Anke Fuchs Bundestagsvizepräsidentin Im Gespräch Mit Werner Reuß

Anke Fuchs Bundestagsvizepräsidentin Im Gespräch Mit Werner Reuß

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 05.07.2002 Anke Fuchs Bundestagsvizepräsidentin im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum Alpha-Forum, heute aus dem Hotel Bayerischer Hof in München. Ich freue mich, einen besonderen Gast begrüßen zu dürfen, Anke Fuchs, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes. Anke Fuchs war schon Bundesministerin unter Helmut Schmidt und, als erste Frau, Bundesgeschäftsführerin der SPD. Ich freue mich, dass Sie heute hier sind, herzlich willkommen, Frau Fuchs. Fuchs: Danke schön. Reuß: "Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen", sagte einst Herbert Wehner, der langjährige Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag. Was ist Politik für Anke Fuchs? Fuchs: Für mich ist das die Grundeinstellung, dass man sich um andere kümmern muss. Das ist die Vorstellung, dass man nicht nur sich selbst sehen darf, sondern wirklich schauen muss, in welchem Umfeld man lebt. Für mich ist das aber auch das Urvertrauen darin, dass ich durch Politik etwas ändern kann. Wenn ich nun so Revue passieren lasse, was ich in meinem Leben alles gemacht habe, dann kann ich Ihnen dafür ein kleines Beispiel geben. 1980 habe ich noch in der Regierung Helmut Schmidt das Mutterschaftsurlaubsgesetz durchgesetzt: Dies bedeutete für ein Jahr die Fortzahlung von etwas Geld, aber vor allem die Sicherung des Arbeitsplatzes. Jetzt, nach 20 Jahren, steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich auf der Tagesordnung: Wir haben Elternteilzeit, wir haben Anspruch auf Elternurlaub und wir sind dabei, nun endlich auch Ganztagsschulen anzubieten. Das heißt, man kann sehr wohl etwas gestalten: Es dauert halt fürchterlich lange. Das ist etwas, das man lernen muss und das man jungen Leuten heute leider eben auch sagen muss. Reuß: "Wäre die Politik ein Auto, ich fürchte, sie käme seit Jahren nicht mehr durch den TÜV", sagte der langjährige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel einmal. Teilen Sie seine Einschätzung? Fuchs: Nein, überhaupt nicht. Die Nachkriegszeit war einfacher, das stimmt: Dort, wo man lebte, konnte man auch tatsächlich etwas tun. Man konnte aufbauen, man konnte für Arbeit sorgen, man konnte für Wohnungen sorgen usw. Und darum herum wurde dann noch so ein bisschen Außenpolitik gemacht. Heute leben wir zwar immer noch in Deutschland, aber wir leben eben auch in Europa und in einer globalisierten Welt. Aber diese Welt kann man gestalten. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen und auch die Politik nun so langsam begreifen, dass man da nicht alles auf sich zukommen lassen kann, sondern dass nun die Frage auf der Tagesordnung steht, wie dieser Welthandel unserer Meinung nach jetzt eigentlich aussehen soll. Wir wollen ihn ja nicht nur frei haben, sondern wir wollen auch, dass er fair ist. Also machen wir uns auf den Weg – und das ist eben meine Erfahrung im Hinblick auf langfristige Entwicklungen –, diese Globalisierung zu gestalten. Und da komme ich eben mit diesem Auto, um auf Herrn Rommel zurückzukommen, durch den TÜV sehr wohl durch. Es dauert nur eben ein bisschen, denn man steht dabei schon auch mal des Längeren im Stau, um mal bei diesem Bild zu bleiben. Aber ab und zu hat man auch freie Fahrt. Diese freie Fahrt muss man nutzen, um etwas zu bewegen. Reuß: Sie haben einmal in Ihrem Buch "Mut zur Macht" auch Max Weber zitiert: "Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Körperteilen und auch nicht mit der Seele." Muss Politik aber nicht doch auch ein wenig Seele verkörpern? Muss sie nicht manchmal sogar aus dem Bauch heraus gemacht werden? Fuchs: Sie muss die Gefühle und die Befindlichkeiten der Menschen erreichen. Aber wenn man dann auch etwas durchsetzen will, dann ist es schon gut, wenn man seinen Kopf benutzt. Die Emotionalität ist schon wichtig, das stimmt, aber das ist nur die Verpackung: Ansonsten muss das Konzept stimmen! Man muss in die Zukunft schauen und eine langfristige Perspektive haben. Und dann muss man sich eben auf den Weg machen und sagen: "So, das setze ich jetzt mal um!" Das heißt im Sinne von Max Weber, dass man in der Politik dicke Bretter bohren muss. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Bretter dicker geworden sind als früher. Aber das kann ich nicht genau beurteilen. Es ist jedenfalls so, dass es sich auch heute lohnt, sich auf dem Gebiet der Politik zu engagieren. Die Seele erwähne ich deswegen immer, weil man ja aufpassen muss, dass man im politischen Geschäft nicht beschädigt wird. Mein Vater hat damals zu mir immer gesagt: "Lass die Politik nicht an dein Herz herankommen, und auch nicht an deine Seele!" Das heißt, mein eigenes, persönliches Leben, mein Ich, darf durch die Politik nicht beschädigt werden. Deswegen ist auch ein gehöriges Maß an Distanz ganz wichtig. Es ist auch ganz wichtig, dass man sich selbst nicht zu wichtig nimmt und meint, man sei irgendwie unentbehrlich. Wenn man man selbst bleibt und mit sich selbst auch etwas anzufangen weiß, dann ist man meiner Meinung nach auch als Politikerin besser. Das ist das mit der Seele: Da lasse ich die Politik lieber nicht herankommen. Reuß: Sie sind seit 1998 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Was macht denn eine Vizepräsidentin eigentlich? Fuchs: Eine Vizepräsidentin leitet zunächst einmal die Sitzungen. Es gibt ja den Präsidenten und fünf Vizepräsidenten. Während der Tage der Plenardebatten lösen wir uns darin alle zwei Stunden ab und hören den Debatten zu. Daneben bilden wir auch das Präsidium: Wir sind sozusagen für die ganze Ordnung dieses Hauses namens Bundestag im Reichstagsgebäude in Berlin zuständig. Das Spannendste für mich als Vizepräsidentin ist das Zuhören: Ich habe mir nämlich vorgenommen, ich höre zu! Wie der Zufall es will, höre ich eben auch bei Themen, die ich nicht kenne, zu. Da ist es ganz toll, auch mal abzuchecken, ob man das, was die Kollegen da vortragen, überhaupt versteht, welche Partei die besseren Argumente hat usw. Deswegen empfehle ich auch immer den Mitbürgern und Mitbürgerinnen: "Hört doch einfach mal zu! Lasst Euch mal ein auf eine Debatte zu einem Thema, das Ihr gar nicht kennt, denn dann werdet Ihr sehen, dass Politik etwas ganz Faszinierendes ist!" Ich möchte aber hinzufügen, dass man als Bundestagsvizepräsidentin auch noch sehr viele repräsentative Aufgaben hat. Deutschland ist ein Land, das sehr viele ausländische Delegationen empfängt. Diese Besucher kommen dann eben zum Vizepräsidenten, um Gespräche über Deutschland, über die Politik, über Außenpolitik usw. zu führen. Ich habe deswegen in den letzten vier Jahren auch sehr viele außenpolitische Initiativen entfaltet, auch sehr viele Reisen gemacht und wirklich sehr viele Besucher empfangen. Reuß: Sie sind seit über 30 Jahren aktiv in der Politik. Seit langem schon bekleiden Sie auch Spitzenämter in Staat und Partei. Hat sich denn die Politik Ihrem Empfinden nach in diesen Jahren verändert? Und wenn ja, in welche Richtung? Fuchs: Es war immer schwer. Es war immer schon schwierig, Menschen für die Partei zu gewinnen. Wir hatten in der Zeit von Willy Brandt und seiner Ostpolitik zwar mal einen großen Durchbruch, aber ansonsten war Organisations- und Parteiarbeit immer schon schwierig. Was sich verändert hat, ist natürlich die Hektik. Man konnte früher guten Gewissens ein Thema aufwerfen und sagen: "Ich habe die Absicht, eine neue Rentenpolitik zu formulieren!" Damit konnte man an die Presse gehen und es gab im Anschluss daran einen gesellschaftlichen Diskurs. Irgendwann wurde das dann alles zusammengefasst. Heute muss bei einem Projekt schon die allererste Schlagzeile stimmen, sonst ist das Thema erledigt. Denn kein Mensch verfolgt heute mehr einen Diskussionsprozess, sondern jeder fragt nur noch, was die Message des heutigen Tages ist. Wenn man sich die "Tagesschau" usw. ansieht, dann stellt man fest, dass es da immer nur um die Messages des jeweiligen Tages geht. Die langfristigen Entwicklungen, die wir gerade jetzt dringend bräuchten, sind heute nur noch sehr schwer zu vermitteln. Das ist ja jetzt im Wahlkampf ebenfalls ein Problem: Wir argumentieren nur noch nach Schlagzeilen und zeigen eben nicht mehr die langfristigen Perspektiven auf. Das hat sich alles verändert. Und es hat sich – hier komme ich nun wieder auf "Seele" und "Herz" zurück – auch noch Folgendes verändert: Man steht als Spitzenpolitiker – ich selbst stand ja immer eher in der zweiten, denn in der ersten Reihe – auch persönlich so in der Öffentlichkeit, dass ich das fast nicht mehr erträglich finde. Da würde ich mir doch insgesamt ein bisschen mehr Distanz wünschen. Aber ich glaube auch, dass das möglich wäre. Die jungen Menschen, die nun vorwärts drängen, freuen sich natürlich auch auf Medienbekanntschaften und auf die Öffentlichkeit. Aber ich sage auch jungen Politikern und Politikerinnen immer wieder, dass manchmal weniger wirklich mehr bedeuten kann. Denn dadurch bleibt man eher man selbst und hat so wiederum mehr Ausstrahlung. Dies ist der bessere Weg, als wenn man meint, zu jedem Thema "ins Mikrophon beißen" zu müssen. Reuß: Sie haben es schon angesprochen: Die Politik steht heute natürlich auch unter dem Druck der Medien. Da ist das 30-Sekunden-Statement wichtiger als die Analyse und die Diskussion; da ist das Äußere vielleicht sogar wichtiger als der Inhalt bzw. die Inhalte. Aber manche Politiker fahren auch auf diesem Dampfer und nutzen die Medien so virtuos es eben irgendwie geht. Sie haben mal ein schönes Bild geprägt, denn Sie haben vom Schaukelpferd-Prinzip gesprochen: "Ein heftiger Schaukler nach vorne, dann einen zurück – das ist viel Bewegung, aber passiert ist eigentlich nichts!" Ist das ein heutiges Prinzip der Politik, das durch die Medien bedingt ist? Fuchs: Ich glaube, jeder, der heute in der Politik ist, muss die Aufmerksamkeit der Medien haben. Man muss sich also darauf einstellen in dem Sinne, dass man sich fragt, was man anziehen soll, welche Bluse man tragen soll usw. Wenn man mal im Fernsehen zu sehen war, dann kann man manchmal die Menschen Folgendes fragen: "Was habe ich denn gesagt?" Als Antwort bekommt man dann häufig zu hören: "Ach, das weiß ich nicht, aber deine Bluse war ganz in Ordnung!" Solche Reaktionen bekommt man auf diese von Ihnen angesprochenen Statements.

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