 ter die Wissenschaft vom Krieg, sondern die Kunst — Drucksachen 10/151, 10/3074 — der Kriegsverhinderung. Berichterstatter: (Zustimmung der Abg. Berger [CDU/CSU] Abgeordnete Francke (Hamburg), und Ronneburger [FDP]) Dr. Scheer Unter den Bedingungen des Atomzeitalters ist die Beschlußfassung Frage, ob und wie ein Krieg geführt werden kann, Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordne- obsolet geworden. Nur: Alles spricht dagegen, daß ten Dr. Scheer, Horn, Frau Fuchs (Verl), weiterer die Menschheit sich jemals wieder von der Atom- Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Druck- waffe befreien wird. Das einmal Gedachte kann sache 10/3108 sowie des Abgeordneten Vogt (Kai- nicht zurückgenommen werden, wie Herr von Weiz- serslautern) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf säcker gesagt hat. Wenn heute sämtliche Atomwaf- Drucksache 10/3474 vor. fen verschrottet würden, würde irgendein macht- Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- hungriger Herrscher morgen neue bauen lassen rung im Ältestenrat sind für die Aussprache drei können. Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Wi- Alle Appelle also, eine atomwaffenfreie Zukunft derspruch. Dann ist das so beschlossen. anzustreben, sind idealistisch und ehrenwert, aber Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? leider illusionär. Unsere Aufgabe lautet demnach, — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aus- den Krieg — den atomaren und den konventionel- sprache. Das Wort hat zuerst der Herr Abgeordnete len — zu vermeiden und die Freiheit unserer Eigen- Francke (Hamburg). - entwicklung zu schützen. Europa lebt seit 40 Jahren im Frieden. Obwohl I Die nicht behandelten Fragen werden schriftlich beant- gerade in der Mitte Europas, in der Mitte Deutsch- wortet. Die Antworten werden im Plenarprotokoll 10/144 lands die Gegensätze der Wertvorstellungen, Inter- als Anlagen abgedruckt. essen und Mächte am ausgeprägtesten sind, ist Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10603

Francke (Hamburg) Krieg hier am allerunwahrscheinlichsten. Obwohl keinen Krieg. Sie weiß, daß sie einen Krieg nicht der Ost-West-Konflikt geographsich nirgendwo so ohne ein existenzielles Risiko für sich selbst begin- überschaubar ist wie in Mitteleuropa, ist er gerade nen könnte. Aber sie will die Fähigkeit behalten, hier erfolgreich beherrscht worden. einen Krieg führen zu können. Für sie sind nämlich Verhinderung und Führung eines Krieges kein Ge- Für diese scheinbaren Paradoxien gibt es eine gensatz, sondern komplementäre Inhalte ihrer Erklärung, nämlich die Rolle der Kernwaffen in der Strategie. In dem Maße, in dem unter den Bedin- internationalen Politik. Die Existenz von Kernwaf- gungen des nuklearen Zeitalters die Anwendung fen zwingt die potentiellen Gegner, ihre Gegensätze militärischer Macht zu kriegerischen Zwecken den anders als militärisch auszutragen. Von Kernwaf- Selbstmord unausweichlich macht, steigt aber die fen geht ein Zwang zur politischen Mäßigung aus. Bedeutung militärischer Macht als politisches Ein weiterer Aspekt gehört in diesen Zusammen- Druckmittel. Wir haben dies im übrigen in unserem hang. Frieden, Freiheit und Stabilität in Europa Lande exemplarisch erfahren, als die Sowjetunion nach 1945 hätte es nicht gegeben ohne das dau- begonnen hatte, die politische Hegemonialwaffe, ernde Engagement der Vereinigten Staaten. Ame- die SS-20, zu stationieren. Denken wir in dem Zu- rika hat 1945 die Lehren aus 1918 gezogen und ist sammenhang auch an die gewaltige Öffentlichkeits- nicht der Versuchung erlegen, sich in die Burg des kampagne der Sowjetunion. Isolationismus zurückzuziehen. Amerika spielt seit Solange, meine Damen und Herren, die CDU/ 1945 eine befriedende Rolle in und für Europa. CSU in diesem Hause die Opposition stellte, hat sie Ohne diese amerikanische Nachkriegspolitik hätte die Bundesregierung in allen wichtigen Fragen der es der freie Teil Deutschlands zweifellos schwerer Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik unter- gehabt, sich in die westeuropäische Staatengemein- stützt. schaft zu integrieren. Nun zur Kehrseite der Medaille. Die Europäer, (Berger [CDU/CSU]: So war das!) insbesondere wir Deutschen, dürfen die Abkehr Wir hatten sicherheitspolitischen Konsens über die Amerikas vom Isolationismus jetzt nicht mit einer Parteigrenzen hinweg. Politik des Neutralismus beantworten. Es gibt für uns keine Flucht in eine Art europäischen Isolatio- (Berger [CDU/CSU]: Wir haben sie sogar nismus, der uns die Lasten des Ost-West-Gegensat- geschubst!) zes abnehmen würde. Dieser Konsens ist nach meiner Feststellung in der (Zustimmung des Abg. Berger [CDU/ Auflösung begriffen, weil sich die Sozialdemokrati- CSU]) sche Partei Deutschlands von wichtigen Elementen gemeinsamer Sicherheitspolitik verabschiedet hat. Es gibt insbesondere für uns Deutsche nicht die Die neue Zauberformel sozialdemokratischer Si- bequeme Zuschauerbank, von der aus man den Ost- cherheitspolitik heißt Sicherheitspartnerschaft. West-Konflikt lässig distanziert verfolgen könnte. Dieser Begriff — das gebe ich zu — bietet den Vor- Diese Form des politischen Eskapismus verbieten teil, daß niemand genau weiß, was er bedeuten soll. Geschichte, Interessen und geographische Lage der Unter seinem Dach finden folglich alle Platz: Befür- Bundesrepublik Deutschland. worter und Gegner der Nachrüstung, Befürworter Über diese Zusammenhänge intensiver nachzu- und Gegner des Gleichgewichtsprinzips, Befürwor- denken, weil sie entscheidende Bedeutung für un- ter und Gegner der nuklearen Abschreckung. sere Außen- und Sicherheitspolitik haben, ist im (Dr. Klejdzinski [SPD]: Sie haben in der übrigen ganz besonders denjenigen zu empfehlen, Aufzählung etwas vergessen: CSU!) die in der amerikanischen Präsenz in Europa den Grund allen Übels erblicken. Mich stört an diesem Begriff schon die Verwen- dung des kostbaren Wortes Partnerschaft für die Für die CDU/CSU-Fraktion bilden diese Zusam- Charakterisierung unseres Verhältnisses zu einer menhänge auch in Zukunft die Basis für eine bere- totalitären Macht. Meine Damen und Herren, mit chenbare Politik, die zwei Ziele verfolgt: Kriegsver- Schlüsselwörtern der Politik muß man sorgfältig hütung und Freiheit der Eigenentwicklung. Die umgehen. große Mehrheit der im Verteidigungsausschuß an- gehörten Sachverständigen hat die Überzeugung (Sehr gut! bei der SPD) bestätigt, daß das Erreichen dieser Ziele ohne das Kann es — frage ich Sie — eine Sicherheitspart - NATO-Bündnis nicht möglich ist. Die Allianz und nerschaft mit der Sowjetunion geben? Sicherheits- mit ihr die Bundesrepublik sieht sich seit Jahrzehn- partnerschaft würde doch bedeuten, daß beide Sei- ten einem Bedrohungspotential gegenüber, das eine ten die Ursachen ihres Konfliktes zugunsten eines Politik manifestiert, die Sicherheit als Produkt eige- gemeinsamen, übergeordneten Interesses beiseite- ner Überlegenheit versteht. schöben. Will die Sowjetunion das, wo sie doch nicht Die Sowjetunion ist die stärkste Landmacht in die Intervention westlicher Panzer, sondern westli- Europa. Sie betrachtet die osteuropäischen Länder - cher Freiheitsideen zu befürchten hat? als strategisches Vorfeld. Sie hat dieses Vorfeld mit (Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) konventionellen und nuklearen Waffen aufgerüstet und in den vergangenen Jahren gleichzeitig ihre Darf der Westen es wollen, wenn er allen Anlaß hat, maritimen Einheiten zur weltweiten Präsenzfähig- seinen sogenannten Sicherheitspartner gleichzeitig keit ausgebaut. Dennoch, auch die Sowjetunion will als militärische Gefahrenquelle zu betrachten? 10604 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Francke (Hamburg) Ich möchte hier keine Mißverständnisse aufkom- Es gibt eine Frage, die uns in Zukunft verstärkt men lassen: Meine Fraktion ist entschieden für Ver- beschäftigen wird, nämlich das Verhältnis von nu- handlungen und Verträge zur Abrüstung, auch zur klearen und konventionellen Waffen, die Gewich- vorbeugenden Rüstungskontrolle. Sie ist in diesem tung dieser Waffen im Abschreckungskonzept der Sinne für eine rüstungskontrollpolitische Vertrags- NATO. Die CDU/CSU unterstützt nachhaltig das partnerschaft mit der Sowjetunion, also für Zusam- Bestreben der Bundesregierung, solche Atomwaf- menarbeit in den Gebieten, in denen Kompromiß- fen, deren Funktion auch von konventionellen Waf- möglichkeiten bestehen. Aber eine abstrakte Si- fen übernommen werden kann, durch diese zu er- cherheitspartnerschaft kann es nach unserer Auf- setzen. Sie begrüßt daher den Beschluß von Monte- fassung schon deshalb nicht geben, weil die Sowjet- bello. union mit einem völlig anderen Sicherheitsbegriff Die stärkere Konventionalisierung der Strategie operiert. der flexiblen Erwiderung dient in erster Linie der Und es kommt etwas anderes hinzu: Für die So- Glaubwürdigkeit dieser Strategie. Sie wirft aber wjetunion und die Warschauer-Pakt-Staaten gibt es auch erneut und verschärft die Frage nach einer keine Aufspaltung des Begriffes Sicherheit in in- gerechteren Lastenverteilung innerhalb des Bünd- nere und äußere Sicherheit. Das Legitimationsprob- nisses auf. Der Beitrag der Bundesrepublik zur kon- lem der kommunistischen Diktatur zwingt beide ventionellen Verteidigung des Westens läßt sich Komponenten zu einer Synthese. Die Truppen der selbstbewußt präsentieren. Es gilt jedoch, zu ver- Sowjetunion stehen im osteuropäischen Vorfeld meiden, daß diese Lastenverteilungsdiskussion zu nicht nur zur Bedrohung des Westens, sondern einem exklusiven Streitthema zwischen Bonn und auch zur Stabilisierung der Vorherrschaft über die- Washington wird. Die NATO ist keine deutsch-ame- ses Vorfeld. — Und deswegen lehnen wir diesen rikanische Veranstaltung. Alle Bündnispartner Ansatz der Sozialdemokraten ab. müssen ihren Beitrag leisten, wenn das Bündnis (Beifall bei der CDU/CSU) auch weiterhin allen Partnern Sicherheit bieten soll. Die große Mehrheit der im Verteidigungsaus- schuß angehörten Sachverständigen hat die Grund- Konventionalsierung bedeutet nicht völlige De- lagen und Ziele der gültigen Strategie des NATO nuklearisierung; vor allem darf sie nach Auffassung Bündnisses unterstützt. Für die CDU kann ich fest- meiner Fraktion nicht den Verzicht auf die nuklea- stellen: re Ersteinsatzoption enthalten. Erstens. Die Strategie der flexiblen Erwiderung Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik muß so lange in Kraft bleiben, bis eine andere, Deutschland hat sich im Grundgesetz, in zahlrei- erfolgversprechende, den Krieg verhindernde und chen bilateralen und multilateralen Abkommen die Freiheit der eigenen Entwicklung garantierende und in ihrer praktischen Politik eindeutig und un- Alternative an ihre Stelle treten kann. Eine Alter- umkehrbar dem Friedensgebot unterworfen. Ihre native, die diesen Anforderungen gerecht wird, ist Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen des west- nicht in Sicht. lichen Bündnisses findet in der Bevölkerung eine überzeugende Mehrheit. Ich vermag nicht einzuse- (Zuruf von der SPD: Schön!) hen, warum die Frage nach der Akzeptanz einer Zweitens. Ein Ausstieg aus dem Prinzip der Ab- bestimmten Strategie immer nur in eine Richtung schreckung wäre verhängnisvoll. Abschreckung, die gestellt wird. Ich stelle die Gegenfrage: Wie steht es keineswegs erst die Erfindung des Nuklearzeital- denn um die Akzeptanz solcher Ideen, die einseitige ters ist, bewahrt das NATO-Bündnis vor einer Si- Abrüstung, sogenannte soziale Verteidigung o. ä. tuation, in der es nur noch zwischen militärischer betreffen? Derartige Ansätze finden — davon bin Konfrontation und politischer Unterwerfung wäh- ich überzeugt — in unserem Land keine Mehrheit. len kann. Sie würden auch von keinem unserer Bündnispart- ner akzeptiert, auf deren Solidarität wir angewie- Drittens. Nuklearwaffen bleiben im Abschrek- sen sind. Weder die Bewahrung des Status quo in kungspotential des Bündnisses unverzichtbar. Das Nachkriegseuropa noch seine Veränderung sind Bemühen, den politischen Charakter dieser Waffen ohne oder gar gegen unsere Nachbarn, schon gar stärker ins Bewußtsein zu heben, muß der Tendenz nicht ohne oder gar gegen die Weltmächte möglich. zur Dämonisierung dieser Waffen entgegenwirken. Wer etwas anderes sagt oder denkt, ist ein Provin- Viertens. Der Harmel-Bericht bleibt Richtlinie zialist, der aus der deutschen Geschichte nichts ge- für die Gestaltung der Ost-West-Beziehungen. Nur lernt hat. auf der Basis äußerer Sicherheit ist das Bündnis in (Zurufe von der SPD) der Lage, konstruktive Schritte zur Vertragspart- nerschaft mit der Sowjetunion und den übrigen Die Strategie des Bündnisses, die Strategie der Staaten des Warschauer Paktes zu unternehmen. Bundesrepublik ist in dem Anhörverfahren eindeu- Rüstungskontrolle und Abrüstung mit dem Ziel der tig bestätigt worden. Bewahrung eines ungefähren Gleichgewichts sind (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dabei kein Selbstzweck, sondern als Teil eines um-- fassenden Prozesses zur Verbesserung der politi- schen Beziehungen zwischen Ost und West anzuse- hen. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- (Beifall des Abg. Berger [CDU/CSU]) ordnete Dr. Scheer. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10605

Dr. Scheer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen eher verstärkenden Trend zu Waffenträgern, die und Herren! Das Fazit der Regierungsfraktionen — für den Warschauer Pakt ununterscheidbar — aus der Anhörung des Verteidigungsausschusses wahlweise mit konventionellen oder atomaren über alternative Strategien lautet, zur offiziellen Sprengköpfen bestückt werden, wird die Schwelle NATO-Strategie der „flexible response" hätten sich zu einem Atomwaffeneinsatz eingeebnet statt wirk- keine Alternativen ergeben. lich angehoben. Nicht zuletzt durch neue atomare (Francke [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist Mittelstreckenwaffen in Westeuropa und Air/Land- zutreffend!) Battle-Konzepte des amerikanischen Heeres wer- den die Übergänge zwischen den Stufen der NATO Dieses Fazit entspricht jedoch nicht dem eigentli- Triade fließender. chen Inhalt der Anhörung. Offenbar haben sich die Regierungsfraktionen bei der Ausarbeitung ihres Antrags von dem Motto leiten lassen: Die Hunde Eine konventionelle Aufrüstung wäre in diesem bellen, und die Karawane zieht weiter. Aber in wel- Zusammenhang ein untauglicher Versuch, die noch chem Zustand befindet sich diese Karawane? offiziell geltende NATO-Doktrin zu untermauern. Denn es sind die Widersprüche auf und zwischen (Dr. Klejdzinski [SPD]: Sie hat eine Reihe den einzelnen Stufen der Abschreckung, die eine führender Kamele!) grundlegende Überprüfung des Gesamtkonzepts er- Tatsächlich haben wir es statt mit einer flexiblen forderlich machen. Dieses Erfordernis ist um so ak- Strategie allenfalls mit einem flexiblen Begriff zu tueller, als die Begründungen der amerikanischen tun, hinter dem sich eine schwammig gewordene Regierung für SDI die „flexible response" mittler- Strategie verbirgt. Sie erlaubt sich den kostspieli- weile programmatisch beerdigt haben, allerdings in gen und gefährlichen Luxus, dafür nahezu alle ver- einer vielfach hoch riskanten Richtung. fügbaren militärischen Optionen und Waffen zu be- Eine konventionelle Aufrüstung der NATO ist anspruchen. Sie setzt keine durchdachten Schwer- darüber hinaus nicht mit dem Argument eines kon- punkte in der Streitkräfte- und Bewaffnungsstruk- ventionellen Gleichgewichts begründbar. Es sind ja tur. Sie gibt sich den Anschein innerer Stimmigkeit, Untersuchungen der US-Army durch das Budget- während ihre Widersprüche zunehmen, Widersprü- amt des amerikanischen Kongresses veröffentlicht che, die teilweise von Anfang an vorhanden waren. worden, die bei einem qualitativen Kräfteausgleich Indem ich dies so sage, mache ich auch deutlich, in Friedenszeiten ein konventionelles Kräftever- daß die Erörterung dieser Strategieproblematik bei hältnis lediglich von 1 : 1,2 zwischen NATO und allen Parteien selbstkritisch und ohne vordergrün- Warschauer Pakt in Europa errechnen. Der Sach- dige Polemik erfolgen soll. Jede Alternative zu einer verständige Unterseher hat dies bei den Anhörun- Doktrin der massiven atomaren Vergeltung muß gen herausgearbeitet, und das blieb unwiderspro- flexibel sein. Dieser Anforderung entsprechen auch chen. Überdies ist es gesicherte Erkenntnis, daß das die Alternativüberlegungen zur gegenwärtig gülti- sowjetische Mobilmachungssystem schlechter gen NATO-Doktrin, aber die offizielle „flexible re- funktioniert als das der relevanten NATO-Staaten. sponse" der Gegenwart ist die Abschreckungstria- (Berger [CDU/CSU]: Woher wissen Sie de. Dazu gehört zum einen die Ausgestaltung der das?) konventionellen Stufe und der Stufen der soge- nannten taktischen Atomwaffen sowie der strategi- So überprüfungsbedürftig die NATO-Doktrin ist, schen Atomwaffen. Zum anderen stützt sie sich so wenig können wir auch bei der Bundeswehr dennoch auf den Vorbehalt, auf konventionelle An- selbst alles beim alten lassen. Die Bundeswehr ist griffe des Warschauer Pakts notfalls mit einem ato- auf Verteidung ausgerichtet. Aber sie verfügt teil- maren Ersteinsatz auf unserem Territorium zu rea- weise über eine Mehrzweckstruktur, die eine Umin- gieren. Dies wurde von der Mehrheit unserer Bür- terpretation zu einer Angriffskonzeption theore- ger, wie uns Meinungsumfragen immer zeigten, zu tisch erlaubt. keinem Zeitpunkt gebilligt, also nicht erst seit der Eine Fortschreibung des Bewaffnungskonzepts Entfaltung der Friedensbewegung zu Beginn der wird die finanziellen Spielräume für alle anderen 80er Jahre. Dies ist Ausdruck eines gesunden Men- Politikfelder in unverantwortlicher Weise einengen schenverstandes, dem die militärische Strategie in und zur Selbststrangulierung unseres sozialstaatli- diesem Punkt bisher nicht gerecht wurde. Ihr fehlt chen Gemeinwesens führen. insofern die Glaubwürdigkeit. Schließlich ist die weitere immense Konzentra- Die Vereinigten Staaten konnten und können tion von Truppen und Waffen sicherheitspolitisch kein Interesse daran haben, von europäischem Bo- bedenklich, z. B. die kostspieligen Tornados auf den aus in eine atomare Eskalation hineinzuschlit- grundsätzlich nicht hinreichend schützbaren Ba- tern. Zwar bemüht sich NATO-Oberbefehlshaber sen; denn dies schafft Scheunentore der Verwund- Rogers, die europäischen NATO-Verbände von ei- barkeit. nem atomaren Ersteinsatz unabhängiger zu ma- chen, aber die von der NATO-Tagung in Montebello Die „flexible response" befindet sich also in Auf- ausgehenden Beschlüsse bewirken trotz eines ge- - lösungserscheinungen. Immer offenkundiger wird wissen zahlenmäßigen Abbaus eine militärische für uns das Erfordernis, nicht den weiteren Ausbau Leistungssteigerung der taktischen Atomwaffen. zu betreiben, sondern einen Umbau der Doktrin Gleichzeitig findet inzwischen eine Massenproduk- und der Streitkräftestrukturen vorzunehmen, einen tion von Neutronensprengköpfen für einen poten- Umbau, der die Widersprüche besser überwindet tiellen Gebrauch in Europa statt. Durch einen sich und die weitere Zerfaserung verhindert, die im 10606 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Scheer Bündnis allmählich zu Lasten aller Beteiligten geht wirken. Alles andere wird nicht realisierbar sein. und zugleich die entspannungspolitischen Grundla- Wir appellieren deshalb an alle Fraktionen, die An- gen zersetzt. Es ist vor allem die Alternativdiskus- hörungen des Verteidigungsausschusses als Beginn sion, die sich mit diesem Umbau beschäftigt. Alter- und nicht als Abschluß einer Debatte zu betrach- native Vorschläge sind mittlerweile so präzise ten. durchgearbeitet, daß es möglich ist, die Spreu vom Im Tätigkeitsbericht der CDU/CSU für den CDU Weizen zu trennen. Manche sind präziser durchge- Bundesparteitag im März dieses Jahres heißt es — arbeitet als der Bundeswehrplan, weshalb durchaus ich zitiere—: der Vorwurf zu erheben ist, daß sie vom Verteidi- gungsminister verworfen werden, ohne daß man Auf Initiative der Fraktion wurde die Anhö- das Gefühl hat, daß man sich ernstlich damit be- rung von Sachverständigen zu alternativen schäftigt hat. Strategien Es gibt im wesentlichen vier Vorwürfe, die diesen (Dr. Klejdzinski [SPD]: Au, au!) Alternativen entgegengehalten werden. Der erste entgegen den Absichten der SPD Vorwurf lautet, sie seien im Bündnis nicht vermitt- lungsfähig. Das trifft bei einigen Alternativvor- (Dr. Klejdzinski [SPD]: Au, au!) schlägen zu, manche sind aber sogar besser geeig- mit gebotener Sorgfalt und Ausführlichkeit net, Integration zu ermöglichen. durchgeführt. Der zweite Vorwurf besagt, die Alternativkon- (Dr. Klejdzinski [SPD]: Was ist bei Ihnen zepte gewährleisteten keine Vorneverteidigung und Ausführlichkeit?) würden Raumverluste freigeben. Auch dies trifft nur bei einem Teil zu. Andere Konzepte weisen Ich will hier nicht das Geburtsrecht der SPD in jedoch nach, daß die Vorneverteidigung zu geringe- Anspruch nehmen, dieses Hearing beantragt zu ha- ren Kosten durchgeführt und besser organisiert ben. Das ist nicht wesentlich. Aber wenn die gebo- werden könnte. tene Sorgfalt und Ausführlichkeit bei der CDU be- achtet wird, wenn das kein Kalauer sein soll, dann Der dritte Vorwurf ist: Die alternativen Überle- muß mindest erwartet werden, daß die Bundesre- gungen behandeln lediglich den Ausschnitt der gierung und die Regierungsfraktionen zur Kennt- Landstreitkräfte. Auch dies stimmt nur teilweise. nis nehmen, was alle Sachverständigen, auch die Der vierte Vorwurf lautet, die Alternativvor- von der Union benannten, empfohlen haben: die Be- schläge seien Kriegsführungskonzepte, wo es doch seitigung der chemischen Waffenpotentiale in der um Abschreckung zur Kriegsverhinderung geht. Bundesrepublik auch unabhängig vom Ergebnis ei- Dem ist entgegenzuhalten, daß wir es gerade bei ner weltweiten Achtung chemischer Waffen. Sie ha- Air/Land-Battle- und FOFA-Überlegungen mit ei- ben auch die Entfernung atomarer Gefechtsfeld- nem Trend zu Kriegsführungskonzepten zu tun ha- waffen, zumindest aus dem Bereich der Vornever- ben, teidigung, (Horn [SPD]: Richtig!) (Franke [Hamburg] [CDU/CSU]: Aber Herr Voigt ist doch für FOFA!) und die klare Trennung und Unterscheidung von konventionellen und atomaren Waffenträgern emp- während sich Alternativüberlegungen mit Durch- fohlen, was für die Rüstungskontrolle und die führungskonzepten zu einer tatsächlich glaubwür- Selbstsicherheit von erheblicher Bedeutung ist. digen Abschreckung beschäftigen. Noch ist es nicht so, daß eine Partei über ein (Berger [CDU/CSU]: Das haben Sie nie ver geschlossenes neues Konzept verfügt. Die SPD ar- standen!) beitet daran, und es wird auch noch eine Weile dau- ern, bis man sich zu einem konsistenten Konzept Ich sehe im Bereich der aktuellen Überlegungen vorgearbeitet hat. Wir fordern auch die Union auf, zur konventionellen Verteidigung den wesentlichen sich einer solchen Debatte zu stellen und sie nicht Unterschied zwischen den Überlegungen der NATO nur Kollegen wie Biedenkopf, der — leider — nicht einerseits und Alternativüberlegungen andererseits im Bundestag ist, allein zu überlassen. darin, daß die NATO die Elemente der Vornevertei- (Vorsitz : Vizepräsident Cronenberg) digung mit Elementen einer Vorwärtsverteidigung und mit neuen Elementen zu kombinieren versucht, Ich möchte zum Schluß einige Eckpunkte einer die zwangsläufig, selbst wenn es ungewollt ist, auch neuen Strategie hervorheben, die sich für mich aus den Charakter von Angriffswaffen haben. Demge- den Anhörungen ergeben. genüber versuchen alternative Strategien, die Vor- Erster Punkt. Atomwaffen müssen aus dem Be- neverteidigung mit Elementen einer Raumverteidi- reich potentieller konventioneller Kampfhandlun- gung zu verknüpfen, so daß der Verteidigungszweck gen abgezogen werden, um die Selbstgefährdung eindeutiger wird und geeignete Prioritäten gesetzt und die Unglaubwürdigkeit der noch geltenden werden können. Ein Umbau der Doktrin und der- Doktrin zu überwinden. Streitkräftestruktur kann dabei allerdings nicht als ein totaler Umbruch verstanden und versucht wer- (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das ist poli den. Vielmehr muß eine alternative Strategie bei tische Selbstverstümmelung!) jedem Weg, den man einschlägt, auf eine reformeri- Allein damit ist der politische Abschreckungscha sche Veränderung der bestehenden Strukturen hin- rakter der Atomwaffen sicherzustellen und kann Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10607

Dr. Scheer dem Trend zu atomaren Kriegsführungswaffen ent- Großbritannien steht vor der Gretchenfrage, ob die gegengewirkt werden. Solange es atomare Ab- Weiterführung seines maritimen Verteidigungsbei- schreckung gibt — worüber wir nicht befinden kön- trages und des Trident-Programm die ungeschmä- nen —, müssen Atomwaffen so gesichert und zu- lerte Aufrechterhaltung der Rheinarmee erlaubt. rückgehalten werden, daß sie grundsätzlich nicht Frankreich verstärkt den Ausbau der Force de mit konventionellen Truppen vermischt sind und frappe zu Lasten der konventionellen Streitkräfte. auch nicht durch Truppen des Warschauer Paktes Belgien und die Niederlande tendieren zu einer Re- überlaufen werden können. duzierung, zumindest einer Rückverlegung ihrer Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies eine konventionellen Verbände in der Bundesrepublik. Verlagerung — die sicherlich nicht in einem Schritt In Amerika ist damit zu rechnen, daß Mehrkosten erfolgen kann — atomarer Abschreckungswaffen in für SDI durch Einsparungen bei konventionellen Westeuropa auf das Meer. Die Ankoppelung West- Truppen in Europa ausgeglichen werden. Kein europas an die atomare Abschreckung müßte dann westeuropäisches Land kann sich eine Vollinstru- so gewährleistet werden, daß diese Aufgabe für die mentierung seiner Teilstreitkräfte leisten. Zur ver- westeuropäische Verteidigung von den beiden west- trauensvollen Zusammenarbeit im Bündnis gehört europäischen Atommächten mit übernommen wird. die arbeitsteilige Spezialisierung der Mitgliedslän- So schwierig dies ist, so notwendig ist eine solche der für ein gemeinsames Verteidigungskonzept. Perspektive, wenn wir ernsthaft von einer gemein- (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Wir als Ka samen westeuropäischen Verteidigung sprechen nonenfutter!) wollen. Eine Vollausstattung aller Teilstreitkräfte der Bun- Zweitens. Die Vorneverteidigung sollte durch deswehr ist nicht nur falsch und unbezahlbar, son- eine tiefengestaffelte Raumverteilung ergänzt wer- dern ist auch Ausdruck mangelnden Vertrauens in den. Gleichzeitig sollten die Mehrzweckverbände die Möglichkeit einer besseren Arbeitsteilung im im Bereich der Vorneverteidigung umgebaut und Bündnis. auf die Aufgabe konzentriert werden, die Vornever- teidigung haltefähig gegenüber einem konventio- Die Ziele einer Verteidigungspolitik liegen in der nellen Angriff zu machen. Es geht um konventio- Kriegsverhütung und dabei in der Verringerung nelle Umrüstung statt Runderneuerung oder kon- konventioneller und atomarer Kriegsgefahr, in der ventioneller Aufrüstung. Die verbesserte Vornever- Gewährleistung von Krisenstabilität und in der Fä- teidigung bedarf geradezu defensiv spezialisierter higkeit zur Eindämmung von Eskalation. Sie sind Verbände mit tiefer Staffelung, weil sie gefährdet deshalb untrennbar mit einer Politik der Entspan- ist, wenn hinter ihr ein Vakuum besteht. nung und der Rüstungskontrolle verknüpft. Dazu brauchen wir haltefähige konventionelle Streit- Drittens. Die Bundeswehr, die künftig zwangsläu- kräfte — wobei Atomwaffen als Nothelfer für kon- fig mit verringerter Präsenzstärke ausgestattet sein ventionelle Verbände unnötig sind —, die der Ge- wird, muß sich deshalb verstärkt um eine praxisnä- genseite möglichst keine empfindlichen Schwer- here Reservistenrekrutierung bemühen. Die unum- punktziele für atomare und konventionelle Waffen gängliche Kaderung eines Teils der Verbände sollte bieten und die unter veränderten politischen Ziel- dabei nicht im Bereich der Vorneverteidigung, son- setzungen nicht zu einem Angriffskonzept umfunk- dern bei den Raumverteidigungsverbänden erfol- tioniert werden können. gen. Parallel dazu brauchen wir westeuropäische Rü- Viertens. Die Bundesmarine muß sich auf ihre stungskontrollinitiativen, die sich auf Europa insge- Aufgabe in der Ostseeverteidigung konzentrieren samt beziehen. Dazu sind Reformen nötig, die nicht und sollte die Verteidigung in den Nordmeeren der allein von Rüstungskontrollverhandlungen abhän- Arbeitsteilung im Bündnis überlassen. gig gemacht werden dürfen. Es gibt eine notwen- Die radikalsten und dringlichsten Reformschritte dige Rüstungskontrolle zwischen Ost und West. Sie sind jedoch bei der Luftwaffe erforderlich. Hier lie- wird aber zunehmend durch die innere Rüstungs- gen die größten Entwicklungsrisiken, längsten Pla- dynamik in Ost und West erschwert. Rüstungskon- nungszeiten, die größten Kostenexplosionen, höch- trolle muß zunächst einmal bei uns selbst funktio- sten Folgekosten, zeitkritischsten Eskalationsrisi- nieren und ist zuallererst eine Frage, die wir in ken und nicht zuletzt die größten Gefahren für eine eigener Verantwortung mit selbständigen Maßnah- Mißtrauensbildung gegenüber dem Warschauer men unserer Seite beantworten müssen, damit Pakt. Gerade in der Luftverteidigung ist eine ver- nicht immer erneut eine Eskalation auf dem Gebiet stärkte westeuropäische Arbeitsteilung erforder- der Rüstung betrieben wird, die immer mehr der lich. politischen Kontrolle entgleitet und die immer mühsamer nur durch internationale Rüstungskon- Fünftens. Allein die Entwicklung einer alternati- trolle eingefangen werden kann. Dazu, aber auch ven Verteidigungsperspektive mit solchen Grob- zur Einsparung von Kosten haben alternative Stra- strukturen kann das Bündnis stabilisieren. Die tegievorschläge einen wesentlichen Beitrag gelei- Engpässe und Sackgassen einer Fortschreibung der - stet. Prüfen wir sie, setzen wir das Sinnvolle um! vorhandenen Streitkräftestrukturen gibt es nicht Wir sind es uns selbst, der Bundeswehr, dem Bünd- nur bei uns, sondern bei allen NATO-Partnern. Je- nis und der Sicherung des Friedens schuldig. der setzt gegenwärtig seine eigenen, nicht koordi- nierten Prioritäten. Vielen Dank. (Berger [CDU/CSU]: Sie auch!) (Beifall bei der SPD) 10608 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Vizepräsident Cronenberg: Gestatten Sie eine Zwi- ordnete Ronneburger. schenfrage?

Ronneburger (FDP): Ich gestatte. Ronneburger (FDP): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich halte zwei Vorbemerkungen Horn (SPD): Herzlichen Dank, Herr Kollege Ron- für notwendig. neburger. — Nachdem Sie Lissabon mehrere Male beschworen haben: Können Sie mir erklären, wes- Erstens. Wir sprechen nicht nur über das Hearing halb ausgerechnet in Lissabon genau über SDI zu alternativen Strategien. Ich glaube vielmehr, wir keine Aussage kam? Sicherlich wohl deswegen, weil müssen etwas mehr Aktualität — auch jüngste Ent- man hier keine Einigung erreichen konnte. wicklungen — einbeziehen. Dies gilt um so mehr, als der Kollege Dr. Scheer soeben ein Bild der Ronneburger (FDP): Nein, Herr Kollege Horn, das NATO gezeichnet hat, das mit der tatsächlichen Si- hat einen völlig anderen Grund: weil die bisherigen tuation überhaupt nicht in Einklang steht. Erkenntisse und Informationen über SDI für die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — europäischen Partner überhaupt noch keine Grund- Berger [CDU/CSU]: Er kennt sie auch lage für eine aktuelle Entscheidung bieten. Ich nicht!) werde darauf im Laufe meiner Ausführungen noch zurückkommen. Anscheinend hat der Kollege Scheer die Ergebnisse (Beifall bei der FDP — Horn [SPD]: Ich der Konferenz von Lissabon nicht zur Kenntnis ge- habe schon bessere Ausreden gehört!) nommen. Wir werden darüber weiter reden und weiter fragen Zweitens. Ich glaube, daß es neben der notwendi- müssen. Nur, Herr Kollege Horn, ich sage Ihnen gen Erörterung alternativer Strategien darauf an- eines. Es gibt im Augenblick wahrscheinlich zwei kommen wird, die Fragen, die damit aufgeworfen falsche Entscheidungen. Das eine ist das absolute sind, nicht nur militärtechnologisch, sondern im und unabdingbare Nein zu all dem, was die Verei- Grundsatz auch politisch zu behandeln. Insofern ist nigten Staaten tun. Das andere wäre nach meiner es meiner Meinung nach nur konsequent, wenn Überzeugung das vorbehaltlose Ja zu den Plänen, sich die FDP dafür eingesetzt hat, daß in die Ent- die in den Vereinigten Staaten Gegenstand dieses schließung, die heute debattiert wird, der Satz auf- Forschungsprojektes sein werden. genommen wurde: Das Kommuniqué von Lissabon stellt fest, daß es Militärische Anstrengungen alleine vermögen uns nicht um militärische Überlegenheit geht. Es den Frieden aber nicht zu sichern. Bemühun- wiederholt damit die Bonner Erklärung der Staats- gen um Entspannung und Rüstungskontrolle und Regierungschefs vom 9./10. Juni 1982 mit der müssen als gleichwertiges Element hinzutre- Feststellung — die immer wiederholt und von uns ten. immer wieder ausgesprochen werden muß — , daß (Horn [SPD]: Darin stimmen wir völlig keine unserer Waffen je eingesetzt werden wird, es überein!) sei denn, als Antwort auf einen Angriff. Deswegen halte ich es auch für wichtig, die Erklärung von Lis- — Okay, um so besser. Hoffentlich sagen Sie das an sabon hervorzuheben: „Unsere Abschreckungsstra- allen Stellen meiner Ausführungen genauso, Herr tegie hat sich bei der Wahrung des Friedens be- Kollege Horn. währt. Sie bleibt uneingeschränkt gültig. Sie dient (Horn [SPD]: Der Adressat ist auf der an dem Zweck, Krieg zu verhindern und uns zu befähi- deren Seite!) gen, Einschüchterungsversuchen zu widerstehen." Dieses Prinzip und Fragen der Bündnisstrategie Wir haben in dem Entwurf des Verteidigungsaus- haben tatsächlich die Lissaboner Konferenz vom schusses für die heutige Debatte und Entscheidung 6. /7. Juni 1985 beherrscht. Diese Konferenz bildet im Grunde genommen das mit klaren Sätzen be- daher auch den Hintergrund für meine Darlegun- reits vorweggenommen. Es heißt dort: gen zur Frage alternativer Strategien. Die Politik der Abschreckung verfolgt zwei Diese Konferenz, Herr Kollege Dr. Scheer, hat Ziele: Die Kriegsverhütung und die Freiheit der noch einmal die Grundsätze der letztjährigen Wa- Eigenentwicklung. shingtoner Erklärung bestätigt und bekräftigt und Jetzt kommt ein außerordentlich wichtiger Satz, der hat damit den wesentlichen Inhalt des Harmel-Be- den politischen Hintergrund dieser ganzen Ent- richts vom Dezember 1967 aufgenommen, der scheidungen deutlich macht: Grundlage unserer Bündnispolitik und -strategie ist Sie bewahrt das NATO-Bündnis vor einer Si- und bleibt. Diese Grundsätze sind, politische Solida- tuation, in der es nur noch zwischen militä- rität und die für die Verteidigung notwendige mili- rischer Konfrontation und politischer Unter- tärische Stärke aufrechtzuerhalten und auf dieser werfung wählen kann. Dies begründet auch Grundlage auf allen Gebieten nach echter Entspan- ihre ethisch-moralische Legitimation. - nung durch konstruktiven Dialog und breit ange- Ich meine, dies darf bei allem, worüber wir uns legte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und je- heute unterhalten, nicht aus den Augen verloren dem osteuropäischen Staat zu streben. werden. Ich meine daher, daß es Aufgabe der Si- (Abg. Horn [SPD] meldet sich zu einer Zwi cherheitspolitik europäischer Staaten sein muß, je- schenfrage) den Krieg, gleich welcher Art, auf unserem Konti- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10609

Ronneburger nent zu verhindern. Unter den gegebenen Umstän- Vor dem Hintergrund dieser so wichtigen und den der Teilung Europas und der hegemonialen Po- einleuchtenden Ziele fällt es nicht leicht, dennoch litik der beherrschenden Landmacht im Osten kön- die Bilanz zu ziehen, daß die bisher vorgestellten nen wir unsere Sicherheit nicht auf uns allein ge- alternativen Strategiemodelle unsere Sicherheit stellt gewährleisten. eher mindern als erhöhen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Klejdzinski [SPD]: Große Zustimmung bei der CDU!) Diese Erkenntnis hat die Bundesrepublik Deutschland vor dreißig Jahren in das Verteidi- weil sie im Bestreben, die nukleare Eskalation zu gungsbündnis freier demokratischer Staaten Euro- vermeiden, Kriegsverhütung vernachlässigen und pas und Nordamerikas geführt. Frieden und Frei- damit nicht berücksichtigen, daß auch ein rein kon- heit, meine Damen und Herren, finden wir nicht ventionell geführter Krieg zur völligen Zerstörung außerhalb der Nordatlantischen Allianz. Ich glaube, unseres Landes führen kann, weil sie durch Raum- daß das die Menschen in unserem Lande auch sehr verteidigung — auch, Herr Kollege Scheer, wenn wohl wissen. In ihrer großen Mehrheit schätzen sie diese gelegentlich mit Elementen der Vornevertei- den für unsere Sicherheit unersetzlichen Wert der digung kombiniert ist — diese Gefahr noch verstär- NATO und die enge Verbundenheit mit den Verei- ken, weil sie die personellen und finanziellen Mög- nigten Staaten von Nordamerika. Unser Platz liegt lichkeiten des Bündnisses überschätzen, weil sie nicht in einer imaginären Äquidistanz zwischen unser Land in Zonen verschiedener Sicherheit auf- den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. teilen und weil sie nach meiner Überzeugung des- halb von der Bevölkerung noch weniger akzeptiert (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — werden dürften. Hierüber gibt es eine sehr interes- Horn [SPD]: Völlig richtig!) sante Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts, herausgegeben von Carl Friedrich von Weizsäcker, um auch hier jeden Zweifel auszuräumen. Zwischen zwei Stühlen gibt es keinen Halt. — Ich bin dankbar für jede Art von Zustimmung, Herr (Dr. Klejdzinski [SPD]: Studien gibt der Kollege Horn. — Sicherheit ist ohne Zuverlässig- Minister nicht raus!) keit nicht zu haben. Wir dürfen nicht den leisesten Aus allen genannten Gründen und nicht zuletzt Zweifel daran aufkommen lassen, daß wir uns der auch deshalb, weil sie nicht in der Lage sind, Ab- gemeinsamen, im Bündnis entwickelten Verteidi- schreckungs- und Verteidigungsfähigkeit auf allen gungsstrategie verpflichtet fühlen. Sie ist dem Ziel Ebenen zu gewährleisten, sondern Risiken für ei- unserer Sicherheitspolitik, der Kriegsverhütung, nen möglichen Angreifer mindern, statt die Ab- zugeordnet. Sie hat in ihren verschiedenen, den po- schreckung zu erhöhen, ist diese Einschätzung an- litischen und militärischen Gegebenheiten ange- gebracht. Ich sage dies übrigens auch in völliger paßten Ausgestaltungen einen wesentlichen Bei- Übereinstimmung mit dem Grafen Baudissin. trag zur Friedenserhaltung in Europa seit über 35 Mittelstreckenwaffen in Westeuropa und Neutro- Jahren geleistet. Eine Strategie, die die Aufgabe der nenwaffen, Herr Kollege Scheer, haben Sie hier ge- Kriegsverhinderung erfolgreich erfüllt, ist weder nannt. Wenn Sie schon von Mittelstreckenwaffen überholt noch unmoralisch. Alle Vorschläge zur sprechen, warum sprechen Sie nicht auch von Veränderung dieser Strategie müssen daran gemes- SS 20? Wenn Sie von Neutronenwaffen sprechen, sen werden, ob sie der Verhinderung jedes Krieges warum sprechen Sie nicht davon, daß im Bündnis in Europa besser dienen. der NATO keine Waffe je in Europa eingesetzt wer- Daran zu erinnern, meine Damen und Herren, ist den wird ohne die Zustimmung der Europäer zu heute besonders wichtig, wo eben zahlreiche Alter- einer solchen Waffe? Derjenige, der im Pentagon nativen zur Bündnisstrategie angeboten werden. Gespräche über solche Fragen geführt hat, wird mir Bei Überprüfung dieser Strategien — der Verteidi- hier nur zugeben können, daß die Amerikaner nicht gungsausschuß hat dies intensiv getan — müssen die Absicht haben, unter gar keinen Umständen die Überlegungen zur europäischen Sicherheit an er- Absicht haben, hier Waffen einzusetzen, die von uns ster Stelle stehen. Reden zum 8. Mai 1985 haben uns abgelehnt werden. noch einmal mit aller Deutlichkeit vor Augen ge- (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Wofür bauen sie führt: Europa darf nie wieder Ausgangspunkt oder die dann?) Austragungsort eines Krieges sein. Daher gilt es — ich sage es noch einmal —, in Europa jeden Krieg Dennoch halte ich es für notwendig, über Strate- zu vermeiden. Dieses ist Hauptkriterium jeder poli- gien weiter nachzudenken. Man darf selbstver- tischen Überlegung, die in der Bundesrepublik ständlich alternative Strategien nicht tabuisieren. Deutschland angestellt werden kann und muß. Un- Die Suche nach anderen Lösungen, die verbesserte ter diesen Gesichtspunkten muß zu den bei der An- Möglichkeiten der Schadensbegrenzung und hö- hörung diskutierten Alternativen festgestellt wer- here Akzeptanz durch die Bevölkerung bei gleicher den: Sie wollen — dies ist hoch ehrenwert — die Fähigkeit zur Kriegsverhütung wie die geltende nukleare Zerstörung verhindern, durch rein defen- Strategie bieten, muß selbstverständlich fortgesetzt sive Struktur und Bewaffnung abrüstungs- und ent- werden spannungsfördernd wirken und durch beides die Zur Zeit aber ist es meine Überzeugung, daß nur Akzeptanz und psychologische Unterstützung der die geltende NATO-Strategie, auch durch Andro- Landesverteidigung durch die Bevölkerung stär- hung der nuklearen Eskalation, Ausbruch oder gar ken. Fortführung kriegerischer Handlungen verhindern 10610 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Ronneburger kann, daß nur diese NATO-Strategie auch einem kann. Es gilt, die öffentliche Diskussion in diesem begrenzten Angriff den Erfolg verwehren, grenz- Punkt zu versachlichen und wieder auf unsere ei- nahe Verteidigung und damit Schadensbegrenzung gentliche Interessenlage zurückzuführen. gewährleisten und so im Frieden Einschüchterung, Erpressung und eine Gefährdung unserer freien Vor diesem Hintergrund aber gibt es zahlreiche Fragen an SDI. Ich nenne hier nur einige wenige. Selbstbestimmung verhindern kann. Wie kann das fortdauernde konventionelle Überge Es geht also — ich sage dies noch einmal mit wicht der Sowjetunion ausgeglichen werden? Wel- allem Nachdruck — in erster Linie um politische ches relative und absolute Gewicht hat die Bedro- Ziele, nicht um militärische. Es geht nicht darum, hung durch nukleare Waffen unterhalb der SDI- einen Krieg erfolgreich zu führen, sondern es geht Ebene, z. B. nukleare Waffen kurzer und mittlerer darum, den Ausbruch eines jeden Krieges zu ver- Reichweite, aber auch Cruise Missiles? hindern. (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wird es etwa im Zuge der Entwicklung von SDI Daß die Bündnisstrategie diese Fähigkeiten auf- Zonen, Regionen unterschiedlicher Sicherheit im weist, wissen wir aus den Erfahrungen der letzten Bündnis geben? 35 Jahre. Ich will das hier im einzelnen nicht noch einmal ausführen. (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Völlig richtig!) Diese Erkenntnis und die Tatsache, daß auf ab- Werden SDI-Kosten nicht Verbesserungen konven- sehbare Zeit keine Destabilisierung und damit tioneller Verteidigungsfähigkeit unmöglich ma- keine Friedensgefährdung aus diesem System zu chen? erwarten sind — Herr Kollege Francke hat zu (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Doch!) Recht darauf hingewiesen: Auch die Sowjetunion will keinen Krieg und kann keinen Krieg wollen —, Ein Großteil dieser Fragen kann jetzt nicht beant- müssen wir gemeinsam mit der Darstellung der po- wortet werden, Herr Kollege Horn. litischen und militärischen Bedrohung durch die Sowjetunion und des defensiven Charakters unse- (Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Kann durchaus! res Bündnisses ins Zentrum einer weiter zu intensi- — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Doch!) vierenden sicherheitspolitischen Öffentlichkeitsar- Wir müssen uns ihnen aber stellen, sowohl auf na- beit stellen. tionaler Ebene als auch in den Bündniskonsultatio- Das gilt auch — dies zu den jüngsten aktuellen nen. Auch hierzu hat in Lissabon eine intensive Entwicklungen gesagt — für die Prüfung von SDI, Aussprache mit dem Ergebnis weitgehender Ober- die man bei den heutigen Erwägungen ja wohl einstimmung zwischen den Bündnispartnern statt- nicht außer acht lassen kann. gefunden. Der Bundessicherheitsrat hat dazu einen sehr Ich halte es für besonders wichtig, daß der Au- klaren und eindeutigen Beschluß gefaßt, dessen ßenminister der Vereinigten Staaten klargestellt entscheidende Sätze ich hier zitiere: hat, die Vereinigten Staaten sähen eine Beteiligung am SDI-Forschungsprojekt als Gegenstand natio- Das oberste Ziel der Strategie des Bündnisses naler Entscheidung der angesprochenen Staaten ist und bleibt die Kriegsverhinderung, und und nicht als Bündnisfrage an. zwar sowohl die Verhinderung eines atomaren wie eines konventionellen Krieges. Es darf (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das wäre auch nichts geschehen, was dieses hohe moralische noch schöner!) Ziel gefährden könnte. Es ist Sinn der Politik Er führte weiter aus, daß Entscheidungen auf des Bündnisses, daß Kriege in Europa nicht Grund des Forschungsprogramms jetzt und in ab- wieder führbar werden. Deshalb muß die Bünd- sehbarer Zeit noch nicht anstünden. Sollten die For- nisstrategie der flexiblen Reaktion unangeta- schungen die Möglichkeit der Entwicklung eines stet bleiben, solange das Ziel der Kriegsverhin- Raketenabwehrsystems ergeben, so seien diese derung nicht auf andere Weise wirksamer er- Entscheidungen durch Konsultationen im Bündnis reicht werden kann. vorzubereiten. Er stellte fest, daß die USA in diesem Ich halte es für notwendig, dies angesichts einer und in jedem anderen Falle eine kooperative Lö- öffentlichen Diskussion festzuhalten, in der sich die sung anstrebten. Verfechter alternativer Strategien in unserem Von besonderer Bedeutung gerade auch im Zu- Lande auf das zu berufen beginnen, was jenseits sammenhang mit SDI: Unsere Verteidigung ist auf des Atlantiks als Vision einer fernen Zukunft auf Solidarität aller Partner angewiesen. Verteidi- dem Gebiet strategischer Verteidigung dargeboten gungslasten und -risiken im konventionellen wie im wird. nuklearen Bereich müssen gemeinsam getragen Die Bedrohung durch die konventionelle Überle- werden. Strategiefragen müssen im Blick auf das genheit der Sowjetunion in Europa und durch die Sicherheitsinteresse des ganzen Bündnisses mit- nuklearen Kurz- und Mittelstreckenwaffen, die auf- einander ausdiskutiert werden; sonst nimmt das uns gerichtet sind, das Modell einer Sicherheitspoli- ganze Bündnis Schaden. Auch darüber herrschte in tik, die auf stabile Beziehungen zwischen West und Lissabon Einigkeit. Weder Europäer noch Nord- Ost in Europa abzielt, das sind die Fragen, auf die amerikaner können sich von dieser Pflicht zur Soli- der Bürger in unserem Land eine Antwort fordern darität ausschließen, sollen nicht das Bündnis und Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10611 Ronneburger damit letztlich die Sicherheit aller Schaden neh- Meine Damen und Herren, Lissabon fand in einer men. Zeit notwendiger Fortschritte im Bereich der Ent- spannungspolitik statt. Der KSZE-Prozeß hat sich Weder Westeuropa noch Nordamerika können bewährt, aber er muß verstärkt werden. Ich meine, aus dem nuklearen Kräfteverhältnis aussteigen. die Entspannungspolitik muß fortgesetzt werden Auch darüber bestand in Lissabon Übereinstim- mit neuen Impulsen, mit neuen Ideen auf der mung. Im Kommuniqué ist festgestellt, daß die Si- Grundlage neuer Felder gemeinsamen Interesses. cherheit der nordamerikanischen und der europäi- Eine neue Entspannungspolitik braucht es nicht zu schen Bündnispartner unteilbar ist und das der Zu- geben; denn die alte hat sich nicht nur bewährt, sie sammenhalt des Bündnisses durch fortlaufende ist auch fortgeführt worden. Es ist gut, daß auch Konsultationen über die Fragen gemeinsamen In- hierüber die Minister bei der Lissaboner Tagung teresses und gemeinsamer Sicherheit gewährleistet Einigkeit hergestellt haben. Hier sind die westli- wird. chen Demokratien, die die Hoffnung für viele Men- schen in der Welt symbolisieren, aufgerufen, ge- Das heißt nach allem, was ich bisher versucht meinsam ein Konzept der Zukunftsgestaltung zu habe auszuführen: Die gültige Strategie der NATO entwerfen. ist bis jetzt ohne Alternative. Aber ständige Fort- entwicklung und Verbesserung ihrer Implementie- Das West-Ost-Verhältnis ist nicht Angelegenheit rungsmöglichkeiten sind dringend erforderlich. Wir der Weltmächte allein. Präsident Reagan hat die haben ja in der NATO in der Vergangenheit bewie- wichtige europäische Rolle in seiner Straßburger sen, daß solche Fortentwicklungen möglich sind. Rede vom 8. Mai 1985 gewürdigt. Auch Generalse- Ich erinnere an den Übergang von der massiven kretär Gorbatschow hat die Rolle der kleinen und Vergeltung zur Friedensbewahrung durch die Stra- mittleren Staaten und die Notwendigkeit einer brei- tegie der flexiblen Erwiderung; Nordatlantikrat ten Entwicklung des West-Ost-Verhältnisses aner- vom 14. Dezember 1967. Aber eine nüchterne Ana- kannt. lyse ergibt: Der Übergang, der damals eingeleitet Die Europäer haben in den zurückliegenden zwei wurde, ist sicherlich noch nicht vollkommen vollzo- Jahren weitgehender Sprachlosigkeit zwischen den gen. Flexibilität der Antwort ist wohl auch heute Großmächten dafür gesorgt, daß das Gespräch zwi- noch nicht ausreichend. Hier liegt die Hauptauf- schen West und Ost nicht abgerissen ist. Damit hat gabe bei der Verbesserung der derzeitigen Stra- die KSZE in den letzten Jahren ihre Bewährungs- tegie. probe als solider Rahmen, ja als Sicherheitsnetz für die multilateralen West-Ost-Begegnungen, aber Vor allem für die Minderung der nuklearen Ab- auch als Berufungsgrundlage für die Pflege bilate- hängigkeit ist es dringend erforderlich, über Fragen raler Beziehungen in einer spannungsreichen Zeit der konventionellen Verteidigung und ihres Aus- bestanden. baus nachzudenken und entweder bei Haushaltsbe- Wir haben alle Veranlassung, auf dieser Basis ratungen oder bei Personalentscheidungen der weiterzuarbeiten und uns nüchtern und sachlich Bundeswehr jene Mittel an die Hand zu geben, die über Möglichkeiten, Risiken und Chancen einer ge- sie braucht, um wirklich konventionelle Verteidi- meinsamen Politik mit unseren Partnern zu ver- gung in einem Maße sicherzustellen, das ihrer Auf- ständigen, und dies vor dem Hintergrund einer Zu- gabe entspricht. Darauf hat die Bundeswehr auch sammenarbeit auch mit dem Osten auf der Suche einen Anspruch, wenn wir den Soldaten in der Bun- danach, Entspannung herbeizuführen, Eskalation deswehr gerecht werden wollen. von Spannungen zu verhindern und damit insge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) samt den Frieden sicherer zu machen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sicherlich gibt es neue Möglichkeiten für einen wirksameren konventionellen Verteidigungsbeitrag Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr der Bundesrepublik Deutschland. Dafür haben wir Abgeordnete Vogt (Kaiserslautern). in diesem Hause schon seit langem Vorschläge vor- gelegt. Ich will die Einzelheiten nicht wiederholen, (Kaiserslautern) (GRÜNE): Herr Präsident! aber noch einmal auf die große Bedeutung der euro- Vogt Meine Damen und Herren! Bereits zehn Minuten päischen Zusammenarbeit in allen anstehenden nach Eröffnung des Bundestagshearings „Alterna- Strategie- und Rüstungsfragen hinweisen. Von gro- tive Verteidigungsstrategien" war aus dem Mund ßer Bedeutung scheint mir dabei die Wiederbele- des Verteidigungsministers ein Satz zu hören, der bung der WEU zu sein. Es ist erfreulich, daß die geeignet war, jede Hoffnung auf einen offenen Dis- Westeuropäische Union ein erfolgreiches Jahr hin- kurs im Keim zu ersticken — ich zitiere —: ter sich hat. Bisherige Tagungen brachten positive Ergebnisse, u. a. als äußeres Zeichen für ihre Wie- Zur Abschreckung der- oder Neubelebung die Schaffung von drei — behauptete Manfred Wörner — Agenturen für Sicherheitsfragen, die ihre Aufgabe gibt es derzeit und in absehbarer Zeit keine hoffentlich positiv erfüllen werden — das auch vor Alternative. dem Hintergrund reicher Erfahrungen — überwie- gend guter Erfahrungen — der Westeuropäer, aber (Biehle [CDU/CSU]: Wie recht hat er auch von Punkten, die Bedenken dagegen aufkom- doch!) men lassen, ob eigentlich die europäische Technolo- Das war am 24. Oktober 1983, einen Monat vor giegemeinschaft wirklich schon in Sicht ist. der Abstimmung im Deutschen Bundestag über die 10612 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vogt (Kaiserslautern) Stationierung der NATO-„Nachrüstungs"raketen. Die anschaulichste Beschreibung der Logik der Die eigentliche Expertenanhörung begann am Abschreckung, die ich finden konnte, stammt übri- 28. November 1983, also nachdem sich durch das gens von Anatol Rapoport, der als in den USA le- Abstimmungsverhalten von SPD und GRÜNEN of- bender Konfliktforscher bei unserem ja sehr deut- fenbart hatte, daß der über Jahrzehnte gepflegte schen Hearing nicht zu Wort kommen konnte. Man nationale Konsens in der Verteidigungsdebatte zer- stelle sich, so empfiehlt Rapoport, zwei Skorpione in brochen war. Der Kollege Francke hatte ja schon einer Flasche vor. Nehmen wir an, daß keiner einen darauf hingewiesen. Vorteil daraus erzielt, den anderen zu stechen. Wenn aber der eine denkt, der andere könnte beab- Zeitweise konnte man in der sich über vier Mo- sichtigen, ihn zu stechen, dann bleibt ihm kein an- nate erstreckenden Expertenanhörung den Ein- derer Ausweg, als zuerst zu stechen. Das ist aber druck gewinnen, sie habe auch der Suche nach ei- noch nicht alles. Selbst wenn Skorpion A nicht an nem neuen nationalen Konsens in der Verteidi- die Absicht von Skorpion B, ihn zu stechen, glaubt, gungsfrage oder zumindest dem parlamentarischen sondern annimmt, Skorpion B könne den Verdacht Einstieg in diese Suche gegolten. Der nun vorlie- haben, daß er — A — zu stechen beabsichtige, dann gende Bericht des Verteidigungsausschusses sowie wird A folgern, daß B folgert, er — B — müsse der Änderungsantrag der SPD zeigen, daß sich die zuerst stechen, und deshalb muß Skorpion A den defense community — also die hier versammelte Skorpion B sozusagen in „Selbstverteidigung" ste- Verteidigungsgemeinde — um die Wiederherstel- chen. lung des Konsenses bemüht. (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei Das Ergebnis ist aber alles andere als überzeu- der CDU/CSU) gend. Das hängt im wesentlichen damit zusammen, Da die Abschreckung an Atomwaffen gebunden ist, daß die zwischen Friedensbewegung und Regierung verheißt diese in sich folgerichtige Absurdität — einerseits sowie zwischen Bundesregierung und oder man kann auch sagen Viecherei —, uns und US-Administration andererseits strittigen Fragen die gesamte Schöpfung auszulöschen, Siechtum nicht ausdiskutiert worden sind, daß Gegensätze und nuklearen Winter. geleugnet oder immer noch verkleistert werden. Wie Horst Afheldt während des Hearings aussag- Die Bundesregierung und die Ausschußmehrheit te, sieht er zwei Wege, die in den atomaren Auslö- der Koalition klammern sich an alte Formeln. Die schungskrieg führen können. Der eine Weg ist der SPD versucht, neuen Entwicklungen nur halbherzig Eroberungskrieg nach dem Bild von 1939, nur um- gerecht zu werden, sie wagt noch nicht, einen neuen gekehrt. Der ist gemeint, wenn wir von der Ab- Standpunkt „jenseits von Abschreckung" einzuneh- schreckung der Sowjetunion reden. Dieses Bedro- men. Der Friedensbewegung und den GRÜNEN ist hungs- und Abschreckungsszenario stand offen- es noch nicht gelungen, die notwendige Alternative sichtlich auch der Ziffer 4 der Beschlußempfehlung zur Abschreckung so auszuformulieren, daß sie un- des Verteidigungsausschusses Pate, über die wir ter den gegenwärtigen Bedingungen politisch in- heute abstimmen sollen. Nur, dieser Krieg, auf den strumentell handhabbar und übernehmbar wäre. sich nach der Vorstellung der Berichterstatter die Würde der Bundestag der Beschlußempfehlung des ganze NATO-Abschreckungsstrategie zu konzen- Verteidigungsausschusses folgen, dann täte er das trieren scheint, ist nach Horst Afheldts Einschät- nach der Devise: Wer die Mehrheit hat, hat die zung und auch nach unserer Auffassung höchst un- Wahrheit. Das Parlament schlösse sich dann der wahrscheinlich. Der zweite und wahrscheinlichere schon in seinem Eingangsstatement angelegten ist ganz im Sinne des Gleichnisses von den Skorpio- ängstlichen Tabuisierungsstrategie des Verteidi- nen derjenige, der dadurch ausbricht, daß in einer gungsministers an, verarbeitete aber nicht wirklich Krise, aus welchem Grunde sie auch entstanden die Ergebnisse der Expertenanhörung. Dies gilt vor sein mag, plötzlich Abwarten lebensgefährlich wird. allem für die Ziffer 1 der Drucksache 10/3074, wo es Die Assoziation zu 1914, die noch heißt: im Bundestagswahlkampf 1980 erkannt, aber nicht beachtet hat, liegt nahe. Zur Debatte steht also die Der Deutsche Bundestag stellt fest: Gefahr der Abhängigkeit der NATO vom Erstein- Die Anhörung des Verteidigungsausschusses satz von Atomwaffen. zu „Alternativen Strategien" hat eindeutig und Die Berichterstatter des Verteidigungsausschus- überzeugend ergeben, daß es zur gültigen ses haben diese Gefahr zwar erkannt, wie Ziffer 3 NATO-Strategie der flexiblen Antwort derzeit der Beschlußempfehlung zeigt. Lediglich den Abzug keine Alternative gibt. von Atomwaffen kurzer Reichweite und die Verbes- „Flexible response" ist bekanntlich die seit 1967 gül- serung der konventionellen Kampfkraft zu fordern tige Variante der auf atomare Abschreckung ge- bringt aber keine Abhilfe. Bei Weiterbestehen der stützten NATO-Strategie. Von mehreren der Exper- nuklearen Ersteinsatzoption sind die überdies teu- ten ist diese Strategie in Frage gestellt worden, und ren und komplizierten konventionellen Neuan- einem — Horst Afheldt — ist es, so meine ich, sogar schaffungen bestenfalls geeignet, den atomaren Ho- gelungen, sie argumentativ geradezu zu zertrüm- locaust ein paar Tage hinauszuzögern. mern. Er hat auch zugleich den Nachweis erbracht, Wie schwer es der Verteidigungsgemeinde im daß die Suche nach Alternativen wegen der Gefah- Deutschen Bundestag fällt, den Schritt von „no ear- ren, die „flexible response" innewohnen, absolut ly first use" zu „no first use" zu machen, wird im notwendig ist. Änderungsantrag der SPD-Kollegen zur Beschluß- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10613

Vogt (Kaiserslautern) empfehlung des Verteidigungsausschusses sichtbar. Kissinger eine geistige Ohnmacht festgestellt, die Das Fehlen des Verzichts auf die Androhung des eine ernsthafte Darlegung von Alternativen zu ei- Ersteinsatzes ist einer der Gründe, weshalb ich nem allgemeinen Atomkrieg unmöglich macht. meiner Fraktion nicht empfehlen kann, den Ände- rungsantrag der SPD mit zu tragen. Es ist zutiefst Lähmung oder Ohnmacht, beim Versuch, diesen inkonsequent, zu fordern, der politische Charakter Zustand zu überwinden, werden zwei Denkschulen von Atomwaffen müsse deutlich hervorgehoben aufeinandertreffen: die militärisch-technologische, werden, aber den Verzicht auf Ersteinsatz zu ver- an die Waffenentwicklung gebundene, und — wie weigern. Die Kollegen hätten die Gründe hierfür ich sie nenne — die zivilistisch-soziale, die mehr auf wiederum bei Horst Afheldt nachlesen können, der gesellschaftliche Erneuerung, politisch-soziale In- sich während der Anhörung dazu geäußert hat. Ich novation setzt. gebe Ihnen gerne das Zitat. Als Partei der Gewaltfreiheit haben sich die In der Friedensplattform 1987, die allen Bun- GRÜNEN von Gründung an dafür entschieden, das destagsabgeordneten von Alfred Mechtershei- Konzept der Sozialen Verteidigung in ihr Pro- mer zugeleitet worden ist, wird deutlich, daß gramm aufzunehmen und für seine Einübung ein- dies eine Schlüsselforderung der Friedensbe- zutreten. Die Auswahl, die die GRÜNEN für das wegung ist. Der Hinweis auf die Mühsal des Hearing im Verteidigungsausschuß getroffen ha- Grenzübergangs von „no early first use" zu „no ben, entspricht dem 1981 bei Verabschiedung des first use" darf natürlich nicht dazu verleiten, Friedensmanifestes festgestellen Konsens inner- den Druck zu übersehen, der von ganz anderer halb der Partei: Priorität hat Soziale Verteidigung Seite auf die Bundesregierung und andere in der Art, wie Theodor Ebert sie vorträgt, jedoch NATO-Länder ausgeübt wird. kann sich für die Gestaltung der Übergangsphase Nun komme ich zur Tabuisierung der Alternati- eine qualifizierte Minderheit mit Mischformen zwi- ven à la Reagan. Sie sind nicht diskutiert worden. schen defensiv-konventionellen, paramilitärischen Es ist ein schweres Versäumnis der Hearings „Al- und nichtmilitärischen Konzepten befreunden, wie ternative Verteidigungsstrategien", daß diese har- sie zur Zeit Galtung vertritt. ten Alternativen nicht diskutiert worden sind. Diese Im mündlichen Teil des Hearings haben beide Tabuisierung hängt sicher auch damit zusammen, von uns benannten Experten die Grundzüge der So- daß sich die Regierungskoalition weigert, zur zialen Verteidigung nicht vorgetragen: Theodor Kenntnis zu nehmen, daß die Entwicklung atoma- Ebert, weil es ihm wichtiger erschien, vor einem rer, bzw. integrierter Kriegsführungsoptionen ein parlamentarischen Gremium die politischen Umset- Versuch der US-Administration ist, auf ihre Weise zungsschritte zu beschreiben, Galtung, von dem der innere Widersprüche der flexible response aufzulö- Begriff Soziale Verteidigung und ein Teil des Ge- sen. Einige dieser Konzepte mögen manchem Beob- dankenguts ursprünglich stammt, weil er inzwi- achter militärisch folgerichtig erscheinen, politisch schen eine zum militärstrategischen Denken ver- sind sie fatal. mittelnde Position einnimmt. Im folgenden wird Verblüffung übrigens hat bei den meisten Exper- deshalb der Versuch gewagt, das Versäumte nach- ten unser Herr Verteidigungsminister durch seinen zuholen, obwohl die Zeit natürlich dazu nicht rei- Hinweis hervorgerufen, die neuen US-Vorschriften, chen wird. die den Offensivgedanken betonen, hätten für die in der Bundesrepublik stationierten US-Truppen Das Konzept der Sozialen Verteidigung hat zum keine Gültigkeit. Einer fragte: Ist der wirklich so Ausgangspunkt das Erschrecken über Hiroshima blauäugig? und Nagasaki und den Befund, daß die ersten Ab- würfe von Atombomben über menschlichen Sied- Horst Eberhard Richter, der nicht Experte war, lungen keineswegs zu einer radikalen Umkehr, son- aber gelegentlich einmal konsultiert werden sollte, dern zu einem „Sicherheitssystem" geführt haben, spricht bei Untersuchungen des psychischen Hin- das auf der wechselseitigen atomaren Vernich- tergrundes der Militarisierung von der Überforde- tungsdrohung der Supermächte beruht. rung der Hauptverantwortlichen: Die Pioniere der Sozialen Verteidigung haben Sie verdanken ihre Karriere nicht der Fähig- nach dem Zweiten Weltkrieg erkannt, daß die ato- keit zu souveräner Übersicht, sondern vor al- mare Abschreckung der untaugliche Versuch war, lem der Gabe, sich Macht zu verschaffen und Kriegsverhinderung ohne Machtverzicht zu betrei- sich den Anschein unfehlbaren Könnens zu ge- ben. Machtausübung — sei es im Namen der Frei- ben, an das sie am Ende auch selbst glauben. heit, sei es im Namen der Gleichheit — wurde von Ihrer gewohnten Machttechnik entspricht es, den Architekten der atomaren Abschreckung höher Zuversicht durch hartnäckige Unbeirrbarkeit veranschlagt als Kriegsverhinderung. Um dies zu zu verbreiten und alle fremden und eigenen verschleiern, haben die Machthaber die Frage, was Zweifel offensiv zu ersticken. denn geschehe, wenn Abschreckung versage, ein- In der Nacharbeit nach mehr als einem Jahr zu fach verdrängt. Ein wachsender militärisch-publizi- dem Hearing wird deutlich, daß viele der tonange- stischer Komplex hatte Erfolg mit einer Art kollek- benden Politiker und Wissenschaftler, deren Metier tiver Gehirnwäsche, die noch heute nachwirkt. Die Verteidigungspolitik ist, bei der Auseinanderset- meisten Zeitgenossen sind der magischen Formel zung mit Atomwaffen von einer Art geistiger Läh- erlegen, das Gleichgewicht des Schreckens ver- mung erfaßt sind. In den USA hat übrigens Henry bürge den Frieden. 10614 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ge- winden. Soziale Verteidigung versucht eine Ant- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten wort nicht nur auf die Frage „Was tun, wenn die Klejdzinski? Russen kommen?", also auf die Frage des Kalten Krieges, zu geben, sondern auch auf die immer ak- Vogt (Kaiserslautern) (GRÜNE): Wenn es nicht tueller werdende Frage: Was tun, wenn die Ameri- angerechnet wird, Herr Präsident! kaner bleiben und gegen unseren Willen bestimmte Waffensysteme hier stationieren? Vizepräsident Cronenberg: Die Frage wird nicht angerechnet, der erste Satz der Antwort sicher auch (Zustimmung bei den GRÜNEN) nicht. Grundgedanke des Konzepts der Sozialen Vertei- Bitte. digung ist, daß einerseits das Ertragen einer mili- tärischen Besetzung besser ist als der Verlust zahl- Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Kollege Vogt, sind Sie reicher Menschenleben durch militärische Verteidi- wirklich davon überzeugt, daß die Soziale Verteidi- gung bzw. wechselseitige atomare Vernichtung, daß gung, wie Sie sie beschrieben haben, eine echte aber andererseits die militärische Besetzung eines Alternative sein kann, um die Sicherheitsinteressen Territoriums nicht zwangsläufig das Innehaben der dieser Bundesrepublik und des deutschen Volkes zu Macht oder die Kontrolle über die Bewohner des gewährleisten? Territoriums bedeutet. Im übrigen, Herr Kollege Klejdzinski, soll durch Vogt (Kaiserslautern) (GRÜNE): Zunehmend ja, Herr Kollege Klejdzinski; ich hoffe, ich kann Sie die Weiterentwicklung der Sozialen Verteidigung, davon durch die weiteren Ausführungen noch über- und zwar dadurch, daß dem Gegner die Folgen si- zeugen. gnalisiert werden, nämlich sozusagen die Unver- daulichkeit und die Nichtanfälligkeit dieser Bevöl- Technologische Neuerungen wie die Entwicklung kerung, auch eine Art Abhaltewirkung — ich ver- von Raketenabwehrsystemen — ABM — in den meide das Wort „Abschreckungswirkung" — erzielt 60er Jahren unterstrichen die Labilität des Sy- werden. stems, indem sie die Zweitschlagskapazität als frag- würdig erscheinen ließen. Diese Zweifel haben je- (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Eine Tag doch die Öffentlichkeit nicht mobilisiert. Erst die träumerei! — Berger [CDU/CSU]: Die zum zynische Aufkündigung der Gleichgewichtsdoktrin Alptraum werden kann!) durch die Reagan-Administration und das laute — Ich kann die Beispiele, die es in Spurenelemen- Nachdenken einiger Regierungsberater über Erst- ten gab, hier nicht im einzelnen beschreiben, Herr schlagsstrategien brachten die Öffentlichkeit in Be- Kollege Wimmer, wegung. Die Unruhe steigt, und damit steigt die Konjunktur für alternative Sicherheitskonzepte. (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sie haben keine!) Merkwürdig genug aber: Wieder favorisieren die Politiker an der Macht die gewaltgebundenen, also aber ich kann darauf hinweisen, daß wir zu diesem die militärischen Alternativen. Mir ist dabei aufge- Hearing über alternative Verteidigung noch schrift- fallen — auch im Laufe der letzten zwei Jahre im liche Äußerungen zusammenfassen werden. Verteidigungsausschuß, manchmal auch im Unter- Jetzt möchte ich unmittelbar zu dem Änderungs- ausschuß für Abrüstung oder in der Parlamentari- antrag übergehen und dann zum Schluß kommen. schen Versammlung der Westeuropäischen Union Sie werden sich vielleicht gewundert haben, denn —, daß viele Zeitgenossen, wenn sie militärische darin stehen — gemessen an dem, was ich hier vor- Vorgänge beurteilen, eine Art voratomares Bewußt- getragen habe — gewissermaßen kleine Brötchen. sein haben, Aber es kommt uns vor allem darauf an, hier den (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das stimmt!) Verzicht auf den Ersteinsatz zu verankern, weil im daß sie nicht die Folgen sehen, die ein Versagen der Zusammenhang mit dem Hearing — auch durch Abschreckung hätte. Diese Folgen sind ja, wenn das, was mir sehr viele Experten gesagt haben — man nach Hiroshima oder Nagasaki fährt, noch zu deutlich geworden ist, daß das Beharren auf der besichtigen, aber diese Folgen sind, wie man bedau- Ersteinsatzoption und das Festhalten an ihr im erlicherweise hinzufügen muß, noch eine Miniatur, Grunde genommen das ist, was das NATO-Bündnis gemessen an der Hölle auf Erden, die dann käme, unbeweglich, aber auch so ungeheuer gefährlich wenn das ganze Arsenal entfesselt würde. Ich habe macht, gefährlich natürlich auch für unsere Bevöl- z. B. seinerzeit von Bundeskanzler Kohl, der bei sei- kerung. ner Reise in Kyoto haltgemacht hat, gehört, daß er, Das zweite ist: Mehrere Experten haben darauf angesprochen auf Hiroshima und Nagasaki, gesagt hingewiesen, daß der Rohstoff Zeit sehr knapp ist. hat, man bräuchte ihm ja nicht zu erzählen, was Carl Friedrich von Weizsäcker hat gesagt: Es ist Krieg ist. Er hat also diese neue Dimension, die spät geworden; die Menschen haben die Zeit, die die noch viel schrecklichere, kaum zu beschreibende Abschreckung vielleicht noch gewinnen geholfen Dimension, nicht mitberücksichtigt. hat, mit der Lösung des Problems verwechselt. Des- Nun zur Definition der Sozialen Verteidigung:- halb hat er gesagt: Es ist sehr spät geworden. Der Das Konzept der Sozialen Verteidigung ist ein Ver- Kollege Galtung sagte, er rechne damit, mit über such, sowohl die Gefahr der Selbstauslöschung der 50% Wahrscheinlichkeit könne ein Atomkrieg in Menschheit als auch die Angst vor der Wehrlosig- den 80er Jahren ausbrechen. Wenn das so ist, dann keit im Falle militärischer Unterlegenheit zu über- ist es höchste Zeit, und dann hätten wir uns auch Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10615

Vogt (Kaiserslautern) vielleicht im Verteidigungsausschuß mit der Vor- te. In diesem Sinne haben wir, die Christlich Demo- lage der Ergebnisse beeilen müssen. Da kam noch kratische Union, die Christlich Soziale Union und die Kießling-Geschichte dazwischen, die sehr viele die Koalition, dieses Anhörungsverfahren miteinan- Menschen offensichtlich weit stärker in Anspruch der bestritten. genommen hat als die Suche nach Alternativen. Vorhin ist darüber geunkt worden, daß wir in Wenn das so ist, kann man jetzt nicht eine neue einem Rechenschaftsbericht der Fraktion auf die- Enquetekommission des Bundestages einsetzen, ses Verfahren hingewiesen haben. Seitens der So- sondern dann müßte unmittelbar dort, wo die Richt- zialdemokraten kam der Antrag auf unseren Tisch, linien der Politik bestimmt werden, nämlich im wir sollten im Verteidigungsausschuß über alterna- Kanzleramt, eine Kommission eingesetzt werden, tive Strategien reden. Wir haben die Sache wieder die versucht, die Ergebnisse dieses Hearings dar- auf die Füße gestellt und unsererseits beantragt, aufhin abzuklopfen, was an unmittelbar umsetzba- daß wir über reden und in diesem Zusam- ren politischen Momenten übernommen werden Strategie menhang auch die alternativen Strategien, die es kann. Ich sehe Ihre Skepsis; aber vielleicht können auf dem Markt gibt und zu geben scheint, auf ihren Sie die hier vortragen. wirklichen Gehalt hin prüfen. Ich danke Ihnen. Wir haben übrigens als einen unserer Sachver- (Beifall bei den GRÜNEN) ständigen Ihren ehemaligen Bundeskanzler Hel- mut Schmidt in dieser Anhörung als Zeugen be- nannt. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Herr Ab- geordneter Berger. (Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD]) Auch das spricht übrigens dafür — Herr Kollege Berger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr Klejdzinski, geben Sie bitte ein bißchen acht —, daß geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vogt, wir dabei an die Kontinuität der Sicherheitspolitik ich stimme Ihnen in einem zu, nämlich der Bemer- und an nichts anderes denken. kung, die Sie eingangs gemacht haben, daß der na- (Jungmann [SPD]: Effekthascherei war tionale Konsens in der Verteidigungs- bzw. Sicher- das!) heitspolitik zumindest partiell zerbrochen ist. Meine Damen und Herren, der Kollege Voigt hat (Beifall des Abg. Horacek [GRÜNE]) noch einmal die Situation vor 1939 angesprochen. Sie haben das hier — das macht auch der Beifall Sie macht deutlich, was Sicherheitspolitik heute lei- deutlich — mit großer Genugtuung gesagt. Ich sage sten muß. Ihre Fehler werden nämlich oft erst mit dies mit allergrößtem Bedauern. Wir leben inner- großer Verzögerung erkannt. Sicherheitspolitik halb des westlichen Bündnisses in der exponierte- muß beides leisten, muß uns die Freiheit wahren sten Lage. und den Zustand des Nichtkrieges, die Freiheit und (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist wahr!) den Frieden. Die westlichen Demokratien der 30er Jahre haben ihre Fehler in der Sicherheitspolitik Wir leisten uns entgegen allen Bündnispartnern ei- der frühen 30er Jahre nicht mehr korrigieren kön- nen solchen Luxus, daß wir selbst in dieser zentra- nen. Sie haben eben nicht dazu beigetragen, Hitler len Überlebensfrage nicht wenigstens einen Grund- vom Krieg abzuhalten — ganz im Gegenteil. konsens wahren können. Aus diesem Grunde — da möchte ich das, was der (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Kollege Franke ausgeführt hat, noch einmal unter- Herr Ehmke, wir machen, wie Sie bei sehr kriti- streichen — betreiben wir eine Politik des Friedens scher und nüchterner Betrachtung wahrscheinlich in Freiheit, eine Strategie, die diesen Nichtkrieg zu feststellen werden, in dieser Frage eine Politik der garantieren vermag. Kontinuität. Wir können nur hoffen, daß sich alle Teile Ihrer Partei dieser gemeinsamen Politik eines Ich möchte in einer zweiten Bemerkung auf den Tages wieder anschließen werden. Es ist eine Poli- Kollegen Scheer eingehen, der wie auch soeben tik, die mit dem Signal von Reykjavik umschrieben Kollege Voigt noch einmal — — ist. Es ist, wie Kollege Francke vorhin deutlich (Abg. Lange [GRÜNE] meldet sich zu einer machte, eine Politik, die mit dem Harmel-Bericht Zwischenfrage) umschrieben ist, in dem es heißt, Verteidigungsfä- higkeit plus Überwindung der Spannungsursachen, — Herr Lange, ich möchte meine Gedanken zu- dies sei unsere Sicherheitspolitik. Ich unterstreiche: nächst ausführen. Wenn Sie später die Gelegenheit Spannungsursachen; Überwindung der Spannung wahrnehmen wollen, komme ich gern auf Ihren allein genügt nicht. Wenn uns das eines Tages ge- Wunsch zurück. länge, dann könnten wir in Europa und damit auch Herr Kollege Scheer hat — wie auch der Kollege als Beitrag für die gesamte Welt ein bißchen mehr Voigt — noch einmal gefordert, daß wir, zumindest Frieden garantieren. partiell, entweder eine Politik des „no first use" Ich trete als Konservativer dafür ein, meine Da- betreiben oder Atomwaffen aus den vorderen Zo- men und Herren, daß das Bessere des Guten Feind nen zurückziehen. Abgesehen davon, Herr Kollege ist. Das heißt, daß ich Alternativen daraufhin über- Scheer, wissen Sie genauso wie ich, daß dies mit prüfe, ob sie das, was sie leisten sollen, tatsächlich vielen Waffensystemen, die wir heute für diesen besser leisten können als das, was man vorher hat- Zweck nicht mehr brauchen, tatsächlich geschieht. 10616 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Berger Das ist ja der Inhalt des Beschlusses von Monte- bei den Verhandlungen über vertrauensbildende bello. Maßnahmen wirklich zu Ergebnissen kämen, zu Aber, Herr Kollege Scheer, was geschähe, wenn überprüfbaren Ergebnissen, die einen Beitrag dazu Sie etwa den sowjetischen Angriffsdivisionen, die leisten könnten, daß wir die tatsächlich vorhandene — das sage ich auch in Anwesenheit des Kollegen mehrfache Überlegenheit nicht in dem Maße als von Bülow, der das einmal bestritten hat — in Mit- politische Bedrohung empfinden müßten, wie das teleuropa und an anderen Stellen Europas noch viel heute leider der Fall ist. Im übrigen sprechen die drastischer uns an Angriffsstärke und damit an Zahlen — das ist immer noch meine Antwort — konventioneller Kampfkraft um ein Mehrfaches eine deutliche Sprache: 58 angriffsbereiten Divisio- überlegen sind, etwa die Drohung nähmen, daß wir nen des Warschauer Paktes hat das westliche uns, wenn wir es für nötig hielten, aus eigenem Ent- Bündnis ganze 27 Divisionen entgegenzusetzen, schluß heraus auch mit atomaren Waffen verteidig- und die bedürfen erst der Mobilmachung, um über- ten? — Herr Kollege Scheer, ich beschäftige mich haupt ihre volle Verteidigungsstärke zu erlangen. mit Ihrem Diskussionsbeitrag; ich wäre Ihnen Insofern widerspreche ich den Experten, die da dankbar, wenn Sie mir wenigstens eine Sekunde meinen, wir seien auf diesem Sektor dem War- auch zuhören könnten. — Ich kann Ihnen sehr wohl schauer Pakt überlegen. sagen, was geschähe. Wenn Sie der sowjetischen (Zuruf von der SPD: Hat er doch gar nicht Angriffsmaschinerie die atomare Gegendrohung gesagt!) nehmen, kann sie jeden beliebigen Schwerpunkt dort wählen, wo sie es für richtig hält. Muß ich Sie — „Bei der Mobilmachung" hat er gesagt, auch vor- daran erinnern, daß etwa 50 km von der innerdeut- hin in seiner Rede. schen Grenze entfernt — das ist innerhalb der er- Meine Damen und Herren, der Verteidigungsaus- sten Tagesaufgabe, wie es in den Führungsvor- schuß hat sich doch tatsächlich die Mühe gemacht, schriften von sowjetischen Angriffsdivisionen heißt in insgesamt mehr als, ich glaube, 100 Stunden alle möglichen Alternativen zu prüfen und durch die jeweiligen Experten, die diese vertreten, vortragen Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ge- zu lassen, die zur Zeit auf dem Markt sind. Ich halte statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten das für eine nützliche Arbeit und auch für eine Scheer? wichtige Arbeit, aber nicht, wie es Kollege Scheer gemeint hat, als Einstieg in die jetzt offene Diskus- Berger CDU/CSU: Augenblick, wenn ich den Ge- sion. Im Gegenteil hat diese hundertstündige Anhö- danken zu Ende gebracht habe — ... daß innerhalb rung das ergeben, was der Verteidigungsminister — dieser ersten Tagesaufgabe sowjetischer Angriffs- das wurde eben kritisch vermerkt — schon in sei- divisionen bereits strategische Ziele für den War- nem Eingangsvortrag vor dieser eigentlichen Anhö- schauer Pakt liegen, etwa die deutschen Küsten- rung als seine Überzeugung darstellte; sie wurde städte? Ich nenne als Beispiel nur Hamburg. Aus erhärtet. Es gibt zur Politik der Abschreckung, d. h. diesem Grunde können wir, glaube ich, wenn wir der Abhaltung von Krieg durch Verteidigungsfähig- für Frieden und Freiheit eine Politik und eine Stra- keit und atomare Abschreckung, keine Alternative. tegie des Nichtkrieges betreiben wollen, auf keinen Fall eine Politik des „no first use" betreiben, j eden- Ich möchte dies an zwei Beispielen hier belegen. falls nicht, soweit dies heute überschaubar ist. Und (Abg. Lange [GRÜNE] meldet sich zu einer jetzt bitte Ihre Frage. Zwischenfrage)

(SPD): Herr Kollege Berger, bestreiten — Herr Lange, ich komme auf die GRÜNEN; dann Dr. Scheer werden Sie vielleicht noch nachfragen wollen. Sonst Sie die Aussage von Experten, daß die NATO eine komme ich einfach nicht zu meinen Ausführungen. bessere Mobilisierungsfähigkeit hat? Und ist mit „mehrfacher Überlegenheit", wie Sie soeben gesagt Die GRÜNEN haben in diesem Anhörungsverfah- haben, das Verhältnis von 1:1,2 gemeint, das — un- ren wie auch heute wieder für die Strategie der, wie bestritten — in amerikanischen Untersuchungen sie es nennen, sozialen Verteidigung als ein Kon- steht? Ist das Ihre Definition von „mehrfach"? Und zept der Gewaltlosigkeit geworben. Ich frage: Wäre eine damit unmittelbar zusammenhängende Frage: es das wirklich? Sie, Herr Vogt, nannten als erfolg- Gilt das, was Sie über die Ablehnung eines Erstein- reiche Aktionen solcher sozialen Verteidigung im satzes sagen, selbst dann noch, wenn es z. B. über Verteidigungsausschuß den Ruhrkampf als Bei- vertrauensbildende Maßnahmen — Vereinbarun- spiel. gen in Stockholm — zu Vorwarnzeiten von etwa (Abg. Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE] mel zwei Wochen käme? det sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich Sie haben, wie ich meine, dabei übersehen, daß par- wäre Ihnen dankbar, wenn Sie eine kurze Frage allel mit dem Ruhrkampf der kommunistische Auf- stellten. stand in Sachsen, der Aufstand der Schwarzen - Reichswehr in Küstrin und unmittelbar im Gefolge Dr. Scheer (SPD): Ich bin schon fertig, Herr Präsi- der Putsch an der Feldherrenhalle durch Hitler ein- dent. hergingen. Sie haben zweitens übersehen, daß die- ser, wie Sie meinen, erfolgreiche Kampf, diese er- Berger (CDU/CSU): Ich würde mir sehr wün- folgreiche soziale Verteidigung — die übrigens ge- schen, Herr Kollege Scheer, daß wir in Stockholm gen eine Macht geführt worden ist, die Recht und Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10617

Berger internationale Ordnung respektiert hat, was nicht Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich in jedem Fall unterstellt werden darf — nach weni- bitte, nun die beiden Fragen zu beantworten. gen Wochen, und zwar sehr vernünftigerweise, durch Stresemann abgebrochen werden mußte, weil Berger (CDU/CSU): Das macht die Sache nicht sie nicht zu leisten imstande war, was sie eigentlich leichter. leisten sollte. (Dr. Klejdzinski [SPD]: Die Bundesregie Als zweites Beispiel nannten Sie den Einmarsch rung macht das! — Weitere Zurufe von der in die Tschechoslowakei 1968. Sie haben das breit SPD) begründet, ich glaube, auch schon einmal im Bun- destag. Ich sage Ihnen: Der Spuk damals 1968 war Vizepräsident Cronenberg: Ich wäre dem Hause nach drei Tagen zu Ende, aber noch heute herrscht dankbar, wenn es dem Abgeordneten die Gelegen- dort Kirchhofsfriede. Wenn es überhaupt ein Bei- heit gäbe, die beiden Fragen zu beantworten. spiel dafür gibt, daß soziale Verteidigung gegenüber einer Macht, die nicht Recht und internationale Berger (CDU/CSU): Ich beziehe mich noch einmal Ordnung und Menschenwürde respektiert, als Ver- auf das Beispiel des Ruhrkampfes, weil Sie, Herr teidigung nicht möglich wäre, dann ist es just dieses Vogt, sich in Ihrer Frage darauf bezogen haben. Ich Beispiel der Tschechoslowakei. glaube nicht, daß es nur die Kosten-Nutzen-Analyse (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) war. Dies war vielleicht auch mit der Frage nach dem sozialen Ansatz gemeint: Ihr Konzept der So- zialen Verteidigung macht aus dem Volk, das sie Herr Abgeordneter, ge- Vizepräsident Cronenberg: führen sollte, entweder ein Volk von Märtyrern, statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten oder es mündet in die Unterwerfung unter fremde Vogt? Macht. Beides wollen wir für unser Volk nicht. Des- wegen ist dieser Ansatz für Verteidigung, für Stra- Berger (CDU/CSU): Bitte sehr. tegie völlig ungeeignet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter. Meine Damen und Herren, ich möchte mich in wenigen Sätzen mit einem zweiten chrakteristi- Vogt (Kaiserslautern) (GRÜNE): Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem Fall Ruhr- schen Modell beschäftigen, das in unserem Aus- kampf nur ein Element sozusagen Auskunft über schuß eine Rolle gespielt hat und das Herr Dr. Soziale Verteidigung geben kann, nämlich eine Ko- Scheer in der heutigen Diskussion mit erwähnt hat. sten-Nutzen-Analyse, d. h., was man in den neun Ich meine das Modell der Raumverteidigung. Die Monaten der Besetzung aus diesem Gebiet an Befürworter der Raumverteidigung bevorzugen die- Kohle und Stahl weniger herausholen konnte als in ses Konzept deshalb, weil es eine bessere Ausnut- normalen Monaten? zung des Geländes ermögliche, weil es die Tiefe des Raums ausnutze und damit einen geringeren Perso- Zweitens. Sie sind bereit, im Fall Tschechoslowa- nalbedarf habe. Meine sehr geehrten Damen und kei zur Kenntnis zu nehmen, daß da niemals von Herren, ich habe nie verstanden, woher derjenige, einer erfolgreichen Sozialen Verteidigung die Rede der zu geringe Kräfte zur Verteidigung zu haben war glaubt, nachdem er den gegnerischen Angriff in der (Hornung [CDU/CSU]: Afghanistan!) Tiefe des eigenen Raumes in einem Netz von Modu- — in Afghanistan besteht ja keine Soziale Verteidi- len und Raumverteidigungseinrichtungen vielleicht gung —, sondern daß davon die Rede war, daß dies erst einmal gestoppt hat, die Kräfte für einen er- eine spontane Widerstandsform ist, aus der man folgreichen Gegenangriff nehmen will. Abgesehen etwas für ein noch zu entwickelndes Konzept der davon hat ein solches Konzept den fatalen Nachteil, Sozialen Verteidigung lernen kann? daß es sich erst in der Verteidigung bewähren müß- te. Es ist also strenggenommen ein Kriegsführungs- (Abg. Frau Hürland [CDU/CSU] meldet konzept, ein Konzept, das für unsere Sicherheitspo- sich zu einer Zwischenfrage!) litik, für eine Politik des Nichtkrieges, für eine Poli- tik der Freiheit im Nichtkrieg, völlig untauglich ist. Berger (CDU/CSU): Herr Vogt, ich kann dies so Daran ändert sich auch nichts, wenn man — Herr nicht bestätigen. Aber ich sehe eine Wortmeldung Dr. Scheer, das klang in Ihrer Rede soeben an — die meiner Kollegin Frau Hürland, der Parlamentari- Raumverteidigung mit der Vorneverteidigung kop- schen Geschäftsführerin. Ich möchte ihr die Gele- peln will. Ich sage Ihnen: Auf der Halbinsel Westeu- genheit geben. ropa mit dem Rücken zum Atlantik haben wir we- der die Raumtiefe für ein solches Konzept, noch Vizepräsident Cronenberg: Eine Zwischenfrage hätten wir die geeigneten Kräfte. In der Zukunft der Frau Kollegin Hürland. -- Frau Abgeordnete, haben wir schon gar nicht die Kräfte, um beides zu bitte schön. ermöglichen: Vorneverteidigung plus Raumverteidi- - gung. Frau Hürland (CDU/CSU): Danke sehr, Herr Präsi- Ich möchte Sie übrigens darauf hinweisen, daß dent. wir in unserem gegenwärtigen Verteidigungskon- Herr Kollege Berger, es ist hier so viel die Rede zept hinter der Vorneverteidigung sehr wohl eine von der Sozialen Verteidigung. Gibt es denn eigent- Verbindungszone haben, daß wir sehr wohl strate- lich auch einen Sozialen Angriff? gische Reserven haben. Wir unternehmen zur Zeit 10618 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Berger alles Mögliche, um diese — wenn auch geringen — gewogen war; dieses Kompliment muß ich Ihnen strategischen Reserven früher als bisher von jen- zugestehen — seits des Atlantiks zu uns herüberzuholen. Das (Berger [CDU/CSU]: Danke sehr!) heißt, es ist ein falsches Bild, anzunehmen, daß die Vorneverteidigung nur ein dünner Schleier vorne auch für die alternativen Möglichkeiten offengelas- sei, der für eine nennenswerte Verteidigung nicht sen hätten, dann wären wir sicherlich in der Lage geeignet wäre. gewesen, im Ausschuß noch mehr gemeinsame Po- sitionen im einzelnen zu erarbeiten. Herr Kollege Scheer, worauf es ankommt, ist et- Die Entwicklung und die Prüfung zukunftsorien- was anderes. Wir müssen die Vorneverteidigung tierter konzeptioneller Vorstellungen ist nämlich nicht nur gegen die erste strategische Staffel mit eine ständige Aufgabe. Das gilt auch für die gegen- konventionellen Mitteln wirksam machen wie wir wärtig gültige NATO-Strategie. Diese Aufgabe muß das bisher getan haben. Wir müssen uns heute Ge- bestmöglich gelöst werden, wobei sich natürlich danken darüber machen — weil dies eine neue, Planung, Mittel, Methoden und Methodik danach stärkere Bedrohung ist und weil sich hier einfach richten, wie die mögliche Bedrohung durch einen die Situation geändert hat; ich erinnere etwa an potentiellen Angreifer ist. Dabei gehört es auch zu Überlegungen, die bei uns mit dem Gebrauch von den Aufgaben eines jeden Staates, den Bürgern des Atomwaffen einhergehen, nämlich wozu sie wirk- Landes die innere und äußere Sicherheit zu ge- lich taugen, was sie wirklich zu leisten vermögen, währleisten. Ich wende mich mit aller Entschieden- etwa im Sinne der Wiederherstellung der Abschrek- heit gegen Versuche heute, uns Sozialdemokraten, kung auch im Kriege —, wie wir der zweiten an- wenn man so will, insbesondere in der ersten Ein- greifenden strategischen Staffel des Warschauer lassung, als diejenigen darzustellen, die nicht für Pakts aus unserer Vorneverteidigung heraus und die Sicherheitsinteressen dieses Landes einstehen. über ihre bisherigen Aufgaben hinaus genügend Wir streiten uns über die Methode. Wir streiten uns Widerstand entgegensetzen können, damit diese auch über Inhalte. Aber uns zu unterstellen, daß wir nicht durch ihr Erscheinen auf dem Gefechtsfeld nicht für die äußere Sicherheit dieser Bundesrepu- eine Verteidigung schon in kürzester Frist unmög- blik sorgen können, möchte ich mit aller Schärfe lich machte; dies nicht etwa, weil wir einen Verteidi- zurückweisen. gungskrieg gewinnen wollten, sondern weil wir mit unseren Vorkehrungen die andere Seite davon Die für die NATO gültige Strategie der flexiblen überzeugen müssen, daß für sie ein Krieg kein loh- Reaktion — das ist kein Geheimnis — ist seit Jah- nendes Ziel sein kann. Wir müssen sie davon über- ren Gegenstand öffentlicher Kritik. Dabei geht es zeugen, daß wir mit unseren Vorkehrungen ausrei- sowohl um mögliche Verbesserungen in materiellen chend dazu beigetragen haben — natürlich inner- und auch in konzeptionellen Fragen als auch um halb des Bündnisses, aber insbesondere für unser die Ausgestaltung dieser Bündnisstrategie. In die- Land, und deswegen vorne —, den Krieg in Europa sem Punkt — das ist sogar nachlesbar — stimmt unmöglich zu machen, und unsere Politik dennoch sogar der Bundesminister der Verteidigung mit uns frei und souverän gestalten können. überein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Vizepräsident Westphal: Sie gestatten eine Zwi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schenfrage des Abgeordneten Biehle?

Dr. Klejdzinski (SPD): Meinem Vorsitzenden im Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Ausschuß kann ich das ja nicht versagen, obwohl er ordnete Dr. Klejdzinski. mir das gelegentlich schon versagt.

Dr. Klejdzinski (SPD): Meine Damen! Meine Her- Biehle (CDU/CSU): Herr Kollege Dr. Klejdzinski, ren! Ich habe bisher aufmerksam zugehört, weil ich würden Sie mir nicht beipflichten, daß das Verhält- gedacht habe, dieses würde der Tag sein, wo sich nis Ihrer Partei zur Sicherheitspolitik differenzier- die CDU und auch die FDP einmal ein bißchen zur ter zu betrachten ist, als Sie dies gesagt haben, und Sache äußern und nicht nur wiederholen, was im- daß dann, wenn einer den Austritt aus der NATO mer gesagt worden ist. Ich bin davon ausgegangen, fordert, das sicherlich nicht mehr das Konzept ist, daß Sie aus diesem Hearing zumindest eines ge- daß Sie gerade vertreten haben? lernt hätten: daß es wert ist, daß die gegenwärtige (Dr. von Bülow [SPD]: Das ist nicht so Strategie überdacht wird. schlimm wie bei Ihnen bei SDI!) Mein Kollege Dr. Scheer hat sich zum Grundsätz- lichen geäußert und im wesentlichen unsere Posi- Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Kollege, ich stimme tion als Partei dargelegt. Es ist richtig — ich glaube, Ihnen in dem Punkt zu, daß wir Sicherheitspolitik hier gibt es auch kaum Dissens zwischen uns —, sehr differenziert betrachten. Das unterscheidet sicherheitspolitische und strategische Aussagen be- uns von Ihren Überlegungen in dieser Frage. Dar- ruhen häufig auf Prognosen über das Ergebnis poli- über, daß Sie unterschiedliche Standpunkte in Ihrer ti scher und militärischer Entscheidungsprozesse.- Koalition haben, brauche ich Ihnen als CSU-Mann Das gilt sowohl für die gültigen als auch für alterna- hier nicht in irgendeiner Form Aufklärung zu ge- tive Strategien. Herr Berger, ich meine, wenn Sie ben. das in Ihrem Referat — das nach meiner Ansicht in (Biehle [CDU/CSU]: Da haben Sie sicher der Abwägung der einzelnen Positionen schon aus- lich keinen Zweifel zur Standfestigkeit!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10619 Dr. Klejdzinski — Inwieweit Sie Standfestigkeit in der Frage zei- nen und moderne Technologie erfordern ein Nach- gen, Zweifel in die Bundesregierung hineinzutra- denken über neue Strategien. Dies gilt schlechthin, gen, darüber werden wir heute an einem anderen und dieses sollten wir tun. Punkt noch zu reden haben. Wir Sozialdemokraten haben bereits am 15. Juni (Dr. von Bülow [SPD]: In Treue fast fest!) 1983 die Bundesregierung aufgefordert, Möglichkei- Alternative Strategien müssen deshalb nachwei- ten und Zielvorstellungen für eine Änderung der sen können — das ist natürlich eine Forderung —, konventionellen Bewaffnung aufzuzeigen, zu erfor- daß sie besser sind. Nur weil sie alternativ genannt schen und vorzulegen, d. h. auch Stand und Ent- werden, sind sie nicht schon die Strategie schlecht- wicklung der Waffensysteme für die Teilstreitkräf- hin. Wir dürfen aber nicht in den Fehler verfallen, te, alternative Waffensysteme und Doktrinen sowie grundsätzlich, weil etwas alternativ genannt wird auch die politischen, finanziellen, personellen und und wir gegenwärtig meinen, es ist keine Lösung, auch die rüstungskontrollpolitischen Voraussetzun- gleichzeitig aufzugeben, diesbezüglich nach Lösun- gen in den zuständigen Ausschüssen darzulegen, gen zu suchen. weil wir bereits damals der Meinung waren, daß auf Grund der veränderten Rahmenbedingungen eine Vizepräsident Westphal: Gestatten Sie eine wei- intensive Diskussion über alternative Sicherheits- tere Zwischenfrage des Abgeordneten Heister- konzepte in der Öffentlichkeit stattfindet. mann? Sicherlich muß — dieses ist richtig — das oberste Dr. Klejdzinski (SPD): Mein Kollege Heistermann Gebot aller Überlegungen zu alternativen Strate- darf natürlich immer. gien sein, daß die Strategie, die Struktur und die Bewaffnung des Bündnisses und damit auch der Heistermann (SPD): Herr Kollege Klejdzinski, Bundeswehr eindeutig zur Kriegsverhinderung ge- würden Sie dem Abgeordneten Biehle, Vorsitzender eignet sind. Alternative Strategien müssen sich an des Verteidigungsausschusses — — folgenden Punkten messen lassen. Wir haben das versucht, und ich meine, mein Kollege Scheer hat es Vizepräsident Cronenberg: Ich mache Sie darauf im einzelnen aufgezeigt, und mein Kollege Bülow aufmerksam, daß Dreiecksfragen nicht zugelassen wird im Anschluß daran noch im einzelnen auf Teil- sind, und bitte Sie entsprechend zu formulieren. aspekte eingehen. — Sie müssen sich daran messen lassen, ob sie uns vor Krieg bewahren und den Frie- Heistermann (SPD): Ich wollte fragen, wie Sie den den sichern. Sie müssen sich daran messen lassen, Vorgang bewerten, daß zwei CSU-Abgeordnete, ob sie die Sicherheit dieser Bundesrepublik ge- nämlich die ehemaligen Abgeordneten Handlos und währleisten. Sie müssen sich daran messen lassen, Voigt, aus dem Verteidigungsausschuß ausgeschie- ob sie ein Gleichgewicht der Kräfte dahin gehend den sind. Halten Sie das nicht für einen beachtli- aufrecht erhalten, daß man von einer realistischen chen Vorgang angesichts der Frage, die Herr Biehle Bedrohungsanalyse ausgehen kann. Sie müssen hier sehr differenziert gestellt hat? sich natürlich auch daran messen lassen, ob sie den geographischen Rahmenbedingungen genügen. (SPD): Welchen beachtlichen Ver- Dr. Klejdzinski Ich sage auch im Hinblick auf die vorhergehende lust an CSU-Potential er in diesem Ausschuß erlit- Einlassung des Herrn Kollegen Biehle mit aller ten hat, weiß er ja wohl selbst. Deutlichkeit: Wir stehen zu diesem Atlantischen (Lachen bei der SPD) Bündnis. Nur werden wir uns immer wieder dar- Man muß natürlich auch davon ausgehen — dies über streiten, ob die Strategie des Bündnisses unse- ist auch richtig, und dies beinhaltet auch die Suche ren eigenen, den Sicherheitsinteressen dieser Bun- nach neuen Strategien — , daß beispielsweise jedes desrepublik im einzelnen genügt, und diese Diskus- Rüstungsprojekt eine neue Strategie möglich sion werden wir immer wieder fordern, und diese macht. Diskussion werden wir mit Ihnen immer führen. Ich finde es in diesem Zusammenhang sehr be- Die Politik, die von Clausewitz mal als Primat for- zeichnend, daß der Bundesminister der Verteidi- muliert worden ist, kann für uns nur noch bedeuten, gung hier vorne sitzt, sich unterhält und möglicher- daß Kriege mit allen Mitteln verhindert werden. weise denkt: Okay, was geht es eigentlich mich an, Deshalb ist es die wichtigste Aufgabe der Strategie wenn man sich hier über Strategien unterhält oder — darauf muß sie abgestellt sein —, den Frieden zu äußert? Er wird anschließend nach mir reden, und sichern und unsere Freiheit zu bewahren; dieses dann wird er sein Konzept vortragen, möglicher- möchte ich unterstreichen. weise ohne das in irgendeiner Weise zu reflektie- Aber auch folgendes ist richtig und scheint mir ren, was hier gesagt worden ist. von besonderer Bedeutung zu sein. Die Chance, sich Ich gehe nämlich davon aus, daß die Zielsetzung mit alternativen Strategien kritisch auseinanderzu- der alternativen Konzepte im Grunde genommen setzen, ist von den Sprechern der Fraktionen der heißt: atomare Abrüstung ohne Sicherheitsrisiko, CDU/CSU und der FDP hier heute bisher verspielt die Entwicklung und Einführung neuer Taktiken worden. Das ist nicht leeres Gerede, was ich hier im mit Defensivwaffen. Die Frage der Realisierbarkeit einzelnen sage, sondern es ist zu erkennen, wenn ist natürlich von verschiedenen Faktoren abhängig, man im einzelnen durchgeht, was gesagt worden in sbesondere von waffentechnischen Entwicklun- ist: Kein Beitrag zur nachdenklichen Reflexion zur gen, die sich für eine militärische Defensivtaktik gegenwärtigen NATO-Strategie, keine gedankliche eignen. Denn immer wieder neue Waffenkonzeptio- Auseinandersetzung, ob die gegenwärtige Strategie 10620 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Klejdzinski noch die Antwort der freien Nationen auf eine mög- Bevor ich das tue, lassen Sie mich allerdings zwei liche Auseinandersetzung der 90er Jahre sein Gedanken an die Spitze dieser Debatte zur Strate- kann, gie stellen. (Ronneburger [FDP]: Da haben Sie nicht Der erste. Mit dem Anbruch des nuklearen Zeit- zugehört!) alters vollzog sich ein radikaler Wandel strategi- kein Fragen oder Suchen nach einer Kriegsverhin- schen Denkens, zumindest im Westen. War bis da- derungsstrategie, die nicht zentral von der Strategie hin Strategie die Kunst, Kriege zu führen und zu der totalen Abschreckung oder Stufen der Ab- gewinnen, so ist heute das Ziel strategischen Den- schreckung bestimmt ist. Sicher ist richtig, daß eine kens genau das Gegenteil, nämlich Kriege zu ver- Strategie nicht von heute auf morgen in einem hindern. Der Krieg als Mittel der Politik hat für uns Bündnis freier Staaten veränderbar ist, besonders ein für allemal jeden Sinn und jede Rechtfertigung wenn wir SDI ansprechen. Diese Bedingungen sind verloren. natürlich auch von der Bedrohung abhängig. (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Halb Wenn man eine Zusammenfassung dessen, was klar!) bisher gesagt worden ist, versucht, muß ich sagen: Ich halte es für der Sache nicht angemessen, daß Auch im sowjetischen strategischen Denken hat man nicht argumentiert hat, sondern nur versucht sich unter dem Eindruck nuklearer Vernichtungs- hat, das Gegenwärtige zu rechtfertigen, und zwar kraft ein Wandel angebahnt. Zwar hält man dort mit Argumenten von gestern. Das finde ich schade. Kriege nach wie vor für gerechtfertigt, ja in be- Denn heute hier das Forum zu nutzen, stimmten Fällen sogar für notwendig, z. B. Befrei- (Beifall des Abg. Vogt [Kaiserslautern] ungskriege. Aber auch im sowjetischen Lager, bei [GRÜNE]) der sowjetischen politischen Führung und bei der sowjetischen militärischen Führung weiß man sehr Fragen zu stellen und nicht einfach zu sagen „Wir wohl um die selbstmörderischen Konsequenzen ei- wissen die Wahrheit", das wäre die richtige Me- nes Nuklearkrieges zwischen den beiden Super- thode gewesen, wie wir in diesem Parlament mit- mächten und sucht ihn daher zu verhindern. Die einander hätten reden sollen. Scheu der Sowjets vor einem Nuklearkrieg hat Eu- Herzlichen Dank. ropa bis heute den Frieden erhalten. Das mögen all (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Vogt jene bedenken, die uns raten, auf Nuklearwaffen zu [Kaiserslautern] [GRÜNE] — Berger verzichten oder nuklearwaffenfreie Zonen einzu- [CDU/CSU]: Exakt das haben wir getan!) richten. Die Folge wäre: Der Krieg in Europa wäre für die Sowjetunion wieder kalkulierbar, das Risiko begrenzbar. Damit wäre der Krieg als Mittel politi- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- scher Auseinandersetzung wieder vorstellbar und desminister der Verteidigung Dr. Wörner. führbar. Die Kriegsgefahr müßte wachsen. Das kann nicht im Interesse der Europäer, das kann Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: nicht im Interesse der Deutschen, das kann nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolle- im Interesse unserer Bürger sein. gen! Ich glaube, wir alle sind für diese Gelegenheit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dankbar, hier noch einmal dieses Hearing des Ver- teidigungsausschusses Revue passieren zu lassen Wir wollen keinen Nuklearkrieg. Aber wir wollen und daraus bestimmte Konsequenzen zu ziehen. genausowenig einen konventionellen Krieg. Der Ich komme ganz kurz auf das zurück, was Sie eine ist schrecklich, der andere ist auch schrecklich. eben sagten, Herr Klejdzinski. Sicher ist es richtig, Wir wollen den Menschen in unserem Land jede daß man Strategien, da sie keinen Ewigkeitswert Art von Krieg ersparen. Daher muß jede Strategie haben, immer wieder überprüfen und durchdenken beide Arten von Kriegsverhinderung im Auge ha- muß. Allerdings gibt es auch ein anderes, was man ben. Das ist der eine Gedanke. zu bedenken hat. Die Sucht nach Neuerung darf Der zweite Gedanke: Unsere Zeit ist beherrscht eines nicht überdecken: daß die Sicherheit keine von einem ganz großen strategisch-politischen Experimente verträgt. Grundwiderspruch. Einerseits zwingt das nukleare (Zustimmung bei der CDU/CSU) Zeitalter die beiden Supermächte, die beiden Ich sage Ihnen: Sie reden hier über die Strategie, Blöcke zur Koexistenz, gerade weil ein Konflikt sie mit der wir im Augenblick unseren Frieden sichern, beide in die Vernichtung ziehen würde. Anderer- als ob diese Strategie überholt wäre und keinen seits bleiben die Polarität und die Machtrivalität Wert hätte. Diese Strategie ist es, die uns in den zwischen den beiden Blöcken bestehen: ideologisch, letzten zwei Jahrzehnten den Frieden bewahrt und politisch und militärisch. Professor Ritter hat in ei- die Freiheit erhalten hat. nem äußerst lesenswerten Artikel, den er jüngst veröffentlicht hat, darum zu Recht von einem Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wicklungsrückstand der internationalen Ordnung Deswegen kann ich nur sagen: Das ist ein Qualitäts-- gesprochen. Das heißt, die große, politisch-strategi- beweis, den Sie bei anderen Strategien erst einmal sche Aufgabe unserer Zeit ist es, diesen Rückstand antreten müßten. Aber darüber reden wir jetzt. Sie aufzuholen und internationale Strukturen und Ver- werden sehen: Ich werde mich sehr wohl mit den haltensmuster zu schaffen, die die friedliche Koexi- alternativen Vorstellungen auseinandersetzen. stenz auf Dauer gewährleisten. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10621 Bundesminister Dr. Wörner Hier wird zweierlei deutlich. Das erste: Die Geg- Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: ner in der Welt befinden sich nicht in einem Kon- Kollege Voigt, das ist eine durchaus richtige Überle- flikt, weil sie bewaffnet sind. Sie sind bewaffnet, gung. Im übrigen komme ich sowieso darauf. Natür- weil sie sich in einem politischen Konflikt befin- lich würde keiner bestreiten, daß Waffen Spannun- den. gen verschärfen. Nur, wenn man den Frieden auf (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist eine fal Dauer sichern will, muß man auch erkennen, wo die sche Alternative!) eigentliche Ursache liegt. Man muß erkennen, daß das, was sich an Spannungen aufgebaut hat, letzt- Waffen und Soldaten sind nicht Ursachen, sondern lich nur im politischen Bereich aufgelöst werden Symptome des Unfriedens. kann. (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch die Folgen einer Entwicklung können Ursache sein!) (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Letztlich? Es geht auch um erstlich!) Nicht die Soldaten und nicht die Waffen sind die eigentlichen Ursachen der Friedensgefährdung, Selbstverständlich wird dabei deutlich, wo die sondern es sind die machtpolitischen Rivalitäten. Chancen und wo die Grenzen militärischer Macht Oder lassen Sie es uns genauer sagen, weil man das und militärischer Sicherheit liegen. draußen weniger und immer weniger anspricht: Es Auch ein anderes wird deutlich, Herr Voigt — sind der ideologische Machtanspruch und der politi- und da hören Sie einmal gut zu —: Eine dauerhafte sche Expansionsdrang der sowjetischen Diktatur, Friedensordnung läßt sich nur durch politische An- verbunden mit einer militärischen Machtmaschine strengungen, d. h. durch Eingrenzung oder Beseiti- ohnegleichen, die die eigentliche Gefahr für den gung politischer Spannungen, schaffen. Mit militä- Frieden bilden, rischen Mitteln allein kann der Friede auf Dauer (Beifall bei der CDU/CSU) nicht gesichert werden, und zwar gilt das für Rü- stung wie für Rüstungskontrolle. Das ist ja eine der und nicht irgendein anonymer Rüstungswettlauf, Auseinandersetzungen unserer Zeit: daß man die wie das manche draußen immer wieder behaupten. Rüstungskontrollmaßnahmen, die ja sinnvoll sind, Deswegen: Vieles an der Friedensdiskussion be- die wir alle zustande zu bringen versuchen, so über- rührt uns alle. Aber auch jetzt auf dem Evangeli- frachtet — das ist im Hearing bei Bertram, bei schen Kirchentag und anderswo tritt doch immer Nehrlich und bei anderen deutlich geworden —, daß wieder in Erscheinung, daß man an den eigentli- sie ihren eigentlichen Zweck letztlich nicht mehr chen Ursachen der Friedensgefährdung schlicht erfüllen können. weg vorbeiredet, nämlich an dem Unterschied zwi- Das heißt: Wir müssen versuchen, die Entspan- schen Freiheit und Unfreiheit, zwischen denen, die nung, wenn Sie so wollen, wieder im politischen auf den Krieg verzichtet haben, und denen, die den Krieg nach wie vor als Mittel der Politik für richtig Bereich anzusiedeln; das muß übergreifend in Genf halten. geschehen. Der Konflikt muß dort überwunden wer- den, wo er entstanden ist: im politisch-gesellschaft- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord lichen Bereich. Darum geht es! Die Einhegung, die neten der FDP) Eingrenzung des Ost-West-Konflikts — — (Zuruf von der SPD) Vizepräsident Cronenberg: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten — Das ist nicht unmöglich. Das ist jedenfalls ein Voigt (Frankfurt)? Versuch, der sich lohnt. (Zuruf von der SPD: Natürlich!) Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: Un- Und damit sind auch die Grenzen und die Möglich- ter den Bedingungen, lieber Herr Präsident, die Sie keiten militärischer Macht vorgezeichnet; ich sage vorher statuiert haben, bitte schön. noch einmal: die Grenzen sowohl der Rüstung als auch der Rüstungskontrolle. Vizepräsident Cronenberg: Selbstverständlich. Was kann militärische Sicherheit leisten, und was kann sie nicht? Sie kann und sie muß den Aus- Voigt (Frankfurt) (SPD): Herr Wörner, wenn Ihre weg zur Lösung politischer Konflikte in den Ge- Auffassung über die strenge Trennung von Ursache brauch militärischer Macht versperren: in den di- rekten wie in den indirekten. und Wirkung richtig wäre — ich halte sie für falsch, Militärische Sicher- weil in der Politik auch die Folge eine Ursache sein heit muß verhindern, daß militärische Macht über kann; deshalb ist diese Trennung falsch —, wie er- die künftige Gestalt politischer Ordnung in Europa entscheidet. klären Sie sich dann, daß Ost und West miteinander über Fragen der Krisenstabilität sprechen und daß (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) eine Hauptsorge auch der Amerikaner immer die Das ist es, was militärische Sicherheit leisten muß Krisenstabilität und die Krisenstabilität von Waf- und im übrigen auch leisten kann. fen gewesen ist? Denn wenn Krisenstabilität ein - wichtiges Element ist, ist es nicht logisch, zu sagen, (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Da stimmen wir daß der Wille einer Seite nur das Problem einer Kri- zu! — Horn [SPD]: Kein Dissens!) senursache sein kann. Dann braucht man nämlich Dabei resultieren aus militärischer Übermacht nicht krisenstabile Szenarien, Waffentechnologien und Überlegenheit zwei Gefahren: Krieg und Un- und Rüstungskontrolle zu fördern. terwerfung, also Verlust der Freiheit. Wenn wir von 10622 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bundesminister Dr. Wörner Bedrohung reden, Bedrohung durch die überlegene Dabei ist es besonders gravierend, daß der Zu- sowjetische Militärmacht, dann meinen wir nicht wachs in den zehn hauptsächlichen Waffenkatego- nur das Risiko eines sowjetischen Angriffs, also ei- rien innerhalb des MBFR-Gebiets, also des Gebiets nes Krieges. Dieses Risiko war gering und bleibt der Verminderung, in den Jahren 1965 bis 1980 zu gering, solange wir abwehrbereit bleiben. Die viel 46 % auf sowjetischen Machtzuwachs und zu 81 % akutere Form der Bedrohung ist ein sowjetisches auf die Streitkräfte des Warschauer Pakts entfällt. militärisches Übergewicht, das Europa, Westeuropa Das heißt, vier Fünftel dessen, was seit Beginn die- in seinen Bann zwingt und seine Handlungsfreiheit ser Abrüstungsverhandlungen an konventioneller beschränkt oder beseitigt. Wir müssen darum gegen militärischer Macht zugewachsen ist, kommt vom jede Vereinfachung Front machen, die im Augen- Warschauer Pakt; nur ein Fünftel von der NATO. blick ja im Schwange ist, die über dem Risiko der (Hornung [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Selbstvernichtung der Menschheit das Risiko der Selbstunterwerfung freier Völker übersieht. Deswe- Das sind die Realitäten. gen sage ich — ich sage es sehr zugespitzt —: Wer Solange diese Grundgegebenheiten weiter beste- die Erhaltung des Friedens als einziges und ober- hen, bleibt die Verbindung konventioneller und stes Ziel der Strategie vor Augen hat, riskiert Un- nuklearer Elemente in der Strategie der flexiblen terwerfung und damit Verlust der Freiheit. Antwort die bei weitem beste Lösung unseres Si- cherheitsproblems. Hier, Herr Klejdzinski, haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie die Antwort: nicht weil wir zu faul, oder, wenn ich das so sagen darf, zu dumm zum Nachdenken Damit sind die Maßstäbe vorgezeichnet, an denen sind, sondern weil sich diese strategischen Grund- militärische Strategien zu messen sind: Erhöhen sie gegebenheiten eher verschärft und nicht verändert oder vermindern sie die Stabilität? Verbessern oder haben, führt kein Weg daran vorbei, daß es zur gül- verschlechtern sie die Chancen der Kriegsverhinde- tigen Strategie der flexiblen Antwort derzeit keine rung? Dabei müssen wir uns an den Grundgegeben- bessere Alternative gibt. heiten des militärischen Kräfteverhältnisses orien- tieren, d. h.: an den militärischen Machtmitteln, an (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den militärischen Optionen des Warschauer Pakts. Hier stimmt die Bundesregierung mit den Feststel- Es hat keinen Sinn — das sage ich vor allen Dingen lungen des Verteidigungsausschusses überein. — aber nicht nur — an die Adresse der GRÜNEN —, Wünsche an die Stelle von Wirklichkeiten zu set- Ich sage noch einmal: Diese Bündnisstrategie, die zen. wir im Augenblick haben, hat eine Erfolgsbilanz ohnegleichen aufzuweisen. Manchmal meint man (Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] wirklich: Gerade weil sie so viele Erfolge gehabt [FDP]) hat, macht das einige übermütig, und sie hätten sie am liebsten über Bord geworfen. Die Wirklichkeit im Bereich der. Kräfteverhält- Aber so einfach geht das nicht. Diese Strategie nisse sieht immer noch so aus — niemand bedauert setzt auf das Vernunftkalkül. Sie versucht, den das mehr als ich; im übrigen glaube ich, daß dar- Krieg zu verhindern, um politische Konflikte durch über kaum eine Meinungsverschiedenheit be- friedlichen Ausgleich zu lösen. So bleibt es unser steht —: ein ungefähres Gleichgewicht im strategi- vorrangiges, Ziel, die nuklearen und konventionel- schen Bereich, im Bereich strategischer Waffen, len Potentiale beider Seiten gleichwertig und kon- wobei man nicht übersehen darf, daß die Sowjet- trolliert zu vermindern und damit das Gleichge- union seit dem Abschluß des SALT I-Abkommens wicht mit sehr viel weniger Waffen zu stabilisie- genau die strategische Erstschlagsfähigkeit gegen ren. amerikanische landgestützte Interkontinentalwaf- fen erlangt hat, die zu verhindern das vorrangige Kollege Scheer, ich habe aufmerksam zugehört. Ziel amerikanischer Rüstungskontrollpolitik in den (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das wollen wir 70er Jahren war; ein wachsendes Übergewicht der hoffen!) Sowjetunion im Bereich taktischer Nuklearwaffen kurzer und mittlerer Reichweite — und das in einer — Ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit. Zeit, in der der Westen, in der wir einseitig noch Gelegentlich darf man aber auch Selbstverständ- einmal um 1 400 reduzieren; schließlich eine wach- lichkeiten sagen, lieber Herr Kollege. sende Überlegenheit des Warschauer Pakts auf Sie sagten zunächst einmal, die NATO habe keine konventionellem Gebiet. Schwerpunkte in dieser Strategie der flexiblen Ant- wort gesetzt. Das ist völlig falsch. Diese Schwer- Auch hier müssen wir den Tatsachen ins Auge punkte werde ich anschließend aufzeigen. sehen. Auch das wird ja kaum mehr ausgesprochen, aber es sind Fakten. Die Sowjetunion hat seit dem Sie haben eine weitere Sache behauptet, die ein- Beginn der Rüstungskontrollverhandlung in Wien, fach nicht zutrifft. Sie haben gesagt: Es werden pau- bei denen es darum geht, die Streitkräftestärken senlos Neutronenwaffen produziert. Das mag sein, nach unten zu fahren, in allen wesentlichen Waffen- aber dann in der Sowjetunion. Die amerikanische kategorien ihre konventionelle Überlegenheit in Regierung hat beim Kongreß bis jetzt noch nicht Europa erhöht, und zwar mit dem Resultat zusätzli- einmal die Mittel beantragt, um Neutronenwaffen cher und besonders beunruhigender militärischer zu produzieren, geschweige denn, daß sie diese etwa Offensivoptionen. hier in Europa stationieren wollte. Ich habe mich Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10623 Bundesminister Dr. Wörner dessen vergewissert, bevor ich Ihnen diese Antwort daß ein Urteil über Stationierung oder Nichtstatio- gab. nierung solcher Systeme und auch ein Urteil über (Dr. Soell [CDU/CSU]: Wir werden es zur strategische Vor- und Nachteile solcher Systeme Kenntnis nehmen! — Zuruf des Abg. Jung erst möglich ist, wenn wir wissen, was aus diesen mann [SPD]) Forschungsanstrengungen herausgekommen ist. — Sie müssen es zur Kenntnis nehmen. Sie werden Deswegen — ich sage das etwas ironisch — be- es zur Kenntnis nehmen, da ich annehme, daß Sie wundere ich die Sozialdemokratie, die, bevor sie an den Realitäten nicht vorbeikönnen. weiß, was aus diesen Forschungsanstrengungen Sie haben gesagt, SDI und die Diskussion um SDI herausgekommen ist, bereits ein apodiktisches habe die Strategie der flexiblen Antwort program- Nein gesagt hat. Wir sagen kein apodiktisches Nein. matisch beerdigt. Mit Verlaub gesagt: Das ist eine Wir sagen ja zu den Forschungsanstrengungen, Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt. aber wir behalten uns unser Urteil über die Statio- Auch die glühendsten Verfechter von SDI behaup- nierung solcher Systeme bis zu einem Zeitpunkt ten nicht, daß die Forschungsanstrengungen vor 10, vor, wo wir strategisch wie politisch alle Konse- 15 Jahren zu einem Ergebnis führen könnten, so quenzen durchschauen können. daß frühestens in 15 Jahren überhaupt die Frage (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auftaucht, ob man solche Systeme stationieren Ich sage, die müsse oder könne. Strategie der flexiblen Antwort ist wie jede Strategie dynamischer Art. Und das heißt, (Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD]) sie muß weiterentwickelt werden. Genau das ge- Selbst die glühendsten Verfechter von SDI lassen schieht auf Betreiben der Bundesregierung, einmal keinen Zweifel daran — jedenfalls der amerikani- durch eine Verstärkung unserer konventionellen sche Präsident und der amerikanische Verteidi- Verteidigungsfähigkeit, mit der Absicht, uns vom gungsminister —, daß selbstverständlich die gel- Zwang zum frühzeitigen nuklearen Ersteinsatz zu tende Strategie der flexiblen Antwort in Kraft befreien, und zum zweiten durch einseitige Redu- bleibt, solange keine bessere Strategie verfügbar zierung, Umstrukturierung und Modernisierung un- ist. Das ist die Auffassung der Bundesregierung, seres taktischen Nuklearpotentials, das damit auf und das ist die Auffassung der NATO, wie sie die das zur Abschreckung wie Verteidigung notwendige Außenminister und vor wenigen Wochen die Vertei- Minimum reduziert wird. digungsminister noch einmal bekräftigt haben. Dabei weist die Tendenz sehr klar auf die Redu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — zierung nuklearer Gefechtsfeldwaffen zugunsten Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD] — weiterreichender Nuklearwaffen hin. Dies liegt ein- Abg. Dr. Scheer [SPD] meldet sich zu einer deutig im Interesse der Bundesregierung und im Zwischenfrage) Interesse der Kriegsverhinderung. — Herr Kollege Scheer, ich komme jetzt in Zeit- Jetzt möchte ich auf etwas aufmerksam machen, knappheit; es sei denn, der Präsident ist so entge- was in der Diskussion draußen immer mehr überse- genkommend, mir ein weiteres Mal Gnade zuteil hen wird und was auch Sie von der SPD offensicht- werden zu lassen. lich nicht hinreichend bedenken: Die NATO leistet in Europa bereits jetzt einen entscheidenden Bei- Vizepräsident Cronenberg: Herr Bundesminister, trag zur Vertrauensbildung. Ich sage, sie leistet, wenn die Frage kurz formuliert ist und die Antwort ohne Übertreibung, den entscheidendsten Vertrau- auch entsprechend kurz ist, dann will ich das tun. ensbeitrag als Vorleistung, den man überhaupt lei- Ich muß das Haus aber darauf aufmerksam ma- sten kann. Unsere Streitkräfte in Europa sind be- chen, daß eine gewisse Selbstbeschränkung erfor- reits heute konventionell und nuklear so ausgerü- derlich ist, wenn wir unseren Zeitplan einhalten stet, ausgebildet, zahlenmäßig begrenzt und ihre wollen. Logistik aufgebaut, daß sie zu einem Angriff außer- Herr Abgeordneter. stande sind, selbst wenn irgendein Verrückter das wollte. Keiner, jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland, will es. Ich sehe auch sonst im Westen niemanden, der das wollte. Aber selbst wenn es Dr. Scheer (SPD): Herr Minister, ich frage: Sind gewollt würde, es ginge nicht. Die Streitkräfte der die von Ihnen früher geäußerten Bedenken wegen NATO sind außerstande zum Angriff. der strategischen Verwerfungen durch dieses SDI gegenstandslos geworden? (Vogel [München] [GRÜNE]: Unfähig!) Und jetzt schauen wir auf den Warschauer Pakt. Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: Sein Rüstungspotential, seine Streitkräfte sind so Kollege Scheer, mein Standpunkt zu SDI deckt sich ausgelegt und ausgerüstet, daß sie, weit über die mit dem der Regierung. Und die Regierung beschäf- eigenen Sicherheitsbedürfnisse hinaus, zu einem tigt sich im Augenblick Angriff auf die NATO befähigt sind. Jetzt kommt - (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Mit sich selbst!) die Konsequenz — die sollte gelegentlich ausge- sprochen und mitbedacht werden —: Würde der mit den Forschungsanstrengungen. Der Bundes- Warschauer Pakt genau das tun, was die NATO in kanzler hat hier eindeutig klargestellt, Mitteleuropa bereits getan hat, d. h. seine Streit- (Dr. von Bülow [SPD]: Kann der doch gar kräfte in Logistik, Ausbildung, Ausrüstung, Zahlen- nicht!) stärke so zuschneiden, daß sie zu einem Angriff 10624 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bundesminister Dr. Wörner außerstande wären, hätten wir jedes Risiko für den alternativen Vorstellungen, die auf eine Raum- bzw. Frieden beseitigt; wir hätten die Vertrauensbildung raumdeckende Verteidigung und auf das Auskämp- schlechthin. fen eines langdauernden Krieges auf unserem Ter- ritorium hinauslaufen, sind Schlichtweg mit deut- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — schem Interesse nicht zu vereinbaren. Biehle [CDU/CSU]: C-Waffen abbauen!) Auf der nationalen Ebene stellt die Bundeswehr- Herr Scheer, Sie haben heute den Begriff der planung diese Prioritäten sicher. Wir werden dar- strukturellen Nichtangriffsfähigkeit nicht wieder verwandt. Sie haben ähnliches gemeint. Sie haben über im Laufe dieses Jahres ja noch diskutieren. es angedeutet. Die Streitkräfte der NATO sind Ich möchte noch auf einen Gedanken eingehen, strukturell nicht angriffsfähig. Ich wollte, die Streit- den man gelegentlich als alternative Vorstellung kräfte des Warschauer Pakts wären das auch. Dann bezeichnet hat. Der Kollege Scheer hat ihn heute brauchten wir uns keine Gedanken mehr zu ma- wieder angedeutet. Ich schicke noch einmal voraus, chen. Dann wäre der Frieden in Europa sicher. wir dürfen nicht vergessen, daß glaubwürdige Ab- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — schreckung gegenüber dem auch nuklear hochgerü- Zuruf von der CDU/CSU: Chemische Waf- steten Warschauer Pakt durch konventionelle Mit- fen!) tel alleine nicht sichergestellt werden kann. Erst die Verkoppelung von konventionellen und nuklearen Bei uns sind die Prioritäten bei der Verstärkung Potentialen und Optionen hat den Krieg seiner ge- konventioneller Verteidigung klar. Erst die Abwehr schichtlichen Funktion als Fortsetzung der Politik der ersten Staffel, dann die Ergänzung durch mit anderen Mitteln beraubt. gleichzeitige und angemessene Bekämpfung nach- folgender Kräfte des Warschauer Pakts. Das hat Deswegen, lieber Kollege Scheer, sind alle Über- nichts mit Vorwärtsverteidigung zu tun. legungen realitätsfern und nicht mit unserem deut- schen Interesse vereinbar, die die NATO-Triade — (Stroebele [GRÜNE]: Dann ist nichts mehr strategisch-nuklear, taktisch-nuklear, konventionell zu verteidigen! — Berger [CDU/CSU]: Das — durch das Auflösen des mittleren Elements der freut Sie dann?) nuklearen Kurz- und Mittelstreckenwaffen zu einer — Wenn man sich nach Ihnen richten würde, lieber Dyade verkümmern lassen. Es ist gerade das mitt- und verehrter Kollege von den GRÜNEN, dann lere Element dieser Triade, das die geostrategische wäre in der Tat nicht nur nichts zu verteidigen, son- und militärstrategische Einheit der Allianz verdeut- dern dann hätten wir längst unsere Freiheit einge- licht und zur politischen wie strategischen Ankop- büßt und könnten uns so frei in diesem Hause nicht pelung — das eine ist so wichtig wie das andere — mehr unterhalten. des amerikanischen Potentials entscheidend bei- trägt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn Was Sie vorschlagen, ist der freiwillige Marsch in Sie dieses mittlere Element herauslösten. Sie müß- die Unterwerfung. Wir haben unsere Freiheit kost- ten dann im Konfliktfall, scheiterten die konventio- bar genug errungen. Wir wollen sie nicht wieder nellen Mittel, sofort auf die nuklearstrategische preisgeben. Deswegen verteidigen wir uns. Ebene ausweichen; und dies in einem Zeitalter stra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — tegischer Parität, die Sie und ich j a beibehalten wol- Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) len. Das hieße im Grunde genommen, daß Sie nach kurzer Zeit oder nach längerer Zeit — je mehr oder Ich sage noch einmal: Wir wollen die nachfolgen- je weniger Sie sich konventionell verteidigen kön- den Staffeln bekämpfen, und zwar deswegen, damit nen — vor der Alternative Kapitulation oder Ver- ein Angreifer nicht davon ausgehen kann, daß sein nichtung stünden. eigenes Territorium Sanktuarium bleibt, damit er nicht davon ausgehen kann, daß er einen Angriff Das ist keine Strategie. Das ist vor allen Dingen allein auf den Schultern des Angegriffenen und sei- keine Strategie der Abschreckung und keine Strate- ner Bevölkerung austragen kann. gie, die Ihnen Krisenstabilität gibt. Da wir alle den- ken — jedenfalls denke ich es —, daß wir den Krieg Aus diesem Grunde sind im übrigen auch alle verhindern können, kommt es mir darauf an, eine Vorstellungen über Raumverteidigung, auch wenn Strategie so auszulegen, daß sie die Bundesrepublik man sie mischt mit anderen Vorstellungen, untaug- Deutschland auch in einer Krise handlungsfähig lich; denn Raumverteidigung heißt, man läßt den hält und die Sicherheit unserer Menschen auch von Gegner ins eigene Land kommen, verzichtet auf der Wahrnehmung her gewährleistet. Kräfte, die ihn wieder herauswerfen könnten. Das heißt, man sagt ihm: Du darfst angreifen, das ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zige Risiko ist, daß du eines Tages stehenbleiben Ich sage also: Das, was ich heute an Überlegun- mußt. Das heißt: Für mich ist es Untergang, Beset- gen von Ihnen gehört habe, hat mich nicht über- zung, Verlust der Freiheit, Verlust der Existenz, für zeugt — und ich denke, das hat sich auch begrün- dich ist es bloß die Frage nach Sieg oder Stehenblei- den lassen —, daß es besser geeignet wäre als die ben. Was ist das für eine Strategie? — Das ist eine gegenwärtige Strategie in der Weiterentwicklung, Kriegsführungsstrategie und keine Kriegsverhin- die wir beabsichtigen, unseren Frieden zu sichern derungsstrategie. und die Freiheit zu erhalten. Ganz abgesehen davon Genau deswegen machen wir sie — jedenfalls — und ich sage das unpolemisch, weil die ganze von der Bundesregierung aus — nicht mit. Alle Debatte unpolemisch war, was ich sehr dankbar re- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10625

Bundesminister Dr. Wörner gistriere —, bin ich auch noch nicht sicher, daß das, begegnen, sich ihrer Freiheiten und der Menschen- was Sie hier gesagt haben, die Auffassung der SPD rechte erfreuen können. als solcher ist; denn ich höre sehr viele und sehr (Zurufe von der SPD und von den GRÜ unterschiedliche Stimmen über die strategischen NEN) Vorstellungen der SPD. Dann und nur dann wird es Frieden auf Dauer und (Zurufe von der SPD) eine Friedensordnung geben, die diesen Namen ver- Nun haben Sie vieles auch so allgemein gesagt, daß dient. man sich auch gar nicht konkret damit auseinan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dersetzen kann. Wenn Sie etwa von einer Mischung der Raumelemente mit den Elementen der Vorne- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr verteidigung reden, kann ich mich damit, solange Abgeordnete Horn. ich nicht weiß, was das in Strukturelementen be- deutet, beim besten Willen nicht auseinandersetzen. Horn (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Herr Kollege Ronneburger, Ein Letztes. Ich glaube, wir alle haben die Pflicht, ich habe mit Interesse Ihren Ausführungen hier zu- gerade bei der Friedensdiskussion unserer Tage ei- gehört — selbstverständlich auch den Ausführun- nes wieder stärker in Erinnerung zu rufen, das häu- gen der anderen Kollegen — und darf diese zum fig genug überschlagen oder verdrängt wird. Sie hö- Anlaß nehmen, zu Beginn einige Bemerkungen zu ren es nicht zum erstenmal von mir, und ich werde machen, und zwar unpolemisch, denn die heutige das wieder und wieder in Debatten dieser Art sa- Debatte ist so abgelaufen, wie sie der Minister in gen, weil es mich wieder zum Ausgangspunkt zu- dieser Hinsicht auch beschrieben hat. Ich will zwar rückführt, nämlich zur Frage: Wo entstehen letzt- klar zur Sache sprechen und mich auch dieses Sti- lich Kriege? Das ist der unlösbare Zusammenhang les befleißigen. Aber wir müssen hier auch Unter- zwischen Frieden und Freiheit. Die tiefste Ursache schiede sichtbar machen oder gegebenenfalls auch des Unfriedens liegt in der Unfreiheit und im Un- Lücken aufarbeiten, wenn sie vorliegen. recht. Ich finde, Herr Kollege Ronneburger, erstens, daß (Ströbele [GRÜNE]: In der Hochrüstung!) Ihr eigentlicher Adressat — ohne Polemik gespro- — Genau dort liegt sie eben nicht. Wenn Sie ein biß- chen — mehr die Kollegen der Union gewesen sind chen länger nachdenken würden, dann würden Sie als die Sozialdemokraten. Zum zweiten, Herr Kol- das endlich auch kapieren. lege Ronneburger: Ihre eigentliche Lücke sehe ich darin, daß Sie zwar das beschworen haben, worin (Ströbele [GRÜNE]: Blättern Sie mal im wir uns einig sind, aber das weggelassen haben, Geschichtsbuch!) was innerhalb einer solchen Diskussion über alter- Wo sich Menschen und Völker frei begegnen kön- native Strategien der Klärung bedarf. nen, ist friedliche Verständigung leichter möglich. Ich habe — das muß ich Ihnen sagen — eine Aus- Das haben wir doch mit Frankreich gezeigt. sage von Ihnen als dem Sprecher der Liberalen und ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD — über die nuklearen Gefechtsfeldwaffen Rolle vermißt. Das muß in einem solchen Zusam- Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Denken Sie an menhang dargestellt werden. Ich habe bei Ihnen den Ersten Weltkrieg! — Zurufe von den GRÜNEN) eine Darstellung über die Rolle der chemischen, und hier insbesondere der binären Waffen vermißt. Mauer — auch wenn es Ihnen nicht paßt, ich werde Das hat ja eine große Rolle auch bei uns innerhalb nicht aufhören, das zu sagen —, Stacheldraht und des Hearings gespielt. Da haben ja konservative Schießbefehl sind mit Frieden, Aussöhnung und Leute wie beispielsweise General a. D. Domroese Verständigung nicht vereinbar. eine sehr deutliche und eine sehr klare Aussage (Zurufe von der SPD) gemacht. Ich habe bei Ihnen, Herr Kollege Ronne- burger, eine Aussage über die integrierte Kampf- Wer den Frieden dauerhaft sichern will, der muß führung, d. h. über einen Waffenmix, vermißt und — Grenzen durchlässiger machen, muß Menschen zu- ich will nur das Stichwort geben — über die Frage einanderführen und menschliche Freiheiten aus- Air/Land-Battle und über andere Punkte, wo wir weiten. Das ist das Ziel und die Perspektive unserer herausgefordert sind zu entsprechenden Stellung- Friedenspolitik. nahmen. (Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD]) Vizepräsident Cronenberg: Gestatten Sie eine Zwi- Nur so hat Friedenspolitik überhaupt eine Chance. schenfrage des Abgeordneten Ronneburger? Militärische Macht muß eingegrenzt werden. Wir sind zu jeder Rüstungskontrollmaßnahme, zu je- Horn (SPD): Aber selbstverständlich: Wenn ich dem gleichgewichtigen Herabfahren der Potentiale den Kollegen Ronneburger anspreche, muß er auch nicht nur bereit, wir wollen das! eine Chance haben, das entweder zu berichtigen - oder eine Zwischenfrage zustellen. (Ströbele [GRÜNE]: Das sagen Sie seit 30 Jahren, und es wird immer mehr!) Ronneburger (FDP): Sind Sie bereit, Herr Kollege Aber, meine Damen und Herren, wir wollen den Horn, sich daran zu erinnern, daß die FDP-Fraktion Frieden auch dauerhaft sichern, und das heißt, wir und auch ich bereits mehrfach — auch in diesem wollen, daß die Menschen in Ost und West sich frei Hause — den Abzug der nuklearen Gefechtsfeld- 10626 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Ronneburger waffen und ebenso eine Beseitigung der chemi- Berger (CDU/CSU): Herr Kollege Horn, habe ich schen Waffen als eine der Grundforderungen mei- Sie dann richtig verstanden, daß Ihnen MAD, „mu- ner Partei gefordert haben, so daß es unter Umstän- tual assured destruction", wichtiger und lieber den auch nicht nötig war, dies heute noch einmal wäre? anzusprechen? Horn (SPD): Ich kann diese Frage — nehmen Sie Horn (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Ronne- mir das nicht übel — nur als entweder polemisch burger. Da es genau nicht um Rechthaberei, son- oder von Ihrer Seite intellektuell einfach nicht ver- dern um Positionsbeschreibungen geht, nehme ich standen betrachten. Darauf will ich wirklich keine das ausgesprochen dankbar zur Kenntnis. Aber ich Ausführungen machen. Wir leben jedenfalls unter finde, gerade innerhalb einer solchen Diskussion der Bedingung der „mutual assured destruction", gehört es einfach doch in die Darstellung hinein. das wissen Sie ganz genau. Sie wissen auch ganz genau, daß das die Theorie der Abschreckung ist. Da hinein gehört auch, Herr Kollege Ronnebur- Sie wissen ganz genau, daß das, was der Präsident ger, daß es in Lissabon nicht so harmonisch war, hier sagt, eben der Übergang ist. wie Sie das dargestellt haben. Mein Gott, es hat j a (Vorsitz : Vizepräsident Westphal) Belastungen im Bündnis gegeben, und es hat Bela- stungen zwischen den Europäern und den Amerika- Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, nern und noch einmal innerhalb der Europäer sel- Nachdenken über diese Änderungen, die ich hier ber gegeben. Das wissen Sie doch. Sie wissen doch, darstellte, und über mögliche alternative Verteidi- daß unser Verhältnis zu Frankreich deprimierend gungskonzepte bedeutet doch nicht ein Abweichen geworden ist. Es ist doch ganz und gar keine von der reinen Lehre oder gar eine Loslösung vom Schwarzmalerei von Horn, wenn ich dies darstelle, Bündnis. Es muß doch klar sein: Nicht die Be- denn Ihr Außenminister war es doch — von Ihrer standsaufnahme der Sozialdemokraten, sondern Partei gestellt —, der draußen die Besorgnisse, die die Strategische Verteidigungsinitiative des ameri- ich darstelle, am stärksten zum Ausdruck gebracht kanischen Präsidenten stellt die Strategie der flexi- hat und die dann auch über die Presse gegangen blen Reaktion auf den Kopf und in Frage. sind. Herr Dr. Wörner, Sie haben völlig zu Recht ge- (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!) sagt: Ein Herauslösen einer — und hier der mittle- ren — Komponente der Triade kann gefährlich sein Ich möchte noch einen Hinweis geben: Ich be- und ist einfach in der jetzigen Situation nicht hin- dauere, daß man einfach so tut, als wäre gewisser- nehmbar. Aber ein Herauslösen der zentral-strate- maßen alles beim alten geblieben. Das gilt sowohl gischen Nuklearwaffen der USA aus den möglichen an die Adresse des Herrn Kollegen Ronneburger militärischen Reaktionsarten der NATO macht als auch an die Adresse des Verteidigungsministers. nicht nur aus der Triade von Direktverteidigung, Mein Gott, haben wir denn eigentlich in den letzten vorbedachter Eskalation und allgemeiner nuklearer Monaten alles mißverstanden, haben wir denn alles Reaktion gegen das strategische Potential eines An- mißverstanden seit der Zeit der internationalen greifers eine auf Westeuropa zurückgeworfene Wehrkundetagung in München? Da ist doch der Dyade — um Ihren Begriff aufzunehmen, Herr Dr. Kern der Strategie der Abschreckung im Grundsatz Wörner —, sondern nimmt dann auch der Bündnis- geändert worden. strategie ihr stärkstes Mittel, ihr eigentliches Rück- Wenn — das ist doch nicht Erwin Horn — der grat. amerikanische Präsident gesagt hat, MAD muß durch MAS ersetzt werden, nämlich „mutual assu- Der amerikanische Präsident hatte seinen Vor- red destruction" durch „mutual assured survival" schlag mit deutlicher Kritik an den Grundannah- bedeutet dies ganz eindeutig, daß unsere Führungs- men und Mitteln des bestehenden Sicherheitssy- macht im Westen im Übergang zu einer neuen Stra- stems verbunden. Auch wenn er für eine Über- tegie ist. Das muß man doch sehen. gangszeit die Notwendigkeit der Beibehaltung der (Ronneburger [FDP]: In welchen Zeit derzeitigen Abschreckungsmittel betont, so hat er räumen?) doch zugleich Atomraketen einen offensiven Cha- — Darüber können wir natürlich sprechen. Herr rakter beigemessen und sie deshalb als gefährlich Kollege Ronneburger, das ist gar keine Frage. Das und destabilisierend bezeichnet. Der deutsche Ver- ist ganz selbstverständlich. Ich werde darauf nach- teidigungsminister hat zumindest die SDI-Interes- her noch einmal in einem anderen Zusammenhang sen des amerikanischen Präsidenten und die Hart- zurückkommen. näckigkeit seines Kollegen Weinberger stark unter- schätzt. Herr Dr. Wörner wurde vom beachtlichen Aber nur eines: Wir können uns doch nicht aus SDI-Kritiker von Cesme, dem wir alle Beifall gezollt dieser Debatte ausklinken, sondern müssen sehr haben, zu einem SDI-Befürworter hier in Bonn. sorgsam aufnehmen, was sich gerade seitens der Heute, Herr Dr. Wörner, sitzen Sie hinter Ihrem Weltmächte vollzieht. - Regierungschef auf dem Weltraumrüstungszug, und Sie beginnen, über den Preis dieser Fahrkarte nachzudenken. Meine Damen und Herren, es ist Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ge- eine Illusion, anzunehmen, die Westeuropäer könn- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten ten an der technologischen Forschung dieses Pro- Berger? gramms teilnehmen, ohne die militärische Verant- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10627

Horn wortung, Konsequenzen und Lasten mittragen zu MX-Rakete auf ihrem Territorium abgelehnt ha- müssen. ben. Andererseits wird eine Fähigkeit zum massi- ven Einsatz von nuklearen Gefechtswaffen herge- Herr Kollege Ronneburger, Sie sprachen über stellt, und der amerikanische Kongreß muß sich den Wandel der Strategien. Herr Minister, ich war noch entscheiden, ob hierfür noch Neutronenwaffen ein bißchen betrübt, als Sie wieder exakt an diesem produziert werden sollen. Die deutschen Sozialde- Punkt den Sozialdemokraten eine Unterstellung zu- mokraten warnen vor einem solchen Schritt. Wir teil werden ließen, die einfach nicht zutrifft. Warum werden uns dem entschieden widersetzen. Wir for- hatten wir denn eigentlich dieses Hearing? Weil die dern eine drastische Reduzierung und Abschaffung öffentliche Strategiediskussion uns gewissermaßen der nuklearen Gefechtsfeldwaffen. Statt dessen tre- dazu gezwungen hat, weil die Akzeptanzdiskussion ten wir für eine Stärkung der konventionellen öffentlich schon lange vorhanden war. Einer, der Kräfte der Vorneverteidigung ein, ohne jedoch auf gerade die Akzeptanzdiskussion sehr stark voran- die Sicherheitsgarantien der nuklearen Mächte des gebracht hat, war doch Ihr Parteifreund Professor Bündnisses zu verzichten. Biedenkopf. Es ist genau nicht so, wie Sie es den Sozialdemokraten hier unterstellen. Es war Egon (Abg. Biehle [CDU/CSU] meldet sich zu ei- Bahr, der bei vielen sonst vorhandenen Überein- ner Zwischenfrage) stimmungen mit Professor Biedenkopf ganz klar — Herr Kollege, ich bitte vielmals um Entschuldi- gesagt hat: Das Strategiedenken ist im Wandel; wir gung, aber die Zeit läuft mir jetzt davon. Ich habe aber als Sozialdemokraten bestehen auf der Gültig- bereits fünf Fragen zugelassen. Herr Vorsitzender, keit der bestehenden Strategie, solange wir keine ich bitte um Verständnis. bessere haben. Beachtlich sind auch die Qualitäten der neuen Wie in den 60er Jahren, beim Übergang von der Waffentechnologien. Darauf beruhende Konzepte massiven Vergeltung zur „flexible response" wird wie „Air/Land-Battle 2000" mit dem Übergang zum am Ende des Weltraumrüstungsprozesses eine neue offensiven wie defensiven Bewegungskrieg in Mit- Ausformung der Strategie stehen. Herr Kollege teleuropa wurden sowohl von den Experten des Ronneburger, damals waren es fortschrittliche Hearings als auch von uns eindeutig zurückgewie- Amerikaner wie General Maxwell Taylor mit sei- sen. Es kann keine gesellschaftliche Akzeptanz für nem Buch „The Uncertain Trumpet" und der deut- ein strategisches Konzept geben, das vom integrier- sche Sozialdemokrat Helmut Schmidt mit seinem ten Einsatz nuklearer, chemischer und konventio- Buch „Verteidigung oder Vergeltung", die sich für neller Waffen ausgeht, das keine Zeit für bündnis- eine neue, tragfähige Strategie des Bündnisses ein- politische Konsultationen läßt und zugleich offen- setzten. Inzwischen wollen die USA wieder aus ih- sive Heeresoperationen von deutschem Boden aus rer existentiellen Garantiefunktion für Europa her- vorsieht. aus. Sie wollen nicht New York, Chicago für London oder Paris, geschweige denn für Bonn riskieren. Ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich nau dies sagte Henry Kissinger schon im Septem- möchte jetzt die Frage stellen, was wir angesichts ber 1980 in Brüssel. Exakt dies ist doch das Rational dieser Situation tun sollen. für den Vorschlag einer neuen Strategie von Fred Erstens. Es ist alles zu unterlassen, was die USA Iklé und für den Vorschlag einer Strukturänderung darin bestärken kann, der Strategie der flexiblen der NATO von Kissinger. Helmut Schmidt sagte Reaktion das Rückgrat zu nehmen. SDI kann des- lakonisch dazu: Kissinger trifft ins Schwarze. halb keine Unterstützung finden. Die zentral-strate- Aber Veränderungen gibt es ja nicht nur auf der gischen Systeme der USA müssen weiterhin für die obersten Stufe der strategischen Triade: Durch die Sicherheit Europas zur Verfügung stehen. neuen Pershing und Marschflugkörper der NATO Zweitens. Frankreich, dessen Regierung und Op- ist es möglich, die Sowjetunion mit amerikanischen position sich gerade verstärkt ihrer europäischen Waffen von Westeuropa aus zu erreichen. Dadurch Aufgabe bewußt werden, muß in seiner Mitverant- wurde eine neue strategische Qualität geschaffen, wortung für die Sicherheit Europas bestärkt wer- die jedoch die Garantiefunktion der zentral-strate- den. gischen Nuklearwaffen der USA im Rahmen der allgemeinen nuklearen Reaktion der NATO nicht Drittens und letztens. Wir müssen in der Verteidi- ersetzen kann. gungspolitik unser eigenes Haus in Ordnung brin- gen. Die Bundeswehrplanung halte ich nicht für ein Der mit dem Beschluß von Montebello beschrit- Musterbeispiel. tene Weg, nicht nur 1 400 amerikanische nukleare Gefechtsköpfe aus Europa zurückzuziehen, sondern Meine sehr verehrten Damen und Herren, SDI ist die verbleibenden Gefechtsköpfe auch zu moderni- eine Herausforderung für uns alle. Es ist allerdings sieren und dafür mehr Einsatzmittel — moderne auch eine Chance für Europa. Hoffentlich vertun Rohrartillerie — bereitzustellen, ist — ich gebe das wir sie nicht. zu — verführerisch, geht aber in die falsche Rich- (Beifall bei der SPD -- Berger [CDU/CSU]: tung. Die nuklearfähige Rohrartillerie ist ja nicht Beides ist richtig!) nur Einsatzmittel, sondern bildet zugleich auch viele Ziele. So wird auf deutschem Boden einerseits das geschaffen, was die USA mit dem sogenannten „Shell Game" — dem Schaffen vieler Ziele, von de- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- nen nur wenige nuklear bestückt sind — für die ordnete Wimmer (Neuss). 10628 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Wimmer (Neuss) (CDU/CSU): Herr Präsident. Partnerschaft wohlgemerkt, die, wie Alois Mertes Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem es in den USA demonstrierte, für Deutsche nur in- der Kollege Horn gerade bemerkenswerte Sätze nerhalb der westlichen Gemeinschaft wünschens- von sich gegeben hat, die ich in weiten Teilen unter- wert ist. streichen kann — vor allen Dingen: weiterer Aus- bau konventioneller Komponenten, SDI als eine Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter Wim- Chance —, mer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- (Jungmann [SPD]: Nein! Da hast du nicht neten Jungmann? — Bitte schön. zugehört!) muß ich hier natürlich feststellen, daß sich die Posi- Jungmann (SPD): Herr Kollege Wimmer, ich tion, die er hier vorgetragen hat, diametral von der würde Sie gerne fragen, was Sie in diesem Zusam- Position des Kollegen Klejdzinski und mit Sicher- menhang von dem Satz des Bundespräsidenten auf heit auch von der des Kollegen Scheer unterschei- dem Kirchentag halten, man solle nicht immer der det. Diese Divergenz sozialdemokratischer Auffas- einen Seite nur das böse und der anderen das gute sungen unterscheidet sich essentiell Denken unterstellen. (Jungmann [SPD]: Frag mal den Kanzler!) (Beifall bei den GRÜNEN) von der klaren Linie unserer Verteidigungspolitik. Wimmer (Neuss) (CDU/CSU): Ich unterstelle da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit der sowjetischen Seite nichts. Die Verteidigungspolitik der Union ist klar in ihren (Jungmann [SPD]: Ich habe gar nicht von Linien und zweifelsfrei. Sie bedarf keiner alternati- der sowjetischen Seite gesprochen!) ven Strategien. Verteidigung ist für uns ein vorran- Ich reagiere auf das, was Willy Brandt in Moskau giges Element in der Gesamtkonzeption gesicherter gesagt hat. Das ist für uns der kritische Punkt. Friedenspolitik. Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion be- (Mann [GRÜNE]: Ohne SDI!) deutet zwangsläufig Übernahme sowjetischer Si- Gesicherte Friedenspolitik ist dabei für uns die Ge- cherheitsforderungen in die deutsche Tagespolitik. währleistung einer eigenen Verteidigungsfähigkeit (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: So ein Quatsch!) bei gleichzeitiger Dialog- und Verhandlungsfähig- Beispiele dafür sind u. a. die im SPD-Antrag enthal- keit mit dem Osten. tene Forderung — Herr Professor Ehmke — nach (Beifall des Abg. Berger [CDU/CSU]) atomwaffenfreien Zonen in Europa oder auch die Das war auch weitgehend das Konzept der SPD klare Ablehnung der Erforschung der Weltraumver- als Regierungspartei. Leider setzt sie als Opposition teidigung, — das haben ihre Beiträge heute deutlich gemacht (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wer tut das — andere Schwerpunkte. Verteidigung erfährt bei denn?) ihr vor allem aus dem Streben nach Abrüstung ihre obwohl die Sowjetunion auf beiden Gebieten vehe- Rechtfertigung. Nachdem aber Abrüstung nicht mente Anstrengungen unternimmt. Seit etwa 16 bis mehr als ausreichend wirksames Vehikel zum ein- 17 Jahren arbeitet die Sowjetunion an der ersten seitigen Abbau des Verteidigungspotentials durch- Generation eines Weltraumverteidigungssystems. setzbar ist, wird die Prüfung alternativer Strategien Deshalb muß der politische Hintergrund falsch ver- leider zunehmend als eine Art Abrüstungsersatz be- standener Sicherheitspartnerschaft in aller Klar- nutzt, um gerade die für einen potentiellen Gegner heit offengelegt werden. Hier wird von der Sowjet- wirksame Verteidigung zu diskriminieren. union keineswegs gleichwertige oder faire Partner- (Berger [CDU/CSU]: Als Religionsersatz!) schaft geboten, sondern die Einordnung in eine so- wjetische, gegen die USA und uns selbst gerichtete Dem gilt es entgegenzuwirken. Das ist unsere Posi- Antisicherheitsfront. tion. Eine zweite allgemeine Erwägung steht dem Angesichts solcher von der SPD vertretener ex- möglichen Konsens zwischen Regierung und Oppo- tremer Positionen ist es dennoch zu begrüßen — sition in strategischen Fragen im Wege. Ich meine das macht den ganzen Zwiespalt der SPD deutlich den Mangel an jeglicher positiver Verteidigungs- —, daß die Beschlußempfehlung und der Ände- perspektive bei der SPD. rungsantrag der SPD-Fraktion zumindest für einige Elemente eine Grundlage für einen breiten politi- (Abg. Dr. Klejdzinski [SPD] meldet sich zu schen Konsens in der Verteidigungspolitik offen- einer Zwischenfrage!) halten. Allerdings hat die jüngste Moskaureise des SPD-Vorsitzenden den sicherheitspolitischen Un- Vizepräsident Westphal: Gestatten Sie noch eine terschied zwischen Koalition und Opposition erneut Zwischenfrage? offengelegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wimmer (Neuss) (SPD): Nein, jetzt nicht mehr. Danach bleibt die sozialdemokratische Verteidi- (Dr. Klejdzinski [SPD]: Das kommt davon, gungspolitik in das Konzept der Sicherheitspart - weil er kein Konzept hat!) nerschaft und entsprechender kooperativer Verein- Hierüber können in den Vordergrund geschobene barungen mit der Sowjetunion eingebettet, einer theoretische Erörterungen über alternative Struk- Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10629

Wimmer (Neuss) turen und Gefechtsfeldoptionen nicht hinwegtäu- die Strukturen der verbündeten Streitkräfte einge- schen. Die parlamentarische Opposition, Teile der bunden. Diese Strukturharmonie gilt für alle Teil- SPD wie GRÜNE, teilen sich mit Anhängern ver- streitkräfte. schiedener Bewegungen zunehmend die Skepsis gegenüber jeder nuklearen Abschreckung. (Ströbele [GRÜNE]: Das ist eine Harmo nie!) (Dr. Klejdzinski [SPD]: Teile der „SPD wie GRÜNE"! Geistige Tieffliegerschaft, die Sie — Mit Sicherheit. Deswegen sind alternative Über- da betreiben!) legungen für die Veränderung einer dreistufigen — Merkwürdigerweise, Herr Kollege Klejdzinski, flexiblen Antwort nur dazu angetan, die politische sind es — genau wie Sie dieselben Leute, die vehe- Erpreßbarkeit durch einen Gegner zu erleichtern, ment die weitere Gültigkeit des SALT-II-Abkom- der gerade dabei ist, die gesamte Breite des nuklea- mens fordern und damit logischerweise das nuk- ren Spektrums leare Gleichgewicht des Schreckens, die nukleare Abschreckung fordern. (Horn [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Was wollen Sie — diese Frage stellen wir alle an Sie — denn eigentlich wirklich? global durch Probeschüsse der SS-18 aus Einsatz- (Jungmann [SPD]: Aufrüstung verhindern, stellungen der Delta-U-Boote und durch Einführung Abrüstung! — Ströbele [GRÜNE]: Einsei weiterer nuklearer Waffen in der DDR auszubauen. tige Abrüstung! — Weitere Zurufe von der Das gemeinsame Ziel der Anhebung der nuklearen SPD) Schwelle kann durch Infragestellen der gegenwärti- gen Struktur keinesfalls gefördert werden. Bei Ihrer Position bleibt es unverständlich, daß bei der Opposition die bloße Untersuchung des Über- Als besondes bedenkliche Elemente falscher Al- gangs zu einer reinen defensiven Strategie ohne ternativen, auf die die SPD in ihrem Antrag leider nukleare Waffen — ich meine die nach den Worten verweist, sind u. a. zu nennen: des Präsidentenberaters Keyworth sehr reale Mög- lichkeit der Raketenabwehr und Weltraumverteidi- Erstens. Überlegungen zum Verzicht auf Atom- gung — von vornherein ausgeschlossen wird. Diese waffen in Westeuropa, die sich mit Sicherheit nicht Haltung kann nur als Spätfolge von Entspannungs- nur in atomwaffenfreien Zonen äußern. Dadurch illusionen und als Festhalten an vergangenen Ver- würde die konventionelle Überlegenheit des Ostens handlungshoffnungen verstanden werden. Zu Fra- noch zusätzlich an Gewicht gewinnen. gen ist doch, mit welcher Berechtigung nach Jahr- zehnten im wesentlichen ergebnisloser Abrüstungs- (Berger [CDU/CSU]: So ist das!) verhandlungen heute ein Verhandlungserfolg er- wartet werden kann, wenn der einzige Hebel zum Zweitens. Die Befürwortung der Raumverteidi- Verhandlungserfolg aus der Hand gegeben wird. gung an Stelle weitreichender ballistischer Waffen. Welche Chancen würden sich nach einem neuen Hierdurch würde statt Einführung moderner kon- Verhandlungsjahrzehnt ergeben können, wenn die ventioneller Waffentechnik das Risiko eines Geg- Sowjetunion zusätzlich zu der überlegenen Zahl an ners für sein eigenes Land und in seinem eige- Raketen auch noch über eine einseitige Kapazität nen Land gemindert; ein Sanktuarium würde ihm an Abwehrwaffen gegen nukleare Systeme verfü- signalisiert. gen würde? Drittens. Vor allem sind Zweifel am Bedrohungs- Was in den Verhandlungen mit der UdSSR zählt, potential des Warschauer Paktes ohne Bezug zur ist das Prinzip des do ut des. Grundlage einer Ge- Realität. Der Osten hat den Westen nicht nur im samtstrategie muß deshalb das von den Sozialde- gesamten konventionellen Waffenspektrum an Zah- mokraten leider aufgegebene Prinzip des Kräfte- len weit überholt, sondern auch qualitativ weitge- gleichgewichts bleiben. Die gegenwärtige sozialde- hend gleichgezogen. mokratische Kombination von Forderungen nach substantieller nuklearer Abrüstung bei gleichzeiti- Viertens. Die genannten negativen Elemente so- ger Ablehnung des Übergangs zu nichtnuklearer zialdemokratischer Bewertung alternativer Strate- strategischer Verteidigung ist der sichere Weg in gien wirken dem allgemeinen Anliegen der Stär- eine strategische Sackgasse. kung der konventionellen Kampfkraft entgegen (Zurufe von den GRÜNEN) und tragen mit zu einer Perspektivlosigkeit der Verteidigung bei. Die falsche sicherheitspolitische Gesamteinschät- zung der Sozialdemokraten spiegelt sich in der Be- Fünftens. Statt fragliche alternative Elemente in wertung des Ergebnisses der Anhörung zu alterna- der Verteidigung aufzuspüren, ist deshalb eine Kon- tiven Strategien getreulich wider. Bedenken beste- zentration darauf geboten, wie die in drei Jahrzehn- hen schon gegen eine allgemeine Prämisse, es sei - ten auch mit Hilfe sozialdemokratischer Verteidi- eine Reform der Verteidigungsdoktrinen und der gungsminister wie Helmut Schmidt und Georg Le- Verteidigungsstrukturen notwendig. Die Bundes- ber gewachsene Bundeswehr lebendig und effizient wehr wird in ihrer gegenwärtigen Struktur der Be- gehalten werden. drohung gerecht. Sie ist in die Bündnisstrategie der flexiblen Reaktion integriert und zwangsläufig in (Zuruf des Abg. Horn [SPD]) 10630 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Wimmer (Neuss) Die Aussichten und Rahmenbedingungen, Herr Es untergräbt das Zutrauen in die eigene Führung, Kollege Horn, für eine solche Verteidigungspolitik Kampfkraft, Bewaffnung und Verteidigungsmoral. sind nach wie vor gut. Die Bundeswehr verfügt zumindest für das nächste (Horn [SPD]: Ausgerechnet jetzt müssen Jahrzehnt über eine gesunde Struktur. Sie Schmidt und Leber zitieren! Mein (Mann [GRÜNE]: Daß ich nicht lache!) Gott!) Eine so verstandene Verteidigungsperspektive ent- Erstens. Die Planung der Bundeswehr ist spricht auch echter, ethisch fundierter deutscher erstmals durch Minister Dr. Wörner auf eine solide Soldatentradition. Basis gestellt, (Zuruf des Abg. Jungmann [SPD]) (Jungmann [SPD]: Keiner kennt sie!) Sie vermag dem Verteidigungsgedanken im Sinn der nationalen Selbstbehauptung neuen Auftrieb zu die bis in die 90er Jahre reicht und eine kampfkräf- geben. tige und hochmoderne Bundeswehr sichert. (Zuruf des Abg. Jungmann [SPD]) (Zuruf des Abg. Mann [GRÜNE]) Ein solcher Übergang zur Verteidigung für das Zweitens. Verstärkte Mittel für wehrtechnische dritte Jahrtausend sollte auch uns Deutsche faszi- Forschung gemäß dem Forschungs- und Technolo- nieren. Sie stünde in vollem Einklang mit den histo- giekonzept des Verteidigungsministers sichern rischen Leistungen deutscher Weltraumforscher. wichtige Schlüsseltechnologien, die ein Einfrieren Gerade die Kombination technischer und morali- oder Veralten scher Impulse ist darüber hinaus ein Zeichen deut- (Zuruf des Abg. Mann [GRÜNE]) scher Kulturtradition. Kultur, Tradition und Vertei- der konventionellen Ausrüstung verhindern. Vor al- digung müssen wieder als Einheit verstanden wer- lem aber könnte die Beteiligung an dem amerika- den. nischen Programm für Weltraumverteidigung ei- (Ströbele [GRÜNE]: Das ist Militarismus!) nen wehrtechnischen Effekt entfalten. Dieses Pro- Nur so wird vermieden, daß Verteidigung als lästige jekt vermag Pionierleistungen zu mobilisieren. In Pflicht oder Hindernis auf dem Marsch in kollek- den USA beteiligen sich bereits mehr als 800 Fir- tive Wehrlosigkeit begriffen wird. men an diesem zukunftsorientierten, technisch wie (Ströbele [GRÜNE]: Also wieder in den Mi moralisch motivierten Verteidigungsprojekt. litarismus!) (Ströbele [GRÜNE]: Die haben schon im Sie muß — und das ist der Kern der Verteidi- mer gut am Krieg verdient!) gungspolitik der Union — die Säule der traditionel- Verteidigungsminister Hernu hat eine Art General- len und gesicherten Friedenspolitik bleiben, stab für Weltraumverteidigung geschaffen. (Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD]) (Ströbele [GRÜNE]: Das müssen wir die erst eine Verständigung mit der UdSSR und den auch!) Staaten des Warschauer Pakts ermöglicht. Wenn wir uns immer auf unsere französischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Nachbarn beziehen, ist das mit Sicherheit für uns Horn [SPD]: Willy, wer hat dir denn die ein Indiz, daß der Übergang zu einer Verteidigungs- Rede gemacht?) strategie ins dritte Jahrtausend auch von uns zu- mindest bedacht werden muß. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr (Ströbele [GRÜNE]: Können wir uns nicht Abgeordnete Dr. von Bülow. vorher entscheiden?) Dies ist der einzige und der eigentliche erkennbare Dr. von Bülow (SPD): Herr Präsident! Meine sehr qualitative Sprung in der Verteidigung. verehrten Damen und Herren! Die Union und der Ich fasse zusammen. Für uns Deutsche gilt es Verteidigungsminister führen der deutschen Of- Schluß zu machen mit kleinlicher Kritik an der fentlichkeit einmal mehr die nahezu makellose gegenwärtigen Verteidigungsstruktur, Qualität der westlichen Verteidigungsstrategie vor und versuchen jeden, der über Alternativen nach- (Ströbele [GRÜNE]: Lieber der große Wurf denkt oder zu Alternativen hin drängt, als Sicher- wie 1939!) heitsbankrotteur, Landesverräter oder nützlichen mit mangelhafter Zuversicht oder krampfhafter Su- Idioten Moskaus vorzuführen. che nach Alternativen.. (Wilz [CDU/CSU]: Nur den, der das de (Zustimmung bei der CDU/CSU) struktiv tut!) Nun hat sich der amerikanische Präsident unter Stetiger Ausbau und kluge Anpassung unserer in die Kritiker der „flexible response" gesellt. Er hat 30 Jahren gewachsenen Verteidigungsstruktur an - die Abschreckung durch Massenvernichtungswaf- moderne Rahmenbedingungen muß die Leitidee fen als moralisch verwerflich gegeißelt. So weit ist sein. Jedes unruhige Streben nach alternativen An- die deutsche Sozialdemokratie übrigens nie gegan- sätzen diskreditiert im übrigen militärische Tradi- gen. Spätestens seit der amerikanische Präsident tion. den Schleier vom Heiligtum der westlichen Strate- (Ströbele [GRÜNE]: Immer weiter rüsten!) gie gezogen hat, wird doch auch von Ihnen, meine Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10631

Dr. von Bülow Damen und Herren von der Union, das Nachdenken Wir tun auf beiden Seiten so, als müßten wir binnen über die Fortentwicklung der Strategie des Bünd- Stunden in der Lage sein, uns mit konventionellen, nisses nicht nur erlaubt, sondern auch verlangt. atomaren oder chemischen Waffen überziehen zu können. Dabei sagen beide Seiten seit Jahrzehnten, (Mann [GRÜNE]: Selbst Herr Dregger ar daß sie einen Krieg in Europa nahezu um jeden gumentiert moralisch!) Preis vermeiden wollen. Auch die östliche Seite will keinen Krieg. Selbst Herr Wörner hat das heute Also lassen Sie uns doch möglichst gemeinsam die bestätigt. Niemand unterstellt der Sowjetunion für Schwachpunkte erkennen und abstellen. Oder wol- die vor uns liegende Zeit ernsthaft Angriffsabsich- len Sie in Amerika denken lassen und dann SDI ten. übernehmen? Warum dann aber um alles in der Welt ist es nicht Man kann die Antworten zu SDI aus der reinen möglich, den Frieden in Europa so zu organisieren, Logik und aus den Fakten, wie sie heute in der ame- daß beide Seiten voreinander nicht mehr Angst ha- rikanischen Diskussion auf dem Tisch liegen, her- ben müssen? Warum können denn nicht Teile der ausfinden. Man muß nicht warten, bis Forschungs- Massenheere auf beiden Seiten im Umfang zurück- ergebnisse bestätigen, daß das Ganze ein technolo- geführt werden? Warum können wir nicht erhebli- gischer Wahn war. che Teile der Waffen, insbesondere der Nuklear- waffen auf ein Mindestmaß zurückführen? Wenn der Oberbefehlshaber der NATO, General Rogers, den Verbündeten und damit auch dem letz- (Zuruf von der CDU/CSU: Das liegt nicht ten Wehrpflichtigen der Bundeswehr erklärt, er sei an uns!) im Fall eines konventionellen Angriffs der War- — Sie sind erneut ein Beispiel für die selbstge- schauer-Pakt-Armeen nach spätestens vier Tagen rechte Verhaltensweise auf beiden Seiten. — Liegt gezwungen, als erster Nuklearwaffen einzusetzen, es nicht auch in unserem Interesse, die Pulverfäs- um der östlichen Übermacht Herr zu werden, dann ser in Europa beiderseits der Blockgrenzen beiseite kommt das schon in die Nähe einer Bankrotterklä- zu räumen, bevor Auseinandersetzungen in ande- rung der westlichen Verteidigungsbemühungen. ren Teilen der Welt auf Europa übergreifen und die 70 % aller Amerikaner lehnen dabei nach Mei- Waffenlager in Bewegung oder in Brand setzen? nungsumfragen im Falle eines Krieges den Einsatz von Nuklearwaffen ab. Ähnliche Prozentsätze fin- Nun behaupten beide Seiten — die Debatte heute den sich in Frankreich und auch in der Bundesre- war wieder ein schlagender Beweis dafür — von publik. Selbst in der Bundeswehr sind weit über die sich in geradezu rührender Einfalt und mit sekten- Hälfte des Unteroffizierskorps und 35 % des Offi- hafter Gläubigkeit, zierskorps der Auffassung, daß der Einsatz von Atomwaffen im Kriegsfall nicht oder gar unter kei- (Sehr gut! bei den GRÜNEN) nen Umständen zu rechtfertigen sei. Sie sehen also, ihre militärischen Anstrengungen dienten aus- daß die Vertrauenslücke der westlichen Strategie in schließlich dem Frieden, und man sei sofort zur Ab- der Bevölkerung und in den Streitkräften beacht- rüstung bereit, wenn nur der jeweils andere von sei- lich ist. Es hat keinen Sinn, das unter den Tisch zu nem bösen Tun abließe. Kann es aber nicht doch kehren. sein — so müssen wir uns gemeinsam fragen —, Vier Tage Widerstandsfähigkeit wären, wenn es daß es auch die Strategien beider Seiten sind, die denn stimmte — ich bin der Meinung, es stimmt für Friedlosigkeit, für Unruhe sorgen? nicht —, ein geradezu groteskes Ergebnis westli- (Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!) cher Verteidigungsbemühungen von mehreren Bei der östlichen Seite ist das sicher das Fall. Wer Jahrzehnten. Dabei sind in der NATO alle wichti- sich wie die Sowjetunion auf Grund noch so berech- gen Industriestaaten des Westens militärisch ver- tigter geschichtlicher Erfahrungen nicht wieder im bündet. Dieses Bündnis hat nahezu die doppelte Be- eigenen Land verteidigen will, sondern nach einem völkerungszahl und die vier- bis siebenfache wirt- Angriff in der Lage sein will, den Kampf sofort auf schaftliche Leistungskraft im Rücken. Selbst an gegnerisches Gelände zu tragen, der ist geradezu Soldaten ist die NATO dem Warschauer-Pakt über- gezwungen, unstabile, auch zum Angriff geeignete legen oder nahezu gleich. Dennoch soll das Bündnis Strukturen zu schaffen. Der Westen seinerseits hat nicht in der Lage sein, dem für möglich erachteten auf eine der sowjetischen vergleichbare Vorwärts- Ansturm von Sowjets, unterstützt von Polen, Deut- verteidigung verzichtet, wenn auch die Air/Land- schen, Tschechen, Slowaken und Ungarn, nach Battle-Pläne des amerikanischen Heeres eine an- Westeuropa länger als vier Tage konventionell dere Sprache sprechen. Die NATO beschränkt sich standhalten zu können. auf eine Verteidigung entlang der innerdeutschen Wir haben nun schon seit vier Jahrzehnten Frie- Grenze. Schaut man allerdings auf die Strukturen, den in Europa; eher zu beschreiben mit einer Art mit denen diese Verteidigung ins Werk gesetzt wer- den soll, dann kann man erkennen, daß auch hier Waffenstillstand. Beide Seiten stehen sich hochge- - rüstet gegenüber. Es gibt keinen Erdteil in der Welt, Gefahren der Instabilität ruhen. in dem sich mitten in dichtest besiedeltem Land Es ist kein Geheimnis, daß sich Soldaten wie eine solche Ansammlung tödlicher Waffen befin- auch Politiker auf die Erfahrungen der letzten det. Kriege berufen und sich auf künftige Auseinander- (Sehr richtig! bei den GRÜNEN) setzungen entsprechend vorbereiten. Der Westen 10632 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. von Bülow wie der Osten hat zur Verteidigung der Blockgren- bei „operations research"-Studien in computerisier- zen auf Strukturen zurückgegriffen, die sich im ten Gefechtsabläufen, wie sie in der Münchener Zweiten Weltkrieg bewährt haben. Es sind dies im Bundeswehrhochschule vorgenommen worden konventionellen Bereich mechanisierte, hochbe- sind, als der heutigen Bundeswehrstruktur in der wegliche, auf den Panzer als Hauptwaffensystem Verteidigung überlegen. gestützte präsente Truppen. Daher die riesigen Von daher liegt es nahe, die Bundeswehrstruktur Panzerzahlen des Ostens. Aber auch die Bundes- nach Personal und Bewaffnung über die Jahrzehnte wehr mausert sich unter der Parole, die beste Waffe in diese Richtung weiterzuentwickeln. Dabei sollte gegen Panzer sei wiederum der Panzer, zur dritt- es unser Ziel sein, einem angreifenden Gegner größten Panzerarmee der Welt. durch die starke Auflockerung der Verteidigung (Mann [GRÜNE]: Hört! Hört!) keine lohnenden atomaren Ziele zu bieten, aber auch den Einsatz der gegnerischen Luftwaffe so- Nun sind diese panzerbetonten Strukturen ur- weit wie möglich gegenstandslos zu machen. Unser sprünglich, vor dem Zweiten Weltkrieg, j a nicht zu Prinzip sollte dabei sein, einem Gegner keinerlei Verteidigungszwecken geschaffen worden. Viel- Vorteile für einen Erstschlag einzuräumen. Wer an- mehr waren sie Kern der Angriffsverbände, mit de- greift, muß Kraft verlieren. Wer angegriffen wird, nen die deutsche Wehrmacht Frankreich binnen sollte durch Schwächung des Angreifers im Ver- weniger Tage — bei einem Gleichstand der Kräfte hältnis stärker werden. Wer sich allerdings zur Be- übrigens — überrannte und mit denen sie die So- sogenannten zweiten strategischen wjetunion — trotz beachtlicher Unterlegenheit — in kämpfung der Waffen verschafft, die dem Gegner die Füh- eine nahezu tödliche Situation bringen konnte. Um- Staffel rungsfähigkeit in einem Schlag nehmen können, gekehrt waren es die Strukturen der Roten Armee, der verführt diesen Gegner geradezu zum zuvor- die heute auch noch vorherrschend sind, die den kommenden Erstschlag. Wir brauchen eine Strate- Erfolg beim Hinauswerfen der Eindringlinge brach- gie und Strukturen, die in Krisenzeiten stabilisie- ten und den Vorstoß in das Herz Europas ermög- rend wirken können und nicht umgekehrt. lichten. Kann man eigentlich mit einer Verteidigung, die In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu ihren Schwerpunkt auf derartige, für Angriff wie stellen, ob es der Weisheit letzter Schluß ist, daß die Verteidigung gleichermaßen gut geeignete Ver- NATO-Doktrin im Falle eines Angriffs anstrebt, im bände legt, Sicherheitsgefühle auf beiden Seiten Gegenschlag sofort die gegnerischen Flugplätze zu der Blockgrenzen erzeugen, wenn es guter Technik, vernichten. Die Fähigkeit hierzu haben ganz offen- hervorragender Führung und opferbereiten Mann- sichtlich beide Seiten. Wer zuerst zuschlägt, „kas- schaften gelingen kann, den Gegner selbst bei ei- siert" die gegnerische Kampffähigkeit in der Luft. nem Kräfteverhältnis von 1 : 1 erfolgreich zu über- Also wieder die Prämie auf den Erstschlag! Könn- fallen, wenn man durch Ausnutzung von Überra- ten wir uns zu Strukturen entschließen, dié der geg- schung, Schock und blitzartigem Operieren im Hin- nerischen Luftwaffe weniger lohnenswerte Ziele terland die Verteidigung lähmen und außer Kraft am Boden bieten, die es ermöglichen, die Luftab- setzen kann? Ich persönlich bin fest davon über- wehrfähigkeit nach schwedischem Vorbild auszu- zeugt, daß der Frieden in Europa nicht dauerhaft bauen, wenn wir nach Techniken Ausschau hielten, organisiert werden kann, wenn wir nicht zu neuen die gegnerische Flugzeuge in größere Höhen zwin- Strukturen, zu neuen Vorstellungen aufbrechen. In- gen, in denen moderne Abwehrraketen greifen, sofern schulden wir Männern wie Afheldt, Löser, dann würde jedem Angreifer das Risiko äußerst ho- Füreder und anderen großen Dank, daß sie mit un- her Abnutzungsraten aufgezwungen. Wer angreift, geheurer Beharrlichkeit nachgedacht und nach Lö- verliert in kürzester Zeit seine Einsatzmittel. sungen gesucht haben. Man braucht ihre Konzepte Alle diese Überlegungen, die hier nur skizzenhaft nicht zu übernehmen, aber die Überlegungen, die vorgetragen werden können, haben zweierlei zum Gedankenbahnen, in denen sie nach Lösungen su- Ziel: Sie sollen einerseits die Sicherheit unseres chen, könnten durchaus Pate stehen. Landes im Bündnis zu jeder Zeit absichern; sie sol- (Beifall bei der SPD) len aber auch andererseits Wege der militärischen Entspannung in Europa trassieren helfen. Die jetzi- Ich glaube, wir sollten uns auch nicht zu vornehm gen Strategien in Ost und West sind nicht abrü- sein, uns bei unseren Nachbarn, den Schweden und stungsfreundlich. Beide Seiten schielen — mit oder den Schweizern, umzusehen, die ihre Streitkräfte ohne Atomwaffen — auf 100 %ige, ja möglichst seit Jahrzehnten in Richtung auf eine optimale 120 %ige sicherheitsredundante Strukturen. Das Verteidigungsfähigkeit beharrlich ausgebaut ha- Wettrüsten ist zwanghaft vorprogrammiert. Keiner ben. kann aussteigen, obgleich alle es eigentlich wollen. (Beifall bei der SPD) Wenn es das gemeinsame Vermächtnis aller eu- Diese Strukturen kennen den Panzer durchaus ropäischen Völker in Ost und West ist, sich nicht auch, weil nur er in der Lage ist, verlorengegange- mehr, und zwar unter gar keinen Umständen mehr, nes Territorium zurückzuerobern. Nur, der Schwer- mit Gewalt zu überziehen, dann ist Sicherheit nur punkt liegt dort — sehr viel mehr als bei der NATO noch partnerschaftlich und blockübergreifend zu und beim Warschauer Pakt — auf einer stationären, organisieren. durchaus infanteristischen Abwehrfähigkeit und weniger auf hochbeweglichen, gepanzerten Verbän- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten den. Und siehe da: Diese Strukturen erweisen sich der GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10633

Dr. von Bülow Im europäischen Interesse liegt es, auf beiden Europas eine zweite Runde der Ostpolitik ansteu- Seiten den größten Teil aller taktischen Nuklear- ern. waffen zu beseitigen. Im Ernstfall werden sie ent- Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. weder überrannt oder sofort eingesetzt. Sie sind ein destabilisierendes Element der westlichen und der (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten östlichen Strategie. Im übrigen sind sie militärisch der GRÜNEN) von äußerst zweifelhaftem Wert. (Jungmann [SPD]: Richtig!) Meine Damen und Her- Wir sollten mit den Staaten des Warschauer Vizepräsident Westphal: ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich Pakts ein umfassendes, vertraglich bindendes Ge- schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim- waltverzichtsabkommen schließen, das sowohl für mung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge. die Anwendung konventioneller als auch für die An- Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. wendung nuklearer Gewalt gilt. Wenn auf beides Scheer, Horn, Frau Fuchs (Verl) und weiterer Abge- verzichtet wird, dann kann in einem solchen Ab- ordneter der Fraktion der SPD auf Drucksache kommen auch der ausdrückliche Verzicht auf den 10/3108 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Ersteinsatz von Nuklearwaffen aufgenommen wer- Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dage- den; denn der Verzicht auf den konventionellen Ein- gen? — Enthaltungen? — Dann ist der Änderungs- satz ist Geschäftsgrundlage dieses Verzichts. antrag mit Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion (Zustimmung des Abg. Jungmann [SPD]) DIE GRÜNEN abgelehnt. Auch im konventionellen Bereich scheint mir der Wer dem Änderungsantrag des Abgeordneten Ansatz der blockübergreifenden Sicherheitspart- Vogt (Kaiserslautern) und der Fraktion DIE GRÜ- nerschaft Lösungsmöglichkeiten zu eröffnen, die NEN auf Drucksache 10/3474 zuzustimmen sonst nicht ins Blickfeld gelangten. wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Danke Wir müssen beiderseits und nach Möglichkeit in schön. Enthaltungen? — Dann ist der Änderungsan- Abstimmung miteinander zu eindeutig defensive- trag mit Mehrheit bei einer größeren Zahl von Ent- ren, d. h. zum wechselseitigen auch begrenzten haltungen abgelehnt. Überfall nicht mehr geeigneten Strukturen kom- men. „Non-provocative defense" nennen es die An- Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung gelsachsen, obgleich mir die Bezeichnung nicht kor- des Ausschusses auf Drucksache 10/3074 ab. Wer rekt erscheint. Weder der Osten hält seine Verteidi- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- gungsstrukturen für provokativ, noch halten wir die zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Die Beschluß- unsrigen für provokativ. empfehlung des Ausschusses ist angenommen. Dennoch liegt hier der Schlüssel für eine Jahr- Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf: zehnte währende Veränderung der europäischen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Verhältnisse. Was wir erreichen müssen, ist, daß desregierung eingebrachten Entwurfs eines Westeuropa wie Osteuropa wieder ein Mehr an Sou- Gesetzes zur Verbesserung der Personal- veränität über die eigenen Geschicke erhalten. Dies struktur in den Streitkräften (PersStruktG ist nur dann möglich, wenn sich beide Seiten aus — Streitkräfte) der für den jeweils anderen als bedrohlich erschei- — Drucksache 10/2887 — nenden Speerspitzenposition herausbegeben. Das wiederum kann man nur, wenn man auf beiden Sei- a) Beschlußempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses (12. Ausschuß) ten umbaut. Der Trend muß hingehen zu statische- ren, für den Bewegungskrieg nicht geeigneten Ver- — Drucksache 10/3439 — Berichterstatter: teidigungsstrukturen. Dann kann man sich in Ost Abgeordnete Wilz und West auch bei unterschiedlichen Gesellschafts- Jungmann ordnungen sicherer fühlen als heute. Dann könnten Kräfte frei werden, die auf sinnvolle Veränderun- b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- gen in Osteuropa gerichtet sind und die heute noch schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung unter der allumfassenden Sicherheitsangst immer — Drucksache 10/3469 — wieder unterdrückt werden. Berichterstatter: Abgeordnete Löher Insofern kann eine in diesem Sinne weiterent- Dr. Weng (Gerlingen) wickelte Strategie Chancen eröffnen, die über die Frau Traupe Sicherheitspolitik im engeren Sinn weit hinausfüh- Kleinert (Marburg) ren. (Erste Beratung 126. Sitzung) Natürlich ist hiervon nur ein kleinerer Teil allein im bundesrepublikanischen Rahmen durchzuset- Hierzu liegt auf Drucksache 10/3461 ein Ent- zen. Unsere Bündnispartner müssen in dieser Rich- schließungsantrag des Abgeordneten Suhr und der tung mitziehen. Aber auch auf die Osteuropäer wird Fraktion DIE GRÜNEN vor. es entscheidend ankommen. Sicherheits- und Ent- Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- spannungspolitik bis hin zur Rüstungskontroll- und rung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Mi- Außenpolitik könnten neuen Auftrieb erhalten. nuten vorgesehen. — Kein Widerspruch. Dann ist Auch aus diesen Gründen müssen wir im Interesse das so beschlossen. 10634 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vizepräsident Westphal Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Daß das Problem des Verwendungsstaus drin- — Das ist nicht der Fall. gend gelöst werden muß, ist also im Grunde genom- Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das men selbstverständlich. Wort hat der Abgeordnete Wilz. (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU) Wilz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen Solange Sie, meine Damen und Herren von der und Herren! CDU/CSU und FDP sind fest entschlos- SPD, in der Regierungsverantwortung standen, war sen, den uns als Erblast von der SPD hinterlasse- das für Sie ebenfalls selbstverständlich. Es waren nen Verwendungsstau in der Bundeswehr zu lösen. die von Ihnen gestellten Verteidigungsminister, die Ich wiederhole noch einmal die entscheidenden seit 1970 von Weißbuch zu Weißbuch jedesmal wie- Gründe, die uns zum Handeln zwingen. der klar und deutlich feststellten, daß der Verwen- Personalkegel entfalten Wellenbewegungen. Wo dungsstau immer stärker auf die Bundeswehr zu- Berge sind, da folgen Täler. Behalten wir den Ver- kommt und dringend gelöst werden muß. Daß Sie wendungsstau, so werden wir in den 90er Jahren es bei dieser Feststellung bewenden ließen und im ein Personalloch haben. Die dann wegen der gebur- übrigen die Hände falteten, ist eigentlich gar nicht tenschwachen Jahrgänge fehlenden, aber dringend so überraschend; unangenehme Gesetzentwürfe ha- benötigten Offiziere können jetzt nicht in den ben Sie im Grunde immer gern auf die lange Bank Dienst übernommen werden, weil die vorhandenen geschoben. Planstellen blockiert sind. Schon deshalb muß der Daß Sie dann, kaum hatten wir die Regierungs- Verwendungsstau gelöst werden. verantwortung übernommen, eine rasche Lösung Der zweite Grund ist bundeswehrspezifisch. Ver- genau der Probleme forderten, wendungswechsel und Versetzungen sind ein be- (Zurufe von der SPD: Erblast!) sonderes Kennzeichen des Offiziersberufs. Ein Offi- bei denen Sie selbst die Hände in den Schoß gelegt zier, der nicht verschiedene Funktionen und Trup- hatten, penteile kennt, ist wie ein Reiter ohne Pferd. Die Schlagkraft einer Armee steht und fällt mit der Be- (Zurufe von der SPD: Erblast!) weglichkeit ihres Führerkorps und der Einheitlich- mag man noch als legitimen politischen Opportu- keit ihrer Führung. Für beides ist eine umfassende nismus ansehen. Verwendungsbreite erforderlich; denn nur bei re- gelmäßig wechselnden Verwendungen, bei ständig neuen Aufgaben und Anforderungen bleibt der ein- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- zelne beweglich. Und nur wo möglichst viele mit statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Führungsaufgaben betraute Offiziere möglichst Klejdzinski? viele Teile des Ganzen kennen, entsteht einheitli- che Führung. Drittens: Der Verwendungsstau bringt es mit Wilz (CDU/CSU): Herr Präsident, ich möchte aus sich, daß Kompaniechefs und Kommandeure der Zeitgründen meinen Vortrag fortsetzen. Bundeswehr heute mit Abstand die ältesten in der (Zustimmung bei der CDU/CSU) NATO sind. Das ist deshalb so brisant, weil das Lebensalter in militärischen Verwendungen eine Wenn Sie sich aber nun, da wir dabei sind, die unvergleichlich viel größere Rolle spielt als in je- Probleme zu lösen, zu Lasten und auf dem Rücken dem anderen Beruf; denn, meine Damen und Her- derjenigen verweigern, die auch Ihnen Frieden und ren, wie steht denn ein Kompaniechef da, der härte- Freiheit garantieren, ste Anforderungen an seine Soldaten bei der Aus- bildung stellt, aber selbst nicht mehr in der Lage ist, (Sehr gut! bei der CDU/CSU) diese zu erfüllen? halte ich das nicht nur für unverantwortlich, son- (Ströbele [GRÜNE]: Wie ist das bei der dern dann meine ich, meine Damen und Herren: Feuerwehr?) Das degradiert Politik zum reinen Spektakel. Der Einsatz im Gelände, auf See und in der Luft — (Beifall bei der CDU/CSU) hören Sie gut zu — fordert schnelles Reaktionsver- Sozialdemokratische Politik hat in zwölf Jahren mögen, energisches Handeln und höchste körperli- Regierungsverantwortung viele Erklärungen und che Verwendungsfähigkeit. viele Solidaritätsbekundungen gebracht, aber was (Jungmann [SPD]: Das geht Ihnen ab!) ist denn geschehen? Da war nicht mehr als die Dies gilt heute so wie früher. Weißbuch-Geschenkaktion. Der frühere Verteidi- Meine Damen und Herren, bei allen Mißverständ- gungsminister Schmidt hat mit ihr zwar Wünsche nissen, die das Beispiel hervorrufen mag: Hannibal erfüllt und Hoffnungen geweckt; gelöst hat er je- war 28, als er als Feldherr die Alpen überquerte. doch nichts. Die Weißbuchaktion hat den Verwen- dungsstau nur verschärft; wohl deshalb gab man (Dr. Klejdzinski [SPD]: Wie alt ist der - ihr den Namen „Aktion Sonnenschein". Unsere Re- Wilz?) gierung und die CDU/CSU wollen keine „Aktion — Der Wilz ist 42. Sonnenschein", keine Kosmetik. Wir wollen eine Heute sind sogar schon viele der Kompaniechefs grundlegende Lösung des Problems. über 40 Jahre alt. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10635

Wilz Unser Kanzler hat sich des Problems deshalb Meine Damen und Herren, dies stellt die Tatsachen frühzeitig selbst angenommen. auf den Kopf. Mit einem Geschenk mache ich je- (Ströbele [GRÜNE]: Ist der nicht auch mandem eine Freude. schon zu alt?) (Ströbele [GRÜNE]: Der Wörner hat's Schon ein Jahr nach seiner Erklärung von Trave- nötig!) münde löst er das den Kommandeuren gegebene Ich erwarte nichts von dem Beschenkten. Wir aber Wort ein. Dafür schulden wir und dem erwarten im Interesse der Verteidigungsfähigkeit Verteidigungsminister unseren besonderen Dank. der Bundesrepublik, daß möglichst viele Offiziere (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord von der vorgeschlagenen Lösung Gebrauch ma- neten der FDP — Zuruf von der SPD: Was chen. kostet denn der Spaß?) Haben Sie eigentlich einmal überlegt, was das für Wir, CDU/CSU und FDP, haben uns die Lösung viele der Betroffenen tatsächlich bedeutet? Haben nicht leichtgemacht. Der Kabinettsentwurf ist in Sie daran gedacht, daß ihre Kinder in der kostenin- den Ausschüssen und in der Öffentlichkeit ausführ- tensivsten Phase der Ausbildung stehen, daß sie lich diskutiert worden. Wir haben uns bemüht, ihren erwählten Beruf aufgeben sollen, daß sie auf sämtliche vorgeschlagenen und möglichen Lösun- einen unkündbaren Arbeitsplatz verzichten, daß sie gen unter allen nur denkbaren Gesichtspunkten ge- eine Einbuße von 30 % ihres Gehalts in Kauf neh- nauestens zu beleuchten und zu prüfen. Nach Ab- men und daß die geringere Pension einen Verzicht wägung aller Vor- und Nachteile haben wir den auf bis zu 240 000 DM bedeutet? neuen, verbesserten Gesetzentwurf vorgelegt. Der Schritt, den wir erwarten, kostet Mut. Wer Die Reduzierung von 1 500 auf 1200 mögliche ihn wagt, dem schulden wir Respekt, der hat unse- Zurruhesetzungen verringert die Kosten des Geset- ren Dank verdient und nicht unsere Mißgunst. zes um 92 auf 560 Millionen DM. Parallel zu dem (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Gesetz sollen 50 Offiziere die Möglichkeit erhalten, der SPD und den GRÜNEN) in die Verwaltung des Bundes übernommen zu wer- den. Außerdem ist vorgesehen, 250 zusätzliche, auf Meine Damen und Herren von der Opposition, sechs Jahre befristete Planstellen in der Bundes- kommen Sie mir bitte nicht mit dem Märchen von wehr zu schaffen. Zusammengenommen erreichen der Arbeitsmarktbelastung. wir mit diesen Maßnahmen dieselbe Zahl von 6 000 (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) erforderlichen Verwendungswechseln, die auch der Regierungsentwurf anstrebte. Festzustellen ist doch folgendes: Erstens. Es handelt sich lediglich um durch- schnittlich 200 Offiziere im Jahr. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zweitens. Es ist nicht anzunehmen, daß sie Tätig- Mann, oder gilt Ihre Ablehnung für die ganze keiten übernehmen, in denen sie in Konkurrenz zu Rede? Arbeitslosen treten. Drittens. Für jeden Offizier, der vorzeitig in den Ruhestand tritt, wird ein junger Offiziersanwärter Wilz (CDU/CSU): Ich empfehle den GRÜNEN, den Lernprozeß fortzusetzen und zuzuhören. eingestellt. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord Der Arbeitsmarkt wird also nicht belastet, son- neten der FDP — Mann [GRÜNE]: Aber dern in Wahrheit entlastet. nur, wenn Sie mich fragen lassen, Herr (Lutz [SPD]: Wie kann man so einen Un Wilz!) sinn erzählen!) Die Übernahme von Offizieren in die Verwaltung Die Laufbahngruppen der Offiziere des militär- ist das billigste Mittel zum Abbau des Verwen- fachlichen Dienstes und der Berufsunteroffiziere dungsstaus. Wenn sie nur für 50 Offiziere vorgese- sind nicht in das Personalstrukturgesetz einbezo- hen ist, so liegt das daran, daß nicht mehr Übernah- gen worden. Das liegt daran, daß es sich um ein memöglichkeiten bestehen; denn die Übernahme andersartiges Problem handelt. setzt Laufbahnbefähigung und Freiwilligkeit vor- (Dr. Klejdzinski [SPD]: Aber das glauben aus. Sie doch wohl selber nicht!) Die 250 zusätzlichen Planstellen mit kw-Vermerk tragen der Tatsache Rechnung, daß der Bundes- Die Stehzeiten der Feldwebel und der Offiziere wehr ab 1987 zusätzliche Aufgaben im Bereich der MFD in den einzelnen Verwendungen sind grund- Ausbildung und Betreuung von Reservisten zufal- sätzlich wesentlich länger. Außerdem würden sich len. vorzeitige Zurruhesetzungen hier strukturell eher nachteilig auswirken; denn die ungünstige Alters- Gesetzentwurf und Begleitmaßnahmen stellen - struktur in diesen Laufbahngruppen wird bereits daher insgesamt die beste, angemessenste und ko- ab 1987 durch vermehrte natürliche Zurruhesetzun- stengünstigste Lösung des Verwendungsstaus dar. gen abgebaut. Hier können nur eine Strukturum- Dennoch fiel das Wort vom Geschenk an das Offi- wandlung und zusätzliche Planstellen helfen. zierskorps. (Dr. Klejdzinski [SPD]: Seien Sie vor (Ströbele [GRÜNE]: Genau!) sichtig!) 10636 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Wilz Der Verwendungsstau bei den Fachoffizieren ist zeitung der deutschen Bundeswehr zu Ihrer Rede nämlich vor allem auf ein deutliches Mißverhältnis zu lesen stand: „Nichts als Polemik", hatte ich ge- von Leutnant -- und Oberleutnant — zu Haupt- dacht, Sie hätten etwas dazugelernt und hätten uns manndienstposten zurückzuführen. heute hier etwas Besseres geboten als das, was Sie Durch Umwandlung schaffen wir 179 zusätzliche in der ersten Lesung geboten haben. Ihre Erblast- Planstellen für Hauptleute und 613 neue Stellen für theorie ist ja hinlänglich bekannt; auf sie fällt nie- Feldwebeldienstgrade. So wie ich es in der ersten mand mehr herein. Lesung des Gesetzentwurfs erbeten habe, werden (Würzbach [CDU/CSU]: Aber sie stimmt!) diese noch schneller als ursprünglich geplant zur Verfügung gestellt. Und Hannibal war ja wohl ein Beispiel, das die Pro- blematik, die Sie ansprechen wollten, überhaupt Darüber hinaus wurden bereits in den Haushalts- nicht getroffen hat. jahren 1983 bis 1985 290 zusätzliche Stellen für Hauptleute und 300 für Feldwebeldienstgrade be- (Beifall bei der SPD) willigt. Das Problem des Verwendungs- und Beförde- Mit diesen Maßnahmen bauen wir den Verwen- rungsstaus ist dem Deutschen Bundestag, aber dungsstau in beiden Laufbahngruppen bereits zu auch der deutschen Öffentlichkeit hinlänglich be- einem Zeitpunkt ab, in dem die Lösung für die kannt. Wir wissen, daß es nicht nur deshalb in der Truppenoffiziere noch in der Vorbereitungsphase deutschen Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, weil steckt. die Opposition zu der vorgesehenen Maßnahme Die Bundesregierung hat also bewiesen, daß sie nein sagt, sondern die Kontroversen innerhalb der alle erkannten Hindernisse zügig und tatkräftig be- Koalition, die Kritik aus der CSU und der christlich- seitigt. demokratischen Arbeitnehmerschaft bis zur Andro- hung der Klage beim Verfassungsgericht sowie die (Dr. Klejdzinski [SPD]: Paßt das auch strikte Ablehnung durch die Bayerische Staatsre- Franz Josef Strauß?) gierung -- ich wiederhole: die bayerische, also — Auch dem paßt das. keine SPD-Regierung — haben die öffentliche Auf- Demgegenüber finde ich es bezeichnend, wie Sie merksamkeit erweckt. Es geht hier letztlich einmal meine Damen und Herren von der Opposition, sich mehr um Anspruch und Wirklichkeit der Politik einer positiven Mitarbeit im Verteidigungsaus- dieser Bundesregierung. schuß entzogen haben. Die GRÜNEN blieben der (Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!) Abstimmung fern. Sie haben sich total verweigert. Dieser Gesetzentwurf ist erneut ein Testfall für Die SPD stimmte geschlossen mit Nein. Das, was Ihr Verständnis für Sie in letzter Minute mit heißer Nadel als angebli- soziale Gerechtigkeit. chen Alternativvorschlag gestrickt haben, ist aller- (Mann [GRÜNE]: So ist es!) dings bloße Augenwischerei. Sonst sind Sie es doch, Der bayerische Ministerpräsident hat das eher er- die der Truppenreduzierung immer das Wort reden. kannt, als die Bundesregierung es wahrhaben will, Jetzt wollen Sie eine noch viel teurere Lösung. Wir und er hat es deutlich genug gesagt. Offenbar müs- wissen jedoch: In der SPD trägt man Tarnkappe auf sen aber erst Wahlniederlagen „errungen" werden, Wählerfang. Die kann man wechseln. Bei den GRÜ- bevor soziale Akzeptanz als ein Maßstab für politi- NEN trägt man Scheuklappen. Die verstellen hoff- sche Entscheidungen die ser Regierung anerkannt nungslos den Blick. wird.

Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ich 1 500 war die magische Zahl, die der Verteidi- muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. gungsminister dem Bundestag und dem Bundesrat als unverzichtbar für die Überwindung des Verwen- dungsstaus in der Bundeswehr genannt hat. Auf Wilz (CDU/CSU): Ich komme zum Schluß. Ich for- dere Sie auf: Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu; Druck aus den eigenen Reihen hat Herr Wörner, für denn die Lösung des Verwendungsstaus ist für die den ja mit diesem Gesetz persönlich einiges auf Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte und damit dem Spiel steht, kurzerhand 300 Frühpensionierun- für die Sicherheit unseres Landes zwingend not- gen gestrichen. In der Presse wurde das häufig als wendig. Kompromiß dargestellt, aber ändert diese Zahlen- korrektur etwas an dem Grundgedanken des Wör- Aus unserer Verantwortung für Frieden in Frei- ner-Plans, der in den Kernpunkten nach wie vor heit plädiere ich deshalb für ein klares Ja zum Per- auf Kritik stößt? Denn diese marginale Änderung sonalstrukturgesetz. kann die Auswirkungen dieses Gesetzes nicht ver- Ich danke Ihnen. hindern, sollte es tatsächlich zur Verabschiedung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) im Bundestag und im Bundesrat kommen. Sie be- antwortet auch nicht die drängenden Fragen, die Sie, Herr Wörner, sich weiterhin stellen lassen müs- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- sen, z. B. aus der Bundeswehr. ordnete Jungmann. Was sagen Sie, Herr Wörner, eigentlich den Offi- zieren des militärfachlichen Dienstes und den Be- Jungmann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen rufsunteroffizieren? Mit der Antwort, die der Kol- und Herren! Herr Kollege Wilz, nachdem in der Kri- lege Wilz hier gegeben hat, können Sie die hier tik der Debatte zur ersten Lesung in der Verbands- nicht abspeisen. Denn 1987 ist das Problem nicht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10637

Jungmann gelöst, sondern auch hier setzt sich die verschobene Sie wissen genau, daß Sie unter diesen Prämissen Altersstruktur bis in die Mitte der 90er Jahre fort. Ihre Personalstruktur der 90er Jahre nicht durch- setzen können. (Zuruf des Abg. Biehle [CDU/CSU]) Und ob Sie die Planstellen, die hier angekündigt Viel gravierender ist aber, daß Sie dem Parla- worden sind, vom Innenminister und vom Finanz- ment eine Bundeswehrkonzeption bis heute schul- minister bewilligt bekommen, wissen wir ja noch dig geblieben sind. Auch das Weißbuch 1985, das nicht. sich ja in erster Linie mit den sozialen Problemen und mit der sozialen Lage der Streitkräfte beschäf- Was sagen Sie eigentlich den jungen Wehrpflich- tigen sollte, wird diesem Anspruch überhaupt nicht tigen, Herr Wörner, die vor und nach ihrer Bundes- gerecht. Die SPD fordert nach wie vor, daß das Pro- wehrzeit arbeitslos sind und keine Perspektive für blem der Altersstruktur im Zusammenhang mit ei- ihre berufliche Zukunft sehen? ner Gesamtkonzeption für die Personalstruktur der Die von Ihnen beschworene Einsatzfähigkeit der Streitkräfte in den 90er Jahren gelöst wird. Bundeswehr, Herr Wörner, hat nicht nur mit dem Sie haben auf die Vorschläge der SPD nur mit körperlichen Alter der Offiziere, sondern sehr viel dem Hinweis reagiert, daß dies alles zu teuer wäre. auch mit der inneren Motivation der Wehrpflichti- Sie haben auf die Vorschläge des SPD-regierten gen und aller anderen Soldaten zu tun. Landes Hamburg überhaupt nicht reagiert. Hier (Würzbach [CDU/CSU]: Wie sah denn Ihr stehen noch eindeutige Aussagen aus. Sie können Gesetzentwurf aus?) also nicht darauf verweisen, daß wir keine Vor- schläge gemacht haben, Herr Kollege Wilz. Was Sie, Wie wollen Sie, Herr Wörner, Ihren Plan den Zeit- Herr Minister, statt dessen machen, muß doch für verständlich machen, die nach ihrem Aus- soldaten viele wie ein Bonbon für eine privilegierte Gruppe scheiden aus der Bundeswehr arbeitslos sind und aussehen. Es gibt keinerlei Hoffnung für die Lö- keine Arbeitslosenversicherung bekommen? Das ist sung all der anderen Probleme der Menschen in jährlich eine große Zahl von Zeitsoldaten, die in diesem Lande. eine ungewisse Zukunft aus der Bundeswehr ent- lassen werden. Sie müssen damit rechnen, daß Ihnen dieses Vor- Wie wollen Sie diesen Zeitsoldaten erklären, daß haben noch große Schwierigkeiten bereiten wird. Sie gegenüber dem Finanzminister auf die Einfüh- Es könnte gut sein, daß Sie mit der Frühpensionie- rung des Entwicklungshelfermodells zur Überwin- rung von 1 200 Offizieren genauso Schiffbruch erlei- dung der Probleme der Zeitsoldaten verzichtet ha- den wie bei der vorzeitigen Zurruhesetzung des Ge- ben, weil Ihnen diese Frühpensionierungspläne nerals Dr. Kießling. wichtiger waren? Für andere wichtige sozialpoliti- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: sche Maßnahmen in der Bundeswehr ist nun kein Das war ein Modellversuch!) Geld mehr da. In der Bundeswehr hat der Plan inzwischen das Wie wollen Sie eigentlich in den nächsten Jahren Kürzel 1 500/01 bekommen. Entweder gehen 1 500 die jährlich mehr als tausend zusätzlichen Verset- oder einer. Mit einem ist der Minister gemeint. zungen mit all den damit zusammenhängenden Problemen bewerkstelligen? Die Probleme der be- (Beifall bei der SPD — Würzbach [CDU/ rufstätigen Ehefrau und die Probleme der schul- CSU]: Ich hoffe, daß das viele Soldaten pflichtigen Kinder sind Ihnen hinreichend be- nachlesen! — Weitere Zurufe von der CDU/ kannt. CSU) (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Also hätten Sie haben auf die Fragen, die hier gestellt wer- wir es so lassen sollen!) den, bisher überhaupt keine befriedigenden Ant- Haben Sie, Herr Wörner, einmal über die Folgen worten gegeben. Statt dessen haben Sie die Einsatz- nachgedacht, wenn Sie fast das ganze Offiziers- fähigkeit der Bundeswehr beschworen und diffe- korps unterhalb der Besoldungsgruppe A 14 in den renzierte Vorschläge und Lösungsmodelle über- nächsten Jahren versetzen wollen? haupt nicht berücksichtigt, sondern versucht, Ihren Absolutheitsanspruch durchzusetzen. Es fehlt nur Sie sagen, der Beförderungs- und Verwendungs- noch, daß Sie oder der dafür abgestellte Generalse- stau sei das Problem Nr. 1 in der Bundeswehr. Aber kretär der CDU unsere Ablehnung dieses Gesetzes es ist doch nicht das einzige Personalproblem. Ihr als „primitiven Antiamerikanismus" interpretieren, Lösungsmodell frißt die finanziellen Mittel zur Lö- weil wir damit die Einsatzfähigkeit der Bundes- sung anderer Probleme auf. Schon jetzt werden wehr angeblich schwächen und damit Moskau zuar- Sparmaßnahmen verfügt. Es darf keine Verpflich- beiten. Das würde zwar gut zu den jüngsten Versu- tung mehr vorgenommen werden für SaZ 2. Es wer- chen der CDU passen, durch einen außenpolitischen den keine Weiterverpflichtungen von SaZ 12 auf Buhmann SPD von den eigenen Pannen abzulen- SaZ 15 vorgenommen. - ken; ob so etwas aber noch überzeugt, bezweifle (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch ich. nicht!) Für die Menschen in der Bundesrepublik zählt Erstverpflichtungen sind erst nach dem 6. Monat nicht nur die Darstellung der Politik, oder wie sie des Grundwehrdienstes möglich. — Hat der Bun- verkauft wird. Die Menschen drückt der Geldbeutel, deswehrverband etwa polemisiert, Herr Wörner? der Abbau von Sozialleistungen, die Arbeitslosig- 10638 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Jungmann keit. Sie vergleichen sehr genau. Für das soziale Rücken zu Dumpingpreisen auf dem Arbeitsmarkt Netz darf es nicht zweierlei Maß geben. anbieten können? (Zurufe von der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) Was sagen Sie eigentlich, Herr Wörner, den Ar- Oder was sagen Sie einem Berufsfeuerwehrmann beitnehmern bei Arbed Saarstahl, bei der Bundeswehr, der mit 50 Jahren eine Feuer- (Zurufe der SPD) wehrtauglichkeitsuntersuchung über sich ergehen bei MAK, bei HDW in Kiel oder vielen anderen Fir- lassen muß, der dann nicht mehr feuerwehrberufs- men der Bundesrepublik Deutschland, die auf Teile tätig sein darf und auf Einkommensteile von bis zu des Weihnachtsgeldes und andere Einkommens- 1 000 DM verzichten muß? teile verzichten müssen, um ihren Arbeitsplatz zu (Zurufe von der CDU/CSU) retten? Was sagen Sie eigentlich den Rentnern, die jetzt eine Erhöhung von 1,41 % bekommen bei einer Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- Preissteigerungsrate von 2,5 % und die mit einer statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten realen Einbuße von 1 % bei ihrem Einkommen im Biehle? nächsten Jahr rechnen müssen? Das Ruhegehalt ei- nes Frühpensionärs der Bundeswehr nach Ihrem Jungmann (SPD): Selbstverständlich. Plan, Herr Wörner, kann ein Rentner in der Sozial- versicherung nicht einmal nach 45 Beitragsjahren Biehle (CDU/CSU): Herr Kollege Jungmann, erreichen. nachdem Sie eine ganze Reihe von Fragen stellen, (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Hetze, wie nun meine Frage: ist Ihnen denn nicht bekannt, daß üblich bei Ihnen!) während der sozialdemokratischen Regierung 8 000 Stellen für Soldaten auf Zeit abgebaut worden sind, Was sagen Sie eigentlich den Frauen, die vor 1921 in der Zwischenzeit aber — in diesen wenigen Jah- geboren sind und nach Ihren Plänen nicht das Ba- ren — unter Dr. Wörner bereits wieder auf 9 000 byjahr in Anspruch nehmen können, aufgestockt worden ist und jetzt zusätzlich weitere (Sehr gut! bei der SPD) 6 000 Längerdienende eingestellt werden können? die die Last des Wiederaufbaus der Bundesrepublik (Zuruf von der SPD: Was hat denn das da nach dem Krieg getragen haben? Hierfür haben Sie mit zu tun?) keinen Pfennig Geld, und auf dem anderen Gebiet geben Sie 600 Millionen DM aus, um angebliche Jungmann (SPD): Herr Kollege, ich verstehe nicht Probleme zu lösen. den Zusammenhang mit der Frühpensionierung (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und von 1 200 Offizieren. Gegenrufe von der SPD) Und haben Sie, Herr Wörner, auch einmal an die Biehle (CDU/CSU): Sie haben doch die Frage ge- Arbeitslosen gedacht, die auf Sozialhilfe angewie- stellt: Was sagen Sie den Unteroffizieren? Ich wollte sen sind und sich jetzt über eine Erhöhung von Ihnen nur die Antwort geben, damit Sie nicht fra- 85 Pfennig pro Tag freuen sollen? gen müssen, sondern antworten können. (Zuruf von der CDU/CSU: Er spricht nicht (Dr. Klejdzinski [SPD]: Dann fragen Sie mehr zum Thema! Das ist ja ungeheuer doch nicht, wenn Sie das schon wissen!) lich!) Jungmann (SPD): Ich weiß gar nicht, warum Sie Sie setzen die Bundeswehr, aber insbesondere die diesen Zusammenhang herstellen, Herr Kollege. Offiziere, einer öffentlichen Diskussion aus, die die Betroffenen in Begründungszwänge bringt, die der (Zurufe von der CDU/CSU) Bundeswehr mehr schadet, als ihr das Gesetz Ich habe vorhin deutlich gemacht, daß trotz der Be- nützt. mühungen im personellen Bereich das Personalmo- (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Weil Sie ver dell des Herrn Wörner der 90er Jahre nicht tragen antwortungslos sind!) wird, weil es auf Sand gebaut ist, weil er die not- wendigen personellen Maßnahmen überhaupt nicht finanzieren kann und Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- (Beifall bei der SPD) statten Sie eine Zwischenfrage? jetzt noch einmal 600 Millionen DM für die Früh- pensionierung von 1 200 Offizieren ausgibt, Jungmann (SPD): Nein, nicht mehr. (Zurufe von der CDU/CSU) Nicht umsonst hat der bayerische Ministerpräsi- ohne dabei die anderen sozialen Probleme, die in dent klar gesagt, dieser Gesetzentwurf sei sozial der Bundesrepublik Deutschland primär zu beach- unvertretbar. Vor allem die Sozialpolitiker der CDU ten sind, zu berücksichtigen. sollten genauestens prüfen, ob sie dieses Gesetz mit - ihrem Gewissen vereinbaren können. Was sagen Sie eigentlich den Arbeitnehmern, die auf Einkommensteile verzichten, um ihre Arbeits- (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und plätze zu retten, während 1 200 Berufsoffiziere eine den GRÜNEN) Abfindung dafür bekommen, daß sie freiwillig ihren Jetzt dieses Gesetz gegen die Bedenken vieler Ab Abschied nehmen und sich mit 70 % Pension im geordneter aus den Koalitionsparteien — z. B. auch Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10639

Jungmann des Innenausschusses und des Ausschusses für Ar- ten diesen Gesetzentwurf entschieden ab. Er ist beit und Sozialordnung — durchzupauken, wäre fa- nicht geeignet, das Problem des Beförderungs- und tal. Es könnte sein, daß der Gesetzentwurf, sollte er Verwendungsstaus in der Bundeswehr auf eine in diesem Hause trotzdem durchkommen, vom Bun- Weise zu lösen, die innerhalb der Bundeswehr zu- desrat abgelehnt wird. Wenn Bayern seine Kritik friedenstellen kann, und er ist für andere Gesell- ernst gemeint hat und die marginalen Änderungen schafts- und Berufsgruppen, die damit vor den Kopf an dem ursprünglichen Entwurf nicht plötzlich als gestoßen werden, sozial unakzeptabel. Kompromiß versteht, ist er im Bundesrat zum Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen Scheitern verurteilt. Für Bayern und den bayeri- aus den Regierungsparteien, die sich bisher schon schen Ministerpräsidenten steht die Glaubwürdig- kritisch geäußert haben, und an den Bundesrat aus keit auf dem Spiel. guten Gründen, Ihrem sozialen Gewissen zu folgen (Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie für Sor und diesem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. gen haben! — Weitere Zurufe von der Lassen Sie mich zum Schluß aus der Rede des CDU/CSU) Vertreters der bayerischen Staatsregierung vor Aber selbst wenn Ihr Plan, Herr Wörner, den dem Bundesrat zitieren, die er am 7. Februar gehal- Bundesrat passieren sollte, ist Ihr Problem über- ten hat. Die Äußerung der bayerischen Staatsregie- haupt noch nicht gelöst. Im Gegenteil, dann gehen rung hat folgenden Wortlaut: die Schwierigkeiten erst los: Was machen Sie ei- Die überwiegende Mehrheit der Bürger unse- gentlich, wenn sich weniger als 1 200 Offiziere mel- res Landes hat kein Verständnis dafür, daß in den? einer Zeit, in der alle gesellschaftlichen Grup- (Zuruf von den GRÜNEN) pen Opfer zur notwendigen Konsolidierung des Dann ist Ihr Ziel nicht erreicht. Und was machen Staatshaushaltes bringen, 45- bis 52jährige Be- Sie dagegen, wenn sich mehr als 1 200 Offiziere rufsoffiziere zu finanziellen Sonderkonditionen melden? Wie wollen Sie dann die Ungerechtigkeiten nicht nur in Frühpension gehen können, son- vermeiden? Die Berufung auf den Gleichheits- dern auch noch mit dieser gesicherten Versor- grundsatz wird Ihnen eine Reihe von Prozessen be- gung im Rücken in einer Zeit anhaltend hoher scheren. Nach welchen Kriterien wollen Sie eigent- Arbeitslosigkeit als Bewerber auf dem Arbeits- lich entscheiden? markt auftreten können. Diese Grundstim- mung in der Bevölkerung läßt befürchten, daß Wie ein Damoklesschwert hängt über der Bun- ein Festhalten an den geplanten Maßnahmen desregierung die Forderung anderer Berufsgrup- die Bundeswehr in ein falsches Licht bringt. pen, die ebenfalls über die Gerichte klären lassen werden, ob Sie, Herr Wörner, zu Recht oder zu Un- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und recht für die Bundeswehr ein Privileg beanspru- beantrage für meine Fraktion namentliche Abstim- mung. chen. Mit diesem Gesetz würde der Präzedenzfall für einen Aufschaukelungsprozeß im gesamten öf- (Beifall bei der SPD) fentlichen Dienst mit unübersehbaren finanziellen Folgen geschaffen. Denn wie soll ein Beamter im Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- Polizeivollzugsdienst, beim Zoll, beim Bundesgrenz- ordnete Ronneburger. schutz, bei der Bundesbahn und bei der Bundespost oder in der Bundeswehrverwaltung überhaupt ver- stehen, daß seine eigene Lage nicht berücksichtigt Ronneburger (FDP): Herr Präsident, meine Da- wird? Diese Beamten sind vielfach zumindest ähnli- men und Herren! Die Debatte des heutigen Tages chen Belastungen ausgesetzt, und auch hier gibt es hat uns immerhin ein seltenes Erlebnis beschert: Personalstaus. Ein Mitglied der SPD-Fraktion beruft sich auf die CSU. Das geschieht nicht eben oft. (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Gewerk schaftsfunktionäre!) (Dr. Klejdzinski [SPD]: Und Sie berufen sich auf alle Fraktionen! — Weitere Zurufe — Herr Wimmer, von Ihnen als Gewerkschafts- von der SPD — Gegenrufe von der CDU/ funktionär bezeichnet zu werden, ist für mich eine CSU) große Ehre. (Beifall bei der SPD) — Sie meinen, das könnte mehr werden. Gut, aber immerhin war es für heute neu. Auch dort besteht das Problem der Überalterung Nur, Herr Kollege Jungmann, gestatten Sie mir in bestimmten Aufgabenfeldern, sind die körperli- eine offene Bemerkung: Ich hatte eigentlich eben chen und psychischen Anforderungen an diese Be- bei Ihrer Rede das Gefühl, wir seien in der ersten amten oft genauso groß und ist ihr Einsatz für die Lesung, wir hätten über dieses Problem überhaupt Gesellschaft genauso wichtig wie bei den betroffe- noch nicht gesprochen, das sei ein ganz neues Pro- nen Berufsoffizieren. blem, von dem wir bis dahin überhaupt noch nichts Ihr Plan, Herr Wörner, wirft die bisherigen Lö- - gewußt hätten — wobei ich übrigens feststellen sungsmuster für Strukturprobleme im öffentlichen muß, daß Ihre Rede in der ersten Lesung nach mei- Dienst und für Arbeitsplatzprobleme in der Privat- ner bescheidenen Beurteilung sehr viel besser war wirtschaft völlig über den Haufen. als die, die Sie heute gehalten haben. Nach alledem, was wir Ihnen ausführlich zu be- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. denken gegeben haben, lehnen wir Sozialdemokra- Klejdzinski [SPD]: Er hat auch eine 10640 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Ronneburger Wende mitgemacht! — Weitere Zurufe von unangenehm, aber ich zitiere aus diesem Weiß- der SPD) buch, Sie war nämlich sehr viel unpolemischer, und sie (Horn [SPD]: Uns ist das nicht unange gestand zumindest zwei Dinge zu, nämlich erstens, nehm! Sie verleugnen doch diese ganze daß es sich hier um ein Problem handelt, das drin- Zeit!) gend einer Lösung bedarf — das haben Sie in der um zu zeigen, daß der damalige Bundesminister der ersten Lesung noch so festgestellt —, und zweitens Verteidigung, Dr. Apel, die Probleme ebenso gese- haben Sie sich auch mit der Situation jener Offizie- hen hat, wie es der heutige Verteidigungsminister re, die für diese Lösung in Frage kommen, in völlig tut. anderer Weise befaßt, als Sie es heute getan haben. (Würzbach [CDU/CSU]: Das hat Leber Lesen Sie das bitte noch einmal nach! Ich habe das schon getan! — Horn [SPD]: Wir stehen Protokoll auf meinem Tisch liegen. Sie haben da dazu, was wir gesagt haben!) sehr großes Verständnis für die schwierige Situa- tion derjenigen geäußert, Auch angesichts der Rede des Kollegen Jungmann muß dies noch einmal zitiert werden: (Jungmann [SPD]: Für eine andere Lö (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sung!) Damit überaltert das gesamte Offizierskorps in die von dieser Möglichkeit unter Umständen Ge- allen Verantwortungsstufen und Dienstgraden. brauch machen. 1978 waren 42 % aller Berufsoffiziere des Trup- pendienstes älter als 40 Jahre, 1985, falls nichts (Dr. Klejdzinski [SPD]: Er lehnt auch nicht geändert wird, werden es 66 % sein und 1990 von vornherein alles ab!) schließlich 75 %. Es heißt weiter: Damit wir völlige Klarheit darüber bekommen, wovon wir reden und worum es geht, möchte ich Zur Lösung des Verwendungsstaus sind ver- Karl-Wilhelm Berkhan, den ehemaligen Wehrbe- schiedene Möglichkeiten untersucht worden. auftragten, hier zitieren, der vor einem Vierteljahr, Das Problem verlangt im Interesse unserer meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Streitkräfte und des Erhalts der Verteidigungs- zu diesem Gesetz folgendes gesagt hat: fähigkeit unseres Landes eine Lösung. Die Zeit- horizonte sind durch die beschriebenen Tatbe- In diesem Jahr wurde in den Streitkräften ein stände vorgegeben. vom Bundesminister der Verteidigung erarbei- — Das sagt Herr Apel. — teter Regierungsentwurf zum Abbau des Ver- wendungsstaus diskutiert, wonach Offizieren Die notwendigen Vorarbeiten des Bundesmini- des Truppendienstes bestimmter Jahrgänge die sters der Verteidigung werden so abgeschlos- vorzeitige Zur-Ruhe-Setzung ermöglicht wer- sen, daß Lösungen zeitgerecht möglich sind. den soll. Damit lange Diskussionen die vom Meine Damen und Herren, diese Lösungen sind Verwendungsstau betroffenen Soldaten nicht nicht erfolgt, und Sie können doch dem heutigen weiter verunsichern und enttäuschen, sollte Bundesminister der Verteidigung nicht einen Vor- das Parlament möglichst schnell mit diesem wurf daraus machen, daß er gezwungen ist, in die- Thema befaßt werden. ser Situation und nun endlich ein Problem zu lösen, für das es noch eine ganze Reihe von Zitaten mehr Er sagt dann weiter: gäbe. So wichtig es ist, den Bürgern klarzumachen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) daß es sich bei der Lösung des Verwendungs- staus nicht um eine soziale Wohltat handelt, Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- sondern es allein um den Erhalt der Einsatzfä- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten higkeit geht, so wichtig ist es, ebenso deutlich Klejdzinski? zu machen, daß der Beruf des Soldaten in dem sozialen Gefüge unserer Gesellschaft ein Beruf ohne Anspruch auf Privilegien, aber auch ohne Ronneburger (FDP): Bitte schön, Herr Klejdzinski. Verpflichtung zur Zurückhaltung ist.

Ich glaube, besser kann man das Problem eigent- Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Kollege Ronneburger, lich gar nicht schildern, als es Herr Berkhan in die- stimmen Sie mit mir überein, daß das Problem ei- sen Ausführungen getan hat. gentlich mit der Aufstellung der Bundeswehr be- gann, und stimmen Sie mit mir weiterhin darin Aber damit auch noch etwas weiteres klar wird, überein, daß die Bestandsaufnahme, die Apel vorge- erinnere ich einmal an das Weißbuch 1979. nommen hat, zwar eine Problembeschreibung war, - aber daß es doch ein Unterschied ist, wie man eine (Zurufe von der SPD) Problembeschreibung mit Lösungsansätzen angeht, — Offenbar haben Sie das nicht begriffen oder bei und daß der Lösungsansatz, den Sie gewählt haben, der ersten Lesung nicht zugehört, sonst brauchte nicht unsere Zustimmung finden kann? ich dies nicht zu wiederholen. Es ist Ihnen vielleicht (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10641

Ronneburger (FDP): Verehrter Herr Kollege, eines Sie haben eine ganze Reihe von Zusammenhängen werden Sie mir wohl zugestehen müssen, auch als hergestellt, die mit diesem Gesetz überhaupt nichts einem, der in der sozialliberalen Koalition ein nicht zu tun haben. unbeteiligtes Mitglied gewesen ist: daß Herr Apel das Problem zwar geschildert hat, daß er dargestellt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hat, es bedarf einer zeitgerechten, also dringend Sie haben gesagt, es gebe keine Verpflichtungen einer Lösung, daß er aber eben keinen Vorschlag mehr für SaZ. Sie sind widerlegt worden. Sie haben gemacht hat gefragt, wo der Zusammenhang sei. Er kam von (Beifall des Abg. Würzbach [CDU/CSU]) Ihnen; von niemand anderem. und daß das auch für seine Vorgänger im Amt gilt. (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ Und dies ist doch das, was uns heute bedrückt und CSU) was heute gelöst werden muß, Lassen Sie uns in Ruhe und Sachlichkeit über (Zustimmung bei der CDU/CSU) diese Probleme reden und lassen Sie uns das tun, was in einer solchen Situation notwendig ist. Denn nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden das Problem kann. (Zuruf des Abg. Jungmann [SPD]) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) kann sicher nicht durch Schaffung von 1 500 zusatz- lichen Dienstposten — zeitlich begrenzt; k. w.-Stel- Denn das Problem besteht ja nun einmal nicht in len mit einem sehr viel höheren Kostenaufwand — einem Beförderungsstau. gelöst werden. Untauglich ist aus vielerlei rechtli- (Jungmann [SPD]: Überhaupt nicht!) chen Gründen auch ein Versuch, das Problem durch Übernahme von 1 500 oder jedenfalls einer größe- Es besteht in der Überalterung der Truppenführer ren Zahl von Offizieren in andere Bereiche des öf- und damit einer Gefährdung — ich könnte wie- fentlichen Dienstes zu lösen. derum Apel zitieren — der Einsatzbereitschaft un- serer Bundeswehr. (Zuruf des Abg. Ströbele [GRÜNE]) Weil es sich um ein solches Problem handelt, hat Mit der nun gefundenen Lösung soll dieses Problem meine Fraktion eine parlamentarische Initiative aus der Welt geschafft werden. Ich kann Ihnen nur eingebracht und den Bundesminister der Verteidi- sagen: Eines wäre das Teuerste und das Schlimm- gung aufgefordert, noch in diesem Jahr ein Gesetz ste, nämlich es noch einmal auf die lange Bank zu vorzulegen. Das Gesetz liegt vor. Wir haben es in schieben und so zu tun, als werde sich ein Problem erster Lesung behandelt und behandeln es heute in von allein lösen, während es tatsächlich eskaliert, je zweiter und dritter Lesung. länger es nicht gelöst wird. Es kann nicht bestritten werden, daß wir bei allen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) kritischen Fragen an dieses Gesetz die Zeit zwi- schen der ersten Lesung und der zweiten und drit- Deswegen meine ich, daß es auch bei Ihrem Hin- ten Lesung für gründliche Diskussionen genutzt ha- weis auf die Studie, Herr Kollege Jungmann, wohl ben und daß es auch Änderungen gegeben hat, richtig gewesen wäre, darauf hinzuweisen, daß der Inhalt der Studie, soweit er sich auf dieses Gesetz (Frau Blunck [SPD]: Diskussionen ja, aber und dieses Problem bezieht, inzwischen bekannt ist welche Folgerungen?) und daß diese Studie eine ganze Reihe von Feststel- lungen enthält, die mit diesem Problem überhaupt daß Fragen beantwortet worden sind, daß kritische nichts zu tun haben. Bemerkungen widerlegt worden sind. Es hilft doch alles nichts und kann nicht bestrit- (Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) ten werden: Erstens. Das Problem muß gelöst wer- Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Gesetz- den. entwurf zustimmen. Sie tut es, um eine Gefahr für (Mann [GRÜNE]: Legen Sie doch mal eine die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr abzu- Lösung vor!) wenden. (Zuruf des Abg. Lutz [SPD]) Das haben alle gesagt. Zweitens. Es gibt keinen Vorschlag, der billiger oder praktikabler wäre, um Allerdings geht die FDP-Bundestagsfraktion bei dieses Problem zu lösen, als den, der hier vorliegt. ihrer Entscheidung davon aus, daß bei der Anwen- dung des Gesetzes garantiert ist, daß nur solche (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Personalbewegungen vorgenommen werden, die in Jungmann [SPD]: Das ist doch überhaupt jedem einzelnen Fall dazu führen, daß ein jüngerer nicht wahr!) - Truppenführer einem Kameraden nachfolgt, der vom Lebensalter her für diese Aufgabe nicht mehr — Ich habe Ihnen das Recht zugestanden, Herr geeignet ist. Wir gehen weiter davon aus, daß ent- Kollege Jungmann, Ihre Äußerungen hier zu ma- sprechende Vorkehrungen getroffen werden, um chen. Gestehen Sie auch mir das Recht zu! eine Wiederholung eines solchen Problems zu ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hindern, und daß damit den Betroffenen der Bun- 10642 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Ronneburger deswehr Gerechtigkeit in einem Problem ge- Diese Frühpensionierung — Sie brauchen nur schieht, einmal die Besucher auf der Zuschauertribüne, das (Ströbele [GRÜNE]: Die FDP ist ein Offi Volk, die Bürgerinnen und Bürger zu fragen — ist ziersliebchen!) ein unerträglicher Skandal. Das werden Sie in Ih- rem Wahlkreis überall zu hören bekommen, land- das nicht diese Betroffenen verursacht haben, son- auf, landab. dern das ihnen zur Last gelegt worden ist. (Beifall bei den GRÜNEN) Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wie wollen Sie einem 45jährigen arbeitslosen Fami- lienvater erklären, daß von diesen Offizieren jeder nahezu eine halbe Million DM nachgeworfen be- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- kommt und dann noch unbegrenzt dazuverdienen ordnete Suhr. kann, (Würzbach [CDU/CSU]: Sie können noch Suhr (GRÜNE): Herr Ronneburger, eigentlich nicht einmal rechnen!) sind Sie auch nicht mehr der Knackigste, wenn ich Sie so reden höre. Aber ich wollte mich jetzt doch während jeder „kleine" Schwarzarbeiter von dieser zuerst mit dem Herrn Verteidigungsminister be- Bundesregierung als krimineller Steuerhinterzie- schäftigen. her verfolgt wird? Dieser nahezu unbeschreibliche Verteidigungs- (Zustimmung bei den GRÜNEN) minister, Herr Wörner, der schon im Fall Kießling Wie wollen Sie jemandem in diesem Land klarma- seine Tatkraft und Ausdauer hinreichend unter Be- chen, daß vorzeitig zur Ruhe gesetzte Offiziere hor- weis gestellt hat, rende Abfindungen bekommen, um die Ausbildung (Zuruf von den GRÜNEN: Und dabei kein ihrer Kinder zu finanzieren, um Immobilien abzu- Geld gespart hat!) bezahlen, wie es aus der Union zur Begründung zu hören war, will uns klarmachen, daß die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr davon abhängt, ob 1200 Offiziere (Würzbach [CDU/CSU]: Das ist Blech, was mit 45 Jahren in Pension geschickt werden. Herr Sie sagen!) Ronneburger, vielleicht hätten wir noch einige Male während der Normalsterbliche, der mit 45 Jahren mehr über diesen Gesetzentwurf beraten sollen. für die Industrie nicht mehr knackig genug ist, den Wir sind ja schon von 1 500 auf 1200 herunter. Viel- Gang zum Arbeitsamt antreten oder um Sozialhilfe leicht hätten wir es geschafft, auf Null zu kommen. betteln muß? (Beifall bei den GRÜNEN) Diese Bakschischregierung gehört in den vorzei- Einige hundert Offiziere sollen aufhören, durch tigen Ruhestand versetzt. das Gelände zu robben, weil sie nicht mehr knackig genug sind. Dieser Knackigkeitserlaß kostet den (Beifall bei den GRÜNEN) Steuerzahler zwischen einer halben oder einer gan- Herr Wörner ist heute schon 51 Jahre alt. Nach sei- zen Milliarde D-Mark. So genau nimmt es die Bun- nen eigenen Maßstäben ist er schon seit sechs Jah- desregierung in diesem Fall nicht, wenn es darum ren verwelkt. geht, einen eigentlich unhaltbar gewordenen Mini- ster doch noch zu halten, solange es eben geht. (Heiterkeit bei den GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN) Der Bundeskanzler ist auch schon 55 Jahre alt. Was wäre dieser Republik erspart geblieben, wenn wir 1 Milliarde DM — das wäre schon ein Viertel unse- ihn vor zehn Jahren in die Wüste geschickt hät- res ökologischen Nachtragshaushalts 1985, den wir ten? eingebracht haben für den Bau von Gewässerreini- (Sehr gut! bei den GRÜNEN) gungsanlagen, für Entschwefelungsanlagen, für die dringlichen Investitionen gegen das Waldsterben. Aber solange wird er j a wohl die Tätigkeit des Re- Das wären umgerechnet rund 30 000 bis 40 000 Ar- gierungschefs nicht mehr aussitzen müssen, wenn beitsplätze statt 1200 Offiziere, die auf den Arbeits- man dem Bericht eines Hamburger Nachrichten- markt drängen. Doch diese ausgemusterten Offi- magazins von dieser Woche Glauben schenken ziere werden keine Kläranlagen bauen. Sie werden darf. auch keine Ohrenschützer produzieren für die Zig- (Zurufe von der CDU/CSU: Das dürfen Sie tausenden von Bundesbürgern, die tatsächlich vom nicht!) Fluglärm der Bundeswehr geschädigt werden. Ich zitiere einen nicht genannten hohen CDU-Politi- (Zuruf von den GRÜNEN: Die werden ker — hoffentlich mit Erlaubnis des Präsidenten —: nicht einmal gammeln gehen!) „Am elegantesten wäre es, wenn Kohl gezwungen Diese Offiziere werden anders als jeder andere Ar- würde, aus gesundheitlichen Gründen zurückzutre- beitslose in diesem Staat in der Industrie unbe- - ten." Hier spricht der Verwendungsstau in den grenzt dazuverdienen können. Und welcher Rü- Unionsreihen. stungskonzern wird es sich entgehen lassen, einige hochqualizifierte Handelsvertreter anzuwerben, die (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN) genaue Kenntnis vom technischen Stand der Bun- Der Bundeskanzler, stelle ich fest, ist seinen eige deswehr haben? nen Parteifreunden nicht mehr knackig genug. Er Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10643

Suhr ist eher angeknackst, ein leise vor sich hin welken- gungsministers Wörner wäre. Hätten Sie es in den der Enkel Konrad Adenauers. letzten zwölf Jahren gelöst, dann müßten wir jetzt nicht zu diesen Maßnahmen greifen, meine Damen (Zuruf von der SPD: Heinrich Lübkes!) und Herren. Übrigens wäre Adenauer nie Kanzler geworden, (Beifall bei der CDU/CSU) und auch auf Helmut Schmidt, Heinrich Lübke und andere hätten wir verzichten müssen, wenn diese Sie haben das Problem vor sich hergeschoben.

Grenze von 45 Jahren für sie Geltung gehabt Sie haben es, wie Herr Klejdzinski in der Zwischen- hätte. frage gesagt hat, beschrieben, aber eben nicht ge- löst. Ich kann nur sagen: Wer die Einsatzbereit- 45jährige Kompaniechefs seien den Strapazen schaft der Streitkräfte aufrechterhalten will, muß der Truppe nicht mehr gewachsen, erklärte der die Personalstruktur in Ordnung bringen. Geschähe Unionsabgeordnete Markus Berger am 17. Mai 1985 im Deutschland Union Dienst. Da muß ich Sie fra- dies nicht, dann würde die Bundeswehr in den ein- satzwichtigen Führungspositionen des Kompanie- gen: Sind Sie eigentlich noch den Strapazen des chefs und des Bataillonskommandeurs hoffnunglos Bundestages gewachsen? überaltern. Im übrigen gehört schon kabarettisti- (Zurufe von der CDU/CSU) scher Mut dazu, Setzen wir diese Altergrenze beim Berufspolitiker (Ströbele [GRÜNE]: Welchen Mut haben tum an, dann müßten drei Viertel der Union, gut die Hälfte der Sozialdemokraten und der Liberalen in Sie denn?) den Ruhestand gehen und noch heute ihre Koffer das Amt eines Bundeskanzlers und das eines Kom- packen. paniechefs zu vergleichen. Da muß man wahr- scheinlich schon GRÜNER sein, um diese Logik (Erneute Zurufe von der CDU/CSU) noch aufzubringen. Nur wir GRÜNE wären hier noch einigermaßen gut Überdies: Offiziersnachwuchs wäre nicht in aus- vertreten. Auch das Kabinett — alle über 45 — reichendem Umfang zu gewinnen und einzustellen. könnte in toto in die Industrie abwandern. Wahr- Die Auswirkungen auf die Verteidigung der Bun- scheinlich wäre es dort auch besser aufgehoben als desrepublik Deutschland wären verheerend. Wer hier im Bundestag. Diese Bundesregierung ist zu wollte es angesichts dieser Konsequenzen verant- allem fähig, aber zu nichts zu gebrauchen, und diese worten, die Lösung dieses Problems noch länger zu Frühpensionierung ist das beste Beispiel dafür. verschleppen? (Beifall bei den GRÜNEN) Bei der Bereinigung der Personalstruktur geht es Meine Fraktion hat einen Entschließungsantrag nicht um Privilegien für Offiziere. Diese Offiziere eingebracht, der die sogenannte Verbesserung der haben Anspruch auf lebenslange Berufstätigkeit im Personalstruktur in den Streitkräften ablehnt, da- Staatsdienst. Nicht sie sind es, die ihre Entlassung mit den Steuerzahlern klar wird, wer hier wie mit verlangen, der Staat ist es — — den Steuergeldern umgeht. (Unruhe) Ich danke Ihnen. (Beifall bei den GRÜNEN — Weiß [CDU/ Vizepräsident Westphal: Herr Minister, lassen Sie CSU]: Sie sind der Richtige! — Weitere Zu mich bitte einen Moment unterbrechen. Ich möchte rufe von der CDU/CSU) Ihnen ein bißchen mehr Ruhe verschaffen. — Meine Damen und Herren, darf ich Sie darauf auf- merksam machen, daß hier vorne geredet wird und Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter Suhr, das auch zum Zuhören gedacht ist. Ich wäre dank- den Ausdruck „Bakschisch-Regierung" weise ich als bar, wenn die Kollegen ihre Plätze einnehmen oder unparlamentarisch zurück. Ich bitte, ihn hier nicht ihre Gespräche außerhalb des Saals führten. — zu wiederholen. Bitte schön. Herr Minister. Das Wort hat der Herr Verteidigungsminister. (Ströbele [GRÜNE]: Jetzt kommt der Früh Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: Ich pensionär!) wiederhole: Nicht sie sind es, die ihre Entlassung verlangen, der Staat ist es, der daran interessiert ist, daß sie ausscheiden. Und wer sagt das schon: Dr. Wörner, Bundesminister der Verteidigung: Ein Oberstleutnant, der von dem Angebot Gebrauch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich den- macht, verliert beispielsweise zunächst einmal ke, nach dieser kabarettistischen Einlage ist es Zeit, mehr als 200 000 DM. Er muß sich in seinem Le- daß wir wieder zur Sache zurückkehren. benskreis verändern, muß seine Lebensplanung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) umstellen, häufig genug mit seiner Familie umzie- Mit dem vorliegenden Gesetz wird ein Problem hen. Wer das bedenkt, wird die Bedingungen seines gelöst, das die Bundeswehr zunehmend und in un- Ausscheidens nicht als unangemessen oder unge- erträglicher Weise belastet. Schon seit 15 Jahren recht empfinden. hat man das Problem erkannt — nichts ist gesche- - Hier geht es auch nicht um die Frühpensionie- hen. Und ich muß mich schon wundern, daß der rung von Offizieren schlechthin, sondern lediglich Kollege Jungmann — ausgerechnet der Kollege um die freiwillige Zurruhesetzung von 1 200 Offizie- Jungmann — den Mut findet, hier herzukommen ren von insgesamt 19 000 Offizieren des Truppen- und so zu tun, als ob das das Problem des Verteidi- dienstes und 33 000 Berufsoffizieren, also im 10644 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Bundesminister Dr. Wörner Schnitt ganzen 200 Offizieren pro Jahr. Wer hier ist die Sozialverträglichkeit, wenn ihm Arbeitszei- von einer Belastung des Arbeitsmarktes bei einer ten von 50, 60 und 70 Stunden zugemutet werden? Gesamtzahl des Arbeitsmarktes von 21 Millionen Menschen spricht, kennt wohl die Proportionen (Jungmann [SPD]: Das können Sie ändern, nicht; ganz abgesehen davon, daß ich für jeden, der wenn Sie es wollen!) ausscheidet, einen jungen Mann einstellen kann, Wo ist die Sozialverträglichkeit, wenn er bis zur 56. den ich sonst nicht einstellen könnte. Überstunde nicht einen einzigen Pfennig bezahlt bekommt? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es Be- denken gegen dieses Gesetz, bis in die Reihen der Wo ist die Sozialverträglichkeit, wenn er 12-, 13-, 15- Koalition hinein. Natürlich verstehe auch ich — ge- mal im Laufe seines Berufslebens mit seiner Fami- rade ich als Verteidigungsminister — angesichts lie umziehen muß, weil er versetzt wird? Wo ist die der Besonderheiten dieses Gesetzes diese Beden- Sozialverträglichkeit, wenn er viele Wochenenden ken. Wir haben als Bundesregierung einem Teil die- im Bereitschaftsdienst in der Kaserne verbringen ser Bedenken Rechnung getragen. Wir haben im muß? Wo ist die Sozialverträglichkeit, wenn er Wo- Laufe der Gesetzesberatung einen Kompromiß ge- chen auf Übungen oder in Manövern zubringen funden, den ich ausdrücklich begrüßen möchte. Der muß, fern seiner Familie? Meine Damen und Her- öffentliche Dienst wird einen Teil der Offiziere ren, es geht nicht an, daß man sich immer dann auf übernehmen, für einen anderen Teil werden zusätz- die Besonderheiten des Soldaten beruft, wenn man liche kw-Stellen bewilligt. Einem anderen Teil der ihm Pflichten auferlegen will, aber wenn es dann Bedenken konnte nicht Rechnung getragen werden. um die Gleichberechtigung geht, will man von all Weder wäre es möglich, alle Offiziere in den öffent- dem nichts mehr wissen. lichen Dienst zu übernehmen, noch wäre es vertret- bar, alle Offiziere auf Zusatzstellen unterzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Die Gründe dafür haben wir ausführlich erörtert. Lebhafte Zurufe von der SPD) Wenn viele Kollegen angesichts des erzielten Kom- Dies ist das Motto der Opposition in Reinkultur: promisses ihre anfänglichen Bedenken aufgegeben Wecke den Neid, und gehe den Problemen aus dem oder zurückgestellt haben, dann deshalb, weil sie Wege! wissen, daß es keine vernünftige Alternative gibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bei dieser Maßnahme geht es — ich übertreibe Jungmann [SPD]: Die Probleme schaffen nicht — um die Sicherheit der Bundesrepublik Sie!) Deutschland und um die Erfüllung ihrer Bündnis- verpflichtungen. Wer diese Sicherheit erhalten und Ich kann nur sagen: Lippenbekenntnisse für die die Bundeswehr einsatzbereit halten will, der muß Bundeswehr geben Sie täglich im Dutzend ab. auch den Mut haben, unpopuläre Maßnahmen Wenn es darum geht, zu stehen und auch einmal durchzusetzen. Unpopuläres zu tun, dann warten wir auf Sie; dann verdrücken Sie sich in die Ecke, dann sieht man (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nichts mehr von Ihnen, meine Damen und Herren! Wer die Popularität zum alleinigen oder vorrangi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — gen Maßstab seines Handelns macht, wird seiner Lebhafte Zurufe von der SPD) Verantwortung nicht gerecht. Das gilt vor allem für Sie schlagen heute eine Lösung vor — Herr Kol- diejenigen, die dieses Gesetz nutzen, um Neid und lege Vogel, da lachen Sie —, zu der mein Amtsvor- Emotionen zu schüren. Ein Musterbeispiel haben gänger Apel folgendes erklärt hat: wir eben gehört in der geradezu unglaublichen Rede des Kollegen Jungmann. Sie fragen mich: Was (Horn [SPD]: Haben Sie das auch Strauß sagen Sie eigentlich den Unteroffizieren? — Herr gesagt?) Jungmann, das will ich Ihnen sagen. Ich sage den Unteroffizieren: Zwölf Jahre lang hat die alte Regie- rung weder für die Offiziere noch für die Unteroffi- Eine Ausweitung der Zahl von Planstellen und ziere und gegen den Verwendungsstau etwas getan. Dienstposten ist weder militärisch noch finan- Jetzt kommen wir, und wir tun für beide Gruppen ziell tragbar und sinnvoll. etwas. Heute schlagen Sie genau das vor, was mein Amts- vorgänger abgelehnt und nicht umgesetzt hat, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Das ist eine Anmaßung! — Weitere meine Damen und Herren. So steht es um die Red- Zurufe von der SPD und von den lichkeit dieser Opposition. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wer hier den Neid Noch einen anderen Punkt: Sie erklären, unsere weckt und von mangelnder Sozialverträglichkeit re- Personalplanung für die 90er Jahre sei nicht solide. det, den frage ich: Wo ist eigentlich die Sozialver- Wenn wir dann ein Gesetz vorlegen, um diese Per- träglichkeit, wenn der Soldat im Unterschied zu an- sonalplanung zu untermauern, lehnen Sie es ab. — deren Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes und Entscheiden Sie sich doch endlich, ob Sie jetzt das der Wirtschaft keine geregelte Arbeitszeit hat? Wo oder jenes wollen, und fahren Sie nicht fort auf dem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10645

Bundesminister Dr. Wörner Weg einer Opposition, die sich immer mehr in Un- Die mit dem heute zur Abstimmung stehenden glaubwürdigkeit verrennt. Gesetzentwurf verbundene Art der Beratung läßt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mir keine andere Wahl, als durch diese Nichtteil- nahme und diese persönliche Erklärung meinen Auch Sie werden der Bundeswehr gegenüber aus Protest auszudrücken. der Verantwortung nicht entlassen. Und wir werden Sie daran festhalten, wenn Sie Ihre Feiertagsreden Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, vor den Soldaten halten. weil die Bundesregierung dem Parlament wesentli- che Entscheidungshilfen vorenthalten hat und vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) enthält, Deswegen sage ich: Wenn es um die Sicherheit (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!) der Bundesrepublik Deutschland geht, dann ist lei- der Gottes nur noch auf diese Regierungskoalition die ganz sicher dazu führen würden, daß die Geset- Verlaß. zesvorlage entweder gründlich überarbeitet oder zurückgezogen würde. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD — Frau Fuchs Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, [Köln] [SPD]: Sie sollten sich schämen!) weil mit diesem Gesetzentwurf nicht etwa nur 650 Millionen DM, wie uns die Regierung glauben ma- Wir stehen zu unserem Wort, das wir gegeben ha- chen will, sondern 1 Milliarde DM zum Fenster hin- ben. ausgeworfen werden, die zuvor den Arbeitslosen, Wer es ernst meint mit der Bundeswehr und der den Rentnern, den Schwerbehinderten abgepreßt Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, der wurden. muß diesem Gesetz zustimmen. Und darum bitte (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ich Sie herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, weil die Bundesregierung nichts tat, (Feilcke [CDU/CSU]: Schmierenkomödie!) Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- um den Verdacht auszuräumen, daß nicht etwa nur ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich 1 200, sondern letztlich an die 10 000 Berufsoffiziere schließe die Aussprache. auf der Matte stehen werden, Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sie können mung. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Über- nicht lesen!) schrift in der Ausschußfassung auf. um in den Genuß einer hochdotierten und finanziell (Unruhe) zusätzlich versüßten Vorruhestandsregelung zu ge- — Ich möchte allerdings zunächst die Kollegen bit- langen. ten, ihren Platz einzunehmen. Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, (Anhaltende Unruhe) weil die Bundesregierung nichts tat, um den Ver- — Der Präsident hat darum gebeten, daß die Kolle- dacht zu entkräften, gen ihren Platz einnehmen. — Das gilt auch für den (Zurufe von der CDU/CSU) Kollegen Soell, der mir leider nicht zuhört, im übri- gen auch auf der anderen Seite. — Es ist nicht sehr daß sich gerade die agilsten Offiziere in den Ruhe- angenehm, so eingreifen zu müssen. stand abmelden werden, weil ihnen eine weitere berufliche Karriere in der Wirtschaft bei ungehin- Ich habe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift dertem Genuß der Frühpension winkt. in der Ausschußfassung aufgerufen. Wer den aufge- rufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den (Zustimmung bei der SPD) bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, gen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften in der zweiten Le- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) sung mit Mehrheit angenommen. weil keineswegs nur Offiziere aus der aktiven Trup- Wir treten in die pe, sondern auch solche aus den Stäben Vorruhe- standsgelüste haben und offensichtlich auch befrie- dritte Beratung digt bekommen sollen. ein. Ich kann an der Abstimmung nicht teilnehmen, Dazu hat zunächst nach § 31 Abs. 2 unserer Ge- (Unruhe bei der CDU/CSU) schäftsordnung der Abgeordnete Lutz das Wort zu einer Erklärung erbeten. weil die Berufsunteroffiziere im Truppenkader nicht diesen Sondervorzug erhalten (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Lutz (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe um das Wort nach § 31 Abs. 2 der und weil mutwillig Präjudizien für die gesamte Be- Geschäftsordnung gebeten, um zu begründen, amtenschaft geschaffen werden. warum ich an der folgenden namentlichen Abstim- (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD mung nicht teilnehmen kann. — Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU 10646 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Lutz — Zurufe von der CDU/CSU: Mißbrauch karte in eine der vorn aufgestellten Urnen zu le- der Geschäftsordnung!) gen. — Und wenn Sie noch so schreien: Ich kann an der Ich eröffne die namentliche Abstimmung und ma- Abstimmung nicht teilnehmen, da ich von der fe- che darauf aufmerksam, daß anschließend eine wei- sten Überzeugung ausgehe, tere namentliche Abstimmung stattfindet. Ich stelle (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Unmög fest, daß jetzt kein Abgeordneter mehr von seinem lich!) Stimmrecht Gebrauch zu machen wünscht. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- daß ein halbwegs vernünftig geführtes Unterneh- rer, mit der Auszählung zu beginnen. men von 260 000 Mann 1 200 Vorgesetzte wird im Innendienst verwenden können. Ich darf die Kollegen bitten, Platz zu nehmen. Wir können die zweite Abstimmung, die in diesem Zu- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten sammenhang noch ansteht, jetzt schon vorneh- der GRÜNEN — Weitere Zurufe von der men. CDU/CSU: Mißbrauch!) Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat den Antrag zurückgezogen, eine na- mentliche Abstimmung über ihren Entschließungs Vizepräsident Westphal: Einen Augenblick, Herr antrag vorzunehmen. Insofern sind wir in der Lage, Abgeordneter! Ich muß Sie unterbrechen. die Abstimmung jetzt in der Auszählungspause (Feilcke [CDU/CSU]: Eine Schmierenko durchzuführen. mödie! — Weitere Zurufe von der CDU/ Wir stimmen also ab über den Entschließungs- CSU: Mißbrauch! — Es ist immer dieser antrag des Abgeordneten Suhr und der Fraktion Präsident, der das zuläßt!) DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3461. Wer diesem — Vielen Dank für die Kritik! Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Herr Abgeordneter, § 31 Abs. 2 unserer Geschäfts- Handzeichen. — Wer stimmt gegen den Antrag? — ordnung gibt die Möglichkeit, vor der Abstimmung Gibt es Enthaltungen? — Dann stelle ich fest, daß eine Erklärung abzugeben, wenn man an einer Ab- dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt wor- stimmung nicht teilnimmt. Es geht um eine Erklä- den ist. rung, die inhaltlich nicht ein Debattenbeitrag sein Wir warten jetzt auf das Abstimmungsergebnis. darf. Die Art und Weise, wie Sie Ihren Beitrag auf- Ich gebe das von den Schriftführern mitgeteilte gebaut haben, wirft die Frage auf, ob das ein Miß- Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den brauch ist. Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kom- Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Per- men! sonalstruktur in den Streitkräften auf Drucksache (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ 10/2887 und 10/3439 bekannt. CSU) Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Dies wird sicher ein Nachspiel haben; das müssen Hauses haben 417 ihre Stimme abgegeben. Davon Sie sehen. Ich bitte Sie, Ihren letzten Satz zu der war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben gestimmt Überlegung zu sprechen, daß Sie an der Abstim- 229, mit Nein haben gestimmt 177. Es hat 11 Enthal- mung nicht teilnehmen können. Dann kommen wir tungen gegeben. zur Abstimmung. Von den Berliner Abgeordneten haben 16 ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Lutz (SPD): Herr Präsident, ich kann letztlich an Ja haben 9 gestimmt, mit Nein 7. Es hat keine Ent- der Abstimmung nicht teilnehmen, weil diesem haltung gegeben. Parlament wesentliche Informationen vorenthalten worden sind (Beifall bei Abgeordneten der SPD und den Endgültiges Ergebnis GRÜNEN) Abgegebene Stimmen 416 und 16 Berliner Abgeordnete; und somit eine Fehlentscheidung des Parlaments davon bewußt herbeigeführt wird. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ja: 229 und 9 Berliner Abgeordnete nein: 176 und 7 Berliner Abgeordnete enthalten: 11 Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- ren, wir treten in die Ja Dr. Blüm Böhm (Melsungen) dritte Beratung Dr. Bötsch ein und kommen zur Schlußabstimmung. CDU/CSU Bohl Dr. Abelein Bohlsen Die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unse-- Frau Augustin Borchert rer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Dr. Barzel Braun Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, Bayha Breuer Dr. Becker (Frankfurt) Broll den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer Berger Brunner dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten Biehle Bühler (Bruchsal) will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungs- Dr. Blank Dr. Bugl Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10647

Vizepräsident Westphal Carstens (Emstek) Löher Frau Verhülsdonk SPD Carstensen (Nordstrand) Lohmann (Lüdenscheid) Vogel (Ennepetal) Clemens Louven Dr. Voigt (Northeim) Amling Conrad (Riegelsberg) Lowack Dr. Voss Antretter Dr. Czaja Maaß Dr. Waffenschmidt Bachmaier Daweke Frau Männle Dr. Waigel Bahr Frau Dempwolf Magin Graf von Waldburg-Zeil Bamberg Deres Marschewski Dr. Warnke Becker (Nienberge) Doss Metz Dr. Warrikoff Frau Blunck Dr. Dregger Dr. Meyer zu Bentrup Dr. von Wartenberg Brandt Echternach Michels Weiß Brück Eigen Dr. Miltner Werner (Ulm) Buckpesch Engelsberger Dr. Möller Frau Dr. Wex Büchler (Hof) Erhard Müller (Remscheid) Frau Will-Feld Dr. von Bülow (Bad Schwalbach) Müller (Wadern) Frau Dr. Wilms Buschfort Frau Fischer Müller (Wesseling) Wilz Catenhusen Fischer (Hamburg) Nelle Wimmer (Neuss) Collet Francke (Hamburg) Niegel Windelen Curdt Dr. Friedmann Dr.-Ing. Oldenstädt Frau Dr. Wisniewski Daubertshäuser Ganz (St. Wendel) Dr. Olderog Wissmann Delorme Frau Geiger Petersen Dr. Wittmann Dreßler Dr. von Geldern Pfeffermann Dr. Wörner Duve

Dr. George Pfeifer Würzbach Dr. Ehmke (Bonn) GeGerlach (Obernau) Dr. Finger Dr. Wulff Dr. Ehrenberg Gerstein Pöppl Zierer Dr. Emmerlich Gerster (Mainz) Pohlmann Zink Esters Glos Dr. Pohlmeier Ewen Dr. Götz Dr. Probst Berliner Abgeordnete Fiebig Günther Rawe Boroffka Fischer (Homburg) von Hammerstein Reddemann Buschbom Fischer (Osthofen) Hanz (Dahlen) Repnik Dolata Frau Fuchs (Köln) Haungs Dr. Riedl (München) Feilcke Frau Fuchs (Verl) Hauser (Esslingen) Dr. Riesenhuber Kalisch Gansel Hauser (Krefeld) Rode (Wietzen) Kittelmann Gerstl (Passau) Freiherr Heereman Frau Rönsch Dr. h. c. Lorenz Gilges von Zuydtwyck Frau Roitzsch Straßmeir Glombig Frau Dr. Hellwig (Quickborn) Grunenberg Helmrich Dr. Rose Haase (Fürth) Herkenrath Rossmanith Haehser Hinrichs Roth (Gießen) Hansen (Hamburg) Hinsken Rühe FDP Frau Dr. Hartenstein Höffkes Ruf Beckmann Dr. Hauchler Höpfinger Sauer (Salzgitter) Bredehorn Hauck Dr. Hoffacker Sauer (Stuttgart) Cronenberg (Arnsberg) Dr. Hauff Frau Hoffmann (Soltau) Sauter (Epfendorf) Eimer (Fürth) Heistermann Dr. Hornhues Dr. Schäuble Ertl Herterich Hornung Schartz (Trier) Dr. Feldmann Hettling Frau Hürland Schemken Gallus Heyenn Dr. Hüsch Scheu Gattermann Dr. Holtz Graf Huyn Schlottmann Genscher Horn Jäger (Wangen) Schmidbauer Frau Dr. Hamm-Brücher Huonker Jagoda Schneider Kohn Ibrügger Dr. Jahn (Münster) (Idar-Oberstein) Dr.-Ing. Laermann Immer (Altenkirchen) Dr. Jenninger Freiherr von Schorlemer Mischnick Jahn (Marburg) Dr. Jobst Schreiber Möllemann Jansen Jung (Lörrach) Dr. Schroeder (Freiburg) Neuhausen Dr. Jens Dr.-Ing. Kansy Schulhoff Paintner Jung (Düsseldorf) Frau Karwatzki Dr. Schulte Ronneburger Junghans Keller (Schwäbisch Gmünd) Dr. Rumpf Jungmann Kiechle Schwarz Schäfer (Mainz) Kastning Klein (München) Dr. Schwarz-Schilling Frau Dr. Segall Kiehm Dr. Köhler (Duisburg) Dr. Schwörer Frau Seiler-Albring Kirschner Dr. Köhler (Wolfsburg) Seehofer Dr. Solms Kisslinger Dr. Kohl Seesing Dr. Weng (Gerlingen) Klein (Dieburg) Kolb Seiters Wolfgramm (Göttingen) Dr. Klejdzinski Kraus Dr. Freiherr Klose Dr. Kreile Spies von Büllesheim Berliner Abgeordneter Kolbow Krey Spilker Kühbacher Kroll-Schlüter Spranger Hoppe Lambinus Frau Krone-Appuhn Dr. Sprung Leonhart Dr. Kronenberg Dr. Stark (Nürtingen) fraktionslos Frau Dr. Lepsius Dr. Kunz (Weiden) Dr. Stavenhagen Liedtke Lamers Dr. Stercken Voigt (Sonthofen) Lohmann (Witten) Landré Stockhausen Frau Dr. Martiny-Glotz Dr. Langner Stommel Frau Matthäus-Maier Lattmann Strube Matthöfer Dr. Laufs Stutzer Meininghaus Link (Diepholz) Susset Nein Menzel Link (Frankfurt) Tillmann Müller (Düsseldorf) Linsmeier Dr. Todenhöfer Müller (Schweinfurt) Lintner Uldall CDU/CSU Dr. Müller-Emmert Dr. Lippold Dr. Unland Sauter (Ichenhausen) Müntefering 10648 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vizepräsident Westphal Nehm Zander Frau Steinhauer (SPD): Herr Präsident! Meine Neumann (Bramsche) Zeitler Dr. Nöbel sehr verehrten Herren und Damen! Zur Abstim- Oostergetelo Berliner Abgeordnete mung und zu meinem Verhalten bei der Abstim- Paterna Egert mung über das sogenannte Personalstrukturgesetz Pauli Streitkräfte gebe ich folgende persönliche Erklä- Dr. Penner Löffler Peter (Kassel) Frau Luuk rung ab. Pfuhl Stobbe Porzner Dr. Vogel Aus folgenden Gründen habe ich gegen das Ge- Purps Wartenberg (Berlin) setz gestimmt. Das soeben verabschiedete Gesetz Ranker halte ich für sozialpolitisch absolut unvertretbar. Rappe (Hildesheim) Reimann (Beifall der Abg. Frau Fuchs [Köln] Reschke DIE GRÜNEN Reuter Auhagen [SPD]) Rohde (Hannover) Frau Borgmann Roth Bueb Es eröffnet für eine kleine Gruppe Privilegien, die Sander Frau Dann auch in der Lösung der angeführten Strukturpro- Schäfer (Offenburg) Frau Eid bleme keine akzeptable Begründung haben können. Schanz Frau Hönes Ich halte die Folgen der Privilegien für unabseh- Dr. Scheer Horacek Schlaga Frau Kelly bar. Schlatter Kleinert (Marburg) (Lutz [SPD]: Sehr wahr!) Schluckebier Lange Frau Schmedt Mann Ich kann dies den Bürgern draußen nicht erklären (Lengerich) Dr. Müller (Bremen) und erst recht nicht vertreten, Dr. Schmidt (Gellersen) Dr. Schierholz - Schmidt (München) Schily Schmitt (Wiesbaden) Schmidt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Schmude (Hamburg-Neustadt) Dr. Schöfberger Schulte (Menden) noch dazu, wenn der pensionierte Offizier in der Schreiner Senfft Privatwirtschaft unbegrenzt dazuverdienen kann. Schulte (Unna) Suhr Dr. Schwenk (Stade) Tischer (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Sieler Vogel (München) Frau Simonis Vogt (Kaiserslautern) Übrigens gibt es auch in anderen Bereichen Pro- Frau Dr. Skarpelis-Sperk Volmer Dr. Soell Frau Wagner bleme im Altersaufbau ähnlich der Bundeswehr. Dr. Sperling Werner (Dierstorf) Welche Auskunft gebe ich dem Polizeibeamten oder Dr. Spöri Werner (Westerland) Bundesgrenzschutzangehörigen über seine Beför- Steiner derungsaussichten? Wie soll ich dem Vorarbeiter Frau Steinhauer Berliner Abgeordneter Stiegler mit Industriemeisterprüfung erklären, daß er nicht Stockleben Ströbele aufsteigen kann, weil der Meister noch zu jung ist? Dr. Struck Das gleiche gilt für den Bürobereich, auch wenn Tietjen z. B. der Abteilungsleiter im Gegensatz zu seinem Frau Dr. Timm Toetemeyer Enthalten jüngeren Mitarbeitern mit der Datenverarbeitung Frau Traupe nicht zurechtkommt. Urbaniak CDU/CSU Verheugen (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Sehr wahr!) Vogelsang Dr. Faltlhauser Voigt (Frankfurt) Fellner Götzer Oder was sage ich dem jungen Lehrer, der keine Vosen Aussicht auf Einstellung, oder dem, der keine Aus- Waltemathe Dr. Müller Walther Wittmann (Tännesberg) sicht auf Beförderung zum Schulleiter usw. hat? Weinhofer Was sage ich dem habilitierten Akademiker, der Dr. Wernitz FDP wegen der Altersstruktur der Professoren kein Westphal Hochschullehrer werden kann? Frau Weyel Frau Dr. Adam Dr. Wieczorek Schwaetzer Wiefel Baum (Beifall der Abg. Frau Fuchs [Köln] von der Wiesche Dr. Haussmann [SPD]) Wimmer (Neuötting) Dr. Hirsch Wischnewski Hoffie Was sage ich schließlich den älteren Rentnerinnen, Witek den Müttern über 65 Jahren, die zukünftig keine Dr. de With fraktionslos Wolfram Zuschläge für Kindererziehungszeiten zu ihrer (Recklinghausen) Bastian Rente erhalten, (Beifall der Abg. Frau Fuchs [Köln] [SPD]) weil die Finanzen dazu nicht zur Verfügung gestellt Damit ist das Gesetz in dritter Lesung angenom- werden? men. Für eine kleine Gruppe werden hier aber Hun- Mir liegt noch eine Wortmeldung nach § 31 unse- derte von Millionen oder gar 1 Milliarde DM locker rer Geschäftsordnung von der Frau Abgeordneten gemacht. Steinhauer vor. Ich bitte um Aufmerksamkeit. (Lutz [SPD]: Sehr wahr!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 13. Juni 1985 10649

Frau Steinhauer 1983 wurden bei den Schwerstbehinderten in den Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, Werkstätten die Renten um 22,5 % gekürzt und da- entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. — Ich durch 250 Millionen DM gespart. möchte den — hoffentlich erfolgreichen — Versuch (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Schweinerei unternehmen, die Ruhe im Hause wiederherzustel- ist das!) len. Ich möchte die Kollegen bitten, doch in die Lobby zu gehen, wenn sie sich unterhalten wollen, Dies alles hat mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun. oder aber Platz zu nehmen und zuzuhören. — Einen (Beifall bei der SPD) Moment noch, Herr Abgeordneter. Ich möchte noch Viele Bürger haben mir gegenüber ihren Unmut einen Moment warten, bis die mir notwendig er- zum Ausdruck gebracht. Meine Damen und Herren, scheinende Ruhe hergestellt ist. — Sie können fort- nicht Privilegien, sondern Chancengleichheit und fahren, Herr Abgeordneter. Harmonisierung wären statt dessen angezeigt. Ich als Sozialpolitikerin kann eine hier wieder einmal Hauser (Esslingen) (CDU/CSU): Ich bedanke zum Ausdruck gebrachte Rosinenpolitik und ein mich, Herr Präsident. Ganze 27 hauptamtlich tätige Auseinanderdividieren nicht mit meiner Auffas- Feuerwehrleute leisten Wehrdienst. Wir können sung vereinbaren. also feststellen — hier herrscht ohne Zweifel Über- einstimmung mit dem Bundesrat —, daß die über- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten große Mehrheit des betroffenen Personenkreises der GRÜNEN) auch heute schon nicht für die Dienstleistung im Verteidigungsfall vorgesehen ist. Dies wird auch so Ich rufe nunmehr Punkt 6 Vizepräsident Westphal: bleiben, da die Bundeswehr über ein so großes Po- der Tagesordnung auf: tential von Reservisten verfügt, daß man nicht auf Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- die hauptamtlichen Feuerwehrkräfte zurückgreifen rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes muß. zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und Die Begründung des Bundesrates, in den kom- des Zivildienstgesetzes menden Jahren werde wegen des Absinkens der — Drucksache 10/1727 — Jahrgangsstärken wehrdienstfähiger junger Män- Beschlußempfehlung und Bericht des Vertei- ner die Einberufungspraxis der Wehrersatzbehör- digungsausschusses (12. Ausschuß) den verschärft, und es bestehe die Gefahr, daß nach — Drucksache 10/3088 — 1988 auch hauptberufliche Feuerwehrleute dienen Berichterstatter: müßten, ist ebenso nicht stichhaltig. Wir wissen Abgeordnete Hauser (Esslingen) doch, daß auch unter dem Eindruck sinkender Jahr- Steiner gangszahlen keine Veränderung des Uk-Verfahrens zu erwarten ist. Der Modus der Uk-Stellung, wie er (Erste Beratung 91. Sitzung) bisher geregelt war und wie er in Zukunft vorgese- Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für hen ist, hat im übrigen — entgegen der Behauptung die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für in der Gesetzesbegründung durch den Bundesrat — jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und einwandfrei funktioniert. höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- (Hansen [Hamburg] [SPD]: Überhaupt sen. nicht!) Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Es handelt sich nicht um willkürliche oder zu bean- Das ist nicht der Fall. standende Verfahrensweisen. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Meine Damen und Herren, der Wunsch des Bun- Wort hat der Abgeordnete Hauser (Esslingen). desrates, die hauptamtlichen Feuerwehrkräfte grundsätzlich vom Wehrdienst freizustellen, würde Hauser (Esslingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! bedeuten, daß in den § 42 des Wehrpflichtgesetzes Meine Damen und Herren! Meine Fraktion lehnt und in den § 15 des Zivildienstgesetzes eine zusätz- den Gesetzentwurf des Bundesrates ab. Der Bun- liche Wehrdienstausnahme einzufügen wäre. Wir desrat will mit diesem Gesetz sicherstellen, daß das wenden uns sehr deutlich gegen jede weitere Aus- hauptamtliche Einsatzpersonal der öffentlichen nahme von der allgemeinen Norm. Eine solche Feuerwehren vom Wehrdienst freigestellt wird. Den Handlungsweise würde mehr Wehrungerechtigkeit Wunsch des Bundesrates, im Spannungs- und Kon- schaffen. Wir sind jedoch 1983 auch mit der Absicht fliktfall die Funktionsfähigkeit der öffentlichen angetreten, mehr Wehrgerechtigkeit zu erreichen. Feuerwehren zu garantieren, teilen auch wir. Un- Wir halten an dem Grundsatz fest, daß es Pflicht sere Wege trennen sich jedoch bei den Mitteln, mit eines jeden wehrdienstfähigen Bürgers unseres denen dieses Ziel erreicht werden soll. Staates sein muß, den Wehrdienst oder im Falle der (Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg) Anerkennung als Wehrdienstverweigerer den zivi- Wir halten die bisherige Regelung, in jedem ein- len Ersatzdienst zu leisten. Ausnahmen von dieser zelnen Fall zu prüfen, ob eine Unabkömmlichstel- Pflicht können nur wirkliche Härte- und Ausnah- lung eines hauptamtlichen Feuerwehrmannes ge- mefälle betreffen. rechtfertigt ist, für angemessen und wirkungsvoll. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich in unserem Von den 24 000 hauptamtlichen Feuerwehrleuten, Wehrpflichtgesetz eine stattliche Zahl von Wehr- die wir in der Bundesrepublik haben, unterliegen dienstausnahmen angesammelt, die sicherlich zu zur Zeit 2 645 der Wehrüberwachung; nur 236 sind der Zeit, als sie beschlossen wurden, berechtigt wa- jedoch mobilmachungsbeordert. ren. Einige dieser Wehrdienstausnahmen und Son- 10650 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Hauser (Esslingen) derregelungen halte ich heute für nicht mehr rich- Obwohl die Bundesregierung vorgibt, die beson- tig. dere Bedeutung der zivilen Verteidigung im Rah- (Lambinus [SPD]: Technisches Hilfswerk men der Gesamtverteidigung anzuerkennen, und so!) (Lambinus [SPD]: In Sonntagsreden!) Wir bemühen uns daher zur Zeit um eine Überprü- fung, inwieweit diese Regelungen überhaupt noch lehnt sie dennoch die von den Ländern zu Recht der Wirklichkeit entsprechen. geforderte Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes ab. Die Bundesregierung be- (Lambinus [SPD]: Wie ist es mit THW?) müht für ihre Begründung mal wieder die Wehrge- Es wäre daher nicht konsequent, während dieser rechtigkeit — der Kollege Hauser hat das auch ge- Überprüfung eine neue Wehrdienstausnahme ein- tan —, die neuerdings als Deckmantel für viele zuführen. merkwürdige Personalentscheidungen herhalten Meine Damen und Herren, Wehrgerechtigkeit be- muß deutet für mich, daß möglichst alle wehrdienstfähi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen Bürger unseres Landes Wehr- oder Ersatz- und die je nach Bedarf hin- und hergewendet wird. dienst leisten müssen. (Hansen [Hamburg] [SPD]: Dann müssen Die berechtigten Besorgnisse des Deutschen Feu- erwehrverbandes, im Spannungs- und Verteidi- Sie das machen!) gungsfall würde auf Grund der derzeit gültigen Frieden in Freiheit wollen alle. Deshalb muß auch Rechtslage das hauptamtliche Feuerwehrpersonal jeder dafür eintreten. in nicht unerheblichem Maße zum Wehrdienst ein- Ich bedanke mich. berufen, weist die Bundesregierung als grundlos zu- rück. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lambinus [SPD]: Jeder auf seine Art!) (Lambinus [SPD]: Aber auf Feuerwehrfe sten schwingen sie große Reden!) Sie versucht die Befürchtung der öffentlichen Feu- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- erwehren mit dem Hinweis zu entkräften, daß we- ordnete Steiner. gen des großen Potentials an ausgebildeten Reser- visten auf die Mobilmachungsbeorderung der hauptamtlichen Kräfte der öffentlichen Feuerweh- Steiner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und ren weitgehend verzichtet werden könne. Ferner Herren! Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzent- würde auch die Unabkömmlichkeitsstellung von wurf des Bundesrates ihre Zustimmung geben. Mit Feuerwehrmännern bei der Heranziehung zum den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzesände- Grundwehrdienst weiterhin großzügig gehandhabt. rungen soll den Aufgaben und besonderen personel- Für die Annahme der Feuerwehren, ab 1988 würden len Bedürfnissen der öffentlichen Feuerwehren etwa tausend hauptberufliche Einsatzkräfte ständig Rechnung getragen werden. Sie dienen insbeson- Grundwehrdienst leisten, besteht nach Meinung dere der Sicherstellung der uneingeschränkten der Bundesregierung kein Anlaß. Einsatzbereitschaft und Funktionsfähigkeit der öf- fentlichen Feuerwehren sowohl im Frieden als Wenn die Bundesregierung in diesem Fall wirk- auch im Spannungs- und Verteidigungsfall. lich mal das meint, was sie sagt, dann müßte sie eigentlich dem begründeten Anliegen der Länder (Beifall des Abg. Hansen [Hamburg] ihre Zustimmung geben. [SPD]) Der Schwerpunkt der Einsätze der öffentlichen (Beifall des Abg. Lambinus [SPD]) Feuerwehren liegt im Bereich der Abwehr von Ge- Denn 1984 waren von den rund 24 000 hauptberufli- fahren bzw. der Beseitigung von Störungen der öf- chen Feuerwehrmänner nur ganze 236 mobilma- fentlichen Sicherheit und Ordnung. Wenn die öf- chungsbeordert, also knapp 1 %. Nur 27 leisteten fentlichen Feuerwehren schon im täglichen Leben Grundwehrdienst. Herr Kollege Hauser, wenn nun in Dauerpräsenz die Aufgabe haben, Gefahren für aber 27 Wehrpflichtige und 236 Reservisten jährlich Leib und Leben, Hab und Gut abzuwenden und ein- der Bundeswehr nicht mehr zur Verfügung stünden zudämmen, die durch Brände, Explosionen, Über- — mehr könnten es gar nicht werden, weder nach schwemmungen und andere Katastrophen und Un- den Aussagen der Bundesregierung noch nach Ih- glücksfälle entstehen, so stellt sich ihnen dieser ren Aussagen, wenn man ihnen Glauben schenken Auftrag insbesondere im Spannungs- oder im Ver- will —, teidigungsf all. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Hauser [Esslingen] [CDU/CSU]: Mir kann man immer glauben!) Zur Erfüllung dieser Aufgabe bedarf es eines voll- dann hätte dies keine spürbaren Auswirkungen, ständigen qualifizierten Personalbestandes bei -al- len öffentlichen Feuerwehren. weder auf die Wehrgerechtigkeit noch auf die Ein- satzbereitschaft der Truppe. Mit dem vom Bundes- (Sehr gut! bei der SPD) rat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Än- Diese Auffassung wird übrigens auch vom Deut- derung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivil- schen Städtetag voll geteilt. dienstgesetzes wäre aber die Einsatzbereitschaft Deutscher Bundestag —.10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10651

Steiner der öffentlichen Feuerwehren ohne Wenn und Aber Die Frage muß doch wohl erlaubt sein, meine Da- in jeder Lage sichergestellt. men und Herren: Wo findet eine Ausweitung von (Beifall bei der SPD) Wehrdienstausnahmen ihre vernünftige Grenze? Bei Ärzten, bei Pflegepersonal, bei Rettungsdien- sten? Hier, glaube ich, wird sehr schnell sichtbar, Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- daß wir in jedem Einzelfall sehr sorgfältig überle- ordnete Ronneburger. gen müssen — dies wird offenbar auch getan —, ob (Zurufe von der SPD: Oh, zum vierten der einzelne mobbeordert wird oder nicht; aber hier Mal!) eine grundsätzliche zusätzliche Wehrdienstaus- nahme einzuführen scheint uns in der gegenwärti- Ronneburger (FDP): Nein, das dritte Mal, meine gen Situation nicht angebracht zu sein. Es geht hier sehr verehrten Damen und Herren. — Herr Präsi- auch um grundsätzliche Erwägungen der Wehrge- dent! Meine Damen und Herren! Es ist keineswegs rechtigkeit, die durchzuhalten und zu sichern in ein Mangel an Respekt vor der Aufgabe und Lei- einer auf uns zukommenden schwierigen Zeit ohne- stung der Feuerwehren, wenn die FDP-Fraktion in hin eine nicht leicht zu lösende Aufgabe sein wird. diesem Falle den Gesetzesantrag des Bundesrates Darüber hinaus sage ich Ihnen, meine Damen und ablehnt, sondern es ist ein Ausfluß grundsätzlicher Herren: Nicht nur wegen der geringen Zahl der Überlegungen, ob es eigentlich vernünftig sein wehrdienstleistenden Feuerwehrleute, sondern kann, zu einem Zeitpunkt, zu dem wir aus demo- auch weil im Mobilmachungsfalle genügend Reser- graphischen Entwicklungen und aus der Notwen- visten zur Verfügung stünden, ist nicht zu befürch- digkeit heraus, einen bestimmten Friedensbestand ten, daß die Funktionsfähigkeit des Katastrophen- der Bundeswehr zu halten, darangehen, Wehr- schutzes im Verteidigungsfall leidet. dienstausnahmen einzuschränken; zwangsläufig Also nicht als Abwertung der Feuerwehr oder des werden wir dazu übergehen müssen. Es ist doch Katastrophenschutzes, sondern aus grundsätzli- wohl eine Frage, ob es zu diesem Zeitpunkt eigent- chen Erwägungen lehnt meine Fraktion diesen Ge- lich vernünftig und angebracht ist, den bisherigen setzentwurf ab. Wehrdienstausnahmen eine weitere hinzuzufügen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will den Zahlen, die der Abgeordnete Hauser genannt hat, nur einige wenige hinzufügen. Von Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- 24 000 hauptberuflichen Feuerwehrleuten unterlie- ordnete Lange. gen zur Zeit der Wehrüberwachung 2 645; aber nur 236 von diesen 2 645 sind tatsächlich mobbeordert, und 27 leisten zur Zeit ihren Grundwehrdienst ab. Lange (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen Wenn es eines Beweises bedürfte, daß der gegen- und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN stimmt wärtige Rechtszustand durchaus in die Lage ver- dem Gesetzentwurf des Bundesrates zu. Dieser Ent- setzt, den Aufgaben und Notwendigkeiten der Feu- wurf sieht vor, daß eine Berufsgruppe, nämlich erwehr und des Katastrophenschutzes Rechnung hauptamtliche Feuerwehrleute, den bislang im zu tragen, ist er in diesen Zahlen einwandfrei er- Wehrpflichtgesetz und Zivildienstgesetz den Poli- bracht. zeivollzugsbeamten zugestandenen Vorzug, näm- (Beifall bei der FDP) lich uneingeschränkt vom Wehr- und Zivildienst freigestellt zu werden, ebenfalls erhält. Ich sage noch einmal, der Dienst der Feuerwehr ist zweifellos von großer Bedeutung für die Gemein- Die Position der Bundesregierung und der sie tra- schaft, und ich bin gerne bereit, an dieser Stelle ein- genden Regierungsparteien läuft dagegen im we- mal ausdrücklich zu sagen, daß den Feuerwehrleu- sentlichen darauf hinaus, daß dort Gefahr gewittert ten für ihre oft auch lebensgefährliche Tätigkeit wird, Gefahr für die geplante personelle Aufblä- Dank geschuldet wird. hung, Gefahr für die materielle Aufrüstung und Ge- fahr für die strategische Offensivausrichtung der Bundeswehr, Gefahr also, um dies einmal sehr Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ge- sanft zu formulieren, für ein aggressives Kriegsvor- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten bereitungsbündnis NATO, das eben Menschenma- Hansen? terial braucht und von dieser Seite des Hauses als Wertegemeinschaft gefeiert und als unverzichtba- Ronneburger (FDP): Ja, ich gestatte sie. res Verteidigungsinstrument mißverstanden wird. (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: In welcher Hansen (Hamburg) (SPD): Herr Ronneburger, Sie Welt leben Sie eigentlich?) kennen sich ja in Norddeutschland gut aus. Wissen — Herr Kollege, ich lebe in einer Welt, in der immer Sie beispielsweise — weil Sie so gut die Zahlen ken- mehr Menschen Angst haben, Angst vor dieser Re- nen —, wie sich diese Sache konkret bei der Ham- gierung und ihrer Rüstungspolitik. burger Berufsfeuerwehr auswirken würde? Ich darf aus der Stellungnahme der Bundesregie- rung zu diesem Entwurf zitieren: Ronneburger (FDP): Ich habe hier die Zahlen für das Bundesgebiet genannt. Ich bitte um Ihr Ver- Angesichts der ... drängenden Personalpro- ständnis dafür, daß mir für einzelne Bundesländer, bleme können jedoch die Wehrdienstausnah- so auch für die Freie und Hansestadt Hamburg, men nicht ausgeweitet werden, diese Zahlen nicht im Detail vorliegen. heißt es dort, und weiter: 10652 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Lange Hierdurch könnte auch ein Anreiz für Bemü- — Ich weiß, meine Herren, das tut Ihnen weh. Aber hungen um die Freistellung weiterer Personen- Sie müssen sich auch einmal daran gewöhnen, daß kreise vom Wehrdienst geschaffen werden. die Bundeswehr insgesamt in Frage gestellt wird und wir als Parlament kein Bundeswehrunterstüt- Ich halte dies für einen interessanten Aspekt, auf zungsorgan sind. den ich gleich noch einmal zurückkommen werde. (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Sehr Um diese Problemstellung geht es heute. Die richtig!) Fraktion der GRÜNEN im Bundestag kommt inso- fern zwangsläufig zu folgenden Feststellungen. Drittens. Die Fraktion der GRÜNEN tritt dafür ein und fordert geradezu, daß viele weitere Berufs- Erstens. Die Arbeit der Feuerwehren ist risiko- gruppen dem Anliegen der hauptamtlichen Feuer- reich, beschwerlich und für die Öffentlichkeit von wehrleute folgen und die Herausnahme vom Wehr- großem Nutzen. Ihre Tätigkeit darf nicht länger er- bzw. Zivildienst beantragen. schwert werden, indem z. B. immer mehr Unab- (Beifall bei den GRÜNEN) kömmlichkeitsanträge negativ beschieden werden. Im Gegenteil: Eine generelle Freistellung vom Das ist konkrete Abrüstungspolitik in kleinen Wehr- und vom Zivildienst beseitigt bereits beste- Schritten und trägt dazu bei, daß so etwas wie ein hende Mängel im Feuerwehrbereich und gibt die- Spannungs- und Verteidigungsfall gar nicht erst sen Beamten das Gefühl, nicht weiter verunsichert entsteht. und in der Ausübung ihrer Arbeit behindert zu wer- Lassen wir die Ausnahmeregelung auch für die den. Feuerwehr zu und sorgen wir dafür, daß solche Aus- (Beifall bei den GRÜNEN) nahmen zur Regel ohne Ausnahme werden! Man muß sich das einmal vorstellen. Herr Ronne- Danke schön. burger, ich nenne Ihnen die Zahlen aus Hamburg: (Beifall bei den GRÜNEN) In Hamburg etwa sind 95 Feuerwehrbeamte nur befristet uk-gestellt und müssen mit einer Einberu- fung zum Wehrdienst rechnen. Die Kreiswehr- Vizepräsident Cronenberg : Ich schließe die Aus- ersatzämter haben zu erkennen gegeben, daß mit sprache, da mir weitere Wortmeldungen nicht vor- einer weiteren Uk-Stellung nicht gerechnet werden liegen. kann. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- mung. *) Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzent- Das alles muß vor dem Hintergrund gesehen wer- wurf abzulehnen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung den, daß die Löschzüge in Hamburg im Durch- und Überschrift auf. Wer diesen Vorschriften zuzu- schnitt nur mit zwölf Feuerwehrbeamten besetzt stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- sind anstatt mit 16, wie es die Sollstärke vor- chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — schreibt. Damit ist das Gesetz abgelehnt. (Ronneburger [FDP]: Das liegt aber nicht an der Bundesregierung!) Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 der Tagesord- Klar ist, daß die Funktionsfähigkeit der Löschzüge nung: reduziert und damit eben Menschenleben gefährdet Erste Beratung des von den Fraktionen der werden. CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- (Zurufe von der CDU/CSU: Was hat das mit wurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Bundeswehr zu tun? — Warum stellen des Abgeordnetengesetzes und des Euro- sie nicht mehr Leute ein?) paabgeordnetengesetzes — Drucksache 10/3453 — Diese Prioritäten müssen wir eben einfach sehen. Wir sehen sie anders als Sie. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- (Zurufe von der CDU/CSU) nung (federführend) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Zweitens. In den Einwänden der Bundesregie- Interfraktionell ist eine Redezeit von fünf Minu- rung und der Mehrheit des Verteidigungsausschus- ten für jede Fraktion vorgesehen. — Widerspruch ses dominiert engstirniges Rekrutierungsdenken erhebt sich nicht. aus einem militaristisch gefärbten Blickwinkel her- aus. Ich möchte fragen, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Auch das ist nicht der Fall. (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Müller Dann hat der Abgeordnete Bötsch das Wort. [Bremen] [GRÜNE]: Das kann man wohl sagen!) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- Diese Einwände sind nicht sachgerecht, weil sie das Dr. Bötsch men und Herren! Mit der Neufassung des Abgeord- öffentliche Interesse an einer leistungsfähigen Feu- netengesetzes durch das Gesetz vom 22. Dezember erwehr geringschätzen, das Interesse an Men- 1983 wurde ein Verfahren für die Anhebung und schenmaterial für die Kriegsorganisation Bundes- Anpassung der Abgeordnetenentschädigung gefun- wehr dagegen nur allzu deutlich werden lassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Alte Platte! — *) Erklärung des Abg. Dr. Schierholz zur Abstimmung Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Anlage 2 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10653 Dr. Bötsch den, das nicht nur den Anforderungen des Bundes- nur zwölfmal im Jahr bekommen und eine Ände- verfassungsgerichts entspricht, sondern darüber rung auch nicht zur Diskussion steht. hinaus auf Grund einer Art von Automatismus, auf Wie gesagt, diese Initiative geht auf einen ge- Grund eines Katalogs die Chance bietet, die Diskus- meinsamen Entwurf von CDU/CSU, SPD und FDP sion über dieses leidige Thema in der Öffentlichkeit zurück. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den zu versachlichen und auch den Niederungen des Kollegen auch der anderen beteiligten Fraktionen Parteiengezänks etwas zu entziehen. Gerade der für die sachliche Zusammenarbeit in den Vorge- jetzt zur Beratung und Beschlußfassung anste- sprächen zu danken und sie zu bitten, in der hende Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände- gleichen sachlichen Art und Weise dieses Gesetz in rung des Abgeordnetengesetzes und des Europaab- den Ausschüssen zu beraten. geordnetengesetzes, der von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebracht wurde, Ich bedanke mich. scheint mir ein hoffnungsvolles Zeichen in dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Richtung zu sein. Zuruf von den GRÜNEN: Sind wir damit auch gemeint?) Wie Sie wissen, hat der Präsident des Deutschen Bundestages jetzt jährlich bis zum 31. Mai über die Angemessenheit der Entschädigung Bericht zu er- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- statten und nicht mehr wie früher in einem Zwei- ordnete Becker. JahresR-hythmus. Er hat in Verbindung damit ei- nen Vorschlag vorzulegen. Auch für den Umfang der Erhöhung ist durch eine Reihe von Maßgaben Becker (Nienberge) (SPD): Herr Präsident! Meine und Kriterien ein Rahmen gesetzt, der zur Objekti- sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte bei vierung beiträgt. dieser Gelegenheit noch einmal in Erinnerung ru- fen, daß wir in diesem Parlament in den Fraktionen Die letzte Entscheidung liegt freilich beim Parla- zwar sieben Jahre lang erörtert haben, welches Ver- ment, liegt bei uns. Wir müssen selbst entscheiden. fahren denn wohl sinnvoll sei, die Bezüge der Abge- Denn wer sollte es für uns sonst tun? Der Vorwurf, ordneten nicht von der allgemeinen Einkommens- sich wie im Selbstbedienungsladen zu betätigen — entwicklung auf viele Jahre abzukoppeln, daß wir wie er oft erhoben wird —, läßt sich durch einen aber erst vor drei Jahren ein Verfahren gefunden schlichten Hinweis auf die gesetzlichen Bestim- haben, von dem wir alle überzeugt waren, daß es mungen entkräften; denn der Bundestag hat unter einigermaßen gerecht und vertretbar ist. Sieben Berücksichtigung des Vorschlags des Bundestags- Jahre lang hat es keine Erhöhung der Bezüge gege- präsidenten, also nach den genannten Maßstäben ben, und dann haben wir uns auf ein Verfahren ver- zu beraten und zu beschließen. Er muß das jährlich abredet, daß der Kollege Bötsch soeben dargestellt tun mit Wirkung vom 1. Juli des Jahres unabhängig hat, daß wir nämlich die allgemeine Einkommens- davon, ob die Entscheidung jetzt gerade in die poli- entwicklung in diesem Lande bei unseren Beratun- tische Landschaft paßt oder nicht — und wie diese gen und bei der Anpassung der Entschädigung Dinge alle genannt werden. ebenso wie bei der Anpassung der Kostenpauschale (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist ja uner j ährlich berücksichtigen wollen. hört!) Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, was wir — Ihnen paßt sowieso nie etwas. Das ist völlig denn als Maßstäbe für die Anpassung dieser Ent- klar. schädigung und Kostenpauschale festgelegt haben. Wir wollten berücksichtigen: die Veränderungen Der Gesetzentwurf, der jetzt vorgelegt wird, sieht der durchschnittlichen Bruttostundenverdienste dem Vorschlag des Präsidenten gemäß eine Erhö- der Arbeiter in der Industrie, der durchschnittli- hung der Entschädigung um 2,8 % und der Kosten- chen Bruttomonatsverdienste der Angestellten in pauschale um 2,4 % vor; das unter Berücksichtigung Industrie und Handel, der Dienst- und Versorgungs- des Katalogs der Löhne, Gehälter, Renten, aller ver- bezüge im öffentlichen Dienst, der Vergütungen der fügbaren Einkommen, der Lebenshaltungskosten. Angestellten und der Löhne der Arbeiter im öffent- Wir halten eine Erhöhung dieses Umfanges für an- lichen Dienst, der Renten der gesetzlichen Renten- gemessen und gerecht. versicherung, die durchschnittliche Erhöhung von Ich glaube, das Ansehen unseres freiheitlichen Arbeitslosengeld, Veränderungen der durchschnitt- Rechtsstaates hängt auch von der Qualität dieses lichen Arbeitslosenhilfe und der Leistungen nach Hauses ab. Das setzt voraus, daß es für qualifizierte dem Bundessozialhilfegesetz. Dies waren die Daten, Angehörige aller Berufsgruppen zumutbar erschei- die wir bei der Erhöhung unserer Bezüge zugrunde nen muß, sich für ein Mandat als Abgeordneter des gelegt haben wollten. Man kann sicherlich sagen, Deutschen Bundestages zur Verfügung zu stellen. daß es dabei um eine Berechnung geht, die die Ein- Bei einer unvoreingenommenen und objektiven Ab- kommensveränderungen in allen Bereichen der Be- wägung aller Faktoren wird auch eine kritische und völkerung berücksichtigt. sensible Öffentlichkeit Verständnis für eine maß- - Wir haben außerdem beschlossen, daß wir bei der volle Anhebung der Entschädigung der Abgeordne- Kostenpauschale nur diejenigen Anteile berück- ten und der Kostenpauschale aufbringen. Ich sichtigen wollen, bei denen es sich um von Abgeord- möchte hinzufügen, daß die Mitglieder des Deut- neten zu bestreitende Anteile handelt. Nach diesen schen Bundestages ihre Entschädigung anders Kriterien sollen die Bezüge der Abgeordneten um etwa als bei Banken oder im öffentlichen Dienst 2,8 % angehoben, soll die Kostenpauschale nach der 10654 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Becker (Nienberge) Entwicklung der Lebenshaltungskosten um 2,4 % er- dem Votum von CDU/CSU und SPD angeschlossen höht werden. und den Bericht des Bundestagspräsidenten zu- Dieser Vorschlag ist im vorliegenden Gesetzent- stimmend zur Kenntnis genommen. Zu Recht hat wurf begründet und wird nun in den Ausschüssen der Herr Bundestagspräsident in seinem Bericht beraten. Unter Berücksichtigung der Arbeitslast — darauf hingewiesen, daß trotz der bisher erfolgten ich will hier noch einmal in Erinnerung rufen, daß Anhebung der Abgeordnetenentschädigung immer ich sehr wenig Kollegen kenne, die weniger als 70 noch ein Rückgang der Abgeordnetenentschädi- Stunden in der Woche arbeiten müssen — gung gegenüber der Entwicklung der allgemeinen Einkommen von über 30 % verbleibt, da diese Ent- (Beifall bei Abg. Frau Dr. Hellwig [CDU/ schädigung in den Jahren 1979 bis 1983 nicht ange- CSU]) hoben worden ist. und auch angesichts der bisher bekanntgeworde- Dieses Absinken gegenüber den meisten übrigen nen Abschlüsse im Tarifbereich — Tarifverträge, Einkommen hat sich, worauf ich erneut besonders die in verschiedenen Industriezweigen abgeschlos- hinweisen möchte, ganz besonders zu Lasten der sen worden sind — ist der Vorschlag des Präsiden- Hinterbliebenen ehemaliger Abgeordneter ausge- ten gerechtfertigt und die vorgesehene Anhebung wirkt. Wir haben Briefe von Witwen und Waisen der Entschädigung und der Kostenpauschale sehr unserer verstorbenen Kollegen vorliegen, die hierzu maßvoll. eine ganz deutliche Sprache sprechen. Ein 13. Monatsgehalt — auch das will ich hier Ich möchte klarstellen, daß meine Fraktion et- betonen — wird es nicht geben. In der Öffentlich- waige über den Vorschlag des Bundestagspräsiden- keit besteht häufig der Eindruck, als ob wir dieses ten hinausgehende Anhebungen, z. B. die Einfüh- 13. Monatsgehalt bereits seit Jahren kassieren. Es rung eines 13. Monatsgehalts für Abgeordnete, gibt kein 13. Monatsgehalt für Abgeordnete. nicht unterstützen wird. (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Leider! — Vogel [München] [GRÜNE]: Wir sind auch Die heute vorgeschlagene Lösung ist aus der keine Angestellten!) Sicht der FDP-Fraktion angemessen, notwendig und dem Auftrag des Art. 38 des Grundgesetzes ent- Die SPD-Fraktion wird der Überweisung an die sprechend. Ausschüsse zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bueb [GRÜNE]: Wieso ist das notwendig?) Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Beckmann. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- ordnete Dr. Müller (Bremen). ehrten Damen! Meine Herren! Wir haben in dieser Wahlperiode schon verschiedentlich ausführlich über die Notwendigkeit diskutiert, die Abgeordne- Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Herr Präsident! tenentschädigung an die Einkommensentwicklung Meine Damen und Herren! Selbstverständlich leh- anzupassen. Alle Argumente, ob es vertretbar ist, nen wir GRÜNEN diese Diätenerhöhung ab, dies in einer Zeit zu tun, in der den Bürgern durch, (Beifall bei den GRÜNEN) wie ich meine, notwendige Entscheidungen Einspa- rungen und auch Opfer auferlegt worden sind und insbesondere nach dem vorletzten Tagesordnungs- auch noch auferlegt werden, sind in den vergange- punkt, nen Diskussionen schon ausgetauscht worden; sie (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: können von jedermann nachgelesen werden. Ich Habt ihr überlegt, was euer Rotieren den möchte es mir daher ersparen, diese Argumente zu Staat kostet? Das geht richtig in die Kasse wiederholen. Der Herr Kollege Becker hat hierzu j a mit Übergangsgeldern!) dankenswerterweise vergleichende Bemerkungen bei dem sich insbesondere die SPD über die Sub- gemacht. ventionierung — ich kann das nicht anders bezeich- Wir haben uns vor einigen Jahren, insbesondere nen — des Ausstiegs von Offizieren aus der Bun- zu Beginn dieser Legislaturperiode, darauf verstän- deswehr ereifert hat. digt, dem Bundestagspräsidenten aufzugeben, jedes Jahr einen Bericht über die Angemessenheit der Was ich da alles gehört habe über die Witwen, die Entschädigung der Abgeordneten und zugleich ei- Waisen, die Armen, die Sozialhilfeempfänger — al- nen Vorschlag über die Anpassung der Entschädi- les wurde zitiert. Und jetzt ist Ruhe, es ist keiner gung vorzulegen. Das Parlament ist verpflichtet, mehr da, ganz toll, jetzt wird kassiert. sich über den Vorschlag des Bundestagspräsiden- (Lachen und Beifall bei den GRÜNEN — ten eine Meinung zu bilden. Zurufe von der SPD) - Der Bundestagspräsident hat nun in dem diesjäh Es ist noch keine zwei Tagesordnungspunkte her, rigen Bericht festgestellt, daß die Abgeordnetenent- da höre ich auf einmal, wie arm man ist. Neue schädigung nicht mehr angemessen ist, und hat Armut ist offensichtlich im Parlament ausgebro- eine Anhebung der Entschädigung und der Kosten- chen. pauschale vorgeschlagen. Meine Fraktion hat sich (Lachen und Beifall bei den GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10655

Dr. Müller (Bremen) So liest sich die Begründung zu diesem Gesetzent- Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Danke schön, Herr wurf. Präsident. (Lambinus [SPD]: Erzählen Sie doch keine Märchen!) Vizepräsident Cronenberg: Gestatten Sie eine Zwi- — Ich zitiere gern einiges, was Sie eben bei den schenfrage des Kollegen Lambinus? Offizieren gebracht haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie meinen Ba Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Aber gerne. stian?) Nehmen wir beispielsweise — das geht jetzt an die Lambinus (SPD): Herr Kollege, können Sie mir Koalition — die Rentenerhöhung. Man billigte den bestätigen, daß die Partei der GRÜNEN die höchste Rentnern immerhin nur 1,2 % zu, scheute sich aber prozentuale Staatsfinanzierung aller im Bundestag nicht, in diesen Gesetzentwurf mit hineinzuschrei- vertretenen Parteien hat? ben, daß für Europa- und Bundestagsabgeordnete (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der das Doppelte, nämlich eine jährliche Inflationsrate FDP) von 2,4 %, zugrunde gelegt wird. (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Der Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Sie sollten wissen, Herr von der Vring kassiert die ganz daß hier Prozentrechnung unglaubwürdig und un-

schön!) redlich ist. Ich bin ja froh, daß meine Vorgänger hier nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Sie werden noch hohlwangig gesprochen haben, in Lumpen geklei- nicht einmal rot!) det. Dann hätte man zumindest sagen können, es Ich nenne Ihnen aber gern die absoluten Zahlen, hätte eine Leistung hinter dem gestanden, was Sie die hier eine Rolle spielen. Laut Drucksache 10/2172 vorgetragen haben. erhielt die SPD 125,4 Millionen DM Steuergelder (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Hohlwangig mehr im Vergleich von 1983 zu 1985, die CDU 124,9 schauen Sie aber auch nicht aus! — Zurufe Millionen, die CSU 36 Millionen, die FDP 17,4 Millio- von der CDU/CSU) nen und die GRÜNEN 13,7 Millionen DM. Meine Herren von der SPD, der Spitzenreiter im Abkassie- Nun argumentieren insbesondere Sie von der So- zialdemokratie, daß Sie 1 500 DM an die Partei ab- ren von Steuergeldern ist also immer noch die So- zugeben haben. zialdemokratische Partei. (Beifall bei den GRÜNEN) (Lambinus [SPD]: Schön wär's! — Weitere Zurufe von der SPD) Offensichtlich ist hier dem Parteienproporz ein hart erkämpfter und lukrativer Sieg abgerungen wor- — Sie geben mehr ab? Sehr interessant. den; denn Sie sind immer noch Spitzenreiter. Das heißt, diese Diätenerhöhung ist eine zusätzli- (Lambinus [SPD]: Sie erzählen doch Mär che Parteienfinanzierung. chen!) (Beifall bei den GRÜNEN) — Ich bitte Sie. Das waren die Zahlen, die erhoben Wir haben einmal durchkalkuliert, worden sind. Ich kann sie gerne nachprüfen lassen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie leben ja nur Ich bin gerne bereit, darüber zu debattieren, wie vom Staat!) viele Steuergelder für Stiftungen, für Parteien, für Sie, draufgegangen sind. wieviel beispielsweise die Stiftungen in den letzten Jahren zusätzlich aus Steuergeldern kassiert ha- (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Und ben. Sie holen Schnaps mit Steuergeldern!) (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sie — Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Immerhin leben j a nur von Staatsknete! — Müller sind Sie der teuerste Parlamentarier in der ganzen [Schweinfurt] [SPD]: Wovon lebt denn die Welt; jeder bundesdeutsche Parlamentarier kostet grüne Partei? — Zuruf des Abg. Lambinus nämlich im Schnitt 30 000 DM. Kein Staat in der [SPD]) Welt läßt sich den Parlamentarismus bezüglich der persönlichen Diäten so teuer kommen. Das sind für die Jahre 1984 und 1985 51,5 Millio- nen DM. (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Stimmt j a gar nicht!) (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Ihr holt den Schnaps mit Fahrzeugen des Bun — Nennen Sie mir ein Land, wo ein Parlamentarier destages! — Lebhafte Zurufe von der billiger ist. SPD) (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sie sind zu billig!) — Kann ich mal um Ruhe bitten? Ich verstehe ja, — Das sollten Sie nicht sagen. daß Sie sich aufregen. - (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind ein ganz Billiger!) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich Ich möchte zum Schluß bezüglich des Vorganges will versuchen, die auch Ihnen gebührende Ruhe hier auch noch etwas Positives sagen. Vielleicht herzustellen, und bitte die Kollegen, sich entspre- kann man sich dann auch etwas abregen. Was hier chend zu verhalten. jetzt passiert, ist eigentlich ein prächtiges Beispiel 10656 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Müller (Bremen) für alle Lohnempfänger hier im Lande. Das wäre Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist wahrlich ein Schritt in Richtung Demokratisierung auch für diese Aussprache ein Beitrag von je 5 unseres Wirtschaftssystems, wenn alle so über die Minuten pro Fraktion vereinbart worden. — Wider- Höhe ihrer Löhne abstimmen könnten, wie wir es spruch ergibt sich hier nicht. Das ist so beschlos- hier gleich tun werden. sen. (Beifall bei den GRÜNEN) Zur Berichterstattung wird das Wort nicht ge- Das wäre ein Modell, dem wir gerne folgen würden. wünscht. — Das ist Selbstverwaltung, das ist verantwortliches Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort Ausgeben von Geldern, was Sie hier vormachen. hat der Herr Abgeordnete von Schorlemer. Das wäre ein Modell, das wir sogar ganz gerne exportieren würden. Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich Novellierung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes habe Ihnen zusätzliche Zeit wegen der Frage gege- soll weitere Möglichkeiten zum Ausgleich von ben. Forstschäden schaffen. Natürlich wird es bei Forst- schäden niemals einen totalen und absoluten Aus- gleich geben können, weil man in der Forstwirt- Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Danke schön. — Ich komme zum Schluß. schaft eben in Generationen denken und rechnen muß. Diese Gesetzesnovelle, aus dem Bundesrat kom- Ich bitte Sie, entspre- Vizepräsident Cronenberg: mend, von Bayern dort eingebracht, hat in den Be- chend zu verfahren. ratungen der Bundestagsausschüsse weitere Hinzu- fügungen erfahren. Diese Novellierung ist zum ei- Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Noch eine Bitte nen deshalb notwendig, weil der Windwurf vom zum Schluß. Nehmen Sie das Geld, und gehen Sie in Herbst des vergangenen Jahres im Mittel- und Süd- Frieden, doch verschonen Sie uns in Zukunft vor teil der Bundesrepublik Verbesserungen des bishe- Sprüchen, die da heißen: Leistung solle sich wieder rigen Gesetzes erfordert, zum anderen aber — dies lohnen. ist der zentrale Punkt — deshalb, weil natürlich die (Lachen und Beifall bei den GRÜNEN — neuartigen Waldschäden zwingend Schadenaus- Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ernüchterung bei gleichszahlungen verlangen. den Altparteien!) Wir begrüßen nicht nur die Gesetzesnovellierung, sondern unterstützen auch die vom Ausschuß für Vizepräsident Cronenberg: Ich schließe die Aus- Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einmütig sprache, da mir weitere Wortmeldungen nicht vor- verabschiedete Entschließung. Durch diese Ent- liegen. schließung wird die Bundesregierung ersucht, im Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetz- Rahmen der Beratungen über die Gemeinschafts- entwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP aufgabe verstärkte Mittel einzusetzen, um bei groß- auf Drucksache 10/3453 zu überweisen zur feder- räumig auftretenden Waldschäden die Waldstruk- führenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprü- tur zu verbessern. fung, Immunität und Geschäftsordnung sowie zur Meine Damen und Herren, Wald ist nicht nur ein Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer emotioneller Bezugspunkt, er bietet nicht nur Erho- Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt lungsmöglichkeiten, er filtert nicht nur Luft und es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Wasser, sondern ist auch Wirtschaftsfaktor. Dazu Fall. Dann kann ich die Überweisung als so be- wenige Zahlen: 1983 betrug der Produktionswert schlossen betrachten. der Forstwirtschaft 3,2 Milliarden DM. Bei der Schiffahrt waren es 2,7 Milliarden. Im Subventions- Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: bericht werden bei der Schiffahrt 270 Millionen, bei der Forstwirtschaft 9,7 Millionen DM aufgeführt. Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- 7,3 Millionen ha sind in der Bundesrepublik bewal- rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes det, 45% in privater Hand, 25% Körperschafts-, 30 % zur Änderung des Forstschäden-Ausgleichs- Staatswald. Eine letzte Zahl möchte ich hinzufügen: gesetzes Die durchschnittliche Forstbetriebsgröße liegt un- — Drucksache 10/1394 — ter 5 ha. Wenn also Schäden durch Naturereignisse Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- oder jetzt durch die neuartigen Waldschäden auf- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und treten, bedeuten sie für den Waldbesitzer — egal Forsten (10. Ausschuß) welcher Besitzart — erhebliche finanzielle Einbu- — Drucksache 10/3271 — ßen. Dies hat gerade der vorliegende Gesetzentwurf aufzufangen versucht, indem er nicht nur die neuar- Berichterstatter: tigen Waldschäden mit in das Gesetz aufgenom- Abgeordneter Wimmer (Neuötting) men, sondern hierbei auch Hilfsinstrumente ver- (Erste Beratung 73. Sitzung). bessert hat. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3458 ein Ent- Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem schließungsantrag des Abgeordneten Werner (Dier- Überangebot von Holz wird nicht nur durch Ein- storf) und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. schlagsbeschränkungen begegnet, es wird nicht nur Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10657

Freiherr von Schorlemer die Holzeinfuhr weiter ermöglicht, sondern es wer- nicht fortwährend seine Gültigkeit haben, sondern den insbesondere auch bei den steuerlichen Mög- nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 1 vorlie- lichkeiten durch die heutige Verabschiedung des gen. Es wäre nicht richtig, dieses Gesetz als Steue- Gesetzes Entlastungen beschlossen. Das Instru- rungsgesetz oder als protektionistisches Gesetz im ment der steuerfreien Rücklagenbildung, die Ein- Bereich der Holzwirtschaft auszugestalten und zu richtung des Ausgleichsfonds und der verminderte betrachten. Steuersatz helfen dem Waldbesitzer dabei, den ge- (Gallus [FDP]: Das brauchen wir schon minderten Erlös durch Selbsteinschränkung aufzu- lange wegen des Waldsterbens!) fangen, Maßnahmen des vorbeugenden und des akuten Forstschutzes zu ergreifen, Holz zu lagern Der bisherige Katalog von bekannten Katastro- und zu konservieren, Wiederaufforstung oder Nach- phen durch Schneebruch, Sturmwurf, Insektenfraß besserung von Schadensflächen und die nachfol- und vieles andere mehr mußte nach unserer Auffas- gende Waldpflege zu ermöglichen und auch die Be- sung um neuartige Waldschäden ergänzt werden, seitigung von Schäden zu finanzieren, die durch hö- die durch Immissionsschäden auftreten. Denn es here Gewalt entstanden sind. besteht der berechtigte Eindruck, daß durch diese Waldschäden in Zukunft ein bedeutend größerer Die Verabschiedung dieser Gesetzesnovelle darf Schadholzanfall eintreten kann, als es bisher der aber keine Alibifunktion haben, sondern es müssen Fall ist. Diesem Ansinnen wurde in der Neufassung nach wie vor sämtliche Anstrengungen unternom des § 1 Rechnung getragen. men wSchadstoffbelastungrde,udiemzue mini mieren; denn der Forstwirt weiß natürlich auch, daß Neben der Ausdehnung des Katalogs der Scha- die Luftbelastungen nicht von heute auf morgen densereignisse ist es aber auch notwendig gewor- abgestellt werden können, er weiß, daß durch wald- den, eine Absenkung der Schwellenwerte herbeizu- bauliche Maßnahmen nur sehr begrenzend scha- führen. Dies wurde in dem Gesetzentwurf jetzt densmildernd eingegriffen werden kann, aber er ebenfalls berücksichtigt. Wir sind mit den Schwel- weiß auch, daß durch dieses Gesetz der Forstwirt- lenwerten, ab denen das Gesetz greifen soll, nach schaft wirkungsvoll geholfen werden kann. unten gegangen. Wir konnten allerdings nicht dem Deshalb bitte ich für meine Fraktion den Bundes- Vorschlag des Bundesrats folgen, weil wir der Auf- tag darum, nicht nur der Änderung des Gesetzes, fassung gewesen sind, daß durch eine noch weitere sondern auch der vom Ausschuß ebenfalls einge- Absenkung und zugleich durch die Hereinnahme brachten Entschließung zuzustimmen. neuer Schadensformen das Gesetz unter Umstän- den eine Dauerwirkung bekommen könnte. Wir wa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ren der Meinung, daß die vom Ausschuß jetzt vorge- schlagene Absenkung der Prozentsätze richtig ist. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr Vor allen Dingen betone ich, daß es auch richtig Abgeordnete Wimmer (Neuötting). war, eine Länderkomponente einzuführen. Danach soll das Gesetz auch dann greifen, wenn in einem Wimmer (Neuötting) (SPD): Herr Präsident! Meine Land der Schadholzanfall bei allen Holzarten vor- sehr verehrten Damen und Herren! Das zur De- aussichtlich mindestens 45 v. H. oder bei einer Holz- batte stehende Forstschäden-Ausgleichsgesetz, das artgruppe mindestens 75 v. H. beträgt. Wir haben das Gesetz von 1969 ändert, ist richtig und auch damit Prozentzahlen gewählt, die nach unserer Auf- nach unserer Auffassung dringend erforderlich. Ich fassung den derzeitigen Gegebenheiten Rechnung begrüße deshalb ausdrücklich die Gesetzesinitiative tragen. des Bundesrates. Für den Fall, daß der Erfolg einer Einschlags- Bei den bisherigen großen Katastrophen — vor beschränkung durch die Einfuhr von Holz erheblich einigen Jahren in Schleswig-Holstein und in den gefährdet würde, ist in § 2 eine Einfuhrbeschrän- letzten Jahren in Süddeutschland — hat sich das kung vorgesehen. Ich möchte herausstellen, daß bisherige Gesetz als vernünftiges Instrument be- von dieser Einfuhrbeschränkung nur Holzarten be- währt. Die in der heutigen Debatte behandelten Än- troffen sind, bei denen es in der Bundesrepublik tat- derungen werden dazu beitragen, daß das Gesetz sächlich Schadensfälle gibt. Hier sind einige Beden- noch wirksamer wird, als es bisher gewesen ist. ken von betroffenen Verbänden vorgebracht wor- den, die ich mit dieser Bemerkung sicherlich ausge- Wir haben uns bei der Beratung des Gesetzent- räumt habe. wurfs davon leiten lassen, alle denkbaren kata- Mit dem Gesetzesvorschlag wird auch den Forde- strophenbedingten Schadholzanfälle einzubauen. rungen nach steuerlichen Erleichterungen Rech- Wir versuchten aber zu gleicher Zeit, zu vermeiden, nung getragen. daß dauernde und laufende steuernde Eingriffe in die Holzwirtschaft erfolgen, weil das nicht unser Einer Schwierigkeit, die bisher im Zusammen- Ansinnen ist. hang mit Waldschäden aufgetreten ist, haben wir mit dem Art.1 a, durch den der § 19 des Güterkraft- Wir haben den Gesetzentwurf im Ausschuß so - verkehrsgesetzes geändert werden soll, Rechnung ausgestaltet, daß im Falle von Kalamitäten mög- getragen. Von den Ländern wurde zu Recht bekrit- lichst schnell und ohne großen Verwaltungsauf- telt, daß eine beschleunigte Abfuhr manchmal an wand geholfen werden kann. Verwaltungsproblemen gescheitert ist. Mit der For- Ich möchte aber ganz ausdrücklich betonen, daß mulierung, daß „derartige Nachteile insbesondere dieses Gesetz ein Ausnahmegesetz darstellt. Es soll für die Dauer einer Einschlagsbeschränkung im 10658 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Wimmer (Neuötting) Sinne des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes anzu- Finanzausschuß und in anderen Ausschüssen hat nehmen sind", haben wir, glaube ich, eine Erleichte- sich ein Gesetz herausgeschält, das den Betroffenen rung geschaffen, wodurch Engpässe im Rahmen wirklich helfen kann, Einbußen zu mildern und Ver- des Transports von Kalamitätsholz beseitigt wer- luste zu überbrücken. Ich möchte betonen, daß mir den können. die Arbeit in der kleinen Gruppe von Fachleuten Wir empfehlen neben der Annahme des Ände- große Freude gemacht hat. Es hat sich wieder ein- rungsgesetzentwurfs auch die Annahme des Ent- mal bestätigt, daß es bei der Beratung komplizierter schließungsantrags. Wir sind der festen Überzeu- Gesetzesmaterien im Deutschen Bundestag und in gung, daß außer dem Forstschäden-Ausgleichsge- den Ausschüssen keine Parteien gibt, sondern nur setz in Zukunft sicher noch eine Reihe von Maß- freie Abgeordnete, die ein gemeinsames Ziel vor nahmen notwendig sein werden. Wir sind auch da- Augen haben, in diesem Fall das Wohl des Waldes. für, daß im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Ich bedanke mich deshalb auch ausdrücklich bei Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten- den Kollegen von der SPD, der CDU und der CSU. schutzes in Zukunft noch mehr Mittel auch für die Leider kann ich mich bei den Kollegen der GRÜ- Probleme der Waldschäden und für die Verbesse- NEN nicht bedanken, weil sie sich an der Ausarbei- rung der Waldstruktur zur Verfügung gestellt wer- tung des Gesetzes nicht beteiligt haben. Diese Aus- den. arbeitung hat sehr viel Arbeit gemacht, und diese Wir stimmen auch für die Aufforderung an die Arbeit scheinen Sie zu scheuen. Es scheint Ihnen Bundesregierung, im Bericht für die Gemein- lieber zu sein, hier mit Aktuellen Stunden großen schaftsaufgabe beim Rahmenplan 1986/89 auf die- Wirbel zu machen. Dabei kommt aber wenig heraus. sen Aspekt einzugehen; denn wir halten das für In den Ausschüssen wurde die Arbeit gemacht, und dringend notwendig. dort haben Sie sich von der Mitarbeit verabschie- det. Das ist zwar nicht Ihre persönliche Schuld — Die vom Ausschuß für Ernährung, Landwirt- imzwischen haben Sie ja rotiert —, aber Sie können schaft und Forsten angeforderten schriftlichen Stel- das ja Ihren Vorgängern von mir bestellen. lungnahmen der einzelnen Verbände haben wir zur Kenntnis genommen und konnten ihnen weitestge- (Beifall bei der FDP) hend folgen. Wenn wir dies nicht in allen Positionen Ich bedanke mich auch bei den Verbänden und tun konnten, so lag das daran, daß die von den Ver- den einzelnen, die uns mit Rat und Tat aus der bänden vorgebrachten Anliegen teilweise einander Holz- und Forstwirtschaft zur Seite gestanden ha- entgegenstanden. ben. Es ist ja nur scheinbar so, daß alles, was der Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Be- Forstwirtschaft nützt, der Holzwirtschaft oder den schlußempfehlung zu und hofft, damit einen Bei- holzbearbeitenden Betrieben schadet. Stabile Holz- trag zur wesentlichen Verbesserung des Forstschä- preise, nachhaltige Holzerträge und gut aufgearbei- den-Ausgleichsgesetzes zu leisten. Sicher in Über- tete und gelagerte Rohstoffe sind für alle Markt- einstimmung auch mit den anderen Fraktionen partner wichtig und helfen, langfristig Millionen wollen wir hoffen, daß die Anwendung dieses Geset- von Arbeitsplätzen zu sichern. zes in Zukunft so selten wie nur möglich erfolgen muß. Wir haben — Herr Wimmer hat es angedeutet — zwei Gesichtspunkte herausgestellt: die Regionali- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sierung des Holzanfalls und die steuerliche Be- FDP) handlung. Insbesondere die steuerliche Behand- lung vorzeitiger und ungewollter Nutzungen im Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Wald ist für die Waldbesitzer sehr vorteilhaft ausge- ordnete Professor Dr. Rumpf. fallen. Schon das bisherige Gesetz hat ja für einen Marktausgleich gesorgt. Das neue Gesetz wird für den Marktausgleich auch in Fällen sorgen, die nicht Dr. Rumpf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ge- so plötzlich eintreten wie etwa Sturmkatastrophen. ehrten Damen und Herren! Wenn man dieses Wort- monstrum „Forstschäden-Ausgleichgesetz" liest, Meine Damen und Herren, ich möchte zum könnte man meinen, es handle sich da um etwas Schluß noch etwas zu den Schädigungen ganz allge- ganz Unwesentliches. Aber, meine Damen und Her- mein sagen. Man spricht heute praktisch nur noch ren, ich kann Ihnen sagen, daß dieses Gesetz von über Stickoxide aus Autoabgasen. Von den anderen sehr großer Bedeutung für die Waldbesitzer ist. Ich Stickoxiden aus der Industrie, aus dem Gewerbe möchte für die Freien Demokraten feststellen, daß und aus Kraftwerken oder gar von Schwefeldioxid dieses Gesetz für die Waldbesitzer zumindest die spricht überhaupt niemand mehr. Ich möchte doch gleiche Bedeutung erlangen wird wie die Freigabe betonen, daß dem Wald die Schwefeldioxide am der Holzpreise nach der Währungsreform im Jahr meisten schaden. Man sollte daher wegkommen 1950. Es ist — ich übertreibe nicht — eine großer von der Betonung der Schädigungen aus den Abga- Wurf geworden. Der Wald wird zwar nicht ge- sen der Automobile, also von dem, was Sie gestern schützt, aber die Auswirkungen seiner Schädigung zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht durch Luftverunreinigung oder durch Wind- und- haben. Sturmwurfkatastrophen werden durch dieses Ge- (Bueb [GRÜNE]: Damit Sie mit Ihrem Mer setz gemildert. cedes mit 200 über die Autobahnen fahren Während der einjährigen Beratung der Novelle können! — Weitere Zurufe von den vor allem im Ernährungsausschuß, aber auch im GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10659

Dr. Rumpf Vergessen Sie nicht die Schwefeldioxide! Ich glau- mehr wahrnehmen können, „kann sich die Notwen- be, wir alle sind aufgerufen, besonders auf diesem digkeit weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen Gebiet etwas zu tun. ergeben" — so sagt der Deutsche Forstwirtschafts- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rat —, „zumal bei der steigenden Tendenz der Wald- schäden eine verordnete Einschlagsbeschränkung des ordentlichen Holzeinschlages unter Umständen Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- sinnlos werden kann". ordnete Werner (Dierstorf). Hier ist also zu fragen: Wird dieses Gesetz bei Werner (Dierstorf) (GRÜNE): Herr Präsident! Fortschreiten des Waldsterbens in fünf Jahren noch Meine Damen und Herren! Als vor vier Jahren das seine Funktion erfüllen können? Waldsterben offiziell und allgemein bekannt wurde, (Gallus [FDP]: . Dann kann man ein neues waren ich und eine Vielzahl der Menschen hier in Gesetz machen!) diesem Lande der Meinung, jetzt würde sich alles und jedes daran ausrichten, wie ein weiteres Um- In unserem Entschließungsantrag fordern wir die sichgreifen dieser Schäden zu verhindern sei. Jeder, Bundesregierung auf, umgehend die gesetzlichen der nur ein wenig von den Zusammenhängen von Grundlagen zur Einführung eines Kompensations- Wald und Klima, von Wald und Wasserhaushalt und fonds für emissionsbedingte Waldschäden zu erar- kahlen Bergen und Erosion ahnt, dem war und ist beiten. Entsprechend dem Verursacherprinzip sind klar, daß hier ein Lebensnerv verletzt wird. alle Schadstoffemittenden, wie Kraftwerke, Indu strie und Kraftfahrzeuge, für Zahlungen an diesen Eine Vielzahl von Menschen war auch bereit, et- Fond heranzuziehen. Eine Verringerung der Höhe was mitzutragen, was diese drohende Katastrophe der jeweiligen Abgabe sollte durch die Einführung abwenden könnte. Aber diese Chance der allgemei- von Maßnahmen zur Emissionsverminderung mög- nen Bereitschaft ist schon am Buschhaus-Getrickse lich sein. Im Umweltrecht ist eine Umkehr der Be- von Herrn Albrecht und der Bundesregierung verlo- weislast einzuführen, die die Möglichkeit ergibt, rengegangen. Spätestens beim Katalysator- und Emittenten für Belastungen und Schäden zur Ver- Tempo-100-Gerede staunte man nur noch über die antwortung zu ziehen und Schadensersatzansprü- Abwägung: Wald oder Autoindustrieprofite. che zu stellen, wenn Indizien für einen Emittenten (Beifall bei den GRÜNEN) als Verursacher sprechen. Was für einen armseligen Stellenwert hat doch der Dieses Forstschäden-Ausgleichsgesetz ist not- Wald gegenüber Industriexporten, einem Weltwirt- wendig und für viele Waldbauern, die sich ohnehin schaftsgipfel oder gar SDI? Was kann man denn in einer katastrophalen wirtschaftlichen Situation mit oder am Wald verdienen? Da war doch schon befinden, auch enorm wichtig. Aber die Ursachen vor diesen neuartigen Schäden kein Geschäft drin. bleiben unberührt. Die Krankheit wird nicht be- Nein, aus der Sicht der Rendite ist der Wald keine kämpft, der Patient wird nicht geheilt, aber wir re- müde Mark wert. geln den Abtransport der Leiche. Hervorragend wäre es, wenn wir ein Gesetz ver- abschieden würden, welches dem Wald eine bessere (Beifall bei den GRÜNEN) Luft geben würde und welches verhindert, daß der Wir klagen die Regierung an, nicht den Willen auf- Wald weiterhin im sauren Regen steht. Als gerecht zubringen, der zur Rettung des Waldes notwendig wäre es zu bezeichnen, daß den Waldeigentümern, ist. Vom Katalysator bis Tempo 100, von der TA die auf den Wald als Erwerbsgrundlage angewiesen Luft bis Buschhaus ist das Handeln der Regierung sind, eine Entschädigung für die Schäden gezahlt durch Verzögerungen, Halbherzigkeiten und Aus- wird, die ihnen durch das Absterben ihrer Waldbe- nahmeregelungen gekennzeichnet. stände entstehen. Diese Entschädigung hätte logi- scherweise der Verursacher zu tragen. (Beifall bei den GRÜNEN) Die Bundesregierung hat sich Anfang dieses Jah- Wir haben nur wenig Hoffnung, daß sich dies res zu dieser Frage wie folgt geäußert: Ein allgemei- nach dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers in ei- ner Schadensersatz oder Schadensausgleich für nem stark betroffenen Gebiet des Schwarzwaldes emissionsbedingte Waldschäden auf der Basis des ändern wird, wenn sich der Bundeskanzler aus An- jetzt gültigen Rechtes sei nicht möglich. laß dieses Besuches so äußert: Er fordere, den Dieses Forstschäden-Ausgleichsgesetz ist auf re- Schutz der Natur als Herausforderung für Genera- gionale Waldschäden zugeschnitten. Wenn diese tionen zu begreifen. eintreten, soll in schadensfreien Gebieten der Holz- (Lachen bei den GRÜNEN) einschlag begrenzt werden, um durch diesen Aus- gleich und durch Transportbegünstigungen den Wir müssen fragen: Heißt das, daß konsequente Holzmarkt möglichst stabil zu halten. Schritte zum Schutz der Natur auch erst in kom- Der eigentliche Zweck und Nutzen dieses Geset- menden Generationen unternommen werden? zes wird aber bei einem Ansteigen des bundeswei- (Zuruf von den GRÜNEN: Genau das!) ten emissionsbedingten Waldsterbens nicht mehr gegeben sein. Falls dieses Gesetz nicht ausreicht — Hier und heute sind alle Kräfte zum Schutz der dies ist zu befürchten — und die Waldbesitzer in Natur zu motivieren. Andernfalls müssen wir be- eine Lage geraten, in welcher sie ihre im Bundes- fürchten, daß spätere Generationen nichts Schät- waldgesetz beschriebenen Verpflichtungen nicht zenswertes mehr vorfinden. 10660 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Werner (Dierstorf) Das Wäldersterben ist aber auch typisch für eine sich nicht gegen solche Kalamitäten versichern. An- rücksichtslose Durchsetzung umweltbelastenden dererseits sind sie gesetzlich zur ordnungsgemäßen Verhaltens von Industrie und Chemie, aber auch Bewirtschaftung des Waldes verpflichtet. des einzelnen gegenüber den elementarsten Grund- Das Forstschäden-Ausgleichsgesetz wird also bedürfnissen allen Lebens, wie sie Luft, Wasser, Bo- dann angewendet, wenn der Holzmarkt durch eine den und Nahrungsmittel darstellen. Ob wir nun Kalamität überregional erheblich gestört ist. Es ist Schwefelsäure oder Stickoxide, Schwermetalle oder kein dirigistisches Instrument, sondern es trägt Pflanzenbehandlungsmittel oder die anderen un- dazu bei, einen freien Holzmarkt funktionsfähig zu zähligen lebensfeindlichen Substanzen, die wir erhalten. Das Gesetz orientiert sich an dem Prinzip heute herstellen, anwenden und wieder im Abfall Hilfe zur Selbsthilfe. Es schafft im Kalamitätsfalle lagern, seit es Contergan und Bhopal, seit es Wald- eine Solidargemeinschaft der von dieser Kalamität sterben und Verunreinigungen des Grundwassers betroffenen und der nicht betroffenen Forstbetrie- gibt, leben wir mit bekannten und unbekannten Ri- be, um das Holzangebot gemeinsam zu reduzieren. siken, die nicht mit gestelltem Zweckoptimismus Diese Einschränkung der Unternehmensfreiheit aus der Welt zu schaffen sind. Diese Risiken früh zu wird mit steuerlichen Hilfen ausgeglichen. erkennen, sie im allgemeinen Bewußtsein zu veran- kern und Wege aufzuzeigen, die zu einer den Stel- Die Erfahrungen mit dem inzwischen 16 Jahre lenwert der Natur als Träger allen Lebens — auch alten Gesetz haben aber auch Schwachstellen auf- des unseren — berücksichtigenden Politik führen, gezeigt, die beseitigt werden müssen. Außerdem ist ein Kernstück grüner Politik. sind rechtliche Änderungen eingetreten, an die das Gesetz angepaßt werden soll. Schließlich hat durch (Zustimmung bei den GRÜNEN) die neuartigen Waldschäden das Kalamitätsrisiko Wir werden diesem Gesetz zustimmen, weil es in der Forstwirtschaft eine neue Dimension erhal- mithelfen kann, Waldbauern, die ohne eigene ten, der das Gesetz Rechnung zu tragen hat. Schuld in Not geraten sind, ein Trostpflaster zu geben. Der vorliegende Änderungsvorschlag berücksich- tigt alle diese Gesichtspunkte und macht das Ge- Schönen Dank. setz zu einem zeitgemäßen, wirkungsvollen Instru- (Beifall bei den GRÜNEN) ment der Forstpolitik. Gestatten Sie mir abschließend ein Wort auch bei Das Wort hat der Herr Vizepräsident Cronenberg: dieser Gelegenheit zu den neuartigen Waldschäden. Parlamentarische Staatssekretär von Geldern. Wir wissen, daß ihnen mit forstwirtschaftlichen, waldbaulichen Mitteln kaum begegnet werden kann. Die allseits begrüßten Maßnahmen zur Luft- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär beim Bun- reinhaltung werden ihre Wirkungen erst stufen- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und weise entfalten können. Die Forstwirtschaft muß Forsten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! daher noch eine geraume Zeit mit Luftbelastungen Die Tatsache, daß sich der Bundeskanzler im und entsprechend erhöhtem Kalamitätsrisiko le- Schwarzwald umsieht, sich die Waldschäden an- ben. Damit sie überleben kann, muß sie in die Lage sieht, sollte eigentlich jeder Bürger — gleichgültig, versetzt werden, auch unter diesen Bedingungen wo er politisch steht — begrüßen können. ihr Produktionskapital Wald zu erhalten. (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Ich denke, daß diese Novelle zum Forstschäden FDP) Ausgleichsgesetz dazu einen wirkungsvollen Bei- Die deutsche Forstwirtschaft erhält unseren trag leisten kann. Wald, und sie braucht dieses Gesetz. Sie sorgt dafür, daß unser Wald eine nie versiegende Rohstoffquelle (Beifall bei CDU/CSU und der FDP) bleibt und daß er seine Funktionen als grüne Lunge und als Lieferant reinen Wassers — um nur diese beiden seiner zahlreichen Wohlfahrtswirkungen zu Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- nennen — stetig und ungeschmälert ausüben kann. gen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Ausspra- Vielen unserer Mitbürger — besonders denen in che. strukturschwachen ländlichen Gebieten — gibt der Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Wald Arbeit und Einkommen. mung. Ich rufe die Artikel 1 bis 4, Einleitung und Forstwirtschaft ist zu einem guten Teil Risikobe- Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den wältigung und Gefahrenabwehr gegen eine Vielzahl aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, von Schäden wie Windwurf, Schneebruch und In- den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt sektenbefall. In bestimmtem Umfang gehören der- dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die aufge- artige Schäden zum Alltag der Forstbetriebe. Sie rufenen Vorschriften angenommen. bedeuten wirtschaftliche Einbußen, gefährden aber Wir treten in die nicht die Existenz dieser Betriebe. In unregelmäßi- dritte Beratung gen Zeitabständen treten diese Schadensereignisse- jedoch als Kalamitäten auf, gegen die kein Kraut ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem gewachsen ist und die das wirtschaftliche 'Oberle- Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ben der betroffenen Forstbetriebe in Frage stellen. ich sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Ent- An dieser Stelle greift das Forstschäden-Aus- haltungen? — Ich kann einstimmige Annahme fest- gleichsgesetz ein, denn die Forstbetriebe können stellen. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10661

Vizepräsident Cronenberg Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des archiv 30 Jahre lang die öffentliche Nutzung der Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß emp- Unterlagen aus der Zeit bis 1945 ohne jeden Rechts- fiehlt auf Drucksache 10/3271 unter Ziffer II die streit gewährleisten konnte, stellt dieser Fachbe- Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen hörde ein gutes Zeugnis aus, und ich sage das ge- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer rade auch angesichts der Tatsache, daß die leiten- stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist den Herren des Bundesarchivs heute hier bei uns diese Entschließung angenommen. sind. Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag des (Beifall bei der CDU/CSU) Abgeordneten Werner (Dierstorf) und der Fraktion Meine Damen und Herren, Grundlage der Tätig- DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3458 zur Abstim- keit des Bundesarchivs ist bisher der Beschluß der mung auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzu- Bundesregierung vom 24. März 1950 über die Er- stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- richtung des Bundesarchivs und die vom Bundesmi- chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — nister des Innern erlassene Benutzungsordnung für Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. das Bundesarchiv vom 11. September 1969.

Ich rufe nunmehr den Punkt 8 der Tagesordnung. (Duve [SPD]: Das war Gustav Heine auf: mann!) Erste Beratung des von der Bundesregierung — Das war damals die Bundesregierung Konrad eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Adenauer,, die eine Menge gute Sachen zuwege ge- die Sicherung und Nutzung von Archiv- bracht hat. gut des Bundes (Bundesarchivgesetz — Die vielfältigen BArchG) Persönlichkeitsschutz- und da- tenschutzrechtlichen Probleme, die im Zusammen- — Drucksache 10/3072 — hang mit der Aufbewahrung und Nutzung von amt- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lichen Unterlagen des Bundes entstehen, können Innenausschuß (federführend) nach heutiger Auffassung jedoch — da sind wir uns, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wie ich denke, hier im Hause einig — nur auf Hierzu ist im Ältestenrat eine Aussprache mit gesetzlicher Grundlage gelöst werden. einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion verein- bart worden. — Ich sehe und höre keinen Wider- In der Begründung zu dem vorgelegten Gesetz- spruch. Wird das Wort zur Berichterstattung ge- entwurf der Bundesregierung wird im einzelnen wünscht? — Auch das ist nicht der Fall. dargelegt, aus welchen rechtlichen und auch archiv- fachlichen Gründen eine gesetzliche Verankerung Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das des Archivwesens der Bundesrepublik Deutschland Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waf- unabweisbar geworden ist. Diese Erkenntnis, meine fenschmidt. Damen und Herren, ist seit dem Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 zum Dr. Waffenschmidt: Herr Präsident! Meine sehr Volkszählungsgesetz unumstritten. Noch vor Ablauf verehrten Damen und Herren! Die Bedeutung des der 30jährigen Sperrfrist für die ältesten Unterla- Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherung und gen von Bundesregierung und -verwaltung im Nutzung von Archivgut des Bundes, den ich Ihnen Jahre 1979 war es offenkundig geworden, daß insbe- heute im Namen der Bundesregierung vorlege, geht sondere nach Inkrafttreten des Bundesdaten- weit über den engeren Bereich des Archivwesens schutzgesetzes ein ausgewogenes Verhältnis zwi- und der historischen Forschung hinaus. Erstmals in schen Datenschutz und Datenöffnung im Bereich der deutschen Geschichte soll ein Recht des Bür- des Archivwesens auf gesetzlicher Grundlage ge- gers auf Nutzung von Archivbeständen durch Ge- schaffen werden müsse. setz begründet werden. Insgesamt ist dieser Ent- wurf in besonderer Weise geeignet, die Informa- Die Grundrechte der Informations- und Wissen- tions- und Wissenschaftsfreiheit in der Bundesrepu- schaftsfreiheit verlangen nach unserer Überzeu- blik Deutschland entscheidend zu fördern und für gung dieselbe konkrete gesetzliche Ausgestaltung den Bereich des Archivwesens rechtsverbindlich zu wie für den Bereich des Datenschutzes. Wenn die umschreiben, wie dies eines modernen demokrati- Freiheit der Information und der Forschung nicht schen Kulturstaates würdig ist. leiden soll, muß derjenige, der aus guten Gründen personenbezogene Daten gesetzlich sichert und Im Jahre 1949 machten die Alliierten die Rück- schützt, ebenso auch durch Gesetz festlegen, wann gabe deutschen Archivgutes von der Zusage der und unter welchen Voraussetzungen das Recht des Bundesregierung abhängig, daß die aus alliiertem Bürgers auf Nutzung amtlicher Unterlagen Vorrang Gewahrsam zurückgeführten deutschen Archiva- vor Datenschutzinteressen haben kann, darf oder lien jederzeit und uneingeschränkt von der in- und muß. Diese Rechtsgüterabwägung vorzunehmen be- ausländischen Forschung genutzt werden können. deutete in vielen Fällen das Betreten rechtlichen Das öffentliche Interesse an der Erforschung der Neulands. Aber ich denke, wir sollten dazu ent- Geschichte des Nationalsozialismus führte dazu, - schlossen sein, dieses Neuland zu betreten, um daß die im internationalen Maßstab als vorbildlich mehreren wichtigen Zielen zu dienen. geltende 30jährige Schutzfrist für die Benutzung von Archivalien amtlichen Ursprungs bis 1975 in Trotz dieses komplexen Sachverhalts ist es gelun- der Bundesrepublik teilweise erheblich unterschrit- gen, von allzu vielen einzelnen Regelungen abzuse- ten wurde. Die Tatsache, daß vor allem das Bundes- hen und den Gesetzentwurf — darauf lege ich Wert 10662 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Dr. Waffenschmidt — knapp und übersichtlich zu halten. Er umfaßt festgelegt werden soll. Wir haben allerdings auch nur 12 Paragraphen. Manche dieser Bestimmungen Verständnis für manche, die sagen — im Deutschen wirken sich auch auf die Archive der Länder aus. Städtetag ist eine solche Äußerung gefallen —: Ei- Der Entwurf ist daher auch mit den Fachverwaltun- gentlich braucht man gar kein Gesetz; bisher ging gen der Länder intensiv abgestimmt worden. Dies es gut. Denen muß man aber entgegenhalten: Es gilt insbesondere für die §§ 8 und 10 des Entwurfs, gibt inzwischen durch die gigantische Speicherfä- die es unter bestimmten Voraussetzungen ermögli- higkeit und die intensive Maschinisierung aller Bü- chen, künftig auch Unterlagen, die Geheimhal- rotätigkeiten allein durch die Menge der Materia- tungsvorschriften wie der Abgabenordnung oder lien ein neues quantitatives Problem für den Histo- dem Sozialgesetzbuch unterliegen, nicht nur an das riker, das sich zu einem qualitativen Problem in der Bundesarchiv, sondern auch an andere öffentliche Arbeit verwandelt hat. Bereits aus diesem Grund ist Archive weiterzugeben. ein Gesetz notwendig. Gern möchte ich noch auf folgende zwei Bereiche Ein zweiter Gesichtspunkt. Die Datenschutzge- hinweisen. Mit der Einbeziehung moderner, insbe- setzgebung und andere Gesetzgebungsbereiche ha- sondere maschinenlesbarer Informationsträger in ben inzwischen dazu geführt, daß viele Materialien den Begriff des Archivgutes ist der Entwurf sehr dem Archivar sozusagen gar nicht mehr zugänglich zukunftsorientiert gestaltet worden. Ferner unter- gemacht werden können, und zwar aus gesetzlicher streiche ich besonders, daß durch die vorgesehene Begründung. Hier nun — Herr Waffenschmidt hat Möglichkeit der Anonymisierung in vielen Fällen darauf hingewiesen — müssen wir versuchen, die- nun auch eine vorzeitige Nutzung bisher unzu- ses Neuland sozusagen abzugrenzen. gänglichen Materials eingeräumt werden kann. Um überhaupt bestimmte dem Persönlichkeits- Die Änderungsanträge des Bundesrates zeigen, schutz unterliegende Bestände zu bekommen und daß die Länder die Grundgedanken des Entwurfs frühzeitig zugänglich zu machen, hat der Entwurf der Bundesregierung unterstützen. Ich bin zuver- den sehr vagen Begriff der Anonymisierung einge- sichtlich, daß auch in den Fällen, in denen die Bun- führt, der zu Recht in der Öffentlichkeit kritisiert desregierung den Vorstellungen des Bundesrates worden ist. Erlaubt er doch den Verwaltungen, Ak- nicht folgen konnte, im weiteren Verlauf des Ge- tenbestände zu anonymisieren, bevor sie dem Bun- setzgebungsverfahrens noch eine Einigung erzielt desarchiv übergeben werden. An sich darf dabei werden kann. noch keine böse Absicht unterstellt werden. Aber Die Bundesregierung geht davon aus, daß alle das hat zu einer heftigen Diskussion geführt. Fraktionen des Deutschen Bundestages in dem Ziel Wir haben als Sozialdemokraten darum etwas ge- übereinstimmen, die Möglichkeiten der Benutzung tan, was die Bundesregierung — möglicherweise von Archivalien amtlichen Ursprungs entscheidend auch die vorherige — versäumt hat, nämlich eine zu verbessern. Ich meine, wir sollten etwas zum intensivere Debatte zu führen. Wir haben an einem Wohle der Wissenschaft, der Forschung, der Infor- Vormittag eine lange Anhörung von Experten mation der Öffentlichkeit und jedes einzelnen Bür- durchgeführt. Wir müssen sagen: Ein Teil der Vor- gers tun, der in Wahrnehmung berechtigter persön- würfe konnte entkräftet werden; ein Teil hat sich licher Belange auf Informationen aus Archivalien als Mißverständnis erwiesen; aber wir haben doch angewiesen ist. Diesen Zielen will die Bundesregie- einen Restbestand von Bedenken. Wir werden das rung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf dienen. in der Ausschußberatung ja diskutieren. Ich kün- Herzlichen Dank. dige hier an, daß wir gerade hinsichtlich der techni- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen Anonymisierung einen Antrag einbringen werden, den Persönlichkeitsschutz anders als durch diese pauschale Anonymisierung zu gewährleisten. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr Vor allem werden wir fordern, daß Amtsträger aus Abgeordnete Duve. jeglicher Anonymisierung herausgenommen wer- den, soweit es um Obliegenheiten von Amtsträgern Duve (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und geht. Daß der Hochhuth den Filbinger dann gar Herren! Ein künftiger Historiker wird nicht feststel- nicht findet, weil anonymisiert wurde, wird es also len können, wie viele Parlamentarier anwesend wa- jedenfalls nach unserer Vorstellung nicht geben; ren, als dieses Jahrhundertwerk hier eingebracht denn er war damals Amtsträger. wurde. Darum sage ich für den, der nachher forscht, (Beifall des Abg. Toetemeyer [SPD] — daß wir ganz wenige waren. Dann steht es ja im Weiß [CDU/CSU]: Das gibt es ja sowieso Protokoll. Ich muß das auch für meine eigene Frak- nicht!) tion sagen. — Filbinger gibt's nicht? Herr Kollege! Hier sollen die technischen und administrativen Regeln für die Speicherung des Gedächtnisses un- (Weiß [CDU/CSU]: Die Amtsträger kom seres Volkes organisiert werden. Das Archivgesetz men ja sowieso hinein!) ist das erste in der Geschichte unseres Staates. Es - Wir werden außerdem verlangen, daß der Gesetz- hat selbst schon eine eigene, gar nicht so kurze entwurf sehr viel klarere Begriffe und Erläuterun- Geschichte. gen bekommt. Politische Mißdeutungen und Miß- Wir Sozialdemokraten begrüßen im Grundsatz, verständnisse führen ja beim jetzigen Entwurf daß die Überleitung der behördlichen Materialien dazu, daß sehr unterschiedliche Auslegungen mög- in die archivarische Ordnung nunmehr gesetzlich lich sind. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10663

Duve Wir hoffen auch zu erreichen, daß die im Entwurf Fünften Tätigkeitsbericht ebenfalls ein Bundesar- vorgesehenen unterschiedlichen Abgabefristen für chivgesetz gefordert. Auch die Länder stehen vor einzelne Ministerien noch einmal überprüft werden der Notwendigkeit, Archivgesetze zu erlassen; sie und daß wir diesbezüglich zu einer anderen Rege- arbeiten ebenfalls an entprechenden Entwürfen, die lung kommen. sich in der Zielrichtung an den Grundsätzen des Wir haben es bei der Anhörung erlebt — und ich Entwurfs eines Bundesarchivgesetzes orientieren. kann den Hunderten interessierter Kollegen, die Dem vorliegenden Entwurf kommt deshalb in die- hier alle sitzen, nur empfehlen, die Niederschrift sem Zusammenhang eine Pilotfunktion zu. Aber unserer Anhörung zu lesen —: Dieser Interessen- auch die wissenschaftliche Forschung erwartet, daß konflikt zwischen Datenschützer, Historiker und die Bedingungen, unter denen die amtlichen Unter- Archivar ist ein wirklich höchst interessanter Ge- lagen des Bundes und der Länder benutzt werben genstand, der nicht einfach sozusagen par ordre dú können, rechtsverbindlich umschrieben werden. mùfti aufgelöst werden kann. Ich muß sagen, ich Die vielfältigen Persönlichkeitsschutz- und daten- habe mit großem Interesse diesen grundsätzlichen schutzrechtlichen Probleme lassen nicht zu, daß das Zielkonflikt, der sich aus unserer Verwaltungs- und Archivwesen wie bisher lediglich durch Verwal- Kulturgeschichte ergeben hat, verfolgt und mich tungsvorschriften gereget wird. Im Hinblick auf die ein bißchen eingearbeitet. Ich hoffe, daß auch die bestehenden strengen Datenschutzvorschriften Kollegen, die nach mir sprechen, das getan haben. wird durch das Gesetz eine datenöffnende bereichs- spezifische Regelung getroffen. die wissenschaftli- Ich danke fur die Aufmerksamkeit. che und archivfachliche Belange sowie das Nut- (Beifall bei der SPD) zungsrecht des Bürgers angemessen berücksichtigt, ohne die schutzwürdigen Interessen des Bürgers Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr und des Staates zu verletzen. Abgerdnete Weiß. Hierbei sind auch Probleme zu lösen, die sich aus dem Steuergeheimnis nach der Abgabenordnung, Weiß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver- dem Sozialgeheimnis nach dem Sozialgesetzbuch, ehrten Damen! Meine Herren! Herr Duve, Sie ha- dem Bank- und Arztgeheimnis sowie anderen, den ben recht, heute ist eine historische Stunde. Zwar Persönlichkeitsschutz sichernden oder Vertrauens- sind nur wenige anwesend, aber historische Stun- schutz gewährenden gesetzlichen oder gesetzlich den kommen meistens leise und still. Mit der Ein- verankerten Vorschriften ergeben. bringung dieses Gesetzes nehmen wir uns heute mit Sicherheit eine wirklich wichtige Sache vor. Eine gewisse Rolle — Herr Duve, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu — wird in den Ausschußbe- Wir haben uns heute mit einem Gesetzentwurf zu ratungen die Anonymisierung bestehender Unter- befassen, dessen Entstehungsgeschichte bis in das lagen vor der Übergabe an das Bundesarchiv spie- Jahr 1981 zurückreicht. Die CDU/CSU-Fraktion be- len. Hier stehen sich zwei Forderungen gegenüber: grüßt diesen Gesetzentwurf; denn er ist — hier erstens der Anspruch der Wissenschaft und For- kann ich dem Herrn Staatssekretär beipflichten — schung auf Zugang auch zu personenbezogenen Da- mit insgesamt 12 Paragraphen von einer erfreuli- ten, zweitens das Recht der Betroffenen auf Persön- chen Kürze. Insofern ist die Bundesregierung der lichkeitssschutz. Dieses Problem wird in den Aus- Aufforderung des Innenausschusses von 1981 in schußberatungen diskutiert und vertieft werden Berlin, die Gesetze zu straffen, nachgekommen. müssen. Ich muß sagen, ich habe mit großem Inter- Weiterhin ist der Gesetzentwurf nach meiner esse das Protokoll Ihrer Anhörung gelesen; es sind Auffassung sehr klar und deutlich. Kürze und Klar- dort einige wertvolle Erkenntnisse mit auf den heit sind beachtenswerte Merkmale dieses Ent- Tisch gebracht worden, die es wert sind, in der Aus- wurfs. Ein Lob an alle, die hier an diesem Entwurf schußarbeit vertieft zu werden. mitgearbeitet haben. Wir werden der Überweisung an den Ausschuß Das Gesetz dient der Sicherung und Nutzung von zustimmen. Ich freue mich schon jetzt auf die Dis- Archivgut des Bundes. Er soll erstens vor allem kussion im Innenausschuß zu diesem Thema. sicherstellen, daß die bei den Verfassungsorganen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so und Dienststellen des Bundes anfallenden histo- wie bei Abgeordneten der SPD) risch bedeutsamen Unterlagen vor Zersplitterung und unkontrollierter Vernichtung bewahrt werden. Zweiten soll der Begriff des Archivgutes verbind- lich definiert werden, drittens soll sichergestellt Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- werden, daß die Benutzung unter Beachtung der ordnete Ströbele. persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Erfor- dernisse eindeutig und rechtsverbindlich geregelt Ströbele (GRÜNE): Herr Präsident, meine Damen wird. und Herren, die hier noch ausharren! George Or- Über die Notwendigkeit dieses Gesetzes besteht well hat in „1984" geschrieben: Wer die Vergangen- - kein Zweifel. Der Kabinettsbeschluß vom 24. März heit beherrscht, beherrscht die Zukunft. Ge- 1950 — er ist vorhin angesprochen worden — über schichtsforschung ist nichts nur etwas für verschro- die Errichtung des Bundesarchivs stellt heute keine bene Wissenschaftler, sondern sie ist für jeden not- geeignete Rechtsgrundlage mehr zur Regelung des wendig, der mit Menschengeschichte zum Verste- Sachverhalts dar. Der Bundesbeauftragte für den hen der Gegenwart und zum Lernen aus Fehlern Datenschutz hat in seinem Zweiten, Vierten und der Vergangenheit beitragen kann. 10664 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Ströbele Wenn man in den Nachkriegsjahren versucht hat, haupt nur noch anonymisiert in den Akten vorkom- sich mit deutscher Geschichte vor 1945 zu beschäfti- men. gen, scheiterte man häufig — jedenfalls als Einzel- (Duve [SPD]: Das hätte er sich nie gefallen bürger und in der Regel — an den Behörden oder lassen!) an den Nachfolgern von Behörden, die diese Unter- lagen verwaltet haben. Oder wenn Sie das Protokoll von Mogadischu von 1977 einsehen wollten, könnten Sie nicht mehr er- Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, fahren, ob dort Herr Strauß, ob dort Herr Schmidt daß man nicht am Bundesarchiv gescheitert ist. oder wer auch immer ein einzelnes Argument aus- Das Bundesarchiv hat immer korrekt gehandelt. Es geteilt hat. hat sich sicherlich große Verdienste erworben. Selt- samerweise auch das bayerische Landesarchiv war Wir fordern daher zum einen feste Fristen, in in dieser Hinsicht wesentlich besser als Archive an- denen die Behörden gezwungen sind, dem Bundes- derer Bundesländer. archiv die Akten zu übergeben. Wir fordern eine andere Lösung des Zielkonflikts, die durch Anony- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist doch ganz misierung nicht erreicht werden darf. Eine Möglich- logisch! — Zuruf von der SPD: Warum ist keit bestünde darin, den Persönlichkeitsschutz da- das seltsam? — Weitere Zurufe von der durch zu sichern, daß im Zusammenhang mit der SPD und der CDU/CSU) Veröffentlichung von dort festgestellten Daten eine Das neue Gesetz, das wir jetzt beraten sollen, Frist für ein Veröffentlichungsverbot eingestellt könnte ein Einstieg in eine Verbesserung dieser Si- würde. Es wäre weiterhin möglich, einen Schutz tuation sein. Aber dieses Archivgesetz bleibt auf durch flexible Fristen zur Einsichtnahme in diese halbem Wege stehen, zum einen deshalb, weil es Akten herbeizuführen. nicht den Behörden unter Setzung einer Frist zwin- Letztlich müßten wir, wie der Kollege Duve das gend vorschreibt, wann sie ihre Unterlagen dem hier schon angesprochen hat, fordern, daß für Bundesarchiv zur Verfügung zu stellen haben. Amtsträger in Ausübung ihres Amtes genauso wie Dieses Gesetz geht darüber hinaus einen Irrweg, für Persönlichkeiten der Zeitgeschichte oder Per- weil es den Konflikt zwischen Wissenschaft und sönlichkeiten, die im öffentlichen Interesse stehen, Forschungsfreiheit und den Konflikt mit dem Per- eine solche Anonymisierung nicht möglich ist, son- sönlichkeitsschutz in einer falschen Weise angeht dern daß deren Daten in vollem Umfang zur Verfü- und lösen will. Zum einen sind die Schutzfristen in gung stehen, sobald sie im Bundesarchiv enthalten diesem Bundesarchivgesetz von 30 bis 120 Jahren sind. viel zu lang bemessen. Man sollte sich eher an den Eine letzte Bemerkung. In diesem Gesetz ist na- Schutzfristen des Berliner Entwurfes orientieren, türlich nicht geregelt — aber es bedürfte dringend die wesentlich kürzer sind. der Regelung —, daß auch das, was in Teilen der Darüber hinaus ist es ein Unding, wenn in einem deutschen Gesellschaft, die wesentlichen Einfluß Gesetz vorgesehen ist, einen Teil des Gedächtnisses haben, geschieht, nämlich in den Großbetrieben, in den — es ist ja nur ein Teil des Gedächtnisses des Vol- Großfirmen, in irgendeiner Weise den Archiven zugeführt und nutzbar gemacht wird. Das ist näm- kes und nicht das ganze — zu anonymisieren. An- onymisierung heißt ja nicht nur, daß Namen gestri- lich ein ganz wesentlicher Teil deutscher Ge- schichte. chen werden, sondern daß ganze Akten vernichtet werden, nämlich wenn sich aus den sonstigen Un- (Beifall bei den GRÜNEN) terlagen Anhaltspunkte für die Person eines dort Verewigten finden könnten. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- (Weiss [CDU/CSU]: Das heißt es eben ordnete Dr. Hirsch. nicht!) Anonymisierung von Archivmaterial wäre Ge- Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- schichtsfälschung. Zu was das führt, kann man se- ehrten Damen und Herren! Das verspricht ja eine hen, wenn man sich etwa aus einem sowjetischen interessante Beratung im Ausschuß zu werden. Archiv ein Bild aus dem Jahre 1917 aushändigen (Zuruf des Abg. Schulte [Menden] läßt, auf dem man eine helle Stelle entdeckt. Wenn [GRÜNE]) man nachfragt, war da früher Leo Trotzki. Auch da ist anonymisiert worden. Wenn wir hier vor der schwierigen Frage stehen, wie wir den Persönlichkeitsschutz auf der einen In dem Gesetz sind drei Fälle der Anonymisie- Seite in eine vernünftige Abwägung zur histori- rung vorgesehen, einmal bei Geheimakten, Steuer- schen oder zeitgeschichtlichen Forschung auf der akten und Sozialakten und zweitens — das ist das anderen Seite bringen, dann kann man diese Abwä- größte Unding —, wenn ein Betroffener bestreitet, gung natürlich nicht danach differenzieren, in wel- daß das, was in der Akte drinsteht, wahr sein soll. che Richtung sich gerade die eigene politische Neu- Ein solches Recht einem Betroffenem zuzugeste- gier in besonderer Weise entwickelt hat, sondern da hen heißt beispielsweise, daß Leute wie Globke oder muß man wohl Farbe bekennen, wie man es hier Oberländer ihren Namen und ihre Identität aus den ebenso wie in anderen Bezügen mit dem Persön- Akten hätten herausnehmen können. Strauß etwa, lichkeitsschutz hält. der ja in der Regel bestreitet, daß es so ist oder so Ich bin mit Herrn Duve und Herrn Weiß der Mei- gewesen ist, wie es in den Akten steht, würde über- nung, daß dies in der Tat ein außerordentlich wich- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10665

Dr. Hirsch tiges Gesetz werden wird. Es ist ja nicht häufig, daß den, die aber lohnend sind und die wir schaffen wol- in der Begründung zu einem Gesetzentwurf Novalis len. zitiert und mit Recht darauf hingewiesen wird, daß Vielen Dank. die Archive Gedächtnisse des Staates sind, in denen sich nicht nur das vielfältige Verwaltungshandeln (Beifall bei der FDP und CDU/CSU sowie widerspiegelt, sondern die als zuverlässige Zeitzeu- bei Abgeordneten der SPD) gen unverzichtbare Quellen darstellen. Vizepräsident Cronenberg: Ich schließe die Aus- (Zuruf des Abg. Duve [SPD]) sprache, da mir weitere Wortmeldungen nicht vor- — Ich werde das nachlesen. Sie sind unverzicht- liegen. barerweise Quellen historischer Forschung und Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzent- Grundlage natürlich auch zeitpolitischer For- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/3072 schung. zur federführenden Beratung an den Innenaus- schuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit Man muß den Überlegungen des Gesetzentwurfs und Sozialordnung zu überweisen. Gibt es weitere zustimmen, daß die gegenwärtige Rechtslage, also Vorschläge? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. das Archivwesen auf den Beschluß von 1950 zu Dann ist das so beschlossen. gründen, sowohl der Technik des Archivwesens als auch den Anforderungen des Volkszählungsurteils Ich rufe Punkt. 9 der Tagesordnung auf: nicht mehr gerecht wird. Wir wollen eine Sicherung, daß die bei den Verfassungsorganen und Dienststel- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- len des Bundes entstehenden historisch bedeutsa- desregierung eingebrachten Entwufs eines men Archivalien vor unkontrollierter Vernichtung Saatgutverkehrsgesetzes und Zersplitterung bewahrt werden. Wir wollen das — Drucksache 10/700 — Recht des Bürgers auf Einsichtnahme in Archiva- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- lien amtlichen Ursprungs sichern. Wir wollen Stel- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und lung und Aufgaben der Archive als Teil der öffentli- Forsten (10. Ausschuß) chen Verwaltung einwandfrei regeln, und wir wol- — Drucksache 10/3223 — len eine klare Regelung des Verhältnisses von Nut- zungsrecht und Persönlichkeitsrecht. Berichterstatter: Abgeordneter Rode (Wietzen) Ich verhehle nicht, daß wir mit manchen Formu- (Erste Beratung 47. Sitzung) lierungen des Regierungsentwurfs unzufrieden Außerdem liegt ein Änderungsantrag der Frak- sind. Die generelle Formel von der angemessenen tionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Druck- Berücksichtigung schutzwürdiger Belange des Be- sache 10/3466 vor. troffenen taucht ja immer wieder in allen mögli- chen Datenschutzregelungen auf. Es ist in der Pra- Herr Abgeordneter Rode (Wietzen) hat das Wort xis sehr schwer, sich klarzumachen, was das im ein- zur Berichterstattung erbeten. Herr Abgeordneter, zelnen und im konkreten Fall bedeutet. Wir denken Sie haben das Wort. also eher daran, das System der festen Fristen aus- zubauen, innerhalb deren eine Durchbrechung indi- Rode (Wietzen) (CDU/CSU): Herr Präsident! vidueller Daten nur mit Zustimmung des Betroffe- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten nen möglich ist. Wir wollen diese Fristen relativ Sie mir als Berichterstatter des federführenden strikt ausgestalten. Wir wollen sie aber natürlich Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und nach der Bedeutung des jeweiligen Tatbestands, Forsten zum Inkrafttreten des Gesetzes, also zum um den es geht, differenzieren. § 65, eine Änderung vorzuschlagen. Das vom Aus- schuß vorgesehene Datum 1. Juli 1985 läßt sich Wir haben also schwierige Entscheidungen vor nicht halten, da der Bundesrat die Vorlage frühe- uns. Die Wirkungen werden irreparabel sein, wenn stens am 5. Juli 1985 behandeln kann. Ich schlage wir falsche Entscheidungen treffen. daher im Einvernehmen mit allen Fraktionen im (Zuruf des Abg. Duve [SPD]) Ausschuß folgende Änderung von § 65 „Inkrafttre- ten" vor: „Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Ver- — Ich muß gestehen, Herr Kollege Duve, ich habe kündung in Kraft." das Protokoll der Anhörung Ihrer Fraktion nicht gelesen, das Ergebnis wohl, aber das Protokoll Nr. 7 der Beschlußempfehlung des Ausschusses nicht. wird damit hinfällig.

Wir haben uns unter den Obleuten im Innenaus- Vizepräsident Cronenberg: Es ist vereinbart wor- schuß verständigt, daß wir eine Anhörung des Aus- den, keine Aussprache vorzunehmen. — Es meldet schusses machen, in großer Breite und Offentlich- sich auch niemand zu Wort. keit, um auf diese Weise die vielfältigen Gesichts- punkte, die in allseitigem Interesse beachtet wer- Dann kommen wir zur Einzelberatung und Ab- den müssen, noch einmal öffentlich klarzulegen stimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 64 mit den vom Aus- und so zu gesicherten Entscheidungen zu kommen. schuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den auf- gerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den Wir stehen also sicherlich am Anfang von Bera- bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? tungen, die nicht nur viel Arbeit, sondern, wie vor- — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften auszusehen, auch viel Ärger mit sich bringen wer- sind angenommen. 10666 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Vizepräsident Cronenberg Ich rufe § 65 auf. Hierzu liegt auf Drucksache Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- 10/3466 ein Änderungsantrag der Fraktionen der mung. Ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Über- CDU/CSU, SPD und FDP vor. Wer diesem Ände- schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufge- rungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich rufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthal- bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- tungen? — Mit Mehrheit angenommen. gen? — Enthaltungen? — Danke schön. Damit sind Wer dem § 65 mit der beschlossenen Änderung die aufgerufenen Vorschriften angenommen. zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- Wir treten in die zeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift angenommen. dritte Beratung Es bleibt noch, über Einleitung und Überschrift ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Ent- ich, sich zu erheben. — Danke schön. Wer stimmt haltungen? — Damit sind auch diese angenom- dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist ange- men. nommen. Meine Damen und Herren, nach Annahme von Änderungsanträgen in zweiter Beratung darf sich Ich rufe die Punkte 11 bis 15 und den Zusatz- nach § 84 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung punkt 5 der Tagesordnung auf: die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschlie- 11. Erste Beratung des von den Abgeordneten ßen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder von fünf Jaunich, Frau Fuchs (Köln), Frau Schmidt vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zwei (Nürnberg), Egert, Hauck, Delorme, Gilges, Drittel der anwesenden Mitglieder des Bundestages Müller (Düsseldorf), Sielaff, Witek, Dr. Vogel dies beschließen. Ein Antrag, die dritte Beratung und der Fraktion der SPD eingebrachten jetzt unmittelbar anzuschließen, ist fristgerecht ge- Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der stellt worden. Sind Sie damit einverstanden, daß Orthoptistin/des Orthoptisten wir sofort in die dritte Beratung eintreten? — — Drucksache 10/3163 — (Vogel [München] [GRÜNE]: Nein!) Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: — Sie sind nicht einverstanden. Dann lasse ich for- Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federfüh- mell darüber abstimmen. Wer damit einverstanden rend) ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Ausschuß für Bildung und Wissenschaft stimmt dagegen? — Auch unter Berücksichtigung 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung aller Stimmen der GRÜNEN ist die erforderliche eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zweidrittelmehrheit gegeben. Änderung des Fleischbeschaugesetzes Wir treten damit in die — Drucksache 10/3279 — dritte Beratung Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federfüh- rend) Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ich, sich zu erheben. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Danke sehr. Enthaltungen? — Keine. 13. Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Damit ist das Gesetz angenommen. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Einkommensteuergesetzes — Drucksache 10/3296 — Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Finanzausschuß (federführend) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Verwahrung und Anschaffung von Wertpa- Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO pieren sowie anderer wertpapierrechtlicher 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung Vorschriften eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur — Drucksache 10/1904 — Durchführung der Siebenten und Achten Beschlußempfehlung und Bericht des Richtlinie des Rates der Europäischen Ge- Rechtsausschusses (6. Ausschuß) meinschaften zur Koordinierung des Gesell- — Drucksache 10/3443 — schaftsrechts — Drucksache 10/3440 — Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Schroeder (Freiburg) Überweisungsvorschlag: Stiegler Rechtsausschuß (federführend) Finanzausschuß (Erste Beratung 83. Sitzung) Ausschuß für Wirtschaft Das Wort zur Berichterstattung wird offensicht- 15. Erste Beratung des von den Fraktionen der lich nicht gewünscht. Das Wort zur Aussprache CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- wird ebenfalls nicht gewünscht. wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985 10667

Vizepräsident Cronenberg des Bundesvertriebenengesetzes (6. ÄndG Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur BVFG) Änderung der Ersten Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1962 über die Aufstellung ge- — Drucksache 10/3407 — meinsamer Regeln für bestimmte Beförde- Überweisungsvorschlag: rungen im Güterkraftverkehr zwischen den Innenausschuß (federführend) Mitgliedstaaten (Beförderung der auf dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Seewege ein- oder ausgeführten Güter von Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO oder nach einem Seehafen der Gemein- schaft) 5. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ge- Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3568/83 setzes über die Gewährung einer Vergütung hinsichtlich der Liberalisierung der Bildung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den der Entgelte für Beförderungen der auf dem Markt Seewege ein- oder ausgeführten Güter von oder nach einem Seehafen der Gemein- — Drucksache 10/3454 — schaft Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO die Ordnung der Markte für die Beförderung Das Wort wird nicht gewünscht. Es wird Über- der auf dem Seewege ein- oder ausgeführten weisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen Güter von oder nach einem Seehafen der Ge- 10/3163, 10/3279, 10/3296, 10/3440, 10/3407 und 10/ meinschaft 3454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- — Drucksachen 10/2952 Nr. 19, 10/3102 — schüsse vorgeschlagen. Anderweitige Vorschläge werden nicht gemacht. Berichterstatter: Damit sind die Überweisungen beschlossen. Abgeordneter Fischer (Hamburg)

Das Wort hierzu wird nicht gewünscht. Die Be- Ich rufe die Punkte 16 und 17 der Tagesordnung schlußempfehlungen sind in den Ausschüssen ein- auf: vernehmlich verabschiedet worden.

16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstim- Berichts des Ausschusses für Forschung und men. Wer den Beschlußempfehlungen der genann- Technologie (18. Ausschuß) zu der Unterrich- ten Ausschüsse auf den Drucksachen 10/3278 und tung durch die Bundesregierung 10/3102 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? Rates über ein Programm zur Unterstützung — Es ist einstimmig so beschlossen. der Technologischen Entwicklung im Be- reich der Kohlenwasserstoffe Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß — Drucksachen 10/2751 Nr. 27, 10/3278 — unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Berichterstatter: morgen, Freitag, den 14. Juni 1985, 8 Uhr ein. Abgeordnete Carstensen (Nordstrand) Hansen (Hamburg) Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. 17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr Die Sitzung ist geschlossen. (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung (Schluß der Sitzung: 21.48 Uhr)

Berichtigung

127. Sitzung, Seite IV, rechte Spalte: Bei Anlage 39 ist der abgedruckte Text „Art der Großprojekte und deren Vorbereitungsstadium beim neuen For- schungsreaktor in München"- zu streichen. Einzufü- gen ist der Text „Voraussetzungen für eine Notifi- zierung von Förderprogrammen durch die EG-Kom- mission; Einleitungszeitpunkt des Zustimmungs- verfahrens zum Förderprogramm FuE-Personal in der Wirtschaft". 10668* Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1985

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung des Abg. Dr. Schierholz (GRÜNE) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgeset Dr. Ahrens * 14. 6. zes und des Zivildienstgesetzes Dr. Apel 13. 6. Ich lehne den Gesetzentwurf zur Änderung des Dr. Enders 13. 6. Wehrpflicht- und des Zivildienstgesetzes (Druck- Franke (Hannover) 14. 6. sache 10/1727) ab, weil für mich die gegenwärtige Dr. Glotz 14. 6. Regelung (und Praxis) von § 13 Wehrpflichtgesetz Dr. Göhner 13. 6. grundsätzlich problematisch ist und der Überprü- Grüner 14. 6. fung bedarf. Nicht nur Feuerwehrleute leisten eine Dr. Häfele 14. 6. wichtige Aufgabe für die Gesellschaft, so daß ihre von Hammerstein 14. 6. Freistellung von Wehr- und Zivildienst nach meiner Hiller (Lübeck) 14. 6. Auffassung nicht gerechtfertigt ist. Dem Deutschen Dr. Hupka 14. 6. Bundestag steht zudem noch in der 10. Legislatur- Jaunich 14. 6. periode eine breite Debatte zur Verlängerung des Kuhlwein 13. 6. Grundwehrdienstes, die Dauer des Zivildienstes so- Lenzer 14. 6. wie die „Sicherstellung des Personalbedarfs der Dr. Marx 14. 6. Streitkräfte" in den achtziger und neunziger Jahren Frau Odendahl 6. 13. bevor, bei der auch die gültigen Freistellungsrege- Polkehn 14. 6. lungen von Wehr- und Zivildienst einbezogen wer- Rapp (Göppingen) 14. 6. den. Ich bin der Auffassung, daß eine Beschlußfas- Frau Renger 14. 6. sung über den Gesetzentwurf daher zum gegenwär- Schmidt (Hamburg) 14. 6. tigen Zeitpunkt verfrüht ist, so daß ich ihm auch Schmidt (Nürnberg) 14. 6. Frau aus diesem Grunde meine Zustimmung nicht ertei- Schmidt (Wattenscheid) 14. 6. len kann. Schröder (Hannover) 13. 6. Schröer (Mülheim) 13. 6. Sielaff 14. 6. Frau Simonis 13. 6. Stahl (Kempen) 13. 6. Dr. Stoltenberg 14. 6. Frau Terborg 14. 6. Vahlberg 14. 6. Dr. Voss 13. 6. Wieczorek (Duisburg) 13. 6.

* für die Teilnahme an Sitzungen der Europäischen Parlaments

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