Heft 3-4 66. Jahrgang Österreichische Zeitschrift für Verkehrswissenschaft - ÖZV (bis 1989 Verkehrsannalen)

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ÖZV 3-4/2019   ÖZV 3-4/2019 Anregungen zur Verkehrspolitik

Die Wahlen Ende September 2019 haben die - Dekarbonisierung aller Verkehrswege und Bildung einer neuen Regierung zur Folge. Als Mobilitätsformen, insbesondere des öffent- Österreichische Verkehrswissenschaftliche Ge- lichen Verkehrs (ÖV). sellschaft (ÖVG) möchten wir diese Gelegenheit nutzen, Wünsche, Anregungen und Umsetzungs- 1. Anforderungen an die Verkehrspolitik von vorschläge für die Verkehrspolitik der neuen morgen Bundesregierung zu artikulieren: Zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutz- Einleitung vertrages bis 2030 ist eine Reduktion der Treib- hausgas-Emissionen um rund 7,2 Mio. t CO2 auf Die Herausforderungen für den Verkehr der Zu- rund 15,7 Mio. t CO2 (aktuell: 22,9 Mio. t CO2) und kunft lauten: Ökologisierung, Automatisierung bis 2050 eine weitgehende Dekarbonisierung er- und Integration aller Verkehrsmodi. Diesen He- forderlich, um die Erderwärmung bis 2050 auf rausforderungen muss sich die Verkehrspolitik deutlich unter 2°C im Vergleich zur vorindustriel- stellen und geeignete Maßnahmen setzen. Werk- len Zeit zu begrenzen. Wegen der Langfristigkeit zeuge dazu sind Digitalisierung, technologische der Prozesse sind heute Maßnahmen sofort und Innovationen und Dekarbonisierung. dringend erforderlich. Dazu braucht es techno- logieoffene, mit den europäischen Zielvorgaben (a) Ökologisierung: abgestimmte sowie sozial- und wirtschaftsver- - Digitalisierung zur Verkehrsvermeidung durch trägliche Schritte, die den Paradigmata Datentransfer statt Personenmobilität (siehe - Vermeiden von nicht unbedingt erforder- z.B.: „Datenwege statt Behördenwege“) lichen Verkehren - Innovationen für Dekarbonisierung von Treib- - Verlagern auf geeignete effiziente Verkehrs- stoffen, für neue Antriebstechnologien und träger für Softskills zur Verkehrsvermeidung - Verbessern der eingesetzten Technologien - Dekarbonisierung durch e-Mobilität, synthe- folgen. tische Treibstoffe und Wasserstoff Öffentlich zugängliche Verkehrsangebote sollen (b) Automatisierung: das Rückgrat nachhaltiger Personenmobilität bil- - Digitalisierung für automatisches Fahren auf den. Darüber hinaus ist der zunehmende Stellen- Straße und Schiene, für Verkehrslenkung und wert von Mobilitätsservices einzubeziehen. Jede -steuerung, für „Predictive Maintenance“ und Form alternativer Verkehrssysteme (Sharing Mo- für die Versorgung peripherer Regionen delle, Elektromobilität, autonomes Fahren, alter- native Treibstoffe u.a.) sowie die aktive Mobilität - Innovationen auf dem Gebiet der Sensorik müssen in der kommenden Legislaturperiode in- und Detektion, für die Analyse von Big Data tensiv, sowohl hinsichtlich Infrastruktur als auch zum Nutzen des Kunden und jedes Einzelnen, hinsichtlich Verkehrsbetrieb, vorangetrieben für neue Formen des öffentlichen Verkehrs werden. Für den Individualverkehr in Ballungs- (ÖV) samt Einsatz von Artificial Intelligence räumen sind Elektrofahrzeuge optimal geeignet, während für den Güterverkehr, Flug- und Schiffs- (c) Integration: verkehr CO2-freie synthetische Kraftstoffe zu -ent wickeln und einzusetzen sind. Voraussetzungen - Digitalisierung für die Nutzbarkeit aller erho- hierfür sind Investitionen in die Infrastruktur, benen Daten für die Allgemeinheit, für um- ökonomische Rahmenbedingungen und Verhal- fassende Informationssysteme, für die shared tensänderungen sowie wesentlich mehr Mobi- economy und die Implementierung von Mo- litätsmanagement, neue Mobilitätsservices und bilitätsknoten. Digitalisierung. Folgende Maßnahmen sollten - Innovationen für neue Formen der -umfas dafür umgesetzt werden: senden Vernetzung aller Verkehrsmodi (ins- a.) (Klima-)Ziele der österreichischen Verkehrs- bes.: aller Arten von e-Mobilität), für die Ent- politik sollen explizit und verbindlich in Bezug wicklung neuer Verkehrsmodi und Antriebe auf ihre Orientierung und Fristigkeiten unter

ÖZV 3-4/2019  Einbeziehung verkehrswissenschaftlicher In- serung der intermodalen Schnittstellen mit stitute benannt werden. dem ÖV. b.) Verkehrspolitische Entscheidungen sollen 2. Verkehr und Raumordnung prinzipiell im Vorhinein auf ihre Zielerrei- chung untersucht und quantifiziert werden. Mobilität und Siedlungsentwicklung sind von- einander abhängig. Raumordnung und Ver- - diese Quantifizierungen müssen von unab- kehrsplanung sind die Basis für ein nachhaltiges hängigen Institutionen erstellt werden, bedarfsgerechtes, effizientes und kundenori- entiertes Verkehrsangebot. Oberste Priorität - geeignete, politisch unabhängige Monito- haben Raumstrukturen, die die Motivation zur ring Systeme sind zu installieren, um die Mobilität reduzieren. In den Ortskernen müssen Zielerreichung zu dokumentieren, Wohnen, Arbeit und lokale Versorgung mit den - bei negativem Zielbeitrag der vorgeschla- Gütern des täglichen Bedarfs vernetzt werden, genen verkehrspolitischen Maßnahme ist um das Ziel der Nachhaltigkeit zu fördern. Dazu von einer Umsetzung der Maßnahme abzu- bedarf es folgender Maßnahmen: sehen, a.) Verbindliche überörtliche Raumplanungs- - werden die (Zwischen-)Ziele nicht erreicht, werkzeuge und deren Rechtsgrundlagen müssen neue adäquate Maßnahmen zur sollten zum haushälterischen Umgang mit Zielerreichung eingesetzt werden, Grund und Boden geschaffen werden. Eine Verfassungsänderung nach deutschem und c.) Die Verkehrspolitik ist dringend mit der Inno- Schweizer Vorbild ist im Hinblick auf eine vations-, Technologie- und Infrastruktur- und gemeinwohlorientierte Bodennutzung wün- Umweltpolitik strategisch und operativ zu ko- schenswert. ordinieren und umzusetzen. b.) Ökonomische Lenkungsinstrumente sollten d.) Umsetzung einer nachhaltigen Mobilitätsin- im Sinne sozialer Bodennutzung das Brachlie- frastruktur sollen in einem strategischen In- gen gewidmeter, erschlossener Grundstücke frastruktur- und Raumordnungskonzept erar- steuern und die geordnete Innen- und Au- beitet werden. ßenverdichtung erleichtern. e.) Zur Bereitstellung der Ladeinfrastruktur für e- c.) Die Einbeziehung der Rolle des Regionalver- Fahrzeuge ist der Bund in die Pflicht genom- kehrs in die Raumplanung und in die Wid- men, einen Masterplan (inkl. Zeitplan) unter mungen der Gemeinden ist unabdingbar. seiner Federführung zu erstellen, der die Aus- wahl der Technologie (E-Bus, Wasserstoff), d.) Eine überörtliche Raumordnung muss die zu- der Betankungstechnologie sowie die Bereit- künftigen Trassen für die hochrangige Infra- stellung der erforderlichen (Lade-)Infrastruk- struktur sichern. tur für das ganze Bundesgebiet beinhaltet. e.) Ausbau der Logistikinfrastruktur (z.B. Ent- Die voraussichtlich privatwirtschaftlichen wicklung von Logistikflächen udgl.), um Ver- Anbieter der (Lade-)Infrastrukturen, müssen kehrswege sinnvoll zu verkürzen. eine transparente und rein energiebasierte Abrechnung bei e-Ladestellen sicherstellen. f.) Pendlerpauschale mit Schwerpunkt auf den ÖV umzusetzen g.) Das Erreichen der Klimaziele ist nur möglich mit massiver Verkehrsverlagerung auf die g.) Flughafenstrategie in Zusammenarbeit mit Schiene, zumindest im überregionalen und dem Schienenverkehr entwickeln internationalen Verkehr. 3. Leitlinien für das hochrangige Straßennetz h.) Besonderes Augenmerk soll dem Ausbau der Mobilitätsangebote (z.B. Mikro-ÖV) in den Neue Infrastrukturvorhaben müssen die Errei- ländlichen Regionen gelten, denn die notwen- chung der Klimaziele unterstützen, Investitions- dige Mobilität - ob individuell oder öffentlich sicherheit für neue Vorhaben ist unerlässlich. - muss für alle leistbar bleiben. Die bestehende Infrastruktur soll im Einklang mit den Klimazielsetzungen optimal genutzt werden. i.) Ein weiteres Ziel ist die Umsetzung und Wei- Die Digitalisierung ermöglicht nicht nur eine we- terentwicklung des Masterplans Radfahren sentlich effizientere Nutzung der bestehenden und der Ausbau der notwendigen Infrastruk- Infrastruktur, sondern auch neue Services. Zur tur sowie des Masterplans Gehen zur För- Umsetzung sind folgende Maßnahmen erforder- derung des Fußgängerverkehrs und Verbes- lich:

 ÖZV 3-4/2019 a.) Die ASFINAG bleibt als wirtschaftlich eigen- menlegung von Rechtsmaterien, Entrümpeln, ständiges Unternehmen bestehen und behält Deregulieren und Verwaltungsvereinfachung. ihre aktuellen Einnahmequellen. Es gilt das Prinzip der „Nutzerfinanzierung“ des hochran- 4.2. Infrastruktur gigen Straßennetzes inklusive der zeitgebun- Investitionen in den Ausbau und Modernisierung denen PKW Maut. Die erzielten Einnahmen der Schieneninfrastruktur heißt Digitali-sierung sollten vornehmlich für die Schuldentilgung der Infrastruktur und der Schienenfahrzeuge als aufgewendet werden. Basis für Kapazitäts- und Energieeffizienzsteige- b.) Weiterentwicklung des Mautsystems: Klare rungen. Um die notwendige und gewünschte In- Preissignale, die das Verursacher- und Nut- tegration zu erzielen braucht es: zerprinzip besser widerspiegeln, sind ent- a.) Mit der Umsetzung des Zielnetzes 2025+ wird scheidend, um für gleiche Wettbewerbsbe- die Grundlage für einen effizienten Schienen- dingungen für verschiedene Verkehrsträger zu güterverkehr sowie für einen integrierten sorgen. Taktfahrplan geschaffen. Das Zielnetz soll bis c.) Verkehrssicherheit auf der Straße ist zu er- zum Jahr 2050 laufend evaluiert und Maßnah- höhen und an das Niveau der anderen Ver- men gegebenenfalls angepasst werden, wobei kehrsträger anzunähern, u.a. durch gezielte deren CO2-Reduktion prioritär ist. Gewichts- und Zustandskontrollen von Fahr- b.) Besondere Aufmerksamkeit ist dem Ausbau zeugen über 3,5 t höchstzulässigem Gesamt- der internationalen Zulaufstrecken zum Bren- gewicht, ner-Basistunnel zu schenken. d.) konsequente Überprüfung bestehender Nor- c.) Mit der Erarbeitung eines Zielnetzes 2040+ men - insbesondere der realen Emissionen inkl. Finanzrahmenplan soll ehestens begon- (Lärm und Abgase) - im Straßengüterverkehr. nen werden, um dieses Zielnetz 2040+ samt 4. Leitlinien für den Schienenverkehr dem zugehörigen Finanzrahmen zeitgerecht zu beschließen. 4.1. Allgemeines 4.3. Personenverkehr Digitalisierung, Innovation und Vernetzung sol- len vorangetrieben werden: Innovationen sind Erforderliche Maßnahmen: der Schlüssel für einen wettbewerbsfähigen und a.) verbesserter Integrierter Taktfahrplan, Vor- kundenorientierten Schienenverkehr. Der Eisen- rang für Taktverkehre, bahnsektor muss auf die Digitalisierung setzen und gemeinsam mit der Politik Innovation und b.) Wettbewerbsnachteile und Hindernisse ge- Forschung vorantreiben, d.h. genüber der Straße beseitigen (z.B. Fahrzeug- zulassung etc.), LCC der Fahrzeuge senken und a.) Vorrangiges Ziel der Digitalisierung muss Ser- Innovationen rascher auf den Markt bringen. viceorientierung und Kundennutzen sein. Das muss in alle diesbezüglichen Planungen ein- c.) Autonomes Fahren als Pilotversuch bei Regi- fließen onalbahnen, entsprechende Umrüstung der Serienfahrzeuge, b.) Beibehaltung eines anwendungsorientierten nationalen Forschungs- und Förderungspro- d.) Einführung eines für die Menschen leistbaren gramms, Forschungsförderungen an die zu- Österreich-Tickets künftigen Herausforderungen des Bahnsektors ausrichten 4.4. Güterverkehr c.) Testfelder im Bahnsektor für vernetztes Fa- Erforderliche Maßnahmen: hren schaffen, alternative Antriebe und Auto- a.) Im Güterverkehr muss die Verlagerung von matisierung auf der Schiene weiterführen der Straße auf die Schiene durch verbesserte d.) Entrümpelung und Neuordnung der Rechtsma- Services und Anreize vorangetrieben und der terien vornehmen: Abstimmung der Rechts- kombinierte Verkehr durch Innovationen ge- materien (Allgemeines Verkehrsrecht, Eisen- stärkt werden. Der Logistikstandort Österreich bahnrecht, Kraftfahrlinienrecht, ÖPNRV-G soll durch die weitere qualitative Entwicklung etc.) und ein Durchforsten sind unumgänglich. von Logistikknoten sowie die Sicherstellung Sinnvoll wäre eine durchgehende Neufassung der dafür notwendigen Schieneninfrastruktur der Gesetze und Verordnungen eine Zusam- ausgebaut werden.

ÖZV 3-4/2019  b.) Im Güterverkehr sind eine aktive Verkehrs- c.) Es muss ein Ausbau intermodaler Verkehrs- steuerung und Maßnahmen zur Stärkung der knoten erfolgen, um die Durchgängigkeit zwi- Intermodalität in der Logistik zu fördern. Da- schen MIV und ÖV u.a. zur Umsetzung des bei ist insbesondere die Ökologisierung des „Mobilität-als-Service“-Ansatzes auch unter Transports auf der letzten Meile zu forcieren. Einbeziehung privater Anbieter, deutlich zu verbessern. Der bundesweite Ausbau von c.) In diesem Zusammenhang muss die Kosten- Park & Ride-, Bike & Ride- und Carsharing-Lö- wahrheit zwischen den Verkehrsträgern her- sungen an Bahnhöfen ist ein Kernelement zur gestellt werden, daher Ausbau der obliga- Attraktivierung des ÖV für Pendlerinnen und torischen Abgaben auf der Straße, auch als Pendler. „Pendant“ zu den Trassengebühren auf der Schiene. d.) Effektivere intermodale Verteilung des ÖV vom hochrangigen Schienenverkehrsnetz in d.) Die ökologische Abwicklung wachsender Wa- das jeweils leistungsfähigste städtische Ver- renströme aus Osteuropa und Asien per Bahn kehrssystem (Straßenbahn, O-Bus). Im städ- soll mittels des Bahnprojekts „neue Seiden- tischen Raum muss der ÖV so mit dem MIV straße” und „Europäische Seidenstraße“ und kombiniert werden, dass das Umsteigen auf die Bahnanbindung von deren Endpunkten den Umweltverbund für möglichst viele Men- gestärkt werden. schen attraktiv wird. e.) Regional und lokal integrierte Lösungen für e.) Als innovatives Verkehrsmittel sollten urbane den Güterverkehr auf der Bahn sollen speziell Seilbahnen in diesen Verkehrssystemen ihren unterstützt werden. Platz finden f.) Roboterkleinfahrzeuge mit automatischer f.) Die Verknüpfung von Angeboten der e-Mobi- oder ferngesteuertem Kupplungsroboter lität (z.B. e-Taxis oder e-Carsharing) mit wei- (Voraussetzungen: Reinternationalisierung teren Mobilitätsangeboten (z.B. ÖV, Leihrä- des Einzelwagenladungsverkehrs; Wiederer- der) ist zu ermöglichen. richtung der abgetragenen Weichenverbin- dungen) sollen eingesetzt werden. g.) In Randlagen soll ein gezielter Ausbau bedarf- sorientierter Systeme den Lückenschluss auf g.) Gestaltung eines Förderprogramms für die der „letzten Meile“ ermöglichen. rasche Nachrüstung von lärmarmen Verbund- stoffbremssohlen an Güterwagen. Die Erfordernisse für die Zukunft lauten daher: 5. Nah- und Regionalverkehr a.) Eine gemeinsame Strategie für den ÖPNV für ganz Österreich, (Länder, Städte, Gemeinden) In einem dekarbonisierten Verkehrssystem müs- erstellen, in dem die Ziele, die Finanzierung sen öffentlich zugängliche Mobilitätsangebote und Organisation über alle politischen Ebe- barrierefrei zugängliches Rückgrat für alle Be- nen hinweg festgelegt und vereinbart sind. völkerungsgruppen sein. Dafür ist ein flächen- deckendes, optimal abgestimmtes öffentliches b.) Institutionelle Basis schaffen, welche die -Auf Liniennetz (Schiene und Bus) in Kombination gabenverantwortung und die Kompetenz für mit anderen bedarfsorientierten öffentlichen die Finanzierungen zusammenführt und Ziele, Mobilitätsangeboten (wie z.B. Mikro-ÖV) einzu- Strategien und Maßnahmen akkordiert mit richten. Besonders wichtig ist dabei die multi- klarer Zuweisung der Aufgabenträgerschafts- modale Mobilität, die kombinierte Nutzung un- funktion an die Städte und die Gemeinden. terschiedlicher Verkehrsmittel. Hiefür sind neue Der Bund gibt den Rahmen vor, die Länder Infrastrukturen wie beispielsweise multimodale konkretisieren die Aufgaben und Zuständig- Mobilitätsknotenpunkte zu schaffen: keiten, die Aufgabenträger bestellen, planen und steuern. Bund, Länder und Aufgabenträ- a.) Österreichweite Mindeststandards für die ger finanzieren. ÖV-Versorgung sind zu definieren und sicher- zustellen. c.) Eigene abgestimmte Programme stellen si- cher, dass Verkehrsinfrastrukturprojekte in b.) Leistungsfähige, weitgehend elektrifizierte eine Gesamtverkehrsplanung eingebunden ÖV-Systeme sollen die Basis eines CO2-neu- sind und mit den übergeordneten Verkehrs- tralen Verkehrssystems in den Ballungsräu- netzen und der Siedlungsentwicklung abge- men bilden. stimmt werden. Diese sind die Voraussetzung für die finanzielle Beteiligung des Bundes an

 ÖZV 3-4/2019 Verkehrsinfrastrukturen in Städten und Ag- k.) Regionalpolitische Verantwortung für Regio- glomerationen. Damit ist sichergestellt, dass nalverkehr wahrnehmen, dazu ist ein regio- die Mittel bedarfsorientiert, nachvollziehbar, nalpolitischer Auftrag erforderlich. Ziel ist die zielgerichtet sowie gerecht und fair vergeben dauerhafte Verankerung in der Region- (Ak werden. teure) und Identifikation mit dem regionalen ÖV-System. d.) Finanzierungslücken insbesondere der Lan- deshauptstädte sind durch ein Sonder-inve- l.) Grenzüberschreitende Regionalverkehre sind stitionsprogramm des Bundes als Soforthilfe in grenzüberschreitende Verbünde einzube- für den Ausbau der leistungsfähigsten inner- ziehen und die Auslandstarife abzuschaffen. städtischen ÖV-Infrastrukturen zu schließen. 6. Leitlinien zur Forschung im Bereich Verkehr e.) Das Verhältnis Bestellentgelt zu Tariferlösen muss auf eine vernünftige Basis gestellt wer- a.) Die Erreichung der langfristigen Klimaziele den. wird mit den Technologien von heute alleine nicht möglich sein. Daher muss Österreich f.) Die Drittnutzerfinanzierung, speziell von je- seine Innovationskraft und Veränderungs- nen Branchen, welche durch Investitionen der prozesse wie Digitalisierung und Automa- öffentlichen Hand stark profitieren, ist umzu- tisierung verstärkt nutzen, um mit neuen setzen. Weitere Maßnahmen zu Verstärkung Schlüsseltechnologien das Verkehrssystem zu der Nutzerfinanzierung sollten überlegt wer- modernisieren. den. b.) Grundlegende Forschung/Grundlagenfor- g.) Gründung einer zentralen Vergabestelle für schung muss frei sein, d.h. Forschung muss Verkehrsdiensteverträge, die sowohl die sich eigenständig ihre Forschungsthemen su- volkswirtschaftliche Effizienz als auch die chen können. Qualität des ÖPNV in Österreich sicherzustel- len hat. c.) Angewandte bzw. anwendungsorientierte Forschung bedarf einer Legitimierung durch h.) Die Möglichkeit der Direktvergabe von Ver- gesellschaftliche, ökologische oder -wirt kehrsdienstleistungen soll neben einem wett- schaftliche Bedürfnisse und muss sich an den bewerblichen Vergabeverfahren explizit auf- Prinzipien der Nachhaltigkeit orientieren. rechterhalten werden. d.) Die Umsetzung der Forschung in die Praxis i.) Beim Wettbewerb um Verkehrsdienste sollten obliegt der Wirtschaft, wobei es Aufgabe der funktionale Ausschreibungen durchgeführt Politik ist, deren soziale Verträglichkeit und werden, um die Anwendung innovativer Lö- Umweltverträglichkeit sicherzustellen. sungen zu ermöglichen. Fairer Wettbewerb bedeutet auch die Direktvergabe für Regi- e.) Gerade am Verkehrssektor soll die Möglich- onalverkehre: Wettbewerbsvorteile dürfen keit zum Experimentieren, zum Ausprobieren durch erzwungenen Wettbewerb nicht verlo- in „Verkehrslabors“ unterstützt und forciert ren gehen. werden. j.) Die Entzerrung der Verkehrsspitzen durch Staffelung - oder zumindest Abstimmung - der Beginnzeiten von Schulen, Kindergärten, Betrieben vorantreiben.

ÖZV 3-4/2019  10 ÖZV 3-4/2019 Die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte: Besteht Verbesserungsbedarf? Teil 2

Gerhard SARIA

V. Die Bedeutung des Erkenntnisses für die ös- vorbehalten. Sie ist nach dieser Ansicht nur als terreichische Agentur für Passagier- und Fahr- eine Beschwerdestelle gemäß den unionsrecht- gastrechte lichen Vorgaben anzusehen.5 Diese Rechtsansicht mag vor dem Erkenntnis des EuGH in den verb Rs A. Rechtliche Bedenken gegen die derzeitige C-145/15 und C-146/15 vielleicht noch als nicht Ausgestaltung der Agentur für Passagier- und gesichert angesehen worden sein. Dementspre- Fahrgastrechte chend hat etwa Keiler die apf einerseits als eine Die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf) „dem Sekundärrecht entsprechende Institution“ wurde mit dem Bundesge-setz über die Agentur eingestuft, andererseits aber doch auch darauf für Passagier- und Fahrgastrechte (PFAG), BGBl I hingewiesen, dass nach wie vor unklar sei, inwie- 2015/61 idF BGBl I 2018/37, geschaffen.1 Sie ist weit die apf für die Flugbeförderung neben ihrer nach § 1 S 2 PFAG explizit Durchsetzungsstelle iSd Eigenschaft als nationale Beschwerdestelle auch in § 2 Z 1 PFAG zitierten unionsrechtlichen Verord- Durchsetzungsstelle sei und insb Sanktionen ge- nun-gen; die Aufzählung in § 2 Z 1 PFAG umfasst gen Luftfahrtunternehmen gemäß Art 16 Abs 3 FluggastrechteVO - VO (EG) Nr. 261/2004 ver- dabei alle hier interessierenden reiserechtlich re- 6 levanten Rechtsakte. Nach § 2 Z 1 PFAG ist die apf hängen könne. darüber hinaus unbeschadet der Zuständigkeit Mit den Ausführungen des EuGH und des Gene- der ordentlichen Gerichte Beschwerdestelle für ralanwalts in den verb Rs C-145/15 und C-146/15 die in dieser Gesetzesbestimmung angeführten ist nunmehr unzweifelhaft davon auszugehen, unionsrechtlichen Verordnungen. Die zuletzt an- dass die apf insoweit den unionsrechtlichen Vor- geführte Aufgabe nimmt die apf in der Form ei- gaben an eine Durchsetzungsstelle nicht genügt. ner echten Schlichtungseinrichtung wahr. Zu ih- Nach der insofern übereinstimmenden Auslegung rer Rolle als Durchsetzungsstelle verweist die apf des einschlägigen unionsrechtlichen Rahmens selbst darauf, dass sie in dieser Funktion Anzeigen durch den EuGH und den Generalanwalt kann - gegen Fluglinien bei der zuständigen Bezirksver- wie in der vorliegenden Arbeit bereits eingehend waltungsbehörde erstatte, wenn im Zuge des dargestellt wurde7 - nicht bezweifelt werden, Schlichtungsverfahrens keine den Verstoß gegen dass der Durchsetzungsstelle selbst durch den die unionsrechtlichen Verordnungen beseitigende mitgliedstaatlichen Gesetzgeber die Befugnis zur Lösung gefunden werde oder das Unternehmen Verhängung wirksamer, verhältnismäßiger und 2 nicht am Schlichtungsverfahren mitwirke. Dass abschreckender Sanktionen eingeräumt werden allerdings diese Aufgabe nicht im Vordergrund der muss. Diesen Anforderungen entspricht die ge- 3 Tätigkeit der apf steht, zeigt schon der Umstand, genwärtig geltende österreichische Rechtslage 4 dass die Verfahrensrichtlinie der apf in § 2 als eindeutig nicht. Die von der apf als alleiniger Be- Zweck der Agentur allein die Klärung und außer- leg für die Ausübung der ihr auferlegten Rolle als gerichtliche Beilegung von Streit- und Beschwer- Durchsetzungsstelle angeführte Anzeigenerstat- defällen anführt. Das gleiche gilt für die in den tung ist kein Ersatz für die ihr nach nationalem Anhängen I bis IV der Verfahrensrichtlinie jeweils Recht fehlende Möglichkeit zur eigenständigen in § 3 definierten Zuständigkeiten der apf sowie Verhängung von Sanktionen, zumal nach der An- die jeweiligen §§ 6 f der verschiedenen Anhänge, zeigenerstattung allfällige Sanktionen eben nicht die alle auf das Vorliegen von Beschwerdefällen von ihr, sondern von den die Anzeige bearbeiten- abstellen. den Behörden verhängt werden. Dass es über- Bereits aus Anlass der Einrichtung der apf durch dies mit dem Begriff einer „allgemeinen Miss- das PFAG wurde von Authried deren Eigenschaft brauchsaufsicht öffentlich-rechtlicher Art“ nur als Durchsetzungsstelle iSd unionsrechtlichen Vor- schwer vereinbar ist, falls die Aufsichtsbehörde schriften bestritten. Begründet wurde dies damit, selbst keine Sanktionen verhängen darf und - dass der apf selbst keine unmittelbaren Sanktions- wie jeder andere Rechtsunterworfene - auf eine möglichkeiten, insb etwa die Möglichkeit zur Ver- Anzeigeerstattung bei Aufdeckung von Missstän- hängung von Verwaltungsstrafen, zustehen. Eine den verwiesen ist, rundet das Bild insofern bloß Verhängung von Verwaltungsstrafen ist nach den ab. Diesem eine Vertragsverletzung durch Öster- einschlägigen Materiengesetzen nur den Bezirks- reich begründenden Mangel lässt sich nach der verwaltungsbehörden möglich; ein allenfalls mög- insoweit ebenfalls keine Zweifel offenlassenden licher Konzessionsentzug ist den für den jeweiligen und eine eindeutige Rechtslage auf Unionsebene Verkehrsträger zuständigen Aufsichtsbehörden schaffenden Entscheidung des EuGH in der Rs C- ÖZV 3-4/2019 11 509/118 weder durch eine entsprechende weite tung als AS-Stelle in die an sich taxative Aufzäh- Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrund- lung des § 4 Abs 1 AStG behandelt und darauf lagen noch mittels eines diesbezüglich weiten hingewiesen, dass es diesbezüglich einer ent- Verständnisses des österreichischen rechtlichen sprechenden Gesetzesänderung bedürfen wür- Rahmens begegnen. de.14 Nichts anderes kann aber grundsätzlich für eine Reduktion der in § 4 Abs 1 AStG angeführten Für das daher letztlich unumgängliche Einschrei- AS-Stellen gelten, sodass eine Streichung der ten des österreichischen Gesetzgebers wird zum apf aus der Aufzählung des § 4 Abs 1 AStG ohne einen zu beachten sein, dass hinsichtlich des in größere Probleme durch den Gesetzgeber durch- Dtld als Durchsetzungsstelle fungierenden Luft- geführt werden könnte. Eine Einschränkung des fahrt-Bundesamts unter Berufung auf das uni- gesetzgeberischen Spielraums für die Neugestal- onsrechtliche Gebot zur Normierung wirksamer, tung der apf lässt sich somit aus ihrer Eigenschaft verhältnismäßiger und abschreckender Sank- als AS-Stelle nicht ableiten. tionen und auf dessen allgemeine öffentlich- rechtliche Kontrollaufgabe die Einräumung einer B. Der rechtspolitische Rahmen für die zukünf- Kompetenz zur Verhängung entsprechend hoher tige Ausgestaltung der Agentur für Passagier- Bußgelder, also nach österreichischer Terminolo- und Fahrgastrechte gie von Verwaltungsstrafen, verlangt wird. Nur ein entsprechend hoher Strafrahmen könne die Der Verfasser der vorliegenden Arbeit hat nicht Transportunternehmer einerseits abschrecken verkannt und verkennt auch heute nicht, dass und von einer Ignorierung der unionsrechtlichen auf eine gerichtliche Geltendmachung von sich Vorschriften abhalten und schaffe andererseits aus den unionsrechtlichen Rechtsakten zum einen wirtschaftlichen Anreiz zur Erfüllung der Schutz der Fluggast-, Fahrgast- und Passagier- sekundärrechtlichen Verpflichtungen.9 Neben ei- rechte ergebenden Ansprüchen durch den je- ner Verhängung von Verwaltungsstrafen könnte weils geschützten Personenkreis in vielen Fällen ferner an eine Veröffentlichung der Namen der in Anbetracht der absolut gesehen nicht allzu gegen ihre unionsrechtlichen Pflichten versto- großen Höhe dieser Ansprüche und der für eine ßenden Verkehrsträger gedacht werden.10 Dem- solche Rechtsdurchsetzung auflaufenden Kosten 15 gegenüber wird bis auf weiteres der Frage nach verzichtet wird. Dieser Tatsache ist sich das ein- 16 17 einem allfälligen unionsrechtlichen Verbot einer schlägige Schrifttum und die Praxis des EuGH Durchsetzung individueller, konkreter Ansprüche ebenfalls durchaus bewusst. Allerdings handelt von Fluggästen durch die nationalen Durchset- es sich dabei keineswegs um ein neues Problem. zungsstellen ange-sichts der diesbezüglich unsi- Vielmehr war es ausweislich des lateinischen cheren Rechtslage11 kein Einfluss auf die Neuge- Rechtssprichworts „Minima non curat praetor.“ 18 staltung der apf zuzugestehen sein. bereits dem römischen Recht bekannt. Zum anderen sollte eine allfällige Reform der Manche sehen nun im Schlichtungsstellenwe- apf dazu genutzt werden, die Frage der in der sen das primäre Heilmittel für diesen Interes- 19 österreichischen Literatur bestrittenen verfas- senkonflikt und blenden insoweit sowohl die sungsrechtlichen Zulässigkeit der im Gefolge Allgemeingültigkeit sowie die Zeitlosigkeit der des Erkenntnisses Rs C-509/11 gesetzten ge- Themenstellung als auch den Umstand aus, dass setzli-chen Maßnahmen zur Verbesserung der sich in vielen Bereichen mit den zur Gerichtsent- Durchsetzungsmöglichkeiten bezüglich der Fahr- lastung verfügten Maßnahmen etwa durch die gastrechte im Eisenbahnbereich einer überzeu- Normierung von Rechtsmittelbeschränkungen genden Lösung zuzuführen. Zwar haben die in gerade gegenteilige Entwicklungen zeigen. Dabei diesem Zusammenhang aufgezeigten und nicht kann es vorliegend angesichts der relevanten uni- von vornhinein von der Hand zu weisenden Ver- onsrechtlichen Vorgaben nicht um eine gänzliche stöße gegen die Art 18, 83 Abs 2 und 94 B-VG12 Aufgabe der Rolle der apf oder einer allfälligen keine unmittelbaren unionsrechtlichen Berüh- Nachfolgeinstitution als Schlichtungseinrichtung rungspunkte, doch kann ein Aufgreifen dieser gehen, gibt doch das einschlägige Unionsrecht Kritik durch den Gesetzgeber keinen Schaden die Existenz einer Beschwerdestelle vor. Ent- anrichten. scheidend ist demgegenüber, ob in Österreich be- züglich der in der Kompetenz der Mitgliedstaaten Schließlich ist festzuhalten, dass die apf in § 4 Abs liegenden Ausgestaltung einer solchen Beschwer- 1 Z 4 AStG als eine AS-Stelle angeführt ist und als destelle auf das von EuGH und Generalanwalt in solche auch notifiziert wurde.13 Dies begründet den verb Rs C-145/15 und C-146/15 postulierte für sich genommen jedoch weder eine Bestands- Mindestmaß an Kompetenzen zurückgegangen garantie noch eine Garantie einer bestimmten werden soll. Dies würde bedeuten, dass sich der Ausgestaltung. In der Literatur wird freilich bloß Wirkungskreis der Beschwerdestelle im Wesent- der Fall einer Aufnahme einer weiteren Einrich- lichen auf die Entgegennahme von Beschwerden

12 ÖZV 3-4/2019 der Kunden und auf deren Information insb zu apf von € 586.700,- pro Geschäftsjahr angenom- möglichen weiteren Vorgangsweisen beschränkt men.27 Dem stehen als Gesamtkosten nach dem und im Übrigen für die Durchsetzung individu- alten System - vor Einrichtung der apf - für die eller Ansprüche der Gerichtsweg beschritten Schlichtungsstelle Bahn und die Beschwerdestelle werden muss.20 Flug ein Betrag von € 448.446,- für das Jahr 2014 gegenüber.28 Abgesehen von einer beträchtlichen Unbestritten haben Schlichtungsstellenverfah- Kostensteigerung von fast 31 % durch den Über- ren insb im reiserechtlichen Bereich viele Vor- gang vom alten System auf die apf ist die apf zum teile, aber ebenso nicht wenige Nachteile für alle überwiegenden Teil mit Steuergeld finanziert. 21 Beteiligten und den Staat. Jedoch zeigen sich Nach den gesetzlichen Vorgaben sind die Kosten im Rahmen der Durchsetzung von Passagier-, der Schlich-tungsstelle nach § 4 insb Abs 3 PFAG Fahrgast- und Fluggastrechten mittlerweile spe- zu 60 % vom Bund und zu 40 % von den betrof- zifische Erscheinungen, die im Ergebnis zu einer fenen Unternehmen zu finanzieren.29 Jedenfalls im Grunde missbräuchlichen Inanspruchnahme im Jahr 2015, dem ersten Jahr der Tätigkeit der solcher Schlichtungsstellen führen. So werden apf, wurden die Kosten der Schlichtungseinrich- derartige Schlichtungseinrichtungen in Dtld und tung jedoch bloß zu 14,2 % von den Unternehmen Österreich insb in nicht ganz einfach gelagerten bestritten.30 Für die Beschwerdeführer wurden Fällen von „Claim-Firmen“ in Anspruch genom- von der apf im Jahr 2017 insgesamt € 1.032.915,- 22 men. Nach den in Medienberichten wiederge- erlöst. Davon entfielen € 984.420,- auf den Flug- gebenen Angaben der Geschäftsführerin der apf sektor.31 In Summe gesehen handelt es sich bei werden gegenwärtig 15 % der von dieser Stelle der apf daher um eine primär steuergeldfinan- bearbeiteten Fälle von solchen durchgehend aus- zierte und gegenüber älteren Systemen wesent- 23 ländischen „Claim-Firmen“ eingebracht. Dabei lich höhere Kosten verursachende Einrichtung, übernehmen diese „Claim-Firmen“ gegen eine deren Nutzen für die Allgemeinheit begrenzt ist, oft vergleichsweise hohe Erfolgsbeteiligung auf übersteigen doch die von ihr hereingebrachten eigenes Risiko die Durchsetzung und das Inkasso Beträge den mit ihr verbundenen Aufwand offen- von Ansprüchen der Kunden. Dieses insb im Luft- kundig um weniger als 100 %. verkehrssektor verbreitete Geschäftsmodell hat seinen Ursprung in der beharrlichen Weigerung Bestätigt wird dieser Eindruck durch einen Blick vieler Luftfahrtunternehmen zur Erfüllung selbst auf die Größen Personal und abgeschlossene berechtigter Ansprüche ihrer Kunden.24 Es kann Schlichtungsverfahren. Die dt söp hat im Jahr aber kaum der Sinn von - wie im Fall der apf noch 2017 mit einem Personaleinsatz von insgesamt gleich im Anschluss zu zeigen sein wird - letztlich 24 Vollzeitäquivalenten sowie einem Leiter und steuergeldfinanzierten Einrichtungen sein, die einem Geschäftsführer32 15.953 Schlichtungsver- entgeltlichen Geschäftspraktiken privater Unter- fahren, davon 12.525 im Flugsektor, beendet.33 nehmer zu fördern. Das gilt umso mehr, als die in Demgegenüber hat die apf in diesem Jahr 2.342 der Weigerung vieler Verkehrsträger zur Erfüllung Schlichtungsverfahren, davon 1.719 im Flugsek- berechtigter Ansprüche bestehende eigentliche tor, abgeschlossen.34 Hinsichtlich der Angaben zu Ursache für das Aufkommen der „Claim-Firmen“ den Mitarbeitern wird im Jahresbericht 2017 der wesentlich kostengünstiger durch eine entspre- apf davon gesprochen, dass sich die Leiterin der chend effizient agierende Missbrauchsaufsicht apf sowie fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der nationalen Durchsetzungsstellen bekämpft in Voll- oder Teilzeit „direkt“ um die Anliegen der werden könnte. Beschwerdeführenden kümmern würden.35 Auf der Website der apf werden gegenwärtig jedoch Dazu kommt noch ein gemessen an allen re- zwölf Mitarbeiter, davon zwei als karenziert, aus- levanten Indikatoren vergleichsweise hoher gewiesen. Legt man den üblichen 1:10-Schlüssel Aufwand für die Tätigkeit der apf: Zunächst ist für das Verhältnis von Österreich zu Dtld an, so diesbezüglich festzuhalten, dass sämtliche Jah- müsste die apf eigentlich weniger als drei Mit- resberichte der apf durchgehend keinerlei An- arbeiter haben. Nichts anderes ergibt sich im gaben zu den mit dieser Stelle verbundenen Ergebnis aus den Fallzahlen pro Mitarbeiter: Bei 25 Kosten machen. Die apf befindet sich damit in der söp erledigt jeder Mitarbeiter rechnerisch guter - oder schlechter - Gesellschaft, weist doch fast 614 Schlichtungsverfahren. Die apf kommt die dt söp in ihren Jahresberichten für die Jahre dagegen unter Zugrundelegung der eigenen An- 2015 bis 2017 ebenfalls keine Angaben zu ihren gaben im Jahresbericht 2017 auf weniger als 391 Kosten aus. Aus einer anderen Quelle - einem Schlichtungsverfahren pro Mitarbeiter. Unter He- Rechnungshofbericht - geht jedoch immerhin ranziehung der um Karenzierungen bereinigten hervor, dass für die apf für den Zeitraum 28. Mai Angaben auf der Website der apf sind es über- 2015 bis Jahresende 2015, also für sieben Mo- haupt weniger als 235 abgeschlossene Schlich- nate, Kosten in Höhe von € 416.541,- angefallen tungsverfahren, die auf den einzelnen Mitarbei- 26 sind. Auf Basis 2015 wurde ein Aufwand für die ter entfallen.

ÖZV 3-4/2019 13 Alle eben dokumentierten Zahlen können als überraschend, aber durchaus überzeugend selbstverständlich nur einen ersten groben Ein- erwiesen. Während manche der sich aus dem Er- druck von der Effizienz der apf vermitteln. Sie kenntnis ergebenden Aussagen in der Lehre schon deuten jedoch in die gleiche Richtung und legen vorweggenommen wurden, haben sich andere übereinstimmend nahe, dass einiges Potential insb in der dt Literatur zum Problemkreis der uni- im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit, Zweck- onsrechtlich vorgesehenen Durchsetzungs- und mäßigkeit und Sparsamkeit der Aktivitäten der Beschwerdestellen vertretene Ansichten als ver- apf besteht. Dazu kommen noch die sich ge- fehlt erwiesen. Für das österreichische Recht von genwärtig zeigenden und keinen geringen An- besonderer Bedeutung sind die Ausführungen in teil der Tätigkeit ausmachenden Fehlentwick- den verb Rs C-145/15 und C-146/15 insofern, als lungen im Rahmen der Inanspruchnahme der sich aus ihnen die Unzulänglichkeit der gegenwär- apf durch „Claim-Firmen“. Insgesamt ist damit tigen Kompetenzzuweisung an die apf ergibt. Die der Gesetzgeber ohne jeden Zweifel auch in apf kann nämlich auf Basis der ihr augenblicklich rechtspolitischer Hinsicht zu einem Überden- gesetzlich eingeräumten Befugnisse jene Aufgaben ken der bisherigen Aufgabenzuweisung an die nicht wahrnehmen, die sie als Durchsetzungsstel- apf und wohl in letzter Konsequenz auch zu le unionsrechtlich zwingend erfüllen müsste. Die einem entsprechend weitgehenden Eingreifen der apf durch das Gesetz übertragene Funktion als aufgefordert. Bei der Neugestaltung der unions- Beschwerdestelle in der Ausprägung einer echten rechtlich vorgeschriebenen Durchsetzungs- und Schlichtungseinrichtung wiederum muss ihr auf Beschwerdestellen sollte er sich von einer Aus- Basis des Unionsrechts nicht zugewiesen werden nutzung der den Mitgliedstaaten zustehenden und ist überdies rechtspolitisch bedenklich. Des- Gestaltungsspielräume nicht durch behauptete sen ungeachtet besteht kein unmittelbarer Hand- Rechtsdurchsetzungsdefizite abschrecken las- lungsbedarf für den österreichischen Gesetzgeber, sen. Zum einen ist es gerade die Aufgabe der scheint die apf in der Praxis doch auf weitgehende Durchsetzungsstellen als Einrichtungen der Akzeptanz zu stoßen. Dieser Umstand fehlenden allgemeinen Missbrauchsaufsicht durch bran- Zeitdrucks sollte genutzt werden, um eine sowohl chenweites Verhalten entstehende strukturelle den Interessen aller Beteiligten einschließlich des Missstände abzustellen. Sie müssen dafür nur Steuerzahlers Rechnung tragende als auch den mit entsprechend scharfen Sanktionsmög- unionsrechtlichen Vorgaben genügende Lösung lichkeiten ausgestattet werden. Zum anderen für die Problematik der vom Sekundärrecht gefor- besteht kein überzeugender rechtsdogma- derten nationalen Durchsetzungs- und Beschwer- tischer oder rechtspolitischer Grund, gerade destellen zu finden. den Kunden von Verkehrsträgern eine für sie grundsätzlich kosten- und weitgehend sorgen- Literatur- und Quellenverzeichnis: freie, überwiegend mit Steuergeld finanzierte 1. Vgl allgemein Authried, Das Passagier- und Durchsetzung ihrer Ansprüche zu ermöglichen. Fahrgastrechteagenturgesetz (PFAG) - Schaf- Vielmehr sollten die entstehenden Rechtsver- fung einer zentralen österr (Anlauf-)Stelle für folgungskosten den eigentlichen Verursachern - Passagiere, ZVR 2015, 232 ff; Keiler, APF - die Kunden wie Unternehmern - auferlegt und nicht Agentur für Passagierrechte in Österreich, Zak zu Lasten der Allgemeinheit „sozialisiert“ wer- 2015, 344 f; Erlacher, Öffentliches Tourismus- den. Das gilt umso mehr, als jedem Reisenden recht - Gesetzgebung und Rechtsprechung, getrost die Entscheidung selbstverantwortlich in Saria (Hg), Jahrbuch Tourismusrecht 2016 freigestellt werden kann, seine Ansprüche selbst (2016) 221 ff (222 f); Keiler in Staudinger/Keiler oder unter Inanspruchnahme kostenpflichtiger (Hg), Fluggastrechte-VO - Kommentar (2016) Unterstützung durchzusetzen. Dies ist nicht Art 16 Rz 11; vgl zu den Hintergründen für die unzumutbar und steht mit der in anderem Zu- Schaffung des PFAG und zu dessen Inhalten sammenhang in der Rsp betonten Freiheit des ferner Saria, Unternehmensrechtliche Ent- Kunden im Einklang, eine in solchen Angelegen- wicklungen im Tourismusrecht, in Saria (Hg), heiten erfahrene „Claim-Firma“ kostenpflichtig Jahrbuch Tourismusrecht 2015 (2015) 119 ff zu beauftragen und dafür entsprechende Abzü- (123); Saria, Unternehmensrechtliche Entwick- ge von der ihm zustehenden Entschädigung in 36 lungen im Tourismusrecht, in Saria (Hg), Jahr- Kauf zu nehmen. buch Tourismusrecht 2016 (2016) 137 ff (139 VI. Würdigung f); NN, Schlichtung: Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte, VbR 2015, 103. Die den Gegenstand des vorliegenden Beitrags bildende Entscheidung des EuGH in den verb Rs 2. Zuletzt apf, Jahresbericht 2017 (2018) 8 f, 16f, C-145/15 und C-146/15 hat sich vor dem Hin- 28, 110; apf, Pressemitteilung vom 09. 06. tergrund des bisher in der einschlägigen Litera- 2018, S 1. tur und Rsp erreichten dogmatischen Standes

14 ÖZV 3-4/2019 3. So auch die Beurteilung von Keiler in Stau- 15. So schon Saria, Unternehmensrechtliche Ent- dinger/Keiler (Hg), Fluggastrechte-VO - Kom- wicklungen im Tourismusrecht, in Saria (Hg), mentar (2016) Art 16 Rz 7, wonach die apf Jahrbuch Tourismusrecht 2010 (2010) 111 ff „insbesondere als Schlichtungsstelle fungie- (119). ren soll“. 16. Darauf hinweisend etwa Lindner, Fahrgast- 4. apf, Verfahrensrichtlinie für die Außerge- rechtegesetz tritt in Kraft, RRa 2009, 161; richtliche Streitbeilegung bei der Agentur für Gaedtke, Fahrgastrechte im öffentlichen Passagier- und Fahrgastrechte. Personenverkehr und ihre Durchsetzung in der Praxis (2011) 145 jeweils zu Ansprüchen 5. Authried, Das Passagier- und Fahrgastrechte- nach der VO (EG) Nr. 1371/2007 sowie Ber- agenturgesetz (PFAG) - Schaffung einer zen- lin, Schlichtung im Luftverkehr als Alternati- tralen österr (Anlauf-)Stelle für Passagiere, ve Streitbeilegung, RRa 2014, 210 ff (214). ZVR 2015, 232 ff (236). 17. Vgl SA/EuGH 14. 03. 2013, Rs C-509/11, 6. So Keiler, APF - die Agentur für Passagier- „ÖBB-Personenverkehr AG“, Rn 67; dazu in rechte in Österreich, Zak 2015, 344 f (345); dieser Arbeit schon unter Punkt IV C 3 b. ebenso kritisch Keiler in Staudinger/Keiler (Hg), Fluggastrechte-VO - Kommentar (2016) 18. Einschränkend zur damaligen praktischen Art 16 Rz 7. Bedeutung dieses Grundsatzes aber nun- mehr Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Pri- 7. Vgl im Detail bereits unter Punkt IV C 3 b. vatrecht21 (2017) § 2 Rz 15 mwN. 8. Eingehend dazu schon unter Punkt IV A. 19. IdS etwa Lindner, Fahrgastrechtegesetz tritt 9. Detailliert Degott in R. Schmid (Hg), Fluggast- in Kraft, RRa 2009, 161; Berlin, Schlichtung rechte-VO - Kommentar (2018) Art 16 Rz 8 im Luftverkehr als Alternative Streitbeile- f; ferner idS Führich, Anm zu EuGH 17. 03. gung, RRa 2014, 210 ff (214); ähnl Schuster- 2016, verb Rs C-145/15 und C-146/15, EuZW Wolf, Schlichtung von Passagierrechts- und 2016, 384 f (385). Pauschalreisefällen: Eine Analyse bisheriger Erfahrungen, VbR 2017, 165 ff (168 FN 25). 10. So unter Berufung auf diesbezügliche An- regungen der Europäischen Kommission 20. Vgl dazu oben unter Punkt II B 2. Führich, Anm zu EuGH 17. 03. 2016, verb Rs 21. Dazu allgemein Gaedtke, Fahrgastrechte im C-145/15 und C-146/15, EuZW 2016, 384 f öffentlichen Personenverkehr und ihre Durch- (385). setzung in der Praxis (2011) 148 ff; Führich, 11. Vgl zu dieser Frage oben unter Punkt II C. Neues Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr, MDR 2013, 749 ff (749 f); ablehnend zu der- 12. Im Detail Reiter, Das EisbBFG: Strafschaden- artigen Schlichtungsstellenverfahren dage- ersatz, Fahrgastrechte und die neue Verwal- gen etwa Müller-Rostin, Verordnung (EG) Nr. tungsgerichtsbarkeit, wbl 2014, 71 ff (78 ff); 261/2004: Ein Zwischenruf, RRa 2007, 256 ff Reiter, Verfassungswidrige AGB-Kontrolle im (257 f). Eisenbahnrecht, ecolex 2014, 122 ff (125); vgl dazu schon Saria, Unternehmensrechtliche 22. Für Dtld im Detail söp, Jahresbericht 2017 Entwicklungen im Tourismusrecht, in Saria (2018) 6; ferner referierend Hoppe/Tonner, (Hg), Jahrbuch Tourismusrecht 2015 (2015) Die Verbandsklagetätigkeit des VZBV im Be- 119 ff (123 mwN). reich des Reiserechts, RRa 2008, 158 ff (161); zu weiteren „Umtrieben“ derartiger Unter- 13. Schuster-Wolf, Schlichtung von Passagier- nehmer vgl söp, Jahresbericht 2016 (2017) rechts- und Pauschalreisefällen: Eine Ana- 10; söp, Jahresbericht 2015 (2016) 9 f. lyse bisheriger Erfahrungen, VbR 2017, 165 ff (166); Pirker-Hörmann, Alternative Streit- 23. Siebenhofer, Private Claim-Firmen nutzen beilegung - neue Wege zur Herstellung des staatliche Schlichtungsstelle, orf.at vom 02. Rechtsfriedens, VbR 2016, 4 ff (4 f). 04. 2018. 14. So Frössel, Die neue Verbraucherschlichtung 24. Dazu im Detail Hoppe/Tonner, Die Verbands- - Umsetzung in Österreich, Zak 2015, 264 ff klagetätigkeit des VZBV im Bereich des Rei- (265); Scheuer, Neuerungen in der Verbrau- serechts, RRa 2008, 158 ff (161); Isermann/ cherschlichtung durch das Alternative-Streit- Berlin, Durchsetzungsstellen und Schlich- beilegung-Gesetz (AStG) BGBl I 2015/105, tungsstellen für Fluggastrechte in Europa, ZVR 2016, 154 ff (156). RRa 2010, 207 ff (209); Tonner, Die Auswir- kungen der Richtlinie über alternative Streit-

ÖZV 3-4/2019 15 beilegung auf das Reiserecht, RRa 2014, 234 31. apf, Jahresbericht 2017 (2018) 10. ff (237); Führich, Anm zu EuGH 17. 03. 2016, verb Rs C-145/15 und C-146/15, EuZW 2016, 32. söp, Jahresbericht 2017 (2018) 5. 384 f (385). 33. söp, Jahresbericht 2017 (2018) 15; referie- 25. Vgl apf, Jahresbericht 2017 (2018); apf, Jah- rend Hoppe/Tonner, Die Verbandsklagetäti- resbericht 2016 (2017); apf, Jahresbericht gkeit des VZBV im Bereich des Reiserechts, 2015 (2016). RRa 2008, 158 ff (161). 26. Rechnungshof Österreich, Bericht des Rech- 34. apf, Jahresbericht 2017 (2018) 11 f, 45. nungshofes Passagier- und Fahrgastrechte, 35. apf, Jahresbericht 2017 (2018) 9, 30 (dort Reihe Bund 2017/48, S 12, 35. ohne den Zusatz „direkt“). 27. Rechnungshof Österreich, Bericht des Rech- 36. So LG Nürnberg-Fürth 30. 07. 2018, 5 S nungshofes Passagier- und Fahrgastrechte, 8340/17 zu einem Abtretungsverbot in den Reihe Bund 2017/48, S 36. AGB einer Fluggesellschaft, mit dem die Be- 28. Rechnungshof Österreich, Bericht des Rech- auftragung von „Claim Handling Companies“ nungshofes Passagier- und Fahrgastrechte, durch den Fluggast zur Erlangung von Aus- Reihe Bund 2017/48, S 12. gleichszahlungen nach der FluggastrechteVO - VO (EG) Nr. 261/2004 zumindest erschwert 29. Zu den diesbezüglichen Entwicklungen im werden soll. Gesetzgebungsverfahren vgl eingehend Kei- ler, APF - die Agentur für Passagierrechte in Österreich, Zak 2015, 344 f (344). 30. Rechnungshof Österreich, Bericht des Rech- nungshofes Passagier- und Fahrgastrechte, Reihe Bund 2017/48, S 37.

16 ÖZV 3-4/2019 Die Ausstellung einer Bescheinigung gem. § 141 EisbG für Fahrten zu, von und auf einem gem. § 98 EisbBBV zum Baugleis erklärten Gleis

Gerhard EIBINGER

1. Einleitung und Fragestellung • eine gültige Sicherheitsbescheinigung gemäß Richtlinie 2004/49/EG und über Mit „Informationsschreiben Zusatzbescheinigung GZ: BMVIT-228.003/0003-IV/E4/2018 vom 25. • eine gültige SMS-Zertifizierung gemäß Richtli- Jänner 2019“ wurde von der Obersten Eisenbahn- nie 2004/49/EG behörde klargestellt, dass der Wortlaut des § 143 Abs. 1 erster Satz Eisenbahngesetz 1957 (EisbG) • und das zur Bedienung bzw. zur Ausführung nicht so zu verstehen ist, dass eine Bescheinigung eingesetzte Personal über gem. § 141 EisbG immer von demjenigen auszu- • eine Fahrerlaubnis gemäß EU Richtlinie stellen sei, mit dem der Triebfahrzeugführer einen 2007/59 Anhang IV (einschließlich § 23 Eisen- (arbeitsrechtlichen) Dienstvertrag abgeschlos- bahn-Eignungs- und Prüfungsverordnung - Ei- sen hat. Die in diesem Schreiben abschließende bEPV ) und über Klarstellung der Obersten Eisenbahnbehörde hält fest, „dass die Zusatzbescheinigung von dem Ei- • eine Zusatzbescheinigung Klasse A3 gemäß senbahnunternehmen bzw. Infrastrukturbetrei- EisbG/Teil 9, TfVO, EU-Richtlinie 2007/59 An- ber auszustellen ist, welches bzw. welcher den hang V und VI sowie über Triebfahrzeugführer (unabhängig von der Rechts- grundlage) für eine Fahrt einsetzt und nach des- • die einschlägigen Fachkenntnisse gem. EisbE- sen Sicherheitsmanagementsystem die Fahrt PV durchgeführt wird.“ verfügt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, unter welchem Sicherheitsmanagementsystem Zur Durchführung konkreter vom Infrastruktur- Fahrten zu, von bzw. auf einem gem. § 98 Eisen- betreiber veranlasster Bauarbeiten führen die im bahnbau- und -betriebsverordnung (EisbBBV) Zuge solcher Dienstleistungsverträge von (meh- zum Baugleis erklärten Gleis durchzuführen sind, reren) Bahnbauunternehmen bereitgestellten und welches Eisenbahnunternehmen für diese Fahrzeuge und das von (mehreren) Bahnbauun- Fahrten die Bescheinigung gem. § 141 EisbG aus- ternehmen bereitgestellte ausführende (Bedien-) zustellen hat. Personal im Rahmen einer vom Infrastrukturbe- treiber nach dessen von der Eisenbahnbehörde 2. Der Sachverhalt genehmigten Betriebsvorschriften erlassenen Betriebs- und Bauanweisung (BETRA) Fahrten Im Zusammenhang mit dem Bau und der Instand- zu, von bzw. auf einem gem. § 98 EisbBBV vom haltung seiner Schieneninfrastrukturen schließt Infrastrukturbetreiber zum Baugleis erklärten ein Infrastrukturbetreiber mit Bahnbauunterneh- Gleis durch. Die in der BETRA diesbezüglich ent- men - auch in Form von Rahmenverträgen ohne haltenen Regelungen weichen von den in den Mengenbindung - Dienstleistungsverträge zur SNNB vom Infrastrukturbetreiber veröffentlich- Erbringung von Bauarbeiten für den Infrastruk- ten Angaben über die technische Ausgestaltung turbetreiber oder zur Bereitstellung von selbst- der dem Zugangsberechtigten zur Verfügung fahrenden Gleisbaumaschinen und Zweiwegfahr- stehenden Infrastruktur sowie die hierfür an- zeuge und deren Bedienungspersonal, welche zuwendenden Betriebsregeln ab. Diese Fahrten vom Infrastrukturbetreiber für die Durchführung zu, von bzw. auf einem Baugleis erfolgen auf von Bauarbeiten eingesetzt werden. Inhalt die- Anordnung bzw. unter Regelung des in der BE- ser Dienstleistungsverträge ist u.a. auch, dass das TRA gem. § 108 Bauarbeiterschutzverordnung Bahnbauunternehmen entweder selbst oder im (BauV) namhaft gemachten Aufsichtsorgans des Wege über ein von vom Bahnbauunternehmen Infrastrukturbetreibers und nicht durch die in beauftragtes Subunternehmen über den Schienennetznutzungsbedingungen (SNNB) namhaft gemachte betriebssteuernde Stelle des • die Berechtigung für die Ausübung von Zugang Infrastrukturbetreibers. auf der Schieneninfrastruktur von Haupt- und vernetzten Nebenbahnen iSd § 37 EisbG sowie Diese Fahrten dienen nicht der Beförderung über von Gütern oder Personen, sondern zur Abwick- lung bzw. der Durchführung der Bauarbeiten im

ÖZV 3-4/2019 17 Baugleis. Die in den SNNB festgelegten Leistungen zum Betrieb solcher Eisenbahnen erforderlichen des Mindestzugangspaketes werden vom In- Betriebes von Schienenfahrzeugen auf solchen frastrukturbetreiber für diese Fahrten nicht er- Eisenbahnen, erforderlich. In der Sicherheitsge- bracht. Ein Begehren über Zuweisung der hierfür nehmigung ist die Zertifizierung des Sicherheits- erforderlichen Fahrwegkapazität an den Infra- managementsystems und die Erbringung des strukturbetreiber erfolgt nicht. Eine Zuweisung Nachweises gemäß § 38a EisbG zu beurkunden. der hierfür erforderlichen Fahrwegkapazität und Dementsprechend sind die vom Eisenbahnin- ein schriftlicher Vertrag gem. § 70 a Abs 1 EisbG frastrukturunternehmen zur Instandhaltung der über die Zuweisung der diesbezüglich erforder- Infrastruktur gem. § 19 Abs 1 getroffenen Vor- lichen Fahrwegkapazität und die Gewährung des kehrungen - die sich auch auf das gem. § 18 Abs diesbezüglich erforderlichen Mindestzugangspa- 1 EisbG bestehendem Recht des Eisenbahninfra- kets erfolgen nicht. Vom Infrastrukturbetreiber strukturunternehmens, zum Zwecke des Baues werden für diese Fahrten kein Wegeentgelt oder und Betriebes Schienenfahrzeuge auf dieser Ei- sonstige Entgelte erhoben. senbahn zu betreiben, beziehen - in der Sicher- heitsgenehmigung gem. § 38a EisbG bzw. in dem 3. Die Berechtigung des Eisenbahninfrastruk- von der Sicherheitsgenehmigung umfassten Si- turunternehmens und seine Sicherheitsge- cherheitsmanagementsystem umfasst. nehmigung Es ist somit festzustellen, dass nach den Bestim- Gem. § 2 EisbG hat das Eisenbahninfrastruktu- mungen des EisbG Vorkehrungen zum Betrieb runternehmen die Verpflichtung zur Erbringung von Schienenfahrzeugen zum Zwecke der Er- von Eisenbahnverkehrsdiensten nach Maßgabe haltung der Eisenbahn vom Sicherheitsmanage- der hiefür geltenden Rechtsvorschriften. Um mentsystem eines Infrastrukturbetreibers um- dieser Verpflichtung nachkommen zu können ist fasst sind. die (öffentliche) Schieneninfrastruktur gem. § 56 EisbG in der Funktionalität und mit der Sicher- 4. Die Berechtigung des Eisenbahnverkehrsun- heit, wie dies in der Bau und Betriebsbewilligung ternehmens und seine Sicherheitsbescheini- vorgeschrieben und in den SNNB gem. § 59 Abs 4 gung EisbG zu beschreiben ist, an zugangsberechtigte Eisenbahnverkehrsunternehmen (im Wege des Gem. § 1 b EisbG ist ein Eisenbahnverkehrsun- Mindestzugangspakets gem. § 58 EisbG) bereit- ternehmen ein Eisenbahnunternehmen, das zustellen. Dementsprechend hat das Eisenbahn- Eisen-bahnverkehrsdienste auf der Eisenbahn- infrastrukturunternehmen seine Eisenbahninfra- infrastruktur von Hauptbahnen oder vernetzten struktur unter Berücksichtigung der Sicherheit, Nebenbahnen erbringt sowie die Traktion sicher- der Ordnung und der Erfordernisse des Betriebes stellt, wobei dies auch solche einschließt, die nur der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisen- die Traktionsleistung erbringen, und dem eine bahn entsprechend zu erhalten und hat gem. § Verkehrsgenehmigung, eine Verkehrskonzession 19 Abs 1 EisbG auch hinsichtlich der Erhaltung oder eine einer Verkehrsgenehmigung gemäß § der Infrastruktur die diesbezüglich notwendigen 41 EisbG gleichzuhaltende Genehmigung oder Vorkehrungen zu treffen und diese der Eisen- Bewilligung erteilt wurde. bahnbehörde gem. § 38a EisbG nachzuweisen. Gem. § 18 Abs 2 EisbG ist ein zur Erbringung In diesen gem. § 19 Abs 1 EisbG hinsichtlich der von Eisenbahnverkehrsdiensten auf öffentlichen Erhaltung der Infrastruktur notwendigen Maß- Eisenbahnen berechtigtes Eisenbahnunterneh- nah-men ist auch das gem. § 18 Abs 1 EisbG be- men nach Maßgabe der Rechtsvorschriften und stehende Recht der Eisenbahninfrastrukturun- entsprechend der nach diesem Bundesgesetz er- ternehmen zu berücksichtigen, zum Zwecke des forderlichen Konzession, Verkehrsgenehmigung, Baues und Betriebes - und somit auch zum Zwe- einer Verkehrsgenehmigung gemäß § 41 EisbG cke der Erhaltung einer Eisenbahn - Schienen- gleichzuhaltenden Genehmigung oder Bewilli- fahrzeuge auf dieser Eisenbahn zu betreiben. gung oder Verkehrskonzession einerseits und sonstigen Genehmigungen und Bewilligungen Gem. § 38b EisbG hat die Behörde einem Eisen- andererseits berechtigt, öffentlichen und nicht- bahninfrastrukturunternehmen auf Antrag eine öffentlichen Verkehr auf Eisenbahnen zu erbrin- als Sicherheitsgenehmigung bezeichnete Urkun- gen und zu diesem Zwecke Eisenbahnanlagen, de für eine Gültigkeitsdauer von höchstens fünf Betriebsmittel und sonstiges Zugehör zu bauen Jahren auszustellen, wenn der Nachweis gemäß und zu betreiben sowie Schienenfahrzeuge auf § 38a EisbG erbracht worden ist und ein zerti- einer Eisenbahn zu betreiben. fiziertes Sicherheitsmanagementsystem einge- führt ist. Die Sicherheitsgenehmigung ist gem. Gem. § 37 EisbG ist für die Ausübung von Zugang § 38 EisbG zum Betrieb von Hauptbahnen und auf der Eisenbahninfrastruktur von Haupt- und von vernetzten Nebenbahnen, einschließlich des vernetzten Nebenbahnen und die Art des da-

18 ÖZV 3-4/2019 bei zu erbringenden Eisenbahnverkehrsdienstes triebsregel gem. SNNB sowie die Bereitstellung durch ein Eisenbahnverkehrsunternehmen eine der Leistungen des Mindestzugangspakets gem. Sicherheitsbescheinigung - Teil A und eine Si- SNNB durch den Infrastrukturbetreiber voraus- cherheitsbescheinigung - Teil B erforderlich setzen, umfassen. Gem. § 37a EisbG hat ein Eisenbahnverkehrsun- 5. Jüngste Entscheidungen des Obersten Ge- ternehmen Vorkehrungen zur Gewährleistung richtshofes (OGH) zur Eigenschaft des -„Be der Sicherheit des Betriebes von Schienenfahr- triebs-unternehmer iS des § 5 EKHG“ zeugen auf und des Verkehrs auf den Haupt- oder vernetzten Nebenbahnen, die Gegenstand Mit Entscheidung 2 Ob 18/16k vom 23.3.2017 eines Begehrens auf Zuweisung von Zugtrassen hat der OGH festgestellt, dass ein „Betriebsun- sein sollen, zu treffen. Diese Vorkehrungen be- terneh-mer“ iS § 5 Abs 1 Eisenbahn- und Kraft- dürfen der Genehmigung des BMVIT. Die Geneh- fahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) die Eisenbahn migung ist zu erteilen, wenn die getroffenen Vor- auf eigene Rechnung und Gefahr betreiben kehrungen geeignet sind, einen sicheren Betrieb muss. Dies setzt voraus, dass er den wirtschaft- von Schienenfahrzeugen und einen sicheren Ver- lichen Nutzen aus dem Bahnbetrieb zieht und kehr auf den Eisenbahnen, die Gegenstand eines selbständig darüber verfügen kann. Eine solida- Begehrens auf Zuweisung von Zugtrassen sein rische Haftung „mehrere Betriebsunternehmer“ sollen, zu gewährleisten. ergibt sich iS § 5 Abs 2 EKHG dann, wenn sich eine im Zusammenwirken dieser Unternehmen Gem. § 37b EisbG hat der BMVIT einem Eisen- begründete Betriebsgefahr verwirklicht hat. Nur bahnverkehrsunternehmen mit Sitz in Österreich wenn die Gefahr ausnahmsweise nicht auf ein auf Antrag Zusammenwirken von Eisenbahninfrastruktu- runternehmen und Eisenbahnverkehrsunterneh- 1. eine als Sicherheitsbescheinigung - Teil A be- men beruht, haftet allein jenes Unternehmen, zeichnete Urkunde für eine Gültigkeitsdauer dessen Betrieb die Gefahr alleine zuzurechnen von höchstens fünf Jahren auszustellen, in war. Der bloße Halter eines Waggons ist nicht der die Zertifizierung des eingeführten Si- als Betriebsunternehmer iS § 5 EKHG anzusehen, cherheitsmanagementsystems unter Anfüh- sondern jenes Eisenbahnunternehmen, das die- rung des Zertifikates beurkundet ist und sen Wagen zum Zeitpunkt des Unfalls einsetzte. 2. einem Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Mit Entscheidung 2 Ob 69/17m vom 16.05.2017 Sitz in Österreich, in einem anderen Mit- hat der OGH festgestellt, dass für den Schaden gliedstaat der Europäischen Union, in einer an einem PKW, der mit einem Zug eines Eisen- anderen Vertragspartei des Abkommens über bahnverkehrsunternehmens an einer Eisenbahn- den Europäischen Wirtschaftsraum oder in kreuzung kollidierte, deren Signalanlage ausge- der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine fallen war, Eisenbahninfrastrukturunternehmen als Sicherheitsbescheinigung - Teil B bezeich- und Eisenbahnverkehrsunternehmen gem. § 5 nete Urkunde für eine Gültigkeitsdauer von Abs 2 EKHG solidarisch haften und dem geschä- höchstens fünf Jahren auszustellen, in der digten Dritten als Einheit gegenüberstehen. Sie die Genehmigung der Vorkehrungen gemäß können sich ihm gegenüber nicht darauf beru- § 37a EisbG unter Anführung des Bescheides, fen, dass einer von ihnen den strittigen Schaden der Art des Eisenbahnverkehrsdienstes und oder Regress im Innenverhältnis überwiegend der Eisenbahn, auf die sich die genehmigten oder sogar alleine tragen müsse. Anzumerken Vorkehrungen beziehen, beurkundet ist. ist zu dieser Entscheidung, dass in diesem Fall Es ist somit festzustellen, dass nach den Bestim- für die gegenständliche Zugfahrt ein zwischen mungen des EisbG ein Eisenbahnverkehrsunter- Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbah- neh-men nicht zum Bau, zum Betrieb und zur ninfrastrukturunternehmen abgeschlossenen Instandhaltung von öffentlicher Schieneninfra- Trassennutzungsvertrag, also ein schriftlicher struktur berechtigt ist. Das Sicherheitsmanage- Vertrag gem. § 70a Abs 1 EisbG über die Zuwei- mentsystem eines Eisenbahnverkehrsunterneh- sung von Fahrwegkapazität und die Gewährung mens umfasst lediglich solche Vorkehrungen, des Mindestzugangspakets durch den Infrastruk- welche zur Gewährleistung der Sicherheit des turbetreiber bestand. Betriebes von Schienenfahrzeugen auf und des Mit Entscheidung 2 Ob 238/17i vom 29.01.2019 Verkehrs auf den Haupt- oder vernetzten Neben- hat der OGH festgestellt, dass die Haftung für die bahnen, die Gegenstand eines Begehrens auf Verletzung, die bei Bauarbeiten in einem Eisen- Zuweisung von Zugtrassen sein sollen, und somit bahntunnel einem Dienstnehmer eines mit der die technische Ausgestaltung der Schieneninfra- Durchführung von Vermessungsarbeiten vom struktur und für deren Nutzung erforderliche Be- Infrastrukturbetreiber beauftragtes Unterneh-

ÖZV 3-4/2019 19 mens durch einen Zweiwegebagger, welcher von 6. Conclusio einem vom Infrastrukturbetreiber beauftragten anderen Werkunternehmer eingesetzt wurde, In Verbindung mit dem Informationsscheiben verursacht wurde, gem. § 5 EKHG beim Infra- der Obersten Eisenbahnbehörde vom 25. Jän- strukturbetreiber liegt. Dieser hat sich das Fehl- ner2019 ergibt sich aus den oben in Pkt. 2 bis verhalten des Baggerfahrers des beauftragten Pkt. 5 angeführten Sachverhalten, dass die für Werkunternehmers zurechnen zu lassen. Fahrten zu, von bzw. auf einem gem. § 98 EisbBBV zum Baugleis erklärten Gleis erforderlichen Be- Mit Entscheidung 2 Ob 34/18s vom 28.03.2019 scheinigungen gem. § 141 EisbG vom jeweiligen hat der OGH festgestellt, dass Fahrzeuge und Infrastrukturbetreiber auszustellen sind, da Personal, welche aufgrund eines Abrufes aus einem Rahmenvertrag zur Durchführung von • ein Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht Bauarbeiten an ein Eisenbahninfrastrukturunter- über die Berechtigung zum Bau und Instand- nehmen bereitgestellt werden, das über die Art, haltung von öffentlicher Schieneninfrastruk- den Ort und die Zeit des Einsatzes bestimmt, in tur verfügt und den Aufgabenbereich des Eisenbahninfrastruk- • im Rahmen seiner Sicherheitsbescheinigung turunternehmens unter dessen Verantwortung vom Eisenbahnverkehrsunternehmen ein Si- eingegliedert werden. Das Eisenbahnverkehrs- cher-heitsmanagementsystem nachgewiesen unternehmen, das als Traktionserbringer, das wird, das lediglich solche Vorkehrungen bein- Triebfahrzeug - allenfalls samt Fahrer - einem haltet, welche zur Gewährleistung der Sicher- (anderen) Eisenbahnverkehrsunternehmen oder heit des Betriebes von Schienenfahrzeugen einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur auf und des Verkehrs auf den Haupt- oder ver- Verwendung als Traktionsmittel zur Verfügung netzten Nebenbahnen, die stellt, ohne auf dessen Einsatz weiteren Einfluss nehmen zu können, ist kein Betriebsunterneh- - Gegenstand eines Begehrens auf Zuweisung mer iS § 5 EKHG. von Zugtrassen sein sollen, und Aus den oben genannten Entscheidungen des - somit die technische Ausgestaltung der Schie- OGH geht hervor, dass ein „Eisenbahnbetrieb“ neninfrastruktur und die für deren Nutzung eines Eisenbahnunternehmens im Sinne des § 5 erforderliche Betriebsregeln sowie die Be- EKHG nur dann vorliegen kann, wenn dieses die reitstellung der Leistungen des Mindestzu- Eisenbahn auf eigene Rechnung und Gefahr be- gangspakets durch den Infrastrukturbetrei- treibt was allerdings voraussetzt, dass dieses den ber gem. SNNB voraussetzen geeignet sind. wirtschaftlichen Nutzen aus dem Bahnbetrieb zieht und selbständig darüber verfügen kann. Ein Erfolgen Fahrten zu, von bzw. auf einem gem. bloßes Beistellen von Fahrzeugen begründet kei- § 98 EisbBBV zum Baugleis erklärten Gleis wie nen Betrieb einer Eisenbahn. Ein Eisenbahnver- oben in Pkt. 2 dargestellt ist angesichts des Infor- kehrsunternehmer ist gemeinsam mit dem Infra- mationsschreibens der Obersten Eisenbahnbe- strukturbetreiber „Betreiber einer Eisenbahn“, hörde vom 25. Jänner 2019 davon auszugehen, wenn das Eisenbahnverkehrsunternehmen sein dass für diese Fahrten die Bescheinigung gem. § vom Infrastrukturbetreiber begehrtes Zugangs- 141 EisbG vom jeweiligen Eisenbahninfrastruk- recht unter Inanspruchnahme des Mindestzu- turunternehmen auszustellen ist. gangspaketes diskriminierungsfrei zu seinem eigenen wirtschaftlichen Nutzen ausübt und der Infrastrukturbetreiber für die Gewährung dieses Zugangsrechtes und der Bereitstellung des Min- destzugangspaketes seinerseits wirtschaftlichen Nutzen aus der Erhebung des hierfür in den SNNB festgelegten Wegeentgelts zieht. Dem- entsprechend entscheidet der OGH folgerichtig, dass Fahrten, die im Zuge von vom Infrastruk- turbetreiber beauftragten Bauarbeiten durchge- führt werden, dem Eisenbahnbetrieb des Infra- strukturbetreibers zuzurechnen sind und keinen eigenständigen Eisenbahnbetrieb eines Eisen- bahnverkehrsunternehmens begründen.

20 ÖZV 3-4/2019 Analyse und Bewertung von Anforderungen an Österreichur- lauberInnen im Rahmen einer Fluganreise

Marcel Weber

Einleitung So hat sich das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie das Ziel gesetzt, Die Tourismusbranche ist seit Jahrzehnten einer den Urlaubsreisenden die Anbindung zum und der am schnellst wachsendsten Branchen auf vom Flughafen durch eine Implementierung von der Welt - der stetige Aufwärtstrend wird auch umweltfreundlichen Mobilitätsformen zu- er für die nächsten Jahre vorausgesagt. Die Welt- möglichen. Durch die Ziele ist es nicht nur mög- tourismus-Organisation (UNWTO) geht davon lich nachhaltige Mobilitätslösungen in Bezug aus, dass bis zum Jahr 2020 über 1,4 Milliarden auf eine Erreichbarkeit der Urlaubsdestination internationale Touristenankünfte zu erwarten oder der Vor-Ort-Mobilität zu berücksichtigen, sind - prognostiziert werden bis zum Jahr 2030 sondern langfristig nachhaltige und zukunftsfä- sogar über 1,8 Milliarden internationale Tou- hige Angebote zu entwickeln. Neue Plattformen ristenankünfte. Allein für Europa wird in einem müssen sich ausschließlich den veränderten An- Zeitraum von 2020 bis 2030 ein voraussichtlicher forderungen stellen und ein bedarfsorientiertes Anstieg von 620 auf 744 Millionen internationale Mobilitätsangebot schaffen. Touristenankünfte erwartet (vgl. World Tourism Organization (UNWTO) 2017: 14ff.). Ein Anstieg, Wirtschaft und Wissenschaft stehen also ge- von dem auch Österreich durchaus profitieren meinsam vor der Frage, welche Bedürfnisse und wird - denn auf Grund der geografischen Lage Anforderungen bei einer zukünftigen Mobilität und seiner vielfältigen landschaftlichen Gege- gemäß den politisch-strategischen Zielen beson- benheiten genießt Österreich auf internationaler ders wichtig sind? Ebene einen besonderen Stellenwert unter den Urlaubsreisenden. Lösungsansätze durch das Identifizieren von Mobilitätsbedürfnisse Die Beliebtheitsskala, in Österreich den Urlaub zu verbringen, steigt von Jahr zu Jahr unter den Die grundlegenden Schritte hat dabei das Bun- Aktiv- und NaturliebhaberInnen. Verständlich, desministerium für Verkehr, Innovation und denn mit der weltweit steigenden Industriali- Technologie bereits vorbereitet. Wegen der sierung und Urbanisierung von Ballungsräumen zunehmenden Verkehrsbelastung sowie dem kann Österreich den Urlaubsreisenden das er- globalem Klimawandel ist es ein politisch-stra- möglichen, was derzeit kaum ein anderes Land tegisches Ziel auf nationaler Ebene, die Erreich- auf diese Art und Weise ermöglichen kann: viel- barkeit der Urlaubsdestination und der Vor-Ort- fältige, naturnahe Aktivitäten durch einzigartige Mobilität durch nachhaltige, umweltschonende Landschaftsräume. Die Urlaubsreisenden - wün sowie sozial verträgliche Mobilitätsformen zu schen sich im Sommer wie auch im Winter eine fördern. Diese Zielsetzung vom Bundesministeri- Urlaubsreise in ländlicher Umgebung, wo Aktivi- um für Verkehr, Innovation und Technologie hat- täten wie Skifahren, Wandern oder Wassersport te einen Teil dazu beigetragen, dass die Diplom- im Vordergrund stehen und setzen mit diesen arbeit „Tourismusmobilität im Bundesland Tirol Vorlieben die Welt in Bewegung. - Anforderungen an ÖsterreichurlauberInnen im Rahmen einer Fluganreise“ initiiert wurde. Vor Die Trendentwicklung bedeutet für die Akteu- diesem Hintergrund war es essentiell, die Pro- rInnen auf allen Ebenen zahlreiche Herausforde- bleme und Anforderungen von Flugreisenden rungen. Dabei sind eines der wichtigsten und zen- im Sommer- wie im Wintertourismus entlang tralen Herausforderungen die Themenbereiche der gesamten Mobilitätskette hinsichtlich der Tourismus, Verkehr, Mobilität und Umwelt. Zu- Informations- und Buchungsmöglichkeiten, des recht, denn der seit Jahren kontinuierliche An- Gepäcktransportes und der erforderlichen Vor- stieg internationaler Urlaubsreisenden lässt die Ort-Mobilität am Beispiel des Bundeslandes Tirol Verkehrsknotenpunkte und somit das Verkehrs- tiefgründig zu analysieren sowie Lösungsansätze aufkommen wachsen. Vor allem die Flughäfen zu formulieren. sind einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte in Österreich und für die Erreichbarkeit der de- Tirol unabhängig der Jahreszeit gleichbleibend zentralen und peripheren Tourismusaktivitäten beliebt unter den internationalen Urlaubsreisenden für Eine Urlaubsreise zu naturnahen Aktivitäten und die An- und Abreise zentral entscheidend. einzigartigen Landschaftsräumen ist keine Erfin-

ÖZV 3-4/2019 21 dung des 21. Jahrhunderts - allerdings haben die Es bestehen zwar im Bundesland Tirol eine technologischen Entwicklungen des 19. Jahrhun- Vielzahl von regionalen Planungsdokumenten, derts wesentlich zum wachsenden internationa- welche aus kooperativen Wechselbeziehungen len Tourismus im Bundesland Tirol beigetragen. der AkteurInnen hervorgehen, diese charakte- Die Situation gibt in Bezug auf die touristische risieren sich allerdings eher in beschreibende Verkehrsentwicklung im Bundesland Tirol zu Herausforderungen und Analysedarstellungen Recht Anlass zur Sorge: Insgesamt konnten im der Ist-Situation und enthalten keine konkreten Tourismusjahr 2016/2017 rund 12 Millionen An- Maßnahmen, welche eine direkte Auswirkung künfte und rund 48 Millionen Nächtigungen ge- auf die Tourismusmobilität im Bundesland Tirol zählt werden. haben. Mit anderen Worten: Es ist an der Zeit die zahlreichen Insellösungen zu einer ganzheitliche Dabei verzeichnete der Sommertourismus im Mobilitätsstrategie für das Bundesland Tirol zu Jahr 2017 mit rund 6 Millionen Ankünfte und adaptieren. rund 21 Millionen Nächtigungen die besten Er- gebnisse seit dem Jahr 1993. Die häufig typisch Regionalübergreifendes multimodales Informa- literarische Schlussfolgerung, dass die Winter- tions- und Buchungssystems ubiquitär periode für eine Urlaubsreise beliebter und vor dem Sommertourismus Spitzenreiter in Ankunft Anhand der Erhebungsergebnisse in der Vor- und Nächtigung ist, kann in diesem Fall nicht be- reisephase lässt sich unter den Befragten fest- stätigt werden. Das Verhältnis der Winter- und stellen, dass das Internet als Informations- und Sommerperiode beträgt bei den Ankünften im Buchungsinstrument weiter an Bedeutung ge- Jahr 2017 nur noch 50,1 % zu 49,9 % - allein winnt. Bereits über 70 % aller Online-Befragten bei den Nächtigungen vergrößerte sich das Ver- informieren sich bereits über Mobilitätsange- hältnis im Jahr 2017 auf 56 % zu 44 % (vgl. Tirol bote durch KundInnenkommentare - bei der Werbung GmbH, 2017). Es lässt sich also im Bun- Befragung am Flughafen gaben 57 % an, Online desland Tirol eine Trendentwicklung erkennen, direkt sich über die jeweilige Urlaubsdestination wonach die Urlaubsreisenden die Aufenthalts- zu informieren. Durch eine Analyse der gegen- zeit am Urlaubsort kürzer gestalten, dafür aller- wärtigen Situation lässt sich herausstellen, dass dings öfters verreisen oder in einem bestimmten die Information- und Buchungsmöglichkeiten Urlaubszeitraum die Urlaubsdestinationen - öf von touristischen Leistungsangeboten nicht glei- ters wechseln. Für die nächsten Jahre lässt sich chermaßen im Internet verfügbar ist - was die im Winter- und Sommertourismus eine ähnliche Angabe zu dem relativ ausgeglichenen Verhält- Entwicklung prognostizieren und stellt aufgrund nis der Buchungsvarianten verdeutlicht. der damit im Zusammenhang stehenden Ver- Unter den Befragten besteht demnach das Be- kehrsentwicklung eine wesentliche Motivation dürfnis, Serviceleistungen gebündelt in einer für die Implementierung von umweltfreund- Applikation oder Webportal abzurufen und bei lichen Mobilitätsformen dar. Bedarf im Anschluss direkt zu buchen. Dabei Ganzheitliche Mobilitätsstrategie für Tirol we- stehen die Kriterien zur Verkehrsmittelwahl bei sentlich der Buchung vorrangig unter Berücksichtigung der Zeit (z.B. zügiges Erreichen des Aufenthalts- Dabei muss den AkteurInnen im Bundesland ortes), der Flexibilität (z.B. das Verkehrsmittel Tirol bewusst sein, dass eine Entwicklung um- muss lückenlos und regelmäßig zur Verfügung weltfreundlicher sowie sozial verträglicher- Mo stehen) und Bequemlichkeit (z.B. eine Fahrkarte bilitätsformen nur durch eine enge und intensive für alle Verkehrsmittel vor Ort). Kooperation in den Bereichen Tourismus und Mobilität erreicht werden kann. Die AkteurInnen Bedarf eines Tür-zu-Tür-Gepäckservices im Bundesland Tirol haben aufgrund der Interdis- In der An- und Abreisephase lässt sich unter den ziplinaren Entscheidungsfindung einen großen Befragten erkennen, dass vor allem ein grund- Einfluss auf die Entwicklungs- und Umsetzungs- sätzlicher Bedarf bei einem Gepäckservice be- prozesse und müssen die bereits bestehenden steht, welcher Gepäckstücke ab 11 kg bis über kooperativen Wechselbeziehungen verstärken. 23 kg (z.B. bezüglich Sportgeräte) einschließt. Ein intensives, kooperatives Agieren aller -rele Die Befragten sind zwar über einen Gepäckser- vanten AkteurInnen im Bundesland Tirol ist eine vice verunsichert, was mit der zu späten Überga- Voraussetzung für das Erreichen der national be am Zielort oder der Angst, dass das Gepäck- politisch-strategischen Ziele, denn zum gegen- stück auf dem Weg zum Zielort verloren geht, wärtigen Zeitpunkt lässt sich erkennen, dass die begründet wurde - allerdings gaben die meisten bestehenden kooperativen Wechselbeziehungen Befragten an, dass eine Sendungsverfolgung das nicht Zielführend sind. Vertrauen erhöht.

22 ÖZV 3-4/2019 Bedürfnis aus einer Kombination von öffent- • Ansatz 2 „Sicherstellung und Vernetzung tou- lichem und individuellem Verkehr ristischer Vor-Ort-Mobilität“ Für die Mobilität vor Ort besteht das Bedürfnis Ein grundlegender Gedanke ist die Umset- aus einer Kombination von öffentlichem und zung eines automatisierten Autobuskonzeptes, individuellem Verkehr. Demnach haben die Ur- welches vorrangig die Tourismusmobilität ein- laubsreisenden den Wunsch geäußert, unter schließt. Dadurch besteht die Chance weitere bestimmten Situationen von einem Verkehrs- potenzielle virtuelle Haltestellen anzubieten und knotenpunkt (z.B. der Haltestelle des Regional- die Wegstrecken zu verkürzen. Durch eine Inte- linienverkehrs) auf ein Mietauto umzusteigen. grierung von Carsharing- oder Bikesharingpunk- Interessant ist, dass im Wesentlichen unter allen ten, wird die Nutzung einer verkehrsmittelüber- Befragten das Bedürfnis besteht, vom Flughafen greifenden Mobilitätsplattform ermöglicht. entweder mit dem Shuttleservice oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Urlaubsdesti- • Ansatz 3 „Innovatives Gepäck-Logistiksy- nation weiterzureisen. Das bedeutet, dass unter stem“ den Urlaubsreisenden ein Umweltbewusstsein Das Herzstück ist ein digitales Gepäcklogistik- vorhanden ist und durchaus auf nachhaltige system, welches die Gepäckstücke länderüber- und umweltschonende Mobilität zurückgegrif- greifend einheitlich erfasst und abwickelt. Dabei fen wird - insofern attraktive Mobilitätsalterna- sollte das Gepäcklogistiksystem in das Informa- tiven vorhanden sind. Dabei sollte mindestens tions- und Buchungssystem integriert werden. ein halbstündlicher Takt sichergestellt sein sowie Dabei ist es notwendig, dass die Gepäckstücke sollte ein zu häufiges Umsteigen vermieden wer- bereits an der Gepäckförderanlage am Flughafen den. ansetzen und sie auf einem direkten Weg zum Lösungsansätze für das Erreichen der politisch- Zielort befördert werden - vorstellbar ist hier der strategischen Ziele Einsatz von autonomen und/oder automatisier- ten Logistikfahrzeugen. Für eine langfristige Sicherung der Mobilitätsbe- dürfnisse sind im Bundesland Tirol drei wesent- Die Lösungsansätze stellen in der Tat zunächst liche Lösungsansätze zusammengestellt, wobei eine Zukunftsvision dar - sowie weitere zahl- die politisch-strategischen Ziele entsprechend reiche Forschungs- und Entwicklungsnotwendig- berücksichtigt wurden. Die Lösungsansätze sol- keiten. Falls eine solche Umsetzung in Betracht len eine längerfristige Entwicklung ermöglichen, gezogen werden sollte, ist eine langjährige wei- welche das Bundesland Tirol nicht nur in der terführende Forschung und Testphase, eventuell Zukunft für die BewohnerInnen lebenswert und auch mit einer Teststrecke, notwendig. Sollten attraktiv gestalten lässt, sondern auch ökono- die Lösungsansätze aufgrund der Rahmenbe- mische und ökologische Vorteile mit sich bringt. dingungen sich als nicht umsetzbar erweisen, ist Dabei stehen folgende Lösungsansätze im Vor- den AkteurInnen im Bundesland Tirol zumindest dergrund: zu empfehlen, einen abgewandelten (möglichen) Teil von den Lösungsansätzen umzusetzen. Durch • Ansatz 1 „Digitale Vernetzung der Informa- das Identifizieren von Problemen und Bedürfnis- tions- und Buchungssysteme“ sen ist zudem eine Grundlage gegeben, womit weitere hilfreiche Lösungswege abgeleitet wer- Damit die Anforderungen der Urlaubsreisenden den können. Die Tourismusmobilität im Bundes- gerecht werden, ist eine Implementierung eines land Tirol ist bereits auf einem guten Weg, aber regionalübergreifenden multimodalen Informa- es sind noch zahlreich ungenutzte Potentiale vor- tions- und Buchungssystems zu empfehlen. Da- handen, welche durchaus den Urlaubsreisenden bei soll eine Buchung des Hotels, der Fluganreise weiterhin das Angebot einer naturnahen und und eines Shuttleservice im Vordergrund stehen einzigartigen Landschaft ermöglichen können. - wobei über das System eine Information zu Gateänderungen oder Flugänderungen in Echt- Innerhalb der Diplomarbeit konnte auf Grund- zeit zur Verfügung stehen soll. Dadurch ergibt lage der forschungsleitenden Fragestellungen sich unter den AkteurInnen im Bundesland Tirol weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf die Chance, die individuellen Mobilitätsbedürf- festgestellt werden, welche sich insbesondere nisse durch eine Echtzeit-Informationsbereit- auf folgende Rahmenbedingungen sowie Maß- stellung zu beeinflussen und den öffentlichen nahmen und Strategien beziehen: Verkehr hinsichtlich den ökonomischen und öko- logischen Aspekten zu optimieren.

ÖZV 3-4/2019 23 • Aufbau eines Mobilitätsmanagement • Implementierung eines Informations- und Bu- chungssystems Die Mobilität, und in diesem Fall vor allem die touristische Mobilität, ist eine komplexe - Quer Bei einem Einsatz eines umfangreichen Informa- schnittsaufgabe und betrifft nicht nur einzelne tions- und Buchungssystems sind rechtliche Rah- AkteurInnen im Bundesland Tirol, sondern Akteu- menbedingungen zu beachten, wie die Sicher- rInnen auf allen Ebenen und in allen Bereichen. stellung persönlicher Daten (z.B. Bezahlvorgang Mit dem Aufbau eines Mobilitätsmanagement oder der Standortinformation). Des Weiteren entsteht zum einen ein neues Instrument zur stellt sich die Frage, wie die Urlaubsreisenden umweltschonenden Bewältigung der steigenden auf eine solch neue Funktion reagieren. Durch Verkehrsentwicklung, zum anderen entsteht die ein multimodales Informations- und Buchungs- Chance eine ganzheitliche Mobilitätsstrategie für system entsteht ein Einflussfaktor, wonach sich das Bundesland Tirol zu definieren und dabei un- bei der Implementierung neue Möglichkeiten terschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Sicht- von technologischen Entwicklungen ergeben weisen zu integrieren. Dabei sollen vor allem Mo- - oder wie es unter allen AkteurInnen möglich bilitätsfragen gelöst werden, welche sich intensiv ist, jegliche Anforderungen gebündelt in einem mit den Bedürfnissen zu umweltschonenden und System zu ermöglichen/umzusetzen, so dass ein sozial verträglichen Verkehrsmittelangeboten be- einheitliches Gesamtbild die Urlaubsregion Tirol schäftigen - oder aber wie die Verkehrsmittelteil- wiederspiegelt bzw. charakterisiert. Zudem sind nehmerInnen in Bezug auf den Kosten-Zeit-Faktor auch rechtliche Rahmenbedingungen zu beach- an das Ziel kommen. ten, wie die Sicherstellung persönlicher Daten (z.B. Bezahlvorgang oder der Standortinformati- • Messung, Modellierung und Bewertung des on). Verkehrsverhaltens • Umfangreiche Analyse zur Barrierefreien Rei- Ein bedarfsgerechtes Angebot an öffentlichen se notwendig Verkehrsmitteln ist im Bundesland Tirol sehr schwierig zu ermöglichen, da die Nutzungen des Das Thema rund um das Barrierefreie Reisen öffentlichen Verkehrs innerhalb der unterschied- konnte innerhalb dieser Diplomarbeit nicht be- lichen Destinationen nur sehr schwer messbar rücksichtigt werden, es gilt in jedem Fall noch die sind. Abhilfe bietet dabei eine agentenbasierte Anforderungen von mobilitätseingeschränkten Modellierung, welche einzelne Fahrgäste und das Menschen zu analysieren. Verhalten berücksichtigt - wer, wann, wohin und mit welchen öffentlichen Verkehrsmitteln sind die Fahrgäste unterwegs. Durch die agentenbasierte Quellenverzeichnis: Modellierung lassen sich neue Ansätze im Ange- bot von öffentlichen Verkehrsmitteln entwickeln. 1. Tirol Werbung GmbH (Hg.) 2017: Analyse Ein best practice ist demnach das „Innovative Tourismusjahr 2016/17, verfügbar unter: Mobility Modelling“ in Kärnten, welches von der (Zugriff 2018-03-23). erforscht wird. Enge Kooperationen bestehen mit den Forschungseinrichtungen der ETH Zürich, der 2. World Tourism Organization (UNWTO) (Hg.) TU Berlin, der TU Wien sowie der TU Graz. 2017: Tourism Highlights, 2017 Edition, Ma- drid.

24 ÖZV 3-4/2019 220 Jahre Alois von Negrelli: Verkehrsplaner und Eisenbahn- pionier von europäischem Format Michael Demanega Über ein habsburgisches Stipendium - seine Leh- Alois von Negrelli ist gemeinhin als Planer des Su- rer hatten sein Talent erkannt und sahen sich ezkanals, der Seeverbindung zwischen dem Mit- bemüßigt, es zu fördern - wurde Negrelli das telmeer und dem Roten Meer, bekannt. Darüber Studium des Ingenieurwesens in Venedig, Pa- hinaus war Negrelli einer der einflussreichsten dua und später in ermöglicht, obwohl Verkehrsplaner seiner Zeit, der nicht nur an zahl- er eigentlich lieber Architekt geworden wäre.1 reichen Eisenbahnbauten in der Habsburgermo- 1819 wurde der junge Alois Negrelli als Ingeni- narchie beteiligt war, sondern ebenso grund- eurpraktikant der Provinzialdirektion Tirol und sätzliche Weichenstellungen für die Etablierung tätig und legte 1820 sein Diplom als des Eisenbahnwesens im alpinen Raum legte. Im Ingenieur ab. Negrelli kam vorerst bei Straßen- Jahr 2019 jährt sich der Geburtstag dieses Tiroler bauten im Pustertal und im Etschtal, später im Eisenbahnpioniers zum 220. Mal. Valsuganertal und Vinschgau sowie am Arlberg und beim Wasserbau am Inn unter, ehe er zur Erlernung des Eisenbrückenbaus nach Wien be- stellt wurde. Konkret sollte Negrelli bei Friedrich Schnirch2, einem Pionier im Kettenbrückenbau, der ein Pa- tent auf Kettenbrücken hielt, das Brückenbau- wesen erlernen und in Tirol und in Vorarlberg später anwenden. Obwohl Negrelli einige be- eindruckende Brücken plante, die bis heute hin bestehen, sollte seine Faszination eher nicht in Richtung Brückenbau ausschlagen, sondern den Verkehrswegebau erfassen und seine Haltung - was Kunstbauten betrifft - eher spärlich sein. In Wien kommt Negrelli ebenfalls in Kontakt mit Franz Anton von Gerstner, seines Zeichens Professor am Polytechnikum in Wien und Eisen- bahnpionier, der den jungen Negrelli nachhaltig beeinflusste. Negrelli blieb allerdings vorerst in Vorarlberg, wo er ab 1826 mit Hochwasserschutzbauten im Rah- men der Rheinregulierung betraut wird. Eine auf- zehrende Tätigkeit, bedurfte es nämlich großer Abbildung 1: Lithographie Negrelli von August Prinzhofer, Verhandlungsbegabung - die Grundeigentümer 1845, Gemeinfrei Wikipedia zeigten sich anfänglich alles andere als koope- rativ und standen den Schutzbauten ablehnend 1. Lehrjahre und frühes Schaffen gegenüber. Dieses Geschick sollte Negrelli nicht Alois oder Luigi Negrelli ist nicht leicht einzu- nur zwischenmenschlich, sondern auch in einem ordnen. Von österreichischer Seite wird er als mehrsprachigen Kontext an den Tag legen und „österreichischer Ingenieur“ betitelt, von italie- sich damit entsprechenden Eindruck verschaf- 3 nischer Seite als „italienischer Ingenieur“. Wahr- fen. Der Ruf, der ihm fortan vorauseilte, hat so- scheinlich haben alle auf ihre Art und Weise dann das Interesse der Eidgenossen auf Negrelli recht. Alois Negrelli wurde vor 220 Jahren in Pri- gelenkt. mör oder Primiero im historischen, jedoch itali- Zudem baute Negrelli in Vorarlberg einige Kir- enischsprachigen Tirol geboren. Sein Vater war chen und Häuser. italienischsprachig und unter anderem in den Tiroler Freiheitskampf gegen das napoleonische Negrelli wurde ab 1832 Wasser- und Straßenbau- Frankreich verwickelt - wodurch er in Gefangen- inspektor in St. Gallen - und aus dem österrei- schaft geriet und sein Eigentum einbüßte -, sei- chischen Staatsdienst entsprechend entlassen. ne Mutter deutschsprachig. Ähnlich vielschichtig In dieser Zeit baute er Hafenanlagen, Straßen und europäisch sollte sich auch Biographie Ne- und Brücken, ehe er 1836 durch die Zürcher grellis erweisen.

ÖZV 3-4/2019 25 Kaufmannschaft nach Zürich bestellt wurde. In weise - und der Staat gewinnt indirekt durch die Zürich baute er als Oberleiter der städtischen größtmögliche Verbreitung des Nutzeffektes ei- Bauten die Hafenanlage, sowie die bis heute be- ner Eisenbahn unendlich viel. Die Interessen stehende Münsterbrücke - eine Bogenbrücke. einer Aktiengesellschaft sind aber ganz verschie- Darüber hinaus auch Häuser, etwa das Kornhaus. den von den Interessen eines Staates und diese Ebenso entwarf er den Plan eines einheitlichen kann demnach ihre Frachtpreise nicht so niedrig Verkehrsnetzes für die Schweiz unter Berücksich- halten wie der Staat, weil sie keinen weiteren in- tigung der Dampfeisenbahnen, auf welche ihn direkten Nutzen rechnen kann“.8 Gerstner aufmerksam gemacht hatte.4 Überzeugend argumentiert Negrelli auch be- Das Eisenbahnwesen sollte zu jener Zeit in Eur- reits für eine vernetzte Mobilität, bei welcher opa für Aufsehen erregen und die technischen dem Eisenbahnwesen die Rolle als Hauptmotor Möglichkeiten an die Grenzen treiben. Neben zukomme: „Je länger eine Eisenbahn ist, desto den Wasserwegen war damit erstmals die Mög- sicherer kann sie auf günstige Resultate zählen, lichkeit geschaffen, eine effiziente Anbindung desto größer ihre Wirkung auf Handel und In- auf dem Landwege zu verwirklichen. Es zeich- dustrie. Die Eisenbahnen sind Flüsse, die immer net alle späteren Großmächte des 19. Und 20. wichtiger werden, je weiter ihr Lauf sich erstreckt. Jahrhunderts aus, dass sie - beginnend bei den Kurze, unzusammenhängende Eisenbahnen sind Hochseehäfen und der Binnenschifffahrt - die nur Waldströme, die nur vorübergehend rausch- Vernetzung der Landwege durch das Eisenbahn- voll auftreten. Nur die Eisenbahn von Nürnberg wesen strategisch vorantrieben und damit eine nach Fürth macht da eine Ausnahme und kann strategische Tiefe entwickelten, die für den Auf- einem mächtigen Quell verglichen werden, der schwung wesentlich war.5 Die Schweiz wollte die- für Feldbau und Industrie bei günstigem -Ni ser Entwicklung nicht nachstehen und entsandte veau gleich wohltätig wirkt, und sich dann nach Negrelli nach England, Frankreich und Belgien kurzem Laufe in fetten Wiesen verliert. Die ge- zum Studium der technischen Möglichkeiten des wöhnlichen Fahrstraßen sind dann die Seitenge- Eisenbahnwesens. wässer, die den Hauptstrom, die Eisenbahn, ver- größern und von diesem neues Leben und Kraft Negrellis Reisebericht wurde 1838 mit dem Titel wieder erhalten“.9 „Ausflug nach Frankreich, England und Belgien zur Beobachtung der dortigen Eisenbahnen, mit Diese Zeilen lesen sich fast schon prophetisch einem Anhange über Anwendung von Eisen- in einer heutigen Zeit, in welcher von einer Ver- bahnen in Gebirgsländern“ veröffentlicht.6 kehrswende die Rede ist, bei welcher dem öf- fentlichen Verkehr die Rolle zukommt, Motor der In dem Reisebericht befasst sich Negrelli intensiv Verkehrswende zu sein. Diese Hauptrolle wies mit dem Stand der Technik im Eisenbahnbau zu bereits Negrelli dem Eisenbahnwesen zu. jener Zeit und analysierte die Eisenbahnbauten in Frankreich, Großbritannien und Belgien durch- Letztlich wandte sich Negrelli in seinem Bericht aus kritisch. Negrelli kommt in dem Bericht zu klar und deutlich an die Kritiker des alpinen Ei- dem Urteil, dass das Eisenbahnwesen nur dort senbahnwesens, indem er diesen die immensen seine Vollendung finde, wo die Trassierung dem Kosten entgegenhält, welche Brücken, Tunnel natürlichen Verlauf des Geländes und der Mor- sowie prunkvolle Eisenbahnhallen in anderen phologie entspreche. Dort, wo diesen Bedin- europäischen Ländern kosten würden. Negrelli gungen nicht Rechnung getragen werde, erfor- ist der klaren Meinung, dass das alpine Eisen- dere das investierte Anlagenkapital nämlich zu bahnwesen in den Alpentälern und am Fuße der hohe Einnahmen, die kaum erzielbar seien. Den Berge sowie entlang der Talläufe effizient mög- Tunnelbau sah Negrelli dabei kostenkritisch.7 lich sei, wenngleich die Wasserscheiden natür- liche Grenzen bilden würden. In diesem Zusammenhang bestechen Negrel- lis wirtschaftliche Überlegungen, die mit einer In die Schweizer Zeit fällt auch das Aufeinander- Privatbahnphase übereinstimmen, in welcher treffen Negrellis mit Alexander von Humboldt, Eisenbahnen vorerst als private Investitionsob- der den Ingenieur Negrelli von der Möglichkeit jekte erachtet wurden - sehr zum Problemfall für der Verbindung des Roten Meeres mit dem Mit- Investoren und Allgemeinheit. telmeer begeistert haben soll,10 welche bereits seit dem Altertum von Interesse war und durch Folgerichtig bekennt sich Negrelli in dem Bericht Napoleon neu angeregt wurde. eindeutig zum Staatseisenbahnwesen und zum volkswirtschaftlichen Nutzen durch die staat- Ehe Negrelli dazu kam, das Eisenbahnwesen in lichen Eisenbahnen wenn er schreibt: „Wenn der Schweiz voranzutreiben, sollte ein Ruf aus übrigens der Staat die Frachtpreise auf den Ei- Österreich ereilen. senbahnen sehr niedrig hält, so ist das nur sehr

26 ÖZV 3-4/2019 2. Negrelli als Eisenbahn-Pionier ab 1841 die Unterteilung in Privat- und Staats- bahnen, um die als staatsnotwendig erachteten Die Entwicklung des Eisenbahnwesens in Öster- Eisenbahnen fertigzustellen und diese später zur reich schritt freilich auch ohne Negrelli voran. Betriebsführung in private Hand zu übergeben.13 Franz Anton von Gerstner und später Matthias von Schönerer bauten mit der Pferdeeisenbahn Negrelli wurde folglich 1842 in der Kaiser-Fer- Budweis - Linz - Gmunden eine der ersten Eisen- dinands-Nordbahngesellschaft beurlaubt und bahnen im kontinentalen Europa, die 1836 fer- mit der Leitung der Bauten der Staatsbahnen be- tiggestellt wurde.11 traut. Es folgten die Eisenbahnstrecken Olmütz - Böhmisch-Trübau - Prag, die 1845 fertiggestellt Zudem baute Matthias von Schönerer 1841 den wurde, sowie Brünn - Böhmisch-Trübau, Prag- ersten Eisenbahntunnel bei Gumpoldskrichen Bodenbach und Vorbereitungen für die galizische mit einer Länge von 156 Metern. Das Nordpor- Bahn Bochnia - Lemberg, Lemberg - Brody und tal des Tunnels trägt die Aufschrift „Recta sequi“ Lemberg - Czernowitz (heute Ukraine)14. Negrel- („Folge der Geraden“) - Schönerers privates und lis Eisenbahnprojekte erfassten folglich nicht nur planerisches Lebensmotto. weite Teile der Habsburgermonarchie, sondern Das Motto „Recta sequi“ sollte sich als - dasex auch weite Teile des heutigen Europas. akte Gegenteil der planerischen Maxime Negrel- Ebenso erstellte Negrelli Gutachten zum Eisen- lis erweisen. bahnwesen für das Königreich Württemberg und Alois Negrelli wird ab 1840 General-Inspektor für das Königreich Sachsen. der privaten „Kaiser-Ferdindands-Nordbahnge- Negrellis Haltung sollte sich in diametralem Wi- sellschaft“ - das Eisenbahnwesen war in seiner derspruch zum Motto „Recta sequi“, welches Anfangsphase in Österreich privatisiert. Als „Ge- Matthias von Schönerer prägte, entwickeln. neralinspektor“ bezeichnete man zu jener Zeit höhere Aufsichtsbehörden für das Eisenbahnwe- Im Jahre 1842 veröffentlichte Alois Negrelli den sen. Aufsatz: „Die Eisenbahnen mit Anwendung der gewöhnlichen Dampfwägen als bewegende Kraft Die Kaiser-Ferdinands-Nordbahngesellschaft über Anhöhen und Wasserscheiden sind aus- wurde durch den Bergbauexperten Franz Xaver führbar“, in welchem er von dem noch 1838 ver- Riepl gegründet, durch Salomon Rothschild fi- tretenen Standpunkt, die Wasserscheiden wür- nanziert und sollte ab 1836 die erste Dampfloko- den natürliche Grenzen für die Entwicklung des motive in Österreich, die Nordbahn, bauen. Eisenbahnwesens bilden, abrückte. Unter Negrellis Leitung wurden durch die Kaiser- Zu jener Zeit war grundsätzlich fraglich, inwiefern Ferdinands-Nordbahngesellschaft die Bahnstre- das Eisenbahnwesen im alpinen Raum einsetz- cken Lundenburg - NapajedI, NapajedI- Prerau bar sei. Stand der Technik war die so genannte - Leipnik und Prerau - Olmütz in Mähren, sowie „Schiefe Ebene“15: Die Überwindung der Stei- FIoridsdorf - Stockerau fertiggestellt und jene gungen erfolgte damals durch Seile, welche am von OImütz-Prag sowie Leipnik - Oderberg und Bergscheitel befestigt und durch externe Dampf- 12 Oderberg - Oswieczim trassiert. maschinen die Züge antrieben. Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten, in In dem 1842 erschienen Aufsatz vertritt Negrelli welche die privaten Eisenbahngesellschaften die Meinung, dass der Bau von Tunnels kostspie- geraten waren, verordnete Kaiser Ferdinand

Abbildung 2: Kehrplätze bei Negrelli17

ÖZV 3-4/2019 27 lig und ausführungstechnisch schwierig sei und wicklung der Eisenbahntechnologie in den USA, erhebliche Gefahren für die Personen bei der welche völlig andere technische Bedingungen Durchfahrt bergen würden. Darüber hinaus sei ermöglichte als jene, von denen Negrelli wenige die zu überwindendende Steigung mit herkömm- Jahre vorher ausgehen musste20. Konkret waren licher Technik nahezu unmöglich. Negrelli erach- dies: Kleine Räder, Drehgestelle und große Heiz- tete es als angemessen, die extremen Steigungen flächen, sodass Ghega nach diesen Eindrücken durch Kehrplätze zu überwinden. Die Trassierung in den Vereinigten Staaten voll und ganz auf die sollte folglich im Zick-Zack-Muster erfolgen, auf Lokomotive setzte. welchen eine Kehrtwendung erfolgen sollte, wo- mit Kurvenradien vermieden wurden. Ghega selbst gelang es, die Bahn mit den tech- nisch höchstmöglichen Steigungen zu trassieren, Dazu schreibt Negrelli: „Die Anwendung der vor- basierend auf einer Technologie, die damals völ- geschlagenen Kehrplatze kann überhaupt nicht lig neu war, sodass ein Bahnbetrieb ohne Zahn- nur zur unmittelbaren Übersteigung der Gebirge radbahnsystem möglich war. Es erklärt sich von und Wasserscheiden, sondern auch um etwai- selbst, dass folglich auch entsprechender poli- gen einzelnen Schwierigkeiten an Ortschaften, tischer Druck notwendig war. Die Semmering- Moorgründen, Flüssen, Felsen und dergleichen bahn war demzufolge die erste Gebirgsbahn der auszuweichen, und die Bahn von einem gün- Welt. stigen Terrain-Abschnitte zum andern zu verset- zen , was durch die Kurven oft nicht geschehen In die Zeit Negrellis als Leiter des Eisenbahnwe- kann, erfolgen, wodurch gleichzeitig bedeutende sens fällt auch die Aufnahme der österreichischen Auslagen vermieden und Ortschaften in unmit- Staatseisenbahnen zum „Verein Deutscher Ei- telbare Berührung mit der Eisenbahn gebracht senbahnverwaltungen“ - Negrelli selbst nimmt werden können, welche sonst auf keine andere mehrmals an den Generalversammlungen teil. 16 Weise zu erreichen waren“ . Ebenso 1849 befasst sich Negrelli mit der Donau- Freilich versprechen derartige Kehrplätze im Ge- und Donaukanalregulierung - die Projektpläne gensatz zu fahrdynamisch ausgewählten Kurven- werden nicht realisiert. radien alles andere als zeitgemäßen Fahrkom- Nach den kriegerischen Handlungen im öster- fort. Negrelli ging es damals allerdings um die reichischen Oberitalien in den Jahren 1848 und Etablierung des Eisenbahnwesens in einem Ter- 1849 sollte Negrelli als Staatssekretär ins König- rain, welches laut gängiger Meinung nicht dazu reich Lombardo-Venetien entsandt werden, um bestimmt war, eisenbahntechnisch erschlossen bis 1855 die Eisenbahnverbindungen Verona - zu werden. Mantua, Mestre - Treviso, Verona - Porta Nuova, Negrelli vertrat folgerichtig die Meinung, „dass Verona - Porta Vescosa, Verona - Brescia - Coc- der reelle Nutzeffekt einer Eisenbahn desto caglio, Treviso - Pordenone, Pordenone - Casarsa größer ausfallen muss, je gleichmassiger und und Monza - Camerlata fertigzustellen und die einfacher die Manipulation auf derselben ein- Linien Mailand - Lodi-Piacenza, Coccaglio - Ber- gerichtet wird“18. Ihm ging es um Einfachheit als gamo - Monza und Verona - Trient begonnen. Ne- Grundlage für die Akzeptanz der Technologie. grelli war damit wieder in heimatliche Gegenden zurückgekehrt. Ab 1848 wurde Alois Negrelli Leiter des Eisen- bahnwesens im Ministerium für öffentliche -Ar Zudem wurde Negrelli 1850 Präsident der inter- beiten. In diese Zeit fallen auch die definitive nationalen Po-Schifffahrtskommission sowie der Baubewilligung für die Semmeringbahn und Präsident der internationalen Kommission für 21 der Baubeginn im selben Jahr. Dabei hatte sich die Zentralbahnen Mittelitaliens . 1850 wurde Negrelli als Fachmann gegen zahlreiche Exper- Alois Negrelli in den Ritterstand gehoben und ten aus dem In- und Ausland argumentatorisch ihm der Zusatz „von Moldelbe“ - aufgrund sei- durchzusetzen und den zuständigen Minister ner Tätigkeiten an und Moldau - verliehen. von der Richtigkeit des Vorhabens Semmering- Feldmarschall Radetzky wurde Taufpate Negrel- bahn zu überzeugen. lis Tochter. Carl Ritter von Ghega, der Erbauer der Semme- Im Jahr 1854 wurde ebenso mit dem Bau der ringbahn, verdankt den geglückten Bau der Bahn Brennerbahn begonnen. Die Entscheidung einer von Gloggnitz bis Mürzzuschlag für die Staatsei- Bahnlinie von Verona bis nach erfolgte senbahn neben eigenen Erkenntnissen im Rah- durch die österreichische Regierung bereits men entsprechender Studien in den Vereinigten 1847. Staaten, auch dem entschiedenen Einsatz durch Alois Negrelli19. Wesentlich war aber die Ent-

28 ÖZV 3-4/2019 3. Faszination Suezkanal In Frankreich befasste man sich bereits ab 1835 in der Öffentlichkeit mit der Idee des Baus des Suezkanals zur Verbindung von Mittelmeer und Rotem Meer. Die Idee erreichte ab 1843 auch den österreichischen Staatskanzler Metternich27 und sollte fortan das Interesse von Wirtschaft, Händler und Banken, besonders der Seehandels- gesellschaften, auf das Vorhaben lenken. Insbe- sondere die an das Mittelmeer angrenzenden Länder - und Österreich gehörte damals dazu - Abbildung 3: Lokomotivbahnen Österreich 1836 - 184022 versprachen sich durch den Suezkanal völlig zu Recht geoökonomische Vorteile, indem diese am Welthandel verstärkt teilnehmen konnten. Negrelli soll bereits ab 1835 durch einen Leipziger Bankier mit Fragen zur technischen Realisierbar- keit des Suezkanals vertraut gemacht worden sein. 1846 wurde in der Folge - bedingt durch das weltpolitische Interesse - in Paris durch Barthéle- my Prosper Enfantin eine Studiengesellschaft zur Errichtung des Suezkanals etabliert, die „Socié- té d’Études du Canal de Suez“. An der Spitze der deutschen Studiengruppe stand Negrelli, an der Spitze der englischen Studiengruppe Robert Ste- Abbildung 4: Lokomotivbahnen Österreich 1836 - 185023 phenson, Sohn des britischen Eisenbahnpioniers George Stephenson, und an der Spitze der fran- zösischen Studiengruppe Paul Talabot.28 Die technische Problematik bestand darin, dass französische Ingenieure Anfang des 19. Jahrhun- derts im Rahmen von Napoleons Ägypten-Expe- dition von einem Höhenunterschied zwischen Rotem Meer und Mittelmeer von mehreren Metern ausgingen. Nun setzten sich die franzö- sischen, britischen und deutsch-österreichischen Studiengruppen daran, die Ländereien am Suez zu vermessen. Besonders die Franzosen konzen- trierten sich dabei auf die Landenge und es sollte Abbildung 5: Lokomotivbahnen Österreich 1836 - 185924 Paul-Adrien Bourdaloue gelingen, den vermeint- lichen Höhenunterschied zu widerlegen.29 Die Planung der zweigleisigen Bahnlinie von Ve- rona bis nach Bozen sowie der Bahnhöfe erfolgte Faktisch gingen die Interessen der an der Stu- durch Alois Negrelli25. Nach dem Tod Negrellis diengruppe beteiligten Länder allerdings weit führte Carl von Etzel ab 1858 die Brennerbahn auseinander. Die Engländer planten an einer Ei- von Bozen bis zum Brenner weiter, welche bis senbahnverbindung von Kairo nach Suez, wäh- heute - und bis zur Fertigstellung des Brennerba- rend die Franzosen einen Wasserweg zwischen sistunnels - eine wesentliche Achse des europä- Alexandrien nach Suez ins Auge fassten, welcher ischen Binnenverkehrs bleibt. um ein Vielfaches länger war als der Suezkanal. Im Gegensatz zu dem Entwurf von Carl von Ghe- Trotz seiner Umtriebigkeit im Rahmen des Eisen- ga für die Brennerbahn war Etzels Entwurf mit bahnwesens entwarf Negrelli ab 1847 den Plan 125 statt 161 km immerhin um rund 36 km kürzer einer schleusenlosen Verbindung auf Grundla- und damit um ein Vielfaches wirtschaftlicher.26 ge der französischen Vermessungen durch die Landenge von Suez. Negrelli wählte dabei den Neben der Etablierung des Eisenbahnwesens im kürzesten Weg, der zu einer Länge von 164 km alpinen Raum gelang Negrelli mit dem Plan zum und einer Tiefe von 8 m führte.30 Dadurch, dass Suezkanal eine Ingenieursleistung von weltpoli- weite Teile des Suezlandes aus ehemaligen Mee- tischem Maßstab. resbecken bestanden, sollte es möglich sein, im Trockenen zu bauen, sowie ohne Schleusen aus-

ÖZV 3-4/2019 29 zukommen. Negrelli bestand darauf, Schleusen Initiativen, an denen auch Negrelli teilnahm. Auf auch nicht zum Schutze vor Strömungen und weltpolitischer Ebene gelang es Großbritannien Fluten vorzusehen. Einzig am Verbindungskanal allerdings nach wie vor, den Bau des Suezkanals zum Nil, welcher mit einem Hafen ausgeführt vorerst zu verhindern. werden sollte, war eine Schleuse vorgesehen.31 In dem 1856 erschienen Werk „Die gegenwärtigen Transport- und Kommunikationsmittel Egyptens mit Beziehung auf die beantragte Durchstechung der Landenge von Suez“ analysiert Negrelli die Transportmöglichkeiten zwischen Europa und Indien und befasst sich in diesem Zusammen- hang mit den Eisenbahnverbindungen, den Tele- graphen, Fahrstraßen, Fußpfaden, der Schifffahrt am Nil, sowie mit der Küstenschifffahrt - also al- len verfügbaren Verkehrsträgern -, um schließlich die technische Realisierbarkeit des Suezkanals zu begründen.33 Negrelli studiert in dem Werk die Morphologie, die Gesteinsarten und die Böden entlang der Su- ezkanallinie. Negrelli geht davon aus, dass die Landenge aus einer Aufschüttung bestehe und dass durch den Kanal das urzeitliche Meeresni- veau im entsprechenden Gebiet wieder herge- stellt werden würde. Kritisch betrachtet Negrelli hingegen den Plan, einen Wasserweg quer durch Ägypten anzulegen, welcher technisch aufwän- dig, sowie für den Wasserhaushalt problema- tisch sei.34 Wesentlich ist in Negrellis Plan die Verfolgung des kürzesten Weges ohne Schleusen und damit mit dem minimalsten Aufwand - seit jeher Negrellis Standpunkt. Abbildung 6 Alois Negrelli, Adolphe Linant de Bellefonds: Suezkanalplanung, um 184732 Wie auch in seinen vorangehenden Veröffentli- chungen argumentiert Negrelli geoökonomisch: Indessen wurden Frankreich und Österreich „Die Verbindung der beiden Meere mittels eines durch die Revolutionen von 1848/49 in ihren In- maritimen Kanals ist demnach sowohl für die frastrukturvorhaben gebremst und der damalige Entfaltung des Welthandels durch Abkürzung Vizekönig von Ägypten, Abbas I., zeigte sich we- des Weges zwischen Europa und den am in- nig begeistert - da Ägypten Teil des Osmanischen dischen Ozean gelegenen reichen Ländern der Reiches war, nahm der Gouverneur Ägyptens alten Welt, als auch für die Belebung der Küsten- den Rang eines Vizekönigs ein. fahrt Ägyptens, verbunden mit dem Aufblühen der inneren Wohlfahrt dieses gesegneten Landes Die Tendenz änderte sich erst mit dem Ableben eine unbestreitbare Notwendigkeit“.35 Abbas im Jahre 1854 und der Machtübernahme durch Said I., der westlich erzogen wurde und Und schließlich: „Solchergestalt erhält das Kom- den der französische Diplomat, Ferdinand de munikationswesen Ägyptens eine Ergänzung, Lesseps, bereits aus Jugendjahren als Konsul in welche eine bisher nie geahnte Rührigkeit in Kairo kannte. allen andern Verkehrszweigen des Landes her- vorbringen wird. Das Land wird von drei Seiten Ferdinand Lesseps war inzwischen im Ruhestand meerumspült; seine Produktivkraft wird wesent- in Paris, erreichte durch seine Umtriebigkeit al- lich vermehrt, und dem Unternehmungsgeiste lerdings eine Beauftragung durch die Suezka- aller Nationen wird ein Feld geöffnet, auf wel- nalgesellschaft, um mit Said in Verhandlung zu chem jene Kapitalien, die mit der Schifffahrt um treten. Heute würde man wohl „Lobbyismus“ das Kap nur einmal des Jahres fruchtbringend sagen. Das Vorhaben war erfolgreich. gemacht werden können, eine vierfache Anwen- Bereits 1854 wurde durch Said eine Konzession dung, mithin eine entsprechende Vervielfälti- 36 für den Suezkanalbau samt 99-jähriger Betrei- gung finden werden“ . berkonzession ausgestellt. Dies veranlasste die 1856 wird der Vorschlag Negrellis im Rahmen Suezkanalgesellschaft nun zu neuen, konkreten der „Internationalen Kommission für die Durch-

30 ÖZV 3-4/2019 stechung der Landenge von Suez“ eines schleu- Welthandel kann faktisch nur betrieben werden, senlosen Baus nach intensiven, mehrtägigen wenn der Raum überwunden wird. Der Raum Beratungen des Suezkanals in Paris genehmi- wird in einer bestimmten Zeit überwunden. gt. Daran teil nehmen Vertreter Frankreichs, Während im Personenverkehr der Faktor Zeit Englands, Spaniens, Preußens, Österreichs, Sar- subjektiv bewertet wird39, ist die Zeit im Güter- diniens, Hollands und Ägyptens. Somit gilt Ne- verkehr ein messbares Attribut, das neben der grelli als Planer des Suezkanals. Seit den ersten Zuverlässigkeit direkt in die Kosten einfließt.40 Überlegungen zur Erbauung des Suezkanals wa- Ohne die Verringerung der Entfernungen durch ren immerhin Jahrtausende und seit der ersten den Suezkanalwäre wäre der Welthandel heu- Auseinandersetzung Negrellis immerhin Jahre te ein anderer, zumal Seewege bis dato immer oder Jahrzehnte vergangen. noch entscheidend sind. Dies wird durch die Be- mühungen Chinas unterstrichen, Seewege und Negrelli verstarb allerdings im Oktober 1858, Tiefseehäfen weiter auszubauen, diese zuverläs- also noch vor dem Baubeginn zu seinem Jahr- siger und sicherer zu gestalten - sprich: Unter die hundertwerk. Inzwischen sollte es auf politischer eigene Kontrolle zu bringen.41 und administrativer Ebene immerhin noch einige Schwierigkeiten geben. Der Abschlussbericht mit Die chinesische Seidenstraße, die sowohl Land-, Plänen, Protokollen und Profilen zum Suezkanal als auch den Seewege betrifft und zu welcher der wurde im Dezember 1858 veröffentlicht, ohne Suezkanal gehört, ist heute ähnlich ambitioniert, allerdings den Namen Negrellis zu nennen. Im wie der damalige Bau des Suezkanals: „Die Belt April 1859 wurde mit den Bauarbeiten begonnen and Road Initiative (BRI) zum Beispiel, die China und der Kanal 1869 unter Anwesenheit wichtiger auf dem See- und Landweg mit über 60 Ländern Staatsmänner aus der ganzen Welt und unter Ur- in Asien, Afrika und Europa verbinden soll, führt aufführung von Verdis „Aida“ eröffnet, der seit- schon heute bis zum Duisburger Binnenhafen. her Teil der maritimen Seidenstraße ist. Sie dient vielen Zielen zugleich: Dem Absatz chinesischer Produkte und dem Heranschaffen Tatsächlich gab es in der Folge der Eröffnung Un- der dafür benötigten Rohstoffe, der mit den -Ex stimmigkeiten über die Tatsache, dass Negrellis porterlösen finanzierten weiteren Transformati- Urheberschaft an den Suez-Plänen bewusst oder onen der chinesischen Wirtschaft (Ziel: grün, di- unterbewusst unterschlagen wurde. Fakt ist, dass gital, roboterisiert, hoch-innovativ), dem Aufbau Negrelli in der Folgezeit weitgehend in Verges- moderner Infrastruktur in den Staaten entlang senheit geriet. Im 20. Jahrhundert sollte folglich der Route, der Kundenbindung an chinesische eine nationalistisch bedingte Mythenbildung mit Hersteller, der Verbreitung chinesischer tech- 37 fragwürdigen Schuldzuweisungen aufkommen. nischer Normen und Handelsrechtspraktiken, Neuere Veröffentlichungen, wie etwa das- Por und schließlich: Der Präsenz chinesischer Sicher- trait von Viktor Schützenhofer, welches 1949 heits- und Militärkräfte zum Schutz der Routen in den Blättern für Technikgeschichte in Wien und dem Dialog mit den verknüpften Staaten über ihre Sicherheit und Zusammenarbeit mit erschien, trugen dazu bei, dass Negrelli heute 42 weitgehend ein Begriff ist, obwohl sein Lebens- China“. entwurf immer noch nicht jene Aufmerksamkeit Ähnliche Ziele hatte man wohl damals - im Kon- findet, die man vielleicht erwarten würde. text der damaligen Zeit - Wohl auch beim Bau Negrelli liegt heute am Wiener Zentralfriedhof des Suezkanals. Indes investiert China heute im begraben. Rahmen der maritimen Seidenstraße weiter in Infrastrukturprojekte und in Industrieanlagen in 4. Schlussbetrachtungen der Region Suez.43 In einer zeitgenössischen Publikation schreibt Alois Negrelli auf den Suezkanal zu reduzieren, Tim Marshall: „Afrika ist viel, viel länger, als es greift grundsätzlich zu wenig weit. Negrelli hat in gemeinhin dargestellt wird - weshalb die Um- seiner Zeit als Eisenbahnbauer halb Europa mit fahrung des Kaps der Guten Hoffnung auch eine Eisenbahnlinien durchzogen, die bis heute hin derartige Leistung war und der Suezkanal für den bestehen und Österreich, Mittel- und Osteuropa, Welthandel so wichtig ist. Den Weg um das Kap sowie Oberitalien betreffen. Zudem hat Negrelli gefunden zu haben, war ein bedeutender Fort- mit seinem theoretischen Grundlagenwerk die schritt, doch als er unnötig wurde, verkürzte sich technische Basis geschaffen, damit die Alpen- der Seeweg von Westeuropa nach Indien um fast pässe durch die Eisenbahn erschlossen wurden 4000 Seemeilen“38. Damit wird auch aus heutiger - und in der Folge vielfältiges Entwicklungspoten- Zeit unterstrichen, welche Bedeutung das Werk tial entfalten konnten. Der Bau der Eisenbahnen Negrellis für die Gegenwart und für die Zukunft hat die touristische und wirtschaftliche Erschlie- hat. ßung des Alpenraumes erst möglich gemacht.

ÖZV 3-4/2019 31 Wenn derzeit mit Hochbetrieb am Brennerbasi- über Anwendung von Eisenbahnen in Ge- stunnel samt Zulaufstrecken gearbeitet wird, der birgsländern“, Frauenfeld 1838 Österreich mit Italien verbindet und die histo- rische Brennerbahn für den Fernverkehr obsolet 10. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein macht, dann wird damit nach über 150 Jahren Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- auch die historische Trassierung Alois Negrellis schichte, Springer-Verlag 1949 offiziell für überholt erklärt. 11. Österreichisches Biographisches Lexikon Wer sich allerdings mit dem Pionier-Geist be- 1815-1950, Verlag der Österreichischen Aka- fasst, den Negrelli verkörpert hat und der darauf demie der Wissenschaften, Wien 1999 ausgelegt war, ein vernetztes und effizientes 12. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein Bahnsystem zu schaffen, das besonders auch Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- den Alpenraum erfasst, der wird den Geist Ne- schichte, Springer-Verlag 1949 grellis besonders auch in den aktuellen Investi- tionen im Infrastrukturbereich wiedererkennen. 13. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein Auch 220 Jahre nach Negrellis Geburt. Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- schichte, Springer-Verlag 1949 Quellenverzeichnis: 14. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein 1. Architektenlexikon Wien 1770 - 1945, Archi- Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- tekturzentrum Wien, http://www.architekten- schichte, Springer-Verlag 1949 lexikon.at/, Abruf am 28.08.2019 15. Geschichte der Technik in Graz: „Carl Ritter 2. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein von Ghega“, http://history.tugraz.at/beson- Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- derheiten/groessen_der_technik/ghega.php, schichte, Springer-Verlag 1949 Abruf am 28.08.2019

3. Kurzel-Runtscheiner, Erich: „Alois Negrelli 16. Negrelli, Alois: „Die Eisenbahnen mit Anwen- Ritter von Moldelbe“, Zeitschrift des österrei- dung der gewöhnlichen Dampfwägen als chischen Ingenieur-, Architekten- und Techni- bewegende Kraft über Anhöhen und Was- ker-Vereines, 91. Jahrgang, 1946, Heft 3/4 serscheiden sind ausführbar : ein Vorschlag“, 4. Kurzel-Runtscheiner, Erich: „Alois Negrelli Beck Verlag, Wien 1842 Ritter von Moldelbe“, Zeitschrift des österrei- 17. Negrelli, Alois: „Die Eisenbahnen mit Anwen- chischen Ingenieur-, Architekten- und Techni- dung der gewöhnlichen Dampfwägen als ker-Vereines, 91. Jahrgang, 1946, Heft 3/4 bewegende Kraft über Anhöhen und Was- 5. Marshall, Tim: „Die Macht der Geographie serscheiden sind ausführbar : ein Vorschlag“, - Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten Beck Verlag, Wien 1842 erklären lässt“, dtv Verlagsgesellschaft, Mün- 18. Negrelli, Alois: „Die Eisenbahnen mit Anwen- chen 2015 dung der gewöhnlichen Dampfwägen als 6. Negrelli, Alois: „Ausflug nach Frankreich, bewegende Kraft über Anhöhen und Was- England und Belgien zur Beobachtung der serscheiden sind ausführbar : ein Vorschlag“, dortigen Eisenbahnen, mit einem Anhange Beck Verlag, Wien 1842 über Anwendung von Eisenbahnen in Ge- 19. Kurzel-Runtscheiner, Erich: „Alois Negrelli birgsländern“, Frauenfeld 1838 Ritter von Moldelbe“, Zeitschrift des österrei- 7. Negrelli, Alois: „Ausflug nach Frankreich, chischen Ingenieur-, Architekten- und Techni- England und Belgien zur Beobachtung der ker-Vereines, 91. Jahrgang, 1946, Heft 3/4 dortigen Eisenbahnen, mit einem Anhange 20. Kupka. Peter Friedrich: „Die Eisenbahnen Ös- über Anwendung von Eisenbahnen in Ge- terreich - Ungarns 1822 - 1867“, Duncker & birgsländern“, Frauenfeld 1838 Humblot, Leipzig 1888

8. Negrelli, Alois: „Ausflug nach Frankreich, 21. Österreichisches Biographisches Lexikon England und Belgien zur Beobachtung der 1815-1950, Verlag der Österreichischen Aka- dortigen Eisenbahnen, mit einem Anhange demie der Wissenschaften, Wien 1999 über Anwendung von Eisenbahnen in Ge- birgsländern“, Frauenfeld 1838 22. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- 9. Negrelli, Alois: „Ausflug nach Frankreich, schichte, Springer-Verlag 1949 England und Belgien zur Beobachtung der dortigen Eisenbahnen, mit einem Anhange

32 ÖZV 3-4/2019 23. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein 35. Negrelli, Alois: „Die gegenwärtigen Transport- Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- und Kommunikationsmittel Egyptens mit Be- schichte, Springer-Verlag 1949 ziehung auf die beantragte Durchstechung der Landenge von Suez“, Wochenschrift Aus- 24. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein tria, Jahrgang 1856, Heft 17 Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- schichte, Springer-Verlag 1949 36. Negrelli, Alois: „Die gegenwärtigen Transport- und Kommunikationsmittel Egyptens mit Be- 25. Bergmeister, Konrad: „Der BBT - Schienen- ziehung auf die beantragte Durchstechung weg in die Zukunft“ in „150 Jahre Brenner- der Landenge von Suez“, Wochenschrift Aus- bahn“, Athesia Verlag, Bozen 2017 tria, Jahrgang 1856, Heft 17

26. Bergmeister, Konrad: „Der BBT - Schienen- 37. Negrelli-Moldelbe, Nikolaus: „Die Lüge von weg in die Zukunft“ in „150 Jahre Brenner- Suez - Der Lebenskampf des deutschen In- bahn“, Athesia Verlag, Bozen 2017 genieurs Alois von Negrelli“, Vorwerk-Verlag, Darmstadt/ Berlin 1942 27. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- 38. Marshall, Tim: „Die Macht der Geographie schichte, Springer-Verlag 1949 - Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt“, dtv Verlagsgesellschaft, Mün- 28. Schützenhofer, Viktor: „Alois Negrelli, sein chen 2015 Leben und sein Werk“, Blätter für Technikge- schichte, Springer-Verlag 1949 39. Knoflacher, Hermann: „Grundlagen der Ver- kehrs- und Siedlungsplanung - Verkehrspla- 29. Kurzel-Runtscheiner, Erich: „Alois Negrelli nung“, Böhlau-Verlag, Wien 2007 Ritter von Moldelbe“, Zeitschrift des österrei- chischen Ingenieur-, Architekten- und Techni- 40. Demanega, Michael: „Verkehrsplanung im ker-Vereines, 91. Jahrgang, 1946, Heft 3/4 Spannungsfeld zwischen Erreichbarkeit und Nachhaltigkeit - Leistungsfähigkeit der 30. Kurzel-Runtscheiner, Erich: „Alois Negrelli Verkehrswertanalyse bei strategischen Ent- Ritter von Moldelbe“, Zeitschrift des österrei- scheidungen im Verkehr am Beispiel Südtiro- chischen Ingenieur-, Architekten- und Techni- ls“, Technische Universität Wien, Wien 2017 ker-Vereines, 91. Jahrgang, 1946, Heft 3/4 41. Oermann, Nils Ole & Wolff Hans-Jürgen: 31. Negrelli, Alois: „Die gegenwärtigen Transport- „Wirtschaftskriege - Geschichte und Gegen- und Kommunikationsmittel Egyptens mit Be- wart“, Herder Verlag, Freiburg 2019 ziehung auf die beantragte Durchstechung der Landenge von Suez“, Wochenschrift Aus- 42. Oermann, Nils Ole & Wolff Hans-Jürgen: tria, Jahrgang 1856, Heft 17 „Wirtschaftskriege - Geschichte und Gegen- wart“, Herder Verlag, Freiburg 2019 32. Österreichische Nationalbibliothek - Karten- sammlung, https://www.onb.ac.at, Abruf am 43. Deutchlandfunk Digital, https://www. 29.08.2019 deutschlandfunk.de/industriepark-am-roten- meer-die-erste-chinesische-stadt-in.799. 33. Negrelli, Alois: „Die gegenwärtigen Transport- de.html?dram:article_id=386674, Abruf am und Kommunikationsmittel Egyptens mit Be- 28.08.2019 ziehung auf die beantragte Durchstechung der Landenge von Suez“, Wochenschrift Aus- tria, Jahrgang 1856, Heft 17

34. Negrelli, Alois: „Die gegenwärtigen Transport- und Kommunikationsmittel Egyptens mit Be- ziehung auf die beantragte Durchstechung der Landenge von Suez“, Wochenschrift Aus- tria, Jahrgang 1856, Heft 17

ÖZV 3-4/2019 33 34 ÖZV 3-4/2019 Ein Sektor sucht 8 Mio Tonnen CO2 Schaffen wir die Klimawende im Verkehr? Johannes KEHRER

Dieser Frage widmete sich die Österreichische „Je länger wir warten, umso schneller muss es Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft (ÖVG) im dann gehen.“ Rahmen eines Symposiums im Wiener Notarion. In sechs Themenblöcken hinterfragten hoch- Andreas MATTHÄ, ÖVG-Präsident & ÖBB-CEO karätige Vertreter von Verkehrsunternehmen, Besonders der Verkehrssektor mit 22,9 Mio. Ton- Wissenschaft und Politik zunächst die Ziele und nen CO -äquivalenten Emissionen im Jahr 2016 zeichneten Zukunftsbilder für Maßnahmen auf 2 in Österreich ist bereits der zweitgrößte Sektor, den Handlungsebenen Vermeidung, Verlagerung noch dazu der einzige mit stetig wachsenden und Verbesserung von Verkehr. Sechs Zitate bil- Emissionen. Doch die Zeit drängt: Mit der Beibe- den den Roten Faden durch die Erkenntnisse der haltung unseres derzeitigen Ausstoßes, ist unser Fachdiskussion. CO2 -Budget aus fossilen Energieträgern in 12 „Das Erreichen der Ziele ist alternativlos.“ Jahren ausgeschöpft. Es ist daher nicht nur wich- tig, dass Maßnahmen gesetzt werden, sondern Günter LICHTBLAU, Umweltbundesamt auch wann. Bis 2030 sind die Emissionen aus dem Sektor Verkehr um ein Drittel zu senken, bis Die Klimakrise, das Destabilisieren des hoch- 2050 soll der gesamte Sektor CO2-neutral betrie- komplexen Systems Klima durch die mensch- ben werden. liche Hand, deren Auswirkungen vollständig vor- herzusehen unsere Fähigkeiten überschreitet, „Im Verkehrssektor müssen wir alle möglichen ist die Herausforderung unserer Zeit. Sogar die Maßnahmen ergreifen.“ selbst gesetzten Ziele, deren Einhaltung manch- mal utopisch erscheint, sind nicht mehr als An- Sylvia LEODOLTER, Arbeiterkammer Wien haltspunkte. Werte, die die Richtung vorgeben, Sowohl bei der Verkehrsvermeidung und -ver- deren Erreichen jedoch nur ein Etappenziel sein lagerung als auch der -verbesserung. Dort wo kann, wenn man die immer neuen Erkenntnisse Entscheidungen getroffen und Innovationen berücksichtigt, die im Verlauf der Klimakrise be- entwickelt werden können, die einen Beitrag zur kanntwerden.

Podiumsteilnehmer: Hans-Jürgen SALMHOFER, Günter LICHTBLAU, Andreas MATTHÄ, Andreas BABLER, Johannes STANGL (v.l.n.r.)

ÖZV 3-4/2019 35 Reduktion der Treibhausgasemissionen leisten, in der Gesetzgebung. Gerade in Fragen wie die- müssen diese Potentiale genutzt werden. Die ser, wo das Optimum für den einzelnen Nutzer Zielsetzung und ihr Zeithorizont machen es er- den dem Systemoptimum widersprechen, ist die forderlich, an allen Fronten anzusetzen. Politik gefordert, mutig und entschlossen den Rahmen zu setzen, in dem Menschen die rich- „Es bedarf der gesamtheitlichen Bewertung von tigen Entscheidungen im Sinne der Allgemein- CO2-Bilanzen über den Lebenszyklus.“ heit treffen. Das betrifft sowohl die Bereitstel- Christian MARTIN, AVL List lung und Aufteilung der finanziellen Mittel als auch die Gestaltung des gesetzlichen Rahmens. Die Fakten liegen am Tisch – tun sie das wirklich? Dabei braucht es einen Schulterschluss, sowohl Um effektiv zu agieren, braucht es eine objektive über Parteigrenzen aber auch über Entschei- und vor allem gesamtheitliche Betrachtung der dungsebenen hinaus. Öffentliche Förderungen Ökobilanzen von Maßnahmen und Systemen. klimaschädlichen Verhaltens sind zu unterbin- Beispielsweise wird gerade im Verkehrssektor den und Infrastrukturprojekte, deren Betrieb hauptsächlich der Betrieb erhoben. Aber auch dem Klimaschutz diametral widersprechen, zu die Errichtung, Instandhaltung und letztlich der verwerfen. Abbruch von Infrastrukturen wie auch Fahrzeu- gen ist zu berücksichtigen. Genauso wenig ist es „Wir alle müssen in unserem Wirkungskreis un- zielführend, Verkehrsträger wie die Luftfahrt aus sere Verantwortung wahrnehmen.“ diversen Betrachtungen auszunehmen, nur weil Andreas BABLER, Bürgermeister Traiskirchen eine Zuordnung mitunter nicht eindeutig ist. Die gesamte Gesellschaft, jeder und jede Ein- „Bei 80 km/h ist der Straßenverkehr am effizi- zelne, wird in Zukunft im Rahmen seiner Mög- entesten.“ lichkeiten und eigenen Verantwortung einen Michael HABERL, TU Graz Beitrag leisten müssen, die Klimaschutzziele zu erreichen und die Klimakrise zu entschärfen. Das Eine Reduktion des Tempolimits, eine äußerst ef- reicht von der Bewusstseinsbildung im Rahmen fektive Maßnahme zur Reduktion der Treibhaus- von Fridays4Future, der Implementierung klima- gasemissionen, das weder gesellschaftlich nega- freundliche Technologien in Wirtschaftsbetrie- tive Auswirkungen hat noch große Kosten in der ben bis hin zum Treffen klimagerechter Entschei- Umsetzung erfordert, fordert eine klare Haltung dungen in der Gesetzgebung.

36 ÖZV 3-4/2019 Müssen Großprojekte scheitern? Erfolgsfaktoren und Risiken Karl Johann HArtIG

Am 5. November 2019 haben im Rahmen des bahnhof Wien, Flughafen Wien, Durchmesserli- ÖVG-Forums: „Müssen Großprojekte schei- nie Zürich und der Regionaltangente West – ei- tern? – Erfolgsfaktoren und Risiken“ Projektlei- ner neuen Tangentialstrecke im Ballungsraum ter aus dem Bereich Verkehrsinfrastruktur aus Frankfurt –, bei denen v.a. die Thematik der Deutschland, der Schweiz und Österreich ihre Planung und des Baus von Infrastruktur-Groß- Erfahrungen mit knapp 100 Teilnehmern geteilt. projekten in Ballungsräumen und deren beson- Vorgestellt wurden die im Bau befindlichen ös- dere Herausforderungen erörtert und sowohl terreichischen Tunnelprojekte Brenner, Sem- aus Bauherrensicht als auch aus Sicht der Auf- mering sowie Koralm inklusive dem gesamten tragnehmer betrachtet wurden, kam auch noch Südbahnausbau und deren Schwierigkeiten mit die schwierige Errichtung der 380-kV-Leitung im ihren Problemlösungen. Peter Vetsch vom NEAT- Bundesland Salzburg und die Rolle des neu ein- Komitee berichtete über die beiden erfolgreich gerichteten Standortanwalts zur Sprache. Ale- in Betrieb genommenen Alpenquerungen Gott- xander Biach, der Wiener Standortanwalt stellte hard und Löschberg an deren Beginn eine posi- seine ersten Projekte und Erfahrungen vor. Mit tive Volksabstimmung stand. der Standortanwaltschaft sollte ein Instrument geschaffen werden, das öffentliche Interessen Manfred Leger, der Projektleiter der DB für das wie Energieversorgung, Arbeitsplatzsicherung Großprojekt Stuttgart-Ulm, das auch den um- oder Steueraufkommen und die Interessen strittenen Abschnitt Stuttgart21 enthält, konnte der Wirtschaft in Genehmigungsverfahren und über Projektfortschritte berichten. Auch der Au- Umweltverträglichkeitsprüfungen besser zur tobahnbau kam an Hand des in bereits Betrieb Geltung kommen lässt. Zum Schluss wies Prof. befindlichen Abschnitts Schrick – Poysbrunn der Siegfried Maengel von der ehemaligen Planungs- A5-Weinviertel Autobahn nicht zu kurz. Wegen gesellschaft Deutsche Einheit darauf hin, dass der Belastung der Ortsdurchfahrten wurde die- auch der rechtliche Rahmen zur Umsetzung von ser Autobahnabschnitt von der Bevölkerung sehr Großprojekten passen muss. begrüßt. Nach Darstellungen der Projekte Haupt-

Abbildung 1: Semmeringbasistunnel: Trassenauswahlverfahren mit Bügerbeteiligung (Quelle: ÖBB-Infrastruktur AG)

ÖZV 3-4/2019 37 Grundsätzliches Resümee der Forumsteilneh- mer war, dass Projektleitungen für Großpro- jekte mit ausreichendem Sachverstand und Projekterfahrung ausgestattet werden müs- sen und möglichst autonom und ohne unre- alistische (politische) Zielvorgaben agieren sollten. Großprojekte benötigen wegen ihrer Lang-fristigkeit ein Umfeld, in dem die- Kon gruenz zwischen Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz umfassend und nachhaltig gewährleistet ist. Die Komplexität des jewei- ligen Projektes bestimmt Führungsstrukturen, Organisations- und Steuerungsmodelle, ein ganzheitlicher Führungsstil ist im Projektma- nagement erforderlich. Die im Projekt vor- handene Expertise soll flexibles Reagieren auf alle auftretenden Probleme ermöglichen ohne die langfristigen Projektziele aus dem Auge zu verlieren. Teamgeist und Begeiste- rung der einzelnen Personen für das jeweilige Projekt sind weitere Voraussetzungen für das Gelingen.

Abbildung 2: A5 Nordautobahn: Abschnitt Schrick-Poysbrunn (Quelle: ASFINAG)

38 ÖZV 3-4/2019 Logistik News

Der jahrzehntelang durch die Sparte Industrie le) und Holz die bedeutendste Rolle spielen. Der der Wirtschaftskammer Österreich, die Bundes- Containerterminal ist der nach Umschlag größte vereinigung Logistik Österreich und die Österrei- an der Adria und der Autoterminal der größte im chische Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft ganzen Mittelmeerraum. 2018 betrug der- Ge veranstaltete Vortragszyklus „Verkehrsinfra- samtumschlag bei Containern 988.500 TEU und struktur“ hat im Frühjahr 2019 seinen langjäh- der Kfzg. - Umschlag 754.400 Einheiten. Insge- rigen Veranstaltungsort im Haus der Kaufmann- samt wurden 2018 24 Mill. t im Hafen Koper um- schaft am Wiener Schwarzenbergplatz verloren, geschlagen. Das Areal des Hafens umfasst 280 weil die Wirtschaftkammer Wien ihren dortigen ha, die seeschifftiefen Kais haben 3,6 km Länge Standort aufgegeben hat und alle ihre Aktivi- und bieten 26 Liegeplätze für Überseeschiffe. täten in einem Neubau, dem Haus der Wiener Die Landanbindung ist modern für den Straßen- Wirtschaft am Praterstern in Wien II, konzen- zulauf und der Hafen bietet für den Bahnverkehr triert hat. Dieser Neubau war aber nicht zeit- 35 km Bahngleise zu den entsprechenden Kais, gerecht fertig, so dass sich eine Unterbrechung Lagerhäusern und Lagerplätzen. im Vortragszyklus „Verkehrsinfrastruktur“ bis in Weltverkehrsmäßig hat Koper eine günstige den Spätherbst ergeben hat. Die Fortsetzung Lage für den Verkehr über den Suezkanal zu den erfolgte am 6. November 2019 mit dem Vor- aufstrebenden Wirtschaftszonen im Nahen und trag „Nachhaltige und wettbewerbsfähige Ver- Mittleren Osten, in Süd- und Ostasien und in kehrswege von Österreich zum Hafen Koper“, dieser Verkehrsrelation meint man auch mit kür- welchen der neu bestellte Market Manager Aus- zeren Reiselängen und Reisezeiten, damit auch tria des Hafens Koper, Herr Miha Kalcic, MBA weniger Treibhausgas - Emissionen zu punkten, abgehalten hat. vor allem im Vergleich zu den in Europa domi- Der Hafen Koper war ursprünglich relativ unbe- nanten Nordseehäfen, alles besonders bezogen deutend, weil er seit dem Hochmittelalter als auf Zentraleuropa. das venezianische Capodistria im Konkurrenz- Koper versteht sich ausdrücklich als Mehr- schatten des seit 1382 habsburgischen Triest zweckhafen. Neben den bereits erwähnten Um- gestanden ist mit dessen Hinterland der habs- schlagsanlagen für Container und Kraftfahrzeuge burgischen Erbländer und der in der Merkantil- stehen die Anlagen für den Massengutumschlag, zeit massiven Förderung der Kaiser und Triest im insbesondere Erz und Kohle, sowie Alumini- 19. Jahrhundert schließlich zum größten Hafen umoxyd (Tonerde) im Vordergrund. Die VÖEST des Mittelmeers aufgestiegen ist. Auch als nach Alpine ist Hafenkunde in Koper, insbesondere Ende des 1. Weltkriegs sowohl Triest, wie auch bei Eisenerzimporten für Donawitz. Kohle wird ganz Istrien samt dem heutigen Koper Italien für Kraftwerke in Italien umgeschlagen. Rund 1 einverleibt wurde, verlor nicht nur das am Rande Mill. Festmeter Holz pro Jahr, hauptsächlich im Italiens gelegene Triest laufend an Bedeutung, Export aus Österreich, laufen über den Hafen erst recht aber Istrien. Nach dem 2. Weltkrieg Koper, ebenso Papier, Zellulose, Zucker. Getrei- wurde Istrien, damit auch Koper, dem unter de wird umgeschlagen auf den entsprechenden Tito neu geformten Jugoslawien zugeschlagen: Spezialanlagen und insbesondere auch Soya und Dieses Jugoslawien unter Tito erhielt eine föde- andere Futtermittel im Import. Es gibt Anlagen rale Struktur, Slowenien war ein Teilstaat davon für Flüssigprodukte, insbesondere Mineralölde- mit gewissen eigenständigen Rechten. Man be- rivate, Chemikalien und auch Pflanzenöle. Die gann nun in Slowenien einen eigenen Übersee- im Flughafen Wien benötigten Mengen Kerosin, hafen anzustreben, möglicherweise auch im Ge- soweit diese nicht die Raffinerie Schwechat lie- gensatz zum in Jugoslawien dominanten Hafen fern kann, kommen aus Katar über den Hafen Rijeka. Dieser neue Hafen sollte ab 1955 Koper Koper. Verderbliche Lebensmittel werden eben- werden. 1957 wurde mit „Luka Koper“ eine als so behandelt, wie Stückgüter aller Art, wobei Aktiengesellschaft eingerichtete Hafengesell- letztere oft im Hafen erst im ausgehenden Ver- schaft errichtet, die eine Konzession bis 2043 kehr in Container gepackt werden (2018 waren erhielt und nach und nach die neue, moder- es 225.00 TEU). Projektladungen, also Groß- ne Infrastruktur des Hafens Koper geschaffen maschinen und große Konstruktionsteile, sind hat. Inzwischen ist „Luka Koper“ mit 1.600 Be- gleichsam tägliches Umschlagsgut. Schließlich ist schäftigten auch die Betreibergesellschaft der als Besonderheit zu vermerken, dass der Hafen 12 spezialisierten Hafenterminals, unter denen Koper eingerichtet ist für Lebendvieh, insbeson- der Container- und Autoterminal neben den dere Rinder und Schafe, welche im Export in die Umschlagsanlagen für Massengüter (Erz, Koh- arabischen Länder gehen.

ÖZV 3-4/2019 39 Unter den Hafenmärkten im europäischen Hinter- Umschlag, aber auch um bedeutende zusätz- land dominiert Österreich mit einem Anteil von 7 liche Abstellflächen der Kraftfahrzeuge vor deren Mill. t am jährlichen Gesamtumschlag des Hafens Weitertransport zu Lande. Für die Verladung der Koper von 24 Mill. t, wobei hier praktisch alle in Kraftfahrzeuge zum Weitertransport per Bahn Koper umgeschlagenen Güter vorkommen. Bei werden zusätzliche Ladegeleise geschaffen. Für Containern ist Koper für Österreich mit rd. 220.000 den Straßentransport wird eine zusätzliche Ha- TEU im Jahr 2018 nach Hamburg der zweitwich- fenzufahrt errichtet. tigste Umschlaghafen, wobei das Österreichgut Wie alle großen Häfen, ist man auch in Koper be- hauptsächlich im Export anfällt, während die üb- strebt, den Bahnverkehr als Hinterlandsverbin- rigen Hinterlandstaaten beim Containerverkehr dung zu forcieren, insbesondere bei Containern, importlastig sind. Die österreichischen Exporte Massengut, aber auch bei Kraftfahrzeugen. Hier schaffen daher einen Ausgleich für die kostenmä- sind effiziente Hinterlandsverbindungen nötig. ßig so wichtige Herstellung einer Paarigkeit der Gegenwärtig verkehren täglich im Verkehr von Verkehrsströme. Weitere wichtige Hinterlands- und nach Österreich 30 Züge. Die Abgangs- bzw. märkte für Koper sind Ungarn und die Slowakei, Zielorte in Österreich sind die Häfen Linz, Enns, wobei im Containerverkehr dieser beiden Staa- Krems und Wien/Freudenau, die Terminals in ten Koper dominiert mit Anteilen von jeweils 60 Graz/Werndorf, Fürnitz bei Villach, Kapfenberg - 70 %. Ausbauen möchte Koper seine Bedeutung und die VOEST Alpine in Donawitz beim Erzver- als Überseehafen für Tschechien, Polen und Süd- kehr. Regelmäßigen Bahnverkehr gibt es im slo- deutschland, wobei beim Container der Verkehr wenischen Inland nach Ljubljana und Maribor, von und nach Ostasien im Vordergrund steht, aber nach Zagreb und Belgrad, in Ungarn nach Bu- auch Kraftfahrzeuge und Stückgut eine Rolle spie- dapest, nach Arad in Rumänien, in die Slowakei len. Der Kohleumschlag für Italien wurde bereits nach Bratislava, Dunajska Streda, Zilina und Ko- erwähnt und neben dem Heimatmarkt Slowenien sice und nach Paskov und Ostrava in Tschechien. bemüht man sich um Umschlagsgut im benachbar- Auch nach München in Bayern und Padova in Ita- ten Kroatien und Bosnien. lien gibt es regelmäßigen Bahnverkehr. Betrachtet man den durch Österreich generierten Der für Koper so wichtige Eisenbahnverkehr Überseeverkehr von rd. 20 Mill. t im Jahr 2018, hat ein großes kapazitives Handicap. Ursprüng- so hat Koper daran einen Anteil von 38 %, gefolgt lich hatte Koper keinen Bahnanschluss. Ein sol- von Antwerpen mit 20 %, Rotterdam mit 17 % und cher wurde vor einigen Jahrzehnten hergestellt Hamburg mit 16 %. Es wird hier der Erdölimport an eine im Inneren Istriens verlaufende Neben- über Triest ausgeschlossen, der ja ein Geschäfts- bahn, die an die alte Südbahn anschließt und feld für sich ist. zwar in der Station Divaca. Hier gibt es einen Der Hafen Koper investiert weiter in seine Anlagen, großen Höhenunterschied zwischen der Bahn- wobei für die nächsten Jahre an Mitteln 300 Mill. € strecke im Inneren Istriens, eben in Divaca, und vorgesehen sind. Die Anlagen für den Containe- dem Meeresniveau in Koper. Deshalb hat die rumschlag mit einer derzeitigen seeseitigen Kailän- Bahnstrecke Koper - Divaca eine beträchtliche ge von 4oo m werden um 100 m verlängert und die Steigung, die wiederum die zulässige Zuglast be- Wassertiefe wird auf 15 m gebracht, auch in den trächtlich einschränkt. Die Zukunft des Bahnver- Teilen, wo derzeit 11 m Tiefe vorhanden sind. Die kehrs liegt bei langen, schweren Zügen. Solche gegenwärtige Kranausrüstung, darunter 2 Kräne, Zugslängen sollten wenigstens 700 m betragen, welche Schiffe mit einer Ladefähigkeit von 14.000 die Nettolast der Züge wenigstens bei 3.000 t TEU behandeln können, wird ergänzt um weitere 2 liegen. Die großen Häfen an der Nordsee haben Super Post Panamax Kräne, die dann auch Schiffe Hinterlandsverbindungen, die durchwegs die- bis zu einer Ladefähigkeit von 22.00 TEU bearbeiten se technischen Bedingungen erfüllen, weil sie können. Auf absehbare Zeit sind sicher keine grö- großteils Flachlandstrecken sind. Bei der Über- ßeren Containerschiffe in der nördlichen Adria zu querung der Alpen sind die topographischen erwarten. Wichtige Häfen dieser Region, wie Vene- Verhältnisse schwieriger, doch ist man dabei, dig und Rijeka, können Schiffe dieser Größe über- diese durch Kunstbauten, wie lange Tunnels, zu haupt nicht empfangen. Die jetzt unternommenen überwinden. Für Koper entsteht hinsichtlich des Erweiterungen der Containeranlagen bieten eine Hinterlandes und dessen Bahnerschließung eine Umschlagskapazität von 1,5 Mill TEU pro Jahr, also Verbesserung der Situation durch Eisenbahn- 50 % mehr als der aktuelle Jahresumschlag. An der Großbauten, vor allem dem Semmering - Basi- Nordseite der jetzigen Containeranlage kann man stunnel, aber auch der Koralmbahn. Es werden später eine zusätzliche Kailänge von weiteren 400 quer durch die Alpen neue Bahnen mit Flach- m schaffen. Die Erweiterung der Containeranla- bahn - Charakter geschaffen mit allen Chancen, ge wird 235 Mill. € kosten. Auch die Anlagen für auch für einen konkurrenzfähigen Bahngüterver- den Auto - Umschlag werden erweitert. Hier geht kehr mit langen und schweren Zügen. Hier muss es vor allem um zusätzliche Flächen für den Ro Ro Koper den Anschluss finden auf der kleinen Di-

40 ÖZV 3-4/2019 stanz zwischen dem Meeresniveau am Hafen und Hier wird festgestellt, dass die Aktiengesellschaft Divaca im Bergland Istriens. Man hat bereits eine „Luka Koper“ zu 51 % dem Staat Slowenien ge- neue Bahnstrecke für diese Distanz geplant, wel- hört und die restlichen Gesellschaftsanteile in che die bestehende Bahn modern ergänzen soll, den Händen diverser ausländischer Investment- mit mäßigen Steigungen und weiten Kurven. Die fonds sind, jedenfalls gibt es keine Anteile in chi- neue Strecke wird zu großen Teilen in Tunnels ver- nesischer Hand. Auch hat die Republik Slowenien laufen, was den Bau naturgemäß teuer macht. Die kein Abkommen mit China innerhalb der Seiden- Strecke wird durch die Slowenische Staatsbahn er- straßen-Initiative abgeschlossen, wie etwa Grie- richtet und soll 2025 fertig sein. Damit erschließt chenland, Serbien und Ungarn. sich für Koper eine neue Zukunft ! Eine abschließende Frage betraf den Streit zwi- Die Diskussion nach dem Vortrag beschäftigte sich schen Slowenien und Kroatien über die genaue mit den Plänen zur Erweiterung des Hafens. Eine Lage der Seegrenze nördlich der istrianischen solche ist weiter möglich nach Norden und Osten, Nordküste, also den Seezugang zum Hafen Ko- wobei das gegenwärtige Hafenareal von 280 ha per. Herr Kalcic klärte auf, dass dabei in erster auf 420 ha ausgedehnt werden kann. Für diese Linie die Interessen der Fischerei betroffen wä- Zukunft benötigt man jedenfalls auch den neuen ren, während der Zugang zum Hafen Koper für Bahnzugang mit geringen Steigungen. Die Hinter- die Hochseeschiffe in einem nach Norden ausho- landstransporte müssen wenigstens zu 60 % auf lenden Bogen innerhalb unstrittig slowenischer der Schiene abgewickelt werden. Man wird auch Gewässer verläuft. weitere Abstellflächen brauchen sowohl für Con- Der Vortragsabend brachte viel an detaillierter tainer (gegenwärtig Platz für 15.000 TEU -im Ha Information über den Hafen Koper, der mengen- fen), wie für Kraftfahrzeuge. mäßig mit Abstand führend ist im für Österreich Die alte Frage wird behandelt, inwieweit es eine bestimmten Überseeverkehr, Informationen, die Zusammenarbeit der Häfen der nördlichen Adria schon viel früher fällig gewesen wären, aber we- gibt oder eine solche wünschenswert wäre. Seit gen der personellen Wechsel in der Hafenvertre- langer Zeit strebt Triest derartige Absprachen an, tung von Koper in Österreich erst jetzt verfügbar aber, wie auch Herr Kalcic bestätigt, solche kartell- gemacht worden sind. artige Konstruktionen gibt es nicht und sie wären auch EU - rechtswidrig. Allgegenwärtig ist auch die Frage nach den chinesischen Initiativen inner- Dr. Karl Frohner halb der so genannten Maritimen Seidenstrasse.

ÖZV 3-4/2019 41 42 ÖZV 3-4/2019 Wir stellen vor

Neues aus der Eisenbahn-Kurier-Verlag GmbH, In Band 1 finden sich eine allgemeine Darstellung Lörracher Straße 16, D - 79115 Freiburg/Breis- der Entwicklung des Eifeler Bahnnetzes sowie die gau, [email protected]; detaillierte Geschichte der Eifelbahn Köln - Trier, www.eisenbahn-kurier.de der Vennbahn Aachen/Stolberg - Ulflingen sowie die Querverbindungen zwischen beiden von Ge- rolstein und Jünkerath aus. Ebenso findet sich Alte Meister der Eisenbahnphotographie: Peter hier die Entwicklung von zwei großen Bahnbe- Willen triebswerken der Eifel. Bernhard WILLEN Das vorliegende Werk umfasst 224 Seiten sowie 270 Abbildungen. Einer der bekanntesten Schweizer Eisenbahnfoto- grafen ist zweifellos ohne Peter Willen. Im Jahre 1947 - im „zarten Alter“ von 15 Jahren - begann er Züge im Morgenlicht! mit der Eisenbahnfotografie. Zunächst waren es die Schweizer Eisenbahnen und Straßenbahnen, Andreas KNIPPING die er auf Celluloid verewigte. Doch schon bald wurde auch das nahe Ausland besucht, als die Auf den unersetzlichen und vielfach unsterblich Dampftraktion dort noch zum Alltag gehörte. Ab schönen Aufnahmen von Carl Bellingrodt aus der Ende der fünfziger Jahre bereiste er schließlich Zwischenkriegszeit begegnet uns nach fast einem alle Kontinente dieser Erde. Jahrhundert ein längst versunkenes Deutschland mit seinen von Bombenkrieg und Modernisie- Seine Vielfältigkeit bei den Eisen bahnen und sei- rung noch nicht getroffenen Dörfern und Städ- ne Veröffentlichungen machten Peter Willen bald ten, seinen bis zum letzten Meter ausgenutzten im In- und im Ausland in der Eisenbahnfotografie- Gemüsegärten beiderseits der Bahndämme, sei- Szene bekannt. Ab dem Jahre 1970 war er auch nen Alleen und seinen Feldwegen. als Autor tätig und veröffentlichte mehrere- Ti tel. Seine letzten Veröffentlichungen erschienen Der Altmeister der Eisenbahnfotografie hat es beim EK-Verlag. verstanden, diese Welt mit seiner Ka-mera ein- zufangen; im einmalig schönen Morgenlicht, das Das neue Buch in der Reihe „Alte Meister der den Aufnahmen ihren besonderen Reiz verleiht. Eisenbahn-Photographie“ erlaubt ei-nen Blick in EK-Autor Andreas Knipping entlockt den Aufnah- das umfangreiche Schaffen von Peter Willen. men sowohl technische Informationen wie auch Erzählungen aus einer fernen Zeit. Das vorliegende Werk umfasst 144 Seiten mit 174 Abbildungen. Das vorliegende Werk umfasst 160 Seiten sowie 211 Abbildungen.

Eisenbahnchronik Eifel. Band 1: Die Eifelbahn Köln - Trier und die Vennbahn Zeitschrift: EK-Aspekte DB-Lokomotiven und Triebwagen 2019 Klaus KEMP Jedes Jahr präsentiert der EK-Verlag die kom- Die Eifel ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges, pletten Bestands- und Beheimatungs-listen der im Osten begrenzt durch den Rhein und im Süden DB-Triebfahrzeuge zum Stichtag 1. Juli. durch die Mosel. Im Westen geht sie in die Ar- dennen über, die bereits zu Belgien gehören. Im Geordnet nach Baureihen sind hier alle zu diesem Norden fällt sie entlang einer Linie Aachen - Bonn Datum bei der DB im Bestand befindlichen Loko- ab und geht in die Niederrheinische Bucht über. motiven und Triebwagen (eigene und angemie- Ab dem Jahre 1815 gehörte die Region Reiches tete) mit ihren jeweiligen Heimatdienststellen war für die neuen Herren nur aus militärischen aufgelistet. Der einleitende Text informiert über Gründen von Interesse. Mit der Gründung des die Veränderungen auf dem Triebfahrzeugsektor Deutschen Reiches 1871 entstanden viele Eisen- seit der letzten Ausgabe. bahnlinien, die vorrangig strategischen Zwecken dienten. Zahlreiche halbseitige Aufnahmen aus dem DB- Betrieb der letzten 12 Monate runden jede Aus- gabe ab.

ÖZV 3-4/2019 43 Die V 160-Familie - Band 3. Die Serienlokomoti- Der Autor zeichnet in Band 1 des neuen Baurei- ven der Baureihe 218 henporträts die vielschichtige Ge-schichte dieser unscheinbaren, jedoch überaus robusten und Josef HÖGEMANN, Roland HERTWIG, Peter langlebigen Rangier-diesellokomotiven von de- GROßE ren Indienststellungen bis zur Gründung der DB Die Dieselloks der Baureihe 218 aus der V AG am 1. Januar 1994 nach. Auch der Umbau in 160-Familie ist auch nach gut vier Ein-satzjahr- funkferngesteuerte Rangierloks der Baurei-hen zehnten bei der DB AG bis heute unverzichtbar, 364/365 wird dokumentiert. In zahlreichen, teil- auch wenn sich ihre Reihen in den letzten Jahren weise bisher nicht veröffentlichten Aufnahmen bereits deutlich gelichtet haben. Zwar sind die wird das ganze Einsatzspektrum der V 60 bei der Einsätze der 218 bei DB Regio stark rückläufig, Deutschen Bundesbahn überaus detailliert dar- doch zahlreiche Maschinen haben dafür in an- gestellt. deren Bereichen neue Aufgaben gefunden, u.a. Das vorliegende Werk umfasst 352 Seiten sowie als ICE-Abschlepploks bei DB Fernverkehr, im 478 Abbildungen. Sylt-Shuttle-Verkehr von DB Auto Zug, im bun- desweiten Bauzugdienst und vieles mehr. Damit sind die Einsätze heute ausgesprochen vielfältig. Inzwischen haben eine Anzahl dieser Maschinen Zeitschrift: EK-Special Köf III bei Privatbahnen ein neues Zuhause oder wer- Ende der fünfziger Jahre standen bei der DB über den gar als Museumsloks erhalten. 1.000 Kleinlokomotiven der Leis-tungsklassen I Der abschließende Band der Trilogie widmet sich und II im Dienst. Trotzdem bestand ein hoher Be- ausschließlich der Baureihe 218, die den tech- darf an leistungsfähigeren Rangierlokomotiven, nischen Höhepunkt der erfolgreichen V 160-Fa- weshalb das BZA München gemeinsam mit der milie darstellt. Der neue Band zeigt auch, dass Firma Gmeinder eine neue Kleinlok-Generation nicht alle Serienlokomotiven identisch waren, entwickelte. Ab dem Jahre 1959 erprobte die DB sondern zwischen den Baureihenserien etliche acht Prototyplokomotiven, denen über 300 Seri- Unterschiede auftraten. Mit weit über 600 Foto- enmaschinen folgen sollten. Die als Köf 11 und grafien, Skizzen und Zeichnungen ist das Baurei- ab 1968 als Baureihe 332 bekannt gewordene hen-Buch eine umfassende Dokumentation, die Konstruktion bewährte sich und ihre Aufgaben kaum eine Frage zur Baureihe 218 unbeantwor- zeigten sich abwechslungsreich: So reichte der tet lässt. Dienst vom Werkverschub in den Ausbesserungs- werken über den Zustelldienst in den Personen- Das vorliegende Werk umfasst 424 Seiten sowie bahnhöfen, die Bedienung kleinster Gütertarif- 642 Abbildungen. punkte, bis hin zur Beförderung von Reisezügen auf Nebenbahnen. Ab dem jahre 1968 folgten noch einmal 251 Loks einer verbesserten Vari- Die Baureihe V 60 - Band 1. Technik und Einsät- ante als Köf 12 (ab 1968: Baureihe 333), deren ze bei der Deutschen Bundesbahn Auslieferung erst im Jahre 1977 endete. Manfred TRAUBE Das neue Special zeichnet die Entwicklung die- ser beliebten Lokkonstruktion nach, erläutert Schon bald nach ihrer Gründung nahm die Deut- die Technik der einzelnen Bauserien und zeigt sche Bundesbahn in Zusammenarbeit mit der in zahlreichen hochwertigen Aufnahmen den deutschen Lokindustrie die Entwicklung einer Betriebsalltag der Loks bei der Bundesbahn und Diesellokomotive für den Rangier- und leichten der DB AG. Streckendienst in Angriff. Im Jahre1955 lieferten Henschel, Krauss-Maf- fei, Krupp und MaK vier Prototyploko-motiven Zeitschrift: EK-Themen Schweizer Krokodile der neuen Baureihe V 60 mit Stangenantrieb Im November 1919, vor bald 100 Jahren, nah- aus, denen sich fast unmittel-bar die Bestellung men die SBB das erste „Krokodil“ in Betrieb. Über von Serienlokomotiven anschloss. Bis zum Jahre 40 Jahre lang waren die markanten und überaus 1963 wurden insgesamt 942 Exemplare an die kräftigen Lokomotiven die Königinnen auf den DB übergeben, mit denen maßgeblich der Trak- Steilrampen am Gotthard. Bis weit in die sieb- ti-onswandel im Rangierdienst vollzogen wurde. ziger Jahre zogen Krokodile schwere Güterzüge Auch abseits der Güter- und Perso-nenbahn- durch das schweizerische Mittelland. Die popu- höfe bewährte sich die Konstruktion, selbst im lären Lokomotiven aus der Pionierzeit der elek- Schnellzugdienst waren die Lokomotiven kurz- trischen Traktion sind bis heute unvergessen. zeitig anzutreffen.

44 ÖZV 3-4/2019 Das EK-Themen-Heft über die Schweizer Kroko- »Jumbo-Jet« schlicht unrentabel waren. Sie war dile erscheint zum hundertsten Ge-burtstag des nach der Boeing 747 lange Zeit das häufigste und damals als Fc 6/8 12251 bezeichneten erstgelie- schwerste Großraumflugzeug und wurde von ferten SBB-Krokodils. Diese Lokomotive, zuletzt vielen Airlines auf Mittel- und Langstrecken be- als Be 6/8II 13251 bezeichnet, wurde 1974 nach trieben. Für das Militär entstand unter anderem 55 Be-triebsjahren ausrangiert. Das Heft behan- die Tankerversion KC-10, die bis heute im Einsatz delt zum einen die 51 SBB-Lokomotiven der Se- ist. Und auch zahlreiche Frachtdienstleister flie- rien Fc 6/8, Ce 6/8II, Ce 6/8III, Be 6/8II und Be gen die Maschine bis heute. 6/8III, zum anderen die 15 meterspurigen Rhä- tischen Krokodile Ge 6/6I der Rhätischen Bahn Das vorliegende Werk umfasst 144 Seiten und und die drei Seetal-Krokodile De 6/6 der SBB. 160 Abbildungen. Speziell erwähnt werden die erhalten geblie- benen Lokomotiven dieser Bauarten. Am Rand gestreift werden auch ausländische Verwandte Die Flugzeugstars - Boeing 707 der Schweizer Krokodile, so etwa die österrei- chischen Krokodile der Lokreihen 1100, E 89, Wolfgang BORGMANN 1089 und 1189 sowie die deutschen und öster- reichischen Lokomotiven der DB-Reihe E 94 und Die vierstrahlige Boeing 707 revolutionierte die der ÖBB-Lokomotivreihe 1020. Passagierluftfahrt der 1960er- und 70er-Jahre wie kaum ein anderes Flugzeug, denn interkon- tinentale Langstrecken waren nun schnell und wirtschaftlich bedienbar. Durch verbilligte Ticket- Neues aus Paul Pietsch Verlage, Hauptstät- preise konnten nun auch „Normalmenschen“ ter Straße 149, D-70178 Stuttgart, www.paul- Transatlantikflüge bezahlen und der Massenflug- pietsch-verlage.de verkehr war geboren. Ihre Linie machte die 707 zum Archetyp des »Düsenflugzeugs« und sie galt Die Flugzeugstars - Boeing 727 lange Zeit als Design-Ikone. Auch in zahlreichen Wolfgang BORGMANN militärischen Varianten entstand die Maschine, z.B. als Tankervariante KC-135. Über 1000 Exem- Die dreistrahlige Boeing 727 ist ein Passagier- plare wurden gebaut. Aktiv sind heute noch die flugzeug für Kurz- und Mittelstrecken. Bis zur Ab- Militärvarianten dieses Flugzeugtyps. lösung durch die 737 war sie eine Zeit lang das meistgebaute Düsenver-kehrsflugzeug der Welt. Das vorliegende Werk umfasst 144 Seiten und Die elegante Maschine erschloss den Airlines 160 Abbildungen. neue Märkte und war über mehrere Jahrzehnte auf fast allen Flughäfen der Welt anzutreffen. Auch die Lufthansa setzte diese Maschine ab Grumman F-14 Tomcat 1964 mit über 50 Stück ein. Aufgrund gestie- gener Lärmschutzauflagen sowie des nicht mehr Tony HOLMES zeitgemäßen Dreimann-Cockpits und des Treib- stoffverbrauchs ist die 727 heute aus dem Pas- Die F-14 Tomcat ist das wohl mit Abstand be- sagier-Linienbetrieb nahezu verschwunden. Von kannteste moderne Trägerflugzeug aller Zeiten. den Frachtflugzeugen sind noch ca. 70 in Betrieb. Wohl kaum ein Luftfahrt-Enthusiast kennt nicht Wolfgang Borgmann beleuchtet in diesem Band die Kinofilme „Top Gun“ oder „Der letzte Count- den vollständigen Werdegang der Boeing 727. down“, in beiden Filmen spielte die Tomcat eine Schlüsselrolle und machten den groß dimen- Das vorliegende Werk umfasst 144 Seiten und sionierten Schwenkflügeljäger weltberühmt! 160 Abbildungen. Die F-14 entstand Anfang der 1970er-Jahre als Hochleistungs-Abfangjäger zum Schutz der US - Trägerkampfverbände vor feindlichen Bombern, ihre Leistungsdaten sind auch heute noch beein- Die Flugzeugstars - McDonnell Douglas DC- 10 druckend. Die vorliegende Neuerscheinung ist Wolfgang BORGMANN eine herausragende Darstellung dieses legen- dären Flugzeugs. Zahlreiche, teils spektakuläre Die riesige McDonnell Douglas DC-10 ist ein Abbildungen dienen zur Abrundung der Darstel- dreistrahliges Großraumflugzeug und sollte die lung. Lücke zwischen der Boeing 747 und kleineren Passagiermaschinen schließen. Mit ihren drei Das vorliegende Werk umfasst 192 Seiten und Triebwerken ließ sich die DC-10 auf Strecken 200 Abbildungen. wirtschaftlich betreiben, die für den größeren

ÖZV 3-4/2019 45 Verlag Holzhausen GmbH bzw. Bohmann-Ver- Eingriffe, die unter anderem in einem Stopp der lag, 1110 Wien, Leberstraße 122, www.verlag- Streckenelektrifizierung und wenig sinnvollen holzhausen.at Triebfahrzeugbeschaffungen mündeten, -ver schärft. Immerhin gelang es, den technischen Eisenbahn Bilderalbum 19: Die Österreichischen Stand im Lokomotivsektor und bezüglich Infra- Bundesbahnen in der Zwischenkriegszeit 1918 struktur etwas zu verbessern, teilweise auch bei -1938, Band 1 der Trilogie „100 Jahre Staatsei- den Reisezugwagen. senbahnen in Österreich“ Band 19 dieser Reihe beschreibt die wechselvolle Alfred HORN und andere Autoren Geschichte der Österreichischen Bundesbahnen Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges traten im schwierigen wirtschaftlichen und politischen die Österreichischen Bundesbahnen (BBÖ) als Umfeld der Zwischenkriegszeit und wirft neben Nachfolger der k. k. Staatsbahnen (k. k. StB) ein den Fahrzeugen auch einen Blick auf Werkstät- schweres Erbe an. Abge-sehen von den Kriegs- ten, Heizhäuser, Unfälle. und den Reisezugver- folgen waren Fahrpark sowie Infrastruktur tech- kehr jener Ära. nisch stark veraltet. In den knapp 30 Jahren ih- Das vorliegende Werk wurde zusammengestellt rer Tätigkeit waren die BBÖ zwar bestrebt, das von Alfred Horn und enthält Beiträge weiterer Un-ternehmen zu modernisieren, aber nur mit Eisenbahnfach-Autoren. Es umfasst 383 Seiten durchwachsenem Erfolg. Die Auswirkun-gen der und ca. 400 Abbildungen. Finanzkrise wurden noch durch eine Kette von Skandalen leitender Beamter sowie politische

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