Antifaschismus–Gesternundheute
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Antifaschismus–gesternundheute Eckhard Jesse Prof. em. Dr. Eckhard Abstract Jesse, geb. 1948 in Wurzen bei Leipzig, lehrte von The contribution analyses the histor- 1993 bis 2014 Politik- wissenschaft an der TU ical and the present fundamentals Chemnitz. Studium der Po- of anti-Fascism. In present-day Ger- litik- und Geschichtswissen- many there exist organisation-, ac- schaft an der Freien Uni- tion- and discourse-oriented kinds of versität Berlin (1971–1976, anti-Fascism. Most of all the political Abschluss als Diplom-Poli- party Die Linke champions anti-Fas- tologe), Promotion (1982) und Habilitation (1989/90) cism, as becomes obvious, among jeweils an der Universität other aspects, from their support of Trier. (Mit-)Herausgeber des „Jahrbuchs Extremismus including an anti-Fascism clause into & Demokratie“ seit 1989 sowie der Buchreihen „Extre- the Basic Law and the constitutions mismus und Demokratie“ (mit Uwe Backes, seit 2001) of the Federal States. The author re- und „Parteien und Wahlen“ (mit Roland Sturm, seit jects anti-Fascism, yet he speaks out 2012). Forschungsschwerpunkte: Parteien, Wahlen, Demokratien, Diktaturen, Extremismus, historische in favour of anti-extremism as an al- Grundlagen der Politik. ternative. I.Einleitung Nach den Krawallen infolge des gewaltsam herbeigeführten Todes des Afro- amerikaners George Floyd in Minneapolis durch einen weißen Polizisten im Mai 2020 sah Donald Trump in Antifa-Gruppen die Drahtzieher. Sein Plädoyer für deren Verbot schlug hohe Wellen, selbst in Deutschland. In den sozialen Netz- werken verbreitete sich schlagartig der Slogan „Wir sind Antifa“.1 Keine Richtung der radikalen Linken in der Geschichte der letzten 100 Jahre und der Gegenwart verzichtet auf den positiven Gebrauch des Wortes Antifaschis- mus.2 Das Thema ist wichtig – und wird doch teilweise ignoriert. Wichtig ist es 1 Vgl. Florian Hartleb, Wir sind Antifa. Die problematische Neudefinierung des demo- kratischen Verfassungsstaats (https://www.veko-online.de; 1.2.2021). 2 Vgl. jüngst Alexander Deycke/Hans Gmeiner/Julian Schenke/Matthias Micus (Hg.), Von der KPD zu den Post-Autonomen. Orientierungen im Feld der radikalen Linken, Göttingen 2021. Totalitarismus und Demokratie, 18 (2021), 89–119, ISSN: 1612-9008 (print), 2196-8276 (online) © 2021 Vandenhoeck & Ruprecht; https://doi.org/10.13109/tode.2021.18.1.89 Open Access publication under a CC BY-NC 4.0 International License. 90 Aufsätze / Articles deshalb, weil Antifaschismus den Anspruch erhebt, Leitlinie der verfassungs- politischen Ordnung zu sein. Trifft das zu? Ignoriert wird es mitunter deshalb, weil manch ein Wissenschaftler ihn nicht als analytische Kategorie ansieht. Stimmt das? Die erste Frage verneint der Verfasser, die zweite bejaht er. Wer den Begriff als Propagandaformel ansieht, gerät in den Verdacht, antidemokra- tische Strömungen von rechts zu bagatellisieren oder gar zu leugnen. (Gewoll- te) Missverständnisse sind präjudiziert. Daher machen viele um die Thematik einen Bogen. Zur Problemstellung: Dieser vornehmlich auf Deutschland bezogene Beitrag – der globale Antifaschismus3 bleibt weithin ausgeklammert – will die Frage be- antworten, ob antifaschistisch4 ein geeignetes Pendant für antidemokratisch ist. Zu den wesentlichen Unterfragen gehören: Was bedeutet Faschismus, was Anti- faschismus? Und was ist das Selbstverständnis derer, die diese Termini verwen- den? Wieso erfährt Antifaschismus in bestimmten Kreisen große Beliebtheit? Welche Formen gibt es im Deutschland der Gegenwart, wie unterscheiden sie sich von denen zu Beginn der 1920er-Jahre in Italien? Wieso greift gerade die Partei Die Linke darauf zurück? Inwiefern erscheint es inadäquat, den Terminus zu verwenden? Welcher sollte an dessen Stelle treten? Antiextremismus? Zum Aufbau: Nach einer kurzen Präsentation des Forschungsstandes folgt eine Erklärung zum Faschismusbegriff, der in höchst unterschiedlichen Varian- ten auftaucht. Die nächsten beiden Kapitel sind historisch angelegt: Zunächst geht es um Antifaschismus bis 1945, danach um Antifaschismus in der DDR. Schließlich wird die Vielzahl antifaschistischer Formen (organisations-, aktions- und diskursorientierte) kursorisch erörtert. Wenngleich der Teil zum breit gefä- cherten Spektrum des heutigen Antifaschismus den Schwerpunkt bildet, kom- men auch andere Facetten zur Sprache. Weithin unberücksichtigt bleibt eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Renaissance des Antifaschismus. Ist dies ein Zeichen seiner Stärke oder eines seiner Schwäche? Vielleicht trifft das eine wie das andere zu. Die folgenden zwei Kapitel beziehen sich vor allem auf das Antifaschismuskonzept der Partei Die Linke. Zum einen wird die Rele- vanz dieses Paradigmas bei ihr geprüft, zum anderen die vor allem von der Partei propagierte Antifaschismusklausel für das Grundgesetz und die Landesverfas- sungen. Abschließend beantwortet der Verfasser die Frage, ob Antiextremismus besser als Antifaschismus antidemokratische Phänomene abdeckt. 3 Vgl. dazu materialreich Jens Späth, Antifaschismus. Begriff, Geschichte und For- schungsfeld in westeuropäischer Perspektive, Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitge- schichte vom 4.2.2019 (http://docupedia.de/zg/Spaeth_antifaschismus_v1_de_2019? oldid=132048; 23.2.2021). 4 Dieser Begriff wird niemals in Anführungszeichen gesetzt, ganz unabhängig davon, wer ihn gebraucht. So bleibt zunächst offen, ob damit nur die Absage an jede Form des Rechtsextremismus gemeint ist oder auch eine Absage an den demokratischen Verfassungsstaat. Aus den jeweiligen Ausführungen geht jedoch klar die Position des Verfassers hervor. Jesse, Antifaschismus 91 II.Forschungsstand Die Literatur zur Thematik gabelt sich – grob gesprochen – in zwei Zweige. Auf der einen Seite stehen wenige Studien, die sich dem Thema mit Distanz nähern, auf der anderen Seite solche zum Selbstverständnis von Antifaschisten. Das Ge- sagte gilt auch für andere Phänomene im Bereich des Linksextremismus, etwa beim Schrifttum zu den „Autonomen“. Bettina Blank gibt in ihrer Studie „,Deutschland, einig Antifa‘?“ einen umfas- senden Überblick zu den verschiedenen Dimensionen des Antifaschismus. Die Autorin berücksichtigt seine wichtigsten Träger sowie die Formen und Methoden antifaschistischer Praxis. Dabei steht die „Vereinigung der Verfolgten des Nazi- regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) ebenso im Vordergrund wie der „Autonome Antifaschismus“. Blanks Tenor: „Die vom ‚Antifaschismus‘ ausgehenden Gefahren werden von Staat und Politik, ebenso von wohlmeinenden ‚bürgerlichen‘ Demokraten entweder nicht erkannt, nicht wahrgenommen oder unterschätzt.“5 Tim Peters’ Arbeit untersucht kritisch das Antifaschismusverständnis der PDS. Für ihn verfolgt deren Bündnispolitik drei Ziele: „Erstens geht es darum, die eigene Isolation zu durchbrechen. Zweitens möchte die PDS als Verteidigerin des demokratischen Verfassungsstaates auftre- ten. Drittens sieht die Partei im Kampf ‚gegen rechts‘ ein Mittel zur Erlangung einer ‚kulturellen Hegemonie‘ im Sinne Antonio Gramscis.“6 Die meisten Texte in dem von Manfred Agethen u. a. herausgegebenen Sammelband,7 etwa von Bernd Eisenfeld, Manfred Funke und Patrick Moreau, decken sich im Tenor mit den Positionen von Blank und Peters. Hingegen ist die Bonner Dissertation von Claus-M. Wolfschlag zwar sehr materialreich, aber sie schießt mit ihrer undiffe- renzierten Kritik an linken und liberalen Positionen weit übers Ziel hinaus. Im Grunde spiegelt sie die Position des Antifaschismus wider – mit umgekehrten Vorzeichen.8 Antifaschisten aller Couleur wären froh, verfügten sie über den Ein- fluss, den ihnen Wolfschlag zuschreibt. Nina Grunenbergs linke, auf einer zivilen demokratischen Kultur fußende Kritik am west- und vor allem ostdeutschen Antifaschismus, der bei ihr als „deut- scher Mythos“9 firmiert, fällt dagegen weitaus überzeugender aus. Nach 1990 5 Bettina Blank, „Deutschland, einig Antifa“? „Antifaschismus“ als Agitationsfeld von Linksextremisten, Baden-Baden 2014, S. 399. 6 Tim Peters, Der Antifaschismus der PDS aus antiextremistischer Sicht, Wiesbaden 2006, S. 189. 7 Vgl. Manfred Agethen/Eckhard Jesse/Ehrhart Neubert (Hg.), Der missbrauchte Anti- faschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg i. Brsg. 2002. 8 Vgl. Claus-M. Wolfschlag, Das „antifaschistische Milieu“. Vom „schwarzen Block“ zur „Lichterkette“ – Die Repression gegen „Rechtsextremismus“ in der Bundesrepublik Deutschland, Graz 2001. 9 Vgl. Nina Grunenberg, Antifaschismus – ein deutscher Mythos, Reinbek bei Hamburg 1993. 92 Aufsätze / Articles prangerte eine Reihe von Schriften den – tatsächlichen oder vermeintlichen – Antifaschismus der DDR an. Kritisiert wurde dabei weniger Antifaschismus an sich als vielmehr dessen Instrumentalisierung durch die SED-Diktatur.10 Die empirisch angelegte Dissertation von Nils Schuhmacher zielt darauf, das Selbstverständnis radikaler Antifaschisten minutiös zu erfassen.11 Auch ohne Kritik ist eine solche Studie von Belang, da sich die Antifa-Szene nach außen abschottet. In einem Antifa-Periodikum heißt es zu dem Werk: „Konturen und Funktionsmechanismen einer politischen Szene werden in erfreulicher Unaufge- regtheit herausgearbeitet.“12 Was irritieren mag: Zahlreiche Arbeiten suchen Antifaschismus weiterhin zu rechtfertigen, teilweise aus der Perspektive des orthodoxen Marxismus, teilweise aus Sicht der „Autonomen Antifa“.13 Ungeachtet aller höchst unterschiedlichen Ansätze: Augenfällig mutet das unbedingte Bestreben sämtlicher linksextremisti- schen Strömungen an, ob nun stärker antiimperialistisch