Plenarprotokoll 19/27

Deutscher

Stenografscher Bericht

27. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. April 2018

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 17: (CDU/CSU). 2495 B a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, (FDP) . 2496 D FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (SPD). Die Gewaltexzesse gegen die Rohingya 2497 D stoppen – Für die vollständige Anerken- Martin Erwin Renner (AfD). 2498 D nung als gleichberechtigte Volksgruppe in Myanmar Martin Rabanus (SPD). 2499 D Drucksache 19/1708. 2483 B (DIE LINKE). 2500 A b) Antrag der Abgeordneten Zaklin Nastic, (BÜNDNIS 90/ , Heike Hänsel, weiterer Ab- DIE GRÜNEN). 2501 B geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Staatenlosigkeit weltweit abschaffen – (CDU/CSU) . 2502 B Für das Recht, Rechte zu haben (SPD). 2503 B Drucksache 19/1688. 2483 B (SPD). 2483 B Tagesordnungspunkt 19: Jürgen Braun (AfD) . 2484 C Antrag der Abgeordneten Christian Dürr, Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU). 2486 A Dr. , Frank Schäffer, weite- Dr. Lukas Köhler (FDP). 2488 A rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Trendwende zur Eigentümernation in Michel Brandt (DIE LINKE). 2489 A Deutschland einleiten – Für einen Freibe- trag bei der Grunderwerbsteuer (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/1696. DIE GRÜNEN). 2490 A 2504 B (FDP). 2504 C (CDU/CSU) . 2491 A (CDU/CSU). 2505 B Dr. (SPD). 2491 D (AfD) . 2506 C (CDU/CSU). 2492 D (SPD). 2507 C Jörg Cezanne (DIE LINKE). 2508 D Tagesordnungspunkt 18: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 2509 D Erste Beratung des von dem Abgeordneten und der Fraktion der AfD (CDU/CSU). 2511 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dr. (fraktionslos). 2512 A Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes Drucksache 19/1697. 2493 D (SPD). 2512 C Thomas Ehrhorn (AfD). 2494 A (FDP). 2513 C II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Sebastian Brehm (CDU/CSU) . 2514 A Drucksachen 19/231, 19/1200 . 2525 B Hagen Reinhold (FDP). 2514 D Julia Klöckner, Bundesministerin BMEL. 2525 C (AfD) . 2526 D Tagesordnungspunkt 20: Dr. (SPD). 2527 C a) Erste Beratung des von den Abgeordneten (FDP). 2528 B , Dr. André Hahn, Gökay (BÜNDNIS 90/ Akbulut, weiteren Abgeordneten und der DIE GRÜNEN). 2529 A Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dr . (DIE LINKE). 2529 C Strafgesetzbuchs – Straffreiheit für Fah- Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ ren ohne Fahrschein DIE GRÜNEN). 2530 C Drucksache 19/1115 . 2515 C Carina Konrad (FDP). 2531 A b) Erste Beratung des von den Abgeord- neten , , Luise Hermann Färber (CDU/CSU). 2531 D Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der (SPD). 2532 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) Zusatztagesordnungspunkt 8: und des Gesetzes über Ordnungswid- rigkeiten (OWiG) – Schwarzfahren als Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Ordnungswidrigkeit – der FDP: Haltung der Koalition zu Plänen Drucksache 19/1690. 2515 C der EU-Kommission, den ESM in einen ­europäischen Währungsfonds zu überfüh- Niema Movassat (DIE LINKE) . 2515 D ren. (CDU/CSU). 2516 C Dr . Florian Toncar (FDP). 2534 A (AfD). 2517 D Dr. (CDU/CSU). 2535 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 2519 B Sonja Amalie Steffen (SPD). 2536 B Katharina Kloke (FDP). 2520 B (AfD). 2537 D Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE). 2539 B DIE GRÜNEN). 2521 A Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 2521 D DIE GRÜNEN). 2540 B Andreas Wagner (DIE LINKE). 2522 B (CDU/CSU). 2541 C (BÜNDNIS 90/ (SPD) . 2542 C DIE GRÜNEN). 2523 A Dr. (AfD). 2543 C (SPD) . 2524 A (FDP) . 2544 C (CDU/CSU) . 2546 A Tagesordnungspunkt 21: Cansel Kiziltepe (SPD). 2547 B Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU). 2548 A Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag Nächste Sitzung . 2549 C der EU-Kommission für eine Änderung der Durchführungsverordnung hinsicht- lich der Zulassungsbedingungen für die Anlage 1 Wirkstoffe Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam; ­SANTE/12105/2016 Liste der entschuldigten Abgeordneten. 2551 A Rev5, ­SANTE/12106/2016 Rev5, ­SANTE/10834/2016 Rev8 (Entwürfe) – hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- Anlage 2 desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Ja zum EU-Freilandverbot für bienengiftige Neonikotinoide Amtliche Mitteilungen. 2552 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018 2483

(A) (C)

27. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. April 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Abend zu später Stunde zum Thema Religionsfreiheit Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte geführt haben, anschließen. Warum? Auch beim heuti- nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. gen Thema, über das wir leider reden müssen, geht es um Gewalt, in diesem Fall gegen die Rohingya in Myanmar. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: Ich fnde es gut, dass sich eine Reihe von Fraktionen da- a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ rauf verständigt haben, sich diesem Thema in besonderer CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Art und Weise zu widmen, und zwei Anträge vorgelegt NEN wurden. Die Gewaltexzesse gegen die Rohingya stop- Warum Religionsfreiheit? In der Tat geht es gar nicht pen – Für die vollständige Anerkennung als so sehr um eine muslimische Minderheit, sondern es geht gleichberechtigte Volksgruppe in Myanmar eher um eine Art ethnischen Konfikt. Es gibt buddhis- tische Mönche – wer möge das glauben, dass so etwas (B) Drucksache 19/1708 im Buddhismus möglich ist –, die übelste Hetze begehen (D) Überweisungsvorschlag: und durch ihre Hassreden dazu beitragen, dass Menschen Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) in Myanmar auf bestialische Weise ermordet wurden. Auswärtiger Ausschuss Derzeit sind Hunderttausende auf der Flucht. Man kann Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- an diesem Beispiel studieren, was passiert oder was pas- lung sieren kann, wenn Gruppen von Menschen systematisch b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zaklin marginalisiert, benachteiligt und ausgegrenzt werden. Nastic, Michel Brandt, Heike Hänsel, weiterer Im letzten Jahr gab es einen traurigen Höhepunkt in Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Form von Ausgrenzung und Gewalt gegen die Rohingya. Staatenlosigkeit weltweit abschaffen – Für das In Myanmar wurden Tausende von Männern, Frauen und Recht, Rechte zu haben Kindern – die genauen Zahlen kennen wir leider nicht – dahingemetzelt. Knapp 700 000 Menschen sind gefohen. Drucksache 19/1688 Mittlerweile befnden sie sich in Bangladesch, in Cox’s Überweisungsvorschlag: Bazar, wohin schon vorher andere Rohingya gefüchtet Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) sind. Dort leben jetzt 1 Million Menschen in einem der Auswärtiger Ausschuss größten Flüchtlingslager der Welt, und das in einem Land Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wie Bangladesch, das selbst vor enormen Problemen und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Herausforderungen steht. lung Ich war selbst vor ein paar Jahren in Rakhine State, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für das ist der Teil Myanmars, wo die Rohingya im Beson- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- deren leben. Zu diesem Teil des Landes erhält die inter- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. nationale Gemeinschaft zurzeit keinen Zugang. Die Lage war schon damals erbärmlich. Die Menschen haben in Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- einer inselartigen Situation, gefühlt am Ende der Welt ordnete Frank Schwabe, SPD. gelebt. Es gab schwere Überschwemmungen, als ich dort (Beifall bei der SPD) war . Vielen Menschen ist Hilfe zuteilgeworden, aber lei- der nicht den Rohingya. Frank Schwabe (SPD): Ich habe damals eine mutige junge Frau getroffen, Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Eigent- deren Schicksal ich zum Studium anempfehle: Wai Wai lich können wir nahtlos an die Debatte, die wir gestern Nu. Sie ist mittlerweile knapp 30 Jahre alt. Sie ist damals 2484 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Frank Schwabe (A) mit 18 Jahren ins Gefängnis gekommen und musste dort Jürgen Braun (AfD): (C) zusammen mit ihrem Vater und der gesamten Familie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- sieben Jahre bleiben. Das macht die Tragik der Situation ren! Liebe Kollegen! Die links-grüne Weltsicht der Alt- deutlich. Es war nicht immer so, dass es diese massive parteien ist schon seltsam. Ausgrenzung der Rohingya in Myanmar gab. Ihr Vater war einer der führenden Oppositionellen in der Partei der (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Oh! – [Augsburg] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Alter Hut!) Ich glaube, man muss an dieser Stelle Folgendes sa- gen: Die Situation in Myanmar ist schwierig, es gibt ei- Über Jahrzehnte gibt es eine Heldin in Asien, über Jahr- nen massiven Rassismus, und trotzdem muss von einer zehnte ist sie „die mutige Frau“. Aung San Suu Kyi erhält Person, die den Friedensnobelpreis erhalten hat und zu- den Friedensnobelpreis, sie trotzt der Militärdiktatur, sie mindest zum Teil die politische Verantwortung in diesem wird inhaftiert, lebt viele Jahre in Hausarrest. Die Politi- Land trägt, erwartet werden, sich klarer zu positionieren, ker und Medien der westlichen Welt überschlagen sich sich klarer zum Schicksal der Rohingya zu bekennen und vor Lobeshymnen. alles zu tun, um deren Marginalisierung zu verhindern. (Dr. [AfD]: Genau!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Doch plötzlich ist sie nicht mehr angesagt. Sie fällt in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ungnade. Die Verehrer wenden sich ab. Aung San Suu Es wird am Ende keine Lösung des Konfikts ge- Kyi macht plötzlich alles falsch. Der Grund: Sie kümme- ben, wenn es nicht zu einer formalen und tatsächlichen re sich nicht um eine angebliche Volksgruppe, die man Gleichstellung der Rohingya kommt. Die Menschen blitzschnell „Rohingya“ genannt hat. Sie weigert sich, werden nicht zurückkehren, wenn sie weiterhin erwarten den Kampfbegriff „Rohingya“ auch nur zu benutzen. müssen, ermordet zu werden. Deswegen ist die umfas- Dafür sagt sie Unerhörtes. Aung San Suu Kyi sagt im sende Staatsbürgerschaft für die Rohingya die Grundlage November bei einer großen Außenministerkonferenz in aller Verbesserungen, die wir anstreben. Myanmar muss Myanmar – bitte hören Sie einmal genau zu; von dieser den UN und internationalen Beobachtern einen vollen Friedensnobelpreisträgerin Zugang zum Land ermöglichen. Wir brauchen eine sys- (Frank Schwabe [SPD]: Fahren Sie doch mal tematische internationale Aufarbeitung der Gräueltaten hin, Herr Braun! Sie haben ja keine Ahnung, und eine Untersuchung der Vorwürfe des Völkermords, worüber Sie reden!) und wir müssen alle Möglichkeiten des Völkerstrafrechts (B) nutzen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu können Sie noch eine Menge lernen –: (D) ziehen. Illegale Einwanderung ist die Verbreitung von Ter- In der Zwischenzeit müssen wir alles tun, um den rorismus und gewalttätigem Extremismus … Menschen dort, wo sie jetzt sind, zu helfen. Ich habe es gerade gesagt: Ein großer Teil dieser Menschen ist in (Beifall bei der AfD) Bangladesch, einem Land, das selbst große Probleme Ich wiederhole das gerne, weil Sie es am frühen Mor- hat. Wir müssen Bangladesch trotzdem an die interna- gen vielleicht ein bisschen mit dem Gehör haben: Ja, il- tionalen Verpfichtungen erinnern. Wir müssen Bang- legale Einwanderung ist die Verbreitung von Terrorismus ladesch danken, aber trotzdem einfordern, dass die hu- und gewalttätigem Extremismus. manitären Grundlagen eingehalten werden. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die humanitären Bedarfe (Frank Schwabe [SPD]: Was ist das für ein gedeckt werden. Zurzeit wird etwa 1 Milliarde US-Dol- Unfug? – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Kann lar gebraucht. Deutschland ist hier aktiv. Die internatio- man einen Konfikt so pervertieren?) nale Gemeinschaft kann und muss aber mehr tun. Des- wegen will ich auch diese Chance nutzen, um mit Blick Das sagt nicht nur Frau Aung San Suu Kyi. Letzte Nacht auf die anstehenden Haushaltsberatungen zu sagen: Bei haben wir es von allen anderen Fraktionen unisono ge- der internationalen humanitären Hilfe steht Deutschland hört: Religionsfreiheit betrifft immer alle Religionen. seit einigen Jahren mit an der Spitze. Da müssen wir aber Niemals darf eine Gruppe exklusiv herausgenommen auch bleiben. Wir setzen über 1,7 Milliarden Euro für werden. humanitäre Hilfe ein. Meine herzliche Bitte ist, dass wir in den Haushaltsberatungen dafür sorgen, dass dieses Ni- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- veau zumindest gehalten wird. NEN]: Dann haben Sie ja was mitgenommen! Dann haben Sie ja gestern wieder was gelernt!) Vielen Dank. Deshalb darf es natürlich nie alleine um die Rechte der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Christen gehen. Schutz von Christen? Oh, das geht gar FDP) nicht.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das hat ja gar keiner gesagt gestern! Hallo? Das ist Nächster Redner ist der Kollege Braun, AfD. doch unwahr! Das ist doch gar nicht gesagt (Beifall bei der AfD) worden gestern Abend!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2485

Jürgen Braun (A) Und was hören wir heute? Es geht nur um eine einzige Humanitäre Hilfe für die Menschen in den Flüchtlings- (C) Gruppe, die sogenannten Rohingya. lagern sollte für uns im Vordergrund stehen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Da sind Sie schnell dabei. Es geht hier um die Verbrei- Dabei muss auch Bangladesch in die Pficht genommen tung des Islam in aller Welt. Christen und Buddhisten werden. Das Land verweigert die Integration seiner sind bei Ihnen zweitrangig. Migranten. (Beifall bei der AfD – Michel Brandt [DIE (Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau! – Dr. Daniela LINKE]: Wie kann man so an der Sache vor- De Ridder [SPD]: Die haben doch selber beireden! Das gibt es doch gar nicht!) nichts!) Ganz zu schweigen von der Realität. Sie haben die so- Hans-Bernd Zöllner, einer der größten Kenner der genannten Rohingya heute auf die Tagesordnung gesetzt. Region, warnt vor Ihrer einseitigen Sichtweise. Muslimi- Vertreter dieser Gruppe haben zuvor jahrelang buddhisti- sche Rebellen attackieren buddhistische Sicherheitskräf- sche Dörfer überfallen und die Besatzungen ganzer Poli- te, das Militär schlägt zurück; das ist die Kernaussage. zeistationen mit Gewehrsalven niedergemäht. Wo bleibt Ich kann die Ministerpräsidentin gut verstehen. Was ist Ihr Herz für die buddhistische Bevölkerung? daran falsch, dass die Ministerpräsidentin von Myanmar anders handelt als die Bundesregierung? (Beifall bei der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau! Das ist die gesamte Vorgeschichte!) (Beifall bei der AfD – Frank Schwabe [SPD]: Die haben doch gar keine Ministerpräsidentin! Wer ist hier Opfer, wer Täter? Die links-grüne Hyper- Gucken Sie da lieber noch mal nach!) moral kann nur simple Parolen verbreiten und lautstark ihre Erregung zeigen, wie auch jetzt wieder. Wollen Sie dem birmanischen Volk vorschreiben, dass der Islam zu Myanmar gehört? Dann sagen Sie es bitte, (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE und schwurbeln Sie nicht lange herum. GRÜNEN]: Ihnen fehlt jeder Anstand! Sie sind eine Schande für dieses Haus! – Gegenruf (Beifall bei der AfD) der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie haben ja keine Ahnung!) Wer benutzt den Kampfbegriff „Rohingya“ am lau- testen? Ataullah Jununi, der unbestrittene Anführer der – Ja, Herr Hofreiter, Sie sind der Tollste. Ich weiß das. Moslemrebellen. Er ist in Pakistan geboren, in Mekka radikalisiert. Militärisch ausgebildet zettelte er einen (B) (Dr. [AfD]: Herr Hofreiter, (D) halten Sie den Mund! Es ist noch früh am Mor- Bürgerkrieg an, um im buddhistischen Myanmar einen gen! – Gegenruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter islamischen Staat zu errichten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie (Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau!) still! Schämen Sie sich für das, was Sie sind!) Spender aus Saudi-Arabien und von anderswo sollen den Die komplizierte Realität ist Ihnen fern. Sie verwechseln Feldzug fnanzieren. Das sind offenbar Ihre Freunde, ver- besonders gerne Ursache und Wirkung, Herr Hofreiter. ehrte Politiker der Altparteien. Das ist der Klassiker der links-grünen Hypermoral. (Beifall bei der AfD – Dr. Alice Weidel (Beifall bei der AfD) [AfD]: Genau! Das sind die Fakten!) Die Gewalttaten islamischer Gruppen werden von Kann es sein, dass Ihnen einmal wieder der links-grü- Ihnen verschwiegen oder verharmlost, so eben auch in ne Mief Ihren Blick auf die Realität in der Welt verne- Myanmar. Im Namen des Islam darf man offenbar Men- belt? schen umbringen, ohne dass sich die Altparteien darüber beklagen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann NEN]: Geht es Ihnen jetzt eigentlich besser?) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja noch schlimmer als gestern Abend! Ich dachte Kann es sein, dass die Ministerpräsidentin von Myanmar eigentlich, schlimmer kann es nicht mehr wer- besser weiß, was für ihr Land richtig ist, als wir hier im den! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE fernen Berlin? GRÜNEN: Sie wissen doch gar nicht, was (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Moral ist!) GRÜNEN]: Kann es sein, dass Sie keine Ah- Einzelne Fakten zur Lage in Myanmar – früher Bur- nung haben, was für unser Land das Richtige ma oder Birma – sind unbestritten. Die Menschen im ist?) Grenzbereich von Bangladesch und Myanmar müssen Kann es sein, dass Aung San Suu Kyi es besser weiß als in den letzten Jahren mit zunehmender Gewalt leben. und ? Hunderttausende sammeln sich in Flüchtlingscamps. Das birmanische Militär geht hart gegen vermutete oder (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE tatsächliche Rebellen vor. Unbestritten sind aber auch GRÜNEN]: Kann es sein, dass Ihnen die Men- die paramilitärischen Angriffe islamischer Terroristen. schen scheißegal sind?) 2486 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Jürgen Braun (A) Kann es sein, dass sich Aung San Suu Kyi sogar bes- Die Ereignisse in Myanmar werden in die Ge- (C) ser in ihrem eigenen Land auskennt als Claudia Roth schichtsbücher eingehen als ein weiterer Beweis für und , um einmal die wahren Geistesgrößen das katastrophale Versagen der internationalen Ge- links-grüner Politik zu nennen? meinschaft, Entwicklungen Einhalt zu gebieten, die den Nährboden für massenhafte Gräueltaten bilden. (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die systematische Ach, hören Sie doch endlich auf, fremden Völkern Ihre Diskriminierung der Rohingya durch ihren Ausschluss links-grüne Weltsicht aufzuzwingen! von der Staatsangehörigkeit sowie die Verweigerung bür- gerlicher, sozialer und politischer Rechte sind das Instru- (Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD: ment für ihre systematische Unterdrückung. Ihre Lage ist Bravo! – Sehr gute Rede! – Gegenruf der dramatisch. Auch das muss man in dieser Debatte erwäh- Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE nen. Man darf sich die Augen nicht zukleistern. GRÜNEN]: Hat er schön gemacht, nicht? Mann, Mann, Mann! – Katrin Göring-Eckardt­ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihnen sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- die Menschen doch scheißegal! – Britta geordneten der FDP und der LINKEN) Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es Ihnen jetzt besser, Herr Braun?) Die Hilfsbereitschaft in Bangladesch ist groß. Die Vereinten Nationen, die EU und auch Deutschland haben auf die Notlage reagiert und beteiligen sich an der inter- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nationalen humanitären Hilfe. Nächster Redner ist der Kollege Michael Brand, Ich will aber auch sagen: Wir dürfen uns keiner Il- CDU/CSU. lusion hingeben. Die humanitäre Hilfe darf nicht zum (Beifall bei der CDU/CSU) Alibi verkommen für die Unfähigkeit der Staatenge- meinschaft, Konfikte zu lösen. Wir sehen das im achten Jahr des Syrien-Krieges, und wir sehen das schon viel zu Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): lange im Jemen. Der heutige Antrag will einen zu lange Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In verdrängten Konfikt ins Bewusstsein rufen und fordert diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Allgemeine Er- konkrete Maßnahmen. klärung der Menschenrechte, die 1948 in Paris von der Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine aktivere Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet Rolle zu spielen und gegenüber der Regierung in Myan- worden ist. Dort heißt es: (B) mar und im Rahmen der VN darauf hinzuwirken, dass (D) Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und die Menschenrechtsverletzungen gestoppt werden, dass Rechten geboren. den humanitären Hilfsorganisationen uneingeschränk- ter Zugang, zum Beispiel nach Rakhine, gewährt wird, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, dass die Verbrechen aufgearbeitet werden und dass die der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Empfehlungen der Kof-Annan-Kommission umgesetzt GRÜNEN) werden, wozu sich ja die Regierung in Myanmar auch bekannt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Menschenrecht auf Religionsfreiheit steht weltweit immer stärker unter Die Verbrechen gegen die Minderheit der muslimi- Druck. Vor allem Minderheiten sind betroffen. Die Re- schen Rohingya führen uns doch auch exemplarisch vor ligionszugehörigkeit wird instrumentalisiert, Vorurteile Augen, wie wichtig unser Einsatz für Religionsfreiheit und Vorbehalte verstärkt oder geschürt. Die Gewal- weltweit ist. Gestern haben wir hier im Haus über den texzesse gegenüber der muslimischen Minderheit der notwendigen Einsatz gegen die Verfolgung der Christen Rohingya in Myanmar und ihre massenhafte Vertreibung beraten, der weltweit am stärksten verfolgten Gruppe. sind ein besonders krasses Beispiel für die Verfolgung Das Thema „Christenverfolgung und Religionsfreiheit“, und Anlass für den heutigen überfraktionellen Antrag liebe Kollegen von der AfD, von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Seit Sommer letzten Jahres sind nach Angaben des DIE GRÜNEN]: Das muss man sich von de- UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, und zwar innerhalb nen nicht sagen lassen!) weniger Wochen, fast 700 000 Menschen aus Myanmar lässt sich keineswegs auf einen Kulturkampf zwischen ins benachbarte Bangladesch gefohen: vor Massakern, dem Christentum und dem Islam reduzieren, wie man- vor systematischer Vergewaltigung, vor Brandschatzung cher behauptet – auch, um bewusst zu spalten oder das ihrer Dörfer, schlicht um ihr Leben zu retten. Tausende eigene politische Süppchen zu kochen. Tote sind zu beklagen. Die Mehrheit der Flüchtlinge sind Kinder. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Natio- GRÜNEN) nen bezeichnet die Übergriffe als „ethnische Säuberun- gen wie nach dem Lehrbuch“. Amnesty International hat Ich muss es Ihnen wieder in Erinnerung rufen: Beim im aktuellen Bericht festgehalten: Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ sind nach Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2487

Michael Brand (Fulda) (A) wie vor die meisten Opfer Muslime, die die aggressive Wir stellen uns an die Seite derjenigen, die Unterstützung (C) Ideologie der Krieger eben nicht teilen. brauchen. Das unterscheidet uns von Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Papst Franziskus hat gesagt, als er jetzt in Bangla- SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- desch bei den Rohingya-Flüchtlingen gewesen ist: NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden weitermachen, ihnen zu helfen, sodass Ich will den Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sie ihr Recht anerkannt bekommen. Wir werden zitieren: nicht unsere Herzen verschließen, wir werden nicht Unser Einsatz für die Christen ist exemplarisch, wegschauen. aber nicht exklusiv. (Jürgen Braun [AfD]: Er hat den Begriff Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen: Religiöse „Rohingya“ nicht benutzt! Zitieren Sie ihn Verfolgung kennen auch die Bahai, die Ahmadiyya, die richtig!) Jesiden, die Schabak, die Aleviten, die Juden, die Schii- ten und Sunniten, die Tibeter, die Uiguren, die Christen Hören Sie auf Papst Franziskus! aller Konfessionen und Traditionen und die Muslime wie die Rohingya. (Jürgen Braun [AfD]: Papst Franziskus hat nicht „Rohingya“ gesagt, Herr Brand! Den- Lieber Herr Braun, Sie sollten zwischendurch auch ken Sie bitte dran! – Gegenruf des Abg. Frank einmal in die Bibel schauen. Da heißt es nämlich: „Du Schwabe [SPD]: Ja, Herr Braun, es steht jetzt sollst nicht falsch Zeugnis reden ...“ ja zweimal im Protokoll!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, – Herr Braun, es gilt das Gleiche, was ich eben gesagt der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE haben: Sie sollten das wirklich richtig verfolgen. Dass GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Alexander Sie jetzt der Sprecher von Papst Franziskus sind, ist nun Gauland [AfD]) wirklich nicht der Fall. Was Sie hier behauptet haben, ist hier in der Debatte gestern Abend von keinem der anderen Parteien gesagt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und worden. Und wenn Sie dann auch noch die Begriffe über- der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Bleiben Sie nehmen – „sogenannte Volksgruppe“, „Kampfbegriff bei der Realität bei den Zitaten! – Dr. Alice ‚Rohingya‘“ –, Weidel [AfD]: Sie müssen richtig zitieren!) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, genau das!) Ich möchte zum Schluss kommen. Ein Kernanliegen (B) unserer werteorientierten Außenpolitik ist die weltweite (D) dann stellen Sie sich eindeutig auf eine bestimmte Seite, Anerkennung des fundamentalen Menschenrechts auf nämlich auf die falsche, Religionsfreiheit. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP nicht auf die Seite der Verfolgten. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Deshalb war es uns als CDU/CSU besonders wichtig, GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie stehen dass im Koalitionsvertrag erstmals vereinbart wurde, das auf der Seite der islamistischen Mörderban- neue Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für den!) weltweite Religionsfreiheit zu schaffen, sodass es künf- Sie legen den gleichen Zynismus, die gleiche Überheb- tig alle zwei Jahre einen Bericht dazu geben wird, und lichkeit, die gleiche Aggressivität bei diesem sensiblen zwar mit einem systematischen Länderansatz. Das Papier Thema an den Tag wie gestern Abend. soll allerdings nicht geduldig bleiben, sondern wir haben die Erwartung, dass sich die Erkenntnisse im Handeln (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Regierungspolitik widerspiegeln. Als einen Verbün- der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- deten in dieser Frage sehen wir unseren neuen Beauftrag- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alice Weidel ten, Markus Grübel, dem wir unsere Zusammenarbeit an- [AfD]: Sie sollten sich auch einmal mit den bieten und dem wir wirklich Erfolg bei dieser wichtigen Leuten unterhalten! Sie haben überhaupt kei- Aufgabe wünschen. ne Ahnung!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich will Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ihnen auch sagen: Wir werden Ihren Antrag ablehnen; denn es gibt kein Recht auf Migration, und es gibt auch Herr Kollege Brand, Sie wollten zum Schluss kom- kein Recht, sich ein Land und einen Pass auszusuchen. men. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie machen ja vor, wie das Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): geht! – Jürgen Braun [AfD]: Hört! Hört! – Dieser Bundestag zeigt gerade – jedenfalls an seinen Michel Brandt [DIE LINKE]: Darum geht es linken und rechten Rändern –, dass es wichtiger denn je gar nicht!) ist, dass sich alle, denen die Religionsfreiheit wichtig ist, 2488 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Michael Brand (Fulda) (A) für alle verfolgten Minderheiten einsetzen: für Christen kermord sind dramatisch und erschreckend. Aber der (C) bis hin zu verfolgten Muslimen. Anschlag auf die Würde der Menschen beginnt schon deutlich früher, nämlich dann, wenn eine extrem wichti- Vielen Dank. ge Rechtsinstitution fehlt. Das ist die Staatsbürgerschaft: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ohne sie keine Rechte und ohne sie keine Würde; ohne und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie sie keine Freiheit im Leben. bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir freuen uns darüber, dass wir diesen Antrag gemeinsam gestellt haben. Wir freu- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: en uns darüber, dass dies beim Thema Menschenrechte Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lukas Köhler, über die Parteigrenzen hinweg gemeinsam möglich ist. FDP. Es geht eben darum, dass die Würde des Menschen über (Beifall bei der FDP) parteilichem Klein-Klein steht und weitergedacht wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Lukas Köhler (FDP): der CDU/CSU und der SPD) Vielen herzlichen Dank. – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich hatte kurz Aber dieser Antrag kann nicht mehr als die Grundlage überlegt, mich so wie Sie ein wenig darüber aufzuregen, für weiteres Handeln sein. Wir haben lange Zeit die po- was gerade gesagt wurde. Ich möchte aber ganz anders sitive Entwicklung in Myanmar unterstützt: Wir haben beginnen und ein paar Sachen klarstellen. 2012 wieder mit der Entwicklungszusammenarbeit ange- fangen; das ist richtig und gut so. Aber wenn wir in der Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass 700 000 ge- Entwicklungszusammenarbeit einzelne Gruppen aus der füchtete Rohingya in einer Situation leben, die für sie Förderung der Bildung ausschließen, dann unterstützen nicht dramatischer sein könnte. Fakt ist, dass darunter wir deren Autonomie und deren Freiheit eben leider nicht 60 Prozent Kinder sind. Fakt ist, dass es seit August letz- mehr. Da müssen wir so ehrlich sein und anfangen, über ten Jahres mindestens 6 700 Tote gab. Diese Dinge kön- solche Dinge wieder nachzudenken. nen Sie nicht ignorieren. Man kann Entwicklungszusammenarbeit und huma- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, nitäre Hilfe nicht gegeneinander aufwiegen. Das sollte der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE man auch niemals tun oder versuchen. Aber wir müssen GRÜNEN) uns, glaube ich, um die konkrete Situation kümmern. Da können Sie noch so sehr versuchen, islamische Grup- Sie, Herr Schwabe, haben schon kurz angesprochen, dass (B) pen gegen christliche Gruppen und andere Religionen die Situation in den Flüchtlingslagern, vor allen Dingen (D) auszuspielen. Um diese Dinge kommen Sie nicht herum. in dem großen Lager in Bangladesch, extrem dringend ist. Sie haben eine Sache, die ich ergänzen möchte, noch Sie kommen auch nicht darum herum – das können nicht erwähnt: Es ist jetzt April. Das heißt, die Monsun- Sie selbst in den Regierungserklärungen vor Ort lesen –, zeit fängt an. Egal in welcher Diskussion wir stecken: dass Myanmar ein Vielvölkerstaat mit 160 unterschied- Der Monsun wird gerade für die Menschen in diesem lichen ethnischen Gruppen ist, dass eine dieser Gruppen Lager eine extreme Belastung und könnte, so wie die die Rohingya sind, die in einem Gebiet leben, in dem Aussichten im Moment sind, zu vielen Toten führen. Da sie nachweislich schon mehrere Hundert Jahre leben. müssen wir als Staatengemeinschaft hin. Da hoffen wir, Ich weiß nicht, wie Sie den Begriff eines Staatsvolkes unter dem Dach der Vereinten Nationen und des UNHCR sehen und wonach Sie ihn ausrichten. Aber ich glaube, möglichst Schlimmeres zu verhindern. wenn die Dauer eines Aufenthalts mehrere Hundert Jahre umfasst, dann kann man schon von einem einheimischen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Volk sprechen. Deswegen ist das, was Sie eben gesagt der CDU/CSU) haben, leider in großen Teilen Quatsch. Lassen Sie mich noch ganz kurz eine persönliche Sa- In Myanmar geht es um nicht weniger als um die che anführen. Sie haben Aung San Suu Kyi angespro- Würde der Menschen und damit um die Autonomie als chen. Ich glaube, dass ein Friedensnobelpreis, meine Grundlage für ein freies und selbstbestimmtes Leben. Damen und Herren, nicht nur eine Würdigung für ver- Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, ob ein- gangene Leistungen ist, sondern immer auch ein Auftrag zelne Gruppierungen in irgendeiner Weise Anschläge für die Zukunft sein muss. verüben oder sonst irgendetwas in der Art. Solche Dinge werden sehr gerne über die gesamte Volksgruppe kolpor- (Beifall bei der FDP) tiert. Uns geht es um jeden einzelnen Menschen und sein Deswegen ist das Schweigen in dieser Situation das persönliches Schicksal, den wir schützen und dem wir als größte Problem, das Schweigen um einen Völkermord. internationale Staatengemeinschaft helfen müssen. Das Egal wie Sie diese Situation bewerten: Das Leben und ist ein ganz zentraler Teil unserer Aufgabe. die Würde des Menschen sind unantastbar. Das darf und (Beifall bei der FDP sowie der Abg. muss man so sehen. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Meine Damen und Herren, ich hoffe darauf, dass wir Die grausame Verfolgung der Rohingya als religiöse als Gemeinschaft, die sich für die Stärkung der Men- Minderheit, die ethnischen Säuberungen, ja der Völ- schenrechte, der Autonomie und der Freiheit des Einzel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2489

Dr. Lukas Köhler (A) nen einsetzt, weiterhin kämpfen: hier im Bundestag, aber Um es klar zu sagen: Jeder Mensch hat das Recht, (C) auch weltweit. Rechte zu haben. Vielen lieben Dank. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das steht in Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Linke fordert: Staatenlosigkeit muss weltweit be- Nächster Redner ist der Kollege Michel Brandt, Frak- kämpft werden. Es gibt global zwischen 10 Millionen tion Die Linke. und 15 Millionen staatenlose Menschen: Kurdinnen und (Beifall bei der LINKEN) Kurden in Syrien, Menschen mit russischen Wurzeln in Lettland und Estland und Sinti und Roma in ganz Europa. Obwohl die Bundesregierung die Staatenlosenüberein- Michel Brandt (DIE LINKE): kommen unterzeichnet hat, gibt es auch in Deutschland Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Re- über 21 000 staatenlose Menschen. Damit vernachlässigt gierung in Myanmar führt ethnische Säuberungen durch. die Bundesregierung ihre internationalen Verpfichtun- Betroffen ist die muslimische Minderheit der Rohingya. gen. Das ist nicht hinnehmbar. Seit Jahren beobachtet die Bundesregierung diese Eska- lation ohne konkrete Taten. Die Bundesregierung muss (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der sich endlich dafür einsetzen, dass die Armee die Gewalt AfD: Alle einen deutschen Pass!) gegen die Rohingya sofort beendet. Alle Rohingya müs- Staatenlose Menschen, die in Deutschland leben, sen an ihre Orte zurückkehren können und die Möglich- brauchen Rechte. Wir fordern ein Gesetz, um ihnen die- keit haben, eine Staatsbürgerschaft zu erhalten. se Rechte zu geben. Einbürgerungen müssen erleichtert (Beifall bei der LINKEN) werden. Kinder von Gefüchteten müssen Geburtsurkun- den erhalten können. Die Rechte dieser Menschen müssen endlich wieder ge- schützt werden. (Beifall bei der LINKEN) Jeden Tag erleiden Rohingya Gewalt und Ausgren- Wir sagen: Staatenlosigkeit bedeutet Ausgrenzung und zung durch die Regierung in Myanmar. Am 25. August Diskriminierung. (B) 2017 ermordete das Militär mindestens 6 700 Menschen. (D) Über 700 000 Rohingya füchteten seitdem aus dem Die Linke stimmte bereits im Mai 2015 für den An- Land. Diese Katastrophe ist die am schnellsten wachsen- trag „Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an de Flüchtlingskatastrophe weltweit. Es ist mittlerweile den Rohingya verhindern“. Die Große Koalition lehnte unumstritten, dass dies gezielte ethnische Säuberungen den Antrag damals ab. Das ist unfassbar. Die Situation sind. Aus diesem brutalen Verstoß gegen das Völkerrecht muss anscheinend immer erst völlig aus dem Ruder lau- durch die Regierung in Myanmar muss die Bundesregie- fen, bevor die Große Koalition dazu Stellung nimmt und rung deutliche Konsequenzen ziehen. reagiert. Die Bundesregierung darf nicht länger erst dann reagieren, wenn es bereits zu spät ist. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN]) Ausgegrenzte Gruppen müssen Werkzeuge erhalten, um Die Zeit drängt. Hunderttausende Rohingya sitzen in für sich selbst einzustehen. dem mittlerweile größten Flüchtlingslager der Welt in Bangladesch fest. Jeden Tag werden 16 Millionen Liter Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, sich sauberes Trinkwasser benötigt. Monatlich werden über auf EU- und internationaler Ebene für die Abschaffung 12 000 Tonnen an Nahrungsmitteln gebraucht. Mit dem von Staatenlosigkeit einzusetzen, die Partnerschaft zwi- im Juni anstehenden Monsun drohen noch mehr Leid und schen zivilgesellschaftlichen Organisationen und staa- Zerstörung. Um die Katastrophe in Zaum zu halten, wird tenlosen Menschen zu fördern und zu fnanzieren, beson- der UNHCR in diesem Jahr 770 Millionen Euro benöti- ders auf sexualisierte Gewalt gegen staatenlose Frauen gen. Wir fordern von der Bundesregierung, sich mit ei- einzugehen und angemessene fnanzielle Mittel für bes- nem erheblichen Anteil an dieser Summe zu beteiligen. sere Informationen zu staatenlosen Bevölkerungsgrup- pen bereitzustellen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jeder Mensch muss das Recht haben, Rechte zu ha- ben. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Gruppe der Rohingya­ in Myanmar zu staatenlosen Menschen erklärt wurde. Danke schön. Sie dürfen nicht am politischen Leben teilnehmen. Sie können nicht arbeiten. Kinder können nicht zur Schule (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gehen. Sie haben keine Rechte und sind der Willkür des neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Staates ausgesetzt. GRÜNEN) 2490 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Erstens. Mit diesem Antrag rufen wir in Erinnerung, (C) Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Margarete dass die Rohingya in Myanmar seit Jahren systematisch ­Bause, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. entrechtet werden und sogar die Bezeichnung „Rohing- ya“ verboten ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Wir setzen uns für volle bürgerliche und po- litische Rechte der Rohingya ein und dafür, dass sie die Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Staatsangehörigkeit Myanmars bekommen. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Fotogra- Drittens. Hilfsorganisationen und unabhängigen Be- fen der Agentur Reuters haben dieser Tage einen Pulit- obachtern muss endlich der Zugang nach Rakhine ge- zer-Preis gewonnen. Sie dokumentieren mit schockieren- währt werden. den Bildern das Elend der muslimischen Minderheit der Rohingya auf der Flucht nach Bangladesch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Diese Bilder führen uns das furchtbare Grauen der Vertreibung von 700 000 Kindern, Frauen und Männern Viertens. Gefüchtete können nicht zur Rückkehr vor Augen, ihre Angst und ihre Verzweifung. Diese Bil- in ein Land gezwungen werden, in dem sie erniedrigt, der können niemanden kaltlassen außer Sie von der AfD. beraubt und vergewaltigt wurden. Eine Rückkehr nach Myanmar darf nur freiwillig erfolgen, sicher und in Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gleitung von internationalen Helfern. bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP so- wie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Sie macht Ihr Hass blind für die Realität. CDU/CSU und der LINKEN) Kürzlich haben die Vereinten Nationen Myanmar auf Fünftens. Gerade nach den schrecklichen Erfahrungen die sogenannte Liste der Schande gesetzt, eine Liste der von Ruanda und Srebrenica und angesichts schlimmster Staaten, in denen sexuelle Gewalt gezielt in bewaffneten Kriegsverbrechen in Syrien braucht es eine juristische Konfikten eingesetzt wird. Wenn wir hier im Bundestag Aufarbeitung aller in Myanmar begangenen Menschen- eine Liste der Schande hätten, stünden Ihre Namen, mei- rechtsverletzungen und die Verurteilung der Täter sowie ne Damen und Herren von der AfD, ganz oben. die Entschädigung der Opfer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) bei der SPD und der LINKEN) und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- (D) ten der SPD und der LINKEN) Den humanitären UN-Organisationen und unabhän- gigen Beobachtern wird seit langem der Zugang in die Ja, dieser Antrag ist wichtig. Aber wir hätten ihn frü- myanmarische Provinz Rakhine verwehrt, wo das Elend her zustande bringen können. Sie hätten auch Die Linke seinen Anfang nahm. Es ist eine Region im Dunkeln. Es einbeziehen können, Kolleginnen und Kollegen der Gro- ist ein Schauplatz von Verbrechen gegen die Mensch- ßen Koalition. Er könnte zudem noch besser sein. Warum lichkeit bzw. von Akten ethnischer Säuberungen. So war es Ihnen nicht möglich, sich hier im Bundestag zu sagt es der Hochkommissar für Menschenrechte Seid al- einem Waffenembargo gegenüber Myanmar durchzurin- Hussein. Er fragt: Wie viel müssen Menschen erdulden, gen? bevor ihr Leid wahrgenommen wird und ihre Identität und ihre Rechte anerkannt werden von ihrer Regierung (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- und von der Welt? – Deswegen ist unsere interfraktio- SES 90/DIE GRÜNEN) nelle Initiative wichtig. Sie sollte auch Signalwirkung Abgeordnete der EVP, Sozialdemokraten und Liberale haben, im Europaparlament hatten mit dieser berechtigten For- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN derung kein Problem. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD und der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) für Minderheiten weltweit, für Opfer staatlicher Willkür, Angesichts der drohenden Monsunzeit in den Lagern von ganz gleich, welcher Religion oder Weltanschauung sie Bangladesch stellt sich die Frage: Warum kann sich un- angehören. Es ist wichtig, dass der Deutsche Bundestag ser Parlament nicht konkret auf eine Erhöhung der Mittel das Elend von Ausgegrenzten, Verfolgten und Ermorde- für die humanitäre Hilfe festlegen und belässt es bei Ab- ten in den Fokus nimmt. Es ist wichtig, dass thematisiert sichtserklärungen? wird, was nicht nur, aber insbesondere den Muslimen in Myanmar an Leid zugefügt wird, dass also klar angespro- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- chen wird, wozu andere schweigen, darunter leider auch SES 90/DIE GRÜNEN) die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Dies sind kleine Wermutstropfen. Gleichwohl sendet Lassen Sie mich einige Punkte unseres Antrags nen- der Bundestag eine unmissverständliche Botschaft aus: nen, die uns besonders am Herzen liegen. Das Elend der Rohingya geht uns etwas an. Wir schauen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2491

Margarete Bause (A) hin. Wir haben klare politische Forderungen. Wir fordern gen im Juni kommt, werden die Zelte weggeschwemmt, (C) die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. und die Menschen haben keinen Zugang mehr zu saube- rem Trinkwasser und zu medizinischer Versorgung. Es Herzlichen Dank. drohen Ausbrüche von Cholera und anderen Krankhei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ten. bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP so- Aus unserer christlichen Verantwortung heraus, ist es wie bei Abgeordneten der LINKEN) unsere Verpfichtung, hier zu handeln und zu versuchen, steuernd einzugreifen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- CDU/CSU. neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir ganz im Sinne der anfangs erwähnten Nürnberger Prinzipien jetzt ein wei- Sebastian Brehm (CDU/CSU): teres Zeichen setzen für die Einhaltung von Menschen- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und rechten und für Minderheitenschutz in Myanmar. Men- Kollegen! Wie Sie wissen, komme ich aus Nürnberg, aus schenrechtsverletzungen müssen sofort gestoppt werden. der damaligen Stadt der Reichsparteitage und der heuti- Menschenrechtsverletzungen dort müssen juristisch auf- gen Stadt des Friedens und der Menschenrechte. Nürn- gearbeitet werden. Die Täter müssen nach den interna- berg ist die Stadt, in der am 15. September 1935 die Nürn- tionalen Regeln des Strafgerichtshofs verurteilt werden, berger Rassegesetze am sogenannten Reichsparteitag der und vor allem müssen humanitäre Hilfsorganisationen Freiheit beschlossen wurden. Nürnberg ist aber auch die schnell uneingeschränkten Zugang zu den betroffenen Stadt, in der nach dem Krieg mit den Nürnberger Prozes- Gebieten bekommen. sen 1945/46 und den Nürnberger Prinzipien Meilenstei- ne des modernen Völkerstrafrechts gelegt wurden. Jede (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Person – auch Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- oder Militärs –, die völkerrechtliche Verbrechen begeht, NEN) ist hierfür strafrechtlich verantwortlich. Auch wenn das Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt nationale Recht hier keine Strafe vorsieht, kann sich ein handeln; denn der Wettlauf mit der Zeit hat längst be- Täter nach den international anerkannten Rechtsgrund- gonnen. sätzen strafbar machen. Das sind Verbrechen gegen den (B) Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (D) Menschlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Warum erwähne ich das? Diese in Nürnberg entwi- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- ckelten Grundsätze leiten unser menschenrechtspoli- NISSES 90/DIE GRÜNEN) tisches Handeln national und international. Wenn wir dabei auf die aktuelle Lage in Myanmar schauen, bli- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: cken wir auf eines der ärmsten Länder Asiens. Seit 1942 Nun erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Daniela De kommt es in diesem Land immer wieder zu Spannungen, Ridder, SPD-Fraktion. zu Massakern zwischen der muslimischen Minderheit der ­Rohingya und der buddhistischen Mehrheit. Trotz (Beifall bei der SPD) der zivil geführten Regierung seit 2016 macht der Frie- densprozess im Land keinerlei Fortschritte. Im Gegen- Dr. Daniela De Ridder (SPD): teil: Das Militär übt nach wie vor einen entscheidenden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und politischen Einfuss aus und untersteht keiner zivilen Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Kontrollinstanz. Es ist eine uralte Binsenweisheit, ein nahezu durchaus Die Menschenrechtsverletzungen und damit die Ver- uraltes Phänomen – selbst wenn es die AfD nicht wahr- brechen gegen die Menschlichkeit im Land nehmen seit haben will –: Gerade in schweren Zeiten, in Zeiten sozi- Herbst 2016 drastisch zu. Es kommt zu menschenver- aler Spannungen und sozialer Umbrüche werden religi- achtenden Massakern, systematischen Vergewaltigungen öse Minderheiten gerne zum Opfer von Verfolgung und und Inbrandsetzungen von zahlreichen Dörfern. Die Ver- Pogromen. Das sollte gerade uns aus unserer deutschen einten Nationen – das wurde heute mehrmals erwähnt – Geschichte heraus kein unbekanntes Phänomen sein. bezeichnen dieses Vorgehen des Militärs als ethnische (Dr. Alice Weidel [AfD]: Dann schauen Sie Säuberungen. 900 000 Menschen sind in der Zwischen- mal in die Geschichte von Myanmar!) zeit in das benachbarte Bangladesch gefohen, darunter 60 Prozent Kinder. Die Verhältnisse in den Flüchtlings- Auch die Rohingya, eine muslimische Minderheit im lagern drohen zu eskalieren. Sie haben es erwähnt: Der buddhistisch geprägten Myanmar, werden seit Jahrzehn- Monsunregen steht bevor. ten systematisch ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen. Durch unsere Hilfe konnte in den Flüchtlingslagern zwar schon viel erreicht werden, vor allem Trinkwasser- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Es ist genau umge- und medizinische Versorgung, doch wenn der Monsunre- kehrt!) 2492 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Dr. Daniela De Ridder (A) Denn sie besitzen weder die Staatsangehörigkeit noch sen Völkermord zu stoppen. Lassen Sie uns Mitverant- (C) andere politische Rechte. Deren Leid – daran machen Sie wortung an dieser Stelle übernehmen, sich durch Ihre Äußerungen mitschuldig – ist unermess- lich und betrifft vor allem Frauen und Kinder. Das haben (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) wir hier schon gehört. damit die Regierung in Myanmar davon überzeugt wer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie den kann, dass die Rohingya alle ihre bürgerlichen Rech- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- te brauchen, dass ihnen auch ihre politischen Rechte zu- NISSES 90/DIE GRÜNEN – erkannt werden, dass es ihnen möglich wird, sicher und [CDU/CSU]: Das ist denen doch egal!) freiwillig aus Bangladesch zurückzukehren – wir haben es schon gehört –, dass die Menschenrechtsverletzungen Ja, dabei sind Regierung und Militär die Drahtzieher, gestoppt werden, dass die Opfer entschädigt werden kön- oder sie schauen einfach weg, statt die Situation richtig nen und dass wir auch fankierend eingreifen, um huma- zu analysieren. nitäre Hilfe zu leisten. (Jürgen Braun [AfD]: Sie sind einseitig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In der Tat ist auch schon das Schweigen der Friedens- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kritisiert worden, DIE GRÜNEN) völlig zu Recht. Wir ersuchen Sie weiterhin, die Vereinten Nationen Was aber ist der Grund für diese Gewaltexzesse gegen anzurufen – auch das haben wir gehört –, damit die Men- die Rohingya? Wer proftiert eigentlich von deren Leid, schenrechtsverletzungen nicht nur aufhören, unterblei- von deren Elend? In Myanmar, in einem Land mit weit ben, sondern auch verfolgt und geahndet werden. über 100 Volksgruppen, sind ethnische Konfikte und (Zurufe des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Spannungen leider an der Tagesordnung. Was aber fast alle Volksgruppen dort verbindet, ist ihr buddhistischer Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Glaube. Auffassung – außer offensichtlich die AfD –, dass die Rohingya in Myanmar oder in Bangladesch genug ge- Die Rohingya wiederum sind Muslime: Sie glauben litten haben. Sie haben – nehmen Sie dies doch bitte und sie beten anders. Sie sehen anders aus und passen ausdrücklich zur Kenntnis! – ein Recht auf Würde, ein deshalb in den Augen vieler buddhistischer Mitmenschen Recht auf Glaubensfreiheit, ein Recht auf Leben und Un- nicht zur Gesellschaft. versehrtheit, vor allem auf ein Leben ohne Verfolgung Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Mir schon. und ohne Angst. (B) Sie werden verabscheut, gehasst und misshandelt. Sie (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Hören (D) sind geradezu Sündenböcke einer von Gewalt und Elend Sie doch mal zu, Kollege Braun!) gekennzeichneten Gesellschaft. Ja, wir sprechen in der Deshalb: Machen Sie sich bitte nicht mitschuldig, son- Tat bereits von ethnischen Säuberungen. dern unterstützen Sie dieses Anliegen! Sprechen Sie sich (Dr. Alice Weidel [AfD]: Reden Sie doch bitte aus gegen Verfolgung, gegen Diskriminierung und gegen mal über die Übergriffe auf die buddhistische Völkermord! Bevölkerung seit Jahrzehnten!) Vielen Dank. – Vielleicht hören Sie einfach einmal zu. Sie könnten (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN noch eine ganze Menge an Humanität lernen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜND- Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sie sollen zu- NISSES 90/DIE GRÜNEN) hören, Kollege Braun! – Gegenruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Ja, das mag uns gelegentlich überraschen, weil wir im Westen eigentlich das Bild von einem sehr friedvollen Buddhismus haben. Dass hier die Buddhisten die unter- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: drückende Mehrheit sind, hat in der Tat etwas, was uns Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege vielleicht überrascht, aber es zeigt doch eines: Nicht die Martin Patzelt, CDU/CSU. Religion ist der Grund für dieses Völkermorden; die Ur- sachen liegen offensichtlich viel tiefer. Solange Religi- Martin Patzelt (CDU/CSU): on Privatsache ist, ist sie eigentlich nie ein Problem. Sie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wird dann zum Problem und zum Konfiktherd, wenn sie bin der letzte Redner in dieser sehr ambitionierten Debat- durch Macht und Interessen instrumentalisiert wird, und te. Lassen Sie mich auf die Metaebene gehen. das machen Sie täglich zur Tagesordnung. Wir haben im Vorfeld eine Beschlussvorlage beraten, (Beifall bei der SPD und der FDP – Beatrix mit der wir unsere Regierung beauftragen, endlich zu von Storch [AfD]: Das macht der Islam!) handeln. Ich kann den Eindruck, den die Grünenfrakti- Genau das passiert aber auch in Myanmar mit on hier erweckt, dass unsere Regierung an diesem Elend den Rohingya. Deshalb, liebe Staatsministerin Frau Mitschuld trägt, nun wirklich nicht teilen, aber es ist Müntefering, ersuchen wir Sie auch, alles zu tun, um die- richtig, dass wir eine solche Resolution verfassen, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2493

Martin Patzelt (A) wir die Regierung beauftragen. Wir könnten das in jeder gebaut und versucht, sie in Bangladesch als angemessene (C) Sitzungswoche tun. Das Unrecht im Sudan, das Unrecht Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Indien in der Türkei, die extralegalen Tötungen auf den Philip- stellt ganze vorgefertigte Dörfer zur Verfügung, damit pinen, der Organraub in China – wir werden mit dem die Flüchtlinge dort menschenwürdig leben können. Elend dieser Welt nicht fertig, und Deutschland ist kein Aber am Ende verfolgen auch diese Anliegerstaaten bloß Weltpolizist; Deutschland ist auch kein Weltrichter. ihre eigenen Interessen. China beispielsweise würde sich nicht entschieden auf die Seite der Entrechteten stellen, (Beifall bei Abgeordneten der AfD) weil es eigene Interessen hat – an seiner maritimen Sei- Aber was wir versuchen müssen, ist, vor diesem denstraße und am guten Verhältnis zu Bangladesch. Elend nicht die Augen zu verschließen, schon um unserer Menschlichkeit willen. Wir müssen Worte fnden für die Auch wir müssen uns selber fragen: Sind unsere eige- Menschen, die mundtot gemacht werden und die keinen nen Interessen so gelagert, dass wir überall für die Men- Anwalt mehr haben – schenrechte eintreten können, ohne unsere wirtschaft- lichen, politischen, diplomatischen Beziehungen im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hinterkopf zu haben? In Sachen Menschenrechte dürfen aber mit Klugheit. Wir können doch nicht glauben, dass wir zu allererst nicht auf andere Interessen hören. Dazu wir uns allein durch unsere Resolutionen und durch eine würde ich uns ermuntern wollen. Regierungsbeauftragung aus der Affäre ziehen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Es geht nicht darum, dass wir unser Gewissen beruhigen. FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wir wollen helfen; wir wollen tatsächlich helfen. Wenn NEN sowie der Abg. [SPD]) man helfen will, muss man in einen Dialog mit den Par- teien treten, die sich in furchtbarer Weise bekriegen. Wir Wir haben unser Grundgesetz, aber das Grundgesetz müssen versuchen, die Ursachen zu verstehen, die zu der lässt sich ändern. Auch Menschenrechte müssen in unse- Situation geführt haben. rem Lande immer wieder beobachtet und fortgeschrieben werden. Wenn ich die Debatte verfolge, stelle ich fest: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen ebenfalls Von den 700 000 Menschen sind 60 Prozent Kinder. nicht in Hass verfallen. Wir dürfen auch nicht in Hass Wenn wir den Hass der Elterngeneration auf die Kin- verfallen, wenn wir Positionen hören, die für uns unan- dergeneration fortpfanzen, dann nimmt das kein Ende, nehmbar sind. Wir müssen im Dialog bleiben; denn nur und dann helfen unsere Resolutionen nicht, vielleicht so werden wir die Menschen im Lande mitnehmen und nicht einmal unser militärisches Eingreifen, so wie wir sagen können: Das, was wir in Deutschland haben – die- es gelernt haben. Wir müssen versuchen, einen Dialog ses wunderbare Geschenk einer funktionierenden Demo- (B) (D) anzustoßen und mit zu betreiben – in aller Demut und kratie –, dürfen wir nicht kaputtgehen lassen. Bescheidenheit –, und sagen: Ja, es geht uns etwas an, was dort passiert. – Wir müssen mit allen Parteien reden. Danke schön. Ich nehme das mal zum Anlass, auch die Situation der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Regierung im Land deutlich zu machen. Nach 76 Jahren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Militärjunta hat man dort ein ganz schwaches demokra- geordneten der AfD und der FDP) tisches Pfänzchen gesetzt. Sie muss – das wissen wir aus unserem Lande – in dieser demokratisch geordneten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Situation versuchen, die gesellschaftlichen Kräfte zu er- kennen und sie zu befrieden, damit diese nicht die Ge- Damit schließe ich die Aussprache. walt über ihr Regierungshandeln gewinnen. Es wird interfraktionell die Überweisung der Vorla- Das zu Recht entrechtete Militär mordet weiter, brand- gen auf den Drucksachen 19/1708 und 19/1688 an die in schatzt, vertreibt, bestärkt die extremen buddhistischen der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Kräfte und begeht menschenrechtliche Verletzungen in gen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann großem Ausmaß. ist das so beschlossen. Diese Regierung müssen wir stützen, diese Parla- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: mentarier müssen wir stützen. Vielleicht ist das auch ein Aufruf an uns alle: Was tun wir denn, um mit ihnen Erste Beratung des von dem Abgeordneten zu kommunizieren, um sie zu bestärken, auch in ihrem Thomas Ehrhorn und der Fraktion der AfD ein- Bedürfnis, etwas umzugestalten? Wir haben 2012 und gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- 2017 bemerken können, dass es beachtenswerte Bemü- rung des Deutsche-Welle-Gesetzes hungen der Regierung gab, die Todesstrafe auszusetzen, Drucksache 19/1697 die Kindersoldaten zu verbieten, die Fluchtursachen der ­Rohingyas zu beseitigen. Das ist alles wieder abgestor- Überweisungsvorschlag: ben. Warum? Weil die Gegenkräfte im Land wahrschein- Ausschuss für Kultur und Medien lich zu stark sind. Auch damit müssen wir uns beschäf- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für tigen. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre zwar Die umliegenden großen, starken Staaten haben ver- viele Gespräche, aber keinen Widerspruch. Ich nehme sucht, zu befrieden. China und Japan haben Fertighäuser also an, dass das so beschlossen ist. 2494 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort wir in 30 Sprachen für fast 500 Millionen Euro im Jahr (C) dem Kollegen Thomas Ehrhorn von der AfD-Fraktion. bis in den letzten Winkel dieser Welt senden wollen, dann kommt fast verzögerungsfrei die Antwort: Toleranz. In (Beifall bei der AfD) einer Zeit, in der man uns eingebläut hat, alles und jedes zu tolerieren, Thomas Ehrhorn (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jedes Re- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gime, welches sich von Demokratie und Freiheit entfernt, NEN]: Sogar die AfD!) hat bislang noch immer den Versuch unternommen, eine egal wie abwegig oder schädlich es ist – von mittelal- möglichst allumfassende Kontrolle über die Medien zu terlichen Religionsvorstellungen bis zum Genderwahn –, erlangen. ahnen wir, was das bedeutet. Was mit der Kontrolle der Medien beginnt, führt zur Kontrolle der Deutungshoheit im politischen Dis- (Beifall bei der AfD) kurs, zur Kontrolle der politisch korrekten Sprache und Aber was wollen wir erwarten, schließlich zur Kontrolle all dessen, was Menschen noch fühlen, denken und sagen dürfen. (Martin Rabanus [SPD]: Was denn?) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn in den Rundfunkräten Regierungsvertreter sitzen – NEN]: AfD-Bullshit!) also Rote, Linke und Grüne – und wir bei den Vertretern Propagandamedien in den Händen einer herrschenden der sogenannten „gesellschaftlichen Gruppen“ Gewerk- politischen Klasse werden nicht selten zu dem Werkzeug, schaften, Kirchen und DITIB-Repräsentanten fnden, also wieder Erfüllungsgehilfen der Roten, Linken und ( [Erfurt] [SPD]: Das kenne Grünen? ich von früher noch!) (Beifall bei der AfD) welches die Stimme des klaren Menschenverstandes in den Köpfen der Bürger zum Schweigen bringt. Wundern wir uns also bitte nicht über all die medial (Beifall bei Abgeordneten der AfD) verbreiteten Märchen wie das von den Ärzten und Fach- arbeitern, die zu uns kommen. Wundern wir uns nicht Aus genau solchen Erwägungen heraus hat uns das Ver- über die schwülstigen Multikulti-Liebesgeschichten, in fassungsgericht zuletzt in seinem Urteil vom März 2014 denen wir minderjährigen Mädchen vor Augen führen, einen ganz eindeutigen Rahmen für die Besetzung der wie wundervoll die Beziehung zu einem Migranten ist; (B) Rundfunkräte gegeben. Vier Jahre sind seitdem vergan- jedenfalls dann, wenn man bereit ist, sich seinen kruden (D) gen, ohne dass man es für nötig gehalten hätte, diesen muslimischen Weltanschauungen fast bedingungslos un- Vorgaben gerecht zu werden und das Deutsche-Wel- terzuordnen. le-Gesetz dementsprechend anzupassen. Wir dürfen natürlich einmal fragen, warum. Wir jedenfalls fordern (Beifall bei der AfD) das heute ein. Und um es auch gleich ganz klar und un- missverständlich zu sagen: Wenn Sie sich weigern, den Wundern wir uns nicht über Sendungen im Nachmittags- Forderungen des Bundesverfassungsgerichts Genüge zu programm des Kinderkanals – wohlgemerkt: des Kinder- tun – nach dem Motto: stell dir vor, das Verfassungsge- kanals –, richt spricht Recht, und niemanden interessiert’s –, dann ( [CDU/CSU]: Was hat das fügen Sie der langen Liste der von Ihnen begangenen mit Deutscher Welle zu tun?) Rechtsbrüche einen weiteren hinzu. (Beifall bei der AfD) in denen ausländischen Jugendlichen beigebracht werden soll, wie man BHs öffnet. Wundern wir uns nicht, wenn Auch wenn die totale Objektivität in der medialen uns von bärtigen Sachverständigen erklärt wird, dass Berichterstattung eine Wunschvorstellung bleiben mag, der Terror, der zurzeit unsere westliche Welt überzieht, sage ich: Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepu- nichts, aber auch gar nichts mit dem Islam zu tun hätte. blik war die Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien durch den kranken Geist der 68er so offensicht- (Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich und so greifbar wie heute. NEN]: Fragen Sie mal Ihre Mitarbeiter! Die wissen Bescheid über Terror!) (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LIN- KEN: Frechheit!) Wundern wir uns nicht, wenn man von all den Messerat- Heute sind Teile der Rundfunkanstalten zum Tummel- tacken und Vergewaltigungen wie in der Kölner Silves- platz der Hofberichterstatter des linken Mainstreams ge- ternacht nur dann berichtet, wenn es absolut nicht mehr worden, vermeidbar ist. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD) zu Anstalten der Volksumerziehung und Volksverdum- Die Verantwortlichen für die politisch korrekte Pro- mung. Fragen wir den Intendanten der Deutschen Welle, grammgestaltung saugen sich mit einer Selbstbedie- welche Werte unserer Kultur es denn eigentlich sind, die nungsmentalität, die ihresgleichen sucht, am Tropf der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2495

Thomas Ehrhorn (A) Rundfunkzwangsgebühren voll und zahlen sich Gehälter, Ich freue mich, dass der Intendant, Peter Limbourg, (C) die nun wirklich niemand mehr nachvollziehen kann. mit seinen Mitarbeitern auf der Tribüne sitzt. (Beifall bei der AfD – Erhard Grundl [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ah- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nung!) GRÜNEN) All das hat in der Tat nicht nur etwas mit Fehlentwick- Herzlich willkommen und danke für Ihre wirklich wich- lungen zu tun, sondern es hat etwas mit Fehlbesetzungen tige Arbeit! Ich rede jetzt über die Deutsche Welle und bei den Intendanten und in den Kontrollgremien zu tun. nicht wie Sie, Herr Ehrhorn, über Gott und die Welt. Der Auslandsrundfunk ist heute in einer unruhiger geworde- (Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Welt wichtiger als je zuvor. NEN]: Sie sind eine Fehlbesetzung!) Erstens. Wir beobachten weltweite Einschränkungen Ich verspreche Ihnen: Wir werden das mittelfristig auf der Pressefreiheit. Nur noch 13 Prozent der Weltbevölke- allen Ebenen ändern; rung – darüber war ich selbst erschrocken – kommen laut dem aktuellen Pressefreiheitsbericht von Freedom House (Helin [DIE LINKE]: Eine in den Genuss freier Medien. Nur noch 13 Prozent! Drohung!) Wir beobachten zunehmend Verfolgungen und Tötun- denn wir sind es leid. Und ich sage Ihnen: Millionen von gen von Journalistinnen und Journalisten. Deshalb ha- Zuschauern da draußen an den Bildschirmen sind es auch ben sich Union und SPD bereits im letzten Jahr für die leid. Schaffung des Amtes eines UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten ausgesprochen. (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben längst ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geschaltet bei Ihrem Rassismus!) Zweitens. Wir verzeichnen eine steigende Konkur- renz in der internationalen Kommunikation. Autoritäre Es wird wieder eine Zeit geben, meine Damen und Staaten wie China, Russland oder der Iran rüsten ihre Herren, in welcher Berichterstattung wieder ausgegli- Auslandssender mit enormen Investitionen auf. Insofern chen, Journalismus wieder fair und politischer Diskurs haben wir guten Grund, die Deutsche Welle weiter zu wieder ergebnisoffen sein wird; denn wir – darauf kön- stärken. nen Sie sich verlassen – werden dafür sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- (B) Danke schön. wie bei Abgeordneten der FDP) (D) (Beifall bei der AfD – [SPD]: Drittens. Die Digitalisierung verändert natürlich auch Dass Sie diese Rede am 20. April halten, ist das Mediengeschäft und den Zugang zu Medien in um- kein Zufall! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ stürzender Weise. Über das Internet sind nahezu alle Pro- DIE GRÜNEN]: Er droht mit Gleichschal- gramme überall verfügbar. Das schafft ganz neue Kon- tung!) kurrenzen. Der von der Deutschen Welle 2017 vorgelegte Evalua- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: tionsbericht zeigt: Unser Auslandssender ist auf einem Jetzt hat das Wort die Kollegin Elisabeth Motschmann, sehr guten Kurs. Seit dem Amtsantritt von Intendant CDU/CSU. Limbourg 2013 hat sie eine eindrucksvolle Erfolgsge- schichte geschrieben. Die Zahl der wöchentlichen Nutzer (Beifall bei der CDU/CSU) stieg von 101 auf 157 Millionen weltweit. 96 Prozent der befragten Nutzer halten die Angebote für glaubwürdig. Heute, da alle von Fake News beeinfusst sind und wir Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): zunehmend sensibilisiert sind, ist das ein großer Erfolg Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und ein Faustpfand der Stimme Deutschlands in der Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Tribü- Welt, die wir nicht unterschätzen sollten. ne! Dass sich ausgerechnet die AfD, Herr Ehrhorn, zum Gralshüter von Demokratie, Pressefreiheit und Unabhän- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gigkeit aufschwingt, ist ein Treppenwitz. Die Nutzer erkennen in den Inhalten deutsche und eu- ropäische Perspektiven sowie die Werte einer freiheitli- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der chen, rechtsstaatlich verfassten Demokratie. Mit 27 ihrer FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ 30 Sprachangebote gehört die Deutsche Welle zu den DIE GRÜNEN – Helin Evrim Sommer [DIE Top 3 der Auslandssender. Klasse! LINKE]: Da lachen ja die Hühner!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Aber ein Gutes hat die Debatte: Wir reden hier zur wie bei Abgeordneten der FDP) ­Primetime über die Deutsche Welle, und sie hat es ver- dient. Sie ist nämlich großartig. Alle diese Erfolge hat die Deutsche Welle unter den Vorzeichen des Deutsche-Welle-Gesetzes in seiner be- (Hansjörg Müller [AfD]: Propagandasender!) stehenden Form erreicht. Nun kommt der Vorschlag der 2496 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Elisabeth Motschmann (A) AfD, dieses Gesetz zu ändern. Die Gremien der Deut- Das ist nämlich der wahre Grund Ihres Antrages. (C) schen Welle sollen angeblich staatsferner werden. Schau- en wir uns einmal an, wie sich die AfD das vorstellt. Man (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie beruft sich auf das ZDF-Urteil und versteht nicht, dass bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- es sich um zwei verschiedene Paar Schuhe handelt. Aber NISSES 90/DIE GRÜNEN) darauf möchte ich nicht eingehen. Sie wollen in das Gremium. Ich sage einmal: Es ist ein Segen, dass Sie da nicht drin sind. Wir haben schon ge- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) nug Gremien, in denen Sie drin sind, also nicht auch noch In der letzten Sitzung des Ausschusses für Kultur und hier. Medien haben Sie, Herr Ehrhorn, Folgendes gesagt: Wir (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- können doch nicht einen Sender in Ländern ausstrahlen wie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN lassen, die das nicht wünschen, die keine Einmischung in und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ihre eigenen Angelegenheiten wünschen. – Damit haben Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist Demo- Sie allerdings die Maske fallen lassen. Sie betreiben das kratie, Frau Motschmann! Wunderbar!) Spiel Russlands oder anderer autoritärer Regime. Immerhin geben Sie unter „Alternativen“ ja zu, dass (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der es verschiedene Modelle geben könne, sagen aber, dass FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- die von Ihnen vorgeschlagene Regelung am sachgerech- SES 90/DIE GRÜNEN) testen sei. So sieht Staatsferne à la AfD aus. Nein, meine Damen und Herren, danke schön, das wollen wir nicht. Die wollen nämlich keine Einmischung. In Ihrer Logik Das taugt wirklich nicht als Bewerbungsschreiben eines wünscht eine autoritäre Regierung, dass sie in Ruhe ge- AfD-Vertreters für die Gremien der Deutschen Welle. lassen wird. Das ist entlarvend und unterstreicht Ihr Ver- ständnis von Demokratie und Pluralität. Die Koalition wird im Juni die Stellungnahme des Bundestages zum Entwurf der Aufgabenplanung der (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Deutschen Welle beschließen – ich muss jetzt zum Abg. Dr. [SPD]) Schluss kommen –, und wir werden über drängendere Fragen der Deutschen Welle reden. Die Deutsche Welle Russia Today darf selbstverständlich in Deutschland braucht keine Gesetzesänderung. Sie braucht ein stabiles senden. Obwohl wohl uns allen – mir besonders – vie- fnanzielles Fundament. Wir müssen es für die zusätzli- le der Sendungen überhaupt nicht gefallen, darf Russia chen Aufgaben aufstocken, damit wir in dieser Welt, die Today senden. Hier wird durch diese Sender hybride (B) aus den Fugen geraten ist, helfen können – durch Mei- (D) Kriegsführung betrieben. Ich weiß, dass Länder wie die nung, durch Demokratie, durch Freiheitsgedanken. baltischen Länder und die auch jetzt noch unter dieser Einfussnahme von russischen Medien und Sen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der dern leiden. Erst geht Russland mit Meinung und Propa- SPD und der LINKEN sowie der Abg. Margit ganda in ein Land, und dann, wie wir im Falle der Ukrai- Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ne und der Krim gesehen haben, auch mit Soldaten. Insofern freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ih- Wir werden der AfD eine Nivellierung unserer Werte nen, Herr Limbourg, in der kommenden Zeit. wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlich- Danke schön. keit sowie Völkerverständigung ganz sicher nicht durch- gehen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Na wunder- bar!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort zu seiner ersten Rede im Sie werden es nicht schaffen, den Charakter und das gute, Deutschen Bundestag dem Kollegen Thomas Hacker, freundliche Gesicht unseres Landes zu verändern, das die FDP. Deutsche Welle in der Welt repräsentiert. (Beifall bei der FDP) Aber zurück zum Gesetzentwurf. Die AfD will – ganz gemäß dem Verfassungsgerichtsurteil – die Zahl der (FDP): staatlichen Vertreter im Rundfunkrat von sieben auf fünf Thomas Hacker und damit um ein Drittel drücken. Wie erreicht sie das? Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Sie will die drei von der Regierung gestellten Vertreter 65 Jahren trägt die Deutsche Welle die grundlegenden streichen, gleichzeitig erhöht sie aber die Zahl der vom Werte unserer Gesellschaft, die Grundlagen der Bun- Bundestag zu wählenden Mitglieder von zwei auf drei. desrepublik Deutschland in die Welt hinaus: Freiheit, Man spürt die Absicht und ist verstimmt; denn der dritte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Weltoffenheit, Mensch- Sitz wäre dann für die AfD, meine Damen und Herren. lichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Ihnen gegen- über auch große Geduld. Sie tut dies in 30 Sprachen. Sie (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ein Schelm, tut das sehr erfolgreich. Der Erfolg, meine Damen und der Böses dabei denkt! – Dr. Herren, kann sich in Reichweiten, in Zuschauer- und in [AfD]: Na und?) Nutzerzahlen messen lassen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2497

Thomas Hacker (A) Sie können es sich aber auch einfacher machen, liebe Halten wir es, meine Damen und Herren, für sinnvoll, (C) Kolleginnen und Kollegen. Fragen Sie doch einen der wenn die Deutsche Welle in Zukunft auch ein türkisch- vielen jungen Menschen aus aller Welt, die derzeit ihr sprachiges Angebot aufegt, Stipendienprogramm beim Deutschen Bundestag durch- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) laufen, wo wir doch alle sehen, wie unter Präsident Erdogan die (Hansjörg Müller [AfD]: Das hat damit nichts Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in der Türkei mit zu tun!) Füßen getreten und ins Gefängnis gesteckt werden? Wir Freie Demokraten wollen ein solches Angebot in türki- einen von 116 jungen Menschen aus 42 Ländern dieser scher Sprache. Erde, wie oft sie die Deutsche Welle tatsächlich nutzen. Sie werden überrascht sein. Ich habe meinen Stipendia- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten Emin aus Montenegro – er sitzt auf der Tribüne – ge- der CDU/CSU) fragt. Er informiert sich wöchentlich über die Deutsche Aber worüber diskutiert die AfD? Die AfD will den Welle über Politik in der Welt. 17-köpfgen Rundfunkrat der Deutschen Welle um zwei (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Personen verkleinern. Selbstverständlich kann man – und der CDU/CSU) muss man sogar – über die Größe und Staatsferne der Rundfunkgremien reden und diskutieren. Warum hat der Hierauf können wir, meine Damen und Herren, stolz sein, SWR 74, der WDR 60 und der Bayerische Rundfunk gerade wenn man bedenkt, woher wir als Bundesrepublik 50 Rundfunkräte? Ihre Kollegen in den Landtagsfrakti- Deutschland kommen. Auch das heutige Deutschland hat onen arbeiten sicherlich schon daran. sich seine Werte erst erkämpfen müssen. Ob das Urteil zum ZDF-Fernsehrat tatsächlich auf die Deutsche Welle anwendbar ist, Herr Ehrhorn, bezwei- Wer politisch interessiert oder sogar engagiert ist – in feln wir. Die Deutsche Welle ist ein Auslandsrundfunk Amman, Rabat oder Beirut –, verfolgt die Deutsche Wel- und nicht Teil der Medienlandschaft bzw. Medienviel- le. Mehr als 8 Millionen Menschen aus dem arabischen falt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Es geht Raum schauen sich allein die Talkshow „Shabab Talk“ nicht um die vierte Gewalt in der Bundesrepublik oder von Jaafar Abdul Karim online oder via Satellit ein. die Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Wenn dort junge Kandidaten vor der Wahl im Libanon Rundfunk. Nein, die Deutsche Welle ist eine Angelegen- miteinander diskutieren, miteinander streiten, wenn dort heit des Auswärtigen. Vielleicht hätten Sie in Ihrem Bei- über #MeToo oder Homosexualität gesprochen wird, trag das berücksichtigen können. (B) dann trägt die Deutsche Welle durch diese Sendungen (D) zur Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt bei und stärkt die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen. Sie trägt zur der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNIS- Offenheit in der Gesellschaft bei. SES 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Was will die selbsternannte Alternative eigentlich mit der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Ihrem Gesetzentwurf? „Zwei mal drei macht vier … und SES 90/DIE GRÜNEN) drei macht neune …“ – frei nach Pippi Langstrumpf. Man nehme einen Rundfunkrat von 17 Personen, streiche Fast alle hier im Haus wissen: Freie Medien, freie Mei- zwei, schiebe zwei Vertreter von der Bundesregierung nungen und freie Menschen bedingen einander. zum Bundestag hinüber und – schwuppdiwupp! – sitzt ein Vertreter des rechten Randes in diesem Gremium. So (Zuruf von der AfD: Warum haben wir das leicht, liebe Kollegen, lassen wir uns nicht hinters Licht dann nicht?) führen.

Meine Damen und Herren, über vieles hätten wir Vielen Dank. heute an dieser Stelle diskutieren können. Wie sieht das (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD zukünftige Programm der Deutschen Welle aus? Wollen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie wir Toleranz und Offenheit in die Welt hinaustragen? Ja, bei Abgeordneten der LINKEN) wir Freie Demokraten wollen das.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Elisabeth Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Motschmann [CDU/CSU]) Jetzt hat das Wort der Kollege Martin Rabanus, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir hätten über die zukünftige Finanzierung der Deut- der CDU/CSU) schen Welle sprechen können. Wollen wir, dass unser Auslandssender weiterhin im Wettbewerb mit Sendern wie Russia Today ein glaubwürdiges Programm produ- Martin Rabanus (SPD): zieren und ausstrahlen kann? Wir wollen das. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Herr Hacker, ich kann direkt anschließen. Worum (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten geht es bei diesem Gesetzentwurf? Dieser Gesetzent- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ wurf ist, wenn man so will, ein trojanisches Pferd, das DIE GRÜNEN) mit Staatsferne daherkommt, tatsächlich aber Rechtspo- 2498 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Martin Rabanus (A) pulismus beinhaltet. Das kann man versuchen. Aber Sie Ihren Zeilen durch. Ich sage Ihnen: Fakten statt Fake (C) werden es uns nachsehen, werte Kollegen der AfD, dass News – deswegen brauchen wir die Deutsche Welle, die wir Ihnen das so nicht durchgehen lassen – ganz im Ge- eine hohe Glaubwürdigkeit in der Welt hat. 96 Prozent genteil! Dieser Gesetzentwurf ist also der Versuch der der Nutzerinnen und Nutzer der Deutschen Welle sagen, AfD, Einfuss auf Fragen grundsätzlicher Bedeutung in die Deutsche Welle hat eine hohe bis sehr hohe Glaub- der Deutschen Welle zu erlangen: allgemeine Programm­ würdigkeit. Das ist ein enorm guter Wert. Dafür meinen angelegenheiten, Erfüllung des Programmauftrages. herzlichen Glückwunsch an die Deutsche Welle! Der Verweis auf das Urteil zum ZDF-Fernsehvertrag (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie ist in der Tat das, was es ist: ein Ablenkungsmanöver. bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Thomas Ehrhorn [AfD]: Keineswegs!) Diese Fakten, die unser Auslandssender statt Fake Wir werden in den weiteren Beratungen schauen, ob die News in die Welt trägt, hören immer mehr Menschen. Übertragbarkeit und Anwendbarkeit des Urteils über- Im Zeitraum von 2012 bis 2017 hat die Welle die Nutzer- haupt gegeben ist. Ich neige auch zu der Einschätzung, zahl um 60 Prozent steigern können, von knapp 100 Mil- dass wir es hier mit einer anderen Rechtsgrundlage zu lionen Nutzern auf jetzt etwa 160 Millionen. Die Ziele tun haben. Aber wenn an der Stelle etwas zu besorgen ist, der Aufgabenplanung sind ambitioniert; aber ich glaube, dann nicht so, wie Sie es hier vorlegen. dass die Deutsche Welle da noch einiges erreichen kann. Tatsächlich ist es auch so, dass Ihnen – wenn Sie ehr- Fakten statt Fake News, meine Damen und Herren – lich sind – nichts an der Deutschen Welle liegt. Tatsäch- deswegen wollen wir die Deutsche Welle weiter fnanzi- lich ist es auch so, dass Ihnen nichts am öffentlich-recht- ell stärken. Im Koalitionsvertrag haben wir das angelegt. lichen Rundfunk insgesamt liegt, Wir wollen die Deutsche Welle auf Augenhöhe mit ihren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) medialen Partnern, den Auslandssendern anderer Länder, bringen; insbesondere Frankreich und England sind da an einem System, das Sie lieber aufösen würden. unsere Orientierungsgrößen. Wir wollen die Fähigkeiten (Beifall bei Abgeordneten der AfD) weiter ausbauen, das breite Programm erhalten und aus- bauen. Wir wollen die Deutsche Welle zu einem digita- Insofern ist es auch ein bisschen merkwürdig, wenn Sie len, globalen Medienhaus entwickeln. vorgeben, mit einem solchen Gesetzentwurf einen Bei- trag zur Qualität zu leisten. Sie meinen, im Zeitalter des Noch einmal: Dieses deutsche Auslandsmedienhaus Internets könne man das System, das wir haben, aufö- sendet Fakten und keine Fake News. Die Deutsche Welle tut das unabhängig, kritisch, innovativ, wertegebunden, (B) sen, weil man sich im Internet informieren könne und das (D) ausreiche. Ich sage Ihnen: Genau das Gegenteil ist der mit Herz und Seele, verbunden mit unseren Grundwer- Fall. Wir brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. ten. Das ist das Entscheidende. (Zuruf von der AfD: Sie! Sie brauchen ihn!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Hacker [FDP]) Wir brauchen ihn, weil wir Fakten statt Fake News wol- len. Wir wollen, dass die Deutsche Welle diesen Weg weiter- geht. Dafür wünschen wir ihr alles Gute und unterstützen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sie im Rahmen unserer Möglichkeiten aus voller Über- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hansjörg zeugung. Müller [AfD]: Gehirnwäsche!) Herzlichen Dank. Das ist vielleicht auch noch ein Unterschied zwischen Ih- nen und uns. Für Fakten statt Fake News steht in der Tat, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Welle. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Wir haben im Ausschuss vor wenigen Wochen über den Evaluierungsbericht gesprochen, wir haben über die

Aufgabenplanung gesprochen. Herr Intendant Limbourg, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: den ich mit seinem Team sehr herzlich hier im Hause Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem begrüßen darf, stand uns Rede und Antwort. In dieser Kollegen , AfD. Sitzung haben Sie tatsächlich nicht die Gelegenheit er- griffen, mit uns über das Thema „Gremienstruktur der Martin Erwin Renner (AfD): Deutschen Welle“ zu sprechen. Danke schön, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolle- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Aha!) gen! Alles ist gut, alles ist bestens, alles ist wunderbar im Bereich der Medien, speziell im Bereich der Deutschen Auch das zeigt, dass Ihre Motivation ganz offensichtlich Welle. Aber ich sage Ihnen eins: Wir haben eine Vertrau- eine andere ist. enskrise bezüglich der Medien in Deutschland. Das ist nicht zu bestreiten und nicht zu übersehen. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen haben Sie die üblichen kritischen Fragen ge- stellt, bis hin zu der Frage, warum wir diesen Auslands- Ich zitiere einmal den „Cicero“; dieses politische Ma- sender überhaupt brauchen; auch das klang zwischen gazin hat in seiner Januarausgabe dieses Jahres getitelt: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2499

Martin Erwin Renner (A) „Schiffbruch – Die Vertrauenskrise der Medien“. Jetzt Martin Erwin Renner (AfD): (C) können Sie natürlich die Kritik der Medien an den Me- Ich komme zum Ende. – Meine Damen und Herren, dien beiseiteschieben. Dann ziehen Sie halt die Wissen- die Deutsche Welle ist eine besondere Form des Rund- schaft heran; ich verweise zum Beispiel auf zwei Bücher, funks. die Wissenschaftler dazu geschrieben haben: „MAIN- STREAM – Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vom Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger und NEN]: Haben Sie keine Redezeit gekriegt?) „Die Unbelangbaren – Wie politische Journalisten mit- regieren“ des Politologen Professor Dr. Thomas Meyer. Dennoch ist es so, dass es höchste Zeit wird, dass wir Das ist ganz sicher kein AfD-Anhänger. Er warnt vor eine medienpolitische Grundsatzdiskussion auch hier in einer Art Journalistendemokratie. Er befürwortet eine diesem Hause und hier in diesem Lande führen. Trendumkehr im Journalismus. Deshalb ist dieses Thema (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD, der LIN- heute so wichtig, dass wir es besprechen. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD Es wird Ihnen zwar nicht passen, aber die Demokratie in und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unserem Lande wird das haben müssen und haben wol- len, und das wird guttun. Ich zitiere erneut einen eher linken Soziologen. Danke schön. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der AfD) Herr Kollege Renner, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie eine Zwischenbemerkung machen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf bitten, dass Martin Erwin Renner (AfD): wir das Instrument der Zwischenbemerkung so nutzen, Eine Kurzintervention, ja. wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Ja. Und diese sollte sich eigentlich auf den Beitrag des des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vorangegangenen Redners beziehen. Jetzt hat der Kollege Rabanus die Möglichkeit, zu ant- worten. (B) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (D) SES 90/DIE GRÜNEN) Martin Rabanus (SPD): Martin Erwin Renner (AfD): Herr Kollege, Sie haben gerade wieder Ihr Verständ- Mache ich doch! nis von parlamentarischen Gepfogenheiten unter Beweis gestellt. Auch das qualifziert Sie nicht in besonderer Weise. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir – im Übri- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gen, seitdem es Rundfunk, Medien und die Nachrichten- Außerdem ist sie kurz; das heißt, die Zeit geht auch landschaft gibt – immer wieder in einem Spannungsfeld zu Ende. leben und Qualitätsjournalismus in jeglicher Weise nicht nur miteinander diskutieren, sondern ihn immer weiter- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) entwickeln. Bitte. Aber an einer Sache besteht ebenfalls überhaupt kein Zweifel: Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk ge- Martin Erwin Renner (AfD): nießt eine sehr hohe Glaubwürdigkeit in unserem Land; das ist gar keine Frage. Ja, mache ich doch; denn der Vorredner hat ja darge- stellt: Alles ist gut, alles ist bestens. – Ich will eben darauf (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der hinweisen, dass nicht alles gut und nicht alles bestens ist. CDU/CSU sowie der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, die Demokratie braucht die Kontrolle der Medien. Das können Sie, wenn Sie mögen, in unterschiedlichsten Studien und Erhebungen nachvollziehen. Dass das in den (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Er redet weiter! – Kreisen und in den Resonanzkammern Ihrer Partei in Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Maßen anders gesehen wird, wissen wir. Das ist aber Ihr NEN]: Er hat keine Redezeit gekriegt!) Problem und nicht unseres.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herzlichen Dank. Und ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Zwi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schenbemerkung nicht länger als zwei Minuten dauern der LINKEN und des Abg. Thomas Hacker kann; die sind vorüber. Bitte kommen Sie zum Ende. [FDP]) 2500 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ein starkes Anliegen ist uns außerdem die Situation (C) Jetzt hat das Wort die Kollegin Doris Achelwilm, der freien bzw. der festen freien Mitarbeiterinnen und Fraktion Die Linke. Mitarbeiter. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Doris Achelwilm (DIE LINKE): Die Zahl derjenigen, die außerhalb des programmgestal- tenden Bereichs nicht mehr in einem festen Arbeitsver- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- hältnis beschäftigt sind, hat massiv zugenommen. Hier be Gäste! Ich schlage vor, wir machen weiter in der Sa- wünschen wir uns zum einen eine deutliche Erhöhung che. Nach dieser verzichtbaren Nebenrede ist das absolut der Planstellen. Zum anderen wird es Zeit, dem Personal- geraten. rat Mitbestimmungsrechte auch für feste Freie einzuräu- Wir diskutieren heute über die Deutsche Welle, den men. Meine Damen und Herren, gerade öffentlich-recht- Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, der, wie schon liche Medien dürfen keine personalratsfreien Zonen sein. gesagt wurde, hierzulande nicht ohne Weiteres empfang- (Beifall bei der LINKEN) bar ist und deswegen manchen Zuhörerinnen vor den Bildschirmen außerhalb des Parlamentes vielleicht auch Ein weiteres Stichwort ist die Transparenz. Was noch nicht als Medienangebot bekannt ist. Ich kenne aber spricht eigentlich dagegen, dass Personal- und Finanz- viele Mitbürgerinnen und Mitbürger, die aus dem Aus- konzepte sowie Protokolle aus den Gremien öffentlich land kommen oder sich oft im Ausland aufhalten. Für einsehbar sind? Das gehört in den heutigen Zeiten dazu. sie ist der Sender eine unverzichtbare Quelle sachlicher Hier gibt es durchaus Nachholbedarf. Informationen. Und – auch das ist hier bereits angeklun- (Beifall bei der LINKEN) gen – viel Reichweite erzielt die Deutsche Welle auch über die sozialen Medien. Unter anderem für diese Punkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sich die Linksfraktion starkmachen. Im Koalitionsvertrag ist nun vorgesehen, die Deutsche Im Antrag der AfD fehlt dergleichen. Trotzdem steht dort Welle fnanziell zu stärken, um notwendige Zukunftspro- auch Interessantes geschrieben. Die Fraktion der AfD jekte wie die Ausweitung des Korrespondentinnen- und schlägt etwa vor, dass die Bundesregierung künftig kei- Korrespondentennetzwerks oder technische Moderni- ne Vertreterinnen und Vertreter mehr in den Rundfunkrat sierungen zu ermöglichen. Das fnden wir richtig; denn entsenden soll, ansonsten könnte die Deutsche Welle – ich ohne diese Planungssicherheit bleibt die Deutsche Welle zitiere – „als Regierungsmedium“ tendenziös berichten unter ihren Möglichkeiten. Gleichzeitig gibt es Ände- und politisch missbraucht werden. Das klingt so schön (B) rungsbedarf am Deutsche-Welle-Gesetz. nach Haltung, bleibt aber ohne Nachweise und Substanz. (D) (Beifall bei der LINKEN) Für inhaltliche Programmgestaltung ist der Rundfunkrat auch gar nicht da. Und wie es um Ihre eigene Fähigkeit Die alleinige Reform von Rundfunk- und Verwal- zur Objektivität bestellt ist, während Sie regelmäßig pau- tungsrat, wie sie im AfD-Antrag vorgesehen ist, ist ers- schal die Unabhängigkeit der Medien infrage stellen, ist tens um Längen zu kurz gesprungen und zweitens ein auch so eine Sache. sehr selbstbezogenes Vorhaben. Die Vielfaltsicherung und Staatsferne sind laut Bundesverfassungsgerichtsur- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- teil allenfalls ein Thema unter vielen anderen, die jetzt neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) behandelt werden müssen. Natürlich haben öffentlich-rechtliche Medien eine möglichst plurale und unabhängige Wiedergabe des Dringend angegangen werden muss die Einführung Weltgeschehens zu leisten. Eine ernsthafte Qualitätsde- einer verbindlichen Quote zur geschlechtergerechten Be- batte kann man mit Ihnen von der AfD dazu allerdings setzung in den Gremien. nicht führen, weil Sie bei jeder Gelegenheit Ihre ureige- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nen Interessen bei Medienfragen durchzusetzen geden- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ken oder mit Flüchtlingsvorbehalten ankommen Rundfunkrat und Verwaltungsrat der Deutschen Welle (Zurufe von der AfD) sind derzeit nämlich ziemliche Männerklubs – das muss oder Ihre ganzen Geschichten von den 68ern, die Sie als man schon sagen –, und das sollte entsprechend schnell Verschwörung betrachten, bringen. Das ist angesichts der geändert werden. Mediendebatten, die wir notwendigerweise zu führen ha- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ben, nicht adäquat. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- GRÜNEN) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insbesondere in der Aufgabenbeschreibung laut § 4 Deutsche-Welle-Gesetz wollen wir verankern, dass Mei- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich weiß nungsfreiheit und -vielfalt gerade in Regionen dieser nicht, Herren und Damen von der AfD, ob Sie Ihr Me- Welt garantiert werden, in denen Freiheitsrechte wie die dienverhältnis tatsächlich geklärt haben. Ich kann auch Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt wer- nicht erkennen, dass die AfD den überparteilichen und den. staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2501

Doris Achelwilm (A) oder für die Zukunft wappnen will. Ihr großes Medien- Diese Aussage ist so perfde wie falsch. (C) projekt scheint eher zu sein, aus Fraktionsmitteln einen sogenannten AfD-Newsroom zu gründen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD) Sie ist falsch, weil sich das Gerichtsurteil, auf das sich der dann in Internet-Livesendungen rechtsdrehende Ver- die AfD als Beleg bezieht, auf beitragsfnanzierte öffent- lautbarungen unkritisiert und staatsfnanziert verbreiten lich-rechtliche Sender im Inland bezieht. Die Deutsche soll. Welle hingegen sendet im Ausland und fnanziert sich ausschließlich aus dem Etat des Bundes, also aus Steu- (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie ergeldern. Die Besetzung der Gremien ist also gesetzes- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- konform und legitim. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist ein eher unpassendes Vorhaben für eine Fraktion, die sich hier wiederum als Hüterin des Gebots der Viel- Ob sie gefällt, ist eine ganz andere Frage. faltsicherung und Staatsferne beweisen will. Perfde, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist diese falsche Aussage auch deswegen, weil sie offen In diesem Sinne möchte ich an dieser Stelle schließen. transportieren soll – das haben wir ja eindrucksvoll ge- Ich hoffe, dass wir weiter über die Deutsche Welle reden, hört –, Deutschland sei kein demokratischer Rechtsstaat allerdings auf der Basis von Vorlagen, die ein bisschen und wir, die demokratisch gesinnten Mitglieder dieses qualifzierter gestaltet sind. Hohen Hauses, seien lediglich willfährige Handlanger Vielen Dank. eines linksideologischen Schurkensystems. Darum geht es der AfD eigentlich: um die Skandalisierung und Diffa- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem mierung dieser unserer Demokratie. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: KEN) Nächste Rednerin ist die Kollegin Margit Stumpp, Dazu gehört auch, dass sich die AfD gebetsmühlen- Bündnis 90/Die Grünen. artig als einzig wahre Opposition in diesem Parlament (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bezeichnet. (B) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (D) Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Aussage trifft leider zu. Das hat ihr Redner heute Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Morgen eindringlich demonstriert. Sie sind hier tatsäch- nen und Kollegen! Im Gesetzentwurf der AfD zur Än- lich die einzige Opposition zu Freiheit, Vielfalt, Weltof- derung des Deutsche-Welle-Gesetzes geht es nur vor- fenheit, Demokratie und Menschlichkeit. dergründig darum, die Staatsnähe in den Gremien der Deutschen Welle zu verringern. Die Haltung der AfD, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Deutsche Welle würde als Regierungsmedium, das ten- bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- denziös agiere, missbraucht, bestätigt, nebenbei bemerkt, geordneten der CDU/CSU und der FDP) was Erhebungen ohnehin belegen: Die Deutsche Welle Woche für Woche erleben wir Ihre Attacken: Abschaf- wird ihrem Auftrag, eine starke Stimme des demokrati- fung der Doppelstaatlichkeit, Verengung auf eine Spra- schen, freiheitlichen und weltoffenen Deutschlands zu che, die deutsche, mittels Grundgesetz, Schließung der sein, gerecht. deutschen Grenzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zurufe von der AfD: Ja!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Was sich nicht im engen nationalen, besser: nationalis- tischen Rahmen bewegt, wird als Ideologie diffamiert. Das ist der AfD natürlich ein Dorn im Auge – auch eine Man fragt sich bei jeder dieser Initiativen: Was folgt als Art von Kompliment an das Team der Deutschen Welle. Nächstes? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ach, uns fällt sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der schon was ein!) SPD und der LINKEN und des Abg. Thomas Hacker [FDP]) Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? (Zuruf von der AfD: Ja, genau!) Worum es daneben und übergeordnet geht, belegt die Behauptung im Gesetzentwurf: Kennzeichnungspficht für Gefüchtete, möglichst nach Status? Diesen klaren verfassungsgerichtlichen Vorgaben wird das Deutsche-Welle-Gesetz in seiner aktuellen (Hansjörg Müller [AfD]: Sie haben verges- Form nicht gerecht. sen: Abschaffung der Grünen!) 2502 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Margit Stumpp (A) Abtreibungsverbot für deutsche Frauen? Stunde eine so intensive Debatte über das Thema „Deut- (C) sche Welle“ nicht so einfach zustande gebracht. (Zuruf von der AfD: Ja!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir sind eben Der dunklen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. die Demokraten!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie können Ich würde mich freuen, wenn die Intendanz einmal Rück- uns ja mal helfen!) sprache mit der AfD halten würde. Sie sind selbstver- Die Parallelen sind nicht zufällig. Die Absicht der Anträ- ständlich eingeladen, zu sagen, dass über Sie nicht mehr ge und Anfragen der rechten Seite ist offensichtlich: Das berichtet werden soll, wenn Sie der Auffassung sind, stabile demokratische Fundament des Hohen Hauses soll diese Form der Berichterstattung im Ausland braucht es nach und nach unterspült werden. nicht. Darüber können wir gerne reden. Aber dabei han- delt es sich – um auf Ihren Gesetzentwurf zurückzukom- Noch perfder wird es, wenn die Interessen des Bür- men – um einen Fehlschluss. Nicht dass uns das bei Vor- gers vorgeschoben werden. Ginge es der AfD tatsächlich lagen der AfD überraschen würde, aber man sollte doch um das Geld der schwer arbeitenden Menschen – so der darauf hinweisen. Duktus –, wäre es doch höchste Zeit, Bürgerinnen und Bürger ganz pragmatisch, umgehend und wirksam zu (Heiterkeit der Abg. Gitta Connemann [CDU/ entlasten. Ein Vorschlag: Missbrauchen Sie das schwer CSU]) verdiente Geld nicht weiter dafür, über die Beschäftigung Das Erste, was zitiert wird, ist der Staatsvertrag. Es ist von Mitarbeitern aus der rechtsextremen Szene rechtsna- aber ein Fehlschluss, zu sagen, es handele sich um einen tionale, demokratiefeindliche Strukturen zu fnanzieren. gebührenfnanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Staatsvertragsbasis. Bei der Deutschen Welle handelt und bei der LINKEN) es sich um einen auf Bundesrecht bzw. auf einem Ge- setz beruhenden Auslandssender, der aus Steuergeldern Noch ein Vorschlag: Lösen Sie Ihren Sender AfD-TV, fnanziert wird. An dieser Stelle darf ich das Bundesver- ebenfalls indirekt über Steuern fnanziert, auf. Wenn wir fassungsgericht bemühen: Gleiches ist gleich zu behan- über Fake News und Propaganda im Deutschen Bundes- deln, und im Wesentlichen Ungleiches ist ungleich zu tag reden, muss man auch erwähnen, dass AfD-TV, die behandeln. Insofern ist der Verweis auf den Staatsvertrag Agentur für Desinformation, ein Paradebeispiel dafür ist. vollkommen verfehlt. Er führt in die Irre. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) SES 90/DIE GRÜNEN) ordneten der FDP) (D) Wahrscheinlich haben Sie mit Ihrer Kurzintervention Zweiter Fehlschluss. Sie sagen, es mangele an demo- vorhin wieder Sendezeit produziert. kratischer Legitimation. Nichts für ungut, aber ein Blick ins Grundgesetz erleichtert auch hier die Rechtsfndung. Wir demokratischen Kräfte in diesem Parlament, Wenn etwas demokratisch legitimiert ist, dann ist es die legitimiert von über 87 Prozent der Wählerinnen und hier sitzende Bundesregierung, die natürlich zur verfas- Wähler, sind uns einig: Gerade angesichts der wachsen- sungsgemäßen Kontrolle der Verwendung von Steuergel- den Verbreitung von Propaganda und Fake News, Hass dern – auch im Fall der Deutschen Welle – befugt und vor und Hetze, national und international, gilt es, die öffent- allem dazu verpfichtet ist. Deshalb müssen wir Vertreter lich-rechtlichen Sender und insbesondere die Deutsche in dieser Institution haben, auch in den Verwaltungsgre- Welle in ihrem wichtigen Auftrag, eine starke Stimme mien der Deutschen Welle. Alles andere wäre im Gegen- des freiheitlichen, liberalen, zutiefst demokratischen satz dazu tatsächlich staatsfern. Deutschlands zu sein, zu stärken. Der vorliegende An- trag zielt auf das Gegenteil. Deswegen lehnen wir ihn ab. Staatsferne bedeutet, auch wenn man die Rechtspre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nun wahrlich nicht, dass in diesen Gremien gar kein Ver- SPD, der FDP und der LINKEN) treter des Staates sein sollte. Im Gegenteil: „Vielfalt“ ist das Stichwort. Dass man damit aufseiten der AfD Pro- bleme haben kann, sei Ihnen unbenommen. Ich versuche Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: daher, etwas therapeutisch vorzugehen. Nächster Redner ist der Kollege Michael Frieser, Die Diskussion über den Inhalt haben wir sehr wohl CDU/CSU. politisch zu führen, und zwar im Ausschuss für Kultur (Beifall bei der CDU/CSU) und Medien. Da gehört dieses Thema hin. Wir können gerne und müssen sogar über die Fragen reden: Braucht dieses Land, braucht diese Nation eine Stimme im Aus- Michael Frieser (CDU/CSU): land? Müssen wir nicht nur darauf achten, was andere Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- über uns sagen, sondern spielt auch eine Rolle, was wir ren! Liebe Frau Staatsministerin Monika Grütters, liebe den Menschen – vor allem in Ländern, in denen Demo- Elisabeth Motschmann, auch wenn wir uns viel Mühe kratieferne herrscht – an Wahrheiten oder zumindest an gegeben hätten, hätten wir wahrscheinlich zu dieser Aufklärung und Fakten mitzuteilen haben? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2503

Michael Frieser (A) Die Botschaft der Deutschen Welle ist – dagegen, fn- AfD-maingestreamten, AfD-konformen Staatsrundfunk. (C) de ich, kann man wirklich nichts haben –, dass wir ver- Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was wir uns un- suchen sollten, den Menschen in einer Zeit, in der wir ter öffentlich-rechtlichem Rundfunk vorstellen. gegen eine Welle von Falschbehauptungen, Tatsachen- verdrehungen und interessensgeleiteten Verdrehungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorgehen müssen, ein kleines Stückchen unabhängige der CDU/CSU) Informationen zu geben. Das ist der Grundsatz der Arbeit Ihre krude Hetzsuada, die nicht einmal eine Familien­ der Deutschen Welle. ähnlichkeit zu Ihrem Gesetzentwurf aufweist, enthielt (Beifall bei der CDU/CSU) Ausdrücke wie „kranker Geist“ und „Volksumerzie- hung“. Ich darf darauf hinweisen: Wir befnden uns hier Indem Sie Ihren Gesetzentwurf auf die Besetzung und heute, am 20. April, zwar im Reichstag, aber in ei- reduzieren, versuchen Sie, den Eindruck zu erwecken, nem Jahr nach 1945 und nicht vor 1945. dass die Verwaltungsgremien von Rundfunkanstalten in diesem Land etwas mit Inhalten zu tun haben. Das ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der dritte Fehlschluss. Rundfunkrat und Verwaltungsrat der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE beschäftigen sich nämlich nicht mit inhaltlicher Kontrol- GRÜNEN) le. Ich habe ja Verständnis dafür, dass man darauf gerne Ich wollte aber versöhnlich sein. Deshalb spreche Einfuss nehmen würde. Ich habe auch Verständnis dafür, ich meinen Dank dafür aus, dass Sie das Thema auf die dass einem nicht jeder Bericht passt, der im Rundfunk Tagesordnung gebracht haben. Wir werten das als Ver- und auch von der Deutsche Welle verbreitet wird. Man neigung vor der Bundesregierung und der Großen Koa- muss nicht in jeder Phase mit jeder Aussage übereinstim- lition; denn wir haben uns in der Vergangenheit intensiv men. Der richtige Platz, um über Inhalte zu reden, ist hier, für die Deutsche Welle engagiert und tun das auch jetzt. aber nicht in einer Art inhaltlicher Vorherbestimmung in Daneben können auch wir als SPD-Bundestagsfraktion den Verwaltungsgremien oder in den Aufsichtsgremien. dankbar sein und fühlen uns fast geschmeichelt; denn der Man sollte nicht die Spielwiese verwechseln, auf der man Normenkontrollantrag, der zum Urteil des Bundesverfas- sich befndet. Elisabeth Motschmann hat ja auch über die sungsgerichts führte, auf das Sie Bezug nehmen, wurde Inhalte der Deutschen Welle berichtet. damals ja von Kurt Beck und der SPD – gestützt auch Der Versuch, sich, von drei Fehlschlüssen geleitet, ei- von der Bundestagsfraktion – initiiert. Also herzlichen nen Posten in diesen Gremien zu ermauscheln, ist nun Dank dafür! – So viel zu meiner Versöhnlichkeit heute. wahrlich mehr als durchsichtig. Er ist allerdings ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bisschen kurzsichtig. Das würde nämlich nur für diese (B) Legislaturperiode gelten und hätte sich in der nächsten Ich sehe in Ihrem Antrag drei Botschaften: (D) Legislaturperiode erledigt. Erstens wird eine Staatsferne behauptet. Das ist Ihre (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) offzielle Lesart. Man muss mit dem notwendigen sittlichen Ernst fest- Zweite Botschaft – jetzt werde ich wieder unversöhn- stellen: Die Aufgabe der Deutschen Welle ist in der heu- licher –: Dahinter steckt Kalkül. Das wurde ja schon ge- tigen Zeit zu wichtig und zu modern, um die Diskussion sagt. Sie möchten nämlich einen eigenen dritten Platz. mit solchen Banalitäten zu belasten. Das ist wirklich sehr schade. Sie fordern doch immer, dass die sogenannten Altparteien – wir als Sozialdemo- Deshalb: Haben Sie ein Herz! Stimmen Sie mit uns kraten sind sehr stolz, Altpartei zu sein; wir sind sogar zusammen gegen Ihren eigenen Antrag! die älteste Partei – etwas gegen Parteiverdrossenheit tun Vielen Dank. müssen. Was Sie mit so einem durchschaubaren Manöver machen, ist aber geradezu ein Konjunkturprogramm für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Parteiverdrossenheit. Sehr schade! ordneten der SPD) Warum wollen Sie ausgerechnet in ein Gremium eines Rundfunks, den Sie verachten? Auch das erschließt sich Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mir nicht. Sie machen das auch in den Ländern. Warum Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Helge tun Sie das? Warum zeigen Sie nicht die Geste des Ver- Lindh, SPD. zichts? Sie sagen doch immer, Sie seien die Stimme des (Beifall bei der SPD) Volkes. Wenn es aber zum Schwur kommt, dann erheben Sie den Anspruch, die Stimme des Volkes allein zu ver- treten. Das passt irgendwie nicht. Helge Lindh (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das kann ja hatte mir fest vorgenommen, heute versöhnlich zu sein, nicht wahr sein!) aber, Herr Ehrhorn, Sie haben das mit Ihrer Rede kaputt- Da Sie ja Staatsferne wollen, könnten Sie eine Erwei- gemacht. terung des Gremiums um weitere zivilgesellschaftliche (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Organisationen fordern, zum Beispiel um muslimische Organisationen. Sie haben uns einen Eindruck gegeben, wie sich die AfD den öffentlichen Rundfunk vorstellt, nämlich als (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) 2504 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Helge Lindh (A) Aber nichts davon fndet sich in Ihrem Gesetzentwurf. Katja Hessel (FDP): (C) Kommen wir zur dritten Botschaft – jetzt werde ich Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wa- wieder versöhnlicher –: Wie gesagt, ich werte das als rum wohnen in den meisten europäischen Ländern mehr eine stillschweigende Anerkennung unserer Arbeit. Die Menschen in den eigenen vier Wänden als bei uns in Deutsche Welle macht nämlich etwas Aufreizendes, et- Deutschland? Warum ist Deutschland innerhalb der EU was zutiefst Ungewöhnliches, nämlich ganz unspektaku- das Schlusslicht bei der Wohnungseigentumsquote? Si- lär seriösen, freien, unabhängigen Journalismus, und sie cherlich doch nicht deshalb, weil bei uns die Menschen nutzt dabei die stärkste Waffe, die sie als zivile Kraft hat, hier viel lieber zur Miete wohnen, sondern weil es unsere nämlich die Wahrheit und das Ringen darum. Das ver- europäischen Nachbarstaaten den Menschen viel einfa- dient unser aller Unterstützung. cher machen, Wohnungseigentum zu erwerben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP – Dr. h. c. Hans DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Michelbach [CDU/CSU]: Das hätten Sie mit LINKEN) uns machen können, Frau Hessel!) Deshalb schlage ich Ihnen vor – das ist eine gemein- So beträgt die Wohnungseigentumsquote in Frank- same Leistung –: Machen Sie weniger staatsnahe touris- reich knapp 58 Prozent, in Großbritannien 64 Prozent tische Ausfüge zu Assad nach Syrien, und in Italien gar 72 Prozent. In Deutschland liegt sie nach einer Studie von 2016 bei lediglich 45 Prozent. Bei (Heiterkeit der Abg. Helin Evrim Sommer uns werden also offensichtlich Hürden aufgebaut, die es [DIE LINKE]) den Bürgerinnen und Bürgern erschweren, in ihrer eige- nutzen Sie die Zeit intensiver, mit uns zusammen für die nen Immobilie zu leben. Deutsche Welle zu kämpfen, und unterstützen Sie die- jenigen, die gegen die Assads dieser Welt für Freiheit, Eine der größten Hürden ist hierbei die Höhe der Er- Demokratie und Menschenrechte kämpfen! werbsnebenkosten und hier vor allem die der Grunder- werbsteuer. Ein schönes Wochenende, vielen Dank. (Beifall bei der FDP – Dr. h. c. Hans (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Michelbach [CDU/CSU]: Hätten Sie mit uns DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der alles machen können, Frau Kollegin!) CDU/CSU und der Abg. Dr. [DIE LINKE]) Gerade junge Familien mit mittleren und kleinen Ein- kommen bleibt es oft verwehrt, Eigentum zu bilden. (B) Laut einer Studie ist die Wohnungseigentumsquote in (D)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen von 23 Prozent Bevor wir ins Wochenende gehen, müssen wir zu- im Jahr 1998 auf 15,8 Prozent im Jahr 2013 gesunken. nächst einmal den Gesetzentwurf überweisen. Es wird Dafür ist allerdings das Aufkommen bei der Grunder- vorgeschlagen, diesen Gesetzentwurf auf der Drucksa- werbsteuer seit 2005 von rund 4,7 Milliarden Euro auf che 19/1697 an den Ausschuss für Kultur und Medien zu 12,4 Milliarden Euro in 2016 gestiegen. Das ist mehr als überweisen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das das 2,5-Fache. Hier, liebe Kollegen, läuft nicht nur etwas so beschlossen. in die falsche Richtung. Hier läuft etwas gewaltig schief. Ich rufe hiermit den Tagesordnungspunkt 19 auf: (Beifall bei der FDP) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, Frank Schäffer, weite- Es kann nicht sein, dass der Erwerb von Eigentum vie- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP len unmöglich gemacht wird, während die Bundesländer hierbei noch ordentlich abkassieren. Eigentlich müsste es Trendwende zur Eigentümernation in den Menschen angesichts der niedrigen Zinsen leichter Deutschland einleiten – Für einen Freibetrag fallen, Eigentum zu bilden. Das ist aber gerade nicht der bei der Grunderwerbsteuer Fall; denn neben den Baukosten sind eben auch die Kauf- nebenkosten seit Jahren gestiegen. Drucksache 19/1696 Überweisungsvorschlag: Gerade die in einigen Ländern in wenigen Jahren ver- Finanzausschuss (f) doppelte Grunderwerbsteuer ist eine große Belastung für Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- die Finanzierung des Eigenheims, vor allem, weil sie aus heit dem Eigenkapital bezahlt werden muss und dann auch Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für noch sofort zur Zahlung fällig ist. Durch diesen hohen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Eigenkapitalbedarf werden gerade junge Familien und nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Menschen aus einkommensschwachen Haushalten von der Eigentumsbildung ausgeschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Katja Hessel zu ihrer ersten Rede im Deutschen (Beifall bei der FDP) Bundestag. Eigentum darf aber kein Luxus sein, sondern muss für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten möglichst viele Menschen endlich Normalität werden; der CDU/CSU und der SPD) denn Eigentum ist die Basis für Wohlstand, und Wohnei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2505

Katja Hessel (A) gentum ist außerdem ein wichtiger Beitrag zur Altersvor- gramm und Koalitionsvertrag so gut gefallen, dass Sie (C) sorge und zur sozialen Sicherheit. nach und nach alle Themen daraus abarbeiten. Deshalb wollen wir Freie Demokraten die Trendwen- (Christian Dürr [FDP]: Um Gottes willen! de zur Eigentümernation einleiten und in einem ersten Nein!) Schritt bei der Grunderwerbsteuer einen Freibetrag bis Sie haben mit dem Solidaritätszuschlag und der kalten 500 000 Euro einführen, damit die Menschen nicht nur Progression begonnen. Heute greifen Sie unseren Vor- vom Eigentum träumen, sondern ihn auch verwirklichen schlag eines Freibetrags bei der Grunderwerbsteuer auf. können, und zwar, wenn sie wollen und wann sie wollen. Das ist an sich begrüßenswert; schade ist nur, dass Sie (Beifall bei der FDP) bei der Regierungsbildung nicht den Mut hatten, mitzu- gestalten. Dann hätten wir es vielleicht zusammen durch- Der Freibetrag soll als Lebensfreibetrag ausgestaltet wer- setzen können. den; denn dann haben die Menschen die Freiheit, selbst zu bestimmen, ob sie ihn auf einmal oder nach und nach (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – verbrauchen, je nach ihrer individuellen Lebensplanung. Christian Dürr [FDP]: Sie wollten doch nicht gestalten!) Die Große Koalition will durch das Baukindergeld die Eigentumsquote steigern. Laut einer aktuellen Stu- Wir sind uns einig, dass Bauen nicht weiter verteuert die des Pestel Instituts ist das Baukindergeld dafür aber werden darf. Sie haben es dargestellt: Auch wir wollen, ungeeignet, da es nur die anspricht, die den Erwerb von dass Familien die Möglichkeit haben, in einem Eigen- Wohneigentum eh schon anstreben. Es verpufft also na- heim zu wohnen. Dabei sind die Baunebenkosten von bis hezu wirkungslos. zu 15 Prozent natürlich ein entscheidender Kostenfaktor. (Beifall bei der FDP – Stefan Müller [Erlan- Die Baunebenkosten können wir politisch beeinfus- gen] [CDU/CSU]: Was?) sen. Wir haben es leider zulasten der Bauherrn getan, und zwar durch immer höhere Anforderungen an Energieef- Es ist eher eine Art Familienförderung, aber kein Schritt fzienz und Sicherheit. Die Steigerung der Grunderwerb- in die Richtung einer Eigentümernation. Außerdem, lie- steuer in den Ländern ist ein weiterer Kostenfaktor. be Kolleginnen und Kollegen, darf doch jeder selber ent- scheiden, ob er erst ein Nest baut und dann in die Fami- Ich glaube, wir brauchen ein Gesamtkonzept. Denn lienplanung geht oder ob er das umgekehrt machen will. wir wollen einen gesunden Mix aus sozialem Wohnungs- bau und Wohneigentum. Wir brauchen einen sozialen (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Ingrid Mix aus denjenigen, die ein Eigenheim kaufen können, (B) Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und denen, die auf eine sozialverträgliche Wohnung an- (D) gewiesen sind. Wir halten deshalb den Freibetrag bei der Grunder- werbsteuer für wesentlich effektiver und nachhaltiger. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Diese Einsicht gibt es auch bei der Bundesregierung. In neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einer Antwort auf eine Kleine Antwort der Grünen steht: Deshalb ist das Gesamtpaket, das wir vorhaben, wichtig. Erwerbsnebenkosten, zu denen auch die Grund- Sie aber greifen nur einen Aspekt heraus. erwerbsteuer zählt, erschweren den Erwerb von Wir sind schon auf einem guten Weg. Schon in der Wohneigentum. Freibeträge bei der Grunderwerb- letzten Legislaturperiode haben wir erhebliche Mittel steuer können Familien den Erwerb von Wohnei- für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. So haben gentum erleichtern. wir 2017 und 2018 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Die Länder ha- Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag einen entsprechen- ben sie leider nicht immer sachgerecht ausgegeben, aber den Prüfauftrag. Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen wir sind trotzdem bereit, diese Mittel für 2020/2021 um Sie am Ende der Beratungen unserem Antrag zu! Wir 2 Milliarden Euro zu erhöhen. haben als Serviceopposition schon einmal vorgearbeitet. Daneben gibt es KfW-Programme. Die KfW stellt bis Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. zu 50 000 Euro zinsverbilligt für selbstgenutzte Immo- bilien zur Verfügung. Auch das ist eine große Hilfe für (Beifall bei der FDP) Familien, die zu dem Gesamtpaket gehört. Wir wollen dieses Programm ausweiten, indem wir ein Bürgschafts- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: programm aufegen, mit dem das notwendige Eigenkapi- Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Tillmann, tal sinkt. Auch das hilft Familien, Wohnraum zu schaffen. CDU/CSU. Was kommt in dieser Legislaturperiode dazu? Sie ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben das Baukindergeld angesprochen. Das Baukinder- geld wird immer isoliert betrachtet. Natürlich ermöglicht das Baukindergeld allein nicht den Erwerb, aber in der Antje Tillmann (CDU/CSU): Kombination mit den Eigenkapitalprogrammen der KfW Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nutzt es Familien, die sich sonst kein Wohneigentum Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin leisten könnten. Zehn Jahre lang 1 200 Euro jährlich pro Hessel, wir freuen uns sehr, dass Ihnen unser Wahlpro- Kind: Das ist eine nennenswerte Summe, die das Eigen- 2506 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Antje Tillmann (A) kapital der Familien unterstützt. Deshalb werden wir auf bildung. Das wäre zu wünschen für die Familien in die- (C) jeden Fall daran festhalten. sem Land. (Beifall bei der CDU/CSU) Danke. Dazu kommt die Wohnungsbauprämie. Wir wollen die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wohnungsbauprämie als Teil der Vermögensbildung an die gestiegenen Einkommen anpassen und für junge Leu- te attraktiver machen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Sonder-AfA, die befristete Sonderabschreibung Jetzt hat das Wort der Kollege Albrecht Glaser, AfD. für vermieteten Wohnraum, soll um den sozialen Wohn- (Beifall bei der AfD) raum ergänzt werden. Außerdem werden wir die BImA in die Lage versetzen, Gemeinden und Ländern Grund- stücke verbilligt zur Verfügung zu stellen, wenn sie für Albrecht Glaser (AfD): sozialen Wohnungsbau genutzt werden sollen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herren Abgeordnete! Der vorgestern vorgelegte Antrag der FDP beschäftigt sich mit einem naheliegenden steu- Der Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer ist ein As- errechtlichen Problem, das uralt ist und früher schon pekt, der dieses Gesamtpaket vervollständigen soll. Wir einmal gelöst war: der Grunderwerbsteuer als staatliche halten es für richtig, dass Familien beim Erwerb von Verhinderung der Eigentumsbildung breiter Bevölke- selbstgenutztem Wohneigentum bei der Grunderwerb- rungsschichten. steuer begünstigt werden. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass in Deutsch- Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihr Antrag, land nur rund 45 Prozent der Einwohner Wohneigen- selbst wenn wir ihn im Deutschen Bundestag annehmen tum haben, obwohl über zwei Drittel der Menschen mit würden, spätestens im Bundesrat scheitern würde, weil oberster Priorität dieses Ziel verfolgen, und das seit Jah- die Länder natürlich darauf achten, welche Steuerausfäl- ren und Jahrzehnten. Zutreffend wird festgestellt, dass le das für sie bedeutet. Wenn Sie es mit diesem Antrag Deutschland damit in der EU Schlusslicht ist. Nicht er- ernst gemeint hätten, dann hätten Sie mit den Ländern wähnt wird, dass dies einer der Gründe dafür ist, dass gesprochen und etwas zu den fnanziellen Auswirkungen etwa die Bürger Griechenlands und Italiens doppelt bzw. der Vorschläge in Ihrem Antrag gesagt. Sie fordern einen dreimal so wohlhabend sind wie die deutschen Bürger. Freibetrag von bis zu 500 000 Euro, sagen aber nichts zu Es wird auch nicht erwähnt, dass die geringe Steuerlast den fnanziellen Auswirkungen. Das ist unseriös. (B) in diesen und vielen anderen Ländern die Ursache für (D) (Beifall bei der CDU/CSU) den Wohlstandsvorsprung in diesen Ländern gegenüber Deutschland ist. Uns ist das Gesamtpaket wichtiger. Deshalb gehen wir es anders an als Sie. Wir wollen nämlich gemeinsam mit Was tun? Die FDP kommt zu einer minimalinvasiven den Ländern auch über die Finanzierung sprechen. Wir Lösung, die der Lage der 70er-Jahre des vorigen Jahr- haben vereinbart, dass wir die Gegenfnanzierung über hunderts nicht unähnlich ist. Bis 2006 betrug die Be- die Beendigung missbräuchlicher Steuergestaltungen lastung durch die Grunderwerbsteuer bundeseinheitlich durch Share Deals darzustellen versuchen. Wir wollen 3,5 Prozent der Kaufpreise. Dies führte zu einem Auf- uns mit den Ländern zusammen auf den Weg machen. kommen von 6 Milliarden Euro. Das sind 0,6 Prozent der Denn dieser Freibetrag ist uns so wichtig, dass wir lieber damaligen staatlichen Gesamteinnahmen und 1,3 Pro- ein bisschen sorgfältiger arbeiten, im Gegensatz zu Ih- zent der damaligen Steuereinnahmen. 2017 betrug das nen, die Sie Schnelligkeit bevorzugen. Deswegen ist die Aufkommen aus dieser Steuer 13 Milliarden Euro und Wahrscheinlichkeit, den Freibetrag durchzusetzen, bei somit rund 1 Prozent der Staatseinnahmen und 1,75 Pro- unserem Vorhaben höher. zent der Steuereinnahmen. Für die Staatseinnahmen also, verehrte Frau Kollegin von der CDU/CSU, ist das ein Sie haben einen lebenslangen Freibetrag gefordert, völlig bedeutungsloses Geschehen, das aber dafür extrem der dann auch noch über die Lebenszeit hinweg ange- verwaltungsaufwendig ist. spart werden soll – das heißt, man kann ihn teilweise in Anspruch nehmen –, lassen aber völlig offen, wie das Wieso gab es eine Verdoppelung des Aufkommens der passieren soll. Wir haben dann im Zweifel Daten über 25 Grunderwerbsteuer in zehn Jahren? Dafür gibt es zwei bis 30 Jahre vorzuhalten. Sie sagen nichts dazu, was pas- markante Gründe: erstens die Euro-Politik der EZB und siert, wenn ich in ein anderes Bundesland umziehe und zweitens die Änderung des Grundgesetzes. Die Nullzins- dort den Freibetrag noch einmal in Anspruch nehmen politik der EZB hat maßgeblich den Immobilienboom möchte. Es ist völlig offen, ob alle Länder den Freibetrag mit Blasencharakter herbeigeführt. tatsächlich gewähren. (Dr. h. c. [CDU/CSU]: Das Dieser Antrag ist aus meiner Sicht unausgegoren und sagen Sie!) zielt nur auf Showeffekte. Uns ist das Projekt so wichtig, dass wir zusammen mit Ihnen über das Gesamtpaket in Daher rühren die exorbitanten Preissteigerungen bei al- diesem Haus gerne diskutieren möchten. Wir laden Sie len Immobilien und ergo die zunehmenden Einnahmen dazu ein, gemeinsam dieses Projekt voranzubringen. aus der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um Beteili- Vielleicht sind Sie dann mutiger als bei der Regierungs- gungen an spekulativen Wertzuwächsen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2507

Albrecht Glaser (A) Der Bundesgesetzgeber hat den Ländern die Kompe- von Trendwende, meine Damen und Herren von der FDP, (C) tenz übertragen – Artikel 105 Absatz 2a des Grundgeset- welche diesen Namen verdient. zes –, die Steuersätze ab 2006 selbst festzulegen. Das soll Die AfD neigt dieser Sichtweise zu, sieht dies aller- im Wettbewerb um siedlungswillige Bürger zu einer Ab- dings als ein Thema im Zusammenhang mit einem grö- senkung der Steuerlast führen. Das war damals die Idee. ßeren Steuerreformpaket, das auch das Grundsteuerthe- So wurde argumentiert. So wenig ein Mops eine Wurst ma, das wir an der Backe haben und mit dem wir uns bewacht, so wenig ist die Begehrlichkeit des Fiskus nach sehr intensiv befassen sollen, einbeziehen sollte und Steuern zu zügeln. insgesamt eine nachhaltige Kommunalfnanzierung in (Beifall bei der AfD) den Blick nehmen müsste. Wir fordern Sie alle auf, eine solche wirklich kausale, langfristige, seriöse und steuer- Das können Sie hier wunderbar austesten. theoretisch durchdachte Lösung mit uns zu fnden. Alle Länder haben feißig von ihrer neuen Kompetenz Herzlichen Dank. Gebrauch gemacht. Sie haben den Steuersatz erhöht, allein sieben Länder in den letzten Jahren auf 6 bzw. (Beifall bei der AfD) 6,5 Prozent, also um über 70 Prozent. Sie können einmal versuchen, sich zu erinnern, was sich – außer dem Was- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: serstand bei Hochwasser – noch in diesem Maße verän- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Bernhard dert hat. Nebenbei ist anzumerken, dass etwa in Hessen Daldrup, SPD-Fraktion. parallel zur Grunderwerbsteuer die Grundsteuer um über 50 Prozent in den letzten Jahren gestiegen ist. Wenn eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stadt wie Berlin einen Grundsteuerhebesatz von über der CDU/CSU) 800 Prozent hat, dann ist jede Klage der Politik über hohe Mieten Heuchelei. Aber das nur am Rande. Bernhard Daldrup (SPD): (Beifall bei der AfD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wenn ich Herrn Glaser höre, schafft er eine Steuer ab. Was nicht nur hier abläuft, ist lupenreine Konfskato- Neulich war es die Grundsteuer, heute ist es die Grunder- rik. Die Summe der öffentlichen Einnahmen ist seit 2010 werbsteuer . Neulich ging es um Steuereinahmen in Höhe um fast 40 Prozent gestiegen. 40 Prozent! Das Gleiche von 14 Milliarden Euro, heute sind es 13 Milliarden Euro. gilt für die Steuereinnahmen. Das Bruttoinlandsprodukt Das kann man ja mal so locker machen; wir haben es ja. ist im gleichen Zeitraum um 12 Prozent gestiegen, das Volkseinkommen um gut 20 Prozent, also halb so hoch (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (B) wie die Staatseinnahmen. Hier fndet eine jährliche Um- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) verteilung vom Privatsektor auf den Staatssektor statt, Irgendwie müssen wir seriös miteinander reden; so geht und zwar mit listigen Methoden. das nicht. (Beifall bei der AfD) Wenn die FDP in einem Antrag warnt, dass etwas „nicht zum Luxusgut werden“ sollte, dann werde auch Der FDP-Antrag will nun die Trendwende: Man will ich hellhörig. Ich fnde, es geht schon um eine ernsthafte für die Eigentümergeneration einen Lebensfreibetrag bis Fragestellung, nämlich darum: Wie kann man eigentlich zu einem Höchstwert von 500 000 Euro gewähren. Zu- die Bildung von Wohneigentum erleichtern? Die FDP dem sollen die Länder – so steht es darin – von den Er- verfolgt dabei ein – wie soll ich sagen? – ideologisches höhungen des Steuersatzes absehen. Das Letzte gehört, Ziel: Sie möchte uns sozusagen zu einer Eigentümerna- wie dargestellt, in die Kategorie „fromme Wünsche“; mit tion machen. Politik hat es nichts zu tun. ( [FDP]: Was ist denn daran Ideo- Den Lebensfreibetrag gab es in den 1970er- und logie? Da gibt es doch einen Artikel 14 in der 1980er-Jahren aus genau den gleichen Erwägungen. Für Verfassung!) alle, die aus welchen Gründen auch immer häufger ih- ren Lebensmittelpunkt wechseln und gerne immer in ih- – Ja, man folgt einer Idee. Das ist eine Ideologie. rer eigenen Hütte wohnen, was verständlich ist, ist das (Beifall bei der SPD) eine Gemeinheit. Wer sich also bewegt und sechsmal im Leben umzieht, der muss dann fünfmal die Grunder- Wenn Sie etwas vortragen, ist das immer Ausdruck einer werbsteuer zahlen, weil er nur einmal von dieser Steuer Ideologie. befreit ist. Das kann keine Lösung sein. Für alle die, die ( [FDP]: Sie meinen Idealis- in Ballungsräumen leben, ist es eine grobe Ungleichbe- mus!) handlung gegenüber denen, die in der Fläche leben, weil Immobilien in Ballungsräumen viel teurer sind. Wenn – Ja, Illusionismus auch. man mit einem einheitlichen Steuerfreibetrag arbeitet, ist das natürlich genauso ungerecht. Sie thematisieren die Grunderwerbsteuer. Die Ein- nahmen daraus, 13,1 Milliarden Euro, sind in der Tat Aus diesen und einigen anderen Gründen wurde be- deutlich gestiegen; das ist eben dargestellt worden. Die reits in den 1970er-Jahren die Abschaffung der Grunder- Frage lautet: Liegt das am Bund? Antwort: Nein. Es liegt werbsteuer ernsthaft erwogen. Es ist höchste Zeit, diesem nicht am Bund; denn die Länder entscheiden über die Gedanken wieder näherzutreten. Das hätte dann etwas Höhe. Sie kriegen auch das Geld. – Kritisiert die FDP 2508 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Bernhard Daldrup (A) das in Wahlkämpfen? Ja, deutlich sogar. – Sie sagt: Wenn eigentlich Selbstnutzung? Ein Jahr? Einen Tag? Was ist (C) wir Verantwortung haben, wird diese Steuer gesenkt. – mit Umzügen? Gibt es Härtefälle? Also, viele Fragen. Ich Macht die FDP das da, wo sie Verantwortung hat? Ant- will es nicht weiter ausbreiten. wort: Nein. – Das ist komisch, fnde ich jedenfalls. Es gehört auf jeden Fall ein Stück Abgebrühtheit dazu, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gestern Bürokratieabbau zu fordern und heute Bürokra- DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Da gibt tiekosten vollkommen auszublenden. es eine SPD in Rheinland-Pfalz! – Stephan (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Thomae [FDP]: Wir regieren ja auch nicht al- DIE GRÜNEN) lein!) Es geht hier offensichtlich um Ideologie, um eine Idee, – Nein. Das wäre auch noch schöner. der Sie blind folgen. Im vorliegenden Antrag geht es ja um die Freibeträge (Christian Dürr [FDP]: Freibetrag!) bei der Grunderwerbsteuer bei selbstgenutztem Eigen- tum. Das ist schon ein ordentlicher Brocken. Das war Wenn die FDP glaubwürdig sein will, glaubwürdig nicht immer so. Bis 1982 lag die Grunderwerbsteuer – es bleiben will, dann gibt es dafür drei Punkte: ist eben gesagt worden – bei 7 Prozent. Dahinter wollen wir nicht zurück. Es gab jede Menge Ausnahmen. Aber Erstens. Senken Sie die Grunderwerbsteuer da, wo Sie auch für Wohneigentum wurde diese Steuer nicht fällig. Verantwortung haben und wo Sie es versprochen haben. Dann wurde sie erhöht, und dann kam man auf die rasan- (Beifall der Abg. Cansel Kiziltepe [SPD] – te Idee, zu sagen: Jetzt bringen wir einmal den Föderalis- Otto Fricke [FDP]: Macht die SPD da mit?) mus ins Spiel; dadurch wird diese Steuer gesenkt. – Das Ergebnis ist: Heute ist die Grunderwerbsteuer für die Zweitens. Machen Sie weiter mit, wenn es um die kleinen Leute so hoch wie nie zuvor. Begrenzung der Share Deals geht, damit die Großen Grunderwerbsteuer zahlen und wir aus den Einnahmen (Christian Dürr [FDP]: Das war ein SPD-Mi- vielleicht die kleinen Leute entlasten können. nisterpräsident!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Na, Sie waren immer dabei. Auf der Bundesebene wa- DIE GRÜNEN) ren Sie bis 1982 und nach 1982 immer dabei. Drittens. Tricksen Sie nicht rum! Wenn Sie Freibeträ- (Christian Dürr [FDP]: Stephan Weil in Nie- ge in den Ländern einführen wollen, dann fnanzieren Sie dersachsen!) diese und schieben Sie die Finanzierung der Wohltaten in den Ländern nicht an den Bund. (B) Stattdessen gibt es heute bei den großen Immobilien- (D) transaktionen – Frau Tillmann hat darauf hingewiesen – Zum Schluss will ich sagen: Es sind viele Punkte im durch Steuergestaltung, Steuertricks das Phänomen, dass Koalitionsvertrag – sie sind angesprochen worden –, aber die Grunderwerbsteuer vollständig eingespart wird. Das eines sollen Sie auch wissen: Für uns sind Mieter nicht nennt man Share Deals. Da geht es laut hessischem Fi- weniger wert als Eigentümer. nanzministerium um 1 Milliarde Euro jährlich. Dagegen müssen wir etwas tun. Das ist eigentlich eine viel wichti- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gere Angelegenheit. DIE GRÜNEN – Zustimmung des Abg. Otto Fricke [FDP]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wertvoll ist für uns das Recht auf Wohnen – eine Bedin- gung guter Lebensqualität. Es gehört für uns zur Heimat Jetzt komme ich noch einmal zum FDP-Antrag von dazu. Das sollte bei Ihnen auch so sein. gestern. Sie stellen einen Antrag zur Entbürokratisierung im Wohnungsbau, und heute legen Sie Bürokratie pur auf Herzlichen Dank. den Tisch. Noch ist die Grunderwerbsteuer nämlich eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einfache Steuer – das soll auch so bleiben –; aber Sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) machen daraus ein, um Ihre Sprache zu verwenden, Bü- rokratiemonster. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Jörg Cezanne, DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP) Fraktion Die Linke, zu seiner ersten Rede im Deutschen – Ja. Bundestag. Die Finanzämter müssten zahlreiche Faktoren abklä- (Beifall bei der LINKEN) ren: Was sind die Gründe für den Erwerb einer Immo- bilie? Die spätere Nutzung müsste überprüft werden. Jörg Cezanne (DIE LINKE): Gibt es einen Freibetrag bei Mischnutzung? Ab welchem Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Preise Grad gibt es die Mischnutzung nicht mehr? Wie ist das von Wohnimmobilien sind in Deutschland in den letz- mit dem Freibetrag für natürliche Personen mit einem ten fünf Jahren durchschnittlich um 32 Prozent gestie- lebenslang geführten Steuerregister? Wer macht das ei- gen, in den sieben größten Ballungsräumen sogar um gentlich? Wer soll das eigentlich bezahlen? Was passiert, 66 Prozent. Nur zum Vergleich: Die Reallöhne stiegen wenn der Freibetrag ausgeschöpft ist? Wie lange dauert im gleichen Zeitraum um 7 Prozent. Die Reaktion der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2509

Jörg Cezanne (A) FDP – zugegebenermaßen etwas zugespitzt –: Wunder- brauchen wir einen kompletten Neustart beim sozialen (C) bar, der freie Markt funktioniert. Die Grunderwerbsteuer Wohnungsbau. von 3 Prozent bis 6,5 Prozent ist das zentrale Problem. – Ganz offensichtlich, meine Damen und Herren, passt hier (Beifall bei der LINKEN) die Lösung nicht zum Problem. Wir erreichen einen kompletten Neustart dadurch, dass öffentliche und private Unternehmen ohne Gewinnorien- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tierung und steuerlich begünstigt Wohnraum zu bezahl- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE baren Preisen schaffen. Die Versorgung mit bezahlbarem GRÜNEN) Wohnraum muss wieder eine Aufgabe der öffentlichen Menschen mit niedrigen Einkommen und ohne Er- Hand werden; sie muss Teil der Daseinsvorsorge sein. sparnisse werden durch steigende Wohnkosten am här- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- testen getroffen. Sie haben gar nicht erst die Chance, eine neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wohnung zu kaufen. Diesen Menschen hilft ein Freibe- trag bei der Grunderwerbsteuer überhaupt nichts. Sozialwohnungen sollen auf Dauer als geförderter Wohnraum zur Verfügung stehen. „Einmal Sozialwoh- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nung, immer Sozialwohnung“ ist der Grundsatz, der gel- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten muss. Ich erspare mir jetzt die Polemik zu Herrn Lambs- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dorffs Rat an die alleinerziehende Mutter, wenn sie die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Miete nicht bezahlen könne, solle sie eine Wohnung kau- und des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) fen. Der Bestand muss beständig erweitert werden. Der öf- Die Hälfte der Bevölkerung verfügt über gar kein oder fentliche Grund und Boden ist dafür zu nutzen und darf über nur wenig Vermögen. Wenn Sie es ernst meinen mit nicht privatisiert werden. der Eigentümernation Deutschland, werden Sie eine Lö- (Beifall bei der LINKEN) sung fnden müssen, wie diese Hälfte überhaupt Eigen- tum fnanzieren soll. Falls Sie mal über höhere Löhne, Das Beispiel der Stadt Wien zeigt, dass bei einer kon- Abschaffung des Niedriglohnsektors, eine Vermögen- sequenten Umsetzung die Verteuerung von Wohnraum steuer oder höhere Steuern auf hohe Einkommen reden und die Spekulation mit Grund und Boden zumindest in wollen: Wir sind gern gesprächsbereit. Schach gehalten werden können. Ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer hilft dabei leider nicht. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Vielen Dank. Meine Damen und Herren, die hohen Preissteigerun- gen bei Immobilien gehen in großem Umfang auf institu- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tionelle Investoren und Immobilienspekulanten zurück. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Diese sind dank des Steuerschlupfochs namens „Share GRÜNEN) Deals“ – davon war hier schon die Rede – in der Lage, die Grunderwerbsteuer komplett zu umgehen. Sie kön- Vizepräsident : nen ganze Stadtviertel aufkaufen; solange sie nur jeman- Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes für den fnden, der 5 Prozent der zum Verkauf angebotenen Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Lisa Paus. Wohnungen übernimmt und ihnen möglichst nicht in die Quere kommt, entfällt die Steuerpficht vollständig – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine völlig absurde Regelung! Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die briti- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – sche Tageszeitung „The Guardian“ berichtete in der letz- Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die ten Woche: Nirgendwo in der Welt – also: in der gesam- ist doch schon einmal bezahlt worden!) ten Welt – steigen die Preise bei Immobilien so schnell Wir müssen die Share Deals endlich unterbinden. Die wie in Berlin. Grunderwerbsteuer für nicht selbstgenutztes Wohnei- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weil gentum wollen wir erhöhen. Das hilft sogar den jungen ihr eine hohe Grunderwerbsteuer habt!) Familien, die Eigentum kaufen wollen; denn dadurch könnte die Preistreiberei durch die großen Immobilien- Alleine letztes Jahr stiegen sie um 20 Prozent. unternehmen zumindest gebremst werden. Es ist nicht nur in Berlin so, sondern auch andere deut- (Beifall bei der LINKEN) sche Städte landen, was Immobilienspekulationen an- geht, international auf den Topplätzen: Hamburg Platz 7, Meine Damen und Herren, wenn Mieten und Immobi- München Platz 8, Frankfurt Platz 10. Es ist nicht verwun- lienpreise in kurzer Zeit dramatisch ansteigen und gleich- derlich, dass die Deutsche Bundesbank bereits im Febru- zeitig Hunderttausende Wohnungen fehlen, dann hat ar dieses Jahres wiederholt davor warnte, dass Immobili- der Wohnungsmarkt offensichtlich versagt. Steuerliche en in deutschen Großstädten um 35 Prozent überbewertet Maßnahmen alleine helfen hier nicht weiter. Vielmehr sind. Das ist eine veritable Spekulationsblase, die wir bei 2510 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Lisa Paus (A) Immobilien hier in Deutschland inzwischen haben, mei- Maßnahmen, die darauf abzielen, die Preise zu deckeln (C) ne Damen und Herren. und die Märkte nicht weiter anzuheizen. Deswegen brau- chen wir neben der Antispekulationssteuer eine funktio- In dieser Situation befeuert die FDP mit diesem An- nierende Mietpreisbremse. Das ist wichtig in Bezug auf trag die Spekulationen, indem sie die Transaktionsteuer, die bestehenden Wohnungen. die wir in Deutschland auf den Handel mit Immobilien haben, die Grunderwerbsteuer, radikal aushöhlen will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen die Förderung des Baus neuer Wohnungen, Ihr Antrag führt leider nicht – ich würde es begrüßen, ja; aber wir brauchen diese eben ganz speziell und gezielt wenn das so wäre – zu vielen neuen Eigentümern, für bezahlbare neue Wohnungen, das heißt von preisge- bundenen Wohnungen. Wir brauchen mehr soziale Woh- (Christian Dürr [FDP]: Was?) nungen. Wir brauchen mehr kommunale Wohnungen. sondern Ihr Antrag führt nur zu noch stärker ansteigen- Wir brauchen mehr Genossenschaftswohnungen. Und den Preisen auf ohnehin überhitzten Märkten. Es geht um wir brauchen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. 28 Milliarden Euro bezogen auf einen Zeitraum von fünf Jahren, so die Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir bräuchten stattdessen das genaue Gegenteil, näm- lich erstens eine Antispekulationssteuer, die endlich das Ja, auch wir wollen Steuerprivilegien und auch eine Steuerschlupfoch für Share Deals schließt, Befreiung von der Grunderwerbsteuer; aber für dieje- nigen, die sich verpfichten, ihre Wohnungen dauerhaft (Zuruf von der FDP: Was habt ihr eigentlich preisgebunden zu nutzen. Wenn wir in andere Länder in der Legislatur gemacht?) schauen, dann sehen wir, dass das das einzig wirksame also dafür sorgt, dass gerade beim Verkauf von großen Mittel gegen Immobilienpreissteigerungen ist. Immobilienbeständen überhaupt Grunderwerbsteuer ge- zahlt wird und sie – nicht so wie jetzt – nicht gezahlt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird. sowie bei Abgeordneten der LINKEN – [AfD]: Wollen Sie die Städte zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pfastern?) Wir bräuchten zweitens eine Staffelung der Steuersätze, Last, but not least: Es geht um Steuerausfälle in Höhe (B) also niedrige Steuersätze für günstige Immobilien und von etwa 28 Milliarden in den Ländern und Kommunen (D) höhere Steuersätze für teure Immobilien. So etwas gibt in fünf Jahren; das sagte ich bereits. Das bedeutet: noch es übrigens bereits in Großbritannien. weniger Geld für sozialen Wohnungsbau, noch weniger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Spielraum für die Überlassung von günstigem Bauland. Die FDP verteilt hier Geld um, das zu 100 Prozent den Ja, es stimmt, die Grunderwerbsteuer ist in einigen Ländern zusteht. Das heißt: weniger Geld für frühkind- Bundesländern angestiegen; das ist völlig richtig. Aber liche Bildung, weniger Geld für Schule und umwelt- die Kaufnebenkosten sind heute immer noch deutlich freundlichen ÖPNV. geringer als beispielsweise vor zehn Jahren. Das kann Ihnen jeder Banker, jeder Finanzier vorrechnen, weil die Zinsen heute immer noch so viel niedriger sind als vor Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zehn Jahren. Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Der Grund, warum sich Menschen keine Wohnungen in den Ballungszentren mehr leisten können, besteht al- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lein darin, dass die Preise durch die Immobilienspekula- tionen dermaßen durch die Decke geschossen sind, dass Und im Übrigen – es wurde schon angedeutet –: Nord- wir das zentral bekämpfen müssen. rhein-Westfalen ist das Land mit dem höchsten Grunder- werbsteuersatz, (Kay Gottschalk [AfD]: Das ist der Euro! Nichts anderes! Bleiben Sie bei der Wahrheit, (Kay Gottschalk [AfD]: Ja! 6,5 Prozent! – Frau Paus!) Otto Fricke [FDP]: Sie haben ihn doch erhöht! Das ist typisch!) Dagegen müssen wir etwas tun. Dazu leistet Ihr Antrag keinen Beitrag. das Land, in dem die FDP mitregiert. Also: Warum sen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken Sie nicht endlich – Sie haben seit über zwei Jahren Zeit dafür – den Grunderwerbsteuersatz? Stattdessen Es ist nicht verwunderlich, dass in dieser Woche das belästigen Sie uns hier mit Ihren Anträgen. Wir werden Verbändebündnis Wohneigentum, ein Zusammenschluss diesen Antrag jedenfalls ablehnen. aus mehreren Bau- und Immobilienverbänden, eine Stu- die vorgelegt hat, in der eindringlich davor gewarnt wird, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt nicht irgendwelche Maßnahmen zur Wohnungs- sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von bauförderung einzuleiten. Stattdessen brauchen wir der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2511

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kostensteigerung beigetragen. Das beste Beispiel fndet (C) Herzlichen Dank, Frau Kollegin Paus. – Als Nächster sich in meinem Heimatland. Die dortige grün-rote Lan- für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Olav Gutting. desregierung der letzten Legislaturperiode hat als erste Amtshandlung die Anhebung der Grunderwerbsteuer um (Beifall bei der CDU/CSU) 40 Prozent beschlossen. Danach hat man die Landes- bauordnung geändert: Wettergeschützte Luxusunterstell- Olav Gutting (CDU/CSU): plätze für Fahrräder wurden gezwungenermaßen ebenso Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eingeführt Unsere Bürger bei der Schaffung von angemessenem (Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Das hat die Wohneigentum unterstützen – darin sind wir uns, glaube CDU in Hessen auch gemacht!) ich, einig –, das wollen auch wir. (Zuruf von der FDP: Ja! Tut es halt!) wie Fassadenbegrünung, Dachbegrünung, wenn kein Vorgarten vorhanden ist. Das ist alles schön. Mir gefällt Da bin ich auch gerne Ideologe; das will ich hier auch das auch; aber es ist eben auch teuer. Das muss man wis- sagen. sen. (Bernhard Daldrup [SPD]: Gut so!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Auch die verschärften Regelungen bei der Energieein- einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer beim erst- sparverordnung führen zu erhöhten Baukosten. Vielleicht maligen Erwerb von Wohneigentum zumindest prüfen sollten wir einmal überlegen, ob es wirklich notwendig wollen. Es ist ja offensichtlich, dass ständig steigende ist, dass wir unsere Häuser einpacken und dämmen, bis Erwerbsnebenkosten den Erwerb von Wohneigentum ge- es nicht mehr geht, rade für Familien immer schwieriger machen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Warum lehnen wir diesen Antrag trotzdem ab? Grund ist zum einen die fehlende Finanzierung und zum ande- ohne darüber nachzudenken, dass wir bei einer immer ren das fehlende Gesamtkonzept. Sie wissen: Die Ein- kürzeren technischen Lebensdauer der Bauteile hier kei- nahmen aus der Grunderwerbsteuer stehen allein den nen nachhaltigen Fortschritt bei den Gebäuden erreichen. Ländern zu. Wenn wir diesem Antrag zustimmen wür- Wir müssen auch darüber nachdenken, wo das Dämm- den, dann würden die Länder selbstverständlich fordern, material herkommt, wie es produziert und später ent- dass der Bund die entstehenden Ausfälle übernimmt. sorgt wird. All das spielt bei vielen Überlegungen bisher überhaupt keine Rolle. Deshalb müssen wir auch hierbei (Cansel Kiziltepe [SPD]: Ja!) (B) nachhaltiger denken. (D) Das haben Sie in Ihrem Antrag auch selbst erkannt, und Sie fordern ja auch, das Ganze beim Bund-Länder- (Beifall bei der CDU/CSU) Finanz­ausgleich zu berücksichtigen. Das wiederum setzt Herr Präsident, Sie blinken mich an. eine intensive Auseinandersetzung mit den Ländern vo- raus. Wir müssen uns mit den Ländern darüber unterhal-

ten und können hier keine Alleingänge machen. Deswe- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gen wäre es wichtig, einen solchen Antrag vorher mit den Das ist der zarte Hinweis darauf, dass Sie zum Ende Ländern intensiv zu besprechen. kommen sollen. Das heißt nicht, dass Sie sofort aufhören sollen, zu reden, sondern dass Sie jetzt noch zwei Sätze (Beifall bei der CDU/CSU) haben, Herr Kollege Gutting. Was aber noch viel ausschlaggebender ist: Ein Frei- betrag alleine hilft natürlich nicht viel weiter. Da macht Olav Gutting (CDU/CSU): Ihr Antrag von gestern zum Bürokratieabbau beim Nicht zuletzt gibt es auch einen Mangel an Eigenka- Wohnungsbau schon mehr Sinn. Was wir brauchen, ist pital. Deswegen haben wir ja vereinbart, dass wir das ein Gesamtkonzept; und das liegt heute hier nicht vor. Baukindergeld einführen wollen. Deswegen haben wir Es sind viele Dinge, die neben der Grunderwerbsteuer vereinbart, dass wir die Eigenkapitalbildung durch die den Erwerb von Wohneigentum sukzessive immer teurer Wohnungsbauprämie bei den Bausparkassen verbessern machen. Ich will nur einige Beispiele nennen, die den wollen. Es macht nämlich keinen Sinn, das Bauen auf der Erwerb von Eigentum in den letzten Jahren immer teurer einen Seite immer weiter zu verteuern und es auf der an- gemacht haben. Wenn wir richtigerweise vorgeben, dass deren Seite wieder zu subventionieren. Das ist wirklich wir die Flächenversiegelung einschränken wollen, dann nicht klug. bedeutet das natürlich im Umkehrschluss, dass wir weni- ger Bauland zur Verfügung haben. Und weniger Bauland Wenn wir die Grunderwerbsteuer verändern, sollten auf dem Markt bedeutet automatisch höhere Preise. wir auch darüber nachdenken, wie wir das Thema „Share Deals“ regeln. Am besten wäre es, die Grunderwerbsteu- Die Baukosten selbst sind rasant gestiegen, auch er massiv zu senken. Das führt nachgewiesenermaßen zu wegen der niedrigen Kapitalmarktzinsen; das ist rich- einem Rückgang der Share Deals und damit auch zu ei- tig. Das hatte einen Einfuss auf die Steigerung bei den ner Steigerung der Einnahmen. Baukosten. Aber vieles von dem ist eben auch von der Politik veranlasst. Da brauchen wir keine Krokodilsträ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nen zu vergießen; vielmehr haben wir teilweise selbst zur ordneten der FDP) 2512 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Olav Gutting (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Und gehen wir einen Schritt, bei dem Die blaue Par- (C) Ende. Lassen Sie uns hier doch gemeinsam nach einer tei wohl mutiger ist als andere, weiter: Wir wollen die Lösung suchen. Hören wir mit dem Stückwerk auf! Las- Grunderwerbsteuer in der Tat komplett abschaffen. Das sen Sie uns nicht tagtäglich eine neue Idee entwickeln, würde auch Ihr Verwaltungsproblem, liebe FDP, auf ei- sondern lassen Sie uns ein Gesamtpaket schnüren, mit nen Schlag lösen. dem wir für eine nachhaltige Erhöhung der Eigentums- quote in unserem Land sorgen können. Gehen wir noch einen Schritt weiter. Dazu braucht es Mut, den ich bei der FDP-Fraktion wie auch bei allen an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deren Fraktionen leider vermisse: Packen wir gemeinsam neten der FDP und des Abg. Bernhard Daldrup auch die Folgen einer regellosen Währungspolitik in der [SPD]) Europäischen Union an, die, wie wir wissen, verhindert, dass Bürger nachhaltig sparen und Eigentum aufbauen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: können. Herr Kollege Gutting, herzlichen Dank. Das haben Sie In diesem Sinne lohnt eine weitere gemeinsame Arbeit geschickt gemacht: Aus zehn Sekunden wurde eine Mi- an dem Antrag, die zum Ziel haben muss, Steuern abzu- nute. Das war wirklich beachtlich. bauen, statt Steuern weiter aufzubauen. Das Blinken, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeu- Herzlichen Dank. tet nur, dass Sie auf Ihre Zeit achten und zum Schluss kommen sollen. Wenn die Zeit zu Ende ist, melde ich mich dann schon. Keine Sorge. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Dr. Petry. – Als Nächstes für die Als Nächstes erteile ich das Wort der fraktionslosen SPD die Kollegin Cansel Kiziltepe. Abgeordneten Dr. Frauke Petry. (Beifall bei der SPD) Dr. Frauke Petry (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Cansel Kiziltepe (SPD): Damen und Herren! Lassen Sie uns nicht darüber reden, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dass Bauen nicht teurer werden soll, sondern lassen Sie Kollegen! Die FDP mischt die wohnungspolitische De- uns darüber reden, wie Bauen endlich wieder billiger batte in dieser Plenarwoche gleich mit zwei Anträgen werden kann. Ich freue mich, zu hören, dass im Grunde auf. Es könnte der Anschein erweckt werden, die FDP Vertreter fast aller Fraktionen der Meinung sind, dass die plane eine wohnungspolitische Wende für die breite Be- (B) (D) Abschaffung der Grunderwerbsteuer ein Teil der Lösung völkerung in Deutschland. des Problems sein muss. (Beifall bei der FDP) Wir wissen, dass die niedrigen Zinsen, auf die wir nicht dauerhaft hoffen können, zur Zunahme des Erwerbs Aber das ist ein Trugschluss. von Wohneigentum geführt haben. Wir sind uns darüber Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland wird einig, dass das nicht von Dauer sein wird. Der Antrag der es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu fnden. FDP ist insofern grundsätzlich eine gute Idee, aber er ist Allein in Berlin sind die Immobilienpreise im letzten leider nicht zu Ende gedacht. Jahr – nur in einem Jahr – um 20 Prozent gestiegen, ganz Die Argumente dafür sind bereits vorgetragen worden: zu schweigen von den Mietpreissteigerungen, die bei Ihr Vorschlag ist zu kompliziert. Sie können nämlich kein über 60 Prozent liegen. In keiner anderen Stadt weltweit Angebot dafür machen, wie er vernünftig und kosteneff- war der Preisanstieg so groß wie in Berlin. Aber auch zient umgesetzt werden soll. Hamburg, München und Frankfurt gehören zu den zehn Städten mit den am schnellsten steigenden Preisen. Viele Für den linken Teil des Hauses habe ich einen Hin- Unistädte gehören auch dazu. Nicht umsonst sind über weis: Wir reden heute nicht über Mieter. Die Interessen 20 000 Menschen letztes Wochenende auf die Straßen von Mietern sind selbstverständlich auch wichtig; da- gegangen, um gegen den Mietenwahnsinn und die sozi- rüber sind wir uns einig. Und da es auch Mietern hilft, ale Verdrängung zu protestieren, und das zu Recht, liebe wenn es mehr privates Wohneigentum in Deutschland Kolleginnen und Kollegen. gibt, ist damit auch Ihrer Klientel geholfen. Dann muss man Mieter und Eigentümer nicht permanent gegenei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nander ausspielen. der LINKEN) (Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Es geht zum Und was fällt der FDP ein? Der FDP fällt nichts Bes- Beispiel um Bodenpreise!) seres ein, als einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer zu fordern. Jeder weiß: Der Erwerb einer eigenen Immo- Nun zur GroKo und zu den Share Deals, die auch Sie bilie kommt heutzutage – mit oder ohne Freibetrag – nur einhellig beklagen. Ich frage mich, wer eigentlich in der für einen sehr kleinen Bevölkerungsteil infrage, viel- Regierung ist; denn Sie hätten es doch bei der Verhand- leicht im ländlichen Raum. lung Ihres Koalitionsvertrages in der Hand gehabt, die Praxis der Share Deals zu beenden. Beklagen Sie sie also (Christian Dürr [FDP]: Das zu steigern, ist ja nicht! Beenden Sie sie! das Ziel!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2513

Cansel Kiziltepe (A) Es geht jedoch vor allem um die Menschen in Ballungs- Cansel Kiziltepe (SPD): (C) zentren. Deutschland ist traditionell eine Mieternation. Ja. Das ist bei Ihnen offenkundig nicht angekommen. (Christian Dürr [FDP]: Das wollen Sie auch Hagen Reinhold (FDP): nicht ändern!) Werte Frau Kollegin, Sie sprachen gerade die Gelder Zur Aufklärung: In den Städten, in denen bezahlba- für den sozialen Wohnungsbau an. Das freut mich natür- rer Wohnraum besonders knapp ist, ist die Mieterquote lich sehr. Sie sagten auch, da brauchen Sie noch mehr besonders hoch. In Berlin wohnen 86 Prozent der Men- Geld und wollen dort noch mehr Geld ausgeben. Stim- schen zur Miete, in Frankfurt 80 Prozent, in München men Sie mit mir überein, dass es gerade nach der Födera- 79 Prozent, in Hamburg 76 Prozent. Wir als SPD wollen lismusreform und nach dem Ende der Zweckbindung der deshalb eine wohnungs- und mieterpolitische Wende Gelder für den sozialen Wohnungsbau augenscheinlich viele sozialdemokratisch geführte Bundesländer gibt, die ( [FDP]: Hätten Sie zehn das Geld nicht einmal ausschütten, sondern in ihren Lan- Jahre machen können!) deshaushalten an anderen Stellen versickern lassen, und das, obwohl das Finanzministerium sozialdemokratisch und haben dementsprechend auch im Koalitionsvertrag geführt ist? Ich stelle das in Mecklenburg-Vorpommern Maßnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum durch- fest, ich habe das in Berlin zur Kenntnis nehmen müs- gesetzt. Wir wollen, dass in den kommenden Jahren sen, dass die Gelder, die der Bund den Ländern seit Jah- 1,5 Millionen Wohnungen gebaut werden. ren für den sozialen Wohnungsbau überweist, gerade in (Daniel Föst [FDP]: Stillstand seit Jahren!) Ländern, wo Sie Verantwortung tragen, leider dafür nicht eingesetzt werden. Hierfür werden wir den Ländern in den kommenden zwei Jahren zweckgebunden 2 Milliarden Euro zur Verfügung (Beifall bei der FDP – Dr. h. c. Hans stellen. Michelbach [CDU/CSU]: Alles für den Flug- platz!) (Hagen Reinhold [FDP]: Zweckgebunden?)

Wir werden eine Enquete-Kommission „Nachhaltige Cansel Kiziltepe (SPD): Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ einsetzen. Ich teile Ihre Einschätzung teilweise. Der Bundeszu- Wir werden den Missbrauch bei der Grunderwerbsteu- schuss für den sozialen Wohnungsbau läuft 2019 aus. er durch Share Deals effektiv und rechtssicher beenden. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die entsprechende Das steht auch so im Koalitionsvertrag, liebe Kollegin- Regelung im Grundgesetz verlängert wird, weil das im (B) nen und Kollegen. Rahmen des Länderfnanzausgleichs einfach nicht be- (D) (Beifall bei der SPD) rücksichtigt wurde. Es wird eine Grundgesetzänderung dazu geben. Es werden den Ländern zweckgebunden Die Länder brauchen das Geld. Ein Freibetrag bei der 2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, und das ist Grunderwerbsteuer schafft ein neues Loch. Problemati- auch gut so. sche Ausnahmen gibt es genug. Deshalb wollen wir ins- besondere bei den Share Deals so schnell wie möglich (Beifall bei der SPD) zum Zuge kommen. Hierzu gibt es bereits eine Arbeits- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden also ins- gruppe der Länder. Bis zur Sommerpause werden hier besondere den Missbrauch von Share Deals beenden, Vorschläge gemacht werden, wie man verhindern kann, dass die Grunderwerbsteuer systematisch umgangen (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da wird. Ein Beispiel: Das Sony Center am Potsdamer Platz gibt es keinen Missbrauch! So ist es!) wurde im letzten Herbst im Rahmen eines Share Deals bevor wir irgendetwas bei der Grunderwerbsteuer un- für 1,1 Milliarden Euro verkauft. ternehmen. Falls wir hier nicht zuerst handeln, droht die (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Voll versteu- Grunderwerbsteuer, wie gesagt, durch eine weitere Aus- ert!) nahme zu einem Schweizer Käse zu werden. Das wollen wir nicht. Das ist ein Riesenproblem. Das würde auch Dem Land Berlin sind dadurch 66 Millionen Euro an zu Einnahmeausfällen führen, die die Länder sich nicht Steuereinnahmen verloren gegangen. Ich kann Ihnen leisten können. Es gibt eine Studie des IW in Köln, die sagen: Wir brauchen dieses Geld, um mehr bezahlbaren aufzeigt, dass die Steuereinnahmen aus der Grunder- und sozialen Wohnraum zu schaffen. Darauf können wir werbsteuer um die Hälfte, also um fast 6 Milliarden Euro nicht verzichten. pro Jahr, niedriger ausfallen würden. Das geht nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist eine ten der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach Mieternation. Deswegen brauchen wir Maßnahmen, die [CDU/CSU]: Dafür haben die Ertragsteuer bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Spekulationen bezahlt!) beenden. Dazu leistet der FDP-Antrag leider keinen Bei- trag. Vielleicht ändert sich das in Zukunft. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der Freien Demokraten? (Beifall bei der SPD) 2514 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wegen setzen wir den Fokus auf Familien mit Kindern. (C) Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als letztem Redner Der ist auch richtig und notwendig. Diese Fokussierung zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen erreichen Sie mit Ihrem Antrag nicht. Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. In Ihrem Antrag lassen Sie auch wesentliche Finanzie- (Beifall bei der CDU/CSU) rungsfragen außer Acht; der Kollege Gutting hat es schon gesagt. Es würden erhebliche Mehrbelastungen auf den Sebastian Brehm (CDU/CSU): Bund zukommen. Das Gesamtaufkommen betrug im Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Jahr 2017 13 Milliarden Euro. Mit Einführung des Frei- Kollegen! Kennen Sie den Film „Und täglich grüßt das betrages käme es zu erheblichen Belastungen für den Murmeltier“? Der Hauptdarsteller Bill Murray spielt da- Bund, weil dieser natürlich an die Länder zahlen müsste. rin einen egozentrischen Wetteransager, der in einer Zeit- Die von Ihnen beschriebene Möglichkeit der Länder, schleife festsitzt und immer wieder denselben Tag erlebt. dies einfach im Bund-Länder-Finanzausgleich zu regeln, In jeder Sitzungswoche bekommen wir nun einen An- ist völlig undifferenziert. Es wäre eine reine Belastung trag der FDP, der suggerieren soll, dass diese FDP die des Bundeshaushalts, und es käme zu erheblichen Fehl- einzige wirtschaftspolitische Kraft und der einzige wirt- entwicklungen. Damit würde zeitnah die Einführung schaftspolitische Motor unseres Landes ist. wichtiger Eigentumsfördermaßnahmen verhindert wer- den, Stichwort „Baukindergeld, verbunden mit einer (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Ist Eigenkapitalförderung“. Es würde es erschweren oder ja so!) gänzlich aufgrund der Belastungen verhindern. Jede Sitzungswoche handeln Sie nach demselben Strick- muster: ein plakativer Vorschlag zu einem Teilaspekt Deswegen muss, bevor wir an die Grunderwerbsteuer gehen – wir sind uns in der Zielsetzung einig –, zunächst (Stephan Thomae [FDP]: Wir setzen auf Ihre ein Bündel von Maßnahmen abgearbeitet werden. Das ist Lernbereitschaft!) die wichtige und richtige – ob ein Gutachten geschrie- ohne Finanzierung und ohne Differenzierung. ben wird oder nicht – Einführung des Baukindergel- des und die Förderung von Eigenkapitalmaßnahmen in (Stephan Thomae [FDP]: Einer muss es ja diesem Jahr. Das ist die Erhöhung von Kindergeld und tun!) Kinderfreibetrag für Familien im nächsten Jahr. Das ist Sie machen lieber locker-fockige – wie formulieren Sie natürlich eine Neuregelung des Grundsteuergesetzes mit es? – Serviceopposition anstatt harte, anstrengende, dif- dem Ziel der Aufkommensneutralität. Und wir brauchen (B) ferenzierte Regierungsarbeit. eine schnellere Verfügbarkeit von Grundstücken durch (D) ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz. All diese (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Maßnahmen stehen im Koalitionsvertrag. Michelbach [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich spare mir an dieser Stelle die Aussage, dass Sie die Chance auf Regierungsverantwortung gehabt hätten.

(Katja Hessel [FDP]: „Und täglich grüßt das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Murmeltier“! – Christian Dürr [FDP]: Da ist Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus das Murmeltier wieder!) den Reihen der FDP-Fraktion? Sie würde Ihre Redezeit verlängern. Ich spare mir auch die Aussage, dass Sie sich der Ver- antwortung entzogen haben. Aber lassen Sie uns auf die Inhalte zu sprechen kommen. Sebastian Brehm (CDU/CSU): (Stephan Thomae [FDP]: Wir suchen den Sehr gerne. richtigen Partner für das Regieren!) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Er Richtig und unstrittig ist, dass die Grunderwerbsteu- hat doch gerade gefragt!) er bei der Finanzierung des Familieneigenheims eine wesentliche Kostenbelastung darstellt. Viele Familien haben gerade einmal genug Eigenkapital, um die Er- Hagen Reinhold (FDP): werbsnebenkosten wie die Notarkosten und die Grund- Ich habe gerade gefragt, ja, aber jetzt ist Herr Brehm erwerbsteuer zu tragen. Darüber sind wir uns alle einig. hier am Werk. Einig sind wir uns übrigens auch in dem Ziel, dass wir eine Eigentümernation Deutschland brauchen. Sehr geehrter Herr Brehm, Sie haben gerade zu Recht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten festgestellt, dass die Erwerbsnebenkosten ein großes Pro- der CDU/CSU) blem sind und Sie das mit Ihrem Baukindergeld besser lösen wollen, weil eine Kinderkomponente dabei wäre. Aber wir sollten uns auch einig darüber sein, dass wir unsere Bemühungen vor allen Dingen auf Familien mit Ich frage mich: Die Erwerbsnebenkosten werden zu Kindern richten sollten. Sie tragen die Verantwortung in Beginn fällig, nämlich wenn man das Objekt erwirbt, unserer Gesellschaft. Kinder sind unsere Zukunft. Des- und werden meist von einem Teil des Eigenkapitals be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2515

Hagen Reinhold (A) glichen. Wie wollen Sie mit Ihrem Baukindergeld, das Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: (C) Sie über viele Jahre ausschütten wollen, dieses Problem a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Niema ernsthaft lösen? Mit einem Baukindergeld, das Sie über Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, wei- Jahre verteilt ausgeben, schaffen Sie es nicht, die Er- teren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE werbsnebenkosten zu berücksichtigen, die beim Kauf ei- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- nes Objektes entstehen. Das schafft man nur, indem man derung des Strafgesetzbuchs – Straffreiheit die Grunderwerbsteuer absenkt oder einen Freibetrag für Fahren ohne Fahrschein schafft. Wie können Sie das erklären? Drucksache 19/1115 Sebastian Brehm (CDU/CSU): Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Warten Sie ab, bis der Vorschlag zum Baukindergeld Innenausschuss kommt! Es wird Maßnahmen geben, um mithilfe des Baukindergelds die Eigenkapitalbildung zu begünsti- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten gen, verbunden mit vorrangiger Tilgung eigenkapitaler- Canan Bayram, Katja Keul, , setzender Darlehen. Das ist ein richtiger und wichtiger weiteren Abgeordneten und der Fraktion Vorschlag. Lassen Sie uns, wenn der Vorschlag kommt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- gemeinsam darüber diskutieren und auch abstimmen, da- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung mit es zu einer Entlastung kommt. des Strafgesetzbuches (StGB) und des Ge- setzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) Im Ziel sind wir uns ja einig. Auch für uns ist der An- – Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit – satz der Grunderwerbsteuer zu hoch, und natürlich müs- Drucksache 19/1690 sen wir hier eine Reform machen. Aber wir müssen doch zuerst die jungen Familien unterstützen und jene Maß- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) nahmen abarbeiten, die in der Koalition unstrittig sind, Innenausschuss und dann gehen wir an die Grunderwerbsteuer. Ihr Vor- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur schlag ist überhaupt nicht fnanziert. Ohne Finanzierung greifen wir aber in den Bundeshaushalt ein. Deswegen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für können wir die Maßnahme jetzt nicht so, wie von Ihnen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu vorgeschlagen, durchsetzen. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Wenn wir am Ende der ganzen Maßnahmen sind, die Kollegen Niema Movassat von der Linken das Wort. (B) ich beschrieben habe, dann werden wir mit den Ländern (D) verhandeln. Der Kollege Olav Gutting hat es gesagt: Wir (Beifall bei der LINKEN) müssen dann in Gespräche mit den Ländern eintreten, damit auch sie an den Kosten der Senkung der Grunder- Niema Movassat (DIE LINKE): werbsteuer beteiligt werden und nicht alles zulasten des Danke, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Bundes geht. Diesen Schritt werden wir gemeinsam vor- Kürzlich berichtete mir ein junger Mann, dass er zu sei- nehmen. Ich lade Sie herzlich ein, gemeinsam darüber zu ner Ausbildungsstelle täglich schwarzfahren müsse, sein diskutieren. Lehrlingsgehalt reiche nicht für den Kauf eines Monat- Herzlichen Dank. stickets. Nun fürchtet er, wegen mehrfachen Schwarz- fahrens in den Knast zu kommen; denn nach § 265a des (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Strafgesetzbuches droht demjenigen, der ohne Ticket Metin Hakverdi [SPD]) fährt, ein Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe. Die Folge für den jungen Mann wäre der Verlust seiner Aus- bildungsstelle und damit die Arbeitslosigkeit. Dieser Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Auszubildende fährt nicht schwarz, weil er irgendeine Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Ein Hinweis an kriminelle Energie hat. Er fährt ohne Ticket, weil er kein den Kollegen Michelbach: Es war zwar derselbe Frage- Geld dafür hat. So was gehört nicht bestraft. Schwarzfah- steller, aber ein anderer Redner, und deshalb war es mög- ren gehört raus aus dem Strafgesetzbuch. lich, dass eine weitere Frage gestellt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan­ (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) habe ich bemerkt, Herr Präsident!) Dazu haben wir heute einen Gesetzentwurf vorgelegt. – Schön, dass Sie das auch bemerkt haben. Ich möchte ihnen drei weitere Gründe nennen, die für unseren Gesetzentwurf sprechen. Damit schließe ich die Aussprache. Erstens. Wer schwarzparkt, also falsch parkt, der zahlt Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf ein Bußgeld zwischen 10 und 25 Euro. Damit ist die Sa- Drucksache 19/1696 an die in der Tagesordnung aufge- che erledigt. Falschparken ist eine Ordnungswidrigkeit. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Schwarzfahren hingegen ist eine Straftat. Wer es macht, verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung muss also nicht nur die Vertragsstrafe – das erhöhte Be- so beschlossen. förderungsentgelt – von etwa 60 Euro bezahlen; ihm 2516 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Niema Movassat (A) droht zusätzlich ein Strafverfahren. Das wirkt auf den Niema Movassat (DIE LINKE): (C) Betroffenen wie eine Doppelbestrafung. Dabei haben Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf würde Schwarzfahren und Schwarzparken in etwa den gleichen zur Entlastung der Gerichte und der ohnehin vollgestopf- Unrechtsgehalt. Bei beidem gibt es keine besondere kri- ten Gefängnisse führen. Eine Entkriminalisierung des minelle Energie. Es darf nicht sein, dass Schwarzfahren Schwarzfahrens fordern auch der Deutsche Richterbund deutlich härter bestraft wird als Falschparken. Das ist un- und die Gewerkschaft der Polizei. An die Union gerich- gerecht. tet sage ich: Falls Sie nicht auf Die Linke hören wollen, hören Sie wenigstens auf Ihren Justizminister in NRW, (Beifall bei der LINKEN) Herrn Biesenbach. Auch er forderte jüngst die Entkrimi- Zweitens. Die Verkehrsunternehmen haben zivilrecht- nalisierung des Schwarzfahrens. Ich fnde, er hat recht. liche Möglichkeiten, ihr Geld einzutreiben. Sie können (Beifall bei der LINKEN) Schwarzfahrer auf Zahlung verklagen. Zudem erheben sie die besagten 60 Euro Vertragsstrafe. Die Verkehrsun- ternehmen haben also rechtliche Möglichkeiten, ihre Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ansprüche durchzusetzen. Ihnen geht es nicht anders als Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die CDU/ anderen, denen gegenüber ein Vertrag gebrochen wird; CSU-Fraktion der Kollege Ingmar Jung. auch sie sind selbst zuständig fürs Geldeintreiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Strafrecht benutzen die Verkehrsunternehmen als Möglichkeit, Kosten zu sparen. Denn die Ermittlungen Ingmar Jung (CDU/CSU): durch Polizei und Justiz gegen den jeweiligen Schwarz- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- fahrer zahlt der Steuerzahler. Damit muss endlich Schluss ren! Lieber Kollege Movassat, ich komme aus Hessen sein. und halte es eher mit der hessischen Justizministerin, die neulich in der „FAZ“ sehr nachdrücklich dargelegt hat, (Beifall bei der LINKEN) warum es richtig ist, den Straftatbestand des Schwarzfah- Drittens. Das Übelste an diesem Straftatbestand ist: Er rens beizubehalten. Dafür tritt auch die Unionsfraktion richtet sich gegen arme Menschen. Wer nur eine kleine hier ein, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Rente hat, wer nur ein kleines Azubigehalt bezieht, der Zuerst sage ich aber etwas zu dem, was Sie eben zur kann sich oft kein Ticket leisten. Beim kargen Hartz-IV- Überlastung der Gerichte, zur Ersatzfreiheitsstrafe und Satz sind gerade einmal 26 Euro für Mobilität vorgese- zu Ähnlichem gesagt haben. Eines sollte klar sein: Wir hen. Wo können Sie denn dafür ein Monatsticket kaufen? dürfen bei der Frage, ob wir im Strafrecht etwas ändern, (B) Die Menschen müssen aber mobil sein, weil sie zum Amt ob wir Straftatbestände beibehalten oder nicht, nicht mit (D) müssen, weil sie zu Bewerbungsgesprächen müssen. der Situation in den Gefängnissen und der Lage der Ge- richte argumentieren – auch darüber kann man disku- Laut einer Studie, in Auftrag gegeben von der Landes- tieren –, sondern wir müssen darüber reden, wofür wir regierung NRW, sind 58 Prozent der Menschen, die we- Strafgesetze haben, ob Strafzwecke bestehen und ob sie gen Schwarzfahrens verurteilt werden, Hartz-IV-Emp- in dem Fall, über den wir diskutieren, angebracht sind. fänger, 21 Prozent sind obdachlos. Es ist unerträglich, dass Menschen wegen ihres leeren Geldbeutels bestraft Im Idealfall wirkt Strafrecht generalpräventiv. Die werden. Armut darf keine Straftat sein. Idealvorstellung ist: Wir haben eine Strafnorm für ein Verhalten, das die Gesellschaft verurteilt, und die straf- (Beifall bei der LINKEN – Karlheinz Busen rechtliche Relevanz führt dazu, dass eine breite Masse [FDP]: Ist ja auch nicht!) potenzieller Täter von diesem Verhalten abgeschreckt Übrigens: Natürlich verurteilen die Gerichte die Be- wird. troffenen meist zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Ge- Dieser Strafzweck ist beim § 265a StGB zweifellos fängnisstrafe. Aber wer sich kein Ticket leisten kann, der nicht erfüllt; das muss man sagen. Die breite Masse der kann auch nicht die Geldstrafe zahlen. Wer aber die ver- Bevölkerung, der Otto Normalbürger, weiß nämlich hängte Geldstrafe nicht bezahlt, dem droht die Ersatzfrei- nicht, dass Schwarzfahren tatsächlich strafbar ist. Es heitsstrafe; der muss also das Ganze im Knast absitzen. würde mich einmal interessieren, Herr Kollege, ob der Lehrling, mit dem Sie gesprochen haben, wirklich von Bundesweit sitzen nach Angaben der NRW-Landes- der Strafbarkeit des Schwarzfahrens gesprochen hat oder regierung 5 000 Menschen wegen Beförderungserschlei- vom erhöhten Beförderungsgeld. chung im Gefängnis. Jeder Tag Haft kostet pro Gefange- nen 130 Euro. Bundesweit werden jährlich 200 Millionen (Niema Movassat [DIE LINKE]: Der wusste Euro dafür ausgegeben, Menschen in den Knast zu ste- das!) cken, die ihre Geldstrafe nicht zahlen konnten. Das ist – Ja, dann war es aber wahrscheinlich ein Prof; die gibt doch irrsinnig! es auch. (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber die allermeisten Leute wissen das nicht. Ich habe Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das in den letzten Tagen getestet und einige gefragt: Was Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. passiert denn, wenn du schwarzfährst, wenn du den öf- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2517

Ingmar Jung (A) fentlichen Nahverkehr nutzt und keinen Fahrschein hast? Ich will noch etwas zur Situation in den Justizvoll- (C) Alle haben mir geantwortet: Das kostet 60 Euro. – Sie zugsanstalten und zur Überlastung der Justiz sagen. Es sprechen also vom erhöhten Beförderungsgeld und sehen gibt unterschiedliche Angaben. Sie haben die Situation in nicht die strafrechtliche Relevanz, die dahintersteht. Ge- NRW erwähnt. Andere Landesjustizministerien schildern neralprävention ist also kein taugliches Instrument. An die Situation etwas anders. Aber zweifellos ist es so, dass dieser Stelle gebe ich Ihnen recht. viele, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in den JVAs absitzen, aus dem Kreis der Schwarzfahrer kommen. Aber das Aber es gibt noch einen weiteren Zweck, der hier kann doch kein Argument sein, das Strafrecht zu ändern. zweifellos erfüllt ist. Eine nicht irrelevante Zahl von Wir können doch nicht sagen: Das kostet 130 Euro pro Menschen versucht ganz gezielt, das System auf Kos- Tag, wir gestalten das Strafrecht nur noch nach Kassen- ten anderer auszunutzen. Sie rechnen sich gezielt aus: lage. Wenn wir knapp bei Kasse sind, müssen wir über Wie oft muss ich schwarzfahren, mich ordentlich genug andere Möglichkeiten diskutieren. Das kann nicht das verstecken und nicht erwischt werden, damit es sich am Argument für eine Änderung des Strafrechts sein. Ende lohnt, Ich gebe Ihnen ja recht, dass es unbefriedigend ist, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das machen dass Ersatzfreiheitsstrafen in nicht irrelevanter Zahl ver- auch die Falschparker!) büßt werden, aber wir dürfen doch nicht aufgeben. Wir mir auf Kosten aller anderen die Beförderung zu er- dürfen doch nicht kapitulieren, weil wir uns das nicht schleichen? Diesem Umstand kann man zweifellos mit mehr leisten wollen. Vielmehr müssen wir überlegen, ob den Mitteln des Strafrechts begegnen. Hier ist Prävention es andere Sanktionsmechanismen gibt. absolut sinnvoll. Warum kann man nicht darüber diskutieren, ob je- (Beifall bei der CDU/CSU) mand, der dauerhaft schwarzfährt, der das quasi professi- onell macht, der Gesellschaft etwas zurückgibt, wenn er Wir können uns überlegen, ob wir für eine Entkrimi- vorher etwas genutzt und nicht dafür gezahlt hat? nalisierung sorgen wollen. In dem Fall würden wir das Fahren ohne Fahrschein für nicht ausreichend strafwür- (Zurufe von der LINKEN) dig erachten. Die Linken schreiben in dem Gesetzent- wurf: Da man beim Einsteigen in Bus oder Bahn keine Warum kann eine Sanktion nicht darin bestehen, dass Schutzvorrichtung überwinden muss, ist die Entfaltung man sich an sozialen Aufgaben beteiligt? Was spricht krimineller Energie nicht notwendig. – Ich sage Ihnen dagegen, dass man sich an der Reinigung von öffentli- ganz ehrlich: Dieses Argument verstehe ich überhaupt chen Bahnanlagen beteiligt, wenn man den öffentlichen nicht. Es kann doch nicht sein, dass ein Verhalten nur Personennahverkehr ohne Gegenleistung nutzt? Warum kann man nicht andere soziale Aufgaben übernehmen? (B) dann als verurteilungswürdig erachtet wird, wenn der (D) Fahrgast ein Drehkreuz passieren oder einen Fahrschein Darüber müssen wir diskutieren, um die unbefriedigende entwerten muss, damit sich die Tür öffnet. Situation zu beseitigen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist die Wir sind gerne bereit, mit Ihnen darüber zu disku- Meinung in der Literatur!) tieren, wie wir die Situation verbessern können. Aber wir können nicht sagen: Nur weil es sich an einer Stelle Diejenigen, die ständig ohne Fahrschein fahren – und für den Staat nicht mehr komplett rechnet und wir uns um die geht es hier – und sich genau ausrechnen, ab wann Ersatzfreiheitsstrafen und gerichtliche Verfahren nicht es sich lohnt, schwarzzufahren, machen dies zulasten der mehr leisten wollen, ändern wir das Strafrecht. Das wäre anderen Fahrgäste, für die das Ticket immer teurer wird, der falsche Weg. Lassen Sie uns lieber darüber sprechen, und zulasten der gesamten Steuerzahler; denn es handelt wie wir andere Wege fnden können, um die Situation be- sich hier um einen hochsubventionierten Bereich. Das ist friedigender zu lösen. in hohem Maße unsolidarisch und daher verurteilungs- würdig. Das müsste doch auch Die Linke verstehen. Ich Herzlichen Dank. fnde, wir sollten an dieser Stelle den Straftatbestand bei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- behalten. ordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Da Sie mehrmals dazwischengerufen haben, Herr Ganz genau auf die Sekunde. Herzlichen Dank, Herr Movassat: Es gibt hier einen Unterschied zum Schwarz- Kollege Jung. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der parken. Schwarzparken fndet selten in einem Bereich Abgeordnete Thomas Seitz. statt, der hochsubventioniert ist. Parkregelungen dienen meistens der Verkehrssteuerung. Sie sollen dafür sorgen, (Beifall bei der AfD) dass die Parkraumbewirtschaftung ordentlich funktio- niert. Das ist etwas völlig anderes als ein hochsubventio- Thomas Seitz (AfD): nierter Bereich, in dem einzelne Personen versuchen, auf Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Kosten anderer einfacher durchzukommen. Deswegen und Herren! Als ehemaliger Staatsanwalt kann ich nur zieht der Vergleich in keiner Weise. den Kopf schütteln über die beiden Gesetzentwürfe von (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion. Die einen [DIE LINKE]: Schwarzparker gefährden an- wollen das sogenannte Schwarzfahren nur noch als Ord- dere!) nungswidrigkeit ahnden, die anderen wollen es komplett 2518 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Thomas Seitz (A) strafos stellen. Neu ist dieses Anliegen nicht. In der 12., Haushaltseinkommen wirtschaften muss und sich trotz- (C) 13. und auch 18. Wahlperiode wurden vergleichbare Vor- dem rechtstreu verhält. lagen eingebracht – zu Recht ohne Erfolg. (Beifall bei der AfD) Worum geht es hier? Diese Vorlagen betreiben genau das, was man den Kollegen von der FDP regelmäßig und Hier wird also niemand in die Kriminalität gedrängt, oft auch begründet vorwirft: Klientelpolitik, der nicht ohnehin rechtsfeindlich denkt. Dies wiederum muss konsequent strafrechtlich sanktioniert werden, ge- (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- rade auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das heißen?) Es passt ins Bild, wenn die Linksfraktion darauf Be- nur dass die Klientel der Grünen und Linken eben nicht zug nimmt, dass eine Verurteilung wegen Beförderungs- Hotelkonzerne oder Apotheker sind, sondern Personen, erschleichung zu einer Ausweisung führen könnte. Meine die unsere Rechtsordnung und unseren Staat ablehnen, Damen und Herren, es ist doch gerade Sinn und Zweck von Ausweisungstatbeständen – zumindest theoretisch –, (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE aus dem Fehlverhalten von Ausländern die Konsequenz LINKE]: Das ist ja hart! Das ist doch unglaub- zu ziehen, dass deren Aufenthalt in Deutschland zu be- lich!) enden ist. ihn auf Plakaten auch mal als – Zitat – „mieses Stück (Beifall bei der AfD) Scheiße“ bezeichnen und sein „Verrecken“ fordern. Wenn Sie ernsthaft behaupten wollen, dass in Deutsch- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- land eine Verurteilung wegen Beförderungserschlei- NEN]: Belegen Sie das doch bitte!) chung ursächlich für eine Ausweisung sein könnte, dann Es sind Personen, die sich ihre Unwilligkeit, für den ei- haben Sie keine Ahnung von der Rechtspraxis. genen Lebensunterhalt arbeiten zu gehen und sich ge- (Beifall bei der AfD) sellschaftlichen und rechtlichen Regeln zu unterwerfen, schönreden, indem sie sich selbst zu Opfern der Gesell- Schwarzfahren wird verfolgt, weil es hier um den schaftsordnung erklären. Schutz eines individuellen Rechtsguts vor dessen be- wusster Verletzung geht. Beim Falschparken dagegen (Niema Movassat [DIE LINKE]: Unver- geht es um die Sicherheit des Straßenverkehrs, wofür schämtheit! Alle Schwarzfahrer lehnen die eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit eben ausreicht. Rechtsordnung ab? Das ist doch krank!) Angesichts der hohen Dunkelziffer bei Beförderungser- Überproportional viele der Täter gehören übrigens schleichungen ist es geradezu obszön, dass im Gesetzent- (B) zu den, wie Frau Merkel sagen würde, wenn sie jetzt da wurf der Linksfraktion die Rede davon ist, dass hierdurch (D) wäre, Menschen, die noch nicht lange hier leben. Laut „kein besonderer gesellschaftlicher Schaden“ entstünde. der Polizeilichen Kriminalstatistik von 2016 sind beim Die Kosten, die die Schwarzfahrer verursachen, zahlen Vorwurf der Beförderungserschleichung 74 000 von die ehrlichen Benutzer der Verkehrsmittel oder Steuer- 160 000, also etwa die Hälfte, nichtdeutsche Tatverdäch- zahler. tige. (Beifall bei der AfD – Dr. André Hahn [DIE (Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann LINKE]: Die Ersatzhaftstrafe auch! – Niema [DIE LINKE]: Warum wohl?) Movassat [DIE LINKE]: Alles zahlen die Steuerzahler!) Natürlich schreiben Grüne und Linke in ihre Begrün- dungen nicht hinein, dass es im Grunde darum geht, die Auch Ihre Bezugnahme auf die erforderliche krimi- deutsche Staatlichkeit weiter auszuhöhlen und der Ver- nelle Energie geht daneben. Warum bleibt dann Unter- achtung unserer Gesellschaft und ihrer Regeln weiter schlagung strafbar? Gerade weil es sich um ein Massen- Vorschub zu leisten. delikt handelt, hätte es auf das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung eine verheerende Wirkung, die Strafbarkeit (Niema Movassat [DIE LINKE]: Dass Sie der Beförderungserschleichung abzuschaffen. Denn was Staatsanwalt waren! – Canan Bayram [BÜND- passiert dann wohl in Zukunft mit dem Rechtsempfnden NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, die AfD-Welt von all denjenigen, die sich ihrer Zahlungspficht nicht ist so leicht!) entziehen? Ihr Ansatz, dass verbotene Verhaltensweisen Die Strafosigkeit des Ladendiebstahls wird Ihre nächste faktisch toleriert werden, wenn nur häufg genug gegen Forderung sein, während Sie umgekehrt bei der immer das Verbot verstoßen wird, führt zur Erosion des Rechts- stärkeren Kriminalisierung von Meinungen oder Gesin- staats und zum Verlust der Akzeptanz des Rechts. nungen Vollgas geben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) In der Zukunft dann auch bei Ehrenmorden? Sie behaupten wahrheitswidrig, arme Menschen wür- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist un- den entweder vom Personennahverkehr ausgeschlos- glaublich! Sie vergleichen Mord mit Schwarz- sen oder kriminalisiert. Natürlich muss ein Leben mit fahren! Das ist doch verrückt!) Hartz IV verdammt hart sein. Aber haben Sie schon mal etwas von Sozialtickets gehört? Ihr Antrag beleidigt je- Ja, die Verfolgung von Massendelikten stellt Polizei den Menschen in Deutschland, der mit einem geringen und Justiz, vor allem auch im Bereich der Vollstreckung, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2519

Thomas Seitz (A) vor große Herausforderungen. Aber Ihr Ansatz ist keine Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe gedacht, (C) Lösung. Wenn Sie Polizei und Justiz wirklich entlasten ich höre nicht recht, als vorhin von einer Güterabwägung wollen, dann helfen Sie einfach mit, unsere Grenzen bes- gesprochen wurde, insbesondere im Bereich des Bußgel- ser zu schützen, und unterstützen Sie die Abschiebung des. Ich hatte nicht im Traum daran gedacht, die Gesetz- von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht. entwürfe der Grünen oder der Linken in irgendeiner Wei- se zu begründen. Aber ich sage ganz deutlich: Wenn man (Beifall bei der AfD) Verkehrsdelikte – beispielweise einen Rotlichtverstoß, Die Polizeiliche Kriminalstatistik sagt Ihnen, weshalb. bei dem Menschenleben gefährdet werden können – und Ordnungswidrigkeiten als ganz normale Angelegenheit (Stephan Thomae [FDP]: Immer diese gequäl- betrachtet und die Beförderungserschleichung, sprich ten Vergleiche! Das ist unglaublich! Unsäglich das Schwarzfahren, in unserem Wertegefüge als krimi- und erträglich!) neller einordnet, dann bin ich, glaube ich, auf dem fal- Die Fraktion der Alternative für Deutschland stimmt schen Dampfer. der Überweisung an die Ausschüsse zu. In der Sache leh- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem nen wir Ihre Gesetzentwürfe ab. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll aber nicht be- (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE deuten, dass ich der Auffassung bin, der Straftatbestand LINKE]: Sie sind echt eine Schande für die der Beförderungserschleichung in der jetzigen Form deutsche Justiz und eine Schande für dieses müsse beseitigt werden. Ich sage das ganz deutlich. Parlament!) Lassen Sie uns zu den Tatsachen zurückkommen, also – Stellen Sie doch einfach eine Zwischenfrage! zu dem, worum es geht. Ich habe zweifelsohne sehr viel Verständnis für den Gedanken, eine Entkriminalisierung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unseres Strafrechts vorzunehmen und dafür zu sorgen, Herr Kollege Seitz, mir steht als Präsident eine Kom- dass nur wirklich kriminelle Straftaten dem Strafrecht mentierung von Redebeiträgen nicht zu. unterliegen und in anderen Bereichen das Ordnungswid- rigkeitenrecht anzuwenden ist. Aber ich sage auch ganz (Zurufe von der AfD: Sehr richtig! – Halten deutlich, lieber Kollege Movassat: Ich möchte nicht, dass Sie sich dran!) die Frage: „Strafrecht oder Ordnungswidrigkeitenrecht?“ Ich möchte nur zur Objektivierung festhalten die Baustelle ist, auf der wir geringe Ausbildungsvergü- tungen, niedrige Löhne und die Armut in diesem Lande (B) (Zuruf von der AfD: Aha! Kommentierung reparieren; das geht nicht. (D) zur Objektivierung?) (Beifall der Abg. [SPD] – – nein –, dass für die Erfüllung des objektiven Tatbe- Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das wollen stands der Beförderungserschleichung die Staatsbürger- wir ja auch besser haben!) schaft und die Nationalität überhaupt keine Rolle spielen. Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht müssen unab- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP hängig davon, was jemand verdient, angewendet werden. und der LINKEN – Dr. [AfD]: Unterlassen Sie doch solche Kommentierun- Ich will in diesem Hause Folgendes sagen: Wegen gen! Was soll denn das? Oder wollen Sie sich Beförderungserschleichung – Herr Seitz, als Staatsan- jetzt in jede Rede so einmischen? – Weitere walt wissen Sie das bzw. müssten Sie das eigentlich wis- Zurufe von der AfD: Sie sind der amtierende sen – werden in diesem Lande nur Personen belangt, die Präsident und sollen die Sitzung leiten! Mehr aufgrund eines Strafantrags des Beförderungsunterneh- nicht! – Sind Sie Präsident oder Oberlehrer?) mens ein Strafverfahren durchlaufen, dabei muss – das darf man nicht vergessen – der Geringwertigkeitsbetrag – Wir haben hier Zuschauer, und es geht darum, einen von 50 Euro überschritten sein. Wenn der Schaden ge- Sachverhalt klarzustellen, der möglicherweise zur Ver- ringer als 50 Euro ist, wird dieser Straftatbestand, auch wirrung beitragen kann. auf Antrag, von keiner Staatsanwaltschaft in Deutschland (Zurufe von der AfD: Das kann ja wohl nicht verfolgt, außer es handelt sich zum Beispiel um einen wahr sein! Er hat es schon wieder getan! – Sie Wiederholungstäter. Eine Gesamtstrafenbildung gibt es müssen hier gar nichts klarstellen!) natürlich. Aber ich würde sagen: Für jemanden, der einen Diebstahl oder eine Körperverletzung begangen hat und Als Nächstes für die SPD der Kollege Dr. Karl-Heinz bei dem eine Beförderungserschleichung hinzukommt, Brunner. ist Letzteres nicht unbedingt ausschlaggebend. (Beifall bei der SPD) Ich sage ganz deutlich: Ich halte es für den falschen Weg und den falschen Ansatz, Personalpolitik in Justiz- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): vollzugsanstalten und im Justizhaushalt allein im Hin- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und blick auf das Strafrecht zu betreiben. Als der Berliner Kollegen! Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese Justizsenator vor kurzem anlässlich des Ausbruchs meh- rechtliche Tatsache klargestellt und dafür auch eine Be- rerer Häftlinge laut darüber nachdachte, die Beförde- gründung gegeben haben. rungserschleichung nicht mehr auch mit Haftstrafen zu 2520 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) ahnden, um so Ausbrüche aus Justizvollzugsanstalten zu Freiheit ist wichtiger als Geld, aber unwichtig ist Geld (C) verhindern, habe ich mich gefragt, ob er jemals in einer natürlich auch nicht. Strafverfahren wegen Schwarzfah- JVA war. Es waren übrigens andere, die dort ausgestie- rens kosten die Bundesländer eine ganze Stange Geld: gen sind. Kosten der Polizeiarbeit, Kosten der Arbeit von Staats- anwälten und Richtern, Kosten für die Justizvollzugsan- Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den- stalten. ken, dass es im Zusammenhang mit der Entschlackung des Strafrechts notwendig ist, auch die Beförderungser- Ich komme aus NRW. Dort geht es in 8,5 Prozent al- schleichung in den Fokus zu nehmen. Wir dürfen aber ler erledigten Verfahren der Staatsanwaltschaft um das keinen Schnellschuss machen und einfach sagen: Das tun Schwarzfahren. Dies sind rund 100 000 Fälle. Mehr wir jetzt zur Seite. – Wir müssen gut abwägen und eine als jedes zehnte strafrechtliche Urteil in NRW betrifft richtige Lösung fnden. Denn es kann nicht sein, dass Be- Schwarzfahrer. NRW gibt pro Tag rund 160 000 Euro förderungserschleichung unter das OWiG fällt und wir für inhaftierte Menschen aus, die das Gericht überhaupt dann gegebenenfalls Strafverfahren wegen schweren Be- nicht inhaftieren wollte, weil sie eigentliche eine Geld- truges haben, bei denen es darum geht, dass zwei Jahre strafe zahlen sollten. lang mit vollem Vorsatz ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt wurde. Sind das Argumente für eine „Justiz nach Kassenla- ge“, wie die Verkehrsbetriebe sagen? Eines noch an die Kollegen der Linken: Wer seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, der kann sie in diesem Den Verkehrsbetrieben und ihren Kontrolleuren wür- Land – ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die de nichts genommen werden, wenn Schwarzfahren kei- Rechtsfndung – nach § 293 EGStGB durch gemeinnüt- ne Straftat mehr wäre. Ihnen bliebe das Selbsthilferecht zige Arbeit abarbeiten. nach § 229 BGB. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Die Länder Eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit entlastete bieten das zu wenig an!) in gewissem Umfang die Justiz. Sie würde bei der Prio- risierung auf die Bereiche helfen, in denen der Rechts- Das ist ein sehr guter Weg, und darum ermuntere ich alle staat tatsächlich gefährdet ist oder zum Wohle der Bürger Justizverwaltungen, diesen Weg auch zu gehen, um Men- mehr bewirkt, zum Beispiel bei der Bekämpfung von schen nicht zu kriminalisieren. Terrorismus, Cyberkriminalität oder Wohnungseinbrü- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein schönes chen. Andererseits sind viele Fälle denkbar, in denen der Wochenende. OWiG-Bußgeldrahmen vielleicht nicht ausreicht, etwa, wenn sich jemand wiederholt im ICE von Hamburg nach (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten München ohne Ticket erwischen lässt. (D) der CDU/CSU) Wir Freien Demokraten haben den Wählerinnen und Wählern versprochen, den Rechtsstaat zu stärken. Dazu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gehören mehr Polizisten auf der Straße, mehr Richter und Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Brunner. – Als mehr Staatsanwälte. Nächstes für die Freien Demokraten die Kollegin Katharina Kloke. (Beifall bei der FDP – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das setzen wir um!) (Beifall bei der FDP) Wir müssen aber auch den Aufgabenkatalog für Polizei Katharina Kloke (FDP): und Gerichte überprüfen und auf das Wesentliche kon- zentrieren. Wer immer und bei allen Themen nur mehr Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Schärfe und Härte fordert, Herr Bundesinnenminister, Kollegen! Heute stehen der Vorschlag der Linken, das der zeigt auch, dass er nicht priorisieren kann oder will. Schwarzfahren als Straftatbestand ersatzlos abzuschaf- fen, und der Vorschlag der Grünen, das Schwarzfahren Ressourcen sind aber endlich. Da, wo wir den Rechts- zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, auf der Tages- staat über das Strafgesetzbuch defnieren, müssen wir die ordnung. Mittel bereitstellen, um ihn auch durchzusetzen. Nicht Derzeit sieht die Lebenswirklichkeit so aus: Nach alles, was einmal im Gesetzbuch steht, muss aber auf alle § 265a StGB wird das Erschleichen von Leistungen mit Zeit dort stehen bleiben. Der Gesetzgeber sind wir! einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geld- Im liberalen Rechtsstaat ist das Strafrecht Ultima Ra- strafe bestraft. In der Regel kommt man nicht ab dem tio, also das äußerste Mittel, um den Rechtsfrieden zu ersten Erwischtwerden ins Gefängnis. Manche trifft eine erzwingen, wenn Privatrecht und Verwaltungsrecht nicht Geldstrafe aber härter als eine Freiheitsstrafe auf Bewäh- mehr weiterhelfen. Diese Ultima-Ratio-Grenze ist hier rung. nicht erreicht. Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasste 2016 (Beifall bei der FDP) bundesweit rund 246 000 Schwarzfahrerfälle. In ganz Deutschland verbüßten 7 600 Personen eine Freiheits- Wir brauchen also eine andere Lösung für das Pro- strafe wegen Schwarzfahrens. Wir reden also über die blem des Schwarzfahrens, als sie das Gesetzbuch derzeit Freiheitsrechte vieler einzelner Menschen in Deutsch- hergibt. Das Schwarzfahren einfach nur aus dem § 265a land. StGB zu streichen, kann nicht die Antwort sein. Eine an- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2521

Katharina Kloke (A) gemessene Lösung im weiteren Verfahren wird an den bewegen. Dass dies nicht gewährleistet wird, sondern (C) Freien Demokraten nicht scheitern. dass Menschen, die kein Geld haben und sich kein Ticket kaufen können, wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis ge- Danke für Ihre Aufmerksamkeit. hen müssen, ist für uns unerträglich. Das wollen wir auf (Beifall bei der FDP) jeden Fall ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Alles für frei!) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für Bünd- nis 90/Die Grünen die Kollegin Canan Bayram. Es wurde hier auch darüber diskutiert, wie sich das Ganze auf die Justizvollzugsanstalten auswirkt. Die Zah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len sind genannt worden: In Berlin ist es so, dass ein Haftplatz pro Tag 146 Euro kostet. Bundesweit werden Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): circa 200 000 Euro für diese oft sinnlose Aufgabe ausge- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und geben. Der Justizvollzug ist auf Menschen mit so kurzen Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Frage werfe Strafen gar nicht ausgerichtet. Diese Menschen müssen ich noch einmal auf: Warum ist Falschparken eine Ord- teilweise zwei oder drei Monate im Knast verbringen. nungswidrigkeit, aber das Fahren ohne Fahrschein eine Dort kann überhaupt nichts unternommen werden, um Straftat? ihre Situation zu verbessern. ( [AfD]: Wurde schon Viele Menschen haben verschiedene Probleme, seien mehrfach erklärt!) es psychische Probleme, seien es alltägliche Probleme. Auch der Redner der SPD hat das Argument gebracht: Alle Redner, die wir dazu bisher gehört haben, Diese Menschen könnten doch alle soziale Arbeit leisten. (Stephan Brandner [AfD]: Dreimal schon Dazu sage ich: Eine sozialdemokratische Partei sollte erklärt!) den Anspruch haben, sich die Sache genau anzuschau- en. Wenn man das tut, sieht man: Diese Menschen haben haben diese Frage in ihren Beiträgen nicht beantworten viele Hemmnisse, sodass sie auch Sozialarbeit nicht leis- können, ten können. (Zurufe von der CDU/CSU: Doch!) Ich bin auf die Debatte im Ausschuss wirklich ge- sondern haben letztlich darum herumgeredet, weil sie spannt. Die Debatte hier im Plenum fand ich, ehrlich ge- sich der Frage nicht wirklich stellen wollten. Wir wollen sagt, enttäuschend. (B) das, und wir wollen dieses Problem angehen. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Da geht (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es Ihnen wie mir!) und bei der LINKEN) Bei vielen Beiträgen ist der Eindruck entstanden, dass Solange es den § 265a StGB gibt, gibt es die Diskus- Sie sich mit der Sache noch nicht inhaltlich beschäftigt sion darüber, ob er nicht systemwidrig ist, ob dort eine haben. Derjenige, der vorne beim Busfahrer einsteigt Tat unter Strafe gestellt wird, von der vielleicht der Tä- und seine Fahrkarte nicht oder nur eine gefälschte Karte ter selbst nicht einmal mitbekommt, dass er damit eine vorzeigt, macht sich doch heute schon nach § 263 StGB Straftat begeht. Deswegen hat der Kollege von der CDU strafbar. Ihn müssen wir doch nicht nach § 265a StGB in erster Linie auf Wiederholungstäter abgestellt, bei de- belangen. Ich hoffe also, dass wir im Ausschuss eine an- nen er die Häufgkeit dieser Handlung herausgestellt hat. ständigere Debatte führen. Aber der grundsätzliche Fall ist doch, dass diese Tat Für uns von Bündnis 90/Die Grünen steht fest: Es gibt geschieht und dass man sich fragt: Wer trägt die Verant- ein Recht auf bezahlbare und attraktive Mobilität für alle. wortung dafür, dass es passiert? Sind es die Verkehrsun- Aber sollte es der Bundesregierung gelingen, den kosten- ternehmen, die nicht genügend gegen eine Nutzung ent- losen ÖPNV durchzusetzen, dann können wir uns diese gegen den Beförderungsbedingungen absichern? Debatte über Strafen sparen. ( [CDU/CSU]: Jetzt wird es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr abstrus!) und bei der LINKEN) Oder muss es das Strafrecht richten? Wir sind der An- sicht: Das Strafrecht muss es nicht richten, sondern diese Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Tat darf nur eine Ordnungswidrigkeit sein, meine Damen Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für die und Herren. CDU/CSU-Fraktion: der Kollege Alexander Hoffmann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ord- nungswidrigkeit würde für viele Menschen eine Erleich- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): terung bedeuten. Das Thema Ticketpreise hat der Kollege Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen schon ausgeführt. Dazu möchte ich nur sagen: Eigentlich und Kollegen! Ja, es ist richtig: Ein Rechtsstaat ist kein in ist Mobilität ein Recht, das im Sinne der Daseinsvorsor- Stein gemeißeltes Konstrukt, was die im Strafgesetzbuch ge für jeden gelten müsste. Jeder hat das Recht, sich zu niedergelegten Tatbestände und die dort formulierten 2522 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Alexander Hoffmann (A) Straftaten angeht. Es ist die Daueraufgabe eines Rechts- erhöhtes Beförderungsentgelt entrichten müssen. Sie (C) staats, immer wieder zu überprüfen: Welches Verhalten wird zum Beispiel nicht wegen Erschleichens der Beför- will ich weiterhin missbilligen? Liegt hier nicht eine Ver- derungsleistung bestraft werden können, weil bei dem haltensweise vor, bei der wir in Bezug auf die Einstu- Tatbestand die Absicht nachgewiesen werden muss, dass fung von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit wechseln sie das Entgelt nicht entrichten wollte, und das wird man können? dem Mädchen nicht nachweisen können.

Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es (Niema Movassat [DIE LINKE]: Es wird auch wichtig ist, wie wir eine solche Debatte führen. doch ermittelt!) Dazu will ich Ihnen sagen, dass ich die Art und Weise, wie Sie, Frau Bayram, oder Sie, Herr Kollege Movassat, die Debatte geführt haben, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sehr kon- Herr Kollege, keine Zwiegespräche. Die Frage ist be- struktiv!) antwortet, und wenn Sie weiteren Klärungsbedarf haben, können Sie das bilateral regeln. für brandgefährlich halte. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Aha!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wenn Sie das nämlich legalisieren wollen und es damit Ich glaube, die Frage zeigt es sehr gut: Es wird letzt- begründen, dass die Polizei viel zu tun hat oder dass die lich alles in einen Topf geschmissen und dann versucht, Gerichte überlastet und die JVAs überfüllt sind und die irgendwie zu argumentieren. Ersatzfreiheitsstrafe zu viel kostet, dann werden Sie die- ser Aufgabe gerade nicht gerecht, sondern das, was Sie Was ich an dieser Debatte für problematisch halte, damit machen, ist: Sie rufen die Kapitulation des Rechts- ist auch die Bagatellisierung, die mit dieser Darstellung staates aus, und das wird es mit uns nicht geben. einhergeht. Vorhin wurde gesagt: Es wird nicht wirklich (Beifall bei der CDU/CSU – kriminelle Energie entfaltet; denn es müssen keine Zu- [DIE LINKE]: Das ist jetzt sehr gaga!) gangsbarrieren überwunden werden. – Dabei verschwei- gen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken Strafe darf nämlich nie eine Frage der Ressourcen und den Grünen, dass diese Frage schon vom BGH be- sein, meine Damen und Herren. Wenn Sie dann sagen: leuchtet worden ist. Es gab lange in der Rechtsprechung „Die Menschen sind aus Armut zu dieser Straftat ge- einen Streit, welche Hürde zur Erfüllung des Tatbestan- zwungen“, dann gehen bei mir alle roten Lampen an. (B) des erforderlich ist und ob zum Beispiel das bloße Erlan- (D) Denn dann müssen wir vorsichtig sein, sonst kommen gen der Leistung durch unbefugtes Benutzen ausreichend wir komplett unter die Räder. Es gibt nämlich Menschen, ist. Das hat der BGH bestätigt. Damit hat er bestätigt, die aus Armut anfangen, zu dealen, die an der Tankstelle dass dieser Tatstrafbestand vorliegt, auch wenn keine die Zeche prellen, weil sie ihre Tankfüllung nicht bezah- kriminelle Energie in Form des Überwindens einer Zu- len können, oder die in Lebensmittelgeschäften stehlen, gangskontrolle entfaltet wird. weil sie sich den Einkauf nicht leisten können. Und dann merken Sie selbst, dass Sie nicht mehr defnieren können, Eine weitere Argumentation, was das Schädigungspo- wo das hinführen soll. tenzial angeht, ist: Es gibt ja keine Schäden an Eigen- tum oder an einer Person. – Auch da sollten wir sagen: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir haben es mit einem Rechtsgut zu tun, das geschützt Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des werden soll, und wir haben es auch mit einem Schaden Kollegen Wagner von der Fraktion Die Linke? an dem Rechtsgut zu tun. Schutzgut von § 265a StGB ist nämlich das Vermögen des Leistungserbringers. Das, liebe Frau Bayram – ich erkläre es gerne noch einmal –, Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich weiß es!) Andreas Wagner (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Kollege Hoffmann, folgender aktu- ist genau der Unterschied zu Ordnungswidrigkeiten im eller Fall aus meinem Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshau- Straßenverkehr, die vorliegen, wenn jemand zu schnell sen-Miesbach: Ein 15-jähriges Mädchen löst irrtümlich fährt oder falsch parkt. Denn in den Fällen, über die wir keine Fahrkarte für Erwachsene, sondern für Kinder. Das jetzt reden, gibt es einen Leistungserbringer – das kann Mädchen wird kontrolliert, und es wird nicht nur das er- im Übrigen auch ein privater Leistungserbringer sein –, höhte Beförderungsentgelt fällig, sondern die Polizei er- und dessen Vermögen wird in diesem Moment geschä- mittelt jetzt gegen das Mädchen wegen Betruges. Finden digt. Sie das verhältnismäßig? Auch der Vergleich mit dem Überfahren einer roten Ampel trägt nicht, Herr Kollege Brunner. Denn wenn ich Alexander Hoffmann (CDU/CSU): eine rote Ampel überfahre und dabei eine andere Person Herr Kollege, genau das ist das Gefährliche an der oder ein Fahrzeug beschädige, bin ich sehr wohl ganz Debatte: Sie schmeißen alles durcheinander. Sie hat ein schnell im Strafrechtsbereich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2523

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: von dem Fall aus, dass jemand eine rote Ampel überfährt. (C) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Dadurch wird zunächst einmal nicht das Rechtsgut eines Kollegen Gelbhaar von der Fraktion Bündnis 90/Die Dritten verletzt. Vielmehr handelt es sich allenfalls um Grünen? ein – dieser Begriff sollte Ihnen bekannt sein – abstrak- tes Gefährdungsdelikt. Aber eine abstrakte Gefährdungs- konstellation führt in Deutschland zu keiner Straftat. Erst Alexander Hoffmann (CDU/CSU): dann, wenn es zu einem Schaden an einem fremden Auto Selbstverständlich. Ich habe Zeit mitgebracht, Herr oder einer fremden Person kommt, liegt eine Rechts- Präsident. gutverletzung vor. Dann können wir im Rahmen des Strafrechts argumentieren. Vor diesem Hintergrund war Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ich so überrascht, dass diese Frage von einem Juristen Ich halte die Zeit ja auch an. kommt. – Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU) Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gut und richtig so, Herr Präsident. – Herr Nun zum dritten Argumentationsstrang. Es wird ge- Hoffmann, Sie haben gerade ein paar Beispiele gebracht. sagt, dieser Straftatbestand diene nur noch der zivilrecht- Zum Beispiel haben Sie gesagt: Wer eine rote Ampel lichen Durchsetzung der Ansprüche der öffentlichen überfährt und jemanden verletzt, begeht eine Straftat. Verkehrsbetriebe. Diese ersparten sich dann Zugangs- Aber um den Fall ging es doch gar nicht. Es ging doch kontrollen und Zugangsbeschränkungen. Dazu will ich um den Vergleich zwischen Straftaten und Ordnungswid- drei Dinge sagen. rigkeiten. Das heißt, wer eine rote Ampel überfährt und keinen verletzt, begeht aktuell eine Ordnungswidrigkeit. Erstens. Dieser Straftatbestand gilt auch – man höre Wir reden doch darüber, ob diese Ordnungswidrig- und staune – für den Individualverkehr, zum Beispiel für keit – die massive Gefährdung anderer Verkehrsteilneh- Taxiunternehmen – wenn es sich nicht schon um Betrug mer – mit dem Schwarzfahren insofern vergleichbar ist, handelt –, Schiffe und andere Organisationen, die mit Bussen Menschen transportieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Seien wir doch froh, dass keine Zugangs- als dass dort auch die Interessen anderer Personen be- barrieren errichtet werden. Wir wollen doch, dass auch rührt sind. Deswegen kann man sagen: Wir müssen hier eine Frau mit Kinderwagen einen Bus nutzen kann. nicht jedes Mal das Strafrecht zur Anwendung bringen. – Wollen Sie tatsächlich wegen 3,5 Prozent der Verkehrs- Falschparken – das ist nicht mit dem Schwarzparken (B) nutzer – so hoch ist der Anteil der Schwarzfahrer – mil- (D) gleichzusetzen; ich glaube, dass Sie das immer verwech- liardenschwere Drehkreuze, Zugangskontrollen und Sc- seln – ist auch nichts anderes als eine Gefährdung an- ankassen einführen? derer Verkehrsteilnehmer; denn das hat zur Folge, dass Radfahrer ausweichen müssen und dass Fußgänger die Drittens. Diese Tat hat – damit bin ich wieder im Ju- Straße nicht einsehen können. Deswegen passieren jeden ristischen – einen eigenen Unrechtsgehalt, und zwar Tag schwere und schwerste Unfälle. Das so zu banalisie- in dreifacher Hinsicht. So liegt zunächst einmal eine ren und zu sagen: „Das ist gar nicht so schlimm, aber das Rechtsgutverletzung vor. Des Weiteren muss die Ab- Schwarzfahren müssen wir unter Strafe stellen“, damit sicht nachgewiesen werden – das muss erfüllt sein, Frau kommen Sie nicht richtig weiter. Bayram; Ihr Beispiel, dass jemand aus Versehen in der Meine Frage lautet daher: Warum glauben Sie, dass U-Bahn einschläft und dann nach dem Aufwachen fest- Schwarzfahren so viel mehr strafwürdig ist als Falsch- stellt, dass er kein Ticket hat, passt deshalb nicht –, das parken – nicht Schwarzparken – oder das Überqueren ei- Entgelt nicht zu entrichten. ner roten Ampel, das ja mit der erheblichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, bis zum Tode, einhergehen Letztendlich ist Schwarzfahren gemeinschaftsschäd- kann? lich. Wir reden doch über Wiederholungstäter, also über diejenigen, die das regelmäßig machen. Dazu muss ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ganz ehrlich sagen: Wer meint, auf Kosten der Gemein- schaft eine im wahrsten Sinne des Wortes Freifahrt zu Alexander Hoffmann (CDU/CSU): erhalten, handelt grob asozial. Herr Kollege, ich habe zweimal versucht, das juris- tisch zu erklären. Ich versuche nun, es möglichst unjuris- Noch zwei, drei Sätze zur Ersatzfreiheitsstrafe, die die tisch zu erklären. Oder sind Sie Jurist? Länder angeblich so viel Geld kostet. Über diese Argu- mentation bin ich tatsächlich verwundert; denn es gibt (Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bundesweit gute Beispiele, wie sich hier gemeinnützige NEN]: Ja!) Arbeit etablieren lässt und wie sich die Länder Kosten er- sparen können. In Bayern gibt es das Programm „Schwit- – Entschuldigung, aber dann verwundert mich Ihre Fra- zen statt sitzen“. 2016 wurden dort 62 241 Hafttage er- ge; das sage ich Ihnen ehrlich. spart. Das sind über 6 Millionen Euro. In Berlin gab es Für eine Straftat muss eine Rechtsgutverletzung vor- 2014 das Programm „Arbeit statt Strafe“. Dadurch wur- liegen. Das ist beim Schwarzfahren im Hinblick auf das den 328 Haftjahre erspart. Das sind circa 14 Millionen Vermögen des Leistungserbringers so. Gehen wir einmal Euro. 2524 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: im Gefängnis. Deswegen ist es ein Delikt, das für arme (C) Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. Menschen mit deutlich stärkeren Konsequenzen verbun- den ist als für Menschen mit ausreichend Geld. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das trifft die Menschen am Rande der Gesellschaft Herr Präsident, ich komme zum Schluss. ganz besonders, mit der Folge, dass sie, wenn sie tatsäch- lich eine Vorstrafe erhalten, noch mehr Schwierigkeiten Sie werden sicherlich nicht überrascht sein, dass wir haben, einen Job, eine Wohnung etc. zu bekommen. Da Ihren Gesetzentwürfen überhaupt nichts abgewinnen kann man schon einmal die Frage stellen, ob das eigent- können. lich die Konsequenzen sind, die wir wollen. Wie gesagt, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wir wollen, dass es Konsequenzen gibt; aber die Frage ist, ob das Strafrecht dafür der richtige Ansatz ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Herzlichen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Als letz- NEN) ter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Deswegen sind wir als Sozialdemokratinnen und So- das Wort der Kollegin Sarah Ryglewski von den Sozial- zialdemokraten offen, darüber zu diskutieren, was man demokraten. da machen kann. Aber ich sage auch ganz bewusst, dass (Beifall bei der SPD) Straffreiheit, selbst wenn wir uns darauf einigen könn- ten – ich habe gemerkt, mit unserem Koalitionspartner wird sich das nicht durchsetzen lassen –, nicht alle Pro- Sarah Ryglewski (SPD): bleme lösen würde; denn in letzter Konsequenz würde Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- es auch bei einer Ordnungswidrigkeit so sein, dass die nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich versu- Leute, die die Strafe nicht zahlen, irgendwann vor dem che, das Ganze jetzt ein bisschen zu entemotionalisieren. Kadi landen und möglicherweise ins Gefängnis wandern. (Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist also ein Thema, das wir nicht nur rechtspolitisch NEN]: Schade! – Renate Künast [BÜND- angehen müssen, sondern auch sozialpolitisch. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie aber (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner auch durchhalten!) [SPD]) – Mal gucken. Vielleicht werde ich ja am Ende der De- In diesem Zusammenhang ist der kostenlose ÖPNV (B) batte etwas emotionaler. (D) ein Thema; darüber kann man nachdenken. Die Ministe- Ich glaube, niemand in diesem Raum ist der Meinung, rin Svenja Schulze hat das Ganze aus umweltpolitischer dass Fahren ohne Fahrschein vollkommen ohne Konse- Sicht aufgearbeitet; das ist richtig. Aber auch sozialpoli- quenzen sein sollte. tisch wäre ein kostenloser ÖPNV ein Gewinn, weil Mo- bilität in der Tat ein Grundrecht ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zumindest so lange, wie der öffentliche Personennahver- Ein anderer Punkt, den wir angehen müssen, ist die kehr nicht kostenlos ist, sind wir der Meinung: Jeder soll Frage, wie viel Geld Menschen ohne Einkommen zur erst einmal einen Fahrschein lösen; denn wer das nicht Verfügung steht. Dabei müssen wir uns sicherlich auch tut, der sorgt in der Konsequenz dafür, dass andere ir- den Hartz-IV-Satz angucken. Es gibt Sozialtickets. Ich gendwann ein höheres Beförderungsentgelt zahlen müs- glaube, es war der Kollege von der AfD, der gesagt hat: sen, und das wollen wir alle nicht. Dafür gibt es Sozialtickets. Natürlich muss deswegen das sogenannte Schwarz- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber nicht fahren Konsequenzen haben. Die Frage ist nur: Welche? überall!) Und: Sind sie eigentlich verhältnismäßig? – Ja, nicht überall. Die Kosten für fast jedes Sozialticket (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind weit höher als die Mittel, die einem Hartz-IV-Emp- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- fänger im Monat für Mobilität zustehen. SES 90/DIE GRÜNEN) Das heißt aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß Ich bringe jetzt einfach die soziale Komponente mit legen müssen, bis es so weit ist. Wir haben beispielswei- hinein. In der Tat ist Beförderungserschleichung ein De- se in , dem Bundesland, aus dem ich komme, likt, das in der Regel tatsächlich nur oder überwiegend eine gute Regelung für einen bestimmten Personenkreis Menschen mit wenig Geld begehen. Das heißt nicht, dass getroffen, der überdurchschnittlich häufg schwarzfährt. andere Menschen, die wenig Geld haben und die sich ein Das sind im Übrigen Leute mit schweren psychischen Ticket kaufen, blöde sind bzw. dass allen Menschen mit Problemen, viele wohnungslose und obdachlose Men- wenig Geld nichts anderes übrig bleibt, als schwarzzu- schen, die einfach nicht in der Lage sind, zu zahlen. Sie fahren. Aber es ist in der Tat so, dass ein vorsätzlicher bekommen ein besonders subventioniertes Sozialticket. Gelegenheitsschwarzfahrer in der Regel das erhöhte Be- Sie müssen 10 Euro hinzuzahlen, und die 25 Euro Dif- förderungsentgelt zahlt. Er kann am Ende vielleicht auch ferenz werden erstattet. Als weitere Leistung bekom- eine Geldstrafe zahlen. Er landet auf jeden Fall nicht men sie eine gute Anbindung an weitere soziale Dienste. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2525

Sarah Ryglewski (A) So hat man den Kontakt zu ihnen und versucht, an die Ich eröffne die Aussprache. Frau Ministerin, es ist bei (C) Grundlagen des Problems heranzugehen. uns üblich, dass der Präsident das Wort erteilt. Aber ich fnde es schön, dass Sie schon mal den Weg zum Pult (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther gefunden haben. Als erster Rednerin erteile ich mit be- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kerstin sonderer Freude der Bundesministerin Julia Klöckner Kassner [DIE LINKE]: Vorbildlich!) das Wort. Insofern würde ich mir wünschen, dass wir in der Debatte im Rechtsausschuss die Offenheit haben, uns (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wirklich noch einmal ganz dezidiert damit zu befassen, ordneten der SPD) ob eine solche Strafe eine wirklich verhältnismäßige Lö- sung dieses Problems ist. Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Danke. – Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Wer die Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. öffentliche Debatte in den vergangenen Tagen verfolgt hat, der konnte erleben, wie emotional aufgeladen das Sarah Ryglewski (SPD): Thema Pfanzenschutz ist. Ich verstehe die Bürger in un- Ja, ich komme zum Schluss. – Wir alle sind der Mei- serem Land, aber nicht nur hier bei uns in Deutschland, nung, Schwarzfahren muss Konsequenzen haben. Aber die sich Sorgen um ihre Gesundheit und auch Sorgen um ich appelliere daran, auch einen Dialog mit den Sozial- die Umwelt machen. Gerade weil wir die Sorgen ernst und Verkehrspolitikern zu führen. Es ist eben kein Pro- nehmen, gerade deshalb müssen wir das Thema auf der blem, das wir allein mit einer Strafrechtsreform lösen Basis von Wissen und dürfen es nicht auf der Basis von können. Emotionen behandeln; denn nur das bringt langfristig Si- cherheit. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der CDU/CSU) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum brauchen wir überhaupt Pfanzenschutz? Zum Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Glück hat niemand von uns mehr die Zeiten erleben Herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Ausspra- müssen, in denen schlechtes Wetter oder Schädlinge in che. Deutschland eine Hungersnot auslösen konnten, in de- (B) nen es oft zu wenig Brot oder Kartoffeln gab, um Men- (D) Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür- schen schlichtweg satt zu machen. Wir haben uns daran fe auf den Drucksachen 19/1115 und 19/1690 an die in gewöhnt, dass es bei uns jederzeit überall zu günstigen der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Preisen verfügbare Nahrungsmittel gibt. Wir vergessen gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist er- manchmal, dass es beim modernen Pfanzenschutz genau kennbar nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so darum geht, viele Gefahren für die Ernte abwehren zu beschlossen. können – die Ernte, die uns die Mittel zum Leben, näm- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: lich unsere Lebensmittel, verschafft. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei der CDU/CSU – richts des Ausschusses für Ernährung und Land- [CDU/CSU]: Das musste mal gesagt werden!) wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab auch Zeiten – das gehört zur Wahrheit dazu –, in denen es beim Pfan- zu dem Vorschlag der EU-Kommission für zenschutzmitteleinsatz hieß: Viel hilft viel. – Die Zeiten eine Änderung der Durchführungsverord- sind zum Glück in den meisten Teilen Europas vorbei. nung hinsichtlich der Zulassungsbedingungen Wir werden den Einsatz chemischer Pfanzenschutzmittel für die Wirkstoffe Imidacloprid, Clothiani- weiter reduzieren und gleichzeitig unsere Ernte sichern. din und Thiamethoxam; SANTE/12105/2016 Wir nehmen die Auswirkungen auf die Natur und die Rev5, SANTE/12106/2016 Rev5, Umwelt noch stärker in den Blick. ­Neonikotinoide – man SANTE/10834/2016 Rev8 (Entwürfe) kann sie auch abkürzen: Neoniks; das ist eher unfallfrei hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- auszusprechen –, das sind Insektizide; in Abgrenzung desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des dazu gibt es auch noch Herbizide. Grundgesetzes Ich möchte einen Blick auf die EFSA, die Europäische Ja zum EU-Freilandverbot für bienengiftige Behörde für Lebensmittelsicherheit, werfen. Sie kommt Neonikotinoide zu dem Schluss, dass die drei Wirkstoffe aus der Gruppe Drucksachen 19/231, 19/1200 der Neonikotinoide für Bienen und andere Bestäuber ein unvertretbares Risiko darstellen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe an dieser nen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen. Stelle bei meiner Regierungserklärung gesagt: Bienen 2526 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Bundesministerin Julia Klöckner (A) sind systemrelevant, und was der Biene schadet, muss Zweitens. Wenn die Bauern Wirkstoffe für den Pfan- (C) vom Markt. zenschutz verlieren, brauchen sie Alternativen. Ohne Pfanzenschutz, ob er chemisch ist oder nicht, geht es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht – übrigens auch nicht im ökologischen Anbau; das ordneten der SPD) wissen Sie. Deshalb werden wir die Zulassungsbehörden Deshalb werde ich in Brüssel dem Verbot der Freilandan- personell verstärken, um schneller zu modernen, risi- wendung dieser Wirkstoffe zustimmen. koärmeren Mitteln zu kommen. Und wir werden die Er- forschung von Alternativen unterstützen und da massiv (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) investieren. Genau deshalb, verehrte Vertreter der Grünen, ist Ihr Wir sehen auch eine Chance beim Thema „Digitaler Antrag überholt und auch überfüssig. Wandel“ – Stichwort „Präzisionslandwirtschaft“ –: Wir reduzieren Pfanzenschutzmittel der Menge nach, indem (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aber wir sie präzise dort aufbringen, wo wir sie brauchen. sicher ist sicher!) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie müssen die Bundesregierung nicht auffordern, eine Haltung zu fnden. Sie müssen nicht von der Möglichkeit Liebe Kolleginnen und Kollegen, die umwelt- und Gebrauch machen, dass der Bundestag etwas formuliert, naturverträgliche Anwendung von Pfanzenschutzmitteln damit die Bundesregierung auf europäischer Ebene ein wird Teil der Ackerbaustrategie sein, die wir gemeinsam entsprechendes Mandat übernimmt. aufegen werden. Die Ackerbaustrategie wird sicherstel- len, dass wir die Fruchtbarkeit unserer Böden und die (Zuruf der Abg. Steff Lemke [BÜNDNIS 90/ Biodiversität schützen, der Pfanzenbau sich für unsere DIE GRÜNEN]) Bäuerinnen und Bauern aber gleichzeitig lohnt. Denn – auch das will ich sagen – wenn wir Getreide, Gemüse Wir haben uns schon längst klar darauf geeinigt – darü- und Obst nur noch importieren, dann haben wir keinen ber bin ich sehr froh; die Kollegin Schulze ist heute bei Einfuss mehr darauf, wie sie produziert worden sind. der Debatte auch anwesend –, dass wir dem Vorschlag der EU-Kommission folgen möchten, weil er auf der wis- (Beifall bei der CDU/CSU) senschaftlichen Erkenntnis der EFSA beruht. Deshalb ist Ich will nicht, dass unsere Familienbetriebe die Hoftore der Antrag überfüssig. schließen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat eine ordneten der SPD) klare Haltung: Was der Biene schadet, kommt vom (B) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist im Interes- Markt. Wir werden dem Kommissionsvorschlag auf eu- se der Natur, aber auch im Interesse der Landwirtschaft; ropäischer Ebene zustimmen. Als Landwirtschaftsminis- denn auch sie ist auf die Bestäubungsleistung der Bie- terin sage ich verantwortungsvoll: Die Bauern sind nicht nen angewiesen. Die wissenschaftliche Bewertung ist für an allem schuld. Sie werden ihren Beitrag leisten. Wir mich dabei das Ausschlaggebende – und das nicht nur müssen alles in den Blick nehmen und ermöglichen, dass dann, wie bei einigen hier im Haus, wenn es gerade zur Landwirtschaft in Deutschland weiterhin möglich bleibt, eigenen politischen Agenda oder zur eigenen Überzeu- damit wir wissen, wie produziert wird. Das geht nur, gung passt. Doch was viele außer Acht lassen: Wir müs- wenn wir einen Blick auf die heimische und regionale sen weiter schauen. Es sind zwei Punkte: Produktion haben. Herzlichen Dank. Erstens. Wenn wir über den Schutz der Insekten spre- chen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- das Ganze in den Blick nehmen und dürfen nicht nur ei- ordneten der SPD) nen kleinen Teil sehen. Ich habe gestern mit meiner Kol- legin Schulze vereinbart – wir haben uns ausgetauscht –, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dass wir zum Insektensterben gemeinsam, Hand in Hand, Frau Ministerin, herzlichen Dank für Ihre Ausführun- ein Monitoring auf den Weg bringen wollen. Uns ist gen zu den Neoniks. – Als Nächstes für die AfD-Frakti- wichtig, ohne Scheuklappen zu handeln. Natürlich muss on: der Kollege Stephan Protschka. die Landwirtschaft ihren Beitrag leisten. Wir sind mit der betroffenen Branche in vielversprechenden Gesprächen. (Beifall bei der AfD) Aber es reicht nicht, mit dem Finger nur auf die Land- wirte zu zeigen. Wir müssen außerdem über weitere Stephan Protschka (AfD): Faktoren wie Lichtverschmutzung oder die Gestaltung Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr öffentlicher Flächen sprechen; denn auch das hat einen geehrte Zuschauer hier im Hohen Haus! Die Debatte um großen Einfuss auf die Insekten. Nur wenn man das das Freilandverbot der von der Ministerin angesproche- Ganze im Blick hat, ist man glaubwürdig. nen Wirkstoffe ist in meinen Augen der Beweis für die Kraft der besseren Argumente und wirklicher Verantwor- (Beifall bei der CDU/CSU) tung in der Politik. Deshalb wird die Bundesregierung ein umfassendes Ak- Meine Fraktion hatte sich in der Ausschusssitzung am tionsprogramm zum Schutz der Insekten aufegen. 14. März 2018 noch gegen diesen Antrag ausgesprochen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2527

Stephan Protschka (A) Wir hatten damals unsere Gründe dafür. Als Anwälte un- auch Pfanzenschutz; eine Marienkäferlarve vertilgt auch (C) serer kleinen und mittelständischen Bauern ist es unsere ihre 150 Blattläuse am Tag. Pficht, bei Verboten wirkkräftiger Mittel mehr als ein- mal hinzuschauen und genau zu überlegen. Wir haben (Beifall bei der AfD) aber erkannt, dass wir damals falsch lagen. Schlussendlich müssen alle diese Maßnahmen für den Landwirt, über das Verbot der angesprochenen Wirkstof- Im Nachgang zu unserem Votum im Ausschuss haben fe hinaus, auch einen ökonomischen Anreiz zur Nach- wir die Gelegenheit wahrgenommen, mit Vertretern bei- haltigkeit bieten; denn am Ende muss dieser seine Ent- der Seiten – für und gegen dieses Verbot – zu sprechen. scheidungen zuvorderst mit Blick auf sein Portemonnaie Wir haben erkennen müssen, dass sich der Einsatz dieser treffen. Wirkstoffe, gerade im Hinblick auf den massiven Rück- gang der Artenvielfalt, verheerend ausgewirkt hat. Ich bitte darum, dass unsere Landwirte nach dem Ver- bot weiter unterstützt werden. Wir stimmen dem Antrag Besonders betroffen sind nicht nur die Honigbienen, zu. sondern vor allen Dingen die Solitärbienen. Sie werden aufgrund ihrer Lebensweise noch stärker von diesen Pes- Danke. tiziden beeinfusst. Durch ihre große Spezialisierung auf bestimmte Zeitabschnitte im Jahreslauf sind sie für die (Beifall bei der AfD) Bestäubung bestimmter Pfanzen von enormer Wichtig- keit. Bei einer weiteren Verwendung der angesprochenen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wirkstoffe im Freiland sehen wir in Zukunft chinesi- Herzlichen Dank, Herr Kollege Protschka. – Als schen Verhältnissen entgegen, bei denen der Bauer mit Nächstes für die sozialdemokratische Fraktion der Kol- dem Pinsel die Bestäubungsarbeit verrichten muss, weil lege Dr. Matthias Miersch. kaum genügend Insekten verblieben sind. (Beifall bei der SPD) Wir stimmen daher dem Verbot und ausdrücklich dem Antrag der Grünen zu, schließlich ist Umweltschutz im- mer auch Heimatschutz. Zumindest Letzteres hat mittler- Dr. Matthias Miersch (SPD): weile in Deutschland ein eigenes Ministerium erhalten. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir können uns bei der Bundeslandwirtschaftsmi- (Beifall bei der AfD – Stephan Thomae [FDP]: nisterin und der Bundesumweltministerin dafür bedan- Ein besonderer Augenblick im Parlament!) ken, dass sie bei diesem Thema die Sprachfähigkeit der Bundesregierung wiederhergestellt haben und in Brüssel (B) Allerdings bleibt das Grundproblem bestehen: Wer endlich wieder mit einer Stimme sprechen. Vielen Dank (D) eine Wirkgruppe verbietet, muss Alternativen schaffen. dafür! Schließlich beeinfusst die Politik die Entscheidungen der Landwirte hinsichtlich der Schwerpunktbildung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn von staatlicher Seite nicht in den 90er-Jahren vom der CDU/CSU – Steff Lemke [BÜNDNIS 90/ Einsatz des Pfuges abgeraten worden wäre, hätte es den DIE GRÜNEN]: Das hat ja lange genug ge- Herbizid-Boom in den letzten Jahren vielleicht gar nicht dauert!) gegeben. In der Vergangenheit haben wir erlebt, dass die Res- Wir als Abgeordnete dieses Hauses sind also gerade sorts für Umwelt und Landwirtschaft hier nicht auf einen im Bereich der Landwirtschaft ganz besonders in der gemeinsamen Nenner gekommen sind. Natürlich ist das, Pficht, die Folgen unserer Entscheidungen abzufedern. was Sie hier eben gesagt haben, Frau Bundeslandwirt- Wir fordern daher, zusammen mit den Kollegen der Lan- schaftsministerin, nämlich: „Alles, was der Biene scha- desparlamente, die landwirtschaftliche Beratungstätig- det, muss vom Markt“, ein symbolträchtiger Satz. Aber keit vor Ort zu erhalten, zu fördern und gegebenenfalls dahinter verbirgt sich doch viel mehr. Niemandem von auszubauen. Durch eine Förderung der Anlaufstellen uns ist gedient, wenn die Natur, unsere Lebensgrundla- für Landwirte, die neben den Einsatzmöglichkeiten von ge, gefährdet wird. Deswegen wäre es gut, wenn wir bei Pfanzenschutzmitteln auch einen integrativen Pfanzen- allen umweltrelevanten Themen eine andere Perspekti- schutz vermitteln sollen, kann das bereits bestehende ve einnehmen und sagen würden: Mit der Natur können große ackerbauliche Wissen um eine gute fachliche Pra- wir nicht verhandeln. – Die Tatsache, dass der heute vor- xis der Landwirte nochmals erweitert werden. liegende Antrag der Grünen durch Regierungshandeln überfüssig geworden ist, ist zugleich auch Auftrag; denn Wenn eine nachhaltige, aber auch wettbewerbsfähi- wir haben noch eine ganze Menge vor uns. ge Flächenbewirtschaftung im Fokus der Politik stehen soll, muss man diesen Stellen weitere Kompetenzen zur Pfanzenschutz ist ein Riesenthema, das natürlich mit Wissensvermittlung übertragen. Neben einer erfolgten der Frage zusammenhängt: Welche Form von Landwirt- Beratungstätigkeit vor Ort brauchen wir demnach im schaft wollen wir? Sinne des integrierten Pfanzenschutzes Regelungen, (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜND- die Strukturelemente in der Landwirtschaft wie Hecken, NIS 90/DIE GRÜNEN]) Feldsäume und blühende Alleebäume fördern, die wich- tige Lebensräume für Antagonisten wie etwa Marienkä- Diejenigen, die auf „immer höher, immer weiter“ setzen, fer oder Florfiegen sind. Landwirtschaftspfege ist eben tun der Landwirtschaft keinen Gefallen, sondern zerstö- 2528 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Dr. Matthias Miersch (A) ren die Struktur der Landwirtschaft in der Bundesrepu- lich so sehr in Gefahr, wie Sie alle uns das hier glauben (C) blik Deutschland. machen wollen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Deswegen haben wir ein weiteres aktuelles Thema, das Thema Glyphosat. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Das Statisti- sehr deutliche Worte gefunden. Wir wollen, Frau Bun- sche Bundesamt stellt seit 2013 eine signifkante Stei- deslandwirtschaftsministerin, den Einsatz von Glyphosat gerung der Zahl der Bienenvölker fest, und zwar um nicht nur beschränken; wir wollen die Anwendung been- 24 Prozent fest. den. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Das muss (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der nächste Schritt sein. NEN]: Ja, der Honigbienen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und seit 2013 – das kann kein Zufall sein – stellen die Landwirte im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik Bei all den Themen, die wir hier miteinander bespre- 5 Prozent ihrer Flächen für Umweltleistungen, das soge- chen, haben wir, wie ich glaube, eine Hauptaufgabe, nannte Greening, zur Verfügung. Es sind also die Land- nämlich den Schutz der biologischen Vielfalt für nachfol- wirte, die die Bienen schützen. Man kann Debatten über gende Generationen sicherzustellen. Dafür reicht es aus das Verbot von Neonikotinoiden ohne das Parlament füh- meiner Sicht nicht, nur auf die EFSA und vermeintlich ren. Man sollte sie aber nicht ohne die Landwirte führen, wissenschaftliche Kenntnisse zu setzen. Wissenschaft ist deren Einschränkungen für die Bewirtschaftung gravie- nicht nur „eins plus eins gleich zwei“; die Wissenschaft rend sein können. hat viele unterschiedliche Aufgaben. Aufgabe des Parla- ments und Aufgabe der Regierung ist es, unter den Be- (Beifall bei der FDP) dingungen unserer Rechtsgrundsätze die beste Lösung zu fnden. Es war daher gut, dass aufgrund des Drucks der Nur wer kräftig isst, kann auch kräftig arbeiten. – Was Sozialdemokratie die Stellung des Umweltbundesamtes Aristoteles schon wusste, gilt auch für die Bienen. Die gestärkt worden ist. Diese Institution schreibt uns immer blühenden gelben Rapsfächen, die derzeit deutschland- wieder den Vorsorgegrundsatz ins Stammbuch. weit wieder zu sehen sind, sind eine zentrale Nahrungs- mittelgrundlage der Bienen. Hier ist die Saatgutbeize mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Neoniks bereits verboten. Der Anbau von Raps ist daher KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- rückläufg. Auf jeder zehnten ehemaligen Rapsanbau­ NEN) fäche wächst heute etwas anderes; denn es gibt schlicht (B) keine Auswahl mehr an Insektiziden, die Pfanzen vor (D) Wir Politiker müssen also nicht sagen: Es ist wissen- Insekten schützen sollen. schaftlich bewiesen, dass etwas gefährlich ist. – Vielmehr haben wir einen Einschätzungsspielraum, den wir bei un- Besonders hart wird das Verbot den Anbau der Zu- seren Entscheidungen stets berücksichtigen müssen. Das ckerrübe betreffen. Das ist für mich besonders unver- gilt nicht nur für das Thema Neoniks, sondern auch für ständlich; denn die Zuckerrübe wird geerntet, bevor sie das Thema Glyphosat. Der erste Schritt ist getan, weitere blüht, und damit gar nicht von den Bienen angefogen. müssen folgen. Ich höre Sie hier schon einwenden: Wir brauchen die Zuckerrübe ohnehin nicht; Zucker ist ungesund, deshalb Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit können wir auf die Zuckerrübe verzichten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU) NEN]: Diese platte Argumentation behalten Sie mal für sich!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aber der globale Weltmarkt tickt halt anders, und sowohl Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin: Raps als auch Zuckerrübe sind Bestandteil vielfältiger die Kollegin Carina Konrad für die Freien Demokraten. Fruchtfolgen und auch Bestandteil abwechslungsreicher Kulturlandschaften. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (FDP): Carina Konrad Worüber heute noch keiner von Ihnen gesprochen hat, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Her- ist, dass die Hauptgefahr für die Bienen nicht die Pfan- ren! Ja, die Bienen sind systemrelevant. Ihr Antrag, liebe zenschutzmittel sind, sondern die Varroamilben. Sie sind Bündnis 90/Die Grünen, ist es nicht mehr; die Ministerin es, die die Bienenvölker gefährden; aber sie kann man hat ihn eben – Sie haben es selbst gehört – für überfüssig leider nicht einfach verbieten. erklärt. Frau Ministerin, ich fnde schön, dass Sie heute vom Vizepräsident Wolfgang Kubicki: „ZDF-Morgenmagazin“ zur neuen Bienenkönigin er- Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des nannt wurden. Ich frage mich aber: Sind die Bienen wirk- Kollegen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2529

(A) Carina Konrad (FDP): Landwirte, für unsere Landjugend. Machen Sie ihnen (C) Ja. Mut, anstatt stumpf den ideologischen Wegen zu folgen! Vielen Dank. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Kollegin, danke, dass Sie die Zwischenfra- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ge zulassen. – Sie haben den Rapsanbau angesprochen der CDU/CSU) und gesagt, der Rapsanbau gehe zurück. Wir müssen uns aber auch fragen, warum; denn die Erträge sind nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zurückgegangen. Als im Rahmen der Teilverbote ein Frau Kollegin Konrad, herzlichen Dank. – Als Nächs- Moratorium für die drei neonikotinoiden Wirkstoffe aus- tes Frau Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Lin- gesprochen wurde, wurde argumentiert, die Erträge wür- ke. den zurückgehen. Die Statistik belegt das Gegenteil: Die Erträge sind angestiegen. Es gab allerdings zwei Jahre – (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Herr Kollege, kommen Sie zur Frage. Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! In dieser Debatte geht es um Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die ökologischen Risiken von Pfanzenschutz, konkret – Sie müssen sich die Aussage der Bundesregierung um das Verbot von drei besonders bienengefährlichen dazu noch einmal anschauen –, die für den Raps ungüns- Wirkstoffen aus der Gruppe der Neonikotinoide, kurz tig waren. Neoniks genannt, im Freiland, und das in einer Zeit, in der die selbst im Sommer saubere Windschutzscheibe Können Sie diese Aussagen zu den Rapserträgen be- ahnen lässt, was die Wissenschaft mit Insektenschwund stätigen? Haben Sie die entsprechenden Statistiken nicht meint. gelesen, oder wie kommen Sie darauf, dass der Rapsan- bau zurückgeht? Als Tierärztin begleitet mich die Sorge um die Ho- nigbiene schon sehr lange. 1985 wurde ich im Staats- examen zur Varroamilbe geprüft, damals ein kaum be- Carina Konrad (FDP): kannter Bienenparasit, der heute eine Geißel der Imkerei Herr Ebner, hätten Sie mir zugehört, hätten Sie ge- ist. 2007 ging das Schlagwort „Bienen-Aids“ durch die (B) wusst, dass ich von der Anbaufäche gesprochen habe Medien, 2008 gab es ein verheerendes Bienensterben in (D) und nicht von den Erträgen pro Hektar. Baden-Württemberg. Schon lange ist klar, dass es der Honigbiene nicht wirklich gut geht. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU]) Gerade als Epidemiologin weiß ich, dass es nicht die Damit ist die Frage abgehandelt. eine, sondern viele Ursachen gibt – übrigens hat auch der Befall durch die Varroamilbe etwas mit einer vorgeschä- Gerade in der Landwirtschaft gibt es Alternativen zu digten Biene zu tun –; aber Pfanzenschutzmittel gehören einem solchen Verbot. Sie haben das Aufösen der Staus defnitiv dazu. Ja, ihre Schadwirkung kann nicht immer bei der Zulassung von Pfanzenschutzmitteln erwähnt. im Bienenstock oder im Honig nachgewiesen werden. Wir werden Sie beim Wort nehmen und Sie an Ihren Aber wenn Bienen durch die Neoniks die Orientierung Leistungen messen müssen; denn wir brauchen wirklich verlieren und gar nicht mehr in den Stock zurückfnden, mehr Pfanzenschutzmittel auf dem Markt. dann fndet man dort natürlich auch keine Hinweise auf eine Schadwirkung. Das ist eigentlich logisch. Doch es gibt noch eine andere Alternative, techni- sche Verfahren, Applikationsverfahren, die die Pfanzen- (Beifall bei der LINKEN) schutzmittel unter der Blüte aufbringen und einen Kon- takt mit Bienen ausschließen. Eines davon heißt Dropleg; Insofern muss man schon an der richtigen Stelle suchen, es wurde an der Uni Hohenheim entwickelt und hat sogar wenn man ein Problem erkennen und auch lösen will. den European Bee Award bekommen. Die Freien Demo- Dass Neoniks bienengefährlich sind, ist unterdessen kraten möchten anstatt stumpfer Verbote, die Rückschritt unstrittig. Selbst die EFSA, die in der EU für die Risi- bedeuten, solche Innovationen verbreiten und in die Flä- kobewertung zuständig ist, hat das 2013 festgestellt. Das che bringen. Schadspektrum ist übrigens sehr breit; verkürzte Lebens- (Beifall bei der FDP) dauer, reduzierter Bruterfolg, Überwinterungsverluste und Störung der im Bienenstock so extrem wichtigen Gestatten Sie mir noch einen Vorschlag, bevor ich Kommunikation seien hier genannt. Pfanzen mit Neo- zum Ende komme. Ich plädiere für Farmer Guidance. nik-Kontakt werden übrigens besonders häufg angefo- Das sind Richtlinien, die Farmer vor politisch mutlosen gen. Ein tabakähnlicher Suchteffekt, auf den der Name Entscheidungen ohne Folgenabschätzung in der Fläche schon hinweist, ist die Ursache. schützen. Der Rückgang der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe ist für mich persönlich systemrelevant. Wenn es (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ist ja um die Zukunft geht, gilt das besonders für unsere jungen gruselig!) 2530 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Dr. Kirsten Tackmann (A) Insofern sind die Neoniks besonders gefährlich. Deshalb lage für insektenfressende Vögel oder Säugetiere. Letz- (C) fordert Die Linke schon lange: Sie müssen runter vom ten Endes ist es eine Systemfrage. Acker! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, bitte. Die neue Agrarministerin Julia Klöckner hat in ihrer Antrittsrede gesagt – Sie hat es gerade wiederholt –: Was für Bienen schädlich ist, muss weg vom Markt. – Voll- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): kommen richtig. Wie ernst sie das gemeint hat und ob Ja, das ist der allerletzte Satz. – In einem System auf ihre Fraktion da mitspielt, werden wir abwarten müssen. Kosten von Mensch und Natur wird auch Bienenschutz Wir werden sie natürlich an ihren Taten messen. Immer- sehr schwierig. hin will sie in Brüssel für das Verbot der drei Neoniks im Freiland stimmen. Vielen Dank. Das ist gut so; aber das ist nur ein erster und übrigens (Beifall bei der LINKEN) längst überfälliger Schritt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: NIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. – Als Nächster der Kollege Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grünen. Es geht nämlich nicht nur um Pfanzenschutz und Honig- bienen. Auch Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden immer rarer, weil sie in der heutigen Agrarland- schaft oft hungern, sobald die Rapsblüte vorbei ist, weil Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch Weiden heute noch selten blühende Insektennähr- wiesen sind. Wer schon einmal einen Kuhfaden in echt Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und gesehen hat, der weiß, dass weniger Weidetiere auch we- Kollegen! „Das Schweigen der Bienen“ könnte eine niger Insekten bedeuten. Überschrift über die letzten zehn Jahre sein. Wir haben dieser Tage das zehnjährige Jubiläum der Katastrophe im Umso erfreulicher fnde ich, dass in immer mehr orts- Rheingraben, als 12 000 Bienenvölker auf einen Schlag ansässigen Landwirtschaftsbetrieben das Thema „in- tot waren durch das Neonikotinoid Clothianidin. Seither sektenfreundliche Landwirtschaft“ längst angekommen wissen wir: Diese Stoffe sind Bienenkiller. Sie müssen ist. Ohne das teilweise absurde Regelwerk, das bienen- vom Acker und raus aus der Natur. (B) freundliche Maßnahmen manchmal be- oder gar verhin- (D) dert, wären es übrigens sehr viel mehr, auch wenn sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bessere Erzeugerpreise gegen die Molkereikonzerne und sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Lebensmitteleinzelhandelskonzerne durchsetzen könn- Schon ein Teelöffel Imidacloprid reicht aus, um über ten und vor landwirtschaftsfremden Investoren geschützt 1 Milliarde Honigbienen sofort zu töten. Das sind – damit wären, die die Bodenpreise hochtreiben und denen Proft man es sich vorstellen kann – 15 Schiffscontainer voller wichtiger ist als die Natur. Deswegen ist es wichtig, über toter Bienen. Aber schon viel kleinere Mengen reichen die Bienen und die Effekte in der Landwirtschaft zu re- aus, Honig- und Wildbienen und andere Tiere nachhaltig den. und irreversibel zu schädigen. Dieses Teufelszeug stört (Beifall bei der LINKEN) die Kommunikation von Bienen und anderen Insekten. Bei Schlupfwespen zerstört sie beispielsweise die Milli- Nicht nur Nahrung fehlt Insekten und Schmetterlingen onen Jahre alte Tinder-App zur Partnersuche. Das ist eine bzw . den Wildinsekten, sondern auch Nistgelegenheiten ökosystemare Katastrophe. und spezielle Futterpfanzen für ihre Raupen. Während bei den Honigbienen schnell auffällt, wenn etwas schief­ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) läuft, schrillen bei Wildinsekten die Alarmglocken, wenn Mit der EFSA-Risikobewertung haben wir – und auch überhaupt, erst kurz vor zwölf. Für manche Art, die spe- Sie – es amtlich, dass die Freisetzung dieser Stoffe nicht zielle Ansprüche an den Lebensraum stellt, ist die Uhr verantwortbar ist. manchmal schon unbemerkt abgelaufen. Wenn selbst Naturschutzgebiete betroffen sind, ist Gefahr in Verzug. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der LINKEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Frau Konrad, wenn Sie die EFSA der Ideologie bezich- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tigen, Frau Kollegin, auch Ihre Uhr ist abgelaufen. (Carina Konrad [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): dann fahren Sie doch einmal hin. Reden Sie mal mit den Ja, ich komme zum Ende. – Es muss endlich gehandelt Menschen, und reden Sie auch mit den Imkern in den werden, nicht nur wegen der Bestäuber und weil Ernten Städten und auf dem Land. in Gefahr sind, sondern weil Insekten ein wichtiger Teil des Ökosystems sind, zum Beispiel als Nahrungsgrund- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2531

Harald Ebner (A) Wir müssen endlich Konsequenzen ziehen. Es geht kann das Freilandverbot der genannten drei Wirkstoffe (C) um die Existenzgrundlage von uns allen, es geht um die nicht das Ende der Fahnenstange sein; Existenzgrundlagen aller Landwirte und Landwirtinnen. Es geht um funktionierende Ökosysteme; das sind die (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜND- Existenzgrundlagen. NIS 90/DIE GRÜNEN]) es ist ein erster Schritt. Für die Gewächshäuser trifft das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verbot nicht zu – da müssen wir auch ran –, und es gibt Wir haben hier im Bundestag immer und immer wie- Neonikotinoide, die weiterhin erlaubt, aber nicht weni- der auf die Gefahren hingewiesen. Doch bis vor kurzem, ger gefährlich sind. Wer es mit dem Bienenschutz ernst Frau Ministerin, hat die Bundesregierung jeden Hand- meint, der muss auch diese Stoffe vom Acker nehmen. lungsbedarf geleugnet. Seit knapp einem Jahr plant die Und, Frau Ministerin: Stoppen Sie doch die laufenden Europäische Kommission das Freilandverbot. Wir haben Importe von Saatgut, das mit gar nicht zugelassenen immer wieder nachgefragt: Was macht die Bundesregie- Neonikotinoiden behandelt ist. So können Sie etwas für rung? Schweigen. die Bienen tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte der Herr Kollege Ebner, gestatten Sie eine Zusatzfrage der Neoniks ist ein ökologisches, aber auch regulatives De- Kollegin Konrad? saster. Daraus müssen wir lernen; das darf sich nicht wie- derholen. Wir müssen die Zulassungsverfahren verbes- Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sern und auch die Alternativenforschung vorantreiben; Ja, gerne. das ist keine Frage. Sie muss vielfältig sein und darf sich nicht darin erschöpfen, dass wir Zulassungsverfahren be- schleunigen und mit Fehlern anreichern. Carina Konrad (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Freien Demokra- Wir sind gleich so weit, dass Sie ins wohlverdiente ten und ich persönlich halten die Ergebnisse der EFSA Wochenende dürfen. Lassen Sie uns vorher nur noch kurz nicht für ideologisch. Wir plädieren für eine vernünftige die Bienen retten. Dann haben wir es schon geschafft. Folgenabschätzung. Das möchte ich richtigstellen. Danke schön.

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Sehr gut. Dem muss man nichts hinzufügen. Sie haben (D) den Begriff der Ideologie so verwendet, dass er auf die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: EFSA zu beziehen war. Vielen Dank, Herr Kollege. – Es wird schwer, in der Kürze der Zeit die Bienen komplett zu retten. (Carina Konrad [FDP]: Das ist auch Quatsch!) Als vorletzter Redner hat der Kollege Hermann Färber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Dass Sie das richtiggestellt haben, ist schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Was ist jetzt passiert? Herr Minister Schmidt und auch Sie, Frau Ministerin, haben da viel zu lange rumgeeiert, selbst nach Ostern noch. Hermann Färber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damen und Herren! Bienen sind als Bestäuber in der Ihr Meinungsumschwung kam nicht schon längst, son- Landwirtschaft und zur Erhaltung der Biodiversität ab- dern vor knapp einer Woche; unser Antrag ist vier Mona- solut unverzichtbar. Deshalb müssen und werden wir die te alt. Da sage ich: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Bienen schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, hat ihre Risikobewertung für drei Neonikotinoi- Ich glaube es erst, wenn die Abstimmung in Brüssel er- de, nämlich für Clothianidin, Imidacloprid und Thia- folgt ist. methoxam, aktualisiert und dabei ein Risiko für Honig- Es wurde höchste Zeit. Es ist Ihnen aber auch gar bienen, Wildbienen und Hummeln ausgesprochen. Das nichts anderes übrig geblieben, Frau Ministerin, als die dabei angewendete Leitliniendokument, das von der Forderung im Antrag aufzugreifen und dem Kommissi- EFSA entwickelte Bee Guidance Document, ist inner- onsvorschlag zuzustimmen. Insofern möchte ich Sie alle halb der Mitgliedstaaten umstritten und wird kontrovers auffordern: Stimmen Sie doch heute unserem Antrag zu! diskutiert. Weil es zu wenige etablierte Methoden gibt, Lehnen Sie also den Beschlussvorschlag des Ausschus- um die Auswirkungen auf Solitärbienen zu prüfen, hat ses ab! die EFSA die Standards von Honigbienen auf Wildbie- nen angewendet und die Werte um den Faktor 10 erhöht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt kann man treffich darüber streiten, ob diese Vor- Sie haben gesagt, Frau Ministerin: Was den Bienen gehensweise korrekt ist. Allerdings hat unsere Fraktion schadet, muss weg vom Markt. – Das stimmt. Deshalb immer, auch in den vergangenen Jahren, gefordert, dass 2532 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Hermann Färber (A) die Entscheidungen in Zulassungsprozessen auf wissen- Was wir brauchen, ist eine Risikobewertung, die auch (C) schaftlicher Basis getroffen werden. Deshalb werden wir bei den Alternativen zwischen Nutzen und Risiken ab- uns der Bewertung der EFSA nicht verschließen und un- wägt sere Ministerin Klöckner hier auch unterstützen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bleiben Sie doch mal beim Thema, (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Färber! Sagen Sie doch mal was zu den Insgesamt sind in Deutschland 15 Pfanzenschutzmit- Neonikotinoiden!) tel zugelassen, die Neonikotinoide enthalten. Vier davon und die Folgen berücksichtigt, sowohl im herkömmli- enthalten den Wirkstoff Thiamethoxam. Sie werden als chen wie auch im ökologischen Landbau. Notwendig Saatgutbeize vor allem bei Kartoffeln, Zucker- und Fut- sind eine Strategie und die Beschleunigung von Entwick- terrüben angewendet. Durch die bei uns in der Zulassung lung und Zulassungsverfahren alternativer Wirkstoffe festgelegten Anwendungen sind sie als nicht bienenge- und Behandlungsmethoden. Da haben wir, wie Sie, Frau fährdend eingestuft, ganz einfach deshalb, weil die Ern- Kollegin Konrad, richtigerweise angesprochen haben, te schon vor der Blüte erfolgt und die Pfanzen extrem einen erheblichen Rückstand, den wir dringend angehen wenig guttieren, das heißt sehr wenig Wasser absondern. müssen. Das alleinige Verbot von Wirkstoffen ist weder ein Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir mit Plan noch eine Lösung. Wir benötigen mehr Weitsicht den Neonikotinoiden eine weitere Gruppe von Pfanzen- und eine taktische Vorgehensweise. Deshalb ist dieser schutzmittelwirkstoffen für alle Freilandkulturen verbie- Antrag der Grünen unzureichend und abzulehnen. ten, dann müssen wir uns natürlich fragen: Welche Alter- nativen gibt es denn, und welche Auswirkungen haben (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unsere Entscheidungen? NEN]: „Unzureichend“! Sie wollen noch mehr verbieten, oder was? Das ist gut zu wissen!) Es wurde schon angesprochen: Seit dem Verbot der Mit solchen Anträgen, die eher Schaufenstercharakter Beizung von Rapssaatgut mit Neonikotinoiden in 2013 haben, schützt man weder die Bienen noch die Umwelt. ist der Rapsanbau in Deutschland bereits um 100 000 Hektar zurückgegangen, trotz auch für die Bienen viel- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fältiger Vorteile dieser Pfanze. Wir sprechen bei Raps NEN]: Auweia!) nämlich von einer Pfanze, deren Blüte wichtiges Fut- Herzlichen Dank. ter für die Bienen ist, die für die Biodieselproduktion (B) wesentlich ist und auch als gepresster Rapskuchen eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) heimische Tierfuttergrundlage ist und hilft, Sojaimporte ordneten der FDP) erheblich zu reduzieren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Es geht darüber hinaus um den Schutz von Hopfen, Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Nun hat als letz- Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln. Zur Bekämpfung ih- ter Redner zum Thema Neonikotinoide der Kollege Uwe rer Schädlinge wie dem Drahtwurm, dem Rapserdfoh, Schmidt für die sozialdemokratische Fraktion das Wort. dem Kartoffelkäfer oder dem Rapsglanzkäfer gibt es lei- Es ist seine erste Bundestagsrede. der nur wenige Alternativen. (Beifall bei der SPD) (Carina Konrad [FDP]: Richtig!) Uwe Schmidt (SPD): Für den nicht mehr gebeizten Raps beispielsweise wer- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den jetzt Wirkstoffe wie Carbamate und Pyrethroide ein- Kollegen! Wer zum ersten Mal das Wort „Neonikotinoi- gesetzt. Die Folge ist, dass die Felder drei- bis viermal im de“ hört, kommt meist schnell auf die Idee, dass das et- Jahr mit diesen Blattinsektiziden gespritzt werden. was mit Zigaretten zu tun haben könnte. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Insektiziden, die zur Be- Ein weiteres Problem im Bereich Pfanzenschutz ins- kämpfung von Schädlingen benutzt werden. Aber bei gesamt ist bei einer immer geringeren Anzahl an Pfan- näherem Hinsehen ist die erste Assoziation gar nicht so zenschutzmitteln die zunehmende Resistenz gegenüber falsch. Wie für Menschen die Zigaretten zur Droge wer- den noch verbleibenden Wirkstoffen, speziell beim Kar- den können, besteht eine ähnliche Gefahr für die Bienen toffelkäfer und beim Rapsglanzkäfer. Wir können nicht in Bezug auf die Neonikotinoide, mit weitreichenden auf allen deutschen Kartoffeläckern den Asiatischen Folgen: Sie stören die Orientierung der Insekten, ihre Marienkäfer zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers aus- Partnerfndung und Fortpfanzung und stehen damit im bringen, wie es im ökologischen Landbau erfolgt; denn Verdacht, Mitschuld am weltweiten Bienensterben zu ha- der Asiatische Marienkäfer ist eine invasive Art, und die ben. Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmit- Folgen seiner Ausbreitung können wir zum heutigen telsicherheit, bescheinigte am 28. Februar 2018 den drei Zeitpunkt überhaupt noch nicht absehen. Außerdem – Wirkstoffen der Neonikotinoide, dass sie eine schädliche darüber haben wir schon in der letzten Debatte gespro- Wirkung auf die Bienen haben. chen – ist auch der ökologische Landbau auf toxische Vielleicht denken einige: Na gut, dann esse ich eben und bienengefährdende Substanzen angewiesen. ein bisschen weniger Honig. – Aber das wäre hier das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2533

Uwe Schmidt (A) geringste Problem. Auch auf Obst, Gemüse und Getreide auch fragen, ob der Verlust an Bestäubern nicht dasselbe (C) müssten wir verzichten, weil eine Bestäubung ohne die Ergebnis nach sich zieht. Die Landwirtinnen und Land- Bienen nicht mehr möglich wäre. Das bedeutete den Ver- wirte müssen wir dabei natürlich im Blick haben. Deren zicht auf gesunde regionale Lebensmittel, aber natürlich Existenz darf nicht in Ermangelung von Alternativen ge- auch den Verlust von Arbeitsplätzen; denn ohne regiona- fährdet werden. le Produkte keine regionalen Erzeuger. Was wir in jedem Fall brauchen, ist vielmehr die For- (Beifall bei der SPD) schung, um ökologische Alternativen zu den chemischen Mitteln zu fnden. Die Umsetzung der Ackerbaustrate- Die Bestäubungsleistung der Bienen ist damit auch gie für unter anderem umweltverträgliche Anwendun- ein enormer Wirtschaftsfaktor. Laut Deutschem Imker- gen von Pfanzenschutzmitteln werden wir adäquat mit bund sind rund 80 Prozent der 2 000 bis 3 000 heimi- Fördermitteln untersetzen. Damit sollen Maßnahmen zur schen Nutz- und Wildpfanzen auf die Honigbienen als Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie und Bestäuber angewiesen. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Insektenschutz weiter vorangebracht werden. der Bestäubungsleistung übersteigt den Wert der Ho- nigproduktion um das 10- bis 15-Fache. Das sind rund (Beifall bei der SPD) 2 Milliarden Euro jährlich in Deutschland und 70 Milli- Diese zu entwickelnden Mittel sind nicht nur für die öko- arden US-Dollar weltweit. Damit sind Bienen die dritt- logische, sondern auch für die konventionelle Landwirt- wichtigsten Nutztiere neben Rind und Schwein. schaft gedacht. Bienen machen weder an Ländergrenzen Es mag sein, dass einige die Aufnahme des Bienen- noch an Grenzen zwischen ökologischer und konventio- schutzes in unseren Koalitionsvertrag für übertrieben neller Landwirtschaft halt. Deshalb braucht es nicht nur halten, aber vor dem Hintergrund der Entwicklung zum in Bezug auf die Neonikotinoide einheitliche und umfas- Beispiel in China wird die Dimension deutlich. Durch sende Lösungen. den drastischen Einsatz von Pestiziden ist der Bestand Seit dem Amtsantritt unserer Umweltministerin gibt an Bestäuberinsekten so stark gesunken, dass ihre Arbeit es schon viele positive Entwicklungen. So möchte sie mancherorts durch Menschenhand erledigt werden muss. den Einsatz der Insekten- und Unkrautgifte Neonikoti- So ist es keine Seltenheit, dass zahlreiche chinesische Ar- noide und Glyphosat nicht nur beenden, sondern generell beiter mit Pinsel und Wattestäbchen im Gepäck die Be- eine neue Pfanzenschutzpolitik erreichen. Diese Strate- stäubung der Blüten übernehmen. Welche Auswirkungen gie verfolgt das Bundesumweltministerium im Übrigen so etwas auf die Wirtschaftlichkeit in Deutschland hätte, seit Jahren. Nun ist auch die Landwirtschaftsministe- lässt sich nicht absehen. rin – recht schönen Dank dafür – auf diesen Kurs einge- (B) Man kann es natürlich auch so machen wie die Japa- schwenkt und spricht sich für ein Freilandverbot der drei (D) ner. Sie forschen derzeit an einer blütenbestäubenden Neonikotinoide aus. Minidrohne, um die Pfanzenwelt und damit ihre Nah- (Beifall bei der SPD) rungsgrundlage zu retten, also Robobee statt Biene Maja. Grundsätzlich sollten wir die Chancen der Digitalisie- Den Antrag der Grünen haben wir seinerzeit abge- rung im Bereich der Landwirtschaft nutzen. Aber ist das lehnt, weil wir eine gemeinsame Positionierung von eine wirkliche Alternative? Um an die Leistungen eines Bundesumwelt- und -landwirtschaftsministerium erwar- einzelnen Bienenstocks heranzukommen, bräuchte man tet haben. Diese liegt nun erfreulicherweise vor. Bereits eine beachtliche Menge dieser surrenden Robobienen. in der nächsten Woche, am 27. April, will die Bundesre- Jede einzelne Drohne müsste mit künstlicher Intelligenz gierung im Ständigen EU-Ausschuss für Pfanzen, Tiere, und hochaufösenden Kameras ausgestattet sein, um Lebensmittel und Futtermittel für ein Freilandverbot der selbstlenkend und im Schwarm fiegend unterwegs zu drei Neonikotinoide stimmen. sein. Es ist zumindest fragwürdig, ob Kosten und Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen. Die Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, setzen uns für ein echte Biene macht das ganz umsonst. „Aktionsprogramm Insektenschutz“ ein. Unsere Um- weltministerin plant, dieses in den ersten 100 Tagen ihrer (Beifall bei der SPD) Amtszeit in Angriff zu nehmen. Darin werden wir sie mit aller Kraft unterstützen. Deutschland hat den Wert der Bestäuber bereits 2007 erkannt und den Einsatz der drei Neonikotinoide be- Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen ebenfalls ein schränkt, die EU-Kommission dann ab 2013. So ist es schönes Wochenende. derzeit EU-weit nicht erlaubt, die drei Insektizide etwa (Beifall bei der SPD) auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken anzuwenden. Aber obwohl es Teilverbote für die drei Wirkstoffe gibt, sinkt die Menge der ausgebrachten Vizepräsidentin : Neonikotinoide in Europa nicht. Aufgrund dieser Er- Ich schließe die Aussprache. kenntnisse begrüßen wir die Initiative der EU-Kommis- sion, einen Schritt weiterzugehen und die drei Neoniko- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- tinoide generell für die Freilandanwendung zu verbieten. empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Natürlich gibt es hier unterschiedliche Einschätzun- Grünen mit dem Titel „Ja zum EU-Freilandverbot für gen. So warnen die Hersteller, dass Verbote zu deutli- bienengiftige Neonikotinoide“. Der Ausschuss empfehlt chen Einbußen bei der Ernte führen. Hier muss man aber in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/1200, 2534 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf und dann Zeitdruck erzeugen, sodass wieder in Nachtsit- (C) Drucksache 19/231 abzulehnen. Wer stimmt für diese zungen entschieden werden soll. Ich glaube erstens, diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Strategie wird bei diesem Thema nicht aufgehen, und ich enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den glaube zweitens, dieses Thema ist viel zu wichtig, um Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und den deutschen Bürgerinnen und Bürgern diese Vorge- der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller hensweise zuzumuten. Es muss mit offenem Visier über Bündnis 90/Die Grünen, der AfD-Fraktion und der Frak- die Zukunft der Währungsunion diskutiert werden. Das tion Die Linke angenommen. erwarten wir von dieser Bundesregierung. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Aktuelle Stunde Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre gar nicht so auf Verlangen der Fraktion der FDP schwer. Deutschland war einmal an der Spitze der Dis- Haltung der Koalition zu Plänen der EU-Kom- kussion über die Währungsunion. Das war im letzten mission, den ESM in einen europäischen Wäh- Sommer, als Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Pa- rungsfonds zu überführen pier zur Zukunft der Währungsunion, zur Weiterentwick- lung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege vorgelegt hat. Dr . Florian Toncar für die FDP-Fraktion. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hättet (Beifall bei der FDP) ihr Jamaika gemacht, dann wären wir schnell fertig und die Kanzlerin wäre stärker in Eu- Dr. Florian Toncar (FDP): ropa!) Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Wolfgang Schäuble hat erstens vorgeschlagen, dass wei- und Kollegen! Die Debatte über die Zukunft Europas ist terhin strenge Bedingungen und Aufagen für Hilfen gel- im Gange. Emmanuel Macron hat gestern nach seinem ten, und zweitens, dass wir eine Art Insolvenzordnung Besuch hier in Berlin einen Begriff geprägt: „Moment für Staaten schaffen. Er hat vorgeschlagen, die Gläubiger des europäischen Abenteuers“. Meine Damen und Her- von Staaten heranzuziehen, bevor öffentliche Mittel zum ren, Macron hat in den letzten sechs Monaten deutlich Einsatz kommen. gemacht, dass er dieses „europäische Abenteuer“, von dem er spricht, gestalten will, dass er mit Vorschlägen (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Christian in die Debatte geht und dass er die Debatte nach seinen Hirte [CDU/CSU]) Vorstellungen prägen möchte. (B) Natürlich wollte er auch – zu Recht –, dass der EWF mit (D) Wir Freie Demokraten stimmen mit vielen seiner Vor- einem neuen Aufgabenprofl dafür sorgt, dass Krisen gar schläge überein: beim digitalen Binnenmarkt, bei der nicht erst entstehen, dass er also stärker präventiv tätig Verteidigung, bei den Themen Sicherheit und Asyl. Inso- wird. fern gehen wir mit ihm. Hinsichtlich der Reform der Eu- Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen und die ro-Zone und der Zukunft der Währungsunion bestehen Bundesregierung: Was wäre eigentlich so schlimm da- aber Differenzen, die man ganz klar ansprechen muss. ran, wenn die Bundeskanzlerin sich klar zu den Vorschlä- Ähnliches gilt für das sogenannte Nikolauspaket, das gen ihres früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble die Kommission vorgeschlagen hat. Das sind Vorschlä- bekennen würde? Die Vorschläge sind da, darüber kann ge rund um einen Investitionshaushalt, fnanziert aus man verhandeln. Bekennen Sie sich dazu. Die Vorschlä- Steuermitteln, einen europäischen Finanzminister und ge gehen zumindest in die richtige Richtung. einen Europäischen Währungsfonds, der unter leichte- ren Voraussetzungen Geld ausgeben kann, als der ESM (Beifall bei der FDP) das bisher tun darf. Diese Diskussion sehen wir kritisch. Dazu erwarten wir eigene Vorschläge von der Bundesre- Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum tut die Bun- gierung. deskanzlerin das nicht? Warum bekennt sie sich nicht zu dem, was Wolfgang Schäuble – das ist alles durchaus (Beifall bei der FDP) vernünftig – aufgeschrieben hat? Weil die CDU/CSU in dieser Frage tief zerstritten ist und weil die Koalition Umso bemerkenswerter war es, dass die Bundesregie- insgesamt in dieser Frage vollkommen unterschiedlicher rung gestern eine Entscheidung auf dem Europäischen Meinung ist und diese Debatte mit Leidenschaft unterei- Rat im Juni angekündigt hat, in knapp zwei Monaten. nander austrägt. Das ist ein sehr kurzer Zeitraum für ein so wichtiges Thema. Aber während Emmanuel Macron in der Debatte Die FDP hat im Februar dieses Jahres einen Antrag einen Pfock nach dem anderen einschlägt, kommt der zur Zukunft des ESM und zur Entwicklung eines sinn- Bundeskanzlerin bis heute nichts Konkretes zur Zukunft vollen Aufgabenprofls für einen EWF in den Bundestag der Währungsunion über die Lippen. Deutschland ist ein eingebracht. Sie müssen nicht jedem Antrag zustimmen. Totalausfall in dieser wichtigen Debatte. Aber ich erwarte schon, dass Sie sich an der Debatte auch mit eigenen Vorschlägen beteiligen. Liebe Kolleginnen (Beifall bei der FDP) und Kollegen, in jeder Sitzungswoche des Bundestages Das ist die Methode Merkel, die wir kennen: sich setzt Ihre Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuss den nicht festlegen, die Öffentlichkeit erst einmal beruhigen Antrag der FDP von der Tagesordnung ab, weil Sie nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2535

Dr. Florian Toncar (A) einmal in der Lage sind, sich zu unseren Vorschlägen zu Fraktion der Meinung: Nein, Artikel 352 AEUV ist dafür (C) positionieren. Wie wollen Sie sich dann eigentlich zu nicht geeignet. Macron positionieren? Es ist doch völlig ausgeschlossen, dass Sie so bei diesem Thema je auf einen grünen Zweig (Beifall bei der CDU/CSU) kommen. Das haben wir der Kommission mit Verweis auf das (Beifall bei der FDP) Pringle-Urteil des EuGH auch mitgeteilt. Ihr eigener Kommissar Günther Oettinger drängt Die Begründung der Kommission lautet, das Pringle-­ Sie, zu sagen, Sie müssten Macron entgegenkommen. Urteil erlaube den ESM neben dem klassischen Re- Gleichzeitig schreibt Ihr stellvertretender Fraktionsvor- gelwerk der Kommission, und deshalb sei Artikel 352 sitzender Herr Brinkhaus ein Papier, in dem er schon AEUV dafür geeignet. Nein, diese Auffassung teilen wir die Rechtsgrundlage für den Kommissionsvorschlag be- nicht. Wir sind anderer Meinung, und dabei bleibt unsere zweifelt. Die CSU schreibt ein eigenes Papier, während Fraktion auch. Da gibt es, anders als Sie gesagt haben, die SPD die Union ermahnt, dass sie sich bitte schön an überhaupt keinen Streit. Wir stehen einheitlich zu der Po- den Koalitionsvertrag halten soll. Da haben Sie nicht so sition: Es bedarf einer Vertragsänderung. genau verhandelt, sodass Sie sich jetzt nicht einig sind, (Beifall bei der CDU/CSU) was eigentlich zu tun ist. Das sind doch Chaostage in der Finanzpolitik, die wir in diesem Land erleben müssen. Wenn es eine solche Vertragsänderung nicht gibt – wären Sie in unserer Fraktionssitzung gewesen, hätten (Beifall bei der FDP) Sie das gehört; auch da ist die Bundeskanzlerin völlig Die Krönung des Ganzen ist, dass der einzige Vor- klar gewesen –, dann bleibt es bei dem, was wir haben, schlag, der jetzt neu von Frau Merkel gekommen ist, der nämlich bei der intergouvernementalen Zusammenarbeit. eines Jumbo-Rats ist, in dem sich die Finanzminister mit Dann kann man über die Frage nachdenken, wie man im den Wirtschaftsministern zusammensetzen sollen. Da Regelwerk des europäischen Rechts einige Querbezüge riecht doch jeder Lunte: Der Finanzminister ist plötzlich herstellt. Damit ist die Frage, die Sie gestellt haben, be- ein Sozialdemokrat – –, und nun will sie ih- antwortet: Es bleibt dann bei der intergouvernementalen ren Vertrauten dort hineinbringen, weil Zusammenarbeit. Die Kanzlerin hat das in unserer Frak- sie Herrn Scholz offenbar nicht zutraut, diese Dinge im tionssitzung ausdrücklich so gesagt. Ich bin fest davon Interesse Deutschlands anzugehen. Das ist der einzige überzeugt, dass sie genau diese Position auch in Brüssel Vorschlag, der von der Bundesregierung kam. Es ist doch und auf den Europäischen Räten gemeinsam mit dem Fi- grotesk, wenn das die Position Deutschlands in dieser nanzminister vertreten wird. Diskussion sein soll, liebe Kolleginnen und Kollegen. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) (Beifall bei der FDP) Damit ist klar: Wir, die nationalen Parlamente, sind Ich glaube, Sie müssen sich, wenn bis Juni dieses beteiligt, wir bleiben beteiligt, und wir wollen beteiligt Jahres entschieden werden soll, zusammenraufen und sein. Wir werden bei etwaigen Programmen natürlich zu einer klaren Position kommen. Handeln und Haftung auch über die Frage nachdenken: Welche Strukturre- gehören in eine Hand. Orientieren Sie sich an dem, was formen sind einzufordern? Denn das ist ja das Ent- Wolfgang Schäuble aufgeschrieben hat, und verhandeln scheidende. Geld gibt es von uns – dieses Haus hat ja Sie auf dieser Grundlage mit unseren europäischen Part- die Budgethoheit – nur dann, wenn uns gesagt wird und nern! wir kontrollieren können, welche Gegenleistung es dafür gibt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Deshalb werden wir der Bundesregierung – gestützt Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege auf Artikel 23 Grundgesetz und das EUZBBG – wahr- Dr. Heribert Hirte das Wort. scheinlich noch ein paar Leitplanken aufstellen. Darü- ber reden wir im Augenblick. Wir werden sagen, was in (Beifall bei der CDU/CSU) Ergänzung zu der möglichen Überführung des ESM in einen EWF, mit den Vorgaben, die ich gerade erläutert Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): habe, noch passieren kann. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Ein zentraler Punkt ist eine stärkere Krisen- Für uns ist eines klar – das verbindet uns mit den Vor- prävention. Was heißt „stärkere Krisenprävention“? Das schlägen von Macron –: Es geht um eine Stärkung der heißt, wir brauchen eine Risikogewichtung von Staats- Euro-Zone. Daran arbeiten wir, und daran werden wir anleihen, damit schon im Vorfeld eine solche Krise, die auch gemeinsam mit den europäischen Partnern arbeiten. dazu geführt hat, dass wir hier über Jahre hinweg über Ein wichtiger Punkt – Sie haben ihn angesprochen – ist, Euro-Rettungsmaßnahmen debattieren mussten, vermie- wie und unter welchen Voraussetzungen wir den ESM in den wird. einen EWF überführen können. Darüber haben wir hier schon mindestens zweimal debattiert. Ich kann Ihnen Zweitens brauchen wir – Sie haben es angesprochen, dazu nur sagen, dass es auch um die Frage geht – Sie ha- Herr Toncar; da bin ich ganz bei Ihnen – ein Insolvenz- ben sie angesprochen –: Ist die Rechtsgrundlage, die die verfahren für Staaten. Ich habe das immer wieder gefor- Kommission dafür nennt, geeignet? Wir sind in unserer dert. Wir haben hier Vorschläge dazu ausgearbeitet und 2536 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Dr. Heribert Hirte (A) gemacht, wie das in den ESM und in den EWF integriert Die Antwort darauf ist ziemlich einfach; Sie müssen (C) werden könnte. Seien Sie sich sicher: Das ist die Mei- nur in unseren Koalitionsvertrag schauen. nung unserer Fraktion. So wird dies auch weitergegeben. (Christian Dürr [FDP]: Da steht ja nichts Ob man das dann „Insolvenzverfahren“ oder „Schul- drin! – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das hat ge- denrestrukturierungsverfahren“ nennt, ist auf den ersten rade der Kollege Brinkhaus gesagt!) Blick ein Detailpunkt. Auf den zweiten Blick ist das aber Sie müssen den Vertrag auch gar nicht komplett lesen, nicht ganz so unwichtig; denn wenn Sie einem Staat sa- meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP; denn bei gen, er könne pleitegehen, dann ist das etwas anderes, uns steht das Europakapitel – im Gegensatz zu Ihrem als wenn Sie ihm sagen, Sie würden restrukturieren. Ich Entwurf in den Jamaika-Verhandlungen – ganz am An- möchte das deutlich sagen: Für die Verhandlungssituation fang. ist es schon ein gewisser Unterschied, ob Sie es so oder anders bezeichnen. Deshalb – mein Kollege Christoph (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Paulus hat das sehr deutlich gesagt – ist der Begriff „Re- Dr. Florian Toncar [FDP]: Aber Herr solvenzverfahren“ besser als „Insolvenzverfahren“, weil Brinkhaus hat eine andere Interpretation als es darum geht, ein Land wieder solvent zu machen. Sie! – Christian Dürr [FDP]: Stimmen Sie mit Herrn Hirte überein?) Ein Punkt am Rande, weil es insbesondere um die Frage geht, wie man das einführt: Mir ist es schon wich- In unserem Koalitionsvertrag heißt es – ich zitiere mit tig, zu sagen: „Wir können das nicht von einem Tag auf Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: den anderen einführen“; denn das würde natürlich zu Den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Schiefagen in einigen Ländern führen, weil die Märkte wollen wir zu einem parlamentarisch kontrollierten plötzlich zusammenbrechen würden. Wir müssen die- Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, se Regelungen langsam einführen, aber wir brauchen der im Unionsrecht verankert sein sollte. Die Rechte ordnungspolitisch – das ist richtig, und das ist auch das der nationalen Parlamente bleiben davon unberührt. Richtige an Ihrem Antrag – eine klare Richtung. Die ha- ben wir aber auch, und die haben wir auch einheitlich. (Christian Dürr [FDP]: Ah, aber Herr Dr. Hirte hat gerade das Gegenteil gesagt! – Gegenruf Ein letzter Punkt. Wir brauchen die Bankenrestruktu- des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das rierung und vernünftige Insolvenzrechte, damit die Ban- ist kein Widerspruch!) ken in den verschiedenen Mitgliedstaaten nicht pleitege- hen. Dafür brauchen wir das gemeinsame Verständnis, Ich fnde, das ist ziemlich eindeutig. Wir wollen den dass der Fiskus bei Insolvenzverfahren von Privaten und ESM weiterentwickeln, aber es ist genauso klar, dass es (B) von Unternehmen nicht zugreifen kann. Daneben müs- dabei nicht weniger parlamentarische Kontrolle und Mit- (D) sen wir die Non-performing Loans – liebe Kollegen von sprache geben wird als bisher. der AfD, „faule Kredite“ heißt das auf Deutsch – vorher aus den Bankbilanzen herausrechnen. Es kann nicht sein, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass es in Deutschland 3 Prozent und in manchen südeu- der CDU/CSU – Dr. Heribert Hirte [CDU/ ropäischen Ländern 30 Prozent an faulen Krediten gibt. CSU]: Eben! So steht es auch im Koalitions- Diese müssen vorher herausgerechnet werden, und das vertrag!) werden wir unserer Bundesregierung mit auf den Weg Es ist im Übrigen richtig, dass es in den vergangenen geben. Seien Sie sich sicher: Daran arbeiten wir, und Tagen bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU Bundeskanzlerin Merkel wird das entsprechend durch- eine Diskussion darüber gegeben hat. setzen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- Vielen Dank. nau!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn man den Kollegen Hirte hört, dann scheint es auch so, dass die Diskussion noch nicht ganz abgeschlossen ist. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Abgeordnete Sonja Amalie Steffen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie für die SPD-Fraktion. war sehr harmonisch!) (Beifall bei der SPD) Allerdings hat der Kollege Grosse-Brömer selbst erklärt, es handele sich nur um eine Informationsdebatte in seiner Fraktion. Sonja Amalie Steffen (SPD): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und war es! Absolut richtig!) Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Die FDP hat für heute eine Aktuelle Stunde beantragt, um zu er- Das ist beruhigend. Wenn dann alle gut informiert sind, fahren, welche Haltung die Koalition zu den Plänen der dann kann es mit der notwendigen Reform der Euro-Zo- EU-Kommission hat, den ESM in einen Europäischen ne Währungsfonds zu überführen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- (Christian Dürr [FDP]: Ja, genau!) nau!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2537

Sonja Amalie Steffen (A) und der Währungs- und Wirtschaftsunion losgehen. Eine solche Stabilisierungsfunktion ... ist aber nicht (C) notwendig, denn die makroökonomische Stabilisie- (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-­Brömer rung kann über die Finanzmärkte und die nationalen [CDU/CSU]: Ich empfehle der SPD auch so automatischen Stabilisatoren weit effektiver und eine Debatte, und dann ist es gut! – Zuruf von zielgerichteter wahrgenommen werden. der CDU/CSU: Man lernt immer dazu!) Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen Meine Damen und Herren, vieles von dem, was wir lassen. Wir reden hier über ein Instrument, das bei einer für Deutschland erreichen wollen, können wir nur schaf- extremen Schiefage mithelfen soll, das Umkippen einer fen, wenn wir Europa stark machen. Deutschland ist Volkswirtschaft zu verhindern, und zwar in einer Lage, in stark. Aber wir sind es eben nicht allein. Die Leistungs- der die Arbeitslosigkeit schon in die Höhe gegangen ist bereitschaft unserer Menschen, der Arbeitnehmerinnen und in der der Staatshaushalt schon im Minus ist, einer und Arbeitnehmer, der Fleiß und der Ideenreichtum der Lage, in der es an allen Ecken und Enden quietscht und Menschen in unserem Land, das sind die Grundlagen kracht. Dazu sagt die FDP eiskalt: Der Finanzmarkt wird unserer wirtschaftlichen Stärke. Aber – das wissen Sie es schon richten. alle hier im Raum – ohne den europäischen Binnen- markt, ohne die Wirtschafts- und Währungsunion, ohne ( [SPD]: Hört! Hört!) den Euro wäre die deutsche Wirtschaft längst nicht so Wer so mit dem Schicksal von Menschen umgeht, wer konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt, wie das zum Glück ein Europa will, das so wenig für seine Bürgerinnen und aktuell der Fall ist. Bürger tun kann, der darf sich nicht wundern, wenn Eu- (Zuruf von der AfD: Das ist Unsinn!) ropa auseinanderfällt. – Das ist kein Unsinn, liebe Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei der SPD) von der AfD. Streichen Sie das „liebe“. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ste- (Beifall bei der SPD) hen für eine andere Vorstellung von Europa. Deswegen werden wir weiter mit aller Kraft daran arbeiten, den Damit das so bleibt, damit wir unsere Position halten ESM gemeinsam mit den anderen Euro-Ländern wei- können, brauchen wir mehr Europa, auch in der Wirt- terzuentwickeln und zu einem Europäischen Währungs- schafts- und Finanzpolitik. Anfang Februar dieses Jahres fonds auszubauen. Wir wollen mehr Europa. Wir wollen haben wir hier in der ersten Lesung einen FDP-Antrag gemeinsam mehr in Europa erreichen. Aber wir werden zum Vorschlag der Kommission zur Einrichtung des dabei immer sicherstellen, dass die nationalen Parlamen- EWF beraten. Ich greife einen Punkt aus der Debatte he- te die Verantwortung für die nationalen Haushalte nicht (B) raus, um deutlich zu machen, wie sehr sich die Position aus der Hand geben. (D) der FDP von unseren Vorstellungen einer sozialen Markt- wirtschaft und eines solidarischen Europas unterscheidet. ( [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Die FDP ist dagegen, dass ein künftiger Europäischer Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger in unse- Währungsfonds bei einer Stabilisierungsfunktion gegen rem Land verlassen. asymmetrische Schocks eine Rolle spielen könnte, weil sie eine solche Funktion grundsätzlich ablehnt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Dr . Florian Toncar [FDP]: Absolut!) Vizepräsidentin Petra Pau: – Ich sehe, Sie nicken, Herr Kollege. Das Wort hat der Abgeordnete Peter Boehringer für die AfD-Fraktion. Worum geht es hier? Wir haben es in der Vergangen- heit erlebt, dass Länder in der Euro-Zone in erhebliche (Beifall bei der AfD) Krisen gerieten. (Zuruf von der AfD: Und noch sind!) Peter Boehringer (AfD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! – Hören Sie einmal zu. Dann lernen Sie noch etwas. Das Thema EWF ist bei der CDU eines mit einer wil- (Zuruf von der AfD: Von Ihnen nicht!) den Historie. Erstmals wurde die Idee – das wurde schon erwähnt – 2010 von Ihnen in den Raum gestellt, dann Hier sagt die Kommission mit Blick auf die Zu- zunächst wieder beerdigt; denn man hatte ja noch genü- kunft: Das wichtigste Instrument, um so einen Schock gend andere Rettungsvehikel für den Euro: EFSF, damals abzufedern, sind die nationalen Haushalte und die auto- schon ESM, Target 2 und inzwischen auch die direkten matischen Stabilisatoren in den Mitgliedsländern, zum Anleihekäufe der EZB. Beispiel die Arbeitslosenversicherung. Gerade deshalb müssen die Mitgliedstaaten in guten Zeiten angemessene Mit anhaltender Euro-Krise wurde es aber dann im- Puffer in ihre Haushalte einbauen, so wie es im Stabili- mer wichtiger, noch weitere Vehikel für diese versteckten täts- und Wachstumspakt vorgesehen ist. Rettungskredite aufzutun. So griff man dann 2017 gerne den von Macron wieder aufgewärmten EWF-Plan erneut Aber es kann Situationen geben, in denen die Staaten auf. Vorige Woche traten einige aus Ihrer Fraktion wieder trotzdem an ihre Grenzen kommen und in denen zusätz- auf die Bremse. Es sollte nun mit der Vertiefung der Wirt- liche Hilfe aus Europa einen Kollaps verhindern kann. schafts- und Währungsunion doch nicht ganz so schnell Dazu sagt die FDP in ihrem Antrag – ich zitiere –: gehen. Gestern aber gab es doch wieder ein Bekenntnis 2538 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Peter Boehringer (A) der Kanzlerin zu einem zügigen WWU-Beschluss – oder Halleluja! Das hätten wir wirklich früher haben können. (C) auch nicht; so richtig klar ist das nicht. Es ist auch in die- Heute sagen Sie exakt dasselbe wie wir im Februar, ser Aktuellen Stunde nicht wirklich klar geworden. Dazu komme ich gleich noch. (Beifall bei der AfD – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das haben wir im Februar ge- Diese Kakofonie bei der Union ist Ergebnis von vielen nauso gesagt!) Lebenslügen und Restriktionen. und Sie haben unseren Antrag abgelehnt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie auch eine eigene Meinung, oder referieren (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Weil er Sie nur über die CDU?) rechtlich falsch war!) Die übliche Lebenslüge ist natürlich, dass der deutsche Die dritte Restriktion ist vielleicht die wichtigste. Der Wähler einfach keinen totalen Euro will, kein EU-Bud- Koalitionspartner SPD – Ihr eigener Koalitionspartner – get, keinen EWF, keine verfassungswidrigen EU-Minis- beharrt auf der Erfüllung des Koalitionsvertrags. Das ist ter, keine Spareinlagensozialisierung. Er will es einfach sein gutes Recht. Darin steht weiterhin schwarz auf weiß: nicht. Wir wollen einen EWF nach Unionsrecht einrichten. – Also das Gegenteil dessen, was eben Herr Hirte gesagt (Beifall bei der AfD) hat, was die Kanzlerin gesagt hat und was Sie derzeit Der öffentliche Widerstand hier im Haus durch die sagen. AfD und im Volk wirkt, und so füchtet man sich nun in Vernebelung. Das ist einfach so. Es stehen auch Land- Das ist ein Widerspruch, der nun einmal aufgelöst tagswahlkämpfe an, und da werden die Wähler gerne von werden muss. Daran kommen Sie nicht vorbei. Ich wür- unpopulären Maßnahmen und unpopulären Informatio- de Frau Steffen und Herrn Hirte gerne ein intensives nen ferngehalten. Gespräch empfehlen. Vielleicht sollten Sie es auch eine Ebene höher ansetzen. Ich würde gerne eine autorisier- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Des- te Aussage der SPD-Fraktion und eigentlich sogar der halb haben wir auch die Aktuelle Stunde!) SPD-Partei an dieser Stelle erwarten. Minister Scholz, Die zweite Restriktion ist, dass inzwischen sogar der der Parteichef, ist nicht hier, die designierte Parteichefn Regierung klar ist, dass das Unionsrecht als geplante leider auch nicht. Aber hier ist eine klare Aussage ge- Rechtsgrundlage der EU-Kommission für den EWF – es fragt. Frau Staatssekretärin Hagedorn, Sie sind Vertrete- wurde schon erwähnt: Artikel 352 AEUV – nicht trägt. rin des BMF. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das war nie (, Parl. Staatssekretärin: Ich (B) streitig!) bin da! – Otto Fricke [FDP]: Die stellvertre- (D) tende SPD-Landesvorsitzende!) Wenn die Kanzlerin und auch Vorredner von der CDU/ CSU wie Sie, Herr Hirte, nun klarstellen, dass es um ei- Ihre Aussage ist hier nicht gefragt. Es ist wirklich eine nen EWF nach zwischenstaatlichem Recht geht, dann SPD-Parteiaussage gefragt. Da ist leider keine gekom- ist das bemerkenswert. Denn einerseits ist es die rich- men. tige Einsicht: Artikel 352 AEUV ist eine Selbstermäch- (Beifall bei der AfD) tigungsklausel der Kommission; damit zieht sie Dinge an sich, die sie nach den EU-Verträgen überhaupt nicht Im Fraktionspapier der CDU/CSU wird erstmals seit regeln dürfte. Und doch soll genau die genutzt werden. mindestens acht Jahren die Aussage von uns Euro-Kriti- kern bestätigt: Der EWF hat möglicherweise erhebliche (Beifall bei der AfD) Auswirkungen auf das nationale Budget. – Na so was! Es gab darum nicht ohne Grund hier im Haus Anfang Das ist unsere Rede seit acht Jahren. Es sind eben nicht Februar Anträge auf zwei Subsidiaritätsrügen zu diesem nur Garantien. Diese Garantien werden Auswirkungen Thema, die von Ihnen selbst – von allen GroKo-Vertre- auf das nationale Budget haben. Das ist schon heute ab- tern und den Grünen – gnadenlos niedergestimmt wur- solut sicher. den, obwohl sie selbstverständlich berechtigt waren. ( [Heidelberg] [SPD]: Wir ha- (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Weil es mit ben schon jetzt große Vorteile daraus gezo- Subsidiarität nichts zu tun hatte!) gen!) Wir hatten damals gesagt und geschrieben: Der Vor- Es geht um Billionen – das ist ein potenzielles Billionen- schlag der EU-Kommission zum EWF kann nicht auf risiko –, und die braucht der EWF auch; denn er soll ja Artikel 352 AEUV gestützt werden. als Letzthafter beim Bankenabwicklungsfonds und sogar (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das war ja beim geplanten Einlagensicherungsfonds eingesetzt wer- auch unstreitig!) den. Das sind – heute schon absehbar – die Steuern und Vermögensenteignungen von morgen. Nun endlich am 13. April von Ihrer eigenen Fraktion: Die Rechtsgrundlage zur Einrichtung eines EWF nach Arti- (Beifall bei der AfD) kel 352 AEUV ist nicht einschlägig. Zum ohnehin viel zu schwachen Parlamentsvorbehalt (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Aber das des Bundestags beim EWF rede ich heute nicht. Es ist ja haben wir doch gesagt!) nur eine Aktuelle Stunde. Wenn Sie das ernsthaft weiter- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2539

Peter Boehringer (A) verfolgen, dann reden wir zu gegebener Zeit noch einmal Die Euro-Krise ist nicht vorbei, vor allem nicht im (C) über die Parlamentsrechte. Portemonnaie von Millionen Beschäftigten, Rentnern und Arbeitslosen in Europa. Deutschland verkauft auf- Vielleicht noch an die FDP: Danke für die Aktuelle grund seiner unzureichenden Investitionen und seiner Stunde. Das ist sicher angebracht. Aber auch Sie sollten unzureichenden Lohnentwicklung immer mehr und Ihre Bewunderung gegenüber Macrons supranationalis- billiger an das Ausland, als es von dort einkauft. Unse- tischen und weiterhin transfersozialistischen Ideen able- re Handelspartner in der Euro-Zone können sich nicht gen. mehr durch die Abwertung ihrer Währung dagegen (Beifall bei der AfD) wehren; denn diese ist der Euro. Deutschland hat einen Leistungsbilanzüberschuss von 8 Prozent des Bruttoin- Sie schreiben in einem Antrag vom 30. Januar – Herr landsproduktes. Für die Euro-Zone sind es mittlerweile Toncar hat es eben noch einmal bestätigt –: Die Einrich- 4 Prozent. Daher drohen neue Schuldenkrisen. Wenn tung eines EWF kann die Währungsunion stärken. ich immer mehr verkaufe, als ich von anderen einkaufe, (Christian Dürr [FDP]: Das ist der Unter- müssen die anderen bei mir anschreiben. Die Weisheit schied: Sie sind gegen Europa insgesamt!) von Gary Lineker „Fußball ist, wenn 22 Leute dem Ball hinterherrennen, und am Ende gewinnt Deutschland“ ist Klar, man kann mit noch mehr guten Milliarden, die man ein denkbar schlechter Ratschlag für die Währungsunion. den bereits versenkten Rettungsmilliarden hinterher- wirft, den Euro nochmals temporär stärken. Retten kann (Beifall bei der LINKEN) man ihn damit nicht. Der Handelsstreit mit den USA schwelt deswegen weiter. (Beifall bei der AfD) Die jüngsten Konjunkturdaten weisen abwärts. Dem Fi- Die deutschen Wähler wollen keine permanente Eu- nanzminister, der heute nicht anwesend ist, fällt dazu nur ro-Rettung auf ihre Kosten. die schwarze Null ein. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Die deut- Die Europäische Zentralbank hat die Finanzmärkte schen Wähler wollen ein stabiles Europa!) mit viel billigem Geld stabilisiert. Aber das billige Geld kommt aufgrund der Kürzungen von Löhnen, Renten Sie wollen auch keinen EU-ropäischen Wirtschaftsminis- und öffentlichen Investitionen nur auf den Börsen und ter wie Ihr Fraktionsvize Theurer. Auch hier besteht also nicht in der realen Wirtschaft an. Daher drohen uns neue viel Klärungsbedarf. Finanzkrisen. Die Euro-Zone würde etwa eine Krise des Die AfD ist – damit komme ich zum Schluss – klar italienischen Bankensektors nicht überleben. marktwirtschaftlich und rechtsstaatlich eindeutig positi- (B) Nun herrscht Streit zwischen Berlin und Paris über den (D) oniert: keine Euro-Rettung, koste es, was es wolle. Der Europäischen Währungsfonds. Dieser soll Euro-Staaten totale EU-ropawahn ist 2017 abgewählt worden. in einer Krise unterstützen und auch ein doppeltes Netz Herzlichen Dank. für die Banken schaffen. Der ESM war faktisch eine Bankenrettung. Gerettet wurden nicht griechische Kran- (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: kenschwestern oder irische Rentner. Das Motto lautet Das ist Nationalismus, der den Wohlstand in nun: Raider heißt jetzt Twix. – Der ESM soll in einen Deutschland gefährdet!) EWF überführt werden. Die Linke ist selbstverständlich für die parlamentarische Kontrolle des Europäischen Vizepräsidentin Petra Pau: Währungsfonds. Das Wort hat der Abgeordnete Fabio De Masi für die (Beifall bei der LINKEN) Fraktion Die Linke. Aber viel wichtiger als der Streit über die Rechtsgrundla- (Beifall bei der LINKEN) ge ist die Frage, was wir mit diesem Europäischen Wäh- rungsfonds eigentlich anfangen wollen. Hier herrscht Fabio De Masi (DIE LINKE): tatsächlich Einigkeit zwischen Herrn Macron und Frau Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Merkel. Herr Macron möchte in Frankreich – genauso Der Koalitionsvertrag trägt den Titel „Ein neuer Auf- wie es in Deutschland der Fall war – eine Agenda 2010 bruch für Europa“. Gestern war Frankreichs Präsident einschließlich der Kürzung von Löhnen und Renten Emmanuel Macron bei der Bundeskanzlerin „Madame durchsetzen. Dafür braucht er etwas Taschengeld, damit Non“. Frau Merkel verkündete die Idee eines neuen die Wirtschaft nicht abschmiert. Frau Merkel möchte, Stuhlkreises des Wirtschaftsministers Peter Altmaier und dass er diese Agenda in Frankreich durchsetzt, will aber des Finanzministers Olaf Scholz. Wenn das Ihr Aufbruch möglichst nicht das Portemonnaie öffnen. für Europa ist, dann wecken Sie mich bitte auf bei der Wozu braucht man eigentlich einen Währungsfonds? Endstation. Üblicherweise braucht man einen Währungsfonds bei (Beifall bei der LINKEN) Devisenmangel. Wenn beispielsweise Brasilien zu viel importiert, seine Währung, den Real, abwertet und sich Vielleicht sollten Sie Ihr Regierungsprogramm umbe- keine Dollar mehr leisten kann, dann soll ein Währungs- nennen: „Mit dem Schlafwagen durch Europa“ oder „Ge- fonds so lange helfen, bis die Wirtschaft wieder im Lot gen die Wand“. ist. Aber ein Land mit eigener Währung kann niemals (Beifall bei der LINKEN) pleitegehen; denn dafür gibt es eine Zentralbank. Das 2540 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Fabio De Masi (A) Problem der Euro-Zone ist aber nicht der Mangel an De- Monaten, seit September 2017, seit der Bundestagswahl, (C) visen, an US-Dollar, sondern, dass die EZB sagt: Wenn darauf, dass Deutschland darauf endlich eine Antwort ihr in einer Krise die Löhne oder die Renten nicht kürzt, gibt. akzeptieren wir eure Staatsanleihen nicht und drehen (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Wäre Jamai- euch den Geldhahn zu. – Ein EWF macht daher nur Sinn, ka gekommen, wären wir schon schneller ge- wenn er über eine Banklizenz verfügt und sich bei der wesen!) EZB refnanzieren kann, um öffentliche Investitionen zu unterstützen. Ohne eine solche Garantie würde er in ei- Bisher gibt es keine Antwort. Es gibt nur „Nein, nein, ner Krise von Hedgefonds wieder sturmreif geschossen nein“ von der Bundesregierung. Ich fnde das wirklich werden. peinlich und verantwortungslos. Bei einer Krise von Megabanken wie der Deutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bank, die immer noch zu groß und zu vernetzt zum Wir müssen jetzt doch ein historisches Zeitfenster Scheitern wäre, wäre der IWF schnell nackt. Deswegen nutzen; denn es schließt sich schnell, weil im Herbst der muss Schluss sein mit einem Bankensektor, der die Steu- Europawahlkampf beginnt. Wir müssen berücksichtigen, erzahler immer wieder erpressen kann. Wir müssen Me- dass der Euro nicht krisenfest ist, dass bestimmte Defzi- gabanken wie die Deutsche Bank aufspalten. te behoben werden müssen und dass Deutschland deswe- (Beifall bei der LINKEN) gen jetzt Verantwortung übernehmen muss. Ein europäischer Währungsfonds, der am Ende aber Gerade der EWF, der Europäische Währungsfonds, nur dafür da ist, weitere Strukturreformen, die Kürzung könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Es gäbe andere von Löhnen und Renten, durchzusetzen, ist völlig kon- wichtige Reaktionen darauf, zum Beispiel, dass wir mehr traproduktiv. Das ist in etwa so, als wenn man einem Ko- Investitionen in Europa vornehmen und dass wir dafür mapatienten Blut abzapft und ihn gleichzeitig künstlich neue Finanzmittel bereitstellen. Die Vollendung der Ban- beatmet. kenunion mit einem Backstop ist wichtig. Es gibt viele Fragen, auf die Europa eine Antwort Ich fasse zusammen. Von der Bundesregierung hört braucht und auf die auch Deutschland eine Antwort ge- man dieser Tage in der Debatte um die Reform der Eu- ben muss. Wenn Deutschland diese Antwort nicht gibt, ro-Zone nicht viel. Selten war eine Regierung in Deutsch- wenn sie sie weiter verschleppt, wenn Merkel sie wei- land schon bei Antritt so müde und so fertig. Das ist gut ter verzögert und diese historische Chance verstreichen für die Opposition. Für dieses Land und für Europa ist lässt, dann ist das wirklich verantwortungslos von dieser das eine Katastrophe. Bundesregierung. Deutschland wird so zum Systemrisi- (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) ko für ganz Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Zum Europäischen Währungsfonds. Ich glaube, wir Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- müssen hier zwischen zwei Konzepten unterscheiden. lege Sven-Christian Kindler das Wort. Es gibt den Vorschlag der Kommission, innerhalb der Gemeinschaft neue Institutionen, kontrolliert vom Eu- ropäischen Parlament, angebunden an die Europäische Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Kommission, zu schaffen. Wir sagen klar: Das kann man sehr gut mit den Rechten des Deutschen Bundestages Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und vereinbaren, für die wir einstehen. Das kann man sehr Herren! Wir diskutieren heute im Deutschen Bundestag gut auch mit einem Vetorecht vereinbaren, so wie es das über die Zukunft Europas. Wir müssen uns klarmachen: Bundesverfassungsgericht vorschlägt. Ein solches Recht Diese Debatte wird in Europa verfolgt. Deswegen müs- muss man ausgestalten; aber es ist möglich. sen wir auch über die großen Herausforderungen, die großen Chancen für Europa reden. Ich fnde, so wie es Was die Unionsfraktion jetzt macht und was auch die die Große Koalition, zum Teil auch die FDP gemacht hat, FDP gemacht hat, ist, hier einen Etikettenschwindel vor- geht es nicht. Wir dürfen nicht kleinmütig und kleingeis- zunehmen. Sie wollen de facto eine intergouvernementa- tig vorgehen, sondern wir müssen mutig und nach vorne le Aktion und einen ganz anderen Fonds, keinen von Ge- diskutieren. meinschaftsinstitutionen, weil Sie denen nicht vertrauen. Damit wollen Sie die EU-Kommission außen vor lassen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und schwächen, und gleichzeitig wollen Sie die Haus- halte der Staaten disziplinieren, kontrollieren, und Sie Wir müssen uns auch angucken, was passiert 2018, wollen den Staaten vorschreiben, welche Haushaltspoli- historisch gesehen. Wir feiern dieses Jahr 20 Jahre Eu- tik sie betreiben sollen. Sie wollen also die gescheiterte ro-Einführung – ein glückliches, ein freudiges Ereignis. Kaputtsparpolitik in Europa mit einem anderen Europä- Das wird aber überschattet von zehn Jahre Finanzkrise ischen Währungsfonds fortsetzen. Das nenne ich einen in Europa – eine Banken- und Wirtschaftskrise, die zu Etikettenschwindel. Das wäre eine „Troika forever“, und massiven politischen und sozialen Verwerfungen in ganz das würde Europa nicht zusammenbringen; das würde Europa geführt hat. Das haben Jean-Claude Juncker und Europa massiv spalten. Emmanuel Macron verstanden. Sie haben Vorschläge vorgelegt. Europa, Macron, Juncker warten seit sieben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2541

Sven-Christian Kindler (A) Ich frage mich: Wo ist eigentlich die SPD in dieser Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Debatte? Die SPD hat bei ihrer Basis massiv für den Ko- Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg für die alitionsvertrag mit dem Europakapitel geworben. Sonja CDU/CSU-Fraktion. Steffen hat es gesagt: Das Europakapitel ist das erste Ka- pitel im Koalitionsvertrag: „Ein neuer Aufbruch für Eu- (Beifall bei der CDU/CSU) ropa“. Bisher sehen wir eine neue Blockade für Europa durch diese Bundesregierung. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unionsfraktion rennt Sturm gegen das, was die Lieber Sven Kindler, kleinmütig, kleingeistig, verant- Bundesregierung eigentlich machen müsste, was zum wortungsloses Handeln der Bundesregierung – ich muss Teil auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist. Die Ihnen sagen: Denken Sie mal an das Nikolauspaket vom SPD hat jetzt das Finanzministerium, das dafür zuständig 6. Dezember. Darin steht mitnichten, dass die nationalen ist. Ich frage mich: Wo ist in dieser Debatte eigentlich der Parlamente ihre Beteiligungsrechte behalten sollen. SPD-Bundesfnanzminister? Wir hören nichts von Olaf Scholz dazu. Es gibt ein lautes Schweigen. Ich bin dem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2014 verpfichtet. Ich bin als Abgeordneter des (Bettina Hagedorn, Parl. Staatssekretärin: Er Deutschen Bundestages dem deutschen Steuerzahler ver- ist in Washington!) pfichtet. Olaf Scholz hat recht: Ein deutscher Finanzmi- nister bleibt ein deutscher Finanzminister. – Ich rede nicht über diese Debatte hier im Bundestag; ich rede über die gesamte mediale Debatte. Dazu hören Wir dürfen nicht nur auf die Vorschläge gucken, die wir nichts von Olaf Scholz. Er lässt die Union einfach aus Brüssel kommen oder die Herr Macron als Chef ei- laufen und gegen Europa Stimmung machen. ner Präsidialrepublik macht – wir haben ein ganz anderes Demokratiesystem als die Franzosen –, sondern wir müs- (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Er macht sen gesamteuropäisch gucken, auch mal schauen, was Stimmung für Europa!) die acht Nordfnanzminister geschrieben haben, müssen Ich fnde das wirklich erbärmlich. Ich fnde, die SPD und auch auf die kleinen Länder achten der SPD-Bundesfnanzminister müssen endlich handeln (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) und Position beziehen. und deutsche und gesamteuropäische Verantwortung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zusammenbringen. Das, was wir machen, ist nicht ver- antwortungslos, sondern ist verantwortungsvoll an dieser Ich glaube, Olaf Scholz muss sich nachher auch ent- Stelle. (B) scheiden, ob er das umsetzen will, was Martin Schulz in (D) den Koalitionsverhandlungen gegen die Union in den (Beifall bei der CDU/CSU) Koalitionsvertrag hineingebracht hat, oder ob er in der Es wird so leicht dahergesagt, dass der Europäische Tradition seines Vorgängers Wolfgang Schäuble bleibt. Währungsfonds erweitert werden soll: neue Fiskalkapa- Die CDU hat sich bitter beschwert, dass sie das Finanz- zität. Die Grünen greifen es wieder auf. Beim Koaliti- ministerium an die SPD abgeben musste. Angesichts der onspartner gibt es durchaus Sympathien dafür. Wenn wir letzten Wochen und des Agierens von Olaf Scholz am eine solche Fiskalkapazität aufbauen, sind aber mehrere Anfang bin ich mir nicht sicher, bei welcher Partei das Fragen zu stellen: Bundesfnanzministerium eigentlich gerade ist. Woher kommt das Geld? Bei einem Aufbauvolumen (Otto Fricke [FDP]: Nicht bei den Grünen!) von insgesamt 100 Milliarden Euro ist Deutschland mit 27 Milliarden Euro dabei; bei 200 Milliarden Euro sind – Bei den Grünen ist es nicht. Aber ob es bei der SPD ist, es 54 Milliarden Euro. Kollege Fricke, oder ob es bei der CDU ist, das – so muss man fairerweise sagen – wissen wir nicht genau. Nach welchen Konditionen vergeben wir das Geld? Bei Macron habe ich bisher gehört: unkonditioniert. Bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der EU-Kommission ist der Ansatz: Wir haben den Hut auf. – Dazu sagen wir: Man kann darüber diskutieren, Jetzt ist die Zeit, Europa groß zu denken, nicht wei- aber am Ende eines Prozesses. Wenn, dann muss der Eu- ter zu blockieren, nicht kleinmütig, nicht kleingeistig zu ropäische Währungsfonds ähnlich strukturiert sein wie diskutieren, nicht immer nur etwas abzuwehren, sondern die Europäische Zentralbank oder die Europäische In- eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen, um Europa vestitionsbank: unabhängig von der Kommission. Eigen- sozialer, demokratischer, auch krisenfester zu machen, ständig, unabhängig, das ist unsere Maßgabe an dieser diese historische Chance zu nutzen und auch diese his- Stelle. torische Verantwortung wahrzunehmen, die wir hier im Deutschen Bundestag haben. Das müssen wir machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen jetzt zusammen Vorschläge vorlegen, wie Herr Kollege Boehringer, Sie haben von Vehikeln ge- man mit Macron und Juncker Europa weiterentwickeln sprochen. Ich will Ihnen nur sagen, dass diese Vehikel – kann, statt Europa weiter zu blockieren. die meisten haben wir mit der FDP bis 2013 beschlos- Vielen Dank. sen – dazu geführt haben, dass Spanien, Portugal, Irland und Zypern aus den Reformprogrammen raus sind, sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erfolgreich sogar. Ich hoffe, dass in den nächsten Tagen 2542 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Eckhardt Rehberg (A) auch Griechenland sich wieder am Kapitalmarkt refnan- Metin Hakverdi (SPD): (C) zieren kann. Hier galt und gilt der Grundsatz – das ist kei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ne Austeritätspolitik –: Geld gibt es nur gegen Reformen. Kollegen! Die kommenden Wochen und Monate könnten Geld gibt es nur mit Konditionen. für die Zukunft der Euro-Zone, ja für die Zukunft der Eu- ropäischen Union insgesamt wegweisend sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Otto Fricke [FDP]) Verharren wir in nationalem Denken und in Diskur- sen, oder erkennen wir, dass die Zukunft unseres Lan- Das muss auch für die Zukunft tragen. des in der Zukunft Europas liegt? Erkennen wir, dass der Erfolg der EU in unserem eigenen nationalen Interesse Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann liegt? Erkennen wir, dass diejenigen, die behaupten, wir über viele Dinge reden. Wir haben keinen Zeitdruck – müssten uns zwischen unseren deutschen Interessen und weder die Bundesregierung nach meiner Auffassung den europäischen Interessen entscheiden, in Wahrheit noch wir als Unionsfraktion. Themen, die Macron zu ihr eigenes Süppchen kochen? Erkennen wir, dass diese Recht aufgerufen hat, sind aus meiner Sicht prioritär: ge- Leute weder an Deutschlands noch an Europas Zukunft meinsame Sicherheitspolitik, Sicherung der Außengren- in Frieden und Wohlstand interessiert sind? zen, Reform der Unternehmensbesteuerung, gemeinsame Außenpolitik, gemeinsame Digitalpolitik und gemeinsa- (Beifall bei der SPD) me Asylpolitik. Lassen Sie uns gemeinsam den Mut haben – den Mut, Was nicht geht, ist zum Beispiel beim Thema Einla- der jetzt notwendig ist. Lassen Sie uns gemeinsam noch gensicherung, dass man ein Schrittmaß wählt, bei dem in dieser Legislaturperiode zurückblicken und sagen: Ja, man sich nicht über die faulen Kredite in vielen europäi- wir haben diese Chance genutzt. Ja, wir hatten den Mut. schen Banken unterhält, Ja, wir haben den Kontinent – Europa – und unser Land – Deutschland – zukunftsfester gemacht. Bevor sich das (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Zeitfenster für die weitere Vertiefung der Europäischen Richtig!) Union wegen anstehender Wahlen schließt, ist es an uns, jetzt entschlossen zu handeln. aber der Meinung ist, dass die erfolgreichen deutschen Einlagensicherungssysteme insbesondere der Sparkas- (Beifall bei der SPD) sen, der Genossenschaftsbanken schon heute für ein In der Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 ihren gemeinsames europäisches Einlagensicherungssystem Anfang nahm, haben wir gelernt, dass die Europäische herhalten sollen. Nein, die Schrittfolge muss eine andere (B) Wirtschafts- und Währungsunion Konstruktionsmän- (D) sein: Erst Abbau der faulen Kredite, und dann können gel aufweist. Wir haben auf zwischenstaatlicher Ebene wir an dieser Stelle über eine gemeinsame europäische Ad-hoc-Entscheidungen getroffen und Maßnahmen er- Einlagensicherung reden. griffen. Letztlich war es aber eine europäische Instituti- on, die Europäische Zentralbank, die mit der gebündelten (Beifall bei der CDU/CSU) Macht aller Mitgliedstaaten den fnanzpolitischen Orkan Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine letzte Bemer- aufgehalten hat. kung: Es ist relativ leicht, Visionen zu haben, Pföcke Jetzt ist es an der Zeit, die Wirtschafts- und Währungs- einzuschlagen. Aber ich fnde, man sollte sich auch mit union kraftvoll voranzubringen. Das gilt auch für die den Realitäten befassen. Ehe man über neue Strukturen, Bankenunion. An einer Letztsicherung für die Bankenab- über neue Kapazitäten in Europa redet, sollte man sich in wicklung fehlt es noch. Eine gemeinsame Einlagensiche- Brüssel doch erst einmal bemühen, das Geld umzusetzen, rung scheitert bisher an der mangelnden Risikoreduktion das man hat. Ich fnde, es ist ein europäisches Trauer- in einigen Bankbilanzen der Europäischen Union. Die spiel, dass im letzten Jahr im Europäischen Sozialfonds, gemeinsame europäische Einlagensicherung sollten wir im Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und aber nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. im Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwick- Aus diesem Grund – da ist sich die SPD-Fraktion mit der lung des ländlichen Raums 10 Milliarden Euro nicht aus- Union völlig einig – muss die Risikoreduktion entschie- gegeben wurden und in diesem Jahr wieder 5 Milliarden dener als bisher angegangen werden. Euro nicht ausgegeben werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nach Reformen schreit, sollte erst einmal Die Kommission hat Vorschläge zur Vertiefung der das Geld, das da ist, effzient umsetzen, ehe er neues Wirtschafts- und Währungsunion gemacht. Zu den Vor- Geld verlangt. schlägen gehören ein europäischer Finanzminister – wir haben es gehört –, der mehr oder weniger den Euro-Grup- Danke. pen-Chef ablösen soll, und ein Europäischer Währungs- fonds, der an die Stelle des Europäischen Stabilitätsme- (Beifall bei der CDU/CSU) chanismus treten soll. Damit zielt die Kommission darauf ab, zwischen- Vizepräsidentin Petra Pau: staatliche Mechanismen, die im Zuge der Finanzkrise Das Wort hat Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion. geschaffen wurden, in die EU zu integrieren. Es geht darum, einzelne nationalisierte Politikbereiche zurück- (Beifall bei der SPD) zuführen unter das gemeinsame Dach der EU. Ich fn- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2543

Metin Hakverdi (A) de das richtig und teile das Ansinnen der Europäischen Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Kommission. Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun Dr. Bruno Hollnagel für die AfD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Wir sollten die EU und ihre Institutionen stärken. Das Nebeneinander von zwischenstaatlichen und EU-Institu- Dr. Bruno Hollnagel (AfD): tionen schwächt auf Dauer die EU. Das war nicht unser Ziel, als wir einen neuen Aufbruch für Europa formuliert Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und haben. Das Nebeneinander macht auch die Entschei- Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wer seine dungsstrukturen intransparent und führt zu einer Ent- Interessen nicht deutlich formuliert und vertritt, wird fremdung der Bürgerinnen und Bürger der EU von ihren zum Spielball fremder Interessen. So geschieht es bei Institutionen. der deutschen europäischen Währungspolitik. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die verantwortliche deutsche Noch ein Gedanke zur Überführung des Europäischen Politik den Sirenengesängen von Macron hinterherläuft? Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Wäh- Macron folgt alleine seinen Interessen und den Interessen rungsfonds: Wir haben die Idee Wolfgang Schäubles seines Landes. Frankreich steht fnanzpolitisch mit dem aufgenommen. Die Errichtung eines Europäischen Wäh- Rücken an der Wand. Frankreich braucht Geld. Frank- rungsfonds ist nun Bestandteil des gemeinsamen Koaliti- reich braucht den EWF; das ist der wahre Grund dafür. onsvertrages. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart: (Beifall bei der AfD) Erstens. Wir wollen die Euro-Zone nachhaltig stärken Was ist der EWF? Offziell ist der EWF ein überstaat- und reformieren, sodass der Euro globalen Krisen besser liches Rettungsinstrument. Tatsächlich ist er eine Art standhalten kann. Bank ohne Bankenaufsichtsbehörde mit sehr vielen Be- fugnissen; denn der EWF kann das Kapital erhöhen und Zweitens. Wir wollen den Europäischen Stabilitäts- die Kapitalabrufe von Staaten beschließen. Er zwingt mechanismus zu einem parlamentarisch kontrollierten also die Staaten zur Zahlung. Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionsrecht verankert werden sollte. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch einfach nicht! – Nun sind einige Kolleginnen und Kollegen bemüht, Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mann, dieses Vorhaben der Regierung gleich an der Rechts- Mann, Mann!) grundlage scheitern zu lassen und die gesamte Reform- (B) debatte gleichsam juristisch zu ersticken. Ich sage das Der EWF kann die Stabilitätshilfen gewähren und deren (D) hier in aller Deutlichkeit: Diese Regierung fußt auf dem Kreditrichtlinien festlegen. Koalitionsvertrag. Im Übrigen will ich alle Fraktionen (Sepp Müller [CDU/CSU]: Bleiben Sie doch hier im Hause daran erinnern, dass in der Vergangenheit mal bei der Wahrheit! Das ist ja furchtbar!) sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bun- desverfassungsgericht manches Mal anders entschieden Das ist nicht das, was wir brauchen. haben, als manche in diesem Haus oder auch außerhalb (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Ist auch dieses Hauses gehofft und prognostiziert hatten. keine Bank!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Der Gouverneursrat des EWF, bestehend aus den Finanz- sagen Sie mal Herrn Boehringer!) ministern, beschließt etwas, für das die Staaten haften müssen. Deshalb empfehle ich, auf dem juristischen Feld den Ball fach zu halten. Wichtig ist – auch das haben wir mit der (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich Union im Koalitionsvertrag vereinbart –, dass Rechte der mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!) nationalen Parlamente durch einen Europäischen Wäh- Wer Risiken übernimmt, der muss auch entsprechende rungsfonds nicht geschmälert werden sollen. Entscheidungsbefugnisse haben; das besagt zumindest der gesunde Menschenverstand. Der EWF hebelt den ge- (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!) sunden Menschenverstand aus. Das wollen wir auch nicht. (Beifall bei der AfD) Kolleginnen und Kollegen, wir sollten in den kom- Wir lehnen den EWF auch dann ab, wenn er der par- menden Wochen in die inhaltliche Debatte eintreten. Wir lamentarischen Kontrolle unterliegen sollte; denn auch sollten die Schattenkämpfe hinter uns lassen, damit wir dann besteht die Gefahr der Gemeinschaftshaftung. Die ernsthaft mehr Stabilität im europäischen Wirtschafts- Bundesregierung setzte sich bei der Einführung des Eu- und Währungsraum schaffen können. Meine Fraktion hat ros für eine No-bail-out-Klausel ein. Sie hat entschieden: den Mut, sich dieser Herausforderung zu stellen. keine Mithaftung für andere Staaten. Im EWF aber wird genau das passieren. Wo ist die klare Richtlinie der Poli- Vielen Dank. tik eigentlich geblieben? Sie ist verfallen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir wollen eigenverantwortliches Handeln in jeder der CDU/CSU) Beziehung; denn nur dann haben wir die Chance auf 2544 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Dr. Bruno Hollnagel (A) eine nachhaltige Politik. Wir wollen die Haftungsketten Meine Damen und Herren, die Politik, die wir erleben, (C) sprengen, weil wir sonst Gefahr laufen, an den Haftungs- gefährdet die fnanzielle Zukunft unseres Landes. Wir ketten in den Abgrund gezogen zu werden. müssen dagegenhalten. (Beifall bei der AfD) Danke schön. Denken Sie daran, welche Folgen Haftung haben (Beifall bei der AfD) kann. Bei der HSH Nordbank erleben wir es. Man hat dort gesagt: Das sind ja nur Haftungen. Diese führen nun Vizepräsidentin Petra Pau: aber dazu, dass Hamburger und schleswig-holsteinische Das Wort hat der Kollege Christoph Meyer für die Steuerzahler die Kleinigkeit von 15 Milliarden Euro be- FDP-Fraktion. Das ist zwar nicht seine erste Parlaments- rappen müssen. rede, aber seine erste Rede im Deutschen Bundestag. Meine Damen und Herren, bei einem EWF können (Beifall bei der FDP) solche Haftungssummen auf mehrere 100 Milliarden Euro anwachsen. Das ist unbedingt zu vermeiden. Christoph Meyer (FDP): (Beifall bei der AfD) Danke. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da- Wir wollen nicht, dass deutsche Steuerzahler für das men und Herren! Obwohl wir noch nicht am Ende dieser politische Unvermögen anderer Staaten oder infolge des Debatte sind, stelle ich fest, dass es genau richtig war, unternehmerischen Scheiterns von Banken zahlen müs- dass die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Wir sen. Durch den EWF droht genau diese Gefahr. konnten ein Meinungsspektrum innerhalb der Koalition sehen, das zeigte, dass niemand aus der CDU applau- Der EWF sieht nicht nur die Rettung von Staaten, son- dierte, wenn ein Kollege aus der SPD sprach. Außerdem dern auch die Rettung von Banken vor. Dies entspricht zeigte sich ein Auffackern von Ordnungspolitik in den nicht dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft und auch Reden von Herrn Dr. Hirte und Herrn Dr. Rehberg. nicht dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit. Wir wol- len die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft aber er- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das halten wissen. ist ein Kompliment, oder was?) (Beifall bei der AfD) Die Halbwertszeit dieses Koalitionsvertrages liegt bei weniger als 30 Tagen, meine Damen und Herren. Wie sagte schon Ludwig Erhard? Nach welchen ob- jektiven Kriterien soll bestimmt werden, wem staatliche (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-­Brömer [CDU/CSU]: Hätten Sie ja anders haben kön- (B) Unterstützung zuteilwird, wem sie vorenthalten wird und (D) von wem sie zu bezahlen ist. Es gibt diese objektiven nen, wollten Sie ja nicht!) Kriterien nicht. Der EWF ist mit der sozialen Marktwirt- – Sie wollten ja mit den Grünen zusammen gehen. Ich schaft nicht vereinbar. Deswegen lehnen wir ihn ab. glaube, Sie sind im Boden versunken, als der Kollege (Beifall bei der AfD – Lothar Binding [Hei- von den Grünen hier seine europapolitischen Vorstellun- delberg] [SPD]: Ludwig Erhard würde sich im gen vorgestellt hat. Grabe umdrehen, wenn er diese Rede hört!) Wir als Freie Demokraten haben bereits im Januar und Meine Damen und Herren, ich möchte doch einmal Februar dieses Jahres eine sehr deutliche Positionierung von meinem Redemanuskript abweichen zum Europäischen Währungsfonds vorgenommen. Wir sagen: Wir stehen einerseits zu der Systematik der euro- (Florian Hahn [CDU/CSU]: Wir hätten es gar päischen Rettungspolitik. Auf der anderen Seite wollen nicht gemerkt!) wir aber die Mitgliedstaaten nicht aus ihrer eigenen nati- und etwas zu dem sagen, was die Kollegin Frau onalen Verantwortung entlassen. Und wenn die Position, Steffen angesprochen hat, Stichwort „Arbeitslosenversi- die Sie, Herr Hirte, Herr Rehberg, heute hier vorgestellt cherung“. Was ist denn das? Bei der Arbeitslosenversi- haben, die Position der Union ist, dann kann man ja mit cherung zahlt doch jeder Arbeitnehmer in eine gemein- der Union vielleicht noch zusammenarbeiten. same Kasse ein. Das hört sich toll an. Wenn jemand (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Oh! – Steff arbeitslos wird, dann bekommt der Betroffene aus dieser Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt gemeinsamen Kasse Geld. Das hört sich auch toll an. koalieren die schon mit der SPD! – Eckhardt Aber was bedeutet das denn? Es bedeutet: Wenn ein Staat Rehberg [CDU/CSU]: Sie haben am 19. No- eine verfehlte Wirtschaftspolitik betreibt, die zu Arbeits- vember des letzten Jahres gesagt, dass Sie das losigkeit führt, soll der deutsche Arbeitnehmer für diese nicht wollen! Sie hätten das alles machen kön- verfehlte Wirtschaftspolitik, die er gar nicht beeinfussen nen!) kann, zahlen. Es ist hier das erste Mal, dass Sie deutlich und klar for- (Beifall bei der AfD) muliert haben, dass Sie nicht bereit sind, die Spiele der SPD mitzumachen. Das ist keine Solidarität, sondern das ist die Subven- tionierung von Unvermögen oder Unkenntnis. Und das (Beifall bei der FDP) muss verhindert werden. Die Position der SPD – frei nach dem Totschlagar- (Beifall bei der AfD) gument, man sei für Europa – lautet: Viel hilft viel. Ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2545

Christoph Meyer (A) frage Sie ganz offen: Wer ist nicht für Europa in diesem dann doch enttäuschend, dass Sie den Haushaltsaus- (C) Haus, außer vielleicht die AfD? schuss in den letzten Wochen bewusst nicht über diese Themen diskutieren lassen wollten. (Cansel Kiziltepe [SPD]: Teile der FDP!) Sie wollen alle Probleme am Ende des Tages mit dem (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Tun wir Geld der Steuerzahler zuschütten, ob das jetzt der Euro- doch hier! Das ist doch ganz öffentlich! Das päische Währungsfonds ist, ob das ein Euro-Zonen-Haus- muss doch in Ihrem Sinne sein!) halt ist oder ob das europäische Schuldverschreibungen Denn am Ende des Tages wird genau dort, wie Sie ja wis- sind. Wir haben eben etwas von der Rentenpolitik gehört, sen, Herr Rehberg, die Sacharbeit geleistet. wir haben zwischendurch auch noch etwas vom Einla- gensicherungsfonds gehört. Die Liste ließe sich beliebig (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ich verstehe fortsetzen. Am Ende sollen die Bürgerinnen und Bürger nicht diese Larmoyanz, die Sie an den Tag le- die Zeche für Ihre Fantasien zahlen. gen!) (Beifall bei der FDP) Sie haben jedoch Angst davor, mit der SPD in diese De- batte einzusteigen, die wir hier gerade schon ansatzweise Das einzig Positive, meine Damen und Herren, an die- bewundern durften. ser erfreulich offenen Positionierung ist, dass Sie zumin- dest eine glasklare Position haben. Darüber können wir (Beifall bei der FDP) diskutieren, darüber können wir streiten. Bei der Union, Sie selbst, Herr Rehberg – ich zitiere mit Erlaubnis der auch wenn wir heute einige ganz überraschende Positio- Präsidentin – haben auf eine Zwischenfrage des Kollegen nierungen gehört haben, Otto Fricke Anfang Februar geantwortet: (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Nix überra- schend! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Le- Wir können unsere Position über eine Stellungnah- sen Sie meine Reden der letzten Monate! Wir me des Haushaltsausschusses nach Artikel 23 des erzählen nichts Neues!) Grundgesetzes deutlich machen; das ist aus unserer Sicht der richtige Weg … ist dies, wie gesagt, nicht ganz so klar. Wir wissen immer noch nicht, ob es Ihnen darum geht, Beinfreiheit für die Etwas später haben Sie gesagt: Kanzlerin zu schaffen, oder ob es sich in der Tat um eine Lassen Sie uns das in aller Ruhe debattieren. Art Panikblüte handelt, was den ordnungspolitischen Kurs der Union angeht. Das, was Sie heute gesagt haben, Warum vertagen Sie dann mit Koalitionsmehrheit die und das, was in der letzten Woche in den Medien disku- Debatte über genau diese Punkte seit mehreren Wochen, (B) tiert wurde, ist zumindest ein Zeichen der Hoffnung. Sie zuletzt am Mittwoch im Haushaltsausschuss? (D) haben offensichtlich einige Teile unseres Antrages ge- (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Machen wir nauer gelesen und scheinen ihn jetzt kopieren zu wollen. doch gar nicht! Was haben Sie denn!) (Lachen bei der CDU/CSU) Wir haben jetzt die Tagesordnung für die Sitzung des Wir haben da keinen Autorenstolz. Das ist gut. Wir sind Haushaltsausschusses in der nächsten Woche erhalten. Serviceopposition. Die Lernkurve bei Ihnen ist vielleicht Auch da sind Sie wieder nicht bereit, zu diskutieren. fach, aber sie zeigt in die richtige Richtung. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Wir diskutie- (Beifall bei der FDP – Dr. Heribert Hirte ren doch über die Sache! – Michael Grosse-­ [CDU/CSU]: Drücken Sie mal auf Pause!) Brömer [CDU/CSU]: Wir wollten, dass Sie Aber, Herr Rehberg, sagen Sie uns doch mal, wie Sie Ihre erste Rede halten können!) mit dieser SPD diese Position umsetzen möchten. Deswegen ist der Vorwurf, dass Sie keine Positionierung (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das klappt wollen, weil Sie sich über den Juni und über die Ratssit- sehr konstruktiv!) zung retten wollen, am Ende genau richtig. Die SPD hat schon darauf verwiesen: Der Koalitions- Herr Hirte, ich habe Ihnen genau zugehört. Sie ha- vertrag gilt an dieser Stelle nach wie vor. Am Ende des ben gesagt, dass Sie eine Positionierung nach Artikel 23 Tages sind Ihre Positionierungen nichts anderes als ein Grundgesetz anstreben. Das heißt aber, wie gesagt, nicht, Feigenblatt, dass Sie eine Positionierung wirklich vornehmen wollen. (Cansel Kiziltepe [SPD]: Genau!) (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Braucht man eine Parlamentsmehrheit!) mit dem Sie kaschieren wollen, dass Sie sich in den Koa- litionsverhandlungen von der SPD über den Tisch haben Wir haben am Ende des Tages die Hoffnung auf Sie, auf ziehen lassen. Sie werden mit dieser SPD in keiner Weise die Union noch nicht aufgegeben. Wie gesagt, wir haben diese Positionierung, die Sie hier gerade vorgenommen keinen Autorenstolz. Setzen Sie unseren Antrag auf die haben, durchhalten können. Tagesordnung der nächsten Sitzung des Haushaltsaus- schusses. Dann können wir sehen, ob Sie auch außerhalb (Beifall bei der FDP) von Plenardebatten bereit sind, Farbe zu bekennen und Es ist ja schön, dass Sie, Herr Dr. Hirte, und Sie, Herr sich gegebenenfalls gegen Ihren Koalitionspartner zu po- Rehberg, sich jetzt hier positionieren. Aber ich fnde es sitionieren. 2546 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

Christoph Meyer (A) Ich danke Ihnen. ist es auch so wichtig, dass dieser Deutsche Bundestag (C) seine Vorstellungen klar formuliert. Deshalb ist es gut, (Beifall bei der FDP) dass wir die Debatte heute führen.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Wort hat der Kollege Christian Haase für die Für mich als Haushaltspolitiker sind dabei einige Punkte CDU/CSU-Fraktion. immens wichtig: (Beifall bei der CDU/CSU – Eckhardt Erstens. Die nationalen Parlamente als Hort der De- Rehberg [CDU/CSU]: Guter Mann!) mokratie müssen auch zukünftig die wichtigste Rolle spielen. Christian Haase (CDU/CSU): Zweitens. Ein Weisungsrecht der Europäischen Kom- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen mission an den EWF darf es nicht geben. und Kollegen! Ich hatte jetzt keine Zeit, im Konrad-­ Adenauer-Haus anzurufen, um zu fragen, ob dort noch Drittens. Wir wollen eine Verankerung in den euro- Büros frei sind für unsere neue Serviceeinheit. päischen Verträgen. Einfach ergänzende Vorschriften zu erlassen, wird der Sache nicht gerecht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich werde das Anfang nächster Woche einmal machen Und Viertens. Finanzhilfen aus diesem Fonds müssen und mich dann bei Ihnen melden. wir weiterhin mit Aufagen und Reformbemühungen ver- knüpfen. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das machen die dann in der nächsten Pause, wenn sie wie- (Beifall bei der CDU/CSU) der raus sind!) Das soll sich jetzt nicht nach einem erhobenen Zei- Meine Damen und Herren, ich bin bekennender Euro- gefnger anhören, sondern es soll uns ehrlich machen in päer. Ich war noch nie so sehr wie jetzt davon überzeugt, der Diskussion, in der wir von vornherein klar sagen, dass wir viele der aktuellen Herausforderungen in Euro- was wir wollen. Das entspricht nach meinem Verständnis pa nur gemeinsam lösen können. Dazu bedarf es starker dem Umgang mit unseren Partnern in Europa. Partner. Dazu bedarf es eines starken Europas. Der Gedanke zur Selbsthilfe, den ich eben geäußert (Beifall bei Abgeordneten der SPD) habe, muss sich durch die Diskussion ziehen. Wir wol- len die Eigenverantwortung in den Nationalstaaten nicht (B) (D) In den letzten Monaten bin ich auch darin bestätigt schwächen, sondern wir wollen sie stärken. Man kann das worden, dass wir in Europa unsere Probleme selbst in die durchaus mit einem Freund vergleichen. Auch dem hilft Hand nehmen müssen und nicht auf andere warten kön- man, wenn es ihm einmal nicht gut geht, gerne aus. Aber nen. Deshalb bin ich froh und glücklich darüber, dass wir man wird natürlich darauf achten: Muss ich das jetzt an- uns mit einigen europäischen Partnern darüber einig sind, dauernd machen? Wird es dauernd nötig sein, oder ist es dass wir politische Themen aufgreifen und miteinander eine einmalige Hilfe? Stimmt vielleicht etwas bei seinem umsetzen müssen. Ich nenne den gemeinsamen Digital- System nicht? – Ich glaube, es gehört für uns dazu, wenn markt. Er wird Innovationstreiber sein, er wird langfristig wir nach dem christlichen Menschenbild handeln, dass Arbeitsplätze in Europa sichern. Ich nenne die europä- wir genau danach gucken, ob es systemische Fehler gibt. ische Verteidigungspolitik, die gemeinsame Terror- und Wenn ja, dann werden wir sagen: Es bringt nichts, dir nur Kriminalitätsbekämpfung. Sie wird Europa sicherer ma- Geld zu geben, sondern wir müssen auch gucken, dass chen. Ich nenne den gemeinsamen Kapitalmarkt. Er wird wir deine Gesamtsituation ändern. – Und wir werden ihn uns wettbewerbsfähiger machen und letztendlich dafür auffordern: Auch du musst bitte ein Stück dazu beitragen, sorgen, dass wir mehr Arbeitsplätze in Europa sichern. wenn du nicht weiter im Sumpf versinken willst. – Daran Als Letztes nenne ich Wissenschaft und Forschung; hier denke ich an dieser Stelle, wo wir über die Weiterent- sind, wie ich glaube, noch Effzienzgewinne auf europä- wicklung des EWF diskutieren. ischer Ebene möglich, die wir gemeinsam heben sollten. Ich fnde auch wichtig – das Vorbild ist ja ein wenig Ich denke, dass allein mit diesen Themen Europa auch der IWF –, eine Beratungskomponente zu haben. Diese in Zukunft für seine Versprechen, für Frieden, Freiheit, brauchen wir. Wir sagen ja immer: Das soll erst am Ende Sicherheit und Wohlstand steht. helfen. – Ich glaube, wir müssen mit der Diskussion viel (Beifall bei der CDU/CSU) früher anfangen. Wir müssen erst einmal gucken: Wo läuft etwas schief? – Die Beratungskomponente ist für Meine Damen und Herren, wir sind als CDU/ mich ein wichtiger Gestaltungspunkt, um nachher eine CSU-Fraktion bereit und in der Lage, diese Probleme an- Zustimmung bei uns zu erreichen. zugehen und über Reformen zu diskutieren. Heute spre- chen wir über die Weiterentwicklung des ESM zu einem Meine Damen und Herren, der EWF muss auf dem EWF . Unter den Mitgliedstaaten gibt es dazu unterschied- Haftungsprinzip aufgebaut werden – das hatte ich ge- liche Auffassungen. Ich halte das gar nicht für schlimm. sagt –, er muss zwischenstaatlich organisiert sein, und – Ich glaube, es gehört zu einer guten Demokratie dazu, auch das ist mir wichtig – er kann allenfalls eine Reak- dass man seriös diskutiert, untereinander abwägt und ir- tion auf sogenannte asymmetrische Krisen sein. Einfach gendwann eine vernünftige Entscheidung trifft. Deshalb zu sagen: „Wir nehmen da Geld heraus, wenn es mit der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2547

Christian Haase (A) Konjunktur nicht richtig läuft“, wäre genau der falsche ro-Land einzeln überwacht, sondern gemeinsam. Es gel- (C) Fingerzeig. Es muss defniert werden, wann asymmetri- ten gleiche Regeln für die Banken; sie wurden verschärft sche Krisen vorliegen. Er darf kein einfaches Konjunk- und innerhalb der Staaten harmonisiert. Auch die Ab- turprogramm sein. wicklung von Banken kann jetzt auf europäischer Ebene stattfnden, und das mit Regeln, die eine zwischenstaatli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- che Beteiligung der Eigentümer vorsehen. ordneten der SPD) Doch die Bankenunion ist noch nicht vollendet. Es Ich glaube, wir müssen mit allen Partnern darüber fehlen noch eine Einlagensicherung und die Letztsiche- diskutieren. Es wird in diesen Tagen ja nur von den rung für die Abwicklung. Beide sind notwendig, damit Vorschlägen von Herrn Macron gesprochen. Sie sind das Verzocken einer Bank nicht wieder ganze Staaten an wichtig, und ich will gar nicht sagen, dass er unwichtige den Rand des Bankrotts führt. Das setzt voraus, dass die Reden gehalten hat. Im Gegenteil: Es war ein wichtiger bereits vorhandenen Risiken angemessen reduziert wer- Anstoß und hat die Diskussion in Gang gebracht. Aber den. wir müssen mit den Ländern im Osten und denen im Westen sprechen, wir müssen mit den Nordländern und (Sepp Müller [CDU/CSU]: Jawohl! 2 Pro- den Südländern sprechen. Ich glaube, nur so kommt man zent, wie in Deutschland!) am Ende zu einem Ergebnis, das von allen europäischen Staaten und von der europäischen Bevölkerung getragen Doch Risikoreduktion betrifft nicht nur Ausfallraten bei wird. Insofern brauchen wir Zeit, um zu diskutieren. Wir Krediten. Wir müssen Banken verpfichten, Kapital be- sollten nichts übers Knie brechen. Wir brauchen nicht reitzuhalten, um auch größere Verluste ausgleichen zu schnell ein neues Europa, sondern langfristig ein besse- können. Es darf sich nämlich nicht wiederholen, dass res. Banken mit Steuergeld gerettet werden müssen. Schönen Dank. Die vergangenen Jahre haben uns allen gezeigt: Auch Staaten in der Euro-Zone können fnanziell in Schwierig- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) keiten kommen. Um dieses Problem zu lösen, brauchen wir unserer Ansicht nach einen Europäischen Währungs- Vizepräsidentin Petra Pau: fonds. Wir wollen den ESM also zu einem EWF weiter- Das Wort hat die Kollegin Cansel Kiziltepe für die entwickeln. Die Geburt des ESM war nicht einfach, und SPD-Fraktion. die Geburt des EWF wird auch nicht einfach sein – das haben auch die letzten Tage gezeigt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) (B) (D) Cansel Kiziltepe (SPD): Im Koalitionsvertrag haben wir uns aber darauf geeinigt, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dass wir das tun wollen. Ich empfehle Ihnen, das noch Kollegen! Ich bin doch verwundert über die teilweise zö- mal nachzulesen. gerliche und fahrlässige Haltung gegenüber der Zukunft Europas – in einem Umfeld internationaler Unsicherheit, Es kann aber auch nicht angehen, dass wir eine reine in einem Umfeld, in dem Europa auseinanderzudriften Kopie des IWF machen; denn die Politik des IWF hat droht. Ich frage mich: Was will der Koalitionspartner gezeigt, dass ein Währungsfonds an Legitimität verlieren eigentlich? Hat der Koalitionspartner die Signale nicht kann, wenn er ausschließlich Austerität durchsetzt. Das gehört, den Koalitionsvertrag nicht gelesen? Ich frage wollen wir nicht. mich, Herr Rehberg: Kann es sein, dass Dobrindts Glück (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidel- Ihr Programm ist? Aus unserer Sicht kann Dobrindts berg] [SPD]) Glück nicht unser Programm sein, und schon gar nicht das Programm Deutschlands. Deshalb begrüße ich Vorschläge, die klare Abläufe für die Stabilisierung im Krisenfall vorsehen. Einige Maß- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael nahmen wurden hier auch angesprochen. Dazu gehören Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schön, dass Sie zum Beispiel eine europäische Arbeitslosenversicherung, sich um Herrn Dobrindt und sein Glück küm- ein gewisser Investitionsschutzmechanismus, aber auch mern!) ein Notfallfonds. Welchen Weg wir gehen, werden die Man kann sich jetzt wie ein trotziges Kind in die Ecke kommenden Tage und Wochen und die Gespräche mit stellen und Schwarz-Gelb nachtrauern. Man kann auch, den Partnern hier und in Europa zeigen. wie die Briten, über Bord gehen. Aber man kann auch ge- Eines ist jedoch klar, liebe Kolleginnen und Kolle- meinsam für ein soziales und solidarisches Europa kämp- gen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fen. Wir als Sozialdemokraten wollen mehr Europa, ein sind Europäer. Europa ist für uns eine Schicksalsgemein- solidarisches und soziales Europa. Hierfür ist es notwen- schaft. In Europa liegt unsere Zukunft. Deswegen war es dig, die Statik der europäischen Architektur zu stärken; uns so wichtig, dass Europa an erster Stelle in unserem und das geht nur mit einer Vertiefung der Europäischen Koalitionsvertrag steht, und deswegen werden wir die of- Währungsunion. fene Hand Frankreichs nicht ausschlagen. Seit der Finanzkrise ist bereits einiges in der Euro-Zo- Vielen Dank. ne passiert. Es wurde eine Bankenunion gegründet. Die Großbanken werden jetzt nicht mehr von jedem Eu- (Beifall bei der SPD) 2548 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: wurden, werden wir uns dieses Themas annehmen. Dazu (C) Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan für die müssen aber die Verträge geändert werden. CDU/CSU-Fraktion. (Christian Petry [SPD]: Es ist genau anders- (Beifall bei der CDU/CSU) rum!)

Alexander Radwan (CDU/CSU): – Nein, die Verträge müssen genau deswegen geändert Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich werden. das aufnehme, was der Kollege Toncar gesagt hat, lassen Ich danke Ihnen, dass der Bundesfnanzminister – wir Sie mich festhalten: Der Angeklagte hat immer das letzte haben in den Koalitionsverhandlungen entsprechend Wort. Zumindest sind unsere Bänke besser gefüllt als die zusammengesessen – die Linie von Wolfgang Schäuble Ihren; genau fortführen wird. Eine der Voraussetzungen dafür (Christoph Meyer [FDP]: Unsere Position ist ist, dass, bevor wir in konkrete Verhandlungen, zum Bei- ja klar! Klarer als Ihre!) spiel zur Ausgestaltung von EDIS, eintreten, bestimmte Parameter erfüllt sein müssen, beispielsweise eine signi- ich hoffe, dass Sie beim nächsten Mal, wenn Sie eine fkante Reduzierung der Risiken und eine Anpassung der Aktuelle Stunde beantragen, Ihr Interesse zeigen und in Staatsschuldengewichtung. Das alles sind Vorgaben von entsprechender Zahl anwesend sind. unserer Seite. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir hatten jetzt auch die Meine Damen und Herren, Macron in Berlin, der an- Diskussion über großes Europa, kleines Europa, richtiges stehende Rat im Juni – wenn man hier zuhört, könnte Europa. Ich schaue mal in diese Runde hier: Zumindest man bei der einen oder anderen Wortmeldung denken, ab hier, also jenseits der AfD, diskutieren wir, wie es in dass alle der Meinung sind, im Juni sei alles beschlossen Europa richtig weitergeht. Wir haben eine Gruppierung und durch. Wir wissen genau, dass es in Europa vielfäl- hier, tige Meinungen gibt und dass die deutsche Meinung, die insbesondere in der Unionsfraktion formuliert wurde, (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Partei!) keine singuläre ist, sondern dass es auch andere Staaten gibt, die diese unterstützen. die klipp und klar sagt: Außerhalb Europas wäre es für Deutschland besser. Herrn Hakverdi und auch anderen Rednern der SPD sei gesagt: Wir haben nicht erst seit dieser Legislaturpe- (Widerspruch bei der AfD) (B) riode eine gemeinsame Koalition, sondern schon länger. (D) Bisher haben Sie – zu Recht, muss ich betonen – die – Entschuldigen Sie: Reden Sie mit dem – jetzt ist er Politik des früheren Bundesfnanzministers und jetzi- nicht mehr da –, der bei uns im Finanzausschuss sitzt. gen Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Auf meine Nachfrage, ob es denn besser sei für Deutsch- Schäuble, immer mitgetragen. Das fnde ich gut, und da- land, außerhalb Europas zu sein, hat er dezidiert Ja ge- für bin ich auch dankbar; denn das ist genau der Weg, den sagt. Er hat sich zu Wort gemeldet und Ja gesagt. Reden wir gemeinsam weitergehen werden. So interpretiere ich Sie mit Ihrem Kollegen. Das ist derjenige, den Sie immer auch den Koalitionsvertrag. wieder für Positionen vorschlagen. Das ist die Position, die die AfD im Finanzausschuss vorträgt, meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU) und Herren. Es ist nicht unsere Position, dass es Deutsch- Bei der Diskussion in der letzten Fraktionssitzung – land außerhalb Europas bessergeht. Herr Toncar, Sie haben freundlicherweise darauf Bezug genommen – habe ich einschließlich der Einlassungen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Kanzlerin zu diesem Thema in Bezug auf das Papier, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE das unter Federführung von formuliert GRÜNEN) wurde, keinen Dissens vernommen. Ich habe mich dies- bezüglich auch gerade noch einmal umgehört. Das heißt, Mit dem Großteil hier diskutieren wir über den Weg, das, was Sie in dem Papier gelesen haben, hat letztend- wie wir Europa besser machen. Da sage ich: Wir sollten lich auch die Kanzlerin in der Fraktion bestätigt. Dafür einen Weg fnden, wie die Völker Europas mitgenommen sind Sie, Herr Toncar, doch sicher dankbar, dass das be- werden können und nicht gegeneinander aufgebracht stätigt wurde. werden, einen Weg, der zeigt, dass wir aus den Fehlern gelernt haben. Ein Fehler war, dass bestimmte Regeln (Dr . Florian Toncar [FDP]: Das ist ein Fort- nicht eingehalten wurden. Darum halte ich den Vorschlag schritt!) von Wolfgang Schäuble, den ESM zu einer eigenständi- – Das ist kein Fortschritt, das ist die konsequente Weiter- gen Institution zu machen, für richtig. Haftung und Ri- führung unserer Linie. siko müssen in einer Hand bleiben. Solidarität und Ei- genverantwortung gehen Hand in Hand und dürfen kein Ich sehe im Koalitionsvertrag, auf den ja schon von Widerspruch sein. verschiedenen Seiten Bezug genommen wurde, auch kei- nen Widerspruch zu dem, was Professor Hirte gesagt hat Meine Damen und Herren, lassen Sie uns weiter über und was in dem Papier steht. Wenn im Gemeinschafts- dieses Thema diskutieren, damit dieses Europa eine Zu- recht die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen kunft hat. Oft sind, Herr Kindler, kleine Schritte, die die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 27. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. April 2018 2549

Alexander Radwan (A) Völker mitgehen, besser als große, mit denen wir die Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- (C) Völker in Europa gegeneinander aufbringen. ordnung. Besten Dank. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tags auf Mittwoch, den 25. April 2018, 13 Uhr, ein. ordneten der SPD) Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist beendet. (Schluss: 14.20 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018 2551

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Abercron, Dr. Michael CDU/CSU 20.04.2018 Nietan, Dietmar SPD 20.04.2018 von Pasemann, Frank AfD 20.04.2018 Bareiß, Thomas CDU/CSU 20.04.2018 Pellmann, Sören DIE LINKE 20.04.2018 Barthle, Norbert CDU/CSU 20.04.2018 Pohl, Jürgen AfD 20.04.2018 Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE 20.04.2018 Pols, Eckhard CDU/CSU 20.04.2018 Brantner, Dr. Franziska BÜNDNIS 90/ 20.04.2018 DIE GRÜNEN Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU 20.04.2018 Bülow, Marco SPD 20.04.2018 Rimkus, Andreas SPD 20.04.2018 Freitag, Dagmar SPD 20.04.2018 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ 20.04.2018 DIE GRÜNEN Frohnmaier, Markus AfD 20.04.2018 Schäfer (Saalstadt), CDU/CSU 20.04.2018 Gabriel, Sigmar SPD 20.04.2018 Anita Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 20.04.2018 Scheuer, Andreas CDU/CSU 20.04.2018 Held, Marcus SPD 20.04.2018 Schimke, Jana * CDU/CSU 20.04.2018 Herbrand, Markus FDP 20.04.2018 Schlund, Dr. Robby AfD 20.04.2018 (B) (D) Herdt, Waldemar AfD 20.04.2018 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 20.04.2018 Höferlin, Manuel FDP 20.04.2018 Schulte, Ursula SPD 20.04.2018 Ihnen, Ulla FDP 20.04.2018 Schulz, Jimmy FDP 20.04.2018 Jung, Dr. Christian FDP 20.04.2018 Schulz, Uwe AfD 20.04.2018 Jurk, Thomas SPD 20.04.2018 Solms, Dr. Hermann FDP 20.04.2018 Otto Kapschack, Ralf SPD 20.04.2018 Stark-Watzinger, Bettina FDP 20.04.2018 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ 20.04.2018 DIE GRÜNEN Steinke, Kersten DIE LINKE 20.04.2018 Kemmerich, Thomas L. FDP 20.04.2018 Ulrich, Alexander DIE LINKE 20.04.2018 Keuter, Stefan AfD 20.04.2018 Veith, Oswin CDU/CSU 20.04.2018 Kolbe, Daniela SPD 20.04.2018 Vogel (Olpe), Johannes FDP 20.04.2018 Korkmaz, Elvan SPD 20.04.2018 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 20.04.2018 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ 20.04.2018 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 20.04.2018 DIE GRÜNEN Beate DIE GRÜNEN Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 20.04.2018 Weiler, Dr. h. c. Albert CDU/CSU 20.04.2018 Mieruch, Mario fraktionslos 20.04.2018 Weinberg, Harald DIE LINKE 20.04.2018 Mihalic, Irene * BÜNDNIS 90/ 20.04.2018 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 20.04.2018 DIE GRÜNEN Zimmermann, Pia DIE LINKE 20.04.2018 Müller, Bettina SPD 20.04.2018

Nahles, Andrea SPD 20.04.2018 * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 2552 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 27 Sitzung Berlin, Freitag, den 20 April 2018

(A) Anlage 2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben (C) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Der Bundesrat hat in seiner 966. Sitzung am 23. März Beratung abgesehen hat. 2018 beschlossen, zu dem nachstehenden Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Auswärtiger Ausschuss Erstes Gesetz zu Änderung des Konsulargesetzes Drucksache 19/1053 Nr. A.1 EuB-BReg 11/2018 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Drucksache 19/1053 Nr. A.2 gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von EuB-BReg 2/2018 einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Drucksache 19/1382 Nr. A.1 absehen: EuB-BReg 15/2018

Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- Ausschuss für Wirtschaft und Energie terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Drucksache 19/910 Nr. A.75 Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Ratsdokument 14111/17 Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspo- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft litik vom 26. bis 28. April 2017 in Malta Drucksache 19/910 Nr. A.84 EP P8_TA-PROV(2017)0328 Drucksachen 19/1139, 19/1381 Nr. 1 Drucksache 19/910 Nr. A.85 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- EP P8_TA-PROV(2017)0395 terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Drucksache 19/910 Nr. A.86 Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Ratsdokument 11166/17 Sicherheits- und Verteidigungspolitik Drucksache 19/1053 Nr. A.24 Ratsdokument 5115/18 (B) Tagung der Interparlamentarischen Konferenz (D) für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspoli- tik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik vom 7. bis 9. September 2017 in Tallin Ausschuss für Arbeit und Soziales (Estland) Drucksache 19/910 Nr. A.90 Drucksachen 19/1141 19/1381 Nr. 2 Ratsdokument 11585/17 Drucksache 19/910 Nr. A.91 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ratsdokument 14733/17 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/910 Nr. A.92 Ratsdokument 14735/17 Jahresgutachten 2017/2018 des Sachverständigen- rates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Verteidigungsausschuss Drucksache 19/80 Drucksache 19/1382 Nr. A.6 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- EuB-BReg 17/2018 genabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Bericht der Bundesregierung zur Bildung für nach- haltige Entwicklung Drucksache 19/910 Nr. A.101 Ratsdokument 9744/17 – 18. Legislaturperiode – Drucksache 19/1252 Nr. C.55 Drucksachen 18/13665, 19/899 Nr. 4 Ratsdokument 9669/17

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