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Sendung vom 05.07.2002

Anke Fuchs Bundestagsvizepräsidentin im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum Alpha-Forum, heute aus dem Hotel Bayerischer Hof in München. Ich freue mich, einen besonderen Gast begrüßen zu dürfen, Anke Fuchs, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes. Anke Fuchs war schon Bundesministerin unter und, als erste Frau, Bundesgeschäftsführerin der SPD. Ich freue mich, dass Sie heute hier sind, herzlich willkommen, Frau Fuchs. Fuchs: Danke schön. Reuß: "Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen", sagte einst , der langjährige Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen . Was ist Politik für Anke Fuchs? Fuchs: Für mich ist das die Grundeinstellung, dass man sich um andere kümmern muss. Das ist die Vorstellung, dass man nicht nur sich selbst sehen darf, sondern wirklich schauen muss, in welchem Umfeld man lebt. Für mich ist das aber auch das Urvertrauen darin, dass ich durch Politik etwas ändern kann. Wenn ich nun so Revue passieren lasse, was ich in meinem Leben alles gemacht habe, dann kann ich Ihnen dafür ein kleines Beispiel geben. 1980 habe ich noch in der Regierung Helmut Schmidt das Mutterschaftsurlaubsgesetz durchgesetzt: Dies bedeutete für ein Jahr die Fortzahlung von etwas Geld, aber vor allem die Sicherung des Arbeitsplatzes. Jetzt, nach 20 Jahren, steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich auf der Tagesordnung: Wir haben Elternteilzeit, wir haben Anspruch auf Elternurlaub und wir sind dabei, nun endlich auch Ganztagsschulen anzubieten. Das heißt, man kann sehr wohl etwas gestalten: Es dauert halt fürchterlich lange. Das ist etwas, das man lernen muss und das man jungen Leuten heute leider eben auch sagen muss. Reuß: "Wäre die Politik ein Auto, ich fürchte, sie käme seit Jahren nicht mehr durch den TÜV", sagte der langjährige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel einmal. Teilen Sie seine Einschätzung? Fuchs: Nein, überhaupt nicht. Die Nachkriegszeit war einfacher, das stimmt: Dort, wo man lebte, konnte man auch tatsächlich etwas tun. Man konnte aufbauen, man konnte für Arbeit sorgen, man konnte für Wohnungen sorgen usw. Und darum herum wurde dann noch so ein bisschen Außenpolitik gemacht. Heute leben wir zwar immer noch in Deutschland, aber wir leben eben auch in Europa und in einer globalisierten Welt. Aber diese Welt kann man gestalten. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen und auch die Politik nun so langsam begreifen, dass man da nicht alles auf sich zukommen lassen kann, sondern dass nun die Frage auf der Tagesordnung steht, wie dieser Welthandel unserer Meinung nach jetzt eigentlich aussehen soll. Wir wollen ihn ja nicht nur frei haben, sondern wir wollen auch, dass er fair ist. Also machen wir uns auf den Weg – und das ist eben meine Erfahrung im Hinblick auf langfristige Entwicklungen –, diese Globalisierung zu gestalten. Und da komme ich eben mit diesem Auto, um auf Herrn Rommel zurückzukommen, durch den TÜV sehr wohl durch. Es dauert nur eben ein bisschen, denn man steht dabei schon auch mal des Längeren im Stau, um mal bei diesem Bild zu bleiben. Aber ab und zu hat man auch freie Fahrt. Diese freie Fahrt muss man nutzen, um etwas zu bewegen. Reuß: Sie haben einmal in Ihrem Buch "Mut zur Macht" auch Max Weber zitiert: "Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Körperteilen und auch nicht mit der Seele." Muss Politik aber nicht doch auch ein wenig Seele verkörpern? Muss sie nicht manchmal sogar aus dem Bauch heraus gemacht werden? Fuchs: Sie muss die Gefühle und die Befindlichkeiten der Menschen erreichen. Aber wenn man dann auch etwas durchsetzen will, dann ist es schon gut, wenn man seinen Kopf benutzt. Die Emotionalität ist schon wichtig, das stimmt, aber das ist nur die Verpackung: Ansonsten muss das Konzept stimmen! Man muss in die Zukunft schauen und eine langfristige Perspektive haben. Und dann muss man sich eben auf den Weg machen und sagen: "So, das setze ich jetzt mal um!" Das heißt im Sinne von Max Weber, dass man in der Politik dicke Bretter bohren muss. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Bretter dicker geworden sind als früher. Aber das kann ich nicht genau beurteilen. Es ist jedenfalls so, dass es sich auch heute lohnt, sich auf dem Gebiet der Politik zu engagieren. Die Seele erwähne ich deswegen immer, weil man ja aufpassen muss, dass man im politischen Geschäft nicht beschädigt wird. Mein Vater hat damals zu mir immer gesagt: "Lass die Politik nicht an dein Herz herankommen, und auch nicht an deine Seele!" Das heißt, mein eigenes, persönliches Leben, mein Ich, darf durch die Politik nicht beschädigt werden. Deswegen ist auch ein gehöriges Maß an Distanz ganz wichtig. Es ist auch ganz wichtig, dass man sich selbst nicht zu wichtig nimmt und meint, man sei irgendwie unentbehrlich. Wenn man man selbst bleibt und mit sich selbst auch etwas anzufangen weiß, dann ist man meiner Meinung nach auch als Politikerin besser. Das ist das mit der Seele: Da lasse ich die Politik lieber nicht herankommen. Reuß: Sie sind seit 1998 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Was macht denn eine Vizepräsidentin eigentlich? Fuchs: Eine Vizepräsidentin leitet zunächst einmal die Sitzungen. Es gibt ja den Präsidenten und fünf Vizepräsidenten. Während der Tage der Plenardebatten lösen wir uns darin alle zwei Stunden ab und hören den Debatten zu. Daneben bilden wir auch das Präsidium: Wir sind sozusagen für die ganze Ordnung dieses Hauses namens Bundestag im Reichstagsgebäude in Berlin zuständig. Das Spannendste für mich als Vizepräsidentin ist das Zuhören: Ich habe mir nämlich vorgenommen, ich höre zu! Wie der Zufall es will, höre ich eben auch bei Themen, die ich nicht kenne, zu. Da ist es ganz toll, auch mal abzuchecken, ob man das, was die Kollegen da vortragen, überhaupt versteht, welche Partei die besseren Argumente hat usw. Deswegen empfehle ich auch immer den Mitbürgern und Mitbürgerinnen: "Hört doch einfach mal zu! Lasst Euch mal ein auf eine Debatte zu einem Thema, das Ihr gar nicht kennt, denn dann werdet Ihr sehen, dass Politik etwas ganz Faszinierendes ist!" Ich möchte aber hinzufügen, dass man als Bundestagsvizepräsidentin auch noch sehr viele repräsentative Aufgaben hat. Deutschland ist ein Land, das sehr viele ausländische Delegationen empfängt. Diese Besucher kommen dann eben zum Vizepräsidenten, um Gespräche über Deutschland, über die Politik, über Außenpolitik usw. zu führen. Ich habe deswegen in den letzten vier Jahren auch sehr viele außenpolitische Initiativen entfaltet, auch sehr viele Reisen gemacht und wirklich sehr viele Besucher empfangen. Reuß: Sie sind seit über 30 Jahren aktiv in der Politik. Seit langem schon bekleiden Sie auch Spitzenämter in Staat und Partei. Hat sich denn die Politik Ihrem Empfinden nach in diesen Jahren verändert? Und wenn ja, in welche Richtung? Fuchs: Es war immer schwer. Es war immer schon schwierig, Menschen für die Partei zu gewinnen. Wir hatten in der Zeit von und seiner Ostpolitik zwar mal einen großen Durchbruch, aber ansonsten war Organisations- und Parteiarbeit immer schon schwierig. Was sich verändert hat, ist natürlich die Hektik. Man konnte früher guten Gewissens ein Thema aufwerfen und sagen: "Ich habe die Absicht, eine neue Rentenpolitik zu formulieren!" Damit konnte man an die Presse gehen und es gab im Anschluss daran einen gesellschaftlichen Diskurs. Irgendwann wurde das dann alles zusammengefasst. Heute muss bei einem Projekt schon die allererste Schlagzeile stimmen, sonst ist das Thema erledigt. Denn kein Mensch verfolgt heute mehr einen Diskussionsprozess, sondern jeder fragt nur noch, was die Message des heutigen Tages ist. Wenn man sich die "Tagesschau" usw. ansieht, dann stellt man fest, dass es da immer nur um die Messages des jeweiligen Tages geht. Die langfristigen Entwicklungen, die wir gerade jetzt dringend bräuchten, sind heute nur noch sehr schwer zu vermitteln. Das ist ja jetzt im Wahlkampf ebenfalls ein Problem: Wir argumentieren nur noch nach Schlagzeilen und zeigen eben nicht mehr die langfristigen Perspektiven auf. Das hat sich alles verändert. Und es hat sich – hier komme ich nun wieder auf "Seele" und "Herz" zurück – auch noch Folgendes verändert: Man steht als Spitzenpolitiker – ich selbst stand ja immer eher in der zweiten, denn in der ersten Reihe – auch persönlich so in der Öffentlichkeit, dass ich das fast nicht mehr erträglich finde. Da würde ich mir doch insgesamt ein bisschen mehr Distanz wünschen. Aber ich glaube auch, dass das möglich wäre. Die jungen Menschen, die nun vorwärts drängen, freuen sich natürlich auch auf Medienbekanntschaften und auf die Öffentlichkeit. Aber ich sage auch jungen Politikern und Politikerinnen immer wieder, dass manchmal weniger wirklich mehr bedeuten kann. Denn dadurch bleibt man eher man selbst und hat so wiederum mehr Ausstrahlung. Dies ist der bessere Weg, als wenn man meint, zu jedem Thema "ins Mikrophon beißen" zu müssen. Reuß: Sie haben es schon angesprochen: Die Politik steht heute natürlich auch unter dem Druck der Medien. Da ist das 30-Sekunden-Statement wichtiger als die Analyse und die Diskussion; da ist das Äußere vielleicht sogar wichtiger als der Inhalt bzw. die Inhalte. Aber manche Politiker fahren auch auf diesem Dampfer und nutzen die Medien so virtuos es eben irgendwie geht. Sie haben mal ein schönes Bild geprägt, denn Sie haben vom Schaukelpferd-Prinzip gesprochen: "Ein heftiger Schaukler nach vorne, dann einen zurück – das ist viel Bewegung, aber passiert ist eigentlich nichts!" Ist das ein heutiges Prinzip der Politik, das durch die Medien bedingt ist? Fuchs: Ich glaube, jeder, der heute in der Politik ist, muss die Aufmerksamkeit der Medien haben. Man muss sich also darauf einstellen in dem Sinne, dass man sich fragt, was man anziehen soll, welche Bluse man tragen soll usw. Wenn man mal im Fernsehen zu sehen war, dann kann man manchmal die Menschen Folgendes fragen: "Was habe ich denn gesagt?" Als Antwort bekommt man dann häufig zu hören: "Ach, das weiß ich nicht, aber deine Bluse war ganz in Ordnung!" Solche Reaktionen bekommt man auf diese von Ihnen angesprochenen Statements. Dies muss also jeder Politiker heute beherrschen. Wenn man darüber nachdenkt, wie Politik gelaufen ist, dann muss man trotzdem sagen, dass sich doch viel gestaltet und bewegt hat. Sie müssen in dem Zusammenhang ja nur mal an die fünfziger, sechziger oder achtziger Jahre denken. Denken Sie mal an den Reformstau von Mitte der achtziger bis in die Mitte der neunziger Jahre usw. Jetzt endlich sind wir so weit, dass wir sagen: "Zuwanderung muss kommen!" Jetzt sind wir so weit, dass wir sagen: "Europa ist unser größtes Ziel!" Jetzt sind wir so weit, dass wir aus der Kernenergie ausgestiegen sind. Jetzt sind wir so weit, dass wir Ganztagsschulen anbieten wollen usw. Das heißt, es bewegt sich schon etwas. Deswegen bin ich auch im Hinblick auf die Zukunft durchaus zuversichtlich. Reuß: Eine Zeitung hat einmal geschrieben, Kraft und Durchsetzungsvermögen, Zuverlässigkeit und Kontinuität seien die Stärken von Anke Fuchs, Ungeduld ihre Schwäche. Trifft das zu? Fuchs: Die Ungeduld trifft ganz gewiss zu. Das ist schon sehr freundlich beschrieben: Ich bin immer schon ungeduldig gewesen, weil man ja schließlich etwas fertig bringen möchte. Im Alter wird man dann ein bisschen geduldiger, aber nicht sehr. Deswegen höre ich auch auf im Deutschen Bundestag: Man hat nämlich alle Themen schon einmal durchbuchstabiert. Da wird man dann ungeduldig, wenn die Jüngeren, die es erst lernen müssen, Argumente gebrauchen, von denen man sagt: "Das haben wir doch eigentlich hinter uns!" Man wird ungeduldig, wenn – um das mal mit Willy Brandt zu sagen – wir schon mal weiter waren. Aber es ist durchaus möglich, dass man die eigene Ungeduld ein bisschen bremsen kann: Man kann ganz gut lernen, damit umzugehen. Reuß: Ich würde hier gerne inhaltlich einen kleinen Schnitt machen, um zu Ihnen als Person zu kommen und unseren Zuschauern den Menschen Anke Fuchs näher vorzustellen. Sie sind am 5. Juli 1937 in geboren. Sie waren zwei Jahre alt, als der Krieg begann, und acht Jahre alt, als er zu Ende ging. Sie haben einmal geschrieben: "Die Erleichterung darüber, dass der Krieg zu Ende war, hat meine Kindheit besonders geprägt." Was ist Ihnen im Gedächtnis geblieben von diesem schrecklichen Krieg? Fuchs: Ich bin, wie Sie gesagt haben, Jahrgang 1937 und war dementsprechend acht Jahre alt, als der Krieg zu Ende war. In Erinnerung geblieben sind: Bombennächte, Angst vor Bomben. In unserem Haus in Blankenese in Hamburg sind auch tatsächlich alle Fensterscheiben kaputt gegangen. Die Schule war ebenfalls kaputt - das fand ich gar nicht so schlecht. Wir haben jedenfalls in Angst gelebt. Mein jüngerer Bruder, Knut Nevermann, ist im Jahr 1944 geboren und war eben auch mit uns im Kohlenkeller, wenn die Angriffe kamen. Er schrie dabei natürlich aus Leibeskräften, weil er eben auch beunruhigt war. Das war jedenfalls eine Zeit, die mich so geprägt hat, dass ich nach dem Krieg manchmal noch auf dem Flur stand, eine Bettdecke unter dem Arm hatte und zu meiner Mutter sagte: "Wir müssen in den Keller!" Die Befreiung haben wir durchaus als solche erlebt, denn meine Eltern waren ja keine Nationalsozialisten, sondern verfolgte Sozialdemokraten. Für uns war das Kriegsende daher wirklich eine Befreiung, die Befreiung von der Naziherrschaft. Insofern hat mich diese Kriegszeit und dann diese fröhliche, wenn auch arme und unter ganz anderen Umständen als heute gelebte Nachkriegszeit sehr stark geprägt. Mein Vater wurde danach auch sofort wieder politisch aktiv. Meine Mutter engagierte sich im Ortsverein in Blankenese. Wir Kinder sind überall mit hingegangen. Wir haben das wirklich als Befreiung empfunden und wir hatten natürlich auch den Wunsch, nun selbst wieder zu gestalten. Diese Einstellung, den Leuten helfen zu wollen und nicht nur an sich selbst zu denken, hat mich sehr geprägt. Meine Eltern haben uns das auch wirklich vorbildlich vorexerziert. Reuß: Ihre beiden Eltern waren also politisch sehr aktiv. Paul Nevermann, Ihr Vater, war später Bausenator und dann... Fuchs: Am Anfang war er Sozialsenator: Was glauben Sie, was es wohl bedeutet hat, in der Nachkriegszeit in Hamburg Sozialsenator zu sein? Das war viel spannender als die Tatsache, dass er dann nachher der erste Mann in dieser Stadt war. Reuß: Ihre Mutter führte, was ja auch nicht selbstverständlich war, einen Ortsverein der SPD. Sie war also kommunalpolitisch ebenfalls sehr aktiv. Hat Sie diese politische Arbeit Ihrer Eltern geprägt? Fuchs: Ja, sie hat mich natürlich sehr geprägt. Ich habe allerdings nicht nur Politik gemacht: Ich bin zur Schule gegangen, habe mich kulturell interessiert. Und ich habe dann während der Referendarzeit, ich bin ja Juristin, meinen Mann kennen gelernt. Damit erschloss sich für mich etwas ganz Neues: Denn er kam eben nicht aus einem solchen sozialdemokratischen Elternhaus, sondern aus einem bürgerlichen Zuhause, wie man so sagte. Er ist zwar Sozialdemokrat, aber er stammt aus einem bürgerlichen Zuhause. Ich hatte da eben das große Glück, hier in München die Familie von Walther von Miller kennen zu lernen, einem der CSU-Begründer, der dann auch eine Zeit lang Bürgermeister der Stadt München war. In diese Familie hineinzukommen und zu lernen, dass es auch dort Menschen gibt, die nicht für, sondern gegen die Nazis gewesen sind, die sich über das so genannte Drückebergergaßl um den Hitlergruß an der Feldherrnhalle vorbeimogelten und die sich nach dem Krieg in München politisch aktiv betätigten und hier etwas für die Menschen taten, war eine große Bereicherung für mich. Sie können sich vorstellen, welche Debatten wir da in dieser Familie hatten. Ich, als junge Sozialdemokratin, war natürlich noch sehr aggressiv und kämpferisch, als ich in dieses große, bürgerliche Haus kam, das mehr davon lebte, dass man Argumente gebrauchte. Das waren ganz spannende Zeiten für mich. Ich ging dann als Sozialdemokratin zu den Gewerkschaften und das war natürlich Walther von Miller und seine Familie etwas befremdlich, vor allem, weil ich ja auch noch zur IG-Metall gegangen bin. Wir haben uns aber dennoch fabelhaft verstanden und sehr viel voneinander gelernt. Das hat mich wirklich sehr geprägt. Ich erzähle das auch deswegen, um aufzuzeigen, dass meine Interessenlagen sehr wohl vielseitig und vielschichtig gewesen sind: Da hat es nicht immer nur SPD- Ortsvereinsarbeit gegeben. Reuß: In Ihrem Elternhaus gingen ja auch große Persönlichkeiten ein und aus: , Herbert Wehner und, wenn ich mich nicht täusche, auch . Wie haben Sie denn diese Menschen ganz persönlich erlebt? Fuchs: Sie waren uns gegenüber sehr nett. Weil sie ja wussten, was es heißt, wenn man nicht diskutieren darf, waren sie alle sehr darauf aus, dass wir zuhören durften. Es gab diese eine schöne Geschichte, die ich allerdings mehr aus dem Nachvollzug kenne. Das war die Geschichte, als Pieck und Grotewohl nach Hamburg kamen, um meinen Vater davon zu überzeugen, dass die SPD nun mit den Kommunisten zusammengehen müsste. Da aber mein Vater ebenso wie wir alle antikommunistisch waren, hat er das natürlich nicht gemacht. Sie sind damals jedenfalls zu uns nach Hause gekommen und gingen dann auf verschiedene Spaziergänge: Die einen so herum und die anderen so herum ums Haus, um sich auszutauschen. Das habe ich doch noch in lebhafter Erinnerung. Wenn Kurt Schumacher mit seiner Sekretärin zu uns kam, dann war das deshalb so schön für uns, weil sie uns immer etwas zu Essen mitbrachten. Denn sie hatten andere Lebensmittelkarten als wir und aus dem Grund habe ich deren Besuche wirklich noch in sehr prägender Erinnerung. Kurt Schumacher war für uns Kinder auch deshalb interessant, weil er wirklich mit uns diskutierte bzw. uns etwas vermitteln wollte und konnte. Wenn man ihn aber gebeten hat, uns etwas über seine Zeit im KZ zu erzählen, sagte er immer nur: "Nein, ich will euch den Glauben an die Menschheit nicht vermiesen. Darüber spreche ich nicht!" Das waren wirklich prägende Persönlichkeiten für mich. Ich habe ja auch noch, weil ich nun schon so lange bei der IG-Metall bin, Otto Brenner kennen gelernt. Noch bevor er starb, bin ich geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG-Metall geworden. Er war von der Herkunft her ebenfalls jemand, der uns diese ganze Nazizeit samt Verfolgung und die Nachkriegszeit mit dem Wiederaufbau quasi prägend vorgelebt hat. Das hat natürlich schon Eindruck gemacht auf mich. Reuß: Sie haben 1956 Abitur gemacht und sind dann auch in die SPD eingetreten. Ihre beiden Brüder waren ebenfalls politisch aktiv. Ihr Bruder Knut war sogar einer der Sprecher der APO in den Jahren um 1968. Sie haben einmal geschrieben, dass er, weil er eben sechs Jahre jünger ist, sich in einigen Punkten von Ihnen unterscheiden würde: "Ihn unterscheidet von mir und meinem zwei Jahre älteren Bruder Jan, dass wir den Krieg noch erlebt haben und er nicht." Gilt das auch für die gesamte so genannte 68er- Generation, dass ihr diese Kriegserlebnisse – Gott sei Dank – fehlten? Wären diese Jahre um 1968 also möglicherweise anders verlaufen, wenn sie diese Kriegserlebnisse gehabt hätten? Fuchs: Das kann ich nicht beurteilen, aber das ist natürlich schon ein Schnitt. Die ganze 68er-Generation – einschließlich der jetzigen Bundesregierung – hat den Krieg und die Bombenängste nicht mehr miterlebt. Sie haben sicherlich ebenso wie ich eine ähnliche Einstellung zu Kriegsvermeidung. Mich aber hat dieser Krieg geprägt, meinen Bruder nicht. Ich habe das an vielen Diskussionen gemerkt, weil sie mit manchen Dingen wirklich leichter umgingen, weil sie im Grunde genommen auch dieses Wiederaufbauen eines zerstörten Landes anders erlebt haben. Ich habe sozusagen noch gesehen, wie mein Vater selbst mit Hand angelegt hat, als wieder Stein auf Stein gesetzt wurde, wie die Trümmerfrauen meine Mutter begleitet haben usw. Das hat die Generation meines Bruders nicht mehr miterlebt: Sie sind ja schon in einen kleinen Wohlstand hineingewachsen – auch wenn das damals natürlich ein bisschen ärmlicher war als heute. Insofern sind sie in manchen Dingen – was ja auch gut ist – ein bisschen lockerer und gehen mit einigen Themen auch leichter um, als wir das getan haben. Es kam dann auch noch die Tatsache hinzu, dass diese 68er-Generation ihre Wirkung in der Zeit der Großen Koalition zwischen 1966 und 1969 entfaltete: Genau da war ja die SPD bereits in der Regierungsverantwortung. Ich war da über die IG-Metall sozusagen schon mit dabei. Wir haben in dieser Zeit auch bereits Reformen durchgesetzt: die Mitbestimmung, ein schönes Wirtschaftsgesetz usw. Die 68er haben das alles ja negiert und haben sozusagen fast zu spät mit ihrem Protest begonnen. Sie haben damit eigentlich die Falschen getroffen, denn Willy Brandt als reformunfähig anzusehen, war natürlich auch ein bisschen unfair. Das lag meiner Meinung nach einfach an dieser Generationenkonstellation. Reuß: Sie haben Jura studiert und 1960 und 1964 Ihre beiden Staatsexamina jeweils mit Prädikat abgeschlossen. Würden Sie sagen, Sie seien ein ehrgeiziger Mensch? Fuchs: Ja, ich bin auch ehrgeizig. Aber ich bin auch nicht so intelligent: Ich muss ziemlich viel arbeiten dafür! Ich habe eigentlich immer ziemlich solide gearbeitet in meinem Leben. Reuß: Ihnen hätten mit diesem Prädikatsexamen sehr viele Wege offen gestanden: Sie wollten ursprünglich sogar mal Richterin werden. Fuchs: Ja, ich wollte mal Richterin werden. Reuß: Sie sind dann aber zum DGB gegangen. Warum? Fuchs: Ich wollte tatsächlich Richterin werden und mein Mann wurde Beamter, denn wir waren damals bereits verheiratet. Er wurde in Hamburg Beamter und hat dann eine ganz schnelle Beamtenkarriere gemacht. Aus dem Grund haben wir uns damals gesagt, dass wir nicht beide in den öffentlichen Dienst gehen sollten. So kam es, dass ich zum DGB gegangen bin als Rechtsschutzsekretärin: Ich habe damals viele Arbeitsrechtsprozesse für Arbeitnehmer geführt. Noch in Hamburg wurde ich dann IG-Metall Bezirkssekretärin. Danach ging - nachdem ich dann auch zwei Kinder hatte - sozusagen die Post ab: Ich wurde 1971 in den Vorstand der IG-Metall gewählt. Mein Gott, wenn ich an diese Zeit denke! Mein Mann ist im Jahr 1971 von Hamburg nach Bonn gegangen, um dort die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung mit aufzubauen. Ich zog mit unseren zwei kleinen Kindern nach Frankfurt und war dann im Vorstand der IG-Metall. Irgendwie haben wir das aber hinbekommen. Reuß: Sie waren dort im Vorstand die erste Frau. Fuchs: Nein, Frauen hatte es schon vor mir welche gegeben, wenngleich immer nur jeweils eine. Ich war ebenfalls Nachfolgerin einer Frau geworden. Aber ich war die erste Akademikerin im Vorstand und gleichzeitig auch noch eine junge Frau. Die Männer sagten immer zu mir: "Was willst du denn hier bei uns? Du bist eine Frau, die mit einem Beamten verheiratet ist und die zwei kleine Kinder hat. Warum kümmerst du dich nicht stattdessen um deine Kinder?" Das war schon eine seltsame, aber auch hoch interessante Zeit. Reuß: Sie haben es schon gesagt: Heute klingt das alles so selbstverständlich, damals war es keineswegs selbstverständlich, als junge Frau mit zwei Kindern diesen Weg zu beschreiten. Sie wollten jedenfalls weiterhin berufstätig sein und alles unter einen Hut bringen. Sie haben einmal über Ihre Familie geschrieben: "Wir waren im Grunde genommen die Ersten, die alles unter einen Hut zu bringen versuchten: Beruf, Familie, Haushalt und Erfolg. Für Männer war das ein gewöhnungsbedürftiger Anspruch: Eine Frau mit zwei kleinen Kindern strebt nach Erfolg und Bestätigung in der Politik. Ich war für die einen ein Paradiesvogel und für die anderen eine Rabenmutter." Wie war das für Ihre Kinder? Waren Sie für Ihre Kinder eher der Paradiesvogel, sodass sie toll fanden, was ihre Mutter macht? Oder waren Sie für Ihre Kinder eher, wenn ich das so brutal fragen darf, die Rabenmutter? Fuchs: Das müssten Sie eigentlich eher meine Kinder fragen. Aber ich kann Ihnen hier immerhin anekdotisch ein bisschen aushelfen. Wir hatten damals in Hamburg erstens noch die Hilfe meiner Mutter. Nachher hatte ich dann immer ein Kindermädchen bzw. eine Haushaltshilfe. Mein Mann hat mir dabei immer sehr geholfen: Ich habe ja den emanzipiertesten Mann der Welt geheiratet. Er hat wirklich selbst mit Hand angelegt und geholfen. Darüber hinaus hatten wir aber auch ein paar Prinzipien. Das erste Prinzip war: keine Akten mit nach Hause! Wenn ich nach Hause kam, war ich für die Kinder da. Wir hatten Zeiten um Weihnachten, um Ostern und dann in den großen Sommerferien, in denen wir mit den Kindern viel verreisten. Wir haben auch ganz bewusst die Wochenenden – insoweit man Zeit hatte – mit den Kindern verbracht. Es gibt da noch eine kleine nette Geschichte. Als meine Tochter noch klein war, habe ich zu ihr immer gesagt: "Wenn du krank bist, dann bleibe ich zu Hause!" Sie wurde dann eines Tages krank und ich blieb auch tatsächlich zu Hause. Nach zwei Stunden sagte sie dann zu mir: "So, jetzt geht es mir besser, jetzt kannst du wieder zur Arbeit gehen!" Das heißt, hier war doch ein schönes gegenseitiges Vertrauen aufgebaut worden. Zu meinem 60. Geburtstag haben beide Kinder gesagt: "Du warst zwar nicht viel anwesend, aber du warst immer da." Meine Kinder waren auch sehr geschickt darin, mich aus irgendwelchen Sitzungen herauszuholen. Sie wussten immer, wo ich bin. Ich war nämlich telefonisch immer erreichbar. Meine Tochter ist z. B. immer mit mir in Sitzungen gegangen und saß dann neben Herbert Wehner: Sie bekam eine Coca- Cola und was zu zeichnen und hat dann gespielt oder auch zugehört. Auch mein Sohn ging manchmal mit und sagte dann zu mir immer wieder: "Warum reden die so lange? Das ist ja schrecklich!" Sie sehen, ich habe meine Kinder also auch dorthin mitgenommen. Insofern war ich wohl keine Rabenmutter, denn sie sind schon auch stolz auf mich. Aber ich erzähle hier eigentlich schon mehr, als ich darf: Denn wir haben bei uns zu Hause ausgemacht, dass Familiengeschichten nicht in die Öffentlichkeit gehören. Das habe ich auch immer gut eingehalten. Viele Menschen denken daher, ich sei unverheiratet und hätte gar keine Kinder. Darauf bin ich sogar stolz, denn das wollte ich ja genau so haben: Sie sollten über mich reden und nicht über meine Familie. Reuß: Sie haben geschrieben, Männer würden unbefangener Karriere machen als Frauen. Haben Sie gegenüber Ihren Kindern auch manchmal ein schlechtes Gewissen gehabt? Fuchs: Sehr, und wie, natürlich. Da wir ja über eine Zeit von vor 30 Jahren sprechen, können Sie sich natürlich auch denken, wie damals das ganze Umfeld darauf reagiert hat. Damals war das alles noch sehr unüblich. Die ganze Verwandtschaft war dagegen und auch mein Schwiegervater schrieb nach der Geburt meiner Tochter, nun sei es wohl an der Zeit, zu Hause zu bleiben. Wenn mich mein Mann nicht so toll unterstützt hätte, dann hätte ich es wahrscheinlich auch anders gemacht. Ich finde es sehr, sehr gut, dass man eben so etwas wie die Elternzeit hat: Man kann in den ersten drei Jahren des Kindes überlegen, was man macht und wie man damit umgeht. Ich selbst habe ja schon nach acht Wochen Mutterschutzfrist weitergearbeitet. Sich wie heute jedoch intensiver um die kleinen Kinder kümmern zu können, das alles noch mehr selbst entscheiden zu können, ist doch ein Riesenfortschritt. Reuß: Bei Ihnen ging es dann ja karrieremäßig unglaublich steil voran. Sie waren nicht nur im Vorstand der IG-Metall, sondern kamen dann auch in die Hamburger Bürgerschaft. Sie trafen dort auf eine, wie ich finde, sehr bemerkenswerte Konstellation, denn Ihr Vater saß zu der Zeit ebenfalls noch in der Hamburger Bürgerschaft. Fuchs: Richtig. Reuß: Sie haben damals Ihre Jungfernrede zum Schwangerschaftsabbruch gehalten. Fuchs: Ja, das war im September 1971. Reuß: Ich glaube, das war ein Bekenntnis zur Fristenlösung, was damals ja auch nicht so selbstverständlich war: Wie hat denn Ihr Vater auf Ihre Jungfernrede reagiert? Fuchs: Er fand das sehr gut und war auch sehr stolz auf mich. Sie müssen nämlich wissen, dass diese Teile der Arbeiterbewegung noch aus der Weimarer Zeit selbstverständlich immer für Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen eingetreten ist. Insofern lag ich also voll auf seiner Linie. Ich habe übrigens im September, genau 30 Jahre später, also im Jahr 2001, im Deutschen Bundestag zum gleichen Thema eine Rede gehalten. Sie sehen also, man muss immer auch die langfristigen Entwicklungen beachten. Wenn man ungeduldig ist, so wie ich, dann ist das freilich manchmal ein bisschen schwierig. Reuß: Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass es damals in der Hamburger Bürgerschaft einige Frauen gegeben hat, die ganz taff waren, die etwas bewegen, die neuen Wind hineinbringen wollten. Das waren z. B. Helga Schuchardt von der FDP oder Birgit Breuel von der CDU, die dann später in Niedersachsen Ministerin und noch später Chefin der Treuhandanstalt geworden ist. Sie haben aber auch geschrieben: "Illusion geblieben ist und bleibt die Solidarität der Frauen über Parteigrenzen hinweg." Warum ist das so? Fuchs: Weil wir eben aus unterschiedlichen Wertvorstellungen kommen. Wenn ich ein Thema wie Straffreiheit beim Schwangerschaftsabbruch habe, dann sind die Frauen aus der CDU selbstverständlich anderer Meinung als ich. Dieses Thema kann man also mit ihnen zusammen schon mal nicht regeln. Ich muss aber sagen, dass wir gerade bei diesem Thema der Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen parteiübergreifend etwas hinbekommen: Das haben tatsächlich die Frauen initiiert. Insofern ist die Solidarität unter den Frauen, wie ich glaube, ein bisschen besser geworden. Was Frauen aber über Parteigrenzen hinweg verbindet, ist die Tatsache, dass man über Familie und Kinder spricht, was Männer ja nie machen – gut, heute tun sie das ein bisschen mehr als früher. Früher hat nie irgendein Mann erzählt, wie es den Kindern geht oder was seine Frau macht. Die Kolleginnen, auch im Deutschen Bundestag, sprechen darüber jedoch sehr wohl. Wenn man Erziehungsprobleme hat, dann tauscht man sich schon auch mal aus. Das ist wohl der Unterschied. Die Solidarität ist wohl in der Tat etwas besser geworden: Die Frauen haben gelernt, dass sie durchsetzungsfähiger sind, wenn sie sich zusammentun. Aber es bleibt schwierig, denn im Zweifel – und das ist ja auch richtig so – bin ich Frau und Sozialdemokratin, während z. B. Frau Böhmer von der CDU eben eine CDU-Abgeordnete ist, die halt in ihrem Feld die Politik beackern muss. Da sind dann die Gemeinsamkeiten in der Tat nicht mehr so groß. Reuß: 1977 wurden Sie beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter dem damaligen Minister . 1980 kandidierten Sie in Köln für den Bundestag und gewannen dort auch sofort das Direktmandat. Daraufhin wurden Sie dann parlamentarische Staatssekretärin im selben Ministerium. Was ist denn der größte Unterschied zwischen der beamteten und der parlamentarischen Staatssekretärin? Fuchs: In meinem Fall war das kein Unterschied, weil ich denselben Minister hatte. Ich war also unter demselben Minister drei Jahr lang beamtete Staatssekretärin und dann parlamentarische Staatssekretärin. Wir waren ein Leitungsteam, das wirklich brillant zusammengearbeitet hat. Aber im Prinzip ist es natürlich so, dass man als beamtete Staatssekretärin etwas zu sagen hat: Man kann ins Haus hinein regieren, denn man ist dabei ja auch für das Personal verantwortlich. Man kann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch für die eigene Arbeit nutzen. Denn als parlamentarischer Staatssekretär ist man ja außerhalb dieser Entscheidungsstränge: Man ist demgegenüber zuständig für die Kontakte zum Parlament. Es kommt sehr darauf an, wie das Team in einem Ministerium zusammenarbeitet. Bei mir war das in beiden Funktionen gleich gut. Ich hatte das damals ja nicht gelernt und hatte dennoch Erfolg. Der Erfolg bestand wohl darin, dass ich in diesem Riesenhaus namens "Arbeit und Sozialordnung" mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich zusammengearbeitet habe. Ich machte also immer Rücksprachen nicht nur mit den Herren Abteilungsleitern, sondern auch mit den Unterabteilungsleitern, mit den Referenten, mit den Hilfsreferenten usw. Sie kamen alle zu mir. So hatte ich den ganzen geballten Sachverstand bei mir im Büro und lernte auf diese Weise auch gleich immer schon die Gegenargumente kennen. Ich wusste damit also immer sofort, wie es um die gesellschaftliche Einbindung von bestimmten Entscheidungen bestellt ist. Das hat Spaß gemacht und das war eigentlich die effektivste Zeit für mich. Wir haben da noch viele schöne Sachen gemacht wie den Mutterschaftsurlaub, die Künstlersozialversicherung, die flexible Altersgrenze, die für Schwerbehinderte noch weiter nach unten gesetzt werden konnte usw. Trotz all der Schwierigkeiten war das jedenfalls in sozialpolitischer Hinsicht eine sehr interessante Zeit. Reuß: Im April 1982 hat es dann eine Regierungsumbildung gegeben: , die damalige Ministerin, trat zurück und Helmut Schmidt bat Sie, das damalige Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zu übernehmen. Gab es denn, als Sie dann Bundesministerin wurden, auch mal Momenten, in denen Sie sich fragten, "Mensch, ob ich das, was da an Ansprüchen auf mich zurollt, überhaupt alles schaffe"? Zweifelt man also auch mal an sich? Fuchs: Gezweifelt habe ich sehr viel früher. Als ich in den IG-Metall-Vorstand gewählt wurde, habe ich mich schon gefragt: "Jetzt bis du gerade mal 34 Jahre alt und in eine solche Position gewählt. Kannst du das eigentlich alles schaffen?" Damals hatte ich wirklich große Zweifel. Als ich dann beamtete Staatssekretärin wurde, war es so, dass mein Mann neben mir Karriere machte und zu mir sagte: "Du wirst jetzt etwas, das ich mir nur erträumen kann." Da habe ich mich schon gefragt, ob ich das kann. Andere Leute haben mir hingegen immer mehr zugetraut als ich mir selbst. Ich bin also immer sehr selbstkritisch und vorsichtig mit mir umgegangen. Ich gebe zu, dass ich manchmal in der Tat tief durchatmen musste. Ich sagte immer ein bisschen spaßhaft dazu: Da hat man nun einen tollen Job, dann geht die Tür zu und man sitzt an seinem Schreibtisch und fragt sich, so, und was jetzt? Man versucht ja immer, sich vorzustellen, was da auf einen zukommt. Die ersten Tage kommen dann möglicherweise gar keine Akten, weil noch keiner der Mitarbeiter auf einen eingestellt ist. Da geht man dann nach Hause und denkt sich, ach, so schlimm wird es schon nicht werden. Nach ein paar Tagen geht es dann aber richtig los. Ich habe jedenfalls immer sehr darauf geachtet, auch meine Grenzen zu erkennen. Aber ich gebe zu, ich habe mich schon auch manchmal gefragt, was ich mir da alles zugemutet habe. Das war schon eine ganze Menge. Reuß: Im September 1982 zerbrach die sozial-liberale Koalition: Helmut Schmidt wurde mittels des konstruktiven Misstrauensvotums gestürzt und wurde Bundeskanzler. Fuchs: Es kamen dann 16 Jahre Opposition. Reuß: Wie das Herbert Wehner ja ziemlich exakt vorausgesagt hatte. Lassen Sie uns diese Zeit mal ein wenig rekapitulieren: Sie hatten bis dato ja keine Oppositionszeit erlebt. In der Hamburger Bürgerschaft nicht und im Bundestag auch nicht. War das für Sie schmerzlich? Fuchs: Das war sehr schmerzlich und ich hoffe auch sehr, dass nun diese Oppositionszeit nicht erneut kommt und wir stattdessen an der Regierung bleiben. Ich gestehe, dass ich mich 1998, als wir wieder an die Regierung kamen, immer ganz stolz in den Bundestag gesetzt, die Hand gehoben und gelächelt habe. Die jungen Kolleginnen und Kollegen schauten mich immer an und sagten zu mir: "Was freut dich denn so?" - "Ich bin wieder bei der Mehrheit, das ist wunderbar! Ich kann endlich wieder etwas durchsetzen." Das war damals ab 1982 jedenfalls in der Tat ein Umdenkprozess. Es war schwierig. Dadurch jedoch, dass ich stellvertretende Fraktionsvorsitzende wurde, konnte ich weiterhin Sozialpolitik machen und Herrn Blüm als Oppositionssprecherin "begleiten". Das war schon auch eine spannende Zeit. Und es ist ja so, dass Opposition etwas Wichtiges ist. Sie gehört ganz einfach mit dazu: Sie darf nur nicht zu lange dauern. Eine lange Oppositionszeit ist schon etwas Schwieriges und verändert eine Partei auch, weil man ja sozusagen eine "Papierform" hervorbringen muss und nicht so sehr auf die Realität setzen kann. Das lässt einen in manchen Fällen dann doch auch ein wenig illusionär werden. Das haben wir 1998 dann ja auch gemerkt: Es ging zunächst einmal darum, die Realität wirklich einzufangen. Das war doch etwas schwieriger, als wir uns das vorgestellt hatten. Ja, das war schon ein Bruch damals. Zumal mit Helmut Schmidt auch jemand wegging, der als Bundeskanzler exzellent gewesen ist. Ich kann da nur aus meiner Zeit als damalige Staatssekretärin berichten. Wenn man mit ihm etwas besprochen hat und er Vertrauen zu einem hatte – und das hatte er in mich –, dann merkte man ein paar Tage später in seinen Reden, dass er das übernommen hatte. Da ist man natürlich mächtig stolz, wenn man merkt, dass der Bundeskanzler sozusagen eine Rede hält über das, was man ihm selbst vermittelt hat. Das war eine sehr wichtige Zeit für mich. Sie können an diesen Bemerkungen auch ablesen, dass ich immer gerne an Projekten und Perspektiven gearbeitet habe. Ich wollte nicht immer nur die alltägliche Arbeit alleine machen: Es musste stattdessen auch immer eine Linie vorhanden sein. In der Fraktion hatte ich später dann das Glück, so ein Thema wie die Ökosteuer betreiben zu können. Ich bin heute noch stolz darauf, dass wir das hinbekommen haben. Der Herr Solms war damals dafür, der Herr Schäuble war dafür - als wir es dann durchsetzten, waren sie plötzlich alle dagegen. Das war z. B. so ein konzeptioneller Punkt, der sehr viel Spaß gemacht hat. Reuß: 1987 hat es erneut einen Einschnitt in Ihrem Leben gegeben: Willy Brandt trat als SPD-Vorsitzender zurück und noch bevor feststand, wer eigentlich neuer Vorsitzender werden würde, haben Sie Ihre Kandidatur für das Amt der Bundesgeschäftsführerin der SPD angemeldet. Es war für Sie das erste Mal, dass Sie sich selbst um ein Amt bemüht haben. Fuchs: Ja, richtig. Reuß: Was hat Sie eigentlich an diesem aufreibenden Amt interessiert? Fuchs: Mir war schon klar, dass die Partei in große Schwierigkeiten kommen könnte. Ich habe mir eben gedacht, dass ich da mit meiner Erfahrung, also mit Tradition und Perspektive und einem so ursozialdemokratischen Herzen der Partei helfen könnte. Ich war davor ja stellvertretende Fraktionsvorsitzende in Bonn gewesen und fand eigentlich die Parteiarbeit dann doch auch sehr wichtig. Insgesamt war das jedenfalls eine schwierige Zeit, weil ich ja mit Jochen Vogel als Vorsitzendem gut zusammengearbeitet hatte. Aber die Führungsfrage war ja nicht geklärt, weil , und Gerhard Schröder in Lauerstellung standen und sich überlegten, wer denn nun die Parteiführung übernehmen werde. Das war schon schwierig. Ich hatte dann aber das Glück, dass ich als Bundesgeschäftsführerin die Wiedervereinigung mitgestalten konnte: Ich musste dabei dafür sorgen, dass sich diese kleine SPD-Ost und diese große SPD-West vereinigten. Dieser Vereinigungsparteitag in Berlin damals - das waren schon wirkliche Glücksmomente, ebenso wie die ganze Zeit der Wiedervereinigung. Ich wurde dann ja als Bundesgeschäftsführerin quasi abgestellt und habe in Sachsen gegen Herrn Biedenkopf kandidiert. Das finde ich heute noch toll. Reuß: Das war bei der Wahl für das Amt des Ministerpräsidenten von Sachsen. Fuchs: Ja, im Jahr 1990. Ich habe zwar grandios verloren, aber ich habe in der Zeit der Partei doch helfen können. Ich habe dabei natürlich auch ein Gefühl für die ostdeutschen Menschen und die dortigen Probleme bekommen. Ich wusste also, was dort politisch notwendig war. Insofern habe ich also der Partei helfen wollen: Das war eigentlich mein Ur-Anliegen gewesen. Reuß: Hatte Ihre Kandidatur in Sachsen eher den Charakter einer Aufgabe als "Parteisoldatin"? Haben Sie sich da von der Partei in die Pflicht nehmen lassen? Fuchs: Ja, eindeutig. Ich sollte ja vorher schon mal in Mecklenburg-Vorpommern kandidieren. Obwohl ich ja Hamburgerin bin, hatte ich mir da jedoch überlegt, lieber in ein Bundesland zu gehen, das ein bisschen weiter südlich liegt und kulturell ein bisschen anspruchsvoller ist. Denn wir haben in der Zeit natürlich auch Familienrat abgehalten. Für den Fall, dass...haben wir alle gesagt: "Nein, da gehen wir doch alle lieber nach Dresden als nach Schwerin!" Denn solche Sachen spielen da ja auch eine Rolle. Aber ich gebe zu, dass ich das als "Parteisoldatin" gemacht habe. Ich konnte mit dem Wahlkampf natürlich auch helfen, dort Ortsvereine zu gründen und die Parteiorganisationen ein bisschen zu installieren. Die Partei ist dabei auch sehr gut mitgegangen. An sich hat das also Spaß gemacht. Reuß: Man muss das vielleicht noch einmal konkret herausstreichen: Sie waren von 1987 bis 1991 Bundesgeschäftsführerin. In diese Zeit fiel die Maueröffnung, die Wiedervereinigung und auch diese berühmte Volkskammerwahl, die entgegen der Einschätzung wirklich aller Medienforscher zum Debakel für die SPD wurde. Fuchs: Das ist richtig. Wir hatten damals den Parteivorsitzenden Böhme in der Ost- SPD, der sich später eben als Stasi-Spitzel herausstellte. Das war schon eine spannende und im Grunde genommen trotz allem auch eine tolle Zeit. Ich habe es als richtigen Glücksfall empfunden, die Wiedervereinigung miterleben zu dürfen: Die Tatsache, dass Deutschland nun wieder zusammenwachsen konnte. Dass ich in dieser Situation helfen und meine Erfahrungen einbringen konnte, habe ich ebenfalls als großen Glücksfall empfunden. Damals war ich in der Angelegenheit auch gar nicht so ungeduldig, weil ich ja wusste, dass das alles ein bisschen länger dauern wird. Diese "blühenden Landschaften" von Herrn Kohl waren ja auch ein Versprechen, das viele Fehlentscheidungen zur Folge hatten. Gleichwohl war das eine spannende Zeit. Es war spannend, in der gemeinsamen Verfassungskommission zu überlegen, wie eine gesamtdeutsche Neuorientierung auszusehen habe. Das war schon alles unglaublich spannend. Reuß: Sie haben ja beides erlebt in Ihrem politischen Leben: Macht und Ohnmacht, Erfolg und Misserfolg. Wie eng liegt beides beisammen? Fuchs: Sehr eng. Man kann heute einen Wahlerfolg haben und schon morgen wieder abstürzen, weil ein Thema auf die Tagesordnung kommt, auf das man nicht vorbereitet ist: Da ist dann die ganze Euphorie wieder weg. Deswegen rate ich allen, die einen Erfolg haben, ihn auch ein bisschen zu genießen. Ich meine dies nicht im Sinne von faul werden, sondern will das so verstanden wissen, dass sie mal durchatmen und sich sagen sollen, "Donnerwetter! Das habe ich geschafft, das ist toll!". Denn diese Momente sind sehr selten. Sie haben es vorhin erwähnt: Ich habe meinen Wahlkreis in Köln einmal gewonnen und ihn viermal verloren. Zum Schluss nun habe ich ihn erneut gewonnen. Sie sehen also, die Glücksmomente sind durchaus rar. Aber man muss mit Niederlagen auch sportlich umgehen können. Ich finde, dass ich damals für den Posten des Ministerpräsidenten in Sachsen kandidiert habe, war eine Auszeichnung für mich: Meine Partei hat mir dieses Vertrauen ausgesprochen. Insofern habe ich das auch gerne gemacht und deswegen empfinde ich das letztlich nicht als Niederlage, sondern als Teil meiner Biographie. Reuß: Sie haben ebenfalls einmal geschrieben: "Im Regen steht, wer das erste Gebot des Politikers vergisst, das da lautet: Du sollst dir eine Hausmacht sichern bis ans Ende deiner Tage!" Hatten Sie jemals eine Hausmacht? Fuchs: Nein, ich hatte keine Hausmacht. Denn ich war ja nicht von der Ortsvereinsarbeit gekommen, sondern aus der IG-Metall. Ich habe mir ganz naiv immer gedacht, als "Weltkind in der Mitten" würden mich alle nett finden. Aber das war natürlich nicht so. Wenn man keine Unterstützung hat – und es hat durchaus Momente gegeben, in denen ich überhaupt keine Unterstützung hatte –, dann ist das schon sehr schwierig. Da ist man dann sehr alleine auf weiter Flur. Alle Fehler, die gemacht werden, werden einem angelastet und Hilfe gibt es nicht! Reuß: Sie galten zumindest in der Presse lange Zeit als rechte Sozialdemokratin. Fuchs: Ja, ich bin angeblich ganz rechts. Woher das kommt, weiß ich allerdings nicht. Reuß: Sie gehören aber tatsächlich zum Seeheimer-Kreis. Heiner Geißler sagte einmal, rechts und links seien Begriffe aus der parlamentarischen Gesäßgeographie. Spielen denn diese Begrifflichkeiten heute in der Politik überhaupt noch eine Rolle? Stehen dahinter auch Programme? Fuchs: Nein, dahinter stehen heute keine Programme mehr, weil sich das alles ja auch so ein bisschen aufgelöst hat. Es sind eigentlich mehr die persönlichen Freundschaften, die zählen, der Umgang miteinander. Wenn ich mich z. B. permanent in einem linken Gesprächskreis aufhalten würde, dann wäre mir das zu anstrengend. In einem rechten Gesprächskreis geht es hingegen freundschaftlich zu. Insofern sind es also diese berühmten Seilschaften, die da nach wie vor vorhanden sind. Es gibt heute auch noch andere Arten von Netzwerken. Die großen Strömungen aber braucht man wohl immer noch. Ich bekenne mich jedenfalls dazu, dass ich "Seeheimerin" bin, weil ich die Leute dort einfach lieber leiden mag als andere – obwohl ich mit denen auch gut zurechtkomme. Inhaltlich bin ich alles andere als rechts: Aber das macht nichts! Reuß: Wenn Sie die Politik in den letzten gut 50 Jahren einmal Revue passieren lassen, dann werden Sie mir sicherlich zustimmen, dass es da ganz bestimmte Phasen gegeben hat: Es gab den Wiederaufbau, später folgten die Westbindung und darauf dann die Ostverträge. Danach kam die deutsche Einheit. In welcher Phase leben wir Ihrer Meinung nach heute? Was muss Politik heute gestalten? Was muss sie bestimmen? Fuchs: Heute leben wir in der Zeit von Europa und Globalisierung. Ich persönlich halte ja Europa nach wie vor für das Projekt der Zukunft. Ich will mich dafür auch gerne weiterhin engagieren. Sie müssen ja nur einmal daran denken, dass wir in der Nachkriegszeit eigentlich nur von Feinden umgeben waren: Heute sitzen wir dagegen alle in einem europäischen Parlament. Wenn dies wirklich zusammenwächst, dann halte ich das in der Tat für die größte Friedensbewegung aller Zeiten. Daran muss gearbeitet werden – auch dann, wenn das im Alltag schwierig ist. Dieses Europa brauchen wir auch, wenn wir die Globalisierung gestalten wollen. Ich habe es vorhin schon einmal angedeutet: Ich will keinen freien Wettbewerb, sondern ich will einen fairen Wettbewerb. Ich will soziale und ökologische Momente in die Weltwirtschaft integriert sehen. Europa kann da modellhaft, vorbildlich sein. Denn wenn wir nicht alles so haben wollen wie im amerikanischen Kapitalismus, wenn ich das mal so etwas platt ausdrücken darf, dann muss Europa eine gestaltende Rolle bei der Frage spielen, wie die Weltwirtschaft stattdessen aussehen soll. Damit nehmen wir auch den Globalisierungsgegnern die Angst, denn sie müssen und können dann wissen: "Ich kann in meinem Land sicher leben. Da sorgen alle möglichen Leute dafür, dass ich einen Arbeitsplatz habe, dass ich bezahlbaren Wohnraum habe, dass ich sozial abgesichert bin." In Europa formulieren wir die Politik gemeinsam und bringen sie ein in die vielen internationalen Organisationen: Das ist sozusagen die Message, die ich noch habe. Und an der arbeite ich auch wirklich. Denn ich finde es schade, dass das "Projekt Europa" wegen der vielfältigen Fehler, die es natürlich immer gibt, nicht in die Herzen der Leute hineinkommt. Hier kommen also Herz und Seele bei mir dann doch durch. Ich möchte, dass die Menschen begreifen, dass Europa die Zukunft sein wird, dass man damit nicht kleinkariert umgehen darf und dass man auch Fehler und Rückschläge wegstecken muss und stattdessen mit einem kräftigen "und dennoch" ans Werk gehen muss. Ich war jetzt soeben in Frankreich und habe mit Euro bezahlt: Ich fand das toll und ich fand es auch toll, wie sich letztlich doch alle daran gewöhnt haben. Mir geht es also darum, dass diese Friedensmission keine L'art pour l'art ist, sondern auch für die Menschen hier vor Ort eine wichtige Perspektive darstellt. Daran will ich gerne, in welchen Funktionen auch immer, mitwirken. Reuß: Helmut Schmidt hat noch als Bundeskanzler, das ist nun auch schon wieder 20 Jahre her, einmal Albert Camus zitiert: "Jede Generation sieht ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen." Er selbst meinte dazu: "Meine Generation weiß, dass sie die Welt nicht neu erbauen wird, aber vielleicht fällt ihr eine noch größere Aufgabe zu, die darin besteht, den Zerfall der Welt zu verhindern." Ist das auch heute noch ein zutreffendes Zitat? Würden Sie sagen, dass die Politik in ihrem Gestaltungsanspruch auch ein Stück weit bescheidener werden muss? Fuchs: Natürlich, und für mich als deutsche Politikerin gilt das allemal, denn es gibt schließlich dieses Phänomen der Globalisierung. Insofern stimmt das also. Aber inhaltlich ist die Politik damit natürlich auch anspruchsvoller geworden: Denn das ist selbstverständlich sehr viel wichtiger und es ist auch friedens- und kriegsentscheidender, wie wir in der jetzigen Welt mit diesen Themen umgehen. Ich finde, wir müssen als deutsche Politikerinnen und Politiker auch unsere guten Erfahrungen einbringen. Wir müssen den Menschen sagen, dass es tatsächlich eine Alternative z. B. zu gewaltorientierter Konfliktlösung gibt, indem man auf Dialog, auf Konferenzen setzt und den langen Weg der Entwicklung akzeptiert. Es gibt Lösungen, die auch ökonomisch vernünftig sind, sodass man nicht zu viele Leute auf der Strecke lässt, sondern ein soziales Netz aufbaut, das sich in ökonomischer Hinsicht als produktiv erweist. Das heißt nicht, dass ich nun unbedingt Recht haben will: Aber ich biete den Menschen an, was wir an Erfahrungen gemacht haben. Ich biete das heute an und ich sehe, dass das die jungen Leute auch akzeptieren. Ich habe überhaupt keine Sorge, dass Politikerinnen und Politiker das ordentlich machen werden. Für Deutschland wünsche ich mir nur ein Mehr an Miteinander, an Engagement. Wir sollten das Engagement, das es bereits gibt, auch stärker herausarbeiten. Wenn jemand zu mir sagt, und das höre ich in den letzten Tages des Öfteren, dass er nun wieder einmal Ortsvereinsarbeit macht, dann freue ich mich darüber natürlich. Diese Arbeit ist nämlich nicht immer witzig und auch nicht immer spannend, aber sie muss sein. Man muss sie ja auch nicht ein Leben lang machen. Ich ermuntere jedenfalls dazu, dass sich die Menschen nicht nur um sich selbst kümmern, sondern auch schauen, was der Nachbar macht, was die Politik macht, was das eigene Land macht. Ich sehe ein, dass die Welt heute hektischer ist: Warum das so ist, weiß ich auch nicht, aber es ist nun einmal so. Es geht also darum, sozusagen die Kontemplation zu finden, wie man mit sich selbst am besten umgeht, und auch eine Antwort auf die gute alte Frage von Kennedy zu finden, was man dem eigenen Land anbieten kann. Das muss auch heute wieder prägend werden. Ich hoffe, dass die großen Organisationen wie die beiden Kirchen, die Gewerkschaften und die Parteien dies auch ein bisschen fröhlich, zukunftsorientiert und engagiert vermitteln. Wir brauchen auch in Zukunft noch solche Organisationseinheiten. Es kann nicht sein, dass wir, wie das manche machen, die Philosophie weitertreiben, die da lautet: Wenn es mir gut geht, dann geht es auch anderen gut. Denn das ist eben nicht der Fall. Stattdessen ist es so, dass das Miteinander größer werden muss. Ich werde, so lange es irgend geht, daran mitarbeiten, dass das auf der Tagesordnung bleibt. Ich bin in den Linien, die ich soeben aufgezeigt habe, eigentlich ganz zuversichtlich. Sie müssen nur einmal daran denken, dass die jungen Menschen, die Kinder haben, nun endlich alle ihren Kindergartenplatz bekommen, dass sie die Ganztagsschule bekommen, dass wir mit dem BAföG dafür sorgen, dass junge Leute weiterhin eine Chance bekommen. Wir brauchen doch nur mal daran denken, dass wir heute die am besten ausgebildete Frauengeneration der gesamten Geschichte haben, eine Generation, die nun ihre Chance zu nutzen versucht. Diese Generation von Frauen kann sich heute sagen: "Ich muss gar nicht heiraten, ich komme auch alleine zurecht." Ich rate aber dennoch zur Ehe, weil ich schon viele Jahrzehnte glücklich verheiratet bin. Das sind jedenfalls alles Möglichkeiten, für sich selbst etwas zu tun. Das sind aber auch Möglichkeiten, für andere da zu sein. Darauf ein bisschen zu achten, wäre wichtig. Reuß: Wissen wir das aber überhaupt noch zu schätzen? Sie haben einmal von der "individualistischen Reichtumsgesellschaft" gesprochen. Fuchs: Ja, das muss man überwinden: Das muss man ansprechen und überwinden. Es kann doch nicht wahr sein – das ärgert mich immer sehr –, dass ein Manager, der versagt hat, 60 Millionen Mark Abfindung bekommt. Ich finde es übrigens auch unappetitlich, dass man in den Fernsehshows bis zu fünf Millionen Euro gewinnen kann. Wo ist da das Maß für denjenigen, der mit 3000 Euro oder noch weniger nach Hause geht, der davon lebt und der davon auch z. T. ganz gut lebt? Das Leben ist anstrengend und man muss sich mühen, das ist klar. Hier haben sich jedoch auch in manchen Bereichen Werte krass verschoben. Es klingt vielleicht ein bisschen altmodisch, wenn ich sage, dass man genau daran arbeiten muss: Aber ich glaube tatsächlich, dass es dazu keine Alternative gibt. Warum können wir den Menschen nicht sagen, "Tu etwas für die Gesellschaft, mach doch mal ein soziales Jahr, mach doch ein ökologisches Jahr, wenn nicht in jungen Jahren, dann später"? Es gibt in unserem Land ja ehrenamtliches Engagement, das wird nur immer so ein bisschen als Betreuung abgetan. Es geht darum, das wieder zum Thema zu machen. Dieses Engagement muss gar nicht entlohnt werden, es geht vielmehr darum, dass es zur selbstverständlichen Pflicht erhoben wird. Reuß: Es zu belohnen! Fuchs: Ja, es zu belohnen und es auch im Ansehen zu belohnen! Denn es macht natürlich viel Spaß, wenn ich am Wochenende etwas Sinnvolles gemacht habe. Und ich kann allen Menschen nur folgenden Rat geben: Beim Fernseher gibt es ja etwas Spannendes, das ist der Schalter zum Ausschalten. Wenn man sich mal ein bisschen besinnt, dann hat man auch Lust darauf, anderen zu helfen. Darum werbe ich sehr. Reuß: Das war ein schönes Schlusswort. Ich hoffe natürlich, dass die Zuschauer gerade bei uns nicht ab-, sondern immer häufiger einschalten. Unsere Sendezeit ist damit leider zu Ende. Ich darf mich bei Ihnen für das sehr angenehme Gespräch ganz herzlich bedanken. Ich möchte gerne, wenn Sie erlauben, mit einem Zitat aus Ihrem Buch "Mut zur Macht" enden. Dieses Zitat macht deutlich, dass es in der Politik vielleicht nicht immer Dankbarkeit gibt. Vielleicht darf man sie auch gar nicht erwarten. Sie haben dort in Ihrem Buch folgendes polnische Sprichwort zitiert: "Die Dankbarkeit ist in den Himmel gestiegen und hat die Leiter mitgenommen." Noch einmal ganz herzlichen Dank, Frau Fuchs. Verehrte Zuschauer, das war Alpha- Forum, heute mit Anke Fuchs, der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Herzlichen Dank für Ihr Interesse und fürs Zuschauen, auf Wiedersehen.

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